Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2017/2018 9783504386023

Das Steuerberater-Jahrbuch bietet der Beratungspraxis Jahr für Jahr eine detaillierte Auseinandersetzung mit ausgewählte

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German Pages 732 [718] Year 2018

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Steuerberater-Jahrbuch: Steuerberater-Jahrbuch 2017/2018
 9783504386023

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Steuerberater-Jahrbuch 2017/2018

Steuerberater-Jahrbuch 2017/2018 zugleich Bericht über den 69. Fachkongress der Steuerberater Köln, 4. und 5. Oktober 2017

Herausgegeben im Auftrag des Fachinstituts der Steuerberater von

Prof. Dr. Thomas Rödder

Prof. Dr. Rainer Hüttemann

Steuerberater, Wirtschaftsprüfer

Universitätsprofessor

Zitierempfehlung: Verfasser, StbJb. 2017/2018, Seite …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISSN 0081-5519 ISBN 978-3-504-62664-8 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Der 69. Fachkongress der Steuerberater, den das Fachinstitut am 4. und 5. Oktober 2017 zum ersten Mal wieder im Gürzenich zu Köln veranstaltete, wurde mit einem Einführungsvortrag über „aktuelle verfassungsrechtliche Leitlinien für die Unternehmensbesteuerung“ eröffnet. Sodann widmete sich der Kongress – wie in den letzten Jahren – am Vormittag des ersten Tages unter dem Leitthema Unternehmenssteuerrecht 1 den „Rechtsprechungs-Highlights“ bei der Besteuerung von Personen- und Kapitalgesellschaften. Der nachfolgende Beitrag zur „Steuerpolitik in der neuen Legislaturperiode“ gab einen ersten Überblick über mögliche Schwerpunkte in der Steuergesetzgebung der 19. Legislaturperiode. Das Leitthema Unternehmenssteuerrecht 2 wurde mit einem Vortrag über „§§ 8c und 8d KStG und die Entscheidung des BVerfG“ eröffnet. Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen, insbesondere §§ 4i und 4j EStG, waren Gegenstand des zweiten Beitrags. Im Fokus des dritten Referats dieses Leitthemas standen „Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr“, die den Gegenstand verschiedener anhängiger Revisionsverfahren bilden. Erster Schwerpunkt des Leitthemas Unternehmenssteuerrecht 3 waren dieses Jahr vor allem Praxiskonsequenzen der Erbschaftsteuerreform und hier vor allem die neuen Ländererlasse. Weitere Themen dieses Leitthemas bildeten „die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses“ sowie „Grundfragen der KGaA-Besteuerung“. Im Rahmen des Leitthemas Bilanzsteuerrecht widmete sich der Fachkongress ausgehend von neueren BFH-Entscheidungen dem „Stand der Erkenntnisse zu Rückstellungen im Bilanzsteuerrecht“. Der nachfolgende zweite Beitrag setzte sich mit dem immer bedeutsameren Thema „Praxisfragen immaterieller Wirtschaftsgüter“ auseinander. Wie jedes Jahr wurde der bilanzrechtliche Vormittag mit einem Überblick über „aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts“ abgeschlossen. Das Leitthema Internationales Steuerrecht wurde in diesem Jahr wieder mit einem Beitrag zu den „Rechtsprechungs-Highlights“ eröffnet. Der nachfolgende Vortrag setzte sich mit den zunehmend anzutreffenden Korrespondenzregeln im deutschen Internationalen Steuerrecht auseinander. Das hochaktuelle Thema „ATAD und Neuregelung der Hinzu-

V

Vorwort

rechnungsbesteuerung“ war Gegenstand des dritten und letzten Beitrags zu diesem Leitthema. Am Anfang des Leitthemas Umsatzsteuerrecht stand ein Überblick über „Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht“. Der zweite Vortrag beleuchtete die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft. Der dritte Vortrag befasste sich mit (rückwirkenden) Rechnungskorrekturen aus Verwaltungs- und aus Beratersicht. Den Auftakt des Leitthemas Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken bildete eine Einführung in das Thema „Unternehmenssteuerrecht und Industrie 4.0“. Der anschließende Vortrag bot eine kritische Darstellung zu „Substanzanforderungen im Ertragsteuerrecht“. Der abschließende Beitrag erörterte aktuelle Quellensteuerfragen aus Unternehmenssicht. Köln, im Juni 2018 Thomas Rödder

VI

Rainer Hüttemann

Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Professor Dr. Klaus-Dieter Drüen Ludwig-Maximilians-Universität München, Richter am Finanzgericht Düsseldorf Aktuelle verfassungsgerichtliche Leitlinien für die Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Einleitung: Das Verhältnis des BVerfG zum Unternehmenssteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

II. Finanzverfassungsrechtliche Innovationsspielräume des Gesetzgebers bei der Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . . . . . .

3

III. Der Gleichheitssatz als zentrale Vorgabe und Schranke der Unternehmensbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

IV. Konsequenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Normen des Unternehmenssteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

1. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 1 Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weitere Neuigkeiten zur Realteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28

II. Korrespondierende Bilanzierung von Sonderbetriebsvermögen

35

III. Ergänzungsbilanz und § 15a EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

IV. Gewerbliche Prägung bei Einheits-GmbH & Co. KG . . . . . . . . .

44

V. Gewerbesteuerfragen bei Personengesellschaften . . . . . . . . . . . .

46

* Ausführliche Inhaltsübersichten jeweils zu Beginn der Beiträge.

VII

Inhalt

Dr. Peter Brandis Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

I. § 8b KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

II. § 8c KStG – Verlustabzugsverbot bei schädlichem Beteiligungserwerb (Erwerbergruppe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

III. Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

IV. Verdeckte Gewinnausschüttung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

Ministerialdirigent Dr. Steffen Neumann Finanzministerium NRW, Düsseldorf Steuerpolitik in der neuen Legislaturperiode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

II. Steuerliche Wahlprogramme zur Bundestagswahl am 24.9.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

III. Rund um die steuerlichen Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 IV. Nutzung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 V. Mögliche Änderungen bei der Grunderwerbsteuer . . . . . . . . . . 111 VI. Gewerbesteuer: Hinzurechnung bei kurzfristigen Anmietungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 VII. Steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F+E) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 VIII. Planung einer Unternehmenssteuerreform? . . . . . . . . . . . . . . . . 118 IX. Besteuerung von Unternehmen im internationalen Gefüge, Restanten aus dem BEPS-Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 X. Stiefkind der Politik. Reform der Grundsteuer . . . . . . . . . . . . . . 131 XI. Erbschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 XII. Vermögensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 XIII. Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 XIV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

VIII

Inhalt

2. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 2 Dr. Norbert Schneider Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf §§ 8c und 8d KStG und die Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . 139 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Kurze Geschichte der Verlustnutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 III. Überblick § 8c KStG und seine gesetzgeberische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 IV. Überblick § 8d KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 V. Entscheidung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 VI. Mögliche Reaktionen des Gesetzgebers („Gedankenlabor“) . . . 160 Regierungsdirektorin Alexandra Pung Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 II. Versagung des doppelten Sonderbetriebsausgabenabzugs (§ 4i EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs für Lizenzzahlungen (§ 4j EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Oberregierungsrat Thomas Stimpel Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Professor Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr . . . . . . . . . . . 201 I. Grundlagen (Schumacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Probleme bei Feststellung und Bescheinigung (Stimpel) . . . . . . 205 III. Einlagerückgewähr von EU-Gesellschaften (Schumacher) . . . . 215 IV. Einlagerückgewähr von Drittstaatengesellschaften (Schumacher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 IX

Inhalt

V. Sonderprobleme bei Einbringungen (Stimpel) . . . . . . . . . . . . . . . 218 VI. Eigene Anteile (Stimpel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

3. Leitthema: Unternehmenssteuerrecht 3 Ministerialrätin Gerda Hofmann Bundesministerium der Finanzen, Berlin Dr. Marc Jülicher Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn Praxiskonsequenzen der Erbschaftsteuerreform – die neuen Ländererlasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. BVerfG-Entscheid – Reformbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Gesetzgebungsverfahren, Inkrafttreten, Rückwirkung, Ländererlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 III. Verwaltungsvermögen – Aktiva und Passiva . . . . . . . . . . . . . . . 238 IV. Bewertungsabschlag für Familienunternehmen: Schwelle zum „Großerwerb“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 V. § 13c ErbStG (neu): „Verschonungsabschlag bei Großerwerben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 VI. § 28a ErbStG (neu): „Verschonungsbedarfsprüfung“ . . . . . . . . . 269 VII. § 28 Abs. 1 ErbStG (neu): Siebenjährige Stundung in den Todesfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 VIII. Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 3 ErbStG . . . . . . . . . . . . . 274 IX. Veräußerungsnachsteuer des § 13a Abs. 6 ErbStG . . . . . . . . . . . 277 X. Bewertung – Vervielfältiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 XI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Dr. Christian Sistermann, München Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses . . . . . . . . . . . . . 281 I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 II. Die gesetzlichen Neuregelungen im Überblick . . . . . . . . . . . . . 282 III. Sanierungsertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 IV. Voraussetzungen der unternehmensbezogenen Sanierung . . . . 284 X

Inhalt

V. Steuerfreiheit des Sanierungsertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 VI. Auswirkungen auf Steuerminderungspositionen . . . . . . . . . . . . 287 VII. Besonderheiten bei der Körperschaftsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 VIII. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 IX. Besonderheiten bei Mitunternehmerschaften . . . . . . . . . . . . . . . 295 X. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 XI. Übergangsregelung durch BMF-Schreiben vom 27.4.2017 . . . . 297 XII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Dr. Jens Hageböke Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Bonn Regierungsdirektor Friedbert Lang OFD Karlsruhe Grundfragen der KGaA-Besteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 I. Einführung und gesetzliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 II. „Intransparente“ vs. „teiltransparente“ Sichtweise der KGaA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 III. Die Sicht der Finanzverwaltung zur Behandlung der KGaA (Lang) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 IV. Gesonderte und einheitliche Feststellung bei der KGaA und ihrem persönlich haftenden Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . 309 V. Sonderbetriebsvermögen, Sonderbetriebsaufwand und Gewerbesteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 VI. Anwendung der „Subsidiaritätsthese“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 VII. Anwendung der Regelungen in § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 6 Satz 1 KStG beim persönlich haftenden Gesellschafter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 VIII. Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs/§ 50d Abs. 11 EStG

316

IX. Bildung von Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 X. Organschaften mit KGaA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 XI. Umwandlungen unter Beteiligung einer KGaA . . . . . . . . . . . . . . 328 XII. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

XI

Inhalt

4. Leitthema: Bilanzsteuerrecht Regierungsdirektorin Evelyn Hörhammer Bundesministerium der Finanzen, Berlin Professor Dr. Joachim Hennrichs Universität zu Köln Stand der Erkenntnisse zu Rückstellungen im Bilanzsteuerrecht/ Anwendungen der Regelung in § 4f und § 5 Abs. 7 EStG . . . . . . . . . . 335 I. Bilanzsteuerrechtliche Beurteilung von Aktienoptionsprogrammen (Hörhammer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 II. Zweifelsfragen im Zusammenhang mit den Regelungen § 4f und § 5 Abs. 7 EStG (Hörhammer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 III. Aktuelle Rechtsprechung (Hennrichs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 IV. Zu BMF v. 9.12.2016 (BStBl. I 2016, 1427): Altersgrenze bei Pensionszusagen (Hennrichs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 Professor Dr. Heribert Anzinger Universität Ulm Dr. Alexander Linn Steuerberater, München Praxisfragen immaterieller Wirtschaftsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 II. Grundsätze der Bilanzierung immaterieller Werte . . . . . . . . . . . 355 III. Praxisfragen zum Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts . . 367 IV. Praxisfragen zum entgeltlichen Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Professor Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 I. Praxiswichtige Gesetzesänderungen bei geringwertigen Wirtschaftsgütern und Poolabschreibung (§ 6 Abs. 2 und 2a EStG) – Fall 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 II. Bilanzierung bei Sale-and-lease-back-Geschäften: BFH vom 13.10.2016 – IV R 33/13 – Fall 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 XII

Inhalt

III. Neues zur Bilanzierung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden: Einlage/Abschreibung eines neuartigen Aufwandsverteilungspostens – Fall 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 IV. Due Diligence-Aufwand bei geplanten Akquisitionsmaßnahmen: Unklare Aktivierungspflicht – Fall 4 . . . . . . . . . . . . . . 400 V. Passive Rechnungsabgrenzungsposten und Realisationsprinzip – Fall 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 VI. Zum Schluss: Indizien zur fortschreitenden Zersplitterung unseres ökonomisch geprägten Bilanzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 411

5. Leitthema: Internationales Steuerrecht Professor Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 I. Finale Verluste ausländischer Betriebstätten und EU-Recht . . . 418 II. Doppelstöckige Personengesellschaft – Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen II eines im Ausland ansässigen Gesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 III. Varia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 Professor Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Frankfurt a.M. Dr. Eva Oertel Bayrisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, München Korrespondenzregeln im deutschen Internationalen Steuerrecht . . 453 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 II. Generelle Anmerkungen zum Korrespondenzprinzip – die korrespondierende Besteuerung als Leitgedanke . . . . . . . . . . 454 III. Korrespondenzregeln de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 IV. Korrespondenzregeln de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 V. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477

XIII

Inhalt

Regierungsdirektor Thomas Rupp Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg, Stuttgart Professor. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn ATAD und Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . 479 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 II. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 III. Reformüberlegungen zu den deutschen Regelungen . . . . . . . . . 487 IV. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Neuregelung . . . . . . . . . . . 489 V. Zwei alternative Grundkonzepte der Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 VI. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513

6. Leitthema: Umsatzsteuerrecht Professor Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht . . . . . . . . . . . . 519 I. Neue Rechtsprechung zur Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 II. Ort der Lieferung: Konsignationslager (Konsignationslagerurteil II) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 III. Steuerschuld aufgrund einer Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 IV. Steuerfreiheit von Eingliederungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . 527 V. Steuersatzermäßigung bei Auftragsforschung . . . . . . . . . . . . . . . 530 VI. Belegvorlage im Vergütungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 VII. Übergangsrecht in Bauträger-Fällen (§ 27 Abs. 19 UStG) . . . . . . 533 Regierungsdirektor Wolfgang Tausch Ministerium der Finanzen des Landes NRW, Düsseldorf Umsatzsteuerliche Organschaft im Spiegel höchstrichterlicher Rechtsprechung – Sichtweise der Verwaltung – . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537

XIV

Inhalt

II. Reaktion der Verwaltung auf die aktuelle Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 III. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 Ministerialrat Stephan Filtzinger, Mainz Finanzministerium Rheinland-Pfalz, Mainz (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 I. Anforderungen an die Rechnungspflichtangaben für Zwecke des Vorsteuerabzugs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 II. Zeitliche Wirkung einer Rechnungsberichtigung . . . . . . . . . . . . . 579 III. Konsequenzen aus der EuGH-Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . 583 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Robert C. Prätzler Steuerberater, Eschborn (Rückwirkende) Rechnungsberichtigung aus Beratersicht . . . . . . . . . 597 I. Kurze Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 II. Kernaussagen der EuGH-Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 III. Thesen zur Anwendung der Senatex-Rechtsprechung – rückwirkend berichtigungsfähige Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 IV. Thesen zur Anwendung der Barlis 06-Rechtsprechung . . . . . . . . 614 V. Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 616

7. Leitthema: Steuerrecht und besondere Beratungsrisiken Dr. Georg Roderburg Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf Industrie 4.0 und Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 I. Digital Economy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 II. Ertragsteuer: Betriebstätte, Verrechnungspreise und Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 III. Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 IV. Lohnsteuer: Mobile Office und Crowdworking . . . . . . . . . . . . . . 628 V. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 XV

Inhalt

Professor Dr. Jochen Lüdicke Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht/Steuerberater, Düsseldorf Substanzanforderungen im Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 II. Die „Substanz“ als steuerrechtlicher Kernbegriff . . . . . . . . . . . 633 III. § 50d Abs. 3 EStG als vergünstigungsausschließendes Substanzmangelkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 IV. Die „wirtschaftliche Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG und Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Unterabs. 2 ATAD . . . . . . . . . . . . . . 648 V. Der Verweis auf den sog. Nexus-Ansatz der OECD/G20 im Rahmen der Lizenzschranke nach dem neuen § 4j EStG . . . . . 651 VI. Der Erwerb substanzloser Gesellschaften und seine Behandlung durch §§ 8c und 8d KStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 VII. Das zeitbezogene Substanzkriterium in § 50j EStG . . . . . . . . . . 662 VIII. § 42 AO als subsidiäres Werkzeug zur Verhinderung steuerlicher Privilegierung trotz Substanzlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 665 Dr. Carsten Schlotter Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Franz Hruschka Leitender Regierungsdirektor, München Aktuelle Fragen des Steuerabzugs nach § 50a EStG aus Unternehmenssicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 I. Problemstellung (Schlotter/Hruschka) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 667 II. Normativer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 III. Einordnung und Würdigung des BMF-Schreibens v. 27.10.2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 IV. Sonstige Problemfelder (Schlotter) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713

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Aktuelle verfassungsgerichtliche Leitlinien für die Unternehmensbesteuerung Professor Dr. Klaus-Dieter Drüen Ludwig-Maximilians-Universität München, Richter am Finanzgericht Düsseldorf I. Einleitung: Das Verhältnis des BVerfG zum Unternehmenssteuerrecht II. Finanzverfassungsrechtliche Innovationsspielräume des Gesetzgebers bei der Unternehmensbesteuerung 1. Die Steuertypenlehren der Kompetenzvorschriften der Art. 105 f. GG 2. Entwicklungsoffenheit der Steuertypen und Grenzen für Sonderunternehmenssteuern 3. Fortentwicklungsspielräume bei der Unternehmens- und Konzernbesteuerung III. Der Gleichheitssatz als zentrale Vorgabe und Schranke der Unternehmensbesteuerung 1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des tradierten Dualismus rechtsformabhängiger Unternehmensbesteuerung

2. Verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsbedarf punktueller rechtsformabhängiger Privilegierungen oder Diskriminierungen bei der Unternehmensbesteuerung 3. Speziell: Verfassungsgerichtliche Leitlinien für typisierende Missbrauchsvorschriften IV. Konsequenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Normen des Unternehmenssteuerrechts 1. Variierende Rechtsfolgenaussprüche des Bundesverfassungsgerichts 2. Begrenzung der Rechtsfolgen eines Verfassungsverstoßes auf die Zukunft 3. Rechtsschutzkonsequenzen für Unternehmen und Steuerberater V. Fazit

I. Einleitung: Das Verhältnis des BVerfG zum Unternehmenssteuerrecht Auf dem Fachkongress der Steuerberater waren die Verfassungsvorgaben für das Unternehmenssteuerrecht bereits mehrfach ein Vortragsthema.1 1 Grundlegend Hey, Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Steuerrecht im Wandel?, StbJb. 2007/2008, 19.

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Drüen, Aktuelle verfassungsgerichtliche Leitlinien

Aktuelle Entscheidungen des BVerfG zur Unternehmensbesteuerung, insbes. die beiden Beschlüsse des Zweiten Senats v. 29.3.2017 zu § 8c Abs. 1 KStG2 und v. 13.4.2017 zur Kernbrennstoffsteuer3 sind hinreichender Anlass, das Thema nochmals aufzugreifen. Zugleich gilt es einen neuen Blick auf das besondere Verhältnis von BVerfG und Unternehmenssteuerrecht zu werfen. Dieses Thema beschäftigt die Rechtswissenschaft bereits seit Längerem. Joachim Schulze-Osterloh hat das Thema „Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung“ gleich in zwei Festschriftenbeiträgen aufgegriffen.4 Er rügt – wie auch andere Autoren5 – die besondere Zurückhaltung des BVerfG bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Regelungen des Unternehmenssteuerrechts.6 Johanna Hey hat gar von der „Abstinenz des BVerfG“ gesprochen7 und die geringe Schutzwirkung des Verfassungsrechts gegenüber den Normen des Unternehmenssteuerrechts beklagt.8 Im Unternehmenssteuerrecht würden die bei natürlichen Personen angelegten „Maßstäbe stark aufgelockert“.9 Das Thema Verfassungsrecht und Verfassungsgericht ist beim Unternehmenssteuerrecht durchaus mehrdimensional und Entwicklungen ausgesetzt. Der Hoffnung nach der Entscheidung zur Pendlerpauschale10 folgte die Enttäuschung über die Entscheidung über die Jubiläumsrückstellun-

2 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, „Zur Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften beim Verlustabzug infolge eines schädlichen Beteiligungserwerbs nach § 8c Satz 1 KStG (jetzt § 8c Absatz 1 Satz 1 KStG)“. 3 BVerfG, v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249. 4 Schulze-Osterloh, Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung, in FS Raupach, 2006, 531; Schulze-Osterloh, Das Bundesverfassungsgericht und die Unternehmensbesteuerung, FS Lang, 2010, 255. 5 Hey, StbJb. 2007/2008, 19 (50); Hey, Zur Geltung des Gebots der Folgerichtigkeit im Unternehmensteuerrecht, DStR 2009, 2561 (2562); Drüen, Das Unternehmenssteuerrecht unter verfassungsgerichtlicher Kontrolle – Zur Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers zwischen Folgerichtigkeit und Systemwechsel, Ubg. 2009, 23 (24); Drüen, Unternehmensbesteuerung im Lichte der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, DStR 2010, 513. 6 Zuletzt Schulze-Osterloh, FS Lang, 2010, 255. 7 Hey, StbJb. 2007/2008, 19 (50). 8 Hey, DStR 2009, 2561 (2562). 9 Hey, Steuerrecht und Staatsrecht im Dialog: Nimmt das Steuerrecht in der Judikatur des BVerfG eine Sonderrolle ein?, StuW 2015, 3 (17 f.). 10 Drüen, Ubg. 2009, 23 (23, 25).

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gen11 und anschließend die Überraschung über die Entscheidung zum Übergang beim Körperschaftsteuerguthaben.12 Dieses „Wechselbad“ der Rezeption unternehmenssteuerrechtlicher Entscheidungen des BVerfG lässt sich nicht allein durch die Komplexität und Technizität der Materie erklären.13 Dass das BVerfG mitunter den vertieften Blick ins Unternehmenssteuerrecht nicht scheut, belegt neben der Entscheidung des Ersten Senats zur Umgliederung des verwendbaren Eigenkapitals bei der Körperschaftsteuer auch die Entscheidung zu § 8c Abs. 1 KStG, bei der der Zweite Senat sogar die Regelungskonzepte anderer Staaten zum Phänomen der Verhinderung des Mantelkaufs rechtsvergleichend herangezogen hat.14 Die „Abstinenz“ ist darum keineswegs durchgängig und ausnahmslos. Dieser Beitrag soll darum die jüngste Rspr. des BVerfG zum Unternehmenssteuerrecht würdigen, um der Unternehmens- und Beratungspraxis die neuen verfassungsgerichtlichen Leitlinien aufzuzeigen, ohne aber einem „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ zu huldigen.

II. Finanzverfassungsrechtliche Innovationsspielräume des Gesetzgebers bei der Unternehmensbesteuerung Der Steuergesetzgeber reagiert auf den internationalen Trend der Absenkung der Körperschaftsteuersätze aufgrund des globalen Steuerwettbewerbs zunehmend mit Sonder- und Spartensteuern. Die historische Entwicklung, bei der die Eisenbahnsteuer eine Vorläuferin der Körperschaftsteuer als allgemeiner Unternehmenssteuer war, scheint sich insoweit partiell umzukehren. Der deutsche Steuergesetzgeber hat die Unternehmensbesteuerung in jüngerer Zeit mit verschiedenen Steuerinnovationen im Vielsteuersystem „bereichert“. Die Luftverkehrsteuer hat verfassungsrechtlich „gehalten“,15 die Kernbrennstoffsteuer dagegen

11 Dazu Drüen, Urteilsanmerkung, JZ 2010, 91 (92); Werth, in Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 2, Verfassungsgerichtliche Kontrolldichte im Bilanzsteuerrecht, 2011, 93 (97 ff.). 12 Drüen, DStR 2010, 513. 13 Schulze-Osterloh, FS Lang, 2010, 255 (262) hat seiner Kritik am BVerfG ein Lob zur Entscheidung zum Übergang beim Körperschaftsteuerguthaben angefügt und als Abhilfe die verfassungsgerichtliche Unterstützung eines sachkundigen Dritten nach § 29a BVerfGG angemahnt, worauf zumindest der 1. Senat des BVerfG auch im Unternehmenssteuerrecht zurückgegriffen hat. 14 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 135 f. 15 BVerfG v. 5.11.2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350.

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nicht.16 Dabei handelt es sich auf den ersten Blick nur um verfassungsrechtliche Randfragen von Sondersteuern, die nur eine kleine Zahl von Stpfl. betreffen und bei denen sich spezifische Verfassungsfragen stellen.17 Die aktuelle Entscheidung des BVerfG zum KernbrStG setzt aber viel grundlegender an und klärt die Grundfrage, wieweit das Steuererfindungsrecht und die Steuerumgestaltungsfreiheit des einfachen Gesetzgebers reicht.

1. Die Steuertypenlehren der Kompetenzvorschriften der Art. 105 f. GG Das BVerfG versteht die in Art. 105 und 106 GG genannten Steuern und Steuerarten als verfassungsrechtliche Typusbegriffe.18 Nach seiner Rspr. ist es nicht erforderlich, dass bei einer Steuer stets sämtliche den Typus kennzeichnende Merkmale vorliegen. Diese können vielmehr in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; je für sich genommen haben sie nur die Bedeutung von Anzeichen oder Indizien. Maßgeblich ist das durch eine wertende Betrachtung gewonnene Gesamtbild.19 Innerhalb der durch Art. 105 und 106 GG vorgegebenen Typusbegriffe steht es dem Gesetzgeber offen, neue Steuern zu „erfinden“ und bestehende Steuergesetze zu verändern. Änderungen bestehender Steuergesetze oder die Erschließung neuer Steuerquellen sind unter dem Blickpunkt der Zuständigkeitsverteilung zumindest so lange nicht zu beanstanden, wie sie sich im Rahmen der herkömmlichen Merkmale der jeweiligen Steuern halten.20 Die Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an Bund und Länder durch Art. 105 GG i.V.m. Art. 106 GG ist abschließend. Außerhalb der durch die Finanzverfassung in Art. 104a ff. GG vorgegebenen Kompetenzordnung besteht keine Befugnis von Bund oder Ländern, Steuergesetze zu erlassen.21 Der einfache Gesetzgeber darf nur solche Steuern einführen, deren Ertrag durch Art. 106 GG dem Bund, den Ländern oder Bund und Ländern gemeinschaftlich zugewiesen wird. 16 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249. 17 Zu den durch die Kernbrennstoffsteuer aufgeworfenen Verfassungsfragen vgl. den Überblick bei Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 18 Rz. 118 m.w.N. 18 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 65; zuvor grundlegend zur Lehre der finanzverfassungsrechtlichen Steuertypen Vogel/Walter, in Bonner Komm. GG, Art. 105 Rn. 94 ff., 98 (Juli 2004). 19 Insgesamt BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 65. 20 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 68. 21 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 69.

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Ein freies Steuererfindungsrecht gewährt ihm Art. 105 Abs. 2 GG dagegen nicht.22 Der Bundesgesetzgeber darf demnach nur solche Steuern „erfinden“, die aufgrund ihrer Gleichartigkeit den in Art. 106 GG genannten Steuerarten zugeordnet werden können.23

2. Entwicklungsoffenheit der Steuertypen und Grenzen für Sonderunternehmenssteuern Die Verteilungsregeln des Art. 106 GG hindern folglich auch nach der Rspr. des BVerfG nicht prinzipiell eine Erneuerung dieser Steuern.24 Art. 105 und 106 GG bewirken keine bloße Konstitutionalisierung des im Jahre 1949 bei Verabschiedung des Grundgesetzes geltenden Steuerrechts.25 Eine Ausgestaltung bzw. Modernisierung der in Art. 106 GG genannten Steuern darf aber nicht zu einer Modifizierung jenseits ihrer wesentlichen typusbestimmenden Merkmale führen.26 Die Essentialien der jeweiligen Steuer dürfen dabei nicht geändert werden.27 Das BVerfG hat die Typusgrenzen der Verbrauchsteuer durch die Einführung der Kernbrennstoffsteuer als überschritten angesehen und darum die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für diese Steuerinnovation verneint.28 Die verbrauchsteuerrechtlichen Einzelheiten sollen an dieser Stelle nicht beleuchtet werden.29 Wichtig erscheint allgemein, dass das BVerfG mit seiner Entscheidung dem Teil des Schrifttums gefolgt ist, der vor den Folgen einer unlimitierten Typusoffenheit innerhalb der Finanzverfassung warnt, weil anderenfalls die Grenzen zwischen Verbrauchsteuern und besonderen Produktions- oder Unternehmenssteuern verschwimmen.30 Die Kernbrennstoffsteuer stellte – bei Lichte betrach-

22 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 71. 23 Zuvor bereits Heintzen, in v. Münch/Kunig, GG6, 2012, Art. 106 Rz. 8. 24 Ebenso bereits P. Kirchhof, Die Steuern, in Isensee/Kirchhof, HStR, V3, 2007, § 118 Rz. 248. 25 Heinrichs, Die Grunderwerbsteuer als Verkehrsteuer, in Kirchhof/Kube/ Mußgnug/Reimer, Geprägte Freiheit in Forschung und Lehre. 50 Jahre Institut für Finanz- und Steuerrecht, 2016, 147 (148) m.w.N. 26 Jachmann, in v. Mangoldt/Klein/Starck, GG6, Art. 105 Rz. 33. 27 Heinrichs in Kirchhof/Kube/Mußgnug/Reimer, 50 Jahre Institut für Finanzund Steuerrecht, 2016, 147 (149). 28 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249. 29 Dazu bereits Drüen, Der Steuertypus der Verbrauchsteuer – dargestellt am Negativbeispiel der Kernbrennstoffsteuer, ZfZ 2012, 309 m.w.N. 30 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 69, 69b (April 2016) m.w.N.

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tet – keine die private Leistungsfähigkeit abschöpfende Steuer, sondern eine Sonderunternehmensteuer31 oder eine Sondergewinnsteuer32 dar. Indem das BVerfG die Kernbrennstoffsteuer als nichtig erachtet hat, erschwert es allgemein die Einführung derartiger Sonderunternehmenssteuern. Der Kompensation von dem globalen Steuerwettbewerb geschuldeten Aufkommensverlusten bei der allgemeinen Unternehmensbesteuerung durch Sondersteuern für bestimmte Unternehmen sind darum nicht nur gleichheitsrechtliche, sondern auch finanzverfassungsrechtliche Grenzen gesetzt.

3. Fortentwicklungsspielräume bei der Unternehmens- und Konzernbesteuerung Das Denken in entwicklungsoffenen Steuertypen der Finanzverfassung lässt sich von randständigen Steuerinnovationen durchaus auf Kernbereiche des Unternehmenssteuerrechts übertragen. Die Gewerbesteuer ist ein Beleg für den Wandel einer Steuerart. Nach dem Wegfall von Lohnsummen- und Gewerbekapitalsteuer als Besteuerungsgrundlagen hat sich die Gewerbesteuer von einer Real- oder Objektsteuer deutlich in Richtung einer objektivierten Ertragsteuer fortentwickelt.33 Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat in Art. 106 Satz 1 GG vorsorglich die Steuerertragshoheit der Gemeinden vom Typus der Realsteuer abgekoppelt und stellt nunmehr direkt auf den Steuertypus der Gewerbesteuer (und der Grundsteuer) ab. Darum müssten sich die zahlreichen Reformmodelle zur Gewerbesteuer,34 wie namentlich das Viersäulenmodell der Stiftung Marktwirtschaft, ohne eine Verfassungsänderung noch als Typusfortschreibung der tradierten Gewerbesteuer verstehen lassen. Freilich wird der Reformgesetzgeber nach zahllosen fruchtlosen Versuchen eine Gewerbesteuerreform nur unter verfassungsgerichtlichem Druck in Angriff nehmen, der bislang nicht absehbar ist. Finanzverfassungsrechtlich fragt es sich, ob die verschiedenen Reformmodelle, die zur Überwindung des Dualismus der Unternehmensbesteuerung oder zur Abmilderung seiner Belastungsunterschiede rechtspoli31 Zusammenfassend Eiling, Verfassungs- und europarechtliche Vorgaben an die Einführung neuer Verbrauchsteuern, 2014, 220 f. 32 Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 18 Rz. 118 m.w.N. 33 Zur Diskussion Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 1 GewStG Rz. 9 (März 2016) m.w.N. 34 Überblick zuletzt bei Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG9, 2017, § 1 Rz. 58.

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tisch diskutiert werden,35 ohne eine Änderung von Art. 106 GG mit doppelter Zweidrittelmehrheit (Art. 79 Abs. 2 GG) verwirklicht werden könnten. Das gilt insbes. für Vorschläge, die den Dualismus von Einkommen- und Körperschaftsteuer durch die Implementierung der Körperschaftsteuer in die Einkommensteuer überwinden wollen36. So soll nach Paul Kirchhofs Reformentwurf zum Bundessteuergesetzbuch (BStG-E) die Körperschaftsteuer durch die neue Rechtsfigur der steuerjuristischen Person in der Einkommensteuer aufgehen.37 Wenn die Körperschaftsteuer insbes. für juristische Personen und Personenvereinigungen (§ 12 BStGB-E) entfällt, weil diese steuerjuristischen Personen selbst einkommensteuerpflichtig werden (§ 42 BStGB-E), so bedarf dies einer absichernden Änderung der Finanzverfassung. Das gilt dagegen nicht für punktuelle Verschiebungen der sachlichen Anwendungsbereiche von Einkommen- und Körperschaftsteuer. Im Zuge einer Integration von Personenunternehmen wurde bereits im Jahre 2006 auf diesem Fachkongress das rechtspolitische Modell einer Option für Personengesellschaften vorgestellt, sich wie Kapitalgesellschaften besteuern zu lassen.38 Im Rahmen der (ersten) deutsch-französischen Konvergenzinitiative wurde die Option zur Körperschaftsteuer wieder im Spiel gebracht.39 Seither ist es zwar stiller geworden, aber jüngst hat das Institut der Wirtschaftsprüfer wieder den Vorschlag einer Option für Personengesellschaften zur Körperschaftsbesteuerung als Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung erneuert.40 Der Vorschlag einer optionalen Körperschaftsbesteuerung, der den finanzverfassungsrechtlich

35 Zusammenschau und Analyse bei Hey, Unternehmenssteuerreform: Integration von Personenunternehmen in die niedrige Besteuerung thesaurierter Gewinne, FS Raupach, 2006, 479 (484 ff.) sowie Tagungsbericht von Welling/ Richter, 18. Berliner Steuergespräch: „Personengesellschaften im Unternehmensteuerrecht – neue Perspektiven?“, StB 2006, 205. 36 Für die Abschaffung des Dualismus der Unternehmensbesteuerung auch Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, 545 ff. (559, 566). 37 P. Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch. Ein Reformentwurf zur Erneuerung des Steuerrechts, 2011, 195 ff. 38 Neumann, Das Land Nordrhein-Westfalen zur Unternehmensteuerreform, StbJb. 2006/2007, 33 (34). 39 Dorenkamp, Konvergenzinitiative Körperschaftsteuer Deutschland Frankreich – Anlegung eines steuersystematischen Kompasses, Ubg. 2012, 421 (429). 40 IDW, Positionspapier Einstieg in eine rechtsformneutrale Besteuerung v. 25.8.2017, WPg. 2017, 1088.

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vorausgesetzten Dualismus von Einkommen- und Körperschaftsteuer strukturell beibehält und nur einer Teilmenge von Unternehmen auf Antrag den Übergang in das andere Regime der Unternehmensbesteuerung eröffnet, sprengt nicht die Grenzen der Steuertypen. Dasselbe gilt für kleinere Lösungen, wie den rechtspolitischen Vorschlag, jedenfalls die GmbH & Co. KG in die Körperschaftsteuer einzubeziehen.41 Davor ist der Große Senat des BFH im Jahr 1984 als Rechtsfortbildungsorgan zwar – zu Recht – zurückgeschreckt.42 Dem Gesetzgeber ist dieser Weg – auch durch die Finanzverfassung – indes nicht versperrt. Schließlich setzt die Finanzverfassung dem Gesetzgeber keine unüberwindbaren Hürden bei der Einführung einer (echten) Konzernbesteuerung. Die geltende ertragsteuerrechtliche Organschaft (§§ 14 ff. KStG, § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG) ist bekanntlich ein „Kind der Rspr.“, das der Gesetzgeber erst im Jahr 1977 und damit weit nach Erlass und grundlegender Reform der Finanzverfassung in den Jahren 1949 und 1969 kodifiziert hat.43 Schon allein darum ist die Organschaft nicht in (finanz-)verfassungsrechtlichen Stein gemeißelt. Rechtspolitisch sind hinsichtlich der Anknüpfung an die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit und der Intensität der steuerrechtlichen Verbundwirkungen – (nur) innerkonzernlicher Verlustausgleich oder (auch) innerkonzernliche Erfolgsneutralisierung durch eine Zwischengewinneliminierung44 – zahlreiche verschiedene steuerrechtliche Konzepte für verbundene Unternehmen denkbar.45 Welches Konzept einer Konzernbesteuerung46 der Gesetzgeber umsetzt, schreibt ihm die Verfassung nicht unmittelbar vor.47 Auch einer „echten“ Konzern(einheits)besteuerung mit konsolidierter Besteuerung verbundener Unternehmen stehen das GG und das darin vorausgesetzte Trennungsprinzip nicht entgegen.48 Der in Art. 106 Abs. 3 GG vorausgesetzte Steu-

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Hey, FS Raupach, 2006, 479 (492). BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751 = FR 1984, 618, C.I.3. Dazu Drüen in Prinz/Witt, Organschaft, 2015, Rz. 4.1 m.w.N. Näher Krebühl Konzernbesteuerung de lege ferenda, in Herzig, Organschaft, 2003, 595 (598 ff.). Drüen in Prinz/Witt, Organschaft, 2015, Rz. 4.6, auch zum Folgenden. Grundlegend, auch zu Verfassungsfragen Witt, Die Konzernbesteuerung, 2006, 452 ff., 474 ff. mit eigenem Vorschlag einer „unternehmensneutralen Konzernbesteuerung“. Ebenso Ismer, Gruppenbesteuerung statt Organschaft im Ertrasgsteuerrecht, DStR 2012, 821 (823). Krebühl in Herzig, Organschaft, 2003, 595 (602 f.).

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ertypus der Körperschaftsteuer ist entwicklungsoffen und schließt eine konsolidierte Besteuerung von Unternehmensverbünden nicht aus.49 Dieser finanzverfassungsrechtliche Befund zu den Freiheitsgraden des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Unternehmenssteuerrechts setzt sich im Ausgangspunkt beim Gleichheitssatz fort.

III. Der Gleichheitssatz als zentrale Vorgabe und Schranke der Unternehmensbesteuerung Die Verfassung determiniert das Unternehmenssteuerrecht und seine Ausgestaltung nicht bis in Details. Das Grundgesetz ist – wie Josef Isensee treffend bemerkt hat – nicht „das juristische Weltenei“50, aus dem konkrete Antworten auf steuerrechtliche Detailfragen detailliert abgeleitet werden können. Darum ist der Gesetzgeber innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen frei, das Unternehmenssteuerrecht auszugestalten. Dabei ist der allgemeine Gleichheitssatz die einzige echte materiellrechtliche Schranke der Besteuerungsgewalt.51 Art. 3 Abs. 1 GG untersagt die Gleichbehandlung von Ungleichem ohne hinreichenden Sachgrund.52 Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen.53

1. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit des tradierten Dualismus rechtsformabhängiger Unternehmensbesteuerung Die steuerliche Belastungsgleichheit ist an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Stpfl. auszurichten.54 Da das Leistungsfähigkeitsprinzip aber verschiedene Wertungen und Gewichtungen eröffnet und er-

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So bereits Drüen in Prinz/Witt, Organschaft, 2015, Rz. 4.6. Isensee, Vom Beruf unserer Zeit für Steuervereinfachung, StuW 1994, 3 (7). Boysen in v. Münch/Kunig, GG6, 2012, Art. 3 Rz. 88. Zuletzt BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 101. 53 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 = FR 2007, 338, Rz. 93 m.w.N. 54 P. Kirchhof, Grundrechtliche Gleichheit, in Isensee/Kirchhof, HStR, VIII3, 2010, § 181 Rz. 180 m.w.N.

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fordert, darf es insgesamt nicht hinsichtlich der rechtlichen Aussagen überschätzt werden, die konkret und konsentiert aus ihm abgeleitet werden können.55 Das zeigt sich vor allem im Unternehmenssteuerrecht. Die verschiedenen Verständnisse von Leistungsfähigkeit illustriert bereits die alte Streitfrage, ob einer Kapitalgesellschaft als juristischer Person und damit als einem von der positiven Rechtsordnung eingerichtetem rechtstechnischen Zweckgebilde56 überhaupt auf Dauer oder jedenfalls temporär steuerlich eine eigene, von der Sphäre der Gesellschafter zu trennende Leistungsfähigkeit zukommt.57 Darüber mag man akademisch lange streiten, aber verbindlich ist die Setzung durch die positive Steuerrechtsordnung. Denn es liegt in der vom BVerfG vielfach betonten Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers,58 die zur Grundlage des Steuereingriffs ausgewählte Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bestimmen. Der nach wie vor geltende Dualismus der Unternehmensbesteuerung ist eine positive Wertung des an die Rechtsformen des Zivilrechts anknüpfenden Gesetzgebers. Diese wird seit jeher in Frage gestellt.59 Das alte Postulat einer rechtsformneutralen Unternehmensbesteuerung stützt sich auf finanz- und betriebswirtschaftliche Effizienz- und Neutralitätskriterien, wie die Entscheidungsneutralität sowie die Wettbewerbs-, Investitions- und Finanzierungsneutralität der Unternehmensbesteuerung.60 Diese ökonomischen Postulate haben zweifellos ihre Rationalität. Sie dürfen indes nicht mit Verfassungsvorgaben gleichgesetzt werden. Das gegenwärtige Steuerrecht erfüllt diese Postulate nicht61 und die deutsche Unternehmensbesteuerung ist traditionell rechtsformabhängig.62 Dabei hat sich – entgegen mancher literarischen Hoffnung – auch die Entscheidung des BVerfG zur Schwarz-

55 Drüen, Prinzipien und konzeptionelle Leitlinien einer Einkommensteuerreform, DStJG 37 (2014), 9 (47 f.) m.w.N., auch zum Folgenden. 56 H.P. Westermann in Scholz, GmbHG12, 2018, Einl. Rz. 6. 57 Für eine „vorübergehende Leistungsfähigkeit“ Hennrichs, Dualismus der Unternehmensbesteuerung aus gesellschaftsrechtlicher und steuersystematischer Sicht, StuW 2002, 201 (205). 58 Umfassende Nachweise aus der Rspr. und Literatur bei Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 44 ff. (April 2016). 59 Eingehend Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, 485 ff. m.w.N. 60 Näher zu den einzelnen Neutralitätspostulaten Desens in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, Einf. KSt. Rz. 55 ff.; Homburg, Allgemeine Steuerlehre7, 2015, 240 ff., 263 ff. m.w.N. 61 Heurung in Erle/Sauter, KStG3, 2010, Einf. Rz. 362, 367. 62 Drüen, GmbHR 2008, 393 (395 ff.).

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waldklinik63 zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit rechtsformabhängiger Steuerbefreiungen bei der Umsatzsteuer nicht als durchschlagender Impuls für eine allgemeine Rechtsformneutralität der Besteuerung erwiesen. Das liegt an der unterschiedlichen Rechtsformoffenheit des jeweiligen Belastungsgrunds der einzelnen Steuerart. Darum geht es nicht allgemein um Rechtsformneutralität der Besteuerung, sondern vielmehr um die Rechtsformgerechtigkeit der einzelnen Steuer.64 Das BVerfG hat die rechtsformbedingten Unterschiede im Ertragsteuerrecht zuletzt in seiner Entscheidung zu § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ausdrücklich als verfassungsgemäß eingestuft:65 „Art. 3 Abs. 1 GG zwingt nicht zu einer materiellen (wirtschaftlichen) Betrachtung, nach der wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unabhängig von der jeweiligen Rechtsform entsteht, die als Instrument zur Erzielung der Einkünfte eingesetzt wird. Von Verfassungs wegen ist entscheidend, ob es einen hinreichenden sachlichen Grund für die unterschiedliche steuerliche Behandlung von unternehmerischen Tätigkeiten gibt. Einen solchen liefert die Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern“.

Dabei erscheint die Begründung des BVerfG mit der Abschirmung der Vermögenssphäre nur bei einer Kapitalgesellschaft durchaus angreifbar.66 Denn nach der modernen Gesamthandslehre ist auch die Personengesellschaft selbst „Trägerin des Gesellschaftsvermögens“67 und nach dem Trennungsprinzip ist nunmehr selbst bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts als eigenständigem Rechtsträger und ihren Gesellschaftern „streng zu unterscheiden“68. Spätestens seit der Entscheidung des BGH im Fall „Arge Weißes Ross“69 entspricht die verfassungsgerichtliche Be63 BVerfG v. 10.11.1999 – 2 BvR 2861/93, BStBl. II 2000, 160 = UR 1999, 498, wonach das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) eine allein nach der Rechtsform eines Unternehmers unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung verbietet. 64 Drüen, GmbHR 2008, 393 (401). 65 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 112. 66 Kritisch bereits Hennrichs/Lehmann, Rechtsformneutralität der Unternehmensbesteuerung, StuW 2007, 16 (18 ff.). 67 Roth in Baumbach/Hopt, HGB37, 2016, § 124 Rz. 2 zur oHG. 68 Sprau in Palandt, BGB77, 2018, § 705 Rz. 24 m.w.N. 69 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, Leits. 1 und 2: „Die (Außen-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts besitzt Rechtsfähigkeit, soweit sie durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet. In diesem Rahmen ist sie zugleich im Zivilprozeß aktiv und passiv parteifähig.“

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gründung zivilrechtlich nicht mehr dem „Stand der Klasse“. Nach dieser Grundlagenentscheidung des BGH sind die Gesellschaft bürgerlichen Rechts und die anderen genannten Gesamthandsgemeinschaften70 „als eigene Rechtsträger und als ein besonderes Rechtssubjekt anzusehen. Eigentümer einer Sache, die sich im gesamthänderischen Vermögen befindet, ist dann also ‚die Gesellschaft‘. Eigentümer sind nicht die Gesellschafter in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit“.71

Das Eigentum an einer zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Liegenschaft steht nicht den Gesellschaftern, sondern der Gesellschaft selbst zu.72 Eigene Rechts- und Vermögensträgerschaft einer Gesellschaft ist damit kein alleinstellendes Kennzeichen von Kapitalgesellschaften.73 Trotz der angreifbaren verfassungsgerichtlichen Begründung ist aber dem Ergebnis der Gleichgerechtigkeit beizupflichten. Das Prinzip der rechtsformunabhängigen Besteuerung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht allenfalls ein Postulat, aber kein aus dem Gleichheitsgebot des Art. 3 GG abgeleiteter zwingender verfassungsrechtlicher Grundsatz.74 Die gegenwärtige rechtsformabhängige Besteuerung mag aus betriebswirtschaftlicher und rechtspolitischer Sicht kritikwürdig sein, ist aber nicht verfassungswidrig.75

2. Verfassungsrechtlicher Rechtfertigungsbedarf punktueller rechtsformabhängiger Privilegierungen oder Diskriminierungen bei der Unternehmensbesteuerung Die generelle Verfassungskonformität der rechtsformabhängigen Unternehmensbesteuerung schließt allerdings nicht aus, dass Einzelregelungen gegen Art. 3 GG verstoßen. Gänzlich „gleichheitsblind“ ist das Unternehmenssteuerecht keineswegs. Der verfassungsgerichtliche Kontrollmaßstab der Gleichheit lässt dem Gesetzgeber aber auch im Unternehmenssteuerrecht durchaus Freiheiten. Der verfassungsgerichtliche Blick verlagert sich von den Grund- zu den Detailfragen des Unterneh70 Nämlich oHG und KG. 71 So insgesamt Prütting, Sachenrecht35, 2014, § 51 Rz. 589a. 72 BGH v. 25.9.2006 – II ZR 218/05, DStR 2006, 2222 = MDR 2007, 284, Rz. 10. 73 Näher bereits Palm, Person im Ertragsteuerrecht, 2013, 317 ff., 328, 489 f., 505 ff. m.w.N. 74 Bereits näher begründet bei Drüen, GmbHR 2008, 393 (401). 75 Drüen in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, Vor § 1 KStG Rz. 31 (Sept. 2017).

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menssteuerrechts. Das zeigt sich insbes. bei der Gewerbesteuer, die das BVerfG bislang als solche noch immer als verfassungsgemäß einstuft,76 während es immer wieder einzelne Vorschriften des GewStG verfassungsrechtlich beanstandet hat.77 Bei den Einzelvorschriften des Unternehmenssteuerrechts sind rechtsformabhängige Belastungsunterschiede vor dem Gleichheitssatz durchaus erklärungsbedürftig. Dass der rechtsformbezogene Kontrollblick des BVerfG in Zukunft schärfer werden könnte, hat die mündliche Verhandlung des BVerfG vom 25.9.2017 zu § 7 Satz 2 GewStG78 eindrucksvoll belegt.79 Diese Regelung löst sich vom Objektsteuerprinzip80 und führt zu einer Rechtsformneutralität zwischen ein- und mehrstöckigen Personengesellschaften.81 Gerade bei der Gewerbesteuer, die als Steuergegenstand alle Gewerbebetriebe ohne Rücksicht auf die Rechtsform des Unternehmens trifft, bedürfen aber rechtsformabhängige Differenzierungen bei der Bemessungsgrundlage nach dem Grundsatz der Folgerichtigkeit82 eines sachlichen Grundes. Das gilt z.B. für den rechtsformabhängigen Besteuerungszeitraum bei der Gewerbesteuer. Dieser reicht bei Kapitalgesellschaften wegen § 2 Abs. 2 GewStG von der Eintragung ins Handelsregister bis zum Abschluss der Liquidation,83 während bei Personenunternehmen nur der „stehende Gewerbebetrieb“ erfasst wird und Vor- und Nachlaufkosten gewerbesteuerrechtlich zu eliminieren sind.84 Die Sach- und Gleichheitsgerechtigkeit dieser unterschiedlichen, rechtsformabhängigen „Zeitfenster“ der Ge76 Nachweise und deutliche Kritik an der Rspr. des BVerfG zuletzt bei Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG9, 2017, § 1 Rz. 19a und 19b. 77 Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 1 GewStG Rz. 17 (März 2016) m.w.N. 78 Zur bisherigen verfassungsrechtlichen Diskussion vgl. die Nachweise bei Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 129 (Mai 2016); kritisch Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG9, 2017, § 1 Rz. 22. 79 BVerfG, mündliche Verhandlung v. 25.9.2017 – 1 BvR 1236/11 zu § 7 Satz 2 GewStG (dazu FAZ v. 26.9.2016, S. 24: „Rechtliche Zweifel an Gewerbesteuer“). 80 Roser, in Lenski/Steinberg, GewStG, § 7 Rz. 14c (März 2016). 81 Roser, Kritische Bestandsaufnahme der Gewerbesteuer DStJG 35 (2012), 189 (210). 82 Positiv zum „Prinzip der Folgerichtigkeit“ P. Kirchhof in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rz. 404 ff. m.w.N.; kritisch zuletzt Weber-Grellet in Schmidt, EStG36, 2017, § 2 Rz. 9 m.w.N. 83 Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 2 GewStG Rz. 241, 256 (Okt. 2013). 84 Näher Behrens/Braun, Beginn und Ende der sachlichen Gewerbesteuerpflicht, BB 2013, 926.

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werbesteuerlast erscheint durchaus fragwürdig.85 Die Gewerbesteuer wackelt zwar nicht insgesamt, aber hinsichtlich reformformabhängiger Belastungsdivergenzen ohne hinreichenden Sachgrund. Überdies gehören weitere nicht rechtsformgerechte Differenzierungen auf den verfassungsgerichtlichen Prüfstand.86 Das gilt namentlich für die nur Personengesellschaften treffende Abfärbewirkung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, die weiterhin überwiegend trotz beachtlicher Kritik87 als verfassungsgemäß eingestuft wird.88 Demnach bieten die bisher vom BVerfG aufgezeigten Leitlinien durchaus Ansatzpunkte für weitere aussichtsreiche verfassungsgerichtliche Kontrollakte im Unternehmenssteuerecht.

3. Speziell: Verfassungsgerichtliche Leitlinien für typisierende Missbrauchsvorschriften Da der Entscheidung des BVerfG zu § 8c KStG auf diesem Fachkongress ein eigener Themenblock gewidmet ist,89 sollen an dieser Stelle nicht die materiellen Fragen der Einschränkung des Verlustabzugs bei schädlichem Beteiligungserwerb beleuchtet werden. Das BVerfG hat in dieser Entscheidung zugleich allgemeine Vorgaben und Grenzen, die aus dem Gleichheitssatz für gesetzliche Typisierungen, insbes. zur Vermeidung von Gestaltungen zur Steuerumgehung gelten, zusammengefasst. Diese verfassungsgerichtlichen Leitlinien betreffen gerade im Unternehmenssteuerrecht zahlreiche weitere Anwendungsfälle und verdienen daher besondere Aufmerksamkeit. Der Schutz der Gesetzgebungsfunktion erfordert es mitunter, dass typisierende Ungenauigkeiten in Kauf genommen werden.90 Deshalb darf der Gesetzgeber die Verwirklichung des Steueranspruchs verfahrensrechtlich erleichtern und dabei die Grenzen der dem Staat verfügbaren personellen und finanziellen Mittel berücksichtigen.91 Gerade im Steuerrecht als Massenfallrecht ist die „vergrö85 Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 2 GewStG Rz. 232 (Okt. 2013) m.w.N. 86 Dazu bereits Drüen, GmbHR 2008, 393 (402 f.). 87 Für einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz bereits Schulze-Osterloh, FS Raupach, 2006, 531 (536 ff., 541); kritisch auch Hüttemann, Einkünfteermittlung bei Gesellschaften, DStJG 34 (2011), 291, (297 f.). 88 Wacker in Schmidt, EStG36, 2017, § 15 Rz. 185 m.w.N. 89 Schneider, §§ 8c und 8d KStG und die Entscheidung des BVerfG, s.u. S. 139 ff. 90 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 2011, 1559. 91 BVerfG v. 10.4.1997 – 2 BvL 77/92, BStBl. II 1997, 518 = FR 1997, 571, Rz. 25; v. 9.3.2004 – 2 BvL 17/02, BStBl. II 2005, 56 = FR 2004, 470, Rz. 69 m.w.N.

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bernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung“ grundsätzlich zulässig.92 Die Typisierungsbedürfnisse im Steuerrecht als Massenfallrecht sind unbestreitbar,93 stoßen aber an verfassungsrechtliche Grenzen.94 Diese hat das BVerfG95 zuletzt wie folgt festgehalten: „Typisierung bedeutet, bestimmte in wesentlichen Elementen gleich geartete Lebenssachverhalte normativ zusammenzufassen. Besonderheiten, die im Tatsächlichen durchaus bekannt sind, können generalisierend vernachlässigt werden. Der Gesetzgeber darf sich grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, allen Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen Rechnung zu tragen. Begünstigungen oder Belastungen können in einer gewissen Bandbreite zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung nach oben und unten pauschalierend bestimmt werden. Die gesetzlichen Verallgemeinerungen müssen allerdings von einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung ausgehen. Insbesondere darf der Gesetzgeber keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Fall als Maßstab zugrunde legen. Zudem dürfen die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Typisierung den Normzweck nicht verfehlen. Die Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Typisierung setzt voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und das Ausmaß der Ungleichbehandlung gering ist.“96

Im konkreten Fall des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG sah das BVerfG die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten, wenn zur Erfassung von Gestaltungen von Verlustnutzung „allein an die Übertragung eines Anteils von mehr als 25 Prozent angeknüpft wird“, weil die „Missbrauchskonstellation … im Tatbestand des § 8c Satz 1 KStG keinen Niederschlag gefunden (hat)“ und der „Erwerb einer Beteiligung von mehr als 25 Prozent an einer Kapitalgesellschaft allein … nicht eine missbräuchliche Gestaltung (indiziert)“. Der Gesetzgeber habe „keinen typischen Missbrauchsfall als Ausgangspunkt für eine generalisierende Regelung gewählt“, sondern viel-

92 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 3 Rz. 147 m.w.N. 93 Rüfner in Bonner Komm. GG, Art. 3 Abs. 1 Rz. 204 (Nov. 1992). 94 Dazu allgemein Englisch in Stern/Becker, Grundrechte-Komm.2, 2016, Art. 3 Rz. 146 ff. 95 Zuvor übereinstimmend BVerfG v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11, NJW 2017, 217, Rz. 362 m.w.N. 96 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 107 f. sowie konkret zu § 8c KStG in Rz. 126 ff. (Zitat unter Auslassung der Verweise).

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mehr „eine abstrakte Missbrauchsgefahr zum Anlass für eine vom typischen Missbrauchsfall losgelöste und über diesen hinausgehende generelle Verlustnutzungsregelung für Körperschaften genommen“97. Damit ist der Gesetzgeber im konkreten Fall bereits am Willkürverbot als großzügigem verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab gescheitert, der der „Korrektur grober Gesetzesfehler“ dient.98 Dabei hat das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG explizit dahinstehen lassen.99 Ob die zitierten Überlegungen des BVerfG auch auf Mehrheitsbeteiligungen übertragbar sind100 oder aber die Typisierung neuer Herrschaftsmacht über eine Kapitalgesellschaft jedenfalls beim Wechsel von mindestens 75 % der Anteile trägt,101 hat das BVerfG aufgrund der erneuten Vorlage des FG Hamburg zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG nunmehr selbst zu entscheiden.102 Über § 8c KStG sind in Zukunft auch andere typisierende Missbrauchsvermeidungsvorschriften des Unternehmenssteuerrechts an den aufgezeigten Maßstäben zu messen.103

IV. Konsequenzen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Normen des Unternehmenssteuerrechts 1. Variierende Rechtsfolgenaussprüche des Bundesverfassungsgerichts Neben den verschiedenen materiellen Prüfungsmaßstäben beim Gleichheitssatz kommen dem BVerfG nach seiner Spruchpraxis erhebliche

97 Beide Zitate aus BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 128. 98 Allgemein P. Kirchhof in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rz. 395, 429 (Sept. 2015). 99 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 141. 100 Dafür Ernst/Roth, Der Vorhang zu und alle Fragen offen – Zur (Un-)Vereinbarkeit von § 8c KStG mit Verfassungsrecht nach der „Paukenschlag“-Entscheidung des BVerfG, Ubg. 2017, 366 (372 f.). 101 Näher zur Mehrheitsbeteiligung an Kapitalgesellschaften Kenk/Uhl-Ludäscher, BVerfG zur Einschränkung des Verlustabzugs: Wegfall des Verlustvortrags bei schädlichem Beteiligungserwerb verfassungswidrig, BB 2017, 1623 (1626 f.) m.w.N. 102 Vorlagebeschluss FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, FR 2017, 1134. 103 Näher zur Verhältnismäßigkeit von speziellen „Missbrauchsnormen“ bereits Gabel, Verfassungsrechtliche Maßstäbe spezieller Missbrauchsnormen im Steuerrecht, 2011, 138 ff.

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Freiheitsgrade beim Rechtsfolgenrecht104 zu.105 Hinter den flexiblen Rechtsfolgenaussprüchen des BVerfG steht das Streben nach einem schonenden Übergang vom „Verfassungsunrecht“ zum verfassungsgemäßen Zustand.106 Die gesetzliche Regelfolge der Verfassungswidrigkeit einer Steuernorm107 im Normkontrollverfahren nach § 78 i.V.m. § 82 Abs. 1 BVerfGG ist die Nichtigkeitserklärung des Gesetzes.108 Die mit der Verfassung unvereinbare Norm unterliegt grundsätzlich einer ex tunc wirkenden Anwendungssperre.109 Die „Figur der Unvereinbarkeitserklärung“ hat erst das BVerfG „erfunden“,110 wobei die hinreichende gesetzliche Grundlage im BVerfGG weiterhin in Frage gestellt wird.111 Zumindest partiell hat aber der Gesetzgeber die richterliche Rechtsfortbildung der Tenorierung durch das BVerfG inzwischen legitimiert.112 Die Freiheit und Flexibilität, die das BVerfG bei den Rechtsfolgenaussprüchen für sich in Anspruch nimmt, führt dazu, dass die Reaktionsweisen des Gerichts „kaum mehr vorhersehbar sind“.113 Diese Unbe104 Eingehend Battis, Der Verfassungsverstoß und seine Rechtsfolgen in Isensee/ Kirchhof, HStR Bd. XII3, 2014, § 275. 105 Dazu in anderem Kontext bereits Drüen, Möglichkeiten und Grenzen einer gesetzlichen Limitation der Erstattung gemeinschaftswidrig erhobener Steuern, FS Schaumburg, 2009, 609 (622, 624 ff.). 106 Deutlich P. Kirchhof, Rechtsstaaatliche Anforderungen an den Rechtsschutz in Steuersachen, DStJG 18 (1995), 17 (40). 107 Schwindt, Rechtsfolgen verfassungswidriger Steuergesetze, 2014, 3: „Regelfall“. 108 Deutlich der frühere Verfassungsrichter K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland20, 1995, Rz. 688 im Haupttext: „Kommt das Bundesverfassungsgericht im Verfahren der abstrakten oder konkreten Normenkontrolle zu der Überzeugung, dass die geprüfte Norm mit höherrangigem Recht unvereinbar ist, so erklärt es die Norm für nichtig (§ 78 BVerfGG)“, wobei erst in Fn. 30 der Zusatz folgt: „Wegen der Konsequenzen einer Entscheidung nach § 78 BVerfGG beschränkt sich das Gericht oft darauf, eine mit höherrangigem Recht unvereinbare Norm für mit dem Grundgesetz unvereinbar zu erklären“. 109 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 22 Rz. 287. 110 Explizit Korioth in Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht10, 2015, Rz. 395; vertiefend zur dieser „Entscheidungsvariante“ inzwischen Dietz, Verfassungsgerichtliche Unvereinbarkeitserklärung: Zulässigkeit, Voraussetzungen und Rechtsfolgen, 2011, 17 ff. 111 Deutliche Kritik bei Korioth in Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht10, 2015, Rz. 397, 430. 112 M. Graßhof in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG2, 2005, § 78 Rz. 83. 113 So Korioth in Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht10, 2015, Rz. 454.

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rechenbarkeit114 ist allgemein anerkannt und auch gestandene Finanzrichter115 betonen, dass sich „in jedem Einzelfall kaum prognostizieren (lässt), für welche Rechtsfolge sich das BVerfG entscheidet“116. Dietmar Gosch erachtet derartige Versuche als „Kaffeesatzprognostik“, die keine Grundlage für „ordnungsmäßige Rechtsschutzgewährung“ sein könne.117 Diese Unsicherheiten über den verfassungsgerichtlichen Rechtsfolgenausspruch haben „Vorwirkungen“ für den einstweiligen Rechtsschutz. Denn die Frage, ob eine Aussetzung der Vollziehung (AdV) nicht zu gewähren ist, wenn zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird, bleibt umstritten118 und wird in der höchstrichterlichen Rspr. uneinheitlich beantwortet.119 Dabei ist der vorläufige Rechtsschutz mit dem Instrument der AdV das rechtsstaatlich adäquate Mittel zur budgetären Risikovorsorge,120 um eine rückwirkende Entscheidung des BVerfG zu eröffnen121 und eine bloße pro-futuro-Entscheidung aus Haushaltsgründen (dazu IV.2. und 3.) vermeiden zu können.122

114 Drastisch weiterhin Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 22 Rz. 289: „unkalkulierbares Lotteriespiel“. 115 Deutlich kritisch zur Spruchpraxis des BVerfG aus Finanzrichtersicht Balke, Effektiver Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Steuergesetze – Zugleich ein Aufruf für den Einsatz des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die grundgesetzwidrige pro-futuro-Rechtsprechung des BVerfG, FS Lang, 2010, 965; Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, 2003. 116 So Wagner, Über effektiven Rechtsschutz im finanzgerichtlichen Verfahren, FS Kruse, 2001, 735 (753). 117 Gosch, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 180.1 (Okt. 2010). 118 Gegen eine grundsätzliche AdV in diesem Fall Wagner, FS Kruse, 2001, 735 (750 ff., 754); dagegen Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rz. 96 f. (Juli 2015) m.w.N. 119 Vgl. die Nachweise bei Stapperfend in Gräber, FGO8, 2015, § 69 Rz. 187, 190; Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, 2018, Rz. 3.1203 ff. 120 Näher Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 22 Rz. 287 sowie Habscheidt, Der Anspruch des Bürgers auf Erstattung verfassungswidriger Steuern, 2003, 83 ff., 90, der eine verfassungsrechtliche Aussetzungspflicht beim Rechtsschutz gegen vermutlich verfassungswidrige Steuergesetze annimmt. 121 Stapperfend in Gräber, FGO8, 2015, § 69 Rz. 190. 122 Schwindt, Rechtsfolgen verfassungswidriger Steuergesetze, 2014, 117 f.; a.A. Wagner, FS Kruse, 2001, 735 (754).

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2. Begrenzung der Rechtsfolgen eines Verfassungsverstoßes auf die Zukunft Bei Verletzungen des Gleichheitssatzes soll regelmäßig die bloße Unvereinbarkeitserklärung einer verfassungswidrigen Norm geboten sein.123 Dafür spricht die Rücksichtnahme auf die Gesetzgebungsfunktion124 und die Entscheidung des Parlaments, auf welche Weise die Ungleichheit beseitigt werden soll. Denn der Gleichheitssatz trifft nur relative und keine absoluten Wertungen. In der ständigen Spruchpraxis des BVerfG kommt beim Verfassungsrechtsschutz gegenüber Steuergesetzen das Argument der geordneten Finanz- und Haushaltsplanung des Staats hinzu,125 das häufig zur sog. und vielkritisierten pro-futuro-Rechtsfolgenentscheidung des BVerfG führt. Das BVerfG stellt den Gleichheitsverstoß nur fest und fordert den Gesetzgeber zur Reparatur binnen einer Übergangsfrist auf. Dadurch bleibt der Verfassungsverstoß für die Vergangenheit rechtsfolgenlos und wird bis zum Ablauf der Übergangsfrist perpetuiert.126 Gerade im Steuerrecht waren staatliche Budgetargumente lange vielfach dominant.127 Allerdings relativieren die jüngsten Entscheidungen des BVerfG zu § 8c Abs. 1 KStG128 und zur Kernbrennstoffsteuer129 deutlich die Hoffnung des Staats auf einen allgemeinen budgetären Dispositionsschutz bei Steuergesetzen. Denn das BVerfG versagt bei anfänglichen und substanziellen Verfassungszweifeln an Steuergesetzen dem insoweit nicht gutgläubigen Gesetzgeber ein „Haushaltsvertrauen“ und kommt zu einer

123 So P. Kirchhof in Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1 Rz. 98 (Sept. 2015) m.w.N. 124 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 1559. 125 Zuletzt Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, 2018, Rz. 3.1205. 126 Näher bereits Drüen, Haushaltsvorbehalt bei der Verwerfung verfassungswidriger Steuergesetze? – Budgetärer Dispositionsschutz durch Aussetzung der Vollziehung nach den Beschlüssen des BVerfG zum Kinderleistungsausgleich, FR 1999, 289. 127 Dazu Enk, Die verfassungswidrige Steuernorm und ihre Folgen, 2005, 146 ff. sowie die Kritik zusammenfassend Hey, Evidenz von Verfassungsverstößen, Budgetschutz und Unvereinbarkeitsaussprüche, in FS Spindler, 2011, 97 (104 ff.); nähere Analyse der Rechtsfolgenaussprüche in Relation zu den Haushaltsauswirkungen der Entscheidungen des BVerfG zum Steuerrecht seit 1990 bei Schwindt, Rechtsfolgen verfassungswidriger Steuergesetze, 2014, 70 ff. 128 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 165–167. 129 BVerfG v. 13.4.2017 – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 162.

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rückwirkenden Nichtigkeit des Gesetzes. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung, die die langjährige Kritik der Literatur aufnimmt. Zu der kritisierten „Verfassungsgeltung nach Haushaltslage“130 ist es in beiden Fällen gerade nicht gekommen.

3. Rechtsschutzkonsequenzen für Unternehmen und Steuerberater Für die Praxis stellt sich einerseits die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Steuerberater zum Hinweis auf bestehende oder aufkommende Zweifel an der Verfassungswidrigkeit einer Steuerrechtsnorm verpflichtet ist. Aus der Grundpflicht des Steuerberaters, den Mandanten im Rahmen seines Mandats umfassend und möglichst erschöpfend steuerlich zu beraten, kann sich ausnahmsweise die Pflicht ergeben, auch auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit eines bislang als verfassungsgemäß behandelten Steuergesetzes hinzuweisen.131. Der BGH hat in einer Grundlagenentscheidung zur Steuerberaterhaftung folgende Maßstäbe für eine Hinweispflicht des Steuerberaters entwickelt:132 „Pflichtwidrig handelt der Steuerberater nur, wenn er das Beratungsgespräch versäumt, obwohl hierzu – für ihn erkennbar – ein konkreter Anlass bestand. Dies gilt auch in Fällen schwerwiegender wirtschaftlicher Bedeutung. Ohne hinreichende Veranlassung braucht der Steuerberater weder nach verfassungsrechtlichen Argumenten gegen die anzuwendende Steuernorm noch nach einem Musterverfahren zu suchen, welches seinem Mandanten die Möglichkeiten des § 363 Abs. 2 AO eröffnet. Einzelne Stimmen in der Literatur, welche eine Steuernorm – auch unter Berufung auf neue Gesichtspunkte – für verfassungswidrig halten, begründen noch keinen Anlass für ein Rechtsgespräch mit dem Mandanten, weil solche Bedenken in den letzten Jahren vielfach erhoben worden sind und sich in den wenigsten Fällen als zutreffend herausgestellt haben. Gleiches gilt grundsätzlich für eine vereinzelte instanzgerichtliche Entscheidung, welche die Verfassungsmäßigkeit eines Steuergesetzes diskutiert, letztlich aber bestätigt, mag gegen sie auch der Bundesfinanzhof mit dem Ziel angerufen worden sein, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zu erreichen.“

Das OLG Naumburg hat diese Rspr. unlängst fortgesetzt, wonach der Steuerberater bei der Prüfung eines Steuerbescheids auf eine etwaige

130 Dagegen Depenheuer, Vorbehalt des Möglichen, in Isensee/Kirchhof, HStR, XII3, 2014, § 269 Rz. 57. 131 Näher Gehrlein, Grundstrukturen der Berufshaftung der Rechtsberater im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung, VersR 2016, 353 (357). 132 BGH v. 6.11.2008 – IX ZR 140/07, BGHZ 178, 258, Rz. 16 (Zitat unter Auslassung der Verweise).

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Verfassungswidrigkeit der Steuererhebung im Grundsatz auf die Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Gesetze vertrauen darf.133 Insgesamt dürften die Anforderungen an Steuerberater hinsichtlich der Einschätzung der möglichen Verfassungswidrigkeit von Steuergesetzen nicht überspannt werden. Denn die Prognose fällt bereits Verfassungsjuristen schwer (s. noch V.) und mangels einer umfassenden juristischen Ausbildung trifft einen Steuerberater nicht die allgemeine Pflicht, sich der Verfassungsmäßigkeit einer Steuernorm zu versichern.134 Darum besteht eine Hinweispflicht nur, wenn verdichtete Verfassungszweifel an einer Vorschrift aus Quellen herrühren, die zur „Pflichtlektüre“ eines Steuerberaters gehören. Neben der Hinweispflicht stellt sich für den steuerlichen Berater überdies die Frage, ob ein AdV-Antrag zur Absicherung eines Verfassungsrechtsstreits gestellt werden sollte. Die „eigenständige Berateraufgabe“, „ob und wann ein Antrag auf AdV gestellt wird“135, steht freilich in der Niedrigzinsphase deutlich unter dem Eindruck des Zinsrisikos bei mit 6 % p.a. marktwidrigen und rechtsschutzhemmenden Aussetzungszinsen (§§ 237 f. AO).136 Darum empfehlen manche Berater eher den Verzicht auf einen AdV-Antrag, weil dieser angesichts der Höhe des Zinssatzes nur selten vorteilhaft sei.137 Aus Beratersicht müssen natürlich Zinsgesichtspunkte138 und wirtschaftliche Überlegungen als Abwägungsgesichtspunkte gegen eine AdV in die „Beraterüberlegungen“ einbezogen werden.139 Allerdings sollten auch die Besonderheiten verfassungsrechtlicher Streitverfahren berücksichtigt werden. Denn die Spruchpraxis des BVerfG zeigt, dass der einstweilige Rechtsschutz den Weg hin zu einem verfassungsgerichtlichen Rechtsfolgenausspruch ex tunc (s. IV. 2.) ebnen kann. Im Urteil zur Pendlerpauschale hat der Zweite Senat des BVerfG den Ausspruch der übergangslosen Verfassungswidrigkeit unter Hinweis auf den 133 134 135 136

OLG Naumburg, v. 3.3.2016 – 4 U 36/15, DStR 2016, 1773, Rz. 22. Ähnlich Meixner/Schröder, Anm., DStR 2016, 1774 (1775). So Streck/Mack/Kamps, Der Steuerstreit3, 2012, Rz. 1678. Zur verfassungsfundierten Kritik Drüen, Plädoyer für eine Reform der Vollverzinsung im Steuerrecht, FR 2014, 218 m.w.N., auch zu Aussetzungszinsen. 137 Ortheil, Rechtmäßigkeit eines typisierenden Zinssatzes, BB 2012, 1513 (1514). 138 Dazu auch Stein/Meister, Rechtschutz schnell und teuer? Steuerliche Nebenleistungen in der Abgabenordnung, BB 2014, 538. 139 Streck/Mack/Kamps, Der Steuerstreit3, 2012, Rz. 1687.

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Drüen, Aktuelle verfassungsgerichtliche Leitlinien „vergleichsweise kurzen Anwendungszeitraum der Neuregelung, deren Verfassungsmäßigkeit stets umstritten war und für den auch die Finanzverwaltung bereits auf Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit mit vorläufigen Regelungen reagiert hatte …“140,

gestützt. Ebenso hat das BVerfG in den Entscheidungen zu § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG und zur Kernbrennstoffsteuer argumentiert (s. IV.2.). Auch wenn formell zwischen verfassungsgerichtlichem Rechtsfolgenausspruch und dem AdV-Verfahren keine rechtliche Konditionierung i.S. einer conditio sine qua non besteht, kann das einstweilige Rechtsschutzverfahren durchaus weichenstellend für den weiteren Rechtsschutz sein. Das gilt nicht nur für den Finanzprozess,141 sondern im besonderen Maße für den Tenor des BVerfG in zeitlicher Hinsicht. In mehreren Entscheidungen des BVerfG wird die erstrittene AdV bei Verfassungszweifeln quasi durch einen rückwirkenden Rechtsfolgenausspruch „prämiert“. Die „Empfehlung“ aus Finanzrichtersicht lautete früher darum unzweifelhaft: „Bestehen im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen Steuervorschrift ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken, sollte der Berater in jedem Fall einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stellen“.142

Die abschreckend wirkende Zinshöhe relativiert indes heutzutage diesen allgemeinen Rat.143

V. Fazit Die aktuellen Judikate des BVerfG belegen, dass auch das Unternehmenssteuerecht dem Gesetzgeber keinen verfassungsgerichtlichen Kontrollfreiraum bietet. Allerdings zeigen sich gerade im Unternehmenssteuerrecht deutliche Unsicherheiten, die Verfassungsmaßstäbe und die verfassungsgerichtliche Kontrollintensität vorherzusehen. Das liegt an der Ausfüllungsbedürftigkeit des selbst inhaltsleeren Gleichheitssatzes. Der Gleichheitssatz bietet dem Gesetzgeber einen Gestaltungsmaßstab

140 BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 = FR 2009, 74, Rz. 89. 141 Zu prozesstaktischen Erwägungen allgemein Streck/Mack/Kamps, Der Steuerstreit3, Rz. 1678 ff., 1682 ff. 142 Schmidt-Troje/Schaumburg, Der Steuerrechtsschutz3, 2008, II Rz. 837. 143 Er fehlt in der Neuauflage bei Schaumburg in Schaumburg/Hendricks, Steuerrechtsschutz4, 2018, Rz. 3.1203 ff.

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und dem Richter einen Kontrollmaßstab.144 Die Anforderungen des Gleichheitssatzes an den Steuergesetzgeber ergeben angesichts verschiedener Formulierungen des BVerfG aus der staatsrechtlichen Außensicht ein „wenig konsistentes Bild“145. Die Grenzen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums werden durch den Regelungsgegenstand und die Differenzierungskriterien bestimmt und reichen vom Willkürverbot bis zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen.146 Dabei erscheinen verlässliche Prognosen kaum möglich, wie stringent die gleichheitsrechtlichen Anforderungen an eine Regelung ausfallen werden.147 Gerade bei Steuergesetzen ist ex ante nicht klar vorhersehbar, welchen Rechtfertigungsmaßstab das BVerfG an eine Steuernorm anlegen148 und wie der Rechtsfolgenausspruch ausfallen wird. Das BVerfG vergröbert häufig die Maßstäbe und seine Kontrollintensität im Unternehmenssteuerrecht.149 Dafür besteht aber kein Anlass.150 Allgemein muss es Ziel sein, einen Dezisionismus der Maßstäbe und Rechtsfolgen zu vermeiden und juristisch abgesicherte sowie vorhersehbare Ergebnisse zu gewinnen.151 Dieses Ziel ist bei der verfassungsgerichtlichen Kontrolle von Normen des Unternehmenssteuerrechts noch nicht erreicht.

144 P. Kirchhof, Grundrechtliche Gleichheit, in Isensee/Kirchhof, HStR, VIII3, 2010, § 181 Rz. 158. 145 So Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 2011, 1574. 146 Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 44 (April 2016). 147 Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 2011, 1542 m.w.N. 148 Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht22, 2015, § 3 Rz. 124. 149 Zuletzt Hey, Finale Verluste im nationalen und europäischen Recht, FS Gosch, 2016, 161 (162) m.w.N. 150 Gegen einen „abgesenkten Verfassungsrechtsschutz für Unternehmen“ auch Hey, StuW 2015, 3 (17 f.). 151 Dafür bereits Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rz. 44 (April 2016) m.w.N.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Personengesellschaften Michael Wendt Vorsitzender Richter am BFH, München I. Weitere Neuigkeiten zur Realteilung 1. Neufassung des Realteilungserlasses 2. BFH-Urteil vom 30.3.2017 – IV R 11/15 (GmbHR 2017, 938) 3. BFH-Urteil vom 16.3.2017 – IV R 31/14 (GmbHR 2017, 933) a) Sachverhalt und Entscheidungsgründe b) Abgrenzung zwischen echter und unechter Realteilung c) Verteilung des Betriebsvermögens II. Korrespondierende Bilanzierung von Sonderbetriebsvermögen 1. Gleichstellungsthese als Ausgangspunkt für korrespondierende Bilanzierung 2. BFH-Urteil vom 16.3.2017 – IV R 1/15 (BStBl. II 2017, 943) 3. Korrespondierende Bilanzierung und Anschaffungskostenprinzip III. Ergänzungsbilanz und § 15a EStG 1. Ergänzungsbilanz und nachträgliche Einlagen a) BFH-Urteil vom 2.2.2017 – IV R 47/13 (BStBl. II 2017, 391) b) Nachträgliche und vorgezogene Einlagen eines Kommanditisten 2. Negative Ergänzungsbilanz infolge Übertragung nach § 6b EStG

a) BFH-Urteil vom 18.5.2017 – IV R 36/14 (BStBl. II 2017, 905) b) Minderung des Kapitalkontos i.S.d. § 15a EStG durch Übertragung nach § 6b EStG c) Anwendung des § 6b EStG auf Anschaffungskosten des nämlichen Wirtschaftsguts IV. Gewerbliche Prägung bei Einheits-GmbH & Co. KG 1. BFH-Urteil vom 13.7.2017 – IV R 42/14 (GmbHR 2017, 1158) 2. Geschäftsführung bei EinheitsGmbH & Co. KG V. Gewerbesteuerfragen bei Personengesellschaften 1. Unternehmensidentität bei gewerblich geprägter Personengesellschaft 2. BFH-Urteil vom 4.5.2017 – IV R 2/14 (GmbHR 2017, 1276) 3. Nutzung von Verlustvorträgen durch gewerblich geprägte Personengesellschaften 4. Beginn des Gewerbebetriebs bei mehrstöckiger Personengesellschaft a) Gewerbesteuerlicher Betriebsbeginn b) BFH-Urteil vom 12.5.2016 – IV R 1/13 (BStBl. II 2017, 489)

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften c) Beginn des Gewerbebetriebs bei zwischengeschalteter Vermögensverwaltung 5. Gewerbesteuerfragen bei KG & Still a) Ertragsteuerliche Behandlung atypisch stiller Gesellschaften

b) BFH-Urteil vom 8.12.2016 – IV R 8/14 (BStBl. II 2017, 538) c) Eigenständige gewerbesteuerliche Behandlung von Prinzipalgesellschaft und atypisch stiller Gesellschaft

I. Weitere Neuigkeiten zur Realteilung 1. Neufassung des Realteilungserlasses Die Handhabung der Finanzverwaltung bei Fragen der Realteilung ist in einem BMF-Schreiben zusammengefasst, dem sog. Realteilungserlass. Nachdem dieser in Gestalt eines BMF-Schreibens vom 28.2.20061 lange Zeit nicht geändert worden war, hat die Finanzverwaltung in Reaktion auf die Grundsatzentscheidung des BFH vom 17.9.2015 – III R 49/132 Ende 2016 eine Überarbeitung des Realteilungserlasses vorgelegt.3 Zugleich wurde das Urteil im BStBl. II abgedruckt. Mit dem Urteil hatte der BFH die Grundsätze der erfolgsneutralen Realteilung auf das Ausscheiden eines Mitunternehmers aus einer fortbestehenden Mitunternehmerschaft erstreckt und als einen Anwendungsfall der Aufgabe des Mitunternehmeranteils beurteilt, auf den sich die Regelung zur Realteilung in § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG ebenfalls erstrecke. Die Einzelheiten sind im Vorjahr näher erläutert worden.4 Die Änderungen des Realteilungserlasses sind nicht sehr weitreichend. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf folgende Punkte: –

Behandlung des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung nach den Regeln der Realteilung, wenn ein Teilbetrieb oder ein ganzer Mitunternehmeranteil zur Abfindung übertragen wird,



Definition des Spitzenausgleichs i.S.d. BFH-Urteils vom 17.9.2015,



Anwendung des § 16 Abs. 5 EStG.

1 BMF v. 28.2.2006 – IV B 2 - S 2242 - 6/06, BStBl. I 2006, 228 = FR 2006, 339. 2 BFH v. 17.9.2015 – III R 49/13, BStBl. II 2017, 37 = FR 2016, 567. 3 BMF v. 20.12.2016 – IV C 6 - S 2242/07/10002 :004 – DOK 2016/1109299, BStBl. I 2017, 36 = FR 2017, 304. 4 Wendt, StbJb. 2016/2017, 3 (20).

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Wendt, Rechtsprechungs-Highlights zu Personengesellschaften

Bedeutend daran ist in erster Linie, dass die Grundsätze der Realteilung nicht bei einem Ausscheiden gegen Abfindung mit Einzelwirtschaftsgütern angewendet werden. Ein dogmatischer Grund dafür kann dem BMF-Schreiben nicht entnommen werden. Bemerkenswert an der Überarbeitung des Realteilungserlasses war außerdem, dass ein anderes Urteil des BFH vom 16.12.2015 – IV R 8/125 in keiner Weise berücksichtigt worden war. Mit diesem Urteil hatte der BFH die kurzfristige Zwischenschaltung von Ein-Mann-GmbH & Co. KG zum Zweck der Realteilung einer gewerblich geprägten KG als für die Buchwertfortführung unschädlich behandelt.6 Das Urteil wurde von der Finanzverwaltung nicht nur bei der Neufassung des Realteilungserlasses ausgespart, sondern zunächst vollständig ignoriert. Ohne einen Grund für die Meinungsänderung anzugeben, veröffentlichte das BMF das Urteil aber schließlich im Sommer 2017 doch kommentarlos im BStBl. II. Grund dafür mag die zwischenzeitliche Fortentwicklung der Rspr. gewesen sein, über die nachstehend berichtet wird.

2. BFH-Urteil vom 30.3.2017 – IV R 11/15 (GmbHR 2017, 938) Mit dem Urteil vom 30.3.2017 – IV R 11/157 hat der BFH nicht nur die mit Urteil vom 16.12.2015 – IV R 8/128 vertretene Ansicht bestätigt, dass die Zwischenschaltung einer Ein-Mann-GmbH & Co. KG der Buchwertfortführung nicht entgegensteht, sondern auch die bislang streitige Frage geklärt, ob das Ausscheiden gegen Sachwertabfindung auch dann nach Realteilungsgrundsätzen behandelt wird, wenn die Abfindung in Einzelwirtschaftsgütern besteht. In dem Urteilsfall hatte ein Kommanditist die Gesellschaft aufgrund einer dreistufigen Gestaltung verlassen, indem er zunächst am 31.12.2002 zwei in seinem Sonderbetriebsvermögen gehaltene Beteiligungen an Kapitalgesellschaften zum Buchwert auf die KG übertragen, dann am 1.1.2003 seinen KG-Anteil in eine Ein-Mann-GmbH & Co. KG eingebracht hatte und Letztere sogleich ebenfalls am 1.1.2003 gegen Abfin5 BFH v. 16.12.2015 – IV R 8/12, BStBl. II 2017, 766 = FR 2016, 510. 6 Näher Wendt, StbJb. 2016/2017, 3 (25). 7 BFH v. 30.3.2017 – IV R 11/15, GmbHR 2017, 938 mit Anm. etwa von Bünning, BB 2017, 1649; Görgen, DStZ 2017, 709; Hubert, StuB 2017, 617; Neu/Hamacher, GmbHR 2017, 897; Pupeter, DB 2017, 2122; Schimmele, EStB 2017, 259; Siegel, StuB 2017, 529; Steiner/Ullmann, Ubg. 2017, 448; Stenert, DStR 2017, 1785; Wendt, BFH/PR 2017, 290. 8 S. Fn. 5.

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dung mit Wirtschaftsgütern eines nicht als Teilbetrieb organisierten Geschäftsbereichs der KG ausgeschieden war. Das FA betrachtete die Gestaltung insgesamt als Ausscheiden des Kommanditisten gegen Sachwertabfindung mit Spitzenausgleich im Wege eines Tauschs. Der Kommanditist habe einen Gewinn aus der Veräußerung seiner Kapitalbeteiligungen, die KG einen Gewinn aus dem Verkauf der zur Abfindung übertragenen Wirtschaftsgüter erzielt. Diese Gewinne wurden in dem Gewinnfeststellungsbescheid 2003 für die KG festgestellt. Das FG folgte dem Vorbringen der KG, die Vorgänge seien erfolgsneutral gewesen und gab der Klage statt.9 So sah es im Ergebnis auch der BFH. Er entschied, die Gestaltungsschritte seien nicht zu einem einheitlichen Sachverhalt zusammenzufassen und als solcher der Besteuerung zugrunde zu legen, wie es das FA getan hatte. Denn es gebe – wie schon im Urteil vom 16.12.2015 – IV R 8/1210 ausgeführt – keinen allgemeingültigen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass eine aufgrund einheitlicher Planung in engem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang stehende Mehrzahl von Rechtsgeschäften für die steuerliche Beurteilung zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang zusammenzufassen sei. Vielmehr sei jeder einzelne Gestaltungsschritt steuerlich zu würdigen, wobei ggf. eine Norm, deren Tatbestand dem Wortlaut nach verwirklicht sei, im Wege einer teleologischen Reduktion nicht auf den verwirklichten Sachverhalt anzuwenden sei. Liege ein Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO vor, werde demgegenüber nicht der verwirklichte, sondern der angemessene Sachverhalt der Besteuerung unterworfen. Hier komme ein Gestaltungsmissbrauch nicht in Betracht. Außerdem werde der mit den einschlägigen Normen zur Buchwertfortführung verfolgte Zweck in allen Fällen erreicht, so dass auch eine teleologische Reduktion ausscheide. Im Streitjahr seien nur die Einbringung des KG-Anteils in die neue EinMann-GmbH & Co. KG sowie das anschließende Ausscheiden der neuen KG zu prüfen. Inwieweit die Einbringung des Sonderbetriebsvermögens Steuerfolgen auslöse, könne dahinstehen, weil dies das nicht streitige Jahr 2002 betreffe. Wären die Buchwerte fortzuführen gewesen, könne im Streitjahr 2003 allenfalls eine Behaltefristverletzung eingetreten sein, die aber Steuerfolgen nur im Vorjahr auslösen könne.

9 FG Düss. v. 4.12.2014 – 14 K 2968/09 F, EFG 2015, 551. 10 S. Fn. 5.

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Die Einbringung des KG-Anteils in die neue Ein-Mann-GmbH & Co. KG habe nach § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG zum Buchwert stattfinden können, weil dem Gesellschafter nur Gesellschaftsrechte als Gegenleistung gewährt worden seien. Der Buchwert sei dann im Rahmen einer Berechnung des Veräußerungsgewinns i.S.d. § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG nach § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG als Veräußerungspreis anzusetzen, so dass die Einbringung steuerneutral bleibe. Das anschließende Ausscheiden der EinMann-GmbH & Co. KG aus der KG bleibe ebenfalls erfolgsneutral. Es handele sich um einen Fall des Ausscheidens gegen Sachwertabfindung, der nach den im BFH-Urteil vom 17.9.2015 – III R 49/1311 aufgestellten Grundsätzen als Aufgabe des Mitunternehmeranteils zu beurteilen sei, auf die die Realteilungsgrundsätze des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG Anwendung fänden. Dies gelte auch, wenn die Abfindung nicht in einem Teilbetrieb, sondern in Einzelwirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens bestehe. Die Anwendung der Realteilungsgrundsätze auf ein Ausscheiden gegen Sachwertabfindung mit Einzelwirtschaftsgütern ist die eigentliche Neuigkeit des Urteils und hat auch Eingang in den amtlichen Leitsatz gefunden. Denn in dem Urteil vom 17.9.2015 – III R 49/13 hatte der BFH diese Frage noch ausdrücklich unbeantwortet gelassen. Nach dem dort verfolgten gedanklichen Ansatz gab es aber keinen Grund dafür, eine Sachwertabfindung mit Einzelwirtschaftsgütern anders zu behandeln. Schließlich werden nach § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil und Einzelwirtschaftsgut in Bezug auf die Buchwertfortführung gleich behandelt. Dies ist insbes. für das Ausscheiden aus einer Freiberuflersozietät von Bedeutung, bei dem der Ausscheidende Teile des Mandantenoder Patientenstamms „mitnimmt“12. Dass dabei auch zusätzlich eine Barabfindung aus dem Gesellschaftsvermögen geleistet werden kann, ohne die Buchwertfortführung zu gefährden, ist bereits dem Urteil vom 17.9.2015 zu entnehmen. Ob eine Abfindung alleine mit Bar- oder Buchgeld allerdings ausreicht, um die Realteilungsgrundsätze anzuwenden, ist damit noch nicht entschieden. Denn bei Wirtschaftsgütern, die – wie Geld – keine stillen Reserven enthalten können, bedarf es keines Buchwertprivilegs. Andererseits kann bezweifelt werden, ob ein Ausscheiden gegen Barabfindung nach der Neuorientierung der Rspr. noch als Ver-

11 S. Fn. 2. 12 Zum Austritt aus Freiberuflersozietäten Levedag, DStR 2017, 1233 (1240 ff.).

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äußerung des Mitunternehmeranteils nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG behandelt werden darf.13 Mit dem Urteil hat der BFH dem gerade erst erneuerten Realteilungserlass14 bereits kurz nach dessen Veröffentlichung widersprochen. Dort hatte die Verwaltung ja zwar die neue Rspr. zur Sachwertabfindung mit Teilbetrieben übernommen und noch auf Abfindungen mit Mitunternehmeranteilen ausgeweitet, die Übertragung auf Abfindungen mit Einzelwirtschaftsgütern aber ausdrücklich abgelehnt. Sollte nach dem jetzigen Urteil keine Gesetzesänderung eingeleitet werden, wird die Verwaltung an ihrer bisherigen Handhabung nicht mehr festhalten können.

3. BFH-Urteil vom 16.3.2017 – IV R 31/14 (GmbHR 2017, 933) a) Sachverhalt und Entscheidungsgründe Mit einem zweiten neuen Urteil vom 16.3.2017 – IV R 31/1415 hat der BFH das Ausscheiden aus einer fortbestehenden Personengesellschaft gegen Sachwertabfindung als „unechte“ Realteilung tituliert und damit von der „echten“ Realteilung unterschieden, die eine Betriebsaufgabe der Mitunternehmerschaft voraussetzt. In dem dort zu beurteilenden Fall war zwischen den Beteiligten streitig gewesen, ob eine solche echte oder unechte Realteilung vorlag. Eine GmbH & Co. KG, an der als Kommanditisten Vater und Sohn beteiligt waren und die die Aufstellung und Vermietung von Spielautomaten betrieb, war im Jahr 2005 durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst worden. Das Gesellschaftsvermögen hatten die Gesellschafter „im Wege der Realteilung“ so verteilt, dass der Vater zwei abgeschriebene Anhänger, die Hälfte eines USt-Erstattungsanspruchs sowie den in der Gesellschaftsbilanz ausgewiesenen Teil eines im Eigentum des Vaters stehenden Grundstücks erhielt. Alle anderen Wirtschaftsgüter erhielt der Sohn, der damit in der Folge ein Einzelunternehmen betrieb. Der Vater war Gesellschafter einer zweiten KG (KG 2), der er den genannten Grundstücksteil anschließend zur Nutzung zur Verfügung stellte und dort als Sonderbetriebsvermögen behandelte. 13 A.A. Stenert, DStR 2017, 1785 (1790). 14 S. Fn. 3. 15 BFH v. 16.3.2017 – IV R 31/14, GmbHR 2017, 933 mit Anm. von Görgen, DStZ 2017, 709; Hubert, StuB 2017, 617; Neu/Hamacher, GmbHR 2017, 897; Pupeter, DB 2017, 2122; Schimmele, EStB 2017, 260; Steiner/Ullmann, Ubg. 2017, 448; Stenert, DStR 2017, 1785; Wendt, BFH/PR 2017, 291.

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Das FA war der Meinung, es habe keine Realteilung stattgefunden, weil der Betrieb der KG nicht eingestellt, sondern vom Sohn fortgeführt worden sei. Der Vater sei unter Übernahme seines negativen Kapitalkontos durch den Sohn gegen Sachwertabfindung ausgeschieden, wodurch ein infolge der Buchwertübertragung des Grundstücks aus dem Gesamthandsvermögen in das Sonderbetriebsvermögen bei der KG 2 nicht tarifbegünstigter Gewinn entstanden sei. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg; das FG hielt den Vorgang für eine erfolgsneutrale Realteilung.16 In der Sache war dies auch die Meinung des BFH. Er ging davon aus, dass die Gesellschaft aufgelöst worden sei und die Auflösung zur Aufgabe des Betriebs der Gesellschaft geführt habe. Die Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens seien auf die Gesellschafter übertragen und zumindest vom Sohn in einem eigenen Betriebsvermögen genutzt worden. Deshalb liege eine Realteilung im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG vor („echte“ Realteilung). Ob der Vater alle Wirtschaftsgüter betrieblich genutzt habe, sei nach den Feststellungen unklar, müsse aber auch nicht geklärt werden, weil eine private Nutzung zu einem Aufgabegewinn geführt hätte, der nicht Gegenstand des Rechtsstreits sei. Nur einen solchen Gewinn hätte auch eine spätere Entnahme im Rahmen einer Sperrfristverletzung zur Folge haben können. b) Abgrenzung zwischen echter und unechter Realteilung In dem Urteilsfall war unter den Beteiligten streitig gewesen, ob der Betrieb der Personengesellschaft aufgegeben oder von einem Realteiler fortgeführt worden war. Deshalb kam es für den BFH auf eine Klarstellung der Abgrenzungsmerkmale an. Wird die Gesellschaft aufgelöst, handelt es sich um die Betriebsaufgabe der Gesellschaft, die ggf. als Realteilung erfolgsneutral bleibt. Kommt es stattdessen zur Kündigung der Gesellschaft durch einen oder mehrere Gesellschafter mit anschließender Sachwertabfindung, handelt es sich um die Aufgabe des Mitunternehmeranteils des kündigenden Gesellschafters, auf die die Grundsätze der Realteilung ebenfalls anzuwenden sein können. Schwierig kann die Unterscheidung zwischen beiden Vorgängen dann sein, wenn die Gesellschaft lediglich aus zwei Gesellschaftern besteht. Kündigt einer der beiden Gesellschafter, wird der verbleibende Gesellschafter zivilrechtlich Gesamtrechtsnachfolger der Gesellschaft und 16 FG Köln v. 12.3.2014 – 4 K 1546/10, EFG 2014, 1384.

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führt deren Betrieb fort. Vereinbaren beide Gesellschafter demgegenüber die Auflösung der Gesellschaft, endet deren Betrieb. Ein Gesellschafter kann jedoch mit dem ihm anstelle einer Versilberung zugeteilten Gesellschaftsvermögen ein Einzelunternehmen eröffnen, das in der Außenwahrnehmung dem Betrieb ähnelt, den der Gesellschafter im Fall der Kündigung des anderen Gesellschafters als Rechtsnachfolger der Gesellschaft fortgeführt hätte. Einkommensteuerlich sind auf beide Varianten nach jetziger Handhabung des BFH Realteilungsgrundsätze anzuwenden, so dass sich im Regelfall die Gewinnauswirkungen nicht unterscheiden. Begrifflich hat sich der BFH entschlossen, eine im Schrifttum entwickelte Wortschöpfung aufzugreifen und die Realteilung in Gestalt einer Betriebsaufgabe der Personengesellschaft als „echte“ Realteilung zu bezeichnen, während das Ausscheiden gegen Sachwertabfindung als Anwendungsfall der Aufgabe des Mitunternehmeranteils „unechte“ Realteilung genannt wird.17 Da auf beide Vorgänge § 16 Abs. 3 Satz 2 EStG anzuwenden ist, sind die Voraussetzungen der Buchwertfortführung in beiden Fällen identisch. Dies erscheint eigentlich selbstverständlich, auch wenn in der Literatur gelegentlich Zweifel geäußert werden.18 c) Verteilung des Betriebsvermögens Nach Auffassung des BFH liegt eine „echte“ Realteilung auch dann vor, wenn alle wesentlichen Betriebsgrundlagen auf einen Gesellschafter übertragen werden, der diese anschließend weiter betrieblich nutzt. Die für eine Betriebsaufgabe der Gesellschaft erforderliche Einstellung deren betrieblicher Tätigkeit liegt in einem solchen Fall vor, weil die Gesellschaft ihre betriebliche Tätigkeit einstellt und die Wirtschaftsgüter nach deren Übertragung auf den Gesellschafter dessen Betrieb dienen. Eine Realteilung erfordert auch nicht, dass alle Realteiler mit ihnen zugeteilten Wirtschaftsgütern betrieblich tätig sind. Es reicht aus, wenn einer der Realteiler ihm zugeteilte Wirtschaftsgüter weiter betrieblich nutzt. Soweit zugeteilte Wirtschaftsgüter in das Privatvermögen von Realteilern übergehen, sind diese im Rahmen der Betriebsaufgabe mit dem gemeinen Wert anzusetzen, so dass ein Aufgabegewinn der Gesellschaft 17 Im Schrifttum werden z.T. auch andere Begriffe verwendet, etwa „klassische“ und „partielle“ Realteilung (Steiner/Ullmann, Ubg. 2017, 448 [452]) oder „vollständige“ und „partielle“ Realteilung (Pupeter, DB 2017, 2122 [2124]). 18 So etwa Stenert, DStR 2017, 1785 (1792); Steiner/Ullmann, Ubg. 2017, 448 (452).

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in Höhe der dadurch aufgedeckten stillen Reserven entsteht, der nach § 16 Abs. 3 Satz 8 EStG dem jeweiligen Gesellschafter zugerechnet wird19. Erstmals nimmt der BFH hier zu der Frage Stellung, welche Rechtsfolgen sich für das bisherige Sonderbetriebsvermögen eines Realteilers ergeben. Wird ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens nach der Realteilung nicht mehr betrieblich genutzt, ist es in das Privatvermögen überführt worden, wodurch ein dem betreffenden Gesellschafter zuzuweisender und nicht tarifbegünstigter Gewinn entstanden ist. Nutzt der Realteiler das Wirtschaftsgut in einem anderen Betriebsvermögen weiter, wird der Buchwert dort fortgeführt. Dies leitet der BFH nicht aus § 16 EStG, sondern aus § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG ab. Noch nicht geklärt ist die Bedeutung der Übertragung eines Wirtschaftsguts des Sonderbetriebsvermögens von einem auf einen anderen Realteiler. Der Sache nach wird ein solcher Vorgang i.d.R. als Spitzenausgleich zu beurteilen sein. Wenn § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG anwendbar wäre, käme es evtl. nur in Höhe des Buchwerts zur Erzielung eines Gewinns des Übertragungsempfängers. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG dürften aber deshalb nicht erfüllt sein, weil die Übertragung nicht unentgeltlich, sondern zur Erfüllung des Auseinandersetzungsanspruchs erfolgt.

II. Korrespondierende Bilanzierung von Sonderbetriebsvermögen 1. Gleichstellungsthese als Ausgangspunkt für korrespondierende Bilanzierung Der Grundsatz der korrespondierenden Bilanzierung ergibt sich aus den mit § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG verfolgten Zielen, den Gewinn des Mitunternehmers demjenigen eines Einzelunternehmers anzugleichen, der mit sich selbst keine schuldrechtlichen Verpflichtungen eingehen und deshalb auch den Gewinn seines Einzelgewerbes nicht um einen Unternehmerlohn mindern kann, und zudem das Ergebnis der Besteuerung unabhängig davon zu machen, ob die Leistung des Gesellschafters durch einen Vorabgewinn oder durch eine besondere Vergütung

19 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der durch eine Sperrfristverletzung entstandene Gewinn im Wege eines Gesellschafterbeschlusses allein dem Empfänger des Wirtschaftsguts zugerechnet werden kann (die FinVerw. scheint dieser Auffassung zu sein, vgl. Realteilungserlass [Fn. 3] unter IX.).

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abgegolten wird.20 Die korrespondierende Bilanzierung dient also dazu, die vom BFH für erforderlich gehaltene Gleichstellung des Mitunternehmers mit dem Einzelunternehmer zu verwirklichen (sog. Gleichstellungsthese21). Folgt man diesem Ansatz, muss ein Darlehen des Mitunternehmers an die Mitunternehmerschaft im Ergebnis wie Eigenkapital behandelt werden. Dies geschieht dadurch, dass das Darlehen als Sonderbetriebsvermögen I in der Sonderbilanz des Mitunternehmers aktiviert wird und dadurch bei einer Gesamtbetrachtung von Gesamthands-, Sonder- und Ergänzungsbilanz – der vom BFH so genannten und nur fiktiv existierenden Gesamtbilanz – den Passivposten in der Bilanz der Mitunternehmerschaft kompensiert und wie Eigenkapital wirkt (sog. funktionales Eigenkapital). Die Behandlung als funktionales Eigenkapital fordert weiter, dass die Darlehensgewährung keinen Einfluss auf die Höhe des Gewinns der Mitunternehmerschaft hat. In Bezug auf Darlehenszinsen wird dies durch deren Behandlung als Sonderbetriebseinnahme gewährleistet. Muss der Mitunternehmer damit rechnen, seinen Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens mangels ausreichenden Vermögens der Mitunternehmerschaft nicht oder nicht ganz verwirklichen zu können, darf auch dies nicht zu einer Auswirkung auf den Gewinn führen, so lange die Mitunternehmerstellung besteht.

2. BFH-Urteil vom 16.3.2017 – IV R 1/15 (BStBl. II 2017, 943) Mit einem Urteil vom 16.3.2017 – IV R 1/1522 hatte der BFH über die Frage zu entscheiden, ob und inwieweit die korrespondierende Bilanzierung auch über einen Verkauf des Mitunternehmeranteils hinaus vom Erwerber fortzuführen ist. Der Erwerber hatte drei Kommanditisten deren Anteile an der notleidend gewordenen KG abgekauft und dabei auch die auf Gesellschafterkonten erfassten Forderungen der Kommanditis20 BFH v. 12.2.2015 – IV R 29/12, BStBl. II 2017, 668 = FR 2015, 555. 21 Vgl. dazu etwa BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BStBl. II 2017, 34 = FR 2015, 552, Rz. 16: „Aus der Gleichstellung des Mitunternehmers nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 1 EStG mit dem Einzelunternehmer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der BFH gefolgert, dass die Besteuerung des Mitunternehmers soweit wie möglich der des Einzelunternehmers angenähert werden muss.“; näher zu dem Urteil Wendt, StbJb. 2015/2016, 35 (58); kritisch zur Gleichstellungsthese etwa Hallerbach, FR 2016, 1117. 22 BFH v. 16.3.2017 – IV R 1/15, BStBl. II 2017, 943 = FR 2017, 957 mit Anm. z.B. von Formel, EStB 2017, 261; Herbst/Stegemann, DStR 2017, 2081; von Glasenapp, BB 2017, 1458; Weiss, NWB 2017, 1784; Wendt, BFH/PR 2017, 257.

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ten gegen die KG erworben. Der Gesamtkaufpreis für den jeweiligen Anteil zuzüglich Forderung war niedriger als die Summe der Konten des veräußernden Gesellschafters. Die KG ordnete den Kaufpreis der Kommanditeinlage und in Höhe des Restbetrags auf sog. Kapitalkonten II und III ausgewiesenen Darlehensforderungen zu. In der Sonderbilanz des Erwerbers wurde der Restbetrag als Anschaffungskosten der Forderungen aktiviert. Das FA war der Meinung, auch die Kapitalkonten II und III seien dem Eigenkapital zuzurechnen, für das dann insgesamt ein den Nennwert unterschreitender Kaufpreis gezahlt worden sei. Für den Neugesellschafter müsse deshalb eine negative Ergänzungsbilanz aufgestellt werden, die mangels sonstiger geeigneter Aktivposten allein zur Abstockung des Umlaufvermögens führe. Entsprechend dem Warenabgang sei die Ergänzungsbilanz zum Ende des folgenden Wirtschaftsjahrs gewinnerhöhend aufzulösen. Das FG wies die dagegen erhobene Klage der KG ab.23 Es komme nicht darauf an, ob die Konten Eigen- oder Fremdkapital ausgewiesen hätten. Denn auch bei Ausweis von Fremdkapital hätte die negative Ergänzungsbilanz wie vom FA verlangt aufgestellt werden müssen, weil die Forderungen dann nach dem Grundsatz korrespondierender Bilanzierung in der Sonderbilanz des Erwerbers mit denselben Beträgen wie in der Gesamthandsbilanz bilanziert werden müssten. Die von der KG eingelegte Revision hatte ungeachtet zwischendurch eingetretener Insolvenz der KG und deren Komplementärin im Rahmen eines Insolvenzfeststellungsverfahrens Erfolg. Der BFH verwies das Verfahren an das FG zurück, weil es entgegen der Auffassung des FG für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankomme, ob die Kapitalkonten II und III Eigen- oder Fremdkapital abbildeten, und dazu noch weitere Feststellungen getroffen werden müssten. Bildeten die Konten Eigenkapital ab, wie vom FA vertreten, sei der Mehrkaufpreis in einer Ergänzungsbilanz als Anschaffungskosten des Umlaufvermögens zu aktivieren. Stellten die Konten aber Fremdkapital dar, habe die korrespondierende Bilanzierung mit dem Ausscheiden der Altgesellschafter geendet und der Erwerber habe die unter Nennwert erworbenen Forderungen mit seinen diesbezüglichen Anschaffungskosten in der Sonderbilanz zu aktivieren, während die Gesellschaft ihre Verbindlichkeit unverändert mit dem Nennwert passivieren müsse. 23 Hess. FG v. 15.1.2013 – 8 K 762/08, juris.

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3. Korrespondierende Bilanzierung und Anschaffungskostenprinzip Die Entscheidung klärt, dass der Grundsatz korrespondierender Bilanzierung von Forderungen zwischen Mitunternehmer und Mitunternehmerschaft nicht zur Aushebelung des Anschaffungskostenprinzips führen kann. Ein Mitunternehmer, der eine Forderung gegen die Mitunternehmerschaft von einem anderen Mitunternehmer erwirbt, muss diese in seiner Sonderbilanz mit seinen Anschaffungskosten aktivieren, auch wenn die Mitunternehmerschaft die korrespondierende Verpflichtung mit ihren eigenen historischen Anschaffungskosten weiter zu passivieren hat. Scheidet der Mitunternehmer aus der Mitunternehmerschaft aus, endet das aus der Gleichstellungsthese entwickelte Erfordernis der korrespondierenden Bilanzierung. Wird die Forderung in diesem Zusammenhang nur teilweise erfüllt, realisiert der Mitunternehmer den Verlust in Höhe des Minderungsbetrags. Bleibt die Forderung gegen die Mitunternehmerschaft bestehen, wird der Verlust durch eine Teilwertabschreibung in der auf den Zeitpunkt des Ausscheidens aufzustellenden letzten Sonderbilanz realisiert. Veräußert der Mitunternehmer die Forderung, realisiert er den Verlust in Höhe der Differenz zwischen dem bislang bilanzierten Nennwert der Forderung und dem erzielten Erlös. Der Erwerber hat die Forderung mit den Anschaffungskosten anzusetzen, und zwar auch dann, wenn er zugleich den Gesellschaftsanteil erworben hat. Eine Darlehensforderung gegen die Mitunternehmerschaft erscheint dann betragsmäßig nicht mehr identisch in der Bilanz der Mitunternehmerschaft und der Sonderbilanz des Mitunternehmers. Sollte die Mitunternehmerschaft später ihre Verpflichtung doch zu einem höheren Betrag erfüllen, ergäbe sich dann ein Gewinn in seiner Sonderbilanz. Den Grundsatz der korrespondierenden Bilanzierung gibt es für den Erwerber allerdings auch: sollte der Wert der Forderung nach der Anschaffung noch weiter sinken, dürfte er ebenfalls keine Teilwertabschreibung vornehmen.

III. Ergänzungsbilanz und § 15a EStG § 15a EStG verfolgt das Ziel, einem beschränkt haftenden Gesellschafter Verlustanteile grundsätzlich nur insoweit zum Ausgleich mit anderen positiven Einkünften zuzuweisen, als der Gesellschafter durch die Verlustanteile aktuell wirtschaftlich belastet ist. Dies trifft zunächst nur für Verluste zu, durch die eine vom Gesellschafter tatsächlich erbrachte Einlage verbraucht wird. Zahlenmäßig wird der Verbrauch der Einlage da38

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durch sichtbar, dass sich das ursprünglich in Höhe der Einlage positive Kapitalkonto vollständig verbraucht hat. § 15a Abs. 1 EStG bestimmt deshalb, dass Verlustanteile, die zur Entstehung oder Erhöhung eines negativen Kapitalkontos führen, zum Verlustausgleich nicht zur Verfügung stehen. Die betreffenden Verlustanteile sind stattdessen als sog. verrechenbare Verluste gesondert festzustellen und werden dann von späteren Gewinnanteilen bis zu ihrem vollständigen Verbrauch abgezogen. Zum Kapitalkonto i.S.d. § 15a EStG gehört neben dem Eigenkapitalanteil am Gesellschaftsvermögen nach Ansicht der Rspr. auch das Kapital einer Ergänzungsbilanz. Auch wenn dies im Grundsatz geklärt ist, stellen sich im Detail eine Reihe von Einzelfragen, von denen zwei den BFH in der letzten Zeit beschäftigt haben.

1. Ergänzungsbilanz und nachträgliche Einlagen a) BFH-Urteil vom 2.2.2017 – IV R 47/13 (BStBl. II 2017, 391) Im Fall des BFH-Urteils vom 2.2.2017 – IV R 47/1324 hatte ein Kommanditist einer anderen Kommanditistin im Jahr 2004 deren Anteil mit einem insgesamt negativen Kapitalkonto für einen in bar zu zahlenden Kaufpreis abgekauft. Den Differenzbetrag zwischen negativem Kapitalkonto und Kaufpreis erfasste die KG in einer Ergänzungsbilanz für den Erwerber als Anschaffungskosten eines Firmenwerts. Die dadurch eintretende Erhöhung des Eigenkapitals in der Ergänzungsbilanz reichte nicht aus, um das zuvor negative Kapitalkonto des Erwerbers auf einen positiven Saldo anzuheben. Zwei Jahre später wurden dem Erwerber Verlustanteile zugewiesen, die zu einer erneuten Erhöhung des negativen Kapitalkontos führten. Das FA stellte die Verluste als verrechenbar nach § 15a Abs. 4 EStG fest. Die KG war der Meinung, in Höhe des das negative hinzuerworbene Kapitalkonto übersteigenden Kaufpreises für den Anteilserwerb habe der Erwerber „vorgezogene Einlagen“ geleistet, in deren Höhe die Verlustanteile ausgleichsfähig wären. Das FG teilte diese Auffassung nicht.25 Auch der BFH hielt Zuführungen zu einer Ergänzungsbilanz, die nicht zu einem insgesamt positiven Kapitalkonto führen, für zum Ausgleich mit in Folgejahren zugewiesenen Verlustanteilen nicht geeignet. 24 BFH v. 2.2.2017 – IV R 47/13, BStBl. II 2017, 391 = FR 2017, 687 mit Anm. von Felten, GmbH-StB 2017, 170; Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 21/2017 Anm. 4; Wendt, BFH/PR 2017, 185. 25 FG Köln v. 14.11.2013 – 6 K 3723/09, EFG 2014, 911.

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b) Nachträgliche und vorgezogene Einlagen eines Kommanditisten Maßgeblicher Zeitpunkt für die Messung des Kapitalkontos ist das Ende des Wirtschaftsjahrs. Alle im Wirtschaftsjahr zuvor geleisteten Einlagen erhöhen das Kapitalkonto und damit das Ausgleichsvolumen; Entnahmen mindern dieses Volumen. Eine nach Ende des Verlustjahrs geleistete Einlage bedeutet zwar auch eine wirtschaftliche Belastung des Gesellschafters, hat aber keine Auswirkung auf zuvor als verrechenbar festgestellte Verlustanteile, die nicht etwa in ausgleichsfähige Verluste „umgepolt“ werden. Besonders misslich wird dem nachträglich nach Entstehung eines negativen Kapitalkontos einlegenden Gesellschafter erscheinen, dass seine Einlage ganz oder zumindest teilweise nicht einmal zur Nutzung folgender Verluste berechtigt. Denn soweit die Einlage nur zur Auffüllung des negativen Kapitalkontos bis 0 Euro führt, entsteht durch einen späteren Verlust ja wiederum ein negatives Kapitalkonto bzw. erhöht sich dessen noch immer negativer Saldo, löst also wieder die Ausgleichssperre des § 15a Abs. 1 Satz 1 EStG aus. Der Gesellschafter wird sich in einem solchen Fall außerdem gegenüber einem solchen Kommanditisten benachteiligt sehen, der keine nachträgliche Einlage leistet, sondern lediglich im Handelsregister eine höhere Haftsumme eintragen lässt. Zwar haftet dieser Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern bis zur Erbringung der Einlage in Höhe des Differenzbetrags nach § 171 Abs. 1 HGB unmittelbar; eine unmittelbare wirtschaftliche Belastung liegt in dem Bestehen der Haftung aber nicht. Gleichwohl kann in Höhe der Haftung wegen noch nicht geleisteter Einlage auf die erhöhte Haftsumme nach § 15a Abs. 1 Satz 2 EStG ein Verlustausgleich in Anspruch genommen werden. Diese Ungleichbehandlung zwischen dem einlegenden und nur haftenden Gesellschafter hatte den BFH bewogen, in verfassungskonformer Auslegung des § 15a Abs. 1 Satz 1 EStG nachträgliche und nicht zur sofortigen Verlustnutzung führende Einlagen zumindest zum Ausgleich mit künftigen Verlusten zuzulassen.26 Aus nachträglichen und vor dem Ausscheiden aus der Gesellschaft nicht mehr zur Verlustnutzung berechtigenden Einlagen wurden dadurch sog. „vorgezogene“ und zum Ausgleich künftiger Verluste führende Einlagen. Diese Rspr. des BFH wurde jedoch vom Gesetzgeber im Jahr 200827 durch die Einfügung eines neuen Abs. 1a in § 15a EStG mit Wirkung für die Zukunft korrigiert. 26 BFH v. 14.10.2003 – VIII R 32/01, BStBl. II 2004, 359 = FR 2004, 150; v. 26.6.2007 – IV R 28/06, BStBl. II 2007, 934 = FR 2007, 1115. 27 JStG 2009 v. 19.12.2008, BGBl. I 2008, 2794.

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Nur noch vor dem 25.12.2008 geleistete Einlagen sind als vorgezogene Einlagen zum Ausgleich von Verlusten nutzbar.28 Erwirbt der Kommanditist seinen Anteil von einem anderen Kommanditisten zu einem das Kapitalkonto des Veräußerers übersteigenden Preis, wird der Mehrbetrag in einer positiven Ergänzungsbilanz des Erwerbers ausgewiesen. Das gilt auch, wenn der Erwerber einer der anderen Kommanditisten ist. War das Kapitalkonto des Erwerbers vor dem Erwerb negativ, wird neues Verlustausgleichsvolumen zunächst nur insoweit geschaffen, als das gesamte Kapitalkonto i.S.d. § 15a EStG dadurch positiv wird. Denn nur in dieser Höhe führen spätere Verlustanteile nicht wieder zu einem negativen Kapitalkonto mit der Folge, dass sie nach § 15a Abs. 1 Satz 1 EStG nur verrechenbar sind. Im Urteilsfall, der die Zeit vor Einführung des § 15a Abs. 1a EStG betraf, stellte sich nun die Frage, ob auch der Ausweis von Mehranschaffungskosten eines hinzuerworbenen KG-Anteils als „vorgezogene“ Einlage zu behandeln ist. Der BFH verneint diese Frage. Eine solche vorgezogene Einlage setze nicht nur die wirtschaftliche Belastung des Kommanditisten, sondern zugleich auch die Vermehrung der Haftungsmasse für Gesellschaftsschulden voraus. Eine Zahlung an den Anteilsveräußerer erhöhe die Haftungsmasse aber nicht. Dies ändert allerdings nichts daran, dass die Ergänzungsbilanz wie bisher Bestandteil des Kapitalkontos i.S.d. § 15a EStG ist. Soweit Zuführungen zu einer Ergänzungsbilanz wie im Urteilsfall nicht bewirken, dass das Kapitalkonto insgesamt positiv wird, wirkt sich der betreffende Betrag erst dadurch zugunsten des Kommanditisten aus, dass der Gewinn aus der Auflösung des negativen Kapitalkontos bei Ausscheiden des Gesellschafters oder Auflösung der Gesellschaft entsprechend niedriger ist.

2. Negative Ergänzungsbilanz infolge Übertragung nach § 6b EStG a) BFH-Urteil vom 18.5.2017 – IV R 36/14 (BStBl. II 2017, 905) Der Fall des Urteils vom 18.5.2017 – IV R 36/1429 betraf die alleinige Kommanditistin einer GmbH & Co. KG (Alt-KG), die im Jahr 2009 ih-

28 § 52 Abs. 33 Satz 6 EStG 2008. 29 BFH v. 18.5.2017 – IV R 36/14, BStBl. II 2017, 905 = GmbHR 2017, 1055 mit Anm. von Bode, NWB 2017, 2318; von Glasenapp, BB 2017, 1970; Krämer, EStB 2017, 301; Wendt, BFH/PR 2017, 321.

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ren KG-Anteil zur Erbringung ihrer Kommanditeinlage von 10 000 Euro bei einer neu gegründeten GmbH & Co KG, die jetzige Klägerin, einbrachte. Weil gleichzeitig auch die Komplementär-GmbH ihre Anteile an der Alt-KG in die neue Gesellschaft einbrachte, kam es zur Anteilsvereinigung und damit zum Übergang des u.a. aus einem Grundstück mit aufstehendem Gebäude bestehenden Vermögens der Alt-KG auf die neue KG. Die neue KG machte keinen Gebrauch von der Möglichkeit, nach § 24 UmwStG die Buchwerte der Alt-KG fortzuführen, sondern setzte als Anschaffungskosten die gemeinen Werte der übernommenen Wirtschaftsgüter an. Bei der Alt-KG ergab sich ein Gewinn in Höhe der Differenz von Buchwerten und gemeinen Werten. Soweit der Gewinn auf das Grundstück und das Gebäude entfiel (185 000 Euro), wurde er nach § 6b EStG auf die Anschaffungskosten der neuen Gesellschaft übertragen. Dies wurde technisch durch Aufstellung einer negativen Ergänzungsbilanz für die Kommanditistin bewältigt. Im Jahr ihrer Gründung erzielte die neue KG einen Verlust, der der Kommanditistin zugerechnet und vom FA in voller Höhe als nach § 15a EStG verrechenbar festgestellt wurde. KG und Kommanditistin waren der Meinung, in Höhe der erbrachten Kommanditeinlage von 10 000 Euro sei der Verlust ausgleichsfähig. Nach erfolglosem Einspruch blieben auch Klage30 und Revision ohne Erfolg. Der BFH entschied, dass eine negative Ergänzungsbilanz das Verlustausgleichsvolumen auch dann vermindere, wenn sie auf der Ausübung des Wahlrechts nach § 6b EStG beruhe. Eine gleichzeitig geleistete Einlage stehe zum sofortigen Verlustausgleich nicht zur Verfügung, soweit sie von der negativen Ergänzungsbilanz kompensiert werde. b) Minderung des Kapitalkontos i.S.d. § 15a EStG durch Übertragung nach § 6b EStG Wenn über das Kapitalkonto hinausgehende und deshalb in einer Ergänzungsbilanz ausgewiesene Anschaffungskosten des Kommanditisten für Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens das Kapitalkonto i.S.d. § 15a EStG erhöhen, müssen konsequenterweise auch durch eine negative Ergänzungsbilanz ausgedrückte Minderanschaffungskosten des Kommanditisten das Kapitalkonto des Kommanditisten nach § 15a EStG mindern.

30 FG Bremen v. 18.6.2014 – 1 K 76/12 (6), DStRE 2015, 918.

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Solche Minderanschaffungskosten entstehen durch den Erwerb eines Kommanditanteils unter dem Buchwert oder aber dadurch, dass – wie im hiesigen Fall – von dem Kommanditisten realisierte stille Reserven auf seinen Anteil an Anschaffungskosten für Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens nach § 6b EStG übertragen werden. Da § 6b EStG in seiner heutigen Fassung als personenbezogene Steuervergünstigung angesehen wird,31 kann ein Personengesellschafter von ihm in einem Einzelunternehmen oder im Rahmen einer anderen Personengesellschaft realisierte stille Reserven unter den Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 EStG auf ihm zuzurechnende Anschaffungs- und Herstellungskosten übertragen. Handelt es sich um die Anschaffung oder Herstellung eines Wirtschaftsguts des Gesamthandsvermögens, wird die Übertragung nicht in der Gesellschaftsbilanz vorgenommen, sondern führt zu einem Ausweis der Minderwerte in einer negativen Ergänzungsbilanz. Im Fall des hiesigen Urteils bestand die Besonderheit, dass die negative Ergänzungsbilanz von Beginn der Gesellschaft an aufzustellen war. Da sie betragsmäßig das Kapitalkonto in der Gesellschaftsbilanz überschritt, war das Kapitalkonto des Kommanditisten i.S.d. § 15a EStG von Anfang an negativ. Bereits der Verlustanteil im ersten Wirtschaftsjahr war danach nicht ausgleichsfähig, sondern nur mit künftigen Gewinnen verrechenbar. Der Kommanditist wendete hiergegen ein, ihm müsse mindestens der Betrag zum Verlustausgleich zur Verfügung stehen, mit dem er durch die geleistete Einlage belastet sei. Damit griff er ein Argument auf, das der BFH in seiner Rspr. zu sog. „vorgezogenen“ Einlagen verwendet hatte. Diese Rechtsprechungsgrundsätze galten im Streitjahr 2009 allerdings nach § 15a Abs. 1a i.V.m. § 52 Abs. 33 Satz 6 EStG 2008 nicht mehr. Außerdem weist der BFH das seinerzeit bemühte Argument einer Gleichbehandlung mit einem Kommanditisten, der seine Einlage noch nicht erbracht hat und Verluste nach § 15a Abs. 1 Satz 2 EStG ausgleichen kann, zurück. Auch bei einem solchen Kommanditisten wäre die negative Ergänzungsbilanz zu berücksichtigen und stände der Verlustnutzung entgegen.

31 Anders in den Jahren 1999–2001, in denen § 6b Abs. 10 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 (BGBl. I 1999, 402) ausdrücklich eine gesellschaftsbezogene Anwendung des § 6b EStG geregelt hatte, vgl. dazu BFH v. 9.2.2006 – IV R 23/04, BStBl. II 2006, 538 = FR 2006, 689; v. 9.9.2010 – IV R 22/07, BFH/NV 2011, 31.

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c) Anwendung des § 6b EStG auf Anschaffungskosten des nämlichen Wirtschaftsguts Der BFH billigt mit diesem Urteil die Anwendung des § 6b EStG in einem Fall, in dem die stillen Reserven bei Veräußerung desselben Wirtschaftsguts aufgedeckt worden sind, auf dessen Anschaffungskosten sie jetzt übertragen werden sollen. Ein solcher Fall ist nur bei Personengesellschaften denkbar, die als zivilrechtliche Rechtsträger zwar veräußern und anschaffen können, bei denen die stillen Reserven in den Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens aber der Besteuerung bei den Gesellschaftern unterliegen. So kann die Übertragung nach § 6b EStG bei Veräußerungen zwischen Schwesterpersonengesellschaften genutzt werden oder auch bei Veräußerungen zwischen Gesellschafter und Gesellschaft. Natürlich ist nur eine Übertragung der anteilig auf den Gesellschafter entfallenden Gewinne auf die dem Gesellschafter anteilig zuzurechnenden Anschaffungskosten möglich. Bei Veräußerung zwischen beteiligungsidentischen Schwestergesellschaften kann es dann zu einer vollständigen Gewinnübertragung kommen.32 Dass dabei negative Wirkungen für das Kapitalkonto i.S.d. § 15a EStG eintreten können, muss bei derartigen Gestaltungen aber in Kauf genommen werden.

IV. Gewerbliche Prägung bei Einheits-GmbH & Co. KG 1. BFH-Urteil vom 13.7.2017 – IV R 42/14 (GmbHR 2017, 1158) Mit einem Urteil vom 13.7.2017 – IV R 42/1433 hat der BFH die überraschenderweise bislang noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage geklärt, ob eine Einheits-GmbH & Co. KG in ihrer typischen Ausgestaltung eine gewerblich geprägte Gesellschaft ist. Unter Verwendung einer Vorrats-GmbH & Co. KG wurde die klagende Einheits-GmbH & Co. KG gestaltet. Dies geschah dadurch, dass der Vorratskommanditist seine Anteile auf drei Familiengesellschafter übertrug und eine von diesen gegründete neue GmbH als weitere Komplementärin in die KG eintrat. Die Vorrats-Komplementär-GmbH schied mit Eintragung der neuen GmbH aus der KG aus. Anschließend brachten die Kommanditisten verschiedene Grundstücke in die KG ein, deren Verwaltung die einzige Geschäftstätigkeit der KG war. Außerdem wurde 32 Vgl. BMF v. 8.12.2011 – IV C 6 - S 2241/10/10002 – DOK 2011/0973858, BStBl. I 2011, 1279 = FR 2012, 49, Rz. 20. 33 BFH v. 13.7.2017 – IV R 42/14, GmbHR 2017, 1158.

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ein weiterer Familiengesellschafter durch Schenkung von Kommanditanteilen unter Nießbrauchsvorbehalt aufgenommen. Schließlich brachten die Kommanditisten ihre Geschäftsanteile an der KomplementärGmbH in die KG ein. Im Gesellschaftsvertrag der KG war geregelt, dass die Komplementärin die Geschäfte der KG führen sollte, von der Geschäftsführung aber in Bezug auf die Wahrnehmung der Rechte aus oder an den Anteilen der KG an der GmbH ausgeschlossen war. Die Rechte waren stattdessen von Kommanditisten aufgrund eines Beschlusses der Kommanditistenversammlung wahrzunehmen. Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, mit Ausscheiden der Vorrats-Komplementär-GmbH habe die KG ihren Gewerbebetrieb wegen Wegfalls der gewerblichen Prägung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG aufgegeben. Dies führe zur Aufdeckung der in den Grundstücken ruhenden stillen Reserven und anschließenden Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Gegen die entsprechend geänderten Einkünftefeststellungsbescheide erhob die KG nach erfolglosem Einspruch Klage. Das FG gab der Klage statt.34 Der BFH teilte die Auffassung des FG, dass Maßnahmen zur Ausübung der Gesellschafterrechte an der Komplementär-GmbH nicht zur Geschäftsführung der KG selbst gehörten. Nur die Einräumung von Geschäftsführungsbefugnissen eines Kommanditisten an der KG selbst lasse die gewerbliche Prägung entfallen. Das wirtschaftliche Gewicht der GmbH rechtfertige eine gewerbliche Prägung bei einer Einheits-GmbH & Co. KG wie bei der unstreitig gewerblich geprägten beteiligungsidentischen GmbH & Co. KG.

2. Geschäftsführung bei Einheits-GmbH & Co. KG Eine Einheits-GmbH & Co. KG entsteht dadurch, dass die KG nach ihrer Gründung mit einer Komplementär-GmbH die Anteile der bisherigen GmbH-Gesellschafter (häufig identisch mit den Kommanditisten) erwirbt. Wenn auch eine solche Einheitsgesellschaft noch weiter von der Vorstellung eines den Gläubigern für Schulden der KG persönlich haftenden Gesellschafters entfernt zu sein scheint, als es schon die normale GmbH & Co. KG ist, besteht gesellschaftsrechtlich heute kein

34 FG Münster v. 28.8.2014 – 3 K 743/13 F, EFG 2015, 121.

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Zweifel mehr an der Zulässigkeit dieser Konstruktion.35 Sie wird etwa von § 172 Abs. 6 und § 264c Abs. 4 Satz 1 HGB vorausgesetzt. Da die GmbH als Geschäftsführerin der KG auch die Rechte der KG als Gesellschafterin von Beteiligungsgesellschaften wahrzunehmen hat, müsste sie im Fall der Einheits-GmbH & Co. KG auch die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte an sich selbst übernehmen. Der Geschäftsführer der GmbH würde sich folglich selbst zu bestellen und anzuweisen haben. Diese Interessenkollision wird in der Praxis dadurch vermieden, dass Kommanditisten zur Wahrnehmung der Gesellschafterrechte an der Komplementär-GmbH ermächtigt werden. Wäre diese Ermächtigung als (Teil-)Geschäftsführung der KG zu beurteilen, würde sie die Prägewirkung der Komplementär-GmbH nach § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG beseitigen. Eine nur vermögensverwaltend tätige Einheits-GmbH & Co. KG würde dann nicht gewerbliche Einkünfte erzielen. Ist die gewerbliche Prägung Gestaltungsziel, könnte dann kein Gebrauch von der Einheits-GmbH & Co. KG gemacht werden. Dies ist aber nicht die Meinung des BFH. Er geht von der gesetzgeberischen Vorstellung aus, dass die GmbH die eigentliche Unternehmenstätigkeit entfaltet und dadurch die KG prägt.36 Zu dieser prägenden Unternehmenstätigkeit gehört die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte an der GmbH aber nach Ansicht des BFH nicht. In ihrer typischen Ausgestaltung ist die Einheits-GmbH & Co. KG deshalb eine gewerblich geprägte Gesellschaft.

V. Gewerbesteuerfragen bei Personengesellschaften 1. Unternehmensidentität bei gewerblich geprägter Personengesellschaft Die Fiktion gewerblicher Einkünfte durch § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG erstreckt sich auch auf die Gewerbesteuer, und zwar nicht nur unter dem Aspekt, dass der Gewinn als Gewerbeertrag i.S.d. § 7 Satz 1 GewStG zu erfassen ist, sondern darüber hinaus auch durch Fiktion eines Gewerbe35 Schmidt, Gesellschaftsrecht4, § 56 II 3 e. 36 Dieses Verständnis des Gesetzgebers war der Grund für die Schaffung des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, womit das frühere, aber zwischenzeitlich mit Beschl. des BFH v. 25.6.1984 – GrS 2/84, BStBl. II 1984, 751 aufgegebene Verständnis des BFH aufgegriffen wurde (vgl. BFH v. 10.7.1986 – IV R 12/81, BStBl. II 1986, 811 = FR 1986, 489).

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betriebs i.S.d. § 2 Abs. 1 GewStG. Da die gewerblich geprägte Gesellschaft zivilrechtlich eine Personengesellschaft ist, liegt es nahe, sie auch gewerbesteuerlich einer Personengesellschaft gleichzustellen. Andererseits könnte der Auslöser der Fiktion, nämlich die Prägung durch eine Kapitalgesellschaft, auch eine gewerbesteuerliche Gleichstellung mit einer Kapitalgesellschaft rechtfertigen. Die Frage ist von Bedeutung, weil sich die gewerbesteuerliche Behandlung von Kapital- und Personengesellschaften in mehreren Punkten unterscheidet. Einer der Punkte ist die Verlustverrechnung, um die es im Fall des BFH-Urteils vom 4.5.2017 – IV R 2/1437 ging. Kapitalgesellschaften können Verluste während der Dauer ihres Bestehens vollständig verrechnen, denn ihre Unternehmensidentität bleibt für die Dauer ihres Bestehens unverändert. Demgegenüber können gewerblich tätige Personengesellschaften die Identität ihres Gewerbebetriebs wechseln. Verlustvorträge können dann nur bei Beibehaltung der Identität mit künftigen Gewinnen verrechnet werden.

2. BFH-Urteil vom 4.5.2017 – IV R 2/14 (GmbHR 2017, 1276) Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, hatte ursprünglich in einer auf dem Boden eines Auskiesungsunternehmens errichteten und nur im Zusammenhang mit der Auskiesung genehmigten Produktionshalle Beton- und Zementprodukte hergestellt. Später handelte sie mit Zement und vermietete die Halle an ein Unternehmen, das dort Fertiggaragen herstellte und seinen Fertigbeton von einer Organgesellschaft der Klägerin bezog, die wiederum von der Klägerin beliefert wurde. Die Klägerin ließ die Lieferungen gegen Kostenerstattung von jährlich 12 000 Euro durch Personal des Auskiesungsunternehmens ausführen; eigenes Personal beschäftigte sie nicht. Im Jahr 2002 stellte die Mieterin die Produktion ein und kündigte das Mietverhältnis zum Ende des Jahres 2003; die Halle wurde von ihr im Dezember 2003 geräumt. Wegen der Produktionseinstellung geriet auch die Organgesellschaft in Schwierigkeiten und musste später liquidiert werden. Damit fielen zugleich die Lieferungen der Klägerin an die Organgesellschaft weg, so dass die Klägerin den Handel mit Zement zum 30.9.2003 einstellte. Im November 2003 beauftragte die Klägerin dann eine Unternehmensberatungsgesellschaft, die erforderlichen Anträge für einen Eintritt in die Genehmigung der Produktionsanlage zur Herstellung von Betonfertigsteinen zu stellen. Erst im Jahr 2005 nahm die Kläge-

37 BFH v. 4.5.2017 – IV R 2/14, GmbHR 2017, 1276.

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rin tatsächlich eine eigene Produktion von Betonsteinen in einem Teil der Halle auf; die übrigen Nutzflächen vermietete sie an Landwirte. Noch im Jahr 2003 war auf die Klägerin im Wege der Anwachsung das Vermögen einer als Bauträger und Immobilienverwalter tätigen KG übergegangen, zu dem ehemals zum Verkauf bestimmte, jetzt aber vermietete Grundstücke mit einem Wert von 1,74 Mio. Euro sowie Vorräte und unfertige Bauleistungen gehörten. Die durch die Anwachsung untergegangene KG beschäftigte 74 Arbeitnehmer. Für die Klägerin waren zum Ende der Jahre 2000–2002 vortragsfähige Gewerbeverluste festgestellt worden, die ausschließlich aus der Zurechnung von Verlusten der Organgesellschaft herrührten. Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Meinung, dass die Verlustvorträge im Jahr 2003 durch Wegfall der Unternehmensidentität untergegangen seien. Auch die Verluste des Jahres 2003 könnten nicht mit künftigen Gewinnen verrechnet werden. Dementsprechend wurde auf den 31.12.2003 nur ein vortragsfähiger Gewerbeverlust in Höhe des von der angewachsenen KG übernommenen Verlusts festgestellt. Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.38 Der BFH wies auch die Revision zurück und stimmte dem FG darin zu, dass eine Personengesellschaft Verluste nur unter der Voraussetzung der Unternehmensidentität verrechnen könne. Die Identität ergebe sich bei einer gewerblich geprägten Gesellschaft nicht wie bei Kapitalgesellschaften bereits aus der Rechtsform. Hier habe die Klägerin ihre originär gewerbliche Handelstätigkeit eingestellt, anschließend aus Vermögensverwaltung erzielte gewerbliche Einkünfte erzielt und dabei lediglich Vorbereitungshandlungen für eine spätere gewerbliche Tätigkeit vorgenommen.

3. Nutzung von Verlustvorträgen durch gewerblich geprägte Personengesellschaften Mit dem Urteil vom 4.5.2017 hat sich der BFH also dafür entschieden, die gewerblich geprägte Personengesellschaft nicht den Kapitalgesellschaften, sondern den gewerblich tätigen Personengesellschaften gleichzustellen. Die Hoffnung, eine dauerhafte Nutzbarkeit von Verlustvorträgen durch Wahl der Rechtsform einer gewerblich geprägten Personengesellschaft – also typischerweise einer GmbH & Co. KG – erreichen zu können, haben sich damit nicht erfüllt. 38 FG Köln v. 15.10.2013 – 7 K 265/08, EFG 2014, 473.

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Sollte die GmbH & Co. KG dazu verhelfen, Verlustvorträge über Unternehmensumstrukturierungen hinweg nutzbar zu halten, kann sie die Funktion nach der hiesigen Entscheidung des BFH allein aufgrund ihrer Rechtsform nicht erfüllen. Dennoch kann die Wahl der Rechtsform den Erhalt von Verlustvorträgen im Einzelfall erleichtern. Zunächst einmal kann jede Personengesellschaft mehrere Gewerbetriebe gleichzeitig unterhalten39 und gleicht darin der Kapitalgesellschaft, während verschiedene Gewerbetriebe eines Einzelunternehmers gewerbesteuerrechtlich isoliert betrachtet werden. Kann eine Unternehmensumstrukturierung in der Weise stattfinden, dass die künftig allein geplante gewinnträchtige Tätigkeit zunächst für eine gewisse Zeit parallel zu der verlustbringenden einzustellenden Tätigkeit ausgeübt wird, kann darin ein schleichender und der Verlustverrechnung nicht schadender Wechsel der Unternehmensidentität zu sehen sein. Dabei dürfen die Tätigkeiten allerdings nicht als Teilbetriebe organisiert sein, weil bei Aufgabe eines Teilbetriebs dessen Unternehmensidentität und damit der zu ihm gehörende Verlustvortrag untergeht.40 Hierbei kann nun eine gewerblich geprägte Personengesellschaft weiteres Gestaltungspotenzial schaffen, indem als neue gewinnbringende Tätigkeit auch eine mit der Haupttätigkeit nicht verbundene rein vermögensverwaltende Tätigkeit gewählt werden kann. Wird diese bereits neben der auslaufenden originär gewerblichen Tätigkeit aufgenommen und nicht nur für eine kurze Übergangszeit gleichzeitig mit ihr betrieben, können nicht nur in dieser Zeit die neu auflaufenden Verluste mit den Gewinnen aus der Vermögensverwaltung verrechnet, sondern nach Auslaufen der Verlusttätigkeit verbliebene Verlustvorträge in den Grenzen des § 10a GewStG von späteren Gewinnen abgezogen werden. Im vom BFH hier entschiedenen Fall lagen diese Voraussetzungen nicht vor, weil die zur Zeit der auslaufenden Haupttätigkeit betriebene Vermögensverwaltung mit der Haupttätigkeit untrennbar verbunden war.

4. Beginn des Gewerbebetriebs bei mehrstöckiger Personengesellschaft a) Gewerbesteuerlicher Betriebsbeginn Das Einkommensteuerrecht berücksichtigt Betriebseinnahmen und -ausgaben, die vor Aufnahme oder nach Beendigung des werbenden Be39 Dazu jüngst BFH v. 13.4.2017 – IV R 49/15, FR 2017, 1022. 40 BFH v. 7.8.2008 – IV R 86/05, BStBl. II 2012, 145 = FR 2009, 243.

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triebs anfallen, während das an den werbenden Betrieb anknüpfende GewSt-Recht auch nur die in der betreffenden Zeit anfallenden Betriebseinnahmen und -ausgaben erfasst. Vorweggenommene Betriebsausgaben führen deshalb nicht zu einem negativen Gewerbeertrag, nachlaufende Betriebseinnahmen nicht zu einem positiven Gewerbeertrag. Dieses System gilt allerdings nicht für Kapitalgesellschaften. Da deren Tätigkeit immer und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb gilt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG), werden auch alle während der Existenz der Kapitalgesellschaft anfallenden Einnahmen und Ausgaben gewerbesteuerlich berücksichtigt. Verfassungsrechtlich wird die ungleiche Behandlung von Kapital- und Personenunternehmen als durch die unterschiedliche Rechtsform gerechtfertigt angesehen.41 Aber auch innerhalb der gewerblichen Personenunternehmen stellen sich Abgrenzungsfragen in Bezug auf Beginn und Ende des Gewerbebetriebs, nämlich dann, wenn die Tätigkeit selbst keinen Gewerbebetrieb begründen würde und nur wegen der Rechtsform des Personenunternehmens als gewerblich geprägte Gesellschaft gem. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG als Gewerbebetrieb gilt. Um eine solche Abgrenzung ging es im nachstehend erläuterten BFH-Urteil.42 b) BFH-Urteil vom 12.5.2016 – IV R 1/13 (BStBl. II 2017, 489) Die klagende GmbH & Co. KG war ein Dachfonds, der Beteiligungen an sechs Ein-Schiff-KG (Zielfonds) halten sollte. Im Februar 2006 wurden diese Beteiligungen erworben. Das erste Schiff eines Zielfonds wurde Ende März 2006 von der Werft abgeliefert. Seit ihrer Gründung im Jahr 2005 hatte die Dachfonds-KG ein Kontokorrentkonto bei einer Bank geführt, das gering verzinst wurde. Auf diesem Konto hatten die Gründungskommanditisten ihre Einlagen von je 1000 Euro eingezahlt. Nach Beginn der Einwerbung von Anlagekapital im Januar 2006 durch Gründungskommanditisten gingen auf diesem Konto die Einlagen der Anleger ein. Mitte März 2006 legte die KG daraus für eine Woche ein Termingeld von 850 000 Euro an. Für die Einwerbung des Kapitals erhielten Gründungskommanditisten Provisionen, die in der Gewinnfeststellungserklärung der KG für das 41 BVerfG, Beschl. v. 24.3.2010 – 1 BvR 2130/09, FR 2010, 670. 42 BFH v. 12.5.2016 – IV R 1/13, BStBl. II 2017, 489 = FR 2017, 24 mit Anm. etwa von Brill, EStB 2016, 442; Fiedler, DStRK 2017, 10; Pfützenreuter, jurisPRSteuerR 3/2017 Anm. 4; Wendt, FR 2017, 28; Wendt, BFH/PR 2017, 58.

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Jahr 2006 als Sonderbetriebseinnahmen behandelt wurden. In ihrer GewSt-Erklärung berücksichtigte die KG die Beträge jedoch nicht, weil sie der Auffassung war, die Sonderbetriebseinnahmen seien vor Eröffnung des Gewerbebetriebs angefallen. Das FA war der Meinung, die KG sei eine gewerblich geprägte Personengesellschaft, deren Gewerbebetrieb bereits mit den ersten vermögensverwaltenden Tätigkeiten begonnen habe, weshalb die Sonderbetriebseinnahmen zum Gewerbeertrag der KG im Jahr 2006 gehörten. Die gegen den GewSt-Messbescheid erhobene Klage hatte vor dem FG keinen Erfolg.43 Der BFH hob das Urteil auf und verwies das Verfahren an das FG zurück, weil noch Feststellungen zum genauen Beginn des Gewerbebetriebs zu treffen seien. Denn der Betrieb der KG als Holdinggesellschaft könne nicht vor dem Betrieb der ersten Beteiligungsgesellschaft begonnen haben. Dass die KG gewerblich geprägt gewesen sei, führe nicht zu einem früheren Beginn des Betriebs. Zwar beginne der Betrieb einer vermögensverwaltenden gewerblich geprägten Gesellschaft mit der Aufnahme der vermögensverwaltenden Tätigkeit. Sei die Vermögensverwaltung aber nur Vorbereitungshandlung für eine originäre gewerbliche Tätigkeit, müsse auf deren Beginn abgestellt werden. c) Beginn des Gewerbebetriebs bei zwischengeschalteter Vermögensverwaltung Betreibt eine gewerblich tätige Personengesellschaft u.a. auch Vermögensverwaltung, ist sie keine gewerblich geprägte Gesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, weil dort vorausgesetzt wird, dass die Gesellschaft (überhaupt) keine gewerbliche Tätigkeit entfaltet. Nimmt eine solche Gesellschaft ihre gewerbliche Tätigkeit auf, beginnt damit auch der gewerbesteuerliche Betrieb. Was gilt aber in dem Fall, dass diese Gesellschaft vor Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit noch Vermögensverwaltung betreibt: beginnt der Gewerbebetrieb dann mit dem Beginn der Vermögensverwaltung oder doch auch erst später mit der Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit? Die Beantwortung der Frage hat Bedeutung für die gewerbesteuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen und Erträgen in der Phase der vorgeschalteten Vermögensverwaltung.

43 Nds. FG v. 23.3.2012 – 1 K 275/09, DB 2013, 1031.

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Für „echte“ gewerblich geprägte Personengesellschaften hat der BFH bereits früher entschieden, dass deren gewerbesteuerlicher Betrieb mit Aufnahme der vermögensverwaltenden Tätigkeit beginnt.44 Da eine solche Gesellschaft keine gewerbliche Tätigkeit betreibt, kann auch nicht an deren Aufnahme angeknüpft werden. Es verbleibt dann nur die Aufnahme der vermögensverwaltenden Tätigkeit als Anknüpfungspunkt. Bei Personengesellschaften, die einen eigenen Gewerbebetrieb unterhalten, ist jedoch an die Aufnahme dessen werbender Tätigkeit anzuknüpfen. Wenn im Vorbereitungsstadium schon Vermögen verwaltet wird, wie im Urteilsfall etwa durch Verzinsung schon bestehender betrieblicher Bankkonten, findet dies noch außerhalb der gewerbesteuerlichen Sphäre des werbenden Betriebs statt. Die Handhabung des BFH könnte den Eindruck erwecken, es sei möglich, einer vermögensverwaltenden Tätigkeit eine gewerbliche Tätigkeit nachfolgen zu lassen, um so die Vermögensverwaltung als Vorbereitungshandlung deklarieren zu können. Die Ausführungen in dem Urteil machen aber deutlich, dass bei einem derart gestalteten Sachverhalt zu untersuchen ist, ob nicht zwei aufeinander folgende Gewerbebetriebe anzunehmen sind, nämlich zunächst ein fiktiver Gewerbebetrieb kraft gewerblicher Prägung und anschließend ein originärer Gewerbebetrieb.45 War die Vermögensanlage nicht nur ein notwendiges Durchgangsstadium zur Aufnahme der gewerblichen Tätigkeit, sondern sollte sie – wenn auch nur zeitweise – Haupttätigkeit der Gesellschaft sein, ist von zwei Gewerbebetrieben auszugehen. Dies zeigt, dass für die Rechtsanwendungspraxis die eigentliche Herausforderung nicht in der Beantwortung der Rechtsfragen, sondern in der Aufklärung des Sachverhalts liegen wird. Besonderheit des Urteilsfalls war es, dass der Gewerbebetrieb der Personengesellschaft ausschließlich in der mitunternehmerschaftlichen Beteiligung an anderen Personengesellschaften bestand. In einem solchen Fall beginnt der gewerbesteuerliche Betrieb der (Ober-)Personengesellschaft dann, wenn der Betrieb der ersten Beteiligungsgesellschaft beginnt.

44 BFH v. 20.11.2003 – IV R 5/02, BStBl. II 2004, 464 = FR 2004, 644. 45 BFH v. 12.5.2016 – IV R 1/13, BStBl. II 2017, 489 = FR 2017, 24 Rz. 34.

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5. Gewerbesteuerfragen bei KG & Still a) Ertragsteuerliche Behandlung atypisch stiller Gesellschaften Atypisch stille Gesellschaften werden vom BFH als eigenständiges Gewinnermittlungssubjekt behandelt.46 Sowohl für den Betrieb des Inhabers des Handelsgewerbes (Prinzipal) als auch für die atypisch stille Gesellschaft selbst ist steuerlich ein Gewinn zu ermitteln.47 Besteht die Beteiligung an dem ganzen Betrieb des Prinzipals, ist der gemeinschaftlich erzielte Gewinn der atypisch stillen Gesellschaft identisch mit dem Gewinn des Prinzipals. Er wird dann aber noch um Sondervergütungen, Sonderbilanz- und Ergänzungsbilanzergebnisse ergänzt. Die der ESt oder KSt unterliegenden Einkünfte des Prinzipals ergeben sich nicht aus der für seinen Betrieb aufgestellten Gewinnermittlung, sondern aus seinem Anteil am Gewinn der atypisch stillen Gesellschaft. Die Gewinnfeststellung für die atypisch stille Gesellschaft ist dementsprechend Grundlagenbescheid für den ESt- bzw. KSt-Bescheid des Prinzipals. Diese bereits komplexe Handhabung bei der ESt und KSt erfährt gewerbesteuerlich noch eine Steigerung dadurch, dass die atypisch stille Gesellschaft anders als eine Außenpersonengesellschaft nicht Steuerschuldner i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG ist. Steuerschuldner ist vielmehr der Prinzipal.48 Gewerbesteuerlich gerät der Prinzipal damit in eine Doppelrolle, nämlich als Steuerschuldner für sein eigenes Unternehmen und für den Betrieb der atypisch stillen Gesellschaft. Auf damit zusammenhängende verfahrensrechtliche Fragen bezog sich der Fall des BFH-Urteils vom 8.12.2016 – IV R 8/1449. Materiell war Auslöser für den Rechtsstreit die weitere gewerbesteuerrechtliche Folge der Doppelbetrachtung, dass kein umfassender Verlustausgleich zwischen dem Betrieb des Prinzipals und der atypisch stillen Gesellschaft möglich ist. b) BFH-Urteil vom 8.12.2016 – IV R 8/14 (BStBl. II 2017, 538) An einer KG hatten sich Kommanditisten zugleich als atypisch stille Gesellschafter beteiligt. Die KG gab im Jahr 2003 eine Gewerbesteuerer46 47 48 49

BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328 = FR 1997, 444. S. zu diesen Fragen etwa Wendt, StbJb. 2014/2015, 3 (7). BFH v. 12.11.1985 – VIII R 364/83, BStBl. II 1986, 311 = FR 1986, 244. BFH v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BStBl. II 2017, 538 = FR 2017, 693 mit Anm. insbes. von Behrens, BB 2017, 994, 696; Nöcker, FR 2017, 696; Paus, EStB 2017, 284; Schießl, jurisPR-SteuerR 13/2017 Anm. 4; Suchanek, GmbHR 2017, 292; Weiss, EStB 2017, 102; Wendt, BFH/PR 2017, 151.

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klärung für das Streitjahr 2002 ab. Das FA erließ einen GewSt-Messbescheid gegenüber der KG. Nach einer im Jahr 2004 durchgeführten und abgeschlossenen Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, mit Beteiligung der stillen Gesellschafter sei eine zweite Personengesellschaft KG & Still als Untergesellschaft der KG entstanden, deren Gewerbeertrag nicht mit Verlustvorträgen der KG verrechnet werden könne. Es erließ neben dem bestehenbleibenden GewSt-Messbescheid für die KG unter einer zweiten Steuernummer einen weiteren GewSt-Messbescheid für die KG & Still. Dieser Bescheid wurde erfolgreich angefochten; das FG hielt ihn wegen nicht hinreichender Bestimmung des Inhaltsadressaten für nichtig.50 Daraufhin erließ das FA im Jahr 2009 erneut einen GewSt-Messbescheid, der an die KG als Inhaber des Handelsgewerbes für die mit den atypisch still Beteiligten gebildete KG & Still gerichtet war. Auch die dagegen gerichtete Klage war vor dem FG erfolgreich.51 Das FG war der Auffassung, es sei Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres 2008 eingetreten. Mit Abgabe der Steuererklärung für den gesamten Betrieb der KG habe die Anlaufhemmung für die Festsetzungsfrist geendet. Dieser Auffassung war der BFH nur im Ergebnis und wies deshalb die Revision des FA zurück. Es hätten – wie zuletzt vom FA vertreten – zwei GewSt-Erklärungen abgegeben werden müssen, denn sowohl die KG als auch die Stille Gesellschaft hätten einen Gewerbebetrieb unterhalten. Die tatsächlich abgegebene Steuererklärung habe den Betrieb der Stillen Gesellschaft betroffen, auf den sich der jetzt angefochtene Bescheid beziehe. Mit Abgabe der Erklärung habe die Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung geendet: Die Festsetzungsfrist sei deshalb vor Erlass des Bescheids abgelaufen. c) Eigenständige gewerbesteuerliche Behandlung von Prinzipalgesellschaft und atypisch stiller Gesellschaft Bis zu dem hier vorgestellten Urteil des BFH war nicht klar, ob für eine Gesellschaft als Inhaber des Handelsgewerbes und die atypisch stille Gesellschaft in jedem Fall eigenständige GewSt-Erklärungen abzugeben und eigenständige GewSt-Messbeträge festzusetzen sind. Diese Frage bejaht der BFH nun für eine Personengesellschaft & atypisch Still. Im

50 FG Münster v. 22.4.2009 – 7 K 5333/06 G, n.v. 51 FG Münster v. 27.6.2012 – 7 K 3732/10 G, EFG 2012, 1956.

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Ergebnis lassen sich die Urteilsgründe auch auf atypisch stille Beteiligungen an Kapitalgesellschaften übertragen. Für jeden Gewerbebetrieb i.S.d. § 2 GewStG muss eine GewSt-Erklärung abgegeben und ein GewSt-Messbetrag festgesetzt werden. Da der BFH bereits in der Vergangenheit davon ausgegangen ist, dass der Gewerbebetrieb des Inhabers des Handelsgewerbes der atypisch stillen Gesellschaft für die Dauer ihrer Existenz zuzurechnen ist, muss folgerichtig für die stille Gesellschaft eine GewSt-Erklärung abgegeben werden. Darüber hinaus besteht nach dem hiesigen Urteil des BFH bei einer stillen Beteiligung an einer Personengesellschaft aber auch eine Pflicht zur Abgabe einer GewSt-Erklärung für die Personengesellschaft selbst. Diese unterhält zumindest in Gestalt ihrer Beteiligung an der stillen Gesellschaft einen Betrieb, der nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als Gewerbebetrieb gilt. Ähnlich ist es bei einer stillen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, weil eine Kapitalgesellschaft nach § 8 Abs. 2 KStG immer einen Gewerbebetrieb unterhält, selbst wenn er nur in der Beteiligung an einer stillen Gesellschaft besteht. Auch wenn damit zwei GewSt-Erklärungen abzugeben und zwei GewStMessbeträge festzustellen sind, besteht nicht die Gefahr einer doppelten GewSt-Belastung. Denn die Beteiligungserträge der Obergesellschaft werden nach § 9 Nr. 2 GewStG gekürzt. Man mag sich deshalb fragen, ob mit der Durchführung von zwei Verwaltungsverfahren zur Festsetzung von Steuermessbeträgen nicht ein vollkommen überflüssiger Aufwand betrieben wird. Es wird im Einzelfall so sein können, dass auf der Ebene der Obergesellschaft wegen der Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG immer nur ein Gewerbesteuermessbetrag von 0 Euro festzusetzen ist. Es kann aber auch anders gelagerte Fälle geben, etwa wenn die Obergesellschaft nicht ihren ganzen Betrieb, sondern nur Teile davon der stillen Gesellschaft widmet („tracking stocks“). Ist Inhaber des Handelsgewerbes eine Personengesellschaft, können auch Sonderbetriebsergebnisse ihrer Gesellschafter zu berücksichtigen sein. Hat die Obergesellschaft gewerbesteuerliche Verlustvorträge, müssen diese fortentwickelt werden.52 Die getrennte Betrachtung des Inhabers des Handelsgewerbes und der atypisch stillen Gesellschaft ist danach gewerbesteuerlich unvermeidlich. Nicht anders ist übrigens die Handhabung bei der ESt bzw. KSt. 52 Zur Verlustverrechnung bei einer Personengesellschaft & Still vgl. BFH v. 24.4.2014 – IV R 34/10, BStBl. II 2017, 233 = FR 2014, 863.

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Die Obergesellschaft bezieht auch insoweit Einkünfte aus der Beteiligung an der stillen Gesellschaft, die in einem eigenständigen Gewinnfeststellungsverfahren mit Bindungswirkung für die Gewinnfeststellung der Oberpersonengesellschaft bzw. für die KSt der Oberkapitalgesellschaft festgestellt werden.53 Konsequenterweise wird man heute wohl auch auf jeder Ebene eine steuerliche E-Bilanz aufstellen müssen. In der Vergangenheit wird meist nur eine GewSt-Erklärung abgegeben und nur ein GewSt-Messbetrag festgesetzt worden sein. Soweit dies nun als fehlerhaft zu beurteilen ist, muss durch Auslegung des Bescheids geklärt werden, gegenüber wem der Messbetrag festgesetzt worden ist. Eine fehlende Festsetzung ist ggf. nachzuholen. Dabei wird der Ablauf der Festsetzungsfrist zu beachten sein. Dieser ist abhängig von der Dauer der Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, also von der Abgabe der „richtigen“ Steuererklärung. Enthält die Steuererklärung – wie im Urteilsfall – auf den Gewerbeertrag der stillen Gesellschaft bezogene Angaben, wird von einer Abgabe für die stille Gesellschaft auszugehen sein. Die Urteilsgrundsätze gelten nicht für eine Einzelperson als Inhaber des Handelsgewerbes. Diese erzielt nur mitunternehmerische Einkünfte aus Gewerbebetrieb und unterhält daneben nach st.Rspr. nicht auch noch einen „Beteiligungsbetrieb“. Dort gibt es gewerbesteuerlich nur einen Betrieb auf Ebene der stillen Gesellschaft, so dass auch nur für diese ein GewSt-Messbetrag festzustellen ist.

53 Vgl. z.B. BFH v. 12.2.2015 – IV R 48/11, BFH/NV 2015, 1075 = GmbHR 2015, 948; v. 21.10.2015 – IV R 43/12, BStBl. II 2016, 517.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Unternehmenssteuerrecht der Kapitalgesellschaften1 Dr. Peter Brandis Richter am BFH, München I. § 8b KStG 1. Veräußerungskosten nach § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bei ausschließlich auf Anteilsveräußerungen ausgerichtetem Geschäftsbetrieb 2. Zur Anwendung des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auf nach § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG steuerfreie Gewinnausschüttungen II. § 8c KStG – Verlustabzugsverbot bei schädlichem Beteiligungserwerb (Erwerbergruppe) III. Organschaft 1. Gewinngemeinschaftsvertrag als Mitunternehmerschaft 2. Mindestlaufzeit eines Gewinnabführungsvertrags bei körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft

3. Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft 4. Rechtsfragen bei Mehr-/Minderabführungen im Zusammenhang mit dem Einlagekonto (§ 27 KStG) 5. Weitere – in Kürze bekannt werdende – Entscheidungen im Zusammenhang mit der ertragsteuerrechtlichen Organschaft IV. Verdeckte Gewinnausschüttung 1. vGA bei nicht kostendeckender teilweiser Vermietung eines Gebäudes (Einfamilienhauses) an den GesellschafterGeschäftsführer 2. Sog. Überversorgung 3. Sog. Erdienensdauer bei einer Unterstützungskassenzusage

1 Der Bericht spart die thematisch Spezialvorträgen der Tagung zuzuordnenden Entscheidungen des I. Senats des BFH aus (s. zu Rückstellungen [Hörhammer/ Hennrichs] die Entscheidungen I R 17/15, I R 23/15, I R 43/15, I R 35/15, I R 70/15 und I R 11/15; zur Besteuerung der KGaA [Lang/Hageböke] die Entscheidungen I R 57/14 und I R 41/16).

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I. § 8b KStG 1. Veräußerungskosten nach § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bei ausschließlich auf Anteilsveräußerungen ausgerichtetem Geschäftsbetrieb Das BFH-Urteil vom 15.6.20162 hat zu Veräußerungskosten nach § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG bei ausschließlich auf Anteilsveräußerungen ausgerichtetem Geschäftsbetrieb Folgendes entschieden:3 „1. Der Senat hält daran fest, dass als „Erwerb“ i.S.v. § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG nur ein abgeleiteter Erwerb angesehen werden kann, der voraussetzt, dass Anteile an den Gesellschaften durch einen Übertragungsakt von einem Dritten erworben wurden (Senatsurteil v. 3.5.2006 – I R 100/05, BFHE 214, 90 = BStBl. II 2007, 60 = GmbHR 2006, 1107; Senatsbeschluss v. 12.10.2010 – I B 82/10, BFH/NV 2011, 69 = GmbHR 2011, 95). 2. Zu den Veräußerungskosten i.S.v. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG gehören alle Aufwendungen, die durch die Veräußerung der Anteile veranlasst sind (Senatsurteile v. 12.3.2014 – I R 45/13, BFHE 245, 25 = BStBl. II 2014, 719 = FR 2014, 808; v. 9.4.2014 – I R 52/12, BFHE 245, 59 = BStBl. II 2014, 861 = FR 2014, 803). 3. Hiernach sind auch Gemeinkosten jedenfalls dann als Veräußerungskosten zu qualifizieren, wenn der Geschäftszweck einer Kapitalgesellschaft ausschließlich darin besteht, Vorratsgesellschaften zu gründen und die hierbei erlangten Anteile zu veräußern.“

Zum Sachverhalt: Die klagende AG ist Organträgerin der A AG, die ihrerseits wiederum Organträgerin für weitere Gesellschaften ist. Geschäftsgegenstand der A AG und ihrer Organgesellschaften ist die Gründung und der Vertrieb von Vorratsgesellschaften (nahezu ausnahmslos Kapitalgesellschaften). Im Streitjahr 2009 fielen bei der A AG nach § 8b Abs. 2 KStG steuerfreie Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen an (Berechnung unter Ansatz von Veräußerungskosten i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG: Notarkosten, Gerichtskosten, etwaige Sonderkosten [z.B. IHK-Beiträge oder Kosten für den elektronischen Bundesanzeiger] und die Kapitaleinlagen). Ihre sonstigen Verwaltungsaufwendungen (wie z.B. Mieten für Geschäftsräume, Personalkosten und sonstige laufende 2 BFH v. 15.6.2016 – I R 64/14, BFHE 254, 291 = BStBl. II 2017, 182 = FR 2016, 1051 = DStR 2016, 2335; Anmerkungen: Adrian, StuB 2016, 849; Brandis, BFH/ PR 2017, 23; jh, StuB 2016, 798; Märtens, jurisPR-SteuerR 46/2016 Anm. 6; Rödder/Drüen, StbJb. 2016/2017, 40; Scholz/Riedel, FR 2016, 1040; TK, DStZ 2016, 845. 3 Ergänzungen/aktuelle Nachträge zur Fallerörterung von Rödder/Drüen, StbJb. 2016/2017, 40.

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Aufwendungen ihres Geschäftsbetriebs) minderten als allgemeine Betriebsausgaben der Gesellschaft das der Klägerin zuzurechnende (steuerpflichtige) Einkommen der A AG. Das FA meinte, dass wegen des Geschäftsgegenstandes der A AG 95 % aller Betriebsausgaben als Veräußerungskosten i.S.d. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG anzusehen seien (Minderung der der Klägerin zuzurechnenden steuerfreien Gewinne); mit dem Abschlag (5 %) solle dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Gesellschaft in geringem Umfang auch Personengesellschaftsanteile veräußert worden seien. Das FG war anderer Ansicht und gab der Klage statt (FG Köln v. 1.10.2014 – 10 K 3593/12, EFG 2015, 151). Der BFH hob das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab. Hinweise: a) Kennzeichen des aktuellen Körperschaftsteuersystems ist die Trennung der Besteuerung von Gesellschaft einer- und Anteilseigner andererseits (mit dortiger Entlastung, sog. shareholder relief). Ist der Anteilseigner ebenfalls eine Körperschaft, wird eine weitere Besteuerung auf der Gesellschaftsebene bei dieser durch eine Steuerfreistellung (sowohl laufender Bezüge als auch anteilsbezogener Veräußerungsgewinne) verhindert (§ 8b Abs. 1, 2 KStG), allerdings mit Blick auf § 8b Abs. 3, 5 KStG (sog. Schachtelstrafe als gesetzliche Fiktion nichtabziehbarer Betriebsausgaben) nur i.H.v. 95 %. Bei Organschaft (§ 14 KStG) ist § 8b KStG grds. erst auf der Ebene des Organträgers anzuwenden (sog. Bruttomethode, s. § 15 Satz 1 Nr. 2 KStG), um die Steuerfreistellung personell auf Körperschaften als Organträger zu beschränken. Dies alles ist für sog. Finanzunternehmen (§ 8b Abs. 7 Satz 2 KStG) anders: Die Steuerfreistellung ist nicht anzuwenden und bei Organschaft sind die Steuerfolgen schon bei der finanzunternehmerischen Organgesellschaft zu ziehen (sog. Nettomethode – es geht um eine zielgenaue Anwendung des § 8b Abs. 7 KStG auf das konkrete Unternehmen). Nach der Änderung durch Gesetz vom 20.12.2016 (anzuwenden „auf Anteile, die nach dem 31.12.2016 dem Betriebsvermögen zugehen“, s. § 34 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 KStG) ist § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG mit Wirkung ab 2017 (aber anteilsbezogen!) zielgenauer auf Kreditinstitute bzw. Finanzdienstleistungsunternehmen (und ihre Beteiligungsgesellschaften) ausgerichtet worden, so dass der persönliche Anwendungsbereich eingeschränkt wird. b) Auf dieser Grundlage bestand zunächst Anlass, den Anwendungsbereich des § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG (a.F.) zu klären: Der BFH bestätigt frühere Rechtsprechung, dass auf der Grundlage einer normspezifischen Auslegung als „Erwerb“ i.S.v. § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG nur ein abgeleiteter Erwerb angesehen werden kann. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn An59

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teile an den veräußerten Gesellschaften durch einen Übertragungsakt von einem Dritten erworben wurden. Die eigenständige Errichtung einer Gesellschaft und die anschließende Veräußerung ist daher nicht tatbestandlich i.S.d. § 8b Abs. 7 Satz 2 KStG, so dass im Grundsatz bei der Besteuerung der Klägerin als Organträgerin eine Veräußerungsgewinnbefreiung nach § 8b Abs. 2 KStG in Betracht kam. c) Die Ermittlung des (steuerfreien) Veräußerungsgewinns ist in § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG klar geregelt: Vom Veräußerungspreis sind Veräußerungskosten und der Buchwert des Anteils abzuziehen (vereinfacht). Wenn die Veräußerungskosten damit für die (außerbilanzielle) Einkommensermittlung in die Steuerfreistellung „einbezogen“ werden, ist aber auch gesagt, dass sie nicht zugleich außerhalb dieser Struktur einkommensmindernd wirken. Die Frage, in welchem Umfang dies zu geschehen hatte, war Kernpunkt des Rechtsstreits. d) Der BFH verweist zunächst bestätigend auf frühere Rechtsprechung, dass für den Begriff der Veräußerungskosten auf das Veranlassungsprinzip zurückzugreifen ist: Zu den Veräußerungskosten i.S.v. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG gehören alle Aufwendungen, die durch die Veräußerung der Anteile veranlasst sind. Dies schließt die Einbeziehung von sog. Gemeinkosten (z.B. allgemeine Verwaltungs-, Raum- oder Personalkosten) nicht von vornherein aus. Allerdings wird man bei einer „wertenden“ Betrachtung des die Aufwendungen „auslösenden Moments“ (s. zuletzt BFH v. 6.4.2016 – I R 61/14, BStBl. II 2017, 48 = FR 2016, 911 zum Begriff „wirtschaftlicher Zusammenhang“ in § 34c Abs. 1 Satz 4 EStG) im Normalfall zu der Lösung kommen, dass die hier streitigen Mieten für Geschäftsräume, Personalkosten und sonstige laufende Aufwendungen des Geschäftsbetriebs mit dem einzelnen Geschäftsvorfall der Anteilsveräußerung nicht in einem Veranlassungszusammenhang stehen, vielmehr allgemein mit der Geschäftstätigkeit des Steuersubjekts zusammenhängen. Der BFH sieht nach den konkreten Sachumständen allerdings einen Sonderfall (s.a. Rödder/Drüen, StbJb. 2016/2017, 40 [42]), der abweichend zu würdigen ist: Gemeinkosten sind jedenfalls dann als Veräußerungskosten zu qualifizieren, wenn der Geschäftszweck einer Kapitalgesellschaft ausschließlich darin besteht, Vorratsgesellschaften zu gründen und die hierbei erlangten Anteile zu veräußern. Dazu wird angeführt, dass es sich in diesem Fall bei den Gemeinkosten des Geschäftsbetriebs zugleich um Kosten handele, die den einzelnen Veräußerungsvorgängen (in ihrer Gesamtheit) zuzuordnen seien. Die Gemeinkosten ließen sich zwar keinem Veräußerungsvorgang konkret zuordnen – dies sei aber auch nicht 60

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erforderlich. Im Übrigen sei eine Zuordnung auch nicht unter dem Aspekt ausgeschlossen, dass jene Gemeinkosten auch dann anfallen würden, wenn keine Beteiligungen veräußert würden. Darüber hinaus wird im juris-Orientierungssatz (zu Leitsatz 3) herausgestellt: „Die Rechtsprechung des BFH zu sog. fehlgeschlagenen Veräußerungskosten, wonach bei Scheitern eines angestrebten bestimmten Veräußerungsgeschäfts die hierdurch ausgelösten Aufwendungen nicht als Veräußerungskosten eingestuft werden können, bestätigt das gefundene Ergebnis. Im Unterschied zu den Fällen einer fehlgeschlagenen Veräußerung ist es im Urteilsfall zu Veräußerungen gekommen und die Aufwendungen sind grundsätzlich zuordenbar.“

e) Der BFH hält im Übrigen die vom FG aufgestellte Kontrollüberlegung für nicht tragfähig, wonach bei einer unmittelbaren Ansiedelung des Geschäftsbereichs „Veräußerung von Vorratsgesellschaften“ auf Ebene der Organträgerin selbst deren allgemeine Verwaltungsaufwendungen in einen als Veräußerungskosten zu qualifizierenden und einen als steuerlich abzugsfähige Betriebsausgaben zu berücksichtigenden Teil aufzuteilen wären – denn die rechtlichen Wirkungen eines körperschaftsteuerlichen Organschaftsverhältnisses bestehen gerade darin, dass die Organgesellschaft ein eigenständiges Körperschaftsteuersubjekt bleibt und erst das selbständig ermittelte Einkommen der Organgesellschaft dem Organträger gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zugerechnet wird (sog. Zurechnungstheorie). f) Klargestellt wird unter Verweis auf frühere Rechtsprechung im Übrigen auch, dass der gesetzlich angeordnete Abzug der Veräußerungskosten in § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG mit § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG (sog. Schachtelstrafe) vereinbar ist. Der Wortlaut der angesprochenen Normen ist eindeutig und es besteht für eine teleologisch einschränkende Auslegung keine Veranlassung.

2. Zur Anwendung des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auf nach § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG steuerfreie Gewinnausschüttungen Das BFH-Urteil v. 26.4.20174 hat zur Anwendung des § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auf nach § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG steuerfreie Gewinnausschüttungen entschieden: 4 BFH v. 26.4.2017 – I R 84/15, BFHE 258, 310 = FR 2017, 1142 = DStR 2017, 2035; Anmerkungen: Adrian, StuB 2017, 810; Brandis, BFH/PR 2017, 400; Früchtl, IStR 2017, 995; Haase, Ubg. 2018, 57; Hielscher, BB 2017, 2536; Kahlenberg, IStR 2017, 873; Kahlenberg, NWB 2018, 630; Lange/Roßmann, DStRK 2017, 311; Lieber, IWB 2017, 714; Oertel, Ubg. 2018, 59; Schmitz-Herscheidt,

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften „Das in § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG geregelte pauschale Betriebsausgabenabzugsverbot ist auf Gewinnausschüttungen anzuwenden, die nach § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG steuerfrei geblieben wären.“

Zum Sachverhalt: Die klagende GmbH ist an einer schweizerischen AG zu 100 % beteiligt. Insoweit setzte das FA für 2006 bis 2009 steuerpflichtige Hinzurechnungsbeträge (§ 10 Abs. 2 AStG) von Z Euro an. Im Jahr 2009 (Streitjahr) schüttete die AG Y Euro an die GmbH aus. Die GmbH deklarierte insoweit zunächst einen zu 95 % (§ 8b Abs. 5 Satz 1 KStG) steuerfreien Ertrag (§ 8b Abs. 1 KStG). Später beantragte sie, i.H.v. Z Euro von einem insgesamt steuerfreien Ertrag auszugehen (Hinweis auf einen Vorrang des § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG). Das FA berücksichtigte weiterhin eine Hinzurechnung nach § 8b Abs. 5 KStG. Im Einspruchsverfahren beantragte die AG, den Bescheid über die gesonderte Feststellung nach § 18 AStG für das Wirtschaftsjahr 2008 und das Feststellungsjahr 2009 dahingehend zu ergänzen, dass für die AG die Summe der Steuerbefreiungen nach § 3 Nr. 41 EStG im laufenden Feststellungsjahr mit Z Euro festgestellt werde. Diesem Antrag wurde entsprochen. Das FG gab der Klage statt (FG Bremen v. 15.10.2015 – 1 K 4/15 [5], EFG 2016, 675). Der BFH hat das angefochtene Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Hinweise: a) Die Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG) ist eine fiktive Beteiligungsertragsbesteuerung. Der „Abschirmeffekt“ der ausländischen Kapitalgesellschaft (für die dort erzielten niedrig besteuerten sog. Zwischeneinkünfte) wird durchbrochen, indem zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine fiktive Ausschüttung an die Gesellschafter berücksichtigt wird (Hinzurechnungsbetrag). Kommt es später zu einer tatsächlichen Ausschüttung des Gewinns der ausländischen Kapitalgesellschaft, droht eine „Nochmal-Besteuerung“, die aber durch eine gesetzliche Steuerfreistellung (§ 3 Nr. 41 Buchst. a EStG) vermieden wird. Ist eine Kapitalgesellschaft Gesellschafterin, schließt § 10 Abs. 2 Satz 3 AStG die Anwendung von § 8b Abs. 1 KStG auf den Hinzurechnungsbetrag ausdrücklich aus (damit besteht insoweit [volle] Steuerpflicht). Aber welche Rechtsfolgen treten bei tatsächlicher Ausschüttung ein? Es gilt § 8b Abs. 1 KStG für den Ausschüttungsbetrag. Dabei findet nach der Entscheidung des BFH die Regelung des § 8b Abs. 5 KStG (sog. Schachtelstrafe) „auch“ auf den Teilbetrag der Ausschüttung Anwendung, der bereits

jurisPR-SteuerR 47/2017 Anm. 1; Schnitger/Rüsch, FR 2017, 1145; Trossen, Ubg. 2018, 61; Weiss, GmbH-StB 2017, 339.

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als Hinzurechnungsbetrag angefallen war. Dass die Steuerfreiheit für diesen Teilbetrag (alternativ?, s. sogleich) mit § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG begründet werden könnte, ist dafür ohne Belang. b) Ob § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG bei einer Kapitalgesellschaft als Ausschüttungsempfängerin erfüllt sein konnte (dagegen spricht: Normwortlaut und Systematik [Vorrang des § 8b KStG?]; dafür spricht: § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG), ließ der BFH offen (immerhin könnte Rz. 67 des Beschlusses BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BFHE 256, 223 = BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642, auch dahin gedeutet werden, der BFH habe eine Anwendung in einem „obiter dictum“ bejaht – so jedenfalls Weiss, IWB 2017, 383 [391]). Denn wegen § 182 Abs. 1 AO sei dies im Streitfall durch den bestandskräftigen Feststellungsbescheid des § 18 Abs. 1 Satz 1 AStG schon verbindlich („positiv“) entschieden. Jedenfalls erfasse § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG auch nach § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG steuerfreie Ausschüttungen – eine teleologische Reduktion der Regelung komme angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht in Betracht (abw. die aus BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BFHE 256, 223 = BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642 abgeleitete Interpretation durch Weiss, IWB 2017, 383 [391]). Denn jener unterscheide nicht danach, aus welchem Rechtsgrund die Bezüge (des § 8b Abs. 1 KStG) bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz geblieben seien. Auch wenn der Regelungszusammenhang und die systematische Stellung des Abs. 5 Satz 1 eine solche Lösung als naheliegend erscheinen ließen, könne dies eine Einschränkung der pauschalierenden Regelung des Abs. 5 Satz 1 für den Sonderfall der Ausschüttung von Hinzurechnungsbeträgen nicht rechtfertigen. Der BFH folgt dabei nicht der Ansicht, dass sich eine einschränkende Auslegung aus § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG ergebe. Insoweit handele es sich um eine Spezialnorm, die u.a. wegen der dort enthaltenen Sperrfrist von sieben Jahren, der Nachweiserfordernisse und der Abzugsbeschränkung des § 3c Abs. 2 EStG auf das natürliche Personen als Anteilseigner betreffende Teileinkünfteverfahren zugeschnitten sei. Im Übrigen sei der typisierende Charakter der Regelungen zu beachten. Nicht zuletzt hält der BFH den Vorwurf, es liege eine Strafbesteuerung vor, die dem Leistungsfähigkeitsgebot widerspreche, für zu Unrecht erhoben. Der Gesetzgeber müsse sich bezogen auf § 8b Abs. 5 Satz 1 KStG nicht am „Auswechseln“ des Steuersubjektes im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung festhalten lassen; zwar „durchbreche“ die Hinzurechnungsbesteuerung im wirtschaftlichen Ergebnis die Steuersubjektivität der Zwischengesellschaft, dies aber nicht vollständig (Hinweis auf die steu63

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errechtliche Anerkennung der späteren Gewinnausschüttung durch die ausländische Körperschaft). c) Weitere anstehende Revision zu § 8b KStG: BFH I R 37/155 („Ist § 8b Abs. 3 Satz 1 KStG im Falle der Veräußerung eines inländischen Kapitalgesellschaftsanteils durch eine ausländische Anteilseignerin, die im Inland keine Betriebsstätte hat, anwendbar?“ – Hess. FG v. 28.4.2015 – 4 K 1366/14, EFG 2016, 315 mit Anmerkung Tiedchen).

II. § 8c KStG – Verlustabzugsverbot bei schädlichem Beteiligungserwerb (Erwerbergruppe) Das BFH-Urteil v. 22.11.20166 hat zum Verlustabzugsverbot bei schädlichem Beteiligungserwerb (Erwerbergruppe) entschieden: „1. Auch bei einer sog. Nullfestsetzung liegt für eine Anfechtungsklage gegen einen Festsetzungsbescheid eine Beschwer (§ 40 Abs. 2 FGO) vor, soweit in diesem Bescheid über eine Besteuerungsgrundlage entschieden wird und insoweit über § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG eine inhaltliche Bindung für ein Verlustfeststellungsverfahren ausgelöst wird. 2. Eine Erwerbergruppe (§ 8c Abs. 1 Satz 3 KStG) im Hinblick auf einen schädlichen Beteiligungserwerb i.S. des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG liegt nur dann vor, wenn mehrere Erwerber bei dem (auch mittelbaren) Erwerb von Anteilen an der Verlustgesellschaft zusammenwirken und sie auf der Grundlage einer im Erwerbszeitpunkt bestehenden Absprache im Anschluss an den Erwerb einen beherrschenden Einfluss in dieser Gesellschaft ausüben können. Die Möglichkeit des Beherrschens genügt nicht. Die Feststellungs- und Beweislast trägt die Finanzbehörde.“

Zum Sachverhalt: An der klagenden (beteiligungsverwaltenden) GmbH war u.a. die A GmbH (zu 53 %) beteiligt. Andere Gesellschafter waren u.a. (teilweise vermittelt durch Beteiligungsgesellschaften) vier Firmengruppen bzw. Familienstämme (B, C, D, E) mit einer Beteiligung von jeweils 10,38 %. Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2010 einen Verlust; zum 31.12.2009 war für sie ein verbleibender Verlustvortrag zur Körper5 Nachtrag: Das BFH-Urteil I R 37/15 datiert v. 31.5.2017 (BFHE 258, 484 = BStBl. II 2018, 144 = Ubg. 2018, 118). 6 BFH v. 22.11.2016 – I R 30/15, BFHE 257, 219 = BStBl. II 2017, 921 = GmbHR 2017, 826 = DStR 2017, 1318; Anmerkungen: Brandis, BFH/PR 2017, 299; Ernst, BB 2017, 1704; Frase, BeSt 2017, 37; jh, StuB 2017, 523; Krüger/Bakeberg, Ubg. 2017, 523; Märtens, jurisPR-SteuerR 31/2017 Anm. 5; Mihm, AO-StB 2017, 227; Ronneberger, NWB 2017, 3135; Schiefer, DStRK 2017, 231; Suchanek, GmbHR 2017, 829; Tetzlaff/Berger, StuB 2017, 712; TK, DStZ 2017, 701.

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schaftsteuer bzw. ein vortragsfähiger Gewerbeverlust festgestellt worden. Am 1.7. und am 30.8.2010 veräußerten die Gesellschafter der A GmbH ihre Anteile zu jeweils 33,33 % an B, C, und E, so dass diese Käufer mittelbar zugleich jeweils 17,67 % der Anteile an der Klägerin erwarben. Das FA meinte, bei den drei Erwerbern handele es sich um eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG mit der Folge, dass die bis August 2010 nicht genutzten Verluste gem. § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG vollständig nicht mehr abziehbar seien. Dementsprechend seien im Streitjahr zeitanteilig 8/12 der laufenden Verluste und der auf den 31.12.2009 festgestellte verbleibende Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer sowie der vortragsfähige Gewerbeverlust nicht mehr abziehbar. Die Klage gegen die auf jeweils 0 Euro lautenden Festsetzungen zur Körperschaftsteuer und zum Gewerbesteuermessbetrag für 2010 bzw. gegen die Feststellungen des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer bzw. des vortragsfähigen Gewerbeverlusts (jeweils zum 31.12.2010) war erfolgreich (Nds. FG v. 26.2.2015 – 6 K 424/13, EFG 2015, 1297). Der BFH bestätigte das FG-Urteil und wies die Revision zurück. Hinweise: a) Die erste Entscheidung des BFH zu § 8c KStG war BFH v. 30.11.2011 – I R 14/11 (BFHE 236, 82 = BStBl. II 2012, 360 = FR 2012, 310 = DStR 2012, 458) zur Situation eines sog. unterjährigen schädlichen Beteiligungserwerbs: „Erfolgt der das Verlustabzugsverbot des § 8c Satz 1 KStG 2002 n.F. auslösende schädliche Beteiligungserwerb während des laufenden Wirtschaftsjahres, kann ein bis zu diesem Zeitpunkt in diesem Wirtschaftsjahr erzielter Gewinn mit dem bisher noch nicht genutzten Verlust verrechnet werden (gegen BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = FR 2008, 839, Tz. 31 Satz 2).“ (später bestätigt in BFH v. 9.5.2012 – I B 18/12, BFH/ NV 2012, 1489). Dabei ging es um eine Übertragung von 50 % der Anteile im Juli 2008; festgestellter Verlust 31.12.2007: ca. 120 000 Euro. Der durch einen Zwischenabschluss zum 31.5.2008 belegte unterjährige Gewinn betrug ca. 50 000 Euro, in der mündlichen Verhandlung verständigte man sich darauf, dass zum Übertragungszeitpunkt ca. 60 000 Euro erwirtschaftet war (vollständiger Ausgleich der drohenden Verlustkürzung). Für 2008 wies man auch einen Gesamtgewinn aus. Das FG gab der Klage statt, da auch nach Übergangsrecht des § 34 Abs. 6 Satz 3 KStG a.F. (31.12.2012!) der § 8 Abs. 4 KStG a.F. nicht einschlägig war. Dem folgte der BFH. Dort wurde die gesetzliche Konzeption des § 8c KStG „ernst genommen“: Das „neue unternehmerische Engagement“ setzt eine zeitliche Zäsur für die wirtschaftliche Existenz der Kapitalge65

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sellschaft. Auch das Urteil des BFH v. 22.11.2016 – I R 30/15, BFHE 257, 219 = BStBl. II 2017, 921 = GmbHR 2017, 826 knüpft daran an. b) Die Konzeption der Regelung bezieht sich (abweichend von der Vorgängerregelung des § 8 Abs. 4 KStG a.F.) auf einen schädlichen Beteiligungserwerb durch „den Erwerber“. Dabei gilt als „ein Erwerber“ auch eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen (§ 8c Abs. 1 Satz 3 KStG). Der unbestimmte Rechtsbegriff ist regelungszweckbezogen auszufüllen: Der Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG liegt der Gedanke zugrunde, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners ändert. Die zuvor erwirtschafteten Verluste sollen für das „neue wirtschaftliche Engagement“ des Erwerbers (wenn eine bestimmte Erwerbsquote überschritten ist) teilweise oder vollständig unberücksichtigt bleiben. Dabei zielt Satz 3 mit der Absicht einer Missbrauchsverhinderung auf das „typische Erwerberquartett“ ab, bei dem ein Erwerb durch vier zu je 25 % beteiligte Anteilserwerber erfolgt, um hierdurch einem schädlichen Beteiligungserwerb i.S. von § 8c KStG zu entgehen. c) Die gesetzliche Fiktion in § 8c Abs. 1 Satz 3 KStG muss den Regelungszweck von § 8c Abs. 1 Satz 1, 2 KStG (verbunden mit dem dortigen strengen Stichtagsbezug) in sich aufnehmen. Insoweit reichen Absprachen, die sich auf den Anteilserwerb „als solchen“ beziehen und allenfalls einen zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang (z.B. mit Blick auf die Preisfindung, auf das Bewahren eines bisher vorliegenden Verhältnisses im Anteilsbesitz) der verschiedenen Erwerbsakte begründen, nicht aus. Denn von einem „neuen wirtschaftlichen Engagement“ kann nur gesprochen werden, wenn die Erwerber nicht nur in der Situation des Erwerbs, sondern auch im zukünftigen Wirtschaften als „Gruppe“ aufzutreten willens und in der Lage sind. Dazu reicht die bloße Möglichkeit eines Beherrschens nicht aus. d) Folgerung: Eine aus den Verkaufsumständen ableitbare Absprache der Erwerber beim Beteiligungserwerb (Zeitpunkt, Erwerbsquote, Preis) reicht nicht aus, im Erwerbszeitpunkt „gleichgerichtete Interessen“ zu begründen. Auch wenn es naheliegt, dass bei einem mittelbaren Anteilserwerb Absprachen über die Ausübung der Stimmrechte getroffen werden, fehlte es daran nach den Feststellungen des FG. Eine gemeinsame Beherrschung (nach dem Erwerb) ist auch kein Indiz gleichgerichteter Interessen im Erwerbszeitpunkt. Wenn der sachliche Zusammenhang zur früheren wirtschaftlichen Tätigkeit durch das mit einem schädlichen Beteiligungserwerb verbundene „neue wirtschaftliche Engage66

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ment“ des Erwerbers gelöst wird, kann allein der Umstand einer rechnerischen Beherrschungsmöglichkeit durch verschiedene Erwerber nicht hinreichend ein solches Engagement der (Erwerber-)Gruppe belegen. Vielmehr liegt die Darlegungs- und Beweislast bei der Finanzverwaltung.7 e) „Karlsruhe“ hat inzwischen gesprochen:8 § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG ist (betr. schädlicher Beteiligungserwerb i.S. einer unmittelbaren Übertragung bei KapGes-Anteilen [als konkret vorliegender Sachumstand im Entscheidungsfall]) durch Beschluss des BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11 (BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 = DStR 2017, 1094) für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden – aber mit einer zeitlichen Grenze („nur“) bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 8d KStG (= 1.1.2016). Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum 1.1.2008 eine Neuregelung zu treffen; eine solche Regelung wird dabei nach Maßgabe des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (gilt entsprechend für eine verfassungsgerichtliche Unvereinbarkeitserklärung) nicht belastend (etwa bei einem Fortfall einer Klausel wie in § 8c Abs. 1 Satz 5, Satz 6–9 KStG) in bereits erteilte Steuer-/Feststellungsbescheide eingreifen, allerdings dürfte eine bereits erteilte verbindliche Auskunft i.S.d. § 89 AO durch eine belastende Neuregelung „überholt“ werden. Vertrauensschutzbedingte Rückwirkungsgrenzen bei einer Neuregelung noch in 2017 oder in 2018 bestehen nicht. Sollte der Gesetzgeber der Pflicht nicht nachkommen, tritt am 1.1.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit – d.h. für Beteiligungserwerbe (unmittelbare Übertragung) vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2015 – rückwirkend auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens die Nichtigkeit ein. Eine steuergünstige Auswirkung des BVerfG-Beschlusses auf bereits bestandskräftig abgeschlossene Veranlagungen/Feststellungen mit einer auf § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG beruhenden Belastungsentscheidung besteht nicht (§ 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Die Regelung ist z.Zt. nur noch für schädliche Beteiligungserwerbe aufgrund mittelbarer Übertragungen oder für „vergleichbare Sachverhalte“ (wobei aber die vom BVerfG angeführten Gründe eigentlich „erst recht“ für diese Situationen gelten!) und für schädliche 7 Nachtrag: Ob BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002 :004 – DOK 2017/0789973 (BStBl. I 2017, 1645 = FR 2017, 1158) dem BFH-Urteil wirklich gefolgt ist (s. dazu dort Rz. 28), könnte als zweifelhaft anzusehen sein, da Rz. 28 letzter Satz weiterhin von einem „Indiz gleichgerichteter Interessen“ spricht, wenn eine „gemeinsame Beherrschung“ der Körperschaft vorliegt. 8 Für Einzelheiten zu dieser Entscheidung wird auf den Spezialvortrag von Möhlenbrock/Schneider verwiesen.

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Beteiligungserwerbe ab dem 1.1.2016 (unmittelbare/mittelbare Übertragung, vergleichbare Sachverhalte) anwendbar. Nach dem Beschluss des BVerfG zu (Abs. 1) Satz 1 ist zunächst zuzuwarten, ob/wie der Gesetzgeber seine „Neuregelungschance“ zu Abs. 1 Satz 1 für den maßgeblichen Zeitraum (Erwerbe als unmittelbare Erwerbe nach dem 1.1.2008 bis zum 31.12.2015) nutzt – interessengerecht ist es allerdings (weiterhin), sämtliche Streitfälle, in denen § 8c KStG einen Belastungseffekt hat (d.h. auch Abs. 1 Satz 1-Situationen ab 2016, Abs. 1 Satz 2-Situation seit 2008) und kein Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 AO [s. hierzu AEAO zu § 165 Nr. 6 Satz 2 – ein entsprechendes BMF-Schreiben fehlt z.Zt.]9) besteht, möglichst „offenzuhalten“ (Rechtsbehelf mit Ruhensantrag i.S.d. § 363 Abs. 2 AO [unter Hinweis auf die Möglichkeit einer rückwirkenden Neuregelung bzw. die anhängigen Revisionsverfahren beim BFH]; vor dem gesetzlichen Entfallen des Vorbehalts [§ 164 Abs. 4 AO] Änderungsantrag i.S.d. § 164 Abs. 2 AO mit Einspruch gegen einen ablehnenden Bescheid), für bereits in Gang gesetzte Prozesse dürfte § 74 FGO in Betracht kommen (beim BFH sind z.Zt. sechs Revisionen anhängig, wobei sich vier Fälle auf Abs. 1 Satz 2 beziehen [I R 31/11; I R 79/11; I R 63/16; I R 76/16 – zu den beiden letztgenannten Verfahren liegen bereits Aussetzungsbeschlüsse des BFH i.S.d. § 74 FGO v. 23.8.2017 vor], zwei Fälle auf Abs. 1 Satz 1 [I R 75/12; I R 61/16]). Diese Übergangsphase (mögliche Neuordnung betr. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG mit Ausstrahlungswirkung sowohl auf den Folgezeitraum [Erwerbe ab 1.1.2016] als auch auf Abs. 1 Satz 2) dürfte i.Ü. auch hinreichend sein, „ernstliche Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit von Steuerfestsetzungen/Feststellungen (i.S.d. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO; § 361 Abs. 2 Satz 2 AO), die auf Abs. 1 Satz 2 beruhen, zu bejahen (insoweit ist FinMin. Schleswig-Holstein v. 28.6.2012 [StEK AO 1977 § 363 Nr. 520 = DStR 2012, 1607] überholt, ebenso die Praxis, Aussetzung der Vollziehung für Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2009 generell abzulehnen), und dabei auch den Zeitraum ab 2016 (wenn § 8d KStG tatbestandlich nicht erfüllt ist oder wenn kein entsprechender Antrag gestellt wird) einzuschließen. 9 Nachtrag: BMF v. 15.1.2018 – IV A 3 - S 0338/17/10007 – DOK 2017/1040112 (BStBl. I 2018, 2 – dort Anlage/Abschnitt B) sieht eine Aussetzung der Steuerfestsetzung (§ 165 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 AO) betr. § 8c (Abs. 1) Satz 1 KStG in der durch den BVerfG-Beschluss (s.o.) betreffenden Fallkonstellation („unmittelbarer Erwerb“) vor. Der BFH hat inzwischen in allen weiteren angeführten Verfahren (bis auf BFH I R 61/16) Aussetzungsbeschlüsse i.S.d. § 74 FGO gefasst.

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Inzwischen ist bekannt geworden, dass das FG Hamburg (2. Senat) erneut einen Vorlagebeschluss an das BVerfG (jetzt zu § 8c [Abs. 1] Satz 2 KStG) gefasst hat (FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, EFG 2017, 1906 = FR 2017, 1134); Az. beim BVerfG: 2 BvL 19/17.10 f) Zur verfahrensrechtlichen Frage (Verhältnis Feststellungs-/Festsetzungsbescheid) s.a. OFD Frankfurt a.M. v. 5.7.2017 – S 2225 A - 009 - St 213, DB 2017, 2128, dort VIII. zur Körperschaftsteuer mit Verweis auf die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Ausführungen. Dort wird allerdings eine parallele Anfechtung eines Verlustfeststellungsbescheids für unzulässig angesehen – dies könnte angesichts der fehlenden formellen Bindungswirkung zweifelhaft sein (s. i.Ü. Haskamp, DStR 2015, 1593, 1596 f. [„Prozessuales“]). g) (Als Nachtrag zur Vorjahresveranstaltung:) BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = FR 2008, 839 Tz. 4 spart den unentgeltlichen Übergang auf eine natürliche Person in der Form des Erbfalls, der (unentgeltlichen) Erbauseinandersetzung und der (unentgeltlichen) vorweggenommenen Erbfolge (insoweit ist eindeutige vertragliche Regelung zur Abgrenzung von der nicht ausgenommenen Schenkung notwendig!) aus dem Tatbestand aus (der Entwurf eines Folge-BMF-Schreibens v. 15.4.2014 Tz. 4 beschränkt in diesem Zusammenhang den begünstigten Personenkreis auf Angehörige i.S.d. § 15 AO [s. Neumann, GmbHR 2014, 673; kritisch IDW, Ubg. 2014, 471] – eine personelle Begrenzung auf gesetzlich erbberechtigte Personen und Angehörige des § 15 AO ist der bisherigen „Billigkeitsregelung“ nicht zu entnehmen [dazu a.A. B. Lang, StbJb. 2014/2015, 97, 100]; einschränkend [nur bei Anrechnung auf spätere Erbschaft] auch Dötsch/Leibner in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8c KStG Rz. 55 und dazu kritisch Ott, StuB 2016, 791).11 Damit führt insoweit ein Teilentgelt (auch bei geringer Höhe) zu einer tatbestandsrelevanten Übertragung (s. Thonemann, DB 2008, 2156 f.; kritisch zu den Begrenzungen Roser, DStR 2008, 1562; Roser in 10 Nachtrag: S. zu Folgerungen z.B. das 65. Berliner Steuergespräch („Die Entscheidung des BVerfG zu § 8c KStG und ihre Folgen“), dokumentiert in FR 2018, Heft 2 (mit Beiträgen von Hörhammer, Röder, Richter/Welling, Prinz, Brandis, Dorenkamp). Ausführlich auch Brandis in Blümich, § 8c KStG Rz. 22. 11 Nachtrag: BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/09/10002 :004 – DOK 2017/0789973 (BStBl. I 2017, 1645 = FR 2017, 1158) hält daran fest, den Erwerb durch Erbfall bzw. (voll unentgeltliche) Erbauseinandersetzung oder vorweggenommene Erbfolge als „unschädlich“ anzusehen, beschränkt dies nun ausdrücklich aber auf Angehörige i.S.d. § 15 AO (s. dort Rz. 4 Satz 2).

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Gosch, KStG3, § 8c Rz. 56 „Erbfall …“), eine Versorgungsleistung ist allerdings nach allgemeinen ertragsteuerlichen Grundsätzen unschädlich (Neumann, GmbHR 2014, 673; zur Einschränkung der „unentgeltlichen Übertragung“ bei Übertragung von GmbH-Anteilen gegen Versorgungsleistung s.a. Ott, StuB 2008, 587). FG Münster v. 4.11.2015 – 9 K 3478/13 (EFG 2016, 412 [m. Anmerkung Rengers; s.a. Rödder/Drüen, StbJb. 2016/2017, 47]) sieht allerdings betr. vorweggenommene Erbfolge keine Rechtsgrundlage und nimmt insoweit einen schädlichen Erwerb an (zustimmend Chuchra/Dorn/Schwarz, DStR 2016, 1404 – eine rechtswirksame Billigkeitsmaßnahme i.S. § 163 Abs. 1 Satz 1 AO wird nach Maßgabe von BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BFHE 255, 482 = BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296 = DStR 2017, 305 in dem BMF-Schreiben auch nicht vorliegen). Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des FG Münster war (aus verfahrensrechtlichen Gründen) erfolglos, BFH v. 20.7.2016 – I R 6/16, BFH/ NV 2016, 1733: „Ein Prozessbevollmächtigter hat den Ablauf der Rechtsmittelbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden oder sich sonst die Notwendigkeit einer Überprüfung aufdrängt. Deshalb obliegt dem Prozessbevollmächtigten bei Fertigung der Revisionsschrift neben der Kontrolle der Frist zur Einlegung der Revision auch die Prüfung, ob im Fristenkontrollblatt eine Revisionsbegründungsfrist notiert ist (Bestätigung des Senatsurteils BFH v. 29.4.2008 – I R 67/06, BFHE 221, 201 = BStBl. II 2011, 55 = FR 2008, 29).“

III. Organschaft 1. Gewinngemeinschaftsvertrag als Mitunternehmerschaft Das BFH-Urteil v. 22.2.201712 hat zum Gewinngemeinschaftsvertrag als Mitunternehmerschaft entschieden: „1. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Beteiligten einer Gewinn- und Verlustgemeinschaft i.S. des § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG eine Mitunternehmerschaft bilden. Über diese Frage ist grundsätzlich – bejahend oder verneinend – im Verfahren der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte zu entscheiden. 12 BFH v. 22.2.2017 – I R 35/14, BFHE 258, 1 = BStBl. II 2018, 33 = GmbHR 2017, 998 = DStR 2017, 1527; Anmerkungen: Brandis, BFH/PR 2017, 327; jh, StuB 2017, 558; JS, DStZ 2017, 586 u. 625; Schwetlik, GmbH-StB 2017, 270; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 36/2017 Anm. 3 und DStRK 2017, 261; Walter, DK 2017, 331.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften 2. Die Zulassung einer „Querorganschaft“, die eine Ergebniskonsolidierung im Gleichordnungskonzern ermöglichen würde, ist nicht aus unionsrechtlichen Gründen geboten.“

Zum Sachverhalt: Die klagende GmbH gehörte wie ihre Vertragspartnerin, eine AG, zum (EU-ausländischen) X Konzern. Die Schwestergesellschaften fungierten als Holdinggesellschaften für zwei verschiedene Unternehmensbereiche des Konzerns. Sie schlossen im Dezember 2004 (rückwirkend auf den 1.1.2004) einen „Vertrag über die Bildung einer Gewinn- und Verlustgemeinschaft“. Durch die Poolung ihrer Gewinne und Verluste unter Aufrechterhaltung ihrer rechtlichen Selbständigkeit sollte das wirtschaftliche Risiko aus dem sehr zyklischen Geschäft ihrer verschiedenen Beteiligungen gestreut werden. Es ging auch darum, ihre geschäftliche Zusammenarbeit zu vertiefen und gegenseitig Erfahrungen auszutauschen, ihre Geschäftsabläufe zusammenzufassen und zu optimieren. Langfristiges Ziel sei es, die Gesellschaften in einigen Jahren zu verschmelzen. Es bestand die Pflicht, das „gesamte handelsrechtliche Jahresergebnis, sowohl Gewinne als auch Verluste, zur Aufteilung des gemeinschaftlichen Ergebnisses zusammenzulegen“ und dann auf die Vertragsparteien im Verhältnis 1 : 1 aufzuteilen. Der Vertrag sollte auf unbestimmte Zeit geschlossen sein. Erstmals konnte er zum Ablauf des Jahres 2007 unter Einhaltung einer Frist gekündigt werden. § 6 des Vertrages regelte die außerordentliche Kündigung z.B. im Fall des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Vertrag wurde in den Handelsregistern eingetragen und vollzogen (je nach Aufteilungsergebnis Ausweis von Forderungen oder Verbindlichkeiten). Das FG ging von einer gesellschaftsrechtlichen Mitveranlassung des Vertragsschlusses und der Vertragsdurchführung aus (FG Bad.-Württ. v. 24.3.2014 – 10 K 1661/12, n.v.). Der BFH hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück; das Klageverfahren ist nun dort auszusetzen (§ 74 FGO) und es ist zunächst ein formell vorrangiges Gewinn-Feststellungsverfahren zu absolvieren. Hinweise: a) Es ging um einen Vertrag über die Bildung einer Gewinnund Verlustgemeinschaft zwischen zwei Schwesterkapitalgesellschaften. Ist eine Verlustübernahme durch die eine Gesellschaft eine – wie vom FA praktiziert – einkommenserhöhend anzusetzende verdeckte Gewinnausschüttung (vGA), weil der Vertragsschluss auf das Gesellschafterinteresse (gemeinsame Muttergesellschaft) zurückzuführen ist? Das FG hatte die Vereinbarung (in Übereinstimmung mit den Beteiligten) als „Austauschvertrag“ gewürdigt und eine Entscheidung zu dieser vGA-be71

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zogenen „Veranlassungsfrage“ i.S. einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis getroffen (was etwa gerade für das Erstjahr [Vereinbarung im Dezember mit Rückwirkung auf den 1.1.2004!] auch recht nahe lag). b) Der BFH sieht sich hingegen an einer Sachentscheidung gehindert, weil vieles (alles?) vorab in einem dem Steuerfestsetzungsverfahren vorgelagerten Feststellungsverfahren i.S.d. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO (und dann mit Bindungswirkung für die Festsetzung, § 182 Abs. 1 AO) zu entscheiden sei. Denn ein Verfahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Einkünften müsse bereits dann durchgeführt werden, wenn zweifelhaft sei oder es nur möglich erscheine, dass Einkünfte vorliegen, an denen mehrere Personen (hier: als Mitunternehmerschaft) beteiligt sind (und dabei auch dann, wenn das für dieses Verfahren zuständige FA gleichzeitig für die Festsetzung der Körperschaftsteuer aller möglicherweise an den Einkünften beteiligten Steuerpflichtigen zuständig ist). Darüber hinaus ist zu beachten, dass ein Feststellungsverfahren zwar wegen geringer Bedeutung gem. § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO entbehrlich sein kann – weist der Fall aber rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten auf, ist er nicht von geringer Bedeutung. c) So sei es nicht ausgeschlossen, die Gewinngemeinschaft als Innengesellschaft (und „andere Gesellschaft“ i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) anzusehen, die einen Gewerbebetrieb unterhalte. Auch eine Mitunternehmerstellung der einzelnen Beteiligten sei nicht von vornherein auszuschließen. Im Übrigen sei auch im Feststellungsverfahren zu entscheiden, ob z.B. mit Blick auf §§ 14 ff. KStG die Anerkennung einer solchen „Querorganschaft“ auszuschließen oder (was der BFH allerdings ausdrücklich ablehnt) sie mit Blick auf die grenzüberschreitende Situation (verbundene Muttergesellschaften im EU-Ausland) sogar unionsrechtlich geboten sei. Auch die Frage der Qualifizierung geleisteter (Ausgleichs-) Zahlungen als vGA sei im Feststellungsverfahren zu beantworten. Dieser letzte Aspekt macht noch einmal den Unterschied zwischen FG und BFH deutlich: Während das FG im Ergebnis schon den Vertragsabschluss „als solchen“ einer vGA-bezogenen Veranlassungsprüfung unterzogen hat, würdigt der BFH den Vertragsabschluss offenkundig als „nicht durch das Gesellschafterinteresse veranlasst“. Es ist nicht deutlich, ob dies eine erneute vGA-Prüfung im Festsetzungsverfahren hindern kann, wenn (was ja nicht ausgeschlossen ist!) das nun in Gang zu setzende Feststellungsverfahren mit einem negativen Feststellungsbescheid (es besteht keine Mitunternehmerschaft) enden sollte. Dass der BFH eine 72

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Gewinngemeinschaft damit „grundsätzlich anerkannt“ habe (so Walter, DK 2017, 331 [334]), ist als Interpretation der Urteilsgründe zur Kenntnis zu nehmen, wird aber dem tragenden Aufhebungsgrund („Möglichkeit“) nicht gerecht.

2. Mindestlaufzeit eines Gewinnabführungsvertrags bei körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft Das BFH-Urteil v. 10.5.201713 hat zur Mindestlaufzeit eines Gewinnabführungsvertrags bei körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft entschieden: „1. Die Organgesellschaft ist auch unter Geltung einer umwandlungssteuerrechtlichen Rückwirkungsfiktion nicht „vom Beginn ihres Wirtschaftsjahrs an ununterbrochen“ (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG) in den Organträger finanziell eingegliedert, wenn die Anteile an der Organgesellschaft im Rückwirkungszeitraum (unterjährig) von einem Dritten auf den Organträger übergehen. 2. Bei der Berechnung der fünfjährigen Mindestlaufzeit eines Gewinnabführungsvertrags bei körperschaftsteuerrechtlicher Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG) kann eine umwandlungssteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion beachtlich sein, auch wenn sie auf einen Zeitpunkt vor Gründung der Organgesellschaft wirkt.“

Zum Sachverhalt: Die klagende AG ist Rechtsnachfolgerin der A GmbH, die wiederum Rechtsnachfolgerin der B GmbH ist. Mit Notarvertrag vom 9.2.2005 (Handelsregistereintragung vom 3.3.2005) wurde die C GmbH als Vorratsgesellschaft gegründet, deren Anteile die B GmbH (alt) mit Vertrag vom 9.8.2005 erwarb. Durch Vertrag vom 16.8.2005 wurde die Firma der C GmbH in B GmbH geändert. Am selben Tag (Handelsregistereintragung vom 2.9.2005) wurden von der B GmbH (alt), die in B Holding GmbH umfirmierte, Teile ihres Vermögens auf die B GmbH als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung (mit Wirkung zum 1.1.2005/0:00 Uhr) übertragen. Die B Holding GmbH als herrschendes Unternehmen und die B GmbH schlossen am 16.8.2005 einen Beherr-

13 BFH v. 10.5.2017 – I R 19/15, BFHE 258, 344 = FR 2018, 39 = DStR 2017, 2112; Anmerkungen: Adrian/Fey, DStR 2017, 2409; Adrian/L’habitant, NWB 2017, 3824; Altrichter-Herzberg, GmbHR 2018, 296; Brandis, BFH/PR 2017, 401; Brühl/Binder, NWB 2018, 331 (334); Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (473); jh, StuB 2017, 762; Kuszewska-Rode, DStRK 2017, 326; Märtens, jurisPR-SteuerR 48/2017 Anm. 1; Schell/Philipp, FR 2018, 13; Schwetlik, GmbH-StB 2017, 335; TK, DStZ 2017, 821; Walter, GmbHR 2017, 1226; Weiss, GmbH-StB 2018, 86 (90).

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schungs- und Gewinnabführungsvertrag ab, der am 16.11.2005 neu gefasst wurde. In § 4 Abs. 1 der Verträge heißt es: „Der Vertrag wird unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Gesellschafterversammlungen von … (B Holding GmbH) und ‚Organgesellschaft‘ abgeschlossen. Er wird wirksam mit der Eintragung in das Handelsregister der ‚Organgesellschaft‘ und gilt für den Zeitraum ab dem 1.1.2005.“ In § 4 Abs. 2 heißt es: „Der Vertrag kann erstmals zum Ablauf des 31.12.2009 unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten gekündigt werden. … .“ Die jeweiligen Handelsregistereintragungen datieren vom 18.10.2005 bzw. vom 28.11.2005. Das FA war der Ansicht, dass es sich bezogen auf die B GmbH als Organgesellschaft bei dem Wirtschaftsjahr 2005 um ein Rumpfwirtschaftsjahr handelt, das am 9.2.2005 begonnen hat. Damit sei durch die Möglichkeit, den Vertrag mit Ablauf zum 31.12.2009 zu kündigen, die Voraussetzung der Mindestlaufzeit von 5 (Zeit-)Jahren nicht erfüllt. Daher setzte es die Gewinnabführungen der Streitjahre (2005 bis 2007) als vGA i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG einkommenserhöhend an. Die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos (FG Düss. v. 3.3.2015 – 6 K 4332/12 K, F, EFG 2015, 951; s. dazu Rödder/Drüen, StbJb. 2016/2017, 53). Der BFH wies die Revision zum Streitjahr 2005 zurück, sah für die Folgejahre aber weiteren Aufklärungsbedarf (Zurückverweisung an das FG). Hinweise: a) Es geht um zwei Problemkreise bei der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft: Zunächst um das Tatbestandsmerkmal der „finanziellen Eingliederung“ (s. zu b), sodann um die Mindestvertragslaufzeit (rückwirkender Beginn?) – wobei die letztgenannte Frage angesichts der punktgenauen Zeitdauer des Vertrags (wie üblich: genau 5 Jahre) nur dann erheblich ist, wenn der Umstand, dass im Erstjahr nicht alle gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind („verunglückte/unterbrochene Organschaft“), nicht zu einer unüberwindbaren Anwendungssperre führt (s. zu c). b) Die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft ist Grundvoraussetzung der Organschaft. Im Streitfall wurde die spätere Organgesellschaft nicht durch die spätere Organträgerin errichtet, vielmehr fand ein (unterjähriger) entgeltlicher Anteilserwerb von einem Dritten (im August 2005) statt. Auch eine ertragsteuerrechtliche Rückwirkungsfiktion einer Umwandlung könnte jedenfalls in dieser Konstellation den Tatbestand der finanziellen Eingliederung der Organgesellschaft „vom Beginn ihres Wirt74

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schaftsjahrs an ununterbrochen“ nicht erfüllen. Denn der Gesetzeswortlaut begründet einen strengen Subjektbezug, der jedenfalls bei Einzelrechtsnachfolge nicht gewahrt ist. Insoweit war für das Erstjahr (2005) schon hier „Schluss“. Aber waren die Folgejahre, in denen (unstreitig) alle Tatbestandsmerkmale des § 14 KStG erfüllt waren, „noch zu retten“? c) Dies konnte mit Blick auf die Mindestvertragsdauer nur gelingen, wenn das Erstjahr vollständig (ab 1.1. – „Zeitjahre“) einzubeziehen war. Die umwandlungsbedingte Rückwirkung auf den Beginn des Geschäftsjahrs des Vertragsabschlusses mit rechtzeitiger (bis zum 31.12. erfolgter) Eintragung im Handelsregister begegnete keinen zivil- oder steuerrechtlichen Wirksamkeitsbedenken. Dabei sah es der BFH als unerheblich an, dass der übernehmende Rechtsträger im Rückwirkungszeitraum nicht bereits bestanden hatte. Denn wenn nach § 14 Abs. 1 Satz 2 KStG das gesamte Einkommen des Jahres 2005 erfasst ist und („materiell“) der Einkommenszurechnung unterfällt, ist auch bei der Berechnung der Mindestlaufzeit des Vertrags auf den Beginn dieses Wirtschaftsjahrs abzustellen. Ein Bedarf für eine restriktive Sicht aus Gründen der Manipulationsabwehr ist insoweit nicht erkennbar. Und das sog. Durchführungsgebot des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG („während seiner gesamten Geltungsdauer durchgeführt“) steht nicht entgegen, da sich die Vertragsdurchführung in ihrem Hauptinhalt darin zeigt, dass es zum Stichtag 31.12. tatsächlich zur Gewinnabführung an die Organträgerin gekommen ist. Es verbleibt im Streitfall „nur“ die Frage, auf welcher Grundlage eine steuerrechtliche Rückwirkungsfiktion bestehen kann. Dazu reicht eine sog. Ausgliederung (§ 2 Abs. 1 UmwStG 2002) nicht unmittelbar aus – auch wenn steuerrechtlich eine Einbringung vorliegt, müssen die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 UmwStG 2002 (z.B. Einbringung eines Betriebs oder Teilbetriebs) erfüllt sein. Dies war vom FG bisher nicht festgestellt. Sollte die Rückwirkungsfiktion eingreifen, hindert der Umstand, dass die Organschaft im ersten Jahr mangels durchgängiger finanzieller Eingliederung „verunglückt“ war, die steuerrechtliche Anerkennung in den Folgejahren nicht. Einzelheiten dazu finden sich im BFH-Urteil vom 10.5.2017 – I R 51/15, BStBl. II 2018, 30 = GmbHR 2017, 1219 (s. sogleich). d) „Die Gefahr verunglückter Organschaften wird wesentlich verringert, und Umstrukturierungen mit bestehenden oder geplanten Organschaften werden erleichtert“ (so Walter, GmbHR 2017, 1226 [1227]) – droht ein „Nichtanwendungserlass“ (s. Schwetlik, GmbH-StB 2017, 335 [337])? 75

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3. Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft Das BFH-Urteil v. 10.5.201714 hat zur Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft entschieden: „Geht das Vermögen eines Organträgers innerhalb der ersten fünf Jahre eines Ergebnisabführungsvertrags auf ein anderes Rechtssubjekt über, steht dies bei ununterbrochener Durchführung des Vertrags der steuerrechtlichen Anerkennung der körperschaftsteuerlichen Organschaft ab diesem Zeitpunkt auch dann nicht entgegen, wenn die Organschaft in den Vorjahren wegen fehlender finanzieller Eingliederung nicht anzuerkennen war.“

Zum Sachverhalt: Die klagende AG wurde im Jahre 2000 als GmbH gegründet. Am 2.11.2000 errichteten ihre Gesellschafter (die ED AG und die SW AG) die GbRalt als sog. Willensbildungsgesellschaft, um eine sog. Mehrmütterorganschaft (§ 14 Abs. 2 KStG 2002) mit der (inzwischen in eine AG formgewechselten) Klägerin als Organgesellschaft zu bilden. Der Ergebnisabführungsvertrag (ebenfalls vom 2.11.2000) sah eine Laufzeit „auf unbestimmte Zeit“ vor; er konnte zum Ablauf des 31.12.2006 gekündigt werden. Das FA erkannte die organschaftliche Vereinbarung in 2001 und 2002 steuerrechtlich an. Im Folgejahr war die GbRalt aufgrund der Aufhebung des § 14 Abs. 2 KStG 2002 (StVergAbG) nicht mehr als Organträgerin anzusehen. Gleichwohl ließen die Vertragsparteien den Vertrag bis zum 31.12.2005 unverändert fortbestehen und führten ihn auch durch. 2003 und 2004 wurden bei der Klägerin insoweit eine verdeckte Einlage bzw. eine vGA angesetzt. Mit einem nach den FG-Feststellungen nicht datierten Vertrag übertrug die SW AG ihren Anteil an der GbRalt „rückwirkend zum 1.1.2005“ der ED AG zu einem Kaufpreis, der ihrer Beteiligung an dem von der SW AG an die GbRalt abgeführten Gewinn entsprach. Der Übergang des Ergebnisabführungsvertrags auf die ED AG mit Wirkung vom 1.1.2005 wurde am 14.11.2005 in das Handelsregister eingetragen. Am 8.11.2005 gründeten die ED AG und die SW AG eine gewerblich tätige GbR (GbRneu), auf die die Anteile an der Klägerin übertragen wurden. Der mit der GbRalt geschlossene Ergebnisabfüh14 BFH v. 10.5.2017 – I R 51/15, BFHE 258, 351 = BStBl. II 2018, 30 = GmbHR 2017, 1219 = DStR 2017, 2109; Anmerkungen: Adrian/Fey, DStR 2017, 2409; Adrian/L’habitant, NWB 2017, 3824; Altrichter-Herzberg, GmbHR 2018, 296; Brandis, BFH/PR 2017, 402; Brühl/Binder, NWB 2018, 331; Hemme, Ubg. 2017, 678; Heurung/Schmidt/Kraft, BB 2018, 470 (471); jh, StuB 2017, 762; Märtens, jurisPR-SteuerR 48/2017 Anm. 2; Schewe, DStRK 2017, 342; Schwetlik, GmbH-StB 2017, 337; TK, DStZ 2017, 781; Walter, GmbHR 2017, 1222; Walter, GmbH-StB 2018, 63 (64); Weiss, GmbH-StB 2018, 86 (87); Werth, DB 2017, 2514.

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rungsvertrag „wurde zum 31.12.2005 beendet bzw. als beendet angesehen“; die Klägerin schloss einen neuen Ergebnisabführungsvertrag mit der GbRneu ab (Laufzeit ab dem 1.1.2006). In ihrer Körperschaftsteuererklärung des Streitjahrs 2005 ging die Klägerin von einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft zwischen ihr und der ED AG aus. Dem folgte das FA nicht. Die gegen die Steuerfestsetzung (einkommenserhöhender Ansatz einer vGA in Höhe der Gewinnabführung) erhobene Klage war erfolgreich (Saarl. FG v. 16.6.2015 – 1 K 1109/13, EFG 2016, 396). Der BFH wies die Revision des FA zurück. Hinweise: a) Es geht um zwei Problemkreise bei der körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft: Zunächst um die Möglichkeit der Rechtsnachfolge in einen Ergebnisabführungsvertrag (s. zu b), sodann um die Mindestvertragslaufzeit in der Situation der „unterbrochenen Organschaft“ (Anwendungssperre für Folgejahre? – s. zu c). b) Der ursprüngliche Ergebnisabführungsvertrag (unstreitige Anerkennung der Organschaft in den beiden Erstjahren) blieb ungeachtet der Rechtsnachfolge wirksam und war geeignet, ein Organschaftsverhältnis zwischen der Klägerin und der Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Organträgerin (GbRalt) auch im Streitjahr zu begründen. Denn die Änderung der gesetzlichen Regelungslage zur sog. Mehrmütterorganschaft (Abschaffung des § 14 Abs. 2 KStG 2002) berührt weder die zivilrechtliche Existenz der GbRalt „als solche“ (insbes. liegt keine „Zweckerreichung“ vor) noch die zivilrechtliche Wirksamkeit der organschaftlichen Vereinbarung; der Ergebnisabführungsvertrag ist später auf die Rechtsnachfolgerin der GbRalt übergegangen (Gesamtrechtsnachfolge). Insoweit besteht kein Hindernis darin, dass nach der gesetzlichen Regelung der Gewinn der Organgesellschaft an „ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen“ abzuführen ist; ein damit verbundener Subjektbezug ist jedenfalls in der Situation der Gesamtrechtsnachfolge gewahrt. c) Eine Anwendungssperre für das Streitjahr („unterbrochene Organschaft“) besteht nicht. Denn dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, dass stets alle Tatbestandsmerkmale der steuerrechtlichen Anerkennung erfüllt sein müssen, um dem Erfordernis des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG 2002 n.F. zu genügen, nach dem der Vertrag im Rahmen der Mindestvertragslaufzeit „während seiner gesamten Geltungsdauer“ durchgeführt werden muss. Das Erfordernis der Vertragsdurchführung bezieht sich auf die zivilrechtlichen Vertragspflichten, nicht allgemein auf die steuerrechtlichen Tat77

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bestandsvoraussetzungen des § 14 KStG. Wenn die Mindestvertragsdauer (5 Jahre) dazu dient, auszuschließen, dass die Organschaft zum Zweck willkürlicher Beeinflussung der Besteuerung und zu Einkommensverlagerungen von Fall zu Fall abgeschlossen bzw. beendet wird, ist dem durch die laufzeitbezogene vertragliche Verpflichtung begegnet. Dem Hinweis, dass auch mit Blick auf die übrigen Tatbestandserfordernisse ein Bedarf bestehe, Manipulationen (i.S. eines gezielten „Verunglückenlassens“ der Einkommenszurechnung) auszuschließen, kommt jedenfalls in der dem Streitfall zugrunde liegenden Konstellation (Änderung der Rechtslage) kein entscheidendes Gewicht zu. Dies alles beweist sich z.B. an der in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. getroffenen und ausdrücklich zeitpunktbezogenen Regelung, nach der die finanzielle Eingliederung vom Beginn des Wirtschaftsjahrs der Organgesellschaft an gegeben sein muss – eine solche Regelung wäre nach Maßgabe eines allgemeinen Grundsatzes vertragslaufzeitbezogener Erfordernisse entbehrlich. d) Fazit: Grundlage ist die tatsächliche Durchführung der zivilrechtlich wirksamen Vereinbarung. Kommt es (aus anderen Gründen) zu einer „Organschaftspause“ während der Mindestlaufzeit, liegen (weiterhin) vGA/ vE vor. Man wird allerdings missbräuchliche „Manipulationen“ aussparen können (der BFH hat sich nach Walter [GmbHR 2017, 1222, 1223] ein „Hintertürchen“ offengehalten). Ein Nichtanwendungserlass (s. Schwetlik, GmbH-StB 2017, 337 [339]) ist aus der zwischenzeitlichen uneingeschränkten Veröffentlichung im BStBl. II nicht ersichtlich, was aber eine „gesetzgeberische Gegenaktion“ (so Schewe, DStRK 2017, 342) nicht zwingend ausschließt.

4. Rechtsfragen bei Mehr-/Minderabführungen im Zusammenhang mit dem Einlagekonto (§ 27 KStG) Das BFH-Urteil v. 15.3.201715 hat zu Rechtsfragen bei Mehr-/Minderabführungen im Zusammenhang mit dem Einlagekonto (§ 27 KStG) entschieden: 15 BFH v. 15.3.2017 – I R 67/15, BFHE 257, 569 = FR 2018, 179 = GmbHR 2017, 991 = DStR 2017, 1650; Anmerkungen: Bolik/Kummer, NWB 2017, 3342; Brandis, BFH/PR 2017, 328; Bünning, BB 2017, 2162; von Freeden/Lange, DB 2017, 2055; Gosch/Adrian, GmbHR 2017, 965; jh, StuB 2017, 604; Joisten/ Lüttchens, Ubg. 2017, 561; Ronneberger, DStRK 2017, 269; Schwetlik, GmbH-StB 2017, 266; Tippelhofer, StuB 2017, 744; Weber-Grellet, FR 2018, 182.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften „1. Ein Ertragszuschuss stellt eine verdeckte Einlage dar und führt zu einer Erhöhung des steuerlichen Einlagekontos bei der Organgesellschaft nach § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG, die durch den sofortigen Rückfluss an den Organträger im Rahmen der organschaftlichen Gewinnabführung nicht wieder rückgängig gemacht wird. 2. Der Tatbestand der organschaftlichen Mehr- oder Minderabführung i.S. des § 27 Abs. 6 Satz 1 KStG ist am Grundanliegen des Gesetzgebers auszurichten, die Einmalbesteuerung der organschaftlichen Erträge beim Organträger sicherzustellen (Bestätigung des Senatsurteils BFH v. 29.8.2012 – I R 65/11, BFHE 238, 382 = BStBl. II 2013, 555 = GmbHR 2012, 1308). 3. Bei der Rückgewähr eines Ertragszuschusses über die organschaftliche Gewinnabführung besteht ein aus dem Rechtsinstitut der Organschaft abzuleitender Grund dafür, von einer organschaftlichen Mehrabführung auszugehen (a.A. BMF v. 15.7.2013 – IV C 2 - S 2770/07/10004 :004 – DOK 2013/0457677, BStBl. I 2013, 921 = FR 2013, 772).“

Zum Sachverhalt: Die klagende GmbH erhielt von ihrer Muttergesellschaft (zugleich Organträgerin) einen (nicht rückzahlbaren) Ertragszuschuss, den sie in ihrer Handelsbilanz als Ertrag verbuchte. Darüber hinaus erfasste sie dort einen Übernahmeverlust (Verschmelzung mit einer eigenen Organgesellschaft); steuerrechtlich durfte dieser Verlust nicht abgezogen werden (§ 12 Abs. 2 UmwStG 1995/2002). Das FA erfasste den Ertragszuschuss als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto, wertete ihn aber auch als (organschaftliche) Mehrabführung (entsprechende Minderung des Einlagekontos). Der Übernahmeverlust sei aufgrund einer außerbilanziellen Korrektur keine Minderabführung. Das Begehren der Klägerin, von der Minderung des Einlagekontos abzusehen (es liege keine organschaftliche Mehrabführung vor), hatte beim FG keinen Erfolg (FG München, Außensenate Augsburg, v. 13.8.2015 – 6 K 39/13, EFG 2015, 1974). Die Revision der Klägerin wurde vom BFH zurückgewiesen. Hinweise: a) Rechtsfragen „rund um das steuerliche Einlagekonto“ (§§ 27–29 KStG) werden gerne unterschätzt. Dabei liegt die (entlastende) Bedeutung auf der Hand: Es geht um die Steuerfreiheit der Einlagenrückgewähr auf der Gesellschafterebene. Und die setzt einen (positiven) Bestand jenes „Kontos“ voraus! b) Es waren im Zusammenhang mit § 27 Abs. 6 KStG (Einlagekonto der Organgesellschaft bei Organschaft) zwei Fragen zu beantworten: Liegt eine (das Einlagekonto mindernde) organschaftliche Mehrabführung vor (s. zu c) und liegt eine (das Einlagekonto erhöhende) organschaftliche Minderabführung vor (s. zu d)? Ausgangspunkt war § 14 Abs. 4 KStG. Es geht um das gesetzgeberische Ziel, die Einmalbesteuerung der organschaftlichen Erträge beim Organträger sicherzustellen. Ergeben sich 79

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zwischen dem handelsbilanziellen Jahresergebnis (als Grundlage der organschaftlichen Gewinnabführung!) und dem steuerbilanziellen Ergebnis der Organgesellschaft Differenzen, sind sog. Mehr- und Minderabführungen als Ausgleichsposten zu erfassen, die im Zeitpunkt der Veräußerung der Organbeteiligung (unter Erhöhung/Minderung des Einkommens des Organträgers!) aufzulösen sind. c) Der (nicht rückzahlbare) Ertragszuschuss stellt eine verdeckte Einlage in das Vermögen der Klägerin dar und führt sowohl zu nachträglichen Anschaffungskosten auf die Beteiligung bei der Organträgerin als auch (zunächst!) zu einer Erhöhung des steuerlichen Einlagekontos bei der Klägerin. Der sofortige (mittelbare) Rückfluss des Zuschusses an die leistende Organträgerin über die Gewinnabführung im Rahmen des Organschaftsverhältnisses macht die verdeckte Einlage nicht wieder rückgängig; wegen der unterschiedlichen Rechtsgrundlagen für die Vorgänge (§ 27 Abs. 1 Satz 1 KStG einerseits, § 291 Abs. 1 AktG andererseits) kommt es nicht zu einer vorweggenommenen Saldierung der Geschäftsvorfälle. Allerdings ist das steuerliche Einlagekonto der Klägerin aufgrund einer Mehrabführung i.S.d. § 27 Abs. 6 Satz 1 KStG wieder zu mindern. Dazu (definitionsgemäß muss eine Differenz zwischen Handels- und Steuerbilanz bestehen!) hatte das FG auf die an die Handelsbilanz anschließende sog. Überleitungsrechnung (§ 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV) der Klägerin verwiesen. Daran könnten Zweifel bestehen, wenn man davon ausgeht, dass der Ertragszuschuss als verdeckte Einlage erst auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung das Einkommen mindert (der BFH lässt dies offen). Aber das Ergebnis stimmt: Denn verdeckte Einlagen sind steuerrechtlich unabhängig von einer damit verbundenen tatsächlichen Wertsteigerung der Beteiligung beim Gesellschafter als nachträgliche Anschaffungskosten auf die Beteiligung zu behandeln und als solche zu aktivieren. Der tatsächliche Wert der Beteiligung bleibt jedoch im Rahmen eines Organschaftsverhältnisses infolge der Gewinnabführung unverändert. Dies hat zur Folge, dass bei einer Veräußerung der Beteiligung der Veräußerungsgewinn um den geleisteten Ertragszuschuss gemindert wird. Demgemäß ist bei Vorliegen eines solchen Sachverhalts nach der Systematik der Organschaft und ihres tragenden Grundanliegens (Einmalbesteuerung der organschaftlichen Erträge beim Organträger) von einer organschaftlichen Mehrabführung auszugehen. Damit ist nicht nur das Einkommen des Organträgers bei Veräußerung der Organbeteiligung durch Auflösung eines entsprechenden passiven Ausgleichspostens zu erhöhen. Ebenfalls ist bei der Organgesellschaft die durch die verdeckte Einlage bedingte Erhöhung

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des steuerlichen Einlagekontos durch eine entsprechende Minderung nach § 27 Abs. 6 KStG wieder auszugleichen. d) Der Übernahmeverlust ist keine Minderabführung i.S.d. § 27 Abs. 6 Satz 1 KStG. Zwar weicht auch hier aufgrund der gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 1995/2002 angeordneten außerbilanziellen Hinzurechnung des Übernahmeverlusts das handelsrechtliche Jahresergebnis vom steuerrechtlichen Gewinn ab. Wenn es aber darum geht, die Einmalbesteuerung der organschaftlichen Erträge beim Organträger sicherzustellen, kann dies nicht als Minderabführung qualifiziert werden. Denn § 12 Abs. 2 Satz 1 UmwStG 1995/2002 ordnet lediglich ein Verlustabzugsverbot an, lässt aber im Übrigen die Bilanzierung der übergegangenen Wirtschaftsgüter unberührt. Bei einer späteren Veräußerung der Beteiligung besteht daher keine Gefahr einer Verletzung des Grundsatzes der Einmalbesteuerung. Demgemäß besteht auch kein Grund dafür, das Einkommen des Organträgers im Falle der Veräußerung der Organbeteiligung durch Auflösung eines aktiven Ausgleichspostens zu mindern. Insgesamt ist damit nicht ausreichend, auf eine Differenz zwischen Handels- und Steuerbilanz hinzuweisen, um eine Mehr- oder Minderabführung zu identifizieren. Tatsächlich kann trotz einer solchen Differenz der Tatbestand nicht erfüllt sein, wie ebenfalls trotz fehlender Differenz eine Mehr- oder Minderabführung vorliegen kann. Denn es geht letztlich für jeden einzelnen Geschäftsvorfall darum, sicherzustellen, dass die Einmalbesteuerung der organschaftlichen Erträge beim Organträger erfolgt. Die Praxis hält eine BMF-Verlautbarung für dringend erforderlich (z.B. Ronneberger, DStRK 2017, 269; Gosch/Adrian, GmbHR 2017, 965 [969]).

5. Weitere – in Kürze bekannt werdende – Entscheidungen im Zusammenhang mit der ertragsteuerrechtlichen Organschaft I R 93/1516 („Anerkennung eines Ergebnisabführungsvertrages: 1. Ist die Verknüpfung einer Ausgleichszahlung an außenstehende Gesellschafter mit dem Ergebnis der Organgesellschaft – unabhängig von der Höhe – steuerschädlich?; 2. Besteht für Altverträge eine Pflicht zur Anpassung in Bezug auf den mit Wirkung vom 15. Dezember 2004 eingeführten § 302 Abs. 4 AktG [Verjährungsvorschrift zur Verlustübernahme]?“ – Nds. FG v. 11.11.2015 – 6 K 386/13, EFG 2016, 1193 m. Anmerkung Hennigfeld). 16 BFH v. 10.5.2017 – I R 93/15, BFHE 259, 49 = GmbHR 2018, 36 = DStR 2017, 2429.

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I R 54/1517 („Ist der Haftungstatbestand bei mittelbaren Organschaftsverhältnissen [Enkelgesellschaft] erfüllt und ein auf § 191 i.V.m. § 73 sowie § 45 Abs. 1 AO gestützter, an die Gesamtrechtsnachfolgerin gerichteter Haftungsbescheid rechtmäßig?“ – FG Düss. v. 19.2.2015 – 16 K 932/12 H[K], GmbHR 2015, 1116). I R 80/1518 („Ist wegen des Umstands, dass ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag im Jahr des Vertragsschlusses aufgrund verzögerter Bearbeitung beim Registergericht nicht mehr im Handelsregister eingetragen wurde und damit steuerlich nicht anzuerkennen war, das beklagte Finanzamt zur abweichenden Festsetzung der in diesem Jahr entstandenen Körperschaftsteuer im Wege der Billigkeit [§ 163 AO] verpflichtet?“ – FG Bad.-Württ. v. 21.4.2015 – 6 K 1284/14, EFG 2015, 2156).

IV. Verdeckte Gewinnausschüttung 1. vGA bei nicht kostendeckender teilweiser Vermietung eines Gebäudes (Einfamilienhauses) an den GesellschafterGeschäftsführer Das BFH-Urteil v. 27.7.201619 hat zur vGA bei nicht kostendeckender teilweiser Vermietung eines Gebäudes (Einfamilienhauses) an den Gesellschafter-Geschäftsführer entschieden: „1. Ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft wird nur dann bereit sein, die laufenden Aufwendungen für den Ankauf, den Ausbau und die Unterhaltung eines Einfamilienhauses zu (privaten) Wohnzwecken – also im privaten Interesse – eines Gesellschafters der Kapitalgesellschaft zu tragen, wenn der Gesellschaft diese Aufwendungen in voller Höhe erstattet werden und sie zudem einen angemessenen Gewinnaufschlag erhält (Bestätigung des Senatsurteils BFH v. 17.11.2004 – I R 56/03, BFHE 208, 519 = FR 2005, 589). Eine Vermietung zu marktüblichen, aber nicht kostendeckenden Bedingungen würde er (ausnahmsweise) in Betracht ziehen, wenn er bezogen auf den jeweils zu beur-

17 BFH v. 31.5.2017 – I R 54/15, BFHE 259, 1 = BStBl. II 2018, 54 = GmbHR 2017, 1285 = FR 2018, 141 = DStR 2017, 2214. 18 BFH v. 23.8.2017 – I R 80/15, BFHE 259, 405 = BStBl. II 2018, 141 = DStR 2017, 2803 = DB 2017, 3036. 19 BFH v. 27.7.2016 – I R 8/15, BFHE 255, 32 = BStBl. II 2017, 214 = FR 2017, 963 = DStR 2016, 2649; Anmerkungen: Brandis, BFH/PR 2017, 54; Brill, BeSt 2017, 8; jh, StuB 2016, 876; Kohlhepp, DB 2017, 3019; Märtens, jurisPR-SteuerR 2/2017 Anm. 6; Renner, DStZ 2017, 458; Schwetlik, EStB 2016, 445; Thiele, DStRK 2017, 7; XX, SWI 2016, 646.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften teilenden Veranlagungszeitraum bereits von der Erzielbarkeit einer angemessenen Rendite ausgehen kann. 2. Da sich der vorzunehmende Fremdvergleich (nur) auf das dem Gesellschafter konkret vermietete (Teil-)Grundstück bezieht, ist es unerheblich, ob dem Gesellschafter das Grundstück vollständig oder nur teilweise überlassen wird; auch kommt es nicht darauf an, ob die eigenbetriebliche Nutzung der Immobilie überwiegt.“

Zum Sachverhalt: An der klagenden GmbH waren in den Jahren 2007 bis 2010 T zu 5 % und dessen Schwester L zu 95 % beteiligt; die GmbH vermietete 52 % (243 qm) ihres ansonsten selbst genutzten Gebäudes in B Stadt zu einem angemessenen Mietpreis (1290 Euro) zu Wohnzwecken an T (das im Zwangsversteigerungsverfahrens erworbene Grundstück stand ursprünglich im Alleineigentum der Ehefrau des T). Das Gebäude ist im Wohnbereich mit hochwertigen Materialien und Techniken ausgestattet und hat einen Wellnessbereich mit Schwimmbecken, Whirlpool und Sauna. Die GmbH erwirtschaftete Verluste. Das FA setzte vGA in Höhe der Differenz zwischen der um einen Gewinnaufschlag von 5 % erhöhten Kostenmiete und der gezahlten Miete an: Ein fremder Geschäftsführer hätte die Verluste aus der Vermietung nicht akzeptiert; es sei unerheblich, dass die GmbH die Immobilie günstig erworben habe bzw. ob langfristig ein Vermietungsgewinn erzielbar gewesen sei. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (FG Bad.-Württ. v. 5.8.2014 – 6 K 24/13, juris) – eine vGA sei nicht anzusetzen, weil in B Stadt eine kostendeckende Miete nicht erzielbar gewesen und T also auch kein Vorteil aus einer verbilligten Wohnungsüberlassung zugewandt worden sei (eine Fremdvermietung hätte zur nämlichen Ertragssituation bei der GmbH geführt). Der BFH hob das stattgebende FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Hinweise: a) Der juris-Orientierungssatz zu Leitsatz 1 lautet: „Grundlage der Berechnung der Kostenmiete ist die II. BV, wobei steuerliche Vorteile, die der Kapitalgesellschaft unabhängig von der Vorteilszuwendung an den Gesellschafter zustehen (etwa AfA für Baudenkmäler gemäß § 7i EStG), hiervon abweichend nicht zu berücksichtigen sind, soweit sie die reguläre AfA (§ 7 EStG) übersteigen. Einzubeziehen ist jedoch eine Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals.“

b) In BFH v. 17.11.2004 – I R 56/03 (BFHE 208, 519 = FR 2005, 589) heißt es bereits: „1. Tätigt eine Kapitalgesellschaft ohne angemessenes Entgelt verlustträchtige Geschäfte, die im privaten Interesse ihrer Gesellschafter liegen, so kann dies zu einer vGA führen. …

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften 2. Erwirbt und unterhält eine GmbH ein Einfamilienhaus und vermietet dieses an ihren Gesellschafter-Geschäftsführer zu dessen privaten Wohnzwecken, bemisst sich die anzusetzende Miete regelmäßig nach … der Kostenmiete zuzüglich eines angemessenen Gewinnzuschlags.“

Das FG sah nun aber hier einen „Revisionsbedarf“ (anders das FG Köln in den Parallelverfahren – s. dazu unten). Und tatsächlich scheint in diesem Fall durch den Ansatz einer vGA die Grenzlinie einer Ist-Ertragsteuer überschritten und der Weg zur Soll-Ertragsteuer eröffnet zu sein. Denn der ordentlich und gewissenhaft handelnde Geschäftsleiter hätte „am Markt“ kein höheres Entgelt erzielen können. Hindert das die Annahme einer durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten verhinderten Vermögensmehrung, die geeignet ist, beim mietenden Gesellschafter einen Zufluss (Kapitalvermögen) auszulösen? c) Die bekannten Strukturen der vGA werden in dieser Entscheidung bestätigt: Da es eine „Privatsphäre“ der Kapitalgesellschaft nicht gibt, findet der Immobilienerwerb im betrieblichen Bereich statt; Verluste aus einer derartigen Investition sind aber vGA, wenn die Gesellschaft nicht aus eigenem Gewinnstreben, sondern nur zur Befriedigung privater Interessen der Gesellschafter handelt (Maßstab: die Kriterien, die zur Abgrenzung zwischen Einkunftserzielung und sog. Liebhaberei entwickelt worden sind). d) Da es im Rahmen des Fremdvergleichs („Geschäft mit Nichtbeteiligten“) auch um Gewinnmaximierung bei der Gesellschaft geht, würde man die laufenden Aufwendungen für den Ankauf, den Ausbau und die Unterhaltung eines Einfamilienhauses zu (privaten) Wohnzwecken (damit: im privaten Interesse) eines Gesellschafters nur tragen, wenn die Gesellschaft einen Ersatz dieser Aufwendungen zzgl. angemessenen Gewinnaufschlag erhält. Es reicht nicht aus, dass die Investition in ferner Zukunft (möglicherweise) einen Gewinn abwirft. Denn im Rahmen des Fremdvergleichs kommt es auf die Lage im jeweils zu beurteilenden Veranlagungszeitraum an; es ist auch nicht darauf abzustellen, ob die Tätigkeit bei rückschauender Betrachtung wirtschaftlich erfolgreich war. Ein „akzeptables Investitionsziel“ liegt nicht darin, eine Immobilie wie ein fremder Dritter zu marktüblichen Bedingungen an den Gesellschafter zu vermieten, wenn Steuervorteile und ein in Zukunft im Betriebsvermögen anfallender Veräußerungsgewinn bei der Kapitalgesellschaft verbleiben. Abweichend zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung kann man sich nicht mit der Erzielbarkeit eines Totalgewinns über einen ge-

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dachten Vermietungszeitraum von 30 Jahren zufrieden geben. Denn in die Kalkulation ist einzubeziehen, dass man die zunächst über viele Jahre anfallenden Verluste ausgleichen müsste und bezogen auf die dazu erforderlichen Eigen- oder Fremdmittel sogar eine negative Rendite aufgrund fehlender Eigenkapitalverzinsung oder belastender Fremdkapitalzinsen erzielen würde. Und dies gilt nicht nur für besonders aufwändig ausgestattete Einfamilienhäuser (die Abgrenzung von „normalen“ und aufwändig ausgestatteten Einfamilienhäusern ist hier nicht relevant). Da sich der Fremdvergleich (nur) auf das dem Gesellschafter konkret vermietete (Teil-)Grundstück bezieht, ist es im Rahmen des vorzunehmenden Fremdvergleichs auch unerheblich, ob dem Gesellschafter das Grundstück vollständig oder nur teilweise überlassen wird; ebenso kommt es nicht darauf an, ob die eigenbetriebliche Nutzung der Immobilie überwiegt. Anderes gilt nur, wenn der Nachweis gelingt, dass die (verlustbringende) Vermietung ausnahmsweise mit der Vorstellung der Erzielbarkeit einer angemessenen Rendite und damit aus betrieblichen Gründen vorgenommen wurde. Dazu muss (schon beim FG!) ein schlüssiges wirtschaftliches Konzept vorgelegt werden (z.B. mit Blick auf einen kurz-/mittelfristig geplanten Verkauf oder eine bevorstehende Umschuldung zur Minderung der Zinslasten). e) Nicht zuletzt war die verlustbedingte Minderung des Unterschiedsbetrags auch geeignet, beim Gesellschafter einen sonstigen Bezug i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG auszulösen. Die Vorteilseignung ergibt sich daraus, dass T bei einem Ankauf der betreffenden Immobilie exakt die Kosten zu tragen gehabt hätte, die im Streitfall die Klägerin zu tragen hatte. f) Zur Höhe der vGA: Der BFH hat gegen den schon vom FG zugrunde gelegten Ansatz der Differenz zwischen der um einen Gewinnaufschlag von 5 % erhöhten Kostenmiete (VO über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem 2. WoBauG) und dem von T gezahlten (ortsüblichen) Nutzungsentgelt keine Bedenken. Immerhin ist damit auch ein Teil „Substanzwertminderung“ (AfA) in der vGA erfasst, was wiederum für den Zeitpunkt einer substanzbezogenen Gewinnrealisierung bedeutet, dass zur Berechnung des Gewinns der Buchwert um bereits in den Vorjahren als vGA angesetzte AfA-Teilbeträge zu erhöhen ist. Dies ist sowohl für den Berater als auch die FinVerw. eine anspruchsvolle Dokumentationsaufgabe! Nicht anzusprechen war die Bewertungsfrage beim Ansatz der vGA (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) beim Gesellschafter – hier hat sich das FG Ber85

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lin-Brandenburg in einem AdV-Verfahren für einen Ansatz i.H. der Unterschiedsbetragsminderung bei der Kapitalgesellschaft ausgesprochen (FG Berlin-Brandenb. v. 24.4.2017 – 10 V 1044/17, EFG 2017, 1087 m. Anmerkung Tiedchen; s.a. Kohlhepp, DB 2017, 3019 [3020]).20 g) Der BFH hatte im Übrigen zugleich auch die Parallelverfahren BFH v. 27.7.2016 – I R 12/15 (BFHE 255, 39 = BStBl. II 2017, 217 = FR 2016, 960 = DStRE 2017, 35; Sachverhalt: Alleingesellschafter und Geschäftsführer der klagenden GmbH ist B. Die GmbH erwarb im März 2007 für 345 000 Euro zzgl. Nebenkosten ein 490 qm großes und mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück. Dieses vermietete sie ab dem 1.7.2007 zu einem monatlichen ortsüblichen Mietzins von 900 Euro [ohne Nebenkosten] an B und dessen Lebensgefährtin. Als Betriebsausgaben im Zusammenhang mit der Vermietung machte sie u.a. Aufwendungen für die Reparatur der Heizungsanlage und AfA auf das Gebäude geltend. Das FA setzte eine vGA an. Während des Einspruchsverfahrens legte die GmbH ein betriebliches Konzept vor, das einen voraussichtlichen Totalgewinn aus der Vermietungstätigkeit auswies. Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg, als das FA statt der Reparaturaufwendungen für die Heizungsanlage nur noch die nach § 28 der VO über wohnungswirtschaftliche Berechnungen nach dem 2. WoBauG ermittelte Instandhaltung beim Ansatz der vGA berücksichtigte. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos – FG Köln v. 22.1.2015 – 10 K 3204/12, EFG 2015, 843) und auch BFH v. 27.7.2016 – I R 71/15 (BFH/NV 2017, 60) – in einem entsprechenden Sinne – entschieden. h) Exkurs: Zur Problematik der vGA bei überhöhten Zinsen an eine im Ausland belegene Schwestergesellschaft (FG Münster v. 7.12.2016 – 13 K 4037/13, EFG 2017, 334) wird zur dortigen Ermittlung eines angemessenen Zinssatzes (zu Darlehen von einer niederländischen Schwestergesellschaft) mit der sog. Kostenaufschlagsmethode (Kosten bei der Darlehensgeberin zzgl. Gewinnaufschlag) – und nicht einer Preisvergleichsmethode – auf die o.a. Urteile i.S. einer Festlegung auf diese Methode verwiesen (so Schmitz-Herscheidt, NWB 2017, 312 [313]). Es ist zweifelhaft, ob die Aussagen des BFH-Urteils eine solche Festlegung beinhalten könnten.

20 Nachtrag: Im Beschwerdeverfahren wurde der FG-Beschluss aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen (BFH v. 10.8.2017 – VIII B 50/17, n.v.).

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2. Sog. Überversorgung Zur Problematik der Versorgungszusage (§ 6a EStG/vGA) hat der BFH die langjährige Rspr. zur sog. Überversorgung gegen die Kritik bestätigt, s. BFH-Urteil v. 20.12.201621: „1. An den Grundsätzen der sog. Überversorgungsprüfung bei der stichtagsbezogenen Bewertung von Pensionsrückstellungen (ständige Rechtsprechung seit BFH v. 13.11.1975 – IV R 170/73, BFHE 117, 367 = BStBl. II 1976, 142; zuletzt Senatsurteil BFH v. 26.6.2013 – I R 39/12, BFHE 242, 305 = BStBl. II 2014, 174 = FR 2014, 114) wird festgehalten. 2. Auch wenn bei der Prüfung stichtagsbezogen auf die „aktuellen Aktivbezüge“ des Zusageempfängers abzustellen ist, kann es bei dauerhafter Herabsetzung der Bezüge geboten sein, den Maßstab im Sinne einer zeitanteiligen Betrachtung zu modifizieren (gl.A. BMF v. 3.11.2004 – IV B 2 - S 2176 - 13/04, BStBl. I 2004, 1045 = FR 2004, 1408, Rz. 19). 3. Die „aktuellen Aktivbezüge“ umfassen auch variable Gehaltsbestandteile, die im Rahmen einer Durchschnittsberechnung für die letzten fünf Jahre zu ermitteln sind (gl.A. BMF v. 3.11.2004 – IV B 2 - S 2176 - 13/04, BStBl. I 2004, 1045 = FR 2004, 1408, Rz. 11). 4. Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung prägen das – durch die betriebliche Altersversorgung zu ergänzende – Versorgungsniveau auch dann, wenn sie im Wesentlichen auf eigenen Beitragsleistungen beruhen.“

Zum Sachverhalt: Die klagende GmbH betrieb auch in den Jahren 2005 bis 2007 ein handwerkliches Unternehmen. Der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag mit dem früheren Alleingesellschafter C (geb. 1941) sah zunächst ein Bruttomonatsgehalt von 7000 DM zzgl. Tantieme i.H.v. „bis zu 50 % vom Jahresüberschuss vor Steuer nach Feststellung der Bilanz“ vor (eine Regelung zur privaten Nutzung eines betrieblichen Kfz. enthielt der Vertrag nicht). Im Dezember 1993 erteilte die Klägerin eine Versorgungszusage (unverfallbarer Anspruch auf ein unveränderliches Ruhegehalt von 6000 DM p.M. ab Vollendung des 65. Lebensjahres bzw. auf Hinterbliebenenversorgung); einen Anspruch aus einer Rückdeckungsversicherung trat sie an C ab. Im November 1999 übertrug C Anteile auf seine Söhne (jeweils 16 500 DM), die ebenfalls zu Geschäftsführern bestellt wurden. In diesem Zusammenhang wurde vereinbart, die Arbeitszeit des C (auf 30 Stunden je Woche) i.V.m. einer Herabsetzung des Brut21 BFH v. 20.12.2016 – I R 4/15, BFHE 256, 483 = BStBl. II 2017, 678 = FR 2017, 737 = DStR 2017, 841; Anmerkungen: Brandis, BFH/PR 2017, 215; Briese, FR 2017, 741; jh, StuB 2017, 359; Kohlhepp, DB 2017, 3019 (3023); Reiter, GmbHStB 2017, 168; TK, DStZ 2017, 661; Wenzler, GmbHR 2017, 655; Weppler, BB 2017, 1203.

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tomonatsgehalts auf 6000 DM (Grundlage: kalkulatorischer Gehaltsanspruch von 9000 DM bei einer Arbeitszeit von 45 Stunden) zu reduzieren. Im Streitjahr 2006 erhielt C bis einschließlich Februar ein Bruttomonatsgehalt i.H.v. 3790 Euro. Ab März zahlte die Klägerin eine Pension i.H.v. 3067 Euro (6000 DM), insg. 30 677 Euro, und im Jahr 2007 36 813 Euro. C erhielt ab März 2006 zudem eine Rente von der Deutschen Rentenversicherung (mtl. 831,46 Euro). Sein Rentenanspruch beruht im Wesentlichen auf (eigenfinanzierten) Einzahlungen in die Sozialversicherung in der DDR (einzelunternehmerische Tätigkeit als selbständiger Handwerksmeister). Das FA meinte, es liege eine Überversorgung vor; spätestens ab dem Jahr 1995 hätte eine Anpassung der Versorgungszusage erfolgen müssen. Die Überversorgungsgrenze ermittelte es wie folgt: steuerpflichtiges Brutto im letzten aktiven Arbeitsjahr (2005), davon 75 %; abzüglich Sozialversicherungs-Rente und DirektversicherungsRente = maximale Betriebsrente (Überversorgungsgrenze). Die Pensionsrückstellung für die Versorgung des C sei innerbilanziell zu korrigieren (2005: 151 458 Euro; 2006: 151 958 Euro; 2007: 152 909 Euro). Von den an C ausgezahlten Pensionsleistungen (2006: 30 677 Euro; 2007: 36 813 Euro) sei ein Teilbetrag i.H.v. 10 135 Euro (2006) sowie 12 163 Euro (2007) als vGA dem Einkommen der Klägerin hinzuzurechnen. I.Ü. sei eine private Nutzung des Kfz. als vGA zu behandeln (2005 und 2006: je 4648 Euro). Das FG hat der dagegen gerichteten Klage stattgegeben (FG Berlin-Brandenb. v. 2.12.2014 – 6 K 6045/12, EFG 2015, 321). Der BFH hat das angefochtene Urteil allerdings aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung an das FG zurückverwiesen. Hinweise: a) Das „Rüttelurteil“ des FG gegen die sog. ÜberversorgungsRspr. war nicht erfolgreich. Der BFH hat die von mehreren Senaten getragene Rspr. auf der Grundlage der in der Literatur geäußerten und vom FG gestützten Kritikpunkte einer nochmaligen Prüfung unterworfen und keine hinreichende Veranlassung für eine Aufgabe der langjährigen Rspr. (auf die sich die Rechtspraxis eingestellt hat) gesehen. Ob sich die Kritik wenigstens mit dem Gedanken anfreundet, dass Rechtsprechungskontinuität auch einen Wert hat („Beratungssicherheit“), war eine Hoffnung, die sich nicht erfüllt hat (z.B. Briese, FR 2017, 741 [742]; Wenzler, GmbHR 2017, 655 [656]). b) Im Einzelnen: § 6a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 Satz 4 (und Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2 i.V.m. Nr. 1 Satz 4) EStG stellt eine ausreichend klare Rechtsgrundlage für die Überversorgungs-Rspr. dar. Es geht um die Berechnung des Rück88

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stellungsteilwerts nach dem sog. Stichtagsprinzip – eine Höherbemessung, die als Vorwegnahme künftiger Entwicklungen anzusehen sein kann, ist stichtagsbezogen auszuschließen. Es soll vermieden werden, dass Aufwand vorgezogen wird, der bei üblicher Leistungsplangestaltung erst in künftigen Perioden verrechnet werden kann. Die steuerbilanzielle Bewertungsregelung hat mit Rechtsfragen rund um arbeitsrechtliche Möglichkeiten zur einseitigen Absenkung des erteilten Versorgungsversprechens (oder zur Altersteilzeit) nichts zu tun. Insoweit geht es auch nicht darum, das Versorgungsversprechen (i.S. der zivilrechtlichen Verpflichtung) „steuerrechtlich nicht anzuerkennen“ oder „Versorgungshöchstgrenzen“ aufzustellen. Tragend ist vielmehr die stichtagsbezogene Bewertung, die dem Zweck des betrieblichen Versorgungsversprechens („Schließen einer ‚Versorgungslücke‘“) entspricht, zugleich aber die Höhe der gewinnmindernden Rückstellungen begrenzt und damit die Berücksichtigung einer sog. Überversorgung auf der Grundlage einer indiziellen Würdigung (!) vermeidet. Dies ist bei einem Versorgungsversprechen einer Kapitalgesellschaft an ihren Anteilseigner keine Frage der Veranlassung aus dem Gesellschaftsverhältnis (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG – vGA), i.Ü. auch keine Frage einer Steuerumgehung (§ 42 AO). Der Maßstab der „am Bilanzstichtag bezogenen Aktivbezüge“ lässt sich klar ausdeuten. Es ist auf den Arbeitslohnbegriff des § 2 LStDV abzustellen; Bezüge, die nicht im Arbeitsverhältnis veranlasst sind (insbes. vGA), sind auszuschließen. Soweit es um die „aktuellen Aktivbezüge“ geht, muss es im Zuge einer Verminderung des Gehalts in einer Unternehmenskrise (d.h. bei einer nur vorübergehenden betriebsbedingten Gehaltsherabsetzung, z.B. zur Überwindung einer aktuellen wirtschaftlichen Schieflage) nicht zwingend sofort zu einer Absenkung der Versorgung kommen, um einen Verstoß gegen die Überversorgungsgrundsätze zu vermeiden (eine zeitliche Konkretisierung dazu ist nicht erfolgt; sie war im Streitfall entbehrlich, da nach den Feststellungen des FG eine nachhaltige Herabsetzung der Bezüge vorlag). I.Ü. kann in der Situation der Herabsetzung der Aktivbezüge nicht außer Acht bleiben, dass eine Überversorgung im Einzelfall erst infolge der Herabsetzung eingetreten sein kann. Dann muss durch eine zeitanteilige Aufteilung gewährleistet werden, dass die Bewertungsbegrenzung nicht in einen Anwartschaftsteil hineinwirkt, der zu den früheren Stichtagen jeweils nicht „überversorgend“ war (zeitanteilige Sichtweise). Die Aktivbezüge werden darüber hinaus nicht ausschließlich durch die Festbezüge bestimmt. Einzubeziehen sind ebenfalls variable Gehaltsbestandteile; maßgebend hierfür ist eine Durchschnittsberechnung, die sich (in Anlehnung an 89

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§ 34 Abs. 1 EStG und mit Blick auf die Praktikabilität) auf die vergangenen fünf Jahre beziehen kann. Komponenten aus dem berechnungsrelevanten (gerade durch einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung geprägten) bereits vorhandenen Versorgungsniveau des Zusageempfängers sind nicht unter dem Gesichtspunkt auszuscheiden, dass sie auf eigenen Leistungen des Begünstigten beruhen. Dies folgt daraus, dass der Gesichtspunkt der sog. Überversorgung auf der Überlegung aufbaut, dass der Arbeitgeber eine lebensstandardbewahrende Versorgung zusagt, indem er eine „nach der gesetzlichen Rentenversicherung verbleibende Versorgungslücke von etwa 20–30 % der letzten Aktivbezüge“ schließt. Insoweit ist es sachgerecht, dass für die Prüfung der Grenze sämtliche am Bilanzstichtag durch den Arbeitgeber vertraglich zugesagten Altersversorgungsansprüche (insbes. Direktzusage, Direktversicherung) einschließlich der zu erwartenden Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung herangezogen werden. Die gesetzliche Rente ist für eine Mehrzahl der Fälle die tragende Säule der Versorgung – dies sowohl mit Blick auf die Anspruchshöhe als auch die Durchsetzbarkeit des Anspruchs; nicht zuletzt lässt sich diese Versorgung durch die zuverlässigen Mitteilungen des gesetzlichen Trägers auch ohne weitere Schwierigkeiten in der Besteuerungspraxis einbeziehen. Einer weiteren Differenzierung der gesetzlichen (Renten-)Versorgung bedarf es bei der hier gebotenen Typisierung nicht. Demgemäß müssen auch Einzelfragen zur Finanzierung der gesetzlichen Versorgung (z.B. die fehlenden Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung bei der Staatlichen Versicherung der DDR) unberücksichtigt bleiben. c) Eine ausgezahlte „überversorgende“ Pension ist (anteilig) vGA. d) In Kürze bekannt werdende Entscheidung in diesem Zusammenhang: BFH I R 91/1522 („1. Ist für die Berechnung, ob gebildete Pensionsrückstellungen wegen einer sog. Überversorgung teilweise aufzulösen sind, auf die während der aktiven Tätigkeit im jeweiligen Wirtschaftsjahr tatsächlich bezogenen Arbeitsentgelte abzustellen und nicht anzunehmen, dass das im Monat des Bilanzstichtags zugesagte Gehalt auch das für die Zukunft geltende Gehalt ist (hier: Herabsetzung der Bezüge im letzten Monat des am 31.12. endenden Wirtschaftsjahres; kein Abstellen auf die Summe des auf das Jahr hochgerechneten herabgesetzten Dezembergehalts)? 2. Erfordert die Bildung einer Rückstellung für eine Pensionsverpflichtung hinsichtlich der inhaltlichen Konkretisierung der Pensions22 BFH v. 31.5.2017 – I R 91/15, GmbHR 2018, 98 = BFH/NV 2018, 16.

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zusage, dass die Bemessungsgrundlage für die Versorgungsleistungen in der Versorgungszusage so genau angegeben wird, dass die Höhe der Altersrente, der Invalidenrente und der Hinterbliebenenversorgung eindeutig bestimmbar ist (hier: Vereinbarung einer retrograden Ermittlung der Rente aus den Rückstellungsbeträgen)? 3. Wird die ursprüngliche Pensionszusage durch eine neue Pensionszusage ersetzt, wirkt dann die zivilrechtliche Aufhebung bzw. Änderung der ursprünglichen Pensionszusage unabhängig davon, ob die neue Pensionszusage den Anforderungen des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG 2002 genügt? Bedingt die Mehrdeutigkeit einer Pensionsvereinbarung zivilrechtlich die Unwirksamkeit der gesamten Vereinbarung?“ – FG Düss. v. 10.11.2015 – 6 K 4456/13, EFG 2016, 111 m. Anmerkung Zimmermann). e) Kurzüberblick zur Prüfungsreihenfolge bei Versorgungszusagen („Eine vGA kann nur in Bezug auf solche Pensionsrückstellungen gegeben sein, die nach § 6a EStG zulässig sind.“): aa) Tatbestandsvoraussetzungen des § 6a EStG – es liegen „bilanzinterne Voraussetzungen“ vor, so dass insoweit eine „rückwärtsgerichtete Bestandskorrektur“ möglich ist (für die „offenen Prüfungsjahre“ liegen dann nicht abziehbare BA vor, keine vGA!), was für den vGA-Fall nicht gilt (nur Korrektur „offener Jahre“!). Anwendungsbeispiele (keine vGA, aber Verstoß gegen § 6a EStG): fehlende Schriftform der Zusage; unzutreffende Berechnung des Teilwerts; „schädlicher Vorbehalt“ (z.B. „Abfindungsvorbehalt zum Leistungsteilwert statt zum Leistungsbarwert“); Verstoß gegen das Nachholverbot des § 6a Abs. 4 Satz 1 EStG; sog. Überversorgung bis zum Eintritt des Versorgungsfalls; Rückstellungsbildung für Pensionsleistungen in Abhängigkeit von künftigen gewinnabhängigen Bezügen. Soweit die FinVerw. § 6a EStG eine feste (frühestens 60 Jahre [Ernsthaftigkeit!], Pensionierungsalter nach der gesetzlichen Rentenversicherung) Altersgrenze für die Berechnung der Rückstellung beistellt, folgte der BFH dem nicht – BMF v. 9.12.2016 – IV C 6 - S 2176/07/10004 :003 – DOK 2016/1112009 (BStBl. I 2016, 1427 = GmbHR 2017, 111; kritische Anmerkungen Lieb, BB 2017, 114; Janssen, NWB 2017, 7; AK, DStZ 2017, 95) hat nun „eingelenkt“ (bilanzrechtlich), bringt aber jetzt für Zusagen ab dem 9.12.2016 eine vGA „ins Spiel“ (Neuzusagen von weniger als 62 Jahren: vGA vollen Umfangs; bei Zusagen an beherrschende Gesellschafter auf ein geringeres Alter als 67 Jahre: anteilige vGA). Immerhin wird man Zusagen auf ein Alter unter 60 (ab 2012: 62) Jahren „§ 6a-rechtlich“ ausschließen können (keine „Altersversorgung“; s.a. BMF v. 24.7.2013 – IV C 3 - S 2015/11/10002 – DOK 91

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2013/0699161, BStBl. I 2013, 1022 = DB 2013, 1696 Rz. 284). Zur vGA: der hypothetische Fremdvergleich könnte bei einem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer zum (anteiligen) vGA-Ansatz führen. Zum sog. Statuswechsel: Der Wechsel aus der beherrschenden Stellung kann Aufstockungen bewirken (nicht aber eine „Heilung“ von früheren vGA-relevanten „Verstößen“), der Wechsel in die beherrschende Stellung berührt bisher erdiente Ansprüche nicht, die Rückstellung ist „einzufrieren“, bis nach den neuen Maßgaben Aufstockungen möglich sind (s. zum Statuswechsel auch BMF v. 9.12.2016 – IV C 6 - S 2176/07/10004 :003 – DOK 2016/1112009 [BStBl. I 2016, 1427 = GmbHR 2017, 111 Rz. 11]). bb) Ist § 6a EStG „erfüllt“, kann die Einkommensminderung (Bildung/ Erhöhung der Rückstellung) vGA sein. Anwendungsbeispiele vGA (grob zusammengefasst): Zusage unüblich (keine Ernsthaftigkeit), Erdienbarkeit, Wartezeit/Probezeit, Finanzierbarkeit, Angemessenheit. Je nach Falllage können auch beide Aspekte zugleich angesprochen sein (hier: Teilzeit-Weiterbeschäftigung des Geschäftsführers nach Eintritt des Pensionsalters, s. Schl.-Holst. FG v. 4.7.2017 – 1 K 201/14, EFG 2017, 1457 [m. Anmerkung Engellandt], Rev. I R 56/17), hier: Überversorgung kraft vertraglicher Deckelungsregelung (abgelehnt) und vGA (durch Parallelzahlung von Pension und Gehalt).

3. Sog. Erdienensdauer bei einer Unterstützungskassenzusage Das BFH-Urteil v. 20.7.201623 hat zur sog. Erdienensdauer bei einer Unterstützungskassenzusage entschieden: „1. Der von der Rechtsprechung zu Direktzusagen entwickelte Grundsatz, nach dem sich der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft einen Anspruch auf Altersversorgung regelmäßig nur erdienen kann, wenn zwischen dem Zusagezeitpunkt und dem vorgesehenen Eintritt in den Ruhestand noch ein Zeitraum von mindestens zehn Jahren liegt, gilt auch bei einer mittelbaren Versorgungszusage in Gestalt einer rückgedeckten Unterstützungskassenzusage.

23 BFH v. 20.7.2016 – I R 33/15, BFHE 254, 428 = BStBl. II 2017, 66 = GmbHR 2016, 1275 = DStR 2016, 2581; Anmerkungen: Brandis, BFH/PR 2017, 21; Briese, GmbHR 2016, 1277; jh, StuB 2016, 836; Kohlhepp, DB 2017, 3019 (3023); Manhart/Mische, BB 2016, 2791; Prost, BetrAV 2016, 658; Selig-Kraft, StuB 2017, 63.

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Brandis, Rechtsprechungs-Highlights zu Kapitalgesellschaften 2. Kann die sog. Erdienensdauer vom beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht mehr abgeleistet werden, ist prinzipiell davon auszugehen, dass ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter im Interesse der Gesellschaft von der (mittelbaren) Versorgungszusage abgesehen hätte. Die von der Gesellschaft als Trägerunternehmen an die Unterstützungskasse geleisteten Zuwendungen sind dann regelmäßig nicht als Betriebsausgaben abziehbar.“

Zum Sachverhalt: Die 1994 errichtete GmbH erteilte ihrem 1952 geborenen alleinigen Gesellschafter und Geschäftsführer (H) in 1996 ein Versorgungsversprechen (Alters- und Witwenversorgung) und schloss eine Rückdeckungsversicherung ab. Im November 2008 (im 57. Lebensjahr des H) traf man eine „Vereinbarung zur Änderung der Versorgungszusage“: Der erdiente Anspruch („past-Service“) bleibe bestehen (2063 Euro p.M.), während der Anspruch auf Hinterbliebenenrente sowohl für die Vergangenheit als auch für die Zukunft aufgehoben werde. Die bestehenden Rückdeckungsversicherungen würden beitragsfrei gestellt. Für den noch zu erdienenden Teil der Altersversorgung („future-Service“) solle der Durchführungsweg gewechselt werden: Die Zusage werde auf die überbetriebliche Versorgungskasse X e.V. (eine kongruent rückgedeckte Unterstützungskasse nach § 4d EStG) übertragen (Erteilung einer Versorgungszusage auf Leistungen der Altersversorgung zum 1.12.2008). Zur Finanzierung dieser Zusage leiste die GmbH Zuwendungen von 70 000 Euro p.a. an den e.V. (soweit die Zuwendungen zu einem den bisherigen Anspruch übersteigenden Anspruch des H führen sollten, solle dieser so behandelt werden wie die bisherigen Erhöhungen der Pensionszusage). Der e.V. werde zur Finanzierung und Sicherstellung der Versorgungszusage eine Rückdeckungsversicherung abschließen und die Zuwendungen in die Versicherung einzuzahlen. Im Rahmen einer wertgleichen Übertragung der künftig zu erdienenden Ansprüche auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung von der Gesellschaft auf den e.V. und zur Kalkulation der nötigen Beitragshöhe werde von einer Garantieverzinsung der Beiträge bei der Rückdeckungsversicherung des e.V. von z.Zt. 2,25 % p.a. ausgegangen. Alle Rechte und Ansprüche aus diesem Rückdeckungsversicherungsvertrag stünden dem e.V. zu. Für den noch zu erdienenden Teil der ursprünglichen Pensionszusage werde künftig eine Leistungszusage gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG seitens des e.V. ausgesprochen; bei vorzeitigem Ausscheiden vor Eintritt des Versorgungsfalls bleibe dem H eine sofortige unverfallbare Anwartschaft erhalten. Nach der Zusage des e.V. richtet sich die Versorgung ausschließlich nach den Versicherungsleistungen der abgeschlossenen Rückdeckungsversicherung. Es bestehe Anspruch auf „Altersversorgung im Alter 65“ in Form einer einmaligen Ka93

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pitalzahlung i.H.v. 643 956 Euro sowie „Hinterbliebenenversorgung“ in Art und Höhe der aus der Rückdeckungsversicherung fälligen Leistungen. Das FA behandelte einen Teilbetrag der von der GmbH geleisteten Zahlungen als vGA. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG ging (in den Grenzen des Verböserungsverbots) davon aus, dass die gesamten Zuwendungen der GmbH an die Unterstützungskasse nach den Vorgaben des § 4d Abs. 1 EStG nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden dürfen (FG Sachs.-Anh. v. 25.2.2015 – 3 K 135/12, juris). Der BFH wies die Revision der GmbH zurück. Hinweise: a) Versorgungsversprechen an den Gesellschafter-Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft sind „tägliches Brot“ in der Beratungspraxis – aber mit Blick auf die steuerrechtliche Anerkennung drohen verschiedenste „Stolpersteine“. Eine gängige Fallsituation ist auch ein (Teil-)Verzicht auf eine bereits verdiente Anwartschaft (z.B. vor einem Anteilsverkauf oder um eine Überschuldung infolge der durch BilMoG in der Handelsbilanz erhöhten Rückstellungsbewertung zu vermeiden), insbes. als Verzicht auf den „future-service“ (künftig zu erdienende Versorgungsanwartschaften); zu entscheiden sind Fragen zur Bewertung der (verdeckten) Einlage und zum (nicht erstrebten) Zufluss von Gehalt (Einzelheiten dazu in BMF v. 14.8.2012 – IV C 2 - S 2743/10/10001 :001 – DOK 2012/0652306, BStBl. I 2012, 874 = FR 2012, 834). Im Streitfall ging es um einen Verzicht auf eine Direktzusage und die „Umwandlung“ in eine mittelbare Versorgungszusage in Gestalt einer rückgedeckten Unterstützungskassenzusage. b) Rechtsgrundlage für einen Betriebsausgabenabzug der Zuwendungen an eine Unterstützungskasse ist § 4d Abs. 1 Satz 1 EStG; dazu müssen aber „die Leistungen der Kasse, wenn sie vom Trägerunternehmen unmittelbar erbracht würden, bei diesem betrieblich veranlasst“ sein. Liegen aber (mit Blick auf fiktive Versorgungsleistungen des Trägerunternehmens) vGA vor, hindert dies den Abzug. Das Abzugsverbot gilt auch dann, wenn die weiteren Voraussetzungen einer vGA, z.B. die Eignung der Vermögensminderung oder der verhinderten Vermögensmehrung, beim Gesellschafter einen Vorteil auszulösen, nicht vorliegen. c) Es entspricht st.Rspr., von einer Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis auszugehen, wenn der Gesellschafter die versprochenen Versorgungsleistungen im Zeitraum zwischen Zusage und seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis nicht mehr erdienen könnte 94

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(sog. Erdienbarkeit). Diese für die steuerrechtliche Beurteilung von Direktzusagen entwickelte Maßgabe kann unbeschadet des unterschiedlichen Finanzierungsmodells auf mittelbare Versorgungszusagen übertragen werden. Da das Erdienbarkeitskriterium lediglich indizielle Bedeutung hat, verbleibt Raum für eine dem Einzelfall gerecht werdende Beurteilung der Versorgungszusage. d) Die streitgegenständliche Altersversorgungszusage ist nicht lediglich die Änderung einer bestehenden Versorgungszusage, sondern als eine Neuzusage anzusehen (der Wechsel des Versorgungswegs stellt in rechtlicher Hinsicht für den Versorgungsempfänger eine wesentliche Statusänderung dar). Dabei sei – so der BFH – die Würdigung des FG, es habe eine Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis vorgelegen, als eine im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet liegende und damit grundsätzlich im Revisionsverfahren bindende (§ 118 Abs. 2 FGO) Tatsachenfeststellung nicht zu beanstanden. Insoweit habe sich das FG zu Recht auf die allgemeinen Erdienensgrundsätze (Zusage vor Vollendung des 60. Lebensjahrs; Zeitspanne zwischen dem Zusagezeitpunkt und dem vorgesehenen Eintritt in den Ruhestand reicht aus, um den Versorgungsanspruch zu „erdienen“; bei beherrschendem Gesellschafter: 10 Jahre) beziehen können, da sie zutreffend nicht als „starre Grenzen“ angesehen worden seien. So habe das FG eine Unterschreitung des Zehnjahreszeitraums um ein Jahr und acht Monate festgestellt und diesen Umstand als gewichtiges Indiz für eine (Mit-)Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis gewertet. Darüber hinaus habe es (mit ablehnendem Ergebnis) geprüft, ob Umstände gegen die Indizwirkung sprechen würden („einzelfallbezogener Escape“ möglich [aber ohne klare Konturen]). Jedenfalls könne der Hinweis darauf, man habe sich die Arbeitskraft des Geschäftsführers sichern wollen, nicht ausreichen. e) Wenn die Frage der „Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis“ als Dreh- und Angelpunkt des vGA-Ansatzes i.S. einer tatrichterlichen Würdigung mit (nicht ausnahmsloser, aber weitgehender) Bindungswirkung im Revisionsverfahren (§ 118 Abs. 2 FGO) verstanden wird, verlagert sich der Schwerpunkt des Rechtsstreits auf das Tatsachengericht (das FG) – hier ist Entsprechendes darzulegen und nachzuweisen.

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Steuerpolitik in der neuen Legislaturperiode Ministerialdirigent Dr. Steffen Neumann Finanzministerium NRW, Düsseldorf I. Einleitung II. Steuerliche Wahlprogramme zur Bundestagswahl am 24.9.2017 1. Die steuerlichen Wahlprogramme der CDU/CSU, FDP, von Bündnis 90/Die Grünen und SPD zur Gestaltung des Einkommensteuertarifs und des Solidaritätszuschlags a) Ausgangspunkt b) Vorschläge von CDU/CSU c) Vorschläge der SPD d) Vorschläge der FDP e) Vorschläge von Bündnis 90/ Die Grünen 2. Energetische Gebäudesanierung 3. Verbesserung von Abschreibungsmöglichkeiten 4. Der Forschungsstandort Deutschland 5. Die Vermögensteuer III. Rund um die steuerlichen Zinsen 1. Ausgangspunkt der Debatte zur Höhe der Zinsen: Zweites Bürokratieentlastungsgesetz 2. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit zur Absenkung des Zinsfußes von 6 %? 3. Steuerpolitische Erwägungen zur Zinshöhe 4. Auswirkungen auf die Altersversorgungsverpflichtung der Unternehmen (Pensionsrückstellungen) a) Änderung der Bewertung aufgrund der Neuregelung in § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB

b) Zeitliche Anwendbarkeit der Neuregelung c) Handelsrechtliche Auswirkung d) Steuerliche Betrachtung 5. Gewerbesteuerliche Konsequenzen IV. Nutzung von Verlusten 1. Auswirkung der Entscheidung des BVerfG vom 29.3.2017 2. Handlungszwang und Handlungsoption der Politik V. Mögliche Änderungen bei der Grunderwerbsteuer 1. Neuregelung in Bezug auf Share-deal-Gestaltungen 2. Freibetrag bei Erwerb eines Wohneigenheims VI. Gewerbesteuer: Hinzurechnung bei kurzfristigen Anmietungen 1. Rechtsprechung zur Hinzurechnung (Anmietung von Messehallenflächen, Konzerthallen, Hotelkontingenten) 2. Änderungsoption aus politischer Sicht VII. Steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F+E) 1. Ausgangslage aus rechtlicher und standortpolitischer Sicht 2. Vorstoß des Bundesrats mit seiner Entschließung vom 17.6.2016 3. Förderungsinitiative nach der Bundestagswahl?

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Neumann, Steuerpolitik in der neuen Legislaturperiode VIII. Planung einer Unternehmenssteuerreform? 1. Diskussion zu einer rechtsformneutralen Besteuerung 2. Schicksal der Abgeltungsteuer 3. Gestaltung der Unternehmenssteuersätze 4. Hinzurechnungsbesteuerung: Anrechnungsüberhänge 5. Eigener Vorschlag: keine grundlegende Reformdebatte, jedoch wirkungsvolle Einzelmaßnahmen IX. Besteuerung von Unternehmen im internationalen Gefüge, Restanten aus dem BEPS-Projekt

1. GAFA-Tax: Ideen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft 2. Anzeigepflicht in Bezug auf Gestaltungsmodelle 3. Vermeidung hybrider Gestaltungen X. Stiefkind der Politik. Reform der Grundsteuer XI. Erbschaftsteuer XII. Vermögensteuer XIII. Europa XIV. Ausblick

I. Einleitung Die Wahl zum neuen Deutschen Bundestag am 24.9.2017 brachte einige Überraschungen zutage. Die Wählerinnen und Wähler entschieden sich offensichtlich gegen die Fortsetzung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD, und es treten zusammen mit Bündnis 90/Die Grünen, FDP, Die Linke und AfD fortan insgesamt sieben Parteien in dem Bundestag auf. In den ersten Tagen nach der Wahl erklärte die SPD zwar, in die Opposition gehen zu wollen, und die CDU/CSU, als stärkste Fraktion Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen. Als Koalitionspartner mit entsprechender Mehrheit im Bundestag boten sich zunächst FDP und Bündnis 90/Die Grünen an. Entsprechende Sondierungsgespräche für eine denkbare Jamaika-Koalition liefen zunächst an, scheiterten nach wochenlangen Verhandlungen für den außenstehenden Wähler dann doch überraschend am 19.11.2017 am Widerstand der FDP. Am Abgabetag des von mir verfassten, Ihnen zur Lektüre vorliegenden Aufsatzes nach mehr als drei Monaten nach der Bundestagswahl sind konkrete Konturen der künftigen Regierungsbildung – möglicherweise doch wieder zusammen mit der SPD – unverändert nicht erkennbar, so dass viele meiner nachfolgenden Ausführungen aufgrund des üblichen Blicks in die Glaskugel mit vielen Fragezeichen versehen sind. Im ersten Abschnitt meiner Ausführungen beleuchte ich die Wahlprogramme der einzelnen für eine Regierungsbildung in Betracht kommen98

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den Parteien – dabei gehe ich davon aus, dass Die Linke und die AfD sicherlich Oppositionsarbeit werden leisten müssen –, um deren steuerlichen Vorstellungen mit Schwerpunkt auf die steuerlichen Rahmenbedingungen rund um die Unternehmen in Deutschland zu betrachten. In den dann folgenden Abschnitten werde ich weitere Themen näher ansprechen, die über die Wahlprogramme hinaus mit einiger Wahrscheinlichkeit Teile einer politischen Agenda der künftigen Regierungsparteien in Bezug auf das die Unternehmen betreffende steuerliche Umfeld sein könnten oder aus meiner Sicht sein sollten.

II. Steuerliche Wahlprogramme zur Bundestagswahl am 24.9.2017 1. Die steuerlichen Wahlprogramme der CDU/CSU, FDP, von Bündnis 90/Die Grünen und SPD zur Gestaltung des Einkommensteuertarifs und des Solidaritätszuschlags a) Ausgangspunkt In den Wahlkampfveranstaltungen war die künftige Gestaltung des Einkommensteuertarifs und die Frage nach dem Schicksal des Solidaritätszuschlags – neben der steuerlichen Förderung von Familie und Kindern – das wesentliche steuerliche Thema, das allgemein Gehör fand und diskutiert wurde. Hauptantrieb hierfür waren und sind die seit langem sehr zufriedenstellenden Steuereinnahmen und die von politischer Seite erhobenen Forderungen, einen Teil der Steuereinnahmen den Bürgerinnen und Bürgern wieder zurückgeben zu wollen. Das in Aussicht gestellte jährliche Entlastungsvolumen pendelte zwischen 20 Mrd. Euro (FDP), 15 Mrd. Euro (CDU/CSU) und 10 Mrd. Euro (SPD).1 Zwar speisen sich die sehr guten Steuereinnahmen aus einer Vielzahl unterschiedlicher Quellen, vor allem aus der Umsatzsteuer. Gleichwohl konzentrieren sich die Überlegungen der im Bundestag nunmehr vertretenen Parteien allein auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag, wenn es um die Gestaltung einer Entlastung geht. In der Wissenschaft klang mal kurz auch der Vorschlag an, man könne das geplante Entlastungsvolumen ausschließlich für eine Absenkung des Umsatzsteuersatzes verwenden, um insbes. ärmere Bevölkerungskreise,

1 Die anderen Parteien nahmen keine Quantifizierung ihrer Entlastungsvorschläge vor.

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die keine oder kaum Einkommensteuer zahlen, zu erreichen.2 Dieser Vorschlag fand in der Politik allerdings keinen nennenswerten Widerhall. Ein Grund mag darin liegen, dass der damit erwünschte Entlastungseffekt über die Preise der angeschafften Güter vor allem bei den mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz belegten Gegenständen nur sehr verzögert und lange Zeit nicht spürbar eintreten wird. Außerdem bleibt der Vorschlag von der Gerechtigkeitsdebatte nicht verschont, weil wohlhabende Menschen bei sehr teuren Anschaffungen über einen abgesenkten Regelsteuersatz freilich am meisten profitieren werden. Die Entlastungsvorschläge spielen auch aus der Sicht der Unternehmensbelastung eine große Rolle. Schließlich sind Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag die maßgeblichen Parameter der steuerlichen Belastung von Personenunternehmen, also von Einzelunternehmen und natürlichen Personen als Mitunternehmer. Die Höhe des Solidaritätszuschlags hat Auswirkungen auf die steuerliche Belastung von Kapitalgesellschaften (max. 0,825 % bei völligem Wegfall). b) Vorschläge von CDU/CSU Vorgeschlagen wird eine strukturelle Veränderung des Verlaufs des Einkommensteuertarifs, während der Spitzensteuersatz von 42 % unverändert bleiben soll. Der sog. Mittelstandsbauch soll durch eine Abflachung des Tarifs einer Diät unterzogen werden. Die steuerliche Belastung mit 42 % soll erst ab 60 000 Euro (bisher: 54 950 Euro ab 2018) greifen. Genaueres zu den Einzelheiten der beabsichtigten Ausgestaltung des Tarifs war bislang nicht zu erfahren, nur dass das Entlastungsvolumen hieraus in der Summe 15 Mrd. Euro betragen soll. Der Solidaritätszuschlag soll darüber hinaus schrittweise abgebaut werden, und zwar für 2020 und 2021 jeweils i.H.v. 2 Mrd. Euro jährlich. c) Vorschläge der SPD Auch hier besteht der Kern der Vorschläge in einer Umgestaltung des Einkommensteuertarifs allerdings deutlich konkreter als die bisher bekannten Planungen der CDU/CSU. Der bisherige Spitzensteuersatz von 42 % soll ab 60 000 Euro greifen. Es wird ein neuer Spitzensteuersatz von 45 % eingeführt, der ab einem zu versteuernden Einkommen von 76 200 Euro wirken soll. Die Reichensteuer erhöht sich von 45 % auf 2 Vgl. DIW Wochenbericht Nr. 31.2017 „Senkung der Mehrwertsteuer entlastet die unteren und mittleren Einkommen am stärksten“.

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48 % ab einem zu versteuernden Einkommen von 250 000 Euro. Die SPD setzt damit auf eine Mischung aus einer Entlastung geringerer Einkommen und einer nicht vorgenommenen Entlastung bzw. Belastung höherer Einkommen. Die gesamte Entlastungswirkung beträgt dann letztlich nur 2 Mrd. Euro jährlich aus dieser Maßnahme. Die SPD konzentriert sich auf einen stärkeren Abbau des Solidaritätszuschlags ebenfalls für geringere Einkommen. Er soll für „Verdienste“ von bis zu 52 000 Euro bzw. 104 000 Euro ab 2020 vollkommen entfallen, für höhere Einkommen jedoch vorerst ungemildert beibehalten bleiben und später schrittweise auch hier abgesenkt werden. Das Entlastungsvolumen hieraus beträgt in 2020 ca. 10 Mrd. Euro und müsste konsequenterweise allein vom Bund getragen werden. d) Vorschläge der FDP Die FDP fordert eine Abschaffung des Mittelstandsbauchs und zum Ausgleich einer inflationsbedingten Mehrbelastung („kalte Progression“) eine automatische Rechtsverschiebung des Tarifs mit allen seinen Eckpunkten, also einen „Tarif auf Rädern“. Außerdem soll der Solidaritätszuschlag ab 2020 vollkommen abgeschafft werden. Aussagen, wie teuer dies pro Jahr und ab wann wirksam werden soll, macht die FDP nicht. Die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags würde allerdings bereits zu jährlichen Mindereinnahmen des Bundes von 20 Mrd. Euro führen. e) Vorschläge von Bündnis 90/Die Grünen Von hier kommen lediglich allgemeine Aussagen zu einer Erhöhung des Grundfreibetrags zugunsten kleiner und mittlerer Einkommen. Besserverdienende ab einem zu versteuernden Einkommen von 100 000 Euro sollen durch Anhebung des Spitzensteuersatzes mehr belastet werden und die Entlastung im unteren Bereich des Tarifs zumindest teilweise gegenfinanzieren. Zur Absenkung des Solidaritätszuschlags machen Bündnis 90/Die Grünen keine Angaben.

2. Energetische Gebäudesanierung Es ist bekannt, dass ein erheblicher Beitrag zur Verbesserung der CO2Bilanz in Deutschland geleistet werden könnte, wenn die Wohn- und Geschäftsgebäude unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung für die Beheizung der Räume besser gerüstet wären. Das Anliegen ist nicht 101

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neu. 2012 scheiterte der erste Versuch, eine steuerliche Förderung einer energetischen Gebäudesanierung einzuführen, an der fehlenden Bereitschaft des Bundes, die damit verbundenen Belastungen der Länder auszugleichen. Der zweite Anlauf in 2015 mit einem geplanten Fördervolumen in Höhe von 1 Mrd. Euro p.a. über einen Förderzeitraum von 10 Jahren scheiterte ebenfalls an einer fehlenden Gegenfinanzierung der mit dieser Förderung verbundenen Steuerausfälle. Die Bundeskanzlerin machte in ihren Wahlkampfauftritten jedoch deutlich, dass sie dieses Vorhaben nach der Bundestagswahl wieder aufgreifen will. Angesichts der Diesel-Problematik und der Gefahr, dass bei einem relevanten Umstieg der Verbraucher auf mit Benzin statt Diesel betriebene PKW sich die CO2-Bilanz verschlechtern dürfte, ist dieser Vorstoß konsequent, weil dadurch eine Kompensation der Verschlechterung zumindest mittelfristig erreicht werden könnte. Manchmal ist etwas hochtrabend von einer „ökologischen Steuerreform“ die Rede. Sie wird sich wohl im Wesentlichen auf diese Maßnahme beschränken.

3. Verbesserung von Abschreibungsmöglichkeiten Zur Verbesserung der Wohnsituation in Deutschland war die Rede davon, dass für Gebäude, die Wohnzwecken dienen, die bisherige jährliche AfA von 2 % gem. § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG auf 3 % angehoben werden soll. Erwogen wurde zum Teil auch, die degressive Abschreibung von angeschafften bzw. hergestellten Wirtschaftsgütern des betrieblichen Anlagevermögens wieder einzuführen. Ein solcher Vorschlag erscheint angesichts der derzeitigen hervorragenden Wirtschaftslage in Deutschland unverständlich, bekommt aber mit Blick auf die US-amerikanischen Steuerpläne zugunsten der heimischen Wirtschaft ein anderes Gewicht.3

4. Der Forschungsstandort Deutschland Alle Wahlprogramme versprechen eine steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung, ohne jedoch prägnant auf Einzelheiten, wie die Förderung in Bezug auf Inhalte und Kreis der Begünstigten aussehen soll, einzugehen. Zu näheren Ausführungen hierzu vgl. die Darstellung unter VI.

3 Vgl. hierzu Fn. 24.

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5. Die Vermögensteuer Die (Wieder)einführung einer Vermögensteuer wurde von CDU/CSU und FDP kategorisch ausgeschlossen, nicht jedoch von Bündnis 90/Die Grünen. Da eine Regierungsbeteiligung dieser Partei nicht ausgeschlossen ist, lasse ich die Vermögensteuer in diesem Beitrag nicht unerwähnt und verweise hierzu auf die Einzelheiten unter XI.

III. Rund um die steuerlichen Zinsen 1. Ausgangspunkt der Debatte zur Höhe der Zinsen: Zweites Bürokratieentlastungsgesetz Im Rahmen der Debatte zum Zweiten Gesetz zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz4) wurde bereits diskutiert, ob der Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO von derzeit 0,5 % für jeden Monat auf 0,25 % halbiert werden sollte (also statt 6 % nur 3 % p.a.). Es herrschte nämlich vielfach die Meinung vor, dass angesichts des derzeitigen Zinsniveaus der gesetzliche Zins i.H.v. 6 % nicht marktkonform sei. Dieser Vorschlag hätte allerdings zu der weiteren Diskussion geführt, ob auch der Zinssatz in § 6a EStG von derzeit 6 % und in § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG sowie in § 12 Abs. 3 BewG von derzeit 5,5 % nach unten angepasst werden müsste. Wenn der Zinssatz im Bereich der Rückstellungen und Verbindlichkeiten auch nur um einen Prozentpunkt abgesenkt würde, hätte der dadurch bedingte Aufwuchs der in Deutschland vorhandenen passivierten Rückstellungen und Verbindlichkeiten einen (einmaligen) Steuerausfall von mindestens 15 Mrd. Euro zur Folge. Angesichts dieses immensen finanziellen Ausfalls für die öffentlichen Haushalte war die Diskussion über eine Zinssenkung rasch beendet. Die Debatte um die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes ist seitdem allerdings nicht gänzlich verstummt, sondern wird m.E. wieder Fahrt aufnehmen, wenn die Steuerpolitik der neuen Bundesregierung sich im Einzelnen konkretisiert. Beträchtlicher Druck wird dabei von der Wirtschaft ausgehen, die schon seit langem beklagt, dass der Zinssatz von 6 % nicht marktkonform sei und zu unangemessenen steuerlichen Folgen führe. Im Wesentlichen werden dabei Verwerfungen beklagt, die sich aus der Verzinsung von Nachforderungen/Erstattungen gem. § 233a AO ergeben. 4 Ges. v. 30.6.2017, BGBl. I 2017, 2143.

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Die nicht marktgerechte Verzinsung von 6 % kumuliere in Nachzahlungsfällen mit ihrer Nichtabziehbarkeit als Betriebsausgaben und schlage sich damit effektiv als steuerlich irrelevante Kosten in einer erheblichen Größenordnung nieder. Ein weiterer Schwerpunkt der Rüge konzentriert sich auf die Regelung des § 6a EStG. Der gesetzliche Rechnungszinsfuß von 6 % gem. § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG zur Berechnung des Teilwerts der Pensionsrückstellung führe zu einer deutlich zu niedrig bemessenen Pensionsrückstellung und damit zu einer unangemessen niedrigen steuerlichen Entlastung der auf die Unternehmen entfallenden Altersvorsorgeverpflichtungen.

2. Verfassungsrechtliche Notwendigkeit zur Absenkung des Zinsfußes von 6 %? In der Diskussion sollte man trennen, ob der Zinssatz des § 238 AO aus (verfassungs-)rechtlichen Gründen zu hoch ist oder ob eine Absenkung aus wirtschafts- und rechtspolitischen Erwägungen geboten ist. Die Rspr. hat bislang nicht die Auffassung vertreten, dass der gesetzliche Zinssatz von 6 % in § 238 AO verfassungsrechtlich bedenklich sei. Der BFH hat in seiner in seinem Urteil vom 1.7.20145 angestellten Untersuchung der maßgeblichen Parameter (Anlagezinssatz, Darlehenszinssatz für kurzfristige wie auch langfristige unbesicherte Fremdfinanzierung) anhand der am Markt vorgefundenen Zinssätzen (Effektivzinssätze für Konsumentenkredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung, bankübliche Sollzinsen für Dispositionskredite, gesetzliche Verzugszinsen gem. § 288 BGB) ermittelt, dass diese Zinsen für den Zeitraum 2004–2011 nicht deutlich unter dem Zinssatz des § 238 AO gelegen hätten. Zwar seien die Zinssätze für Geldanlagen deutlich niedriger gewesen. In einer Gesamtbetrachtung kam der BFH gleichwohl zum Ergebnis, dass der Zinssatz des § 238 AO zumindest für diesen Zeitraum hinreichend realitätsgerecht sei. Entscheidend sei bei der Gesamtbetrachtung, dass der Gesetzgeber den Zinssatz typisierend gewählt hat und nicht verpflichtet ist, in der jeweiligen Situation des Stpfl. den dann geltenden Marktzins nehmen zu müssen. Das FG Münster hatte in seiner Entscheidung vom 17.8.20176 darüber zu befinden, ob für den von ihm zu betrachtenden Zeitraum von April 5 BFH v. 1.7.2014 – IX R 31/13, BStBl. II 2014, 925. 6 FG Münster v. 17.8.2017 – 10 K 2472/16, EFG 2017, 1638, nrkr., Rev. Az. BFH III R 25/17.

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2012 bis Dezember 2015 eine vom BFH abweichende Betrachtung angesichts der zwischenzeitlichen Zinsentwicklung geboten ist. Das FG Münster ist letztlich nicht zu einer abweichenden Entscheidung gekommen und hält die Höhe der Verzinsung nach § 238 AO auch für den Zeitraum bis einschl. Dezember 2015 für verfassungsgemäß. Es folgt in seinem Urteil den Grundsätzen, die das BVerfG in seinem Beschluss vom 3.9.20097 und der BFH in seinem o.g. Urteil entwickelt haben. Folgende Erwägungen sind für das FG Münster entscheidend: –

In dem maßgeblichen Zeitraum lägen die Effektivzinssätze für besicherte und unbesicherte Konsumentenkredite an private Haushalte mit anfänglicher Zinsbindung zwischen 5,73 % und 6,47 %. Revolvierende Kredite und Überziehungskredite seien mit Zinssätzen zwischen 8,8 % und 10,12 % zu entgelten. § 288 BGB sehe unverändert im Verzugsfall eine Verzinsung in Höhe eines Basiszinssatzes von 5 % (§ 288 Abs. 1 BGB) bzw. 8 % (ab 29.7.2014 9 % gem. § 288 Abs. 2 BGB) vor. Die Zinsen für private Geldanlagen seien im Vergleichszeitraum zwar bis unter 1 % abgesunken. Eine Durchschnittsberechnung aller ermittelten Zinssätze gelange zu einem Durchschnittssatz von 4,49 % bis 3,66 % und befinde sich damit unter Beachtung des gesetzgeberischen Willens, typisierend den Zinssatz zu bestimmen, nicht in einem Rahmen außerhalb der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit.



Der gesetzliche Zinssatz von 6 % sei seit 1961 unverändert geblieben, obwohl in der Zeit seitdem die Zinsentwicklung große Höhen und Tiefen erlebt habe. Der Grundsatz der Rechtskontinuität gebiete, auch in der derzeitigen Niedrigzinsphase (für Anlegerkapital) hieran festzuhalten.



Die Karenzzeit von 15 Monaten gem. § 233a Abs. 2 AO führe dazu, dass im wirtschaftlichen Ergebnis eine Effektivverzinsung von unter 6 % gegeben sei.

In weiteren Entscheidungen anderer Finanzgerichte ist ebenfalls Revision beim BFH eingelegt worden. Sie betreffen allerdings stets Zeiträume, die nicht so weit wie die des FG Münster in die Gegenwart hineinreichen.8 7 BVerfG v. 3.9.2009 – 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115. 8 FG Düss. v. 10.3.2016 – 16 K 2976/14 AO, EFG 2016, 1053, nrkr., Rev. Az. BFH III R 10/16 für Nachzahlungszinsen bis Juli 2013; Thüringer FG v. 22.4.2015 – 3 K 889/13, EFG 2016, 354, nrkr., Rev. Az. BFH I R 77/15 für Nachzahlungszinsen bis November 2011.

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Nach alledem besteht derzeit kein offenkundiger Zwang für den Gesetzgeber, tätig zu werden zu, weil nach der bisherigen Einschätzung der Gerichte die Zinshöhe nicht zu beanstanden ist.9

3. Steuerpolitische Erwägungen zur Zinshöhe Eine andere Sichtweise kann sich ergeben, wenn aus politischen Erwägungen über eine Absenkung nachgedacht werden sollte. Forderungen in diese Richtung werden von Seiten der Wirtschaft erhoben, um den Kostendruck zu mindern, weil nachteilige Zinsentscheidungen häufig das Ergebnis von Betriebsprüfungen sind, wenn dort unvorhergesehene steuererhöhende Tatsachen aufgegriffen werden und der geprüfte Zeitraum schon etliche Jahre zurückliegt. Ein Ärgernis stellten dabei oft umsatzsteuerliche Sachverhalte dar, in denen z.B. allein aufgrund formaler Mängel etwa bei der Rechnung der Vorsteuerabzug gestrichen wird, der dann nach Beseitigung des Mangels später in gleicher Höhe wieder gewährt wird, gleichwohl wegen des zeitlichen Versatzes die Zinsfolge ausgelöst.10 Auch aus dem Kreis der Kommunen kommen häufig Beschwerden, wenn der Gewerbesteuermessbescheid angefochten, aber vom Unternehmen keine Aussetzung der Vollziehung beantragt worden ist. Mangelt es an einer hinreichenden Kommunikation zwischen Finanzamt und Kommune11 bzw. zwischen Unternehmen und Kommune, kann auf die Kommune eine böse Überraschung zukommen. Die gemessen am Markt9 A.A. Seer/Klemke, Neuordnung der Verzinsung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, ifst-Schrift Nr. 490 (2013), 38 ff., die die Zinshöhe für verfassungswidrig halten. 10 Das Problem hat sich seit den Entscheidungen des EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex GmbH), UR 2016, 800 Tz. 35 ff.; v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06 – Investimentos Imobiliarios e Turisticos), UR 2016, 795 Tz. 42 ff. entschärft, weil hiernach von den Nationalstaaten eine rückwärtige Rechnungsberichtigung zugelassen werden muss, wenn zu dem früheren Zeitpunkt die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug bereits erfüllt gewesen waren. Eine endgültige Positionierung der Finanzverwaltung steht allerdings noch aus. 11 Nach Satz 3 des AEAO zu § 184 AO sollen die Finanzämter die steuerberechtigten Gemeinden über anhängige Einspruchsverfahren gegen Realsteuermessbescheide von größerer Bedeutung unterrichten. Diese Unterrichtungsempfehlung („sollen“) wird nicht immer gesehen; außerdem bestehen vielfach Unterschiede in der Einschätzung, wann ein Fall von „größerer Bedeutung“ gegeben ist.

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zinssatz für Anleger hohe Verzinsung gem. §§ 237, 238 AO führt dazu, dass Unternehmen mit hinreichender eigener Liquidität auf einen einstweiligen Rechtsschutz verzichten und die Gewerbesteuer zahlen, um im Falle des Unterliegens der Verzinsung zu entgehen oder im Falle des Obsiegens eine Verzinsung des von ihm gezahlten Steuerbetrags zu bekommen, die am Markt niemals auch nur annähernd erzielbar wäre. Die empfangende Gemeinde wähnt sich dann in dem Glauben, dass die vereinnahmte Steuer „sicher“ sei, weil sie mangels einer Aussetzung der Vollziehung des Folgebescheids keine Kenntnis davon erhält, ob und in welchem Umfang der Gewerbesteuermessbescheid angefochten worden ist. Mitunter wird er überhaupt nicht angefochten, weil die Änderungsanordnung des § 35b GewStG für eine Folgeänderung des Gewerbesteuermessbescheids ausreicht. Dann gestaltet sich die Erkenntnismöglichkeit für die Gemeinde noch schwieriger. Wird ein langwieriger Rechtsstreit geführt, können Jahre vergehen, bis letztlich feststeht, dass die gezahlte Gewerbesteuer zu Unrecht vereinnahmt worden ist. Ist – wie häufig – keine Vorsorge im Haushalt der Kommune getroffen worden, trifft sie die Rückzahlung zur Unzeit mit der besonderen Erschwernis, dass oft noch Zinsen von weit mehr als der Hälfte des Rückzahlungsbetrags zusätzlich an den Stpfl. gezahlt werden müssen. Alles in allem ist nicht ausgeschlossen, dass die Debatte um die Zinshöhe nach der Bundestagswahl 2017 Fahrt aufnehmen könnte.

4. Auswirkungen auf die Altersversorgungsverpflichtung der Unternehmen (Pensionsrückstellungen) Die Diskussion um die Zinshöhe nach § 238 AO führt unweigerlich zur Frage, ob der Zinssatz für die Abzinsung der Rückstellungen, insbes. der für Altersvorsorgeverpflichtungen, sachgerecht ist. Es ist inzwischen allgemein unstreitig, dass der Zinssatz des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG längst nicht mehr marktkonform ist. Dies äußert sich in einer beträchtlichen Spreizung zwischen der handelsrechtlichen und steuerlichen Bewertung der bilanziell ausgewiesenen Altersvorsorgeverpflichtungen. a) Änderung der Bewertung aufgrund der Neuregelung in § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB Nach § 253 Abs. 2 Satz 1 HGB sind Rückstellungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr abzuzinsen. Der maßgebliche für die Abzinsung anzuwendende Marktzinssatz sollte für alle abzinsungspflichti107

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gen Rückstellungen derjenige sein, der sich durchschnittlich aus den vergangenen sieben Geschäftsjahren ergibt. Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase ist der Marktzinssatz ständig abgefallen mit der Konsequenz, dass die bestehenden Rückstellungen mit einem immer höher werdenden Rückstellungsbetrag handelsbilanziell auszuweisen sind, auch wenn der Verpflichtungsumfang gegenüber den Beschäftigten unverändert bleibt. Um den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihr Bilanzbild zu verbessern, hat der Gesetzgeber durch Art. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11.3.201612 die Bewertung der Rückstellungen für Altersvorsorgeverpflichtungen geändert. Er sieht aufgrund des derzeit geltenden § 253 Abs. 2 Satz 2 HGB einen durchschnittlichen Marktzinssatz vor, der sich aus den vergangenen zehn statt der bisher sieben Geschäftsjahre ergibt. Hintergrund dieser Regelung ist die Tatsache, dass der Marktzinssatz vor zehn Jahren noch deutlich höher war als in der Zeit danach, so dass der zugrunde zu legende durchschnittliche Marktzinssatz bei einem Beobachtungszeitraum von zehn Jahren höher als bei einem Beobachtungszeitraum von nur sieben Jahren ist. In der Folge sind dann die Rückstellungen für die Altersvorsorgeverpflichtungen mit einem niedrigeren Wert als bisher anzusetzen. b) Zeitliche Anwendbarkeit der Neuregelung Die Neuregelung ist gem. Art. 75 Abs. 6 EGHGB erstmals auf Jahresabschlüsse für das nach dem 31.12.2015 endende Geschäftsjahr anzuwenden. Art. 75 Abs. 7 EGHGB erlaubt Unternehmen für einen Jahresabschluss, der sich auf ein Geschäftsjahr bezieht, das nach dem 31.12.2014 beginnt und vor dem 1.1.2016 endet, ebenfalls die Neuregelung anzuwenden. c) Handelsrechtliche Auswirkung Folge dieser Neubewertung der Rückstellung wird i.d.R. der Ausweis der Altersvorsorgeverpflichtung in der Bilanz mit einem niedrigeren Ansatz als bisher sein. In der Zukunft werden die Rückstellungen ebenfalls niedriger ausfallen als bei Zugrundelegung eines aus den letzten sieben vorangegangenen Geschäftsjahren ermittelten Marktzinses, so dass die Gewin12 BGBl. I 2016, 396.

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ne höher ausfallen werden, als es der Fall wäre, wenn die alte Bewertungsregelung fortgegolten hätte. Für diese Gewinne, die aus der Abstockung der bislang ausgewiesenen Rückstellungen entstehen und die perspektivisch in den kommenden Jahren durch den Ansatz niedrigerer Rückstellungen zu erwarten sind, ordnet § 253 Abs. 6 Satz 2 HGB eine Ausschüttungssperre an. Hiernach dürfen Gewinne nur ausgeschüttet werden, wenn die nach der Ausschüttung verbleibenden frei verfügbaren Rücklagen zuzüglich eines Gewinnvortrags und abzüglich eines Verlustvortrags mindestens dem aufgrund der Neuregelung erzielten Gewinn aus der Neubewertung entsprechen. Mit anderer Worten: der hier interessierende „Bewertungsgewinn“ steht für eine Ausschüttung nicht zur Verfügung.13 d) Steuerliche Betrachtung Wie bereits beschrieben ist bislang ein politischer Wille, den Zinssatz des § 6a EStG für die Bestimmung des Teilwerts an den handelsrechtlichen Abzinsungszinsfuß anzugleichen, nicht erkennbar. Grund für den Unwillen, sich mit dieser Materie zu befassen, ist vor allem die Haushaltsauswirkung, die – wie oben schon erwähnt – zu einem finanziellen Minus von rd. 15 Mrd. Euro bundesweit führt, wenn die Zinssätze für die Bewertung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 und Nr. 3a Buchst. e EStG, § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG) um nur einen Prozentpunkt auf 4,5 % bzw. 5 % gesenkt würden. Der Steuerausfall wäre zwar nur einmalig, hätte aber erhebliche Auswirkungen auf alle steuerberechtigten Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden). Allerdings muss der zu befürchtende Steuerausfall kein „Totschlagsargument“ gegen einen Einstieg in eine moderate Absenkung der Abzinsungssätze sein. Im Rahmen einer – vielleicht – anstehenden Unternehmenssteuerreform (vgl. dazu noch näher VII.) ließe sich zur Milderung der Unternehmenssteuerbelastung ein entsprechender Schritt wagen. Zur Abmilderung der Belastung der öffentlichen Haushalte könnte verpflichtend die Aktivierung eines Korrekturpostens i.H.v. z.B. 9/10 des aufgestockten Abzinsungsbetrags in Bezug auf abgezinste Verbindlichkeiten und Rückstellung vorgeschrieben werden, der dann in den folgenden neun Wirtschaftsjahren gleichmäßig gewinnmindernd aufzulösen ist. Der Steuer13 In ertragsteuerlichen Organschaftsfällen besteht jedoch keine Abführungssperre, so dass der Mehrgewinn aus der Abstockung der Rückstellung abgeführt werden kann.

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ausfall würde dann in seinen Wirkungen bei diesem Vorschlag über 10 Jahre „gestreckt“ und erscheint in dieser Weise verkraftbar. Die Politik könnte im Interesse einer Milderung der zu großen Belastung der Unternehmen bei der Rückstellungsbewertung zum Akteur werden, ohne letztlich möglicherweise aufgrund einer BVerfG-Entscheidung14 in der Zukunft wieder einmal zum Getriebenen zu werden.

5. Gewerbesteuerliche Konsequenzen Die Zinsdiskussion wird letztlich auch vor gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsvorschriften nicht Halt machen. Nach § 8 Nr. 1 Buchst. d, e und f GewStG sind nämlich typisierte Zinsanteile hinzuzurechnen, die in den gezahlten Miet- und Pachtzinsen für die Nutzung beweglicher und unbeweglicher Wirtschaftsgüter sowie in den gezahlten Aufwendungen für Rechteüberlassungen wirtschaftlich enthalten sind. Hieraus errechnen sich Zinssätze i.H.v. 5 % (§ 8 Nr. 1 Buchst. d GewStG), 12,5 % (§ 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG) und 6,25 % (§ 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG), die natürlich von den Marktzinsen ähnlich weit entfernt sind wie die oben bereits beschriebenen Zinssätze. Die Kommunen, die Klage führen wegen hoher Nachzahlungszinsen, die mit Erstattungen bereits vereinnahmter Gewerbesteuer verbunden sind, werden auf der anderen Seite sich mit der Minderung der Gewerbesteuereinnahmen aufgrund entsprechend angepasster Hinzurechnungsbestimmungen arrangieren müssen.

IV. Nutzung von Verlusten 1. Auswirkung der Entscheidung des BVerfG vom 29.3.201715 Das BVerfG ist der Auffassung, dass der schädliche Beteiligungswechsel nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG wegen Ungleichbehandlung nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Es macht hierbei jedoch zwei wichtige Einschränkungen: Zum einen beschränkt sich die Entscheidung auf die Untersuchung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, befasst sich also mit dem Beteiligungswechsel 14 Derzeit wird vor dem FG Köln ein Verfahren betrieben, das mit der Rüge der Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG wegen Verstoßes gegen das Übermaßverbot begründet wird; vgl. dazu den Vorlagebeschluss des FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, EFG 2018, 287 = FR 2018, 24, Az. BVerfG 2 BvL 22/17. 15 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577.

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von mehr als 25 % bis genau 50 %. Die Sichtweise des BVerfG zu diesem Normbereich ist daher m.E. nicht ohne Weiteres übertragbar auf einen Beteiligungswechsel von mehr als 50 % der Anteile (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG; vgl. Rz. 141 der Entscheidung)16. Zum anderen hält das BVerfG vielleicht für möglich, dass § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG im Zusammenspiel mit § 8d KStG ab dem VZ 2016 in anderer Weise zu würdigen ist. Der Verfassungsverstoß ist daher nur für die Zeit ab 2008 bis einschl. 2015 ausgesprochen worden.

2. Handlungszwang und Handlungsoption der Politik Die Finanzverwaltung wird diese denkbare Sichtweise des BVerfG bei ihren Überlegungen und Vorschlägen für den Gesetzgeber, in welcher Weise § 8c KStG umgeformt werden kann, prüfen, um ihm bis zu dem vom BVerfG gesetzten Fristende 31.12.2018 einen verfassungsgemäßen Inhalt zu geben. Eine verfassungsgemäße Lösung zu schaffen, wird also eine Aufgabe des neu gewählten Bundestags sein. Ob er den alsbald zu erwartenden Vorschlägen der Verwaltung zur Neugestaltung des § 8c KStG folgen wird, muss abgewartet werden. Folgende Handlungsfelder zur Umgestaltung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG sind denkbar: –

Streichung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG, so dass nur noch ein Mehrheitswechsel von mehr als 50 % der Anteile schädlich ist,



Anwendbarkeit des § 8d KStG in den Fällen des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG bereits für die Zeit ab dem Veranlagungszeitraum 2008,



Neukonzeption des § 8c KStG nach den Grundvorstellungen des alten § 8 Abs. 4 KStG zum Mantelkauf.

V. Mögliche Änderungen bei der Grunderwerbsteuer 1. Neuregelung in Bezug auf Share-deal-Gestaltungen In einigen Bundesländern – darunter Nordrhein-Westfalen – sind in den letzten Jahren die Steuersätze für die Grunderwerbsteuer beträchtlich angehoben worden. Im Rahmen der parlamentarischen Anhörung zu der letzten Anhebung des Steuersatzes auf 6,5 % in Nordrhein-Westfalen (zur Befugnis vgl. § 105 Abs. 2a Satz 2 GG) wurde deutlich, dass Verkäufer und 16 Vgl. das hierzu anhängige Verfahren vor dem BFH, Az. I R 31/11, und den Vorlagebeschluss des FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, EFG 2017, 1906 = FR 2017, 1134 zur Anrufung des BVerfG.

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Käufer insbes. von Großimmobilien von der Anhebung des Steuersatzes in deutlich geringerem Maße als gemeinhin angenommen betroffen sind, weil sie vielfach die Möglichkeiten des share-deals für Grundstücksübertragungen nutzen. Grundbesitz dieser Art wird i.d.R. von Kapitalgesellschaften als Eigentümern gehalten. Eine Veräußerung einer Beteiligung an einer solchen Gesellschaft von unter 95 % löst keine Grunderwerbsteuer aus (§ 1 Abs. 1a GrEStG). Häufig lassen sich die Mehrheitsgesellschafter mit Anteilen von üblicherweise 94,9 % von dem Gesellschafter der restlichen 5,1 % der Anteile noch das Recht zur Ausübung von dessen Stimmrecht übertragen, so dass eine vollständige Beherrschung der den Grundbesitz haltenden Gesellschaft gesichert ist. Derartige schuldrechtliche Vereinbarungen zur Ausübung des Stimmrechts sind nach geltender Rechtslage unschädlich und führen nicht zu einer Anteilsvereinigung von mindestens 95 % der Anteile. Steuerpolitisch ist dieser Umstand von mehreren Bundesländern aufgegriffen worden, weil eine nicht hinzunehmende Schieflage gesehen wird zwischen solchen Großinvestoren und dem Normalbürger, der bei dem Erwerb einer zu eigenen Zwecken genutzten Immobilie keinerlei Ausweichmöglichkeiten hat. Derzeit werden im Länderkreis Überlegungen angestellt, wie solche share-deal-Gestaltungen eingedämmt werden können. Dabei wird auch die Herabsetzung der Beteiligungsgrenze etwa auf 75 % diskutiert, ab der bei Fehlen einer (aktienrechtlich) vorhandenen Sperrminorität die Beherrschungssituation als derart stark angenommen werden kann, dass hieraus grunderwerbsteuerliche Konsequenzen gezogen werden könnten. Ob eine solche Lösung finanzverfassungsrechtlich trägt, soll noch gutachterlich geklärt werden. Die Frage wird wohl im Wesentlichen davon abhängen, ob mit dem verfassungsrechtlichen Begriff der Verkehrsteuer (Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG) in Bezug auf die Grunderwerbsteuer ein Besteuerungsvorgang umschrieben wird, der lediglich an den Zivilrechtsakt der Grundstücksübertragung anknüpft. Dass dem nicht so ist, hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 10.6.196317 dargestellt, indem es für den Fall der Vereinigung von 100 % der Anteile an einer Gesellschaft, die Eigentümerin des Grundstücks ist, festgestellt hat, dass die vollständige Anteilsvereinigung wirtschaftlich dem Erwerb des Alleineigentums am Grundstück gleichzusetzen sei. Der Gesetzgeber ist in Erweiterung des Besteuerungstatbestands hier bereits einen Schritt weitergegangen und lässt bekanntlich schon den Erwerb von 95 % der Anteile ausreichen. Eine Rechtfertigung mag dabei in den squeeze-out17 BVerfG v. 10.6.1963 – 1 BvR 345/61, BVerfGE 16, 203.

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Regelungen der §§ 327a ff. AktG gesehen werden. Die 95 %-Grenze gilt aus Gründen der gleichmäßigen Behandlung allerdings auch für Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften als Aktiengesellschaften bzw. KGaA und Personengesellschaften, obgleich dort die Bestimmungen zum Ausschluss von Minderheitsaktionären freilich keine Anwendung finden. Nun versucht der Gesetzgeber vielleicht in einem weiteren Schritt eine erneute Ausweitung des Besteuerungstatbestands und lotet hierfür die aktienrechtliche 75 %-Grenze in § 179 Abs. 2 AktG (erforderliches Stimmquorum für eine Satzungsänderung) aus. Freilich soll diese Grenze wiederum aus Gründen der Gleichbehandlung auch für andere Gesellschaftsformen gelten, denen diese Grenze fremd ist. Es wird abzuwarten sein, ob hiermit die verfassungsrechtlichen Möglichkeiten überdehnt werden. Falls nicht, besteht eine durchaus realistische Chance einer entsprechenden Gesetzesänderung in der kommenden Legislaturperiode. Ein anderer Ansatz besteht darin, die Grunderwerbsteuer quotal in Stufen anfallen zu lassen, wenn bestimmte Anteile an einer grundbesitzhaltenden Kapitalgesellschaft erworben werden. So könnten etwa 50 % der Grunderwerbsteuer anfallen bei einem Beteiligtenwechsel von mehr als 50 % bis zu 75 %, bei einem Beteiligtenwechsel von mehr als 75 % dann 75 % der Grunderwerbsteuer und schließlich die ganze Steuer bei einem vollständigen Beteiligtenwechsel. Aber auch dieser Lösungsansatz bedarf einer gutachterlichen Einschätzung in Bezug auf seine verfassungsrechtliche Machbarkeit.

2. Freibetrag bei Erwerb eines Wohneigenheims Sowohl in den Wahlprogrammen der Parteien als auch in den Koalitionsverträgen der Landesregierungen von Schleswig-Holstein und NRW wird eine Idee verfolgt, wie eine allgemein beklagte geringe Wohneigentumsquote in Deutschland verbessert werden kann. In der Verbesserung dieser Quote wird eine Möglichkeit gesehen, ein Stück Altersvorsorge zu betreiben, wenn insbes. junge Leute dazu animiert werden könnten, bis zum Renteneintrittsalter die Fremdfinanzierung ihres erworbenen Wohneigentums abgelöst zu haben, damit im Alter „mietfreies“ Wohnen möglich wird. Allen voran macht sich die neue Landesregierung in NRW für diese Idee stark und schlägt hierfür die Einführung eines Freibetrags für natürliche Personen bei Erwerb eines Ein- oder Zweifamilienhauses oder einer Eigentumswohnung vor. Der Freibetrag wird von dem Kaufpreis für die Immobilie als Bemessungsgrundlage abgesetzt. Bei einem Grunderwerbsteuersatz in NRW i.H.v. 6,5 %, der unverändert bleiben soll, 113

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würde die Grunderwerbsteuer z.B. bei einem Freibetrag von 100 000 Euro je natürliche Person um 6500 Euro sinken. Die Landesregierung von NRW ist der Auffassung, dass eine solche Förderung effektiver sei als die Absenkung des Steuersatzes auf frühere 3,5 %. Beispiel: Ein Ehepaar kauft eine Immobilie zum Preis von 350 000 Euro. Bei einem Freibetrag von 100 000 Euro je Person betrüge die Bemessungsgrundlage lediglich 150 000 Euro, die Grunderwerbsteuer demzufolge 9750 Euro und die Ersparnis gegenüber der geltenden Rechtslage 13 000 Euro. Würde statt dieser Maßnahme der Steuersatz auf 3,5 % gesenkt, fiele eine Steuer i.H.v. 12 250 Euro an; die Ersparnis betrüge lediglich 10 500 Euro. Die Steuerausfälle wären bei einer solchen Maßnahme in Abhängigkeit von ihrer konkreten Ausgestaltung beträchtlich. Daher versuchen die Länder, da diese Maßnahme nur mit einer Änderung des bundesweit geltenden Grunderwerbsteuergesetzes umsetzbar ist, den Bund in die Finanzierung der Maßnahme einzubeziehen.

VI. Gewerbesteuer: Hinzurechnung bei kurzfristigen Anmietungen Das mit der Hinzurechnung von Miet- und Pachtaufwendungen bei kurzfristigen Anmietungen verbundene Problem ist zwar nicht neu. Es konnte aber in der Vergangenheit bei den betroffenen Stpfl. nicht zu einer Befriedung geführt werden, so dass es weiter schwelt und möglicherweise eine politische Lösung erfordert.

1. Rechtsprechung zur Hinzurechnung (Anmietung von Messehallenflächen, Konzerthallen, Hotelkontingenten) Die Rspr. hat sich in der Vergangenheit mit verschiedenen Fallgestaltungen befasst und gelangt dabei zwar nicht zu einem vollkommen abgerundeten Bild, allerdings doch zu einer aus meiner Sicht deutlichen Richtungsentscheidung. In seinem Urteil vom 25.10.2016 – I R 57/15, hatte der BFH sich mit folgendem Sachverhalt zu befassen: Eine Durchführungsgesellschaft für Auslandsmessebeteiligungen der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Bayern schloss mit Veranstaltern von Messen sog. „Ausstellerverträge“ ab und buchte auf diese Weise bestimmte Hallenflächen. Dann bot sie für einen Gemeinschaftsstand der BRD und Bayerns bestimmten Unternehmen gegen Entgelt die Möglichkeit an, sich auf die114

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sem Stand zu präsentieren. Ihre nicht gedeckten Kosten stellte die Gesellschaft dann dem Bund und Bayern in Rechnung. Es stellte sich hier die Frage, ob die von der Gesellschaft an die Messeveranstalter gezahlten Mietentgelte nach § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG dem Gewerbeertrag hinzuzurechnen sind. Dies lehnte der BFH ab mit der Begründung, dass diese Entgelte nicht für die Benutzung unbeweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gezahlt werden, die im Eigentum eines anderen stehen. Die Frage, ob die gemieteten Hallenflächen dem Anlagevermögen der Gesellschaft zuzurechnen wären, wenn sie im Eigentum der Gesellschaft stünden, verneinte der BFH. Er konzedierte zwar, dass eine bloße „Durchleitung“ von Immobilien etwa durch einen gewerblichen Zwischenvermieter18 zur gewerbesteuerlichen Hinzurechnung der Aufwendungen des Durchleitenden führe. Hier jedoch fehle es an dem fiktiven Anlagevermögen, weil die Gesellschaft, wäre sie Eigentümerin der gemieteten Flächen, „diese nicht ständig für den Gebrauch in ihrem Betrieb hätte vorhalten müssen.“ Dies ergebe sich daraus, dass diese Durchführungsgesellschaft die jeweiligen Flächen nur im Auftrag von Dritten von den Messegesellschaften gemietet habe und sie lediglich in erster Linie „Mittler“ zwischen Messegesellschaft und dem Bund bzw. Bayern oder den teilnehmenden Unternehmen gewesen sei. In den „normalen“ Fallgestaltungen jedoch bejaht die Rspr. regelmäßig das gesetzliche Gebot der Hinzurechnung. Dies ist entschieden für die Frage, ob ein Konzertveranstalter seine Aufwendungen für die kurzfristige Anmietung einer Konzerthalle für eine künstlerische Darstellung hinzurechnen muss.19 Das FG Münster hat in seiner Entscheidung vom 4.2.201620 geurteilt, dass ein Reiseveranstalter, der zum Zwecke der Organisation von Pauschalreisen typische Reiseleistungen wie z.B. Übernachtungskontingente in Hotels einkauft, die Aufwendungen hierfür gewerbesteuerlich hinzuzurechnen hat. Die Entscheidung des BFH über die eingelegte Revision des Stpfl. und die Anschlussrevision der Finanzverwaltung steht allerdings noch aus.

2. Änderungsoption aus politischer Sicht Nach Auffassung der Finanzverwaltung lässt das geltende Recht keine Ausnahme in den zuletzt genannten Fällen bei der Hinzurechnung zu. 18 Vgl. hierzu BFH v. 4.6.2014 – I R 70/12, BStBl. II 2015, 289 = FR 2015, 30. 19 BFH v. 8.12.2016 – IV R 24/11, BFH/NV 2017, 985 = FR 2017, 887. 20 FG Münster v. 4.2.2016 – 9 K 1472/13 G, EFG 2016, 925, nrkr., Rev. Az. BFH III R 22/16.

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Politisch wird dies jedoch infrage gestellt, so dass zumindest bei kurzfristigen Anmietungen Überlegungen bestehen, von der Hinzurechnung Ausnahmen zuzulassen. Die Begründung besteht darin, dass in diesen Fällen die kurzfristig angemietete Grundstücks- oder Gebäudefläche eher den Charakter von Umlaufvermögen und nicht den von Anlagevermögen besitze. Es bleibt abzuwarten, wie die über eingelegte Revision im Fall des Reiseveranstalters durch den BFH entschieden wird, und ob daraus, falls die Auffassung der Finanzverwaltung sich als richtig erweisen sollte, de lege ferenda Konsequenzen gezogen werden sollen. Vor allem könnte die Reisebranche infolge der Gewerbesteuerpflicht sich veranlasst sehen, auf Dauer ihr Buchungsgeschäft vom Ausland aus zu betreiben und die Politik mit dem mit der Verlagerung ihrer geschäftlichen Aktivitäten einhergehenden Verlust einheimischer Arbeitsplätze unter Druck zu setzen.

VII. Steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F+E) 1. Ausgangslage aus rechtlicher und standortpolitischer Sicht Die Aufwendungen für selbst geschaffene Forschungsergebnisse als immaterielle Wirtschaftsgüter sind zwar handelsrechtlich grundsätzlich zu aktivieren (§ 255 Abs. 2 und 2a HGB). Steuerlich scheidet eine Aktivierung jedoch aus (§ 5 Abs. 2 EStG), so dass der hierauf entfallende Aufwand sofort abziehbar ist. An sich ist damit eine noch größere steuerliche Förderung für selbst entwickelte Forschungsergebnisse nicht möglich. Gleichwohl steht schon seit langem die Forderung im Raum, eine zusätzliche steuerliche Förderung zu schaffen. Begründet wird dieser Wunsch damit, dass Deutschland mittlerweile zu den ganz wenigen Ländern gehöre, die noch keine besondere steuerliche Förderung von F+E haben.21 Die Folge sei, dass zum einen die deutschen Unternehmen Standortnachteile wegen einer teureren Forschungsaktivität in Kauf nehmen müssten. Zum anderen würden Unternehmen dadurch veranlasst, Forschungszentren zwar nicht aus Deutschland zur Vermeidung einer schädlichen Funktionsverlagerung (§ 1 Abs. 3 Satz 9 AStG) in das Ausland überzusiedeln, so doch neu im Ausland, das eine F+E-Förderung vorsieht, aufzubauen. Besonders vorteilhaft wäre der Aufbau eines ausländischen Forschungszentrums zudem dort, wo obendrein auch die Nutzung einer steuerlich begünstigen Lizenzbox ermöglicht werde. 21 Vgl. hierzu die Studie des BDI und des ZVEI „360-Grad-Check – Steuerliche Rahmenbedingungen für Forschung & Entwicklung“, 2016.

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Bei dieser nicht günstigen Ausgangssituation bezogen auf den deutschen Standort stellt sich die Frage, ob die Politik bei der bisherigen Haltung, dass eine Direktförderung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben ausreiche, bleiben wird.

2. Vorstoß des Bundesrats mit seiner Entschließung vom 17.6.2016 Der Bundesrat hatte bereits in seiner Entschließung vom 17.6.2016 zur „Einführung einer steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung (Forschungsprämie) für den Mittelstand in Deutschland“22 auf das Problem aufmerksam gemacht. In dieser Entschließung finden sich folgende Vorschläge für eine steuerliche Unterstützung: –

Die Förderung soll sich auf die für Forscher, Techniker und ähnliches Personal aufgewandten Kosten beziehen.



Der Fördersatz soll 10 % dieser Personalkosten als Forschungsprämie betragen, die verrechenbar ist mit der anfallenden Einkommenoder Körperschaftsteuer oder in Verlustjahren als Steuergutschrift verwendbar bleibt. Eine Ausnahme soll für ertragsschwache Unternehmen und Start-ups gelten, denen die Steuergutschrift ausgezahlt werde.



Die steuerliche Förderung könne nur anstelle der Direktförderung gewählt werden.



Begünstigt werden nur kleine und mittelständische Unternehmen (Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro und einer Jahresbilanzsumme von höchstens 43 Mio. Euro).

3. Förderungsinitiative nach der Bundestagswahl? Die Wahlprogramme aller namhaften Parteien beinhalteten Fördersysteme steuerlicher Art, so dass zu erwarten ist, dass in der kommenden Legislaturperiode eine steuerliche Fördermöglichkeit möglicherweise in das Gesetz aufgenommen wird. Die Modalitäten hierfür sind aber noch völlig unklar. Die Großkonzerne in Deutschland, die erhebliche Forschungsaktivitäten aufweisen, begrüßen diesen Ansatz, warnen aber davor, bei der steuerlichen Förderung unberücksichtigt zu bleiben. Es ist aus meiner Sicht im Ergebnis nur sehr schwer vermittelbar, bei der For22 BR-Drucks. 227/16 (B).

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schungsförderung sachlich zwischen kleineren und größeren Unternehmen sinnvoll zu trennen, wenn die Forschungstätigkeit als solche attraktiver ausgestaltet und im Inland gehalten werden soll. Einen für den inländischen Forschungsstandort wichtigen Beitrag leisten auch große Unternehmen. Zu denken wäre auch an die Einführung einer Lizenzbox, die dem NexusAnsatz gerecht wird. Sie hat freilich den Nachteil, dass durch sie nicht die Forschungstätigkeit an sich, sondern nur die Erträge aus einer erfolgreichen Forschungstätigkeit begünstigt werden. Erfolglose und damit verlustbehaftete Forschungstätigkeiten, die zum Forschungsgeschäft naturgemäß dazugehören („try and error“), gingen ganz leer aus. Weiterhin ist nicht nachgewiesen, dass dieser mittelbare Ansatz tatsächlich geeignet ist, Forschungsaktivitäten zu stimulieren. Letztlich ist in Gesprächen mit Vertretern der Wirtschaft deutlich gemacht worden, dass seitens der Wirtschaft kein Bedürfnis für die Einführung einer Lizenzbox gesehen wird.

VIII. Planung einer Unternehmenssteuerreform? Es kamen Mitte 2017 Gerüchte auf, dass der seinerzeitige Bundesfinanzminister eine Reform der Unternehmensbesteuerung plane. Genaueres ist bislang nicht durchgesickert, so dass nur folgende Vermutungen angestellt werden können:

1. Diskussion zu einer rechtsformneutralen Besteuerung Nach einem Artikel im SPIEGEL23 soll wieder einmal die Idee einer rechtsformneutralen Besteuerung der Unternehmen wiederbelebt werden. Dort wird berichtet, dass darüber nachgedacht werde, transparente Personengesellschaften wie intransparente Kapitalgesellschaften zu behandeln. Anlass für derartige Überlegungen sei der beschlossene Austritt der Briten aus der Europäischen Union und die neuerdings zu vernehmende Drohung aus dem Vereinigten Königreich, dass die dortigen Unternehmenssteuersätze massiv gesenkt werden sollen, um für Unternehmen (weiterhin) attraktiv zu bleiben, wenn die Europäische Union dafür sorgt, dass das Vereinigte Königreich nach seinem Verlassen deutlich verschlechterte Handelsbedingungen mit Staaten der Europäischen Union in Kauf nehmen muss. Mittlerweile hat sich der Handlungsdruck 23 Heft 4/2017, 81.

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aufgrund des zum Ende 2017 verabschiedeten Gesetzespakets einer Steuerreform in den USA deutlich erhöht.24 Auch China stellt in jüngster Zeit Überlegungen zu steuerlichen Anreizen an, wenn in China erwirtschaftete Unternehmensgewinne wieder dort investiert werden.25 Über eine rechtsformneutrale Besteuerung war vor vielen Jahren schon einmal intensiv nachgedacht worden, ohne jedoch ein schlüssiges Konzept hierfür zu finden, das auch von der Wirtschaft befürwortet worden wäre. Das Resultat der damaligen Überlegungen war die Schaffung des § 34a EStG, der eine Steuerbegünstigung einkommensteuerpflichtiger (Mit-)Unternehmer auf Antrag für den nicht entnommenen Gewinn vorsieht. Seitdem ist das Thema nicht mehr wieder aufgeflammt. Auch in der Gegenwart sind aus dem Kreis der Wirtschaft keine Rufe zu vernehmen, dass eine Besteuerungsangleichung der einkommensteuerpflichtigen Unternehmen an die Körperschaftsteuer gewünscht wird. Dass das Körperschaftsteuersystem nicht das attraktivere ist, zeigt deutlich die Tatsache, dass unverändert in Deutschland ca. 80 % der Unternehmen als Personenunternehmen geführt werden. Daran hat auch die Einführung besonderer handelsrechtlicher Möglichkeiten und Erleichterungen für kleine Kapitalgesellschaften, die Unternehmergesellschaft nach § 5a GmbHG, nichts Entscheidendes geändert. Hierfür gibt es gewichtige außersteuerliche wie auch steuerliche Gründe: Die steuerliche Belastung ausgeschütteter Gewinne bei einer Kapitalgesellschaft beträgt bei einer unterstellten Belastung mit 15 % Gewerbesteuer auf der Ebene der Gesellschaft und der Ebene der Anteilseigner, wenn diese natürliche Personen sind, die die Beteiligung im Privatvermögen halten und der Abgeltungsteuer in Bezug auf die ausgeschütteten Gewinne unterliegen, zusammen 49,07 % (einschl. SolZ). Bei Mitunternehmern einer Personengesellschaft wird die Reichensteuer in der Grundtabelle ab 260 533 Euro zu versteuerndem Einkommen (ab 2018) i.H.v. 47,48 % (einschl. SolZ) erhoben. Die Durchschnittsbelastung 24 In den USA ist eine deutliche Absenkung des dortigen Unternehmenssteuersatzes auf Bundesebene von bisher nominal 35 % auf 21 % beschlossen worden. Zusätzlich wird ein moderater Sondersteuersatz eingeführt, um die Unternehmen zu veranlassen, die vorwiegend im Ausland erwirtschafteten und dort gehorteten Gewinne amerikanischer Unternehmen zu repatriieren. Besondere Anreize für ausländische Investoren werden zudem von der geplanten Möglichkeit ausgehen, im Inland getätigte Investitionen sofort in vollem Umfang abschreiben zu können, während bei importierten Wirtschaftsgütern die Abschreibung versagt werden soll. 25 Vgl. Handelsblatt v. 2.1.2018.

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beträgt jedoch an der Einstiegsgrenze zum Reichensteuersatz lediglich 40,82 %, wächst mit zunehmendem Einkommen zwar an, wird jedoch die Belastungsgröße von 49,07 % niemals erreichen. Hinzu kommt, dass die meisten Unternehmer keine Einkünfte in dieser Größenordnung erzielen. Die Gewerbesteuer des Personenunternehmens kann überwiegend durch Verrechnung mit der Einkommensteuer nach § 35 EStG kompensiert werden. Hinzu kommt noch die Möglichkeit, nicht entnommene Gewinne gem. § 34a EStG ermäßigt zu besteuern. Insgesamt gesehen ist damit die Kapitalgesellschaft dem Personenunternehmen unterlegen. Darüber hinaus gestaltet sich die Verlustverrechnung mit anderen Einkünften des Unternehmers bei einem Personenunternehmen deutlich günstiger als bei einer Kapitalgesellschaft. Deren Verluste können nicht mit positiven Einkünften ihrer Gesellschafter verrechnet werden und vice versa. Bei der Flexibilität in Bezug auf Umstrukturierung und Gesellschafterwechsel erweist sich das Personenunternehmen ebenfalls als wesentlich geschmeidiger als die Kapitalgesellschaft. Wollte man eine Personengesellschaft wie eine Kapitalgesellschaft behandeln, sind wegen der beträchtlichen Besteuerungsunterschiede dieser Gesellschaftsformen etliche Erschwernisse zu überwinden. Allerdings kann man sich an das Regelungswerk des § 25 UmwStG anlehnen und die dort genannten Rechtsfolgen entsprechend auf Personenunternehmen anwenden, die allenfalls auf Antrag (Optionslösung) wie eine Kapitalgesellschaft behandelt werden wollen.

2. Schicksal der Abgeltungsteuer Es gibt viele politische Stimmen, die aus unterschiedlichen Gründen die Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte abschaffen wollen. Die SPD und Bündnis 90/Die Grünen halten die Besteuerung von Kapitaleinkünften mit 25 % zzgl. SolZ im Vergleich zum Erwerbseinkommen eines Arbeitnehmers, der progressiv mit den Steuersätzen des § 32a EStG besteuert wird, für ungerecht.26 Der frühere Bundesfinanzminister wies schon vor geraumer Zeit darauf hin, dass die Schedulenbesteuerung sich deshalb überlebt habe, weil durch die mit weit über 80 Staaten bestehenden internationalen Auskunftsvereinbarungen in Bezug auf ausländische Kapi26 Vgl. die Forderung im Zehn-Punkte-Plan von Zypries, dass Einkommen aus Arbeit und Kapital gleich besteuert werden müssten, Handelsblatt v. 14.3.2017.

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taleinkünfte die Neigung der Stpfl. zur Steuerhinterziehung schwinden wird, so dass ein attraktiver Steuersatz, der die Stpfl. veranlassen könnte, von der Steuerhinterziehung Abstand zu nehmen, nicht mehr erforderlich scheint. Sollte der besondere Steuersatz für Kapitaleinkünfte gem. § 32d Abs. 1 Satz 1 EStG abgeschafft werden, hat dies Auswirkungen auf die Besteuerung der an Kapitalgesellschaften beteiligten natürlichen Personen. Es muss dann entschieden werden, ob an die Stelle der Abgeltungsteuer das Teileinkünfteverfahren treten oder ob eine ungemilderte Besteuerung der Dividendenbezüge erfolgen soll. Das Teileinkünfteverfahren wäre sachgerecht, könnte aber auch als „ungerechte“ Sonderbesteuerung von Gewinnausschüttungen verstanden werden. Eine ungemilderte Besteuerung führt hingegen bei Stpfl., deren Einkünfte mit einem höheren Durchschnittsteuersatz als 25 % besteuert werden, zu einer bedenklichen bis übermäßigen steuerlichen Gesamtbelastung des auf der Ebene der Kapitalgesellschaft erwirtschafteten Gewinns. Denkbar wäre schließlich, Dividendenbezüge aus Beteiligungen erst ab einer bestimmten Größenordnung (z.B. 10 % oder 25 %) dem Teileinkünfteverfahren zu unterwerfen, Dividendenbezügen aus einer Beteiligung, die diese Größenordnung nicht übersteigt, hingegen ungemildert zu besteuern. Hier würde man die Besteuerung der Psychologie anpassen, weil Stpfl., die sich „nur“ als Kapitalanleger, nicht aber als Unternehmer verstehen, „normal“ besteuert würden, währenddessen Beteiligte, die Gewinnausschüttungen aus „ihrer“ Gesellschaft erhalten, dem Teileinkünfteverfahren unterfielen. Sollte sich doch die Überzeugung durchsetzen, dass die gegenwärtige Besteuerung der Dividendenbezüge nicht ungerecht ist, bleibt der Befund, dass die Abgeltungsteuer lediglich bei solchen Kapitaleinkünften, die nicht mit einer steuerlichen Vorbelastung versehen sind (z.B. Zinsen aus einer Spareinlage), zu einer nicht gerechtfertigten Begünstigung führt. Dies ist im Grundsatz richtig, auch wenn nicht außer Acht gelassen werden sollte, dass nach geltender Rechtslage auch Gewinne aus der Veräußerung des Anlageprodukts besteuert werden (vgl. § 20 Abs. 2 EStG), ohne zu analysieren, ob hierfür Kapitalerträge im eigentlichen Sinne verantwortlich sind. Diese Wertsteigerungen sind zudem dauerhaft steuerverstrickt. Eine Spekulationsfrist gibt es nicht mehr. Außerdem ist der Abzug von Werbungskosten mit Ausnahme des Sparerpauschbetrags (801 Euro) ausgeschlossen (§ 20 Abs. 9 EStG), und Verluste aus Kapitalvermögen sind lediglich innerhalb der Schedule ausgleichsfähig (§ 20 Abs. 6 EStG). Diese Beschränkungen in Bezug auf die Werbungskosten 121

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und die Verluste müssten bei Abschaffung der Abgeltungsteuer selbstverständlich fallen und ebenfalls den üblichen Grundsätzen unterworfen werden. Derzeit würde der Fiskus bei einer Rückkehr zur synthetischen Besteuerung von Kapitalerträgen angesichts des niedrigen Zinsniveaus keine Mehrergebnisse erzielen. Es ist zu beachten, dass die Belastung mit Negativzinsen bei großen Geldanlagen als Werbungskosten berücksichtigt werden müsste, so dass in der augenblicklichen Zinssituation sehr reiche Stpfl. von einer Änderung des Besteuerungssystems eher profitieren als zusätzlich belastet werden dürften. Sollten die Zinsen wieder kräftig steigen, werden Anleger wegen der unterschiedlichen Besteuerung der Anlageform sich entsprechend verhalten, so dass aufgrund der unterschiedlichen Besteuerung die Finanzmärkte auch mit Blick auf Altersvorsorgeprodukte beeinflusst werden könnten, was bislang nicht der Fall war. Nach alledem ist festzustellen, dass die zum 1.1.2009 eingeführte Abgeltungsteuer sich durchaus bewährt und ihre gut begründete Berechtigung hat. Sie trägt keineswegs das Kainszeichen der Ungerechtigkeit auf der Stirn. Will man sie dennoch abschaffen, ist ein Königsweg für eine diese Steuer ersetzende Lösung nicht in Sicht.

3. Gestaltung der Unternehmenssteuersätze Angesichts der Debatten, dass Großbritannien nach dem Verlassen der EU die Unternehmenssteuersätze massiv – die Rede ist von 17 % und darunter – absenken will und dass der US-Gesetzgeber den Unternehmenssteuersatz von nominal 35 % auf 21 % abgesenkt hat,27 könnte Druck auf den deutschen Gesetzgeber ausgehen, hier ebenfalls zu reagieren. Das Entstehen einer Steuerspirale nach unten durch andere Nachahmerstaaten wäre möglicherweise die Folge. Nach meiner Einschätzung wird sich die kommende Bundesregierung nicht an einem Steuerdumping-Wettbewerb beteiligen und den Körperschaftsteuersatz verringern. Erleichterungen sind allenfalls beim Solidaritätszuschlag, von denen auch Kapitalgesellschaften profitieren, und durch eine Änderung des Tarifverlaufs bei der Einkommensteuer denkbar (vgl. hierzu II.1.). Die Belastung durch die Gewerbesteuer zu mildern, indem das System grundlegend geändert wird, ist auf Grund der Erfahrungen in der Vergangenheit ein mühseliger und bislang erfolgloser Weg und daher nicht realistisch. Es bieten sich jedoch

27 Handelsblatt v. 28.9.2017.

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stattdessen möglicherweise andere Instrumente zur Milderung der Steuerlast an (vgl. dazu nachstehend unter 5.).

4. Hinzurechnungsbesteuerung: Anrechnungsüberhänge Seit langem werden einige empfundene Unzuträglichkeiten des AStG beklagt. Besonders moniert wird, dass die Niedrigbesteuerungsgrenze des § 8 Abs. 3 Satz 1 AStG unverändert bei 25 % verharrt. Das führt trotz der grundsätzlichen Anrechenbarkeit ausländischer Steuern gem. § 12 AStG zu missliebigen Anrechnungsüberhängen. Beträgt die ausländische Steuerlast mehr als 15 % der hinzugerechneten passiven Einkünfte, kann eine vollständige Anrechnung auf die inländische Körperschaftsteuer nicht erfolgen, da diese lediglich 15 % beträgt. Es wird zur Lösung gefordert, entweder die Grenze für eine Niedrigbesteuerung dem hiesigen Körperschaftsteuersatz von 15 % anzugleichen oder eine Anrechnung auf die vom inländischen Unternehmen zu zahlende Gewerbesteuer zuzulassen. Mit einer zunehmenden Internationalisierung wird sich der Gesetzgeber in dieser Frage wohl bewegen müssen, da das Problem seine Einzigartigkeit schon lange verloren hat.

5. Eigener Vorschlag: keine grundlegende Reformdebatte, jedoch wirkungsvolle Einzelmaßnahmen Für eine grundlegende Unternehmenssteuerreform besteht m.E. keine Notwendigkeit. In Bezug auf die Steuersätze ist Deutschland in eine Unwucht im internationalen Vergleich allein wegen der in letzter Zeit gestiegenen Gewerbesteuerhebesätze geraten. Diese haben für einen deutlichen Anstieg der Gesamtbelastung gesorgt, so dass die Gewerbesteuerbelastung den Körperschaftsteuersatz letztlich vielerorts deutlich übersteigt. Eine Steuersatzsenkung ist bei diesem Befund schwierig. Der Körperschaftsteuersatz von 15 % ist moderat und im internationalen Vergleich durchaus konkurrenzfähig. Die Bestimmung der Höhe der Gewerbesteuern ist verfassungsrechtlich den Gemeinden über ihr Hebesatzrecht vorbehalten und einfachgesetzlich nicht zu ändern. Als Lösung des Problems, die über Appelle an die Gemeinden hinausgeht, die Hebesätze zu senken oder zumindest nicht weiter steigen zu lassen, könnte ein Strauß von einzelnen entlastenden Maßnahmen sein wie z.B. –

Absenkung des Zinsfußes bei den Pensionsrückstellungen,



Steuergutschriften für F+E-Aufwendungen,

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Verbesserte Verlustnutzung durch eine Kombination des § 8c KStG mit § 8d KStG; Rechtssicherheit in Bezug auf die Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) bei nicht mehr nutzbaren Verlusten infolge Liquidation und Insolvenz; moderate Anhebung der Verlustausgleichsquote von derzeit 60 %,



Verbesserung bei der Hinzurechnungsbesteuerung,



Verbesserte Anrechnung der Gewerbesteuer gem. § 35 EStG,



Verbesserung der Thesaurierungsbegünstigung gem. § 34a EStG,



Bürokratieerleichterungen bei der umsatzsteuerlichen Organschaft,



Klarstellung in Bezug auf die rückwirkende Rechnungsberichtigung für den Vorsteuerabzug28 mit Vermeidung eines Nachzahlungszinses nach § 233a AO.

IX. Besteuerung von Unternehmen im internationalen Gefüge, Restanten aus dem BEPS-Projekt 1. GAFA-Tax: Ideen zur Besteuerung der Digitalwirtschaft In interessierten Kreisen macht derzeit dieser Kunstname für eine noch zu entwickelnde Steuer die Runde. Auf europäischer Ebene im Rahmen der Treffen der EU-Finanzminister in Tallinn am 16.9.2017 erörterten die Minister das Problem, dass große Unternehmen der Digitalwirtschaft auf dem europäischen Markt exorbitante Gewinne erwirtschaften, aber hierfür keinen angemessenen Steueranteil für ihre erwirtschafteten Erträge leisten. Angesprochen sind dabei vornehmlich die Konzerne Google, Amazon, Facebook und Apple (daher GAFA) mit Sitz ihrer europäischen Sektion in Irland, den Niederlanden bzw. in Luxemburg. Dort werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach – wenn überhaupt – sehr gering besteuert. Vor allem hatte Irland es in der Vergangenheit zugelassen, dass die dort ankommenden Gewinne bei einer hybriden Gesellschaft mit Sitz in der Karibik anfallen, auf die der Staat Irland nur zu einem sehr geringen Teil zum Zwecke der Besteuerung zugreifen kann (sog. double-irish-Gestaltungen). Das Problem einer sachgerechten Besteuerung der Digitalwirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass diese Unternehmen anders als die „klas28 Auf der Grundlage der Entscheidungen des EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex GmbH), UR 2016, 800 Tz. 35 ff.; v. 15.9.2016 – Rs. C-516/14 (Barlis 06 – Investimentos Imobiliarios e Turisticos), UR 2016, 895 Tz. 42 ff.

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sischen“ Unternehmen nicht auf eine feste ortgebundenen Betriebsstätte in den jeweiligen Ländern angewiesen sind, sondern ihren Geschäften auf digitalem Weg nachgehen. Der Ausgangspunkt für derartige Geschäfte kann überall auf der Welt sein, in Europa eben vornehmlich in Luxemburg und Irland; die Kunden lassen sich problemlos online erreichen. Mangels „klassischer“ Betriebsstätte fehlt der inländische Anknüpfungspunkt für eine inländische Ertragsbesteuerung. Zusammen mit seinen Kollegen aus Frankreich (le Maire), Italien (Padoan) und Spanien (de Guindos) schrieb der frühere Bundesfinanzminister die Europäische Kommission an mit der Bitte, Vorschläge zu entwickeln, wie eine effektive Besteuerung der Gewinne von Unternehmen der Digitalwirtschaft, die grenzüberschreitend agieren, vorgenommen werden kann. Das Thema soll dann weiter im Rahmen des G 20-Gipfels im März 2018 erörtert werden. Die Europäische Kommission wird dem Vernehmen nach alsbald Vorschläge für eine Besteuerung machen. Dabei stehen nach bisherigen Erkenntnissen folgende wesentlichen Optionen im Raum: –

Auf Initiative von Frankreich und Deutschland steht – zumindest als Übergangslösung – eine bevorzugt als Ertragsteuer verstandene Ausgleichsabgabe oder -steuer (Equalisation Tax) zur Diskussion. Diese soll auf die im jeweiligen Land getätigten Umsätze als Bemessungsgrundlage (Maßstab für die Wertschöpfung als Besteuerungsgegenstand) erhoben werden, die damit auch die ökonomische Präsenz des jeweiligen Unternehmens abbildet. Der Nachteil einer solchen Besteuerung ist die Zwangsläufigkeit einer drohenden Doppelbesteuerung. Diese ließe sich verhindern, wenn man eine Anrechnungsmöglichkeit von irgendeinem Fiskus tatsächlich gezahlten Steuern bezogen auf die mit den maßgeblichen Umsätzen im Inland generierten Gewinnanteile zulässt. Denkbar wäre auch, nur die in Deutschland gezahlten Steuern zum Abzug zuzulassen. Sind Ertragsteuern – wie vermutet wird – aufgrund von hybriden Strukturen nicht oder nur in einem sehr geringen Umfang gezahlt, entfiele eine Anrechnung gänzlich bzw. käme sie nur zu einem kleinen Teil in Betracht.



Ein anderer Vorschlag geht dahin, die GKKB vorzeitig bezogen auf Unternehmen der Digitalwirtschaft einzuführen. Der Nutzen dieses Vorschlags scheint mir begrenzt zu sein aus folgenden Gründen: Zunächst wird die Bestimmung des betroffenen Adressatenkreises schwierig sein. Eine klar abgrenzbare Gruppe von Unternehmen, die zur sog. Digitalwirtschaft gehören, ist schwer auszumachen. Das 125

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wird schon bei den immer wieder genannten Unternehmen Google, Amazon, Facebook und Apple deutlich. Ihre Geschäftsfelder unterscheiden sich erheblich. Eine gemeinsame Klammer besteht nur in der extensiven Nutzung der digitalen grenzüberschreitenden Kommunikation und in ihren Kunden, die sich auf diese neuen Vertriebswege einlassen. Andere Unternehmen, die ähnliche Produkte verkaufen, bedienen sich noch anderer Vertriebsmöglichkeiten, bewegen sich aber angesichts der Erfolgsgeschichte der genannten Unternehmen ebenfalls auf deren Pfaden in zunehmendem Maße. Dort sind mit unterschiedlichem Gewicht Mischformen vorzufinden, die eine genaue Zuordnung in die Kategorie „Digitalunternehmen“ schwierig bis unmöglich machen. Die GKKB knüpfen an ein vorhandenes Besteuerungssubstrat an, das nicht dem Staat, in dem der Sitz des Unternehmens liegt, allein zugeordnet wird, sondern allen Staaten, in denen sich maßgebliche Produktionsfaktoren befinden. Solche „harten“ Produktionsfaktoren sind z.B. bei den genannten Unternehmen schwer auszumachen bzw. liegen gar nicht vor. Weiterhin ist das verteilbare Besteuerungssubstrat gerade deshalb nicht vorhanden, weil einige Staaten in Europa, in denen diese Unternehmen angesiedelt sind, gezielt dafür sorgen, dass es durch eigentümliche Gewinnverlagerungen (vgl. oben zu den double-irish-Gestaltungen) nicht oder nur in verschwindend geringem Maße anfällt. –

In dem Aktionspunkt 1 der BEPS-Vorschläge der OECD wird die Idee präferiert, für die sog. Digitalwirtschaft den bisherigen Betriebsstättenbegriff anders zu verstehen. Aber hierbei sinnvolle Kriterien für ein geändertes und angepasstes Verständnis zu entwickeln, ist ebenfalls nicht einfach. Das liegt zum einen an der Schwierigkeit, dass der Adressatenkreis, für den die besondere „digitale Betriebsstätte“ Bedeutung gewinnt, aus den o.g. Gründen nicht klar zu bestimmen ist. Zum anderen besteht die Gefahr, dass bei einem „aufgeweichten“ Betriebsstättenverständnis das Besteuerungsrecht, das bislang in Deutschland lag, in das Ausland überwechselt verbunden mit erheblichen Nachteilen für das inländische Steueraufkommen.



Schließlich ist die Bekämpfung von hybriden Strukturen, die die beklagten Gewinnverschiebungen erst möglich machen, eine Lösungsofferte. Wenn diese Möglichkeiten weltweit unterbunden und bisher hierfür verdächtigte Staaten dabei konsequent kooperieren würden, wäre ein großes Stück Steuergerechtigkeit gewonnen. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die ATAD-Richtlinie (Anti Tax

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Avoidance Directive), die freilich nur im EU-Bereich Geltung hat, aber mit Ausstrahlungswirkung auf Drittstaaten (vgl. hierzu näher 3.). –

Vorbild könnten letztlich Großbritannien und Australien sein, die mit einer sog. Diverted Profits Tax Steuern auf umgeleitete Gewinne bereits erheben. Es handelt sich dabei um eine Strafsteuer, die insbes. auf bestimmte einzelne Unternehmen und dabei vor allem auf Google und Facebook zielt. Diese Besteuerungsart hat sonst in Europa keine Nachahmer gefunden. Die genannte Besteuerungsmöglichkeit ähnelt der bereits beschriebenen Ausgleichssteuer, weil diese an Umsätze anknüpft, denen kein entsprechender inländischer besteuerbarer Gewinnausweis gegenübersteht, und damit die Vermutung besteht, dass der an sich wegen der Nutzung der inländischen Märkte generierte Gewinn umgeleitet worden ist. Bei der Strafsteuer ist allerdings wohl eine Anrechnungsmöglichkeit nicht vorgesehen. Außerdem wird eine besonders auf bestimmte Unternehmen bezogene Besteuerungsmöglichkeit nach deutschem Verständnis schwer mit Art. 3 GG vereinbar sein.

Der Fortgang der Diskussion zu diesem Thema bleibt abzuwarten. Es ist von der EU weise gewesen, dabei die OECD mit einzubeziehen. Denn das Problem lässt sich nicht allein in Europa verorten. Außerdem fällt auf, dass alle Unternehmen, die Anlass für die neuen Besteuerungsüberlegungen geben, US-amerikanische Konzerne sind. Dann macht es Sinn, die USA in die Überlegungen einzubeziehen, zumal anzunehmen ist, dass das in Europa von diesen Unternehmen vorenthaltene Besteuerungssubstrat im Wesentlichen auch nicht in den USA ankommt. Ob die USA sich nach Verabschiedung ihres Steuerpakets, mit dem die Repatriierung von im Ausland „geparkten“ ausländischen Unternehmensgewinnen durch Steuervorteile angestrebt wird, einbinden lassen, steht allerdings dahin. Exkurs: Bislang hat der umsatzsteuerliche Aspekt, der mit dem Geschäft mit big data einhergeht, noch nicht hinreichend Beachtung gefunden. Im Unterschied zu den o.g. Überlegungen, die zur Umsetzung stets eine Gesetzesänderung erfordern, stellt sich die Frage, ob der Tausch einer „unentgeltlichen“ Nutzbarkeit einer Internetplattform im Bereich der social media gegen die Zurverfügungstellung und Verwertbarkeit von individuellen Daten der Nutzer der Plattform von umsatzsteuerlicher Bedeutung ist. Dies wird noch eingehend zu untersuchen sein.

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2. Anzeigepflicht in Bezug auf Gestaltungsmodelle Die OECD-Empfehlungen zu BEPS sehen in Aktionspunkt 12 die Einführung einer Anzeigepflicht für Steuergestaltungen vor, die z.B. bereits in Großbritannien, Irland, USA und Kanada existiert. Auch in Deutschland ist der Ruf laut geworden, eine Pflicht zur Anzeige von Steuergestaltungen in die Abgabenordnung zu implementieren, auch wenn ein entsprechender Vorstoß schon einmal im Jahr 2008 scheiterte. Die Europäische Kommission hat die Anregung der OECD aufgegriffen und hierzu am 21.6.2017 einen Richtlinienvorschlag29 entwickelt. Der Richtlinienvorschlag sieht im Wesentlichen Folgendes vor: –

Anbieter oder Nutzer von grenzüberschreitenden Steuergestaltungsmodellen sollen verpflichtet werden, diese ihren nationalen Steuerbehörden zu offenbaren. Anzeigepflichtig sind in erster Linie die sog. Intermediäre. Darunter versteht man vor allem Steuerberater, Rechtsanwälte, Banken und Versicherungsunternehmen, aber auch Konzernspitzen im Verhältnis zu den ihnen nahestehenden Konzernunternehmen, wenn sie selbst entwickelte Modelle im Konzernverbund verbreiten. Ist ein solcher Intermediär in der EU nicht vorhanden, weil er z.B. seinen Geschäftssitz in einem Drittstaat hat, geht die Meldepflicht auf den Nutzer, also den Stpfl. über.



Ob ein Gestaltungsmodell meldepflichtig ist, bestimmt sich nach einer Reihe von Kriterien, die nicht in der Richtlinie selbst, sondern in dem Anhang IV zu der Richtlinie (Kennzeichen, „hallmarks“) niedergelegt sind. Inhalt der Meldepflicht sind das Modell selbst, die Art der Nutzer, das Steueroptimierungspotenzial und die betroffenen Mitgliedstaaten. Rein nationale Steuergestaltungsmodelle werden von der Meldepflicht nicht erfasst.



Die Meldefrist beträgt für meldepflichtige Intermediäre fünf Kalendertage.

Der Vorstoß der Europäischen Kommission wird in Deutschland von der Bundesregierung und den Ländern grundsätzlich begrüßt. Kritsch wird neben der kurzen Meldefrist vor allem die Anzeigepflicht gesehen, wenn diese eine zwischen Berater und Mandanten bestehende Vertrauensbezie29 „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 2011/ 16/EU bezüglich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Modelle“, COM(2017) 335 final.

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hung gefährden könnte. In der Richtlinie ist in Anlehnung an in Großbritannien bestehenden Besonderheiten in Bezug auf Verschwiegenheitspflichten zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten angedeutet, dass zur Wahrung dieses Verhältnisses dann der beratene Stpfl. selbst die entsprechende Auskunft zu geben habe. Hieraus wurde verbreitet schon gefolgert, dass es in Deutschland überhaupt keine Mitteilungspflicht von Steuerberatern geben könne. Diese Schlussfolgerung geht nach meiner Ansicht zu weit. Zielrichtung der Richtlinie besteht darin, dass die Mitgliedstaaten frühzeitig über neuartige grenzüberschreitende Gestaltungsmodelle in Kenntnis gesetzt werden, damit sie sich in der Lage sehen, falls erforderlich rechtzeitig gesetzgeberisch oder auf andere Weise gegenzusteuern. Bei diesem verfolgten Zweck ist die Kenntnis, welche Stpfl. das Modell bereits nutzen, nicht notwendig. Denn es werden in erster Linie nur solche gemeldeten Steuermodelle von Interesse sein, die nach der nationalen Rechtslage legal sind, so dass zumindest in Deutschland eine rückwirkende Gesetzesänderung zulasten der das Modell nutzenden Stpfl. ausgeschlossen ist. Damit ist eine Kenntnis dieser Stpfl. irrelevant, so dass m.E. darauf verzichtet werden sollte abzufragen, welcher Stpfl. bereits Nutzer des Modells ist. Dann spielen auch mandatsbezogene Vertrauensbeziehungen keine Rolle, so dass es sinnvoll ist, dass allein der in den Details des Modells besonders versierte Entwickler auskunftspflichtig ist. Berücksichtigt man die vorstehend beschriebenen Parameter einer Anzeigepflicht, wird deutlich, dass von der Anzeigepflicht in Deutschland nur ein ganz kleiner Bruchteil aller Steuerberater die Voraussetzungen des Richtlinienentwurfs für eine Meldepflicht erfüllen wird. Es besteht also keine Sorge, dass hiermit auf die beratenden Steuerberater und Rechtsanwälte eine unzumutbare neue Aufgabe zukommen könnte.30 Der Richtlinienentwurf sieht – wie gesagt – nur die Verpflichtung zur Mitteilung grenzüberschreitender Modelle vor, nicht aber solcher mit rein nationaler Bedeutung. Es ist von einigen Bundesländern die Forderung erhoben worden, über die Richtlinieninhalte hinaus auch eine Mitteilungspflicht für inländische Gestaltungen vorzusehen. Hier scheiden sich jedoch die Geister. M.E. ist der Ansatz der Kommission sinnvoll, weil bei grenzüberschreitenden Tatbeständen die Wirkungsweisen verschiedener Rechtssysteme mehrerer Staaten miteinander kombiniert 30 So auch Elster, Pressemitteilung des Deutschen Steuerberaterverbandes v. 2.12.2016.

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und genutzt werden. Die Einzelheiten des jeweils ausländischen Rechtssystems sind nicht im Einzelnen bekannt, so dass eine frühzeitige Information über solche Gestaltungsoptionen Sinn macht. Dieser aus meiner Sicht tragende Gesichtspunkt fehlt bei rein inländischen Gestaltungsplänen. Hier stehen dem deutschen Fiskus alle gesetzlichen Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung, um vorgenommene Gestaltungen, die nicht vorab Gegenstand eines verbindlichen Auskunftsverfahrens gewesen waren, zu entdecken und sie rechtlich einzuordnen.

3. Vermeidung hybrider Gestaltungen Die Probleme, die mit solchen hybriden Gestaltungen verbunden sind, weil sie letztlich eine Keinmalbesteuerung von an sich regulär zu besteuernden Einkünften („weiße Einkünfte“) begünstigen, sind unverändert nicht gelöst. Die ATAD-Richtlinie des Rates der EU aus Mitte 2016 beinhaltet u.a. den Regelungsbereich der hybriden Gestaltungen mit Beteiligung von Drittländern. Die ergänzende Richtlinie ATAD 2 umfasst auch hybride Gestaltungen mit Betriebsstätten, hybriden Übertragungen, sog. „imported mismatches“ und Fälle der Doppelansässigkeit auch im EU-Bereich. Ein Gesetzesvorschlag des Bundesrats bereits Ende 2014, der zum Ziel hatte, zu verhindern, dass infolge von Besteuerungsunterschieden der jeweiligen Staaten Einkünfte letztlich gänzlich unbesteuert bleiben oder nicht regulär besteuert werden, blieb bis heute erfolglos. Hauptanwendungsfälle des Vorschlags waren Zahlungen, die bei dem zahlenden Stpfl. als Betriebsausgaben abgezogen werden und bei dem empfangenden Stpfl. in einem anderen Staat nicht als reguläre Einkünfte erfasst werden, weil sie dort als Dividenden oder Einlagenrückgewähr qualifiziert und deshalb nicht oder nur ermäßigt besteuert werden. Dazu zählen auch die Fälle, in denen regulatorisches Kernkapital durch Beteiligung von Banken „fremdfinanziert“ wird, und vergleichbare strukturierte Kapitalmaßnahmen. Auf europäischer Ebene will der Richtlinienvorschlag weiße Einkünfte dieser Art unterbinden. Erfasst werden solche Stpfl., die nahestehende Personen sind, und solche, die strukturierte Kapitalmaßnahmen nutzen und die beschriebenen Steuereffekte bewusst in ihre Renditeerwartung „einpreisen“. Die Bankenfinanzierung des regulatorischen Kernkapitals soll allerdings bis Ende 2022 weiterhin steuerlich unbeschadet möglich bleiben.

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Aufgrund der Richtlinie der EU muss die Umsetzung in das innerstaatliche Recht bis Ende 2018 zwingend erfolgen und ab 2019 angewendet werden. Als Lösung bietet die Richtlinie das Korrespondenzprinzip an. Hiernach sollen die Ausgaben bei dem zahlenden Unternehmen nur dann berücksichtigt werden können, wenn die sachgerechte korrespondierende Besteuerung auf der Seite des Zahlungsempfängers gewährleistet ist. In Deutschland wird derzeit in einer Arbeitsgruppe auf Bundesebene an dem entsprechenden Entwurf eines Gesetzes gearbeitet, der alsbald erwartet werden dürfte. Die Umsetzung in das deutsche Recht wird seitens der Wirtschaft kritisch begleitet mit dem Hinweis, dass strukturierte Kapitalmaßnahmen i.d.R. nicht der Steueroptimierung, sondern der Wachstumsfinanzierung dienen.31 Auch wenn dieser Einwand zutreffen mag, wird gleichwohl die Einräumung eines Betriebsausgabenabzugs immer dann schwierig, wenn der inländische Stpfl. den mit der strukturierten Gestaltung verbundenen Steuervorteil planerisch verfolgt und in die vertraglichen Abmachungen mit seinen Geschäftspartnern einbezogen hat. Etwas anderes gilt m.E. beispielsweise, wenn im Ausgabeprospekt darauf hingewiesen wird, dass die Einnahmen aus der Anleihe Kapitaleinkünfte darstellen. Das die Anleihe ausgebende Unternehmen hat es dann regelmäßig nicht zu vertreten, wenn der Ansässigkeitsstaat eines Anlegers dies anders sieht und aufgrund der dort geltenden Rechtslage von einer Besteuerung absieht.

X. Stiefkind der Politik. Reform der Grundsteuer Der Koalitionsvertrag aus dem Herbst 2013 traf folgende Aussage zur Grundsteuer: „Die Grundsteuer wird unter Beibehaltung des Hebesatzrechtes für Kommunen zeitnah modernisiert. Wir fordern die Länder auf, nach Abschluss der laufenden Prüfprozesse rasch zu einer gemeinsamen Position zu kommen. Ziel der Reform ist es, die Grundsteuer als verlässliche kommunale Einnahmequelle zu erhalten, d.h. das Aufkommen zu sichern und Rechtssicherheit herzustellen.“

Die derzeitige Grundsteuer ist wegen der völlig veralteten Stichtage für die Einheitsbewertung zum 1.1.1964 (alte Bundesländer) bzw. 1.1.1935 (neue Bundesländer), zu denen die Grundstückswerte zu ermitteln sind, verfassungsrechtlich gefährdet. Vorlagenbeschlüsse des BFH aus dem Jahr

31 BDI/VCI, Die Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland, Vorschläge für ein wettbewerbsfähiges Steuerrecht 2017/2018, 2017, 20.

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2014 haben das Problem, ob wegen der überkommenen Bewertungen eine gleichmäßige Besteuerung gewährleistet ist, bereits vor geraumer Zeit beim BVerfG adressiert.32 Da nunmehr die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG am 16.1.2018 stattfindet, ist anzunehmen, dass das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der Bewertung noch in 2018 befinden wird. Sollte das BVerfG zu dem Schluss kommen, dass das GrStG gleichheitswidrige Auswirkungen hat, und fordert es – wie üblich in solchen Fällen – den Gesetzgeber dazu auf, eine verfassungskonforme Regelung innerhalb einer bestimmten Frist zu schaffen, ist zu befürchten, dass die üblicherweise vom BVerfG eingeräumte Frist für ein sehr umfangreiches Projekt wie die Reform der Grundsteuer zu kurz bemessen sein könnte. Deshalb haben viele Bundesländer stets dazu geraten, mit Reformvorschlägen früh zu beginnen, um nicht von der Entscheidung des BVerfG überrascht zu werden. Wenn das BVerfG gewahr wird, dass ernsthaft an einem tragfähigen Reformmodell gearbeitet wird, könnte es diesen Umstand bei der Bemessung der Frist für die gesetzgeberischen Maßnahmen möglicherweise würdigen. Die Länder haben in der vergangenen Legislaturperiode ein Gesamtmodell erarbeitet und vorgelegt, das für die Fortentwicklung der Grundsteuer tauglich sein könnte. Der Bundesrat brachte am 4.11.2016 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 105 GG)33 und den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bewertungsgesetzes34 ein. Das dort vorgesehene Besteuerungsmodell, das die Länder Hessen und Niedersachsen mit Unterstützung der anderen Länder mit Ausnahme von Bayern und Hamburg als Bundesratsinitiative eingebracht haben, sieht eine Umsetzung in mehreren Stufen vor. Die erste befasst sich mit der Neubewertung der bundesweit rd. 35 Mio. Bewertungseinheiten. In der zweiten Stufe sollen die bundesweit geltenden Steuermesszahlen bestimmt werden. Die Messzahlen können dann in der Weise austariert werden, dass das Messbetragsvolumen insgesamt nicht anwächst (Aufkommensneutralität). Nach den Vorstellungen der (meisten) Bundesländer ist es möglich, eine verfassungsfeste Bewertung des Grundbesitzes in Deutschland für Zwe-

32 BFH v. 22.10.2014 – II R 16/13, BStBl. II 2014, 957, Az. BVerfG 1 BvL 11/14; v. 17.12.2014 – II R 14/13, BFH/NV 2015, 475, Az. BVerfG 1 BvL 1/15. 33 BR-Drucks. 514/16. 34 BR-Drucks. 515/16.

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cke der Grundsteuer durchzuführen. Diese Einsicht besteht leider nicht in allen Bundesländern, so dass die Reform der Grundsteuer in der vergangenen Legislaturperiode des Bundestags gescheitert ist.

XI. Erbschaftsteuer § 13a Abs. 1 ErbStG i.d.F. des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 4.11.2016 sieht in Bezug auf das begünstigte Vermögen einen steuerfreien Verschonungsabschlag i.H.v. 85 % vor, wenn der Erwerb nicht 26 Mio. Euro übersteigt. Ist der Erwerb höher, wird der Verschonungsabschlag stufenweise abgeschmolzen. Bei Personengesellschaften wird vor Anwendung des § 13a Abs. 1 ErbStG auf das begünstigte Vermögen ein Vorwegabschlag bis zur Höhe von 30 % vorgenommen, wenn insbes. satzungsgemäße Gewinnentnahmebeschränkungen bestehen (§ 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG). Der Vorwegabzug wird gewährt, wenn gesellschaftsrechtlich höchstens 37,5 % des (um die auf den Gewinnanteil entfallenden Einkommensteuerbeträge gekürzten) Gewinnanteils entnommen werden dürfen. In dem Vermittlungsverfahren zu diesem Gesetz wurde diskutiert, wie der Gewinnanteil sich bemisst. Es kam dabei die Frage auf, ob bei einer mehrstöckigen Gesellschaftsstruktur nur der Gewinnanteil an der Obergesellschaft maßgeblich ist oder ob bei der Bestimmung der Entnahmegrenze auch die Gewinnanteile der Tochtergesellschaften einzubeziehen sind. Man hatte sich darauf geeinigt, dass auch die Gewinnanteile der Tochtergesellschaften zugunsten des Stpfl. einbezogen werden müssen. Man konnte diesen Gedanken aber nicht in der Kürze der Zeit im Vermittlungsverfahren hinreichend sicher als Gesetzestext formulieren und einigte sich deshalb auf eine Protokollerklärung, die die Bundesregierung abgab und in der sie in Aussicht stellte, dieses Problem noch zu lösen. Das ist bislang nicht geschehen. Jedoch besteht Einigkeit, dass diese Protokollerklärung in der kommenden Legislaturperiode noch „abgearbeitet“ werden muss. Weitere Änderungen des ErbStG sollen aber nicht vorgenommen werden.

XII. Vermögensteuer Hin und wieder hört man von Überlegungen insbes. von den Grünen/ Bündnis 90, zu einer gewissen Vermögensumschichtung durch eine steuerliche Belastung der sog. „Superreichen“ durch Einführung einer

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Vermögensteuer zu gelangen.35 Dieser Vorschlag hat seine bislang bekannten Tücken nicht verloren. Eine signifikante Aufkommenshöhe aus einer wiederbelebten Vermögensteuer kann man nur dann erreichen, wenn das gesamte in privater Hand liegende Vermögen belastet wird. Das schließt das betriebliche Vermögen mit ein. Da es aus Gleichheitsgesichtspunkten nicht angeht, den Einzelunternehmer und den Mitunternehmer, wenn er eine natürliche Person ist, zu belasten, die Kapitalgesellschaft hingegen nicht, müsste die Vermögensteuer auch auf juristische Personen des Privatrechts ausgedehnt werden. Selbst moderate Steuersätze würden jedoch im unternehmerischen Bereich zu beträchtlichen Belastungen führen. Da trotz ihres Charakters als Substanzsteuer in der öffentlichen Diskussion Klage geführt werden wird, dass die Vermögensteuer aus den laufenden Erträgen nach Belastung mit den Ertragsteuern finanziert werden müsse, wird die Gefahr einer beträchtlichen zusätzlichen Schmälerung der Rendite aus dem unternehmerischen Ertrag infolge der Vermögensteuer der Politik vorgehalten werden. Die Gesamtsteuerbelastung, die auf dem erwirtschafteten Gewinn lastet, wird hieran gemessen exorbitant hoch, wenn das Unternehmen nur einen geringen Gewinn erzielt oder gar Verluste erwirtschaftet, ohne dass deshalb der Wert des Unternehmens als Bemessungsgrundlage für die Vermögensteuer abgesunken wäre. Eine Diskussion über die Berechtigung einer solchen Steuer wird dann besonders schwer fallen, und Ausweichreaktionen der steuerpflichtigen Gesellschaften durch Verlagerungen betrieblicher Aktivitäten in das Ausland werden die Folge sein. Damit bleibt nur der Ausweg, dass ausschließlich das private Vermögen ohne Einbeziehung unternehmerischer Vermögensteile der Besteuerung unterliegt. Es stellt sich allerdings dann die berechtigte Frage, ob das damit noch erzielbare Steuervolumen den Aufwand und Ärger lohnt, den die Steuer auslöst. Die Administrierungsbemühungen bei der Verifizierung der Güter der Stpfl. werden erheblich sein. Die Klientel, die für die Vermögensbesteuerung in Betracht kommt, ist im Unterschied zu den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts, als die Vermögensteuer von Verfassungs wegen ausgesetzt wurde, deutlich polyglotter geworden und wird ihre Vermögensgegenstände beileibe nicht allein in Deutschland haben. Der Erkennungs- und Bewertungsaufwand wäre bei nicht großzügigen 35 Forderung von Delegierten auf dem Bundesparteitag in Münster; vgl. Zeit online v. 12.11.2016; stärkere Belastung großer Vermögen gem. Zehn-PunktePlan der Bundeswirtschaftsministerin Zypries, Handelsblatt v. 14.3.2017.

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Freibeträgen immens, will man sich nicht dem Vorwurf eines strukturellen Vollzugsdefizits aussetzen, und der Steuerertrag bei großzügigen Freibeträgen klein. Ob die Doppelbesteuerungsabkommen in Bezug auf das im Ausland befindliche Vermögen einer neuen Vermögensteuer genügen, wäre auch noch zu prüfen.

XIII. Europa In Zentrum stehen derzeit die Bemühungen um Lösungen, wie man der aggressiven Steuergestaltung von Unternehmen im internationalen Bereich Herr werden kann. Politischer Druck entstand zum einen aufgrund der Enthüllungen durch die Panama-Papers und nunmehr erneut durch die Veröffentlichung der Paradise-Papers, die aus Daten, die aus der in verschiedenen Steueroasen ansässigen Rechtsanwaltsfirma Appleby stammen, und aus Dokumenten, die mit dem in Singapur ansässigen Asiaciti Trust in Verbindung stehen, herrühren. Die Veröffentlichung erfolgte wie bei den Panama-Papers durch das „International Consortium of Investigative Journalists“. Folgende damit zusammenhängenden und darüber hinausgehenden Arbeitsfelder werden auf EU-Ebene in der kommenden Zeit bearbeitet werden: –

Umsetzung der Mitteilung der Kommission vom 21.9.2017 zur fairen und effektiven Besteuerung digitaler Unternehmen,



Gemeinsame (konsolidierte) Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage,



Richtlinienvorschlag zur Verbesserung der Streitbeilegung in Fragen der Verrechnungspreise,



Technik bei der Bemessung von Verrechnungspreisen,



Verhaltenskodex der Unternehmen, „schwarze Listen“,



Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen,



Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs im Internethandel.

XIV. Ausblick Nach der Zeitungslektüre zum Jahreswechsel 2017/2018 und der Neujahrsansprache der geschäftsführenden Kanzlerin ist die Politik zwar wie in jedem Jahr bemüht, den Bundesbürgern Zuversicht zu vermitteln, was angesichts der derzeitigen hervorragenden Wirtschaftsdaten nicht schwerfällt. Eine Zukunftsplanung in steuerlicher Hinsicht ist 135

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mit Ausnahme einer steuerlichen Entlastung für Familien mit Kindern und vielleicht noch einer in Aussicht gestellten (moderaten) einkommensteuerlichen Tarifentlastung sowie einer bescheidenen Absenkung des Solidaritätszuschlags nicht zu erkennen. In Bezug auf die Unternehmensbesteuerung finden sich nur einige wenige punktuelle Ideen. Man wolle aber auf jeden Fall Forderungen der Unternehmensverbände nach einer Steuersenkung als Reaktion insbes. auf die US-Unternehmensbesteuerung der Zukunft nicht nachkommen, also kein Steuerdumping betreiben, sondern den Unternehmen allenfalls nur in Einzelpunkten entgegenkommen, ohne diese jedoch gegenwärtig zu spezifizieren.36 Ich habe Zweifel, ob das Steuergeschehen in 2018 sich auf die bislang konkret beschriebenen steuerlichen Vorstellungen beschränken lassen wird. Zentral werden nach meiner Einschätzung die Herausforderungen sein, die die Digitalisierung der Welt mit sich bringt einschließlich der Bekämpfung der verbesserten Steuerhinterziehungsmöglichkeiten dank des Internets. Auch sollte nicht vergessen werden, dass das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008, das die Unternehmenssteuersätze massiv absenkte, einen wesentlichen Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung bis heute beigetragen hat. Damit diese Grundlage in Zukunft nicht erodiert, sollte die Politik bei der Besteuerung der Unternehmen nachjustieren, damit nicht die intendierten Steuerpläne von Staaten, die mit Deutschland auf steuerlichem Gebiet zunehmend konkurrieren statt zusammenzuarbeiten, sich zulasten der deutschen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auswirken, wenn Unternehmen den Verlockungen ausländischer Sirenenklängen nicht widerstehen können oder – aus Aktionärssicht – nicht dürfen. Die Herausforderungen sind also nicht klein. Man darf gespannt sein, mit welchen Ideen der neu gewählte Bundestag und die kommende Bundesregierung diese meistern werden.

36 Vgl. z.B. die im Handelsblatt in seiner Ausgabe v. 2.1.2018 zitierten Aussagen von MdB Lothar Binding, SPD.

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§§ 8c und 8d KStG und die Entscheidung des BVerfG Dr. Norbert Schneider1 Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf I. Einleitung II. Kurze Geschichte der Verlustnutzung III. Überblick § 8c KStG und seine gesetzgeberische Entwicklung IV. Überblick § 8d KStG V. Entscheidung des BVerfG 1. Entscheidung zu Satz 1: tragende Gründe für Verfassungswidrigkeit a) Sachverhalt b) Verfassungsrechtliche Würdigung aa) Vorüberlegungen des FG Hamburg bb) Lösung des BVerfG (1) Leitlinien der Verfassungsrechtsprechung (2) Systementscheidung für das Trennungsprinzip (a) Ungleichbehandlung/Prinzipienabweichung wegen Durchbrechung des Trennungsprinzips (b) Rechtfertigungsebene

(i) Anknüpfen an Missbrauchsbekämpfung (wie § 8 Abs. 4 KStG a.F.) (ii) Wirtschaftliche Identität der Gesellschaft (iii) Unternehmeridentität (iv) Spätere Einführung der Konzern- sowie Stille Reserven-Klausel zur Rechtfertigung nicht ausreichend (v) Zusammenfassung 2. Reformauftrag und Vorgaben der Entscheidung 3. (Noch) Keine Entscheidung für Anteilserwerbe .50 % (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG) VI. Mögliche Reaktionen des Gesetzgebers („Gedankenlabor“) 1. Vorgaben über das Urteil hinaus 2. Einfache „Streich“-Lösungen 3. Lösung über § 8d KStG? a) Minimallösung: Zeitliche Vorverlagerung von § 8d KStG

1 RA/StB Dr. Norbert Schneider ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP im Rheinland Büro und Leiter der Steuerpraxis Deutschland/Österreich. Der Beitrag beruht auf dem gemeinsamen Vortrag mit Dr. Rolf Möhlenbrock (Unterabteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen) beim Fachkongress der Steuerberater am 4. Oktober 2017.

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Schneider, §§ 8c und 8d KStG und die Entscheidung des BVerfG aa) Wesentlicher Inhalt des § 8d KStG (1) Voraussetzungen für das Entstehen eines fortführungsgebundenen Verlustvortrags (2) Behaltensvoraussetzungen nach § 8d Abs. 2 KStG für den fortführungsgebundenen Verlustvortrag bb) Wesentliche Problempunkte in § 8d KStG (1) Verhältnis von § 8c KStG zu § 8d KStG und Antragstellung (2) Stille-Reserven-Verschonung bei Eintritt eines schädlichen Ereignisses (3) Der zentrale Begriff „Geschäftsbetrieb“

(4) Zweckbestimmung und zusätzlicher Geschäftsbetrieb als schädliches Ereignis (5) Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft/Stellung als Organträger als schädliches Ereignis (6) Übertragung von Wirtschaftsgütern als schädliches Ereignis (7) Rechtsfolge erfasst stets den ganzen Verlustvortrag (8) Rechtsfolge: Fallbeil-Methode cc) Fazit b) Maximallösung: weitgehende oder völlige Neugestaltung 4. Ausblick

I. Einleitung Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein steuerlicher Verlustvortrag einer Körperschaft (und ihre damit verbundene Möglichkeit einer intertemporalen Nutzung von erlittenen Verlusten) untergehen kann, beschäftigt die Fachwelt – Gesetzgeber, Finanzverwaltung und Rspr. – als auch die Stpfl. und ihre Berater nun schon seit vielen Jahrzehnten. Verschiedene Versuche der Begrenzung des Fortbestands von Verlustvorträgen wurden im Lauf der Zeit von Finanzverwaltung und Gesetzgeber unternommen, was angesichts der geschätzten Höhe derartiger Verlustvorträge von nominal mehr als 600 Mrd. Euro2 und ihrer vermute-

2 BMF, Datensammlung zur Steuerpolitik, Ausgabe 2016/2017 (abzurufen unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Broschueren_ Bestellservice/2017-03-08-datensammlung-zur-steuerpolitik-2016-2017.pdf?__ blob=publicationFile&v=3) weist (S. 70) per Ende 2012 einen Bestand von körperschaftsteuerlichen Verlustvorträgen von 632,1 Mrd. Euro aus.

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ten (aber z.T. bestrittenen3) erheblichen Bedeutung nicht überrascht.4 Allerdings haben sich sämtliche Versuche nicht als nachhaltig rechtsfest erwiesen. Die Diskussionen darüber sind aktueller als je zuvor. Denn im März 2017 hat das BVerfG festgestellt, dass die aktuelle Regelung des § 8c KStG in einem erheblichen Teil (bzgl. des anteiligen Wegfalls des Verlustvortrags und anderer steuerlicher Vortragspositionen5 nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG6) verfassungswidrig ist und ersatzlos und rückwirkend wegfällt, wenn der Gesetzgeber nicht bis Ende 2018 eine verfassungskonforme Anpassung vornimmt. Im Nachhall dieses „Paukenschlags“7 möchten wir einen Überblick über die aktuelle Lage geben. Dazu erfolgt zunächst ein kurzer Überblick über die zentralen Tatbestände in § 8c und § 8d KStG (III., IV.). Anschließend werden die Entscheidung des BVerfG näher beleuchtet und etwaige Vorgaben für die Reaktion des Gesetzgebers herausgearbeitet (V.). Abschließend wollen wir im „Gedankenlabor“ einen Ausblick versuchen und mögliche Optionen beleuchten, wie das jetzige Verlustnutzungsregime bei den (verfassungsrechtlich notwendigen) Reformen angepasst werden könnte (VI.).

II. Kurze Geschichte der Verlustnutzung Die Entwicklung der Verlustnutzung in Deutschland wird als Paradebeispiel gesehen, wie die steuerliche Sanktionierung eines missbrauchsverdächtigen Einzelfalls – der sog. Mantelkauf, d.h. der Handel mit Anteilen an Kapitalgesellschaften, deren eigentliche operative Tätigkeit

3 S. etwa Röder, FR 2018, 52 (57), wonach das Steueraufkommen schätzungsweise maximal wohl im niedrigen dreistelligen Millionenbereich per annum liegen dürfte. 4 Vgl. Schlenker in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 10d EStG Rz. 6; zur steuerpolitischen Debatte bereits Grotherr, BB 1998, 2337 ff. 5 Nach § 8c KStG fallen neben dem eigentlichen körperschaftsteuerlichen sowie gewerbesteuerlichen Verlustvortrag u.a. auch laufende Verluste, Zinsvortrag, EBITDA-Vortrag, etc. weg. Zur sprachlichen Vereinfachung wird hierin nur vom Wegfall des Verlustvortrags gesprochen. 6 Die entsprechende Regelung fand sich zunächst in § 8c Satz 1 KStG und wurde später – nach den Änderungen durch das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen (MoRaKG) v. 12.8.2008 (BGBl. I 2008, 1672; BStBl. I 2008, 854) mit Wirkung von 19.8.2008 – zum Abs. 1 Satz 1. Zur sprachlichen Vereinfachung wird nur die spätere Norm zitiert. 7 Prinz, DB 2017, Heft 20, M5.

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eingestellt oder nur noch sehr gering vorhanden ist, die aber über Verlustvorträge und damit ein latentes zukünftiges Steuersparpotential verfügen – ausuferte und letztlich in einer deutlich überschießenden Regelung mündete.8 Ausgangspunkt war die Rechtsprechungslinie des RFH in den 1930er Jahren und später des BFH in den 1950ern zum schädlichen „Mantelkauf“, die den Gedanken des wirtschaftlichen Identitätsverlusts als Indikator einer missbräuchlichen Gestaltung bei Kapitalgesellschaften einführte. Diese Rspr. ging davon aus, dass die für den Verlustabzug erforderliche Personenidentität bei Kapitalgesellschaften neben der rechtlichen auch wirtschaftliche Identität voraussetzt; diese fehlte, wenn eine Kapitalgesellschaft ihre bisherigen Vermögenswerte im Wesentlichen verloren hatte und in dieser Lage neue Gesellschafter eintraten, die der Gesellschaft neue Mittel zuführten und sie wirtschaftlich neu belebten. Unter solchen Umständen sei ein der Liquidation und Neugründung vergleichbarer Fall gegeben und könne von zwei Personen gesprochen werden, die nacheinander unter „dem gleichen Rechtsmantel“ tätig würden, in ihrem sachlichen und personalen Substrat jedoch verschieden seien.9 Das zusätzliche Erfordernis wirtschaftlicher Identität verhinderte, dass durch Veräußerung von Geschäftsanteilen einer im Wesentlichen vermögenslosen Kapitalgesellschaft (eines Mantels) – wirtschaftlich betrachtet – Verlustvorträge nach § 10d EStG verkauft werden konnten. Diese primär missbrauchsgetriebene Judikatur hielt bis in die 1980er Jahre an. Sie wurde jedoch 1986 durch den BFH aufgegeben; ein Tatbestandsmerkmal „wirtschaftliche Identität“ könne weder dem Wortlaut noch dem Zweck von § 10d EStG entnommen werden.10 Mit Wirkung ab 1990 schuf der Gesetzgeber eine Regelung im KStG, den § 8 Abs. 4 a.F. Diese griff die ursprüngliche Mantelkauf-Rspr. auf und kodifizierte das Erfordernis einer wirtschaftlichen Identität. Zudem wurde ein Regelbeispiel geregelt; wirtschaftliche Identität lag insbes. dann nicht vor, wenn mindestens 75 % der Anteile einer Kapitalgesellschaft übertra-

8 Seer, DStJG 33 (2010), 1 (5); Ernst, Neuordnung der Verlustnutzung nach Anteilseignerwechsel – Reformbedarf und haushaltspolitische Bedeutung des § 8c KStG, ifst-Schrift Nr. 470, 2011, 25. 9 Z.B. BFH v. 19.12.1973 – I R 137/71, BStBl II 1974, 181 = FR 1974, 146 m.w.N. 10 BFH v. 29.10.1986 – I R 202/82, BStBl II 1987, 308; v. 29.10.1986 – I R 318-319/83, BStBl II 1987, 310; v. 29.10.1986, I R 271/83, BFH/NV 1987, 266.

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gen wurden und die Kapitalgesellschaft ihren Geschäftsbetrieb mit überwiegend neuem Betriebsvermögen wieder aufnahm. 1997 wurde die Regelung verschärft. Fortan reichte die Übertragung von mehr als der Hälfte der Anteile; zudem bedurfte es keiner Wiederaufnahme eines (zuvor im Wesentlichen eingestellten) Geschäftsbetriebs, sondern schlicht dessen Fortführung. Die Norm rief jedoch eine Reihe von Auslegungsschwierigkeiten hervor, u.a. bei konzerninternen Anteilsübertragungen, bei mittelbaren Übertragungen sowie der Frage, wann eine Zuführung überwiegend neuen Betriebsvermögens genau vorliegt und wie sie quantitativ zu bestimmen ist. Nachdem der BFH in mehreren Urteilen gegen die Finanzverwaltung entschieden hatte – u.a. forderte er einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Anteilsübertragung und Betriebsvermögenszuführung, und er hielt mittelbare Anteilsübertragungen für nicht erfasst – wurde die Norm im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 durch den § 8c KStG abgelöst. Dieser knüpfte nicht mehr an Vorgänge auf Gesellschaftsebene an, sondern nur noch an den Anteilseignerwechsel. Dies rief von Anfang an viel Kritik hervor in der Literatur, die nunmehr – jedenfalls in Teilen (für den anteiligen Verlustuntergang, dazu im Detail noch unten) – durch das BVerfG bestätigt wurde. 2016 ergänzte der Gesetzgeber das System des § 8c KStG durch einen neuen § 8d KStG, der unter bestimmten (engen) Voraussetzungen auf Antrag die Rechtsfolge des § 8c KStG modifiziert. Als Folge der Entscheidung des BVerfG muss das Verlustnutzungssystem nunmehr angepasst werden – wie der Gesetzgeber diese Aufgabe lösen will, ist noch offen; dies soll hierin etwas beleuchtet werden.

III. Überblick § 8c KStG und seine gesetzgeberische Entwicklung Die Vorschrift ist in systematischer Hinsicht im Kontext der Einkommensermittlung zu finden und zielt auf die Einschränkung des Handels und der zukünftigen steuerlichen Nutzbarkeit bisher noch nicht genutzter Verluste.11 § 8c Abs. 1 KStG stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der intertemporalen Verlustberücksichtigung nach § 10d EStG dar (Verlustvortrag).12 Seine Rechtsfolge sieht den Untergang des Verlusts vor („sind

11 Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG Rz. 1. 12 Zur Rechtsnatur von § 10d EStG als Durchbrechung des Periodizitätsprinzips Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 10d EStG Rz. 6.

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[…] nicht mehr abziehbar“). Systematisch ist zwischen Satz 1 und Satz 2 zu unterscheiden: In Satz 1 wurde ein anteiliger Verlustuntergang normiert („insoweit“), der tatbestandlich voraussetzt, dass ein Übergang der Körperschaftsbeteiligung von mehr als 25 % und maximal 50 % erfolgt ist. Liegt ein solcher Übertragungsvorgang oder ein „vergleichbarer Sachverhalt“ vor, wird nach der Gesetzessystematik ein „schädlicher Beteiligungserwerb“ legaldefiniert, der bei der Körperschaft den quotalen Verlustuntergang in Höhe des Übertragungsanteils nach sich zieht. Mit dieser Legaldefinition klingt auch schon ein Problem der Vorschrift an: Kann ein Anteilseignerwechsel allein schädlich für den Erhalt des Verlustabzugs sein oder müssten zusätzliche Voraussetzungen erfüllt werden? Satz 2 regelt hingegen den vollständigen Ausschluss der Verlustnutzung beim Überschreiten der 50 %-Schwelle des Beteiligungserwerbs, stellt also einen gegenüber Satz 1 besonderen und unabhängigen Spezialfall dar. § 8c KStG wurde mit dem Unternehmensteuerreformgesetz von 2008 eingeführt und löste die bisherige Regelung des § 8 Abs. 4 KStG a.F. ab, die grundsätzlich13 zum 31.12.2007 auslief. Damit waren die KStpfl. mit der neuen und verschärften Regelung des § 8c KStG konfrontiert. Die Regelung bezweckt im Kern aber immer noch die Bekämpfung des Mantelkaufs, d.h. den Handel mit Verlusten.14 Während der Grundtatbestand des § 8c Abs. 1 Satz 1 und 2 KStG fortan zwar grundsätzlich unverändert blieb, erfuhr die Norm doch eine Reihe von z.T. wesentlichen Änderungen: Bereits relativ kurz nach seiner Einführung wurde § 8c KStG auf Tatbestandsseite abgemildert, indem mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz v. 22.12.200915 mit Wirkung für Beteiligungserwerbe nach dem 31.12.2009 zwei Ausnahmeregelungen aufgenommen wurden. Zum einen wurde eine Konzernklausel eingeführt (§ 8c Abs. 1 Satz 5 KStG), wonach Beteiligungserwerbe bei konzerninternen Übertragungen nicht

13 Für einen gewissen Zeitraum galt die alte Regelung des § 8 Abs. 4 KStG a.F. sogar neben dem neuen § 8c KStG weiter fort, vgl. § 34 Abs. 6 Satz 4 KStG i.d.F. v. 14.8.2007 sowie Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG Rz. 2. 14 BT-Drucks. 16/4841, 34. 15 BGBl. I 2009, 3950; BStBl. I 2010, 2.

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schädlich sind; allerdings ist der normspezifische Konzernbegriff sehr eng definiert und verlangt eine 100 %ige (unmittelbare oder mittelbare) Verbindung des übertragenden und übernehmenden Rechtsträgers. Zudem war der Tatbestand auch an anderen Stellen eng gefasst (z.B. waren Erwerbe, bei denen die Konzernspitze übertragender oder übernehmender Rechtsträger war, nicht erfasst), was z.T. erst durch eine – mehrere Jahre später beschlossene, aber rückwirkend ab Inkrafttreten der Konzernklausel geltende – Gesetzesänderung korrigiert wurde.16 Zudem wurde eine sog. Stille-Reserven-Klausel in § 8c Abs. 1 Satz 6–9 KStG implementiert; nach dieser gehen vereinfacht steuerliche Verluste trotz eines grundsätzlich schädlichen Anteilseignerwechsels nicht unter, soweit die Verlustkapitalgesellschaft im Zeitpunkt dieses Wechsels selbst über Wirtschaftsgüter mit stillen Reserven verfügt, die bei Realisierung der deutschen Steuerpflicht unterliegen. Während die Konzernklausel wiederum nur auf die Gesellschafterebene schaut (gehören die beteiligten Rechtsträger zum gleichen Konzern?), wurde mit der Stille ReservenKlausel erstmals (wieder) ein Merkmal eingeführt, dass auf die Verlustgesellschaft selbst abstellt. Der Gesetzgeber hatte zudem zwei weitere Ausnahmen vorgesehen, die letztlich jedoch (sicher bzw. aller Voraussicht nach) am europäischen Beihilfeverbot scheitern. Seit 2008 war eine Sonderregel vorgesehen für Beteiligungserwerbe durch Wagniskapitalgesellschaften (§ 8c Abs. 2 KStG), die jedoch von der EU-Kommission nicht genehmigt wurde und dann auch nie in Kraft trat. Mit dem Bürgerentlastungsgesetz 200917 wurde zudem eine sog. „Sanierungsklausel“ eingeführt (§ 8c Abs. 1a KStG), die den Verlustabzug in Sanierungskonstellationen erhalten sollte. Auch diese rief beihilferechtliche Bedenken hervor und wurde zunächst mit einer Anwendungssperre belegt.18 Die Europäische Kommission beendete das beihilferechtliche Notifizierungsverfahren mit einer Negativentscheidung. Durch die Regelung würden ausschließlich Krisenunternehmen steuerlich bevorzugt, womit die Vorschrift eine selektive Begünstigung nach Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, die nicht durch die Natur und Syste-

16 Neufassung des § 8c Abs. 1 Satz 5 KStG durch das StÄndG 2015 v. 2.11.2015 (BGBl. I 2015, 1834; BStBl. I 2015, 846); zur rückwirkenden Anwendung vgl. § 34 Abs. 6 Satz 5 KStG. 17 Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung v. 16.7.2009, BGBl. I 2009, 1959. 18 BMF v. 30.4.2010 – IV C 2 - S 2745-a/08/10005 :002 – DOK 2010/0332067, BStBl. I 2010, 488 = FR 2010, 533.

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matik des deutschen Steuerrechts gerechtfertigt ist.19 Das EuG teilte jüngst ebenfalls die Auffassung von der Beihilferechtswidrigkeit.20 Folge dieses Urteils ist die rechtmäßige Rückforderung der steuerlichen Vorteile aus der Verlustnutzung nach Art. 14 der EG-Beihilfeverfahrensverordnung21. Die europäischen Entscheidungen ernteten insbes. Kritik, da sie als Referenzsystem (der Grundlage für die beihilferechtliche Prüfung) davon ausgehen würden, dass Verlustvorträge bei Anteilseignerwechsel grundsätzlich untergehen, mithin alle verlusterhaltenden Regelungen Abweichungen vom Referenzsystem seien, die ggf. einer Rechtfertigung bedürften. In der deutschen Literatur wird dagegen überwiegend vom Grundsatz ausgegangen, dass Körperschaften ihre Verlustvorträge zeitlich unbegrenzt nutzen können (Grundsatz des interperiodischen Verlustausgleichs nach § 10d Abs. 2 EStG), § 8c KStG eine Ausnahme dieses Grundsatzes darstellt und dementsprechend § 8c Abs. 1a KStG nur wiederum eine Rückausnahme.22 In der Sache ist jedoch noch nicht das letzte Wort gesprochen. Die betroffenen Unternehmen haben Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt. Der EuGH wird daher voraussichtlich in 2018 oder 2019 über die Sanierungsklausel entscheiden dürfen.23

IV. Überblick § 8d KStG Ende 2016 veränderte sich das legislative System um § 8c KStG herum erneut. Etwas überraschend hatte die Bundesregierung einen Entwurf eines neuen § 8d KStG vorgelegt,24 der sogleich Gegenstand ausführlicher Erörterungen in der Fachwelt wurde,25 aber innerhalb kurzer Zeit mit einigen wenigen Änderungen noch vor dem Jahresende verabschiedet wurde und ab da mit Rückwirkung zum 1.1.2016 gilt.26 19 Beschl. 2011/527/EU der EU-Kommission v. 26.1.2011 – C 7/10, ABl. EU 2011 Nr. L 235, 26. 20 EuG v. 4.2.2016 – T-620/11, DStR 2016, 390. 21 S. jetzt Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates v. 13.7.2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU Nr. L 248, 9. 22 So Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG Rz. 8 m.w.N. zur Kritik an dieser Entscheidung. 23 Das EuGH-Verfahren ist unter den Az. C-209/16 P und C-203/16 P verfolgbar. 24 Vgl. BT-Drucks. 18/9986. 25 Vgl. nur Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 ff.; Korn, SteuK 2016, 399 ff. 26 Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften, BGBl. I 2016, 2998.

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§ 8d KStG baut konzeptionell auf § 8c KStG auf und soll dessen Anwendungsfolgen entschärfen. Damit wird laut Gesetzesbegründung ein privilegierender Zweck verfolgt, nämlich steuerliche Hemmnisse für Unternehmensfinanzierungen bei Neueintritt bzw. bei dem Wechsel von Anteilseignern zu beseitigen.27 Im Fokus der Begünstigung sollen Unternehmen in Krisensituationen und junge Wachstumsunternehmen (Startups) stehen.28 Technisch wird dieser Zweck dadurch umgesetzt, dass § 8d KStG – soweit seine Voraussetzungen vorliegen – im Fall eines eigentlichen schädlichen Beteiligungserwerbs i.S.d. § 8c KStG auf Antrag die Rechtsfolge des § 8c KStG (unmittelbarer Verlustuntergang) ausschließt; stattdessen werden diese zu einer neuen Art von Verlustvortrag, dem sog. „fortführungsgebundenen Verlustvortrag“, der in der Folgezeit vorrangig genutzt werden kann. Grundidee des § 8d KStG ist, dass die von § 8c KStG betroffenen steuerlichen Verluste dann erhalten bleiben sollen, wenn die Verlustgesellschaft ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten hat, und zwar sowohl in einer bestimmten Zeitspanne vor dem eigentlich schädlichen § 8c KStG-Ereignis (grundsätzlich in den drei vorherigen Veranlagungszeiträumen) als auch danach bis zum Verbrauch des fortführungsgebundenen Verlustvortrags. Dabei sind die zu erfüllenden Voraussetzungen – die anders als § 8c KStG grundsätzlich alle an Vorgänge oder Umstände auf Ebene der Verlustgesellschaft abstellen – sehr vielfältig und z.T. sehr streng. Da auch möglicherweise sogar eine Verschlechterung gegenüber dem § 8c-KStG Regime eintreten kann,29 müssen Unternehmen und ihre Berater genau prüfen, ob eine Antragstellung nach § 8d KStG steuerlich sinnvoll ist oder jedenfalls die ausreichend sichere Erwartung dafür besteht. Anwendungsbereich und Problemfelder des § 8d KStG werden unter V.3. genauer untersucht.

27 Ferdinand, BB 2017, 87 (88); Brandis in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8d KStG Rz. 22. 28 Vgl. BT-Drucks. 18/10495, 11; 18/9986, 1 und 9; Brandis in Blümich, EStG/ KStG/GewStG, § 8d KStG Rz. 22. 29 Vgl. dazu unten unter VI.3.a bb (1).

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V. Entscheidung des BVerfG 1. Entscheidung zu Satz 1: tragende Gründe für Verfassungswidrigkeit Gegenstand des Verfahrens30 beim BVerfG war die Vereinbarkeit von § 8c Satz 1 KStG31 bzw. der novellierten Fassung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG32 mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. a) Sachverhalt Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war eine 2006 gegründete Kapitalgesellschaft. Sie veranstaltete Pauschalreisen und hatte in den VZ 2006 und 2007 sechsstellige Anfangsverluste erlitten durch die Akquise bereits geplanter Reisen mit dem Zweck des Vertriebs über einen Kooperationspartner. Nachdem dieser das Kooperationsverhältnis noch in 2007 aufkündigte, kaufte die Gesellschaft keine neuen Reisen mehr an, sondern setzte die vorher akquirierten mit Gewinn ab. Bereits Anfang 2008 hatte einer der beiden Gesellschafter seinen Geschäftsanteil i.H.v. 48 % an einen Dritten übertragen. Ende 2008 beschlossen die Gesellschafter die Liquidation des Unternehmens, da sie keinen neuen Geschäftspartner gefunden hat. In der Totalperiode ihrer Tätigkeit zwischen 2006 und 2008 hatte sie insgesamt einen Gesamtverlust von nur 588,24 Euro erlitten. Das FA kürzte bei der Veranlagung der Körperschaftsteuer für 2008 unter Anwendung des seinerzeitigen § 8c Satz 1 KStG die bis Ende 2007 aufgelaufenen Verluste um den prozentual auf den veräußernden Gesellschafter entfallenden Anteil (d.h. 48 %). Die Gewerbesteuer wurde parallel unter Anwendung von § 10a Satz 8 GewStG a.F.33 gekürzt.

30 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577, Rz. 30 ff. 31 I.d.F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 32 I.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen v. 12.8.2008, BGBl. I 2008, 1672, und den nachfolgenden Fassungen bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 2998. 33 Verweis damalig in Satz 8, nun in Satz 10. Geändert durch Gesetz v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912.

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b) Verfassungsrechtliche Würdigung aa) Vorüberlegungen des FG Hamburg Die gesetzliche Vorgabe des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (im Folgenden wird nur noch die jüngere Fassung des Gesetzes genannt) ist vor dem Hintergrund der Rechtsentwicklung zu § 8 Abs. 4 a.F. KStG eindeutig formuliert, denn einzige Voraussetzung ist der mittelbare oder unmittelbare Erwerb einer Beteiligung .25 % an der Körperschaft innerhalb des fünfjährigen Zeitfensters. Das FG Hamburg hatte im Rahmen der Begründung der Normenkontrollvorlage eine teleologische Reduktion bzw. verfassungskonforme Auslegung der Norm insofern in Erwägung gezogen, als es den Anwendungsbereich des „schädlichen Beteiligungserwerbs“ auf rein missbräuchliche Gestaltungen einzuschränken versuchte. Dafür sah es im Ergebnis aber keinen Auslegungsspielraum, ohne den Wortsinn der Norm zu überschreiten und den erkennbaren Gesetzgeberwillen zu brechen.34 Der Ausgang des Klageverfahrens vor dem FG Hamburg hing daher entscheidend von der Verfassungskonformität der Regelung selbst ab, die der vorlegende Senat mit ausführlicher Begründung bezweifelte. bb) Lösung des BVerfG (1) Leitlinien der Verfassungsrechtsprechung Das BVerfG erläuterte zu Beginn seiner Entscheidung die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Prüfung von Steuergesetzen. Da sie von elementarer Bedeutung sind, insbes. auch für Reformüberlegungen, werden sie hier kurz wiedergegeben. Personell gilt der Grundrechtsschutz zweifellos auch für inländische Kapitalgesellschaften (wie hier die körperschaftsteuerpflichtige GmbH), soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG).35 Dreh- und Angelpunkt für die verfassungsrechtlichen Kontrollüberlegungen ist der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), der dem Gesetzgeber gebietet, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich und wesentliche ungleiche entsprechend ungleich zu behandeln.36 Die Kontrolldichte reicht dabei von der bloßen Kontrolle der Willkürlichkeit einer gesetz34 FG Hamburg v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 (1462). 35 Statt vieler Remmert in Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3 Rz. 37 ff. 36 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (180); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08, BVerfGE 122, 210 (230); v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerf-

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geberischen Entscheidung bis hin zur strengen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme.37 Aus der Brille des Steuerrechts als besonderem Eingriffsrecht entfaltet Art. 3 GG seinen steuerspezifischen Gehalt im Gebot der gleichmäßigen Besteuerung als Maxime gerechter Besteuerung.38 Um dieses Ideal wirksam zu verfolgen, orientiert sich das Steuersystem am Prinzip der Besteuerung nach der individuellen, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und dem Gebot der Folgerichtigkeit.39 Nach diesem Prinzip müssen Stpfl. gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden (horizontale Steuergerechtigkeit), während Stpfl. ungleicher Leistungsfähigkeit eine absolut unterschiedliche Steuerlast zu tragen haben (vertikale Steuergerechtigkeit).40 Zur Ermittlung der Leistungsfähigkeit wird das objektive Nettoprinzip herangezogen, wie es in § 2 Abs. 2 EStG grundsätzlich zum Ausdruck kommt.41 Als Subprinzip des Leistungsfähigkeitsgrundsatzes fordert es grundsätzlich einen Abzug der erwerbsveranlassten Aufwendungen.42 Offen blieb (und konnte wohl auch bleiben) weiterhin die Frage nach der verfassungsrechtlichen Fundierung des objektiven Nettoprinzips,43 denn das BVerfG hat bereits seit längerem mit dem Folgerichtigkeitsgebot als zweiter Ausprägung des Grundsatzes gleichmäßiger Verteilung der Steuerlast nach der individuellen Leistungsfähigkeit einen Kontrollmaßstab gefunden.44 Mit dem Gebot der Folgerichtigkeit wird das Nettoprinzip justiziabel. Wendet man dies auf den vorliegenden Sachverhalt an, ist streitentscheidend, ob der Gesetzgeber bei der Orientierung an den hergebrachten steuerrechtsprägenden Prin-

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GE 126, 268 (277); v. 7.5.2013 – 2 BvR 909, 1981/06, 288/07, BVerfGE 133, 377 (407 Rz. 73). Vgl. BVerfG v. 20.4.2004 – 1 BvR 1748/99, 905/00, BVerfGE 110, 274 (291); v. 11.1.2005 – 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164 (174); v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (180). BVerfG v. 17.1.1957 – 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55 (70 f.). Ratschow in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 2 EStG Rz. 11 f.; Hey in Tipke/ Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 116 ff. und 121 ff. Statt vieler BVerfG v. 29.5.1990 – 1 BvL 20, 26, 184 und 4/86, BVerfGE 82, 60 (89); v. 10.11.1998 – 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246 (260); v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 (46 f.). Schneider, Beihefter zu DStR 2009 Heft 34, 87 (88 m.w.N.); BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, FR 2009, 74 Rz. 63. Englisch, Beihefter zu DStR Heft 34, 2009, 92 ff. Schneider, Beihefter zu DStR Heft 34, 2009, 87 ff. m.w.N. Instruktiv zum Folgerichtigkeitsgebot der Besprechungsaufsatz von Hey, DStR 2009, 2561 ff.

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zipien einen systemkohärenten Ansatz gewählt hat oder sich seine Typisierungen, Generalisierungen und Pauschalisierungen derart stark von der Belastungsentscheidung entfernen, dass das Gesetz widersprüchlich wird. Die Prüfung des Folgerichtigkeitsgrundsatzes wird entsprechend dem Gleichheitssatz mehrstufig geprüft. Hat man die Vergleichsgruppen herausgebildet (1. Schritt) und eine Ungleichbehandlung und die darin liegende Systemabweichung festgestellt (2. Schritt), muss auf der Rechtfertigungsebene nach einem hinreichend sachlichen Grund gesucht werden (3. Schritt). Schritt 3 eröffnet damit die Möglichkeit zur Systemdurchbrechung, aber eben nicht zur Systemverletzung. Ausnahmen bzw. Abweichungen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung sind aufgrund des großen gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums nicht von vornherein ausgeschlossen, sie bedürfen aber stets eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grunds im Einzelfall.45 Als solche Rechtfertigungsgründe kommen nach der st. Rspr. des BVerfG neben außerfiskalischen Förderungsund Lenkungszwecken auch Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse46 sowie die Bekämpfung missbräuchlicher Gestaltungen in Betracht.47 Verwendet der Gesetzgeber Typisierungen und Generalisierungen, verstößt er nicht schon allein dadurch bzw. die dadurch auftretenden Härten und Ungenauigkeiten in der rechtlichen Erfassung des Einzelfalls gegen das Gebot der Folgerichtigkeit; vielmehr typisiert jede abstrakt-generelle Regelung und damit jedes Gesetz.48 Die so abgesteckten verfassungsrechtlichen Maßstäbe hat das BVerfG zur Lösung des vorliegenden Falls herangezogen. (2) Systementscheidung für das Trennungsprinzip Grundlegender Ausgangspunkt für die weitere Prüfung ist die gesetzgeberische Festlegung auf das Trennungsprinzip: Die Kapitalgesellschaft ist selbst Stpfl., deren Leistungsfähigkeit nach ihrem Einkommen gem. §§ 7 ff. KStG bestimmt wird.49 Das Trennungsprinzip ist Teil der grundlegenden steuerlichen Belastungsentscheidung. Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 124 ff. und 128 ff. m.w.N. BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, FR 2010, 804 (805). BVerfG v. 22.7.1970 – 1 BvR 285/66, BStBl. II 1970, 652 (656). Vgl. dazu ausführlich FG Hamburg v. 4.4.2011 – 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 (1463). 49 BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224 (248). 45 46 47 48

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Insofern unterscheidet sich die steuerliche Behandlung der Körperschaften von der der Personengesellschaften, die (bzw. ihre Gesellschafter) ihrerseits transparent – d.h. insbes. auch unter Berücksichtigung von Umständen auf Gesellschafterebene – besteuert werden. Diese Differenzierung stellt eine Ungleichbehandlung dar, die rechtfertigungsbedürftig ist. Den hinreichend sachlichen Grund dafür liefert nach Ansicht des BVerfG die zivilrechtliche Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern.50 Die rechtliche Verselbständigung der juristischen Person (bei GmbHs gem. § 13 Abs. 1, 2 GmbHG) hat eine Trennung zwischen der Kapitalgesellschaft als Rechtssubjekt und ihren Gesellschaftern zur Folge (sog. Trennungsprinzip).51 § 1 KStG knüpft an diese zivilrechtliche Betrachtung, d.h. insbes. die Vermögenssphärentrennung, steuerlich an. Folglich stellt sich die Unterscheidung zwischen Trennungs- und Transparenzprinzip als sachlich gerechtfertigte Systementscheidung dar. (a) Ungleichbehandlung/Prinzipienabweichung wegen Durchbrechung des Trennungsprinzips Sodann prüft das BVerfG die streitgegenständliche Norm des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG insofern, ob in ihr eine Abweichung von der dargelegten Leitentscheidung für das Trennungsprinzip zu sehen ist. Dies ist ersichtlich der Fall: Bei solchen Körperschaften, bei denen der Tatbestand des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG verwirklicht wurde (mittelbarer oder unmittelbarer Anteilserwerb .25 %), wird der Verlustabzug aufgrund des Anteilseignerwechsels anteilig versagt, während diejenigen, bei denen kein § 8c KStG vorliegt, den Verlustabzug ungekürzt weiter nutzen können. In dieser Ungleichbehandlung liegt die Abweichung von der steuerlichen Belastungsentscheidung, denn das Prinzip der isolierten Betrachtung der Körperschaft (Trennungsprinzip) wird hier zumindest partiell durchbrochen. (b) Rechtfertigungsebene Entscheidend ist die Prüfung, ob diese Ungleichbehandlung – bzw. die dem Gebot der Folgerichtigkeit zuwiderlaufende Prinzipienabweichung – verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Wie bereits erwähnt, reicht die Kontrolldichte von der bloßen Kontrolle der Willkürlichkeit 50 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 112 f. 51 Merkt in MünchKomm. GmbHG2, § 13 Rz. 332.

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einer gesetzgeberischen Entscheidung bis hin zur strengen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme.52 Welcher Maßstab hier anzuwenden ist, musste das BVerfG nicht klären; denn nachdem es alle aus seiner Sicht denkbaren Rechtfertigungsgründe geprüft hat, kommt es zum Ergebnis, dass kein sachlicher Grund für die Abweichung vom Transparenzprinzip zu erkennen ist; damit scheitert die Norm bereits an der Minimalhürde des Willkürverbots! Im Einzelnen: (i) Anknüpfen an Missbrauchsbekämpfung (wie § 8 Abs. 4 KStG a.F.) Das BVerfG erinnert zunächst an die Entstehung des § 8c KStG, der vom Gesetzgeber als Ersatz für den § 8 Abs. 4 KStG a.F. konzipiert war. Die Mantelkaufregelung des § 8 Abs. 4 KStG a.F. sollte den missbräuchlichen Gestaltungsmöglichkeiten entgegenwirken, die durch die Weiternutzung von Verlustvorträgen nach § 10d EStG bei Kapitalgesellschaften, die über keine relevante wirtschaftliche (im Betriebsvermögen bemessene) Substanz mehr verfügten (d.h. einen bloßen „Mantel“ darstellten) und dann nach einem mehrheitlichen Anteilseignerwechsel neu kapitalisiert wurden. Die Norm erwies sich (angeblich) aber als praktisch schwierig handhabbar und mit zu vielen Rechtsunsicherheiten bei der Auslegung der Tatbestandsmerkmale behaftet. Insofern sollte der neue § 8c KStG als einfachere und zielgenauere Verlustabzugsbeschränkung dienen.53 Damit diente § 8c KStG – zumindest auch (weiterhin, wie § 8 Abs. 4 KStG a.F.) – der Vermeidung von steuerlichem Gestaltungsmissbrauch, insbes. dem „Handel“ mit vortragsfähigen Verlusten. Dieses Ziel ist durchaus ein legitimer Zweck, der nach Ansicht des BVerfG Ungleichbehandlungen rechtfertigen kann. Allerdings sind die Grenzen gesetzlicher Typisierung durch die Anknüpfung an den bloßen Anteilseignerwechsel von mindestens 25 % überschritten. Eine gesetzliche Typisierung darf – das ist nicht neu – keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren.54 Im Hinblick auf die Verhinderung des Missbrauchs fehlt § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG nach Ansicht des BVerfG eindeutig die Orientierung an einem typischen Fall, denn die durch die Vorschrift zu sanktionierende Missbräuchlichkeit des „Mantel-

52 Vgl. Nachweise in Fn. 37. 53 BT-Drucks. 16/4841, 74. 54 BVerfG v. 21.6.2006 – 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164 (182 f.); v. 9.12.2008 – 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08, BVerfG 122, 210 (232 f.); v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 (279).

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kaufs“ liegt nicht allein in der bloßen Übertragung von Gesellschaftsanteilen, sondern setzt zugleich voraus, dass die Gesellschaft mangels Geschäftsbetriebs und nennenswerten Betriebsvermögens nur noch als leerer Mantel erscheint und damit nur noch ein Vehikel zur Erlangung der Steuerersparnis aufgrund miterworbener Verlustvorträge ist.55 Diese abstrakte Missbrauchsgefahr hat der Gesetzgeber bei § 8c KStG aber nicht zutreffend erfasst, sondern mit der bloßen Anknüpfung an den Anteilserwerb eine vom typischen Missbrauchsfall losgelöste Regelung geschaffen.56 (ii) Wirtschaftliche Identität der Gesellschaft Die ausführlichste Prüfung eines möglichen Rechtsfertigungsaspekts betraf die Frage, ob § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG in zulässiger Weise einen Fall des Wechsels der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft abbildet. Dabei geht das BVerfG davon aus, dass der Norm die gesetzgeberische Grundannahme innewohnt, wonach durch den Anteilseignerwechsel auch eine Veränderung der wirtschaftlichen Identität der Kapitalgesellschaft erfolgt. Des Weiteren stellt das Gericht den steuerlichen Grundsatz beim Verlustabzug klar, dass das verlustnutzende Steuersubjekt mit dem den Verlust erleidenden Steuersubjekt identisch sein muss. Dabei sei dem Grunde nach nicht allein auf die zivilrechtlichen Gegebenheiten abzustellen, sondern eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzulegen.57 Letztlich ergibt sich daraus aber wieder kein tauglicher Rechtfertigungsgrund für § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG. Dabei legt das BVerfG zunächst dar, dass der Begriff der „wirtschaftlichen Identität“ zwar (so bereits der BFH) als „schwierig und zweifelhaft“ eingestuft werden müsse.58 Aber sowohl die frühere Rspr. bis 1986 als auch § 8 Abs. 4 KStG a.F. stellten dabei nie allein nur auf einen bestimmten

55 Nach BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 127 wurde diese Auffassung von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG hauptsächlich der Orientierung am atypischen Fall vorher in der Literatur geteilt: Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG Rz. 5; Drüen, StuW 2008, 3 (13); Drüen, Ubg. 2009, 23 (28); Ernst, ifst-Schrift Nr. 470, 2001, 63; Hey, BB 2007, 1303 (1306 f.); Hey, StuW 2008, 167 (171); Thiel, FS Schaumburg, 515 (536 f.); Wiese, DStR 2007, 741 (744). 56 Schmehl, FS Bryde, 457 (461); Lang, GmbHR 2012, 57 (60). 57 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 130 f. 58 BFH v. 8.1.1958 – I 131/57 U, BStBl. III 1958, 97 (99).

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Anteilseignerwechsel ab, sondern berücksichtigten zudem, ob sich (hier vereinfacht dargestellt) auf Gesellschaftsebene wesentliche Veränderungen von Unternehmensgegenstand und/oder Betriebsvermögen ergaben. Auch im internationalen Vergleich stelle die Mehrheit der Rechtsordnungen (auch) auf eine Veränderung des sachlichen Geschäftssubstrats ab.59 Mit § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG hat der Gesetzgeber dagegen nur an den Anteilseignerwechsel (bzw. qualifizierten Erwerb) angeknüpft und dabei seine Typisierungsbefugnis letztlich überschritten. Die Koppelung des Verlustabzugs an einen Erwerb von .25 % ist dabei insbes. auch nicht dadurch rechtfertigungsfähig, dass mit einem solchen Erwerb typischerweise ein aktives Eingreifen in die Kapitalgesellschaft einhergeht. Zum einen reicht dafür die erworbene Beteiligung i.d.R. nicht aus – denn eine Beteiligung von 25 % bis zu 50 % verschafft gesellschaftsrechtlich lediglich eine Sperrminorität für bestimmte wesentliche Entscheidungen, aber keine aktive Bestimmungsmacht.60 Nur eine Mehrheitsbeteiligung kann dem Anteilserwerber die Möglichkeit verschaffen, auf die Kapitalgesellschaft unmittelbar maßgebend Einfluss zu nehmen und dadurch die Verluste durch entsprechende unternehmerische Entscheidungen zu eigenen Zwecken zu nutzen.61 Zudem reicht nach Ansicht des BVerfG die bloße potentielle Beeinflussung der unternehmerischen Entscheidungen der Gesellschaft nicht aus; ob die Gesellschaft durch die Beteiligung wirtschaftlich als „eine andere“ erscheint, zeigt sich erst mit der konkreten Ausübung der mit dem Stimmrechtsanteil verbundenen Rechte, nicht schon mit dem bloßen Erwerb.62 Daher kann auch nicht die unwiderlegliche Vermutung aufgestellt werden, dass bereits durch den Erwerb der Anteile/Stimmrechte etc. und die damit verbundene Möglichkeit der Einflussnahme auch tatsächlich ein entsprechender Einfluss ausgeübt wird und sich folglich eine Änderung der wirtschaftlichen Identität ergeben kann. Die bloße Möglichkeit der Rechtsausübung reicht – jedenfalls ohne weiteres Anknüpfen an das Sachsubstrat der Gesellschaft – nicht aus, um einen realitätsgerechten Fall der Änderung der wirtschaftlichen Identität abzubilden.

59 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 135 f. 60 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 138 m.w.N. 61 Vgl. Schwedhelm, GmbHR 2008, 404 (406). 62 Vgl. Thiel, FS Schaumburg, 515 (521).

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(iii) Unternehmeridentität Auch der Gedanke der Unternehmeridentität überzeugt in diesem Kontext nicht. Zwar ist die Kapitalgesellschaft nicht nur eigenes Rechtssubjekt, sondern dient den Erwerbszwecken ihrer Gesellschafter. Jedoch knüpft die Körperschaftsteuer bisher eben konzeptionell an das Einkommen der Körperschaft selbst an (Trennungsprinzip, s.o.). § 8c Abs. 1 EStG stellt für einen reinen Einzelaspekt auf die Gesellschafterebene ab. Zwar mag es zulässig sein, dass der Gesellschafter sich für die Besteuerung der Körperschaften vom Trennungsprinzip abwendet, jedoch ist es inkonsequent, dies nur für einen isolierten Aspekt zu unternehmen; weder vom Ziel noch seiner Wirkung bezweckt § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG eine Hinwendung zum Transparenzprinzip. Systemwidrig wird die Besteuerung von Kapitalgesellschaften dem für die Personengesellschaften vorgesehenen Transparenzprinzip angenähert, geht aber z.T. sogar darüber hinaus (da nicht nur der veräußernde Anteilseigner betroffen ist, sondern durch die Kürzung der steuerlichen Verluste der Gesellschaft auch die übrigen, verbleibenden Gesellschafter). Insgesamt reicht auch dies dem BVerfG nicht für eine Rechtfertigung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG aus. (iv) Spätere Einführung der Konzern- sowie Stille Reserven-Klausel zur Rechtfertigung nicht ausreichend Obwohl der zur Entscheidung stehende Fall nur das Jahr 2008 betraf, hat das BVerfG seinen Ausspruch (dazu unten 2.) auf die Jahre bis 2015 ausgedehnt. Dies war nur deshalb überhaupt möglich, weil es en passant die in 2009 eingeführten Regelungen der Konzernklausel und auch der Stille Reserven-Klausel für nicht ausreichend erachtete, eine zielgenaue, den typischen Missbrauchsfall realitätsgerecht erfassende Missbrauchsverhinderungsnorm zu schaffen. Denn es gäbe nach wie vor Konstellationen, bei denen es für einen Anteilseignerwechsel vielfältige Gründe gebe, die nicht als missbräuchlicher Verlusthandel qualifiziert werden könnten.63 Auch wenn manche in der Literatur der Meinung sind, dass die Einführung der Stille Reserven-Klausel – die den Untergang von Verlusten von Umständen auf Gesellschaftsebene abhängig macht – eine verfassungsrechtlich andere Bewertung herbeiführen könnte,64 war die-

63 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 157 f. 64 Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 8c KStG Rz. 11f; Suchanek in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8c KStG Rz. 6.

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se Argumentation des BVerfG nicht überraschend; denn das Gericht konnte sich dabei auch auf entsprechende Äußerungen in den Gesetzesmaterialien zur späteren Einführung des § 8d KStG stützen.65 Eine Entscheidung über das Jahr 2015 hinaus wollte das BVerfG aber nicht treffen. Ob durch die neue Norm des § 8d KStG der Anwendungsbereich von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG derart reduziert worden sei, dass Letzterer nunmehr den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG genüge, bedürfe gesonderter Betrachtung, weil damit für den Verlustabzug (bzw. -untergang) nicht mehr ausschließlich auf einen Anteilseignerwechsel abgestellt werde, sondern auf den (in § 8d KStG allerdings sehr eng definierten) Geschäftsbetrieb der Gesellschaft. § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG sei deshalb „nicht mehr ohne Weiteres aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar wie vor dem Inkrafttreten von § 8d KStG“. Was genau das für § 8c KStG bedeutet, reizt zu allen möglichen Deutungen,66 bleibt u.E. aber letztlich offen. (v) Zusammenfassung Übrige Gründe zur Rechtfertigung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG hat das BVerfG ebenfalls nicht erkennen können. Dass rein fiskalische Zwecke nicht ausreichen,67 ist nicht neu und überrascht daher nicht. Die bloße Monetarisierung von Verlustvorträgen der Gesellschaft bei Verkauf eines Gesellschaftsanteils ist aus Sicht des BVerfG jedenfalls auch nicht bedenklich, solange dies nicht konkret in einem missbräuchlichen Zusammenhang erfolgt.68 Nach alledem werden Kapitalgesellschaften aufgrund eines vom Gesetz unterstellten „schädlichen Beteiligungserwerbs“ ohne Möglichkeit des Gegenbeweises durch den Stpfl. ohne sachlich hinreichenden Grund ungleich behandelt. In der dem Gesetz zu entnehmenden quasi-transparenten Betrachtung – nämlich dem Verlustuntergang der Gesellschaft allein aufgrund des Anteilswechsels bei den Gesellschaftern – liegt eine Abweichung vom Trennungsprinzip, die den gesetzgeberischen Typisierungsspielraum aber nicht wahrt, sondern ihn überschreitet. § 8c Abs. 1 Satz 1 65 BT-Drucks. 18/9986, 12. 66 Vgl. etwa Dorenkamp, FR 2018, 83 (85 f.); Prinz, FR 2018, 76 (77 f.); Röder, FR 2018, 52 (53 ff.). 67 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 104, 121, 150. 68 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 149.

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KStG ist nach dem BVerfG mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG daher unvereinbar und folglich verfassungswidrig. Über die Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG und den verfassungsrechtlichen, im Rechtsstaatsprinzip zu verortenden Grundsätzen des Vertrauensschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG wurde nicht entschieden.

2. Reformauftrag und Vorgaben der Entscheidung Das BVerfG hat § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (bis 2015 einschließlich) nicht unmittelbar für nichtig erklärt, obschon dies nach § 78 BVerfGG der übliche Ausspruch bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm ist. Richterrechtlich hat das BVerfG für diese Fälle die Ausspruchform der Unvereinbarkeitserklärung entwickelt, um der legislativen Einschätzungsprärogative (bei Vorhandensein mehrerer Optionen zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes) stärker Rechnung tragen zu können.69 Daraus folgt, dass § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG nicht ipso iure und ex tunc nichtig ist, sondern der Gesetzgeber eine verfassungskonforme Rechtslage herbeiführen muss. Im vorliegenden Streitfall stehen dem Gesetzgeber mehrere Varianten der Reform offen, z.B. diverse Möglichkeiten, den Verlustuntergang an eine Kombination von personellem und sachlichem Substrat der Körperschaft zu knüpfen.70 Dabei hat das BVerfG den Gesetzgeber verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum 1.1.2008, d.h. zum Zeitpunkt der Einführung von § 8c Satz 1 KStG zu beseitigen; erfolgt dies nicht, tritt am 1.1.2019 im Umfang der festgestellten Unvereinbarkeit rückwirkend auf den Zeitpunkt seines Inkrafttretens die Nichtigkeit von § 8c Satz 1 KStG ein.71

3. (Noch) Keine Entscheidung für Anteilserwerbe .50 % (§ 8c Abs. 1 Satz 2 KStG) Nicht von der konkreten Normenkontrolle umfasst war die Frage, ob der von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG angeordnete vollständige Abzugsausschluss für Verluste bei einem Anteilsübergang von mehr als 50 % ver69 Hömig in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 95 Rz. 43. 70 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 153. 71 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 162.

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fassungskonform ist. Das BVerfG hat sich in seiner Entscheidung dazu auch nicht spezifisch geäußert. Aufgeschoben, ist aber nicht aufgehoben! Bereits bisher waren Fälle zu Satz 2 beim BFH anhängig und bis zur Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss zu § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ausgesetzt.72 Beide Konstellationen (der anteilige Verlustuntergang und der vollständige Ausschluss der Verlustnutzung) sind gesetzessystematisch engstens verwandt – hier wie da ist der Verlustuntergang nur vom Anteilserwerb durch einen Erwerber abhängig, lediglich die Quote des Erwerbs unterscheidet auf der Tatbestandsseite und führt auf der Rechtsfolgenseite zu einem nur quotalen Untergang in Fällen des Satzes 1 gegenüber dem vollständigen Untergang bei Fällen des Satzes 2 (wobei dabei kein Unterschied mehr erfolgt nach der konkreten Höhe des Erwerbs .50 % – die Verluste gehen immer komplett unter, unabhängig davon, ob z.B. 50,1 % oder 100 % erworben wurden). Diese enge Verwandtschaft führte dazu, dass der BFH die Entscheidung über den Ausschluss nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG von der Entscheidung des BVerfG zumindest zum Teil abhängig machen wollte.73 Nunmehr ist aber schnell neue Dynamik in diese Frage gekommen. Denn Ende August 2017 hat der Zweite Senat des FG Hamburg (der auch bereits die Vorlage zu Satz 1 gemacht hatte) ein weiteres konkretes Normenkontrollverfahren hinsichtlich § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG angestrengt.74 Dabei stützt sich das FG im Wesentlichen auf die Entscheidung des BVerfG zu Satz 1 und sieht für Fälle des Erwerbs .50 % keine verfassungsrechtlich relevanten Unterschiede. Dabei weist es insbes. dem Umstand keine Bedeutung zu, dass der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung dem Erwerber zwar rechtlich die Möglichkeit biete,75 unmittelbar Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen zu können um ggf. die Verluste durch entsprechende unternehmerische Entscheidungen zu eigenen Zwecken zu nutzen; allein durch die Möglichkeit einer Einwirkung auf die unter72 Siehe BFH v. 28.10.2011 – I R 31/11, BFH/NV 2012, 605. Dieses Verfahren wird im Anschluss an FG Leipzig v. 16.3.2011 – 2 K 1869/10, EFG 2011, 1457 ff. geführt. 73 BFH v. 28.10.2011 – I R 31/11, BFH/NV 2012, 605. 74 FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, FR 2017, 1134 ff. 75 Dass allerdings auch nur, wenn die Mehrheit der Stimmrechte erworben wurde und nicht nur des Kapitals; vgl. zu dieser Beschränkung das FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, FR 2017, 1134 Rz. 93; ebenso Kessler/Egelhof/ Probst, DStR 2017, 1289 (1296).

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nehmerischen Entscheidungen werde die Verlustgesellschaft aber nicht zu einer „anderen“, vielmehr könne dies erst anhand von Maßnahmen beurteilt werden, die die Gesellschafter auch tatsächlich träfen. Eine unwiderlegbare Vermutung, dass bereits die Möglichkeit der Einflussnahme des Anteilserwerbers für die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft maßgeblich sein soll, trage beim Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung ebenso wenig wie bei einer Minderheitsbeteiligung; denn die Motivlage für den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung könne vielgestaltig sein.76 Das BVerfG wird daher auch über die Verfassungsvereinbarkeit von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG entscheiden. Wie lange das dauern wird, ist nicht absehbar. Wünschenswert wäre, wenn eine Entscheidung erfolgte, bevor der Gesetzgeber bis Ende 2018 seinen „Heilungsversuch“ zu (mindestens) § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG beenden muss. Dies dürfte aber eher nicht wahrscheinlich sein. Zu hoffen bleibt für die Praxis, dass der Gesetzgeber gleichwohl den Satz 2 in seine voraussichtlichen Anpassungsüberlegungen einbezieht.

VI. Mögliche Reaktionen des Gesetzgebers („Gedankenlabor“) Im Folgenden wird darauf eingegangen, welche möglichen Optionen bei der Reform des Verlustnutzungsregimes in Betracht kommen. Zunächst wird kurz dargelegt, welche weiteren rechtlichen Rahmenbedingungen inner- und außerhalb des Verfassungsrechts der Gesetzgeber bei seiner Reform beachten muss bzw. sollte. Sodann werden verschiedene Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers aufgezeigt und dabei auch die Problemfelder des § 8d KStG sowie der dortige Reformbedarf beleuchtet.

1. Vorgaben über das Urteil hinaus „Das Nettoprinzip gehört zu den identitätskonstituierenden Merkmalen der Einkommensteuer. Als solches steht es nicht zur Disposition des Gesetzgebers.“77

Mit dem objektiven Nettoprinzip als Ausfluss einer Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit ist eine Fundamentalentscheidung 76 FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, FR 2017, 1134 Rz. 94 m.w.N. zur entsprechenden ganz h.M. in der Literatur. Verwaltungsvertreter meinen dagegen z.T., dass die durch den Mehrheitsbesitz vermittelte Möglichkeit des Einwirkens eine verfassungsrechtliche Differenzierung nach Ansicht des BVerfG ggf. ermöglichen könne, vgl. z.B. Hörhammer, FR 2018, 49 (52). 77 DJT, Beschlüsse 57. DJT, Teil N, N 197 (N 206) und N 211 (N 214).

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getroffen worden. Dies wird im Beschluss des BVerfG auch herausgestellt. Zu der Frage, ob das objektive Nettoprinzip mit seinem Zweck der Leistungsfähigkeitsermittlung auch intertemporal gedeutet werden kann oder muss, hat sich das BVerfG aber nicht geäußert: „Dabei kann offenbleiben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nach dem Grundsatz der Ausrichtung der Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit generell die Möglichkeit eines veranlagungszeitraumübergreifenden Verlustabzugs im Sinne von § 10d EStG erfordert.“78

Das BVerfG hat sich jedoch in einer früheren Entscheidung zu dem Verhältnis von objektivem Nettoprinzip, Interperiodizität und Verlustbeschränkung geäußert.79 Danach stehen Verlustnutzungs- und -beschränkungsnormen im Spannungsverhältnis zwischen dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung und dem Grundsatz des (abschnittsübergreifenden) Nettoprinzips. Der Gesetzgeber hat den Widerstreit unter den Aspekten Rechtssicherheit und materielle Gerechtigkeit zu lösen. Er ist dabei nicht verpflichtet, die Abwägung einseitig zugunsten des Nettoprinzips zu lösen. Damit bestünde – rein verfassungsrechtlich – wohl die Möglichkeit, eine gewisse temporale Beschränkung des Verlustvortrags vorzusehen. Davon hat der Gesetzgeber (im Einklang mit der wohl überwiegenden internationalen Praxis) aber aus guten Gründen abgesehen. Die Problematik von Beschränkungen zeigt sich nämlich auch an der Mindestbesteuerung des § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG. Nach dieser wird der Verlustvortrag (mit Ausnahme des Sockelbetrags von 1 Mio. Euro) nur teilweise (zu 60 %) im jeweiligen Veranlagungszeitraum einkommensmindernd berücksichtigt. Dadurch wollte der Gesetzgeber eine gewisse zeitliche Streckung der Verlustnutzung erreichen. Das (d.h. die bloße zeitliche Streckung) hat der BFH nicht für verfassungswidrig gehalten, denn dies beschränke die Wirkung des periodenübergreifenden Verlustvortrags (nur) „der Höhe nach“80. Allerdings stellt sich die Situation anders dar, sofern im Einzelfall der Streckung die Wirkung zukommt, den Verlustabzug gänzlich auszuschließen.81 In 2014 hat der BFH die Min78 BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577 Rz. 119. 79 BVerfG v. 22.7.1991 – 1 BvR 313/88, DStR 1991, 1278 f. 80 BFH v. 22.8.2012 – I R 9/11, BStBl. II 2013, 512 = FR 2013, 213 (214 f. m.w.N. auch zum kontroversen Meinungsbild im Schrifttum). 81 BFH v. 22.8.2012 – I R 9/11, BStBl. II 2013, 512 = FR 2013, 213 (215), im Ergebnis aber offen gelassen.

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destbesteuerung bei Definitiveffekten dem BVerfG vorgelegt, denn er ist davon überzeugt, dass dadurch eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung ausgelöst wird.82 Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift hielt der BFH nicht für möglich, da Anhaltspunkte fehlten, nach welchen Kriterien bei einer verfassungskonformen Auslegung zu differenzieren sein könnte. Abzuwarten bleibt, wie sich das BVerfG zu diesem Problem des periodenübergreifenden Verlustabzugs äußern wird und welche Vorgaben möglicherweise daraus für die Konzeption des Verlustuntergangsrechts im Hinblick auf §§ 8c, 8d KStG zu entnehmen sein werden. Gerade im Zusammenhang mit § 8c KStG ist der Gesetzgeber zudem daran zu erinnern, dass als formell-verfassungsrechtliche Vorgabe bei der Neukonzeption das Gebot der ausreichenden Bestimmtheit von Normen zu berücksichtigen ist. Es zielt darauf ab, dass dem Bürger (im Bereich des Steuerrechts also dem Stpfl.) die Möglichkeit gegeben wird, sein Verhalten auf die Rechtsnormen einzustellen.83 Normen müssen so bestimmt formuliert sein, dass die Folgen der Regelung für den Normadressaten vorhersehbar und berechenbar sind, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann, dass der Verwaltung angemessen klare Handlungsmaßstäbe vorgegeben werden und dass eine hinreichende gerichtliche Kontrolle möglich ist.84 Hier hat § 8c KStG u.E. erhebliche Defizite, und zwar nicht in Randbereichen, sondern in seinem – bisher zentralen – Tatbestandsmerkmal des Erwerbs von Anteilen durch einen Erwerber. Die sachliche – ohnehin sehr weite – Anknüpfung an Anteile am gezeichneten Kapital, Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder Stimmrechte an einer Körperschaft wird ergänzt durch den inhaltlich unbestimmten Begriff vom „vergleichbaren Sachverhalt“; der Verwaltung diente das als Vorlage, in den einschlägigen BMF-Schreiben85 – wenn auch nur exemplarisch – eine Vielzahl anderer Vorgänge als schädlich zu qualifizieren. Das setzt sich fort bei der personellen Anknüpfung, bei der nicht nur

82 BFH v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014, 1016 = FR 2014, 1033 (1038), anhängig beim BVerfG unter Az. 2 BvL 19/14. 83 Grzeszick in Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rz. 58. 84 Grzeszick in Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Rz. 58. 85 BMF v. 4.7.2008 – IV C 7 - S 2745-a/08/10001 – DOK 2008/0349554, BStBl. I 2008, 736 = FR 2008, 839; jetzt neue Fassung BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 S 2745-a/0910002 :004 – DOK 2017/0789973, BStBl. I 2017, 1645 = FR 2017, 1158.

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ein Erwerber betrachtet wird und diesem nahe stehende Personen,86 sondern auch eine Gruppe von Erwerbern mit gleichgerichteten Interessen; worauf sich diese Interessen und ihre Gleichrichtung beziehen müssten, bleibt unklar. Für die Rechtsanwendungspraxis ist dadurch bei einem so zentralen Begriff – man muss es so deutlich sagen – eine z.T. unsägliche Rechtsunsicherheit für Stpfl. und Finanzverwaltung in durchaus vielen Fällen verursacht.87 Dies sollte der Gesetzgeber in Zukunft beseitigen bzw. vermeiden. U.E. scheint durchaus fraglich, ob dies nicht – bei einem Sachverhalt, der so tief in die Rechte des Stpfl. eingreifen kann – verfassungsrechtlich noch zulässig ist. Letztlich ist natürlich auch das europäische Beihilfenrecht zu berücksichtigen. Bei der früher versuchten Privilegierung für Wagniskapitalgesellschaften sowie der Sanierungsklausel hatte der deutsche Gesetzgeber ja bereits seine Schranken aufgezeigt bekommen. Hinsichtlich des § 8d KStG ging der Gesetzgeber davon aus, dass europarechtliche Bezüge nicht vorliegen.88 Die gesetzesinitiierenden Fraktionen betonten im Finanzausschuss, dass die Beihilfenrechtmäßigkeit intensiv geprüft, im Ergebnis aber als nicht problematisch eingestuft wurde, obwohl die EU-Kommission keinen vorauseilenden Comfort letter ausgestellt hat. Man habe jedoch gemeinsam mit dem BMF und dem BMWi beschlossen, keinen Vorbehalt in Bezug auf das Europarecht für das Inkrafttreten vorzusehen, denn es seien positive Signale aus der EU-Kommission zu vernehmen gewesen, die ohnehin von den Mitgliedstaaten ein stärkeres Engagement zur Stärkung innovativer Unternehmen fordere.89 Im Hinblick auf die jüngere Entwicklung des Beihilfenrechts (u.a. die EuGH-Judikatur zur Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG, jüngst auch die „Hängepartie“ bei der Genehmigung des neuen § 3a EStG) wird teilweise befürchtet, 86 Auch dabei wird im Gesetz nicht gesagt, woraus sich das „Nahestehen“ ergibt. Nach den einschlägigen BMF-Schreiben (zuletzt BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 - S 2745-a/0910002 :004 – DOK 2017/0789973, BStBl. I 2017, 1645 = FR 2017, 1158, Tz. 26) kommt es nicht auf die gesetzliche Regelung des § 1 Abs. 2 AStG an, sondern es soll „jede rechtliche oder tatsächliche Beziehung zu einer anderen Person“ ausreichen, wobei auf die Grundsätze verwiesen wird, die bei vGA gelten (H 8.5 KStH). 87 Die jüngere Konkretisierung durch die Rspr. (BFH v. 22.11.2016 – I R 30/15, BStBl. II 2017, 921 = GmbHR 2017, 826) hat das BMF auch nicht zu einer entsprechenden Konkretisierung in BMF v. 28.11.2017 – IV C 2 S 2745-a/0910002 :004 – DOK 2017/0789973, BStBl. I 2017, 1645 = FR 2017, 1158 veranlasst; vgl. dazu Schneider/Bleifeld/Butler, DB 2018, 464 (466). 88 BT-Drucks. 18/9986, 10. 89 BT-Drucks. 18/10495, 12.

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dass auch § 8d KStG als Ausnahme vom Referenzsystem eingestuft und als selektiv ausgestaltete unzulässige Beihilfe qualifiziert wird.90

2. Einfache „Streich“-Lösungen Die einfachste Handlungsoption für den Gesetzgeber liegt auf der Hand: Er könnte durch bloßen Fristablauf die Nichtigkeit von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG eintreten lassen, die das BVerfG – vorbehaltlich einer rechtzeitigen verfassungskonformen Heilung durch den Gesetzgeber – ja bereits angelegt hat. Angesichts der noch ausstehenden Entscheidung des BVerfG zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG wäre es noch „einfacher“ – weil auch den noch latent verfassungsgefährdeten § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG umfassend –, § 8c KStG insgesamt zu streichen (und dann ggf. in Ruhe ein völlig neues, durchdachtes und die verfassungsrechtlichen Vorgaben berücksichtigendes neues System zu etablieren).91 Diese sog. „große“ Lösung erscheint zum jetzigen Zeitpunkt (vor einer Entscheidung des BVerfG zu Satz 2) jedoch praktisch unwahrscheinlich. Anders ist dies durchaus für § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG zu beurteilen. Hier ist nicht nur der Änderungsbedarf aufgrund der vorliegenden BVerfG-Entscheidung größer, und eine vernünftige Rechtfertigung für die Regelung überhaupt schwerlich denkbar; hinzu kommt auch aus rein fiskalischer Sicht, dass die Auswirkung des nur quotalen Verlustuntergangs bis maximal 50 % auf das Steueraufkommen ohnehin eher gering erscheint. Dementsprechend wird das Streichen des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG auch verbreitet vorgeschlagen.92 Ob sich der Gesetzgeber zu einem „Auslaufen“ des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG durchringen kann, bleibt abzuwarten. Angesichts des faktischen Stillstands während der Zeit der Suche nach einer Regierungskoalition bis März 2018 sind Prognosen noch schwer zu treffen. Insofern skizzieren die folgenden Passagen evtl. Anpassungen, die sich z.Zt. in der Diskussion befinden.

90 Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (17 f.); wohl auch Schnitger, IStR 2017, 77 (86). 91 Für eine Streichung auch des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG bis zum Inkrafttreten des § 8d KStG z.B. Röder, FR 2018, 52 (58 f.). 92 Vgl. z.B. – sehr ausführlich – Röder, FR 2018, 52 (54 ff.); Dorenkamp, FR 2018, 83 (86).

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3. Lösung über § 8d KStG? a) Minimallösung: Zeitliche Vorverlagerung von § 8d KStG Als eine Handlungsoption wird diskutiert, die zeitliche Anwendung des § 8d KStG – der nach heutigem Stand für Zeiträume ab 1.1.2016 gilt – rückwirkend zeitlich vorzuverlagern auf Zeiträume ab dem 1.1.2008. Die dahinter liegende Idee fußt darauf, dass im Zusammenspiel mit § 8d KStG – jedenfalls als Option, die der Stpfl. per Antrag wählen kann – der Verlustuntergang nicht allein von einem schädlichen Anteilseignerwechsel i.S.d. § 8c KStG abhängig ist, sondern zusätzlich erfordert, dass die Verlustgesellschaft selbst nicht mehr denselben Geschäftsbetrieb i.S.d. § 8d KStG unterhält. Immerhin hat die Einführung des § 8d KStG das BVerfG dazu bewogen, die Unvereinbarkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG mit dem GG nur bis zum Jahr 2015 festzustellen, aber nicht darüber hinaus; die verfassungsrechtliche Lage nach Einführung des § 8d KStG bedürfe gesonderter Betrachtung und § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG sei deshalb „nicht mehr ohne Weiteres aus denselben Gründen mit dem Grundgesetz unvereinbar wie vor dem Inkrafttreten von § 8d KStG“ (s.o.). Ob durch dieses Vorziehen alleine ein verfassungskonformer Zustand geschaffen wird, ist u.E. allerdings kritisch zu sehen. Dabei sind zwei Dinge auseinander zu halten – zum einen die Grundfrage, ob die Einführung des § 8d KStG dem Grunde nach die Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG beseitigt, zum anderen die weiterführende Frage, ob dies auch die Verfassungswidrigkeit der bereits abgelaufenen Zeiträume nachträglich heilen kann. Zu letzterem Punkt bestehen allein schon deshalb erhebliche Zweifel, weil die Stpfl., in deren grundgesetzlich geschützte Rechte durch § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG eingegriffen wurde, ihr Verhalten gar nicht mehr nachträglich auf die vielen Voraussetzungen des § 8d KStG ausrichten können.93 Z.T. wird auch gar kein Bedürfnis für eine rückwirkende Heilung mehr gesehen, weil § 8c KStG seine verhaltenssteuernde Wirkung für die Vergangenheit bereits erfüllt und u.a. Mantelkaufgestaltungen in größerem Umfang vermieden habe.94

93 Dörr/Eggert/Plum, NWB 2017, 2661 (2668); Röder, FR 2018, 52 (58 f.); Dorenkamp, FR 2018, 83 (85). Zu Vertrauensschutzüberlegungen ausführlichen Kahlert/Schmidt, FR 2017, 758 (763 ff.). 94 Ausführlicher Röder, FR 2018, 52 (59), der zu Recht darauf hinweist, dass dann die Sanierungsklausel auch nicht mehr als unzulässige Beihilfe angesehen werden könne.

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Allerdings bestehen auch bereits dem Grunde nach deutliche Zweifel, dass § 8d KStG in seiner jetzigen Form geeignet ist, den verfassungswidrigen Zustand des § 8c KStG (der – wie dargestellt – insbes. darauf fusst, dass die Norm nicht so gefasst ist, dass sie missbräuchliche Gestaltungen in zulässig typisierender Weise erfasst) zu beseitigen.95 Dagegen spricht, dass die Regelung des § 8d KStG ihrerseits mit ihren vielen Voraussetzungen vor und nach dem schädlichen Anteilserwerb für das Erlangen und Behalten eines fortführungsgebundenen Verlustvortrags so eng gefasst ist, dass sie nicht auf typische Missbrauchsfälle abzielt, sondern eine Vielzahl normaler und nicht missbräuchlicher Fälle erfassen dürfte. Das wird im Folgenden näher erläutert, und zwar zunächst die wesentlichen Inhalte der Regelung des § 8d KStG und anschließend die kritische Bewertung von wesentlichen Problempunkten. aa) Wesentlicher Inhalt des § 8d KStG (1) Voraussetzungen für das Entstehen eines fortführungsgebundenen Verlustvortrags § 8d KStG setzt zunächst voraus, dass überhaupt ein schädlicher Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c KStG vorliegt; anderenfalls bestünde ja auch kein Bedarf an einer solchen Regelung. Die Norm verweist auf den gesamten § 8c KStG, so dass beide Fälle des § 8c KStG – der partielle Untergang nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG als auch der vollständige Untergang nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG – gleichermaßen erfasst sind. Die Anwendung des § 8d KStG ist zudem antragsgebunden. Die Körperschaft, die § 8d KStG in Anspruch nehmen will, hat einen entsprechenden Antrag nach § 8d KStG zu stellen. Dieser ist in der Steuererklärung für die Veranlagung des Veranlagungszeitraums zu stellen, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt (§ 8d Abs. 1 Satz 5 KStG). Wesentliche Fragen sind offen, auf die unten eingegangen wird. Schließlich enthält die Regelung in § 8d Abs. 1 KStG eine Reihe von Grundvoraussetzungen, damit ein fortführungsgebundener Verlustvortrag überhaupt in Anspruch genommen werden kann. Diese sind: –

Die Körperschaft muss ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhalten, und zwar entweder seit ihrer Gründung oder – sofern

95 Vgl. dazu auch die Kritik der Literatur, z.B. Pauli, FR 2017, 663; Kessler/Egelhof/Probst, DStR 2017, 1289 (1290 ff.); Blumenberg/Crezelius, DB 2017, 1405 (1408 f.).

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diese länger zurückliegt – seit dem Beginn des dritten Veranlagungszeitraums, der dem Veranlagungszeitraum des schädlichen Beteiligungserwerbs vorausgeht. Es gilt also eine Art „Beobachtungsphase vor Antragstellung“. Maximal beträgt sie knapp 4 Jahre (z.B. bei einem schädlichen Beteiligungserwerb im Dezember 2016 würde die „Beobachtungsphase“ beginnen am 1.1.2013). Besonders relevant und problematisch ist – für die ganze Norm – das neue Merkmal des „Geschäftsbetriebs“, der in § 8b Abs. 1 Satz 3 KStG legal definiert wird.96 –

In dieser „Beobachtungsphase“ darf kein Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG eintreten. Abs. 2 enthält eine Reihe von Fällen, bei deren Eintritt ein einmal entstandener fortführungsgebundener Verlustvortrag für die Zukunft wegfällt.97 Die gleichen Ereignisse dürfen schon gar nicht in der „Beobachtungsphase“ vor Antragstellung vorliegen, sonst ist ein Antrag bereits ausgeschlossen.



Zu Beginn der „Beobachtungsphase“ darf die Gesellschaft nach § 8d Abs. 1 Satz 2 KStG weder Organträger noch an einer Mitunternehmerschaft beteiligt sein. Würde diese Voraussetzung zwar nicht zu Beginn der „Beobachtungsphase“ vorliegen, aber innerhalb dieser Phase eintreten, wäre der Antrag gleichwohl ausgeschlossen. Denn die Stellung als Organträger oder die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft sind schädliche Ereignisse i.S.d. Abs. 2 (vgl. Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und 5).

Liegen die Voraussetzungen der Norm vor, kann auf entsprechenden Antrag der Körperschaft, um deren Verlustvortrag es geht, der Verlustvortrag als sog. fortführungsgebundener Verlustvortrag ermittelt und verfahrensrechtlich gesondert festgestellt werden. Maßgebend ist der Verlustvortrag, der zum Schluss des Veranlagungszeitraums verbleibt, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt. Allerdings findet § 8d KStG gem. § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KStG keine Anwendung auf Verluste aus der Zeit vor einer Einstellung oder Ruhendstellung des Geschäftsbetriebs (sog. Altverluste). Wird der Antrag gestellt, greift § 8c KStG dann insgesamt nicht ein, d.h. es kommt insofern nicht zu einem Untergang der Verluste gem. § 8c KStG, sondern fortan richtet sich die Behandlung für diesen nunmehr zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag gewordenen Betrag ausschließlich nach § 8d KStG. Dies gilt auch dann, wenn nur ein Fall des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG vorliegt, also die Verlustvorträge nur quotal vom Untergang bedroht sind; gleichwohl würden die Verlustvorträge

96 Näher zum Merkmal des Geschäftsbetriebs unter 3. 97 Näher zu den Ausschlussvoraussetzungen unter 4.–6.

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insgesamt dem Regime des § 8d KStG unterworfen (und damit ihr Fortbestand insgesamt an die weiteren Voraussetzungen des § 8d Abs. 2 KStG geknüpft). (2) Behaltensvoraussetzungen nach § 8d Abs. 2 KStG für den fortführungsgebundenen Verlustvortrag Ein einmal festgestellter fortführungsgebundener Verlustvortrag kann wieder entfallen, wenn vor seinem vollständigen Verbrauch ein schädliches Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG eintritt. Dies ist der Fall, wenn der Geschäftsbetrieb eingestellt oder ruhend gestellt wird, der Geschäftsbetrieb einer andersartigen Zweckbestimmung zugeführt wird, ein zusätzlicher Geschäftsbetrieb aufgenommen wird, die Gesellschaft sich an einer Mitunternehmerschaft beteiligt oder Organträger wird oder auf die Gesellschaft Wirtschaftsgüter übertragen werden, die sie unter dem gemeinen Wert ansetzt.98 Tritt ein schädliches Ereignis ein, geht der zum Ende des letzten Wirtschaftsjahrs festgestellte fortführungsgebundene Verlustvortrag grundsätzlich unter. Dabei wird nicht danach differenziert, welches der schädlichen Ereignisse eintrat und ggf. ob bzw. welchen Einfluss es auf die Verlustnutzungssituation hatte (Fallbeil-Effekt); theoretisch reicht also z.B. die Übertragung eines Wirtschaftsguts auf die Gesellschaft, bei dem der Bilanzansatz – aus welchen Gründen auch immer – den gemeinen Wert um nur wenige Euro unterschreitet. Ausnahmsweise fällt der Verlustvortrag nicht weg, soweit zum Ende des letzten Veranlagungszeitraums stille Reserven vorhanden sind.99 bb) Wesentliche Problempunkte in § 8d KStG (1) Verhältnis von § 8c KStG zu § 8d KStG und Antragstellung § 8d KStG führt nicht in jedem Fall zu einer Verbesserung gegenüber § 8c KStG, sondern kann durchaus auch zu einer Verschlechterung führen. Dies wäre nicht problematisch, wenn der Stpfl. darauf reagieren könnte, indem er einen einmal gestellten Antrag auf Anwendung des § 8d KStG wieder ändern oder zurücknehmen könnte. Die Änderbarkeit bzw. Rücknahmemöglichkeit ist jedoch nicht gesichert:

98 Vgl. § 8d Abs. 2 Satz 1 sowie Satz 2 Nr. 1–6 KStG. 99 § 8d Abs. 2 Satz 1Halbs. 2 KStG.

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Der Antrag nach § 8d KStG kann in gewissen Konstellationen zu einer Verschlechterung der Rechtslage für den Stpfl. führen; das kommt auf den Sachverhalt an: –

Liegt ein Fall von § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG vor, geht der Verlustvortrag grundsätzlich vollständig unter. Sind auch keine stille Reserven vorhanden, die den Verlustvortrag partiell erhalten könnten, ist die Möglichkeit des § 8d KStG eine klare Verbesserung für den Stpfl., da der Verlustvortrag zunächst als fortführungsgebundener Verlustvortrag bestehen bleibt und weiter genutzt werden kann. Ob und inwieweit ein Risiko des Untergangs des fortführungsgebundenen Verlustvortrags nach § 8d Abs. 2 KStG besteht, ist in einer solch klaren Situation nicht relevant. Ein Antrag nach § 8d KStG ist daher in jedem Fall ratsam.



Ganz anders ist der Fall gelagert, bei dem nur ein Erwerb von 25–50 % gegeben ist und zudem stille Reserven i.S.d. § 8c Abs. 1 Satz 6–9 KStG vorhanden sind. Dann steht nur ein quotaler Verlustuntergang im Raum (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG). Zudem sind stille Reserven vorhanden, in deren (anteiliger) Höhe der partielle Verlustvortrag nicht greift. Der Verlustvortrag bliebe also auch nach § 8c KStG partiell erhalten.



Bei einer Antragstellung nach § 8d KStG wird aber der gesamte vorhandene Verlustvortrag zum fortführungsgebundenen Verlustvortrag, nicht nur der nach § 8c KStG ansonsten konkret untergehende Teil. D.h. auch der nicht von § 8c KStG erfasste Teil wird von der Regelung des § 8d KStG erfasst und kann dementsprechend jederzeit für die Zukunft nach § 8d Abs. 2 KStG wegfallen. Mit einer Antragstellung nach § 8d KStG ist dann das deutliche Risiko verbunden, dass es insgesamt zu einer Verschlechterung kommt. Insofern ist vor einer Antragstellung eine Abwägung durchzuführen, ob ein Antrag sinnvoll ist oder nicht. Diese Prognoseentscheidung hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, insbes.100: Umfang der nicht abziehbaren nicht genutzten Verluste nach § 8c KStG, stille Reserven im Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs, laufende Ergebnisse zwischen dem Zeitpunkt des schädlichen Beteiligungserwerbs und dem Ende des Veranlagungszeitraums, künftige laufende Gewinne, mit denen Verluste zeitnah verrechnet werden können, die Entwicklung der stillen Reserven nach dem schädlichen Beteiligungserwerb sowie die Prognose bzgl. Gefahr und Zeitpunkt der eventuellen Realisierung eines

100 Vgl. z.B. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (17); Suchanek/Rüsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8d KStG Rz. 42.

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schädlichen Ereignisses i.S.d. Abs. 2. Die Abwägung dürfte im Regelfall schwierig sein, u.a. wegen der Vielzahl der Faktoren, ihrer partiellen Zukunftsgerichtetheit (so dass nur eine Prognose abgegeben werden kann) sowie der weiten Formulierung der schädlichen Ereignisse i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG. –

Das alles wäre grundsätzlich nicht problematisch, wenn der Antrag nach § 8d KStG spät gestellt oder ansonsten abgeändert oder zurückgenommen werden könnte. Nach dem Wortlaut von § 8d Abs. 1 Satz 5 KStG ist der Antrag in der Steuererklärung für die Veranlagung des Veranlagungszeitraums zu stellen, in den der schädliche Beteiligungserwerb fällt. Der Wortlaut „in der Steuererklärung“ ist weit gefasst und enthält im Gegensatz zu anderen steuerlichen Antragsvorschriften101 keine Beschränkungen.102 Fraglich ist daher, ob eine Antragstellung ausschließlich mit der ersten Steuererklärung möglich ist oder ob eine Antragstellung auch noch in einer späteren berichtigten Steuererklärung erfolgen kann. Es können z.B. Fälle auftreten, in denen erst im Rahmen einer Betriebsprüfung ein schädlicher Anteilseignerwechsel überhaupt erkannt wird und sich somit erst dann die Folgefragen hinsichtlich der Anwendbarkeit von § 8d KStG stellen.103 Unabhängig vom Zeitpunkt der ersten Antragstellung ist insbes. auch fraglich, ob ein einmal gestellter Antrag widerrufen oder abgeändert werden kann, z.B. falls ein schädliches Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG naht. In der Literatur werden die beiden Fragen nicht einheitlich beurteilt, wobei die eher h.M. für die Möglichkeit der erstmaligen Antragsausübung in einer berichtigten Steuererklärung sowie die Änderungsund Widerrufsmöglichkeit eintritt.104 Die Position der Finanzverwaltung zu den aufgeworfenen Fragen ist zur Zeit noch völlig unklar.105

101 Z.B. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG: „Der Antrag ist spätestens bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz […] zu stellen“. 102 Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (10). 103 Vgl. auch Bakeberg/Krüger, BB 2016, 2967 (2969). 104 Umfassend zum Streitstand Suchanek/Rüsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8d KStG Rz. 41 m.w.N. 105 Neumann/Heuser, GmbHR 2017, 281 (284 f.) sprechen sich als Verwaltungsangehörige jedenfalls sowohl gegen die Möglichkeit einer erstmaligen Antragstellung in einer berichtigten Steuererklärung als auch gegen eine Widerrufsmöglichkeit aus.

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(2) Stille-Reserven-Verschonung bei Eintritt eines schädlichen Ereignisses Tritt ein schädliches Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG ein, fällt der fortführungsgebundene Verlustvortrag grundsätzlich weg. Allerdings gilt – wie auch in § 8c KStG – eine partielle Abmilderung, soweit stille Reserven vorhanden sind. Für die stille Reserven-Verschonung gelten nach § 8d Abs. 2 Satz 1 KStG die Grundsätze des § 8c Abs. 1 Satz 6–9 KStG entsprechend. Maßgebender Zeitpunkt ist der Schluss des dem schädlichen Ereignis i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG vorangegangenen Veranlagungszeitraums. Letztlich stellen sich hier dieselben Zweifelsfragen wie bei § 8c KStG.106 Es stellt sich u.a. das Problem hinsichtlich der Bewertung der stillen Reserven.107 Dies dürfte in § 8d KStG oftmals noch etwas problematischer sein, da es jedenfalls bei Eintritt eines Ereignisses i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG – anders als beim schädlichen Beteiligungserwerb i.S.d. § 8c KStG – i.d.R. an einer Transaktion fehlt, aus der die Höhe der stillen Reserven abgeleitet werden könnte. Weiterhin ist fraglich, wie sich der Umfang der stillen Reserven bei quotalem Anteilserwerb bemisst. Entweder könnten die quotalen stillen Reserven oder die gesamten stillen Reserven der Körperschaft herangezogen werden. Viel spricht dafür, die gesamten stillen Reserven der Körperschaft heranzuziehen,108 denn auch beim Untergang des fortführungsgebundenen Verlustvortrags wird auf die Gesamtheit der Verluste (schädliche Verluste i.S.d. § 8c KStG und unschädliche Verluste) abgestellt. (3) Der zentrale Begriff „Geschäftsbetrieb“ § 8d KStG verwendet als zentrales Merkmal den Begriff des Geschäftsbetriebs. Ein Geschäftsbetrieb umfasst nach der Legaldefinition des § 8d Abs. 1 Satz 3 KStG die von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen der Körperschaft und bestimmt sich nach qualitativen Merkmalen in einer Gesamtbetrachtung. Qualitative Merkmale sind nach § 8d Abs. 1 Satz 4 KStG insbes. die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer.

106 Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 (1087). 107 Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (16). 108 So auch Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (16); Kenk, BB 2016, 2844 (2847).

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Der Begriff des Geschäftsbetriebs ist in mehrfacher Hinsicht relevant: Damit ein Antrag überhaupt zulässig ist, muss im rund dreijährigen Beobachtungszeitraum vor dem schädlichen Beteiligungserwerb „ausschließlich derselbe Geschäftsbetrieb“ unterhalten werden. Zudem fällt ein festgestellter fortführungsgebundener Verlustvortrag nach § 8d Abs. 2 KStG weg, wenn zukünftig dieser Geschäftsbetrieb eingestellt, ruhend gestellt oder er einer andersartigen Zweckbestimmung zugeführt wird oder zu dem bestehenden Geschäftsbetrieb ein „zusätzlicher Geschäftsbetrieb“ aufgenommen wird. Es ist offensichtlich, dass die inhaltliche Auslegung des neuen Rechtsbegriffs „Geschäftsbetrieb“ künftig zu erheblichen Streitigkeiten führen wird.109 Die Legaldefinition des Geschäftsbetriebs ist sehr abstrakt gehalten. Die in Abs. 1 Satz 4 aufgezählten Merkmale bieten selbst vielfältigen Auslegungsspielraum (z.B. die Merkmale „gegenseitige ergänzende und fördernde Betätigung“, „Qualifikation der Arbeitnehmer“ und der „Kundenkreis“). Nach dem Wortlaut und der Systematik ist diese Aufzählung auch nicht abschließend, da die Merkmale nur mit „insbesondere“ eingeleitet werden. Es ist zudem unklar, wie die Gesamtbetrachtung der verschiedenen im Gesetz aufgezählten (ggf. auch weiteren) Merkmale konkret erfolgen wird, z.B. in welchem Verhältnis die qualitativen Merkmale zueinander stehen und ob sie z.B. alle gleichwertig sind, oder ob es wichtigere und unwichtigere Merkmale gibt, oder ob (und welche) Unwesentlichkeitsgrenzen gelten o.ä. Theoretisch denkbar wäre, dass die Finanzverwaltung die im Gesetz explizit aufgezählten qualitativen Merkmale im konkreten Fall zählt und anschließend eine Entscheidung rein auf Basis des zahlenmäßigen Überwiegens (geändert/nicht geändert) der Merkmale trifft; das dürfte aber kaum einer wertenden Gesamtbetrachtung entsprechen. Die breite Spanne der Unsicherheit im wahren Steuerleben lässt sich bereits jetzt erahnen, wenn man die in der Literatur z.T. behandelten Beispiele betrachtet.110 Für die reine Praxis wäre ein zeitnah

109 Gleiche Einschätzung Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083; Kenk, BB 2016, 2844 (2848); Korn, SteuK 2016, 399 (400); Suchanek/Rüsch in Herrmann/ Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8d KStG Rz. 40; umfassend dazu z.B. Arbeitskreis Steuern und Revision im Bund der Wirtschaftsakademiker eV, DStR 2017, 2457 ff. 110 Vgl. z.B. im Beitrag des Arbeitskreises Steuern und Revision im Bund der Wirtschaftsakademiker eV, DStR 2017, 2457, (2460 ff.) mit zahlreichen Verweisen.

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erlassenes BMF-Schreiben zur Handhabung der Gesamtbetrachtung nicht nur hilfreich,111 sondern erscheint zwingend notwendig. Die Konzeption des § 8d KStG mit dem zentralen Begriff des Geschäftsbetriebs wird in der Literatur zwar auch verteidigt. Röder meint z.B., dass der Begriff ohne weiteres mehrere unterschiedliche unternehmerische Tätigkeitsfelder umfassen könne, und insgesamt weiter (und nicht zu restriktiv) verstanden werden könne, um eine verfassungskonforme Anwendung der §§ 8c, 8d KStG zu ermöglichen.112 U.E. stellt sich aber insgesamt die Frage, ob die bloße abstrakte Umschreibung schon dem Grunde nach der falsche Ansatz ist, weil sie für die praktische Handhabung viel zu unklar und kaum vorhersehbar ist und vielfach (zwingend?) zu einer uneinheitlichen Rechtsanwendung führen dürfte; oder anders gewendet ist zu fragen, ob nicht quantitative (und damit grundsätzlich messbare) Anknüpfungspunkte für die Rechtsanwendung (und ggf. auch die Verfassungsrechtsprüfung) besser und vorzugswürdig sind, jedenfalls als wesentliche zusätzliche Merkmale.113 Hier gäbe es durchaus verschiedene Kennzahlen, an die angeknüpft werden könnte. In Betracht kommt z.B. die Veränderung des betrieblichen Umsatzes, wie es etwa im Richtlinienvorschlag zur Gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage v. 25.10.2016 vorgeschlagen wird.114 Nach Art. 41 Abs. 1 GKB-E können Verluste grds. vorgetragen und in den Folgejahren mindernd berücksichtigt werden. Abs. 3 schließt den Verlustabzug aus, wenn ein anderes Unternehmen eine Beteiligung an dem Stpfl. erwirbt, die dazu führt, dass dieser zu einer qualifizierten Tochtergesellschaft des Erwerbers i.S.d. Art. 3 des GKB-E wird und die Tätigkeit des erworbenen Stpfl. sich wesentlich ändert, was bedeutet, dass der Stpfl. eine bestimmte Tätigkeit einstellt, die über 60 % seines Umsatzes im vorangegangenen Steuerjahr ausmachte, oder aber neue Tätigkeiten aufnimmt, die über 60 % seines Umsatzes im Steuerjahr ihrer Einführung oder im darauffolgenden Steuerjahr ausmachen. Qualifizierte Tochtergesellschaften sind nach Art. 3 Abs. 1 GKB-E alle Tochter- und Enkelgesellschaften, an denen Muttergesellschaften die folgenden Rechte hal111 Vgl. in diesem Zusammenhang zum sog. Typenvergleich BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA - 22/04, BStBl. I 2004, 411 = FR 2004, 490. 112 Röder, FR 2018, 52 (60). 113 Z.B. Prinz, FR 2018, 76 (78); Dorenkamp, FR 2018, 83 (86). Gegen quantitative Merkmale aber z.B. Röder, FR 2018, 52 (61 f.). 114 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, COM (2016) 685 final v. 25.10.2016, im Folgenden: „GKB-E“.

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ten: das Recht, mehr als 50 % der Stimmrechte auszuüben, und ein Eigentumsrecht an mehr als 75 % der Ansprüche auf Gewinnbeteiligung. Auch das Betriebsvermögen könnte, wie in § 8 Abs. 4 KStG a.F., ein geeignetes Anknüpfungskriterium sein (sofern man die seinerzeit umstrittenen Fragen – dazu unten 2.b – durch den Gesetzgeber von Anfang an klarer regelt). (4) Zweckbestimmung und zusätzlicher Geschäftsbetrieb als schädliches Ereignis Eine Körperschaft kann mehrere Geschäftsbetriebe haben, arg. e contrario aus § 8d Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 KStG. Nach der Rspr. des BFH verfügen die von § 8 Abs. 2 KStG erfassten Körperschaften aber nur über einen einzigen, einheitlichen Gewerbebetrieb, dessen Kontinuität auch nicht durch wesentliche inhaltliche Änderungen beeinträchtigt würde.115 Fraglich ist daher auch, ab wann ein „zusätzlicher“ Geschäftsbetrieb die Anwendung des § 8d KStG ausschließt („ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb“, § 8d Abs. 1 Satz 1 KStG). Entscheidend für die Unterhaltung „ausschließlich desselben Geschäftsbetriebs“ wird in Anlehnung an die Kriterien der Unternehmeridentität z.T. der sachliche, d.h. wirtschaftliche, organisatorische und finanzielle Zusammenhang der Tätigkeiten der Körperschaft im Zeitablauf, gemessen an den qualitativen Merkmalen gem. § 8d Abs. 1 Satz 4 KStG, angesehen.116 Betriebsbedingte, auch strukturell erhebliche Anpassungen könnten danach unschädlich sein,117 wenn man den Zusammenhang der Tätigkeiten großzügig interpretiert. Exogene Entwicklungen werden ebenfalls in der Literatur als unschädlich angesehen, weil dem Betrieb eine kontinuierliche Anpassung an geänderte äußere Rahmenbedingung ermöglicht werden müsse.118 Das ist u.E. alles zutreffend, die Unsicherheit für die Rechtsanwendung verbleibt aber. Wie bereits oben ausgeführt, bedarf es eines klaren Maßstabs für den anzustellenden Test einzelner Merkmale im Rahmen einer Gesamtbetrachtung. Dieser Maßstab sollte u.E. der Branchenwechsel sein, der durchaus auch in der Gesetzesbegründung angesprochen wird.119 Veränderungen unterhalb dieser Schwelle 115 116 117 118

Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (10). § 8d Abs. 1 Satz 10 und 12 KStG. § 8d Abs. 1 Satz 11 KStG. Arbeitskreis Steuern und Revision im Bund der Wirtschaftsakademiker eV, DStR 2017, 2459 f. 119 Vgl. BT-Drucks. 18/9986, 13.

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sollten unschädlich sein. Wie die Finanzverwaltung sich zu dieser Frage positionieren und damit der Rechtspraxis möglicherweise eine klarere Abgrenzung bieten wird, ist zur Zeit noch nicht absehbar. Erhebliche Unsicherheiten sowie Rechtsstreitigkeiten um die Auslegung der qualitativen Merkmale sind daher auch in dieser Hinsicht vorprogrammiert. (5) Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft/Stellung als Organträger als schädliches Ereignis Gesellschafter von Mitunternehmerschaften und Organträger werden per se aus dem Anwendungsbereich von § 8d KStG ausgeklammert (vgl. § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 4 und 5 KStG). Dahinter steht anscheinend der Gedanke, dass etwaige von einer Organgesellschaft oder aus der Mitunternehmerschaft herrührende und dem Organträger zurechenbare Verlustbeträge keine Verluste aus dem „eigenen“ Geschäftsbetrieb der Organträgergesellschaft sind120 bzw. man eine Verrechnung mit Gewinnen aus anderen Gesellschaften vermeiden will. Allerdings wird nicht jede Beteiligung bestraft. Der Körperschaft verbleibt z.B. die Möglichkeit, sich über eine Tochter-Kapitalgesellschaft an der KG zu beteiligen, solange die Tochtergesellschaft nicht organschaftlich eingebunden wird.121 Allerdings werden in so einem Fall auch i.d.R. (so gut wie) keine Gewinne oder Verluste aus den Untergesellschaften an die Verlustobergesellschaft zugerechnet. Möglich dürfte auch sein, sich als typisch stille Gesellschafterin an einer Gesellschaft zu beteiligen, und zwar nicht nur an einer Kapitalgesellschaft, sondern wohl auch einer Personengesellschaft/Mitunternehmerschaft. Das Gesetz spricht zwar etwas unklar nur von der „Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft“, meint damit aber nur eine Beteiligung als Mitunternehmer. Eine typisch stille Beteiligung wäre daher unschädlich, eine atypisch stille Gesellschaft dagegen schädlich. Laut der Gesetzesbegründung werden die Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft und die Stellung der Körperschaft als Organträgerin als schädlich eingestuft, „um zweckwidrige Gestaltungen zu vermeiden“.122 Im Kern geht es jedoch nicht um die Beteiligung an der Mitunternehmerschaft als solcher, sondern um die anschließende mögliche Gewinn- und 120 Neyer, BB 2017, 415 (416). 121 H.M., vgl. z.B. Suchanek/Rüsch in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8d KStG Rz. 32 m.w.N. 122 Vgl. BT-Drucks. 18/9986, 14.

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Verlustverrechnung. Es hätte insofern völlig genügt, erst bei der Verlustverrechnung anzusetzen, z.B. einen Ausschluss der Verrechnung des Verlustvortrags mit dem Ertrag aus der Mitunternehmerschaft oder der Organgesellschaft anzuordnen.123 Die Regelung ist insoweit unverhältnismäßig und überschießend.124 Durch die vom Gesetz angeordnete unterschiedslose Schädlichkeit einer Beteiligung als Mitunternehmer oder als Organträger behandelt das Gesetz im Ergebnis einen Fall, der an sich nichts mit einer missbräuchlichen Gestaltung zu tun hat (sondern im Gegenteil ein häufiger, wenn nicht Regelfall der deutschen Unternehmenswirklichkeit ist), als typisierend schädlich und missbräuchlich.125 (6) Übertragung von Wirtschaftsgütern als schädliches Ereignis Laut der Gesetzesbegründung wird die Übertragung von Wirtschaftsgütern mit einem geringeren als dem gemeinen Wert als schädlich eingestuft, „um zweckwidrige Gestaltungen zu vermeiden“. Auch diese Regelung wirkt überschießend. Nach dem Wortlaut genügt z.B. ein Unterschreiten des gemeinen Werts von nur einem Euro. Nicht geregelt ist z.B. auch, ob die Übertragung im Hinblick auf die Unterschreitung des gemeinen Werts willentlich erfolgen müsse – damit würde theoretisch ein Zwang bestehen, jede Übertragung (nicht nur vom Gesellschafter bzw. konzernintern?) fremdüblich zu bewerten. Zudem würde die Verlustgesellschaft von jedweder steuerneutralen Umstrukturierung ausgeschlossen, so dass die Vorschrift wirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen pauschal unterbindet. Es wäre auch an dieser Stelle notwendig, dass – sofern der Gesetzgeber nachbessert – er die Regelung entweder streicht, zumindest aber präziser fasst; denkbar ist u.a. eine Kombination mit einer Sperrfrist wie bei den übrigen Missbrauchsvorschriften auch.126 (7) Rechtsfolge erfasst stets den ganzen Verlustvortrag Der fortführungsgebundene Verlustvortrag des § 8d KStG erfasst stets den gesamten Verlustvortrag der Körperschaft127 und nicht nur die „nicht 123 Vgl. Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185 (2189). 124 Zur Kritik s. auch Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (13). 125 Deutlich z.B. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (13), die auch zu Recht darauf hinweisen, dass dies dem Ansatz des „fortbestehenden Geschäftsbetriebs“ als Leitbild sogar widerspricht, wenn diese Beteiligung vor dem Beobachtungszeitraum bestanden hat. 126 Vgl. auch Ortmann-Babel/Bolik, DB 2016, 2984 ff. 127 Siehe dazu auch schon oben unter VI.2.b aa.

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abziehbaren Verluste“ gem. § 8c KStG. Er kann daher auch Verluste enthalten, die bei Anwendung des § 8c KStG weiter abziehbar gewesen wären, insbes. im Anwendungsbereich von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG (nur quotaler Verlustuntergang) oder in denen wegen des Vorhandenseins stiller Reserven nur ein Teil der nicht genutzten Verluste unterzugehen droht.128 Da § 8d KStG als Rückausnahme des § 8c KStG zu werten ist, wäre es nur systemgerecht, diejenigen Verluste als „fortführungsgebunden“ festzustellen, die anderenfalls dem § 8c KStG unterliegen würden. Damit würde eine folgerichtige Korrespondenz zwischen gerettetem und fortführungsgebundenem Verlustvortrag geschaffen.129 Das ordnet die Norm aber nicht an, sondern stets den ganzen existierenden Verlustvortrag. Bei den stillen Reserven mag das noch nachvollziehbar sein, weil es bei einem späteren evtl. Eintritt eines schädlichen Ereignisses i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG eine Anrechnung der dann vorhandenen stillen Reserven gibt. Der andere Punkt (bei quotalem Verlustuntergang) ist dagegen ein weiteres Beispiel dafür, dass die Norm überschießend gestaltet ist. (8) Rechtsfolge: Fallbeil-Methode Zudem entfällt der fortführungsgebundene Verlustvortrag spiegelbildlich stets ganz bei Erfüllen eines Tatbestands i.S.d. § 8d Abs. 2 KStG, unabhängig von Art des „Verstoßes“ und/oder und seines Umfangs. Durch diese strenge und undifferenzierte Rechtsfolge dürfte in vielen Fällen ein nicht sachgerechtes Ergebnis erzielt werden: zum einen wäre es bei manchen Tatbeständen sinnvoller, eine „soweit“-Regelung vorzusehen; dies gilt z.B. für den Fall des Übertragens von Wirtschaftsgütern unter dem gemeinen Wert – hier könnte z.B. ohne Weiteres nur auf die Differenz abgestellt werden. Wie oben dargelegt wäre es insbes. sachgerecht und ausreichend, bei Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft oder einer Stellung als Organträger nicht den fortführungsgebundenen Verlustvortrag im Ganzen entfallen zu lassen, sondern die Ergebnisse aus solchen Beteiligungen von der Gewinn- oder Verlustverrechnung auf Ebene der Verlustgesellschaft auszuschließen,130 wodurch sich die Rechtsanwendung nicht wesentlich verkompliziert hätte.131 128 Vgl. Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185 (2188); Neyer, FR 2016, 928 (931). 129 Neumann/Heuser, GmbHR 2017, 281 (286). 130 Ganz h.M. in der Literatur, z.B. Dörr/Reisisch/Plum, NWB 2017, 573 (577); Engelen/Bärsch, DK 2017, 22 (26); Suchanek/Rüsch in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 8d KStG Rz. 59. 131 Bergmann/Süß, DStR 2016, 2185 (2189); Frey/Thürmer, GmbHR 2016, 1083 (1087).

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cc) Fazit Insgesamt ergibt sich aus den obigen (und sicher nicht vollständigen) Darstellungen, dass § 8d KStG in seiner jetzigen Form aus vielerlei Gründen viel zu weit ist, sowohl in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen als auch in seinen Rechtsfolgen. Zudem ist er m.E. aufgrund der sehr abstrakten Begriffe (insbes. demjenigen des Geschäftsbetriebs) in der Rechtsanwendung schwer vorhersehbar und anfällig für uneinheitliche Rechtsanwendung. Für eine sachgerechte Rechtsanwendung, die auf die Erfassung typisierter Missbrauchsfälle ausgerichtet sein sollte, erscheint er gänzlich ungeeignet, und zwar ggf. in einem solchen Maße, dass er die Verfassungswidrigkeit der §§ 8c, 8d KStG nicht verhindern kann. b) Maximallösung: weitgehende oder völlige Neugestaltung Vor diesem ernüchternden Befund zur Tauglichkeit des § 8d KStG plädieren – m.E. zu Recht – durchaus viel Stimmen in der Literatur für eine grundlegende Sanierung des Systems der Verlustverrechnung nach Anteilseignerwechsel, um die nach der BVerfG-Entscheidung gebotene Anknüpfung an personelles und sachliches Substrat der Verlustgesellschaft sachgerecht abzubilden.132 Dabei wird gefordert, dass zwischen beiden ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehen sollte133 und der Verlustuntergang an Tatbestandsmerkmale geknüpft wird, die die „echten“ Missbrauchsfälle des Mantelkaufs oder des tatsächlichen Auseinanderfallens der Identität von verlusttragender und verlustnutzender Körperschaft zutreffend abbilden.134 Vielfach wird dabei eine Rückkehr zu den Kriterien der Mantelkaufregelung in § 8 Abs. 4 KStG a.F. für sachgerecht gehalten,135 freilich ohne die handwerklichen Schwächen der damaligen Regelung zu wiederholen. Die frühere Regelung war wegen einer Reihe von Punkten streitanfällig, u.a. wegen der – vom BFH so erkannten – Nichteinbeziehung mittelbarer Anteilsübertragungen136 sowie der Details der konkreten Ermittlung des

132 Vgl. z.B. Hohmann, DStR 2017, 554; Brandis, FR 2018, 81 (82); Dorenkamp, FR 2018, 83 (86 f.), alle m.w.N. 133 Brandis, FR 2018, 81 (82). 134 Kessler/Egelhof/Probst, DStR 2017, 1289 (1296). 135 Moritz/Helios, BB 2018, 343 (350); Dorenkamp, FR 2018, 83 (86). 136 Ernst, ifst-Schrift Nr. 40, 2011, 31 f.

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„überwiegend neuen Betriebsvermögens“.137 Beide Punkte wären aber – wenn gewollt – im Gesetz entsprechend konkret regelbar, so dass die Streitanfälligkeit sich voraussichtlich deutlich reduzieren ließe. Andere schlagen eine Mischung aus quantitativen und qualitativen Elementen vor, bei denen dem Gesichtspunkt einer – aber nicht zu eng verstandenen – wirtschaftlichen Identität weiter Raum gegeben wird. Prinz hält z.B. eine Mischung von Elementen des § 8 Abs. 4 KStG a.F. und der Geschäftsbetriebsidee des § 8d KStG für denkbar.138 Seer plädiert für eine Anlehnung an die (abstrakte, aber eher weite) Regelung in § 8 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. c des österreichischen KStG.139 Wiederum andere bringen den Gedanken ein, dass eine Regelung nicht unwiderleglich einen Mantelkauffall definieren sollte, sondern dem Stpfl. eine Gegenbeweismöglichkeit belassen sollte („Escape“).140

4. Ausblick Welchem Konzept der Gesetzgeber sich auch zuwendet, eine Neuordnung erscheint u.E. angesichts der vielfältigen problematischen Punkte des § 8d KStG aber klar vorzugswürdig gegenüber einer nur punktuellen Anpassung des § 8d KStG. Der Gesetzgeber würde gut daran tun, sich dieser Aufgabe zügig zu stellen, und nicht nur auf die weitere Entscheidung des BVerfG, nunmehr zu § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG, zu warten.

137 Staats in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 8 KStG Rz. 593 ff., ebenso bei Ernst, ifst-Schrift Nr. 40, 2011, 32. 138 Prinz, FR 2018, 76 (78). 139 Seer, GmbHR 2016, 394 (397); zustimmend Dorenkamp, FR 2018, 83 (86). 140 Gosch, GmbHR 2017, 695 (699); Prinz, FR 2018, 76 (78).

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Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen Regierungsdirektorin Alexandra Pung Landesamt für Steuern Rheinland-Pfalz, Koblenz Dr. Sebastian Benz Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Düsseldorf I. Einleitung II. Versagung des doppelten Sonderbetriebsausgabenabzugs (§ 4i EStG) 1. Grundfall des § 4i EStG 2. Zweifelsfragen a) Verhältnis zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG b) Verhältnis zu § 4h EStG/ § 8a KStG c) § 4i EStG und doppelstöckige Mitunternehmerschaften 3. Rückausnahme (§ 4i Satz 2 EStG) III. Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs für Lizenzzahlungen (§ 4j EStG) 1. Hintergrund der Regelung 2. Die Grundregel

3. Durchleitungsfälle 4. Betriebsstättenfälle 5. Ausnahmen von der Grundregel a) Vereinbarkeit mit dem Modified Nexus Approach b) Vorrang der Hinzurechnungsbesteuerung 6. Einbeziehung von deutscher Quellensteuer? 7. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht b) Vereinbarkeit mit Unionsrecht c) Treaty Override/BEPS Override

I. Einleitung Durch die steuerliche Geltendmachung von Betriebsausgaben mindert sich der steuerliche Gewinn bzw. das Einkommen. Diese Binsenwahrheit wurde und wird von den Stpfl. immer wieder herangezogen, um durch Gestaltungen die Steuerlast zu senken. Dies gilt zum einen im rein nationalen Kontext, bei dem z.B. durch Nutzung der BFH-Rspr. zu den „angeschafften Drohverlustrückstellungen“ Pensionsverpflichtungen im Konzern übertragen wurden. Dies gilt zum anderen aber auch für grenzüberschreitende Zahlungen aus Deutschland an konzernangehörige Gesellschaften im Ausland, die dort gering oder gar nicht besteuert werden, oder den doppelten Ansatz von Betriebsausgaben im In- und 181

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Ausland. In all diesen Fällen wurde von der Unabgestimmtheit der jeweiligen Steuerregime Gebrauch gemacht. Während erstere Sachverhalte einfacher gesetzgeberisch geregelt (oder besser: beendet) werden konnten – in dem angesprochenen Sachverhalt durch Einfügung der §§ 4f, 5 Abs. 7 EStG1 –, müssen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten grundsätzlich zwei Gesetzgeber tätig werden, damit die Regelungen aufeinander abgestimmt werden können. Demzufolge hat sich auch die internationale Steuergemeinschaft in Form des OECD/G20-BPES-Projekts dieser Sachverhalte angenommen und durch die beiden Berichte zu hybriden Finanzierungsformen (zu BEPS-Aktionspunkt 2) und zu missbräuchlichen Gestaltungen (zu Aktionspunkt 5) Empfehlungen zu einer koordinierten Regelung vorgeschlagen. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Empfehlungen aufgenommen und beabsichtigt, eine umfassende Antimissbrauchsregelung gegen den – aus seiner Sicht – unangemessenen Ansatz von Betriebsausgaben in das EStG aufzunehmen.2 An einer Formulierung arbeitet seit geraumer Zeit eine Bund-/Länder-Arbeitsgruppe, die ihre Arbeiten aufgrund der verzögerten Regierungsbildung in Berlin noch nicht abschließen konnte. Zwischenzeitlich wurden aber bereits dort Regelungen aufgenommen, wo rascher Handlungsbedarf gesehen worden war. So wurde durch das BEPS-Umsetzungsgesetz Ende 2017 § 4i EStG eingeführt (und im Sommer 2017 durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz konkretisiert), der einen doppelten Abzug von Sonderbetriebsausgaben bei grenzüberschreitenden Mitunternehmerschaften beenden wollte. Durch das sog. Lizenzschrankengesetz wurde – ebenfalls im Sommer 2017 – durch einen § 4j EStG die 1 Vgl. auch BMF v 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100. 2 Vgl. insoweit den Vorstoß von Nordrhein-Westfalen im Bundesrat, das im Rahmen des ZollkodexAnpG die Einfügung eines § 4 Abs. 5a EStG forderte (BRDrucks. 432/1/14). Dieser sollte lauten: „Aufwendungen sind nicht als Betriebsausgaben abziehbar, soweit sie beim unmittelbaren oder mittelbaren Empfänger nicht als Einnahmen in der Steuerbemessungsgrundlage berücksichtigt werden oder einer Steuerbefreiung unterliegen, weil das zugrunde liegende Rechtsverhältnis bei der Besteuerung des Leistenden und des Empfängers nicht einheitlich als Fremdkapitalüberlassung behandelt wird. Die einer Betriebsausgabe zugrunde liegenden Aufwendungen sind nur abziehbar, soweit die nämlichen Aufwendungen nicht in einem anderen Staat die Steuerbemessungsgrundlage mindern. Satz 2 gilt nicht, wenn die Berücksichtigung der Aufwendungen ausschließlich dazu dient, einen Progressionsvorbehalt im Sinne des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder eine Steueranrechnung im Sinne des § 34c oder im Sinne des § 26 Abs. 1 KStG zu berücksichtigen.“

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Abzugsfähigkeit von Lizenzzahlungen in das Ausland begrenzt (sog. Lizenzschranke). Mit beiden Regelungen beschäftigt sich der nachfolgende Beitrag.

II. Versagung des doppelten Sonderbetriebsausgabenabzugs (§ 4i EStG) 1. Grundfall des § 4i EStG Beispiel 1:

F-SA

D KG

Bei der in Frankreich ansässigen F-SA entsteht Zinsaufwand aus der Finanzierung des Mitunternehmeranteils an der deutschen D-KG bzw. aus einer Finanzierung einer Einlage der F-SA in die D-KG. Die Darlehensschuld zur Refinanzierung ist Sonderbetriebsvermögen bei der D-KG und der inländischen Betriebsstätte der F-SA zuzuordnen.3 Folglich wird der Zinsaufwand sowohl in Deutschland als auch in Frankreich abgezogen (sog. double-dip). § 50d Abs. 10 EStG verhindert den doppelten Betriebsausgabenabzug nicht, da keine Sondervergütungen im Verhältnis Gesellschaft zu Gesellschafter geleistet werden, sondern es sich um Zahlungen im SBV II handelt.4 Im Einzelfall kann allenfalls geprüft werden, ob die Regeln zur Ermittlung des Dotationskapitals der Betriebsstätte dem Zinsabzug entgegenstehen.5 3 So auch BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFH/NV 2017, 685 = IStR 2017, 278 (mit Anm. Wacker) = GmbHR 2017, 425 (mit Anm. Unterberg); die Finanzverwaltung hat das BFH-Urteil noch nicht im BStBl. veröffentlicht, da sie aufgrund der weitreichenden Auswirkungen parallel ein BMF-Schreiben veröffentlichen möchte, das noch in der Diskussion ist. 4 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 = StEK Doppelbesteuerung Allgemein Nr. 283, Tz. 5.1.1. 5 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFH/NV 2017 = IStR 2017, 278 = GmbHR 2017, 425.

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen Resultiert im vorstehenden Beispiel der Zinsaufwand aus der Finanzierung eines von der F-SA an die D-KG gewährten unverzinslichen Darlehens, ist der Refinanzierungsaufwand nach Verwaltungsauffassung nach Art. 11 OECD-MA nicht der inländischen Betriebsstätte zuzuordnen. Bei Zugrundelegung der Verwaltungsauffassung stellt sich das Problem des doppelten Betriebsausgabenabzugs nicht.6 Eine der Verwaltungsauffassung entgegenstehende Auffassung ergibt sich u.E. auch nicht aus dem BFH-Urteil. v. 12.10.2016 – I R 92/12.

Ab dem VZ 2017 schließt in dem vorstehenden Beispiel 1 § 4i Satz 1 EStG den Abzug als Sonderbetriebsausgaben aus. Die Regelung ist u.E. auch dann einschlägig, wenn in Frankreich Verluste entstehen.7 Dies gilt auch dann, wenn diese nicht sofort nutzbar sind und in einen Verlustvortrag eingehen. Die Regelung ist u.E. unionsrechtskonform.8

2. Zweifelsfragen a) Verhältnis zu § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG Beispiel 2:

F-SA

D-KG

D-GmbH

Organschaft

6 Vgl. BMF v. 26.9.2014 – IV B 5 - S 1300/09/10003 – DOK 2014/0599097, BStBl. I 2014, 1258 = StEK Doppelbesteuerung Allgemein Nr. 283, Tz. 5.1.2 Beispiel 2; vgl. Heckerodt, IWB 2017, 720 (727). 7 So auch Kanzler, NWB 2017, 326 (329); Heckerodt, IWB 2017, 720 (725). 8 So auch Kanzler, NWB 2017, 326 (327); Wacker in Schmidt, EStG36, § 4i Rz. 7.

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen Bei der in Frankreich ansässigen F-SA entsteht Zinsaufwand aus der Finanzierung des Mitunternehmeranteils an der deutschen D-KG bzw. aus einer Finanzierung einer Einlage der F-SA in die D-KG. Die Darlehensschuld zur Refinanzierung ist Sonderbetriebsvermögen bei der D-KG und der inländischen Betriebsstätte der F-SA zuzuordnen. Fraglich ist, ob bezogen auf die Sonderbetriebsausgaben vorrangig § 4i EStG oder § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG zu prüfen ist. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG verbietet die Berücksichtigung von negativen Einkünften des Organträgers oder Organgesellschaft, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. U.E. ist § 4i EStG gegenüber § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG vorrangig, da § 4i EStG bereits auf der Ebene der Einkünfteermittlung ansetzt.9 Der BFH10 hat offengelassen, ob § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf eine Personengesellschaft als Organträger anwendbar ist. Weiter geht der BFH davon aus, dass die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG negative konsolidierte Einkünfte des Organträgers voraussetzt. Insoweit ist § 4i Satz 1 EStG weiter als § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG.

b) Verhältnis zu § 4h EStG/§ 8a KStG § 4h EStG und § 8a KStG (sog. Zinsschranke) regeln ebenfalls eine Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs. Anders als § 4i EStG, der zu einer endgültigen Versagung des Betriebsausgabenabzugs führt, sind im Rahmen der Zinsschranke Zinsaufwendungen abziehbar in Höhe des Zinsertrags und darüber hinaus bis zur Höhe des verrechenbaren EBITDA. Ein verbleibender nicht abziehbarer Betrag geht in den sog. Zinsvortrag ein. U.E. ist § 4i EStG lex specialis zu der Zinsschrankenregelung.11

9 Ebenso Weinberger, IStR 2017, 970 (975). 10 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, BFH/NV 2017 = IStR 2017, 278 = GmbHR 2017, 425. 11 Ebenso Prinz, GmbHR 2017, 553 (556); Heckerodt, IWB 2017, 720 (730).

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c) § 4i EStG und doppelstöckige Mitunternehmerschaften Beispiel 3:

Bei der in Frankreich ansässigen F-SA entsteht Zinsaufwand aus der Finanzierung des Mitunternehmeranteils an der deutschen E-KG bzw. aus einer Finanzierung einer Einlage der F-SA in die E-KG. Die F-SA bringt ihren Mitunternehmeranteil an der E-KG nach § 24 UmwStG in die D-KG ein.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung gilt § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG nicht für Sonderbetriebsvermögen II. Demgegenüber geht der BFH davon aus, dass die Regelung auch Sonderbetriebsvermögen II erfasst. Bei Zugrundlegung der BFH-Auffassung sind die Zinsen Sonderbetriebsausgaben bei der E-KG. Bei dieser ist u.E. § 4i Satz 1 EStG anwendbar.12

12 Zweifelnd Prinz, GmbHR 2017, 553 (557).

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen

3. Rückausnahme (§ 4i Satz 2 EStG) Beispiel 4:

US-Inc

D-KG

Bei der in den USA ansässigen US-Inc entsteht Zinsaufwand aus der Finanzierung des Mitunternehmeranteils an der deutschen D-KG bzw. aus einer Finanzierung einer Einlage der US-Inc in die D-KG. Die Darlehensschuld zur Refinanzierung ist Sonderbetriebsvermögen bei der D-KG und der inländischen Betriebsstätte der US-Inc zuzuordnen. Die Erträge aus der D-KG unterliegen bei der US-Inc wegen der Anwendung der Anrechnungsmethode der Besteuerung. Nach § 4i Satz 2 EStG können die Sonderbetriebsausgaben in Deutschland abgezogen werden. Die Rückausnahme nach § 4i Satz 2 EStG greift entsprechend, wenn der Mitunternehmer in einem Nicht-DBA-Staat ansässig ist.

Fraglich ist, ob § 4i Satz 2 EStG auch dann greift, wenn in dem vorstehenden Beispiel 4 die Erträge aus der KG in den USA wegen eines Gruppenbesteuerungssystems nicht bei der US-Inc selbst, sondern bei einer anderen Gesellschaft versteuert werden. § 4i Satz 2 EStG fordert nach seinem Wortlaut eine tatsächliche Besteuerung bei demselben Stpfl.

III. Einschränkung des Betriebsausgabenabzugs für Lizenzzahlungen (§ 4j EStG) 1. Hintergrund der Regelung Mit § 4j EStG13 (sog. Lizenzschranke) reagiert der Steuergesetzgeber auf die Erkenntnisse der OECD/G20, die im Rahmen des Aktionspunkts 5 („Wirksame Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksich-

13 BGBl. I 2017 v. 27.6.2017, 2074.

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen

tigung von Transparenz und Substanz“)14 des BEPS-Projekts15 gesammelt wurden.16 Ziel des Projekts ist es u.a., dass die Gewinne in dem Staat besteuert werden, in dem die zugrunde liegende Tätigkeit staatfindet. Hierzu wurden alle weltweit vorhandenen Präferenzsysteme untersucht und festgestellt, dass Lizenzzahlungen eine missbräuchliche Steuergestaltung darstellen.17 Bereits bestehende Sonderregelungen zu Lizenzboxen genießen vorerst Bestandsschutz und dürfen bis zum 30.6.2021 weiter angewandt werden, sofern der Stpfl. diese bis einschließlich des 30.6.2016 bereits in Anspruch genommen hat. Danach sollen die nationalen Lizenzboxregelungen an Kapitel 4 des oben genannten Abschlussberichts anknüpfen. Die Lizenzschranke ist ab dem 1.1.2018 anzuwenden.

2. Die Grundregel Nach § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG können Aufwendungen für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten,18 ungeachtet eines bestehenden Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur teilweise nach Maßgabe des § 4j Abs. 3 KStG abgezogen werden, wenn die Einnahmen beim Empfänger aufgrund einer sog. Präferenzregelung nicht oder niedrig besteuert werden, und der Gläubiger eine dem Schuldner nahestehende Person ist. Der Begriff der Aufwendungen ist wohl weit zu verstehen. Dies entspricht der Rspr. zu § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG.19 Die Regelung bedient hinsichtlich des Wortlauts und der verwendeten Rechtsbegriffe bekannter Elemente. So stimmt die wörtliche Ausgestaltung des Steuerobjekts mit § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG überein, so dass zur Auslegung des § 4j EStG auf das dortige Verständnis zurückgegriffen werden kann. Zur Definition des Rechtsbegriffs nahestehende Person ist auf § 1 Abs. 2 AStG zu verweisen. Unter Berück-

14 15 16 17

Vgl. einführend Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (418). Vgl. zum Überblick Benz/Eilers, IStR-Beih 2016, 1. BR-Drucks. 59/17, 8 ff.; Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514. Vgl. OECD/G20, Wirksame Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz. AKTIONS. 5 – Abschlussbericht 2015, (abrufbar unter: http://dx.doi.org/10.1787/9789264258037-de, zuletzt abgerufen am 23.10.2017), Paris 2016, 7 ff. 18 Beispielsweise: § 11 Urheberrechtsgesetz, § 2 Abs. 1 Designgesetz, § 1 Abs. 1 Patentgesetz, § 1 Abs. 1 Gebrauchsmustergesetz, § 3 Abs. 1 Markengesetz. 19 BFH v. 31.1.2012 – I R 105/10, BFH/NV 2012, 996; Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1562 f.); Heil/Pupeter, BB 2017, 795.

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sichtigung dieses systematischen Verweises ist auch nicht anzunehmen, dass Lizensierungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte von § 4j EStG erfasst werden, da diese keine nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG sind.20 Eine Präferenzregelung bzw. niedrige Besteuerung i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG liegt gem. § 4j Abs. 2 Satz 1 EStG vor, soweit die von der Regelbesteuerung21 abweichende ertragsteuerliche Belastung weniger als 25 %22 beträgt. Auch wenn die rein nationale Anwendung durch eine sog. Gewerbesteuer-Arbitrage – die Lizenzgesellschaft hat ihren Sitz in einer „Gewerbesteueroase“ (wie z.B. Eschborn oder Monheim) – theoretisch möglich erscheint, entspricht es dem Sinn und Zweck der Regelung sowie der Wertung des Wortlauts „Regelbesteuerung“, nur grenzüberschreitende Sachverhalte zu erfassen.23 Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, ist der abziehbare Teil der Aufwendungen gem. § 4j Abs. 3 EStG wie folgt zu ermitteln:

25% – Belastung durch Ertragsteuern in % 25% Beispiel 5: Die operativ tätige A-GmbH ist alleinige Gesellschafterin der in Luxemburg ansässigen B-SARL. Die B-SARL ist Inhaberin verschiedener lizenzierter Patente für Erfindungen, die sie von der A-GmbH durch deren FuE-Abteilung hat erstellen lassen. Ihr Geschäft besteht ausschließlich in der Verwaltung dieser Patente. Die B-SARL überlässt der A-GmbH für ihr operatives Geschäft gegen angemessene Zahlungen mehrere Lizenzen.

20 Boller in Haun/Kahle/Goebel/Reiser, Außensteuerrecht, § 1 Abs. 2 AStG Rz. 19; Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (207 f.); Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514 (516 f.); Heil/Pupeter, BB 2017, 795 (796, 798). 21 Vgl. zur Abgrenzung zur „Präferenzregelung“ Schneider/Junior, DStR 2017, 417(420). 22 Vgl. kritisch Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (421). 23 Vgl. detailliert Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (207 f.); Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514 (516 f.).

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Die Lizenzzahlungen führen bei der Lizenznehmerin A-GmbH zu Betriebsausgaben, die in Deutschland (bislang) grundsätzlich steuerlich abzugsfähig sind. Spiegelbildlich zu den Betriebsausgaben stellen die Einnahmen bei der Lizenzgeberin B-SARL Betriebseinnahmen dar. Diese sind zwar in Luxemburg steuerpflichtig, führen aber durch die steuerlichen Sonderregelungen der dortigen Lizenzbox zu einer Steuerlast i.H.v. 5,72 % der Lizenzeinkünfte. Es kann somit erreicht werden, dass der Ertrag aus der operativen Tätigkeit der A-GmbH über die Lizenzzahlungen nach Luxemburg verlagert und dort einer niedrigen Besteuerung durch das steuerliche Präferenzregime unterzogen wird. Wenn der Lizenzgeber in einem Staat ansässig ist, der keine Unternehmenssteuern erhebt, entfällt sogar jegliche Besteuerung des operativen Gewinns. Zu prüfen ist in dem Beispielsfall eine Hinzurechnung nach dem AStG, die bei einem Sitz der LizenzboxGesellschaft in einem EU- oder EWR-Staat bei entsprechender Gestaltung aufgrund des § 8 Abs. 2 AStG vermieden werden kann.

3. Durchleitungsfälle Soweit auch der Gläubiger i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG oder eine andere dem Schuldner nahestehende Person Aufwendungen i.S.d. 4j Abs. 1 Satz 1 EStG hat, aus denen sich die Rechte unmittelbar oder mittelbar ableiten, sind diese nach Maßgabe des § 4j Abs. 3 EStG abziehbar. Dieser sog. Durchleitungs- bzw. Zwischenschaltungsfall kommt jedoch nicht zur Anwendung, soweit die Abziehbarkeit bereits nach § 4j EStG beschränkt ist. Hinsichtlich der niedrigen Besteuerung gilt § 4j Abs. 2 Satz 1 a.E. EStG, so dass es auf die niedrigste Besteuerung innerhalb der Gestaltung ankommt.

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen Beispiel 6: Die operativ tätige A-GmbH ist alleinige Gesellschafterin der in Großbritannien ansässigen B-Ltd. Die B-Ltd ist wiederum alleinige Gesellschafterin der in Luxemburg ansässigen C-SARL. Die C-SARL ist Inhaberin verschiedener Lizenzen. Gegen ein angemessenes Entgelt überlässt die C-SARL der B-Ltd, diese wiederum gegen ein angemessenes Entgelt der A-GmbH mehrere Lizenzen zur Nutzung. Sowohl das Geschäft der C-SARL als auch der B-Ltd besteht ausschließlich in der Verwaltung dieser Lizenzen.

Die Lizenzaufwendungen der A-GmbH stellen zunächst Betriebsausgaben dar. Die korrespondierenden Einnahmen der B-Ltd werden zwar grundsätzlich in Großbritannien präferenziell besteuert, aufgrund der eigenen Lizenzaufwendungen der B-Ltd, die den Einnahmen nahezu, d.h. bis auf eine geringe Marge, gegenüberstehen, läuft das Präferenzregime aber tatsächlich leer. Nach § 4j Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG) ist aber ohnehin das Präferenzregime Luxemburgs maßgeblich. Da auch die B-Ltd an der C-SARL und die A-GmbH an der B-Ltd zu 100 % beteiligt sind, handelt es sich zudem jeweils um nahestehende Personen nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AStG. Die geringe Besteuerung in Großbritannien i.H.v. 10 % wird vernachlässigt (da dort keine Einkünfte besteuert werden). Für die A-GmbH ergibt sich eine außerbilanzielle Korrektur i.H.v. 77,12 % ([25 % ./. 5,72 %] 4 25 %) der Lizenzaufwendungen, da Lizenzeinkünfte in Luxemburg mit 5,72 % präferenziell besteuert werden.

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Probematisch ist, welcher Steuersatz zur Berechnung des Anteils der abzugsfähigen Aufwendungen in Deutschland gilt. Aus der Gesetzesbegründung24 und der folgerichtigen Wertung des § 4j Abs. 2 Satz 1 a.E. EStG sollte folgen, dass der jeweils niedrigste Steuersatz für die Berechnung maßgeblich ist.

4. Betriebsstättenfälle § 4j Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG gelten gem. § 4j Abs. 1 Satz 3 EStG auch dann, wenn es sich bei Schuldner oder Gläubiger um Betriebsstätten i.S.d. § 12 AO handelt, die im Hinblick auf das Steuerobjekt als Nutzungsberechtigter bzw. -verpflichteter behandelt werden. Wie bereits vorstehend ausgeführt, gilt dies aber nur, wenn eine Betriebsstätte auf Lizenznehmer- oder Lizenzgeberseite involviert ist, die jeweilige Gegenpartei aber eine dritte Person ist; das Stammhaus ist keine dritte Person in diesem Sinne.

5. Ausnahmen von der Grundregel a) Vereinbarkeit mit dem Modified Nexus Approach Eine Ausnahme von der Anwendung kommt dann in Betracht, wenn die Präferenzregelung dem sog. Modified Nexus-Ansatz25 der OECD/G20 entspricht. Im Gegensatz noch zu der Entwurfsfassung des § 4j EStG definiert die Gesetzesfassung diesen Ansatz nicht mehr in der Norm selbst, sondern durch den Verweis auf Kapital 4 des BEPS-Berichts zu Aktionspunkt 5, und zwar in der deutschsprachigen Fassung (§ 4j Abs. 1 Satz 4 EStG). Die Ausnahme kommt demnach zur Anwendung, wenn die Lizenzen selbst geschaffen oder – in geringem Umfang – erworben werden.26 Offen ist nach dem Gesetzeswortlaut und dem in Bezug genommenen Kapitel 4, ob die Schaffung der Lizenzen in demselben Land erfolgen muss, in dem auch die Lizenzgesellschaft ansässig ist. Aus der Historie des Nexus-Ansatzes dürfte dies wohl anzunehmen sein, und die Finanzverwaltung wird vermutlich auch diese Auffassung vertreten.

24 BR-Drucks. 59/17, 8. 25 Vgl. zur Entstehung Benz/Böhmer, IStR 2015, 380 (382); Pross/Radmanesh, IStR 2015, 579 (582 f.); Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (422 f.). 26 Vgl. hierzu i.E. Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (210); Heil/Pupeter, BB 2017, 795 (799); van Lück, IStR 2017, 388 (389); kritisch Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514 (521).

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Ob ein Staat ein schädliches Präferenzregime gewährt bzw. ob ein unschädliches Steuerregime gegeben ist, soll nach der Planung des BMF in einem BMF-Schreiben aufgenommen werden (durch eine schwarze oder eine weiße Liste).27 Diese kann an die Arbeiten des Forums on Harmful Tax Practices der OECD anknüpfen, die ohnehin eine Prüfung der weltweit angebotenen Systeme vornimmt. Eine solche Liste würde den Umgang mit § 4j EStG wesentlich vereinfachen, da die mühselige Prüfung durch den Stpfl. selbst entfallen könnte, ob ein Steuerregime die Anforderungen des Modified Nexus-Ansatzes erfüllt.28 b) Vorrang der Hinzurechnungsbesteuerung Eine weitere Ausnahme greift gem. § 4j Abs. 1 Satz 5 EStG ein, wenn aufgrund der Einnahmen, die aus den Aufwendungen resultieren, bereits ein Hinzurechnungsbetrag i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG anzusetzen ist.29 Damit soll eine Doppelbesteuerung vermieden werden. Fraglich ist aber, wie eine ausländische Hinzurechnungsbesteuerung in diesem Zusammenhang wirkt. Beispiel 7: Die Anteile an der C-GmbH mit Sitz in Deutschland werden zu 100 % von der B gehalten, die in einem Staat ansässig ist, der steuerliche Regelungen zu einer Lizenzbox aufweist, die nicht dem Modified Nexus-Ansatz entsprechen. Lizenzeinkünfte werden dort mit 5 % besteuert. Gegen ein angemessenes Entgelt überlässt die B der C-GmbH verschiedene Lizenzen zur Nutzung. Die Anteile an der B werden zu 100 % von der A gehalten, die in einem Staat ansässig ist, der eine Hinzurechnungsbesteuerung kennt. Dementsprechend werden die Lizenzeinkünfte der B auch dort mit 30 % besteuert. Eine Anrechnung der von B gezahlten Ertragsteuer ist nicht möglich. Das Geschäft der B besteht ausschließlich in der Verwaltung der Lizenzen.

27 Vgl. ebenso Heil/Pupeter, BB 2017, 795 (798). 28 Zur Frage, ob die Lizenzvergünstigungen des US-Steuerrechts nach der Steuerreform 2017 (FDII-Vergünstigungen) die Anforderungen des § 4j EStG erfüllen, vgl. Jochimsen, ISR 2018, 91 (97 f.); Zinowsky/Ellenrieder, IStR 2018, 134 (142); Loose/Engel, Ubg. 2018, 77 (81). 29 Vgl. detailliert Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514 (519 ff.); Holle/Weiss, FR 2017, 217 (222 f.).

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Die Lizenzaufwendungen der C-GmbH stellen zunächst Betriebsausgaben dar. Die korrespondierenden Einnahmen bei der B werden präferenziell besteuert. Fraglich ist aber, ob eine Besteuerung von unter 25 % vorliegt, wie § 4j Abs. 2 EStG dies fordert. Betrachtet man nur die B, ist die Frage zu bejahen. Betrachtet man die addierte Besteuerung von B und A, ist die Frage zu verneinen. Maßgeblich ist demnach, ob Deutschland im Rahmen des § 4j EStG verpflichtet ist, die Hinzurechnungsbesteuerung in dem Sitzstaat der Konzernobergesellschaft in die Betrachtung einzubeziehen. Nach dem Wortlaut der Norm ist dies zu verneinen, nach dem Sinn und Zweck aber wohl zu bejahen. Problematisch dürfte in diesem Zusammenhang der Nachweis über die (Gesamt-)Steuerbelastung zu erbringen sein.

6. Einbeziehung von deutscher Quellensteuer? Beispiel 8: Die Anteile30 an der operativ tätigen C-GmbH mit Sitz in Deutschland werden zu 100 % von der B gehalten, deren Anteile zu 100 % von der A gehalten werden. A und B sind in unterschiedlichen Drittstaaten D1 und D2 ansässig, die jeweils steuerliche Regelungen zu einer Lizenzbox (Steuersatz je 12 %) aufweisen, die nicht dem Modified Nexus-Ansatz entsprechen. A überlässt B entgeltlich Patente,

30 Beispiel nach Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (596).

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen die sie wiederum der C entgeltlich zur Verfügung stellt. A und B sind funktionslose Gesellschaften i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG, so dass es zu einem Kapitalertragsteuereinbehalt in Deutschland von 15 % auf die Lizenzzahlungen kommt (§§ 49 Abs. 1 Nr. 9, 50a Abs. 1 Nr. 3, 50g i.V.m. 50d Abs. 3 EStG). Die Quellensteuer kann nicht in D1 angerechnet werden. Fraglich ist, ob die Lizenzschranke greift.

§ 4j EStG tätigt keine Aussage darüber, ob eine inländische Quellenbesteuerungsbelastung zur ausländischen Präferenzbesteuerungsbelastung zu addieren ist. Zugleich schreibt die Norm aber auch nicht vor, dass es sich bei der zu vergleichenden Regel- und Präferenzbesteuerung um solche desselben Staats handeln muss. Mit guten Argumenten kann deshalb der Standpunkt vertreten werden, dass es sich bei der in Deutschland erfolgenden Quellenbesteuerung um eine Position handelt, die in die Ermittlung, ob eine niedrige Besteuerung – unter Berücksichtigung einer präferenziellen Besteuerung im Übrigen – vorliegt, mit aufzunehmen ist. Danach ergäbe sich eine Gesamtbelastung der Lizenzeinnahmen von 27 %. Bei einer eingliedrigen Struktur läge damit keine Niedrigbesteuerung i.S.d. § 4j Abs. 2 EStG vor. Da vorliegend die Lizenzzahlungen jedoch konzernintern weitergeleitet werden, eine weitere Quellenbesteuerung nicht erfolgt, die deutsche Quellenbesteuerung aber zugleich technisch nur für die Einkünfte der B erfolgt, ergibt sich eine präferenzielle Besteuerung der Lizenzeinkünfte auf Ebene der A von 12 %. Dies könnte wegen § 4j Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 EStG dazu führen, dass die Lizenzaufwendungen

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Pung/Benz, Neue steuerliche Abzugsbeschränkungen der C-GmbH i.H.v. 52 % ([25 % ./. 12 %] 4 25 %) außerbilanziell hinzuzurechnen sind. U.E. ist aber auch das nicht der Fall, da die Gesamtsteuerbelastung der Lizenzaufwendungen – unter Einbeziehung der deutschen Quellensteuer gem. § 50a EStG – mehr als 25 % beträgt.

7. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht a) Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht Verfassungsrechtliche Schwierigkeiten ergeben sich zum einen durch den Verweis auf den Nexus-Ansatz und zum anderen bei der Vereinbarkeit mit Art. 3 GG. So bedient sich der Steuergesetzgeber in § 4j Abs. 2 Satz 4 EStG der Anknüpfung an den sog. Modified Nexus-Ansatz, ohne diesen selbst zu erläutern. In der Fußnote des Gesetzestexts wird auf einen Link, unter dem der (deutschsprachige) BEPS-Bericht zu Aktionspunkt 5 im Internet abgerufen werden kann, verwiesen. Dies erscheint vor dem Hintergrund der strengen formellen Anforderungen an einen Gesetzgebungsakt nicht unkritisch. Die Rspr. unterscheidet zwischen sog. statischen und dynamischen Verweisungen und erkennt diese gesetzgeberische Technik insoweit an, wie sie dem Rechtstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG entspricht.31 Hier ergeben sich u.E. keine Zweifel. Probleme treten allerdings auf, wenn die Quelle nicht mehr in der Verantwortung des Steuergesetzgebers liegt. Der Verweis auf eine Quelle, die im Verantwortungsbereich der OECD liegt, ist deswegen problematisch, da der Gesetzgeber nicht sicherstellen kann, dass das Dokument immer verfügbar ist bzw. keine Änderungen innerhalb des Dokuments vorgenommen werden. Allerdings wird auf einen feststehenden Text verwiesen, der keinen Änderungen mehr unterliegt, so dass diese Verweistechnik verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte. Ein weiteres Problem liegt in Kapitel 4 des Berichts zu Aktionspunkt 5 selbst, das den Modified Nexus-Ansatz deskriptiv über viele Seiten beschreibt. Es ist Wesen eines Gesetzes, dass dieses abstrakt-generell und gerade nicht deskriptiv ist. Ob dies dem Bestimmtheitsgebot gem. Art. 20 Abs. 3 GG entspricht, ist fraglich.32 Zudem handelt es sich bei den Erkenntnissen der OECD/G20 um Empfehlungen an die Regierungen (bzw. Selbstverpflichtungen der Regierungen selbst). Daher stellt sich weiter-

31 BVerfG v. 21.9.2016 – 2 BvL 1/15, BVerfGE 143, 38, Rz. 42 f.; BFH v. 24.8.2004 – VII R 23/03, BFHE 207, 88, Rz. 17 ff. 32 Heil/Pupeter, BB 2017, 1947 (1949); Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (600).

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hin die Frage, inwieweit diese in den Normsetzungsprozess in dieser Weise einbezogen werden können.33 Schließlich ist die OECD dem Stpfl. gegenüber nicht demokratisch bzw. unionsrechtlich legitimiert. All das sollte aber durch den Verweis auf einen bestehenden Text nicht zu einer Verfassungswidrigkeit der Norm führen. Mit § 4j EStG, als typisierender Vorschrift,34 durchbricht der Steuergesetzgeber jedoch auch das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte objektive Nettoprinzip35.36 Dies könnte dadurch gerechtfertigt sein, dass der Steuergesetzgeber mit der Vorschrift den Zweck verfolgt, steuerliche Missbrauchsstrategien, die durch immaterielle Wirtschaftsgüter entstehen, zu bekämpfen und so eine faire Besteuerung zu sichern.37 Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass das Leitbild der Typisierung unzulässigerweise ein atypischer Fall ist, da sich lediglich 15 Staaten Lizenzboxregelungen bedienen.38 Zudem sind von der Regelung auch solche Fälle betroffen, die nicht missbräuchlich sind.39 Der Gesetzgeber verspricht sich von der Regelung Steuermehreinnahmen i.H.v. bis zu 50 Mio. Euro. Nichtsdestotrotz können rein (qualifiziert-)fiskalische Zwecke eine Ungleichbehandlung nach Ansicht des BFH nicht rechtfertigen.40 U.E. rechtfertigt dies aber nicht, dass der Zweck des § 4j EStG in der Bekämpfung von Steuervermeidungen liegt und damit einen Rechtfertigungsgrund enthält. Im Hinblick auf das für Kapitalgesellschaften geltende System des Trennungsprinzips entstehen weitere Schwierigkeiten. Schließlich erfolgt in Deutschland gerade keine Konzernbesteuerung. So kommt diesbezüglich ein Verstoß gegen das Trennungsprinzip41 in Betracht, was u.E. noch am ehesten gegen eine Verfassungsmäßigkeit der Norm sprechen könnte.42

33 34 35 36 37 38 39 40

41 42

Vgl. ebenso Haarmann, BB 2017, Heft 1, I. Vgl. zum Begriff Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 3 Rz. 23 f. Vgl. mwN Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht23, § 8 Rz. 54. Vgl. so u.a. Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (599). Vgl. kritisch Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (211). BR-Drucks. 59/17, 2; vgl. zur Vereinbarkeit mit Art. 107 Abs. 1 AEUV Thiede, IStR 2016, 283 (284 ff.). Heil/Pupeter, BB 2017, 1947 (1951). Vgl. BFH v. 18.12.2013 – I B 85/13, BFHE 244, 30 = FR 2014, 560, Rz. 22; Heil/ Pupeter, BB 2017, 795 (800); Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (599 f.). BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, DB 2017, 1124 = FR 2017, 577. Vgl. ebenso Haarmann, BB 2017, Heft 1, I; Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514 (516); Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (424 f.).

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Im Ergebnis wird nur das BVerfG Licht ins Dunkel der oben aufgeworfenen Fragen bringen können. b) Vereinbarkeit mit Unionsrecht Im Rahmen der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ist beiläufig auch die Zins- und Lizenzrichtlinie43 zu erwähnen. Diese betrifft jedoch lediglich die Situation des Zinsgläubigers, und eine darüberhinausgehende Anwendung ist nach Ansicht des EuGH nicht möglich.44 Eher ist die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten zu prüfen. Da nur an innerkonzernliche Zahlungen zwischen nahestehenden Personen angeknüpft wird, ist vornehmlich die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV und ggf. die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 56 AEUV beeinträchtigt. Da es keine innerdeutsche Präferenzbesteuerung gibt und die grenzüberschreitende Zahlung im Fokus der Regelung steht, liegt eine Diskriminierung vor. Der EuGH hat in st.Rspr. die Rechtfertigung aufgrund der Interessen der Allgemeinheit anerkannt. Ob die Regelung zur sog. Abwehr steuerlichen Missbrauchs45 in Betracht kommt, bleibt abzuwarten.46 Schließlich begründet das Ziel, steuerliche Vorteile in anderen Mitgliedstaaten mittels grenzüberschreitender Gestaltungen zu sichern, noch keinen Missbrauch. Die Rechtfertigung zur sog. Wahrung der gleichmäßigen Aufteilung der Besteuerung47 hat der EuGH bisher lediglich in grenzüberschreitenden Fällen erwogen. Dem steht das Souveränitätsinteresse des deutschen Besteuerungsstaats gegenüber. Eine Rechtfertigung durch die sog. steuerlichen Kohärenz48 soll nach van Lück nicht in Frage kommen, da es an der strengen Wechselbeziehung der Grenzüberschreitung zur Lizenzzahlung fehle.49 U.E. sollte der Eingriff in die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt sein.50 43 Richtlinie 2003/49/EG des Rates über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten v. 3.6.2003, ABl. EG Nr. L 157, 49. 44 EuGH v. 21.7.2011 – C-397/09 (Scheuten Solar Technology), EuGHE 2011, I-6455 = GmbHR 2011, 935, Rz. 28. 45 Vgl. bspw. EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02 (Hughes de Lasteyrie du Saillant), EuGHE 2004, I-2431 = FR 2004, 659. 46 Vgl. kritisch: Drummer, IStR 2017, 602 (603 f.). 47 Vgl. bspw. EuGH v. 13.12.2005 – C-446/03 (Marks & Spencer), EuGHE 2005, I-10866 = FR 2006, 177. 48 Vgl. bspw. EuGH v. 11.8.1995 – C-80/94 (Wielockx), EuGHE 1995, I-2493. 49 van Lück, IStR 2017, 388 (392). 50 A.A. Schnitger, DB 2018, 147.

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c) Treaty Override/BEPS Override § 4j EStG gilt ungeachtet eines bestehenden Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung. Hierin kann durchaus ein sog. Treaty Override gesehen werden. Die Besteuerung der Lizenzeinnahme bleibt von § 4j EStG unberührt, so dass kein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 OECDMA in Betracht kommt.51 Vielmehr ist ein Verstoß gegen Art. 24 Abs. 4 OECD-MA (Antidiskriminierungsvorschrift) möglich.52 Aus praktischer Sicht ist dies jedoch ohne Belang, da ein Treaty Override nach Ansicht des BVerfG zulässig ist.53 Ein sog. BEPS Override kommt dadurch in Betracht, dass § 4j EStG bereits zum 1.1.2018 in Kraft tritt. Aktionspunkt 5 des BEPS-Abschlussberichts entfaltet seine volle Wirkung jedoch erst am 1.7.2021. Aus Sicht des BMF handelt es sich bei § 4j EStG auch dann nicht um einen BEPS Override, da die Regelung beim Lizenznehmer und nicht, wie Aktionspunkt 5, bei dem Lizenzgeber anknüpft.

51 Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (211). 52 Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1562 f.); Geurts/Staccioli, IStR 2017, 514(515). 53 BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 = FR 2016, 326, Rz. 77 ff.; a.A. Stöber, DStR 2016, 1889 (1891 f.).

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Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr Oberregierungsrat Thomas Stimpel Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen Professor Dr. Andreas Schumacher Steuerberater, Bonn I. Grundlagen (Schumacher) II. Probleme bei Feststellung und Bescheinigung (Stimpel) 1. Vergessene Zugänge 2. Bedeutung der Steuerbescheinigung 3. Sonderproblem bei verdeckten Gewinnausschüttungen III. Einlagerückgewähr von EUGesellschaften (Schumacher) IV. Einlagerückgewähr von Drittstaatengesellschaften (Schumacher) V. Sonderprobleme bei Einbringungen (Stimpel)

1. Auswirkung der Einbringung auf das steuerliche Einlagekonto 2. Besonderheiten bezgl. des. sog. Luftpostens 3. Rückwirkende Versteuerung eines Einbringungsgewinns VI. Eigene Anteile (Stimpel) 1. Handelsrechtliche Grundlagen 2. Steuerliche Behandlung a) Erwerb eigener Anteile b) Veräußerung eigener Anteile c) Verbilligter Erwerb eigener Anteile eine Gestaltungsoption?

I. Grundlagen (Schumacher) Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG gehören Bezüge aus Anteilen an Kapitalgesellschaften nicht zu den Einnahmen, soweit für sie Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto i.S.d. § 27 KStG als verwendet gelten. Bei einer Beteiligung im Betriebsvermögen erfolgt in diesem Fall eine erfolgsneutrale Verrechnung der Ausschüttung mit dem Beteiligungsbuchwert.1 1 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 51/09, BStBl. II 2014, 937 = FR 2010, 1148, Rz. 19; v. 16.3.1994 – I R 70/92, BStBl. II 1994, 527 = GmbHR 1994, 633, m.w.N.; H 20.2 „Einlagenrückgewähr“ EStH i.V.m. BMF v. 9.1.1987 – IV B 2 - S 2143 24/86, BStBl. I 1987, 171 = StEK EStG § 4 BetrEinn. Nr. 43; implizit BMF v. 28.4.2003 – IV A 2 - S 2750a - 7/03, BStBl. I 2003, 292 = FR 2003, 528, Rz. 6: keine Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG, sondern Anwendung des § 8b Abs. 2 KStG, soweit die Einlagenrückgewähr den Buchwert der Beteiligung übersteigt.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr

Ein die Anschaffungskosten übersteigender Betrag unterliegt im Privatvermögen unter den Voraussetzungen des § 17 EStG dem Teileinkünfteverfahren (§ 17 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c Satz 2 EStG) bzw. führen bei nach dem 31.12.2008 erworbenen und nicht unter § 17 EStG fallenden Anteilen zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage im Rahmen der Abgeltungsteuer bei einer späteren Veräußerung (negative Anschaffungskosten). Im Betriebsvermögen ist der entstehende Gewinn nach zutreffender Verwaltungsauffassung wie ein Veräußerungsgewinn zu behandeln.2 Wegen der steuerneutralen Verrechnung mit den Anschaffungskosten bzw. dem Buchwert hat die zutreffende Ermittlung der Einlagenrückgewähr eine erhebliche steuerliche Bedeutung für die Besteuerung der Gesellschafter. Dies gilt in besonderer Weise bei sperrfristbehafteten Anteilen, da insoweit der Ersatzrealisationstatbestand nach § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG nicht greift.3 Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG mindern Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital unabhängig von ihrer handelsrechtlichen Einordnung – z.B. als Ausschüttung aus der Kapitalrücklage – das steuerliche Einlagekonto nur, soweit sie den auf den Schluss des vorausgegangenen Wirtschaftsjahrs ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigen: Leistungen des Wirtschaftsjahrs ./. ausschüttbarer Gewinn = Minderung des Einlagekontos (höchstens Bestand des Einlagekontos; § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG) Nach dieser gesetzlichen Regelung ist grundsätzlich kein „Direktzugriff“ auf das steuerliche Einlagekonto möglich.4 Als ausschüttbarer Gewinn gilt gem. § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos:

2 Zu § 8b Abs. 2 KStG vgl. BMF v. 28.4.2003, BStBl. I 2003, 292 = FR 2003, 528, Rz. 6, offen in BFH v. 28.10.2009 – I R 116/08, BStBl. II 2011, 898 = FR 2010, 578, Rz. 13; verneinend Gosch in Gosch, KStG3, § 8b Rz. 106 f. 3 Vgl. dazu BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 22.24. 4 Vgl. BFH v. 11.2.2015 – I R 3/14, BStBl. II 2015, 816 = GmbHR 2015, 876, Rz. 10; v. 30.1.2013 – I R 35/11, BStBl. II 2013, 560 = GmbHR 2013, 716, Rz. 26.

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Eigenkapital laut Steuerbilanz ./. Nennkapital ./. steuerliches Einlagekonto = ausschüttbarer Gewinn Leistungen i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG sind alle Auskehrungen, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben.5 Erfasst werden für Zwecke des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG Leistungen, die im Wirtschaftsjahr erbracht, d.h. abgeflossen sind.6 Die Leistung ist somit noch nicht erfolgt, wenn sie lediglich als Verpflichtung gegenüber dem Anteilseigner passiviert wird; der Abfluss erfolgt erst mit tatsächlicher Zahlung oder mit dem Untergang der Verbindlichkeit in anderer Weise (z.B. Aufrechnung).7 Abweichend von dieser Verwendungsfiktion erfolgt in folgenden Fällen ausnahmsweise ein „Direktzugriff“ auf das steuerliche Einlagekonto: –

gem. § 27 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 KStG, soweit eine Kapitalherabsetzung mit Rückzahlung des Nennkapitals an den Anteilseigner erfolgt8 und kein Sonderausweis i.S.d. § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG (in Nennkapital umgewandelte Gewinnrücklagen) besteht;



gem. § 27 Abs. 6 KStG bei organschaftlichen Mehrabführungen i.S.d. § 14 Abs. 4 KStG;9



nach h.M. beim Wiederaufleben einer Forderung nach vorherigem Verzicht auf eine werthaltige Forderung mit Besserungsschein.10

Doch auch die Verwendungsfiktion kann zu einer „zu frühen“ oder „zu späten“ Verwendung des steuerlichen Einlagekontos führen. Denn für

5 Vgl. BFH v. 30.1.2013 – I R 35/11, BStBl. II 2013, 560 = GmbHR 2013, 716, Rz. 16; BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682, Rz. 11. 6 Vgl. BFH v. 30.1.2013 – I R 35/11, BStBl. II 2013, 560 = GmbHR 2013, 716, Rz. 16. 7 Vgl. BMF v. 6.11.2003 – IV A 2 - S 1910 - 156/03, BStBl. I 2003, 575 = FR 2003, 1254, Rz. 7; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 45c. 8 Zur Abgrenzung vgl. BFH v. 21.10.2014 – I R 31/13, BStBl. II 2016, 411 = GmbHR 2015, 374. 9 Zur Einstufung der Abführung eines Ertragszuschusses als organschaftliche Mehrabführung vgl. BFH v. 15.3.2017 – I R 67/15, BFH/NV 2017, 1276 = GmbHR 2017, 991. 10 Vgl. BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682, Rz. 29 zur Rechtslage vor SEStEG; diese Verwaltungsauffassung gilt dem Vernehmen nach unverändert fort.

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die Frage, auf welchen Stichtag der ausschüttbare Gewinn zu ermitteln ist, stellt § 27 KStG unterschiedslos auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ab und differenziert nicht danach, ob es sich um eine Ausschüttung für ein abgelaufenes oder um eine Vorabausschüttung für ein laufendes Wirtschaftsjahr handelt.11 Zugänge und Abgänge des laufenden Wirtschaftsjahres beeinflussen daher den ausschüttbaren Gewinn nicht.12 Dies gilt auch für die Ermittlung der Höhe des steuerlichen Einlagekontos.13 Beispiel: Die A GmbH weist zum 31.12.2016 in der Steuerbilanz ein Eigenkapital i.H.v. 200 000 Euro aus (Stammkapital 50 000 Euro, Einlagekonto 150 000 Euro). Sie erzielt im Wirtschaftsjahr 2017 einen steuerlichen Gewinn i.H.v. 450 000 Euro; Einlagen oder Leistungen erfolgen nicht. Im Dezember 2017 beschließt die Gesellschafterversammlung eine Vorabausschüttung i.H.v. 450 000 Euro, die dem Beschluss entsprechend im Januar 2018 ausgezahlt wird. Erfolgt eine Verwendung des Einlagekontos?

Vorabausschüttungen sind Leistungen, die erst bei Abfluss – d.h. im Beispiel im Januar 2018 – zu berücksichtigen sind.14 Ausschüttungsverbindlichkeiten stellen in Handels- und Steuerbilanz – im Beispiel zum 31.12.2017 – Fremdkapital dar.15 Daher erfolgt im Einklang mit dem Wortlaut der Vorschrift und der stichtagsbezogenen Systematik des § 27 Abs. 1 KStG ein Abzug von Ausschüttungsverbindlichkeiten bei der Ermittlung des Eigenkapitals für Zwecke der Verwendungsfiktion.16 Dies steht im Einklang mit der Rspr. des BFH, der im Hinblick auf die „zu frü-

11 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 51/09, BStBl. II 2014, 937 = FR 2010, 1148, Rz. 30. 12 Vgl. BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682, Rz. 15. 13 Vgl. BFH v. 30.1.2013 – I R 35/11, BStBl. II 2013, 560 = GmbHR 2013, 716; v. 19.7.2017 – I R 96/15, BFH/NV 2018, 237 = GmbHR 2018, 206. 14 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 51/09, BStBl. II 2014, 937 = FR 2010, 1148, Rz. 30; Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 45, Stimpel in Rödder/ Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 59. 15 Vgl. BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126, Rz. 48 in juris; Grottel/Waubke in Beck BilKomm.11, § 268 HGB Rz. 7. 16 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 41a, 74; Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz. 66; Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 89; Ott, DStR 2017, 1505 (1508); Endert in Frotscher/Drüen, § 27 KStG Rz. 76; kritisch Antweiler in Ernst & Young, KStG, § 27 Rz. 149 f.

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he“ Verwendung des Einlagekontos bei Vorabausschüttungen, die im gleichen Wirtschaftsjahr abfließen, festgestellt hat, dass der Wortlaut des Gesetzes auch dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Der Gesetzgeber habe nur in § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG angeordnet, dass das Einlagekonto grundsätzlich durch Leistungen nicht negativ werden kann.17 Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung liegt in dem mit einer Ausschüttungsverbindlichkeit vergleichbaren Fall, dass eine Rückstellung oder eine Verbindlichkeit auf einer außerhalb der Steuerbilanz zu korrigierenden verdeckten Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG beruht, Fremdkapital für Zwecke des § 27 Abs. 1 KStG vor.18 Daher mindert im Beispiel die Ausschüttungsverbindlichkeit das Eigenkapital zum 31.12.2017, so dass dieses unter Berücksichtigung des in 2017 entstandenen Gewinns unverändert 200 000 Euro beträgt. Die Verwendungsfiktion führt daher zu einer vollständigen Verwendung des Einlagekontos (dabei ist zu beachten, dass das Einlagekonto gem. § 27 Abs. 1 Satz 4 KStG durch Leistungen nicht negativ werden kann): Leistung im Wirtschaftsjahr 2018 Eigenkapital Steuerbilanz 31.12.2017 Stammkapital Einlagekonto Ausschüttbarer Gewinn Übersteigender Betrag der Leistung Leistung aus dem Einlagekonto

450 000 Euro 200 000 Euro – 50 000 Euro – 150 000 Euro 0

0 450 000 Euro 150 000 Euro

II. Probleme bei Feststellung und Bescheinigung (Stimpel) 1. Vergessene Zugänge Das steuerliche Einlagekonto ist gem. § 27 Abs. 1 Satz 2 KStG ausgehend von dem Bestand zum Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs jährlich unter Berücksichtigung der im Wirtschaftsjahr erfolgten Zu- und Abgänge fortzuschreiben. Die jährliche Feststellung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG hat zwingend für jede Kapitalgesellschaft zu erfolgen, für die ein steuerliches Einlagekonto zu ermitteln ist. Sind keinerlei Einlagen erfolgt, ist jeweils ein Nullbestand zum Ende des Wirtschaftsjahrs fest17 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 51/09, BStBl. II 2014, 937 = FR 2010, 1148, Rz. 30. 18 Vgl. BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682, Rz. 16. So auch die h.M.; vgl. z.B. Bauschatz in Gosch, KStG3, § 27 Rz. 59.

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zustellen.19 Ist zwar zum Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ein positiver Bestand des steuerlichen Einlagekontos festgestellt worden, haben sich aber im laufenden Wirtschaftsjahrs keine Zu- und Abgänge ergeben, wird der Vorjahresbestand betragsmäßig unverändert fortgeführt und zum Ende des Wirtschaftsjahrs in gleicher Höhe wieder gesondert festgestellt. Der fortgeschriebene Wert ist zum Ende des jeweiligen Wirtschaftsjahrs zu ermitteln und gem. § 27 Abs. 2 KStG auf diesen Stichtag gesondert festzustellen. Die einzelnen Feststellungen bauen in einer Art Gliederungszusammenhang aufeinander auf, was verfahrensrechtlich dadurch abgesichert ist, dass der Bescheid über die gesonderte Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos Grundlagenbescheid für den Bescheid über die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum folgenden Feststellungszeitpunkt ist (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG). Dies bedeutet, dass der festgestellte Endbestand zwingend und unabweislich als Anfangsbestand zu übernehmen ist. Gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 KStG stellen die Feststellungsbescheide in ihrer zeitlichen Abfolge Grundlagen- bzw. Folgebescheiden dar. Auf der Grundlage des bindend festgestellten Werts zum Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs ist die Höhe des zum Ende des Wirtschaftsjahrs festzustellenden Bestands des Einlagekontos unter Berücksichtigung von Zuund Abgängen im Wirtschaftsjahr zu ermitteln. Die gesonderte Feststellung entfaltet in persönlicher Hinsicht nur Grundlagenwirkung für die betreffende GmbH hinsichtlich der Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos. Eine verfahrensrechtliche Bindungswirkung für die Besteuerung des Gesellschafters ergibt sich nicht. Tatsächlich sind die Feststellungen aber auch für den Gesellschafter bindend, da zwischen der Feststellung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos und der hieraus abgeleiteten Verwendung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG eine materiell-rechtliche Bindungswirkung für die Anwendung von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG auf der Ebene des Gesellschafters besteht.20 Häufig sind in der Praxis Fälle anzutreffen, in denen der Bestand des steuerlichen Einlagekontos zu niedrig festgestellt worden ist, weil Zu-

19 Vgl. Antweiler in Ernst & Young, KStG, § 27 Rz. 186. 20 Vgl. Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 115 und Rz. 108 m.w.N.

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gänge durch Einlagen unberücksichtigt geblieben sind. Das kann insbes. bei offenen Einlagen in Gestalt von Zuzahlungen in die Kapitalrücklage schnell passieren, weil insoweit bei der GmbH bei der steuerlichen Einkommensermittlung keine Korrekturen vonnöten sind. Fraglich ist, ob man und wenn ja wie die fehlerhafte Nichterfassung des Zugangs zum steuerlichen Einlagekonto „reparieren“ kann. Dies ist insbes. vor dem Hintergrund der Gesellschafterbesteuerung von Bedeutung, weil nur festgestelltes steuerliches Einlagekonto eine Einlagenrückgewähr i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ermöglichen kann. Die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids bezieht sich gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 KStG auf den festgestellten Bestand des steuerlichen Einlagekontos. Hierbei entfaltet auch eine unzutreffende Feststellung uneingeschränkte Bindungswirkung und kann nicht durch die nachträgliche Erfassung des Zugangs im ersten offenen Jahr geheilt werden.21 Denn die Einlage ist ein Sachverhalt des Einlagejahrs, so dass ausschließlich in diesem Jahr mit bindender Wirkung über die Auswirkung auf den Bestand des steuerlichen Einlagekontos zu befinden ist. Die im Einzelfall entscheidende Frage ist demnach, ob der Feststellungsbescheid i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG des Einlagejahrs nach den Vorschriften der AO geändert werden kann. Sofern der Zugang beim steuerlichen Einlagekonto in der Feststellungserklärung versehentlich vergessen worden ist, stellt sich die Frage des Vorliegens einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO. Da die Möglichkeit einer fehlerhaften Rechtsanwendung in diesen Sachverhalten zumindest bei derartigen unterbliebenen Zugängen eher ausscheiden dürfe, wird es letztlich wohl darauf ankommen, ob der Fehler offensichtlich i.S.v. § 129 AO ist. Ist der Steuererklärung eine Bilanz beigefügt worden, aus der der Zugang bei den Kapitalrücklagen erkennbar ist, würde dies eine Indiz für die Offensichtlichkeit des Fehlers sein. Diese Thematik hat in der jüngeren Vergangenheit die finanzgerichtliche Rspr. in mehreren Verfahren beschäftigt. Das FG Köln bejahte eine Anwendung von § 129 AO, da der Zugang der Kapitalrücklage im Urteilsfall aus der eingereichten Bilanz eindeutig hervorging und folglich ein Versehen und keine falsche rechtliche Würdigung ursächlich für die Nichtberücksichtigung des Zugangs zum steuerlichen Einlagekonto waren. In einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation hat demhingegen das FG Münster22 eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO verneint.

21 So auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 114. 22 FG Münster v. 25.2.2014 – 9 K 840/12 K,F, EFG 2014, 1155, rkr.

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Während das FG Köln23 eine Anwendung von § 129 AO bejahte, verneinte das FG Münster24 in einer ähnlichen Sachverhaltskonstellation eine offenbare Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO. Bei genauerer Betrachtung erklären sich die unterschiedlichen Urteilstenöre aufgrund der unterschiedlichen Sachverhalte. Im Urteilsfall des FG Köln war aus den vorliegenden Unterlagen (Jahresabschluss, Vertrag, Prüfungsbericht zum Jahresabschluss usw.) nicht nur der Stand der Kapitalrücklage, sondern auch deren Zusammensetzung bzw. der Einlagenzufluss eindeutig erkennbar. Rechtliche Überlegungen oder Sachverhaltsermittlungen waren somit nicht mehr erforderlich. Es handelt sich somit um ein bloßes Übersehen und damit ein mechanisches Versehen und eine ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S.d. § 129 AO. Im Urteilsfall des FG Münster war aus dem Jahresabschluss nur der Stand der Kapitalrücklage erkennbar, nicht aber deren konkrete Zusammensetzung bzw. ob bereits Zuflüsse von Einlagen o.ä. erfolgt sind. Da es für das steuerliche Einlagenkonto unmittelbar auf den Zufluss ankommt (§ 27 Abs. 1 KStG) und Kapitalrücklage und steuerliches Einlagekonto nicht zwingend identisch sind, wären für einen zutreffenden Ansatz rechtliche Überlegungen und Sachverhaltsermittlungen nötig gewesen. Ist der Ansatz von 0 Euro jedoch auf falsche rechtlich Überlegungen bzw. unterbliebene Sachverhaltsermittlung zurückzuführen bzw. der zutreffende Ansatz nicht ohne weitere Überlegungen und Ermittlungen „offenbar“, ist § 129 AO nicht anwendbar. Der BFH hat mit Urteil vom 20.8.201425 die Anwendung von § 129 AO zur Nachholung eines unterbliebenen Zugangs zum steuerlichen Einlagekonto abgelehnt. Dies ist hier aber den Besonderheiten des Einzelfalls geschuldet gewesen. Im entschiedenen Fall erörterte das Finanzamt bei Bearbeitung der Steuererklärung den fraglichen Einlagevorgang und erfasste daraufhin erklärungsgemäß keinen Zugang zum steuerlichen Einlagekonto. Bei einem derartigen Geschehensablauf muss davon auszugehen sein, dass eine falsche Rechtsanwendung und gerade kein Versehen ursächlich für die Nichterfassung der Einlage sind. Die Frage, ob Feststellungen des steuerlichen Einlagekontos nach § 129 AO geändert werden können, ist folglich nicht pauschal zu beantworten, sondern bedarf immer einer Einzelfallprüfung, wobei die Voraussetzungen des § 129 AO in vielen Fallkonstellationen nicht vorliegen dürften. 23 FG Köln v. 6.3.2012 – 13 K 1250/10, EFG 2014, 417, rkr. 24 FG Münster v. 25.2.2014 – 9 K 840/12 K,F, EFG 2014, 1155, rkr. 25 BFH v. 20.8.2014 – I R 60/13, BFH/NV 2015, 148 in Bestätigung des Urteils des FG Nürnberg v. 25.6.2013 – 1 K 1195/12, n.v.

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Sei es wegen fehlender Offensichtlichkeit, wegen einschlägiger komplexer Bewertungsfragen (Fälle des Forderungsverzichts), oder weil aus anderen Gründen Zeitpunkt und Höhe des Zugangs rechtliche Auslegungsfragen eröffnen.26 Im Sachverhalt des rechtskräftigen Urteils des FG Berlin-Brandenburg vom 13.10.201627 ging es um die nachträgliche Berücksichtigung von vergessenen Zugängen zum steuerlichen Einlagekonto. Zunächst bejahte das FG das Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit i.S.v. § 129 AO, da aus den vorgelegten Bilanzunterlagen klar und unmissverständlich hervorgegangen ist, dass im Streitjahr eine Zuzahlung in die Kapitalrücklagen erfolgt sei. Der daraus resultierende Zugang zum steuerlichen Einlagekonto sei bei Erstellung der Feststellungerklärung vergessen worden. Diese offenbare Unrichtigkeit hat sich sodann das Finanzamt nachfolgend zu Eigen gemacht. Die im Streitfall bereits eingetretene Verjährung hat das FG unter Bezugnahme auf § 181 Abs. 5 AO als unmaßgeblich angesehen. Sollten die Voraussetzungen von § 129 AO vorliegen, kann der betreffende Feststellungsbescheid gem. § 181 Abs. 5 AO unbeschadet eingetretener Festsetzungsverjährung geändert werden.28 Zwischen dem verjährten Feststellungsbescheid und den Feststellungsbescheiden zu den nachfolgenden Feststellungsstichtagen besteht gem. § 27 Abs. 2 Satz 2 KStG eine lückenlose Verknüpfung als Grundlagen- bzw. Folgebescheid, so dass der Anwendungsbereich des § 181 Abs. 5 KStG wegen der Relevanz des Einlagekontozugangs für die offene Feststellung eröffnet ist.29 Diese Sichtweise hat jüngst auch eine finanzgerichtliche Bestätigung erfahren.30 26 Siehe zu dieser Thematik auch Schmidt-Herscheidt, NWB 2017, 3196. 27 FG Berlin-Brandenb. v. 13.10.2016 – 10 K 10320/15, EFG 2017, 231, rkr. 28 So auch Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 114; Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 114; Antweiler in Ernst & Young, KStG, § 27 Rz. 102 sowie die grundlegende Rspr. des BFH zum Anwendungsbereich von § 181 Abs. 5 AO (BFH v. 11.2.2009 – I R 15/08, BFH/NV 2009, 1585). 29 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich von § 181 Abs. 5 AO bei den Verlustfeststellungen nach § 10d EStG bzw. § 10a GewStG durch das JStG 2007 ausdrücklich eingeschränkt hat (§ 10d Abs. 4 Satz 6 EStG, § 35b Abs. 2 Satz 4 GewStG), bei der Parallelproblematik der Feststellung nach § 27 Abs. 2 Satz 1 KStG jedoch keine entsprechende Einschränkung verfügt hat. Auch dies spricht für die Einschlägigkeit von § 181 Abs. 5 KStG bei der „Rettung“ vergessener Zugänge zum Einlagekonto. 30 FG Berlin-Brandenb. v. 13.10.2016 – 10 K 10320/15, EFG 2017, 231, rkr.

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Sollte eine Erfassung der Einlage aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht mehr möglich sein, ist der hierdurch eintretende steuerliche Nachteil für den Gesellschafter nur temporärer Natur. Zwar kann er während der Haltedauer der GmbH-Anteile insoweit keine Einlagenrückgewähr i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG erhalten. Da sich seine Anschaffungskosten aber um die tatsächlich geleistete Einlage erhöht haben, kommt es bei Veräußerung der Anteile bzw. Auflösung der GmbH zu einer steuermindernden Berücksichtigung im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns.

2. Bedeutung der Steuerbescheinigung Durch die von der ausschüttenden Kapitalgesellschaft gem. § 27 Abs. 3 KStG zu erstellende Steuerbescheinigung wird die Information über die Höhe der eingetretenen Einlagenrückgewähr an den Gesellschafter übermittelt und findet dort Eingang in seine Besteuerung. Ein besonderer gesetzlicher Regelungsbedarf besteht daher in Fällen, in denen die bescheinigte Einlagenrückgewähr objektiv unzutreffend ist bzw. sich durch nachfolgende Anpassungen der Verwendungsrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG die bescheinigte Einlagenrückgewähr im Nachhinein als unzutreffend erweist. Im Kern geht es um die Frage, welche steuerliche Wirkung eine unzutreffende Steuerbescheinigung entfaltet und ob eine Möglichkeit, eine Verpflichtung oder ein Verbot zur Berichtigung einer unzutreffenden Steuerbescheinigung besteht. In welchem Umfang diese Steuerbescheinigung eine Auswirkung auf den tatsächlich maßgebenden Betrag der anzunehmenden Einlagekontoverwendung hat, bestimmt sich nach dem Regelungsmechanismus des § 27 Abs. 5 KStG und hängt letztlich davon ab, in welchem Verhältnis der bescheinigte Betrag der Einlagenrückgewähr zu dem materiell-rechtlichen zutreffenden Betrag der Einlagenrückgewähr nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG steht. Dies zeigt, dass stets in einem ersten Schritt zu ermitteln ist, im welcher Höhe das steuerliche Einlagekonto nach Maßgabe von § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG für eine Leistung zu verwenden ist. Erst danach ist in einem nachgelagerten zweiten Schritt ein Abgleich mit der bescheinigten Einlagekontoverwendung vorzunehmen. Die hieraus zu ziehenden Rechtsfolgen ergeben sich aus der nachfolgend erläuterten Vorschrift des § 27 Abs. 5 KStG.

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Abgleich der bescheinigten mit der nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG zutreffenden Einlagekontoverwendung

zu hohe Bescheinigung

zu niedrige Bescheinigung

Keine Bescheinigung

Fiktion der Nullbescheinigung • Verwendung des Betrags nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG

• Verwendung des Betrags laut Bescheinigung

• Nacherhebung der zu niedrig einbehaltenen KapESt

• Verbot der Berichtigung der Steuerbescheinigung

• Steuerbescheinigung kann berichtigt werden

• Korrespondierende Besteuerung beim Anteilseigner

• Keine Einlagenrückgewähr beim Anteilseigner (streitig)

3. Sonderproblem bei verdeckten Gewinnausschüttungen Werden im Zuge der Betriebsprüfung verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) festgestellt, führt die o.a. Wirkungsweise von § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG dazu, dass es grundsätzlich ungeachtet der Verwendungsrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG zu keiner Verwendung des steuerlichen Einlagekontos kommen kann. Dies deshalb, weil wegen Nichterteilung einer Steuerbescheinigung bis zum Erlass des ersten Feststellungsbescheids i.S.v. § 27 Abs. 2 KStG (dies ist einer vGA immanent, weil die Ausschüttung ja erst nachträglich von der Betriebsprüfung erkannt wird) die 0 Euro-Fiktion nach § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG zur Anwendung kommt. Würde also die normale Verwendungsrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG dazu führen, dass die vGA ganz oder teilweise aus dem Einlagekonto finanziert würde, läge insoweit eine zu hohe Bescheinigung einer Einlagekontoverwendung vor (bescheinigt ist ja 0 Euro!), die gem. § 27 Abs. 5 Satz 1 verbindlich bzw. festgeschrieben wäre. Oder auf den Punkt gebracht: Eine

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nach Durchführung der Erstveranlagung erkannte vGA kann niemals aus dem steuerlichen Einlagekonto finanziert werden.31 Dies entspricht auch der bundeseinheitlich abgestimmten Verwaltungsauffassung32 und ist jüngst vom Sächsischen Finanzgericht mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 8.6.201633 bestätigt worden. Der BFH hat nun im Revisionsverfahren I R 45/16 die Gelegenheit zur Klärung dieser praxisrelevanten Rechtsfrage.34 Das Sächsische FG hält eine Einlagekontoverwendung vor dem Hintergrund des eindeutigen Wortlauts von § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG für ausgeschlossen. Mit der verschärften Neufassung von § 27 Abs. 5 KStG im Rahmen des SEStEG habe der Gesetzgeber eindeutig seinen Willen zu erkennen gegeben, dass die Rechtsfolgen einer nicht rechtzeitig erteilten Steuerbescheinigung die materiell-rechtliche Berechnung nach § 27 Abs. 3 Satz 1 KStG überlagern.35 Dementgegen befürwortet Neyer36 eine einschränkende Auslegung von § 27 Abs. 5 KStG zumindest bei vGA, von deren Vorliegen die Kapitalgesellschaft bei Abgabe der Körperschaftsteuererklärung nicht ausgehen konnte.37 Hier sei es für die Kapitalgesellschaft unmöglich, die vGA in der späteren Höhe bereits im Vorhinein zu erklären. Diese Sichtweise vermag jedoch im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zum einen müsste nur für Zwecke der Anwendung von § 27 Abs. 5 KStG unterschieden werden, ob es sich um eine offensichtliche oder um eine „Verhandlungs-“vGA handelt, und zum anderen würde der vom Gesetzgeber mit der Vorschrift intendierte Vereinfachungszweck konterkariert werden. Wird die vGA in einem Wirtschaftsjahr festgestellt, in dem es zusätzlich zu einem Abfluss einer zutreffend bescheinigten offenen Gewinnausschüttung (oGA) gekommen ist, so ändert dies im Ergebnis aus den o.a. Gründen nichts am dem Ergebnis, dass es hinsichtlich der vGA gem. § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG zu keiner Verwendung des Einlagekontos kommt. Für 31 Siehe auch Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 162 m.w.N. 32 Gleichlautende Verfügung der OFD Münster und Rheinland v. 27.11.2009 – S 2836 - 7 - 13 - St 131 (Rhld), DStR 2010, 225 = FR 2010, 46. 33 Sächs. FG v. 8.6.2016 – 2 K 1860/15, EFG 2017, 156. 34 Siehe hierzu auch Ott, DStR 2017, 1505 (1507). 35 So bereits BFH v. 11.2.2015 – I R 3/14, BStBl. II 2015, 816. 36 Neyer, BB 2017, 3036. 37 Zutreffend weist Neyer darauf hin, dass die im Zuge der Betriebsprüfung nachträglich angenommene vGA oft Ausfluss eines Kompromisses ist und sich auf einen Sachverhalt bezieht, der eine Vielzahl von tatsächlichen und rechtlichen Zweifelsfragen und Ungewissheiten beinhaltet.

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die oGA ändert sich zwar wegen der nun vorliegenden zusätzlichen zweiten Gewinnausschüttung (vGA) die aufgrund der Verwendungsrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG maßgebliche Einlagekontoverwendung.38 Dies führt aber in der Mehrzahl der Sachverhalte gem. § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG zu keiner Veränderung, weil die sich nachträglich als zu niedrig erweisende Bescheinigung unumstößlich maßgebend bleibt. Beispiel: Die A-GmbH hat im Wirtschaftsjahr 2013 eine oGA für 2012 i.H.v. 600 000 Euro vorgenommen. Hierbei ging die A-GmbH ausgehend von einem ausschüttbaren Gewinn zum 31.12.2012 i.H.v. 400 000 Euro von einer Verwendung des Einlagekontos i.H.v. 200 000 Euro aus. Die Betriebsprüfung stellt in 2013 vGA i.H.v. 400 000 Euro fest. Der o.a. ausschüttbare Gewinn zum 31.12.2012 bleibt unverändert, der Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12.2012 beträgt 500 000 Euro. Für die im Wirtschaftsjahr 2013 abgeflossenen Ausschüttungen berechnet sich die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG wie folgt: Summe der Leistungen (oGA + vGA) ausschüttbarer Gewinn Einlagekontoverwendung39 Anteil oGA (6/10) Anteil vGA (4/10)

1 000 000 Euro – 400 000 Euro 500 000 Euro 300 000 Euro 200 000 Euro

Für die vGA kommt es aufgrund der Verwendungsfestschreibung nach § 27 Abs. 5 Sätze 1 und 2 KStG zu keiner Einlagekontoverwendung. Hinsichtlich der oGA greift allerdings die Festschreibung nach § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG ebenfalls, da die A-GmbH eine zu niedrige Einlagekontoverwendung (100 000 Euro) bescheinigt hat. Demnach ergibt sich folgende tatsächliche Verwendung: oGA vGA

200 000 Euro 0 Euro

Dieser Beispielsfall wirft die Frage auf, ob man die in der Tat ein wenig perfide Wirkungsweise von § 27 Abs. 5 KStG durch Bescheinigung einer bewusst überhöhten Einlagekontoverwendung „austricksen“ kann. Dies ist deshalb erwägenswert, weil bei einer zu hohen Bescheinigung gem. § 27 Abs. 5 Satz 5 KStG stets die Möglichkeit besteht, die Steuerbeschei38 Vgl. BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682, Rz. 12, in Fortführung des alten BFH-Rspr.; siehe hierzu Stimpel in Rödder/ Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 79 und 173 m.w.N. 39 Rechnerisch zwar ein Betrag von 600 000 Euro, die Verwendung ist aber auf den zum 31.12.2012 festgestellten Bestand des Einlagekontos i.H.v. 500 000 Euro beschränkt.

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nigung nachfolgend auf den zutreffenden niedrigeren Betrag zu korrigieren. So würde man bis zum Abschluss einer Betriebsprüfung ein maximales Maß an Flexibilität erhalten, wenn man zunächst eine hohe Einlagekontoverwendung (quasi „ins Blaue hinein“) bescheinigt.40 So kommt im o.a. Beispiel bezüglich der oGA i.H.v. 600 000 Euro nicht die zutreffende Einlagenrückgewähr von 300 000 Euro zum Zuge, weil ursprünglich eine Einlagekontoverwendung von 200 000 Euro bescheinigt worden ist. Würde die Erstbescheinigung indes einen höheren Betrag ausweisen (z.B. den vollen Ausschüttungsbetrag von 600 000 Euro), wäre nachfolgend der Weg eröffnet, die zutreffende Verwendung von 240 000 Euro zu bescheinigen und beim Gesellschafter anzusetzen. Ob diese Vorgehensweise im Einzelfall sinnvoll und praktikabel ist, sei dahingestellt. Bei vGA ist dies in jedem Fall keine Option, da diese Ausschüttung der Kapitalgesellschaft dem Grunde und der Höhe nach nicht bekannt ist.41 Sinnvoll kann eine solche Bescheinigung bei organschaftlichen Mehrabführungen sein, bei denen Zweifel daran bestehen, ob die Veranlassung nicht u.U. organschaftlicher Natur ist. Hier würde eine vorsorglich erteilte Steuerbescheinigung42 verhindern, dass bei einer abweichenden Beurteilung des Veranlassungsgrunds durch die Betriebsprüfung die Verwendung des Einlagekontos vollumfänglich gem. § 27 Abs. 5 Satz 2 KStG versperrt wäre. Bei sperrfristbehafteten Anteilen i.S.v. § 22 Abs. 1 UmwStG kann eine Einlagenrückgewähr innerhalb der siebenjährigen Sperrfrist den Ersatzrealisationstatbestand nach § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG auslösen. Da eine Nullbescheinigung bzw. eine zu niedrige Bescheinigung eine Festschreibungswirkung entfaltet, kann hierbei bereits im Ansatz die Annahme einer Einlagenrückgewähr i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG vermieden werden. Die etwaige Nachversteuerung eines Einbringungsgewinns würde faktisch in Leere laufen und ins Belieben des Stpfl. gestellt werden.43 Dieses Ergebnis erzeugt daher ein erhebliches Störgefühl, zumal der Gesetzgeber mit der siebenjährigen Sperrfrist potenziellen Missbrauchsfällen entgegenwirken 40 Um dem Vorwurf einer schuldhaften Nichtanmeldung von KapESt zu entgegnen, wäre zu überlegen, gleichwohl KapESt anzumelden und abzuführen. 41 Dies ist ja gerade das Wesen der vGA, bei der die Ausschüttung – salopp gesagt – vom Betriebsprüfer beschlossen wird. 42 Aufgrund der Deklarierung als organschaftliche Mehrabführung wäre die Erteilung einer Bescheinigung i.S.v. § 27 Abs. 3 KStG nicht erforderlich. 43 Eine Art Dummensteuer sozusagen!

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wollte, die sich durch eine zeitnahe Anteilsveräußerung konkretisieren. Hiermit verträgt es sich sicherlich nicht, wenn der Stpfl. frei wählen kann, ob ein tatsächlicher Sachverhalt zu einer rückwirkenden Versteuerung des Einbringungsgewinns führt. Dies könnte Raum geben für eine normspezifische Auslegung dahingehend, dass es für Zwecke des § 22 Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 UmwStG stets auf die nach Maßgabe der Verwendungsrechnung des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG zu ermittelnde Einlagenrückgewähr ankommt.44

III. Einlagerückgewähr von EU-Gesellschaften (Schumacher) Gem. § 27 Abs. 8 KStG können auch Körperschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU unbeschränkt steuerpflichtig sind und Leistungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gewähren können, eine Einlagenrückgewähr erbringen.45 Die Feststellung der Einlagenrückgewähr erfolgt gem. § 27 Abs. 8 Satz 3 und 4 KStG nur auf Antrag der EU-Kapitalgesellschaft bis zum Ende des Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Leistung erfolgt ist. Es handelt sich um eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist.46 Bei verspäteter Antragstellung gilt die Ausschüttung gem. § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG mangels gesonderter Feststellung als Gewinnausschüttung. Der Antrag ist in der Praxis – kein für die EU-Kapitalgesellschaft örtlich zuständiges Finanzamt – regelmäßig gem. § 27 Abs. 8 Satz 6 KStG beim Bundeszentralamt für Steuern zu stellen. Im Antrag sind gem. § 27 Abs. 8 Satz 7 KStG die für die Berechnung der Einlagenrückgewähr erforderlichen Umstände darzulegen. Nach § 27 Abs. 8 Satz 2 KStG ist u.a. § 27 Abs. 1 KStG entsprechend anzuwenden. Auch der ausschüttbare Gewinn und der Bestand des steuerlichen Einlagekontos müssen nach den für die inländischen Körperschaften geltenden Rechtsgrundsätzen ermittelt werden.47 Das Bundeszentralamt hat einen umfangreichen Katalog an er44 In diesem Sinne auch Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 240. 45 Vgl. zur Anwendbarkeit des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG auf ausländische Kapitalgesellschaften BFH v. 16.12.1992 – I R 32/92, BStBl. II 1993, 399. 46 Vgl. BMF v. 4.4.2016 – IV C 2 - S 2836/08/10002 – DOK 2016/0316743, BStBl. I 2016, 468 = FR 2016, 436, Rz. 4; FG München v. 22.1.2016 – 6 K 2548/14, EFG 2017, 234, rkr.; FG Köln v. 15.2.2017 – 2 K 803/15, EFG 2017, 769, nrkr., NZB Az. BFH I B 37/17. 47 Vgl. Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 222.

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forderlichen Unterlagen aufgestellt. Diese Nachweise sollten vorsorglich sämtlich bis zum Ende der Antragsfrist eingereicht werden, auch wenn eine spätere Einreichung wohl ausreichend wäre und es fraglich ist, ob hierzu eine Verpflichtung besteht.48 In der Praxis stehen diese Nachweiserfordernisse häufig der Anwendung der Regelung entgegen. Denn nach Verwaltungsauffassung muss zur Ermittlung des Eigenkapitals in der Steuerbilanz auch eine Überleitung der ausländischen Bilanzen in das deutsche Steuerrecht erfolgen (so der Unterlagenkatalog des Bundeszentralamts für Steuern). Ob dies tatsächlich erforderlich ist, ist insbes. wegen der fehlenden Praktikabilität in der Literatur umstritten.49 Der VIII. Senat des BFH hat in einer Entscheidung zur Einlagenrückgewähr einer Drittstaatsgesellschaft (dazu sogleich Abschnitt IV.) Folgendes ausgeführt:50 „[Bei] Körperschaften in EU-Mitgliedstaaten besteht die Schwierigkeit, dass die Anforderungen der §§ 27 ff. KStG (Aufstellung einer Steuerbilanz nach deutschen Grundsätzen, alljährliche Feststellungserklärungen) nicht erfüllt werden, so dass für die Beurteilung, ob eine Einlagenrückgewähr vorliegt, Grundkenntnisse und Ermittlungen über das jeweilige ausländische Bilanz- und Gesellschaftsrecht erforderlich sind (BRDrucks 542/1/06, S. 3).“

Diese Ausführungen deuten darauf hin, dass der BFH – im Einklang mit seiner Entscheidung zu den Drittstaatsgesellschaften – keine Ermittlung des Eigenkapitals auf Grundlage des deutschen Steuerbilanzrechts für erforderlich hält. Nach § 27 Abs. 8 Satz 2 KStG ist u.a. § 28 KStG, der auch die Herabsetzung des Nennkapitals regelt, entsprechend anzuwenden. Nach neuerer Auffassung der Finanzverwaltung ist daher auch bei einer Kapitalherabsetzung einer EU-Kapitalgesellschaft nur dann eine Einlagenrückgewähr möglich, wenn die Voraussetzungen des § 27 Abs. 8 KStG vorliegen.51 Danach stellt sich die Frage, ob der zurückgezahlte Betrag bei fehlender Feststellung gem. § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG als Gewinnausschüttung gilt. Nach deutschem Steuerrecht sind jedoch Zahlungen, die eine Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter aufgrund einer handelsrechtlich wirk-

48 Vgl. Bauschatz in Gosch, KStG3, § 27 Rz. 147. 49 Vgl. die Nachweise bei Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 222. 50 Vgl. BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831 = FR 2017, 192, Rz. 19. 51 Vgl. BMF v. 4.4.2016 – IV C 2 - S 2836/08/10002 – DOK 2016/0316743, BStBl. I 2016, 468 = FR 2016, 436.

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samen Kapitalherabsetzung leistet, in Höhe des Betrags der Herabsetzung des Nennkapitals rechtlich und wirtschaftlich kein Ertrag, sondern Rückzahlung des Kapitals.52 Dieser Grundsatz gilt ungeachtet des § 27 Abs. 8 KStG, so dass die Rechtsfolgen des § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG nicht eintreten können.53 Aufgrund des Direktzugriffs auf das Einlagekonto entsprechend § 28 Abs. 2 Satz 1 und 3 KStG ist jedenfalls – auch nach Auffassung der Finanzverwaltung – keine Ermittlung des ausschüttbaren Gewinns auf Grundlage einer Steuerbilanz nach deutschem Recht erforderlich.

IV. Einlagerückgewähr von Drittstaatengesellschaften (Schumacher) Entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung54 können Leistungen einer Drittstaatsgesellschaft nach Einführung des § 27 Abs. 8 KStG durch das SEStEG eine Einlagenrückgewähr darstellen.55 Dies folgt nach Auffassung des VIII. Senats des BFH aus einer verfassungs- und europarechtskonformen Auslegung des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG, die zur Vermeidung eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz und die Kapitalverkehrsfreiheit geboten ist.56 Die Anforderungen des § 27 Abs. 8 KStG gelten danach nicht entsprechend, so dass sogar eine Besserstellung von Drittstaatsgesellschaften erfolgen kann (insbes. ist kein fristgebundener Antrag erforderlich). Die praktischen Auswirkungen dieser Entscheidung sind noch unklar. Hinsichtlich der Ermittlung der Einlagenrückgewähr ist nach der Entscheidung des VIII. Senats Folgendes zu beachten:57 „Bei der Anwendung des deutschen Steuerrechts auf ausländische Sachverhalte ist eine rechtsvergleichende Qualifizierung der ausländischen Einkünfte nach deut52 Vgl. BFH v. 14.10.1992 – I R 1/91, BStBl. II 1993, 189 = GmbHR 1993, 313, Rz. 14 in juris; v. 20.10.2010 – I R 117/08, BFH/NV 2011, 669 = GmbHR 2011, 446, Rz. 15. 53 Vgl. Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 225. 54 Vgl. FinMin NRW v. 6.10.2011 – S 2836 - 17 - VB 4, StEK EStG § 20 Nr. 389. 55 Vgl. BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831 = FR 2017, 192 zu Anteilen im Privatvermögen; zu Anteilen im Betriebsvermögen ist derzeit das Revisionsverfahren I R 15/16 anhängig. 56 Zu möglichen Weiterungen dieses Begründungsansatzes vgl. Schönfeld, IStR 2017, 486. 57 Vgl. BFH v. 13.7.2016 – VIII R 47/13, BFH/NV 2016, 1831 = FR 2017, 192, Rz. 30 i.V.m. BFH v. 13.7.2016 – VIII R 73/13, BFH/NV 2016, 1827 = FR 2017, 191, Rz. 16.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr schem Recht vorzunehmen […]. Eine Vergleichbarkeit der Sachausschüttung mit einer Dividende i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt dann vor, wenn sie aus vorhandenen – laufenden oder in früheren Jahren angesammelten – Jahresüberschüssen der Gesellschaft (earnings und profits) gezahlt wird. Eine Rückzahlung von nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen kann u.a. dann vorliegen, wenn die Leistungen der Kapitalgesellschaft im Wirtschaftsjahr das Nennkapital und den im Vorjahr festgestellten ausschüttbaren Gewinn übersteigen. Eine Einlagenrückgewähr kann sich auch aus der nach ausländischem Recht aufgestellten Bilanz der ausschüttenden Gesellschaft ergeben.“

Danach ist fraglich, ob die Verwendungsfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG gilt oder das Vorliegen einer Einlagenrückgewähr wie nach der Rspr. zur Rechtslage vor SEStEG58 allein auf Grundlage des ausländischen Handels- und Gesellschaftsrechts zu prüfen ist. Es bleibt abzuwarten, ob das anhängige Revisionsverfahren I R 15/16 zu einer Klärung führen wird. Die Vorinstanz hat diese Frage offen gelassen, weil nachweislich keine ausschüttungsfähigen Gewinne vorhanden waren.59 In jedem Fall führt auch die Kapitalherabsetzung einer Drittstaatsgesellschaft – vorbehaltlich der vorherigen Umwandlung von Gewinnrücklagen in Nennkapital – nach den vom VIII. Senat aufgestellten Grundsätzen nicht zu einem Ertrag. Bei einer Bestätigung der Auffassung des VIII. Senats durch den I. Senat sollte die Finanzverwaltung unabhängig von einer Gesetzesänderung die restriktive Anwendung des § 27 Abs. 8 KStG überdenken und insbes. das Abstellen auf die ausländische Bilanz zulassen.

V. Sonderprobleme bei Einbringungen (Stimpel) 1. Auswirkung der Einbringung auf das steuerliche Einlagekonto Bei einer Einbringung nach § 20 Abs. 1 UmwStG (Sacheinlage) entspricht der Wertansatz der eingebrachten Wirtschaftsgüter i.d.R. nicht dem Nennwert der ausgegeben Anteile. Soweit der übersteigende Wertansatz von der aufnehmenden Kapitalgesellschaft in die Kapitalrücklagen eingestellt wird, kommt es zu einem Zugang beim steuerlichen Einlagekonto im Wirtschaftsjahr der Sacheinlage.60 Entscheidend ist hierfür die von den Vertragsparteien im Einbringungsvertrag getroffene Vereinbarung.

58 Vgl. BFH v. 20.10.2010 – I R 117/08, BFH/NV 2011, 669 = GmbHR 2011, 446, Rz. 15. 59 Vgl. FG Münster v. 19.11.2015 – 9 K 1900/12 K, EFG 2016, 756. 60 Vgl. BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682, Rz. 6 und 27.

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Zu keinem Zugang zum Einlagekonto kommt es in dem Umfang, in dem die aufnehmende Kapitalgesellschaft dem Einbringenden in Höhe des übersteigenden Differenzbetrags eine Darlehensforderung gewährt (sog. sonstige Gegenleistung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG). Dies führt zu keinem Zugang zum steuerlichen Einlagekonto und ist für den Stpfl. insoweit ertragsteuerlich günstiger, als die das Gesellschafterdarlehen repräsentierenden Beträge ohne Steuerfolgen flexibel an den Gesellschafter als nicht steuerbare Darlehenstilgung geleistet werden können.61 Entscheidet er sich hingegen für die Einstellung in die Kapitalrücklage, kann er die Beträge über eine Ausschüttung zurückerlangen, die nur unter Beachtung der Verwendungsreihenfolge nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG als nicht steuerbare Einlagenrückgewähr behandelt werden kann. Erfolgt die Sacheinlage i.S.v. § 20 Abs. 1 UmwStG mit steuerlicher Rückwirkung (§ 20 Abs. 5 und 6 UmwStG), so gilt die Übertragung und der damit einhergehende Zugang beim steuerlichen Einlagekonto als mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags erfolgt. Da der steuerliche Übertragungsstichtag noch zu dem Wirtschaftsjahr gehört, in das er fällt,62 muss bei einer rückwirkend zum 31.12. erfolgten Sacheinlage der Zugang zum steuerlichen Einlagekonto bereits zum vorangehenden Stichtag erfasst werden. Wird also beispielsweise eine GmbH in 2017 im Wege einer Sachgründung mit steuerlicher Rückwirkung zum 31.12.2016 gegründet, hat bereits zum 31.12.2016 eine erstmalige Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zu erfolgen. Dies deckt sich mit der Sonderregelung in § 27 Abs. 2 Satz 3 KStG, wonach bei Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht der Bestand der nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen zum Zeitpunkt des Beginns der Steuerpflicht gesondert festzustellen ist und als Bestand des steuerlichen Einlagekontos zum Ende des vorangegangen Wirtschaftsjahrs gilt.63 Diese Regelung bewirkt für Ausschüttungen im Gründungsjahr einen fakti61 Die eingeräumte Darlehensforderung führt lediglich gem. § 20 Abs. 3 Satz 3 UmwStG zu einer Verringerung der Anschaffungskosten der erworbenen GmbH-Anteile. Die Gewährung der Darlehensforderung steht der Steuerneutralität der Einbringung nicht entgegen, soweit die Betragsgrenzen nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG nicht überschritten sind. 62 Vgl. BFH v. 22.9.1999 – II R 33/97, BStBl. II 2000, 2 = GmbHR 1999, 1312. 63 Dieser Zeitpunkt ist in bei Einbringungen zur Neugründung der steuerliche Übertragungsstichtag. Eine Einbringung zur Aufnahme führt ebenfalls zu einem Anwendungsfall von § 27 Abs. 2 Satz 3 KStG, sofern der rückbezogene steuerliche Übertragungszeitpunkt vor der tatsächlichen Gesellschaftsgründung liegt.

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schen Direktzugriff auf diesen Betrag des Einlagekontos im Rahmen der Verwendungsrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG. Ein ergänzendes Problem ergibt sich bezüglich der im Rückbezugszeitraum erfolgten Entnahmen und Einlagen, für die die steuerliche Rückwirkungsfiktion gem. § 20 Abs. 5 Satz 2 UmwStG ausdrücklich nicht gilt, d.h. es handelt sich insoweit steuerlich um Einlagen und Entnahmen im Rahmen des eingebrachten Personenunternehmens. Damit steht aber auch fest, dass es sich bei den Entnahmen nicht um Leistungen i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG und bei den Einlagen nicht um Einlagen in die Kapitalgesellschaft i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 2 KStG handeln kann. Anderseits mindert bzw. erhöht aber der Saldo der Entnahmen und Einlagen das eingebrachte Nettovermögen, so dass sich im Ergebnis eine Auswirkung auf die Höhe des steuerlichen Einlagekontos ergeben muss.64 Dies wird bilanziell dadurch bewerkstelligt, dass in der steuerlichen Eröffnungsbilanz in Höhe des Saldos ein aktiver oder passiver Korrekturposten ausgewiesen wird, der gegen die im Rückbezugszeitraum erfolgten Entnahmen und Einlagen auszubuchen ist.65 Daher ist der Zugang zum steuerlichen Einlagekonto am steuerlichen Übertragungsstichtag unter Einbeziehung dieses Korrekturpostens vorzunehmen. Für diese Sachbehandlung spricht auch, dass auch bei Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UmwStG die überschießenden Entnahmen berücksichtigt werden und u.U. eine Zwangsrealisierung zum steuerlichen Übertragungsstichtag auslösen.66

2. Besonderheiten bezgl. des. sog. Luftpostens Bei der Einbringung eines nach §§ 20, 21 UmwStG begünstigten Sacheinlagegegenstands (Betrieb, Teilbetrieb, Mitunternehmeranteil und mehrheitsvermittelnde Kapitalbeteiligung) kann steuerrechtlich anstelle des gemeinen Werts wahlweise der Buchwert oder ein Zwischenwert ange64 In den Sachverhalten, in denen der Differenzbetrag zum ausgegebene Stammkapital in die Kapitalrücklagen eingestellt wird. 65 Vgl. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG2, § 20 Rz. 238; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwStG (SEStEG) Rz. 315. 66 Vgl. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 20.19 in Anknüpfung an BMF v. 25.3.1998 – IV B 7 - S 1978 - 21/98, BStBl. I 1998, 268 = GmbHR 1998, 444, Rz. 20.25; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 325; a.A. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG2, § 20 Rz. 239.

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setzt werden. Das entsprechende Wertansatzwahlrecht ist von der aufnehmenden GmbH auszuüben und kann unabhängig vom Wertansatz in der Handelsbilanz ausgeübt werden. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz gilt hier ausdrücklich nicht.67 Soweit sich der höhere handelsrechtliche Wertansatz im Nennkapital niedergeschlagen hat, besteht in der Steuerbilanz der aufnehmenden GmbH die Notwendigkeit des Ausweises eines Ausgleichspostens, der auch als sog. Luftposten bezeichnet wird. Dies ist deshalb unabweislich, weil in der Steuerbilanz zwingend das (tatsächliche) zivilrechtlich maßgebende Nennkapital ausgewiesen werden muss und folglich zwischen diesem Nennkapital und dem steuerlichen Wertansatz der eingebrachten Sachgesamtheit eine Wertdifferenz besteht, die mittels dieses Ausgleichspostens ausgeglichen wird. Es handelt sich hierbei nur um eine rechnerische Position, die kein steuerliches Betriebsvermögen i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG repräsentiert.68 Fraglich ist, ob sich in Höhe dieses Ausgleichpostens das steuerliche Einlagekonto verringert. Im Anrechnungsverfahren bestand im steuerlichen Schrifttum weitestgehend Einigkeit darüber, dass der Teilbetrag EK 04 im Einbringungsjahr entsprechend zu mindern ist.69 Dies wurde in erster Linie damit begründet, dass das verwendbare Eigenkapital mit dem Steuerbilanzkapital nach § 29 KStG a.F. übereinstimmen müsse.70 Ob dieser Abzug auch nach dem Systemwechsel in unveränderter Form beim steuerlichen Einlagekonto vorzunehmen ist, ist umstritten. Einerseits wird vor dem Hintergrund der im geltenden Recht nicht mehr durchzuführenden Abstimmung mit dem Steuerbilanzkapital die Notwendigkeit ei-

67 So ausdrücklich die Gesetzesbegründung zum UmwStG i.d.F. des SEStEG, BTDrucks. 16/2710, 69 sowie BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 20.20; Dies entspricht ausweislich BFH v. 28.5.2008 – I R 98/06, BStBl. II 2008, 916 = GmbHR 2008, 1105 der alten Rechtslage. 68 BMF v. 25.3.1998 – IV B 7 - S 1978 - 21/98, BStBl. I 1998, 268 = GmbHR 1998, 444, Rz. 20.27 und BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 20.20. 69 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 30 KStG 1999 Rz. 79; Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 20 UmwStG Rz. 498; Jünger in Lademann, § 30 KStG 1999 Rz. 41. 70 Man sollte die Vergangenheit zwar in Frieden ruhen lassen, zwingend war diese Handhabung gleichwohl aber nicht. Man hätte die in Höhe des Ausgleichspostens auftretende Differenz auch als sog. unechte Verprobungsdifferenz (wie z.B. bei nicht abgeflossenen vGA und Körperschaftsteuerdifferenzen) akzeptieren können.

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nes Abzugs vom steuerlichen Einlagekonto verneint.71 Dementgegen wird aber auch unverändert die Notwendigkeit für eine Verringerung des steuerlichen Einlagekontos um den Ausgleichsposten gesehen.72 Hierbei wird insbes. die Gefahr gesehen, dass ohne Verringerung des steuerlichen Einlagekontos die Möglichkeit bestünde, bei einer nachfolgenden ordentlichen Kapitalherabsetzung eine Besteuerung auf Gesellschafterebene – zumindest temporär – zu umgehen.73 Die Finanzverwaltung hat sich zu der dargestellten Problematik bisher nicht ausdrücklich positioniert. Allerdings enthält Rz. 27 des BMFSchreibens vom 4.6.200374 die Aussage, dass bei Einbringungen nach § 20 UmwStG der Eigenkapitalzugang laut Steuerbilanz den Bestand des steuerlichen Einlagekontos erhöht. Da der Ausgleichsposten kein Bestandteil des steuerlichen Eigenkapitals ist, kann man dies durchaus dahingehend verstehen, dass der Ausgleichsposten keine Auswirkung auf den Bestand des steuerlichen Einlagekontos entfalten soll. Diese Sichtweise ist letztlich vorzugswürdig, da im steuerlichen Einlagekonto nur Einlagen der Gesellschafter abgebildet werden, die einen entsprechenden Niederschlag auf das in der Steuerbilanz der GmbH ausgewiesene Eigenkapital gefunden haben. Dies zeigt auch ein Blick auf die Verwendungsrechnung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG und die dort angelegte Verzahnung der steuerbilanziellen Größe des ausschüttbaren Gewinns und des Bestands des steuerlichen Einlagekontos. Auch ist kein sachlicher Grund ersichtlich, der eine Verringerung des Bestands des steuerlichen Einlagekontos erforderlich macht. Das durch den Ausgleichsposten abgebildete handelsrechtliche Mehrkapital hat beim Gesellschafter die Anschaffungskosten der Anteile nicht erhöht, weil sich die Höhe der Anschaffungskosten gem. § 20 Abs. 3 Satz 1 UmwStG nach dem – um den Ausgleichsposten geringeren – Wertansatz in der Steuerbilanz der aufnehmenden Kapitalgesellschaft bemisst. Dadurch ist sichergestellt, dass in der Totalperiode auf der Ebene des Gesellschafters eine zutreffende Besteuerung erfolgt.75 71 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 40; Voß, BB 2003, 880 (885); Franz, GmbHR 2003, 818 (821). 72 Vgl. Müller/Maiterth, BB 2001, 1768; Förster/van Lishaut, FR 2002, 1205 (1211). 73 Dies wollen Müller/Maiterth, BB 2001, 1768 durch sehr kreative Vorschläge durch Einbeziehung des Ausgleichspostens in den Sonderausweis nach § 28 Abs. 3 KStG erreichen. Siehe hierzu die Zusammenfassung bei Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 27 KStG Rz. 40. 74 BMF v. 4.6.2003 – IV A 2 - S 2836 - 2/03, BStBl. I 2003, 366 = FR 2003, 682. 75 Siehe auch Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 27 Rz. 67.

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Auch besteht nicht die Gefahr, dass der Gesellschafter das handelsrechtliche Mehrkapital über eine ordentliche Kapitalherabsetzung zunächst steuerfrei realisiert. Die Kapitalherabsetzung führt nämlich gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG nur insoweit zu einer Erhöhung des steuerlichen Einlagekontos, als die Einlage in das Nennkapital geleistet worden ist. Da bezüglich des Ausgleichspostens steuerlich keine Einlage erbracht worden ist, kann eine nachfolgende Kapitalherabsetzung insoweit zu keiner Erhöhung des steuerlichen Einlagekontos führen. Soweit kein aus übrigen Einlagen gespeister positiver Bestand an steuerlichem Einlagekonto vorhanden ist, führt die Rückzahlung des herabgesetzten Nennkapitals gem. § 28 Abs. 2 Satz 4 KStG zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG.

3. Rückwirkende Versteuerung eines Einbringungsgewinns Sofern es in der Folge einer zum Buch- oder Zwischenwert erfolgten Sacheinbringung nach § 20 UmwStG zu einer rückwirkenden Versteuerung des Einbringungsgewinns I (§ 22 Abs. 1 UmwStG) kommt, kann die aufnehmende Kapitalgesellschaft auf Antrag unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 UmwStG die eingebrachten Wirtschaftsgüter um den Einbringungsgewinn I aufstocken. Die Aufstockung erfolgt in dem Jahr, in dem die die Nachversteuerung des Einbringungsgewinns auslösende Anteilsveräußerung (bzw. der Ersatzrealisationstatbestand) stattfindet.76 Nach der einhelligen Meinung im steuerlichen Schrifttum77, der auch die Finanzverwaltung78 folgt, kommt es in Höhe des Aufstockungsbetrags i.S.v. § 23 Abs. 2 KStG zu einem Zugang beim steuerlichen Einlagekonto i.S.v. § 27 KStG. Dies ist zwar im Ergebnis zutreffend, da die Sacheinbringung steuerlich nachträglich so behandelt wird, als ob sie zu einem um den Einbringungsgewinn I höheren Wertansatz erfolgt ist. Da dieser auf einer Sacheinlage beruhende höhere Wertansatz das steuerliche Eigen76 Entsprechendes gilt bei Realisierung eines Einbringungsgewinns II i.S.v. § 22 Abs. 2 UmwStG. Hier kann die veräußernde GmbH die veräußerten Anteile gem. § 23 Abs. 2 Satz 3 UmwStG um den Einbringungsgewinn II aufstocken, so dass sich der Veräußerungsgewinn i.S.v. § 8b Abs. 2 KStG insoweit mindert. 77 Vgl. Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG2, § 23 Rz. 113; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 23 UmwStG Rz. 124; Dötsch/Pung, DB 2006, 2763 (2766); Förster/Wendland, BB 2007, 631 (636); Ley, FR 2007, 109 (116). 78 Zeile 16 des Vordrucks KSt 1 F 27/28 sowie BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 23.07.

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kapital der aufnehmenden Kapitalgesellschaft erhöht, muss es folgerichtig auch zu einem Zugang bei der Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos kommen. Diese Einlage erfolgt aber im Jahr der Sacheinbringung und nicht erst im späteren Jahr der Aufstockung nach § 23 Abs. 1 UmwStG, so dass die Erfassung eines Zugangs im Aufstockungsjahr rechtssystematisch nicht sauber ist.79 Sofern bei der Einbringung ein Ausgleichsposten i.S.v. Rz. 20.20 des BMFSchreibens vom 11.11.201180 gebildet worden ist, besteht Einigkeit dahingehend, dass der Aufstockungsbetrag zunächst zur Auflösung des Ausgleichspostens verwendet wird und nur der übersteigende Betrag zu einem Zugang zum steuerlichen Einlagekonto führt.81 Dies ist folgerichtig, da das steuerliche Einlagekonto nur die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen abbildet und mithin der unter Einbeziehung des Aufstockungsbetrags erfolgte Wertansatz nur zu einem Zugang beim steuerlichen Einlagekonto führen kann, soweit der das durch die Sacheinlage erbrachte Nennkapital übersteigt.

VI. Eigene Anteile (Stimpel) 1. Handelsrechtliche Grundlagen Eigene Anteile sind im Anwendungsbereich des BilMoG ausschließlich auf der Passivseite mit dem Eigenkapital zu verrechnen (§ 272 Abs. 1a Satz 1 HGB). Ob der Erwerb zur Einziehung erfolgt oder nicht, spielt damit für die bilanzielle Behandlung keine Rolle mehr. Der Nennbetrag ist offen von dem Posten „gezeichnetes Kapital“ abzusetzen. Die Differenz zwischen Nennbetrag und Anschaffungskosten ist mit den frei verfügbaren Rücklagen zu verrechnen. Nur die neben dem Kaufpreis gezahlten Anschaffungsnebenkosten (z.B. Notarkosten) sind Aufwand des laufenden Geschäftsjahres.82 79 Siehe auch Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, 2015, § 27 KStG Rz. 53. 80 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 entspricht inhaltlich insoweit BMF v. 25.3.1998 – IV B 7 - S 1978 - 21/98, BStBl. I 1998, 268 = GmbHR 1998, 444, Rz. 20.27. 81 Vgl. Ritzer in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG2, § 23 Rz. 82; Ley, FR 2007, 109 (116); BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 23.07. 82 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78, Rz. 1–3.

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Das BilMoG versteht die Veräußerung eigener Anteile wirtschaftlich als ordentliche Kapitalerhöhung, durch welche die durch den Erwerb ausgelöste Kapitalherabsetzung wieder ausgeglichen werden soll. Dies bedeutet, dass durch einen Verkauf die Verringerung des gezeichneten Kapitals in Höhe des durch die Anteile repräsentierten Nennbetrags wieder entfallen kann (§ 272 Abs. 1b Satz 1 HGB). Der den Nennbetrag der eigenen Anteile übersteigende Differenzbetrag aus dem Veräußerungserlös ist nach § 272 Abs. 1b Satz 2 HGB bis zur Höhe des mit den freien Rücklagen verrechneten Betrags wieder in die jeweiligen Rücklagen einzustellen. Insoweit wird die ursprüngliche Verrechnung korrigiert. Der die ursprünglichen Anschaffungskosten übersteigende Differenzbetrag aus dem Veräußerungserlös ist nach § 272 Abs. 1b Satz 3 HGB in die Kapitalrücklage einzustellen. Es wird also kein Gewinn in der Gewinn- und Verlustrechnung ausgewiesen, vielmehr wird dieser Mehrwert wie ein Agio aus einer Kapitalerhöhung betrachtet. Aufwendungen, die Veräußerungsnebenkosten sind, sind Aufwand des Geschäftsjahres (§ 272 Abs. 1b Satz 4 HGB).

2. Steuerliche Behandlung a) Erwerb eigener Anteile Die Finanzverwaltung hat sich der h.M.83 angeschlossen und folgt in der steuerrechtlichen Beurteilung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Handelsrechts,84 die aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auf die Steuerbilanz durchschlagen soll. Dies bedeutet steuerbilanziell eine Nichtaktivierung eigener Anteile und wird für Zwecke der Anwendung von §§ 27, 28 KStG wie eine Kapitalherabsetzung behandelt. Nach Rz. 9 des BMF-Schreibens vom 27.11.201385 wird der Vorgang im Umfang des Nennwerts der erworbenen eigenen Anteile wie eine ordentliche Kapitalherabsetzung behandelt.86 Bei der sinngemäßen Anwendung 83 Vgl. Blumenberg/Roßner, GmbHR 2008, 1079 (1081); Herzig, DB 2008, 1339 (1342); Mayer, Ubg. 2008, 779 (782); Ditz/Tcherveniachki, Ubg. 2010, 875, 877. 84 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78, Rz. 8. 85 BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78. 86 Ob diese pragmatische Lösung indes in den §§ 27, 28 KStG eine gesetzliche Grundlage hat, kann durchaus bezweifelt werden, so auch Schiffers, GmbHR 2014, 79 (82).

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von § 28 Abs. 2 KStG unterbleibt aber eine Minderung eines vorhandenen Sonderausweises. Dies vermutlich deshalb, weil das Stammkapital tatsächlich ja nicht gemindert wird und daher keine Veranlassung zur Verringerung des im Sonderausweis festgehaltenen Dividendenpotentials i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG besteht. Daher wird die sinngemäße Anwendung von § 28 Abs. 2 KStG regelmäßig zu keiner betragsmäßigen Auswirkung auf das Einlagekonto führen, weil sich der Zugang nach § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG und der Abgang aufgrund des Direktzugriffs nach § 28 Abs. 2 Satz 3 KStG neutralisieren. Der für die eigenen Anteile aufgewendete Kaufpreis wird allerdings im Regelfall höher sein als der Nennwert der Anteile. Dieser übersteigende angemessene Teil wird auf der Ebene der Kapitalgesellschaft wie eine Leistung nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG behandelt. Zu einer Verringerung des Einlagekontos kommt es also nur in dem Umfang, in dem dieser Betrag den ausschüttbaren Gewinn übersteigt. Kommt es zu keinem Abgang vom steuerlichen Einlagekonto, weil dieser Teil der Kapitalherabsetzung als aus dem ausschüttbaren Gewinn finanziert gilt, muss gleichwohl keine Kapitalertragsteuer einbehalten werden. Dies deshalb, weil auf der Ebene des Gesellschafters eine Anteilsveräußerung anzunehmen ist und er folglich keine kapitalertragsteuerpflichtigen Einnahmen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Hiervon unberührt bleibt allerdings die steuerliche Behandlung auf Gesellschafterebene. Hier wird – unverändert zur bisherigen Rechtslage – ein normales Veräußerungsgeschäft angenommen, das zumindest bei einer Kapitalgesellschaft in der Rechtsform der GmbH regelmäßig zur Versteuerung nach § 17 EStG führt.87 Dies ist aber dem Umstand geschuldet, dass die rein bilanziellen Neuregelungen keine Abstrahlwirkung auf die Besteuerung des Gesellschafters haben, führt allerdings zu dem gewöhnungsbedürftigen Ergebnis, dass ein und derselbe Vorgang auf den Ebenen von Kapitalgesellschaft und Gesellschafter unterschiedlich behandelt wird und insbes. beim Gesellschafter tatsächlich nicht die Rechtsfolgen gezogen werden, die bei isolierter Betrachtung der bei der Kapitalgesellschaft angenommenen Rechtsfolgen an und für sich folgerichtig wären.

87 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78, Rz. 20.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr Beispiel: An der AB-GmbH sind A zu 80 % und B zu 20 % beteiligt. Das Eigenkapital setzt sich laut Steuerbilanz zum 31.12.2015 wie folgt zusammen: Stammkapital Kapitalrücklagen Gewinnrücklagen Summe

50 000 Euro 300 000 Euro 650 000 Euro 1 000 000 Euro

Das steuerliche Einlagekonto beläuft sich auf 300 000 Euro. Die Anschaffungskosten der GmbH-Anteile betragen für A 280 000 Euro und für B 70 000 Euro (jeweils Gründungsgesellschafter und quotale Erbringung der Kapitalrücklage). Am 10.1.2016 erwirbt die AB-GmbH die Anteile des B zu einem angemessenen Kaufpreis von 200 000 Euro (d.h. die Anteile haben keine stille Reserven). Hierbei fallen von der AB-GmbH getragene Nebenkosten von 2500 Euro an. Bei der AB GmbH kommt eine Aktivierung der erworbenen eigenen Anteile weder in der Handels- noch in der Steuerbilanz in Betracht. Der Betrag von 200 000 Euro ist i.H.v. 10 000 Euro (20 % von 50 000 Euro) mit dem Stammkapital und i.H.v. 190 000 Euro mit den frei verfügbaren Rücklagen (Kapital- und/oder Gewinnrücklagen) zu verrechnen. Die Nebenkosten von 2500 Euro mindern Gewinn und Einkommen (keine Aktivierung). Bei der Feststellung des Einlagekontos i.S.v. § 27 KStG ergibt sich in 2016 gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 KStG ein Zugang von 10 000 Euro (Nennwert der erworbenen eigenen Anteile) und in gleicher Höhe ein Abgang nach § 28 Abs. 2 Satz 3 KStG. Der übersteigende Teil des aufgewendeten Kaufpreises ist nach den Grundsätzen des § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG mit dem Einlagekonto zu verrechnen: Leistung i.S.v. § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG Kapital StBil. zum 31.12.2015 Stammkapital Einlagekonto ausschüttbarer Gewinn Verwendung Einlagekonto

190 000 Euro 1 000 000 Euro – 50 000 Euro – 300 000 Euro 650 000 Euro 0 Euro

Der Bestand des Einlagekontos erfährt durch den Erwerb der eigenen Anteile im Ergebnis keine Veränderung.88 Der Gesellschafter B erzielt einen Veräußerungsgewinn i.S.v. § 17 EStG i.H.v. 130 000 Euro (200 000 Euro – 70 000 Euro), der nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d, § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG im Ergebnis zu 60 % zu versteuern ist.

88 Die Verwaltungsauffassung führt zu einer unsachgemäßen Minderung des ausschüttbaren Gewinn in Höhe des auf den veräußernden Gesellschafters rechnerisch entfallen Einlagekontos. Siehe hierzu Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 28 Rz. 123.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr

b) Veräußerung eigener Anteile Dementsprechend wertet die Finanzverwaltung die Weiterveräußerung der eigenen Anteile nicht als Veräußerungsvorgang, sondern behandelt den Vorgang wie eine Kapitalerhöhung.89 Der Differenzbetrag zwischen Kaufpreis und Nennwert der eigenen Anteile ist gewinnneutral und es kommt nicht zur Anwendung von § 8b KStG (d.h. keine 5 %-Regelung). Angefallene Veräußerungskosten wirken sich gewinn- und einkommensmindernd aus. Die Nichtanwendung von § 8b KStG ist insbes. in den Fällen von § 8b Abs. 7 bzw. 8 KStG und bei der möglichen zukünftigen Steuerpflicht von Gewinnen aus der Veräußerung von Streubesitzanteilen i.S.v. § 8b Abs. 4 KStG vorteilhaft.90 Bei Ermittlung des steuerlichen Einlagekontos erfasst die Finanzverwaltung den Erlös aus der Weiterveräußerung der eigenen Anteile insoweit als Zugang zum steuerlichen Einlagekonto, als der Kaufpreis den Nennwert der Anteile übersteigt (Behandlung wie ein geleistetes Agio).91 Für den die Anteile erwerbenden Gesellschafter liegt ein normales Anschaffungsgeschäft vor. Fortführung des Beispiels zu a): Kurz nach dem Erwerb der eigenen Anteile von nominal 20 % für einen Kaufpreis von 200 000 Euro veräußert die AB-GmbH diese eigenen Anteile noch im Wirtschaftsjahr 2016 zu einem unverändert angemessenen Kaufpreis von 200 000 Euro an A. Hierbei trägt die AB-GmbH Veräußerungskosten von 1000 Euro. Die Finanzverwaltung und weite Teile des Schrifttums wenden hier die Kapitalerhöhungsgrundsätze an. Der von der AB GmbH erzielte Veräußerungserlös von 200 000 Euro ist folglich handels- wie steuerbilanziell als Eigenkapitalzugang zu verbuchen. In Höhe von 10 000 Euro ist die bei Erwerb der eigenen Anteile erfolgte Verringerung des Stammkapitals rückgängig zu machen, während der Betrag von 190 000 Euro den Rücklagen zuzubuchen ist, mit denen er in 2016 bei Erwerb der eigenen Anteile verrechnet worden ist. Die angefallenen Veräußerungskosten wirken sich gewinnmindernd aus.92 Bei der Feststellung des Einlagekontos i.S.v. 89 Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78, Rz. 13. 90 Siehe Blumenberg/Lechner, DB 2014, 141 (144); Schiffers, GmbHR 2014, 79 (82). 91 Dies führt zu einer unsachgemäßen Aufblähung des Einlagekontos bei gleichzeitiger Verringerung des ausschüttbaren Gewinns. Siehe hierzu Stimpel in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 28 Rz. 129. 92 Allerdings beschränkt das BMF-Schreiben in seiner Rz. 18 den gewinnmindernden Abzug der Nebenkosten aus dem Erwerb (und der Veräußerung) eigener Anteile auf die angemessenen Kosten. Die Begründung und die konkrete

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr § 27 KStG ergibt sich in 2016 ein Zugang von 190 000 Euro (200 000 Euro – 10 000 Euro). Der Gesellschafter A erwirbt die Anteile an der AB-GmbH zu Anschaffungskosten von 200 000 Euro.

Das FG Münster hat mit rechtskräftigem Urteil vom 13.10.201693 entschieden, dass die handelsrechtliche Neuregelung der Erfassung eigener Anteile im handelsrechtlichen Jahresabschluss durch das BilMoG im Streitjahr 2011 nicht zu einer Minderung des steuerlichen Gewinns der Klägerin in Höhe der Anschaffungsnebenkosten von zuvor erworbenen eigenen Anteile führt. Eine entsprechende Erhöhung des steuerlichen Einlagekontos scheidet folglich ebenfalls aus. Bei der Begründung der Klageabweisung ist das FG Münster indes der Verwaltungsauffassung zur steuerbilanziellen Behandlung eigener Anteile im Anwendungsbereich des BilMoG94 im Grundsatz nicht gefolgt. So geht das FG Münster davon aus, dass auch im Anwendungsbereich des BilMoG nicht nur zur Einziehung bestimmte eigene Anteile in der Steuerbilanz zu aktivieren sind. Hiermit folgt das FG Münster einer im Schrifttum von der Mindermeinung vertretenen Sichtweise, die anders als die Finanzverwaltung von der Unmaßgeblichkeit der handelsrechtlichen Neuregelung zur Bilanzierung eigener Anteile für die Steuerbilanz ausgeht.95 Diese Grundsatzfrage hat das FG Münster aber schlussendlich offen gelassen, weil selbst im Fall einer Nichtaktivierung für die gewinnmindernd verbuchten Anschaffungsnebenkosten nach Auffassung des Gerichts das Abzugsverbot nach § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG greift. Auch insoweit besteht eine Abweichung zur o.a. Verwaltungsauffassung.96 Folge dieser zutreffenden Sichtweise wäre im dargestellten Beispielsfall nebst Fortführung, dass die Anteile zunächst mit Anschaffungskosten von 202 500 Euro zu aktivieren wären, und bei der nachfolgenden Veräußerung nach Abzug der Veräußerungskosten (1000 Euro) ein Veräuße-

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Auswirkung dieser Einschränkung erschließt sich indes nicht. Siehe hierzu auch die kritischen Anmerkungen von Blumenberg/Lechner, DB 2014, 141 (145) und von Schiffers, GmbHR 2014, 79 (84). FG Münster v. 13.10.2016 – 9 K 1087/14 K,G,F, EFG 2017, 423, rkr. Vgl. BMF v. 27.11.2013 – IV C 2 - S 2742/07/10009 – DOK 2013/1047768, BStBl. I 2013, 1615 = FR 2014, 78. Siehe hierzu Pung in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8b KStG Rz. 129b; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8b KStG Rz. 200. Siehe hierzu auch die Urteilsanmerkung von Rengers, EFG 2017, 430.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr

rungsverlust i.S.v. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG i.H.v. 3500 Euro erzielt worden wäre. Auswirkungen auf den Bestand des Einlagekontos ergäben sich weder bei Erwerb noch bei Veräußerung der eigenen Anteile. c) Verbilligter Erwerb eigener Anteile eine Gestaltungsoption? Verfügt die GmbH über einen ausreichenden ausschüttbaren Gewinn, so kann mittels einer Gewinnausschüttung keine nicht steuerbare Einlagenrückgewähr an den Gesellschafter geleistet werden (§ 27 Abs. 1 Satz 3 KStG). In einer solchen Ausgangslage kann es u.U. gestalterisch erwägenswert sein, wenn der Gesellschafter Teile seiner Anteile zu seinen Anschaffungskosten an die GmbH veräußert, die hierdurch eigene Anteile erwirbt. Dies wird i.d.R. dazu führen, dass der Kaufpreis unter dem gemeinen Wert der übertragenen Anteile liegt, was im Grundsatz eine verdeckte Einlage des Gesellschafters darstellt. Da auf der Ebene der Kapitalgesellschaft aber kein Anschaffungsgeschäft anzunehmen ist, ist hier mangels Annahme eines einlagefähigen Vermögensgegenstands tatsächlich keine verdeckte Einlage anzunehmen. Es sind hier nur die beschriebenen Rechtsfolgen (Kapitalherabsetzung) für den gezahlten Kaufpreis vorzunehmen. Beim Gesellschafter löst die Anteilsveräußerung die Rechtsfolgen des § 17 EStG aus. Fraglich ist aber, ob in dem Umfang, in dem der Veräußerungspreis zu niedrig ist, der Veräußerungsersatztatbestand nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG (verdeckte Einlage) ausgelöst wird.97 Käme der Veräußerungsersatztatbestand nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG nicht zur Anwendung, wäre der verbilligte Anteilsverkauf ein probates Gestaltungsmittel zur Erreichung eines faktischen Direktzugriffs auf das steuerliche Einlagekonto. Zwar liegt hier im Grundsatz aus dem Blickwinkel des Gesellschafters eine solche verdeckte Einlage vor, nach den Wertungen auf der Ebene der Kapitalgesellschaft (auf deren Ebene nach allgemeinen Grundsätzen grundsätzlich über das Vorliegen einer verdeckten Einlage zu befinden ist98) liegt eine solche verdeckte Einlage aber gerade nicht vor. Entscheidend ist also, welcher Blickwinkel maßgeblich ist. Da es hier um eine Rechtsfrage auf der Ebene des Gesellschafters geht, spricht ein normspe-

97 Der BFH v. 6.12.2016 – IX R 7/16, GmbHR 2017, 768 hat dies im Anwendungsbereich der Rechtslage vor BilMoG bejaht. 98 Vgl. BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348 = AG 1988, 237.

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Stimpel/Schumacher, Aktuelle Fragen der steuerlichen Einlagenrückgewähr

zifischer Ansatz für die Maßgeblichkeit des Blickwinkels des Gesellschafters. Da aus seiner Sicht eine verbilligte Anteilsveräußerung vorliegt, wäre demnach der Anwendungsbereich von § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG eröffnet und es käme zur Veräußerung sämtlicher stiller Reserven in den Anteilen im Rahmen des Teileinkünfteverfahrens nach § 17 EStG. Von dem beschriebenen vermeintlichen Gestaltungsansatz wäre daher dringend abzuraten.

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Praxiskonsequenzen der Erbschaftsteuerreform – die neuen Ländererlasse Ministerialrätin Gerda Hofmann Bundesministerium der Finanzen, Berlin Dr. Marc Jülicher Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht, Bonn I. BVerfG-Entscheid – Reformbedarf II. Gesetzgebungsverfahren, Inkrafttreten, Rückwirkung, Ländererlass III. Verwaltungsvermögen – Aktiva und Passiva 1. Änderungen beim Katalog der Nummern 1–4 a) Wirtschaftsgüter zur Dotation von Altersvorsorgeverpflichtungen b) Lieferungsverträge („Brauereigrundstücke“ etc.) c) Kunst- und Luxusgegenstände 2. Finanzmittel 3. Schulden a) System b) Kein Abzug von jungem Verwaltungsvermögen, jungen Finanzmitteln c) Weitere Ausschlüsse der Schuldenverrechnung 4. § 13b Abs. 2 ErbStG – Neuer Verwaltungsvermögenstest a) Ermittlung des Nettoverwaltungsvermögens b) 10 %-Puffer („Kulanzpuffer“) c) Junges Verwaltungsvermögen, junge Finanzmittel

5. 6.

7. 8.

d) Verbundvermögensaufstellung 90 %-Grenze Vollbefreiung a) Materielles b) Verfahrensrecht Feststellungen Reinvestition

IV. Bewertungsabschlag für Familienunternehmen: Schwelle zum „Großerwerb“ 1. Schwellenprüfung 2. Vorababschlag – System 3. Entnahmen, Ausschüttungen 4. Verfügungsbeschränkungen 5. Abfindungshöhe, Abschlag 6. Vorababschlag – Entfallen V. § 13c ErbStG (neu): „Verschonungsabschlag bei Großerwerben“ VI. § 28a ErbStG (neu): „Verschonungsbedarfsprüfung“ VII. § 28 Abs. 1 ErbStG (neu): Siebenjährige Stundung in den Todesfällen VIII. Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 3 ErbStG 1. Eingreifen 2. Einbeziehung von Beteiligungen

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Hofmann/Jülicher, Praxiskonsequenzen der Erbschaftsteuerreform 3. Berechnung IX. Veräußerungsnachsteuer des § 13a Abs. 6 ErbStG

X. Bewertung – Vervielfältiger XI. Fazit

I. BVerfG-Entscheid – Reformbedarf Das BVerfG hat am 17.12.20141 das ErbStG 2009 als teilweise verfassungswidrig verworfen. Betroffen waren die Ursprungsfassung des ErbStG 20092 sowie alle Folgefassungen, zuletzt i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG3. Verfassungswidrig sind ausschließlich die §§ 13a, 13b ErbStG. Mit der Bewertung i.S.d. § 12 ErbStG, auch der Unternehmensbewertung nach Maßgabe des § 12 Abs. 2 ErbStG (Kapitalgesellschaften) oder § 12 Abs. 5 ErbStG (Betriebsvermögen, Personengesellschaften), hat sich das BVerfG in dieser Entscheidung – anders als in den Vorentscheidungen4 – nicht beschäftigt.

II. Gesetzgebungsverfahren, Inkrafttreten, Rückwirkung, Ländererlass Die Einigung der Koalitionsspitzen war durch Nachforderungen des CSU-Chefs Seehofer im Februar 2016 in ihrer Verwirklichung aufgehalten worden. Das Gesetzgebungsverfahren konnte erst im Herbst nach der Sommerpause inhaltlich beendet werden, nachdem der Bundesrat am 8.7.2016 den Vermittlungsausschuss angerufen hatte und dieser am 22.9.2016 entschied.5 Damit stellt sich die Frage, welche erbschaft- und

1 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50 = FR 2015, 160. Ausführliche Nachweise der Besprechungen bei Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 19 Rz. 30 a.E. 2 Erbschaftsteuerreformgesetz 2009 v. 24.12.2008, BGBl. I 2008, 3018; in Kraft seit 1.1.2009. 3 AmtshilfeRLUmsG v. 26.2.2013, BGBl. I 2013, 1809; anzuwenden auf Erwerbe nach dem 6.6.2013, vgl. § 37 Abs. 8 ErbStG. 4 BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671 = GmbHR 1995, 679; v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 = FR 2007, 338. 5 Beschlussempfehlung v. 22.9.2016, BT-Drucks. 18/9690; Gesetzesbeschluss BT v. 29.9.2016 und BR v. 14.10.2016, BGBl. I 2016, 2464.

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schenkungsteuerlichen Reglungen zwischen dem 1.7.2016 und der Verabschiedung der Reform gelten.6 Seitens des BVerfG war, da bis zum 30.6.2016 keine Neuregelung verabschiedet wurde, in einer Pressemitteilung7 die nochmalige Befassung „mit dem weiteren Vorgehen im Normenkontrollverfahren um das ErbStG“ ab September 2016 angekündigt worden. In § 37 Abs. 12 ErbStG wird die zeitliche Anwendbarkeit der Neuregelung ab 1.7.2016 vorgegeben. Für die Regelung des § 13a Abs. 1, § 13c Abs. 3 Satz 3, 4 ErbStG, also die Hinzurechnung früherer Erwerbe und ggf. den Wegfall eines früheren Verschonungsabschlags bei größeren Erwerben, wird weiterhin ergänzend festgelegt, dass nur solche früheren Erwerbe betroffen sind, für die die Steuer nach dem Stichtag entsteht.8 Das dann im Herbst 2016, also nach dem 30.6.2016 verabschiedete Gesetz enthält damit ohne Wahlrecht eine Rückwirkung auf den 1.7.2016, wie es bereits beim ErbStG 1996 der Fall war und nach der Rspr. auch zulässig sein sollte.9 Die Finanzverwaltung hatte rein vorsorglich im Sommer 2016 die Weitergeltung des ErbStG 2009 über den 30.6.2016 hinaus angeordnet, wohl aber in erster Linie, um Zweifeln der Stpfl. über die weitere Existenz einer Erbschaft-/Schenkungsteuer und den daran anknüpfenden Anzeige- und Steuererklärungspflichten (§§ 30, 31 ErbStG) den Boden zu entziehen, diese dann später wieder aufgehoben.10 Auch sind Bescheide nicht mehr vorläufig.11 Inhaltlich basiert die Endfassung des Reformgesetzes weitgehend auf dem Bundestagsbeschluss vom 24.6.201612, der im Schrifttum auch diskutiert und im Vermittlungsausschuss modifiziert wurde.13 Der „koor6 Vgl. insgesamt zur verfassungsrechtlichen Debatte über das Schicksal des ErbStG nach dem 30.6.2016 ohne Neuregelung bis dahin Bäuml, NWB 2016, 2331; Crezelius, ZEV 2016, 367; Drüen, DStR 2016, 643; Guerra/Mühlhaus, ErbStB 2016, 230; Seer, GmbHR 2016, 673; Wachter, GmbHR 2017, 1. 7 Pressemitteilung Nr. 41/2016 v. 14.7.2016. 8 Abschn. 13c.4 Abs. 1 AEErbSt 2017. 9 BFH v. 20.10.2004 – II R 74/00, BStBl. II 2005, 99 = FR 2005, 449; vgl. dazu Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 37 Rz. 6f. 10 Ländererlasse v. 21.6.2016, BStBl. I 2016, 646; v. 8.12.2016, BStBl. I 2016, 1934. 11 Ländererlasse v. 16.1.2017, BStBl. I 2017, 24. 12 BT-Drucks. 18/8911. 13 Zu dieser (End-)Version entsprechend der Einigung im Vermittlungsausschuss vom 22.9.2016 Nachweise bei Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 541.

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dinierte Ländererlass“ vom 22.6.201714 enthält auf 90 Seiten Erläuterungen, die so in 15 Bundesländern, in Bayern eingeschränkt, gelten. Im Schrifttum sind die Erlasse umfassend erörtert worden.15

III. Verwaltungsvermögen – Aktiva und Passiva 1. Änderungen beim Katalog der Nummern 1–4 Die Definition des ErbStG für das Verwaltungsvermögen (jetzt § 13b Abs. 4 ErbStG) wird grundsätzlich beibehalten; die zwischenzeitlich nach dem BMF erwogene Abgrenzung begünstigten Vermögens nach dem „Hauptzweck“ als Systemwechsel wird nicht eingeführt.16 Das bereits bei der gesonderten Feststellung ausgewiesene Verwaltungsvermögen (§ 13b Abs. 10 ErbStG) wird oberhalb der unschädlichen Grenzen jetzt erstmals besteuert. a) Wirtschaftsgüter zur Dotation von Altersvorsorgeverpflichtungen Aus dem Bereich allen schädlichen Verwaltungsvermögens werden Vermögenswerte17 zur Rückdeckung von betrieblichen Pensionsverpflichtungen herausgenommen (§ 13b Abs. 3 ErbStG). Zumeist wird eine Treuhandgesellschaft hierfür gegründet werden müssen. Notwendig ist zunächst eine Absonderung gegenüber dem Zugriff anderer Gläubiger des Unternehmens (z.B. „CTA-Strukturen“). Notwendig wird auch sein, entsprechend der Parallele bei § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB, ein nachhaltiger „Insolvenzschutz“18 gegenüber den Gläubigern gerade der Treuhandgesellschaft, ähnlich wie es bei Sondervermögen von Investmentfondgesellschaften zum Schutz der Anleger der Fall ist. Bei § 246 Abs. 2 Satz 2 HGB genügt eine Aussonderung immer, eine Absonderung dagegen nur

14 Ländererlasse v. 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902. Version Bayern: BayLfSt v. 14.11.2017 – S 3715.1.1-30/8 St34, GmbHR 2018, 112 (nur Abweichungen, ohne Tz.). 15 Vgl. z.B. Demuth/Bodden, KÖSDI 2017, 20466; Eisele, NWB 2017, 2670, 2751; Geck, ZEV 2017, 481; Herbst, ErbStB 2017, 278; Korezkij, DStR 2017, 1229; Olbing/Stenert, FR 2017, 701; M. Reich, DB 2017, 1879; M. Reich, DStR 2017, 1858; Stalleiken/Holtz, ErbR 2017, 602; Wachter, GmbHR 2017, 841. 16 Zur Kritik der Länder daran vgl. Stalleiken/Kotzenberg, GmbHR 2015, 673. 17 Abschn. 13b.11 Abs. 1, 2 AEErbSt 2017; zuvor Eisele, NWB 2016, 2173 (2174); zu Details von Oertzen/Reich, Ubg. 2017, 1 (3). 18 Abschn. 13b.11 Abs. 2 Satz 6 AEErbSt 2017.

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bei vergleichbarem Schutz.19 Eine reine Rückdeckungsversicherung reicht nicht aus.20 Eine Verpfändung an Berechtigte außerhalb eines CTA-Modells kann durch eine Einzelvereinbarung innerhalb einer Pensionszusage oder durch eine Gruppenvereinbarung geschehen.21 Im Vermittlungsausschuss wurde als Höchstgrenze der Dotation der gemeine Wert der Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen eingefügt.22 Zuvor fehlte eine solche Obergrenze im Gesetzentwurf der Bundesregierung, so dass der Bundesrat eine Dotation in unbegrenztem Umfang mit „Spardoseneffekt“ ohne sachliche Rechtfertigung verhindern wollte. Die Finanzverwaltung lässt die Verrechnung zwischen den Altersversorgungsverpflichtungen und den zu ihrer Dotation abgesonderten Wirtschaftsgütern des Verwaltungsvermögens nach einer für den Stpfl. großzügigen Berechnungsreihenfolge zu:23 Die Verrechnung findet zwar niemals mit jungen Finanzmitteln als bloßer Rechengröße statt,24 aber doch zunächst mit jungem Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG, dann allgemein mit Verwaltungsvermögen nach § 13b Abs. 4 Nr. 1–4 und zuletzt mit Finanzmitteln nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG. So werden dem Stpfl. norminterne Abzüge vom Verwaltungsvermögen wie der Abschlag von 15 % des Unternehmenswerts und die uneingeschränkte Schuldensaldierung bei Finanzmitteln, sofern nicht jung, z.B. weitgehend belassen (vgl. § 13b Abs. 4 Nr. 3). Altersversorgungsverpflichtungen wie auch die Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens sind stets mit dem gemeinen Wert (§ 9 BewG) anzusetzen.25 Ergibt sich ein Überhang einer Seite, führt die Überdotierung zum Ansatz der verbleibenden Wirtschaftsgüter als Verwaltungsvermögen, die Unterdotierung zur Berücksichtigung der verbleibenden Altersversorgungsverpflichtungen umfassend bei den Schulden im Rahmen des Finanzmitteltests oder zumindest anteilig bei der allgemeinen Schuldenverrechnung des § 13b Abs. 6 ErbStG.26

Merkt in Baumbach/Hopt, HGB37, § 246 Rz. 27. Abschn. 13b.11 Abs. 1 Satz 6 f. AEErbSt 2017. Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13b Rz. 75. Abschn. 13b.11 Abs. 4 AEErbSt 2017. Abschn. 13b.11 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1–3 AEErbSt 2017; in der Literatur zuvor Korezkij, DStR 2016, 2434 (2441). 24 Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (708); krit. Korezkij, DStR 2017, 1729 (1732). 25 Abschn. 13b.11 Abs. 3 AEErbSt 2017. 26 Abschn. 13b.11 Abs. 4 Sätze 2, 3 AEErbSt 2017.

19 20 21 22 23

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Generell sind aber nur Wirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens zu verrechnen, keine sonstigen Wirtschaftsgüter und auch nicht der bloße fiktive Einlagenüberschuss bei jungen Finanzmitteln i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG.27 Aus der ertragsteuerlichen Bewertung von Pensionsverpflichtungen etc., insbes. nach § 6a EStG, sind Streitigkeiten über die Anwendung des richtigen Zinssatzes für die Abzinsung hinlänglich bekannt. Übernimmt man die ertragsteuerlichen Ergebnisse „1:1“ für die Erbschaft-/Schenkungsteuer, ist die Auswirkung größer. Denn es geht nicht nur um eine Gewinnverschiebung auf der Zeitschiene, sondern um ein endgültiges Ergebnis bei einer Stichtagsteuer.28 Hingewiesen wurde früh darauf, dass der gemeine Wert von Altersversorgungsverpflichtungen nicht stets unverändert nach § 6a EStG abgeleitet werden darf, weil dann die konkret im Unternehmen gebildete Rückstellung allein relevant wäre, die nicht zwingend den gemeinen Wert i.S.d. HGB darstellt.29 Da die Finanzverwaltung den gemeinen Wert i.S.d. § 9 BewG ansetzt, ist nach § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG ein Abzinsungszinssatz von 5,5 % maßgeblich. Im Zivilrecht war zuletzt der BGH30 zu einem Zinssatz von 5,25 % nach § 253 Abs. 2 Satz 2 HGB gelangt, hatte aber den von der Klägerin geforderten Zinssatz von nur 3,25 % abgelehnt. b) Lieferungsverträge („Brauereigrundstücke“ etc.) Beim Verwaltungsvermögen sind aus den vermieteten Grundstücken zum Absatz eigener Produkte verpachtete Grundstücke, z.B. „Brauereigrundstücke“, oder – wohl seltener – Tankstellengrundstücke grundsätzlich ausgenommen, wenn sie vorrangig überlassen werden, um im Rahmen von Lieferungsverträgen dem Absatz von eigenen Erzeugnissen und Produkten zu dienen (§ 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. e [neu] ErbStG).31 Nicht erfasst sind „Logistikunternehmen“ (Speditionsunternehmen und sonstige Dienstleistungsunternehmen), weil hier die Vermietung der 27 Abschn. 13b.11 Abs. 2 Satz 3 AEErbSt 2017. 28 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 250 ff. 29 Geck, ZEV 2016, 546 (550); ebenso Korezkij, DStR 2017, 1729 (1732). Vgl. auch Vorlagebeschluss an das BVerfG zum nicht an den Marktzins angepassten Regelzins: FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 24 – Az. BVerfG BvL 22/17. 30 BGH v. 11.5.2016 – XII ZB 615/13, FamRZ 2016, 1247: Versorgungsausgleich bei Altersversorgung eines Piloten der Lufthansa im Scheidungsverfahren. 31 Abschn. 13b.18 AEErbSt 2017.

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Grundstücke nicht auf Nutzung im Unternehmen selbst hergestellter Erzeugnisse oder Produkte ausgerichtet ist.32 Nicht unter § 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. e ErbStG fallen sonstige Rückausnahmen, bei denen die Vermietung des Grundbesitzes nach ertragsteuerlichen Gesichtspunkten insgesamt als originär gewerbliche Tätigkeit einzustufen ist. In diesen Fällen, z.B. bei Hotels, Pensionen oder Campingplätzen, scheidet aber Verwaltungsvermögen aufgrund einer Verwaltungsregelung aus.33 c) Kunst- und Luxusgegenstände In § 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG (vormals Nr. 5) sind neben Kunstgegenständen jetzt auch Briefmarkensammlungen, Oldtimer, Yachten, Segelflugzeuge und sonstige typischerweise der privaten Lebensführung dienende Gegenstände ausgenommen, außer ihre Herstellung oder Verarbeitung sowie der Handel mit diesen Gegenständen oder ihre entgeltliche Überlassung an Dritte wäre der Hauptzweck des Betriebs.34 Hierfür kann die Zuordnung zum Umlaufvermögen ein Indiz sein.35 Denkbar ist, dass die Einstufung eines PKW als Oldtimer nach Maßgabe des § 2 Nr. 22 Fahrzeug-Zulassungsverordnung gem. § 23 StVZO vorgenommen wird.36 Abgrenzungsschwierigkeiten dürften sich vielleicht bei Yachten ergeben, wobei man unter einer Yacht wohl ein größeres Motorboot ab einer Länge von zehn Metern versteht, während ein kleineres Motorboot, regelmäßig bis zu einer Länge von sieben Metern,37 insbes. bei beruflicher Nutzung durch einen Inselbewohner zur Wegzeitverkürzung, nicht als Yacht gelten wird. Zu beachten ist, dass, anders als beim Abzugsverbot des Betriebsausgabenabzugs in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 oder Nr. 7 EStG, die Regelung im ErbStG im Zweifel insgesamt wirkt und nicht etwa eine gerade noch an32 Abschn. 13b.18 Satz 4 AEErbSt 2017; Geck, ZEV 2016, 546 (549); krit. M. Reich, BB 2017, 1879 (1880); ggf. aber originär gewerbliche Vermietung. 33 Abschn. 13b.13 Satz 3 AEErbSt 2017. 34 Abschn. 13b.21 AEErbSt 2017. 35 Abschn. 13b.21 Abs. 1 Satz 3 AEErbSt 2017. 36 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2437); Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG6, § 13b Rz. 509. 37 Vgl. Abgrenzung bei Wikipedia, Stichwort „Yacht“. Dazu Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 314.

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gemessene betriebliche Nutzung zu einer Teilbegünstigung eines so als Verwaltungsvermögen qualifizierten Gegenstands führen kann. Z.T. wird kritisiert, dass der Begriff „private Lebensführung“ als Oberbegriff nicht vorangestellt worden ist, vor eine Einzelaufzählung von Gegenständen, und dass überdies der Begriff „private Vermögensanlage“ in diesem Zusammenhang vorzugswürdig gewesen wäre.38 Entsprechend einer Protokollerklärung der Bundesregierung bei der Einigung im Vermittlungsausschuss sind Kunstgegenstände etc. aus dem Verwaltungsvermögen dann ausgenommen, wenn sie Bestandteile eines Museums zur Unternehmensgeschichte sind.39 Sie müssen dafür aber in einer für ein Museum üblichen Art und Weise für die Öffentlichkeit zugänglich sein und außerdem von dem Unternehmen selbst hergestellt, verarbeitet oder gehandelt werden oder sonst zumindest einen Bezug zur Unternehmensgeschichte haben. Dies wäre etwa die Abbildung eines Teils z.B. des Herstellungs- oder Verarbeitungsprozesses oder der Entstehungsgeschichte der Produkte des Unternehmens.

2. Finanzmittel Sog. Finanzmittel i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG unterliegen besonderen Regelungen. Hier ist ein uneingeschränkter Schuldenabzug aller berücksichtigungsfähigen Schulden40 möglich und zudem wird ein Abzugsbetrag von 15 % des Unternehmenswerts im Regelfall gewährt. Die Definition der Finanzmittel stammt aus den Ländererlassen vom 10.10.2013,41 die hier in den AEErbSt 201742 unverändert übernommen worden sind. Zu den Finanzmitteln gehören danach Geld, Sichteinlagen, Festgeldkonten, aber z.B. auch Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, im Sonderbetriebsvermögen und sonstige auf Geld gerichtete Forderungen aller Art wie auch Anzahlungen und Forderungen aus stillen Beteiligungen. Nicht zu berücksichtigen sind Finanzmittel (und Schulden), die bei der vorrangigen Verrechnung zwischen Altersversorgungsansprüchen und -verpflichtungen bereits berücksichtigt wurden.43 38 St. Viskorf/Löscherbach/Jehle, DStR, 2016, 2425 (2427). 39 Abschn. 13b.21 Abs. 2 AEErbSt 2017. 40 Weiter Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (711): Keine Anwendung von § 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG, also keine Prüfung auf wirtschaftliche Belastung. 41 Ländererlasse v. 10.10.2013, BStBl. I 2013, 1272. 42 Abschn. 13b.23 Abs. 2 AEErbSt 2017. 43 Verweis in § 13b Abs. 3 Satz 2 ErbStG; vgl. auch Abschn. 13b.23 Abs. 5 AEErbSt 2017.

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Umstritten sind hier Sachleistungsansprüche, die auf Lieferung eines Gegenstands (oder einer Dienstleistung) gerichtet sind, der später nicht zu Verwaltungsvermögen führen würde. Hier wird teilweise eine teleologische Reduktion gefordert.44 Das Argument, dass auch Sachleistungsverpflichtungen berücksichtigt werden, jetzt als Schulden, nützt im konkreten Einzelfall wenig, bei z.B. ausschließlich einem Sachleistungsanspruch aus einer größeren Maschinenbestellung. Ein Abzugsposten von 15 % des Unternehmenswerts nur bei Finanzmitteln nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG wird für nicht bereits mit Altersvorsorgeverpflichtungen saldierte Finanzmittel (§ 13b Abs. 3 Satz 2 ErbStG) und auch nur dann gewährt, wenn das begünstigungsfähige Vermögen des Betriebs oder seiner nachgeordneten Gesellschaften nach seinem Hauptzweck einer originär gewerblichen etc. Tätigkeit i.S.d. § 13 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 18 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 EStG dient (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Sätze 4, 5 ErbStG). Die Tätigkeit darf durch Gesellschaften z.B. i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ausgeübt werden, aber eben nicht durch eine nur gewerblich geprägte Gesellschaft i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG.45 Die im Gesetzgebungsverfahren zwischenzeitlich (im Jahr 2015) im größeren Umfang vorgesehene Hauptzweckprüfung wird insofern, wenn auch im Anwendungsbereich begrenzt, wieder mit allen Abgrenzungsschwierigkeiten in das Besteuerungsverfahren eingeführt.46 Die gewerbliche Tätigkeit kann auch durch eine Infektion gewerblich geprägter Tätigkeiten im Bereich der Personenunternehmen erreicht werden.47 Trotz Verwendung des Hauptzweckansatzes fehlt, im Vergleich zur Formulierung im nicht verwirklichten (Zwischen-)Gesetzentwurf vom 8.7.2015, das Merkmal einer „überwiegend“ gewerblichen etc. Tätigkeit.48 Absoluter Mindestansatz im Bereich der Finanzmittel ist der Wert der jungen Finanzmittel i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG. Sie sind als Überschuss der Einlagen über die Entnahmen festzustellen.

44 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 184; a.A. Geck in Kapp/ Ebeling, ErbStG, § 13b Rz. 45. 45 Abschn. 13b.23 Abs. 6 Satz 4 ff. AEErbSt 2017; näher Korezkij, DStR 2017, 1729 (1735); Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (712). 46 St. Viskorf/Löscherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2427). 47 Geck, ZEV 2016, 546 (549). 48 Vgl. Hinweis bei Korezkij, DStR 2016, 2434 (2437); Korezkij, DStR 2017, 745 (747): mehr als 50 % der Erträge.

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Dadurch wird, anders als bei den anderen Arten des Verwaltungsvermögens, der sog. Aktivtausch privilegiert. Allerdings ergibt sich das Problem, dass durch die Feststellung des Einlageüberschusses auch Einlagen erfasst werden, die ggf. vor dem Stichtag bereits in Nicht-Verwaltungsvermögen verwandelt worden sind, etwa durch Kauf einer Maschine. Konsequenterweise müsste der Einlageüberschuss deshalb auf zum Besteuerungsstichtag noch vorhandene Einlagen beschränkt werden.49 Dem folgt die Finanzverwaltung aber nicht. Das Vorhandensein der jungen Finanzmittel am Besteuerungsstichtag ist deshalb nicht entscheidend. Allerdings ist der Wert der jungen Finanzmittel begrenzt auf den Wert der Finanzmittel insgesamt, nach Abzug der abzugsfähigen Schulden und des Sockelbetrags.50 Das kann zu Zufallsergebnissen führen, je nachdem, ob und wie viel sonstige Finanzmittel neben der für eine Investition verwendete Einlage vorhanden sind.51 Systematisch erfolgt die Erfassung der jungen Finanzmittel dadurch, dass sie im Rahmen des Finanzmitteltests vom Wert der Finanzmittel abzuziehen sind52 und später, nach allen anderen Korrekturen wie Schuldenverrechnung oder Kulanzpuffer (§ 13b Abs. 6, 7 Satz 1 ErbStG), einzeln, zusammen mit dem „gewöhnlichen“ jungen Verwaltungsvermögen, auszuweisen sind (§ 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG).53 Weggefallen ist, wegen der Verbundvermögensaufstellung im Konzern (§ 13b Abs. 9 ErbStG), beim Finanzmitteltest die bisherige Bereichsausnahme für „Cash-Pools“, d.h. Konzernfinanzierungsgesellschaften. Es besteht nur noch die Bereichsausnahme für Kreditinstitute und Versicherungen (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 3).54

3. Schulden a) System Das Verwaltungsvermögen wird in Relation „zum gemeinen Wert zum Betriebsvermögen des Betriebs oder der Gesellschaft zzgl. der nach Anwendung des Abs. 2 verbleibenden Schulden“ gesetzt (§ 13b Abs. 6 ErbStG). Für die Ermittlung des Nettowerts des Verwaltungsvermögens

49 50 51 52 53 54

Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (572); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2438 f.). Abschn. 13b.23 Abs. 3 Satz 2, 3 AEErbSt 2017. Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (710). Abschn. 13b.23 Abs. 3 Satz 5 AEErbSt 2017. Vgl. auch Abschn. 13b.28 Abs. 3 AEErbSt 2017. Abschn. 13b.23 Abs. 8 AEErbSt 2017.

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muss dessen gemeiner Wert noch um Schulden gekürzt werden (§ 13b Abs. 6 Satz 1 ErbStG). Nach interner Schuldenverrechnung (§ 13b Abs. 3 und 4 ErbStG) sind die verbleibenden Schulden anteilig nach dem Verhältnis des gemeinen Werts des Verwaltungsvermögens zum gemeinen Wert des Betriebsvermögens des Betriebes anzusetzen, ggf. unter Berücksichtigung von Restschulden bei einem Schuldenüberhang aus der Anwendung von § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG (§ 13b Abs. 6 Satz 2 ErbStG). Soweit Schulden nicht vorab verrechnet werden, werden die restlichen Schulden mit dem Verwaltungsvermögen saldiert, allerdings nach der Relation „Wert des Verwaltungsvermögens“ zum Gesamtwert des Betriebs.55 Zum Verwaltungsvermögen zählt dabei kein junges Verwaltungsvermögen.56 Beispiel: Der Wert des Betriebs beträgt 20, der des Verwaltungsvermögens 8. Es bestehen „allgemeine“ Schulden von 5. Die Schulden sind bei Vollverschonung von 100 % anteilig zu 40 % von 5, also zu 2, vom Verwaltungsvermögen von 8 abzuziehen, das sich dadurch auf 6 reduziert.

Die Definition der Schulden bestimmt sich zunächst nach der aus den Ländererlassen v. 10.10.201357 abgeleiteten Definition der abzugsfähigen Schulden beim Finanzmitteltest.58 Zu den abzugsfähigen Schulden zählen danach alle Schulden, die bei der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung zum Betriebsvermögen gehören, nicht dagegen z.B. Rechnungsabgrenzungsposten59, dafür wieder Rückstellungen auch bei steuerlichem Passivierungsverbot und Sachleistungsverpflichtungen, dagegen z.B. nicht Rücklagen. Darlehenskonten der Gesellschafter sind bei Qualifikation im EStG als Fremdkapital abzugsfähig. Besonderheiten ergeben sich dann noch aus den nachfolgenden besonderen Verrechnungsausschlüssen des § 13b Abs. 8 ErbStG oder aus Einschränkungen im Rahmen einer Verbundvermögensaufstellung nach § 13b Abs. 9 ErbStG. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang einer Schuld mit bestimmten Wirtschaftsgütern ist für den allgemeinen Schuldenabzug nicht erforder55 Beispiel bei H 13b.25 AEErbSt 2017. Dazu Beznoska/Hentze, DB 2016, 2433 (2436). 56 Abschn. 13b.25 Satz 4, Abschn. 13b.9 Abs. 2 Schritt II. 3.1 AEErbSt 2017; krit. Korezkij, DStR 2017, 1729 (1733); vgl. auch Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (715). 57 Ländererlasse v. 10.10.2013, BStBl. I 2013, 1272. 58 Dazu Abschn. 13b.23 Abs. 4 AEErbSt 2017. 59 FG Rh-Pf. v. 25.10.2017 – 2 K 2201/15, EFG 2018, 136 mit Anm. Sobotta.

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lich.60 Eine Schuldenkürzung nach § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG findet deshalb bei der Ermittlung des begünstigten Vermögens nach § 13b Abs. 2 ErbStG auch nicht statt. b) Kein Abzug von jungem Verwaltungsvermögen, jungen Finanzmitteln Für alles junge Verwaltungsvermögen greift nur der Abzug für Altersversorgungsverpflichtungen (Abs. 3). Ausgeschlossen sind die Abzüge für Finanzmittel (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG) oder die allgemeinen Grundsätze der Schuldenverrechnung i.S.d. § 13b Abs. 6 ErbStG (§ 13a Abs. 8 Satz 1 ErbStG).61 c) Weitere Ausschlüsse der Schuldenverrechnung Gezielte Einlagen kurz vor dem Stichtag versucht man durch den Ausschluss der Saldierung von Schulden mit solchen Gegenständen des „jungen“ Verwaltungsvermögens zu eliminieren, die aus einer kurzfristigen Einlage innerhalb der letzten zwei Jahre vor dem Stichtag i.S.d. § 9 ErbStG stammen (§ 13b Abs. 8 Satz 1 ErbStG). Auch werden (§ 13b Abs. 8 Satz 2 ErbStG) Schulden von der Verrechnung ausgeschlossen, wenn sie nicht wirtschaftlich belasten62 (z.B. bei endgültiger Nichtgeltendmachung seitens des Gläubigers; „sensibel“: Fälle des Rangrücktritts63) oder soweit ihre Summe den durchschnittlichen Schuldenstand der letzten drei Bilanzstichtage vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer übersteigt.64 Zur Vereinfachung sind hier Endstichtage der letzten drei Wirtschaftsjahre maßgeblich.65 Nur für die Erhöhung des Schuldenstands durch Betriebstätigkeit soll hier noch eine Ausnahme gelten. Dies ist der Fall, wenn Schulden durch den laufenden Geschäftsbetrieb veranlasst sind, nicht dagegen, wenn Wirt-

60 Abschn. 13b.25 Satz 2 AEErbSt 2017. 61 Abschn. 13b.27 AEErbSt 2017. Dazu M. Reich, BB 2017, 1879 (1884); zweifelnd Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439). 62 Abschn. 13b.28 Abs. 2 AEErbSt 2017. Zur wirtschaftlichen Belastung vgl. allgemein Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 10 Rz. 129. 63 Vgl. zum EStG Weber-Grellet in Schmidt, EStG36, § 5 Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“, sowie Frystatzki, DStR 2016, 2479. 64 Zu Details Korezkij, DStR 2016, 2434 (2443). 65 Abschn. 13b.28 Abs. 2 Satz 4 AEErbSt 2017.

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schaftsgüter des nicht betriebsnotwendigen Betriebsvermögens i.S.d. § 200 Abs. 2 BewG fremdfinanziert werden.66 Der Gesetzgeber versucht an dieser Stelle, ein gezieltes Aufblähen der Schulden vor dem Übertragungsstichtag zu vermeiden. Die Streitanfälligkeit der Frage, welche Schulden bei einer Erhöhung des Schuldenstands durch die Betriebstätigkeit veranlasst sind, ist angesichts der denkbaren verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten eines Unternehmens allerdings erkennbar.

4. § 13b Abs. 2 ErbStG – Neuer Verwaltungsvermögenstest a) Ermittlung des Nettoverwaltungsvermögens Verwaltungsvermögen wird jetzt einzeln als ggf. steuerpflichtig ausgewiesen, so dass in jedem Fall der Wert des Verwaltungsvermögens wie auch der der übertragenen Einheit im Vorfeld vom Stpfl. und seinem Berater berechnet werden müssen, um den Umfang der tatsächlichen Begünstigung einzuschätzen.67 Die Berechnung des Verwaltungsvermögens nach §§ 13b ff. ErbStG ist wegen der verschiedenen „Töpfe“ sehr kompliziert geworden.68 b) 10 %-Puffer („Kulanzpuffer“) Im Übrigen ist zusätzlich Verwaltungsvermögen (einschließlich Finanzmittel) generell i.H.v. 10 % des Werts des begünstigten Vermögens unschädlich (§ 13b Abs. 7 Satz 1 ErbStG., sog. „Kulanzpuffer“69), außer es wäre „jung“ (§ 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG). Aus dem sogenannten begünstigungsfähigen Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 ErbStG (betr. Vermögensarten) ist das begünstigte Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG abzuleiten. Dafür muss sein gemeiner Wert den um das unschädliche Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 7 ErbStG gekürzten Nettowert des Verwaltungsvermögens i.S.d. § 13b Abs. 6 ErbStG übersteigen. Alles andere Vermögen ist steuerpflichtig ohne Verschonung.70

66 Details bei Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (711). 67 Geck, ZEV 2016, 546 (549). 68 Abschn. 13b.9 Abs. 2 AEErbSt 2017. Vgl. auch Berechnungsschema bei Korezkij, DStR 2016, 2434 (2445 ff.); „Roadmap“ bei Landsittel, ZErb 2016, 383 (394). Berechnungen bei Kirschstein, ErbStB 2017, 148 (206). 69 Abschn. 13b.26 AEErbSt 2017. 70 Abschn. 13b.8 AEErbSt 2017.

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Es kommt also zu einer Differenzbetrachtung mit Insich-Rechnungen. In diesem Zusammenhang wird auch von einem „Netto-Verwaltungsvermögen“ erster Stufe gesprochen, das dann nach Abzug des 10 %igen Kulanzpuffers das sogenannte „verminderte Netto-Verwaltungsvermögen“ ergibt.71 Das begünstigte Vermögen im Nenner bei der Berechnung des Kulanzpuffers ermittelt sich durch Abzug des bereits um „interne“ Saldierungen gekürzten Verwaltungsvermögens (Schulden bei § 13b Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 5 ErbStG, 15 %iger Unternehmenswert-Abzug dort), das vom Gesamtwert des Betriebsvermögens abgezogen wird. Zu beachten ist aber, dass junges Verwaltungsvermögen und junge Finanzmittel nicht in den Kulanzpuffer als scheinbar begünstigtes Vermögen einfließen dürfen (§ 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG). Entsprechend ist der festgestellte Wert des Betriebsvermögens bzw. des Anteils nicht nur um den Wert des Verwaltungsvermögens, sondern auch um die festgestellten Werte des jungen Verwaltungsvermögens und der jungen Finanzmittel zu vermindern. Von dieser Differenz als reduzierter Bemessungsgrundlage wird dann das unschädliche Verwaltungsvermögen mit 10 % ermittelt, so dass sich schließlich der gekürzte Nettowert des Verwaltungsvermögens ergibt.72 Im Schrifttum waren zuvor auch andere Berechnungsmodalitäten vorgeschlagen worden, z.T. auch fälschlich eine 10 %-Quote vom Verwaltungsvermögen angesetzt worden. Alle diese Ansätze sind durch die Regelung im AEErbSt 2017 überholt. c) Junges Verwaltungsvermögen, junge Finanzmittel Junges Verwaltungsvermögen ist zunächst dadurch definiert (vgl. § 13b Abs. 7 Satz 2 ErbStG), dass sachlich als Verwaltungsvermögen identifizierte Gegenstände (vgl. § 13b Abs. 4 Nr. 1–4 ErbStG) dem Betrieb weniger als zwei Jahre im Zeitpunkt der Steuerentstehung zuzurechnen sind. Finanzmittel sind bereits bei § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG durch den Überschuss der Einlagen über die Entnahmen im Zweijahreszeitraum vor der Steuerentstehung in sachlicher und zeitlicher Hinsicht definiert (s.o. unter 2.). Beide Positionen sind (s.o. unter b) aus der Bemessungsgrundlage für den Kulanzpuffer durch Abzug vom begünstigtem Ver-

71 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 84. 72 Vgl. H 13b.26 AEErbSt 2017.

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mögen auszuscheiden und stellen überdies den Mindestwert des Verwaltungsvermögens dar (§ 13b Abs. 8 Satz 3 ErbStG), der durch keine Berechnung, eben auch nicht durch die hier ausgeschlossene Schuldenkürzung (§ 13b Abs. 8 Satz 1 ErbStG), unterschritten werden darf.73 Die Finanzverwaltung hat eine Reihe von ergänzenden Regelungen vorgegeben: Zum Vorteil des Stpfl. sind Vermögensgegenstände, die seit mehr als zwei Jahren zum Betriebsvermögen gehören, auch dann kein junges Verwaltungsvermögen, wenn sie etwa innerhalb der letzten zwei Jahre „umgewidmet“ worden sind, d.h. z.B. ein zuvor nicht vermietetes Grundstück mit längerer Betriebszugehörigkeit ein Jahr vor dem Stichtag erstmals fremdvermietet wurde.74 Bei Personengesellschaften ist junges Verwaltungsvermögen im Gesamthandsvermögen zunächst nach dem Wert des Anteils des Gesellschafters daran ihm zuzurechnen, zzgl. anschließend der jeweils im übertragenen Sonderbetriebsvermögen eines individuellen Gesellschafters enthaltenen Wirtschaftsgüter des jungen Verwaltungsvermögens.75 Für Anteile an Kapitalgesellschaften ist hier das Verhältnis der Aufteilung des gemeinen Werts der Gesellschaft nach § 97 Abs. 1b BewG maßgeblich.76 Das bedeutet, dass regelmäßig das Nennkapital relevant ist, ggf. aber auch eine davon abweichende Gewinnverteilung (vgl. § 97 Abs. 1b Satz 1 und 4 BewG). Das entspricht hier der Regelung bei Personengesellschaften, dort zunächst nach den Kapitalkonten der Gesamthandsbilanz, aber auch nach dem für die Gesellschaft maßgebenden Gewinnverteilungsschlüssel (dazu § 97 Abs. 1a Nr. 1 BewG). Kein junges Verwaltungsvermögen, aber nur bei Finanzmitteln, sind wegen des Abstellens auf den Überschuss der Einlagen über Entnahmen reine Umschichtungen von Einzelpositionen (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 ErbStG). Entsprechende frühere Entwürfe und Anregungen des Bundesrats, betreffend auch andere Bereiche des Verwaltungsvermögens, waren von der früheren Bundesregierung in den Jahren 2010 und 2011 wieder-

73 Vgl. auch Abschn. 13b.28 Abs. 1, 2 AEErbSt 2017, zum Ausschluss der Schuldenverrechnung und Abs. 3 zum Mindestnettowert des Verwaltungsvermögens. 74 Abschn. 13b.27 Satz 3 AEErbSt 2017. 75 Abschn. 13b.27 Satz 4 AEErbSt 2017. 76 Abschn. 13b.27 Satz 5 AEErbSt 2017.

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holt zurückgewiesen worden.77 Diese Bereiche von § 13b Abs. 4 Nr. 1–4 werden auch jetzt nicht privilegiert.78 Junge Finanzmittel dürfen in vertikalen Verbünden wohl nur auf Ebene der Konzernobergesellschaft entstehen,79 weil bei konzerninterner Einlage anderenfalls beim Durchreichen eines Geldbetrags wieder auf jeder Stufe junge Finanzmittel entstehen, wie es ähnlich bereits – normzweckwidrig – bei § 13b Abs. 2 Sätze 5–7 ErbStG a.F. AmtshilfeRLUmsG v. 25.6.201380 der Fall sein konnte.81 d) Verbundvermögensaufstellung Die Verbundvermögensaufstellung (§ 13b Abs. 9 ErbStG82) resultiert aus der verfassungsgerichtlichen Vorgabe, bei mehrstufigen Beteiligungssystemen Kaskadeneffekte durch die Beurteilung von z.B. Tochtergesellschaften nach einem Alles-oder-Nichts-Prinzip durch die Neuregelung zu vermeiden. Allerdings geht die Regelung darüber hinaus und behandelt auch Sonderfälle, insbes. bei Beteiligungsidentität zwischen Gläubigerund Schuldnerunternehmen.83 Ein Verbund liegt zunächst nicht vor, wenn ein Stpfl. unmittelbar an mehreren, horizontal nebeneinander stehenden Gesellschaften beteiligt ist, selbst im an anderer Stelle zu berücksichtigenden Betriebsaufspaltungsfall.84 Vielmehr müssen Beteiligungen an Personengesellschaften oder Anteile an Kapitalgesellschaften mit Sitz oder Geschäftsleitung im Inland oder im Ausland85 zu einem einzigen begünstigungsfähigen Vermögen gehören. Die Verbundvermögensaufstellung ist dann nicht unmittelbar aus der Konzernbilanz abzuleiten,86 sondern nach Sonderregelungen unter Berücksichtigung der Ziele des Verwaltungsvermögenstests und der Sonderregelungen im Gläubiger-/Schuldner-Verhältnis87 zu erstellen. 77 Nachweise bei Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 326. 78 Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (572). 79 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2438). 80 AmtshilfeRLUmsG v. 25.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 81 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439). 82 Vgl. dazu Schwindt, Wpg. 2017, 413; Königer, ZEV 2017, 365. 83 BT-Drucks. 18/8911, 44. 84 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 238. 85 Abschn. 13b.29 Abs. 1 AEErbSt 2017. 86 Abschn. 13b.29 Abs. 1 Satz 3 AEErbSt 2017. 87 Abschn. 13b.29 Abs. 2 und 3 AEErbSt 2017.

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Gemeine Werte einer Beteiligung oder eines Anteils sind deshalb durch die gemeinen Werte der diesen Gesellschaften zuzurechnenden Vermögensgegenstände des Verwaltungsvermögens und des jungen Verwaltungsvermögens, der Finanzmittel, jungen Finanzmittel und Schulden im Umfang der unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung zu ersetzen, und zwar mit der entsprechenden Rechentechnik auf jeder Beteiligungsstufe und unter Anwendung der Regelungen zur gesonderten Feststellung.88 Die Finanzverwaltung hat Berechnungsbeispiele vorgegeben.89 Nicht einzubeziehen in die Verbundvermögensaufstellung sind Beteiligungen, die z.B. aufgrund nicht ausreichender Beteiligungsquote bereits insgesamt als Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG qualifiziert sind (§ 13b Abs. 9 Satz 5 ErbStG). In diesen Fällen wird abweichend von § 13b Abs. 9 Sätze 1–4 ErbStG der gemeine Wert der Anteile an der Kapitalgesellschaft als Verwaltungsvermögen angesetzt.90 Für ausländische Gesellschaften werden die Grundsätze des Typenvergleichs gelten.91 Der Einzelausweis jungen Verwaltungsvermögens und junger Finanzmittel auf jeder Ebene eines Verbunds führt zu der Frage, wie verbundinterne Umschichtungen zu behandeln sind.92 Das gleiche Problem ergibt sich, wenn eine Muttergesellschaft junge Finanzmittel in die Tochtergesellschaft einlegt, wobei nur eine vielleicht teleologische Reduktion hilft, dass junge Finanzmittel im Verbund nur durch Einlage „von außen“ entstehen können.93

88 Abschn. 13b.29 Abs. 2 AEErbSt 2017, insbes. Satz 1 (System), Satz 2 (im Umfang der Beteiligung), Satz 3 (Rechengrößen), Satz 4 (auf jeder Beteiligungsstufe), Satz 5 (mit Feststellung). 89 H 13b.29 AEErbSt 2017, zu Forderungen/Schulden über mehrere Stufen, zu jungem Verwaltungsvermögen, und zur mitunternehmerbezogenen Verbundvermögensaufstellung mit Sonderbetriebsvermögen. Aus der Literatur vgl. Beispiele bei Herbst, ErbStB 2016, 347 (352 ff.); Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (571 ff.); Kirschstein, ErbStB 2017, 206 (215). 90 Abschn. 13b.29 Abs. 6 AEErbSt 2017. 91 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13b Rz. 185 vgl. auch Jülicher in Troll/Gebel/ Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 177; BMF v. 19.3.2004 – IV B 4 - S 1301 USA - 22/04, BStBl. I 2004, 411 = FR 2004, 490, beispielhaft zur US-LLC ausführlich. 92 Vgl. Stalleiken, DK 2016, 439 (442); Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 243 ff. 93 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2439); Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 248. Ebenso Bayern (vgl. Fn. 14).

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Im Gläubiger-/Schuldner-Verhältnis sind Forderungen und Verbindlichkeiten im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung nicht anzusetzen. Das wird – trotz der sonst vielfach mitunternehmerbezogenen Betrachtungsweise – aber nicht auf Forderungen und Verbindlichkeiten im Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen einer Personengesellschaft übertragen, mangels einer formal vorliegenden „Beteiligung“.94 Damit ist das Sonderbetriebsvermögen erst im zweiten Schritt in die Berechnung einzubeziehen.95 Die Verwaltungsvermögensquote kann mittels des Sonderbetriebsvermögens dadurch beeinflusst werden, dass dabei nur mitübertragenes Sonderbetriebsvermögen zählt.96 Gruppeninterne Forderungen und Verbindlichkeiten sind zudem nur insoweit zu kürzen, als zwischen Gläubiger- und Schuldnergesellschaft Konsolidierungsfähigkeit im Verbund besteht.97 Dies gilt also nur eingeschränkt im Umfang der durchgerechneten Beteiligungsquote der Konzernobergesellschaft an der Konzerngesellschaft.98 Auch für Verbindlichkeiten der Konzernobergesellschaft gegenüber einer Konzerngesellschaft oder für Forderungen zwischen zwei Konzerngesellschaften greift das Ansatzverbot nur im Umfang der Beteiligungsidentität.99 Z.B. bei einer Forderung einer 100 %igen konzernzugehörigen Gesellschaft gegenüber einer nur zu 60 % konzernzugehörigen Gesellschaft ist diese zu 40 % anzusetzen und zu 60 % gegenüber der ebenfalls anteilig einzubeziehenden gegenseitigen Forderung zu kürzen.100 Die Finanzverwaltung setzt eine Forderung nicht bei Finanzmitteln an, wenn ihr innerhalb der zum übertragenen Vermögen gehörenden Beteiligungsstruktur eine Verbindlichkeit gegenübersteht, und umgekehrt.101 Die Nachweispflicht für z.B. den Nichtansatz einer Forderung und den niedrigeren Wertansatz der Finanzmittel liegt beim Stpfl.102 94 Abschn. 13b.29 Abs. 3 Satz 5 AEErbSt 2017. 95 Vgl. H 13b.29 AEErbSt 2017, Verbundvermögensaufstellung, Beispiel 1, mit Berücksichtigung einer Darlehensforderung im Sonderbetriebsvermögen außerhalb; vgl. auch Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 249 ff.; Königer, ZEV 2017, 365 f.; für Saldierung zuvor Korezkij, DStR 2016, 2434 (2436). 96 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 250. 97 Abschn. 13b.29 Abs. 3 AErbSt 2017. Beispiel in H 13b.29 AEErbSt 2017. 98 M. Söffing, ErbStB 2016, 235 (248); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2436). 99 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2436). 100 Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (571). 101 Abschn. 13b.29 Abs. 3 Satz 2 AEErbSt 2017. 102 Abschn. 13b.29 Abs. 3 Satz 3 AEErbSt 2017: Beizubringen sind „Geeignete Unterlagen“.

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Bei der Aufstellung der Verbundvermögensaufstellung sind auf jeder Beteiligungsstufe die Sonderregelungen für das Ausscheiden von Verwaltungsvermögen und Schulden im Zusammenhang mit Altersversorgungsverpflichtungen nach § 13b Abs. 3 ErbStG und die Schuldenbegrenzung z.B. wegen wirtschaftlich nicht belastender Schulden nach § 13b Abs. 8 ErbStG anzuwenden.103 Die Begrenzung der Rechengröße junger Finanzmittel auf den Wert der tatsächlich vorhandenen Finanzmittel erfolgt dagegen nur auf der obersten Feststellungsebene.104 Völlig außerhalb der Verbundvermögensaufstellung und des Feststellungsverfahrens erfolgen bei der Veranlagung zur Erbschaft- und Schenkungsteuer eine Reihe von weiteren Berechnungen.105 Dies sind normintern bei Finanzmitteln nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG Schuldenverrechnung und der Abzug des Sockelbetrags, die quotale Schuldenverrechnung nach § 13b Abs. 6 ErbStG, der Kulanzpuffer nach Abs. 7 und das Saldierungsverbot von Schulden mit jungen Finanzmitteln und jungem Verwaltungsvermögen nach Abs. 8.

5. 90 %-Grenze Generell greifen alle Begünstigungen nur, wenn das Vermögen jedenfalls nicht zu mehr als 90 % aus Verwaltungsvermögen besteht (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Dadurch sollte vermieden werden, dass sog. Cash-GmbH mit angehängtem „kleinem“ originär gewerblichem Bereich ungewollt entlastet werden. Da dies dem Bundesrat nicht ausreichend erschien, man aber auch die Grenze nicht z.B. flächendeckend auf 50 % herabsetzen wollte, wurde letztlich im Vermittlungsausschuss die entsprechende Korrektur nur konkret bei den Finanzmitteln i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG ergänzt, um die Cash-GmbH auszuschalten. Bei der Ermittlung der 90 %-Grenze wird der Begriff „Verwaltungsvermögen“ i.S.d. § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG nach Abzug der separierten und für die Rückdotierung von Altersvorsorgeverpflichtungen verwandten Wirtschaftsgüter ermittelt werden müssen.106 In der Praxis war zunächst befürchtet worden, ohne eine unmittelbare Legalverweisung auf § 13b Abs. 3 ErbStG sei hier immer ein Deckungs-

103 104 105 106

Abschn. 13b.29 Abs. 4 Satz 1 AEErbSt 2017. Abschn. 13b.29 Abs. 4 Satz 2 AEErbSt 2017. Abschn. 13b.29 Abs. 5 AEErbSt 2017. Geck, ZEV 2016, 546 (548); Hannes, ZEV 2016, 354 (556), in Fn. 12 dort.

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vermögen (also eine CTA-Struktur etc.) notwendig und die bloße „einfache“ insolvenzfeste Absonderung genüge nicht.107 Die Verwaltung nimmt aber nunmehr eine Gleichstellung vor, so dass auch für § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG die in Abs. 3 formulierten Voraussetzungen unmittelbar hinreichend sind.108 Daneben wurde gefordert, Finanzmittel iSd. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG netto nach Abzug von Schulden zu betrachten, um nicht etwa Handelsunternehmen mit hohem Forderungsbestand und hohen Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen ungewollt mit überschießender Tendenz von den Begünstigungen auszuschließen.109 Die Finanzverwaltung hat bislang keine Einschränkung zugelassen.110

6. Vollbefreiung a) Materielles Die Vollbefreiung, jetzt in § 13a Abs. 10 ErbStG geregelt, bleibt erhalten und setzt jetzt u.a. eine Höchstgrenze von 20 % Verwaltungsvermögen voraus. Der Anteil des Verwaltungsvermögens bestimmt sich nach dem Verhältnis der Summe gemeinen Werte der Einzelwirtschaftsgüter des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 3 und 4 ErbStG zum gemeinen Wert des Betriebs (§ 13a Abs. 10 Satz 3 ErbStG). Das bedeutet, dass die 50 %-Grenze in Tochtergesellschaften (früherer § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG a.F.) durch die konsolidierte Betrachtung auch eines Verbunds entfallen ist. Überdies sollten sich, trotz des Abstellens auf „gemeine Werte der Einzelwirtschaftsgüter“, wohl die internen Schuldenverrechnungsmechanismen des § 13b Abs. 3, 4 Nr. 5 ErbStG auswirken,111 dagegen nicht die allgemeine Schuldensaldierung des § 13b Abs. 6 ErbStG oder die Unschädlichkeitsgrenze des § 13b Abs. 7 Satz 1 ErbStG. Der Wortlaut wird so verstanden, dass die Bruttowerte der Aktiva allein zählen, ohne jeden

107 Vgl. Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13b Rz. 88. 108 Abschn. 13b.10 Satz 5 AEErbSt 2017; zu einem Berechnungsbeispiel vgl. H 13b.10 AEErbSt 2017. 109 Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (573) unter Berufung auf Erkis, DStR 2016, 1441 (1444); wohl a.A. Korezkij, DStR 2016, 2434 (2440). 110 Abschn. 13b.10 Satz 4 und Beispiel 2 bei H 13b.9 AEErbSt 2017. 111 Abschn. 13a.20 Abs. 3 AEErbSt 2017. So auch Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (574).

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weiteren Schuldenabzug.112 In jeden Fall werden Unternehmen, die Verwaltungsvermögen in stärkerem Umfang fremdfinanziert unterhalten, hier gefährdet sein, neben Unternehmen mit geringen Verbindlichkeiten und höheren Liquiditätsbeständen, wobei Letzteres aber gerade gewollt ist.113 Jedenfalls kann die 20 %-Grenze auch in Fällen verletzt werden, in denen letztlich das gesamte Vermögen zum begünstigten Vermögen zählt.114 b) Verfahrensrecht Wie bisher kann der Antrag auf Vollbefreiung nicht zurückgenommen werden und auch nicht bedingt gestellt werden.115 Insbesondere bei Auslösung von Nachsteuer sind etwaige Nachteile der Vollbefreiung, die allerdings rechnerisch kaum bei der Lohnsummenverfehlung i.S.d. § 13a Abs. 3 ErbStG, sondern nur bei der Veräußerungsnachsteuer i.S.d. § 13a Abs. 6 ErbStG denkbar sind, hinzunehmen. Die Nachsteuerfristen sind weiterhin in diesen Fällen von fünf auf sieben Jahre verlängert und es ergeben sich höhere Mindestlohnsummen (§ 13a Abs. 10 Satz 1 ErbStG). Manchmal ist es für den Stpfl. empfehlenswert, den Antrag auf Vollbefreiung mindestens bis zu einer ersten Veranlagung hinauszuschieben, um ggf. diese mit Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung anzugreifen. Letztmalig kann der Antrag grundsätzlich bei Eintritt der materiellen Bestandskraft der Erbschaft-/Schenkungsteuerbescheide gestellt werden. Vielfach ergeben sich aber andere Parameter gerade durch die gesondert festzustellenden Angaben zu Verwaltungsvermögen und Lohnsummen. Wegen der Trennung in Feststellungs- und Festsetzungsverfahren hätten in vielen Fällen Festsetzungen der Erbschaft-/Schenkungsteuer rein vorsorglich verfahrensrechtlich offengehalten werden müssen, um Ergebnisse der Feststellung für die bei der Festsetzung zu beurteilende Prüfung der Vollbefreiung zu berücksichtigen. Die Finanzverwaltung ist den Stpfl. dadurch entgegengekommen, dass der Optionsantrag als Folgeänderung des Feststellungsbescheids i.S.d.

112 Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2316 f.); vgl. dazu aber auch Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135 (1137); Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 506. 113 Vgl. dazu Geck, ZEV 2016, 546 (552). 114 Korezkij, DStR 2016, 2434 (2444); zu Gestaltungen über die Nutzung von Bewertungswahlrechten Kummer/Wangler, BB 2017, 1917. 115 Abschn. 13a.20 Abs. 2 AEErbSt 2017.

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§ 175 Abs. 1 Nr. 1 AO qualifiziert wird.116 Einzelne Bundesländer (z.B. NRW) scheinen aber auf eine „Schwellenrelevanz“ der Änderungen (von 21 % auf 18 % z.B.) abzustellen.

7. Feststellungen Das Feststellungsverfahren ist seit 1.7.2016 stark ausgeweitet worden. Festzustellen sind gem. § 13b Abs. 10 ErbStG die Summe der gemeinen Werte der Finanzmittel, der jungen Finanzmittel, des Verwaltungsvermögens, des jungen Verwaltungsvermögens und der Schulden.117 Feststellungen erfolgen auch dann, wenn z.B. bei einem börsennotierten Unternehmen keine Feststellung des Anteilswerts erfolgt.118 Die Feststellung ist jedoch in vielerlei Hinsicht begrenzt. Zunächst gibt es Bereiche, die nur der nachrichtlichen Übermittlung durch das Betriebsfinanzamt an das Erbschaftsteuerfinanzamt unterliegen.119 Dazu gehörten, –

das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Sockelbetrags i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 ErbStG, also die originäre gewerbliche Tätigkeit nach dem Hauptzweck des Betriebs (Nr. 1),



das Vorliegen der Voraussetzungen und auch der Prozentsatz des Vorwegabschlags nach § 13a Abs. 9 ErbStG (Nr. 2), und



bei Einzelunternehmen bzw. Beteiligungen an Personengesellschaften Umfang und Wert des ausländischen Vermögens im festgestellten Wert des Betriebsvermögens, das einer Betriebsstätte in einem Drittstaat außerhalb des EU-/EWR-Raums dient (Nr. 3),



sowie bei Einzelunternehmen bzw. Beteiligungen an Personengesellschaften der Wert des dem Grundvermögen zuzuordnenden Anteils, in Abgrenzung zu dem dem Betriebsvermögen zugehörigen Anteil, bei einer Mischnutzung (Nr. 4).

Darüber hinaus finden sich auch an anderen Stellen Detailregelungen. Z.B. ermittelt das Erbschaftsteuerfinanzamt das begünstigungsfähige Ver-

116 Zuletzt BayLfSt v. 7.7.2016 – S 3812.b.2.1 - 13/6 St34, ZEV 2016, 536 = StEK AO § 175 Nr. 76; aber wohl länderintern umstritten, dazu Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 437. 117 Abschn. 13b.30 Abs. 1 AEErbSt 2017. 118 Abschn. 13b.30 Abs. 1 Satz 3 AEErbSt 2017. 119 Abschn. 13b.30 Abs. 5 Nr. 1–4 AEErbSt 2017.

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mögen i.S.d. § 13b Abs. 1 ErbStG.120 Auch greift das Erbschaftsteuerfinanzamt zwar die Feststellungen durch die Betriebsfinanzämter nach § 13b Abs. 10 ErbStG auf, ermittelt jedoch das begünstigte Vermögen und das steuerpflichtige Vermögen selbst.121

8. Reinvestition Außerdem wurde zugunsten des Stpfl. eine bereits 2013 erwogene, aber damals verworfene Reinvestitionsklausel beim Verwaltungsvermögen in begrenztem Umfang, nämlich nur für Todesfälle (nicht Schenkungen!), eingeführt (§ 13b Abs. 5 ErbStG122). Auch wenn liquide Mittel grundsätzlich als Verwaltungsvermögen gelten, können sie anders bei einer Investition innerhalb von 2 Jahren nach dem Stichtag begünstigt sein. Es muss aber ein konkreter, nachvollziehbarer Investitionsplan bereits des Erblassers (§ 13b Abs. 5 Sätze 1, 2 ErbStG) mit Nennung der zu erwerbenden Wirtschaftsgüter vorliegen,123 evtl. mit „Zeithorizont“ und überraschend selbst dann, wenn nur Löhne bei saisonal schwankenden Einnahmen aus dem „Reinvestitionspuffer“ gezahlt werden sollen (§ 13b Abs. 5 Satz 3 ErbStG). Die Regelung wird nur eine geringe Bedeutung erreichen, außer der Erblasser würde regelmäßig Investitionspläne als „Schubladenpläne“ vor entsprechenden größeren Anschaffungen vorhalten.124 Hat der Erblasser keine Möglichkeit, die Geschäftsführung im Hinblick auf Investitionen zu beeinflussen, etwa wenn er weder Mitglied der Geschäftsführung ist noch einen Platz in einem Aufsichtsgremium hat,125 genügt aber der ihm zuzurechnende Beschluss der Geschäftsführung.126 Bei der Zahlung der Löhne aus saisonal schwankenden Einnahmen127 dürfte die Reinvestition an sich nicht zweifelhaft sein, denn Löhne sind immer zu zahlen. 120 Abschn. 13b.9 Abs. 1 Satz 2 AEErbSt 2017. 121 Abschn. 13b.9 Abs. 1 Satz 1 AEErbSt 2017. 122 Abschn. 13b.24 AEErbSt 2017. Ausführlich Kowanda, DStR 2017, 469; Olbing/Stenert, FR 2017, 701 (704 ff.). Schneider, UVR 2018, 58. 123 Abschn. 13b.24 AEErbSt 2017; Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135 (1139). 124 Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2318). 125 St. Viskorf/Löscherbach/Jehle, DStR, 2016, 2425 (2428). 126 Abschn. 13b.24 Abs. 3 Satz 7 f. AEErbSt 2017. 127 Zu Details der Auslegung Abschn. 13b.24 Abs. 4 AEErbSt 2017; Korezkij, DStR 2016, 2434 (2441).

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Der Nachweis obliegt in allen Bereichen dem Erwerber (§ 13b Abs. 5 Satz 4 ErbStG). Kritisiert wird z.T., dass der Gesetzgeber mit dem Begriff „Investition“ einen bisher nicht bekannten Begriff verwendet, anstelle der bereits üblichen Begriffe wie „Anschaffung“ oder „Herstellung“.128 Ebenso ist nicht geklärt, wann eine Investition verwirklicht ist, insbes. ob zivilrechtliches oder wirtschaftliches Eigentum am Ersatzgegenstand ausreichen.129 Nach wie vor, ähnlich der Nachsteuerregelung bei der Veräußerung einer wesentlichen Betriebsgrundlage jetzt in § 13a Abs. 6 Sätze 3, 4 ErbStG, ist nur eine Reinvestition in anderes Vermögen als Verwaltungsvermögen privilegiert. Nach dem Gesetz gelten für einmal angeschaffte Reinvestitionsgüter keine besonderen Behaltensfristen, so dass Umlaufvermögen, etwa Vorräte, zeitnah wieder veräußert werden kann.130 Bei der Reinvestitionsregelung zur Nachsteuervermeidung nach § 13a Abs. 6 Sätze 3, 4 ErbStG wird z.T. aber auch die Investition in Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens (als taugliches Reinvestitionsgut) angezweifelt.131 Bei § 13b Abs. 5 ErbStG, also der Reinvestition zum Verwaltungsvermögenstest, soll die Regelung großzügiger sein. Soweit eine Reinvestition zusätzlich, also neben dem Verwaltungsvermögen, auch aus Privatvermögen finanziert wird, ist dies unschädlich. Jedoch wird das Privatvermögen nicht im Nachhinein begünstigt.132 Die Reinvestition wird nicht stets innerhalb der zwei Jahre völlig abgeschlossen sein, insbes. bei der Errichtung eines Betriebsgebäudes oder einer Fertigungsanlage. Bei der Reinvestitionsnachsteuer der LuF ist die Finanzverwaltung in der Vergangenheit großzügig gewesen und hat z.B. die Stellung des Bauantrags bei der Behörde oder die verbindliche Vergabe des Auftrags zur Errichtung eines Gebäudes ausreichen lassen.133 Das sollte hier, über den Bereich der LuF hinaus, auch gelten.134

128 129 130 131 132 133

Geck, ZEV 2016, 546 (552). Geck, ZEV 2016, 546 (553). So Wachter, FR 2016, 690 (694); Korezkij, DStR 2016, 2434 (2440). M. Söffing in Wilms/Jochum, ErbStG, § 13a Rz. 234. Abschn. 13b.24 Abs. 3 Sätze 4, 5 AEErbSt 2017. BayLfSt v. 13.11.2015 – S 3812a.2.1 - 27/2, DStR 2016, 414 = StEK ErbStG § 13a Nr. 39, Tz. 1. 134 Kowanda, DStR 2017, 469 (475).

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IV. Bewertungsabschlag für Familienunternehmen: Schwelle zum „Großerwerb“ 1. Schwellenprüfung Nach § 13a Abs. 1 ErbStG sind die nachstehenden Absätze 2–10 nur dann anzuwenden, wenn das begünstigte Vermögen insgesamt 26 Mio. Euro nicht übersteigt (§ 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG135). Bei Überschreiten der Grenze durch mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Erwerbe entfällt die Steuerbefreiung nicht nur für den Nacherwerb, sondern mit Wirkung für die Vergangenheit auch für die bis dahin als steuerfrei behandelten früheren Erwerbe (§ 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Nach § 37 Abs. 12 ErbStG gelten für die Prüfung mehrerer Erwerbe, also zum Teil. i.S.d. ErbStG 2009, zum Teil i.S.d. ErbStG 2016, auf das Überschreiten der Großerwerbsschwelle insgesamt Sonderregelungen. Ein Vorerwerb vor dem Systemwechsel zum 1.7.2016 ist nur für die Prüfung des Nacherwerbs relevant, wird aber selbst nicht rückwirkend korrigiert.136 Die Regelung entspricht damit der verfassungsrechtlich regelmäßig zulässigen sog. „unechten Rückwirkung“ bzw. „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“. Die Abschmelzung nur des Nacherwerbs nach dem Systemwechsel ab 1.7.2017 erfolgt unter Einbeziehung des Vorerwerbs als einem Element vor dem Systemwechsel.

2. Vorababschlag – System Entgegen Zwischenentwürfen werden Verfügungsbeschränkungen bei einer Beteiligung nicht durch Heraufsetzung der Schwelle berücksichtigt, ab der die Bedürfnisprüfung eingreift. Das geschieht erstmals – abweichend von § 9 Abs. 2 Satz 3 iVm. Abs. 3 Satz 2 BewG – durch einen Abschlag von bis zu 30 % durch eine besondere Bewertungsvorgabe innerhalb des Verschonungssystems (§ 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG), ggf. betreffend nur Teile einer Beteiligung (§ 13a Abs. 9 Satz 2 ErbStG). Teilweise wird kritisiert, dass keine Änderung des § 9 BewG, insbes. des § 9 Abs. 2

135 Abschn. 13a.1 Abs. 1 Satz 2 AEErbSt 2017. 136 Näher Abschn. 13a.2 Abs. 2 u. 13c.4 AEErbSt 2017. Dazu Zipfel/Lahme, DStZ 2016, 566 (569, 574): „Einfacher Progressionsvorbehalt“ für den Nacherwerb; a.A. Wachter, FR 2016, 690 (704); M. Reich, BB 2016, 1879 (1883): Verbot jeder Zusammenfassung.

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Satz 3 BewG vorgenommen wurde.137 Dagegen spricht allerdings, dass das BVerfG in der Entscheidung vom 7.11.2006138 mit der Verwerfung des ErbStG 1996 gerade verdeckte Abschläge auf der ersten Ebene vom Steuerwert (= Verkehrswert) des § 12 ErbStG untersagt hat und den Gesetzgeber zwingend in die Verschonungsregelungen der §§ 13 ff. ErbStG auf einer zweiten Ebene gedrängt hat. Dem lag die Absicht zugrunde, den Gesetzgeber zu verpflichten, die Verschonungen als zielorientierte Lenkungsnormen individuell zu begründen. Wegen des Wortlauts in § 13a Abs. 9 ErbStG („vor Anwendung des Abs. 1“) wird der Abschlag (nur) vom „begünstigten Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2“ ErbStG immer vor der Schwellenprüfung des Abs. 1 abgezogen. Die für den Vorwegabschlag notwendigen Beschränkungen müssen zulässig vereinbart werden können. Deshalb kommt der Vorwegabschlag z.B. nicht in Betracht bei einem Einzelunternehmen139 und, insbes. auch nicht bei Anteilen an einer AG, soweit das AktG keine entsprechenden Einschränkungen in der Satzung zulässt.140 Ähnliches wird zu gelten haben, wenn im Ausland bestimmte, für § 13a Abs. 9 ErbStG geforderte Beschränkungen nicht zulässig vereinbart werden können.141 All diesen Fällen ist aber auch gleich, dass der Grund für den Abschlag, nämlich die eingeschränkte Ertragsfähigkeit oder Verwertungsmöglichkeit, eben nicht als Nachteil z.B. bei einem Einzelunternehmen, bei einer AG oder ggf. oder einem ausländischen Unternehmen gegeben ist. Ebenso kommt der Vorwegabschlag nicht in Betracht bei den Tatbeständen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 und § 7 Abs. 7 Satz 2 ErbStG, weil es sich nach der Fiktion der Finanzverwaltung nicht um einen begünstigten Erwerb handelt142 und § 13a Abs. 9 ErbStG an das begünstigte Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG anknüpft.143 Hier ist der Ausschluss kritischer zu sehen. Die angreifbare Systementscheidung liegt aber bereits logisch früher darin, bei den Ausscheidenserwerben zwar einen steuerbaren Tatbestand nach §§ 3 oder 7 ErbStG zu fingieren, diese Fiktion des steuer137 Seer/Michalowski, GmbHR 2017, 609 (613); Kußmaul/Müller, Ubg. 2017, 378 (382 f.). 138 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192 = FR 2007, 338. 139 A.A. Wachter, FR 2016, 690 (699). Zu Gestaltungen Watrin/Linnemann, Ubg. 2017, 461. 140 Abschn. 13a.19 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 und 2 AEErbSt 2017; krit. Wachter, GmbHR 2017, 841 (846): relevant nur für Inhaberaktien. 141 Vgl. Bockhoff, ZEV 2017, 186 zu internationalen Aspekten. 142 RE 3.4 Abs. 3 Sätze 7–9 ErbStR 2011; HE 7.9 ErbStH 2011. 143 Abschn. 13a.19 Abs. 4 Nr. 3 AEErbSt 2017.

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baren Übergangs, auch z.B. bei einer Einziehungsklausel bei einer GmbH, aber nicht auf §§ 13a, 13b ErbStG zu erstrecken. Verfahrensrechtlich ist darauf hinzuweisen, dass keine gesonderte Feststellung stattfindet, sondern das Betriebsfinanzamt Voraussetzungen und Prozentsatz des Abschlags nachrichtlich dem Erbschaftsteuerfinanzamt mitteilt.144 Bei Vorhandensein von Sonderbetriebsvermögen, das nicht durch Abschlag entlastet werden kann, ist das Gesamthandsvermögen isoliert zu ermitteln und mitzuteilen.145 Die Regelungen müssen im Gesellschaftsvertrag enthalten sein, denn ein „Poolvertrag“ einer Kapitalgesellschaft aufgrund einer gesonderten schriftlichen Vereinbarung reicht nicht.146

3. Entnahmen, Ausschüttungen Notwendig sind zunächst kumulativ Entnahme- oder Ausschüttungsbeschränkungen, Verfügungsbeschränkungen in personeller Hinsicht (nur Mitgesellschafter, Angehörige und Familienstiftungen) und Abfindungsbeschränkungen bei Ausscheiden (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1–3 Satz 1 ErbStG). Die Entnahme oder Ausschüttung darf höchstens 37,5 % des steuerrechtlichen Gewinns betragen, der zuvor um die darauf entfallenden Steuern gekürzt wurde. Entnahmen zu Steuerzwecken (nur Einkommensteuer!) bleiben unberücksichtigt (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 ErbStG). Im Einzelfall kann die Ermittlung der höchstens unschädlichen Entnahmen kompliziert sein.147 Bei einem qualifizierten Familienunternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft wird voraussichtlich der steuerliche Gewinn nur um die Steuern vom Einkommen, bezogen auf den Gewinnanteil aus der Gesellschaft, zu kürzen sein. Das betrifft in entsprechendem Umfang die Gewerbesteuer.148 Von dem Restbetrag dürften 37,5 % entnommen werden, worauf entsprechend der persönli144 Abschn. 13a.19 Abs. 1 Satz 10 AEErbSt 2017 und nochmals Abschn. 13b.30 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AEERbSt 2017. 145 Abschn. 13a.19 Abs. 3 Satz 3 AEErbSt 2017. 146 Abschn. 13a.19 Abs. 2 Satz 1 AEErbSt 2017. Ebenso M. Reich, DStR 2016, 2447 (2448); a.A. Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (689). 147 Vgl. Wachter, NZG 2016, 1168 (1172); Steger/Königer, BB 2016, 3099 (3100). 148 Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2315).

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chen Einkommensteuerbelastung vom Gesellschafter seine Einkommensteuer zu zahlen ist. Wenn diese Einkommensteuer wiederum unbeachtlich sein soll (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 ErbStG), müsste zusätzlich zu den 37,5 % die konkrete Einkommensteuerlast entnommen werden können. Bei einem unterstellten Spitzensteuersatz würde sich dann eine Entnahmemöglichkeit von ca. 46 % ergeben.149 Bei einer qualifizierten Kapitalgesellschaft müssten zunächst als Steuern vom Einkommen die Steuern auf Ebene der Kapitalgesellschaft herausgerechnet werden, so dass der anteilsbezogene Gewinn auf 70 zu kürzen ist. Auf die maximale Ausschüttungsquote von 37,5 %, jetzt also 26,25 % vom verminderten Grundwert, wären die Steuern zu leisten, die die Kapitalgesellschaft vom Ausschüttungsbetrag abzuführen hat. Wiederum müsste die Steuerlast auf den Ausschüttungsbetrag zusätzlich ohne Auswirkung auf die 37,5 % abzuziehen sein, so dass insgesamt eine Bruttoausschüttung von ca. 35,6 % erreichbar sein sollte.150 Z.B. wird als vorsorgliche Regelung auch eine maximale Entnahmemöglichkeit im Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft von 18 % zuzüglich individueller Steuern des Gesellschafters bzw. eine Ausschüttung von rund 45 % bei einer Kapitalgesellschaft für die Ausgestaltung von Gesellschaftsverträgen empfohlen.151 Nicht erfasst sind sonstige Entnahmen, die nicht den Gewinn betreffen, z.B. aufgrund der Auflösung von Rücklagen oder im Rahmen einer Liquidation.152 Die Finanzverwaltung möchte zur Vereinfachung jetzt die Steuerbelastung bei allen Gesellschaftsformen mit 30 % entsprechend § 203 Abs. 3 BewG annehmen;153 ggf. wird dem Stpfl. aber der Nachweis einer höheren Belastung offenbleiben müssen. Im Übrigen gelten für Entnahmen und Ausschüttungen ertragsteuerliche Grundsätze.154 Entnahmen aus dem Sonderbetriebsvermögen einer Personengesellschaft zählen nicht,155 weil dieses gesellschaftsvertraglich und zivilrechtlich nicht gebundene Vermögen mangels z.B. einer

149 Vgl. Beispiel bei Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2316). 150 Beispiel bei Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2315). 151 St. Viskorf/Löscherbach/Jehle, DStR, 2016, 2425 (2430); vgl. auch Formulierungen bei Weber/Schwind, ZEV 2016, 686; Uhl-Ludäscher, ErbStB 2017,42 ff.; Wälzholz, GmbH-StB 2017, 54 (56). 152 Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 153 Abschn. 13a.19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 AEErbSt 2017. 154 Abschn. 13a.19 Abs. 2 Satz 6 AEErbSt 2017. 155 Abschn. 13a.19 Abs. 3 Satz 2 AEErbSt 2017.

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Verfügungsbeschränkung nicht durch den Abschlag begünstigt ist.156 Ungeregelt ist eine vGA bei einer Kapitalgesellschaft. Es ist zu erwarten, dass sie für die Prüfung der zulässigen Höchstentnahme einbezogen wird. Beim Vorababschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG ist die Entnahmeregelung insgesamt das unsicherste Merkmal. Einzelne Verstöße sollten deshalb nicht schädlich sein, bei Betrachtung eines Zeitraums von 22 Jahren. Häufig wird aber in der Praxis die Bildung eines separaten Entnahmekontos empfohlen,157 ggf. auch für eine Basisversorgung in Verlustjahren. Ebenso werden Klauseln zur zeitnahen Rückführung einer ungewollten Überentnahme empfohlen.158

4. Verfügungsbeschränkungen Für die Verfügungsbeschränkungen zugunsten z.B. Angehöriger i.S.d. § 15 AO gilt, dass vergleichbare Beziehungen nach ausländischem Recht ebenfalls anzuerkennen sind, wogegen Mitarbeiterbeteiligungsmodelle nicht begünstigt sind.159 Ausgeschlossen ist als eben nicht qualifizierter Erwerber eine vermögensverwaltende Gesellschaft,160 weil die Transparenzfiktion des § 10 Abs. 1 Satz 4 ErbStG auch bislang von der Rspr. bereits eng ausgelegt worden ist.161 Es können auch mehrere Familienstiftungen errichtet werden, evtl. auch ohne Nennung im Gesetz ein Familienverein.162 Da die gemeinnützige Stiftung nicht genannt ist, kann es für einen Gesellschafter schädlich sein, wenn Gesellschaftsvertrag oder Satzung die Verfügung zugunsten einer gemeinnützigen Stiftung ermöglichen.163 Nach dem Gesetz ist nur eine inländische Familienstiftung gestattet; aus EU-rechtlichen Bedenken lässt die Finanzverwaltung aber

156 Dazu auch Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (689 f.); Wachter, NZG 2016, 1168. 157 Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (691). 158 Wälzholz, GmbH-StB 2017, 54 (56). 159 Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 160 Abschn. 13a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 AEErbSt 2017. 161 BFH v. 11.6.2013 – II R 4/12, BStBl. II 2013, 742 = GmbHR 2013, 940; krit. gegenüber dem Ausschluss vermögensverwaltender Personengesellschaften Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 162 Eisele, NWB 2017, 2670 (2675); a.A. wohl Wachter, NZG 2016, 1168 (1172). 163 M. Reich, DStR 2016, 2447 (2448); krit. in verfassungsrechtlicher Sicht Wachter, NZG 2016, 1168 (1172).

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auch „entsprechende“ ausländische Familienstiftungen zu.164 Bei den Verfügungsbeschränkungen wird ein weiter Begriff gelten, der dingliche Rechtsgeschäfte erfasst.165 Teilweise sollen auch Verpfändungen und Nießbrauchsbelastungen erfasst sein,166 was aber der Handhabung bei Poolvereinbarungen i.S.d. § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG widerspricht, wo die Nießbrauchsbelastung nie und die Verpfändung nur ab Pfandreife Relevanz erlangen kann.167 Teilweise wird eine Einschränkung für Verfügungen von Todes wegen verlangt, weil die Freiheit hierzu nach deutschem Recht nicht wirksam beschränkt werden könne (§ 2302 BGB).168 Diese Auffassung erscheint aber zu eng, wenn man z.B. auch qualifizierte Nachfolgeklauseln bei Personengesellschaften oder Abtretungs- und Einziehungsklauseln bei Kapitalgesellschaften anerkennt. Im Bereich des Sonderrechts für Personengesellschaften ist dieses dem Erbrecht gegenüber ohnehin vorrangig. Im Bereich der Kapitalgesellschaften kann die freie Vererblichkeit der Anteile zwar nicht ausgeschlossen werden; doch sind Regelungen, die anschließend z.B. die Einziehung der „fehlgeleiteten Anteile“ vorsehen, nicht unwirksam.

5. Abfindungshöhe, Abschlag Der Abschlag entspricht aber allein dem prozentualen Abschlag der Abfindung vom Verkehrswert nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG).169 Es wird sich stets um eine Beschränkung handeln müssen, die für alle Gesellschafter im Regelfall gilt, nicht nur für einzelne170 und definitiv nicht für Managerbeteiligungen.171 Die Finanzverwaltung unterstellt im Zweifel den geringsten Abschlag unter mehreren.172

164 Abschn. 13a.19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AEErbSt 2017; zu Details Steger/Königer, BB 2016, 3099 (3102). 165 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rz. 233. 166 Wälzholz, GmbH-StB 2017, 54 (58). 167 Vgl. Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 13b Rz. 178; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 403. 168 Wachter, NZG 2016, 1168 (1173). 169 Abschn. 13a.19 Abs. 4 AEErbSt 2017. 170 Wachter, FR 2016, 690 (699). 171 M. Söffing, ErbStB 2016, 235 (237); dazu auch Hannes, ZEV 2016, 554 (558). 172 Abschn. 13a.19 Abs. 4 Satz 4 AEErbSt 2017.

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Nicht ausreichend ist eine Beschränkung auf einen Verkauf unter dem gemeinen Wert allein an die qualifizierten Personen, sondern sie muss immer greifen.173 Streitigkeiten werden sich voraussichtlich bei der Ermittlung der Höhe des Abschlags ergeben, wenn dieser nicht ausdrücklich offen prozentual im Gesellschaftsvertrag ausgewiesen ist.174 Das aber würde gerade das Risiko § 7 Abs. 7 ErbStG auslösen. § 13a Abs. 9 ErbStG betrifft nicht mehr nur, wie ursprünglich vorgesehen, die Prüfschwelle von 26 Mio. Euro bei Familiengesellschaften für einen Großerwerb. Vielmehr wird der Abschlag für jeden Erwerb, auch unter 26 Mio. Euro gewährt.

6. Vorababschlag – Entfallen Die Beschränkungen müssen 2 Jahre vor und immer noch 20 Jahre nach dem Stichtag vorliegen (§ 13a Abs. 9 Sätze 4 und 5 ErbStG). Entfällt im 20-Jahres-Zeitraum nach dem Stichtag eine der Beschränkungen, die insgesamt kumulativ die Gesellschaft als Familiengesellschaft i.S.d. § 13a Abs. 9 ErbStG qualifizieren, entfällt der Abschlag. Entgegen Unsicherheiten im Wortlaut („… die Steuerbefreiung entfällt …“), die vielleicht aus den zwischenzeitlichen Sonderregelungen für Familienunternehmen in 2015 nur mit einer erhöhten Prüfschwelle herrühren, liegt kein Nachsteuertatbestand vor, der zu einem umfänglicheren Verlust der Begünstigungen führen würde als eben nur dem des Vorwegabschlags. Ein Erwerber kann aktiv an der schädlichen Änderung des Gesellschaftsvertrags mitwirken, oder er wird ggf. von Mehrheitsgesellschaftern überstimmt. All dies ist unerheblich und entlastet ihn nicht,175 wie bereits bei der Nachsteuer nach § 13a Abs. 6 (vormals Abs. 5) ErbStG entschieden ist.176 Der Abschlag entfällt zunächst vollständig, außer bei Erhöhung der Abfindung.177 Für Neugründungen sollte die Zweijahresfrist verkürzt ab Gründung laufen. Das Verfehlen insbes. der 20-jährigen Nachlauffrist für die verschie173 Abschn. 13a.19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Satz 2 AEErbSt 2017. 174 St. Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2430); Weber/Schwind, ZEV 2016, 688 (690). 175 Abschn. 13a.19 Abs. 6 Satz 3, 6 AEErbSt 2017; Hannes, ZEV 2016, 554 (559). 176 BFH v. 16.2.2005 – II R 39/03, BStBl. II 2005, 571 = FR 2005, 956; vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 246. 177 Abschn. 13a.19 Abs. 6 Satz 4 AEErbSt 2017. Zuvor Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2316): Hier nur teilweises Entfallen.

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denen Voraussetzungen für ein qualifiziertes Familienunternehmen i.S.d. § 13a Abs. 9 ErbStG gilt nicht als allgemeiner Nachsteuertatbestand. Es geht damit nur der Vorwegabschlag von bis zu 30 % auf den Unternehmenswert verloren. Die Begünstigungen können jedoch im Übrigen weiter in Anspruch genommen werden, also z.B. die Vollbefreiung etc., ohne dass z.B. ein Nachsteuertatbestand i.S.d. § 13a Abs. 3 oder 6 ErbStG vorläge.178 Selbiges gilt umgekehrt im Nachsteuerfall für den Abschlag.179 Nach Entfallen des Vorababschlags kann ggf. die Schwelle zum Großerwerb überschritten sein, mit Folge der Anwendung der §§ 13a oder 28a ErbStG.180 Umgekehrt gilt aber auch für § 13a Abs. 9 ErbStG keine Nachsteuerfrist. War das Unternehmen deshalb zuvor als Familienunternehmen qualifiziert, lässt die Auslösung eines Nachsteuertatbestands nach § 13a Abs. 3 oder 6 ErbStG wegen einer Veräußerung im Nachsteuerzeitraum den Vorwegabschlag nicht entfallen. Es ist lediglich seitens des Veräußernden darauf zu achten, dass der Erwerber seinerseits in der nunmehr längeren Nachlauffrist des § 13a Abs. 9 ErbStG die Satzung nicht so ändert, dass dann die Voraussetzungen für den Vorwegabschlag unmittelbar entfallen.181 Dabei kommen nur schuldrechtliche Vereinbarungen in Betracht, weil der ausgeschiedene Gesellschafter gesellschaftsrechtlich nicht durch an seine Person geknüpfte verpflichtende Zustimmungserfordernisse eingebunden werden darf.182

V. § 13c ErbStG (neu): „Verschonungsabschlag bei Großerwerben“ Soweit bei sogenannten Großerwerben die Grenze des § 13a Abs. 1 ErbStG von 26 Mio. Euro überschritten wird, verringert sich auf Antrag des Erwerbers der Verschonungsabschlag linear um jeweils einen Prozentpunkt für jeden angefangenen Mehrerwerb von vollen 750 000 Euro oberhalb der Freigrenze (§ 13c Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Liegt der Wert des begünstigten Vermögens über 89,75 bzw. 90 Mio. Euro (Regelverschonung bzw. Option), entfällt jeder Verschonungsabschlag (§ 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG). 178 179 180 181 182

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Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 477. Abschn. 13a.19 Abs. 6 Satz 14 AEErbSt 2017. Abschn. 13a.19 Abs. 6 Satz 12 ff. AEErbSt 2017. Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (573). Wachter, NZG 2016, 1168 (1175).

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Bei mehreren Erwerben von der gleichen Person innerhalb von 10 Jahren werden die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert, also ähnlich § 14 ErbStG, dem letzten Erwerb hinzugerechnet (Abs. 2 Satz 2).183 Fraglich ist, ob dann früher geltende Bestimmungen zu §§ 13a, 13b ErbStG relevant bleiben, wenn ein Vorerwerb vor dem Systemwechsel stattfindet, oder ein erneuter Verwaltungsvermögenstest beim Nacherwerb stattfindet. Das Gesetz spricht nur in § 13c Abs. 2 Satz 1 ErbStG von einer Hinzurechnung früherer Erwerbe „nach ihrem früheren Wert“. Die Finanzverwaltung stellt auf eine erstmalige Steuerfestsetzung für den aktuellen Erwerb unter Berücksichtigung des § 14 ErbStG ab.184 Für Vorerwerbe vor dem Systemwechsel zum 1.7.2016 wird auf die jeweiligen Vorläuferfassungen, insbes. für Erwerbe zwischen 1.1.2009 und 30.6.2016 auf § 13b Abs. 1–4 ErbStG abgestellt.185 Konkrete Auswirkungen hat das Abstellen auf § 13b ErbStG 2016 oder § 13b ErbStG 2009 immer dann, wenn der Vorerwerb ursprünglich begünstigt war, nach heutigem Recht aber nicht mehr begünstigt wäre, etwa auch bei einer bereits seit 7.6.2013 aufgrund des AmtshilfeRLUmsG186 nicht mehr begünstigten Cash-GmbH. Nach neuem Recht kategorisiert, würde ihr vormals begünstigter Erwerb nicht als begünstigtes Vermögen im Hinblick auf die Schwellenprüfung nach § 13a Abs. 1 Satz 2 bzw. die Abschmelzung nach § 13c Abs. 2 Satz 1 ErbStG zählen. Bei Abstellen auf das alte Recht würden in entsprechendem Umfang der Puffer bis zum Erreichen des Schwellenwerts von 26 Mio. Euro bzw. ggf. eine niedrigere Abschmelzzone verbraucht sein. Der Blick auf die gedanklich hier als „Taufpate“ einbezogene Vorschrift des § 14 ErbStG mit der dort von der BFH-Rspr. zweifelsfrei entschiedenen Selbständigkeit der Erwerbe trotz Zusammenrechnung und trotz Abstellens auf Umstände des Letzterwerbs im Tarifbereich187 spricht für die individuelle Beurteilung jedes Erwerbs nach den Umständen der Steuerentstehung, trotz der Verklammerung. Dem Stpfl. geht rechnerisch 183 Abschn. 13b.2 AEErbSt 2017 mit Beispiel. in H 13c.4 AEErbSt 2017. 184 Abschn. 13c.2 Abs. 5 AEErbSt 2017. 185 Abschn. 13a.2 Abs. 2 Sätze 8, 9 AEErbSt 2017. Ebenso zuvor Weinmann, in Moench/Weinmann, ErbStG, Erstkommentierung Reform 2016, § 13c Rz. 22; für Kategorisierung des Vorerwerb nach den Maßstäben des § 13b Abs. 2 ErbStG n.F. M. Söffing/Kranz in Wilms/Jochum, ErbStG, § 13c Rz. 31. 186 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl I 2013, 1809. 187 Grundsatzurteil BFH v. 20.2.1980 – II R 90/77, BStBl II 1980, 414 (415); vgl. dazu Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 14 Rz. 3.

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auch nicht der Vorteil einer etwaigen Steuerfreiheit des früheren Erwerbs verloren, sondern es wird lediglich der Nacherwerb, angefallen unter der Ägide des geltenden Rechts, nach Art eines Progressionsvorbehalts ggf. zu einem höheren Prozentsatz abgeschmolzen. Fällt durch die Zusammenrechnung eine frühere Steuerbefreiung für den früheren Erwerb im Nachhinein mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 13a Abs. 1 Satz 2 ErbStG weg oder fällt der Erwerb in eine geringere Stufe des Verschonungsabschlags, gilt der jeweils maßgebliche Verschonungsabschlag sowohl für den letzten Erwerb als auch für die früheren Erwerbe.188 Das gilt nur dann nicht, wenn für die früheren Erwerbe ein Antrag nach § 28a Abs. 1 ErbStG gestellt wurde (§ 13c Abs. 2 Satz 3 und 4 ErbStG). Die Anträge nach § 13c Abs. 1, 2 ErbStG sind unwiderruflich und schließen einen Antrag nach § 28a Abs. 1 ErbStG für denselben Erwerb aus (§ 13c Abs. 2 Satz 6 ErbStG). Kommt es zu einem zusammenzurechnenden Nacherwerb, stellt sich die Frage, ob dieser nicht ein Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt, wegen seiner Auswirkungen auf den Grad der Abschmelzung der Verschonung auch für den Vorerwerb, und dann ggf. die Unwiderruflichkeit des früheren Antrags aufhebt.189 Damit bleibt das Abschmelzmodell als Alternative zur Bedürfnisprüfung grundsätzlich bestehen. Solange die Abschmelzung nicht zu stark ausfällt, also abhängig von der Größe des übertragenen Unternehmens, kann das alternative Abschmelzmodell nach § 13c ErbStG gegenüber der Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG umso attraktiver sein, je höher das Privatvermögen des Erwerbers ist.190 Der Abschlag sinkt aber deutlich schneller als zunächst geplant, korrespondierend mit dem Anstieg des übergehenden Unternehmensvermögens. Auch verbleibt keine „Sockelverschonung“ mehr von 25 % oder 35 %, sondern die Abschmelzung endet auch in Fällen der Regelverschonung bei einem Vermögenserwerb von ca. 90 Mio. Euro endgültig bei Null. Dem Erwerber bleibt nur als „Escape-Klausel“ der Antrag auf Verschonungsbedarfsprüfung nach § 28a ErbStG unter Offenlegung seines gesamten Vermögens, auch des Privatvermögens vor dem Erwerb. Das führt zu dem überraschenden Effekt, dass ab einer „kritischen Grenze“ von 45 Mio. Euro bei Regelverschonung (bzw. 51 Mio. Euro bei 188 Abschn. 13c.4 Abs. 2 AErbSt 2017. 189 Vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13c Rz. 23. 190 Beznoska/Hentze, DB 2016, 2433 (2436).

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Optionsverschonung) jeder weitere Erwerb begünstigten Vermögens gegenüber dem Erwerb nicht begünstigten Vermögens nachteilig ist.191 Es sollte deshalb nicht nur ggf. die Umwidmung von Privat- oder Verwaltungsvermögen in begünstigungsfähiges Vermögen unterlassen werden, sondern gerade der gegenteilige Weg der Entnahme begünstigungsfähigen Vermögens vor dem Stichtag beschritten werden. Man kann auch umgekehrt den Umfang des Verwaltungsvermögens im begünstigungsfähigen Vermögen erhöhen. Daneben bleibt immer die Übertragung einer kleineren Beteiligung unter 26 Mio. Euro, was aber wegen der Zusammenrechnung nur bei Nacherwerb jenseits der 10-Jahresfrist Sinn macht. Soweit es zu einer Nachversteuerung wegen Nachsteuerauslösung nach § 13a Abs. 3 oder 6 ErbStG kommt, sind auch bei § 13c ErbStG die Regel- oder Optionsverschonung getrennt anzuwenden.192

VI. § 28a ErbStG (neu): „Verschonungsbedarfsprüfung“ Nach § 28a ErbStG, der Reaktion auf die Vorgabe des BVerfG bei Großerwerben, ist die „Bedürftigkeit des Erwerbers“ in die Prüfung einzubeziehen. Der Erwerber muss seine Vermögensverhältnisse dem Finanzamt offenlegen (Stichwort „Hartz-IV-Prüfung-für-Reiche“). Die Einigung im Vermittlungsausschuss vom 22.9.2016 hat diesen Bereich nicht mehr inhaltlich verändert. Die Vorschrift gilt nachrangig nur dann, wenn die Steuerbefreiung nach § 13a Abs. 1 ErbStG wegen Überschreitens der betraglichen Grenze nicht gilt und überdies ein Antrag nach § 13c ErbStG nicht gestellt ist193. Dabei ist die Steuer – vorbehaltlich der Prüfung der Vermögenssituation des Erwerbers in § 28a Abs. 2 ErbStG – auf Antrag zu erlassen, wenn er nachweist, persönlich nicht die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen begleichen zu können (§ 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Der Erwerber muss den Antrag beim zuständigen Erbschaftsteuerfinanzamt schriftlich stellen oder zur Niederschrift erklären,194 und zwar unabhängig vom Eintritt der materiellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung bis zum Eintritt der Zahlungsverjährung, mit Möglichkeit des späteren Widerrufs.195 Bei mehreren Erwerbern, auch bei ungeteilter Erbengemeinschaft, kann jeder unabhängig voneinander den Antrag abge-

191 192 193 194 195

Zu Details Korezkij, DStR 2017, 189 (191). Abschn. 13c.2 Satz 2 AEErbSt 2017. Abschn. 28a.1 Abs. 2 Satz 3 AEErbSt 2017. Abschn. 28a.1 Abs. 2 Satz 1 AEErbSt 2017. Abschn. 28a.1 Abs. 2 Satz 2 AEErbSt 2017.

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ben.196 Das Antragsrecht ist höchstpersönlich; ein Testamentsvollstrecker darf es nicht ausüben.197 Für die Berechnung gilt nach der Finanzverwaltung,198 dass zunächst eine ggf. bei einem Vorerwerb anzurechnende Steuer i.S.d. § 14 Abs. 1 ErbStG abzuziehen ist. Dann ist die Steuer nach Abzug eines Vorwegabschlages nach § 13a Abs. 9 ErbStG und nach Abzug der mit dem begünstigten Vermögen im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden, abzugsfähigen Schulden und Lasten (§ 10 Abs. 5 und 6 ErbStG) zum Wert des gesamten Vermögensanfalls nach Schuldenabzug aufzuteilen. Schließlich sind tarifliche Sonderregelungen wie §§ 19a, 21 oder 27 ErbStG anzuwenden.199 Schädliches Verwaltungsvermögen ist für die Erlassprüfung nie relevant.200 Die Prüfung scheint immer auf den Zeitpunkt der Prüfung abzustellen, so dass danach ggf. ein fiktiver Verwaltungsvermögenstest abweichend vom Stichtag der Steuerentstehung durchzuführen sein könnte.201 An anderer Stelle sind jedoch eindeutig die Verhältnisse am Stichtag der Besteuerung, nicht zum Zeitpunkt des Erlassantrags als allein maßgeblich erklärt202. Der Erlass ist ausgeschlossen, wenn eine letztwillige Verfügung des Erblassers oder eine rechtsgeschäftliche Verfügung des Erblassers oder Schenkers den Erwerber zur Übertragung des Vermögens ohne gesonderte Feststellung von Werten auf einen Dritten zwingt (§ 28a Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Entsprechendes gilt für die Weiterübertragung zwischen Miterben im Rahmen der Erbauseinandersetzung, Teilung des Nachlasses etc. (§ 28a Abs. 1 Satz 3 ErbStG). Der Erlass nach § 28a ErbStG beeinflusst nicht die Steuerfestsetzung und gilt auch nicht als Verschonung, so dass eine uneingeschränkte Zusammenrechnung im Rahmen des

196 Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 28 Rz. 101; Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 28a Rz. 2. 197 Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 28 Rz. 103; vgl. auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 31 Rz. 34. 198 Abschn. 28a.1 Abs. 5 AEErbSt 2017. 199 Berechnungsbeispiel in H 28a.1 AEErbSt 2017. 200 Abschn. 28a. Abs. 3 AEErbSt 2017. 201 Abschn. 28a.2 Abs. 1 Satz 5 AEErbSt 2017: „… ob Vermögen nicht zum begünstigten Vermögen des § 13b Abs. 2 ErbStG gehört, bzw. gehören würde“. 202 Abschn. 28a.2 Abs. 2 Sätze 1–3 AEErbSt 2017.

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§ 14 ErbStG mit weiteren Bereicherungen, aufgrund der Betragsgrößen immer zum Spitzensteuersatz, zwingend greift.203 Zum verfügbaren Vermögen gehören 50 % der Summe der gemeinen Werte des mit der Erbschaft oder Schenkung zugleich übergegangenen Vermögens, das nicht zum begünstigen Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG gehört (§ 28a Abs. 2 Nr. 1 ErbStG), daneben aber auch 50 % des dem Erwerber im Zeitpunkt der Steuerentstehung bereits gehörenden Vermögens (§ 28a Abs. 2 Nr. 2 ErbStG). Sehr streitig wird die Bewertung des verfügbaren Vermögens werden, daneben die Berücksichtigung von Ertragsteuerlasten, Verfügungsbeschränkungen, Nachsteuerrisiken bei Veräußerung, aufschiebenden Bedingungen etc. Die Finanzverwaltung vertritt hier eine harte Linie,204 wonach trotz vom Gesetzgeber doch wohl geforderten Abstellens auf das verfügbare (Netto-)Vermögen jede andere, zeitgleiche Erbschaftsteuerbelastung im In- oder Ausland sowie auch durch die etwaige Verwertung von Vermögen ausgelöste Einkommensteuerlasten oder Nachsteuern, z.B. auf ein Familienheim oder Kulturgut i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4 oder 2 ErbStG, irrelevant sein sollen. Das Schrifttum lehnt das ganz überwiegend ab.205 Grundsätzlich wird auch illiquides Vermögen, z.B. ein Nießbrauchsrecht, verfügbar sein, mit der einzigen Entlastung einer sechsmonatigen Stundung mit aber 6 %iger Verzinsung und auch nur in Fällen einer erheblichen Härte für den Erwerber.206 Die Fungibilität eines Vermögensgegenstands spielt aber keine Rolle.207 Es ist aber schwer nachvollziehbar, dass etwa ein Familienheim sachlich nach § 13 Abs. 1 Nr. 4a–c ErbStG steuerbefreit ist, aber zugleich im Rahmen der Verschonungsbedarfsprüfung durch Veräußerung und Verwertung verfügbar sein soll, ggf. sogar zusätzlich mit Nachsteuerrelevanz dort (Buchst. b und c). Gesetzgeber und Finanzverwaltung rechtfertigen das „holzschnittartige“ Vorgehen mit einer notwendigen typisierenden Betrachtung.208 203 St. Viskorf/Löscherbach/Jehle, DStR. 2016, 2425 (2432). 204 Abschn. 28a.2 Abs. 2 Satz 6 AEErbSt 2017; a.A. Bayern: Abzug der ErbSt; vgl. auch Müller, Ubg. 2018, 102. 205 Vgl. Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 29a Rz. 24; Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 28a Rz. 14; Hannes, ZEV 2016, 554 (560); a.A. Jochum in Wilms/Jochum, ErbStG, § 28 Rz. 31. 206 Hannes, ZEV 2016, 554 (560). 207 Abschn. 28a.2 Abs. 2 Satz 9 AEErbSt 2017; kritisch auch Eisele in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 28a Rz. 8. 208 BT-Drucks. 18/5923, 32 ff.; A 28a.2 Abs. 1 Satz 1–4 AEERbSt 2017; vgl. auch Eisele in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 28a Rz. 7.

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In jedem Fall ist die Prüfung des verfügbaren Vermögens immer eine IstBetrachtung, unabhängig von dessen Herkunft, und unabhängig etwa auch von der Beschränkung des Steuerobjekts, etwa bei beschränkter Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG iVm. § 121 BewG. In allen diesen Fällen ist das gesamte Vermögen, auch bei DBA-Freistellung oder, sofern bei beschränkter Steuerpflicht im Ausland gelegen, als potentiell verfügbares Vermögen i.S.d. § 28a ErbStG zu prüfen.209 Verwaltungsvermögen im Erwerb wird deshalb in „Großerwerbsfällen“ doppelt belastet, zunächst durch die Besteuerung – jenseits der Unschädlichkeitsgrenzen – ohne Verschonung und zusätzlich dadurch, dass es zur Hälfte seines Werts für den Erwerb des übrigen begünstigten Vermögens vom Erwerber wieder zur Steuerzahlung aufzubringen ist.210 Dabei ist verfügbares Vermögen, wenn nacheinander mehrere zu prüfende Erwerbe auftreten, ggf. mehrfach, mit dem nach jedem Erwerb bereits durch Steuerzahlung aus dem Vorerwerb verminderten Grundwert anzusetzen.211 Die Abwehrgestaltungen sind vielfältig und zielen auf die Vermögenslosigkeit eines Erwerbers oder zumindest Vermeidung eines ggf. ungeplanten Nacherwerbs im Zehnjahreszeitraum (Zehn-Jahres-Grenze, Zwischenerwerber, inländische Familienstiftungen).212 Die Erlassprüfung wird durch einen anzeigepflichtigen Nacherwerb im Zehnjahreszeitraum, egal von wem, beeinflusst. Die Finanzverwaltung hat in diesen Fällen den früheren Verwaltungsakt mit dem Inhalt des Steuererlasses ganz oder teilweise zu widerrufen.213 Relevant ist aber nur ein unentgeltlicher Erwerb nach dem ErbStG, nicht etwa ein Lotteriegewinn.214 Auch etwa ein Zugewinnausgleich i.S.d. § 5 ErbStG, gerade kein Erwerb systematisch im ErbStG, ist irrelevant.215

209 Abschn. 28a.2 Abs. 1 Satz 7 Nr. 3 AEErbSt 2017; näher Königer, ZEV 2017, 556. 210 Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (574); krit. insbes. Maier, ZEV 2017, 10 (14). 211 Stalleiken, Ubg. 2016, 569 (575). 212 Vgl. Reich, DStR 2016, 1461; Theuffel-Werhahn, ZEV 2017, 17; Wachter, FR 2017, 69, 130; Watrin/Lingemann, DStR 2017, 569 (571 ff.). 213 Abschn. 28a.4 Abs. 1 AEErbSt 2017. 214 Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 28a Rz. 38. 215 M. Söffing, ErbStB 2016, 235 (241); Eisele in Kapp/Ebeling, ErbStG § 28a Rz. 8.

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Zur Vereinfachung sind Gelegenheitsgeschenke i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 14 ErbStG216 nicht zu prüfen.217 Der Nacherwerb ist, im Hinblick auf seine Prüfung als Nettoerwerb unter Abzug – oder Nichtabzug – von Schuldenbelastungen und Steuern etc. wie der frühere Erwerb zu beurteilen.218 Unterlässt der Erwerber pflichtwidrig die Anzeige,219 hilft der Finanzverwaltung die Hinausschiebung der Ablaufhemmung der Zahlungsverjährungsfrist des § 28a Satz 6 ErbStG, die erst mit Kenntnis des Finanzamts beginnt.220

VII. § 28 Abs. 1 ErbStG (neu): Siebenjährige Stundung in den Todesfällen Die Steuer auf begünstigtes Vermögen wird bei einem Erwerb von Todes wegen 7 Jahre auf Antrag (§ 28 Abs. 1 Satz 1) ohne weitere Voraussetzungen für das erste Jahr ab der Steuerfestsetzung zinslos (§ 28 Abs. 1 Satz 2), dann für sechs Jahre regelmäßig zinspflichtig gestundet (§ 28 Abs. 1 Sätze 1–3 ErbStG), unter Berücksichtigung etwaiger Sonderregelungen i.S.d. §§ 234, 238 AO (§ 28 Abs. 1 Satz 3 ErbStG). Das Abstellen auf „Jahresbeträge“ zeigt, dass der Gesetzgeber eine Schenkung mit Zahlung in Jahresbeträgen also nicht willkürlich jederzeit, als Regelfall vorsieht, umgekehrt aber vielleicht nicht zwingend in gleichen Jahresbeträgen.221 Gerade der erste und einzig zinslose Jahresbetrag am Ende des ersten Jahres dürfte häufig höher vom Stpfl. gewählt werden. Die Nachsteuerregelungen sind in diesem Fall auch zu betrachten (§ 28 Abs. 1 Satz 5 ErbStG). Ausgelöste Nachsteuer kann nicht gestundet werden (§ 28 Abs. 1 Satz 7 ErbStG). Jede – auch unentgeltliche – Übertragung oder Aufgabe des Betriebs ist – insoweit über die Nachsteuertatbestände des § 13a Abs. 6 ErbStG hinaus – schädlich (§ 28 Abs. 1 Satz 8). 216 Zu ihrer streitigen Abgrenzung vgl. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13 Rz. 166. 217 Abschn. 28a.4 Abs. 2 Satz 3 AEErbSt 2017. 218 Abschn. 28a.4 Abs. 2 Satz 2 f. AEErbSt 2017. 219 Zur kurzen Ein-Monats-Frist statt der Drei-Monats-Frist des § 30 ErbStG krit. auch Eisele in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 28a Rz. 20; zu Einzelheiten der Anzeige Abschn. 28a. 5 Nr. 2 iVm. Abschn. 13a.8 und Abschn. 13a.11 AEErbSt 2017. 220 Zum Begriff der Kenntnis Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 30 Rz. 19 f. 221 So aber Abschn. 28 Abs. 2 Satz 1 AEErbSt 2017 und die h.M.; vgl. Eisele in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 28 Rz. 3; a.A. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 28 Rz. 8.

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VIII. Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 3 ErbStG 1. Eingreifen Die Lohnsummenregelung greift jetzt ab einer Zahl von mehr als fünf Beschäftigten (§ 13a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 ErbStG). Bei einer Beschäftigtenzahl zwischen sechs und zehn wird die Mindestlohnsumme von 400 % auf 250 % herabgesetzt (§ 13a Abs. 3 Satz 4 ErbStG), bzw. im Fall der Vollverschonung auf Antrag (§ 13a Abs. 10 Nr. 3, 4 ErbStG) auf 500 % statt 700 %. Von 11 bis 15 Arbeitnehmern gelten Grenzen von 300 % bzw. 565 %.222 Für die Beschäftigtenzahlen sind erstmals bei Betriebsaufspaltungen die Lohnsummen und die Anzahl der Beschäftigten von Besitz- und Betriebsgesellschaft zusammenzuzählen (§ 13a Abs. 3 Satz 13 ErbStG). Ohne nähere Erläuterung223 wird voraussichtlich der ertragsteuerliche Begriff der Betriebsaufspaltung maßgeblich sein, der weiter ist, als die Rückausnahme vom Verwaltungsvermögen in § 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa) ErbStG.224 Dort müssen die Beteiligungen an Besitz- und Betriebsgesellschaft nicht nur vorhanden sein, sondern beide gleichzeitig übergehen.225 Außerdem soll bei der Rückausnahme vom Verwaltungsvermögen die sog. kapitalistische Betriebsaufspaltung zwischen zwei Kapitalgesellschaften, wenn kein Konzern i.S.d. § 4h EStG vorliegt (dazu § 13b Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. c ErbStG), als nicht begünstigt ausscheiden.226 Bei der Lohnsummenregelung gilt dagegen keine Ausnahme. Bereits seit 6.6.2013, also seit dem AmtshilfeRLUmsG,227 waren vertikale Aufspaltungen im Hinblick auf die Gesamtarbeitnehmerzahl von damals mindestens 21 erfasst. Diese Regelung soll allerdings keine Rückwirkung auf Erwerbe vor dem Stichtag des Inkrafttretens des Gesetzes (7.6.2013) haben.228

222 223 224 225

Näher Abschn. 13a.8 AEErbSt 2017. Vgl. Abschn. 13a.7 Satz 8 AEErbSt 2017. Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 116 f. RE 13b.10 Abs. 1 Sätze 3, 7 ErbStR 2011; Meincke, ErbStG16, § 13b Rz. 13; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 248. 226 RE 13b.10 Abs. 1 Satz 6 ErbStR 2011. A.A. Wälzholz, DStR 2009, 1605 (1610); vgl. Kramer, DStR 2011, 1113; vgl. auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, ErbStG, § 13b Rz. 249. 227 AmtshilfeRLUmsG v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 228 FG Köln v. 10.6.2015 – 9 K 2384/09, EFG 2015, 1618, nrkr., Rev. Az. BFH II R 34/15; FG Düss. v. 28.10.2015 – 4 K 269/15 F, EFG 2016, 125, nrkr., Rev.

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2. Einbeziehung von Beteiligungen Die anteilige Einbeziehung von Tochtergesellschaften wird auf Anteile an Kapitalgesellschaften dann entsprechend erstreckt, wenn die unmittelbare oder mittelbare Beteiligung daran mehr als 25 % beträgt (§ 13a Abs. 3 Satz 12 ErbStG).229 Die Abgrenzung des EU-/EWR-Raums zum Drittgebiet erfolgt zunächst weitgehend nach den Regelungen für den Begünstigungsumfang. Anteile an Kapitalgesellschaften sind deshalb einzubeziehen, wenn die Kapitalgesellschaft ihren Sitz bzw. die Geschäftsleitung nicht im Drittgebiet hat und die mittelbare oder unmittelbare Beteiligung mehr als 25 % beträgt,230 während Personengesellschaften in diesem geographischen Bereich unabhängig von der Beteiligungshöhe relevant sind.231 Die größte Abweichung besteht bei Beteiligungen an Personengesellschaften im Drittgebiet, die zwar begünstigungsfähiges Betriebsvermögen sind,232 wegen des Sitzes bzw. der Geschäftsleitung im Drittgebiet jedoch für die Lohnsummenprüfung bereits nach § 13a Abs. 3 Satz 11 ErbStG nicht einzubeziehen sind.233 Im Hinblick auf die erhöhten Nachweispflichten nach § 13a Abs. 8 ErbStG wird weiterhin derzeit in der in der GuV ausgewiesene Lohnaufwand relevant sein, bei Fremdwährungen mit Währungsumrechnung zum Stichtag der Steuerentstehung.234 Die Finanzverwaltung hat auch die Lohnsummenerlasse vom 5.12.2012 und vom 21.11.2013 in den AEErbSt 2017 zumindest textlich weitgehend übernommen.235 Es sind deshalb bei der Ermittlung der 25 %-Grenze der Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft stets mittelbare und unmittelbare Beteiligungen zusammenzurechnen, bei Personengesellschaften Anteile im Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen aller Gesellschafter.

229

230 231 232 233 234 235

Az. BFH II R 57/15, gegen R E 13a.4 Abs. 2 Satz 9 ErbStR 2011; dazu OFD NRW v. 25.11.2015, DStR 2016, 918 = StEK ErbStG § 13a Nr. 40. Abschn. 13a.7 Abs. 2 AEErbSt 2017. Vgl. zu der Lohnsummenprüfung bei Beteiligungen auch Ländererlasse v. 5.12.2012, BStBl. I 2012, 1250 = StEK ErbStG § 13a Nr. 29; v. 21.11.2013, BStBl. I 2013, 1508 = StEK ErbStG § 13a Nr. 34; dazu Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 101 ff. Abschn. 13a.7 Abs. 1 AEErbSt 2017 mit Tabelle. Abschn. 13a.7 Abs. 2 AEErbSt 2017. Abschn. 13b.5 Abs. 4 Satz 1, 4 AEErbSt 2017. So auch Abschn. 13a.7 Abs. 1 AEErbSt Tabelle. Abschn. 13a.7 Abs. 5 Satz 1 f. AEErbSt 2017. Abschn. 13a.7 Abs. 3 Sätze 5–8 AEErbSt 2017.

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Wenn eine Beteiligung nicht innerhalb des gesamten Zeitraums für die Ermittlung der Ausgangslohnsumme zum Betriebsvermögen gehört, ist die entsprechende Zugehörigkeit taggenau einzubeziehen. Änderungen an der Beteiligungsquote innerhalb des Zeitraums der Ausgangslohnsumme sind zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt immer auch für Beteiligungen im EU-/EWR-Raum.236

3. Berechnung Bei der Reform 2016 wurden auch ausdrücklich Ausschlüsse für solche Zahlungsempfänger innerhalb eines Betriebs eingefügt, die anderenfalls die Berechnung verzerrt hätten, teilweise auch sogar Ersatzleistungen von jemand anderem als dem Arbeitgeber beziehen. Das sind zunächst (vgl. § 13a Abs. 7 Nr. 1–5 ErbStG) Personen im Mutterschutz, in einem Ausbildungsverhältnis, sowie Bezieher von Krankengeld oder Elterngeld. Schließlich werden Saisonarbeitskräfte (§ 13a Abs. 3 Satz 7 Nr. 5 ErbStG), z.B. in der Landwirtschaft, nicht berücksichtigt.237 Für Teilzeitkräfte fehlt dagegen eine Sonderregelung, so dass sie unabhängig vom Umfang ihrer wöchentlichen Arbeitszeit (in Relation zur Regelarbeitszeit) nach Köpfen zählen (keine „Vollzeitäquivalente“238). Unabhängig von dem nicht eindeutigen Gesetzeswortlaut verlangt die Finanzverwaltung aber weiterhin, dass Teilzeitkräfte überwiegend zeitlich im Betrieb beschäftigt sein müssen, um bei der Lohnsummenprüfung zu zählen.239 Für eine überwiegende Tätigkeit mit Rechtsfolge der Einbeziehung muss ein Anteil von 50 % der tariflichen Wochenarbeit erreicht sein.240 Die Berechnung der maßgeblichen Ausgangs- und Mindestlohnsumme richtet sich weiterhin nach der Definition in Anh. I der Verordnung (EG) in R.15.03/2006 der Kommission v. 28.9.2006241. Grundsätzlich zählt ein angemessener Unternehmerlohn i.S.d. § 202 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. d BewG nicht, mangels tatsächlicher Auszahlung einer Vergütung.242

236 Abschn. 13a.7 Abs. 2 Satz 2 f. AEErbSt 2017. 237 Abschn. 13a.4 Abs. 2 Satz 8 ff. AEErbSt 2017. Vgl. zum bisherigen Recht R E 13a.4 Abs. 2 Satz 2 ErbStR 2011. 238 Abschn. 13a Abs. 2 Satz 5 AEErbSt 2017. 239 Abschn. 13a.4 Abs. 2 Satz 8 AEErbSt 2017, vgl. auch Wachter, in Fischer/ Pahlke/Wachter, ErbStG, § 13a Rz. 312. 240 Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13a Rz. 32. 241 ABl. 2006 L 281/15, vgl. A 13.5 Satz 1 AEErbSt 2017. 242 Abschn. 13a.7 Abs. 6 AEErbSt 2017.

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Für die Lohnsummenprüfung gilt ein umfangreiches, ggf. mehrstufiges Feststellungsverfahren, beginnend jeweils auf der nachgeordneten Ebene, ggf. auch mit Fehlanzeigen, etwa weil ein Unternehmen oder eine Beteiligung etwa nicht mehr als fünf Beschäftigte hat oder die Lohnsumme 0 beträgt.243 Eine Lohnsummenverfehlung führt in ihrem prozentualen Umfang zum Verlust aller Begünstigungen, bis auf den Abzugsbetrag nach § 13a Abs. 2 ErbStG oder den Vorwegabschlag für Familiengesellschaften nach § 13a Abs. 9 ErbStG.244

IX. Veräußerungsnachsteuer des § 13a Abs. 6 ErbStG Die Veräußerungsnachsteuer des § 13a Abs. 6 ErbStG ist bei der Reform zum 1.7.2016, außer durch die redaktionelle Umnummerierung statt früher Nr. 5, kaum berührt worden. Auch hier haben sich jedoch einige Veränderungen bzw. Präzisierungen ergeben. In der Abgrenzung gegenüber dem Drittgebiet sind die Nachsteuerregelungen auch für ausländisches Betriebsvermögen im Begünstigungsumfang nach § 13b Abs. 1 ErbStG relevant.245 Bei Umwandlungen sind für Kapitalgesellschaften die gleichlautenden Ländererlasse v. 20.11.2013246 in den AEErbSt 2017 durch Gesamtverweis aufgenommen.247 Bei der Überentnahmeregelung ist nach Umwandlung einer Personengesellschaft zu sehen, dass die bei der Einbringung zurückbehaltenen Wirtschaftsgüter, auch solche des Sonderbetriebsvermögens, das bei der Kapitalgesellschaft nicht existiert, als entnommen i.S.d. EStG gelten und deshalb bei der Prüfung der Entnahmebegrenzung zu berücksichtigen sind.248 Die Finanzverwaltung hält daran fest, dass die Übertragung gegen Versorgungsleistungen als Veräußerung nachsteuerschädlich ist,249 während

243 244 245 246 247 248

Näher Abschn. 13a.9 Abs. 1–3 AEErbSt 2017. Vgl. auch Abschn. 13a.8 AEErbSt 2017. Abschn. 13a.12 Abs. 4 i.V.m. Abschn. 13b.4 AEErbSt 2017. Ländererlasse v. 20.11.2013, BStBl. I 2013, 508 = StEK ErbStG § 13a Nr. 33. H 13a.15 AEErbSt 2017. H 13a.14 AEErbSt 2017 i.V.m. BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Tz. 20.8. 249 BFH v. 2.3.2005 – II R 11/02, BStBl. II 2005, 532 = GmbHR 2005, 1007; H 13a.11 AEErbSt 2017.

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die Übertragung gegen eine Duldungsauflage, also einen Nießbrauch, mangels Veräußerung unschädlich ist.250 In allen Fällen, in denen der Stpfl. sich mehrfach zeitlich hintereinander an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft beteiligt hat, und dann einen Teil der Anteile veräußert, geht die Finanzverwaltung jetzt unabhängig von der teilweise zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften differenzierenden Rspr. des BFH251 generell zugunsten des Stpfl. davon aus, dass zunächst die dem Stpfl. früher gehörende Beteiligung bzw. die früher gehörenden Anteile veräußert sind.252 Bei der Aufhebung einer Poolvereinbarung nach § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 5 ErbStG ist weiterhin das Ausscheiden eines Gesellschafters auch für alle anderen schädlich, wenn der Pool im Übrigen unter die Grenze von mehr als 25 % fällt.253 Noch nicht im AEErbSt 2017 behandelt ist, weder bei der Überentnahmeregelung noch bei der vorgreiflichen Veräußerung oder Entnahme einer wesentlichen Betriebsgrundlage (§ 13a Abs. 6 Satz 1 und 3 ErbStG), der ab 1.7.2016 geltende Einzelausweis des schädlichen Verwaltungsvermögens. Nicht begünstigtes Vermögen ist regelmäßig auch nicht nachsteuerrelevant. Beim Verwaltungsvermögen sind aber insbes. auch der Kulanzpuffer des § 13b Abs. 7 ErbStG, aber auch andere quantitative Grenzen, wie der Sockelbetrag bei Finanzmitteln nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG, zu sehen, die letztlich im Einzelfall zur begrenzten Begünstigungsfähigkeit unschädlichen Verwaltungsvermögens führen.254 Nur bei der Reinvestition zur Vermeidung einer Nachsteuer (§ 13a Abs. 6 Sätze 3, 4 ErbStG) ist jede Reinvestition in Verwaltungsvermögen der Art nach, unabhängig von der 250 BayLfSt v. 1.6.2016 – S 3812a.1. -19/4 St 34, DStR 2016, 1322 = StEK ErbStG § 13a Nr. 42. 251 Vgl. zur Personengesellschaft BFH v. 26.2.2014 – II R 36/12, BStBl II 2014, 581 = FR 2014, 820; zur Kapitalgesellschaft BFH v. 22.7.2015 – II R 12/14, BStBl II 2016, 290 = GmbHR 2015, 1113, 6. Ls.; vgl. auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 262 f. 252 Abschn. 13a.12 Abs. 1 Satz 4 sowie Abschn. 13a.15 Abs. 1 Satz 1 AEErbSt 2017. 253 Abschn. 13a.16 Abs. 2 Nr. 3 AEErbSt 2017; zustimmend M. Söffing in Wilms/Jochum, ErbStG, § 13a Rz. 201.1, wegen des Objektcharakters der Steuerbegünstigung; dagegen Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13a Rz. 154; Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 13a Rz. 470. 254 Vgl. auch M. Söffing in Wilms/Jochum, ErbStG, § 13a Rz. 166.1; Stalleiken in v. Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rz. 165; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 335.

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konkreten Relevanz bei einem Verwaltungsvermögenstest der Höhe nach, immer schädlich, namentlich bei Finanzmitteln.255 Ebenfalls nicht näher beschrieben ist bei der Reinvestitionsnachsteuer die Frage, ob unbedingt in das gleiche Betriebsvermögen, ggf. vom selben Erblasser oder Schenker und zum selben Zeitpunkt erhalten, investiert werden muss.256 Die Überentnahme wird dagegen definitiv nur innerhalb des gleichen Betriebsvermögens und nicht nur, wie bei der Reinvestitionsnachsteuer innerhalb der gleichen Vermögensart,257 geprüft.258 Bei der Reinvestition nach § 13a Abs. 6 Sätze 3, 4 ErbStG zur Nachsteuervermeidung, bleibt weiter die Frage offen, wie sie sich auf die Lohnsummenregelung des § 13a Abs. 3 ErbStG auswirkt. Während die Aufstockung einer zum Stichtag der Steuerentstehung bereits vorhandenen Beteiligung auffängt, scheint der erstmalige Erwerb einer zum Stichtag nicht vorhandenen Beteiligung nicht ausgleichen zu können, denn die Finanzverwaltung geht davon aus, dass eine Beteiligung zwar nicht während des gesamten Zeitraums der Ermittlung der Ausgangslohnsumme, aber wohl doch einmal in diesem Zeitraum, nach aller Voraussicht dann zum Stichtag der Steuerentstehung, zum Betriebsvermögen des Betriebs gehört haben muss;259 ggf. sollten beide Nachsteuerregelungen hier interpolierend betrachtet werden.

X. Bewertung – Vervielfältiger Bei der Bestimmung des Werts von Betriebsvermögen oder Anteilen an Kapitalgesellschaften – vor Anwendung ggf. des Abschlags nach § 13a Abs. 9 ErbStG – wird darüber hinaus höchstens ein Faktor von 13,75 angesetzt (§ 203 Abs. 1 BewG), mit Anpassungsvorbehalt für das BMF an künftige andere Zinsstrukturdaten (§ 203 Abs. 2 BewG). Vermieden werden soll damit, dass aufgrund der länger anhaltenden Niedrigzinsphase dauerhaft Unternehmen mit nahezu dem 20fachen ihres Jahresertrags nach dem „vereinfachten Ertragswertverfahren“ bewertet werden.260 255 Abschn. 13a.17 Satz 5 AEErbSt 2017. 256 Dagegen Stalleiken in von Oertzen/Loose, ErbStG, § 13a Rz. 203; für identische Nachsteuerbindung Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 13a Rz. 171; ebenso Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 13a Rz. 418. 257 Dort Abschn. 13a.17 Satz 1 AEErbSt 2017. 258 Abschn. 13a.14 Abs. 1 Satz 7 AEErbSt 2017. 259 Abschn. 13a.7 Abs. 2 Satz 7 AEErbSt 2017. 260 Vgl. zum Basiszins von 1,1 % zuletzt BMF v. 4.1.2016 – IV C 7 S 3102/07/10001 – DOK 2016/0000269, BStBl. I 2016, 5 = ErbStB 2016, 51.

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Die entsprechenden Änderungen in § 203 und § 205 BewG sollten auf Bewertungsstichtage bereits ab 1.1.2016 anzuwenden sein (Art. 3 des Gesetzes), was eine unzulässige Rückwirkung bedeutet hätte. Denn entgegen den Äußerungen in der Gesetzesbegründung, dass die Änderung nur positiv durch einen geringeren Wert wirken soll, sind Fälle denkbar, in denen durch den geringeren Wert des Unternehmens die bis 30.6.2016 maßgebliche Verwaltungsvermögensquote über die jeweils höchstzulässige Grenze von 10 % oder 50 % ansteigt und damit der bis dato unterstellte Verwaltungsvermögenstest „platzt“.261 Die Finanzverwaltung lässt aber jetzt – zur Entschärfung – die Anwendung des alten Vervielfältigers von 17,8571 (statt 13,75) für die Prüfung der Quote des Verwaltungsvermögens zu.262 Die Änderungen des Kapitalisierungsfaktors und die Einführung des Vorwegabschlags nach § 13a Abs. 9 ErbStG, wenn erreichbar, können nach neuem Recht einen, den Höchstabschlag von 30 % unterstellt, um gut 46 % niedrigeren Unternehmenswert bewirken,263 d.h. Erben kleinerer Betriebe werden voraussichtlich vielfach weniger ErbSt bezahlen als bisher, außer das nunmehr unmittelbar einzelne schädliche Verwaltungsvermögen wäre zu umfänglich.

XI. Fazit Die Reform ist eine Kompromisslösung zwischen vielen Interessen, die in einem mühevollen Gesetzgebungsverfahren entwickelt wurde. Man könnte auch von einer „Zangengeburt“ sprechen. Sie vereinfacht sicherlich nicht die Handhabung für Stpfl., ihre Berater und die Finanzverwaltung. Ob sie im Fall einer erneuten Vorlage einer verfassungsrechtlichen Prüfung in Karlsruhe standhält, bleibt abzuwarten. Durch die Vielzahl der Sonderregelungen, Ausnahmen und Rückausnahmen wird es allerdings schwieriger, Ungleichheiten zu belegen und die rechnerischen Auswirkungen des neuen Systems vertretbar zuverlässig einzuschätzen. Das mag einen größeren Bestandsschutz gegen künftige gesetzgeberische Änderungen aufgrund anderer politischer Zielsetzungen vermitteln.

261 Eisele, NWB 2016, 2173 (2180); Hannes, ZEV 2016, 554 (555). 262 Ländererlasse v. 11.5.2017, BStBl. I 2017, 751 = StEK BewG § 203 Nr. 14; dazu Eisele, NWB 2017, 1948. 263 Beznoska/Hentze, DB 2016, 2433 (2435).

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Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses Dr. Christian Sistermann* München I. Vorbemerkung II. Die gesetzlichen Neuregelungen im Überblick III. Sanierungsertrag IV. Voraussetzungen der unternehmensbezogenen Sanierung V. Steuerfreiheit des Sanierungsertrags VI. Auswirkungen auf Steuerminderungspositionen 1. Grundlagen 2. Zwangsrealisation stiller Lasten 3. Sanierungskosten 4. Untergang von Steuerminderungspositionen

VII. Besonderheiten bei der Körperschaftsteuer VIII. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer IX. Besonderheiten bei Mitunternehmerschaften X. Sonstiges 1. Verfahrensrechtliche Regelungen 2. Zeitlicher Anwendungsbereich XI. Übergangsregelung durch BMFSchreiben vom 27.4.2017 XII. Fazit

I. Vorbemerkung Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 28.11.20161 zur Rechtswidrigkeit des sog. Sanierungserlasses2, 3 hat der Gesetzgeber ungewöhnlich schnell reagiert und im Rahmen des „Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“, das

* Dr. Christian Sistermann, LL.M. International Taxation (NYU) ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Partner bei der Freshfields Bruckhaus Deringer LLP am Standort München. 1 BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296. 2 BMF v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, 240 = FR 2003, 478, ergänzt durch BMF v. 22.12.2009 – IV C 6 - S 2140/07/10001-01 – DOK 2009/ 0860000, BStBl. I 2010, 18 = FR 2010, 191. 3 Hierzu etwa Sistermann, DStR 2017, 689; Beutel/Eilers, FR 2017, 266.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

vom Bundestag am 27.4.2017 beschlossen wurde,4 gesetzliche Regelungen zur steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen bzw. -erträgen geschaffen. Das Inkrafttreten dieser Regelungen steht allerdings unter dem Vorbehalt eines positiven Beschlusses zur beihilferechtlichen Würdigung durch die EU-Kommission, der derzeit noch nicht vorliegt.

II. Die gesetzlichen Neuregelungen im Überblick Konzeptionell wird die steuerliche Freistellung von Sanierungserträgen wieder (wie unter § 3 Nr. 66 EStG a.F.) durch eine Steuerbefreiung umgesetzt.5 Flankiert wird die Steuerfreiheit des Sanierungsertrags dabei durch umfangreiche Regelungen zum Untergang von Steuerminderungspositionen. Dies ist primär getrieben durch die Gründe, die seinerzeit auch zur Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F.6 geführt haben – Vermeidung einer „Doppelbegünstigung“ in Form der Steuerfreiheit des Sanierungsertrags bei gleichzeitiger unbegrenzter Nutzbarkeit der die Sanierungsbedürftigkeit verursachenden Verluste. Die steuerliche Nichtabzugsfähigkeit von Sanierungskosten (und anderen im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Sanierung stehenden Aufwendungen) folgt nach der gesetzlichen Neufassung grundsätzlich bereits aus § 3c Abs. 1 EStG, wird im neu eingeführten § 3c Abs. 4 EStG aber noch einmal deklaratorisch wiederholt und um diesbezügliche Sonderregelungen ergänzt. Im Überblick stellen sich die Neuregelungen wie folgt dar: Sachlicher Anwendungsbereich – Sanierungsertrag (§ 3a Abs. 1 Satz 1 EStG) – Unternehmensbezogene Sanierung und bestimmte Fälle der unternehmerbezogenen Sanierung (§ 3a Abs. 2, 5 EStG) Rechtsfolgen – Steuerfreiheit des Sanierungsertrags (§ 3a Abs. 1 Satz 1 EStG) – Minderung bestimmter unrealisierter (§ 3a Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG) und bereits realisierter Steuerminderungspositionen (§ 3a Abs. 3 EStG) – Abzugsverbot für Sanierungskosten oder sonstige unmittelbar mit dem Sanierungsertrag im wirtschaftlichen Zusammenhang stehende Aufwendungen (§ 3c Abs. 4 EStG)

4 BT-Plenarprotokoll 18/231, 23198 B. 5 Eingehend Sistermann/Beutel, DStR 2017, 1065. 6 Durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform v. 29.10.1997, BGBl. I 1997, 2590.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses Sonderregelungen für die Körperschaftsteuer (§ 8 Abs. 8 und 9, § 8c Abs. 2, § 8d Abs. 1 Satz 9, § 15 Satz 1 Nr. 1 Sätze 2 und 3, Nr. 1a KStG) und die Gewerbesteuer (§ 7b Abs. 2 GewStG) Verfahrensrechtliche Regelungen (§ 3a Abs. 4, § 3c Abs. 4 Satz 5 EStG) Zeitlicher Anwendungsbereich (§ 52 Abs. 3a EStG, § 34 Abs. 1 KStG, § 36 Abs. 2c GewStG, Art. 3 Abs. 2 Ges. v. 27.4.2017).

III. Sanierungsertrag Begünstige Sanierungserträge sind Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass zum Zweck einer unternehmensbezogenen Sanierung i.S.v. § 3a Abs. 2 EStG (§ 3a Abs. 1 Satz 1 EStG). Ein begünstigter Schuldenerlass kann u.a. durch einen Erlassvertrag oder ein negatives Schuldanerkenntnis vorgenommen werden. Auch Fälle des Insolvenzplanverfahrens fallen hierunter, unabhängig davon, dass der Sanierungsertrag insoweit seine Grundlage nicht in einer Vereinbarung hat, sondern aus dem Wegfall der Durchsetzbarkeit von Gläubigerforderungen im Rahmen des gestaltenden Teils des Plans folgt. Die Finanzverwaltung ging unter dem Sanierungserlass davon aus, dass auch Gewinne aus einem sog. Debt-Equity-Swap begünstigte Sanierungsgewinne darstellen.7 Hieran hat sich auch unter der gesetzlichen Neuregelung nichts geändert.8 Soweit die eingebrachten Forderungen indes werthaltig sind, bedarf es der Sanierungsbegünstigung nicht, weil die Steuerneutralität der offenen Einlage insoweit bereits durch die Behandlung als tauschähnliches Geschäft zum gemeinen Wert sichergestellt ist. Nicht einheitlich wurden bislang von der Verwaltung unter dem Sanierungserlass die Fälle beurteilt, bei denen der Ertrag durch Übertragung der Forderung auf den Schuldner und ein Erlöschen durch Konfusion herbeigeführt wird.9 Der BFH hat das Vorliegen eines begünstigten Sanierungsgewinns für einen Fall verneint, bei dem ein Konfusionsgewinn infolge einer Übertragung des gesamten Betriebs auf den Gläubiger entstand.10 Wird die zur Konfusion führende Forderungsübertragung ohne Übertragung weiteren Vermögens wirtschaftlich identisch zum

7 OFD Frankfurt v. 22.2.2017 – S 2140 A - 4 - St 213, DB 2017, 581 = StEK AO § 163 Nr. 310. 8 Vgl. auch Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897 (1900). 9 Ablehnend zuletzt etwa OFD Nds. v. 25.4.2016 – S 2140 - 8 - St 244, DStR 2016, 2111 = StEK AO § 163 Nr. 303. 10 BFH 14.10.1987 – I R 381/83, BFH/NV 1989, 141.

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Forderungserlass eingesetzt, sollte aber auch dieser Sachverhalt zu einem Sanierungsertrag führen.11 Etwas anderes dürfte jedoch dann gelten, wenn infolge eines Rangrücktritts die Verbindlichkeit bei der Schuldnergesellschaft gem. § 5 Abs. 2a EStG ertragswirksam auszubuchen ist. Der Ertrag resultiert in diesem Fall nämlich gerade nicht aus der Befreiung von einer wirtschaftlichen Belastung der Schuldnergesellschaft; die Verbindlichkeit ist nur deshalb (jedenfalls temporär) steuerbilanziell nicht mehr auszuweisen, weil nicht mehr das gegenwärtige, sondern nur das künftige Vermögen der Gesellschaft belastet ist.

IV. Voraussetzungen der unternehmensbezogenen Sanierung Die in § 3a Abs. 2 EStG enthaltenen Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung – Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, Sanierungseignung des Forderungserlasses und Sanierungsabsicht der Gläubiger – entsprechen denen des Sanierungserlasses (bzw. der Vorgängervorschrift des § 3 Nr. 66 EStG a.F.). Ausweislich des Gesetzeswortlauts trägt der Stpfl. die Beweislast für das Vorliegen dieser Voraussetzungen. Anders als der Sanierungserlass12 enthält § 3a Abs. 2 EStG dabei keine ausdrückliche Vermutung für das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Fall eines Sanierungs- oder Insolvenzplans. M.E. spricht in einem solchen Fall aber auch ohne ausdrückliche gesetzliche Normierung weiterhin eine tatsächliche Vermutung für die Erfüllung der Sanierungsvoraussetzungen, so dass eine eingehende Prüfung insoweit durch die Finanzverwaltung z.B. im Rahmen von Auskunftsverfahren nicht erforderlich sein dürfte. Für die Sanierungsbedürftigkeit ist im Zeitpunkt des Schuldenerlasses auf die Ertragslage und Höhe des Betriebsvermögens vor und nach der Sanierung, auf die Kapitalverzinsung durch die Erträge des Unternehmens, die Möglichkeiten zur Bezahlung von Steuern und sonstigen Schulden, die Gesamtleistungsfähigkeit des Unternehmens und die Höhe des Privatvermögens13 abzustellen.14 Ohne Weiteres ist von einer Sanierungsbe11 So auch Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897 (1899). 12 BMF v. 27.3.2003 – IV A 6 - S 2140 - 8/03, BStBl. I 2003, 240 = FR 2003, 478, Tz. 4 Satz 2. 13 Hierzu BFH 12.12.2013 – X R 39/10, BStBl. II 2014, 572 = FR 2014, 658. 14 BFH 27.1.1998 – VIII R 64/96, BStBl. II 1998, 537 = FR 1998, 784; OFD Nds. v. 25.4.2016 – S 2140 - 8 - St 244, DStR 2016, 2111 = StEK AO § 163 Nr. 303, unter 2.3.1.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

dürftigkeit auszugehen, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig ist.15 Auch bei Überschuldung liegt die Sanierungsbedürftigkeit grundsätzlich vor, es sei denn, die übrigen Umstände schließen den Zusammenbruch des Unternehmens aus und es droht keine Zahlungsunfähigkeit;16 im Ergebnis sind insoweit Umstände angesprochen, die nach geltender Rechtslage eine positive Fortführungsprognose begründen. Werden mehrere Unternehmen durch eine Person betrieben, von denen nur eines sanierungsbedürftig ist, ist auf die Gesamtheit der Unternehmen hinsichtlich der Sanierungsbedürftigkeit abzustellen.17 Die erforderliche Sanierungsfähigkeit liegt vor, wenn nach der Sanierung ein nachhaltiger Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben zu erwarten ist.18 Die Sanierungseignung ist zu bejahen, wenn das Unternehmen insbes. nach der erwarteten Ertragsentwicklung im Zeitpunkt des Erlasses als lebensfähig angesehen werden kann und der Schuldenerlass allein oder zusammen mit anderen Maßnahmen das Überleben des Betriebs herbeizuführen geeignet ist. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, welche Zahlungsverpflichtungen das Unternehmen im Zeitpunkt des Schuldenerlasses hat, wie weit diese Verpflichtungen aus dem laufenden Geschäft erfüllt werden können und ob nach Fortfall der erlassenen Schulden die Zahlungsfähigkeit als gesichert angesehen werden kann.19 Erfolgt der Forderungsverzicht nach den Vorstellungen des Gläubigers, um den Zusammenbruch des notleidenden Unternehmens zu verhindern und um – auf Dauer gesehen – seine finanzielle Gesundung zu erreichen, ist von der Sanierungsabsicht auszugehen.20 Zusätzlich zur Sanierungsabsicht verlangt § 3a Abs. 2 EStG, dass der Schuldenerlass betrieblich begründet ist. Davon abzugrenzen sind die Fälle, in denen der Schuldenerlass durch den Gesellschafter aus gesellschaftsrechtlicher Veranlassung vorgenommen wird. Fraglich ist indes, ob bei einem gesellschaftsrechtlich veranlassten Schuldenerlass überhaupt von Sanierungsabsicht ausgegangen werden kann. Jedenfalls kann eine betriebliche Veranlassung (ebenso wie Sanierungsabsicht) aber immer dann unterstellt werden, wenn sich mehrere Gläubiger an einem

15 BFH 20.2.1986 – IV R 172/84, BFH/NV 1987, 493; OFD Nds. v. 25.4.2016 – S 2140 - 8 - St 244, DStR 2016, 2111 = StEK AO § 163 Nr. 303, unter 2.3.1. 16 BFH 14.3.1990 – I R 129/85, BStBl. II 1990, 955. 17 BFH 25.10.1963 – I 359/60 S, BStBl. III 1964, 122. 18 BFH 16.5.2002 – IV R 11/01, BStBl. II 2002, 854 = FR 2003, 17. 19 BFH 17.2.1999 – IV B 153/97, BFH/NV 1999, 929. 20 BFH 6.3.1997 – IV R 47/95, BStBl. II 1997, 509 = FR 1997, 526.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

Schuldenerlass beteiligen (Gläubigerakkord), da hier anzunehmen ist, dass das gleichgerichtete Vorgehen Mehrerer nicht allein von deren jeweiligen Interessen geleitet wird. Dagegen ist im Fall des Erlasses durch lediglich einen Gläubiger anhand von Indizien zu prüfen, ob dem Schuldenerlass die betriebliche Absicht zugrunde gelegen hat, den Schuldner vor dem Zusammenbruch zu bewahren.21

V. Steuerfreiheit des Sanierungsertrags Nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG sind Sanierungserträge vollumfänglich steuerbefreit. Anders als unter dem Sanierungserlass wird die ertragsteuerliche Freistellung von Sanierungserträgen nunmehr wieder auf materiell-rechtlicher Grundlage und nicht mehr wie im Rahmen des Sanierungserlasses verfahrensrechtlich (vornehmlich durch Billigkeitsmaßnahmen im Steuererhebungsverfahren) umgesetzt. Daher sind die Finanzämter ohne Weiteres nunmehr auch für die gewerbesteuerliche Freistellung des Sanierungsertrags im Messbescheid zuständig (vgl. § 7b Abs. 1 GewStG). Dies stellt den gewichtigsten praktischen Vorteil der gesetzlichen Neuregelung im Vergleich zur Rechtslage unter dem Sanierungserlass dar, bei der aufgrund der Zuständigkeit der Gemeinden für Billigkeitsmaßnahmen im Erhebungsverfahren22 grundsätzlich jede einzelne für das zu sanierende Unternehmen hebeberechtigte Gemeinde ohne formelle Bindung durch den Sanierungserlass und ggf. unter Beteiligung des Stadt- bzw. Gemeinderats zu involvieren war. Der Sanierungsertrag wird ausweislich § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG insgesamt steuerfrei gestellt. Abzüge sind nicht vorzunehmen; die Minderung des Sanierungsertrags durch bestimmte nichtabzugsfähige Sanierungskosten begrenzt nicht die Steuerbefreiung des Sanierungsertrags, sondern nur den Umfang des Untergangs von Steuerminderungspositionen nach § 3a Abs. 3 EStG.

21 OFD Nds. v. 25.4.2016 – S 2140 - 8 - St 244, DStR 2016, 2111 = StEK AO § 163 Nr. 303, unter 2.3.3. 22 Nach Verwaltungsauffassung galt diese Kompetenzverteilung auch nach der Neufassung des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO durch das Zollkodex-AnpG (BGBl. I 2014, 2417) für die zum Zweck der Vollverlustverrechnung ggf. vorzunehmende abweichende Festsetzung nach § 163 AO unter dem Sanierungserlass, vgl. OFD NRW v. 6.2.2015 – Kurzinformation 2/2015, FR 2015, 296.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

VI. Auswirkungen auf Steuerminderungspositionen 1. Grundlagen Zur Vermeidung etwaiger Doppelbegünstigungen enthält § 3a Abs. 3 EStG eine ausführliche Regelung zum sanierungsbedingten Untergang von Steuerminderungspositionen. Dabei ist der Gesamtumfang der ggf. untergehenden Positionen auf den um nicht abzugsfähige Aufwendungen nach § 3c Abs. 4 EStG im Sanierungs- und Vorjahr geminderten Sanierungsertrag begrenzt. Systematisch handelt es sich insoweit m.E. um eine bloße Rechengröße; eine Verrechnung von Steuerminderungspositionen mit dem Sanierungsertrag ist dagegen gerade nicht vorgesehen. Der Umfang der vom Untergang betroffenen Positionen geht allerdings zum Teil deutlich über das hinaus, was zur Vermeidung einer Doppelbegünstigung erforderlich gewesen wäre. Erfasst werden nämlich insbes. auch solche Verluste, die offensichtlich mit der Sanierungsbedürftigkeit der Schuldnergesellschaft in keinem Zusammenhang stehen.

2. Zwangsrealisation stiller Lasten Im Sanierungs-23 und Folgejahr sind steuerliche Wahlrechte im zu sanierenden Unternehmen gewinnmindernd auszuüben (§ 3a Abs. 1 Satz 2 EStG). Das seit dem BilMoG bestehende Abschreibungswahlrecht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 EStG24 entfällt also zugunsten eines Abschreibungszwangs (§ 3a Abs. 1 Satz 3 EStG). Hierdurch werden aus stillen Lasten laufende Verluste bzw. ein Verlustvortrag im Vorjahr, die dann im Rahmen des § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG ggf. untergehen. Die Regelung sieht nach ihrem klaren Wortlaut eine zwangsweise Ausübung (ausschließlich) steuerbilanzieller Wahlrechte vor; handelsbilanzielle Wahlrechte, die über den Grundsatz der Maßgeblichkeit Eingang in die Steuerbilanz finden, sind dagegen nicht betroffen. Von § 3a Abs. 1 Satz 2 EStG ebenfalls nicht erfasst werden m.E. steuerfreie Abzüge bzw. Rücklagen, insbes. nach §§ 6b, 6c oder 7g EStG. Veräußert das zu sanierende Unternehmen daher im Sanierungsjahr ein Grundstück, folgt aus § 3a Abs. 1 Satz 2 EStG (auch wenn die entsprechenden Voraussetzungen grds. vorlägen) keine Pflicht zum Abzug des Gewinns nach § 6b Abs. 1 EStG bzw. zur Bildung einer Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG. 23 Siehe die Legaldefinition in § 3a Abs. 1 Satz 2 EStG. 24 Siehe BMF v. 12.3.2010 – IV C 6 - S 2133/09/10001 – DOK 2010/0188935, BStBl. I 2010, 239 = FR 2010, 398.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

§ 3a Abs. 1 Satz 2 EStG erfasst nach seinem Wortlaut zwar auch solche Fälle, in denen sich steuerbilanzielle Abschreibungen auf einen niedrigeren Teilwert z.B. nach § 8b Abs. 3 Satz 3 oder Satz 4 KStG nicht steuerlich auswirken. Ausgehend von der gesetzgeberischen Intention, Doppelbegünstigungen zu vermeiden und das gesamte (auch noch nicht realisierte) Verlustausgleichspotential des Unternehmens im Rahmen der Sanierung einzusetzen, besteht aber kein Bedarf, auch in den Fällen eine Wertabschreibung zu verlangen, in denen diese steuerlich außer Betracht bleibt. Im Wege der telelogischen Reduktion ist daher insoweit eine einschränkende Auslegung des § 3a Abs. 1 Satz 2 EStG geboten25.

3. Sanierungskosten Zur Bestimmung des maximalen Verlustuntergangsvolumens wird der Sanierungsertrag zunächst um die in den Veranlagungszeiträumen vor dem Sanierungsjahr und im Sanierungsjahr selbst anzusetzenden nicht abziehbaren Beträge i.S.d. § 3c Abs. 4 EStG gemindert. Nach § 3c Abs. 4 EStG dürfen Betriebsvermögensminderungen oder Betriebsausgaben, die mit einem steuerfreien Sanierungsertrag i.S.d. § 3a EStG in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, grundsätzlich nicht abgezogen werden. Unter das Abzugsverbot fallen dabei neben Zahlungen auf Besserungsscheine und vergleichbare Aufwendungen sämtliche Sanierungskosten (z.B. Beraterkosten, die unmittelbar mit dem Sanierungsertrag zusammenhängen, oder Kosten für einen Insolvenzplan). Das Abzugsverbot greift allerdings nicht für Betriebsvermögensminderungen oder Betriebsausgaben, soweit diese zu Verlustvorträgen geführt haben, die nach § 3a Abs. 3 EStG entfallen (§ 3c Abs. 4 Satz 2 EStG); in diesem Fall haben diese Aufwendungen keine steuermindernde Wirkung entfaltet. Zudem sollen Aufwendungen, die erst nach dem Sanierungsjahr anfallen, anders als die im Sanierungsjahr und den diesem vorangegangenen Jahren anzusetzenden Aufwendungen, nicht vollumfänglich, sondern nur in Höhe eines noch verbleibenden Sanierungsertrags i.S.d. § 3a Abs. 3 Satz 4 EStG dem Abzugsverbot unterliegen (§ 3c Abs. 4 Satz 4 EStG). Zu Verwerfungen könnte es in dem (allerdings unwahrscheinlichen Fall) kommen, dass die nach § 3c Abs. 4 Satz 1 EStG nicht abziehbaren Beträge den Sanierungsertrag übersteigen. Nicht unter das Abzugsverbot fallen m.E. auch Aufwendungen auf Ebene der Mitunternehmer

25 So auch Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897 (1902).

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

des zu sanierenden Unternehmens oder bei sonstigen Dritten. Gleichwohl wirken sich diese dann nicht steuermindernd aus, wenn sie in Verlustpositionen (insbes. eines Mitunternehmers) eingehen, die nach Maßgabe des § 3a Abs. 3 EStG entfallen. Beispiel zur Behandlung von Sanierungskosten: Gesamtgewinn: 25 000 000 Euro (davon Sanierungsertrag: 10 000 000 Euro) R Sanierungskosten: 1 000 000 Euro

Verlustvortrag: 12 000 000 Euro

– Zu versteuerndes Einkommen unter Berücksichtigung der Steuerbefreiung des Sanierungsertrags: Gesamtgewinn ./. Steuerfreier Sanierungsertrag Zu versteuerndes Einkommen

25 000 000 Euro 10 000 000 Euro 15 000 000 Euro

R Sanierungskosten i.H.v. 1 000 000 Euro sind nicht abzugsfähig (§ 3c Abs. 4 EStG) – Sanierungskosten mindern den Sanierungsertrag für Zwecke der Berechnung des maximalen Verlustuntergangvolumens: Sanierungsertrag ./. Sanierungskosten Max. Verlustuntergangsvolumen

10 000 000 Euro 1 000 000 Euro 9 000 000 Euro

R Verlustvortrag mindert sich von 12 000 000 Euro auf 3 000 000 Euro

4. Untergang von Steuerminderungspositionen Nach § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG reduziert der geminderte Sanierungsertrag i.S.d. § 3a Abs. 3 Satz 1 EStG die in Nr. 1–13 genannten Steuerminderungspositionen in der angegebenen Reihenfolge. Zeitlich sind Verlustpositionen aus dem Sanierungsjahr, den Vorjahren und dem Folgejahr (nicht jedoch späteren Jahren) betroffen. Die betragsmäßigen Beschränkungen der Mindestbesteuerung und des Verlustrücktrags gelten nicht. Nach der Gesetzesbegründung werden zunächst die Verlustverrechnungsvolumina, die direkt dem zu sanierenden Unternehmen zugerechnet werden, verbraucht, anschließend gehen die übrigen Verlustverrechnungsvolumina des (Mit-)Unternehmers unter.26 Diese Aussage kommt im Gesetzeswortlaut allerdings nur unzureichend zum Ausdruck; auch

26 BT-Drucks. 18/12128, 33.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

wird sie nicht konsequent umgesetzt, nachdem z.B. § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 13 EStG die Zins- und EBITDA (zumindest auch) des zu sanierenden Unternehmens anspricht, zuvor aber offensichtlich auch Verlustpositionen des (Mit-)Unternehmers behandelt werden. In § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 9–13 EStG schweigt das Gesetz gänzlich dazu, wessen Steuerminderungspositionen betroffen sein sollen. Die gesetzgeberische Absicht, neben den Verlustpositionen des zu sanierenden Unternehmens (nur) solche des (Mit-)Unternehmers zu erfassen, ist jedenfalls bei Auslegung der Regelung zu berücksichtigen.27 Nicht erfasst werden somit insbes. (vorbehaltlich des § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG) Steuerminderungspositionen bei Beteiligungsgesellschaften des zu sanierenden Unternehmens. Insbesondere bleibt der dem sanierenden Unternehmen zuzuordnende verrechenbare Verlust nach § 15a EStG bei einer Mitunternehmerschaft, an der das zu sanierende Unternehmen beteiligt ist, unberührt. Soweit nach Minderung der in § 3a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–13 EStG genannten Positionen noch ein geminderter Sanierungsertrag verbleibt, sieht der als Missbrauchsvermeidungsvorschrift konzipierte § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG den Untergang von Steuerminderungspositionen einer dem zu sanierenden Unternehmen nahestehenden Person vor, wenn diese innerhalb von fünf Jahren die erlassenen Schulden auf das zu sanierende Unternehmen übertragen hat und die Steuerminderungspositionen zum Ablauf des Wirtschaftsjahrs der „Schuldenübertragung“ bereits entstanden waren. Die Übertragung der Verbindlichkeiten kann dabei z.B. im Rahmen von Einbringungen nach § 20 UmwStG, Übertragungen nach § 6 Abs. 3 EStG oder verdeckten Einlagen in Tochtergesellschaften,28 u.E. aber auch durch einen Debt-Push-Up (Übernahme der Verbindlichkeiten der Tochter- durch die Muttergesellschaft29) erfolgen. Im Überblick stellt sich die Reihenfolge der Minderung von Verlustpositionen nach dem Wortlaut des § 3a Abs. 3 Sätze 2 und 3 EStG wie folgt dar: 1. Aufwand aus Verpflichtungsübertragung nach § 4f Abs. 1 Satz 1 EStG (Nr. 1) 2. Ausgleichsfähiger/verrechenbarer § 15a EStG-Verlust des (Mit-)Unternehmers des zu sanierenden Unternehmens im Sanierungsjahr und hiernach der entsprechend festgestellte Verlust aus Vorjahren (Nr. 2 und 3)

27 BT-Drucks. 18/12128, 33. 28 BT-Drucks. 18/12128, 33. 29 Hierzu BFH v. 20.12.2001 – I B 74/01, GmbHR 2002, 221.

290

Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses 3. Ausgleichsfähiger/verrechenbarer § 15b EStG-Verlust des (Mit-)Unternehmers des zu sanierenden Unternehmens im Sanierungsjahr und hiernach der entsprechend festgestellte Verlust aus Vorjahren (Nr. 4 und 5) 4. Ausgleichsfähiger/verrechenbarer § 15 Abs. 4 EStG-Verlust des (Mit-)Unternehmers des zu sanierenden Unternehmens im Sanierungsjahr und hiernach der entsprechend festgestellte Verlust aus Vorjahren (Nr. 6 und 7) 5. Laufender Verlust des zu sanierenden Unternehmens im Sanierungsjahr (Nr. 8) 6. Ausgleichsfähige Verluste aller Einkunftsarten im VZ des Sanierungsjahrs und hiernach Verlustvortrag (§ 10d EStG) ungeachtet der Mindestbesteuerung (Nrn. 9 und 10) 7. Verrechenbare Verluste oder negative Einkünfte aus Vorjahren und im Sanierungsjahr aus anderen Mitunternehmerschaften oder anderen Einkunftsquellen, §§ 15a, 15b, 15 Abs. 4, 2a, 2b, 23 Abs. 3 Sätze 7 f. EStG und sonstige Vorschriften (Nr. 11) 8. Verlustrücktrag des Folgejahres (§ 10d Abs. 1 Satz 1 EStG) ungeachtet der Höchstbeträge, jedoch nur, soweit verbleibender Sanierungsertrag nicht überschritten (Nr. 12) 9. Zinsvortrag sowie EBITDA-Vortrag, § 4h EStG (Nr. 13) 10. Ggf. Verlustverrechnungspotentiale von nahestehenden Personen unter den genannten Voraussetzungen (§ 3a Abs. 3 Satz 3 EStG)

Zur Veranschaulichung der Wirkweise des § 3a Abs. 3 Satz 2 EStG dient folgendes Beispiel: A ist am Vermögen und Ergebnis der A- und B-KG jeweils zu 100 % als Kommanditist beteiligt. Die A-KG ist zudem alleinige Kommanditistin der C-KG mit einer Vermögens- und Ergebnisbeteiligung von 100 %. Bei der A-KG fällt im Jahr 01 ein Sanierungsertrag von 5 Mio. Euro an; ihre Sanierungskosten belaufen sich auf 30 000 Euro. A hat zum Ende des Jahres 00 verrechenbare Verluste aus der A-KG i.H.v. 1 Mio. Euro und aus der B-KG von 250 000 Euro. Zudem besteht bei A im Jahr 00 ein Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG (zumindest teilweise aus anderen Einkommensquellen) von 250 000 Euro. Bei der C-KG bestehen im Jahr 00 der A-KG zuzurechnende § 15a-Verluste i.H.v. 400 000 Euro. Die A-KG hat schließlich noch einen Zinsvortrag i.H.v. 300 000 Euro. – Die Sanierungskosten der A-KG i.H.v. 30 000 Euro sind nicht abziehbar (§ 3c Abs. 4 Satz 2 EStG). – Die verrechenbaren Verluste des A bei der A-KG i.H.v. 1 Mio. Euro entfallen nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 EStG. – Der bei A zum Ende des Jahres 00 bestehende Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG i.H.v. 250 000 Euro dürfte nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 10 EStG ebenfalls

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses entfallen, obgleich diese Verluste (zumindest teilweise) in keinem wirtschaftlichem Zusammenhang mit der Unternehmenskrise stehen. Dieses Ergebnis entspricht aber dem gesetzgeberischen Willen, auch Verlustpositionen des (Mit-)Unternehmers (und nicht bloß des zu sanierenden Unternehmens) vom Verlustuntergang zu erfassen. Die betragsmäßigen Beschränkungen der Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG finden keine Anwendung. – Gleiches gilt für die verrechenbaren Verluste des A aus der B-KG i.H.v. 500 000 Euro, die von § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 11 Buchst. a EStG erfasst sein dürften. – Der Zinsvortrag der A-KG i.H.v. 300 000 Euro entfällt nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 13 Buchst. a EStG. – § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 11 Buchst. a EStG erfasst dagegen m.E. nicht die verrechenbaren Verluste der A-KG bei der C-KG (und schon gar nicht Verluste anderer Gesellschafter bei der C-KG). Diese Verluste werden auf Ebene der C-KG gesondert festgestellt. Die personelle Weite des Verlustuntergangs ist in Bezug auf die C-KG insbes. deswegen sinnvoll zu begrenzen, weil § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG weitere Anforderungen an den Verlustuntergang bei nahestehenden Personen stellt. Der Gesetzesbegründung lässt sich zudem nur entnehmen, dass Verlustpositionen des zu sanierenden Unternehmens und von dessen (Mit-)Unternehmern erfasst werden sollen, nicht aber von Beteiligungsunternehmen des zu sanierenden Unternehmens.

Im Überblick stellt sich die Minderung von Verlustpositionen im vorgenannten Beispielsfall damit wie folgt dar:

292

./. 30 000 Euro

./. 1 000 000 Euro

./. 250 000 Euro

./. 500 000 Euro

./. 300 000 Euro

2 920 000 Euro

§ 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 EStG

§ 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 10 EStG

§ 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 11 Buchst. a EStG

§ 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 13 Buchst. a EStG

Verbleibender Sanierungsgewinn

./. 30 000 Euro

30 000 Euro

5 000 000 Euro

§ 3a Abs. 3 Satz 1 EStG

Nicht abziehbare Sanierungskosten A-KG

Sanierungsertrag A-KG

0

./. 1 000 000 Euro

1 000 000 Euro

§ 15a EStG-Verlust A bei A-KG

0

./. 250 000 Euro

250 000 Euro

§ 10d EStGVerlust A

0

./. 500 000 Euro

500 000 Euro

§ 15a EStGVerlust A bei B-KG

0

./. 300 000 Euro

300 000 Euro

§ 4h EStGZinsvortrag A-KG

Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

VII. Besonderheiten bei der Körperschaftsteuer §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG gelten über § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG grundsätzlich auch für Körperschaften. Insoweit ergeben sich jedoch folgende Besonderheiten:30 § 8c Abs. 2 KStG schreibt einen Vorrang des § 8c Abs. 1 KStG vor dem Verlustuntergang nach § 3a Abs. 3 EStG vor. Dies soll der Rechtssicherheit dienen und insbes. daraus folgen, dass § 8c Abs. 1 KStG anders als § 4a Abs. 3 EStG einen stichtagsbezogenen Verlustuntergang vorsieht.31 Nach § 8d Abs. 1 Satz 9 KStG soll der fortführungsgebundene Verlustvortrag (unmittelbar) vor dem nach § 10d Abs. 4 EStG festgestellten Verlustvortrag nach § 3a Abs. 3 EStG gemindert werden. Bei der körperschaftsteuerlichen Organschaft erfolgt die Anwendung von §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG getrennt auf Ebene von Organgesellschaft und Organträger.32 Wird eine Organgesellschaft saniert, sind zunächst die („eingefrorenen“) vororganschaftlichen Verlustvorträge der Organgesellschaft zu mindern, danach die Verlustpositionen des Organträgers (und ggf. von dessen Mitunternehmern), § 15 Satz 1 Nr. 1, Nr. 1a Satz 1 KStG. Dies gilt auch dann, wenn im Sanierungsjahr keine ertragsteuerliche Organschaft mehr besteht, eine solche aber innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Sanierungsjahr bestanden hat (§ 15 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 KStG). Hierdurch soll offenbar sichergestellt werden, dass krisenbedingte Verluste einer Organgesellschaft, die unter der Organschaft dem Organträger zugerechnet wurden, auch dann durch den Sanierungsertrag verbraucht werden, wenn die Organschaft bis zum Zeitpunkt des Schuldenerlasses beendet wurde. Dies begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das objektive Nettoprinzip insbes. dann, wenn Verlustpositionen des Organträgers betroffen sind, die erst nach Beendigung der Organschaft entstanden sind und/oder die Organgesellschaft zwischenzeitlich an einen Dritten veräußert wurde. Zu Veranschaulichung dient folgendes Beispiel: Zwischen V (als Organträger) und T (als Organgesellschaft) besteht seit 2010 eine ertragsteuerliche Organschaft. In 2014 veräußert V seine Beteiligung an T (Wirtschaftsjahr = Kalenderjahr) an K und kündigt den mit T bestehenden Gewinnabführungsvertrag unterjährig auf den Zeitpunkt der Anteilsübertragung. T hat 30 Auf die Vorschriften zu den Betrieben gewerblicher Art in § 8 Abs. 8, 9 KStG wird dabei nicht eingegangen. 31 BT-Drucks. 18/12128, 35. 32 BT-Drucks. 18/12128, 36.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses während der Laufzeit der Organschaft durchwegs positives Einkommen erzielt. Nach diversen Umstrukturierungen in der Unternehmensgruppe von K gerät T in wirtschaftliche Schwierigkeiten und muss in 2018 saniert werden. Ein dabei entstehender Sanierungsertrag bleibt nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG steuerfrei. Ein verbleibender Sanierungsertrag i.S.d. § 3a Abs. 3 Satz 4 EStG mindert die Verlustverrechnungspotentiale bei V nach § 15 Satz 1 Nr. 1a KStG i.V.m. § 3a Abs. 3 Sätzen 2 und 3 EStG grundsätzlich unabhängig davon, ob diese auf negatives Einkommen der T zurückzuführen oder erst nach Beendigung der Organschaft entstanden sind. Die Vorschrift entfaltet insoweit überschießende Tendenz. Im Rahmen des Anteilskaufvertrags empfiehlt es sich daher in jedem Fall aus Verkäufersicht, künftig entsprechende Freistellungsregelungen aufzunehmen.

VIII. Besonderheiten bei der Gewerbesteuer §§ 3a, 3c Abs. 4 EStG gelten über die (allerdings wegen § 7 Abs. 1 Satz 1 GewStG lediglich deklaratorische) Verweisung in § 7b Abs. 1 GewStG auch für die Ermittlung des Gewerbeertrags. § 7b Abs. 2 GewStG enthält die „Verlustuntergangsreihenfolge“ für gewerbesteuerliche Zwecke. Der verbleibende Sanierungsertrag ist insoweit (zur Bestimmung des maximalen gewerbesteuerlichen Verlustuntergangsvolumens) um den verbleibenden Aufwand nach § 4f EStG zu kürzen. Dieser Betrag mindert gewerbesteuerspezifische Verlustpositionen, nämlich (in dieser Reihenfolge) den negativen Gewerbeertrag des Sanierungsjahrs, vororganschaftliche Fehlbeträge einer Organgesellschaft und vortragsfähige Fehlbeträge ungeachtet der Beschränkungen der Mindestbesteuerung. Hiernach kommt (unter den gleichen Voraussetzungen wie in § 3a Abs. 3 Satz 3 EStG) die Minderung dieser Positionen auf Ebene einer nahestehenden Person in Betracht (§ 7b Abs. 2 Satz 2 GewStG); der Umfang dieses Verlustuntergangs wird zusätzlich durch Abzug von Zins- und EBITDAVorträgen des zu sanierenden Unternehmens begrenzt (§ 7b Abs. 2 Satz 3 GewStG). In Organschaftsfällen gilt § 15 Satz 1 Nr. 1a KStG entsprechend auch für die Gewerbesteuer.

IX. Besonderheiten bei Mitunternehmerschaften Im Fall der Sanierung einer Mitunternehmerschaft ist danach zu unterscheiden, ob sich die zu erlassenden Schulden im Gesamthandsvermögen oder im Sonderbetriebsvermögen befinden. Sind die Schulden dem Gesamthandsvermögen zuzuordnen, sind die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung nach § 3a Abs. 1 und 2 EStG grundsätzlich auf der Ebene der Gesellschaft (bzw. der Mitunternehmerschaft) zu prüfen. Fraglich ist da295

Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

gegen, ob insoweit auch die Vermögensverhältnisse eines persönlich haftenden Gesellschafters der Mitunternehmerschaft zu berücksichtigen sind. Auch wenn sich die Schulden im Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers bei der Mitunternehmerschaft befinden, kommt es m.E. für das Vorliegen der Voraussetzungen einer unternehmensbezogenen Sanierung nach § 3a Abs. 1 und 2 EStG zunächst auf die Verhältnisse der Gesellschaft (bzw. der Mitunternehmerschaft) an; auch hier stellt sich aber die Frage, ob für die Prüfung auch das Vermögen des Mitunternehmers heranzuziehen ist. Konsequenterweise wird man dies – ebenso wie im Fall des Erlasses einer Schuld im Gesamthandsvermögen – bejahen müssen.33

X. Sonstiges 1. Verfahrensrechtliche Regelungen Die materiell-rechtlichen Regelungen des Gesetzes werden durch verfahrensrechtliche Bestimmungen flankiert. So enthält etwa § 3a Abs. 4 EStG ergänzende Vorschriften zur gesonderten Feststellung im Fall der Sanierung einer Mitunternehmerschaft. § 3c Abs. 4 Sätze 5 und 6 EStG sehen eine spezielle Änderungsvorschrift für den Fall vor, dass nach § 3c Abs. 4 EStG nicht abzugsfähige Sanierungskosten (oder andere im unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Sanierung stehende Aufwendungen) bereits gewinnmindernd in einem Steuer- oder Feststellungsbescheid berücksichtigt wurden; insoweit endet auch die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf der für das Sanierungsjahr geltenden Festsetzungsfrist.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich Die gesetzliche Neuregelung findet grundsätzlich auf Schuldenerlasse nach dem 8.2.201734 und mit diesem im Zusammenhang stehende Aufwendungen nach § 3c Abs. 4 EStG Anwendung (§ 52 Abs. 4a, Abs. 5 Satz 3 EStG, § 36 Abs. 2c GewStG). Eine Ausnahme gilt dann, wenn im Einzelfall der Sanierungserlass auch für Erlassfälle nach dem 8.2.2017 angewendet wird (s.u. XI.). Sämtliche Vorschriften stehen unter dem Vorbehalt, dass die EU-Kommission durch Beschluss feststellt, dass die Re-

33 Vgl. dazu ausführlich Kahlert/Schmidt, DStR 2017, 1897 (1901). 34 Tag der Veröffentlichung von BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393 = FR 2017, 296 auf den Internetseiten des BFH.

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gelungen entweder keine staatliche Beihilfe darstellen oder mit dem Binnenmarkt vereinbar sind. Fraglich ist, ob bereits vor dem Beschluss der EU-Kommission verbindliche Auskünfte zur Anwendung der Neuregelung erteilt werden können. Obschon grundsätzlich eine verbindliche Auskunft nur zu Fragen des geltenden Rechts ergehen kann, ist dies m.E. zu bejahen. Das nationale Gesetzgebungsverfahren ist abgeschlossen; über den Inhalt der gesetzlichen Regelung besteht (für den Fall, dass sie in Kraft tritt) daher keine Unsicherheit mehr. Gerade bei komplexen Sanierungsverfahren haben die Stpfl. zudem ein besonderes Interesse daran, möglichst zeitnah Rechtssicherheit zu erlangen (wenn das theoretische Risiko des Vetos durch die EU-Kommission hingenommen wird). Freilich stünde eine erteilte verbindliche Auskunft in jedem Fall unter dem Vorbehalt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung.

XI. Übergangsregelung durch BMF-Schreiben vom 27.4.2017 Mit Schreiben vom 27.4.201735 zur Anwendung der Grundsätze des BFHBeschlusses vom 28.11.2016 gewährt das BMF im Rahmen einer Übergangsregelung Vertrauensschutz in Bezug auf die Anwendung des Sanierungserlasses bis 8.2.2017. Wurde ein Schuldenerlass bis (einschließlich) 8.2.2017 vollzogen, ist in Bezug auf einen hieraus resultierenden Sanierungsgewinn der Sanierungserlass weiterhin uneingeschränkt anzuwenden, auch wenn diesbezüglich keine verbindliche Auskunft erteilt wurde. Damit kann sich der Stpfl., der auf die Anwendung des Sanierungserlasses vertraut hatte, jedenfalls für Einkommen- und Körperschaftsteuerzwecke auch weiterhin auf die im Zeitpunkt seiner Disposition bestehende Rechtslage verlassen. Für die Gewerbesteuer liegt die Zuständigkeit für Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163 Abs. 1 Satz 1, 222 und 227 AO indes bei den jeweiligen Gemeinden, die auch schon bislang nicht (unmittelbar) an den Sanierungserlass gebunden waren. Daher ist denkbar, dass die Gemeinden auch dann, wenn ein Schuldenerlass vor dem 8.2.2017 vollzogen wurde, entsprechend den Ausführungen des BFH in seinem Beschluss vom 35 BMF v. 27.4.2017 – IV C 6 - S 2140/13/10003 – DOK 2017/0322100, BStBl. I 2017, 741 = FR 2017, 499.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

16.11.2016 die im Sanierungserlass niedergelegten Umstände als nicht ausreichend erachten, um entsprechende Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163 Abs. 1 Satz 1, 222 und 227 AO auszusprechen. Anders wäre dies nur dann, wenn die zuständige Gemeinde im Wege einer verbindlichen Auskunft oder einer verbindlichen Zusage zugesichert hätte, den Sanierungserlass auch für Gewerbesteuerzwecke anzuwenden. Wurde eine verbindliche Auskunft (§ 89 Abs. 2 AO) oder eine verbindliche Zusage (§§ 204 ff. AO) zur Anwendung des Sanierungserlasses erteilt, sollen diese nicht wieder nach § 2 Abs. 3 StAuskV aufgehoben oder nach § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO zurückgenommen werden dürfen, wenn der Schuldenerlass zwar nicht bis (einschließlich) 8.2.2017, aber bis zur Entscheidung über eine solche Aufhebung oder Rücknahme vollzogen wurde. M.E. ist insoweit auf die Bekanntgabe der Entscheidung abzustellen. Damit ist zumindest für Körperschaftsteuerzwecke gesichert, dass der Sanierungserlass insoweit auch bei einem nach dem 8.2.2017 vollzogenen Schuldenerlass weiterhin Anwendung findet. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass die zuständige Gemeinde versuchen könnte, eine erteilte verbindliche Auskunft oder verbindliche Zusage doch mit Wirkung auf den 8.2.2017 für Zwecke der Gewerbesteuer zurückzunehmen. Vor einem endgültigen Vollzug des Schuldenerlasses empfiehlt sich daher ggf. eine Abstimmung mit der zuständigen Gemeinde, um sicherzustellen, dass die von ihr erteilte verbindliche Auskunft oder verbindliche Zusage jedenfalls im Fall einer zwischenzeitlichen Disposition des Stpfl. (d.h. Vollzug des Schuldenerlasses oder ähnlicher Maßnahmen) fortbesteht. Ist noch kein Schuldenerlass erfolgt und wurde auch keine verbindliche Auskunft oder Zusage zur Anwendung des Sanierungserlasses, jeweils bis zum 8.2.2017, erteilt, sind Billigkeitsmaßnahmen nach Maßgabe des Sanierungserlasses zukünftig nur noch in Form einer abweichenden Steuerfestsetzung nach § 163 Abs. 1 Satz 2 AO und einer Steuerstundung nach § 222 AO und unter Widerrufsvorbehalt vorzunehmen; Entscheidungen über einen Steuererlass nach § 227 AO sollen dagegen grundsätzlich zurückgestellt werden. Eine abweichende Steuerfestsetzung und/oder Steuerstundung soll dabei dann zu widerrufen sein, wenn eine gesetzliche Regelung zur steuerlichen Behandlung von Sanierungserträgen in Kraft tritt oder bis zum 31.12.2018 nicht in Kraft getreten ist. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist dabei weiterhin die Erteilung verbindlicher Auskünfte zur (entsprechend eingeschränkten) Anwendung des Sanierungserlasses möglich.

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Sistermann, Die gesetzliche Neuregelung des Sanierungserlasses

Der BFH hat mit Urteilen vom 23.8.201736 nunmehr auch die im BMFSchreiben vom 27.4.2017 enthaltenen Vertrauensschutzregelungen als mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unvereinbar verworfen. Mit Schreiben vom 29.3.2018 hat das BMF die Anwendung der vorgenannten Urteile auf die entschiedenen Einzelfälle beschränkt und sieht sich damit weiterhin an die mit BMF-Schreiben vom 27.4.2017 veröffentlichte Vertrauensschutzregelung im Umgang mit Altfällen gebunden.37 Unter dem Aktenzeichen 2 BvR 2637/17 ist nunmehr auch das BVerfG über eine gegen das BFH-Urteil I R 52/14 eingelegte Verfassungsbeschwerde mit der Frage der Verfassungskonformität des Sanierungserlasses und des BMF-Schreibens vom 27.4.2017 befasst.

XII. Fazit Nachdem der Gesetzesgeber unmittelbar nach dem durchaus überraschenden Beschluss des Großen Senats des BFH den Bedürfnissen der Praxis nach einer gesetzlichen (Neu)Regelung für die Steuerbegünstigung von Sanierungserträgen Rechnung getragen hat, ist zu hoffen, dass auch die EU-Kommission zu einer positiven Beihilfeentscheidung gelangt, so dass die Regelungen in Kraft treten können. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags war ein entsprechendes Notifizierungsverfahren noch nicht eingeleitet; das BMF und die EU-Kommission befanden sich vielmehr nach inoffiziellen Informationen noch im Stadium des gegenseitigen Informationsaustausches. Zu begrüßen ist zudem, dass das BMF – entgegen dem BFH – an seinem Schreiben vom 27.4.2017 festhält und damit für solche bereits umgesetzten Sanierungen Rechtssicherheit schafft, die nicht durch eine verbindliche Auskunft abgesichert wurden.

36 BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, BStBl. II 2018, 232 = FR 2018, 18; v. 23.8.2017 – X R 38/15, BStBl. II 2018, 236 = FR 2018, 21. 37 BMF v. 29.3.2018 – IV C 6 - S 2140/13/10003 – DOK 2018/0193836, BStBl. I 2018, 588 = FR 2018, 384.

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Grundfragen der KGaA-Besteuerung Dr. Jens Hageböke Wirtschaftsprüfer/Steuerberater, Bonn Regierungsdirektor Friedbert Lang OFD Karlsruhe I. Einführung und gesetzliche Grundlagen 1. Einführung 2. Handelsrecht 3. Steuerliche Vorschriften a) Regelungen des EStG b) Regelungen des KStG c) Regelungen des GewStG II. „Intransparente“ vs. „teiltransparente“ Sichtweise der KGaA 1. Die „intransparente“ Sichtweise 2. Die „teiltransparente“ Sichtweise der KGaA in Bezug auf ihren persönlich haftenden Gesellschafter III. Die Sicht der Finanzverwaltung zur Behandlung der KGaA (Lang) IV. Gesonderte und einheitliche Feststellung bei der KGaA und ihrem persönlich haftenden Gesellschafter V. Sonderbetriebsvermögen, Sonderbetriebsaufwand und Gewerbesteuer VI. Anwendung der „Subsidiaritätsthese“?

VIII. Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs/§ 50d Abs. 11 EStG IX. Bildung von Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter? 1. Die Streitfrage 2. Die aktuelle BFH-Entscheidung 3. Bewertung X. Organschaften mit KGaA XI. Umwandlungen unter Beteiligung einer KGaA 1. Allgemeines 2. Umwandlung einer Kapitalgesellschaft auf eine KGaA 3. Einbringungen durch den persönlich haftenden Gesellschafter 4. Formwechsel einer KGaA 5. Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch Kommanditaktionäre 6. Umwandlung einer Personengesellschaft in eine KGaA 7. Umwandlung einer KGaA in eine Personengesellschaft XII. Fazit und Ausblick

VII. Anwendung der Regelungen in § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 6 Satz 1 KStG beim persönlich haftenden Gesellschafter?

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

I. Einführung und gesetzliche Grundlagen 1. Einführung Die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ist eine besondere und eher seltene Rechtsform. Zum 1.1.2017 gab es in Deutschland (nur) 322 KGaA (allerdings mit steigender Tendenz; am 1.1.2016 waren es noch 293 KGaA).1 Eine KGaA verbindet Besteuerungsregeln einer Kapitalgesellschaft mit denen einer Personengesellschaft. Zum Verständnis der sich bei der Besteuerung einer KGaA ergebenden Problemstellungen ist es zunächst sinnvoll, sich die handels- und steuerrechtlichen Regelungen zur Behandlung einer KGaA vor Augen zu führen.

2. Handelsrecht Nach § 278 Abs. 1 AktG ist eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, bei der mindestens ein Gesellschafter den Gesellschaftsgläubigern unbeschränkt haftet (persönlich haftender Gesellschafter – im Folgenden kurz: „phG“) und die übrigen an dem in Aktien zerlegten Grundkapital beteiligt sind, ohne persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu haften (Kommanditaktionäre). Die Rechtsverhältnisse der phG untereinander und gegenüber der Gesamtheit der Kommanditaktionäre sowie gegenüber Dritten, namentlich die Befugnis der phG zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft, bestimmen sich gem. § 278 Abs. 2 HGB nach den Vorschriften des HGB über die Kommanditgesellschaft. Im Übrigen verweist § 278 Abs. 3 HGB auf die Vorschriften des AktG. In § 281 Abs. 2 Satz 1 AktG ist geregelt, dass Vermögenseinlagen der phG, wenn sie nicht auf das Grundkapital geleistet werden, nach Höhe und Art in der Satzung festgesetzt werden müssen (sog. „Sondereinlagen“). Nach § 286 Abs. 2 Satz 1 AktG sind die Kapitalanteile der phG nach dem Posten „Gezeichnetes Kapital“ in der Jahresbilanz gesondert auszuweisen. In der Gewinn- und Verlustrechnung „braucht“ der auf die Kapitalanteile der phG entfallende Gewinn oder Verlust nicht gesondert aus-

1 Vgl. Kornblum, GmbHR 2017, 739.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

gewiesen zu werden (§ 286 Abs. 3 AktG).2 Wurde der Gewinnanteil – handelsrechtlich nach § 286 Abs. 3 AktG zulässig – aufwandswirksam in der GuV erfasst, so ist diese Betriebsvermögensminderung steuerlich nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG (als Einkommensverwendung aus Sicht der KGaA) außerbilanziell zu neutralisieren. Der steuerliche (fiktive) außerbilanzielle Betriebsausgabenabzug erfolgt sodann nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG (s. nachfolgend zu 3.b).3 § 288 Abs. 1 und 3 AktG regeln die Entnahmen der phG. Danach darf ein phG keinen Gewinn auf seinen Kapitalanteil entnehmen, soweit auf ihn ein Verlust entfällt, der seinen Kapitalanteil übersteigt. Er darf ferner keinen solchen Gewinnanteil und kein Geld auf seinen Kapitalanteil entnehmen, solange die Summe aus Bilanzverlust, Einzahlungsverpflichtungen, Verlustanteilen von phG und Forderungen aus Krediten an phG und deren Angehörige die Summe aus Gewinnvortrag, Kapital- und Gewinnrücklagen sowie Kapitalanteilen der phG übersteigt. Ansprüche des phG auf nicht vom Gewinn abhängige Tätigkeitsvergütungen werden durch diese Vorschriften nicht berührt. Für eine Herabsetzung solcher Vergütungen gilt § 87 Abs. 2 Satz 1 und 2 AktG sinngemäß.

3. Steuerliche Vorschriften a) Regelungen des EStG Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb (auch) „die Gewinnanteile der persönlich haftenden Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien, soweit sie nicht auf Anteile am Grundkapital entfallen, und die Vergütungen, die der persönlich haftende Gesellschafter von der Gesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft oder für die Hingabe von Darlehen oder für die Überlassung von Wirtschaftsgütern bezogen hat“.

Ergänzt wird diese Regelung durch § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 EStG, wonach zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb „auch Gewinne aus der Veräußerung des gesamten Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft auf Aktien gehören“.

Veräußerungsgewinn ist dabei nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten … 2 Kritisch zu diesem gesetzlichen Ausweiswahlrecht z.B. Mertens/Cahn, in: Kölner Komm. AktG3, § 286 Rz. 43; Diskussion der Ausweisvarianten bei Hageböke, Das „KGaA-Modell“, 2008, 61 ff. m.w.N. 3 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 64.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

den Wert des Anteils am Betriebsvermögen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 EStG) übersteigt. b) Regelungen des KStG Im KStG finden sich an zwei Stellen Aussagen zur KGaA: Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG gehört eine KGaA zu den Kapitalgesellschaften und ist unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, wenn sie Sitz oder Geschäftsleitung im Inland hat. § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG regelt konstitutiv4 abziehbare Aufwendungen im Zusammenhang mit einer KGaA. Danach gehört zu den abziehbaren Ausgaben bei KGaA und bei vergleichbaren Kapitalgesellschaften „auch der Teil des Gewinns, der an persönlich haftende Gesellschafter auf ihre nicht auf das Grundkapital gemachten Einlagen oder als Vergütung (Tantieme) für die Geschäftsführung verteilt wird“.

c) Regelungen des GewStG Nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG gehört zum Gewerbeertrag „auch … der Gewinn aus der Veräußerung oder Aufgabe des Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA, soweit er nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligter Mitunternehmer entfällt“,

soweit der Veräußerer (= phG) keine unmittelbar beteiligte natürliche Person ist (Rückausnahme in § 7 Satz 2 Halbs. 2 GewStG). § 7 Satz 2 GewStG ergänzt § 7 Satz 1 GewStG („auch“). Die Ermittlung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns (i.S.v. § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG) erfolgt nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG (vgl. den Verweis in § 7 Satz 1 GewStG auf die allgemeinen einkommensteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Gewinnermittlungsnormen zur Ermittlung des Gewerbeertrags). Der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG unterliegt – wie der Veräußerungs- oder Aufgabegewinn bei einer Mitunternehmerschaft nach § 7 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 2 GewStG – „unten“ auf Ebene der Gesellschaft (= KGaA) der Gewerbesteuer (und nicht auf Ebene des veräußernden bzw. aufgebenden Gesellschafters).5 „Gewinn“ i.S. dieser Vorschrift kann auch ein Verlust sein.6 4 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 9, 64. 5 Vgl. Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 129; Hageböke, DK 2017, 126 (136); Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 9, 115. 6 Vgl. z.B. Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 7 GewStG Rz. 129.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

§ 8 Nr. 4 GewStG regelt die Hinzurechnung der Gewinnanteile, „die an persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA auf ihre nicht auf das Grundkapital gemachten Einlagen oder als Vergütung (Tantieme) für die Geschäftsführung verteilt worden sind“.

Die Vorschrift betrifft die Ebene der KGaA; sie korrigiert „spiegelbildlich“ und betragsgleich den Abzug nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG für gewerbesteuerliche Zwecke.7 Dabei ist § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG die Primärnorm, § 8 Nr. 4 GewStG die Sekundärnorm. § 9 Nr. 2b GewStG betrifft die Ebene des phG (wenn es sich bei ihm um einen Gewerbetreibenden handelt); danach wird „die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um die nach § 8 Nr. 4 GewStG dem Gewerbeertrag einer KGaA hinzugerechneten Gewinnanteile gekürzt, wenn sie bei der Ermittlung des Gewinns i.S. von § 7 GewStG angesetzt worden sind“.

Ziel ist die Vermeidung einer gewerbesteuerlichen Doppelbelastung, da die Gewinnanteile des phG bereits auf Ebene der KGaA nach § 8 Nr. 4 GewStG der Besteuerung unterworfen werden.8

II. „Intransparente“ vs. „teiltransparente“ Sichtweise der KGaA 1. Die „intransparente“ Sichtweise Nach der Sichtweise der Vertreter der sog. „intransparenten Sichtweise“9 ist aus der Eigenschaft der KGaA als juristische Person (§ 278 Abs. 1 AktG) zu folgern, dass auch der Anteil des phG ein Anteil an einer juristischen Person sei. Die gesamten Einkünfte erziele danach die KGaA, während es sich bei dem Gewinnanteil des phG der Sache nach um eine Dividende (i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) handele, die jedoch von § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG als Aufwendung der KGaA fingiert und von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG in gewerbliche Einkünfte des phG umqualifiziert werde.

7 Einzelheiten z.B. bei Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 9, 116 ff. 8 Vgl. z.B. Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG9, § 9 Nr. 2b Rz. 1. 9 Vgl. insbes. Märtens in Gosch, KStG3, § 9 Rz. 13b, und Hoppe, Die Besteuerung der Kommanditgesellschaft auf Aktien zwischen Trennungs- und Transparenzprinzip, 2014; kritisch dazu Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 26–35. Vgl. auch die Diskussion bei Hageböke, Das „KGaA-Modell“, 2008, 103–123.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Nach der „intransparenten Sichtweise“ scheiden Ergänzungsbilanzen (für den phG) und eine gesonderte und einheitliche Feststellung folgerichtig aus. Konsequenterweise müsste der Anteil des phG in seiner Steuerbilanz nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG (also wie ein Anteil an einer Kapitalgesellschaft) zu behandeln und einer Teilwertabschreibung zugänglich sein (ohne dass dieser Aspekt, soweit erkennbar, von den Vertretern der „intransparenten Sichtweise“ problematisiert wird).

2. Die „teiltransparente“ Sichtweise der KGaA in Bezug auf ihren persönlich haftenden Gesellschafter Die o.g. intransparente Sichtweise entspricht jedoch nicht der langjährigen Rspr. des RFH und des BFH. Bereits der RFH hat in seinem sog. „Venezuela-Urteil“10 entschieden, dass der phG einer KGaA originäre „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ erzielt.11 Der BFH hat diese Rspr. fortgesetzt. Grundlegend war dabei das sog. „Herstatt-Urteil“12 mit folgenden Leitsätzen: „1. Der persönlich haftende Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) ist gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG in jeder Beziehung als Gewerbetreibender zu behandeln. Der von ihm im Rahmen der KGaA erzielte anteilige Gewinn ist ihm einkommensteuerrechtlich unmittelbar zuzurechnen. Er kann wie ein Mitunternehmer (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG) Sonderbetriebsvermögen haben. 2.

Der Gewinnanteil des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA einschließlich seiner Sondervergütungen, Sonderbetriebseinnahmen und Sonderbetriebsausgaben ist durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln. Das Wirtschaftsjahr stimmt mit dem Wirtschaftsjahr der KGaA überein.“

In der Begründung führt der BFH Folgendes aus: „… Die Einkünfte sind ihm [sc.: dem persönlich haftenden Gesellschafter] wie einem Einzelunternehmer oder Mitunternehmer unmittelbar zuzurechnen. Die Ansicht, dass der Sache nach Einkünfte aus Kapitalvermögen gegeben sein könnten, die zu Einkünften aus Gewerbebetrieb umqualifiziert würden, findet im Gesetz keine Stütze. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst Gewinnanteile eines persönlich haftenden Gesellschafters nur, soweit sie auf Kommanditaktien entfallen. Schließlich macht § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG deutlich, dass die in § 15 (Abs. 1) Nr. 3 EStG bezeichneten Einkünfte ihrer Natur nach nicht Einkünfte aus Kapitalvermögen sind. …“ 10 Vgl. RFH v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RStBl. 1930, 44, unter III.4. („VenezuelaEntscheidung“ zum „Typenvergleich“). 11 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 23. 12 Vgl. BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = AG 1990, 32 („Herstatt“).

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Der phG einer KGaA wird also nach st. Rspr.13 „wie ein Mitunternehmer besteuert“. In einigen Urteilen setzt der BFH die „Teiltransparenz“ der KGaA in Bezug auf ihren phG voraus, ohne näher auf die Problematik einzugehen.14 Aus dem Umstand, dass die KGaA eine juristische Person ist, folgt u.E. nichts Gegenteiliges.15 In diesem Sinne auch Wacker:16 „… Hinzu kommt, dass der Verweis auf die Rechtssubjektivität der KGaA und ihrer hierauf beruhenden Körperschaft- und Gewerbesteuerpflicht § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG, § 2 Abs. 2 GewStG) nicht recht zu überzeugen vermag, da das Gesellschaftsrecht selbst eine gemischte Rechtsform statuiert (ausführlich Perlitt, a.a.O. [sc.: Münchener Kommentar zum AktG, 4. Aufl. 2015], Vor § 278 Rn. 29, § 278 Rn. 85), die sich gerade mit Blick auf die Stellung des persönlich haftenden Gesellschafters der Strukturen des Personengesellschaftsrechts bedient (vgl. § 278 Abs. 1 und Abs. 2 AktG) und folgerichtig z.B. auch den gesonderten bilanziellen Ausweis seines Kapitalanteils fordert (§ 286 Abs. 2 AktG).“

Dies sieht auch der BFH so: Der X. und, dem folgend der I. Senat, lehnen die „Umqualifikationsthese“ (nach hier vertretener Auffassung zu Recht) ab: „Die Ansicht, dass der Sache nach Einkünfte aus Kapitalvermögen gegeben sein könnten, die zu Einkünften aus Gewerbebetrieb umqualifiziert würden, findet im Gesetz keine Stütze. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst Gewinnanteile eines persönlich haftenden Gesellschafters nur, soweit sie auf Kommanditaktien entfallen“

(BFH v. 21.6.1989 – „Herstatt“17). Nach dem Urteil vom 19.5.201018 erzielt „… der Komplementär der KGaA originäre gewerbliche Einkünfte (i.S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG 1990) und keine (umqualifizierten, vgl. § 20 Abs. 3 EStG 1990) Dividenden …“.

13 Grundlegend bereits BFH v. 4.5.1965 – I 186/64 U, BStBl. III 1965, 418; vgl. auch aktuell BFH v. 15.3.2017 – I R 41/16, FR 2017, 1147, Rz. 26, m.w.N. (= 2. Urteil zum „KGaA-Modell“). 14 Vgl. z.B. BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919 = FR 2010, 809, Rz. 25. 15 Vgl. Hageböke in in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 19. 16 Wacker, DStR 2017, 193 (197 in Ziff. 3). 17 BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = AG 1990, 32, unter 2.c („Herstatt“); ebenso BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919 = FR 2010, 809, Rz. 25; hierzu Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 20. 18 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919 = FR 2010, 809, Rz. 25.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Der BFH behandelt den Anteil des phG zutreffend wie den Anteil an einer Mitunternehmerschaft19 („Besteuerung wie ein Mitunternehmer“, „Quasi-Mitunternehmeranteil“). In Rz. 27 und 29 des Urteils I R 41/16 vom 15.3.201720 führt der I. Senat aus: „Aus dieser Gleichstellung folgt des Weiteren, dass auch der Erwerb einer Beteiligung als persönlich haftender Gesellschafter einer KGaA – ebenso wie der Erwerb eines Mitunternehmeranteils (BFH-Urteil vom 20. November 2014 IV R 1/11, BFHE 248, 28, BStBl. II 2017, 34) – nicht anders zu behandeln ist als der Erwerb eines Einzelunternehmens. … Bestätigung findet diese Beurteilung in § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG, nach dem für die Berechnung des Gewinns sowohl bei der Veräußerung eines gesamten Mitunternehmeranteils (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) als auch bei der des gesamten Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) der Wert des Anteils am Betriebsvermögen maßgeblich ist. Ist demnach für Zwecke der Besteuerung des Veräußerungsgewinns von einem Anteil am Betriebsvermögen der KGaA auszugehen, so wäre es nicht einsichtig, hiervon im Rahmen der laufenden Besteuerung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG abzurücken.“

Folgerichtig bejaht der BFH im Urteil I R 41/16 im Erwerbsfall – nicht aber im „Spezialfall“ des sog. „KGaA-Modells“, das dem Streitfall I R 41/16 zugrunde lag – die Bildung einer Ergänzungsbilanz für den phG der KGaA (s. hierzu unten IX.). Mit der Bejahung der Möglichkeit einer Ergänzungsbilanz „bleibt der BFH seiner transparenten Betrachtungsweise hinsichtlich des gesetzlich nur rudimentär geregelten Verhältnisses zwischen persönlich haftendem Gesellschafter und KGaA grundsätzlich treu“ (Märtens21)

Die „intransparente Sichtweise“ sollte damit endgültig „vom Tisch sein“.22

III. Die Sicht der Finanzverwaltung zur Behandlung der KGaA (Lang) Bereits im Jahr 2006 hat das BMF in einem Schreiben an eine Steuerberatungsgesellschaft die Auffassung vertreten, dass für den phG einer KGaA keine Ergänzungsbilanz zu bilden sei. Begründet wurde dies seinerzeit vor allem damit, dass die KGaA über kein Gesamthandsvermögen ver-

19 20 21 22

Vgl. Hageböke, in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 26 ff. BFH v. 15.3.2017 – I R 41/16, FR 2017, 1147. Märtens, jurisPR-SteuerR 44/2017 Anm. 5, unter C.I. Vgl. Hageböke, DK 2018, 136 (140).

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füge. Der Sachverhalt sei auch nicht mit einer atypisch stillen Gesellschaft vergleichbar. Allerdings müsse für Zwecke des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (also für eine zutreffende Gewinnermittlung bei einer späteren Veräußerung des Anteils) ein außerbilanzieller Merkposten gebildet werden.23 In der Folgezeit wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vor- und Nachteile der verschiedenen „Systeme“ herausarbeitete, aber keine klare Tendenz für die teil- oder intransparente Besteuerung erkennen ließ. Jedenfalls seien Gesetzesergänzungen notwendig, um klare und systematisch eindeutige gesetzliche Vorgaben für die Besteuerung der KGaA zu erhalten. In der Folgezeit blieb es dabei, dass keine klare Festlegung für das eine oder andere Besteuerungssystem erfolgte; jedes Bundesland konnte entsprechend seiner bisherigen Handhabung verfahren. Dies führte im Ergebnis dazu, dass die Finanzämter sehr ergebnisorientiert agierten und sich – je nach gewünschten Ergebnis in den einzelnen Fällen – die eine oder die andere Sichtweise heraussuchten. Für die Praxis ist diese Situation aber sehr unbefriedigend, da sich für die Unternehmen keine Rechtssicherheit ergibt. Aus fiskalischer Sicht hatte dies für die Finanzverwaltung aber den Vorteil, dass sich unerwünschte Gestaltungsmodelle, die auf den Besonderheiten der Rechtsform der KGaA basierten, damit individuell „bekämpfen“ ließen. Nach den zwischenzeitlich eindeutigen Festlegungen des BFH (zuletzt im Urteil I R 41/16, s.o. II.2.) wird die verwaltungsinterne Arbeitsgruppe nun aber wohl ihre Arbeit wieder aufnehmen – „der KGaA-Zug nimmt wieder Fahrt auf“. Ziel sollte eine bundeseinheitliche, bindende Verwaltungslinie sein, damit die KGaA-Sachverhalte zukünftig bundesweit gleich behandelt werden.

IV. Gesonderte und einheitliche Feststellung bei der KGaA und ihrem persönlich haftenden Gesellschafter Ob bei einer KGaA eine gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO durchzuführen ist, ist weiterhin umstritten und musste seinerzeit im „Herstatt“-Urteil24 offenbleiben, 23 Vgl. (kritisch) Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 174 (mit Beispiel). 24 BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = AG 1990, 32 („Herstatt“).

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

da der X. Senat verfahrensrechtlich an den dortigen bestandskräftigen negativen Feststellungsbescheid gebunden war, auch wenn dieser – in der Formulierung des BFH in Tz. I. – „die Rechtslage unrichtig beurteilt haben sollte“. Letztlich geht es bei der Frage, ob bei der KGaA und ihren phG eine gesonderte und einheitliche Feststellung durchzuführen ist, um die Frage, ob eine gemeinsame Einkunftsquelle besteht, aus der (auch) der phG seine gewerblichen Einkünfte i.S.v. § 15 EStG bezieht. Entscheidend ist somit, aus welcher Einkunftsquelle der phG seine originären „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG bezieht.25 Einkunftsquelle des phG einer KGaA ist u.E. der „Gewerbebetrieb“ der KGaA i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG (eine andere Einkunftsquelle für den phG für seine ihm zugerechneten originären Einkünfte aus Gewerbebetrieb gibt es nicht).26 Der BFH ist aktuell zumindest der Auffassung, dass über die Frage, ob eine gesonderte und einheitliche Feststellung durchzuführen ist, im Rahmen eines Feststellungsverfahrens entschieden werden muss.27 Dies könnte dann allerdings auch in einem negativen Feststellungsbescheid enden (was aber verfahrensrechtlich u.E. keinen rechten Sinn ergibt). So hat der BFH mit Beschluss vom 29.6.201628 die Beschwerde des Finanzamts gegen einen Aussetzungsbeschluss des FG München29 als unbegründet zurückgewiesen. Danach ist ein Feststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO bereits dann durchzuführen, wenn zweifelhaft ist, ob die hierfür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Die Entscheidung über das Erfordernis oder Nichterfordernis einer gesonderten Feststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO kann verbindlich nur in dem Grund-

25 Zutr. herausgearbeitet von Bielinis, Die Besteuerung der KGaA, 2013, 105 f.; vgl. auch Hageböke, Ubg. 2015, 295. 26 Vgl. Hageböke, DK 2017, 28 (30); Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 15. Auch nach Auffassung von Kusterer, DStR 2008, 484 (488) ist nach „den Quellen dieses Gewinnanteils [sc.: des phG] zu fragen“. 27 Vgl. Intemann/Paul/Rätke/Stapperfend/Witt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 15 EStG Rz. 74. 28 Vgl. BFH v. 29.6.2016 – I B 32/16, BFH/NV 2016, 1679 (hierzu Hageböke, DK 2017, 28). 29 Vgl. FG München v. 28.1.2016 – 13 K 2396/13, EFG 2016, 869 m. Anm. Obermeir (hierzu Hageböke, DK 2017, 28).

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lagenverfahren getroffen werden und dementsprechend ist ein positiver oder negativer Feststellungsbescheid gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO schon dann zu erlassen, wenn eine gesonderte Feststellung aufgrund des (ggf. streitigen) Sachverhalts möglich erscheint. Hiervon ist auch mit Rücksicht auf die Frage auszugehen, ob die Ergebnisanteile des phG einer KGaA Gegenstand eines Verfahrens zur gesonderten und einheitlichen Feststellung sind. Dies hat der BFH auch jüngst in seinem Urteil vom 15.3.201730 bestätigt. Nach Auffassung des BFH hätte das FG im Urteilsfall das Verfahren bis zum Ergehen einer abschließenden Entscheidung in einem die KGaA und die B-GmbH betreffenden Feststellungsverfahren nach § 74 FGO aussetzen müssen. Insoweit sieht der BFH einen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, der vom Revisionsgericht von Amts wegen, d.h. auch ohne entsprechende Rüge der Revisionsklägerin, zu berücksichtigen sei.31 U.E. ist es konsequent, über die Höhe und die Zuordnung der Einkünfte (zur KGaA und zum phG) in einem positiven Feststellungsbescheid zu entscheiden.32 Die Finanzverwaltung hat bisher allerdings in den betroffenen Fällen keine gesonderte und einheitliche Feststellung durchgeführt.

V. Sonderbetriebsvermögen, Sonderbetriebsaufwand und Gewerbesteuer Ist der phG einer KGaA eine Kapitalgesellschaft, so sind die Sondervergütungen für die Fremdgeschäftsführer bzw. für den Vorstand der Komplementär-Gesellschaft gewerbesteuerlich nicht Teil des Gewerbeertrags der KGaA. Damit laufen – wegen der Hinzurechnung der Geschäftsführervergütungen auf Ebene der KGaA nach § 8 Nr. 4 GewStG – die Sonder-Betriebsausgaben auf Ebene der Komplementär-Gesellschaft nach st. BFH-

30 Vgl. BFH v. 15.3.2017 – I R 41/16, FR 2017, 1147, Rz. 10–17. 31 Vgl. z.B. BFH v. 12.11.1985 – IX R 85/82, BStBl. II 1986, 239; v. 8.3.1994 – IX R 37/90, BFH/NV 1994, 868; v. 6.12.1995 – I R 131/94, BFH/NV 1996, 592; v. 8.5.1991 – I B 132, 134/90, BStBl. II 1991, 641, jeweils m.w.N. 32 Vgl. Hageböke, Ubg. 2015, 295; Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 185 ff. Zum (derzeit ungeklärten) Umfang der gesonderten und einheitlichen Feststellung unter Einbeziehung des SBV s. Hageböke, DK 2017, 28 (31 f.).

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Rspr. i.d.R. gewerbesteuerlich „ins Leere“. Stellvertretend sei hier der Leitsatz 2 des BFH-Urteils vom 31.10.199033 angeführt: „Aufwendungen, die einem persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA entstehen, weil er die ihm übertragenen Geschäftsführungsaufgaben von anderen Personen (Fremdgeschäftsführer) wahrnehmen lässt, mindern die Hinzurechnung gemäß § 8 Nr. 4 GewStG nicht. Dies gilt auch für die Aufwendungen, die einer Komplementär-GmbH dadurch entstehen, dass sie die ihr übertragene Geschäftsführung der KGaA nur durch Fremdgeschäftsführer ausüben kann.“

In der Literatur wird als Lösung vorgeschlagen, den Geschäftsführer der Komplementär-Gesellschaft direkt bei der KGaA anzustellen.34 U.E. ist dieser Weg aufgrund des Prinzips der Selbstorganschaft bzw. des Verbots der Fremdorganschaft bei der KGaA allerdings nicht gangbar.35 Dies sieht auch die Finanzverwaltung so; sie nimmt bei einer Direktanstellung einen „abgekürzten Zahlungsweg“ an.36

VI. Anwendung der „Subsidiaritätsthese“? In der Literatur wird – vereinzelt – die These vertreten, § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG sei – subsidiär – nur anwendbar, wenn die Vergütungen des phG nicht schon als (originäre) Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG bei der der KGaA zu behandeln sind.37 Dies könnte z.B. dann der Fall sein, wenn die Geschäftsführervergütungen „auf schuld-

33 Vgl. BFH v. 31.10.1990 – I R 32/86, BStBl. II 1991, 253. 34 Z.B. Hempe/Siebels/Uhl, DB 2001, 2268 (2269); Kusterer/Graf, DStR 2016, 2782; vgl. jüngst auch (tendenziell wohl auch bejahend) Gosch, DK 2017, 505 (Anm. zu BFH v. 2.1.2017 – I B 34/16, DK 2017, 504). 35 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 99. 36 OFD Münster v. 14.1.2005, DStZ 2005, 204 = StEK EStG § 15 Nr. 369. Allerdings liegt entgegen der Auffassung der OFD Münster jedenfalls kein „abgekürzter Zahlungsweg“ vor, da/wenn die KGaA selbst Vertragspartner ist, sondern (allenfalls) ein sog. „abgekürzter Vertragsweg“ (zur Differenzierung s. z.B. BFH v. 23.8.1999 – GrS 2/97, BStBl. II 1999, 782, unter C.IV.1c aa und bb [zur steuerlichen Behandlung des sog. „Drittaufwands“ bei Ehegatten]). Nach bisheriger Rspr. soll aber die Rechtsfigur des „abgekürzten Vertragswegs“ nicht bei Dauerschuldverhältnissen gelten (str.; vgl. stellvertretend BFH v. 9.5.2005 – IX R 25/03, BStBl. II 2006, 623, unter II.1.a cc). Insofern muss sich die Finanzverwaltung mit der Rsür. zum „abgekürzten Vertragsweg“ auseinandersetzen, die bisher eine Anwendung auf Dauerschuldverhältnisse ablehnt. 37 Vgl. stv. Drüen/van Heek, DB 2012, 2184.

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rechtlicher Basis in einem Tätigkeitsvertrag“ o.Ä. vereinbart worden sind. In der Konsequenz würde dies bedeuten, dass die Geschäftsführervergütungen nicht der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung nach § 8 Nr. 4 GewStG unterliegen würden. Diese sog. „Subsidiaritätsthese“ übersieht u.E. jedoch, dass § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG konstitutiv ist. Geschäftsführervergütungen des phG sind nämlich immer – vgl. den Wortlaut von § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG – „Teil des Gewinns“ und somit durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst.38 Begründet ist dies im sog. „Prinzip der Selbstorganschaft“.39 Dies ergibt sich bereits aus der amtlichen Überschrift zu § 288 AktG, die von „Entnahmen“ spricht. Die Geschäftsführervergütung ist immer ein „Teil des Gewinns“, also des KGaA-Gesamtgewinns, der nach § 8 Nr. 4 GewStG der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung unterliegt.40 Daher sind Geschäftsführervergütungen immer dann zunächst nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG hinzuzurechnen, wenn sie in der Gewinn- und Verlustrechnung gewinnwirksam gebucht wurden. Dann erfolgt konstitutiv außerbilanziell der Abzug nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Erfasst von § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG (und damit spiegelbildlich von § 8 Nr. 4 GewStG) sind in der Formulierung des BFH im Urteil vom 31.10.199041 „sämtliche Vergütungen“: „§ 8 Nr. 4 GewStG 1977/1978 und § 9 Nr. 2 KStG 1977 sind Vorschriften zur Ermittlung des Gewerbeertrags bzw. des Einkommens der KGaA. Was unter Gewinnanteilen zu verstehen ist, die an die persönlich haftenden Gesellschafter als Vergütung für die Geschäftsführung verteilt worden sind, ist daher aus der Sicht der KGaA – nicht aus der der persönlich haftenden Gesellschafter – zu beurteilen. Aus der Sicht der KGaA sind sämtliche Vergütungen, die ihre Komplementäre für die Geschäftsführung erhalten, derartige Gewinnanteile. …“

Auch das FG Münster42 sowie nachgehend – das Urteil der Vorinstanz bestätigend – der I. Senats des BFH im Beschluss vom 2.1.201743 haben die „Subsidiaritätsthese“ eindeutig abgelehnt. In der pointierten Formu-

38 Vgl. Hageböke, DB 2012, 2709; Hageböke in in: Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 65. 39 Vgl. grundlegend BFH v. 4.5.1965 – I 186/64 U, BStBl. III 1965, 418. 40 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 44, 57 f. und 64 f. 41 Vgl. BFH v. 31.10.1990 – I R 32/86, BStBl. II 1991, 253. 42 Vgl. FG Münster v. 28.1.2016 – 9 K 2420/14 G, EFG 2017, 1686 m. Anm. Rengers = DK 2017, 498. 43 Vgl. BFH v. 2.1.2017 – I B 34/16, DK 2017, 504 m. Anm. Gosch.

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lierung von Gosch ist damit der Subsidiaritätsthese „endgültig der Boden entzogen“44. Auch diese Frage ist somit zwischenzeitlich höchstrichterlich geklärt.

VII. Anwendung der Regelungen in § 3 Nr. 40, § 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 6 Satz 1 KStG beim persönlich haftenden Gesellschafter? Nach der – u.E. nicht zutreffenden – „intransparenten Sichtweise“ handelt es sich beim „Gewinnanteil“ des phG i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG um „umqualifizierte Dividenden“, die – ohne Anwendung des Teileinkünfteverfahrens – voll der Besteuerung unterliegen (s.o. II.1.). Soweit die KGaA Dividendenerträge oder Veräußerungsgewinne erzielt, „schlagen“ diese nach dieser Sichtweise nicht auf den phG durch.45 Nach u.E. zutreffender h.M. sind §§ 3 Nr. 40, 3c Abs. 2 EStG bzw. § 8b Abs. 6 Satz 1 EStG demgegenüber auf Ebene des phG anzuwenden.46 Dies entspricht der gesetzlichen „Teiltransparenz“ der KGaA in Bezug auf den phG. Die Gegenauffassung übersieht, dass der Gesetzgeber in § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. b EStG die Teiltransparenz der KGaA für den Fall der Veräußerung des Komplementäranteils nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG gesetzlich kodifiziert hat. Nach der Systementscheidung des Gesetzgebers im Steuersenkungsgesetz 2000 (damals Halbeinkünfteverfahren; nun Teileinkünfteverfahren) werden Dividenden und Veräußerungsgewinne (als „aufgesummte Dividenden“) steuerlich gleich behandelt. Es ist deshalb nicht schlüssig, warum die Teiltransparenz bezüglich des phG nur im Veräußerungsfall gelten sollte, soweit der Veräußerungspreis bzgl. des Anteils des phG i.S.v. § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG „auf die Veräußerung von Anteilen an Körperschaften … entfällt“. Eine andere Sichtweise könnte jedenfalls ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Folgerichtigkeitsgebot sein.47 44 Gosch, DK 2017, 505, Ziff. 5. 45 In diesem Sinne wohl Heger in Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 9 Rz. 21. 46 Vgl. stellvertretend Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 891; Gosch, BFH/PR 2010, 457, Ziff. 3.; Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 89 ff. Vgl. auch FG Hamburg v. 9.7.2015 – 3 K 308/14, EFG 2015, 1682 sowie FG München v. 28.1.2016 – 13 K 2396/13, EFG 2016, 869, rkr. (hierzu Hageböke, DK 2017, 28). 47 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 90.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung Vergleichendes Beispiel48: An einer KGaA ist eine natürliche Person mit 50 % als phG beteiligt. Die KGaA erzielt eine inländische Dividende i.H.v. 100. Lösung nach intransparenter Sichtweise KGaA Inlandsdividende

100,00

Unterschiedsbetrag I

100,00

§ 8b Abs. 1 KStG

– 100,00

§ 8b Abs. 5 KStG

5,00

Zwischensumme

5,00

§ 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG (nach Handelsbilanz-Ergebnis) (keine Anwendung von § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG bei dem phG)

– 50,00

Bemessungsgrundlage bei der KGaA bzw. bei dem phG (Unterschiedsbetrag II)

– 45,00

phG 50,00

50,00

Lösung nach teiltransparenter Sichtweise49 KGaA Inlandsdividende

100,00

Unterschiedsbetrag I § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG

100,00 – 50,00

phG: 40 % steuerfrei (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG)

50,00 – 20,00

Zwischensumme

50,00

§ 8b Abs. 1 KStG § 8b Abs. 5 KStG

– 50,00 2,50

Bemessungsgrundlage bei der KGaA bzw. bei dem phG (Unterschiedsbetrag II)

phG

2,50

30,00

30,00

48 Zahlreiche (weitere) vergleichende Berechnungsbeispiele zur „intransparenten“ vs. „teiltransparenten“ Betrachtungsweise bei Krebbers-van Heek, Die mitunternehmerische Besteuerung der Komplementäre der Kommanditgesellschaft auf Aktien, 2016. 49 Z.B. Wacker in Schmidt, EStG37, § 15 Rz. 891.

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VIII. Anwendung des DBA-Schachtelprivilegs/ § 50d Abs. 11 EStG In der Vergangenheit war streitig, ob die Schachtelprivilegien der DBA50 für die KGaA insgesamt oder nur anteilig insoweit anzuwenden sind, wie nicht der persönlich haftende Gesellschafter an der KGaA vermögensmäßig beteiligt ist. Der BFH hat in 2010 diese Streitfrage in Auslegung der DBA zugunsten einer vollen DBA-Schachtelfreistellung auf Ebene der KGaA entschieden.51 Danach ist das sog. Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 i.V.m. Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich a.F.52 für Dividenden, die eine in Frankreich ansässige Kapitalgesellschaft an eine in Deutschland ansässige KGaA zahlt, auch dann in voller Höhe zu gewähren, wenn phG der KGaA eine Personengesellschaft ist.53 Durch diese Rspr. hätten sich auf Ebene des phG im Ergebnis unbesteuerte „weiße Einkünfte“ ergeben, soweit eine KGaA Auslandsdividenden aus einem DBA-Staat bezieht.54 Der Gesetzgeber hat auf diese Rspr. deshalb mit der Einfügung von § 50d Abs. 11 EStG reagiert (= Nichtanwendungsgesetz). Die gesetzliche Regelung ist erstmals auf Zahlungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2011 erfolgen.55 Nach der gesetzlichen Regelung des § 50d Abs. 11 EStG wird die Freistellung von Dividenden beim Zahlungsempfänger ungeachtet eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nur insoweit gewährt, als die Dividenden nach deutschem Steuerrecht nicht einer anderen Person zuzurechnen sind. Soweit die Dividenden nach deutschem Steuerrecht einer anderen Person zuzurechnen sind, werden sie bei dieser Person freigestellt, wenn sie bei ihr als Zahlungsempfänger nach Maßgabe des Abkommens freigestellt würden.

50 Regelmäßig ab einer Mindestbeteiligung von 10 %; vgl. z.B. Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Luxemburg. 51 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919 = FR 2010, 809. 52 Aktuell: Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und Buchst. b Satz 1 DBA-Frankreich n.F. 53 Personengesellschaften sind nach den DBA regelmäßig nicht selbst abkommensberechtigt. 54 Vorausgesetzt, die Beteiligung erfüllt die Mindestbeteiligungsvoraussetzung des jeweiligen DBA. 55 § 52 Abs. 59a Satz 12 EStG i.d.F. vor der Straffung der Vorschrift durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 25.7.2014.

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Auch wenn § 50d Abs. 11 EStG die Rechtsform der KGaA nicht ausdrücklich benennt, ist die Vorschrift dennoch eindeutig auf die KGaA zugeschnitten. Sie enthält einen (weiteren) sog. Treaty Override. Nach der Rspr. des BVerfG sind solche Treaty Overrides verfassungsrechtlich zulässig.56 § 50d Abs. 11 EStG entspricht u.E. der gesetzlichen „Teiltransparenz“ der KGaA in Bezug auf den phG. Allerdings wollte der Gesetzgeber mit der Kodifizierung des § 50d Abs. 11 EStG ausweislich der Gesetzesmaterialien „keine Systementscheidung“ treffen.57 Nach den Gesetzesmaterialen sollen Schachteldividenden (einer natürlich Person als phG einer KGaA) dem Teileinkünfteverfahren unterliegen (und eben nicht von den Schachtelbegünstigungen der DBA oder von der Regelung des § 8b KStG profitieren, die Kapitalgesellschaften bzw. Körperschaften vorbehalten sind). U.E. hat sich der Gesetzgeber damit im Ergebnis doch für das teiltransparente System ausgesprochen.

IX. Bildung von Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter? 1. Die Streitfrage Die Zulässigkeit der Bildung von Ergänzungsbilanzen für den phG einer KGaA war in der Vergangenheit ebenfalls sehr umstritten. Auch dieser Streit basiert auf der Diskussion um die „intransparente“ vs. „teiltransparente“ Sichtweise der KGaA in Bezug auf ihren persönlich haftenden Gesellschafter. In seinem Urteil vom 7.9.201658 konnte der BFH die Grundsatzfrage der Zulässigkeit der Bildung einer Ergänzungsbilanz mangels Entscheidungserheblichkeit noch offen lassen.59 In seiner Urteilsanmerkung geht Wacker aber mit Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 19.5.201060 56 Vgl. BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/12, FR 2016, 326 (zu § 50d Abs. 8 EStG). 57 Bericht des Finanzausschusses zum Gesetzesentwurf der BReg., BT-Drucks. 17/8867, 13. 58 Vgl. BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, FR 2017, 1094 = DStR 2017, 193 m. Anm. Wacker (= 1. Urteil zum „KGaA-Modell“; kritisch hierzu Hageböke, DK 2017, 126). 59 Vgl. BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, FR 2017, 1094, Rz. 14 a.E.: „Diese Frage bedarf im Streitfall jedoch keiner Entscheidung“. 60 Vgl. BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, BFH/NV 2010, 1919 = FR 2010, 809, Rz. 25.

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sowie auf das sog. „Herstatt“-Urteil61 dezidiert von der „Teiltransparenz“ der KGaA in Bezug auf ihre(n) phG aus und bejaht daher folgerichtig die grundsätzliche Zulässigkeit der Bildung einer Ergänzungsbilanz für den phG im Erwerbsfall.62

2. Die aktuelle BFH-Entscheidung Klarheit in dieser Streitfrage brachte nunmehr die Entscheidung vom 15.3.201763, der folgende Leitsätze vorangestellt sind: „1. Die Einlage eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA übersteigende Anschaffungskosten sind in einer Ergänzungsbilanz zu erfassen. 2.

Aus einer solchen Ergänzungsbilanz folgende Gewinnminderungen und Gewinnerhöhungen wirken sich weder auf den Betriebsvermögensvergleich der KGaA noch auf den Gewinnanteil i.S. des § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG und des § 8 Nr. 4 GewStG aus, sondern gehen ausschließlich in die Ermittlung der Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG und des Gewerbeertrags des persönlich haftenden Gesellschafters ein.

3.

Der Erwerb und die Einziehung eigener Kommanditaktien durch die KGaA führen auch dann nicht zum Ansatz zusätzlicher, in einer Ergänzungsbilanz auszuweisender Anschaffungskosten des persönlich haftenden Gesellschafters, wenn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Nennbetrag und dem Kaufpreis der eigenen Aktien mit dem vom persönlich haftenden Gesellschafter aufgebrachten Eigenkapital verrechnet wird (Anschluss an Senatsurteil vom 7. September 2016 I R 57/14, BFHE 255, 427).“

Der I. Senat bejaht nunmehr also – wenig überraschend – die Bildung einer Ergänzungsbilanz für den phG (Leitsatz 1), bleibt aber – angesichts seines ersten restriktiven Urteils zum „KGaA-Modell“64 ebenfalls nicht überraschend – für das „KGaA-Modell“ bei seiner ablehnenden Auffassung65 und verneint dort die Bildung einer Ergänzungsbilanz für den persönlich haftenden Gesellschafter (Leitsatz 3). Im „ersten KGaA-ModellUrteil“ I R 57/14 hatte der BFH für den dort vom I. Senat unterstellten Sachverhalt argumentiert, dass die Aktieneinziehung mit der Kapital-

61 BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = AG 1990, 32 („Herstatt“). 62 Allerdings nicht für das „KGaA-Modell“, vgl. Wacker in Schmidt, EStG36, § 15 Rz. 891. 63 Vgl. BFH v. 15.3.2017 – I R 41/16, FR 2017, 1147 (= zweites Urteil zum „KGaA-Modell“). 64 Vgl. BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, FR 2017, 1094 = DStR 2017, 193 m. Anm. Wacker. 65 Vgl. Brandis, BFH/PR 2017, 386 (387).

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rücklage der KGaA (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 AktG) verrechnet worden sei, auf die das Agio der Sondereinlage des persönlich haftenden Gesellschafters verbucht worden sei. Hier gelte vollumfänglich auch bezüglich des persönlich haftenden Gesellschafters das Veranlassungsprinzip nach § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG.66 Neu (und systematisch u.E. problematisch67) ist die isolierte „Verortung“ der Ergänzungsbilanz nur „oben“ auf Ebene des phG (nur) für Zwecke der isolierten Gewinnermittlung des phG durch eigenständigen Betriebsvermögensvergleich nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG68 und nicht etwa (auch) „unten“ auf Ebene der KGaA als „Wertkorrekturbilanz“ zum Kapitalkonto des phG in der Steuerbilanz der KGaA.69 Wörtlich schreibt der BFH in Rz. 32 und 39 der Urteilsbegründung:70 32 … Die Ergänzungsbilanz eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA steht jedoch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 8 Nr. 4 GewStG … § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG und § 8 Nr. 4 GewStG sind Vorschriften zur Ermittlung des Einkommens bzw. des Gewerbeertrags der KGaA. Sie stellen – abweichend von § 9 Nr. 2 GewStG – nicht auf die Anteile des persönlich haftenden Gesellschafters am Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft ab; maßgeblich ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG und § 8 Nr. 4 GewStG vielmehr der von der KGaA „verteilte“ Gewinn und mithin eine Bezugsgröße, die durch die individuellen Anschaffungskosten des persönlich haftenden Gesellschafters nicht beeinflusst wird (…). Angesichts dieses eindeutigen Regelungsinhalts sowie mangels einer gegenläufigen und unmissverständlichen Wertung des Gesetzes, ist es dem Senat auch verwehrt, im Wege der Rechtsfortbildung einen vollständigen Gleichlauf zwischen den Regelungen der §§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (ggf. i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG) einerseits sowie dem nach den vorgenannten Bestimmungen zu erfassenden Gewerbeertrag der KGaA andererseits herzustellen. Dass damit die Ergänzungsbilanz des persönlich haftenden Gesellschafters … im Ergebnis keinen Eingang in die Bilanz der KGaA findet, sondern allein Bedeutung für die Ermittlung der Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG hat, trägt zudem der Eigenschaft der KGaA als eigenständiges Steuersubjekt Rechnung. 66 Zur Kritik am „ersten KGaA-Modell-Urteil“ I R 57/14 s. Hageböke, DK 2017, 126. 67 S. nachfolgend IX.3. 68 Vgl. BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = AG 1990, 32, Leitsatz 2 („Herstatt); bestätigt durch BFH v. 4.12.2012 – I R 42/11, BFH/NV 2013, 589 = GmbHR 2013, 384. Hierzu Hageböke/Koetz, DStR 2006, 295; Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 169 ff. 69 A.A. Hageböke, Das „KGaA-Modell“, 2008, 235; Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 172 f. 70 Hervorhebung der entscheidenden Passage mittels Kursivdruck durch die Autoren.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung 39 Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass der Erwerb und die Einziehung eigener Aktien aufgrund des gegenläufigen Ansatzes einer Ergänzungsbilanz im Saldo nicht zu einer Vermögensminderung bei der KGaA führe (so aber Hageböke, Der Konzern 2017, 126, 134). Eine Ergänzungsbilanz des persönlich haftenden Gesellschafters geht allein in die Ermittlung der Einkünfte i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ein; sie ist nicht – insbesondere nicht als Wertkorrektur zu dem Kapitalkonto des persönlich haftenden Gesellschafters – Teil des Betriebsvermögensvergleichs der KGaA.“

Der Aufwand aus einer Ergänzungsbilanz für den phG („Mehr-AfA“) wirkt sich somit nach Ansicht des I. Senats gewerbesteuerlich nur „oben“ auf Ebene des selbst gewerbesteuerpflichtigen phG aus (wenn der phG neben seinem Komplementäranteil gewerbliche Einkünfte auch aus anderen Einkunftsquellen bezieht, die bei ihm der Gewerbesteuer unterliegen). Der Gewerbeertrag der KGaA („unten“) wird demgegenüber nach Ansicht des I. Senats nicht gemindert (= Hauptauswirkung des BFH-Urteils I R 41/16).

3. Bewertung Positiv festzuhalten ist zunächst, dass der BFH die Teiltransparenz einer KGaA sowie die sich daraus ergebende Notwendigkeit der Bildung von Ergänzungsbilanzen für die phG erneut und damit für die Praxis „endgültig“ bestätigt. Dem ist zunächst sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung durch den BFH (in Rz. 20 des Urteils I R 41/16) uneingeschränkt zuzustimmen.71 Systematisch nicht überzeugend erscheint hingegen die „isolierte Verortung“ der Ergänzungsbilanz nur „oben“ auf Ebene des phG (ohne Korrespondenz als Wertkorrektur zum Kapitalkonto des phG in der Steuerbilanz der KGaA). Der BFH „zerschneidet“ damit (u.E. dogmatisch „ohne Not“) die „Spiegelbildmethode“, da der „Anteil am BV“ (= das Kapitalkonto des persönlich haftenden Gesellschafters, vgl. § 286 Abs. 2 Satz 1 AktG: „Kapitalanteil“) auf Ebene der KGaA (also in der Steuerbilanz der KGaA) nun nicht mehr betragsgleich sein soll zum „Anteil am Betriebsvermögen“ auf Ebene des phG. Es ist unstreitig, dass das Sonderbetriebsvermögen und das Sonderbetriebsergebnis bei der KGaA nicht Teil des Gewerbeertrags der KGaA sind. Darum geht es aber hier nicht; eine Sonderbilanz ist systematisch nicht mit einer Ergänzungsbilanz vergleichbar. Der I. Senat „vermischt“ 71 Vgl. auch zum Folgenden Hageböke Anm. zum BFH-Urteil I R 41/16, DK 2018, 136.

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hier nämlich die erste Gewinnermittlungsstufe, auf der Ergänzungsbilanzen zur Ermittlung des „Gewinnanteils“ zu berücksichtigen sind, mit der zweiten Gewinnermittlungsstufe (nämlich dem Sonderbetriebsvermögen). Der Verweis in Rz. 39 des Urteils auf die (grundsätzlich) fehlende Gewerbesteuerpflicht des persönlich haftenden Gesellschafters und das BFH-Urteil vom 31.10.199072 überzeugt daher nicht. Aus der Steuersubjekteigenschaft der KGaA folgt (ebenfalls) nichts Gegenteiliges. Auch § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG, wonach der Gewinn der KGaA an den persönlich haftenden Gesellschafter „verteilt“ wird (vgl. Gesetzeswortlaut: „Teil des Gewinns“) stützt die Argumentation des I. Senats u.E. nicht. Ergänzungsbilanzen sind – wie bei einer Mitunternehmerschaft – „Wertkorrekturbilanzen“ zum Kapitalkonto (des Gesellschafters/des persönlich haftenden Gesellschafters) in der Gesellschaftsbilanz, die – anders als das Sonderbetriebsvermögen auf der zweiten Gewinnermittlungsstufe – Bestandteil der ersten Gewinnermittlungsstufe der Gesellschaft sind.73 Der in § 286 Abs. 2 Satz 1 AktG verwendete Begriff des „Kapitalanteils“ des persönlich haftenden Gesellschafters (das „Kapitalkonto“) ist im Übrigen inhaltsgleich mit dem in §§ 121 Abs. 1, 122 Abs. 1 HGB verwendeten Begriff, der über § 278 Abs. 2 AktG gilt.74 Hier wie dort ist die Ergänzungsbilanz Teil der ersten Gewinnermittlungsstufe (der KGaA) und damit integraler Bestandteil des „Gewinnanteils“ des persönlich haftenden Gesellschafters (der dann nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG auf Ebene der KGaA außerbilanziell als fiktive Betriebsausgaben abgezogen und nach § 8 Nr. 4 GewStG wieder hinzugerechnet wird). Warum hier also bei der KGaA – anders als bei Personengesellschaft – etwas anderes gelten soll, erschließt sich nicht. Auch § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG stellt auf die „Gewinnanteile der Gesellschafter“ ab. Die Begriffe „Gewinnanteile“ und „Teil des Gewinns“ sind auch bei der KGaA synonym.75 Die Begriffe „Teil des Gewinns“ (in § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG) bzw. (spiegelbildlich und betragsgleich) „Gewinnanteil(e)“ (in § 8 Nr. 4 GewStG) sind steuerlich zu interpretieren, die – wie bei Mitunternehmerschaften – auch die Ergebnisse aus Er72 Vgl. BFH v. 31.10.1990 – I R 32/86, BStBl. II 1991, 253. 73 Zu dieser Differenzierung s. grundlegend Gschwendtner, DStR 1993, 817 (818). 74 Vgl. z.B. Bachmann in Spindler/Stilz, AktG3, § 286 Rz. 7; vgl. auch Hageböke, Das „KGaA-Modell“, 2008, 50 ff. 75 Vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG einerseits, § 8 Nr. 4, § 9 Nr. 2b GewStG (Plural: „Gewinnanteile“) andererseits.

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gänzungsbilanzen auf der ersten Gewinnermittlungsstufe berücksichtigen (müssen). Nur ein solches Verständnis entspricht außerdem der Gesetzessystematik von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 EStG, auf die der X. Senat im „Herstatt“-Urteil zutreffend hingewiesen hat; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 EStG stehen in einem engen systematischen Verhältnis zueinander.76 Der BFH setzt sich im Urteil I R 41/16 auch nicht mit der gesetzgeberischen Wertentscheidung von § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG auseinander, wonach der Gewinn aus der Veräußerung eines Komplementäranteils „auch“ zum Gewerbeertrag der KGaA gehört, soweit der phG keine natürliche Person ist (Rückausnahme in § 7 Satz 2 Halbs. 2 GewStG) („Zum Gewerbeertrag gehört auch …“). § 7 Satz 2 (Nr. 3) GewStG enthält als Ergänzungsnorm zu § 7 Satz 1 GewStG – systemkonform – keine eigenständige Vorschrift zur Ermittlung des „Veräußerungsgewinns“ (des phG), der bei der KGaA der GewSt unterliegt. Dies ist wegen des Verweises in § 7 Satz 1 GewStG u.a. auf § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG auch nicht erforderlich. Der Gesetzgeber hat damit den Gewerbeertrag der KGaA über § 7 Satz 1 und 2 GewStG mit den Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 15, 16 EStG „gesetzlich verklammert“.77 Im Veräußerungsfall unterliegt der nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG ermittelte Veräußerungsgewinn auf Ebene der KGaA der Gewerbesteuer. Dieser Veräußerungsgewinn ist sodann „Teil des Gewinns“, der an den persönlich haftenden Gesellschafter nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG „verteilt“ (= abgezogen) und „spiegelbildlich“ nach § 8 Nr. 4 GewStG gewerbesteuerlich hinzugerechnet wird. Das folgende Bespiel für einen phG, der nicht unter die Rückausnahme von § 7 Satz 2 Halbs. 2 GewStG fällt, also keine natürliche Person ist, verdeutlich diese Normzusammenhänge und belegt, dass die Ergänzungsbilanz richtigerweise (auch) auf Ebene der KGaA (als Wertkorrekturbilanz zum Kapitalkonto des phG in der Steuerbilanz der KGaA) gebildet werden muss: Zusammenfassendes Beispiel mit vergleichender Lösung78: Die X-GmbH erwirbt im Januar 01 die Komplementärbeteiligung an der XY-KGaA zum Kaufpreis von 100. Das Kapitalkonto der Komplementärbeteiligung in der 76 Vgl. grundlegend BFH v. 21.6.1989 – X R 14/88, BStBl. II 1989, 881 = AG 1990, 32, unter 2.e; Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 13. 77 Vgl. auch zum Folgenden Hageböke, DK 2017, 126 (135 f.). 78 Nach Hageböke, DK 2018, 136 (146 f.).

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung Handelsbilanz der XY-KGaA beträgt 10. Der über das Kapitalkonto hinaus gezahlte Mehrbetrag entfällt ausschließlich auf einen Geschäfts- oder Firmenwert. Im Jahr 05 veräußert die X-GmbH ihren Komplementäranteil weiter an Z zum Preis von 120; das Kapitalkonto der X-GmbH in der Handelsbilanz sei aus Vereinfachungsgründen unverändert 10; sämtliche Gewinne der X-GmbH seien in der Zwischenzeit nach § 288 AktG entnommen worden. Lösung mit Bildung einer Ergänzungsbilanz auf Ebene der KGaA79: Im Jahr 01 ist eine positive Ergänzungsbilanz zum Kapitalkonto der X-GmbH in der Steuerbilanz der X-GmbH i.H.v. 90 zu bilden (als Wertkorrektur). Das Mehrkapital entfällt auf den Geschäfts- oder Firmenwert, der nach § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG über 15 Jahre abzuschreiben ist. Es ergibt sich somit eine jährliche (zusätzliche) AfA über die Ergänzungsbilanz i.H.v. – 6. Diese Mehr-AfA würde sich auch mindernd auf den Gewerbeertrag der XY-KGaA auswirken. Das Mehrkapital in der Ergänzungsbilanz valutiert im Jahr 05 aufgrund der zwischenzeitlichen Abschreibungen der Mehrwerte (5 × – 6 = – 30) noch mit (90 – 30 =) 60; der „Anteil am Betriebsvermögen“ der X-GmbH i.S.v. § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG beträgt also im Veräußerungszeitpunkt (10 + 60 =) 70. Die X-GmbH versteuert also im Jahr 05 einen Veräußerungsgewinn von 120 – 70 = 50 (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 EStG). Dieser Veräußerungsgewinn unterliegt auf Ebene der KGaA nach § 7 Satz 2 Halbs. Nr. 3 GewStG der Gewerbesteuer. Auf Ebene der X-GmbH wird der Veräußerungsgewinn für Zwecke der GewSt nach Rspr.-Grundsätzen eliminiert, da es sich nicht um einen laufenden Gewinn handelt (– 50). Einer Kürzung nach § 9 Nr. 2 GewStG auf Ebene des Gesellschafters bedarf es nach der Rspr. nicht, da der Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinn nicht zum Gewerbeertrag des Gesellschafters gehört (str.).80 Diese Lösung führt u.E. zu einem schlüssigen Ergebnis. Lösung mit Bildung einer Ergänzungsbilanz auf Ebene der X-GmbH (= BFH-Lösung I R 41/16) Im Jahr 01 ist eine positive Ergänzungsbilanz zum Kapitalkonto der X-GmbH auf Ebene der X-GmbH i.H.v. 90 zu bilden (als Wertkorrektur). Das Mehrkapital entfällt auf den Geschäfts- oder Firmenwert, der nach § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG über

79 Nach Hageböke, DK 2017, 126 (136). 80 Vgl. BFH v. 29.6.2011 – X R 39/07, BFH/NV 2012, 16, unter II.2.; v. 25.5.1962 – I 78/61 S, BStBl. III 1962, 438, unter III.; Schnitter in Frotscher/Drüen, KStG/ GewStG/UmwStG, § 9 Nr. 2 GewStG Rz. 121; Keß in Lenski/Steinberg, GewStG, § 9 Nr. 2 Rz. 32; Schreiber in Deloitte, GewStG, 2009, § 9 Nr. 2 Rz. 41. A.A. (Anwendung von § 9 Nr. 2 GewStG) zB Gosch in Blümich, EStG/ KStG/GewStG, § 9 GewStG Rz. 149; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG9, § 9Nr. 2 Rz. 6a.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung 15 Jahre abzuschreiben ist. Es ergibt sich somit eine jährliche (zusätzliche) AfA über die Ergänzungsbilanz i.H.v. – 6. Diese Mehr-AfA wirkt sich allerdings nicht mindernd auf den Gewerbeertrag der XY-KGaA aus, sondern mindert den Gewerbeertrag der X-GmbH. Das Mehrkapital in der Ergänzungsbilanz valutiert im Jahr 05 aufgrund der zwischenzeitlichen Abschreibungen der Mehrwerte (5 × – 6 = – 30) noch mit (90 – 30 =) 60; der „Anteil am Betriebsvermögen“ der X-GmbH i.S.v. § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG beträgt also im Veräußerungszeitpunkt (10 + 60 =) 70. Die X-GmbH versteuert also im Jahr 05 körperschaftsteuerlich einen Veräußerungsgewinn von 120 – 70 = 50 (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 EStG). Der Veräußerungsgewinn unterliegt auf Ebene der KGaA nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG der Gewerbesteuer – u.E. allerdings ohne das Ergebnis aus der Auflösung der Ergänzungsbilanz. Das Veräußerungsergebnis ist also gewerbesteuerlich aufzuteilen: Ebene der XY-KGaA: Veräußerungspreis – Kapitalkonto der X-GmbH bei der XY-KGaA Gewerbesteuerlicher Gewinn auf Ebene der XY-KGaA Ebene der X-GmbH: Offen: Aufwand aus Auflösung des Mehrwerts in der Ergänzungsbilanz?

120 – 10 110 – 60?

Die X-GmbH versteuert also im Jahr 05 für Zwecke der KSt einen Veräußerungsgewinn von 120 – 70 = 50 (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. §§ 8 Abs. 1KStG). Dieser Veräußerungsgewinn unterliegt auf Ebene der KGaA nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG der GewSt, allerdings in abweichender Höhe (110), d.h. der in beiden Fällen nach § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG bzw. § 7 Satz 1 GewStG) zu ermittelnde Veräußerungsgewinn soll sich der Höhe nach auf Ebene des phG (50) und auf Ebene der KGaA (für Zwecke der GewSt) (110) unterscheiden. Auf Ebene der X-GmbH wird der Veräußerungsgewinn für Zwecke der GewSt nach Rspr.-Grundsätzen eliminiert, da es sich nicht um einen laufenden Gewerbeertrag/Gewinn handelt (–110). Bei der XY-KGaA erfolgt gewerbesteuerlich also die Besteuerung eines „Scheingewinns“ aus der fehlenden Berücksichtigung der Ergänzungsbilanz i.H.v. 60. Offen ist, ob auf der Ebene des phG gewerbesteuerlich ein Verlust i.H.v. – 60 aus der veräußerungsbedingten Ausbuchung des Ergänzungsbilanzkapitals beim phG entsteht oder dieser Aufwand aus der Ausbuchung gewerbesteuerlich beim phG „ins Leere“ geht, weil es sich insoweit nicht um einen laufenden Gewinn handelt (Lösung als Konsequenz aus dem BFH-Urteil I R 41/16?).

Wenn aber im Veräußerungsfall die für den persönlich haftenden Gesellschafter zu bildende Ergänzungsbilanz über § 16 Abs. 2 Satz 1 EStG nach § 7 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 GewStG nach den gesetzlichen Wertungen zweifelsfrei auf den Gewerbeertrag der KGaA „durchschlägt“ (und der Ver-

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

äußerungsgewinn – wie bei einer Mitunternehmerschaft nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 2 GewStG – „unten“ auf Ebene der Gesellschaft der Gewerbesteuer unterliegt), warum sollte dies gewerbesteuerlich nur für den Veräußerungsfall, nicht aber für die laufende Ermittlung des Gewerbeertrags der KGaA gelten? Dies ist ein systematisch nicht überzeugendes Ergebnis, das gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstößt und zu einer gewerbesteuerlichen Übermaßbesteuerung auf Ebene der KGaA führt, wenn die Ergänzungsbilanz des phG nicht (auch) auf Ebene der KGaA berücksichtigt wird.81 Es kann also – entgegen der Formulierung des BFH in Rz. 32 des Urteils I R 41/16 – keine Rede davon sein, dass „der von der KGaA ‚verteilte‘ Gewinn … mithin eine Bezugsgröße [sei], die durch die individuellen Anschaffungskosten des persönlich haftenden Gesellschafters nicht beeinflusst wird“.

Durch die Lösung des BFH werden die gewerbesteuerlichen Auswirkungen aus der Ergänzungsbilanz des phG auf die Ebene eines Gewerbebetriebs „verschoben“,82 zu dem sie eindeutig nicht gehören.83 Dies kann kein systematisch zutreffendes Ergebnis sein, das im Übrigen auch mit dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer und der Funktion von § 8 Nr. 4 GewStG (und auch von § 7 Satz 2 GewStG) als „Zuordnungsnorm“84 nicht vereinbar ist. Überdies ist die Lösung des BFH im Urteil I R 41/16 nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Legitimation von § 7 Satz 2 GewStG durch das BVerfG im (dem Urteil I R 41/16 vom 15.3.2017) zeitlich nachgehenden Urteil des BVerfG vom 10.4.2018.85

81 Eine (anderenfalls systemwidrige) „Doppelbegünstigung“ ist wegen § 9 Nr. 2b GewStG hingegen ausgeschlossen, wenn die Ergänzungsbilanz, wie hier vertreten, „unten“ auf Ebene der KGaA (als Wertkorrektur zum Kapitalkonto des phG in der Steuerbilanz der KGaA) gebildet, fortgeführt und (nach § 16 EStG i.V.m. § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG) aufgelöst wird. 82 Angenommen, der phG unterhält selbst einen Gewerbebetrieb i.S.v. § 2 GewStG und erzielt hieraus gewerbliche Einkünfte. 83 Zumal bei § 8 Nr. 4 GewStG allgemein anerkannt ist, das der Gesetzgeber davon ausging, dass der phG selbst nicht der Gewerbesteuer unterliegt. Vgl. stv. BFH v. 23.10.1985 – I R 235/81, BStBl. II 1986, 72 = FR 1986, 157; Krebbers-van Heek, DK 2016, 384 (385). 84 Zur Qualifikation von § 8 Nr. 4 GewStG als „Zuordnungsnorm“ vgl. BFH v. 8.2.1984 – I R 11/80, BStBl. II 1984, 381 = FR 1984, 404; v. 28.11.2007 – X R 6/05, BStBl. II 2008, 383 = FR 2008, 575, unter II.2.a; Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 118. 85 Vgl. zum Folgenden Hageböke, DK 2018, 126 (148).

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Nach Ansicht des BVerfG im Urteil vom 10.4.201886 ist es mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit vereinbar, dass eine Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 2 GewStG bei Verkauf eines Anteils durch einen Mitunternehmer grundsätzlich gewerbesteuerpflichtig ist, obwohl der Veräußerungsgewinn beim Veräußerer verbleibt. Ein durchgreifender Konflikt mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip liege nach Ansicht des BVerfG (in Rz. 110 des Urteils) „jedenfalls deshalb nicht vor, weil die in steuerrechtlicher Hinsicht mit dem Mitunternehmeranteil veräußerten Anteile an den Vermögensgegenständen durch den in die Gesellschaft einrückenden Erwerber in der Mitunternehmerschaft verbleiben und die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft im Grundsatz unverändert erhalten. Soweit der veräußernde Mitunternehmer einen Verkaufserlös durch Aufdeckung stiller Reserven erzielt hat, übernimmt der Erwerber den entsprechend erhöhten Bilanzwert in Form einer Ergänzungsbilanz in der Mitunternehmerschaft. Verkauft die Gesellschaft später diese Vermögensgegenstände oder veräußert sie den Betrieb oder Teile daran, wird durch die Auflösung der Ergänzungsbilanz beim eingetretenen Gesellschafter im Ergebnis eine Doppelbesteuerung auch nur von Teilen der stillen Reserven vermieden.“

Diese verfassungsrechtliche Rechtfertigung lässt sich unmittelbar auf die Gewerbebesteuerung der KGaA nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 GewStG übertragen. In beiden Fällen erzielt der veräußernde Gesellschafter den Veräußerungs- oder Aufgabegewinn, der wegen der Transparenz (Nr. 2) bzw. Teiltransparenz (Nr. 3) der Gesellschaft auf Ebene der Gesellschaft der Gewerbesteuer unterworfen wird.87 Würde nun bei der KGaA die Bildung der Ergänzungsbilanz für Zwecke der Ermittlung des Gewerbeertrags der KGaA i.S.d. BFH-Urteils I R 41/16 versagt, so fehlte es aus Sicht des Leistungsfähigkeitsprinzips an der vom BVerfG zur Legitimation von § 7 Satz 2 GewStG herangezogenen Vermeidung der gewerbesteuerlichen Doppelbesteuerung bei der Gesellschaft der durch den Veräußerungsoder Aufgabegewinn bereits (anteilig) aufgedeckten und bei der Gesellschaft der Gewerbesteuer unterworfenen (anteiligen) stillen Reserven durch die Ergänzungsbilanz des Erwerbers. Nach dem Urteil des BVerfG vom 10.4.2018 erfordert daher auch die verfassungsrechtliche Legitimation von § 7 Satz 2 GewStG die Bildung und Fortentwicklung der Ergänzungsbilanz des phG „unten“ bei der KGaA.

86 Vgl. BVerfG v. 10.4.2018 – 1 BvR 1236/11, juris. 87 Vgl. schon Hageböke, DK 2017, 126 (134).

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Der BFH hat sich in seinem Urteil I R 41/16 allerdings nicht näher mit den gewerbesteuerlichen Folgen aus der Ergänzungsbilanz bei Veräußerung oder Aufgabe der Komplementärbeteiligung nach § 7 Satz 2 Halbs. 1 Nr. 3 EStG auseinandergesetzt, so dass unklar ist, ob der BFH diese Effekte seinerzeit gesehen hat. Insofern bedarf die These der „isolierten Verortung“ der Ergänzungsbilanz ausschließlich auf Ebene des phG im Urteil I R 41/16 auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG vom 10.4.2018 zur Rechtfertigung von § 7 Satz 2 GewStG erneut einer höchstrichterlichen Überprüfung.

X. Organschaften mit KGaA Eine KGaA kann sowohl Organträger als auch Organgesellschaft sein.88 Für die Eigenschaft als Organgesellschaft ergibt sich dies unmittelbar aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG. Hinsichtlich der OrganträgerEigenschaft ist eine KGaA eindeutig (bereits aufgrund ihrer Rechtsform) „ein anderes gewerbliches Unternehmen“ i.S.v. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG. Die besonderen Regelungen für die Organträger-Eigenschaft von Personengesellschaften (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 ff. KStG) gelten nicht für KGaA (auch nicht anteilig). Die KGaA muss also insbes. nicht zwingend eine aktive gewerbliche Tätigkeit i.S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG ausüben. Die finanzielle Eingliederung einer KGaA als Organgesellschaft bestimmt sich allein nach den Kommanditaktien; die Höhe der vermögensmäßigen Beteiligung des persönlich haftenden Gesellschafters bleibt unberücksichtigt.89 Dabei ist auch Organträger-Eigenschaft des phG möglich, wenn er – neben seiner Beteiligung als persönlich haftender Gesellschafter – selbst auch die Mehrheit der Kommanditaktien in einem gewerblichen Unternehmen hält. Andererseits kann aber auch der phG Organgesellschaft sein, wenn dieser ebenfalls eine Kapitalgesellschaft ist.90 „Abzuführender Gewinn“ einer KGaA als Organgesellschaft ist nur der Gewinn, der auf die Kommanditaktionäre entfällt (nach Anwendung von

88 Vgl. stv. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 82 f. m.w.N. 89 Vgl. Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz. 260; Winkemann, BB 2003, 1649 und Frotscher, DK 2005, 139. 90 Vgl. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz. 214.

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§ 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG). Der Gewinnanteil des phG wird also bereits vor der Gewinnabführung „ausgesondert“.91

XI. Umwandlungen unter Beteiligung einer KGaA 1. Allgemeines Die nun auch vom BFH eindeutig favorisierte teiltransparente Sichtweise92 schlägt auch auf die Behandlung von Umstrukturierungen durch, an denen KGaA beteiligt sind. Solche Umwandlungen sind somit als sog. „Mischumwandlungen“ zu behandeln.93 Der UmwSt-Erlass 201194 enthält zur Umwandlung von KGaA keine Aussagen. In der Entwurfsfassung des Erlasses vom Februar 2011 war dazu allerdings noch folgende Aussage zu finden: „Die Umwandlung unter Beteiligung einer KGaA ist als Mischumwandlung zu behandeln, die insoweit, als das Aktienkapital der KGaA betroffen ist, unter die §§ 11–13 UmwStG fällt und insoweit, als der persönlich haftende Gesellschafter beteiligt ist, unter die §§ 3–10 UmwStG fällt.“

Hintergrund des Fehlens der Aussage im endgültigen UmwSt-Erlass war wohl, dass sich die Finanzverwaltung seinerzeit nicht auf die teiltransparente Sichtweise festlegen wollte (was sie im Übrigen auch bisher noch nicht getan hat).95 Für die einzelnen Umwandlungsrichtungen ergeben sich u.E. folgende Auswirkungen:

2. Umwandlung einer Kapitalgesellschaft auf eine KGaA Soweit die Kommanditaktionäre an der KGaA beteiligt sind, sind bei Verschmelzung einer Kapitalgesellschaft auf eine KGaA die §§ 11–13 UmwStG anzuwenden. Insoweit bleiben die Wirtschaftsgüter im Besteuerungsregime der Kapitalgesellschaften. Für Spaltungen gilt insoweit § 15 UmwStG. 91 Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 14 KStG Rz. 77 und 371, m.w.N. 92 S.o. II.2. 93 Fallgruppen bei Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 123 f. 94 BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112 („UmwSt-Erlass 2011“). 95 Dazu s.o. III.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Soweit der phG (vermögensmäßig) beteiligt ist, sind demgegenüber die §§ 3–9 UmwStG anzuwenden (also die Vorschriften zur Umwandlung einer Kapitalgesellschaft auf ein Personenunternehmen). In Spaltungsfällen sind die §§ 3–9 UmwStG über § 16 UmwStG anwendbar. Ist der phG nicht vermögensmäßig an der übernehmenden Personengesellschaft beteiligt, greifen u.E. ausschließlich die Regelungen für die Umwandlung auf Kapitalgesellschaften (§§ 11–13 UmwStG). Die Wirtschaftsgüter verlassen in diesem Fall nämlich insgesamt nicht (also auch nicht anteilig) den Körperschaftsteuerbereich. Wird eine Kapitalgesellschaft im Wege eines Formwechsels in eine KGaA umgewandelt, gilt dies entsprechend. Ohne eine vermögensmäßige Beteiligung des phG liegt u.E. allerdings ein Formwechsel innerhalb der Rechtsformart vor, die nicht zu einem Vorgang i.S.d. UmwStG führt (wie z.B. der Formwechsel einer GmbH in eine AG oder umgekehrt).

3. Einbringungen durch den persönlich haftenden Gesellschafter Wird ein Betrieb, Teilbetrieb oder Mitunternehmeranteil gegen eine Beteiligung als phG in eine KGaA eingebracht (Gutschrift auf dem Kapitalkonto des phG), ist u.E. § 24 UmwStG anwendbar. Dies gilt sowohl bei Begründung als auch bei Erhöhung der Beteiligung des phG. Nach immer noch geltender Beschlusslage der Finanzverwaltung soll in diesem Fall allerdings § 20 UmwStG anzuwenden sein (was impliziert, dass dem phG mit der Gutschrift auf seinem Kapitalkonto eine „Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft“ i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG vermittelt wird). Dies ist allerdings noch ein Relikt aus der intransparenten Sichtweise, die der BFH eindeutig verworfen hat. Vor dem Hintergrund der Teiltransparenz der KGaA in Bezug auf den phG und spätestens seit dem BFH-Urteil I R 41/16, in dem der BFH die Anwendung der „Spiegelbildmethode“ bejaht hat, ist diese Auffassung nicht mehr haltbar. Der Anteil eines phG ist kein Anteil an einer Kapitalgesellschaft i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG, da dieser Anteil keine „Bezüge“ i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vermittelt.96 Auch bei Einbringung einer 100 %-Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch den persönlich haftenden Gesellschafter aus seinem Betriebsvermögen (als Vermögenseinlage i.S.v. § 281 Abs. 2 AktG zur Be-

96 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 26 ff., 124; a.A. noch Rasche in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG2, § 24 Rz. 24.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

gründung oder Erhöhung seiner Beteiligung) liegt u.E. ebenfalls ein Fall des § 24 UmwStG vor (u.E. nicht von § 21 UmwStG).97 Wird ein (anderes) Einzelwirtschaftsgut aus einem eigenem Betrieb des persönlich haftenden Gesellschafters in „seine“ KGaA (unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten) übertragen (oder umgekehrt), kommt § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zur Anwendung. Es sind also (zwingend) die Buchwerte anzusetzen.

4. Formwechsel einer KGaA Eine KGaA kann nach den Vorschriften des UmwG identitätswahrend in eine AG oder GmbH formgewechselt werden (§§ 190 ff., §§ 227 und 238–250 UmwG). Durch den Formwechsel wird das Grundkapital der KGaA betragsgleich zum Stamm- bzw. Grundkapital der formgewechselten GmbH oder AG (§ 247 Abs. 1 UmwG). Der phG scheidet durch den Formwechsel „als solcher“ zwingend aus der KGaA aus, d.h. er nimmt insofern nicht am Formwechsel teil (§ 247 Abs. 2 UmwG). Der phG erhält für seine Sondereinlage einen Abfindungsanspruch. Will ein Komplementär sich an der GmbH oder AG beteiligen, die durch den Formwechsel entsteht, kann er entweder vor dem Formwechsel Kommanditaktionär werden oder nach dem Formwechsel Geschäftsanteile bzw. Aktien im Rahmen einer Bar- oder Sachkapitalerhöhung erwerben. Als eine solche Sacheinlage kann auch der Abfindungsanspruch gegen neue Anteile eingebracht werden. Steuerlich ist der Formwechsel einer KGaA in eine GmbH oder AG u.E. ein „Nullum“, soweit die Kommanditaktien betroffen sind. Insoweit liegt nämlich nur einer Umwandlung innerhalb der Rechtsformart „Kapitalgesellschaft“ vor. Die Einbringung des zivilrechtlichen Abfindungsanspruchs des persönlich haftenden Gesellschafters gegen Gewährung neuer Kommanditaktien ist u.E. („immer noch“) die Einbringung eines „Quasi-Mitunterneh-

97 Allerdings sieht der BFH 100 %-Beteiligungen nicht als begünstige Einbringungsgegenstände i.S.v. § 24 UmwStG vor; vgl. BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464 = FR 2008, 1149; zur insoweit großzügigeren Verwaltungsauffassung vgl. aber BMF v. 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/08/10001 – DOK 2011/0903665, BStBl. I 2011, 1314 = GmbHR 2012, 112, Rz. 24.02.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

meranteils“ nach § 20 UmwStG.98 Die gegenteilige Auffassung,99 die sich darauf begründet, dass Sacheinlagegegenstand der Auseinandersetzungsanspruch des persönlich haftenden Gesellschafters sei, ist zwar zivilrechtlich zutreffend, aber steuerlich nach Auffassung des BFH irrelevant.100

5. Einbringung einer Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft durch Kommanditaktionäre Bringt ein Kommanditaktionär eine Mehrheitsbeteiligung an einer Kapitalgesellschaft gegen Gewährung neuer Kommanditaktien ein, liegt ein Fall von § 21 UmwStG vor. Auf Antrag ist also nach § 21 Abs. 1 Satz 2 UmwStG ein Ansatz des Buchwerts bzw. (bei Einbringung aus dem Privatvermögen) der Anschaffungskosten möglich. Dies gilt u.E. auch insoweit, als an der KGaA der persönlich haftende Gesellschafter auch vermögensmäßig beteiligt ist.

6. Umwandlung einer Personengesellschaft in eine KGaA Wird eine Personengesellschaft (z.B. eine KG) in eine KGaA umgewandelt, ist § 20 UmwStG insoweit anwendbar, wie Kommanditaktionäre betroffen sind und diesen neue Aktien gewährt werden. § 24 UmwStG kommt demgegenüber insoweit zur Anwendung, wie dem persönlich haftenden Gesellschafter ein Kapitalanteil gewährt wird.

7. Umwandlung einer KGaA in eine Personengesellschaft Soweit die Kommanditaktionäre an der Umwandlung einer KGaA in eine Personengesellschaft beteiligt sind, kommen die §§ 3–9 UmwStG zur Anwendung. Demgegenüber ist § 24 UmwStG einschlägig, soweit der persönlich haftende Gesellschafter betroffen ist (wie z.B. bei Verschmelzung einer KG auf eine andere KG). 98 Vgl. Hageböke, DB 2010, 1610 (1611, Fn. 12). 99 Vgl. Patt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 16 EStG Rz. 368. 100 Vgl. BFH v. 20.9.2007 – IV R 10/07, BStBl. II 2008, 118 = FR 2008, 273, unter II.1.b cc zur Umwandlung einer Außen-GbR in eine stille Gesellschaft und umgekehrt, unter Verweis auf Baumbach/Hopt, HGB36, Einleitung vor § 105 HGB Rz. 27; ebenso BFH v. 16.4.2010 – IV B 94/09, BFH/NV 2010, 1272 = GmbHR 2010, 774 zur Umwandlung einer Komplementäreinlage in eine atypisch stille Beteiligung; hierzu Hageböke, DB 2010, 1610.

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Hageböke/Lang, Grundfragen der KGaA-Besteuerung

Bei Abspaltungen aus einer KGaA auf Personengesellschaften gilt Entsprechendes.

XII. Fazit und Ausblick Der BFH lehnt in den Urteilen I R 57/14 und I R 41/16 die Bildung von Ergänzungsbilanzen für den phG einer KGaA im sog. „KGaA-Modell“ ab. Unabhängig von den dargestellten systematischen Bedenken wird aus Sicht der Finanzverwaltung durch die neue BFH-Rspr. das bisher in der „Sonderrechtsform“ der KGaA gesehene (vermeintliche) „Gestaltungspotenzial“ ganz erheblich reduziert. Auch Gestaltungen zur Generierung „weißer Einkünfte“ sind aufgrund der Einfügung von § 50d Abs. 11 EStG nicht mehr gangbar (s.o. VIII.). Die Besteuerung der KGaA als sog. „hybride Rechtsform“ zwischen Kapital- und Personengesellschaft ist schon seit vielen Jahren streitig. Durch die aktuelle BFH-Rspr.101 sind nun in etlichen Punkten Klärungen eingetreten, auf die sich die Praxis einrichten kann und muss. Dies gilt unabhängig davon, dass die vom BFH gezogenen Grenzlinien hinsichtlich der Behandlung des phG zwischen „ist ein Mitunternehmer“ und „wie ein Mitunternehmer“ u.E. durchaus fragwürdig sind.102 Es bleibt nun allerdings noch abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf die neue BFHRspr. reagieren wird. Der bisherige „Flickenteppich“ bei der steuerlichen Behandlung der KGaA in den verschiedenen Bundesländern sollte nun jedenfalls endlich ein Ende haben. Auch Gesetzesänderungen scheinen nicht gänzlich ausgeschlossen. Zwingend notwendig wären sie u.E. allerdings nicht. Insgesamt bildet die einschlägige BFH-Rspr., wenn auch mit einigen Kritikpunkten im Detail, u.E. ein durchaus in sich „stimmiges Bild“, das den gesetzlichen Vorgaben gerecht wird; dies gilt allerdings für die FG-Rspr. zur KGaA nur eingeschränkt.103

101 Insbes. BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, FR 2017, 1094; v. 15.3.2017 – I R 41/16, FRR 2017, 1147; außerdem – Ablehnung der „Subsidiaritätsthese“ – BFH v. 2.1.2017 – I B 34/16, DK 2017, 504 m. Anm. Gosch. 102 Vgl. dazu oben IX.3. Im Ergebnis ergeben sich aber durch diese Differenzierung keine Unterschiede; vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 16 f. 103 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 9 Rz. 5 m.w.N. zur Rspr. und auch zur Gegenauffassung, die i.d.R. ein Tätigwerden des Gesetzgebers verlangt.

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Stand der Erkenntnisse zu Rückstellungen im Bilanzsteuerrecht/Anwendungen der Regelung in § 4f und § 5 Abs. 7 EStG Regierungsdirektorin Evelyn Hörhammer Bundesministerium der Finanzen, Berlin Professor Dr. Joachim Hennrichs Universität zu Köln1, 2 I. Bilanzsteuerrechtliche Beurteilung von Aktienoptionsprogrammen (Hörhammer) 1. Das Grundsatzurteil des BFH v. 25.8.2010 – I R 103/09 (BStBl. II 2011, 215) 2. Das Urteil des BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15 (BStBl. II 2017, 1043) 3. Fazit II. Zweifelsfragen im Zusammenhang mit den Regelungen § 4f und § 5 Abs. 7 EStG (Hörhammer) 1. Grundanliegen der Vorschriften 2. Ausgewählte Anwendungsfragen/BMF-Schreiben v. 30.11.2017 a) Anwendungsbereich der Vorschriften b) Korrespondenz c) Wahlrecht

d) Keine Privilegierung bei Schuldbeitritt und Erfüllungsübernahme e) Verteilung nach § 4f EStG bei Jubiläumszusagen, Altersteilzeitvereinbarungen f) Übernahme aus ausländischem Betriebsvermögen III. Aktuelle Rechtsprechung (Hennrichs) 1. BFH v. 8.11.2016 – I R 35/15 (BStBl. II 2017, 768) 2. BFH v. 9.11.2016 – I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379) 3. BFH v. 5.4.2017 – X R 30/15 (BStBl. II 2017, 900) 4. FG Rheinland-Pfalz v. 7.12.2016 – 1 K 1912/14 (EFG 2017, 693), Rev. I R 18/17 IV. Zu BMF v. 9.12.2016 (BStBl. I 2016, 1427): Altersgrenze bei Pensionszusagen (Hennrichs)

1 Prof. Dr. Joachim Hennrichs ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsrecht und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Bilanz- und Steuerrecht der Universität zu Köln. 2 Der Beitrag beruht auf einem gemeinsamen Vortrag anlässlich des 69. Fachkongresses der Steuerberater am 5.10.2017 in Köln. Der Vortrag wurde um einige Fußnoten ergänzt. Die Vortragsform wurde teilweise beibehalten.

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Hörhammer/Hennrichs, Rückstellungen im Bilanzsteuerrecht

I. Bilanzsteuerrechtliche Beurteilung von Aktienoptionsprogrammen (Hörhammer) In der Unternehmenspolitik finden Aktienoptionsprogramme für Mitarbeiter immer größere Beliebtheit. Hintergrund ist meist das Bestreben des Unternehmens, einerseits die Arbeitnehmer intensiver an das Unternehmen zu binden, aber auch Anreize für „Arbeitsmehrleistungen“3 zu schaffen. Dabei spielen aber auch die steuerliche Relevanz solcher Programme sowie die Abbildung in der Steuerbilanz eine Rolle. Sie sind daher auch zunehmend Gegenstand von Erörterungen im Rahmen von Betriebsprüfungen. Wie die nachfolgende Rspr. zeigt, stellt die Bildung einer Rückstellung meist die Kernfrage hierbei dar. Dabei sind die jeweiligen Einzelheiten des Aktienoptionsplans zu berücksichtigen und es bedarf auch einer Untersuchung, wie sich dieser Plan auf Ebene des Unternehmens als Kapitalmaßnahme darstellt.

1. Das Grundsatzurteil des BFH v. 25.8.2010 – I R 103/09 (BStBl. II 2011, 215) Mit Urteil vom 25.8.20104 hatte der BFH bereits entschieden, dass die Ausgabe von Aktienoptionen an Mitarbeiter durch eine AG im Rahmen eines Aktionoptionsplans im Zeitpunkt der Einräumung der unentgeltlich gewährten Bezugsrechte nicht zu einem gewinnwirksamen Personalaufwand führt. Bei dem streitgegenständlichen Sachverhalt handelte es sich um eine bedingte Kapitalerhöhung nach § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG. Ob die handelsbilanzielle Abbildung eines solchen Aktienoptionsplans – soweit es um den Zeitpunkt der der tatsächlichen Kapitalerhöhung geht – erfolgsneutral zu erfolgen habe, war bis dahin umstritten. Der BFH schloss sich schließlich der Auffassung5 an, die diesen Geschäftsvorfall erfolgsneutral behandelte. Im Fall der bedingten Kapitalerhöhung wirke sich die Ausgabe der Optionen allein als Vermögensverlust bei den Altaktionären als sog. Verwässerung des Werts der bisher vorhandenen Aktien aus. Eine Aussage über die mögliche erfolgswirksame Abbildung einer Verbindlichkeitsrückstellung6 macht der BFH in diesem Zusammenhang 3 Vgl. BFH v. 25.8.2010 – I R 103/09, BStBl. II 2011, 215 = FR 2011, 231. 4 BFH v. 25.8.2010 – I R 103/09, BStBl. II 2011, 215 = FR 2011, 231. 5 U.a. Hüttemann in Canaris, Großkomm. HGB, § 272 Rz. 50; Rode, DStZ 2005, 404; Siegel, BB 2001, 1995. 6 So wohl aber Prinz, FR 2011, 234.

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auch und erteilt ihr zugleich eine Absage. Denn es bestünde im Streitfall für die bis zur Aufstellung des Aktienoptionsplans von den Arbeitnehmern erbrachte Arbeitsleitung keine äquivalente gegenwärtige Verbindlichkeit seitens des Unternehmens. Diese fast beiläufig erscheinenden Entscheidungsgründe hinsichtlich der Abbildung einer Rückstellung spielen sodann auch eine Rolle für eine aktuelle Entscheidung des BFH v. 15.3.20177.

2. Das Urteil des BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15 (BStBl. II 2017, 1043) Mit Urteil vom 15.3.2017 hatte der BFH erneut über einen Fall sog. Aktienoptionsprogramme zu entscheiden. Fraglich war hier, ob das betreffende Unternehmen eine Rückstellung bilden konnte, wenn die Optionen nur ausgeübt werden können, falls der Verkehrswert der Aktien zum Ausübungszeitpunkt einen bestimmten Betrag übersteigt und wenn das Ausübungsrecht davon abhängt, dass es in der Zukunft zu einem Verkauf des Unternehmens oder einem Börsengang kommt. Voraussetzungen für den Ansatz einer Rückstellung sind –

das Bestehen einer Schuld gegenüber einem Dritten (Außenverpflichtung),8



eine mindestens wirtschaftliche Verursachung von Aufwand bis zum Bilanzstichtag, mit dem Vergangenes abgegolten wird,9 sowie



eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Bestehens/Entstehens einer Verbindlichkeit und der Inanspruchnahme aus ihr.10

Diese Voraussetzungen sind im Einzelfall auf der Grundlage objektiver, am Bilanzstichtag vorliegender Tatsachen aus der Sicht eines sorgfältigen und gewissenhaften Kaufmanns zu beurteilen.11 Die Besonderheit des zu entscheidenden Falls lag m.E. besonders in dem Umstand begründet, dass eine Ersetzungs- und Rückkaufbefugnis des Unternehmens vereinbart wurde. Danach konnte das ausgebende Unterneh-

7 8 9 10

BFH v. 15.3.2017 – I R 11/15, BStBl. II 2017, 1043 = AG 2017, 624. R 5.7 Abs. 3 EStR. R 5.7 Abs. 5 EStR. Vgl. zur sog. „doppelten Wahrscheinlichkeitsprüfung“ Schumann/Hörhammer, NWB-Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht3, Rz. 2609 ff. 11 BFH v. 30.1.2002 – I R 68/00, BStBl. II 2002, 688 = FR 2002, 624.

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Hörhammer/Hennrichs, Rückstellungen im Bilanzsteuerrecht

men nach Ausübung einer Option seitens der Arbeitnehmer nach eigenem Ermessen festlegen, dass statt der Ausgabe von Options-Aktien ein deren Verkehrswert entsprechender Barbetrag an den entsprechenden Teilnehmer gezahlt wird. Von diesem Ersetzungsrecht macht das betroffene Unternehmen im Streitfall Gebrauch. Der BFH kam schließlich zu dem Ergebnis, dass eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten aufgrund dieses Programms nicht zu bilden sei. Die Verbindlichkeit sei zu den jeweiligen Bilanzstichtagen weder rechtlich entstanden noch wirtschaftlich verursacht. Hierbei ist zu bemerken, dass das streitgegenständliche Aktienoptionsprogramm an weitere Voraussetzungen geknüpft war. Die Optionen konnten seitens der Arbeitnehmer einerseits nur ausgeübt werden, wenn ein sog. „Exit-Ereignis“ in Form eines Verkaufs von wesentlichen Vermögenswerten des Unternehmens oder der Aktienmehrheitsverkauf an unabhängige Dritte vorgelegen hatte. Andererseits musste der Verkehrswert der Aktie mindestens 10 % über dem Ausübungspreis pro Aktie liegen („Erfolgsziel“). Diese beiden entscheidenden Tatbestandsmerkmale des Aktienoptionsprogramms führten den BFH dann schließlich zudem Ergebnis, dass es an dem Rückstellungsmerkmal des „rechtlichen Entstehens“ fehle. Denn den Leistungsansprüchen der Optionsberechtigen fehle zur rechtlichen Entstehung insbes. noch der Eintritt des in den Optionsbedingungen geregelten „Exit-Ereignisses“ in Form des Verkaufs der Aktienmehrheit oder des Betriebsvermögens des Unternehmens. Gerade diese Voraussetzungen seien unerlässliche Bedingung für die Entstehung des Rechts auf Ausübung der Optionen, soweit die betreffenden Berechtigten nicht zuvor aus dem Dienst des Unternehmens ausgeschieden seien. Aber selbst wenn man davon ausginge, dass die Verbindlichkeit im zu entscheidenden Fall dem Grunde nach noch nicht entstanden war, so geht der BFH zumindest davon aus, dass sie auch nicht wirtschaftlich verursacht war. Denn die Annahme einer wirtschaftlichen Verursachung setzt voraus, dass der Tatbestand, an den das Gesetz oder der Vertrag die Verpflichtung knüpft, im Wesentlich verwirklicht ist. Die Erfüllung der Verpflichtung darf nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern muss auch Vergangenes abgelten.12 Allein dass die Optionsbedingungen ein „Erfolgsziel“ enthalten, mache deutlich, dass es an der vergangenheitsbezogenen Anknüpfung fehle. 12 R 5.7 Abs. 5 EStR; BFH v. 17.10.2013 – IV R 7/11, BStBl. II 2014, 302 = FR 2014, 236.

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Vielmehr sieht der BFH hierin einen Beleg dafür, dass das Optionsrecht nicht in erster Linie gewährt worden ist, um dadurch in der Vergangenheit erbrachte Arbeitnehmerleistungen abzugelten, sondern um dem begünstigten Führungspersonal eine zusätzliche besondere Erfolgsmotivation für die Zukunft zu verschaffen. Damit scheidet die Bildung einer Rückstellung für die Verbindlichkeit aus einem Aktienoptionsprogramm zugunsten von leitenden Mitarbeitern dann aus, wenn die Optionen nur ausgeübt werden können, falls der Verkehrswert der Aktien zum Ausübungszeitpunkt einen bestimmten Betrag übersteigt und/oder wenn das Ausübungsrecht davon abhängt, dass es in der Zukunft zu einem Verkauf des Unternehmens oder einem Börsengang kommt.

3. Fazit Mit den beiden hier dargestellten Urteilen hat der BFH zum einen entschieden, dass die Ausgabe von Aktienoptionen an Mitarbeiter durch ein Unternehmen im Rahmen eines Aktienoptionsplans, der mit einer bedingten Kapitalerhöhung verbunden ist, nicht zu einem gewinnwirksamen Personalaufwand führt. Vielmehr handelt es sich um einen erfolgsneutralen Geschäftsvorfall, da durch die Ausgabe der Option lediglich bei den Altgesellschaftern ein Vermögensverlust aufgrund der „Verwässerung“ ihrer Altanteile eingetreten sei. Zudem hat der BFH in seiner aktuellen Entscheidung hervorgehoben, dass eine Rückstellung für eine ungewisse Verbindlichkeit bei Aktienoptionsprogrammen zumindest dann nicht zu bilden ist, wenn weder ein rechtlicher noch wirtschaftlicher Bezugspunkt der Verpflichtung in der Vergangenheit liegt. Im zu entscheidenden Fall soll gerade nicht das Optionsrecht die in der Vergangenheit erbrachte Arbeitsleistung abgelten, sondern es sei gerade dem Programm immanent, dass dem begünstigen Führungspersonal eine zusätzliche besondere Erfolgsmotivation für die Zukunft geschaffen werde. Dabei bleibt offen, wie Fälle zu beurteilen sind, wenn ein Arbeitnehmer vorzeitig aus den Diensten des Unternehmens ausscheidet. In diesem Fall sehen die vertraglichen Ausgestaltungen der Aktienoptionsprogramme vor, dass das Unternehmen berechtigt ist, sämtliche ausgegebenen Options-Aktien sowie sämtliche Optionen zum jeweiligen Verkehrswert der Aktien am Beendigungstag zurückzukaufen. Ob dies ausreicht, um die

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wirtschaftliche Verursachung bereits in der Vergangenheit anzunehmen, hat der BFH bisher offen gelassen.13

II. Zweifelsfragen im Zusammenhang mit den Regelungen § 4f und § 5 Abs. 7 EStG (Hörhammer) 1. Grundanliegen der Vorschriften Gemäß § 4f EStG ist der Aufwand, der durch die Übertragung von Verpflichtungen14 entsteht, die beim ursprünglich Verpflichteten Ansatzverboten, -beschränkungen und Bewertungsvorbehalten unterlegen haben, im Wirtschaftsjahr der Schuldübernahme und den nachfolgenden 14 Jahren gleichmäßig verteilt als Betriebsausgabe abzuziehen.15 Die Ursache für das Entstehen solcher stillen Lasten liegt i.d.R. in der Tatsache begründet, dass Unternehmen in ihrer Steuerbilanz aufgrund einkommensteuerrechtlicher Passivierungsverbote, -beschränkungen oder Bewertungsvorbehalte bestimmte (ungewisse) Verbindlichkeiten entweder nicht oder mit einem geringeren Wert im Verhältnis zur Handelsbilanz ausweisen dürfen. Ein in der Praxis häufig anzutreffendes Beispiel ist der Ausweis von Pensionsrückstellungen nach § 6a EStG. Für eine Übertragung einer solchen Verpflichtung sieht § 5 Abs. 7 EStG in Ergänzung des § 4f EStG vor, dass der Übernehmer der Verpflichtung zu den auf die Übernahme folgenden Bilanzstichtagen die übernommene Verpflichtung so zu bilanzieren hat, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten zu bilanzieren wäre. Dieses Regelungskonzept des § 4f und § 5 Abs. 7 EStG hat der Gesetzgeber mit dem AIFM-StAnpG16 erlassen.17 13 Bejahend wohl FG Münster v. 1.10.2014 – 9 K 4169/10 K,F, EFG 2015, 933, rkr.; Kolbe, StuB 2017, 729 (732). 14 § 4f Abs. 2 EStG stellt den Fällen der echten Verpflichtungsübernahme (nach §§ 414, 415 BGB), die § 4f Abs. 1 EStG erfasst, die Fälle des freistellenden Schuldbeitritts sowie der (isolierten) Erfüllungsübernahme gleich. Steuerlich gelten für alle diese Varianten der wirtschaftlichen Schuldübernahme die gleichen Grundsätze. Handelsrechtlich soll nach IDW RS HFA 30 (Tz. 21, 103) eine isolierte Erfüllungsübernahme demgegenüber nicht zur Ausbuchung beim bisher (allein) Verpflichteten führen. Dagegen mit Recht Klein, DB 2017, 1789. 15 Siehe zur Neuregelung Schlotter/Hörhammer, StbJb. 2013/2014, 292 ff. 16 AIFM-Steueranpassungsgesetz v. 18.12.2013, BGBl. I 2013, 4318; BStBl. I 2014, 2. 17 Siehe zur gesetzgeberischen Vorgeschichte auch Prinz/Hörhammer, StbJb. 2012/2013, 309.

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2. Ausgewählte Anwendungsfragen/BMF-Schreiben v. 30.11.201718 Am 22.11.2016 hatte das BMF nach vorheriger Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder einen Entwurf eines BMF-Schreibens zur Anwendung der Vorschriften des § 4f und § 5 Abs. 7 EStG in eine Verbandsanhörung gegeben. Im Rahmen der Verbandsanhörung zeigten sich dabei wesentliche Diskussionspunkte: a) Anwendungsbereich der Vorschriften Ausweichlich der Gesetzesbegründung19 war ursächlich für die Regelung des § 4f und § 5 Abs. 7 EStG, dass Unternehmen in ihrer Steuerbilanz aufgrund einkommensteuerrechtlicher Passivierungsbegrenzungen bestimmte Verbindlichkeiten entweder nicht ausweisen oder die Verbindlichkeiten mit geringeren Werten angesetzt haben als in ihrer Handelsbilanz. Hier wird deutlich, dass dieses einkommensteuerrechtliche Regelungssystem sich ausschließlich auf einkommensteuerliche Passivierungsverbote oder -beschränkungen (z.B. § 5 Abs. 2–4b EStG sowie Bewertungsvorbehalte nach § 6 Abs. 3a EStG sowie § 6a EStG) bezieht. Ausschließlich aufgrund dieser steuerlichen Abweichungen entstehende stille Lasten sollen erfasst werden und nicht die Realisierung von auch in der Handelsbilanz bestehenden stillen Lasten. Insofern stellt Rz. 2 des BMF-Schreibens v. 30.11.201720 klar, dass § 5 Abs. 7 EStG ausschließlich für am Bilanzstichtag bestehende Verpflichtungen gilt, die aufgrund der Vorschriften des EStG und des KStG (z.B. Schwankungsund Schadensrückstellungen nach § 20 KStG) nicht oder niedriger anzusetzen und zu bewerten sind als die für die Übernahme der Verpflichtung erhaltene Gegenleistung. b) Korrespondenz Zwischen der Regelung des § 4f EStG und des § 5 Abs. 7 EStG besteht insofern eine Korrespondenz, als eine Verteilung des Aufwands nach 18 Nach dem Vortrag veröffentlichtes endgültiges Schreiben des BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100. 19 Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, BR-Drucks. 376/ 13, 9. 20 BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100.

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§ 4f EStG nur dann in Betracht kommt, wenn die Verpflichtung an dem der Übertragung vorangegangenen Bilanzstichtag bestand und die Verpflichtung beim Übernehmer oder dessen Rechtsnachfolger in den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 7 EStG fällt oder § 5 Abs. 7 EStG zur Anwendung käme, wenn der Übernehmer dem deutschen Steuerrecht unterläge.21 Dabei sind vor allem auch Sachverhalte mitumfasst, bei denen die Verpflichtung an einen Stpfl. übertragen wird, der nicht dem Regelungswerk des deutschen Steuerrechts unterfällt. Auch in diesen Fällen kann es zu einer Verteilung des Aufwands beim dem deutschen Steuerrecht unterliegenden ursprünglich Verpflichteten kommen. Das BMF-Schreiben v. 30.11.2017 sieht zudem vor, dass eine Verteilung des Aufwands nach § 4f EStG nur dann in Betracht kommt, wenn die Verpflichtung bereits am vorangegangenen Stichtag bestand. c) Wahlrecht Grundintention des § 5 Abs. 7 EStG ist es sicherzustellen, dass der Übernehmer einer Verpflichtung den gleichen ertragsteuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorschriften unterliegt wie der ursprünglich Verpflichtete. Bilanzsteuerliche Wahlrechte (z.B. Teilwert- oder Pauschalwertverfahren bei Jubiläumsrückstellungen) kann er jedoch unabhängig von der Wahl des Rechtsvorgängers in Anspruch nehmen.22 d) Keine Privilegierung bei Schuldbeitritt und Erfüllungsübernahme Gemäß § 4f Abs. 1 Satz 3 EStG kann eine Aufwandsverteilung nach § 4f Abs. 1 Satz 1 EStG u.a. bei kleinen und mittleren Betrieben i.S.d. § 7g EStG oder bei Betriebsveräußerungen und Betriebsaufgaben unterbleiben. Bei Schuldbeitritten und Erfüllungsübernahmen kommen Ausnahmen von der Verteilungspflicht nach § 4f Abs. 1 Satz 3 EStG nicht in Betracht, da § 4f Abs. 2 ausschließlich die Sätze 1, 2 und 7 des Abs. 1 für entsprechend anwendbar erklärt.23

21 Siehe auch BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100, Rz. 3. 22 Vgl. BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100, Rz. 10. 23 Siehe auch BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100, Rz. 25.

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e) Verteilung nach § 4f EStG bei Jubiläumszusagen, Altersteilzeitvereinbarungen Von einer Aufwandsverteilung nach § 4f EStG kann u.a. auch dann abgesehen werden, wenn ein Arbeitnehmer unter Mitnahme seiner erworbenen Pensionsansprüche zu einem neuen Arbeitgeber wechselt. Es stellte sich die Frage, ob auch Verpflichtungen aus Jubiläumszusagen, Altersteilzeitvereinbarungen und ähnliche Vereinbarungen entsprechend von der Verteilung ausgeschlossen sind. Da die Ausnahmeregelung des § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 u.a. die Portabilität von Versorgungsansprüchen der Arbeitnehmer nicht behindern soll, müssten auch die Pensionsansprüchen vergleichbaren Leistungen unter diese Ausnahme fallen. Insofern sieht auch das BMF-Schreiben vom 30.11.2017 schließlich vor, dass die Ausnahme des § 4f Abs. 1 Satz 3 EStG auch für Verpflichtungen aus Jubiläumszusagen, Altersteilzeitvereinbarungen und ähnliche Verpflichtungen gegenüber dem Arbeitnehmer gilt, die auf den neunen Arbeitgeber übertragen werden. In den Fällen des § 613a BGB ist § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG jedoch nicht anzuwenden,24 da insofern nicht von einem Unternehmenswechsel i.S.d. § 4f Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 EStG ausgegangen werden kann. f) Übernahme aus ausländischem Betriebsvermögen § 5 Abs. 7 EStG sieht vor, dass die Verpflichtung beim ursprünglich Verpflichteten Ansatzverboten, -beschränkungen oder Bewertungsvorbehalten unterlegen haben muss. Somit stellt sich die Frage, ob diese Vorschrift auch zur Anwendung gelangen kann, wenn die Verpflichtung aus einem ausländischen Betriebsvermögen stammt. Das BMF-Schreiben vom 30.11.2017 sieht hierzu vor, dass nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift § 5 Abs. 7 EStG unabhängig davon zur Anwendung gelangt, ob die Verpflichtung eines in- oder ausländischen Betriebsvermögens übernommen wurde. Unterlag daher der ursprünglich Verpflichtete nicht dem deutschen Steuerrecht, ist der Wert maßgebend, der nach den Regelungen des EStG oder KStG anzusetzen gewesen wäre. Dadurch wird sichergestellt, dass der Übernehmer entsprechend dem Sinn und Zweck der Regelung in § 5 Abs. 7 EStG die Verpflichtung unter Berücksichtigung der steuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorbehalte ansetzt.25 24 Siehe BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100, Rz. 29. 25 Vgl. BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100, Rz. 8.

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III. Aktuelle Rechtsprechung (Hennrichs) 1. BFH v. 8.11.2016 – I R 35/15 (BStBl. II 2017, 768) Im Fall BFH I R 35/15 ging es um die Frage, ob Rückstellungen für Aufwendungen gebildet werden dürfen, die zwar in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten (AHK) eines Wirtschaftsguts (WG) zu aktivieren sind, bei denen das künftige WG indessen „wertlos“ ist. In Streit standen Aufwendungen für Anlagen zur Ableitung oder Aufbereitung von Sickerwasser oder Deponiegasen, die nach den Feststellungen der Tatsacheninstanz zu keinem Ertrag führten. An sich schließt § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG die Passivierung aus, wenn die künftigen Aufwendungen in künftigen Jahren als AHK von WG zu aktivieren sind. Dahinter steht die Idee, dass AHK von künftig anzuschaffenden WG als Aufwendungen erst späteren Perioden zuzurechnen sind. Umstritten ist allerdings, ob das Ansatzverbot auch dann gilt, wenn die künftigen WG (wie für den Urteilsfall anzunehmen war) wertlos sind. Manche plädieren für solche Fälle für eine teleologische Reduktion des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG.26 Der BFH weist diese Idee nunmehr zurück: Das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG erfasst auch in künftigen Wirtschaftsjahren als AHK eines WG zu aktivierende Aufwendungen, die zu keinem Ertrag mehr führen können. Der Senat stützt sich dabei auf den Wortlaut und den skizzierten Zweck der Vorschrift. Aufwendungen für künftig anzuschaffende WG sind in Gestalt der Abschreibungen Aufwand erst der späteren Perioden. Auch eine evtl. Teilwertabschreibung auf die fraglichen „wertlosen“ WG gehört erst in künftige Perioden.27 Rückstellungen sind danach nur zulässig, wenn die künftigen Ausgaben zur Erfüllung der Verpflichtung sofort abziehbare Ausgaben darstellen. Eine Abgrenzung ist freilich in Erinnerung zu rufen: Nach BFH IV R 5/0928 scheitern Rückstellungen für Zulassungskosten der Rezeptur eines Pflanzenschutzmittels nicht an § 5 Abs. 4b Satz 1 EStG. Zwar sind die Kosten für die Zulassung eines neu entwickelten Pflanzenschutz26 Dafür z.B. Weber-Grellet in Schmidt, EStG36, § 5 Rz. 369; Hommel/Ummenhofer, BB 2017, 2219 (2222 f.). 27 Zust. Hennrichs, NZG 2017, 618 (619); Schulze-Osterloh, BB 2017, 1136; teils krit. Prinz, WPg. 2017, 1316 (1320 f.) m.w.N. 28 BFH v. 8.9.2011 – IV R 5/09, BStBl. II 2012, 122 = FR 2012, 132.

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mittels nach dem Pflanzenschutzgesetz Bestandteil der Herstellungskosten für die Rezeptur des Pflanzenschutzmittels als immaterielles WG. Aufwendungen zur Herstellung eines selbstgeschaffenen immateriellen WG des Anlagevermögens dürfen aber gem. § 5 Abs. 2 EStG nicht aktiviert werden und sind damit steuerlich sofort abziehbare Betriebsausgaben. Für solchen Aufwand kann bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten gebildet werden.

2. BFH v. 9.11.2016 – I R 43/15 (BStBl. II 2017, 379) Im Fall BFH I R 43/15 war einmal mehr die Frage zu beantworten, unter welchen Voraussetzungen künftig zu erfüllende Wartungsverpflichtungen einen ausreichenden Vergangenheitsbezug haben, um bereits in Vorjahren eine Rückstellung zu rechtfertigen. Zu entscheiden war vereinfacht über folgenden Sachverhalt: Die Klägerin war als Leasingnehmerin aufgrund eines Leasingvertrags verpflichtet, Flugzeuge in bestimmten Intervallen auf ihre Kosten zu warten. Diese privatrechtlich begründete Verpflichtung trat neben die öffentlich-rechtliche Wartungsverpflichtung nach § 6 LuftBO und war unabhängig davon zu erfüllen, ob der Flugbetrieb über den Ablauf der Betriebszeit hinaus fortgeführt wurde. Bei Beendigung des Leasingvertrags vor Durchführung der nächsten fälligen Wartung hatte die Leasingnehmerin dem Leasinggeber den auf die bis dahin verstrichene Zeit entfallenden Betrag als sog. Wartungsrücklage-Garantiebeträge zu zahlen. Die Klägerin bildete in ihrer Steuerbilanz mit Rücksicht auf die bereits abgelaufenen Betriebszeiten eine Wartungsrückstellung, was das Finanzamt beanstandete.

Gem. § 249 HGB sind Rückstellungen nicht nur für am Bilanzstichtag (wahrscheinlich) bestehende, sondern unter zusätzlichen Voraussetzungen auch für bestimmte künftige ungewisse Verpflichtungen zu bilden. Zusätzliche Voraussetzung für die Rückstellungsbildung in diesen Fällen ist freilich, dass die fragliche Verpflichtung in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht ist. Dies verlangt das Stichtagsprinzip, denn sonst könnten sämtliche zukünftigen wahrscheinlichen Verpflichtungen schon durch Rückstellungen antizipiert werden. Ob der Schuldgrund privat- oder öffentlich-rechtlich ist,29 ist demgegenüber für die Bilanzierung gleichgültig. 29 Zu Rückstellungen für öffentlich-rechtliche Verpflichtungen s. auch BFH v. 25.1.2017 – I R 70/15, BStBl. II 2017, 780 = DB 2017, 1239 (Rückstellungen für künftige Entsorgungskosten für Elektrogeräte nach dem ElektroG erst mit Erlass einer Abholungsanordnung); dazu krit. vgl. Hommel/Ummenhofer, BB 2017, 2219 (2221).

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Ob in der Zukunft zu erfüllende Wartungsverpflichtungen bezogen auf Flugzeuge (oder andere Anlagen) einen ausreichenden Vergangenheitsbezug haben und eine Rückstellung rechtfertigen, ist umstritten. BFH VIII R 327/8330 hatte das für die öffentlich-rechtliche Wartungsverpflichtung gem. § 6 LuftBO verneint, was BFH I R 43/15 nunmehr nochmals bestätigt. Die Besonderheit des Streitfalls war nun allerdings, dass zusätzlich zu der öffentlich-rechtlichen Wartungsverpflichtung gem. § 6 LuftBO außerdem eine privatrechtliche Verpflichtung auf der Grundlage des Leasingvertrags vereinbart war. Im Hinblick auf diese Verpflichtung (zur Zahlung von Wartungsrücklagen-Garantiebeträgen) bejahte der Senat einen ausreichenden Vergangenheitsbezug und damit die Rückstellung, wenn – wie im Streitfall – bei Beendigung des Vertrags kein Anspruch auf Rückerstattung der Beträge besteht und der Stpfl. deshalb stets mit den vereinbarten Beträgen belastet bleibt.31 Der BFH stellt dabei tragend auf das Kriterium der Unentziehbarkeit der Verpflichtung ab. Die Klägerin konnte sich ihrer privatrechtlichen Verpflichtung (anders als der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung) nicht einmal durch Einstellung des Flugbetriebs vor Durchführung der nächsten Wartung entziehen, weil selbst dann nach dem Leasingvertrag die bis dahin offenen Wartungsrücklagen-Garantiebeträge zu zahlen waren. Dabei arbeitet der Senat zutreffend den anders gearteten Zweck der jeweiligen Verpflichtung heraus: Während es der öffentlich-rechtlichen Wartungsverpflichtung um die Sicherheit des Flugbetriebs geht und folglich keine Wartung mehr geschuldet ist, wenn der Flugbetrieb vorher eingestellt wird, bezweckt die Klausel im Leasingvertrag den Ausgleich der aufgelaufenen Wertabnutzung aufgrund des Flugbetriebs der Vergangenheit. Zwar mag der Leasingnehmer den Flugbetrieb einstellen. Der Leasinggeber wird das Flugzeug im Zweifel aber weiter verleasen. Daher hat der Leasinggeber in jedem Fall ein Interesse daran, vom Leasingnehmer die auf seine Nutzungszeit entfallenden Wartungsaufwendungen ersetzt zu erlangen. Die Entscheidung des BFH verdient Zustimmung. Sie ruft zudem zutreffend in Erinnerung, dass bei sich überlagernden Pflichtenlagen (hier: öffentlich-rechtliche Wartungsverpflichtung nach § 6 LuftBO einerseits 30 BFH v. 19.5.1987 – VIII R 327/83, BStBl. II 1987, 848 = FR 1987, 423. S. außerdem BFH v. 17.10.2013 – IV R 7/11, BStBl. II 2014, 302 = FR 2014, 236; dazu Prinz, DB 2014, 80; Prinz, DB 2015, 147 (149). 31 Zust. Hennrichs, NZG 2017, 618 (619 f.); Prinz, WPg. 2017, 1316 (1318).

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und privatrechtliche Verpflichtung aus dem Leasingvertrag andererseits) Rückstellungen wegen aller Pflichtenlagen zu prüfen sind. Zuzustimmen ist auch der Betonung des Kriteriums der Unentziehbarkeit als entscheidend für die Prüfung der wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit. Jedenfalls dann, wenn eine Verpflichtung in dem dargestellten Sinne unentziehbar ist und selbst dann erfüllt werden muss, wenn der Verpflichtete seinen Geschäftsbetrieb einstellt, ist die fragliche Verpflichtung der Vergangenheit zuzuordnen und rückstellungsfähig. Dieser Topos verstößt nicht gegen das Going-Concern-Prinzip (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB),32 sondern dient dazu, das schwierige Kriterium der wirtschaftlichen Verursachung in der Vergangenheit zu konkretisieren und rechtssicher handhabbar zu machen.

3. BFH v. 5.4.2017 – X R 30/15 (BStBl. II 2017, 900) Ebenfalls um das Problem des ausreichenden Vergangenheitsbezugs bei künftigen Verpflichtungen und um das Merkmal der wirtschaftlichen Verursachung ging es im Fall BFH X R 30/15. Dort stand eine Rückstellung für künftige Beiträge zur Handwerkskammer, die sich nach der Höhe des in einem vergangenen Steuerjahr erzielten Gewinns bemessen, in Streit. Der BFH entschied, dass für Kammerbeiträge eines künftigen Beitragsjahres keine Rückstellung gebildet werden kann.33 Zur Begründung knüpft der Senat zunächst an die bekannte Formel an, dass die Verpflichtung nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten muss. Dies konkretisiert der Senat wieder mit dem Topos der Unentziehbarkeit: Ein ausreichender Vergangenheitsbezug der Verpflichtung ist zu bejahen, wenn sie auch dann zu erfüllen ist, wenn der Betrieb zum Ende des Bilanzzeitraums aufgegeben würde. Dem stehe das Going-Concern-Prinzip nicht entgegen, denn es beziehe sich auf die Bewertung, nicht den Ansatz von Bilanzpositionen.34 Für künftige Kammerbeiträge verneint der BFH hiernach die Rückstellungsfähigkeit. Zwar habe eine Verpflichtung zur Zahlung von Kammer32 Dazu auch BFH v. 5.4.2017 – X R 30/15, BStBl. II 2017, 900 = FR 2017, 965 und sogleich im Text unter 3. 33 S. auch bereits Prinz, StbJb. 2016/17, 343 (369 ff., 371 f.); ferner Prinz, WPg. 2017, 1316 (1322). 34 Darüber dürfte allerdings das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, zutr. Prinz, WPg. 2017, 1316 (1322) unter Hinweis auf IDW RS HFA 17, Tz. 1 und m.w.N.

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beiträgen, die sich nach der Höhe des in einem vergangenen Steuerjahr erzielten Gewinns bemessen, einen Bezug zur Vergangenheit. Das allein reiche aber nicht aus. Die künftige Beitragspflicht sei am Bilanzstichtag weder rechtlich entstanden (weil sie erst in dem Jahr entsteht, in dem die Kammerzugehörigkeit besteht) noch ausreichend in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht. Die Kammerzugehörigkeit im Beitragsjahr sei nämlich wesentliches Tatbestandsmerkmal, weil Grundlage der Beitragspflicht. Die Verpflichtung sei auch entziehbar, denn die Beitragspflicht entfällt, wenn der Geschäftsbetrieb vorher eingestellt wird.

4. FG Rheinland-Pfalz v. 7.12.2016 – 1 K 1912/14 (EFG 2017, 693), Rev. I R 18/17 Die Rückstellungsbewertung und die Reichweite der Maßgeblichkeit gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG betrifft die Entscheidung des FG RheinlandPfalz 1 K 1912/14. Gegen die Entscheidung wurde Revision eingelegt (Az. I R 18/17), so dass demnächst auch eine Entscheidung des BFH zu dieser Problematik zu erwarten ist. Die Klägerin baut Lava ab. Für die Verpflichtung zur Rekultivierung der Abbaugrundstücke bildet sie in Handels- und Steuerbilanz eine Rückstellung. Der Wertansatz in der Handelsbilanz beträgt rd. 295 000 Euro. Bei dessen Ermittlung wurden geschätzte Kostensteigerungen bis zum Erfüllungszeitpunkt einbezogen und der so ermittelte Erfüllungsbetrag mit einem Zinssatz von 4,94 % über den Zeitraum bis zum Ende der Erfüllung abgezinst. Steuerlich erfolgte die Ermittlung einerseits ohne künftige Kostensteigerungen, andererseits wurde der ermittelte Verpflichtungsbetrag entsprechend dem BMF-Schreiben BStBl. I 1999, 1127 nicht abgezinst. Daraus ergab sich ein Wertansatz lt. Steuerbilanz i.H.v. rd. 350 000 Euro. Der Fall betrifft die Auslegung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG. Gem. dessen Buchst. e Satz 2 sind Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen steuerlich nur bis zum Beginn der Erfüllung der Verpflichtung abzuzinsen. Da im Streitfall sofort/laufend mit der Erfüllung der Rekultivierungsverpflichtung begonnen wird, erfolgt im Ergebnis hiernach keine Abzinsung der Rückstellung. Für das Handelsrecht entspricht es demgegenüber der berufsständischen Auffassung des IDW, dass über den Zeitraum bis zum Ende der Erfüllung abzuzinsen sein soll.35 Dadurch

35 Vgl. IDW HFA 34 Tz. 40; IDW RH HFA 1.009 Tz. 9.

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kann sich im Einzelfall (und so auch im Streitfall) ein handelsbilanziell niedrigerer Wertansatz der Rückstellung ergeben als gem. § 6 EStG. Fraglich ist in solchen Fällen, ob und welche Restbedeutung dem Maßgeblichkeitsprinzip für die Rückstellungsbewertung zukommt. Nach wohl h.L.36 ist für eine „Rest-Maßgeblichkeit“ bei der Bewertung von Rückstellungen kein Raum; sämtliche für die Bewertung von Rückstellungen relevanten Parameter (abzuzinsender Verpflichtungsbetrag, Abzinsungssatz, Abzinsungszeitraum) seien steuerlich in § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG detailreich und nach einem eigenständigen Konzept besonders geregelt. Die Finanzverwaltung37 geht demgegenüber von einer Art „ZweiStufen-Theorie“ aus: Auf der ersten Stufe erfolge die Bewertung der Rückstellung zwar in der Tat nach EStG. Sodann sei aber in einer zweiten Stufe zu prüfen, ob der sich so ergebende Wertansatz höher sei als der (richtig ermittelte) Wertansatz in der Handelsbilanz. Sei Letzterer niedriger, sei dieser maßgeblich. Dem hat sich nunmehr das FG Rheinland-Pfalz angeschlossen: Der niedrigere Handelsbilanzwert einer Rückstellung bilde gegenüber einem höheren steuerlichen Rückstellungswert die Obergrenze. Zur Begründung verweist das Gericht insbes. auf den Wortlaut des Einleitungssatzes zu § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG („höchstens“). Das Gegenargument, hierdurch ergebe sich eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Verschärfung zulasten der Stpfl., weist der Senat zurück. Eine solche Mehrbelastung resultiere nicht aus Änderungen des EStG, sondern aus Änderungen des Handelsbilanzrechts. Die Erfolgsaussichten der Revision sind wohl eher skeptisch einzuschätzen. Beiläufig hat der I. Senat des BFH nämlich bereits ebenfalls Sympathie für die Ansicht der Finanzverwaltung erkennen lassen.38 Die Sache sollte freilich Anlass sein, die IDW-Auffassung zur zutreffenden Auslegung des HGB (Abzinsung bis zum Ende der Erfüllung) nochmals zu überdenken. Die steuerliche Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 2 EStG (Abzinsung nur bis zum Beginn der Erfüllung) ist von dem Gedanken der Objektivierung und des vorsichtig bemessenen 36 Namentlich Günkel, StbJb. 2012/13, 385 (391 f.); Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 9 Rz. 288b; Marx, StuB 2017, 449; Prinz/Hütig, StuB 2012, 798; Prinz, WPg. 2016, 959; Prinz, WPg. 2017, 1316 (1322 f.); Schlotter in Münchkomm. BilanzR, Anh. zu § 253 HGB Rz. 117. 37 R 6.11 Abs. 3 EStÄR 2012. 38 Vgl. BFH v. 11.10.2012 – I R 66/11, BStBl. II 2013, 676 = FR 2013, 501 (Tz. 14); s. auch Wacker, HFR 2013, 489.

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Schuldenausweises getragen. Beide Gesichtspunkte sind auch und gerade für die handelsrechtliche Rechnungslegung überzeugend.39 Würde man deshalb auch in der Handelsbilanz Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen nur bis zum Beginn der Erfüllung abzinsen, wäre die dargestellte Problematik deutlich entschärft.

IV. Zu BMF v. 9.12.2016 (BStBl. I 2016, 1427): Altersgrenze bei Pensionszusagen (Hennrichs) Hinzuweisen ist schließlich noch auf das BMF-Schreiben v. 9.12.201640 zur Regelaltersgrenze bei sog. Gesamtversorgungszusagen. Gesamtversorgungszusagen sind Zusagen eines bestimmten Gesamtversorgungsgrades, bestehend aus gesetzlicher Rente und vom Arbeitgeber zu gewährender Betriebsrente. Die Betriebsrente ist hier also definitionsgemäß angelehnt an/abhängig von der gesetzlichen Rente, denn die Betriebsrente soll nur die Lücke zwischen versprochener Gesamtversorgung und gesetzlicher Rente abdecken. Gesamtversorgungsordnungen nehmen dem Wortlaut nach teilweise noch auf die Vollendung des 65. Lebensjahres Bezug. Die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung ist indessen zwischenzeitlich angehoben worden. Nach der Rspr. des BAG41 sind alte Gesamtversorgungsordnungen i.d.R. allerdings dahin auszulegen, dass damit auf die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung Bezug genommen sein soll. Vor Bezug der gesetzlichen Rente ist also auch die Betriebsrente nicht geschuldet. Letztere soll eben an erstere angelehnt sein. Diese in der Sache überzeugende Rspr. des BAG löst steuerlich vor dem Hintergrund des Schriftformerfordernisses gem. § 4d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Sätze 2 und 5 EStG, § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG und des Erfordernisses „eindeutiger Angaben“ gem. § 6a Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 EStG ein Folgeproblem aus: ist zur Wahrung der steuerlichen Voraussetzungen eine schriftliche Änderung der Pensionszusagen nötig ist oder genügt es, dass die geforderte Eindeutigkeit sich im Wegen der Auslegung ergibt?

39 Hennrichs, NZG 2017, 618 (621) m.w.N. 40 BMF v. 9.12.2016 – IV C 6 - S 2176/07/10004 :003 – DOK 2016/1112009, BStBl. I 2016, 1427. 41 BAG v. 15.5.2012 – 3 AZR 11/10, DB 2012, 1756; v. 13.1.2015 – 3 AZR 897/12, DB 2015, 1473.

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Das genannte BMF-Schreiben fordert zur Wahrung des steuerlichen Schriftformerfordernisses eine „schriftliche Änderung“ der betreffenden Zusagen bis spätestens zum Ende des Wirtschaftsjahres, das nach dem 9.12.2016 beginnt. Anderenfalls könnten betroffene Pensionsrückstellungen steuerlich nicht mehr anerkannt werden, sondern wären gewinnerhöhend aufzulösen. Die Position des BMF ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Zivilrechtlich ist eine Änderung der betreffenden Zusagen weder veranlasst noch auch nur möglich, denn nach der Rspr. des BAG haben die ausgelegten Zusagen ja bereits den Inhalt der vermeintlichen Änderung; in Betracht käme daher nur eine Klarstellung des Gewollten. Im Übrigen sollte es für „eindeutige Angaben“ i.S.d. § 6a Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 EStG genügen, wenn sich die „Eindeutigkeit“ durch Auslegung festzustellen lässt.42 Für Unternehmen und ihre Berater besteht gleichwohl Handlungsbedarf. Anzuraten ist eine Inventur der betroffenen Pensionszusagen nebst ggf. schriftlicher Klarstellung des Gewollten. Bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr sollte dies im Hinblick auf die vom BMF gesetzte Frist bis 31.12.2017 erfolgt sein. Für einige Unruhe hat sodann die Frage gesorgt, ob das BMF-Schreiben auch auf andere Pensionszusagen übertragbar sei. Die relevante Auslegungsfrage kann sich nämlich auch bei anderen Pensionszusagen stellen, wenn sie dem Wortlaut nach noch auf das 65. Lebensjahr Bezug nehmen. In einem Schreiben v. 18.5.2017 betont das BMF allerdings, dass die BAG-Urteile, die Hintergrund der BMF-Position sind, nur für Gesamtversorgungszusagen gelten.43 Das wird man wohl dahin verstehen dürfen, dass die Finanzverwaltung andere als Gesamtversorgungszusagen einstweilen nicht im Hinblick auf das Schriftformerfordernis aufgreifen wird.

42 So auch FG Schl.-Holst. v. 24.6.2004 – 1 V 428/03, EFG 2004, 1756 (unter Hinweis auf BFH v. 24.3.1999 – I R 20/98, BStBl. II 2001, 612); s. aber auch Gosch in Kirchhof, EStG16, § 6a Rz. 10: „mehrdeutige“ Angaben schädlich. 43 Zitiert nach Betriebliche Altersversorgung 2017, 346 f.

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Praxisfragen immaterieller Wirtschaftsgüter Professor Dr. Heribert Anzinger Universität Ulm Dr. Alexander Linn Steuerberater, München I. Einleitung II. Grundsätze der Bilanzierung immaterieller Werte 1. Vollständigkeitsgebot a) Vermögensgegenstand und Wirtschaftsgut b) Geschäftswert c) Geschäftswertähnliche und abgespaltene Wirtschaftsgüter d) Vertragsarztzulassung e) Zeitpunkt der Aktivierung bei Entwicklungskosten 2. Aktivierungs-, Ausschüttungsund Bewertungsbegrenzungen a) Handelsbilanzrecht b) Steuerbilanzrecht 3. Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 2 EStG a) „Immaterielle“ Wirtschaftsgüter b) „Anlagevermögen“ c) „Entgeltlich“ d) Bewertung

1. Nutzungsrechte und Nutzungsmöglichkeiten a) Abstrakte Aktivierungsfähigkeit b) Zurechnung und entgeltlicher Erwerb aa) Wirtschaftliches Eigentum bb) Entgeltlicher Erwerb von Nutzungsrechten und Nutzungsentgelt c) Bilanzierungsverbot für schwebende Geschäfte d) Leasingverhältnisse 2. Immaterielle Wirtschaftsgüter als gWG a) Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG b) Wesentlichkeit IV. Praxisfragen zum entgeltlichen Erwerb 1. Software 2. Entwicklungskosten in der Automobilindustrie

III. Praxisfragen zum Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts

I. Einleitung Immaterielle Wirtschaftsgüter gelten als die ewigen „Sorgenkinder des Bilanzrechts“1. Schwierigkeiten bereiten sowohl ihre Identifikation als 1 Moxter, BB 1979, 1102.

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auch ihre Bewertung. Gleichwohl haben immaterielle Werte in den letzten Jahren einen erheblichen Bedeutungszuwachs erfahren, nicht zuletzt durch neue Geschäftsmodelle, die mit einer digitalen Revolution verbunden werden. Die gemessen am Börsenwert fünf wertvollsten Unternehmen der Welt,2 Apple, Google (Alphabet), Microsoft, Amazon und Facebook generieren Leistungen, bei denen die Produktion und der Handel mit immateriellen Werten im Vordergrund stehen.3 Literatur, Musik, Noten, Bilder und Filme werden zunehmend unverkörpert, ohne Papier oder andere Datenträger vertrieben. Bücher werden zu eBooks und Zeitungen zu ePapers. In der Sharing Economy gewinnen Nutzungsrechte nicht nur an Bedeutung. Sie werden zunehmend auch handelbar. Smart Contracts und Blockchain-Technologien eröffnen neue Möglichkeiten der Kollaboration. Entwicklungsingenieure unterschiedlicher Unternehmen können auf virtuellen Konstruktionsplattformen zusammenarbeiten. Die Umsetzung der Entwicklungsleistung in der Produktion findet nicht mehr notwendig beim Hersteller, sondern im Wege additiver Fertigung, durch 3DDrucker, vor Ort beim Kunden statt. Eingedruckte RFID-Chips stellen sicher, dass für jeden Ausdruck eine Lizenzgebühr entrichtet wird. Die Bedeutung des ausgedruckten körperlichen Gegenstands wird durch den Wert der zu seiner Herstellung erforderlichen Lizenz verdrängt. Vor diesem Hintergrund ist das Portfolio zu behandelnder alter und neuer Praxisfragen zur Bilanzierung immaterieller Wirtschaftsgüter groß. Das Fallrecht bereichern Entscheidungen und Fragen zur Bilanzierung von Nutzungsrechten bei Mehrrücknahmen durch Mineralbrunnenbetriebe,4 zur Behandlung von Abfindungen für Vertragsauflösung, zum Ansatz und zur Bewertung von Vertragsarztzulassungen und Zuckerrübenlieferrechten, zur Einordnung von Bitcoin und Clouddiensten und facettenreich zur Bilanzierung von Software und Entwicklungskosten. Die Fülle der Themen gebietet eine Konzentration auf aktuelle Grundprobleme und eine notwendig subjektive Auswahl einzelner Praxisfragen. Im Folgenden sollen daher zunächst die Grundsätze der Bilanzierung immaterieller Werte entlang des Prüfungsschemas von Ansatz und Bewertung in Erinnerung gerufen und dabei aktuelle Fragen eingeordnet werden. Sodann sollen zwei Themenfelder besonders vertieft werden. Das erste Themen2 F.A.Z. v. 30.12.2017, 25; Börsen-Zeitung v. 29.10.2017, 7. 3 Selbst beim Online-Händler Amazon tragen die Vermarktung von Rechnerleistung und Speicherplatz an gewerbliche Abnehmer wesentlich zum Geschäftserfolg bei, Börsen-Zeitung v. 3.2.2017, 17. 4 BFH v. 9.1.2013 – I R 33/11, BFHE 240, 226 = FR 2013, 945; Krieger, DStR 2014, 1989.

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feld bündelt die Praxisfragen zum Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts. Dabei sollen zunächst Nutzungsrechte und die damit verbundenen Fragen ihrer Qualifikation als Wirtschaftsgut, ihrer Zurechnung, des mit ihnen verbundenen Bilanzierungsverbots für schwebende Geschäfte und die Zukunft der Leasingbilanzierung behandelt werden. Weiter soll der unscheinbaren Frage nachgegangen werden, ob sich immaterielle Wirtschaftsgüter unter das Tatbestandsmerkmal der geringwertigen Wirtschaftsgüter des § 6 Abs. 2 EStG subsumieren lassen oder – de lege ferenda – subsumieren lassen sollten. Das zweite Themenfeld würdigt die Praxisfragen zum entgeltlichen Erwerb. Dort soll zunächst die Bilanzierung von Software und sodann die Behandlung der Entwicklungskosten in der Automobilindustrie vertieft werden.

II. Grundsätze der Bilanzierung immaterieller Werte 1. Vollständigkeitsgebot Ausgangspunkt der Bilanzierung immaterieller Werte in der Steuerbilanz ist nicht § 5 Abs. 2 EStG – er regelt nur ein Bilanzierungsverbot – sondern das Vollständigkeitsgebot. Es ist ein Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), gespiegelt in § 246 Abs. 1 HGB, dass der Jahresabschluss sämtliche Vermögensgegenstände zu enthalten hat, soweit gesetzlich nicht ein anderes bestimmt ist. Das gilt nach dem Maßgeblichkeitsgrundsatz auch für die Steuerbilanz. Was nach den GoB in der Handelsbilanz als Vermögensgegenstand anzusetzen ist, muss in der Steuerbilanz als Wirtschaftsgut angesetzt werden. a) Vermögensgegenstand und Wirtschaftsgut Die Frage, was einen Vermögensgegenstand bzw. ein Wirtschaftsgut ausmacht, stellt sich fast ausschließlich bei immateriellen Werten, weil materielle Werte, Sachen, stets als Vermögensgegenstand bzw. Wirtschaftsgut zu qualifizieren sind und bei diesen nur die Aufgliederung zusammengesetzter Güter ein Definitionsproblem aufwirft. Die Rspr. betont die inhaltliche Entsprechung der Begriffe Wirtschaftsgut und Vermögensgegenstand.5 Ihre Kriterien beruhen im Handelsbilanz- und Steuerbilanzrecht aber auf unterschiedlichen Vorverständnissen.6 5 BFH v. 7.8.2000 – GrS 2/99, BStBl. II 2000, 632 = FR 2000, 1126; Tiedchen in HHR, § 5 EStG Rz. 555 mwN. 6 Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (286).

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Das handelsrechtliche Vorverständnis ist traditionell geprägt durch den Gedanken des Gläubigerschutzes und seine Umsetzung in den Kapitalerhaltungsgrundsätzen, bezieht aber auch die Informationsfunktion (Rechenschaft und Dokumentation) in die Zwecke der handelsrechtlichen Rechnungslegung ein.7 In dieses Vorverständnis fügen sich die im Schrifttum unterschiedlich akzentuierten Leitkriterien der selbständigen Verkehrsfähigkeit,8 der Einzelverwertbarkeit in Zwangsvollstreckung (Einzelvollstreckbarkeit)9 oder Insolvenz (abstrakte Einzelveräußerbarkeit) ein.10 Nach dem durch Rspr. und Verwaltungspraxis geprägten steuerrechtlichen Vorverständnis ist der Begriff des Wirtschaftsguts funktional als Element der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich zu bestimmen. Wirtschaftsgüter sind danach „alle vermögenswerten Vorteile, tatsächlichen Zustände und Möglichkeiten des Betriebs, denen im Geschäftsverkehr ein selbstständiger Wert beigelegt wird und die allein oder mit dem Betrieb verkehrsfähig sind.“11 Dieser Definition lassen sich zwei zentrale Merkmale entnehmen: die Bewertbarkeit und die mit dem Betrieb verknüpfte Verkehrsfähigkeit. In der Synthese der handelsrechtlich geprägten Definition des Vermögensgegenstands mit der steuerrechtlich geprägten Definition des Wirtschaftsguts findet sich die selbständige Bewertbarkeit als zusätzliche Voraussetzung neben einer weit verstandenen Einzelverwertbarkeit. Die Rspr. konzentriert sich mit ihrer Formel auf eine durch die Verkehrsanschauung geprägte selbstständige Bewertungsfähigkeit.12 Zur Bestimmung der Verkehrsanschauung greift sie auf die Vorstellungswelt der Kaufleute zurück. Selbst bewertbare Wirtschaftsgüter seien „tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung sich der Kaufmann etwas kosten lässt“13. Überzeugender wäre die Formulierung „Kosten lassen würde“. Diese Definition enthält die Voraussetzung der abstrakten Zurechenbarkeit von Anschaffungs-/Her7 8 9 10

Baetge/Zülch in HdJ, I/2 Rz. 37. Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 248 HGB Rz. 29. Tiedchen, Der Vermögensgegenstand im Handelsbilanzrecht, 1991, 82. Zum Meinungsstand und der Unterscheidung zwischen konkreter Einzelveräußerbarkeit (Verkehrsfähigkeit i.e.S.) und abstrakter Einzelveräußerbarkeit (Verkehrsfähigkeit i.w.S.): Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (284). 11 BFH v. 26.8.1992 – I R 24/91, BStBl. II 1992, 977; v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291. 12 Tiedchen in HHR, § 5 EStG Rz. 565. 13 BFH v. 10.3.2016 – IV R 41/13, BStBl. II 2016, 984 (Rz. 26); v. 21.10.2015 – IV R 6/12, BStBl. II 2017, 45 = FR 2016, 672; v. 26.11.2014 – X R 20/12, BStBl. II 2015, 325 = FR 2015, 803.

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stellungskosten. Deshalb ist etwa eine originäre Marke kein Wirtschaftsgut, weil sich der Aufwand ihrer Entstehung nicht zurechnen lässt. Um einzelne Wirtschaftsgüter untereinander und gegenüber einem Geschäfts- und Firmenwert abzugrenzen, ergänzt die Rspr. das Kriterium der Bewertbarkeit um die Kriterien der „Greifbarkeit“ und „Selbständigkeit“. Sie gehen im Merkmal der selbständigen Bewertungsfähigkeit auf.14 Die Bemühungen der Rspr., über diese Kriterien verbundene Wirtschaftsgüter, etwa die Elemente eines Windparks, in selbstständige Wirtschaftsgüter zu zerlegen15 oder einen Film in Stoffrechte, Drehbuch, Regie und Produktion aufzulösen,16 scheitern regelmäßig an der Herausforderung, eine subjektiv vermessene Verkehrsanschauung in abstrakt-generelle Formeln zu fassen. Das Negativmerkmal des „negativen Gepräge“ lässt sich ohne Fallvergleich nicht anwenden. Das Merkmal der „Greifbarkeit“ lässt sich nur induktiv aus dem Fallrecht der Rspr. entwickeln. b) Geschäftswert Umstritten ist die Frage, ob der Geschäftswert einen Sonderfall des immateriellen Wirtschaftsguts bildet.17 Geschäftswert ist der einem Unternehmen über die Summe der Werte der einzelnen Wirtschaftsgüter nach Abzug der Schulden hinaus innewohnende Wert, der Mehrwert des Ganzen.18 Da am Markt für Unternehmensbeteiligungen für diesen Mehrwert bei Unternehmenskäufen ein Preis bezahlt wird, sich der Kaufmann diesen Wert also etwas kosten lässt, ist der Geschäftswert einer selbstständigen Bewertung zugänglich. Er ist auch greifbar, da er sich als Restwertsaldo von allen anderen Wirtschaftsgütern notwendig abgrenzt. Verwertbar ist er zwar nicht in der Einzelzwangsvollstreckung, wohl aber in der Insolvenz, wenn das Unternehmen fortgeführt und als Ganzes veräußert wird. Der Rspr. ist daher zuzustimmen, wenn sie den Geschäftswert eines Unternehmens als Wirtschaftsgut qualifiziert.19 „Er ist Ausdruck für die Gewinnchancen, soweit sie nicht in einzelnen Wirt-

14 15 16 17

Tiedchen in HHR, § 5 EStG Rz. 561. BFH v. 14.4.2011 – IV R 46/09, BStBl. II 2011, 696 = FR 2011, 662. FG München v. 15.10.2014 – 1 K 3521/11, ZEV 2015, 248, rkr. Eisgruber in FS Zitzelsberger, 2015, 41; Küting/Grau, DStR 2012, 1241 (1244); Velte, StuW 2010, 93 (95); ausdrücklich gegen die Qualifikation als Vermögensgegenstand Lutz/Schlag in HdJ, II/2 Rz. 89. 18 Tiedchen in HHR, § 5 EStG Rz. 577. 19 BFH v. 14.12.1993 – VIII R 13/93, BStBl. II 1994, 922 (925); zust. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 616; Weber-Grellet in Schmidt, EStG36, § 5 Rz. 222.

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schaftsgütern verkörpert, sondern durch den Betrieb des eingeführten und fortlebenden Unternehmens im Ganzen aufgrund besonderer dem Unternehmen eigener Vorteile höher oder gesicherter erscheinen als bei einem anderen vergleichbaren Unternehmen“.20 Die geltende Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG sieht abweichend von § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB vor, dass der Geschäfts- oder Firmenwert unabhängig von seiner Abnutzbarkeit wie ein Wirtschaftsgut über den Zeitraum von 15 Jahren abzuschreiben ist. Dabei sind er und seine wertbildenden Faktoren von geschäftswertähnlichen Vermögensgegenständen und Wirtschaftsgütern sorgfältig abzugrenzen. Anders als nach der früher vertretenen Einheitstheorie21 ist bei abgrenzbaren geschäftswertähnlichen Wirtschaftsgütern selbständig zu beurteilen, ob diese abnutzbar sind. Nur dann sind deren Anschaffungs- und Herstellungskosten auf die durch § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG fingierte Nutzungsdauer von 15 Jahren zu verteilen.22 Nicht abnutzbare immaterielle Werte können nur als unselbständiger Teil des Geschäftswerts abgeschrieben werden. c) Geschäftswertähnliche und abgespaltene Wirtschaftsgüter In der Rspr. zur Abgrenzung geschäftswertähnlicher Wirtschaftsgüter vom Geschäfts- und Firmenwert zeigt sich die schwache Abstraktionsund Objektivierungskraft eines an der Verkehrsanschauung orientierten Leitkriteriums der selbständigen Bewertungsfähigkeit. Während der Auftragsbestand,23 das Handelsvertreterrecht,24 Güterfernverkehrsgenehmigungen und Linienbuskonzessionen,25 ein Kunden-/Mandantenstamm26 und selbst die Belieferungsmöglichkeiten eines Zeitschriftengroßhändlers, der einem Konkurrenten eine Abfindung für die Einstellung seines Betriebs gezahlt hatte,27 als selbständige geschäftswertähnliche Wirtschaftsgüter qualifiziert worden sind, soll die Abstandszahlung anlässlich einer vorzeitigen Vertragsbeendigung kein vom Geschäftswert abgrenzbares Wirtschaftsgut bilden, weil nicht die Schaffung eines Vorteils, son-

20 21 22 23 24 25 26 27

BFH v. 9.8.2011 – VIII R 13/08, BStBl. II 2011, 875 = FR 2011, 1095. Dazu Borst, BB 1986, 2170. Anzinger in HHR, § 7 EStG Rz. 197. BFH v. 10.9.2015 – IV R 49/14, BStBl. II 2016, 722 = FR 2016, 584; FG Münster v. 1.2.2008 – 9 K 2367/03, EFG 2008, 1449, rkr. BFH v. 12.7.2007 – X R 5/05, BStBl. II 2007, 959 = FR 2008, 31. BFH v. 15.12.1993 – X R 102/92, BFH/NV 1994, 543. BFH v. 26.11.2009 – III R 40/07, BStBl. II 2010, 609 = FR 2010, 480. BFH v. 28.5.1998 – IV R 48/97, BStBl. II 1998, 775 = FR 1998, 882.

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dern die geschäftswertsteigernde Beseitigung eines Nachteils im Vordergrund steht.28 d) Vertragsarztzulassung Vom Vollständigkeitsgebot erfasst wird auch die Vertragsarztzulassung. Bei Ärzten und Zahnärzten bildet sie oftmals den größten Aktivposten. Nach der Rspr. geht sie aber selbst dann als unselbständiger Teil im Praxiswert auf, wenn bei einer Praxisübernahme für diese eine zusätzliche Vergütung („Überpreis“) gezahlt worden ist.29 Eine Ausnahme hiervon soll nur dann gelten, wenn die Vertragsarztzulassung gesondert, ohne Praxis, erworben wird. Nur dann bildet sie danach ein selbstständiges – nicht abnutzbares – immaterielles Wirtschaftsgut.30 Diese Rspr. ist widersprüchlich, soweit sie einerseits die Nicht-Abnutzbarkeit einer Vertragsarztzulassung mit ihrer selbständigen Weiterveräußerbarkeit begründet und andererseits ihre Abgrenzbarkeit trotz anerkannter Handelbarkeit ablehnt. Wenn die Vertragsarztzulassung gesondert weiterveräußerbar ist, weil ein Markt für Vertragsarztzulassungen besteht, dann bildet sie ein selbständiges Wirtschaftsgut. e) Zeitpunkt der Aktivierung bei Entwicklungskosten Bei echter Auftragsforschung, die zum derivativen Erwerb immaterieller Wirtschaftsgüter führt, stellte sich die Frage, wie Entwicklungskosten vor der Herstellung des Wirtschaftsguts zu bilanzieren sind. Die Rspr. und das steuerrechtliche Schrifttum lassen eine Ausnahme von dem Grundsatz zu, dass Wirtschaftsgüter erst dann zu aktivieren sind, wenn alle Merkmale vorliegen, die ihr Bestehen begründen. Nach dieser Ansicht dürfen vorweggenommene Anschaffungs- und Herstellungskosten wie ein Wirtschaftsgut aktiviert werden, wenn der unfertige Gegenstand mit dem hergestellten Wirtschaftsgut identisch ist.31 Die Gegenansicht lässt keine Ausnahme zu und verweist auf die Aktivierung als Anzah-

28 FG Köln v. 10.3.2016 – 13 K 1602/11, EFG 2016, 1493, nrkr., Rev. Az. BFH IV R 26/16. 29 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 7/14, BStBl. II 2017, 689; anknüpfend an BFH v. 9.8.2011 – VIII R 13/08, BStBl. II 2011, 875 = FR 2011, 1095 für den im Kaufpreis enthaltenen Praxiswert. 30 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 56/14, BStBl. II 2017, 694. 31 BFH v. 18.6.1975 – I R 24/73, BStBl. II 1975, 809; Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 313.

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lung oder als aktiver Rechnungsabgrenzungsposten.32 Im handelsrechtlichen Schrifttum werden die Besonderheiten bei Entwicklungskosten hervorgehoben. Aus der Bewertungsvorschrift des § 255 Abs. 2a HGB, aus einer Parallele zu Anlagen im Bau und aus dem Regierungsentwurf zum BilMoG33, der von einer Aktivierung der Entwicklungskosten vor Entstehung als Vermögensgegenstand ausging, wird die Aktivierung der Entwicklungskosten eines Vermögensgegenstands in Entstehung gefolgert.34 Die Gegenansicht betont den Charakter des § 255 Abs. 2a HGB als Bewertungsregel, die auf den Ansatz keinen Einfluss nehmen könne. Danach setzte die Aktivierung stets einen Vermögensgegenstand voraus.35 Ein überzeugender Mittelweg lässt sich durch die Rückbesinnung auf den Wesentlichkeitsgrundsatz finden. Bei kurzfristigen Entwicklungsvorhaben würde der Aufwand einer zweistufigen Aktivierung, zuerst als aktiver RAP und später als Wirtschaftsgut, den zusätzlichen Informationswert kaum aufwiegen. Bei langfristigen Entwicklungsvorhaben muss es dagegen beim Grundsatz bleiben, dass die Aktivierung einen Vermögensgegenstand voraussetzt und der Zwischenschritt über die Aktivierung als Anzahlung oder aktiver RAP vorgenommen wird.

2. Aktivierungs-, Ausschüttungs- und Bewertungsbegrenzungen a) Handelsbilanzrecht Für immaterielle Vermögensgegenstände enthält das Handelsbilanzrecht auf mehreren Ebenen Aktivierungs-, Ausschüttungs- und Bewertungsbegrenzungen. Die durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)36 neu gefasste Vorschrift des § 248 Abs. 2 HGB regelt ein Aktivierungsverbot für selbst geschaffene Marken, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und vergleichbare immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (§ 248 Abs. 2 Satz 2 HGB). Für alle anderen selbst geschaffenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens regelt § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB ein Aktivierungswahlrecht, das mit

32 Tiedchen in HHR, § 5 EStG Rz. 620. 33 BT-Drucks. 16/10067, 50. 34 Kahle/Haas, WPg. 2010, 34 (35); von Hall/Kessler in Kessler/Leinen/Strickmann, Handbuch BilMoG, 2009, 145 f.; Tiedchen in MünchKomm. BilR, § 255 HGB Rz. 104. 35 Ekkenga, Kölner Komm. RLR, § 255 HGB Rz. 135; Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 248 HGB Rz. 36, 39; Schülke, DStR 2010, 992 (998). 36 BGBl. I 2009, 1102.

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Ausschüttungs- (§ 268 Abs. 8 HGB)37 und Bewertungsbeschränkungen (§ 255 Abs. 2a Satz 4 HGB)38 verbunden ist. Fraglich ist, ob dieses kupierte Aktivierungswahlrecht einen GoB bildet. Aktivierungsverbot und Aktivierungswahlrecht des § 248 Abs. 2 HGB stellen eine Durchbrechung des Vollständigkeitsgebots dar, das der Rechtfertigung bedarf. Sie ergibt sich zum einen aus der, selbstgeschaffenen immateriellen Vermögensgegenständen innewohnenden, Bewertungsunsicherheit und damit verbunden zum anderen aus dem Vorsichtsprinzip.39 Mit zunehmender Bedeutung immaterieller Vermögensgegenstände ist die restriktive Umsetzung des Vorsichtsprinzips, durch ein allgemeines Bilanzierungsverbot originär geschaffener immaterieller Werte des Anlagevermögens, vom Gesetzgeber als zu starke Schwächung des Informationsgehalts der Handelsbilanz angesehen worden. Das durch das BilMoG eingeführte Wahlrecht bildet vor diesem Hintergrund einen Kompromiss. Es erlaubt, im Interesse der Informationsfunktion, einen Ausweis bestimmter selbst geschaffener immaterielle Vermögensgegenstände, neutralisiert die Aktivierung im Interesse des Gläubigerschutzes aber durch Ausschüttungsbeschränkungen.40 Die GoB-Qualität des Aktivierungswahlrechts ist vor dem Hintergrund dieser einseitigen Betonung der Informationsfunktion zweifelhaft.41 b) Steuerbilanzrecht Für die Steuerbilanz schreibt § 5 Abs. 2 EStG ein Aktivierungsverbot für alle nicht entgeltlich erworbenen (selbstgeschaffenen) immateriellen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens vor. Wie im Handelsbilanzrecht lässt sich diese Aktivierungsbeschränkung mit der, selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern zugeschriebenen, Bewertungsunsicherheit und dem Ziel einer vorsichtigen Bemessung der Leistungsfähigkeit rechtfertigen.42 Hinzu tritt ein rechtfertigender Lenkungszweck. Das Aktivierungsverbot wirkt wie eine Sofortabschreibung und ist damit ein Element der steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung im

37 38 39 40

Dazu Mylich, ZHR 181 (2017), 87. Dazu Tiedchen in MünchKomm. BilR, § 255 HGB Rz. 110. Kleindieck in Staub, HGB5, § 248 Rz. 17. Hüttemann/Meyer in Staub, HGB5, § 268 Rz. 39, „gesetzgeberischer Kompromiss“. 41 Arbeitskreis Bilanzrecht der Hochschullehrer Rechtswissenschaft, BB 2008, 152 (153). 42 Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1755.

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deutschen Steuerbilanzrecht.43 Bis zum Inkrafttreten des BilMoG entsprach § 5 Abs. 2 EStG dem Aktivierungsverbot des § 248 Abs. 2 HGB. Folgt man der Auffassung, dass § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB ein GoB-widriges Wahlrecht regelt, dann bleibt § 5 Abs. 2 HGB, wie vor Inkrafttreten des BilMoG, deklaratorisch. Erkennt man hingegen in dem Aktivierungswahlrecht des § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB einen GoB, dann regelt § 5 Abs. 2 HGB, im Anwendungsbereich des Aktivierungswahlrechts, eine Durchbrechung der Maßgeblichkeit. Vieles spricht aber dafür, dass das Aktivierungswahlrecht in § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB keinen GoB darstellt. Aktivierungswahlrechte sind dem Handelsbilanzrecht grundsätzlich fremd. Zudem dominiert in den GoB der Gläubigerschutzgedanke und dem Gläubigerschutz wird durch die das Aktivierungswahlrecht neutralisierende Ausschüttungsbeschränkung in § 268 Abs. 8 HGB Rechnung getragen.44

3. Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 2 EStG a) „Immaterielle“ Wirtschaftsgüter Immaterielle Wirtschaftsgüter sind unkörperliche nicht monetäre Güter. Dazu zählen Patente, Konzessionen und Nutzungsrechte sowie das Lehrbuchbeispiel des Rezepts einer Biersorte. Vieldiskutiert ist die Einordnung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Zivilrechtlich ist noch ungeklärt, wie sie übertragen werden.45 Sie sind weder Sache, Geld noch ein geschütztes absolutes Patent- oder Urheberrecht.46 Die Konstruktion eines übertragbaren relativen Rechts setzt einen Anspruchsgegner voraus. Das könnte die Gemeinschaft der Teilnehmer des Bitcoin-Netzwerks sein, wenn sie eine GbR, OHG oder einen nichtrechtsfähigen Verein bildet. Zumindest sind Bitcoin ein Tauschgut, für das ein wertbestimmender Markt besteht. Sie bilden deshalb, unabhängig von ihrer rechtlichen Absicherung, ein immaterielles Wirtschaftsgut,47 das in der

43 Herzig, DB 2008, 1 (5); Spengel, Steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung (FuE) in Deutschland, 2009, 44; Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1756. 44 Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1765 mwN. 45 Seitz, K&R 2017, 763. 46 Pinkernell, Ubg. 2015, 19 (20); Richter/Augel, FR 2017, 937 (939 f.). 47 Zutreffend Eckert, DB 2013, 2108; Pinkernell, Ubg. 2015, 19 (24); Richter/Augel, FR 2017, 937 (940).

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Handelsbilanz unter dem Gliederungspunkt der erworbenen immateriellen Vermögensgegenstände des Anlagevermögens auszuweisen ist.48 Bei verkörperten immateriellen Wirtschaftsgütern ist zwischen Verbünden aus selbstständigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgütern und gemischt materiell-immateriellen Wirtschaftsgütern zu unterscheiden. Wo selbstständige Wirtschaftsgüter vorliegen, sind sie zu trennen. Das ist der Fall bei Büchern im Vorratsvermögen eines Verlags. Hier bildet das Verlagsrecht ein immaterielles Wirtschaftsgut, während die Bücher im Auslieferungslager des Verlags ein rein materielles Wirtschaftsgut darstellen, das getrennt vom Verlagsrecht nur Papier und Druckerschwärze verkörpert.49 Als gemischt materiell-immaterielles Wirtschaftsgut ist dagegen ein Buch beim Abnehmer zu beurteilen. Dazu zählt etwa die Druckausgabe eines Kommentars, der die Kanzlei des Steuerberaters oder Rechtsanwalts ziert, aber auch für seine tägliche Arbeit unerlässlich ist. Dessen Anschaffungskosten umfassen sowohl den Inhalt als auch das Trägermedium, er lässt sich aber nicht in zwei Wirtschaftsgüter zerlegen. Deshalb ist eine einheitliche Beurteilung notwendig. Maßgebend für die Einordnung als materielles oder immaterielles Wirtschaftsgut sind die Wertverhältnisse.50 Die weiteren Kriterien der Rspr., das wirtschaftliche Interesse des Erwerbers oder Herstellers, die Funktion der körperlichen Komponente, Trägermedium oder eigene Funktionen, gehen in dem Kriterium der Wertverhältnisse auf.51 Weil bei Büchern die Druckkosten i.d.R. weit hinter dem Wert des Inhalts zurückbleiben, sind Bücher regelmäßig immaterielle Wirtschaftsgüter. Das gilt selbst dann, wenn die Funktion des Trägermediums berücksichtigt wird, weil bei Büchern regelmäßig die enthaltene Information und nicht die Ausstattung und der Dekorationscharakter im Vordergrund stehen. Die abweichende Praxis der Behandlung von Büchern als materielles Wirtschaftsgut kann angesichts parallel angebotener eBooks nicht mehr überzeugen. b) „Anlagevermögen“ Das Aktivierungsverbot für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter umfasst nur solche des Anlagevermögens. Die Rechtfertigung die48 49 50 51

Zutreffend Kirsch/von Wieding, BB 2017, 2731 (2735). Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1808. Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 246 HGB Rz. 61. Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1809 mwN.

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ser Differenzierung wird aus den unterschiedlichen Risikolagen hinsichtlich der Bewertungsunsicherheit gefolgert.52 Bei Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens ist regelmäßig von einer kurzfristigen Verwertung und daher auch von einer kurzfristigen Bewertungsunsicherheit auszugehen. Darüber hinaus weisen Wirtschaftsgüter des Umlaufvermögens zumindest theoretisch eine größere Marktnähe auf. Die vom Gesetzgeber unterstellte größere Bewertungssicherheit des Umlaufvermögens verfehlt aber gerade bei selbst erstellten immateriellen Wirtschaftsgütern oft die Realität, weshalb die Differenzierung de lege ferenda zu hinterfragen ist.53 Die im geltenden Recht gleichwohl vorzunehmende Abgrenzung zwischen Anlage- und Umlaufvermögen folgt der Legaldefinition in § 247 Abs. 2 HGB. Im Anlagevermögen sind die Gegenstände auszuweisen, die bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen. Weil der Maßgeblichkeitsgrundsatz auch die Ausweismaßgeblichkeit umfasst, folgt die Abgrenzung diesem handelsrechtlichen GoB. Ein Wechsel vom Anlagevermögen zum Umlaufvermögen führt zur Aktivierung und in umgekehrter Richtung zur Abschreibung des Wirtschaftsguts. Der Zweck der Abgrenzung im Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 EStG hat in der Rspr. zu einer bereichsspezifischen Einordnung von Filmrechten beim Hersteller und Verleiher geführt. Filmrechte sind bei diesen grundsätzlich dem Anlagevermögen zuzuordnen, wenn sie nicht dazu bestimmt sind, kurzfristig verwertet zu werden.54 Bei Medienfonds mit Defeasance-Struktur,55 bei denen eine vollständige Verwertung wirtschaftlich vorgezogen wird und dadurch auch die Bewertungsunsicherheit kurzfristig beseitigt wird, ist eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen.56 c) „Entgeltlich“ Entgeltlich erworbene Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens sind zu aktivieren. Für sie gilt das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG nicht, weil sie einen Markttest bestanden haben und deshalb keine Bewertungsunsicherheit mehr besteht.57 Dazu muss das Entgelt unmittelbar oder

52 Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 248 HGB Rz. 25. 53 Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1821. 54 BFH v. 8.11.2008 – IV B 126/07, BStBl. II 2009, 156; FG München v. 15.10.2014 – 1 K 3521/11, ZEV 2015, 248, rkr. 55 Dazu Elicker/Hartrott, BB 2011, 1879; Fölsing, DStR 2015, 173; Herzig/Briesemeister, Ubg. 2011, 581; F. Wassermeyer, DB 2010, 354. 56 Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1824 mwN. 57 Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 248 HGB Rz. 43.

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mittelbar eine Gegenleistung darstellen, die eine objektive Bewertung (Wertbestätigung) des immateriellen Wirtschaftsguts ermöglicht. Es genügt auch die Zahlung an einen Dritten, die den Erwerb des immateriellen Wirtschaftsguts ermöglicht (Beispiel Vertragsarztzulassung, Internetdomain, verlorene Zuschüsse).58 Das Schrifttum orientiert sich beim Erwerb von verbundenen Unternehmen oder nahestehenden Personen überwiegend am Wortlaut. Nach der h.M. greift das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG schon bei Übertragung eines selbstgeschaffenen Wirtschaftsguts im Konzern nicht mehr.59 Schwierigkeiten bereitet der Praxis die Feststellung des abgeleiteten Erwerbs und damit die Abgrenzung von Anschaffung und Herstellung. Einzelfragen stellen sich bei der Neuschaffung, Erweiterung und Veränderung bestehender Wirtschaftsgüter, bei der Feststellung von Herstellerinitiative und Risiko und beim Erwerb von Nutzungsrechten. Bei der Auftragsforschung und Auftragsproduktion ist Hersteller, wer die Gesamtverantwortung (Initiative) und die wirtschaftlichen Folgen (Chancen-/Risiken) trägt.60 Umstritten ist die Behandlung von Arbeitnehmererfindungen und der Softwareentwicklung durch Arbeitnehmer. Nach überzeugender Auffassung, der sich ein Teil der Verwaltungspraxis angeschlossen hat, bildet der Arbeitslohn kein Entgelt für Diensterfindungen. Die gesonderte angemessene Vergütung i.S.d. §§ 9, 10 ArbNErfG zählt zu den Herstellungskosten des Arbeitgebers, nicht zum Entgelt für den Erwerb der Erfindung.61 Die Nutzungsrechte nach § 69a UrhG werden durch den Arbeitgeber unentgeltlich erworben. d) Bewertung In der Handelsbilanz ist die Bewertung erworbener immaterielle Vermögensgegenstände nach den allgemeinen Kriterien gem. § 255 Abs. 1 HGB zu den Anschaffungskosten vorzunehmen. Entsprechendes regelt § 6

58 BFH v. 14.12.2011 – I R 108/10, BStBl. II 2012, 238 = FR 2012, 213. 59 Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 248 HGB Rz. 52; Merkt in Baumbach/ Hopt, HGB36, § 248 Rz. 4; zum Meinungsstand Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1845. 60 BFH v. 20.9.1995 – X R 225/93; BStBl. II 1997, 320. 61 Oser/Kaufmann, DB 2017, 497; BayLfSt. v. 19.7.2017 – S 2134a.1.1-3/12 St32, EStB 2017, 361; FM Schl.-Holst. v. 27.7.2017 – VI 304 - S 2134a - 017, n.v.; aA Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 248 HGB Rz. 56; Kleindiek in Staub, HGB5, § 248 Rz. 44.

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Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 und Nr. 2 EStG für die Steuerbilanz. Selbst erstellte immaterielle Vermögensgegenstände sind nach § 255 Abs. 2a Satz 1 i.V.m. Abs. 2 HGB mit den Entwicklungskosten zu bewerten. Das gilt in der Steuerbilanz auch für die Aktivierung von selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens. Für sie greift § 5 Abs. 2 EStG nicht, und weil § 6 EStG keine besonderen Bewertungsvorschriften für immaterielle Wirtschaftsgüter enthält, gelten § 255 Abs. 2 und 2a HGB auch für die steuerbilanzielle Bewertung.62 Abzugrenzen sind die Forschungs- und Vertriebskosten, die nach § 255 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 2a Satz 4 HGB nicht einbezogen werden dürfen, von den Entwicklungskosten, die nach § 255 Abs. 2 Sätze 2 und 3 HGB zu aktivieren sind.63 Immaterielle Wirtschaftsgüter können sowohl abnutzbar als auch nicht abnutzbar sein. Nicht abnutzbar sind Wirtschaftsgüter, deren Nutzung rechtlich und wirtschaftlich unbegrenzt ist. Dazu zählen auch automatisch oder regelmäßig verlängerte zeitlich begrenzte Rechte.64 Bei handelbaren Berufsausübungs- und Produktionsrechten auf regulierten Märkten stellt die Rspr. auf die Dauerhaftigkeit der Regulierung ab. Danach soll eine Vertragsarztzulassung als immerwährendes Recht keiner Abnutzbarkeit unterliegen, selbst wenn ein Wertverlust durch Rechtsänderung möglich ist.65 Nicht abnutzbar sollen auch Wiederbepflanzungsrechte im Weinbau66 und originär durch Abspaltung von Grund und Boden erworbene Milch- und Zuckerrübenlieferrechte sein.67 Demgegenüber qualifiziert die Rspr. vergleichbar auf einer Marktbeschränkung beruhende derivativ erworbene und weiterveräußerbare Milch- und Zuckerrübenlieferrechte sowie Zahlungsansprüche nach der GAP-Reform als abnutzbare Wirtschaftsgüter, soweit dort eine Aufhebung der Produktionsbeschränkungen absehbar war. Die Rspr. akzeptierte für Streitjahre vor 2010 eine Schätzung der verbleibenden Nutzungsdauer von zehn Jah-

62 Stobbe/Rade in HHR, § 6 EStG Rz. 247. 63 Zu den Schwierigkeiten dieser Abgrenzung Tiedchen in MünchKomm. BilR, § 255 HGB Rz. 107. 64 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 56/14, BStBl. II 2017, 694 (Rz. 35); v. 21.10.2015 – IV R 6/12, BStBl. II 2017, 45 = FR 2016, 672 (Rz. 22). 65 BFH v. 21.2.2017 – VIII R 56/14, BStBl. II 2017, 694 (Rz. 39). 66 FG Rh.-Pf. v. 19.5.2015 – 5 K 2429/12, EFG 2015, 1349, nrkr., Rev. Az BFH VI R 65/15. 67 FG Köln v. 9.11.2016 – 5 K 652/12, EFG 2017, 648, rkr.; BFH v. 9.9.2010 – IV R 2/10, BStBl. II 2011, 171.

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ren68 und prognostizierte damit zumindest für die Milch- und Zuckermarktordnung zutreffend deren Auslaufen zum 1.4.2015 bzw. 1.10.2017.

III. Praxisfragen zum Begriff des immateriellen Wirtschaftsguts 1. Nutzungsrechte und Nutzungsmöglichkeiten a) Abstrakte Aktivierungsfähigkeit Im Grundsatz unbestritten ist die abstrakte Aktivierungsfähigkeit von Nutzungsrechten.69 Sie vermitteln einen rechtlich gesicherten Anspruch auf Nutzungen. Das sind die Früchte einer Sache oder eines Rechts sowie Vorteile, die aus dem Gebrauch der Sache oder eines Rechts folgen (§ 100 BGB). Nutzungsrechte können einen Anspruch gegen den jeweiligen Inhaber (dingliche Nutzungsrechte) oder gegen eine bestimmte Person als möglichen Inhaber (schuldrechtliche Nutzungsrechte) bilden. Dazu zählen etwa Lizenzrechte, Cloud Computing-Ressourcen und das Mietrecht. Nutzungsrechte können marktgängig sein und sogar an Börsen gehandelt werden, wie das Beispiel der Stromhandelsbörsen anschaulich zeigt. Nutzungsrechte qualifizieren aber nur dann als Wirtschaftsgüter, wenn sie die oben dargestellten Kriterien des Wirtschaftsguts erfüllen. Sie können nach der Verkehrsanschauung selbstständig bewertbar sein, und dies kann aus ihrer Einzelverwertbarkeit durch Veräußerung oder aus der Verwertbarkeit der durch sie vermittelten Nutzungsvorteile folgen.70 Schwerer zu identifizieren sind Nutzungsmöglichkeiten. Das sind Nutzungsvorteile, die nicht rechtlich abgesichert sind und dem Begünstigten auch gegen seinen Willen entzogen werden können. Soweit Nutzungsmöglichkeiten nach der Verkehrsanschauung selbstständig bewertbar sind, können sie ebenfalls als Wirtschaftsgut qualifiziert werden. Die Rspr. hat dies angenommen für Nutzungsmöglichkeiten aufgrund verlorener Zuschüsse, etwa für Formgussteile und Tanklager,71 aber auch die Aktivierung von Profifußballspielern nach einer Transferzahlung auf de-

68 BFH v. 21.10.2015 – IV R 6/12, BStBl. II 2017, 45 = FR 2016, 672, Rz. 27; v. 17.3.2010 – IV R 3/08, BStBl. II 2014, 512 (Rz. 12); v. 29.4.2009 – IX R 33/08, BStBl. II 2010, 958 (Rz. 10). 69 Lutz/Schlag in HdJ, II/2 Rz. 16; Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (287). 70 Anzinger in HHR, § 5 EStG Rz. 1787 mwN. 71 BFH v. 14.3.2006 – I R 109/04, BFH/NV 2006, 1812; v. 1.6.1989 – IV R 64/88, BStBl. II 1989, 830.

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ren Nutzungsmöglichkeit gestützt.72 Abzugrenzen sind Nutzungsmöglichkeiten von den wertbildenden Faktoren des Geschäftswerts.73 b) Zurechnung und entgeltlicher Erwerb aa) Wirtschaftliches Eigentum Insbesondere im Zusammenhang mit Filmrechten ist die Frage der Zurechnung immaterieller Wirtschaftsgüter neu aufgeworfen worden.74 Auch darüber hinaus bereitet der Praxis die Anwendung des Arbeitsbegriffs des „wirtschaftlichen Eigentums“ auf Nutzungsrechte Schwierigkeiten. Die mit dem „wirtschaftlichen Eigentum“ verbundene Zurechnungsregel des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO knüpft an das Wesen des Eigentums als Ausschlussrecht an. Zuzurechnen ist ein Wirtschaftsgut demjenigen, der jeden anderen von der Nutzung und Verwertung dieses Wirtschaftsguts ausschließen kann. Das ist bei nicht ausschließlichen Nutzungsrechten, etwa an Patenten und Software, wesensmäßig nicht der Fall. Sie können vom Patentrechtsinhaber oder Urheber beliebig häufig und nebeneinander gleichwertig vervielfältig und eingeräumt werden, ohne das originäre Nutzungsrecht des Inhabers des geistigen Eigentums zu beschränken. Aber selbst bei ausschließlichen Nutzungsrechten können in abgestuften Nutzungsrechtsverhältnissen für denselben Gegenstand mehrere Nutzungsrechte bestehen. Deshalb ist zunächst zu differenzieren. Bei nicht ausschließlichen Nutzungsrechten ist der Rechteinhaber stets „wirtschaftlicher Eigentümer“, solange er seine Rechte nicht vollständig weiterübertragen hat. Bei ausschließlichen Nutzungsrechten muss der Nutzungsberechtigte, um „wirtschaftlicher Eigentümer“ und damit Zurechnungssubjekt zu sein, andere von vergleichbarer Nutzung – auf gleicher Stufe – ausschließen können. In gestuften Rechtsverhältnissen (Eigentümer, Mieter, Untermieter, Unter-Untermieter) sind die Rechteinhaber auf den verschiedenen Ebenen nebeneinander „wirtschaftlicher Eigentümer“ ihres Nutzungsrechts, solange der Umfang des Ausschlussrechts auf der nachgeordneten Stufe kleiner als auf der vorangegangenen Stufe ist. Ein abgespaltenes Nutzungsrecht führt daher nicht zum Übergang des „wirtschaftlichen Eigentum“ am Stammrecht, solange bei dessen Inha72 BFH v. 14.12.2011 – I R 108/10, BStBl. II 2012, 238 = FR 2012, 213 (Rz. 17). 73 BFH v. 10.3.2016 – IV R 41/13, BStBl. II 2016, 984. 74 FG München v. 8.4.2011 – 8 K 3669/09, EFG 2011, 1974, rkr.; Elicker/Hartrott, BB 2011, 1879 (1883 ff.).

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ber noch ein Verwertungsrest verbleibt. Diese Vervielfältigung der Wirtschaftsgüter in Nutzungsrechten und deren Stufenverhältnis hat die Rspr. bisweilen nicht ausreichend berücksichtigt. Das FG Köln hatte in einer Entscheidung zur Qualifikation von Zahlungen für ein Nutzungsrecht an Stoffrechten im Regelungskontext des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG angenommen, das wirtschaftliche Eigentum an diesen Stoffrechten könne nicht übergehen, solange Verwertungsrechte beim Inhaber des Stammrechts verbleiben.75 Es hat nicht in Betracht gezogen, dass das abgeleitete Nutzungsrecht ein eigenständiges Wirtschaftsgut darstellen und das Entgelt hierfür ein Erwerbsentgelt bilden könnte. Ähnlich hat das FG München bei der Verwertung von Filmrechten nur auf die Frage abgestellt, ob ein Stammrecht vollständig auf den Erwerber übergeht. Es differenziert zwischen einem Lizenzvertrag über die vorübergehende und eingeschränkte Einräumung von Nutzungsmöglichkeiten einerseits und dem Rechtskauf andererseits, ohne auf die Frage gestufter Nutzungsrechte und deren Qualität als eigenständiges Wirtschaftsgut einzugehen.76 bb) Entgeltlicher Erwerb von Nutzungsrechten und Nutzungsentgelt Ein Teil des Schrifttums versucht den einaktigen Erwerb von Nutzungsrechten von der periodisch entgoltenen Nutzungsüberlassung abzugrenzen.77 Die Schwierigkeit dieses Unterfangens zeigt sich bei Ratenzahlungen für den Rechtekauf und einmaligen Vorauszahlungen für die Gesamtperiode einer Nutzungsmöglichkeit. Ein einmaliges oder periodisches Entgelt für die zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung stellt zugleich ein Entgelt für den Erwerb eines Nutzungsrechts und ein Nutzungsentgelt für die laufende Überlassung dar.78 Unbefristete Nutzungsrechte sind umgekehrt bis zum nächsten Kündigungstermin erworben. Anschaulich werden die beiden Perspektiven am Beispiel des „Kaufs“ 75 FG Köln v. 25.8.2016 – 13 K 2205/13, EFG 2017, 211 (Rz. 83), nrkr., Rev. Az. BFH I R 69/16; ähnlich FG Köln v. 28.9.2016 – 3 K 2206/13, EFG 2017, 298 (Rz. 68 ff.), nrkr., Rev. Az. BFH I R 83/16; dazu Boller/Gehrmann/Ebeling, IWB 2017, 273. 76 FG München v. 17.6.2016 – 1 K 266/12, EFG 2016, 2038 (Rz. 101), nrkr., zurückverwiesen durch BFH v. 7.12.2017 – IV R 37/16, BFH/NV 2018, 440; ähnlich FG München v. 2.4.2014 – 1 K 1807/10, juris (Rz. 52), nrkr., zurückverwiesen durch BFH v. 7.12.2017 – IV R 23/14, BFH/NV 2018, 505 = EStB 2018, 86. 77 Kußmaul, Nutzungsrechte an Grundstücken in Handels- und Steuerbilanz, 1987, 95; Wolffgang in KSM, EStG, § 5 Rz. C 107. 78 Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (289); Clausen, DStZ 1976, 371 (375).

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einer BahnCard 100. Sie vermittelt die Möglichkeit, zugelassene Verkehrsmittel für ein Jahr ohne weiteren Fahrkartenkauf zu nutzen. Erworben wird sie entweder gegen Einmalzahlung oder monatliche Ratenzahlung im Abonnement, nur letzteres verlängert sich automatisch. Unterstellt man ein mit Aushändigung der BahnCard 100 einheitlich eingeräumtes einjähriges Nutzungsrecht, unterscheiden sich beide Varianten nicht in ihrem wirtschaftlichen Gehalt. Wegen der nur einjährigen Nutzungsdauer und der regelmäßigen Zuordnung zum Anlagevermögen besteht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG kein Aktivierungsgebot. Doch würde man das Nutzungsrecht bei längeren Mindestnutzungsdauern aktivieren, müsste bei der Abonnement-Variante neben dem Nutzungsrecht auch eine Ratenzahlungsverbindlichkeit passiviert werden, weil dieses Vorgehen unterstellt, dass das sogleich anzusprechende Bilanzierungsverbot für schwebende Geschäfte nicht eingreift, weil hier mit der ausgehändigten Urkunde über die einjährige Nutzungsberechtigung die Sachleistungspflicht erfüllt ist. Verzichtet man auf die Aktivierung des Nutzungsrechts, wäre bei der ersten Variante der Einmalzahlung ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden. Zwischen den GoB der Vollständigkeit und Wesentlichkeit erscheinen beide Varianten vertretbar. c) Bilanzierungsverbot für schwebende Geschäfte Das vorgenannte Beispiel führt zusammen mit der festgestellten weiten abstrakten Aktivierungsfähigkeit von Nutzungsrechten zur Reichweite des Bilanzierungsverbots für schwebende Geschäfte. In der Bilanzierungspraxis wird dieser ungeschriebene GoB selten hinterfragt79 und im Schrifttum mit dem Wesentlichkeitsgrundsatz und dem Realisationsprinzip verbunden.80 Wo gegenseitige Verpflichtungen sich ausgleichen und der zur Sachleistung Verpflichtete seine Leistung nicht erfüllt hat, dürfen danach weder Verbindlichkeit noch Forderung bilanziert werden. Damit soll zum einen eine Aufblähung der Bilanz, durch Posten, die sich wertmäßig ausgleichen, und zum anderen der Ausweis unrealisierter Gewinne vermieden werden. In Dauerschuldverhältnissen nehmen Rspr. und Verwaltungspraxis ein schwebendes Geschäft bis zur Erfüllung der Leistungspflicht pro rata 79 Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 246 HGB Rz. 206; Pöschke, DB 2017, 625 (629 f.). 80 Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (290); Woerner, FR 1984, 489 (491); Weber-Grellet in Schmidt, EStG36, § 5 Rz. 76 f.

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temporis – unabhängig vom Abrechnungszeitraum – an.81 Davon abweichend werden im Schrifttum zwei entgegengesetzte Ansichten vertreten. Nach der einen Gegenansicht wird der Schwebezustand in Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich erst mit vollständiger Leistungserfüllung, also mit Abschluss des Dauerschuldverhältnisses beendet.82 Nach der zweiten Gegenansicht endet der Schwebezustand zumindest bei Mietverhältnissen bereits mit der ersten Teilleistung.83 Sie beruht entweder auf der These eines Vorrangs des Vollständigkeitsgebots84 oder auf dem Gedanken, dass die Leistungspflicht bereits mit der Einräumung des Nutzungsrechts erfüllt wird.85 Ausgehend von dieser Ansicht lässt sich weiter nach dem Risiko der Vereitelung der Nutzungsmöglichkeit differenzieren. Während das Recht zur Nutzung eines Patents weder zufällig untergehen noch durch den Patentrechtsinhaber vereitelt werden kann, besteht bei Nutzungsrechten, die die Teilhabe an einem Gegenstand oder an einer Dienstleistung gewähren, das Risiko, dass der Gegenstand nicht überlassen oder die Dienstleistung nicht erbracht wird. Vorstellbar ist dies bei Jahreskarten zur Nutzung von Verkehrsmitteln oder zum Besuch von Theatern, Tiergärten und Museen, aber auch beim Abonnement von Cloud Services. Wird die Dienstleistung nicht angeboten oder der Gegenstand zerstört, ist auch das Nutzungsrecht wertlos. In diesen Fällen überzeugt, mit Blick auf das Realisationsprinzip, die Auffassung der Rspr. und der Verwaltungspraxis, die ein schwebendes Geschäft bis zur Erfüllung der Leistungspflicht pro rata temporis annehmen. Demgegenüber überzeugt die zweite Gegenansicht in den Fällen, in denen das Nutzungsrecht nicht vereitelt werden kann, also etwa bei der Überlassung von Patenten. Folgt man in der ersten Variante der Rspr. und Verwaltungspraxis, ist das Dauerschuldverhältnis zu segmentieren. Zeitraumbezogene Leistungsverhältnisse lassen sich in zwei Gruppen unterteilen. Der Zeitraumbezug kann der Leistung selbst anhaften oder einen Rahmen für selbständige Teilleistungen bilden. Im ersten Fall lässt sich der Nutzungszeitraum entsprechend den vereinbarten Raten segmentieren. Im zweiten Fall ist dies entlang der Teilleistung möglich. 81 BFH v. 7.12.2017 – IV R 37/16, BFH/NV 2018, 440 (Rz. 30); v. 17.2.1998 – VIII R 28/95, BStBl. II 1998, 595 = FR 1998, 786; v. 23.6.1997 – GrS 2/93, BStBl. II 1997, 735 = FR 1997, 678. 82 So Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (290) mit einer Ausnahme für die Überlassung von Gegenständen zur Nutzung. 83 Clausen, DStZ 1976, 317 (376). 84 Babel, FS Mellwig, 1 (19). 85 Kußmaul/Ollinger, StuW 2011, 282 (291).

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d) Leasingverhältnisse Weil das Bilanzierungsverbot für schwebende Geschäfte die Aktivierung von Nutzungsrechten weitgehend verhindert und die deutsche Bilanzierungspraxis – jedenfalls bisher – Zurechnungsfragen stärker am Nutzungsobjekt als am Nutzungsrecht ausrichtet, bestehen für Leasingverhältnisse im Handels- und Steuerbilanzrecht bislang nur digitale Zurechnungsregeln. In deren Mittelpunkt steht der Leasinggegenstand.86 Er ist entweder dem Leasinggeber oder dem Leasingnehmer zuzuordnen. Die Zurechnungsregeln folgen dabei den für das „wirtschaftliche Eigentum“ entwickelten Grundsätzen.87 Zu fragen ist danach, ob der Nutzungsberechtigte den sachenrechtlichen Eigentümer auf Dauer von der Nutzung und Verwertung der Sache ausschließen kann („Risk-and-Reward-Ansatz“). Diese Traditionssicht erkennt im Leasingvertrag zutreffend einen atypischen Mietvertrag.88 Er ist ein Dauerschuldverhältnis. Wegen des Bilanzierungsverbots für schwebende Geschäfte ist beim Leasingnehmer weder ein Nutzungsrecht noch die Ratenzahlungsverbindlichkeit zu bilanzieren, wenn der Leasinggegenstand dem Leasinggeber als zivilrechtlichem Eigentümer zuzurechnen ist.89 Nur wenn der Leasingvertrag so ausgestaltet ist, dass der Leasingnehmer den Leasinggeber von der Nutzung und Verwertung der Sache über die voraussichtliche Nutzungsdauer hinweg vollständig ausschließen kann, wird der Leasinggegenstand dem Leasingnehmer zugerechnet. Er hat zugleich den Barwert der Leasingraten als Verbindlichkeit zu passivieren.90 Diese auf den Gegenstand der Nutzung fixierte Alles-oder-Nichts-Betrachtung muss mit zunehmender Verbreitung gestufter Nutzungsüberlassungen und neuer Geschäftsmodelle der Sharing Economy kritisch hinterfragt werden.91 Vorbild für einen Paradigmenwechsel könnte der neu gefasste IFRS 16 sein,92 der in den Bilanzen der kapitalmarktorientier86 Exemplarisch Brinkmann in HHR, § 5 EStG Rz. 1111; Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 246 HGB Rz. 209. 87 Gelhausen/Henneberger in HdJ, I/8 Rz. 46, 50. 88 Zur herrschenden mietrechtlichen Qualifikation des Leasingverhältnisses in der Rspr. und im Schrifttum Stoffels in Staudinger, Leasing, Neubearbeitung 2014, Rz. 68, 71. 89 Gelhausen/Henneberger in HdJ, I/8 Rz. 80 f. 90 Gelhausen/Henneberger in HdJ, I/8 Rz. 249. 91 Ähnlich Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 246 HGB Rz. 219 mit dem Beispiel des Flugzeugleasings. 92 Pöschke, DB 2017, 625 (629 f.).

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ten Unternehmen ab 1.1.2019 verpflichtend anzuwenden ist. Er sieht einen partiellen Übergang zur nutzungsrechtsorientierten Bilanzierung vor. Für bestimmte Leasingverhältnisse ist beim Leasingnehmer stets ein Nutzungsrecht zu aktivieren und dort auch der Barwert der Leasingverbindlichkeit zu passivieren.93 Der Leasinggeber aktiviert stets den Leasinggegenstand, den Barwert des Anspruchs auf die Leasingraten und den Barwert der Verpflichtung zur Nutzungsüberlassung. Dieser „Right-ofUse-Ansatz“ erhöht zwar den Bewertungsaufwand,94 trägt aber modernen Geschäftsmodellen folgerichtig Rechnung und sollte auch für das Handels- und Steuerbilanzrecht erwogen werden, freilich ohne IFRS 16 zu übernehmen.95 Voraussetzung für einen Übergang ist eine vorsichtige Einschränkung des gesetzlich ungeregelten Bilanzierungsverbots für schwebende Geschäfte, wie sie insgesamt für alle Dauerschuldverhältnisse erwogen werden könnte.96 Gesetzliche Bestimmungen, die an dieses Bilanzierungsverbot anknüpfen (§ 249 Abs. 1 Satz 1, 2. Fall HGB; § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB), würden durch eine partielle Zurücknahme nicht obsolet. Darüber hinausgehende Veränderungen der GoB wären daher nicht erforderlich. Die Rspr. lässt indessen nicht erkennen, dass sie diesen Weg gehen wird. Der BFH hat in jüngeren Entscheidungen zur Bilanzierung von Leasingverhältnissen ausdrücklich am traditionellen Ansatz festgehalten und Hoffnungen auf einen Paradigmenwechsel zerstreut.97

2. Immaterielle Wirtschaftsgüter als gWG a) Bewertungsfreiheit nach § 6 Abs. 2 EStG Für geringwertige Wirtschaftsgüter (gWG) regelt § 6 Abs. 2 EStG eine vorrangige steuerrechtliche Bewertungsfreiheit. Sie erlaubt im Ergebnis eine Sofortabschreibung der Anschaffungs- und Herstellungskosten bis zur Wertgrenze von 800 Euro netto, für vor dem 1.1.2018 getätigte Anschaffungen bis zur Wertgrenze von 410 Euro netto (§ 52 Abs. 12 Satz 4 EStG). Diese steuerrechtliche Bewertungsfreiheit gilt nur für abnutzbare beweg93 Dazu Küting/Koch/Tesche, DB 2011, 425; Löhn, StuB 2016, 367; G. Schneider, DK 2017, 447. 94 G. Schneider, DK 2017, 447 (450 f.). 95 Zutreffend Pöschke, DB 2017, 625 (630). 96 Hennrichs in MünchKomm. BilR, § 246 HGB Rz. 206; Pöschke, DB 2017, 625 (629 f.); Schulze-Osterloh in Baumbach/Hueck, GmbHG18, § 42 Rz. 102. 97 BFH v. 13.10.2016 – IV R 33/13, BStBl. II 2018, 81 = FR 2017, 527 m. Anm. Wendt, FR 2017, 531; v. 2.6.2016 – IV R 23/13, BFH/NV 2016, 1433.

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liche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, wenn sie einer selbstständigen Nutzung fähig sind. Nach der Rspr. sollen nur materielle Wirtschaftsgüter beweglich sein können.98 Danach fallen sämtliche immateriellen Wirtschaftsgüter aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift. Die Verwaltungspraxis hilft mit einer Fiktion für Trivialsoftware, die bis zur Wertgrenze von 410 Euro als bewegliches Wirtschaftsgut anzusehen sei (R 5.5 Abs. 1 EStR 2012). Zumindest diese Verwaltungspraxis bedarf der Anpassung an aktuelle Entwicklungen. Sie stammt aus einer Zeit, in der Software auf Datenträgern ausgeliefert werden musste und im Vertrieb durch aufwendige Verpackung in Erscheinung trat. Neben Software ist die körperlose Auslieferung von Buchinhalten in eBooks und die körperlose Auslieferung von Musik und Filmen getreten. Zählt man auch Bücher wegen des überwiegenden immateriellen Werts zu den immateriellen Wirtschaftsgütern, scheidet ein großer Teil der geringwertigen Wirtschaftsgüter aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus. Schließlich stellt sich die Frage, ob die Verwaltungspraxis an die durch Gesetz v. 27.6.201799 angehobene Wertgrenze von 800 Euro angepasst werden sollte. Zugleich gerät mit der heute vorwiegend körperlosen Auslieferung von Software die gesetzliche Grundlage der Verwaltungspraxis in Zweifel. Sie konnte sich früher auf eine typisierende Beurteilung des Werts und der Funktion der Verpackung der Software berufen. De lege ferenda ist dem Gesetzgeber daher zu empfehlen, diejenigen gesetzlichen Bilanzierungsvorschriften, die bewegliche Wirtschaftsgüter voraussetzen, das sind § 6 Abs. 2 und 2a, § 6b, § 7 Abs. 1 Satz 6, Abs. 2 und § 7g EStG, daraufhin zu überprüfen, ob auch immaterielle Wirtschaftsgüter in ihren Anwendungsbereich einbezogen werden sollten. b) Wesentlichkeit Fallen immaterielle Wirtschaftsgüter aus dem Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 EStG heraus, stellt sich für die Praxis die Frage, wie mit geringstwertigen immateriellen Wirtschaftsgütern umzugehen ist, etwa eBooks, Apps oder Filme, deren Nutzungsdauer beim Erwerber oft länger als ein Jahr beträgt. Folgt der abstrakten Aktivierungsfähigkeit über das Vollständigkeitsgebot eine Aktivierungspflicht, wäre jedes einzelne 98 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956 m. Anm. Anzinger, FR 2011, 958. 99 Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074.

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dieser Wirtschaftsgüter einzeln zu aktivieren, zu bewerten und planmäßig linear abzuschreiben.100 Für diese geringstwertigen Wirtschaftsgüter folgt jedoch aus dem GoB der Wesentlichkeit eine Einschränkung des Vollständigkeitsgebots, die über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auch im Steuerbilanzrecht gilt. Das Schrifttum nimmt hierfür bis zum VZ 2017 eine Wertgrenze von 150 Euro an. Diese handelsrechtliche Bilanzierungspraxis sollte an die, ebenfalls mit dem Gesetz vom 27.6.2017101 für nach dem 31.12.2017 angeschaffte Wirtschaftsgüter auf 250 Euro angehobene, Wertgrenze des § 6 Abs. 2a Satz 4 EStG angepasst werden. Demnach sind bis 2017 immaterielle Werte bis 150 Euro und ab 1.1.2018 bis 250 Euro nicht zu aktivieren, auch wenn die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht vorliegen.

IV. Praxisfragen zum entgeltlichen Erwerb Die in Abschnitt II., vor allem in Abschnitt II. 3. c, diskutierten Grundsätze des entgeltlichen Erwerbs sollen nachfolgend anhand von Praxisbeispielen erläutert werden. Die erste Fallgruppe, in der die Abgrenzung zwischen einem entgeltlichen Erwerb (mit der Folge einer Aktivierungspflicht) und einer Selbsterstellung (mit der Folge eines steuerbilanziellen Aktivierungsverbots) von besonderer Bedeutung ist, ist die Nutzung von betrieblicher Software. Daneben kommt es in der Automobilindustrie aufgrund der sektorspezifischen Besonderheiten (namentlich der besonders intensiven Zusammenarbeit von Herstellern und Zulieferern bei Entwicklungstätigkeiten) zu praktisch bedeutsamen Bilanzierungsfragen. Grundsätzlich richtet sich die Abgrenzung zwischen Erwerb und Eigenherstellung bei immateriellen Wirtschaftsgütern nach denselben Kriterien wie bei materiellen Wirtschaftsgütern.102

1. Software Software bildet bilanzsteuerlich grundsätzlich ein immaterielles Wirtschaftsgut. Dies gilt sowohl für sog. Individualsoftware103 als auch für Standardsoftware104. Daher ist es für die steuerbilanzielle Aktivierungs100 Für eBooks Utz/Frank, BBK 2013, 218. 101 Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074. 102 Vgl. BFH v. 10.12.1992 – XI R 45/88, BStBl. II 1993, 538. 103 Vgl. BFH v. 8.2.1996 – III R 76/90, BFH/NV 1996, 643 = CR 1997, 19. 104 Vgl. BFH v. 28.7.1994 – III R 47/92, BStBl. II 1994, 873 = CR 1995, 78; v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956.

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pflicht entscheidend, ob die Software jeweils selbst erstellt oder ob sie entgeltlich erworben wurde. Während bei Selbsterstellung die hierbei entstandenen Kosten sofort abzugsfähigen Aufwand darstellen,105 sind Anschaffungskosten bei entgeltlichem Erwerb zu aktivieren und über die Nutzungsdauer abzuschreiben (§ 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG). Die Unterscheidung zwischen Individualsoftware und Standardsoftware ist dabei für die Bilanzierungsfähigkeit oder -pflicht an sich nicht entscheidend. Standardsoftware dürfte allerdings in aller Regel entgeltlich erworben sein, da ja das Wesen von Standardsoftware darin besteht, dass sie für einen größeren Benutzerkreis zur Verfügung gestellt wird, der damit gleichartige Probleme bewältigen kann. Neben dem entgeltlichen Erwerb eines jedenfalls zeitlich nicht begrenzten Nutzungsrechts kommt daher regelmäßig noch eine zeitlich begrenzte Softwarenutzung (im Rahmen eines Mietmodells) in Frage.106 Wird Software für den Eigenbedarf erstellt, handelt es sich nicht um Standardsoftware. Wird Standardsoftware nach Erwerb durch individuelle Anpassungen („Customizing“) verändert, ohne dass sich das Wesen der Software ändert, verbleibt es bei einem entgeltlichen Erwerb. Wird die Software dagegen so umfangreich verändert, dass eine Wesensänderung anzunehmen ist, kann es sich wiederum um Individualsoftware handeln, so dass für die Bilanzierungsfragen letztlich wiederum dieselben Kriterien gelten. Bei Individualsoftware kommt es in der Praxis neben den Reinformen des entgeltlichen Erwerbs von einer mit der Erstellung der Software beauftragten Softwarefirma und der rein internen Eigenentwicklung zu zahlreichen Mischformen der Zusammenarbeit. Eine Eigenherstellung (und damit ein Aktivierungsverbot) liegt vor, wenn die Software durch eigene personelle und materielle bzw. immaterielle Ressourcen erstellt wird. Die dabei entstehenden Kosten (z.B. Lohn- und Gehaltskosten der Entwickler) stellen sofort abzugsfähige Betriebsausgaben dar. Ein entgeltlicher Erwerb von einem Dritten liegt dagegen vor, wenn dieser die Erstellung der Software nach konkreten Vorgaben schuldet (Werkvertrag, § 631 BGB).107 Wie die Eigenherstellung zu behandeln ist dagegen der Einsatz auch fremder Ressourcen, wenn insoweit nur die Tätigkeit, nicht aber der 105 Vgl. Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 640. 106 Vgl. zu der Rechtsnatur von Standardsoftware beispielsweise Petersen, IStR 2013, 896 (897 f.). 107 Vgl. zum Zeitpunkt des Erwerbs mit Abnahme (§ 640 Abs. 1 BGB) Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 940d.

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Erfolg geschuldet wird (Dienstvertrag, § 611 BGB). Die Abgrenzung erfolgt in Mischfällen anhand der vertraglichen Risikoverteilung,108 die sich auch anhand der Vergütung ableiten lässt. Davon abweichend lässt es die Finanzverwaltung wie oben dargestellt auch zu, Software mit Anschaffungskosten von weniger als 410 Euro als materielle, bewegliche Wirtschaftsgüter zu behandeln (R 5.5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStR). Firmware, d.h. fest in technische Geräte eingebaute Software, ist Teil des materiellen Wirtschaftsguts, so dass insgesamt nur ein einheitliches (materielles) Wirtschaftsgut vorliegt.109

2. Entwicklungskosten in der Automobilindustrie In der Automobilindustrie110 ergeben sich in Bezug auf die Entgeltlichkeit des Erwerbs immaterieller Wirtschaftsgüter Spezialfragen, die sich aus den Besonderheiten des Sektors ergeben. Neben der steigenden Bedeutung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung aufgrund des Innovationsdrucks, der die gesamte Wirtschaft betrifft, ist die Automobilindustrie besonders geprägt durch eine sehr intensive Einbindung von Zulieferern in die Wertschöpfungskette. Ein großer Anteil der Forschungstätigkeit findet durch Zulieferer statt. In zahlreichen Betriebsprüfungen streben die Finanzämter eine Aktivierung von Entwicklungskosten an, regelmäßig beim Zulieferer, in bestimmten Fällen auch bei OEM (Original Equipment Manufacturer). Aus der Perspektive des Zulieferers ist zu prüfen, unter welchen Bedingungen die beim Zulieferer entstandenen Entwicklungskosten möglicherweise aktivierungsfähig oder -pflichtig sein können. Da der Zulieferer selbst Entwicklungsleistungen durchführt, kommt eine Aktivierung als entgeltlich erworbenes immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens regelmäßig nicht in Betracht. Vielmehr könnte sich eine Aktivierungspflicht beim Zulieferer dadurch ergeben, dass das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG deshalb nicht greift, weil die Entwicklungskosten entweder zu einem immateriellen Wirtschaftsgut des Umlaufvermögens führen oder Teil der Herstellungskosten materieller Wirtschaftsgüter sind.

108 Vgl. zu ERP-Software BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 - 37/05, BStBl. I 2005, 1025 = FR 2005, 1266, Tz. 12. 109 BFH v. 3.7.1987 – III R 7/86, BStBl. II 1987, 728 = FR 1987, 477. 110 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, Ubg. 2016, 520; Prinz/Otto, DStR 2017, 275.

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Führen die Entwicklungsleistungen zu einem Wirtschaftsgut des Anlagevermögens, greift das Aktivierungsverbot des § 5 Abs. 2 EStG. Ist das entstandene Wirtschaftsgut dagegen dem Umlaufvermögen zuzuordnen, läge eine Aktivierungspflicht vor.111 Die Abgrenzung zwischen Anlageund Umlaufvermögen richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Maßgeblich sind dabei u.a. die folgenden Punkte:112 –

Die Art des Entwicklungsvertrags zwischen dem OEM und dem Zulieferer: Entspricht dieser einem Werkvertrag, schuldet der Zulieferer mithin das Ergebnis seiner Tätigkeit, spricht dies eher für Umlaufvermögen.113 Schuldet der Zulieferer dagegen nur die Tätigkeit (Dienstvertrag), spricht dies eher dafür, dass Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens entstehen.



Die dem OEM eingeräumten Rechte: Je umfangreicher die Rechteüberlassung vom Zulieferer an den OEM nach Abschluss der Entwicklungsarbeiten ist, desto eher werden Zwischenergebnisse als Umlaufvermögen anzusehen sein. Werden dem OEM ausschließliche Verwertungsrechte übertragen, ist bis zur Übertragung derselben von einem Wirtschaftsgut auszugehen, das dem Betrieb des Zulieferers eben nicht dauerhaft dienen soll (und auch nicht kann). Verbleibt beim Zulieferer dagegen ein Recht zur Sekundärverwertung, weil dem OEM kein ausschließliches Recht übertragen wird, so spricht dies für die Entstehung von Anlagevermögen.



Kostentragung: Werden die vollen Kosten der Entwicklung durch den OEM getragen, spricht dies für die Zuordnung zum Umlaufvermögen, bei nur teilweiser Kostentragung dagegen für die Zuordnung zum Anlagevermögen.

Offensichtlich stehen die drei Merkmale in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Wenn ein Zulieferer dem OEM ein ausschließliches Nutzungsrecht überträgt, so besteht auch ein Interesse des Zulieferers, mit dieser dann ja einmaligen Rechteübertragung alle entstandenen Kosten decken zu können. Werden nicht alle Kosten gedeckt, so hat der Zulieferer ein Interesse daran, durch Zweitverwertungen diese Kosten dann doch noch kompensieren zu können. Da allerdings in der Praxis eine Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen anzutreffen 111 Vgl. BFH v. 20.9.1995 – X R 225/93, BStBl. II 1996, 320; Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 523 m.w.N. 112 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, Ubg. 2016, 520 (522). 113 Zum Zeitpunkt der Aktivierung von Entwicklungskosten bei Auftragsforschung vgl. oben II.1.e.

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ist, verbleibt es bei der Notwendigkeit, sämtliche Merkmale des Einzelfalls in die Betrachtung einzubeziehen. Kommt es hiernach nicht zur Entstehung eines immateriellen Wirtschaftsguts des Umlaufvermögens, bleibt es im Grundsatz bei der sofortigen Abzugsfähigkeit der Kosten. Dies gilt dann nicht, wenn die Kosten Teil von Herstellungskosten eines anderen (materiellen) Wirtschaftsguts werden. Grundsätzlich gilt, dass Forschungskosten nicht in die Herstellungskosten mit einbezogen werden dürfen (§ 255 Abs. 2 Satz 4 HGB).114 In den Fällen, in denen es nicht um Forschungs-, sondern um Entwicklungskosten geht (§ 255 Abs. 2a Satz 2 HGB)115 und in denen die Entwicklungsleistung sehr eng mit einer Fertigung materieller Wirtschaftsgüter zusammenhängt, kommt eine Aktivierung der Entwicklungskosten als Sonderkosten der Fertigung in Betracht. Dies wird man umso eher bejahen müssen, als die Kosten einerseits einem konkreten Auftrag zuzuordnen sind und andererseits die Vergütung vollständig sicher ist. Eine Aktivierung kommt dagegen weniger in Betracht, wenn die Kosten für die Entwicklung einer neuen Produktkategorie anfallen und kein konkreter Auftrag, sondern allenfalls ein bloßer Letter of Intent vorliegt.116 –

Beispiel für Aktivierung: Ein Automobilhersteller gibt einem Zulieferer den Auftrag zur Entwicklung eines Scheinwerfersystems für ein neues Fahrzeugmodell. Der Hersteller verpflichtet sich (bei Erfüllung bestimmter Kriterien), die Scheinwerfer abzunehmen und gibt auch eine Mindestabnahmegarantie. Aufgrund der direkten Beziehung zur Herstellung bestimmter Teile und der vertraglichen Bindung des OEM dürfte von einer Aktivierungspflicht auszugehen sein.



Keine Aktivierung: Umgekehrt dürfte die Lösung in folgendem Sachverhalt sein. Ein Automobilhersteller vereinbart mit einem Zulieferer in einem Letter of Intent, dass man in einem neuen Modell eine neue Lichttechnik (z.B. Laserlicht) einsetzen möchte und dafür entsprechende Preise zu zahlen bereit wäre. Der Zulieferer beginnt mit der Entwicklung der für diese Lichttechnik erforderlichen Komponenten, die bei erfolgreicher Entwicklung zur Entwicklung/Herstellung konkreter Scheinwerfersysteme genutzt werden können.

114 Vgl. steuerlich BFH v. 4.12.1986 – V R 92/77, BFH/NV 1988, 534. 115 Entwicklung ist die Anwendung von Forschungsergebnissen oder von anderem Wissen für die Neuentwicklung von Gütern oder Verfahren oder die Weiterentwicklung von Gütern oder Verfahren mittels wesentlicher Änderungen. 116 Vgl. Jochimsen/Zinowsky, Ubg. 2016, 520 (523 f.).

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Die Perspektive des OEM117 ist in Bezug auf die beim Zulieferer entstandenen Entwicklungskosten naturgemäß eine andere und teilweise sogar gegensätzliche. Immaterielle Wirtschaftsgüter sind beim OEM aktivierungspflichtig, wenn dieser überhaupt ein solches Wirtschaftsgut erwirbt. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn die Entwicklungsleistung des Zulieferers letztlich im Auftrag des OEM erfolgt und der OEM nicht nur nachgelagert die auf Basis der Entwicklung gefertigten Serienteile beziehen wird. Bei der Abgrenzung wird es wiederum auf die Umstände des Einzelfalls ankommen, wobei eine Aktivierungspflicht besteht bei einer echten Auftragsentwicklung, d.h. wenn der Zulieferer Hersteller ist und ein Ergebnis seiner Leistung schuldet (Werkvertrag), die Entwicklung insgesamt an den Zulieferer ausgelagert wurde und dieser dann das Ergebnis seines Know-hows überträgt und Chancen und Risiken der Entwicklungstätigkeit somit beim Zulieferer lagen. Bei unechter Auftragsforschung dürfte eine Aktivierung dagegen regelmäßig ausscheiden. Dies wird dann der Fall sein, wenn der OEM letztlich Hersteller ist und der Zulieferer nur seine Tätigkeit schuldet (Dienstvertrag), der OEM eigenes Know-how hat und einsetzt und die Chancen und Risiken beim OEM liegen.118 Eine Aktivierungspflicht außerhalb der Frage immaterieller Wirtschaftsgüter kann nach allgemeinen Grundsätzen dann gegeben sein, wenn es sich bei den Entwicklungskosten um Sonderkosten der Fertigung eines materiellen Wirtschaftsguts handelt.119 Wie dargestellt, unterscheidet sich die jeweilige Perspektive des OEM und des Zulieferers naturgemäß auch in Bezug auf die Bilanzierungsfragen für etwaige immaterielle Wirtschaftsgüter, die durch gemeinsame Forschungs- und Entwicklungstätigkeit entstehen. Beiden Perspektiven gemeinsam ist allerdings, dass die sich stellenden Bilanzierungsfragen durch Rückgriff auf die GoB und die steuerbilanziellen Vorschriften zu lösen sind. Die in dem Vortrag überblicksartig dargestellten und in diesem Beitrag zusammengefassten Überlegungen zeigen, dass es weder dem Bilanzersteller noch der Finanzverwaltung erspart bleiben wird, sich mit den in Abschnitt II. dargestellten Grundsätzen der Bilanzierung immaterieller Wirtschaftsgüter zu befassen, um zu systematisch überzeugenden Lösungen zu gelangen.

117 Vgl. hierzu ausführlich auch Prinz/Otto, DStR 2017, 275. 118 Vgl. Prinz/Otto, DStR 2017, 275 (277). 119 Zu den hierfür erforderlichen Voraussetzungen wiederum Jochimsen/Zinowsky, Ubg. 2016, 520 (523 f.).

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Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts Professor Dr. Ulrich Prinz Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Köln I. Praxiswichtige Gesetzesänderungen bei geringwertigen Wirtschaftsgütern und Poolabschreibung (§ 6 Abs. 2 und 2a EStG) – Fall 1 1. Sofortabschreibung/Poolabschreibung als steuerliche Wahlrechte im Vereinfachungsinteresse 2. Typischer Sachverhalt im Jahreswechsel 2017/2018 3. Hinweise zur Wahlrechtsausübung a) Rechtsentwicklung bis 2017 b) Änderung der steuerbilanziellen Rechtslage ab 1.1.2018 c) Handelsbilanzielle Handhabung d) Steuerfolgen in Sondersituationen II. Bilanzierung bei Sale-and-leaseback-Geschäften: BFH vom 13.10.2016 – IV R 33/13 – Fall 2 1. Ausgangspunkt: Sale-and-leaseback als steueroptimiertes Gestaltungsinstrument 2. Sachverhalt des BFH-Urteils vom 13.10.2016 3. Lösung des BFH 4. Wichtige Rechtsaspekte des BFH-Urteils 5. Besteuerungspraktische Folgen 6. Abgrenzungen: Umsatzsteuerliche Behandlung/IFRSAspekte

III. Neues zur Bilanzierung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden: Einlage/Abschreibung eines neuartigen Aufwandsverteilungspostens – Fall 3 1. Betriebliche Gebäudeerrichtung auf privatem Ehegattengrundstück: Ein bilanzsteuerlicher „Dauerbrenner“ 2. Sachverhalt: vorweggenommene Erbfolge an betrieblichem Fremdgebäude und privatem Ehegattengrundstück 3. Lösungshinweise: BFH vom 9.3.2016 – X R 46/14 sowie BMF-Schreiben vom 16.12.2016 a) Grund und Boden sowie Gebäude als eigenständige Wirtschaftsgüter b) Wirtschaftliches Eigentum am Gebäude beim Nichtunternehmer c) Besondere Aufwandsverteilungsposten (ohne Stille Reserven-Potential beim Unternehmerehegatten) d) Eigentumsübergang an Grundstück und Gebäude bei vorweggenommener Erbfolge: aus „Fremdgebäude“ wird „eigenes Gebäude“ IV. Due Diligence-Aufwand bei geplanten Akquisitionsmaßnahmen: Unklare Aktivierungspflicht – Fall 4 1. Vielgestaltiger Due DiligenceAufwand im Rechtsstreit

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts 2. Sachverhalt: DD-Aufwand bei Share Deal nach Abschluss eines Letter of Intent (LoI) 3. Lösungshinweise zur Aktivierungsfrage a) Umfang der Anschaffungskosten einer Beteiligung b) Rechtsprechung mit Leitliniencharakter: Grundsätzliche Erwerbsentscheidung, Bedeutung des LoI c) Keine Aktivierung vergeblichen Due Diligence-Aufwands d) Aktivierungsgrenzen bei erfolgreichem Beteiligungserwerb

e) Gestaltungsaspekte V. Passive Rechnungsabgrenzungsposten und Realisationsprinzip – Fall 5 1. Einige Grundlagen zu aktiven/ passiven RAP (§ 5 Abs. 5 EStG) 2. BFH vom 15.2.2017 – VI R 96/13: Betrieblicher Entgeltbezug für zeitlich unbegrenzte Verpflichtung a) Sachverhalt b) Lösungshinweise VI. Zum Schluss: Indizien zur fortschreitenden Zersplitterung unseres ökonomisch geprägten Bilanzrechts

I. Praxiswichtige Gesetzesänderungen bei geringwertigen Wirtschaftsgütern und Poolabschreibung (§ 6 Abs. 2 und 2a EStG) – Fall 1 1. Sofortabschreibung/Poolabschreibung als steuerliche Wahlrechte im Vereinfachungsinteresse Mit Wirkung ab 1.1.2018 hat der Gesetzgeber die wertmäßigen Rahmenbedingungen für die Sofortabschreibung von geringwertigen Wirtschaftsgütern (gWG gem. § 6 Abs. 2 EStG) und die Poolabschreibung für Sammelposten (§ 6 Abs. 2a EStG) deutlich verbessert. Das „Grundkorsett“ der Regelungen ist zwar unverändert geblieben, für die Praxis sind aber steuerbilanzielle Neujustierungen erforderlich. Im Ausgangspunkt ist für die Anwendung beider Normen wichtig: –

Zum einen handelt es sich um zwei unterschiedlich nutzbare steuerliche Wahlrechte, die hohe Praxisrelevanz haben. Vom Gesetzeszweck her liegen beide Rechtsnormen im Vereinfachungsinteresse von Finanzverwaltung und Unternehmen; insbes. soll aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Selbstfinanzierung der Unternehmen gestärkt werden. Beide Regelungen sind keine klassischen Subventionsnormen.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts



Zum anderen gelten die beiden Sonderregelungen für Abschreibungen nur für „abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens“, die zu einer selbständigen Nutzung fähig sind. Die Regelungen sind „praxiserprobt“; Anwendungsgrundsätze finden sich in R 6.13 EStR 2012. § 6 Abs. 2 EStG ist zudem auch für Vermietungs- und Verpachtungs-Einkünfte anwendbar (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 EStG). Der sachliche Anwendungsbereich beider Regelungen ist also weder Wirtschaftsgütern des Umlaufvermögens noch den immateriellen Wirtschaftsgütern (Intangibles) eröffnet. Allerdings sieht R 5.5 Abs. 1 EStR 2012 vor, dass zum einen „Trivialprogramme“ abnutzbare, bewegliche und selbständig nutzbare Wirtschaftsgüter sind und in den gWG-Grenzen liegende „Computerprogramme“ entsprechend zu behandeln sind. Dies sollte bei Anwendung der neuen Wertgrenzen weiter gelten. Eine Einbeziehung von immateriellen Wirtschaftsgütern in breiter Form ist damit aber nicht verbunden. Vielmehr steht bei Trivialprogrammen und entsprechenden Computerprogrammen nach der Vorstellung der FinVerw. die Körperlichkeit der Software auf Datenträgern gegenüber ihrem „geistigen Wert“ im Vordergrund. Der Gesetzgeber sollte in diesem Zusammenhang prüfen, ob eine Erstreckung von § 6 Abs. 2 sowie Abs. 2a EStG auch auf immaterielle Werte zur Stützung der „Digitalisierung in der Wirtschaft“ Sinn macht.1 Nach geltendem Recht erscheint eine solche Ausweitung des Anwendungsbereichs im Wege der Auslegung aber kaum möglich.

2. Typischer Sachverhalt im Jahreswechsel 2017/2018 Die UP-GmbH (kalenderjahrgleiches Wirtschaftsjahr) hat bislang eigenständig nutzbare kleinere Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens (etwa Möbelstücke, PCs, Mobilfunkgeräte) in Orientierung am BMF-Schreiben vom 30.9.20102 in zwei Kategorien eingeteilt: –

Aufwendungen bis 150 Euro (ohne Umsatzsteuer, es besteht Vorsteuerabzugsberechtigung) werden ohne besondere Aufzeichnungen zum Erwerbszeitpunkt als Betriebsausgaben abgezogen.

1 Zu einer entsprechenden Beschlussvorlage der FDP-Fraktion an den deutschen Bundestag wegen verbesserter Abschreibung für digitale Wirtschaftsgüter vgl. BT-Drucks. 19/959. 2 BMF v. 30.9.2010 – IV C 6 - S 2180/09/10001 – DOK 2010/0750885, BStBl. I 2010, 755 = FR 2010, 1004.

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Für Wirtschaftsgüter zwischen 150 Euro und 1000 Euro wird jährlich ein Sammelposten mit Poolabschreibung gebildet.

Wirtschaftsgüter im Wert zwischen 150 Euro und 410 Euro sind nicht signifikant vorhanden; insoweit wird von der Sofortabschreibung gem. § 6 Abs. 2 EStG kein Gebrauch gemacht. In der Handelsbilanz erfolgt eine identische Handhabung. Die für 2018 anstehende Ergebnisplanung zeigt rückläufige Ergebnisse, eventuell entsteht sogar ein Verlust, der Sanierungsschritte erfordert. Der Steuerberater der UP-GmbH wird beauftragt aufzuzeigen, welche neuen Möglichkeiten der steuerlichen Behandlung ab 1.1.2018 bestehen und ob handelsbilanziell identisch verfahren werden kann.

3. Hinweise zur Wahlrechtsausübung a) Rechtsentwicklung bis 2017 Das Wahlrecht zur gWG-Sofortabschreibung gem. § 6 Abs. 2 EStG „bisheriger Prägung“ besteht weitgehend unverändert seit 1964.3 Nur im VZ 2008/2009 erfolgte eine Absenkung der gWG-Grenze auf 150 Euro bei Aufhebung des Wahlrechtscharakters, die aber anschließend wieder vom Gesetzgeber „zurückgenommen“ wurde. Eine Anhebung der gWG-Grenze wurde steuerpolitisch seit langem gefordert.4 Die Poolabschreibung gem. § 6 Abs. 2a EStG über fünf Jahre linear für Sammelposten (zwischen 150 Euro und 1000 Euro) wurde dagegen erst durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 eingeführt, um Bürokratiekosten abzubauen bei gleichzeitiger Orientierung an internationalen Typisierungsregelungen und um die damaligen Tarifentlastungen gegenzufinanzieren; die gWGGrenze wurde – wie bereits erwähnt – gleichzeitig auf 150 Euro herabgesetzt. Durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 erfolgte dann wiederum eine „Rückkehr“ zur 410 Euro gWG-Grenze und der Ausgestaltung der Poolabschreibung als Wahlrecht. Seit langem begegnet die Poolabschreibung gem. § 6 Abs. 2a EStG einer Vielzahl kritischer Stimmen, die von einer unnötigen Komplizierung des Steuerbilanzrechts sprechen und die steuerpolitische Forderungen nach seiner Abschaffung formulieren.

3 Es wurde eingeführt durch das StÄndG 1964 v. 16.11.1964. 4 Vgl. Wengerofsky, StuB 2017, 369; Wengerofsky, DStR 2015, 2744; Hechtner, NWB 2017, 2252. Siehe ergänzend zur neuen Rechtslage auch Bauer, Ubg. 2017, 529; Schiffers/Köster, DStZ 2017, 796; Strahl, Stbg. 2017, 489.

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§ 6 Abs. 2 und 2a EStG beinhalten aus Praxissicht zwei steuerliche Wahlrechte, die unabhängig von der Handelsbilanz ausgeübt werden können und im Einzelfall eine komplexe Detailuntersuchung des Bestands an kleineren Wirtschaftsgütern unter Unsicherheit erfordern.5 Während die Sofortabschreibung von gWGs bis 410 Euro ein individuell pro Wirtschaftsgut ausübbares Wahlrecht beinhaltet, ist das Wahlrecht für Sammelposten bei Aufwendungen zwischen 150 Euro und 1000 Euro nur einheitlich wirtschaftsjahrbezogen realisierbar. Der Sammelposten ist eine reine Rechengröße, kein Wirtschaftsgut. Seine Auflösung erfolgt unabhängig von der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer seiner Komponenten und dem Ausscheiden einzelner Wirtschaftsgüter aus dem Betrieb. Eine Bewertung des Sammelpostens erfolgt nicht. Die Anwendungsgrundsätze für transaktionsbezogene Sammelpostenübertragungen (insbes. per Buchwertverknüpfung nach UmwStG) bleiben in der Norm unberührt. b) Änderung der steuerbilanziellen Rechtslage ab 1.1.2018 Das Gesetzgebungsverfahren zur Änderung von § 6 Abs. 2 und 2a EStG ist „zweispurig“ erfolgt: Zum ersten wurde unter Federführung des FinMin. im „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ vom 27.6.2017 die gWG-Grenze von 410 Euro auf 800 Euro angehoben (kassenmäßige Mindereinnahmen von 935 Mio. Euro pro Jahr, ab 2022 335 Mio. Euro). Gleichzeitig wurde die Poolabschreibungs-Untergrenze von 150 Euro auf 250 Euro ebenfalls angehoben; bei darunter liegendem Wert ist deshalb nur das gWG-Wahlrecht ausübbar. Zum zweiten ist unter Federführung des Wirtschaftsministeriums im Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz vom 30.6.2017 eine ergänzende Anhebung der „aufzeichnungslosen“ gWG-Untergrenze von 150 Euro auf 250 Euro erfolgt.6 Die zeitliche Geltung beider Gesetzgebungsmaßnahmen wurde harmonisiert. Die Regelungen sind insgesamt erstmals und unabhängig vom jeweiligen Wirtschaftsjahr (kalenderjahrgleich, abweichend oder als Rumpfwirtschaftsjahr) anwendbar bei Wirtschaftsgütern, die nach dem 31.12.2017 angeschafft, hergestellt oder in das Betriebsvermögen eingelegt werden.

5 Zu Optimierungsüberlegungen vgl. Kleinle/Dreixler in HHR, § 6 EStG Rz. 1102; zum „steueroptimierten Einsatz“ von Investitionsabzugsbeträgen vgl. Korn, kösdi 2018, 20658. 6 Zu Erläuterungen vgl. Gegusch/Zang, DB 2017, 1734.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Die neue Wahlrechtsstruktur ab 1.1.2018 sieht danach wie folgt aus:

*jeweils ohne USt unabhängig von bestehender Vorsteuerabzugsberechtigung

Wenngleich sich lediglich die Wertgrenzen im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 2 und 2a EStG verändert haben, machen beide Normen für die Praxis eine Art Bedeutungswandel durch, was eine praktische Neujustierung der Wahlrechtsausübung geboten erscheinen lässt. Aspekte dabei sind: –

Die Vorteilhaftigkeit der Poolabschreibung hat sich wegen annähernder Verdoppelung der gWG-Obergrenze deutlich reduziert. Dadurch dürfte die Bedeutung der Poolabschreibung für die Praxis weiter abnehmen. Zu einem Wegfall der Poolabschreibung konnte sich der Gesetzgeber allerdings trotz diverser Appelle nicht entschließen.



Der gWG-Anwendungsbereich ist durch die neue wertmäßige Obergrenze von 800 Euro signifikant erweitert worden. Die wirtschaftliche Bedeutung dieses Wahlrechts nimmt deshalb zu. Zudem müssen die neuen Wertgrenzen in der Buchführung sowie der E-Bilanz-Taxonomie berücksichtigt werden.



Im Jahreswechsel 2017/2018 sind Sondergestaltungen denkbar, die den Rechtssprung durch Sell-and-Buy-Back-Maßnahmen von Wirtschaftsgütern zum Buchwert zwischen 410 Euro und 800 Euro netto nutzbar machen könnten. Sofern eine solche Transaktion zur Nutzung der erhöhten Wertgrenze für gWGs fremdüblich ausgestaltet ist und der jeweilige wirtschaftliche Eigentumsübergang zwischen Ver-

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äußerer und Erwerber gewährleistet erscheint, dürfte ein Gestaltungsmissbrauch nicht in Betracht kommen. Zur Erzielung eines Einmaleffekts bei größeren Volumina von Wirtschaftsgütern zwischen 410 Euro und 800 Euro kann eine solche Sondergestaltung interessant sein.7 c) Handelsbilanzielle Handhabung Eine ausdrückliche handelsrechtliche Kodifizierung von gWGs/Sammelposten existiert nicht. Umgekehrt nimmt damit das Steuerbilanzrecht mittelbar Einfluss auf die „handelsrechtlichen GoB“.8 Denn nach h.M. können sowohl gWGs als auch Sammelposten in der Handelsbilanz – gleichlautend zur Steuerbilanz – gebildet werden. Zwingend ist dies aber nicht. Eine „Entkoppelung“ von Handelsbilanz/Steuerbilanz ist insoweit möglich; ggf. sind Steuerlatenzen zu berücksichtigen. Beide Vorgehensweisen lassen sich in der Praxis beobachten. Konkret gilt: –

Auch nach Anhebung der gWG-Obergrenze auf 800 Euro ist nach Meinung des Hauptfachausschusses beim IDW eine Sofortabschreibung handelsbilanziell zulässig. Dies ist unabhängig davon, ob gWGs einzeln oder in Summe für den Abschluss von untergeordneter Bedeutung sind.



Sammelposten gem. § 6 Abs. 2a EStG sind handelsrechtlich nach Meinung des HFA beim IDW dagegen nur dann zulässig (konkret: „nicht zu beanstanden“), wenn sie im Hinblick auf den „true and fair view“ des Jahresabschlusses von untergeordneter Bedeutung sind (Wesentlichkeitsgrundsatz). Dies ist im Ergebnis stark einzelfallabhängig.

Die handelsrechtliche Bilanzierungspraxis folgt der HFA-Standardsetzung üblicherweise und wird mitunter – außerhalb der konkreten Tatbestandsvoraussetzungen von § 6 Abs. 2 und 2a EStG – auch auf immaterielle Vermögensgegenstände erstreckt.9 d) Steuerfolgen in Sondersituationen Da die UP-GmbH im Fall 1 im Jahr 2018 ggf. in eine Krisensituation gerät und zu einem Sanierungsfall werden könnte, sind für die Wahlrechtsaus7 Vgl. dazu Hechtner, NWB 2017, 2256. 8 Vgl. Kulosa in Schmidt, EStG36, § 6 Rz. 591, 608. 9 Vgl zum Ganzen aktuell HFA, IDW life 7/2017, 848; Schubert/Andrejewski/ Roscher in Beck BilKomm.11, § 253 HGB Rz. 275; Bauer, Ubg. 2017, 529 (532); kritisch allerdings Kulosa in Schmidt, EStG36, § 6 Rz. 608.

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übung gem. § 6 Abs. 2 und 2a EStG Sonderaspekte zu berücksichtigen. Konkret kann man in Krisensituationen in der Praxis des Öfteren beobachten, dass Unternehmen auf das „Vorziehen von Betriebsausgaben“ durch Nutzung der gWG-/Sammelposten-Regelung verzichten, etwa um eine Verlusterhöhung bei „drohendem“ § 8c KStG aufgrund qualifizierten Gesellschafterwechsels oder die „drohende“ Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG, § 10a Satz 1 GewStG) zu vermeiden. Allerdings ist bei zu erwartenden steuerfreien Sanierungsgewinnen gem. § 3a Abs. 1 EStG zu beachten, dass insoweit eine „wahlweise Gewinnminderung“ nicht mehr möglich ist, sondern zwangsweise erforderlich wird. Die Regelung wurde durch das „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ vom 27.6.2017 im Zusammenhang mit der Aufhebung des Sanierungserlasses der Finanzverwaltung durch den Großen Senat beim BFH eingeführt, steht allerdings noch unter dem Vorbehalt des unionsrechtlichen Notifizierungsverfahrens. Die Regelung lautet: „Sind Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass nach Satz 1 steuerfrei, sind steuerliche Wahlrechte in dem Jahr, in dem ein Sanierungsertrag erzielt wird (Sanierungsjahr) und im Folgejahr im zu sanierenden Unternehmen gewinnmindernd auszuüben. Insbesondere ist der niedrigere Teilwert, der nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 Satz 2 angesetzt werden kann, im Sanierungsjahr und im Folgejahr anzusetzen.“

Im Ergebnis ist damit ein Verzicht auf die Sofort-/Poolabschreibung nicht möglich. Im Übrigen bestätigt der Steuergesetzgeber damit die Auslegung des Begriffs „steuerliches Wahlrecht“ in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG durch das BMF-Schreiben vom 12.3.2010.10 Damit sollte der Streit um die Reichweite des Wahlrechtsvorbehalts in Einschränkung des Maßgeblichkeitsprinzips für die Praxis zumindest für die Zeit ab 2018, aber wegen ihres bloß klarstellenden Charakters auch für die zurückliegenden Jahre erledigt sein. Auch bei der Bildung/Fortführung von Ergänzungsbilanzen bei Gesellschafterwechseln im Rahmen von Mitunternehmerschaften kann die Anhebung der gWG-Obergrenze auf 800 Euro wichtige verbesserte Sofortabschreibungsmöglichkeiten nach sich ziehen.11 Auch insoweit besteht

10 BMF v. 12.3.2010 – IV C 6 - S 2133/09/10001 – DOK 2010/0188935, BStBl. I 2010, 239 = FR 2010, 398. 11 Vgl. in Auseinandersetzung mit BMF v. 19.12.2016 – IV C 6 - S 2241/15/10005 – DOK 2016/1123341, BStBl. I 2017, 34 = GmbHR 2017, 110 insbes. Ley, KÖSDI 2017, 20278 (20285–20287) sowie Prinz/Keller, DB 2017, 1607 (1611).

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

eine wichtige Sonderkonstellation, auf die die Rechtsänderungen des § 6 Abs. 2 und 2a EStG einwirken.

II. Bilanzierung bei Sale-and-lease-back-Geschäften: BFH vom 13.10.2016 – IV R 33/13 – Fall 2 1. Ausgangspunkt: Sale-and-lease-back als steueroptimiertes Gestaltungsinstrument Sale-and-lease-back-Geschäfte gehören zum steuerpolitischen Gestaltungsinstrumentarium der Unternehmen zur Verbesserung des Bilanzbilds, Nutzung von Verlustabzügen, Liquiditätsverbesserungen usw. Gestaltungsidee dabei ist: Es wird ein Vermögensgegenstand/Wirtschaftsgut mit stillen Reserven gewinnrealisierend an eine Leasinggesellschaft veräußert und anschließend im Rahmen eines Leasinggeschäfts nach Maßgabe einer Art „Rückvermietung“ weiter genutzt. Der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums vom Veräußerer auf den Leasinggeber ist entscheidend. Aus Sicht des ursprünglichen Eigentümers ist eine „Offbalance-sheet-Gestaltung“ beabsichtigt. Seit den 1970er Jahren sind die Zurechnungsgrundsätze für Leasinggeschäfte über bewegliche/unbewegliche Wirtschaftsgüter durch den BFH im Grundsatz geklärt und in diversen Grundsatzerlassen der FinVerw. dokumentiert.12 Aktuell ist nun ein neues Grundsatzurteil des BFH vom 13.10.2016 – IV R 33/1313 zu konstatieren, das die ertragsteuerliche Anerkennung von Sale-and-lease-back-Geschäften betrifft und neue Akzente setzt. Das Ju12 Vgl. BMF v. 19.4.1971 – IV B/2 - S 2170 - 31/71, BStBl. I 1971, 264 = StEK EStG § 5 Akt. Nr. 54 mit Hinweis auf BFH v. 26.1.1970 – IV R 144/66, BStBl. II 1970, 264 = FR 1970, 254 betr. Mobilien-Leasing; BMF v. 21.3.1972 – IV B 2 - S 2170 - 11/72, BStBl. I 1972, 188 = StEK EStG § 5 Akt. Nr. 56; v. 22.12.1975 – IV B 2 - S 2170 - 161/75, DB 1976, 172 betr. Immobilien-Leasing; BMF v. 9.6.1987 – IV B 2 - S 2170 - 14/87, BStBl. I 1987, 400; v. 23.12.1991 – IV B 2 - S 2170 115/91, BStBl. I 1992, 13 = FR 1992, 116. 13 Vgl. BFH v. 13.10.2016 – IV R 33/13, BStBl. II 2018, 81 = FR 2017, 527. Zur Einordnung der Entscheidung vgl. Prinz/Keller, StuB 2017, 211; Pöschke, DB 2017, 625; Hoffmann/Lüdenbach/Freiberg, DB 2017, 874; Wendt, FR 2017, 531; Wüstemann/Backes/Schober, BB 2017, 1963; Happe, BBK 2017, 702; Schiffers/ Köster, DStZ 2017, 794, 799 f.; Brühl/Weiss, NWB 2018, 90; Oser, Datev Magazin 1/2018, 27. Zu einer unveröffentlichten Nichtanwendungsverfügung vgl. OFD Nds. v. 4.5.2017 – S 2241 - 419 - St 221/St 222. Der BFH hat seine Rspr. jüngst in zwei NV-Entscheidungen bestätigt: BFH v. 21.12.2017 – IV R 55/16, BFH/NV 2018, 593; v. 21.12.2017 – IV R 56/16, BFH/NV 2018, 597.

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dikat betrifft einen Sonderfall, bei welchem dem Leasinggeber ein Andienungsrecht zusteht bei einer unter der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Leasinggegenstands liegenden Grundmietzeit. Im Weiteren soll diese BFH-Entscheidung in das Gesamtbild der Leasinggestaltungen eingeordnet werden. Die FinVerw. hat das Urteil Anfang 2018 im BStBl. veröffentlicht und damit für die nachgeordneten Behörden zur Anwendung freigegeben.

2. Sachverhalt des BFH-Urteils vom 13.10.2016 A-GmbH und B-GmbH wickeln mit einer Leasinggesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG bei gleichzeitiger Gewährung von Lieferantendarlehen an den Erwerber Sale-and-lease-back-Geschäfte ab. Die duale Struktur sieht wie folgt aus: –

A-GmbH verkauft an die Leasinggesellschaft 13 IT-Systeme und mietet diese anschließend zurück. Die Grundmietzeit beträgt 48 Monate bei vermutlich längerer betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauer. Es besteht ein Andienungsrecht zugunsten der KG, wonach die A-GmbH auf Verlangen der KG verpflichtet ist, bei Beendigung des Leasingvertrags die Leasinggegenstände zu für die KG günstigen Konditionen zurückzukaufen.



B-GmbH verkauft an die Leasinggesellschaft 46 Dosierautomaten für Bakterienkulturen, die speziell für ihre Bedürfnisse konstruiert sind. Grundmietzeit und Andienungsrecht sind wie im Verhältnis zur A-GmbH ausgestaltet.

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Die Leasinggesellschaft (GmbH & Co. KG) weist in ihrer Handelsbilanz/ Steuerbilanz für 01 sämtliche Leasinggegenstände als Anlagevermögen unter Vornahme entsprechender Abschreibungen aus. Bei der A- und der B-GmbH werden die Leasingzahlungen über die Gewinn- und Verlustrechnung ohne bilanzielle Berührungspunkte abgewickelt. Die Betriebsprüfung zieht dies – gestützt auf die Leasingerlasse aus den 1970er Jahren – in Zweifel und fordert eine Aktivierung der eigentumsrechtlich übertragenen Wirtschaftsgüter als wirtschaftlicher Eigentümer jeweils bei A-GmbH/B-GmbH. Das gesamte Konstrukt habe nur eine Finanzierungs- und Sicherungsfunktion für die Leasingnehmer. Es kommt zum Rechtsstreit.

3. Lösung des BFH Der BFH unterscheidet in seinem Judikat vom 13.10.2016 wie folgt: –

Zur B-GmbH besteht ein Spezialleasingverhältnis, da der Leasinggegenstand konkret auf deren Verhältnisse zugeschnitten ist. Die B-GmbH bleibt deshalb – ungeachtet der eigentumsrechtlichen Übertragung der Dosierautomaten – wirtschaftlicher Eigentümer, da keine wirtschaftliche Einwirkungsmöglichkeit des Leasinggebers besteht, und zwar ohne Rücksicht auf das Verhältnis Grundmietzeit/betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer. Steuerbilanziell erfolgt kein gewinnrealisierendes Veräußerungs-/Anschaffungsgeschäft, sondern die Sale-and-lease-back-Gestaltung hat eine bloße Finanzierungs- und Sicherungsfunktion. Der BFH bestätigt insoweit die Finanzverwaltungsauffassung. Die beabsichtigte Off-balance-sheet-Gestaltung aus Sicht der B-GmbH scheitert.



Die steuerbilanzielle Situation im Zusammenhang mit den IT-Systemen der A-GmbH ist abweichend zu beurteilen. Das wirtschaftliche Eigentum der Leasinggesellschaft wird im Grundsatz vom BFH anerkannt. Allerdings erfolgt eine Rückverweisung an das FG, um zu klären, ob die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer der überlassenen IT-Systeme länger als die vereinbarte Grundmietzeit ist. Der BFH orientiert sich bei seiner Entscheidung an der dem Wortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zu entnehmenden sog. Negativformel.14 Der Leitsatz der BFH-Entscheidung lautet:

14 Vgl. eingehend zu Fragen des wirtschaftlichen Eigentums in der Steuerbilanz Brandis, StbJb. 2016/2017, 299.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts „Wirtschaftliches Eigentum nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO des Leasingnehmers an dem Leasinggegenstand kommt nicht in Betracht, wenn die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Leasinggegenstandes länger als die Grundmietzeit ist und dem Leasinggeber ein Andienungsrecht eingeräumt ist.“

4. Wichtige Rechtsaspekte des BFH-Urteils Ein erster wichtiger Rechtsaspekt des BFH-Urteils betrifft die Auslegung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO im Zusammenhang mit Leasingverhältnissen. Um wirtschaftliches Eigentum bei einem anderen als dem rechtlichen Eigentümer zu begründen, muss bei wortlautorientierter Auslegung dessen wirtschaftlicher Ausschluss vorliegen. Der Herausgabeanspruch des Eigentümers hat insoweit keine wirtschaftliche Bedeutung. Entscheidend ist im streitigen Sachverhalt des BFH-Urteils das Andienungsrecht des Leasinggebers, jedenfalls sofern – was der Regelfall sein dürfte – die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer über der Grundmietzeit liegt. Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zur Ausübung des Andienungsrechts spielen insoweit keine Rolle. Eine andere Beurteilung nimmt der BFH allerdings immer dann vor, wenn nur dem Leasingnehmer eine Verlängerungs- oder Kaufoption zusteht, da er dann aufgrund seiner wirtschaftlichen Gestaltungskraft den nur rechtlich verkauften Gegenstand langfristig behalten kann und dieser deshalb in seinem wirtschaftlichen Eigentum verbleibt. Der zweite – allerdings nur inzidente, weil nicht angesprochene – wichtige Rechtsaspekt des BFH-Judikats betrifft das Verhältnis des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zu § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB, wonach ein Vermögensgegenstand beim wirtschaftlichen Eigentümer bilanziell auszuweisen ist, sofern ihm – und nicht dem Eigentümer – der Vermögensgegenstand wirtschaftlich zuzurechnen ist. Definiert wird das wirtschaftliche Eigentum in § 246 Abs. 1 HGB allerdings nicht. Der BFH geht offensichtlich vom Vorrang des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO als lex specialis aus. Mit der Überlegung, § 246 Abs. 1 S. 2 HGB könnte als handelsrechtliche GoB-Norm über den Maßgeblichkeitsgrundsatz auch Steuerbilanzrechtsrelevanz haben, setzt sich der BFH konkret in keiner Weise auseinander. Im Ergebnis ist die Einschätzung des BFH m.E. zutreffend.15 Allerdings können dadurch möglicherweise Zurechnungsabweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz entstehen.

15 Vgl. zu den Argumenten im Einzelnen Wendt, FR 2017, 531; Prinz/Keller, StuB 2017, 215 f.

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Insgesamt betrachtet ist die BFH-Entscheidung vom 13.10.2016 zwar zu einer speziell ausgestalteten Sale-and-lease-back-Gestaltung ergangen. Sie schafft aber im Ergebnis mehr Rechtsklarheit bei der Grundfrage wirtschaftlichen Eigentums. Es handelt sich um einen wichtigen Orientierungspunkt für die Leasingbranche. Die Finanzverwaltung wird in diesem Zusammenhang allerdings noch klären müssen, ob bzw. inwieweit eine Anpassung ihrer Leasingerlasse sinnvoll bzw. geboten ist.

5. Besteuerungspraktische Folgen Zunächst einmal gibt der BFH in Rz. 29 seines Urteils vom 13.10.2016 wichtige Fallgruppenhinweise zur Verortung des wirtschaftlichen Eigentums beim Leasingnehmer bei beweglichen/unbeweglichen Wirtschaftsgütern: –

Der Leasinggegenstand ist speziell auf die Verhältnisse des Leasingnehmers zugeschnitten und kann nur noch bei ihm nach Ablauf der Grundmietzeit eine sinnvolle Verwendung finden (Spezialleasing);



Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer des Leasinggegenstands und die Grundmietzeit decken sich annähernd, dies ist im Wesentlichen Tatfrage;



Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer liegt zwar über der Grundmietzeit, aber der Leasingnehmer hat das Recht auf Verlängerung der Nutzungsüberlassung oder eine Kaufoption zu günstigen Konditionen, die eine Ausübung des Rechts bei wirtschaftlich vernünftiger Entscheidungsfindung wahrscheinlich machen.

Die Fallgruppenhinweise des BFH enthalten Gestaltungsleitlinien für die Praxis. Letztlich entsteht dadurch ein faktisches Zurechnungswahlrecht für die Vertragsparteien des Leasingvertrags. Auf der einen Seite begründet das Andienungsrecht des Leasinggebers üblicherweise auch sein wirtschaftliches Eigentum; auf der anderen Seite führt eine Kaufoption/Mietverlängerungsoption des Leasingnehmers meist zu einem bei ihm liegenden wirtschaftlichen Eigentum. Die konkrete Ausgestaltung der Leasingverträge ist somit entscheidend. Des Weiteren ist zu erkennen, dass der BFH in verschiedenen Fallgruppen durchaus unterschiedliche Akzentuierungen des wirtschaftlichen Eigentums vornimmt. Während der I. Senat des BFH in seinem Urteil vom 18.8.201516 zur wirtschaftlichen Zurechnung von Kapitalgesell16 BFH v. 18.8.2015 – I R 88/13, BStBl. II 2016, 961 = FR 2016, 369.

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schaftsanteilen im Rahmen einer Wertpapierleihe auf Chancen/Risiken im Zusammenhang mit Eigentum an Wertpapieren abstellt, folgt der IV. Senat des BFH bei der Sale-and-lease-back-Gestaltung allein der wortlautorientierten Negativformel des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO. Der vom I. Senat des BFH in den Vordergrund der wirtschaftlichen Eigentumsbeurteilung gestellte „Risk and Reward Approach“ weist dagegen eine deutlich größere Nähe zum gesetzgeberischen Telos des § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB auf. Es bleibt abzuwarten, ob bzw. inwieweit die verschiedenen Senate des BFH diese unterschiedlichen Akzentuierungen der wirtschaftlichen Eigentumsverortung weiterverfolgen und ggf. ausdifferenzieren.

6. Abgrenzungen: Umsatzsteuerliche Behandlung/IFRS-Aspekte Spannungsverhältnis zur umsatzsteuerlichen Behandlung: Laut BFH vom 6.4.2016 – V R 12/1517 können Sale-and-lease-back-Geschäfte über Spezialleasingfälle hinausgehend umsatzsteuerlich „als Mitwirkung des Käufers und Leasinggebers an einer bilanziellen Gestaltung des Verkäufers und Leasingnehmers zu steuerpflichtigen sonstigen Leistungen führen“. Nach Meinung des V. Senats beim BFH liegt insoweit keine steuerfreie Kreditgewährung durch den Leasinggeber gem. § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG vor. Die Finanzverwaltung hat insoweit den Umsatzsteueranwendungserlass durch BMF vom 3.2.2017 angepasst.18 Die umsatzsteuerliche Beurteilung von Sale-and-lease-back-Geschäften als Optimierung einer Bilanzgestaltung steht in einem deutlichen Spannungsverhältnis zur ertragsteuerlichen Einordnung durch den IV. Senat des BFH im Urteil vom 13.10.2016. Nach Meinung des IV. Senats lassen sich aus der abweichenden umsatzsteuerlichen Beurteilung aber keine Rückschlüsse auf deren einkommensteuerrechtliche Behandlung ziehen. Dennoch bleiben faktische Wertungswidersprüche zwischen beiden Senaten bestehen. Umsatzsteuer- und Ertragsteuerrecht gehen insoweit „unterschiedliche Wege“.

17 BFH v. 6.4.2016 – V R 12/15, BStBl. II 2017, 188 = UR 2016, 643. 18 BMF v. 3.2.2017 – III C 2 - S 7100/07/10031 :006 – DOK 2017/0071257, BStBl. I 2017, 180 = UR 2017, 210. Wegen der neuen EuGH Rspr. zur Umsatzsteuer bei Leasingverträgen mit Kaufoption vgl. de Weerth, DB 2017, 2699; Vosseler, DStR 2018, 329 sowie Th. Müller, DB 2017, 2638, jeweils in Auseinandersetzung mit EuGH v. 4.10.2017 – C-164/16 (Mercedes-Benz Financial Services UK Ltd.), UR 2018, 14.

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IFRS-Aspekte: Der internationale Rechnungslegungsstandard IFRS 16 sieht für Leasinggestaltungen neue Beurteilungsgrundsätze vor, die sich beim Leasingnehmer – losgelöst von Rechtsstrukturen – am „Right-ofUse-Konzept“ ausrichten und verpflichtend für alle am oder nach dem 1.1.2019 beginnenden Geschäftsjahre gelten. Insoweit hat der Leasingnehmer ein Nutzungsrecht am Leasinggegenstand mit seinen Anschaffungskosten zu aktivieren und planmäßig/außerplanmäßig abzuschreiben. Auf der Passivseite seiner Bilanz findet sich der jeweilige Barwert der Leasingverbindlichkeit. Die bisherige Unterscheidung Operating Leasing und Finanzierungsleasing wird insoweit von IFRS 16 nicht weiterverfolgt. IFRS-mäßig ist eine Off-balance-sheet-Gestaltung beim Leasingnehmer zukünftig nicht mehr möglich. Beim Leasinggeber allerdings soll es bei der bisherigen Behandlung nach IFRS-Grundsätzen verbleiben. Im Ergebnis werden also das wirtschaftliche Nutzungspotential und der Leasinggegenstand selbst getrennt behandelt. Die steuerbilanzielle Beurteilung durch den BFH und auch die FinVerw. folgt dem m.E. zu Recht nicht (Objektivierungsnotwendigkeit, Gläubigerschutzaspekte). Eine direkte IFRS-Einflussnahme auf § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB sollte wohl ebenfalls ausscheiden.19

III. Neues zur Bilanzierung von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden: Einlage/Abschreibung eines neuartigen Aufwandsverteilungspostens – Fall 3 1. Betriebliche Gebäudeerrichtung auf privatem Ehegattengrundstück: Ein bilanzsteuerlicher „Dauerbrenner“ Aufwendungen zur betrieblichen Gebäudeerrichtung auf fremdem Grund und Boden sind ein „bilanzsteuerlicher Dauerbrenner“. Die Rspr. – einschließlich mehrerer Entscheidungen des Großen Senats – ist stark „wellenförmig“ in mehreren Phasen verlaufen. Teils stellt sie ab auf die Anerkennung eines Fremdbaus als abschreibungsfähiges Wirtschaftsgut, teils geht sie von einer Art Nutzungsrecht als „quasi-Wirtschaftsgut“ mit Abschreibungsmöglichkeiten „wie bei Gebäuden“ aus. Besteuerungspraktisch geht es meist um die betriebliche Bebauung von Ehegattengrundstücken. Es können aber durchaus auch Konzernfälle betroffen sein (etwa eine Tochter-GmbH, die ein Gebäude auf einem unentgeltlich durch die Muttergesellschaft überlassenen Grundstück errichtet). 19 Vgl. dazu auch Pöschke, DB 2017, 625 (629 f.). Kritisch zu IFRS 16 vgl. Schneider, DK 2017, 447.

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Aktuell ist nun ein neues Grundsatzurteil des BFH vom 9.3.2016 – X R 46/1420 zu konstatieren, durch das der Wandel in der höchstrichterlichen Rspr. „vollendet“ wird (Rz. 48 des Urteils). Im Urteil selbst erfolgt eine umfangreiche „schulmäßige“ Herleitung des Rechtsergebnisses mit Nachzeichnung der vielfachen „Rechtssprünge“ in der Beurteilung durch den BFH. Die Finanzverwaltung hat die Grundsätze mittlerweile im Schreiben vom 16.12.201621 zusammengefasst, was sich auch in H 4.7 „Eigenaufwand für ein fremdes Wirtschaftsgut“ EStH wiederfindet. Die Neujustierung der Rspr. wird im Schrifttum teils begrüßt, teils stark kritisiert.22 Ob durch die aktuelle Rspr. Rechtsfrieden einkehrt, muss man abwarten.23

2. Sachverhalt: vorweggenommene Erbfolge an betrieblichem Fremdgebäude und privatem Ehegattengrundstück A erhält in 02 in vorweggenommener Erbfolge das Einzelunternehmen seines Vaters (V) sowie ein im Eigentum seiner Mutter (M) stehendes Grundstück, das bislang zu deren steuerlichem Privatvermögen gehört. V hatte vor einigen Jahren aus eigenen Mitteln ein betrieblich genutztes Gebäude auf dem Grundstück seiner Ehefrau errichtet, mit den Herstellungskosten als Fremdgebäude in seiner Steuerbilanz aktiviert und nach den für Gebäude geltenden Regelungen planmäßig abgeschrieben (Betriebsvermögensvergleich gem. § 4 Abs. 1 EStG). Besondere Vereinbarungen über Entschädigungsansprüche bei Beendigung des Nutzungsverhältnisses wurden zwischen den Ehegatten nicht getroffen. A beauftragt seinen Steuerberater zu prüfen, –

wie die zutreffende bilanzsteuerliche Abbildung des Sachverhalts in der Vergangenheit vorzunehmen ist und

20 BFH v. 9.3.2016 – X R 46/14, BStBl. II 2016, 976 = FR 2016, 900. 21 BMF v. 16.12.2016 – IV C 6 - S 2134/15/10003 – DOK 2016/0531091, BStBl. I 2016, 1431 = FR 2017, 351. 22 Kritisch zur Neujustierung insbes. Weber-Grellet, BB 2016, 2220: „Bilanzsteuerrechtliches Trauerspiel“; als Überblick auch Horst, DB 2017, 1349; Paus, NWB 2017, 1349; Kanzler, FR 2016, 907 f.; Guschl, DStZ 2017, 483; Levedag, GmbHR 2016, 659; Levedag, GmbHR 2017, 108; G. Kraft/C. Kraft, NWB 2016, 2031. Anschaulich zu den verschiedenen Gestaltungsvarianten auch Strahl, KÖSDI 2017, 20449–20453. 23 Vgl. ergänzend zur Tragung von Aufwendungen im eigenen Interesse zwischen Ehegatten BFH v. 21.2.2017 – VIII R 10/14, BStBl. II 2017, 819 = EStB 2017, 266. Vgl. dazu auch Schiffers/Köster, DStZ 2017, 794, 799 mit Hinweis auf die „Sinnhaftigkeit“ eines Mietvertrags.

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ob und ggf. in welchem Umfang eine Einlage von Grundstück und Gebäude zum Teilwert in das Einzelunternehmen erfolgen kann (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG).

3. Lösungshinweise: BFH vom 9.3.2016 – X R 46/14 sowie BMF-Schreiben vom 16.12.2016 a) Grund und Boden sowie Gebäude als eigenständige Wirtschaftsgüter Zivilrechtlich betrachtet stellt das mit dem Grund und Boden verbundene Gebäude dessen wesentlichen Bestandteil gem. § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Steuerlich betrachtet handele es sich dagegen bei Grund und Boden sowie Gebäude um getrennte Wirtschaftsgüter. Dies kommt bereits handelsrechtlich im Ausweis des Bilanzpostens „Bauten auf fremden Grundstücken“ im Gliederungsschema des § 266 Abs. 2 Buchst. A II. 1. HGB zum Ausdruck. Beim Unternehmerehegatten spricht man von Fremdbauten.24 b) Wirtschaftliches Eigentum am Gebäude beim Nichtunternehmer Es stellt sich die Frage des wirtschaftlichen Eigentums am Gebäude beim Unternehmerehegatten (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Laut BFH/BMF steht das vom Unternehmerehegatten errichtete/finanzierte Gebäude im zivilrechtlichen und auch im wirtschaftlichen Eigentum des Nichtunternehmerehegatten, sofern keine besonderen Wertersatzansprüche bei Beendigung des Nutzungsverhältnisses vereinbart sind und auch nicht bereits gesetzlich – wie im Ehegattenfall – bestehen. Insoweit wird durch die Gebäudeerrichtung auf Kosten des Unternehmerehegatten ein schenkungsteuerrelevanter Tatbestand ausgelöst. Eine wichtige „Stellschraube für Gestaltungsüberlegungen“ in Ehegattenfällen, aber auch in anderen Fallkonstellationen, ist deshalb die Ausgestaltung der Nutzungsüberlassung (mit oder ohne vertragliche Ersatzansprüche des Nutzenden bei Vertragsbeendigung). In Konzernfällen werden schon unter Arm’s Length-Aspekten üblicherweise Ersatzansprüche vereinbart werden müssen, was dann letztlich zur wirtschaftlichen Eigentümerstellung am Fremdbau führen wird. Dies alles muss dann et-

24 Vgl. als Überblick Adrian in Prinz/Kanzler (Hrsg.), NWB-Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht2, Rz. 3448–3453.

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wa bei der Fremdveräußerung der gesamten Immobilie konsequent im Hinblick auf eine jeweilige Capital Gains-Besteuerung beim Eigentümer sowie beim wirtschaftlichen Inhaber des Fremdbaus umgesetzt werden. Natürlich kommt bei voller Kostentragung durch den Nichtunternehmer auch die bloße Vereinbarung eines Mietverhältnisses in Betracht. c) Besondere Aufwandsverteilungsposten (ohne Stille ReservenPotential beim Unternehmerehegatten) Nach dem jüngsten Judikat des BFH vom 9.3.2016 muss der Unternehmerehegatte für die von ihm getragenen Aufwendungen zur Anschaffung und Herstellung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden mangels wirtschaftlichen Eigentums einen „Aufwandsverteilungsposten“ in seiner Bilanz bilden. Dies ist dem objektiven Nettoprinzip geschuldet. Der konkrete Bilanzposten dafür bleibt allerdings sowohl in der BFH-Rspr. als auch im BMF-Schreiben vom 16.12.2016 offen. Es dürfte sich um eine Art aktiven Rechnungsabgrenzungsposten handeln, ohne dass dessen konkrete Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Denn ein Wirtschaftsgutcharakter kommt dem Aufwandsverteilungsposten nicht zu; er ist auch nicht einem Wirtschaftsgut gleichzustellen. Stille Reserven können insoweit nach Meinung des BFH nicht entstehen. Der BFH formuliert dies in der Entscheidung vom 9.3.2016 in seinem Leitsatz 2 wie folgt: „Die vom Unternehmer-Ehegatten für die typisierte Verteilung seines Aufwands gebildete Bilanzposition kann nicht Sitz stiller Reserven sein“.

Eine Aufwandsverteilung über die Nutzungsdauer des Fremdbaus kommt nur nach den „normalen Abschreibungsregelungen“ im Privatvermögen in Betracht (lineare/degressive Gebäude-AfA im Privatvermögen, § 7 Abs. 4 und 5 EStG). Die Bildung einer § 6b EStG-Rücklage ist im Zusammenhang mit dem Aufwandsverteilungsposten unzulässig. Entsprechendes gilt für anderweitige, nur für Betriebsvermögen geltende Subventionsnormen, da dies ansonsten zu einer nicht gewollten Stille-ReservenBildung beitragen könnte. Da im zugrunde gelegten Sachverhalt V das Fremdgebäude mit seinen Herstellungskosten als wirtschaftlicher Eigentümer aktiviert hat und insoweit ggf. „überhöhte Abschreibungen“ in der Vergangenheit geltend gemacht worden sind, besteht nach Meinung des BMF ein Bilanzberichtigungsgebot in der Schlussbilanz des ersten offenen Veranlagungszeitraums mit einem fünfjährigen Verteilungswahlrecht für „Entstri-

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ckungsgewinne“ im Erstjahr (so Rz. 4/5 BMF vom 16.12.2016). Aus steuersystematischer Sicht stellt sich die Frage, ob das neue, vom BFH gefundene Konzept des Aufwandsverteilungspostens „gelungen“ ist. Vom Ergebnis her soll dadurch das objektive Nettoprinzip zur Geltung gebracht werden, so dass der BFH insoweit durch einen „Kunstgriff“ bei der Auslegung für eine wirtschaftlich sachgerechte Wirkung des Sachverhalts Sorge tragen will. Sicherlich wird die Kritik an dieser Neujustierung durch den X. Senat des BFH auch zukünftig nicht verstummen. Für die Praxis wird man BFH-Urteil und BMF-Schreiben aber sicherlich folgen müssen. d) Eigentumsübergang an Grundstück und Gebäude bei vorweggenommener Erbfolge: aus „Fremdgebäude“ wird „eigenes Gebäude“ Im Zuge der vorweggenommenen Erbfolge gehen der Betrieb einschließlich des ursprünglich im Privatvermögen befindlichen Grundstücks mit dem Gebäude als wesentlicher Bestandteil auf A über. Dabei werden Grundstück und Fremdgebäudeteile mit dem Teilwert in das Betriebsvermögen eingelegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Der Teilwert des eingelegten Gebäudes ist Bemessungsgrundlage der AfA, ohne dass die während der Nutzung zu betrieblichen Zwecken berücksichtigten Abschreibungen vom Einlagewert abzuziehen sind (so ausdrücklich Rz. 8 des BMF-Schreibens, gestützt auf den Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG). Der BFH erkennt damit zwar die möglicherweise „doppelte Abschreibungswirkung“ der Teilwerteinlage an, sieht sich aber an etwaigen Korrekturen wegen des Fehlens von Rechtsgrundlagen gehindert. Der noch im Betriebsvermögen des früheren Unternehmerehegatten verbliebene Aufwandsverteilungsposten für die Fremdbauten sollte erfolgsneutral auszubuchen sein. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Steuergesetzgeber die insoweit entstehende „Doppelabschreibung“ weiterhin akzeptieren wird oder eine gesetzliche Abschreibungseinschränkung schafft. Sofern das Gebäude auf fremdem Grund und Boden allerdings im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge nicht mitübertragen wird, geht der Aufwandsverteilungsposten gem. Rz. 6 des BMF-Schreibens vom 16.12.2016 auf den Rechtsnachfolger über. Dies ist im Ergebnis m.E. zutreffend. Schließlich spricht Rz. 8 des BMF-Schreibens vom 16.12.2016 vom Eigentumsübergang an Grund und Boden/Gebäude „durch Einzeloder Gesamtrechtsnachfolge“ auf den Betriebsinhaber. In Konzernstruk-

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turen können insoweit möglicherweise auch Umwandlungs- und Einbringungsfälle betroffen sein.

IV. Due Diligence-Aufwand bei geplanten Akquisitionsmaßnahmen: Unklare Aktivierungspflicht – Fall 4 1. Vielgestaltiger Due Diligence-Aufwand im Rechtsstreit Das M&A-Transaktionsvolumen in Deutschland weist seit Jahren eine erhebliche Größenordnung auf. Deutsche Mittelständler und Konzerne sind und waren in der Vergangenheit häufig auf der Suche nach geeigneten Zielunternehmen (= Targets), teils mit, teils ohne Erfolg. Auf der anderen Seite haben sich insoweit auch steuerausländische Unternehmen auf dem deutschen M&A-Markt betätigt. In den verschiedenen Phasen eines (geglückten oder gescheiterten) Unternehmenskaufs fallen durchweg erhebliche Aufwendungen für zivilrechtliche, steuerliche und betriebswirtschaftliche Beratung an, die nicht selten im Rahmen von Betriebsprüfungen in Fällen eines Share Deals mit dem Ziel einer Aktivierung als Anschaffungsnebenkosten der Beteiligung aufgegriffen werden. Die Rechtslage dazu ist nicht abschließend geklärt. Eine neue restriktive Entscheidung des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23.2.2017 erzeugt auch in Deutschland Diskussionsbedarf. Es sollen die relevanten Beurteilungsgesichtspunkte dargestellt werden.25 Konkret im praktischen Rechtsstreit sind häufig sog. Due DiligenceKosten (DD-Kosten), die allerdings in vielfältigen Ausgestaltungsformen denkbar sind: –

Der Begriff der Due Diligence ist nicht gesetzlich definiert. Ein fest definierter Rechtsrahmen für Due Diligence-Prüfungen besteht daher nicht. Ansatz und Umfang einer DD sind vielmehr stark einzelfallabhängig. Im Allgemeinen versteht man unter einer DD die sorgfältige Prüfung und Analyse eines Unternehmens im Zuge einer geplanten Akquisitionsmaßnahme im Hinblick auf seine wirtschaftlichen, rechtlichen, steuerlichen und finanziellen Verhältnisse. Die DD wird meist durch den potentiellen Käufer eines Unternehmens vorgenom-

25 Vgl. eingehend Kahle/Hiller, ifst-Schrift Nr. 495 (2014); Ditz/Tcherveniachki, DB 2011, 2676; Prinz/Ludwig, DB 2018, 213; Kraft/Hohage, DK 2018, 59. Die Entscheidung des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs v. 23.2.2017 hat das Aktenzeichen Ro 2016/15/0006.

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men, es gibt allerdings auch Verkäufer-DDs. Üblicherweise sollen die Risiken des Zielunternehmens aufgedeckt werden. Zudem ist die DD häufig Grundlage der Wertfindung aus Erwerbersicht. Zusammengefasst dient eine DD deshalb der Entscheidungsfindung des potentiellen Erwerbers, wobei unterschiedlicher „Bindungswille“ hinsichtlich der tatsächlichen Realisierung des Erwerbsvorgangs besteht.26 –

Es gibt unterschiedliche Formen und Zeitpunkte einer DD. Sie kann teils zu Beginn des Transaktionsprozesses, teils in einem relativ späten Zeitstadium erfolgen. Der endgültige Kaufpreis wird auch bei erfolgreicher Akquisition üblicherweise erst nach Abschluss der DD und Analyse des DD-Reports zwischen den Parteien festgelegt/vereinbart.27



Schließlich ist auch die Gebührengestaltung einer DD sehr unterschiedlich. Teils werden Gebühren „gedeckelt“, falls die Transaktion scheitert, teils werden Gebühren auch auf den Kaufpreis angerechnet. Es ist nicht zwingend, dass die Erwerbsgesellschaft selbst stets die DD-Gebühren leistet, ggf. werden diese auch durch die Mutter- oder Schwestergesellschaften im Konzern erbracht mit etwaigen Folgen für verdeckte Einlagen bzw. verdeckte Gewinnausschüttungen.28

2. Sachverhalt: DD-Aufwand bei Share Deal nach Abschluss eines Letter of Intent (LoI) Die A-GmbH möchte den Ausbau ihrer Marktstellung im Telekommunikationsbereich durch Akquisitionen verbessern und beauftragt einen Berater in 5/01, entsprechende „Targets“ zu identifizieren. Die für das Jahr 01 in Rechnung gestellten Honorare werden von der A-GmbH als Beratungsaufwand verbucht. Nach einem längeren Auswahlprozess schlägt der Berater zwei „potentielle Erwerbskandidaten“ vor. Mit beiden Unternehmen (inländische/ausländische Kapitalgesellschaft) wird in 4/02 ein Letter of Intent abgeschlossen, in dem strikte Vertraulichkeit mit einem Zeit- und Step-Plan für die beiderseitige Entscheidungsfindung vereinbart wird. Die deutlich auseinanderliegenden Preisvorstellungen werden genannt, der Kaufpreis selbst bleibt ausdrücklich offen. Dem LoI kommt

26 Vgl. Bea/Helm/Schweitzer, BWL-Lexikon, 2009, Due Diligence. Zum Status Quo der Due Diligence in Deutschland vgl. Knauer/Herrmann/Wagener, WPg. 2017, 1274. 27 Vgl. Kahle/Hiller, DB 2014, 504. 28 Vgl. zu weiteren Details Pyszka, DStR 2010, 1468.

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nach der Vertragsvereinbarung der Parteien ausdrücklich keine rechtliche Bindungswirkung zu. Die anschließende DD bei Target 1 deckt erhebliche Risikopositionen auf. Der Erwerb kommt nicht zustande. Der Honoraraufwand beträgt rund 100 000 Euro. Die DD bei Target 2 bestätigt dagegen die Erwartungen der A-GmbH. Der Kaufvertrag über den Erwerb von 80 % der Anteile wird in 12/02 abgeschlossen. Das Honorarvolumen für DD 2 beträgt rund 150 000 Euro. Beide Honorarnoten werden von der A-GmbH als Betriebsausgaben verbucht. Die Betriebsprüfung greift dies auf und aktiviert beide Beträge in der Prüferbilanz. Die anschließende Teilwertabschreibung für den Honoraraufwand DD 1 wird außerbilanziell korrigiert gem. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG. Dies alles zu Recht?

3. Lösungshinweise zur Aktivierungsfrage a) Umfang der Anschaffungskosten einer Beteiligung Die Beteiligung an einer inländischen/ausländischen KapGes. ist bilanziell als Vermögensgegenstand/Wirtschaftsgut zu qualifizieren. Abweichendes gilt bei einem steuerlichen Asset Deal in Gestalt eines PersGes.Erwerbs, der den Regeln transparenter Mitunternehmerbesteuerung (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) folgt; handelsbilanziell liegt allerdings auch insoweit ein Vermögensgegenstand vor. Die Zugangsbewertung erfolgt mit den „Anschaffungskosten der Beteiligung“ gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG im Anlagevermögen. Eine eigenständige steuerbilanzielle Definition des Anschaffungskostenbegriffs fehlt. Wegen der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB erfolgt deshalb ein Rückgriff auch für steuerbilanzielle Zwecke auf § 255 Abs. 1 HGB. Dabei gilt der Anschaffungskostenbegriff für Gewinn- und private Überschusseinkünfte (insbes. im V+V-Bereich) im Grundsatz gleichermaßen. Durch Aktivierung der Anschaffungskosten soll die Erfolgsneutralität des Anschaffungsvorgangs im Hinblick auf bloße Vermögensumschichtungen sichergestellt werden. Anschaffungskosten sind laut § 255 Abs. 1 HGB sinngemäß: Sämtliche Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben, soweit sie diesem einzeln zugeordnet werden können; eine Gemeinkostenaktivierung erfolgt nicht. Nebenkosten und nachträgliche Anschaffungskosten gehören ebenfalls zu den Anschaffungskosten. Ein-

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zelne zuzuordnende Anschaffungspreisminderungen sind abzusetzen. Im Einzelnen lässt sich zum Anschaffungskostenbegriff festhalten:29 –

Es besteht ein finaler einzelkostenbezogener und durch einen Veranlassungszusammenhang geprägter Anschaffungskostenbegriff. Bei seiner Auslegung sind wirtschaftliche Gesichtspunkte entscheidend.



Zum Kaufpreis im engeren Sinne kommen für die Anschaffungskostenermittlung die Nebenkosten des Erwerbs, wie typische Makler-, Gutachter- oder Bewertungskosten, hinzu.



Aufwendungen für „bloße Maßnahmen zur Vorbereitung einer noch gänzlich unbestimmten und später vielleicht eventuell noch zu treffenden Erwerbsentscheidung“ bleiben Aufwand und sind nach Maßgabe des Vorsichtsprinzips nicht aktivierungsfähig. Dies gilt etwa für Kosten einer Marktstudie.



Das entscheidende Abgrenzungskriterium für DD-Aufwand ist die Frage, ob die Aufwendungen nach einer „grundsätzlich gefassten Erwerbsentscheidung“ entstanden sind. Eine endgültige, kaum widerrufliche Erwerbsentscheidung muss dies nicht sein. Durch dieses Abgrenzungskriterium gewinnen die verschiedenen Phasen, die ein Akquisitionsprozess üblicherweise durchläuft, an Bedeutung.30

b) Rechtsprechung mit Leitliniencharakter: Grundsätzliche Erwerbsentscheidung, Bedeutung des LoI Die Leitentscheidung in der Praxis für die Beurteilung von DD-Aufwand ist die des FG Köln vom 6.10.2010.31 Das FG gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass die Kosten einer DD regelmäßig aktivierungspflichtige Nebenkosten der Anschaffung einer Beteiligung sind, da sie nach Fassung der grundsätzlichen Erwerbsentscheidung anfallen. Dies ist in seiner Undifferenziertheit meines Erachtens letztlich problematisch. 29 Vgl. BFH v. 27.3.2007 – VIII R 62/05, BStBl. II 2010, 159 = FR 2007, 966 im Anschluss an BFH v. 20.4.2004 – VIII R 4/02, BStBl. II 2004, 597 = FR 2004, 830. Beide Urteile sind zu den privaten Überschusseinkünften ergangen. Zur Neuakzentuierung nachträglicher Anschaffungskosten bei Darlehensverlusten/ Bürgschaftsinanspruchnahme nach Aufhebung des Eigenkapitalersatzrechts vgl. BFH v. 11.7.2017 – IX R 36/15, DStR 2017, 2098 = FR 2017, 1152. 30 Zu den Einzelschritten des Akquisitionsprozesses vgl. Kahle/Hiller, DB 2014, 500 (505): Planung, LoI, DD, Kaufvertragsverhandlungen, Kaufvertragsabschluss, Integration. 31 FG Köln v. 6.10.2010 – 13 K 4188/07, EFG 2011, 264, rkr., mit Anm. Trossen.

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Das Gericht zieht bei seiner Würdigung des Sachverhalts die beim Gericht vorhandene Lebenserfahrung heran. Danach sei die Erwerbsentscheidung regelmäßig vor einer DD, z.B. bei Abschluss eines Vorvertrags (Letter of Intent), gefallen. Die bloße Möglichkeit der späteren Aufgabe des Entschlusses sei nicht entscheidungserheblich. Hinsichtlich des LoI führt das FG Köln aus: „Es bedarf sprachlicher Verrenkungen, um nach einem Vorvertrag die Auffassung zu vertreten, es bestehe keine grundsätzliche Erwerbsabsicht, die grundsätzliche Erwerbsentscheidung sei nicht gefallen.“ M.E. ist fraglich, ob diese auf die vermeintliche „gerichtliche Lebenserfahrung“ gestützte Tatsachenwürdigung sachgerecht ist. Wichtig dabei ist: Ein LoI ist kein rechtlich normiertes Vertragsinstrument und weist daher vielfältige Ausgestaltungsformen auf. Der rechtliche Bindungswille der Vertragsparteien kann in diesem Transaktionsstadium deshalb unterschiedlich stark ausgeprägt sein. So gibt es etwa „weiche“ oder „harte“ LoIs (mit oder ohne Schadenersatz und Erfüllungsansprüche in Bezug auf den Hauptvertrag). Dementsprechend ist zu unterscheiden. Ein rechtlich bindender Vorvertrag entsteht durch einen LoI aber auf keinen Fall. Auch das Schrifttum ist überwiegend sehr kritisch hinsichtlich der Aktivierung von DD-Aufwendungen.32 In weitgehender Übereinstimmung mit dem FG Köln-Judikat urteilt der Österreichische Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 23.2.2017 in Aufhebung einer Bundesfinanzgerichtsentscheidung (BFG) vom 3.6.2015 (Aktenzeichen: RV/2100567/2015): Danach sind Kosten einer DD-Prüfung zu aktivieren, „wenn sie nach einer grundsätzlichen (wenn auch noch nicht unumstößlich) gefassten Erwerbsentscheidung anfallen und es sich nicht lediglich um eine Maßnahme zur Vorbereitung einer noch unbestimmten, erst später zu treffenden Erwerbsentscheidung handelt …“. Diese Beurteilung steht in weitgehender Übereinstimmung mit der deutschen Rspr. Aber auch nach Meinung der österreichischen Literatur ist eine Aktivierung in Abhängigkeit von den konkreten Umständen des LoI und der Ausgestaltung der DD-Maßnahmen nicht zwingend.33 32 Vgl. Kahle/Hiller, DB 2014, 500. Zu den verschiedenen Ausgestaltungsformen von LoIs vgl. Semler in Hölters (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskauf8, 797 f. 33 Vgl. Panholzer/Mitterlehner, WTS Journal 3/2017, 46; Renner, SWK 2017, 579 mit der plakativen Unterscheidung pre-decision costs/post decision costs; Pinetz/Mayer, ecolex 2017, 288.

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Im Übrigen ist bemerkenswert: Nach IFRS 3.53 sind „acquisition-related costs“ (also auch DD-Aufwendungen) immer als Aufwand zu behandeln, unabhängig davon, ob sie direkt dem Erwerbsvorgang zurechenbar sind oder nicht. Dies ergibt sich aus dem Kernprinzip des beizulegenden Zeitwerts. Im Ergebnis wird deshalb in den IFRS „vorsichtiger“ bewertet als nach den auch für das Steuerbilanzrecht geltenden handelsrechtlichen GoB.34 c) Keine Aktivierung vergeblichen Due Diligence-Aufwands Im beschriebenen Sachverhalt des Falls 4 führte die Due Diligence-Prüfung bezogen auf Target 1 letztlich dazu, dass der Erwerb nicht zustande kam. Es handelt sich insoweit um „vergebliche“ Due Diligence-Aufwendungen, die letztlich direkt als Aufwand in der Gewinn- und Verlustrechnung zu verbuchen sind oder (zumindest) einer Teilwertabschreibung auf die Beteiligung zugeführt werden müssen. Auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung stellt sich dann bei Kapitalgesellschaften als potentielle Erwerber mit qualifizierter Beteiligung (unmittelbar/mittelbar mehr als 25 %) die Frage, ob eine außerbilanzielle Korrektur gem. § 8b Abs. 3 KStG vorzunehmen ist. Dies wird vom BFH in seiner Entscheidung vom 9.1.201335 abgelehnt. Danach unterfallen vergebliche Kosten für sog. Due Diligence-Prüfungen aus Anlass eines gescheiterten Erwerbs einer Kapitalbeteiligung nicht dem Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 KStG. Der BFH lässt dabei allerdings die Frage offen, ob der DD-Aufwand auch bei gescheitertem Beteiligungserwerb zunächst hätte aktiviert werden müssen (so die FinVerw.). Mangels Erwerb eines Wirtschaftsguts kommt m.E. letztlich keine Aktivierung in Betracht.36 d) Aktivierungsgrenzen bei erfolgreichem Beteiligungserwerb Die Feststellung, ob die DD-Aufwendungen zeitlich nach der „grundsätzlichen Erwerbsentscheidung“ angefallen sind, muss die gesamten Tatumstände des Einzelfalls berücksichtigen. Dies ist letztlich keine Rechts-, sondern Tatfrage. Bei der Würdigung des FG Köln-Falls vom 6.10.2010 ist als Besonderheit zu beachten: Der entscheidungsrelevante LoI wurde vom Unternehmen – aus welchen Gründen auch immer – 34 Vgl. Senger/Brune, Beck IFRS-Hdb.5, § 34 Rz. 202. 35 BFH v. 9.1.2013 – I R 72/11, BStBl. II 2013, 343 = FR 2013, 862. 36 Vgl. dazu auch Graf, JbFSt. 2012/2013, 376–385; Ditz/Tcherveniachki, DB 2013, 1634; Bünning/Lorberg, BB 2017, 2859–2861; deutlich kritischer allerdings Ettinger, Ubg. 2017, 196.

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nicht vorgelegt. Das Gericht hat diesen Umstand dann zu Lasten des klagenden Unternehmens gewertet. Die vom FG zugelassene Revision wurde nicht eingelegt. Schon unter diesem Gesichtspunkt lassen sich die Ausführungen in der FG Köln-Entscheidung nicht über den Einzelsachverhalt hinaus verallgemeinern. Eine DD kann in sehr unterschiedlichen Phasen eines Akquisitionsprozesses anfallen. Teils dient sie noch weitgehend offen zur Vorbereitung einer Entscheidungsfindung, teils erfolgt sie nach grundsätzlichem Erwerbsentschluss. Deshalb ist eine differenzierte Einzelfallentscheidung erforderlich. Wird beispielsweise eine sog. Red Flag-DD37 anberaumt, die meist sehr früh im Transaktionsprozess erfolgt und letztlich nur „wichtige Knackpunkte“ in den Blick nimmt, so ist die letztendliche Erwerbsentscheidung noch völlig ergebnisoffen. Sie gehört insoweit zur Kategorie der „weichen DDs“. Insoweit sollten meines Erachtens Betriebsausgaben vorliegen, die nicht aktiviert werden dürfen. Das alleinige Abstellen auf den Zeitpunkt des LoI als Entscheidungskriterium für die Aktivierung ist deshalb unzureichend. e) Gestaltungsaspekte Bei Abwicklung und Beurteilung der DD-Aufwendungen im Hinblick auf ihre Aktivierungsfähigkeit im Zusammenhang mit einem denkbaren Beteiligungserwerb ist Folgendes zu beachten: –

Die verschiedenen Schritte des Erwerbs- und Verhandlungsprozesses sind sorgsam zu dokumentieren. Dabei sollte nicht zuletzt auch unter Corporate Governance-Aspekten und im Hinblick auf etwaige Gremienbeschlüsse der Zeitpunkt der Erwerbsentscheidung fixiert werden.



Die Rahmenbedingungen und der Verlauf der Auftragsvergabe zur DD-Prüfung sollten ebenfalls zeitlich und inhaltlich dokumentiert werden.



Betroffene Unternehmen sollten sich bereits im Vorfeld der Akquisition klar darüber sein, ob etwaige Bewertungs- oder Strukturierungsgutachten, Gremienprotokolle und Beschlüsse bei späteren Betriebsprüfungen vorgelegt werden sollen. Es ist situationsabhängig, ob es sich um Unterlagen handelt, die „für die Besteuerung von Bedeutung sind“ (§ 146 Abs. 1 Nr. 5 AO).

37 Vgl. Kaiser/Klinger/Pernegger, WPg. 2017, 966 (969).

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„Vermischte“ Rechnungsstellung im Hinblick auf die diversen Beratungsaufträge, auch bei identischen Partnern, sollten vermieden werden. Unter Umständen sind Zwischenabrechnungen anzufordern zur besseren Aufteilung der Gesamthonorare.38 Spesen sollten dabei stets getrennt abgerechnet werden. Laut FG Köln vom 6.10.2010 liegen insoweit Betriebsausgaben vor.

V. Passive Rechnungsabgrenzungsposten und Realisationsprinzip – Fall 5 1. Einige Grundlagen zu aktiven/passiven RAP (§ 5 Abs. 5 EStG) Aktive/passive Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) dienen der periodengerechten Erfolgsabgrenzung bei bilanzieller Gewinnermittlung (§ 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1 EStG). Sie sollen als Folge des Realisationsprinzips nach Maßgabe eines dynamischen Bilanzverständnisses eine willkürliche Gewinnbeeinflussung über rein pagatorische Vorgänge vermeiden. Ungeachtet langjähriger Rechtserfahrungen mit aktiven/passiven RAP muss sich die Rspr. kontinuierlich wegen ihrer Vielschichtigkeit immer wieder mit Detailfragen von RAP befassen.39 Als wichtige Grunderkenntnisse zu RAP lassen sich festhalten: –

Steuerbilanzielle Rechtsgrundlage ist § 5 Abs. 5 EStG, der für aktive und passive RAP tatbestandssymmetrisch formuliert ist und weitgehend den Wortlaut der handelsbilanziellen Regelungen in § 250 Abs. 1 und 2 HGB übernimmt. Vor dem Abschlussstichtag getätigte Ausgaben stellen einen aktiven RAP dar, soweit sie einen zeitlich bestimmbaren späteren Aufwand darstellen. Vor dem Abschlussstichtag erlangte Einnahmen sind ein passiver RAP, soweit sie erst später einen betrieblichen Ertrag darstellen. Ungeachtet des Maßgeblichkeitsprinzips hielt der historische Steuergesetzgeber eine eigenständige Kodifikation in § 5 Abs. 5 EStG zur Beseitigung von Rechtsunsicherheiten für geboten.40

38 Vgl. etwa Peter/Graser, DStR 2009, 2032–2036. 39 Vgl. als Überblick Prinz in Prinz/Kanzler, NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht2, Rz. 4930, 6380; Marx/Löffler, DB 2014, 2765; Priester, DB 2016, 1025. 40 Vgl. BT-Drucks. V/3187, 3, 4; „Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes“ v. 20.5.1969.

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Für RAP besteht ein Aktivierungs-/Passivierungsgebot, kein Wahlrecht. Nur in Fällen von geringer Bedeutung kann auf eine aktive/passive Rechnungsabgrenzung unter wirtschaftlichen Wesentlichkeitsaspekten verzichtet werden (vereinfachungsbedingte Ausnahme zum Wesentlichkeitsgebot). Zudem sind RAP keine Wirtschaftsgüter, sie können deshalb weder bewertet noch abgeschrieben werden. Vielmehr werden sie nach erstmaliger steuerbilanzieller Erfassung laufzeitentsprechend verteilt bzw. aufgelöst.



Wesensimmanent und besteuerungspraktisch häufig streitig ist das „zeitliche Bestimmtheitserfordernis“ für die zu erbringende Gegenleistung. Dabei ist noch nicht abschließend durch den BFH entschieden, ob das Zeitkriterium für aktive und passive RAP ungeachtet des Imparitätsprinzips identisch auszulegen ist. Im Übrigen sind RAP ein „Sammelbecken“ völlig unterschiedlicher Geschäftsvorfälle und deshalb mitunter schwer zu greifen. Die vorzufindenden Gestaltungsvarianten reichen etwa von den Signing Fees im Profifußball bis hin zu sog. Step-down-Geldern, darunter werden Darlehen mit im Zeitablauf sinkenden Zinsen verstanden.

2. BFH vom 15.2.2017 – VI R 96/13: Betrieblicher Entgeltbezug für zeitlich unbegrenzte Verpflichtung a) Sachverhalt Der gewerblich tätige Einzelunternehmer U (Bilanzierung nach § 4 Abs. 1 EStG) vereinbart mit seiner Kommune, auf die ursprünglich geplante Erweiterung seines Betriebs auf vorhandenem Grundbesitz im Interesse der Ansiedlung von Neuinvestoren dauerhaft gegen eine einmalige Entschädigungszahlung zu verzichten. Darüber hinaus wird ihm vertraglich für die geplante Errichtung einer Biogasanlage ein öffentlicher Zuschuss zugesagt. Daraufhin verkauft U seine nicht mehr benötigten Grundstücksparzellen an Neuinvestoren und erhält Ende 01 die vereinbarte Einmalzahlung, die er als erhaltene Einnahme vor dem Abschlussstichtag steuerbilanziell in einen passiven RAP einstellt. Er beabsichtigt, den passiven RAP über 25 Jahre erfolgswirksam aufzulösen. Die Finanzverwaltung lehnt dies im Rahmen der anhängigen Betriebsprüfung ab. Zu Recht?

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b) Lösungshinweise Der Sachverhalt ist der Entscheidung des BFH vom 15.2.2017 – VI R 96/ 1341 nachgebildet. In concreto befasst sich der BFH in dieser Entscheidung allerdings mit einem buchführenden Landwirt, ohne dass dies die Bedeutung des Judikats für allgemeine Bilanzierungszwecke einschränkt. Streitjahre im BFH-Fall sind 2005/2006. Interessant am Rande: Der bislang im Wesentlichen für das Lohnsteuerrecht zuständige VI. Senat des BFH befasst sich nach dem aktuellen Geschäftsverteilungsplan (Geltung ab 2017) auch mit land- und forstwirtschaftlichen Einkünften und dortigen Steuerbilanzierern gem. § 4 Abs. 1 EStG. Die ausführlich begründete Entscheidung ist „lehrbuchartig“ aufbereitet. Im Ergebnis bestätigt der BFH die Rechtsauffassung des Stpfl. und erkennt den passiven RAP gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG mit 25-jähriger Auflösung an. Der Leitsatz der Entscheidung lautet sinngemäß: Hat ein Stpfl. ein Entgelt für die zeitlich nicht begrenzte Verpflichtung erhalten, seinen Gewerbebetrieb nicht über den bisherigen Umfang hinaus zu erweitern, ist zur Wahrung des Realisationsprinzips ein passiver RAP zu bilden. Folgende Rechtsaspekte sind für die BFH-Beurteilung wichtig: –

Im Zentrum der BFH-Entscheidung steht die Frage, ob eine vor dem Bilanzstichtag vertraglich eingegangene Unterlassungsverpflichtung, die eine Betriebserweiterung für die Zukunft ausschließt und für die eine Einmalentschädigung gezahlt wird, das Tatbestandsmerkmal „bestimmte Zeit“ erfüllt. Im Ergebnis bejaht der BFH dies, da auch eine „immerwährende“ Duldungs- und Unterlassungspflicht zeitlich bestimmt ist, weil feststeht, dass sie niemals enden wird und deshalb ein sofortiger Erfolgsausweis nicht sachgerecht wäre. Dabei stellt der BFH den wirtschaftlichen Gehalt der rechtlichen Vertragsverpflichtung in den Mittelpunkt. Da der betroffene Einzelunternehmer eine qualitativ gleichbleibende Dauerverpflichtung eingegangen ist und er dafür ein Einmalentgelt erhalten hat, handelt es sich nicht um eine vor dem Abschlussstichtag bereits vollständig vollzogene Leistung. Die Einnahme liegt vor dem Abschlussstichtag, der Ertrag daraus wird aber erst mit der Erfüllung der Unterlassungsverpflichtung nach dem Abschlussstichtag erlangt. Zur Abgrenzung: Wird von einem Stpfl. etwa ein Verwertungsrecht veräußert, so ist für das dafür erzielte Ent-

41 BFH v. 15.2.2017 – VI R 96/13, BStBl. II 2017, 884 = FR 2017, 1005. Zu Urteilsanmerkungen vgl. Heyd, BB 2017, 1842; Handor, DStRK 16/2017, 235; Weber-Grellet, NWB 2017, 1010; Lüdenbach, StuB 2017, 752.

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gelt, in welcher Form auch immer es bezogen wird, kein passiver RAP möglich. Denn der Gewinn aus dem Grundgeschäft ist unabhängig von späteren Kaufpreiszahlungen realisiert.42 Die Beurteilung durch den BFH im Zusammenhang mit der dauerhaften, aber dessen ungeachtet zeitlich bestimmbaren Unterlassungsverpflichtung erscheint auch unter Leistungsfähigkeitsaspekten zutreffend, da das vor dem Abschlussstichtag erzielte Einmalentgelt erst durch das spätere Erbringen der Unterlassungsleistung „verdient“ wird. Eine Direktversteuerung des Einmalentgelts würde daher gegen das auch steuerbilanziell geltende Realisationsprinzip verstoßen. –

Der BFH bestätigt in seiner Entscheidung die erfolgserhöhende Verteilung des vor dem Abschlussstichtag erzielten Einmalentgelts auf 25 Jahre linear entsprechend der Ermittlung des Kapitalwerts einer Jahresvergütung auf unbegrenzte Zeit. Das erstinstanzlich zuständige FG Nürnberg war in seiner Entscheidung vom 19.9.201343 stattdessen von einer Verteilung auf 15 Jahre – gestützt auf die sinngemäß angewandte Firmenwertabschreibung gem. § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG – ausgegangen. Dies lehnt der BFH zu Recht ab (keine analoge Anwendung sowie keine Anwendung des Rechtsgedankens von § 7 Abs. 1 Satz 3 EStG). Der Verteilungsgrundsatz des BFH lautet: Die Verteilung des passiven RAP muss erfolgen entsprechend dem Verhältnis der am Abschlussstichtag noch ausstehenden Gegenleistungen zur gesamten Gegenleistung. Der VI. Senat des BFH bezieht sich dabei auf eine ältere Entscheidung des IV. Senats vom 17.10.196844, in der auf den Kapitalwert einer ewigen Rente bei Zugrundelegung eines Zinssatzes von 4 % abgestellt wird.



Als Randaspekt der BFH-Entscheidung ist zu vermerken: Der passive RAP wurde vom Stpfl. selbst erst im Wege der Bilanzberichtigung im finanzgerichtlichen Verfahren geltend gemacht. Der BFH akzeptiert dies wegen Passivierungspflicht und ansonsten fehlerhaften Bilanzansatzes. Im Übrigen nimmt der BFH für Zwecke des passiven RAP eine schätzungsweise auf das Realisationsprinzip gestützte Aufteilung des Einmalentgelts vor. Denn im streitigen Sachverhalt wurde die Einmalzahlung nicht nur für die dauerhafte Unterlassungsverpflichtung, sondern zudem wegen der Veräußerung eines Einzelwirtschaftsguts

42 So ausdrücklich BFH v. 27.5.2015 – X B 72/14, BFH/NV 2015, 1252. 43 FG Nürnberg v. 19.9.2013 – 4 K 1613/11, EFG 2014, 906. 44 BFH v. 17.10.1968 – IV 84/65, BStBl. II 1969, 180 = FR 1969, 222.

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geleistet. Insoweit ist nur eine anteilige Passivierung des Einmalentgelts als RAP möglich. –

Schließlich ist unter Gestaltungsaspekten zu überlegen, ob die Vereinbarung einer vertraglichen Laufzeitbestimmung in einschlägigen Fällen zur Bestimmung des Auflösungszeitraums sinnvoll sein kann. In Einzelfällen wird sich eine solche Vertragsklausel empfehlen, die auch indiziell für eine sachgerechte Entgelthöhe wichtig sein kann.45

VI. Zum Schluss: Indizien zur fortschreitenden Zersplitterung unseres ökonomisch geprägten Bilanzrechts Betrachtet man die Entwicklung des Steuerbilanzrechts der letzten Jahre und die seit dem BilMoG vom 25.5.2009 fortschreitende Verselbständigung der zweistufigen steuerlichen Gewinnermittlung gegenüber der Handelsbilanz trotz verbliebener Maßgeblichkeitsverknüpfung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG), so wird eine für die Praxis sehr problematische zunehmende Zersplitterung unseres Bilanzrechts deutlich. Während mir die Beseitigung der Umkehrmaßgeblichkeit im Handelsbilanzrecht und seine durch das BilMoG ausgelöste Modernisierung im Grundsatz richtig erscheint, ist die Situation im Steuerbilanzrecht wegen der immer nur punktuell ansetzenden Abwehrgesetzgebung im Hinblick auf vermeintliche Fiskalschäden ausgelöst durch die Rspr. zunehmend verwirrend. Hinzu kommt: Das Spannungsverhältnis zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung, zwischen Gläubigerschutz und Leistungsfähigkeitsbesteuerung steigt. Natürlich hat auch die „wirtschaftliche Betrachtung“ im Bilanzrecht als ökonomisch geprägtem Rechtsgebiet ihren Raum, allerdings nur im Rahmen der Auslegung der gesetzlichen Tatbestände. Einen eigenständigen „Substance-over-Form-Grundsatz“ gibt es weder im Handels- noch im Steuerbilanzrecht. Die Judikatur des BFH, die wegweisend für die steuerteleologisch ausgerichtete Auslegung handelsrechtlicher GoB ist, löst bei den Erstellern und Abschlussprüfern von Handelsbilanzen „ansteigendes Unwohlsein“ aus, weil Vorsichtsprinzip und Gläubigerschutz mitunter andere Wertungen als das am Leistungsfähigkeitsprinzip ausgerichtete Steuerbilanzrecht verlangen. Eine „Spaltung“ der handelsrechtlichen GoB in handels- und steuerrechtliche Wirkungsbereiche kommt dabei allerdings nicht in Betracht und muss von beiden „Betrachtungsseiten“ her vermieden werden. 45 Vgl. Heyd, BB 2017, 1842; Schiffers/Köster, DStZ 2017, 794 (807).

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Als beispielhaft ausgewählte Indizien für eine fortschreitende „Zersplitterung“ des Steuerbilanzrechts im Verhältnis zur Handelsbilanz lassen sich nennen: –

Die außerbilanziell wirkende 15-jährige Aufwandsverteilung gem. § 4f EStG und der bilanziell auszuweisende Erwerbsgewinn gem. § 5 Abs. 7 EStG bei entgeltlichen Schuldübertragungen und vorhandenen stillen Lasten haben keine handelsbilanziellen Entsprechungen. Dies führt insbes. bei der Abbildung betrieblicher Altersversorgung in Handelsbilanz/Steuerbilanz zu einer weiteren Entkoppelung beider Rechenwerke. So lässt etwa das IDW in der Neufassung von RS HFA 30 (vom 16.12.2016) weder einen Erwerbsgewinn noch eine Nettobilanzierung bei schuldrechtlichen Erfüllungsübernahmen zu.46 Wie der Verfassungsrechtsstreit um die marktferne typisierte Verzinsung von 6 % gem. § 6a EStG ausgeht, bleibt abzuwarten.47 Eventuell wird der Gesetzgeber insoweit vorbeugend tätig.



Die Anzahl gläubigerschutzgeprägter Ausschüttungs-/Abführungssperren, die außerhalb der Handelsbilanz wirken, nimmt zu mit problematischen mittelbaren Folgen im Steuerrecht sowie im Tax Accounting. Zu nennen sind etwa Organschaften und die Berücksichtigung latenter Steuern. Hinzu kommt, dass die Ausschüttungs- und Abführungssperren an unterschiedlichen Stellen gesetzlich verortet sind (zu denken ist etwa an § 268 Abs. 8 HGB i.V.m. § 301 AktG, § 253 Abs. 6 HGB sowie § 272 Abs. 5 HGB) mit immer wieder neu aufflammenden Folgediskussionen.



Während das Steuerbilanzrecht in seinen Bewertungsregelungen im Grundsatz auf den handelsbilanziell geprägten Herstellungskostenbegriff zurückgreift, finden sich nun vermehrt eigenständig kodifizierte Sonderregelungen zu Herstellungskostenphänomenen, losgelöst von den GoB. Zu nennen sind § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG für sog. anschaffungsnahe Herstellungskosten sowie § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG

46 IDW Stellungnahme zur Rechnungslegung: Handelsrechtliche Bilanzierung von Altersversorgungsverpflichtungen (IDW RS HFA 30 n.F.), Rz. 103, 104a. Vgl. ergänzend auch Reitmeier/Peun/Schönberger, WPg. 2017, 813; Zwirner/ Lückemeyer, DB 2017, 743; Zwirner, StuB 2017, 218. Zur Sicht der FinVerw. vgl. BMF v. 30.11.2017 – IV C 6 - S 2133/14/10001 – DOK 2017/0978503, BStBl. I 2017, 1619 = FR 2018, 100. 47 Vgl. Beschluss des FG Köln v. 12.10.2017 – 10 K 977/17, FR 2018, 34, wonach der Rechnungszinsfuß von 6 % für Pensionsrückstellungen wegen Verfassungswidrigkeit dem BVerfG vorgelegt wird.

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für allgemeine Verwaltungskosten. Ein eigenständiger steuerbilanzieller Herstellungskostenbegriff existiert nicht, dessen ungeachtet gibt es aber minutiöse steuergesetzliche Sonderregelungen. Stringent erscheint dies nicht. Auch hat die Maßgeblichkeit mittlerweile eine Reihe steuergesetzlicher Sonderausprägungen, die in der Praxis Schwierigkeiten bereiten.48 –

Auch der steuerbilanzielle Umgang mit Wahlrechten ist zersplittert. So existiert ein eigenständiger steuerlicher Wahlrechtsvorbehalt gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, der eine Entkoppelung der Steuerbilanz von der Handelsbilanz erzwingt (etwa bei einer § 6b-Rücklage) bzw. ermöglicht (beispielsweise bei Teilwertabschreibungen unabhängig von außerplanmäßigen Abschreibungen). Andererseits wird in § 6 Abs. 1 Nr. 1b Satz 2 EStG eine deckungsgleiche Wahlrechtsausübung für allgemeine Verwaltungskosten verlangt. Schließlich erzwingt der Gesetzgeber in bestimmten Sanierungsfällen zur Minimierung von Steuerausfällen eine Wahlrechtsausübung (§ 3a Abs. 1 EStG). Ein konsistentes Bild ergibt dies nicht.



Trotz eigenständiger Bewertungsmaßstäbe für Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG) verlangt die Finanzverwaltung eine handelsbilanzielle Höchstbegrenzung in R 6.11 Abs. 3 EStR 2012, die eine steuerwirksame Aufwandszuführung zur Rückstellung kappt. Ob dies aus der Eingangsformulierung des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG, wonach Rückstellungen höchstens insbes. unter Berücksichtigung bestimmter steuerlicher Grundsätze anzusetzen sind, abgeleitet werden kann, wird die Rspr. entscheiden müssen.49 Die auch im Steuerbilanzrecht für Ansatz- und Bewertungszwecke geltenden handelsrechtlichen GoB werden an dieser Stelle für reine Fiskalzwecke genutzt, was aus meiner Sicht in Anbetracht eines eigenständig steuergesetzlichen Bewertungsrahmens kaum Sinn macht.



Schließlich ist auch die Abbildung von Bewertungseinheiten in Handels- und Steuerbilanz trotz steuerlichen Rückgriffs auf die „Ergebnisse in der handelsrechtlichen Rechnungslegung“ unklar. § 254 HGB im Handelsbilanzrecht und § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG im Steuerbilanzrecht sind trotz gemeinsamer Erstreckung auf Bewertungseinheiten in ihren Tatbeständen unterschiedlich formuliert. Auch die Frage von

48 Vgl. zu weiteren Details Prinz, StuB 2017, 689 (691 f.). S. ergänzend auch Meyering/Gröne, StuW 2018, 28. 49 Vgl. FG Rh.-Pf. v. 7.12.2016 – I K 1912/14, EFG 2017, 693, nrkr., Rev. Az. BFH XI R 46/17.

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Prinz, Aktuelle Fälle des Bilanzsteuerrechts

Korrekturen auf der zweiten Stufe der steuerlichen Gewinnermittlung ist bei Bewertungseinheiten offen. Konkrete Folgen dieses Zustands des Steuerbilanzrechts sind zunehmende Steuerfallen und Steuerrisiken, die in der Praxis des Öfteren nur schwer beherrschbar sind. Auch nimmt die Bedeutung latenter Steuern sowie des Tax Accounting zu. Vor allem der Steuergesetzgeber sollte für mehr Systemkonsistenz im Steuerbilanzrecht Sorge tragen, ohne dadurch neue Verwerfungen in der Handelsbilanz auszulösen. Natürlich müssen dabei auch mögliche Fiskalausfälle etwa durch Schaffung längerfristiger Übergangsregelungen berücksichtigt werden.

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Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Professor Dr. Roland Wacker Vorsitzender Richter am BFH, München I. Finale Verluste ausländischer Betriebstätten und EU-Recht 1. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit 2. EuGH-Urteil Timac Agro v. 17.12.2015 – C-388/14, EU:C:2015:829) a) Vorspann zur Rechtsentwicklung des § 2a EStG b) Sachverhalt EuGH Timac Agro (stark vereinfacht) c) Leitsätze d) Aus den Gründen EuGH Timac Agro e) Anmerkungen 3. Folgeurteil: BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15 (BStBl. II 2017, 709) a) Sachverhalt (verkürzt) b) Aus den Gründen (Rz. wurden beibehalten) c) Leitsätze 4. Hinweise II. Doppelstöckige Personengesellschaft – Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen II eines im Ausland ansässigen Gesellschafters

1. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, IStR 2017, 278 a) Sachverhalt b) Aus den Gründen (Auszug) 2. Anmerkungen III. Varia 1. Hinzurechnungsbesteuerung – Vorlage an EuGH – BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 a) Sachverhalt (gestrafft) b) Rechtslage gemäß AStG – bisherige Rechtsprechung des EuGH c) Erwägungen der Vorlage d) Leitsätze e) ATAD I – Anti Tax Avoidance Directive 2. Freigestellte EU-Betriebsstätten und Progressionsvorbehalt – BFH v. 26.1.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726 3. Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG – Keine Verlustberücksichtigung – BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BFHE 258, 300

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

I. Finale Verluste ausländischer Betriebstätten und EU-Recht (Anschluss an Vorjahr)

1. Symmetriethese – EU-Niederlassungsfreiheit Wird in einem DBA für ausländische Betriebstätten (im Folgenden: BS) eines im Inland ansässigen Unternehmens die Freistellung vereinbart, erstreckt sich dies nach st.Rspr. auch auf die der ausländischen BS zuzuordnenden Verluste.1 D.h.: die Verluste sind bei Einkommensteuerpflichtigen – nicht jedoch bei Körperschaften – im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen (vgl. für Drittstaaten § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 [Aktivitätsklausel] und für EU-/EWR-Staaten § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 Nr. 2 EStG). Andererseits erfuhr die Symmetriethese für in den EU-/EWR-Staaten belegene Betriebstätten nach der Rspr. des EuGH und der hierauf fußenden Einschätzung des BFH dann eine Ausnahme, wenn es sich um sog. finale Verluste handelte. Hierzu hatte der BFH noch mit Urteil vom 5.2.2014 – I R 48/112 (betr. Verkauf einer verlustträchtigen belgischen Betriebstätte einer deutschen GmbH) entschieden (LS): „1. Der Senat hält auch für … (das) DBA-Belgien daran fest, dass Deutschland für (laufende und Veräußerungs-)Verluste, die ein in Deutschland ansässiges Unternehmen in seiner in Belgien belegenen Betriebstätte erwirtschaftet, kein Besteuerungsrecht hat (sog. Symmetriethese; ständige Rechtsprechung). 2. Ein Verlustabzug kommt abweichend davon aus Gründen des Unionsrechts nur ausnahmsweise in Betracht, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat – als sog. finale Verluste – steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (Anschluss an die ständige Rechtsprechung des EuGH). Eine derartige „Finalität“ ist gegeben, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Bestätigung des Senatsurteils vom 9.6.2010 – I R 107/09, BFHE 230, 35)“.

Ganz anders nunmehr die jüngste Entscheidung des EuGH (Timac Agro). 1 Z.B. BFH v. 26.2.2014 – I R 56/12, BFHE 245, 143 = BStBl II 2014, 703 = FR 2014, 855 betr. gescheitere Betriebsstättengründung. 2 BFH v. 5.2.2014 – I R 48/11, BFHE 244, 371 = GmbHR 2014, 607.

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2. EuGH-Urteil Timac Agro v. 17.12.2015 – C-388/14, EU:C:2015:829) a) Vorspann zur Rechtsentwicklung des § 2a EStG Nach § 2a Abs. 3 EStG 1997 a.F. waren DBA-rechtlich freigestellte Betriebsstättenverluste bis 1998 unter bestimmten Voraussetzungen im Inland auf Antrag abziehbar mit der Folge, dass zukünftige Gewinne aus dieser Betriebsstätte im Inland im Weg der Hinzurechnung zu besteuern waren. Letzteres galt auch für den Fall der – so der wenig geglückte Wortlaut – späteren „Umwandlung der Betriebsstätte in eine KapGes.“ (§ 2a Abs. 4 EStG a.F.). Ab VZ 1999: die Sonderregelung des § 2a Abs. 3 EStG 1997 a.F. (begünstigende Abkommensüberschreibung) ist ab VZ 1999 – d.h. für Verluste ab dem Jahr 1999 – durch das StEntlG 1999/2000/2002 beseitigt worden. Zudem wurde durch das Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften – StBereinG 1999 – vom 22.12.1999 (BGBl I 1999, 2601) die Hinzurechnungsbesteuerung für nach § 2a EStG 1997 a.F. begünstigte Verluste bis 1998 durch die Neuregelungen jedenfalls sprachlich erheblich in § 2a Abs. 4 EStG i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997 n.F. (im Folgenden auch: EStG) erweitert. Hierzu gehörte auch die „entgeltliche Übertragung der Betriebsstätte“ (§ 2a Abs. 4 Nr. 2 EStG). b) Sachverhalt EuGH Timac Agro (stark vereinfacht) Die inländische Timac Agro GmbH unterhielt in Österreich eine BS. Diese wurde zum 31.8.2005 entgeltlich auf eine in Österreich ansässige Gesellschaft übertragen, die zum gleichen Konzern wie Timac Agro gehörte. Das FG Köln hatte mit Beschluss vom 19.2.2014 die EU-rechtliche Beurteilung dem EuGH vorgelegt: (Erste Vorlagefrage vor VZ 1999) Die in den VZ 1997 und 1998 angefallenen Verluste rechnete das FA dem Gewinn der GmbH hinzu. Die Frage ging dahin, ob dies mit EU-Recht vereinbar ist. (Zweite Vorlagefrage ab VZ 1999) Für die VZ ab 1999 stellte sich die weitere Frage, ob ein Verlust der anlässlich der Veräußerung der österreichischen BS an eine Schwestergesellschaft der GmbH anfiel, von der Bemessungsgrundlage der inländischen KSt der GmbH abgezogen werden

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kann, obgleich nach dem DBA die BS-Ergebnisse aus Österreich in der BRD freigestellt werden (Symmetriethese; s.o. 1.). c) Leitsätze „1. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, wonach, wenn eine gebietsansässige Gesellschaft eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft veräußert, die zuvor abgezogenen Verluste der veräußerten Betriebsstätte dem steuerlichen Ergebnis der veräußernden Gesellschaft wieder hinzugerechnet werden, sofern die Einkünfte einer solchen Betriebsstätte aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Mitgliedstaat des Sitzes der Gesellschaft, zu der diese Betriebsstätte gehörte, von der Steuer befreit sind. 2. Art. 49 AEUV (Anm: Niederlassungsfreiheit) ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebstätte dem Mitgliedstaat zusteht (Anm: sog. Freistellungsmethode), in dem sie belegen ist.“

d) Aus den Gründen EuGH Timac Agro Erste Vorlagefrage „27 Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist darauf hinzuweisen, dass sich Betriebsstätten, die in einem anderen als dem betreffenden Mitgliedstaat belegen sind, in Bezug auf Maßnahmen dieses Mitgliedstaats, die zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation gebietsansässiger Betriebsstätten vergleichbaren Situation befinden (Urteil Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU:C:2014:2087, Rn. 24). 28 Die Bundesrepublik Deutschland hat jedoch dadurch, dass sie den Abzug von Verlusten einer in Österreich belegenen Betriebsstätte zugelassen hat, der gebietsansässigen Gesellschaft, zu der diese Betriebsstätte gehörte, in gleicher Weise einen Steuervorteil gewährt, wie wenn die Betriebsstätte in Deutschland belegen gewesen wäre, und sie somit einer gebietsansässigen Betriebsstätte im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt (vgl. … Nordea Bank Danmark, C-48/13, EU: C:2014:2087, Rn. 24). Unter diesen Umständen ist daher die Situation einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine Betriebsstätte in Österreich besitzt, mit der

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht einer gebietsansässigen Gesellschaft, die eine Betriebsstätte in Deutschland besitzt, vergleichbar. (29 ff. Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und Rechtfertigungsprüfung; hier: ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, Kohärenz, Vermeidung von Steuerumgehung; doppelte Verlustnutzung) (46 ff. Verhältnismäßigkeitsprüfung) 52 Schließlich ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts nach den in den Rn. 55 und 56 des Urteils Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763) in Bezug auf endgültige Verluste aufgestellten Grundsätzen zu antworten, dass die Bejahung der Verhältnismäßigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hinzurechnung nicht bedeutet, dass der Mitgliedstaat, in dem die veräußernde Gesellschaft ansässig ist, die in den genannten Randnummern aufgestellten Grundsätze nicht beachten müsste. Die Hinzurechnung hat nämlich keine Auswirkung auf die Einstufung des betreffenden Verlusts. 53 Sofern die veräußernde gebietsansässige Gesellschaft nachweist, dass die hinzugerechneten Verluste endgültige Verluste im Sinne von Rn. 55 des Urteils Marks & Spencer (C-446/03, EU:C:2005:763) sind, verstößt es gegen Art. 49 AEUV, wenn es dieser Gesellschaft verwehrt wird, im Mitgliedstaat ihres Sitzes von ihrem steuerpflichtigen Gewinn die Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte abzuziehen (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, C-172/13, EU:C:2015:50, Rn. 27). 54 Zur Endgültigkeit eines Verlusts ist zum einen darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht daraus ergeben kann, dass der Mitgliedstaat, in dem die betreffende Betriebsstätte belegen ist, jede Möglichkeit des Verlustvortrags ausschließt (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, C-172/13, EU:C:2015:50, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung). 55 Zum anderen kann die Endgültigkeit eines Verlusts nur dann festgestellt werden, wenn die betreffende Betriebsstätte in dem Mitgliedstaat, in dem sie belegen ist, keine Einnahmen mehr hat, denn solange sie weiterhin – auch nur minimale – Einnahmen hat, besteht die Möglichkeit, die Verluste mit künftigen Gewinnen, die sie selbst oder ein Dritter in diesem Mitgliedstaat erzielt, zu verrechnen (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, C-172/13, EU:C:2015:50, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung). 56 Hinsichtlich der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Verluste hat die Republik Österreich angegeben, dass nicht alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung dieser Verluste in Österreich ausgeschöpft worden seien. 57 Es obliegt jedoch dem vorlegenden Gericht, zu klären, ob Timac Agro tatsächlich den Beweis erbracht hat, dass die betreffenden Verluste endgültig sind.“ Zweite Vorlagefrage „64 Hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Situationen ist in Rn. 27 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass sich eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebstätte in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht zur Vermeidung oder Abschwächung einer Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, grundsätzlich nicht in einer mit der Situation einer gebietsansässigen Betriebstätte vergleichbaren Situation befindet.“

e) Anmerkungen (1) Nimmt man das Urteil beim Wort, geht die abkommensrechtliche Vereinbarung (Freistellung) und deren Verständnis in der Rspr. des BFH (Symmetriethese) in die EU-rechtliche Vergleichbarkeitsprüfung mit der Folge ein, dass bereits tatbestandlich ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit ausscheidet.3 Die Frage nach der Rechtfertigung (z.B. gemäß der territorialen Zuordnung der Besteuerungsrechte; keine doppelte Verlustnutzung) würde sich nicht mehr stellen.4 (2) (Rechtsprechungsänderung) Diese Sicht ist neu. Sie weicht – wie eingangs angesprochen – von der früheren Rspr. des EuGH (s. z.B. Urteil Lidl Belgium) und der Entscheidungspraxis des I. Senats ab. Ob die neue Sicht konsolidiert ist, wurde5 und wird – mutmaßlich – auch aktuell im Schrifttum unterschiedlich beurteilt. Dazu sogleich zu 3.

3. Folgeurteil: BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15 (BStBl. II 2017, 709) Vorbemerkung: Die Darstellung wird hier auf die Rechtslage ab VZ 1999 (= aktuelle Rechtslage) beschränkt a) Sachverhalt (verkürzt) Die inländische B-KG (B) unterhielt eine italienische Betriebsstätte (BS), für die bezüglich der Jahre 1996–1998 gem. § 2a Abs. 3 EStG 1990/1997 abziehbare ausländische Verluste gesondert festgestellt wurden. Die Klägerin – eine GmbH – war Kommanditisten der KG. Sie veräußerte ihren 3 Ähnlich hat EuGH v. 30.6.2016 – C-176/15 (Riskin und Timmermans), IStR 2016, 732 ausgeführt, dass die Vorteile eines DBA (Anrechnung von Quellensteuer bei Dividendenbezieher) einen integralen Bestandteil der Bestimmungen des (jeweiligen) Abkommens bildet und zur allgemeinen Ausgewogenheit der Beziehungen zwischen den beiden Vertragsstaaten beiträgt. 4 Henze, ISR 2016, 397 (399 f.). 5 Bejahend – z.B. – FG München v. 31.5.2016 – 7 V 3044/15, EFG 2016, 1232, AdV, rkr; Doralt, Référendaire beim EuGH, ISR 2016, 173 (174); Müller, ISR 2016, 54; Benecke, IStR 2016, 83; Stöber, DStZ 2016, 582; ebenso wohl Schiefer, IStR 2016, 81: Ernüchterung, EuGH-Rspr. nicht konsistent; a.A. Eisendle, ISR 2016, 37; Schnitger, IStR 2016, 72: erneute Vorlage, EuGH habe Progressionsvorbehalt nicht beachtet; Pohl/Burwitz, FR 2016, 561.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

KG-Anteil zum 1.1.1999 an die Erwerberin (X-KG) und hatte wegen der bei der B zu erwartenden Verluste an die Käuferin eine Entschädigung i.H.v. … DM zu leisten, die i.H.v. … DM auf die italienische Betriebsstätte entfiel. Das FA stellte zum einen die Hinzurechnung für die Verluste der Jahre 1996–1998 sowie zum anderen die Nichtabziehbarkeit des Verlusts 1999 (anteilige Entschädigungszahlung für italienische BS) fest (§ 180 Abs. 5 Nr. 1 AO i.V.m. § 2a Abs. 4 Nr. 2 i.d.F. des § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997 n.F.). Die Klage blieb beim BFH6 in beiden Punkten ohne Erfolg. b) Aus den Gründen (Rz. wurden beibehalten) … Verlust des Jahres 1999 nicht abziehbar „33 III. … Eine Rechtsgrundlage für den Abzug der Zahlung der Klägerin an die X KG für die Übernahme des Kommanditanteils als Betriebsausgabe besteht, soweit die Zahlung auf die Betriebsstätte in Italien entfällt, weder einfach- noch unionsrechtlich. Verlust nach DBA freigestellt – kein Abzug nach § 2a Abs. 3 EStG 1990/1997 ab 1999 34 1. Der im Streitjahr (1999) angefallene Verlust der Klägerin aus der Veräußerung des Kommanditanteils ist, soweit er auf die Betriebsstätte der B in Italien entfällt, gemäß Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 24 Abs. 3 Buchst. a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und zur Verhinderung der Steuerverkürzung vom 18. Oktober 1989 (BGBl II 1990, 743, BStBl I 1990, 397) von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer ausgenommen. Der dort verwendete Begriff der ‚Einkünfte‘ schließt auch negative Einkünfte ein (…). Ein Abzug gemäß § 2a Abs. 3 EStG 1990/1997 kommt nicht in Betracht, da diese Regelung letztmals im Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden ist. Kein Anspruch aus EU-Niederlassungsfreiheit 35 2. Ein Anspruch der Klägerin, den Verlust (hier: in Gestalt der Entschädigungszahlung von … DM) als sog. finalen Verlust trotz der prinzipiellen abkommensrechtlichen Freistellung von der inländischen Bemessungsgrundlage ausnahmsweise abzuziehen, weil er in Italien definitiv nicht mehr verwertet werden 6 BFH v. 22.2.2017 – I R 2/15, BStBl. II 2017, 709 = FR 2017, 831.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht könnte, ergibt sich auch nicht aus der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit (… jetzt Art. 49 i.V.m. Art. 54 … AEUV). Bisherige Rechtsprechung zu sog. finalen Verlusten … 36 a) Allerdings entspricht es bisher ständiger Senatsrechtsprechung (unter Anschluss an die bisherige ständige Rechtsprechung des EuGH, z.B. Urteil Lidl Belgium vom 15. Mai 2008 C-414/06, EU:C:2008:278, BStBl II 2009, 692), einen Verlustabzug abweichend von der sog. Symmetriethese (abkommensrechtliche Freistellung positiver und negativer Einkünfte) aus Gründen des Unionsrechts (Niederlassungsfreiheit, Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV) zuzulassen, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (sog. finale Verluste). Der Senat hat eine derartige ‚Finalität‘ angenommen, wenn die Verluste im Quellenstaat aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden können oder ihr Abzug in jenem Staat zwar theoretisch noch möglich, aus tatsächlichen Gründen aber so gut wie ausgeschlossen ist und ein wider Erwarten dennoch erfolgter späterer Abzug im Inland verfahrensrechtlich noch rückwirkend nachvollzogen werden könnte (Senatsurteil in BFHE 244, 371 …). Darauf hat sich das FG im angefochtenen Urteil auch bezogen. vom EuGH aufgegeben 37 b) Diese Rechtsprechung wird vom EuGH inzwischen aber nicht mehr aufrecht gehalten. Im Urteil Timac Agro Deutschland (EU:C:2015, 829, BStBl II 2016, 362) hat der EuGH auf der Grundlage der Vorlagefrage des FG Köln im Beschluss vom 19. Februar 2014 13 K 3906/09 (EFG 2014, 1901) zur Veräußerung einer österreichischen Betriebsstätte an eine österreichische Kapitalgesellschaft, die zu dem gleichen Konzern gehört wie die deutsche Kapitalgesellschaft, entschieden, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden (dort: Art. 23 Abs. 1a DBAÖsterreich 2000) nicht entgegensteht, die einer gebietsansässigen Gesellschaft im Fall der Veräußerung einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte an eine gebietsfremde, zum gleichen Konzern wie die veräußernde Gesellschaft gehörende Gesellschaft die Möglichkeit verwehrt, die Verluste der veräußerten Betriebsstätte in die Bemessungsgrundlage der Steuer einzubeziehen, sofern aufgrund eines DBA die ausschließliche Befugnis zur Besteuerung der Ergebnisse dieser Betriebsstätte dem Mitgliedstaat zusteht, in dem sie belegen ist. 38 In der Urteilsbegründung hat der EuGH hierzu ausgeführt, dass im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis (…) bei der Prüfung eines Verstoßes gegen das Beschränkungsverbot nunmehr schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit der Behandlung reiner Inlandsfälle abzulehnen sei (s. dort Rz 64 f. und Rz 27). Dies hat zur Folge, dass die Prüfungsebene der Rechtfertigungsgründe (als ‚Standort‘ der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Rechtsfigur der finalen Verluste) entfallen ist. Insoweit hat der EuGH zwar die gegenläufigen Aussagen seines Urteils Marks & Spencer vom 13. Dezember 2005 C-416/03 (EU:C:2005:763, Slg. 2005, I-10837)

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht nicht ausdrücklich aufgegeben; vielmehr ist diese Entscheidung zur ersten Vorlagefrage weiterhin herangezogen worden (kritisch Niemann/Dodos, Deutsches Steuerrecht – DStR – 2016, 1057; s.a. z.B. Schlücke, FR 2016, 130). Jedoch hat er der sog. Symmetriethese die Eignung zugesprochen, eine Beschränkung von Grundfreiheiten von vornherein auszuschließen (…) und damit seine Erwägungen in der Entscheidung Nordea Bank Danmark vom 17. Juli 2014 C-48/13 (EU:C:2014:2087, ABlEU 2014, Nr. C 315, 8) fortgeführt (…). Keine Sachverhaltsprägung des EuGH-Urteil Timac Agro 39 Es ist nicht ersichtlich, dass das EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland (EU: C:2015:829, BStBl II 2016, 362) zur Vorlagefrage 2 (Freistellungsbetriebsstätte) maßgeblich dadurch geprägt war, dass nach dem zur Vorlagefrage 1 abgehandelten Vortrag der österreichischen Regierung (s. Rz 56 des Urteils) nicht alle Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Verluste in Österreich ausgeschöpft worden waren (…). Ebenso ist nicht ersichtlich, dass der im Tenor der Entscheidung des EuGH (ebenda) erwähnte Umstand der Veräußerung an eine konzernangehörige Kapitalgesellschaft (der ebenfalls Gegenstand der Vorlagefrage des FG Köln war) für die Grundsatzentscheidung zur Frage der Vergleichbarkeit von Bedeutung war (…). Letzteres vor allem deshalb nicht, weil es sich insoweit um einen Aspekt der Eingriffsrechtfertigung handelt (…). Dementsprechend hat auch das FG Köln in seinem Vorlagebeschluss in EFG 2014, 1901 hervorgehoben, es wäre ergänzend zu prüfen, ob bei konzerninternen Veräußerungen von Betriebsstätten eine Rechtfertigung der Freistellungsmethode durch die Notwendigkeit der Verhinderung von Steuerumgehungsgestaltungen gegeben sein könnte (…), da bei Übertragungen innerhalb eines Konzerns dem Steuerpflichtigen faktisch ein Optionsrecht eingeräumt werde, ob oder in welchem Jahr er einen Verlust in den Staat des Stammhauses importieren will, ohne dass eine Vermögensveränderung auf der Ebene des Konzerns eintrete. Nicht entscheidungserhebliche Fragen 40 Ob es zur Herstellung der Vergleichbarkeit grenzüberschreitender und innerstaatlicher Sachverhalte genügt, wenn der deutsche Gesetzgeber aufgrund nationaler oder abkommensrechtlicher Sonderregeln (sog. switch-over) von der Freistellungsmethode zur Anrechnungsmethode wechselt (…), ist vorliegend nicht streiterheblich. Ob sich eine Vergleichbarkeit im vorgenannten Sinne darauf stützen lässt, dass – wie in abkommensrechtlicher Hinsicht regelmäßig dem freistellenden Staat zugestanden – der Steuersatz mittels Progressionsvorbehalt (d.h. unter Einschluss der freigestellten Betriebsstätteneinkünfte) berechnet wird (…), ist zweifelhaft, da hierdurch die Steuerbemessungsgrundlage nicht berührt wird und damit die steuerfreien Einkünfte nicht besteuert werden (…). Auch diese Frage ist im Streitfall indes nicht entscheidungserheblich, da die Klägerin als Kapitalgesellschaft keinem progressiven Tarif unterliegt (…).

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Keine erneute Vorlage an EuGH 41 3. Die Voraussetzungen für eine (nochmalige) Vorlage für eine Vorabentscheidung des EuGH (Art. 267 AEUV) sind im vorliegenden Streitfall nicht erfüllt. Zwar ist anerkannt, dass auch nach einer Entscheidung des EuGH über die Auslegung des Unionsrechts die entscheidungserhebliche Rechtsfrage bei Zweifeln durch ein anderes Gericht erneut vorgelegt werden kann (EuGH-Urteil CILFIT vom 6. Oktober 1982 C-283/81, EU:C:1982:335 …). Allein der Umstand, dass der Begründung der Entscheidung vom 17. Dezember 2015 (Timac Agro Deutschland, EU: C:2015:829, BStBl II 2016, 362) dogmatische Zweifel (z.B. im Hinblick auf die Antwort zu der ersten Vorlagefrage [z.B. Henze, ISR 2016, 397, 399 f. …) entgegengehalten werden können oder dass die Reichweite des Urteils auf andere (hier nicht streiterhebliche) Konstellationen ungewiss ist oder dass auf der Grundlage dieser Entscheidung die harmonisierende Bedeutung der Grundfreiheiten in der Fallsituation der Freistellung entwertet werde (Schlücke, FR 2016, 130, 131 f.), reicht nach Überzeugung des Senats jedenfalls dann nicht aus, wenn die Rechtsfrage mit Blick auf den konkret zu entscheidenden Streitfall geklärt ist und kein Raum ‚für vernünftige Zweifel hinsichtlich der richtigen Auslegung der fraglichen Rechtsnorm‘ mehr besteht (s. die EuGH-Empfehlungen an die nationalen Gerichte zu Art. 267 Abs. 3 AEUV, ABlEU 2016, C 439, 1, Rz 6; …)“

c) Leitsätze „1. (Verluste bis 1998) Die entgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils (ausländische Personengesellschaft) erfüllt den Tatbestand der Nachversteuerung i.S. des § 2a Abs. 4 Nr. 2 EStG (i.d.F. des § 52 Abs. 3 Satz 5 EStG 1997/ StBereinG 1999); die unechte Rückwirkung (Übertragung in 1999) ist nicht verfassungswidrig. 2. (Verlust 1999) Die im Jahr 1999 im Zuge der Anteilsveräußerung an den Erwerber geleistete Ausgleichszahlung (Betriebsstätte mit abkommensrechtlicher Freistellung) ist weder einfachrechtlich noch als sog. finaler Verlust unionsrechtlich als Betriebsausgabe abziehbar (Anschluss an das EuGH-Urteil Timac Agro Deutschland vom 17. Dezember 2015 C-388/14, EU:C:2015:829, BStBl II 2016, 362).“

4. Hinweise (1) (Abkommensüberschreibung gem. § 2a EStG 1997 a.F.). Die Frage, ob die Hinzurechnungsbesteuerung für Altverluste mit EU-Recht vereinbar ist, wurde im EuGH-Urteil Timac Agro i.S.d. Lidl-Belgium-Rspr. beantwortet. Hieran hat der BFH nicht gerüttelt, nur war er aus verfahrensrechtlichen Gründen an einem solchem Ausspruch gehindert. (2) (Anrechnungsmethode) Die Vergleichbarkeit ist nach der EuGH-Entscheidung Timac Agro ferner zu bejahen, wenn die ausländischen BS-Er426

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gebnisse nicht von der deutschen Ertragsteuer freigestellt sind, sondern die sog. Anrechnungsmethode vereinbart wird. Vgl. hierzu auch EuGH v. 17.7.2014 – C-48/13 (Nordea Bank Danmark), IStR 2014, 563. Die einschlägige Rz. 24 lautet: „Zur Vergleichbarkeit der Situationen ist festzustellen, dass in Bezug auf Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die der Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der Gewinne einer gebietsansässigen Gesellschaft dienen, sich Betriebstätten, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem anderen Staat des EWR-Abkommens belegen sind, grundsätzlich nicht in einer Situation befinden, die mit der Situation gebietsansässiger Betriebstätten vergleichbar wäre. Jedoch hat das Königreich Dänemark dadurch, dass es die Gewinne der in Finnland, Schweden und Norwegen belegenen Betriebstätten der dänischen Besteuerung unterworfen hat, diese Betriebstätten den gebietsansässigen Betriebstätten im Hinblick auf den Verlustabzug gleichgestellt …“

(3) (Freistellungsmethode ohne Abkommensüberschreibung; Rechtslage ab 1999). Das BFH-Urteil I R 2/15 ist gerade mit Blick darauf, dass der I. Senat insoweit von einer erneuten Vorlage an den EuGH abgesehen hat, nicht ohne Kritik geblieben7. Dahinter steht auch das Grundsatzproblem, welche Anforderungen an die Klärung einer Rechtsfrage durch den EuGH zu stellen sind. Geht es um einzelfallbezogene Antworten oder sind weitergehende Anforderungen an die systematische Geschlossenheit der EuGH-Rspr. zu stellen? (4) Weitere Verfahren (a) EuGH C-650/16 (offen) Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret (Dänemark), eingereicht am 19.12.2016 – A/S Bevola, Jens W. Trock ApS/Skatteministeriet Vorlagefrage: Steht Art. 49 AEUV einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegen, die einen Abzug für Verluste von gebietsansässigen Zweigniederlassungen zulässt, einen Abzug für Verluste von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Zweigniederlassungen aber auch dann verwehrt, wenn die im Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-446/03 (1), Marks & Spencer, Rn. 55 f., angeführten Voraussetzungen vorliegen, sofern der Konzern nicht unter den im Aus7 Schrifttum. Zustimmend: Brandis, BFH/PR 2017, 249. Kritisch: Frase, BeSt 2017, 27: Paukenschlag; unsicheres Fundament; Linn/Pignot, IWB 2017, 578: Nichtberücksichtigung des freigestellten Verlusts verfassungswidrig; Verstoß gegen Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit (Art. 3 GG); Jung/Mielke, IStR 2017, 497. Unentschieden: Sillich/Schneider, GmbHR 2017, 889; Kippenberg, IStR 2017, 496.

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gangsverfahren beschriebenen Bedingungen die internationale gemeinsame Besteuerung gewählt hat? (b) BFH I R 18/16 (Klagerücknahme) Vorinstanz: FG Düss. v. 28.10.2014 – 6 K 50/10 K, EFG 2015, 313–314 (1 Jahr vor EuGH Timac Agro). Rechtsfrage (juris): Sind finale Verluste einer Betriebsstätte, die nach einem Doppelbesteuerungsabkommen von der Besteuerung in Deutschland freizustellen sind und im Quellenstaat nicht mehr verwertet werden können, nach dem EuGH-Urteil Timac Agro vom 17. Dezember 2015 (C-388/14, EU:C:2015:829) nicht mehr aufgrund der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit abzugsfähig? (c) BFH I R 17/15 (offen) Vorinstanz: FG Hamburg v. 6.8.2014 – 2 K 355/12, EFG 2014, 2084. Rechtsfrage (juris): Sind abkommensrechtlich freigestellte „finale“ Verluste einer endgültig geschlossenen ausländischen Betriebsstätte mangels Vergleichbarkeit der Situation in- und ausländischer Betriebsstätten im Inland nicht abzugsfähig? (5) (Sonderfragen) Angesichts des linearen KSt-Satzes (15 %) war über weitergehende Sonderfragen nicht zu entscheiden. Dies betrifft insbes. die Vergleichbarkeitsprüfung, wenn eine natürliche Person mit ihren freigestellten Verlusten dem Progressionsvorbehalt unterliegt (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 EStG; zurückhaltend Brandis, BFH/PR 2017, 249 [250]; abl. Kippenberg, IStR 2017, 496). Ferner gehört in diesen Zusammenhang der Übergang von der Freistellungs- zur Anrechnungsmethode (switch-over), sei es aufgrund des DBA selbst, sei es aufgrund unilateraler Anweisung (z.B. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG; dazu z.B. Sillich/Schneider, GmbHR 2017, 889). (6) Die EU-Kommission hat am 17.6.2015 unter dem Aktionsschwerpunkt 3.1 folgenden Richtlinienvorschlag in Aussicht gestellt:8 „3.1. Verlustabzug innerhalb der EU Bis zur vollständigen Konsolidierung der gemeinsamen Bemessungsgrundlage sollten Unternehmensgruppen die in einem Mitgliedstaat entstandenen Verluste mit den in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Gewinnen verrechnen können. Die Kommission beabsichtigt, einen entsprechenden Vorschlag vorzulegen. Damit wä8 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat: Eine faire und effiziente Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union – Fünf Aktionsschwerpunkte, (COM(2015) 302 final).

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht re ein größeres Steuerhemmnis für Unternehmen im Binnenmarkt beseitigt. Unternehmen hätten bis auf weiteres die Möglichkeit eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs, so dass nur der Reingewinn in der EU besteuert würde. Damit die in einem anderen Mitgliedstaat entstandenen Verluste nicht zulasten des Besteuerungsstaats gehen, sollen diese Verluste nachbesteuert werden, sobald die Unternehmensgruppe schwarze Zahlen schreibt. Die Kommission plant, in ihren geänderten GKKB-Vorschlag ein entsprechendes Verfahren aufzunehmen“.

Der Europäische Wirtschats- und Sozialausschusses hat sich hierzu dahin geäußert, dass ein solches Verlustausgleichssystem „nicht unangemessen in das Recht der Mitgliedstaaten auf Besteuerung Gewinne eingreifen sollte, die durch Wirtschaftstätigkeiten auf ihrem Gebiet erzielt werden“9. (7) Zwischenzeitlich Vorschlag vom 25.10.2016 COM (2016) 685 der EUKommission zur Richtlinie des Rates über eine Gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKB). „Artikel 42 Verlustausgleich und Nachbesteuerung 1. Gebietsansässige Steuerpflichtige, die nach Abzug ihrer eigenen Verluste gemäß Artikel 41 noch immer rentabel sind, können darüber hinaus im selben Steuerjahr durch ihre unmittelbar qualifizierten Tochtergesellschaften gemäß Artikel 3 Absatz 1 oder von einer oder mehreren Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten entstandene Verluste abziehen. Dieser Verlustausgleich wird für einen begrenzten Zeitraum gemäß den Absätzen 3 und 4 dieses Artikels gewährt. 2. Der Abzug erfolgt im Verhältnis zu der Beteiligung des gebietsansässigen Steuerpflichtigen an seinen qualifizierten Tochtergesellschaften gemäß Artikel 3 Absatz 1 und in voller Höhe für Betriebsstätten. Eine Verringerung der Steuerbemessungsgrundlage des ansässigen Steuerpflichtigen darf in keinem Fall zu einem negativen Betrag führen. 3. Der gebietsansässige Steuerpflichtige fügt alle künftigen Gewinne dieser qualifizierten Tochtergesellschaften gemäß Artikel 3 Absatz 1 oder Betriebsstätten entsprechend dem Betrag der zuvor abgezogenen Verluste zu seiner Steuerbemessungsgrundlage wieder hinzu. 4. Gemäß den Absätzen 1 und 2 abgezogene Verluste werden der Bemessungsgrundlage des gebietsansässigen Steuerpflichtigen automatisch wieder hinzugerechnet, wenn einer der folgenden Umstände zutrifft: (a) bis zum Ende des fünften Steuerjahres, nachdem die Verluste abzugsfähig geworden sind, wurden keine Gewinne wieder hinzugerechnet, oder die hinzugerechneten Gewinne entsprechen nicht dem vollen Betrag der abgezogenen Verluste;

9 ABl EU 2016, Nr. C 71/42, zu Tz. 1.5. und 3.6.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht (b) die qualifizierte Tochtergesellschaft gemäß Artikel 3 Absatz 1 wird veräußert, liquidiert oder in eine Betriebsstätte umgewandelt; (c) die Betriebsstätte wird veräußert, liquidiert oder in eine Tochtergesellschaft umgewandelt; (d) die Muttergesellschaft erfüllt nicht mehr die Anforderungen des Artikels 3 Absatz 1“ Erwägungsgrund (13) „Um die Liquidität der Unternehmen zu verbessern – beispielsweise durch Kompensation von Anlaufverlusten in einem Mitgliedstaat mit Gewinnen in einem anderen Mitgliedstaat – und die grenzüberschreitende Expansion innerhalb der Union zu fördern, sollte es Steuerpflichtigen erlaubt sein, vorübergehend Verluste in ihren unmittelbaren Tochtergesellschaften und Betriebsstätten in anderen EU-Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Hierzu sollten Muttergesellschaften oder Hauptsitze in einem Mitgliedstaat von ihrer Bemessungsgrundlage in einem bestimmten Jahr die im selben Steuerjahr entstandenen Verluste in ihren unmittelbaren Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten in anderen Mitgliedstaaten proportional zu ihrer Beteiligung abziehen können. Die Muttergesellschaft sollte anschließend verpflichtet sein, entsprechend dem Betrag der zuvor abgezogenen Verluste alle künftigen Gewinne dieser unmittelbaren Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten zu ihrer Bemessungsgrundlage wieder hinzuzufügen. Da es wichtig ist, das nationale Steueraufkommen zu sichern, sollten die abgezogenen Verluste ebenfalls automatisch wieder hinzugefügt werden, wenn dies nicht bereits nach einer bestimmten Anzahl von Jahren erfolgt ist, oder wenn an unmittelbare Tochtergesellschaften oder Betriebsstätten gestellten Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind.“ Schrifttum: Jakob/Fehling, ISR 2017, 290: fraglich, ob Mitgliedstaaten dem mit Rücksicht auf fiskalische Auswirkungen zustimmen. Hinzu komme geänderte Rspr. des EuGH (s.o. 2.).

II. Doppelstöckige Personengesellschaft – Zuordnung von Sonderbetriebsvermögen II eines im Ausland ansässigen Gesellschafters 1. BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, IStR 2017, 278 a) Sachverhalt 1 An der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin), einer 2002 gegründeten GmbH & Co. KG mit einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr (1.4.–31.3), waren zunächst die Beigeladene zu 1. (spätere Obergesellschafterin), eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, als alleinige Kommanditistin sowie die A Verwaltungsgesellschaft mbH,

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die keine Anteile am Kapital der Klägerin hielt, als Komplementärin beteiligt. 2 Im Jahr 2002 gewährte die als Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts organisierte C BV, die Alleingesellschafterin der Beigeladenen zu 1., dieser zwei Darlehen i.H.v. insgesamt 66 800 000 Euro zu dem Zweck, es der Klägerin – über eine Einlage der Beigeladenen zu 1. – zu ermöglichen, ihrerseits Kapitaleinlagen und Anteilserwerbe bei Organgesellschaften der Klägerin, der A GmbH sowie der AD GmbH, vorzunehmen sowie diesen Darlehen zu gewähren. Von den ihr zugewandten Mitteln verwendete die Klägerin im Wirtschaftsjahr 2002/2003 250 000 Euro für den Erwerb von Anteilen an der A GmbH; in die Kapitalrücklage der AD GmbH wurde ein Betrag von 66 715 000 Euro eingestellt. 3 Mit Vertrag vom 27.9.2004 brachte die Beigeladene zu 1. mit Wirkung ab dem 1.4.2004 ihren Kommanditanteil an der Klägerin mittels Sacheinlage gegen Gewährung von Gesellschafterrechten in die AE CV ein, deren Struktur der einer deutschen Kommanditgesellschaft entspricht. Gesellschafterin der AE CV, die ausschließlich die Anteile an der Klägerin hielt und keine eigene Geschäftstätigkeit ausübte, war neben der Beigeladenen zu 1. mit einem Anteil von 99 % die Beigeladene zu 2., eine Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, mit einem Anteil von 1 %. 4 Die Klägerin passivierte die Verbindlichkeiten aus den von der C BV gewährten Darlehen in einer Sonderbilanz der Beigeladenen zu 1. Im Wirtschaftsjahr 2004/2005 wurden Zinsen i.H.v. 2 251 276 Euro als Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. bei der steuerlichen Gewinnermittlung der Klägerin geltend gemacht. Mit Bescheid vom 16.10.2006 stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA) die Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr 2005 antragsgemäß fest. Anmerkung des Verf.: Die Organgesellschaften erzielten positive Einkünfte; auch für die Klägerin ergaben sich – trotz des Zinsaufwands – insgesamt positive Einkünfte.

5 Im Anschluss an eine Betriebsprüfung ging das FA davon aus, dass sich durch das Ausscheiden und die Veräußerung des Kommanditanteils an die AE CV der bisherige Finanzierungszusammenhang zu der Beteiligung an der Klägerin gelöst habe und der Zinsaufwand nicht mehr im Rahmen der Gewinnfeststellung der Klägerin zu erfassen sei, und erließ am 2.8.2007 einen entsprechend geänderten Feststellungsbescheid für 2005.

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6 Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage wurde stattgegeben (FG Düss v. 4.7.2012 – 9 K 3955/09 F, FR 2013, 657). Die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG.10 Die Entscheidung beschäftigt sich in einem ersten ausführlicheren Teil mit der bis dahin nicht geklärten Frage, ob zum Gesamtgewinn der Unterpersonengesellschaft auch Refinanzierungsaufwendungen des nur mittelbaren Mitunternehmers (= Gesellschafter der Oberpersonengesellschaft; vgl. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG) gehören, die diesem im Zusammenhang mit der Finanzierung seiner Einlage bei der Unterpersonengesellschaft entstehen. Der I. Senat hat dies für den anhängigen Streitfall bejaht. Auf die Ausführungen zu den Rz. 10–32 des Urteils sowie die Anmerkungen (nachfolgend zu 2.) darf insoweit verwiesen werden.11 Im Folgenden werden deshalb nur die Urteilserwägungen zum grenzüberschreitenden Kontext wiedergegeben. b) Aus den Gründen (Auszug) Revision des FA nur teilweise begründet „9 Auf die Revision des FA wird … die … an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das FG hat zwar im angefochtenen Urteil ohne Rechtsfehler erkannt, dass die Zinszahlungen der Beigeladenen zu 1. in dem die Klägerin betreffenden Feststellungsbescheid dem Grunde nach als Sonderbetriebsausgaben zu berücksichtigen sind. Es hat jedoch nicht geprüft, ob auf Grundlage von § 8a Abs. 1 … KStG a.F. verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) anzusetzen sind; die dazu erforderlichen Feststellungen sind nachzuholen. Zinsen als Teil der inländischen Einkünften 33 3. Die Zinszahlungen der in den Niederlanden ansässigen Beigeladenen zu 1. sind bei der Ermittlung von im Inland körperschaftsteuerpflichtigen Einkünften zu berücksichtigen und unterliegen damit der Feststellung gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO (…).

10 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, DStR 2017, 589 = GmbHR 2017, 425. 11 Vgl. hierzu auch den Juris-Orientierungssatz: „Bei einem unmittelbar beteiligten Mitunternehmer sind sowohl das Sonderbetriebsvermögen als auch damit zusammenhängende Sonderbetriebsausgaben im Rahmen der gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung auf Ebene der Gesellschaft auch dann einzubeziehen, wenn die Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens zu einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers gehören. Gleiches muss für den mittelbar beteiligten Gesellschafter der Obergesellschaft gelten, der über § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG gerade einem unmittelbar beteiligten Mitunternehmer gleichgestellt wird (Rn. 29)(Rn. 30)“.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Zuordnung zu inländischer Betriebsstätte (BS) 34 a) Die Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. sind im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu berücksichtigen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Als solche gehen sie nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG – für die Beigeladene zu 1. als in den Niederlanden ansässige Kapitalgesellschaft i.V.m. §§ 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 KStG – in die Bemessungsgrundlage der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte ein. Denn für den fraglichen Gewerbebetrieb wurde im Inland eine Betriebsstätte unterhalten, welcher die den Sonderbetriebsausgaben zu Grunde liegenden Darlehen nach den im Rahmen des § 50 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblichen Veranlassungsgesichtspunkten (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 1988 I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140) wirtschaftlich zuzurechnen sind. Ebenso nach DBA-Niederlande 1959 35 b) Das aufgrund der beschränkten Steuerpflicht der Beigeladenen zu 1. begründete innerstaatliche Besteuerungsrecht wird nicht durch die Bestimmungen des im Streitjahr anwendbaren Abkommens … DBA-Niederlande 1959 ausgeschlossen. Die Zinszahlungen der Beigeladenen zu 1. sind nach Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 bei der Bemessung der im Inland zu besteuernden Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen zu berücksichtigen. 36 Bezieht danach eine Person mit Wohnsitz in einem der Vertragsstaaten als Unternehmer oder Mitunternehmer Einkünfte aus einem gewerblichen Unternehmen, dessen Wirkung sich auf das Gebiet des anderen Staates erstreckt, so hat der andere Staat das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte nur insoweit, als sie auf eine dort befindliche Betriebsstätte des Unternehmens entfallen. Gemäß Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 sollen der Betriebsstätte diejenigen Einkünfte zugewiesen werden, die sie erzielt hätte, wenn sie sich als selbständiges Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Geschäften unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen befasste und Geschäfte wie ein unabhängiges Unternehmen tätigte. Zugehörigkeit zu Unternehmensgewinnen (Art. 5 DBA-Niederlande 1959) 37 aa) Die von der Beigeladenen zu 1. aufgenommenen Darlehen und die dafür gezahlten Schuldzinsen sind nicht einem – gegenüber Art. 5 DBA-Niederlande 1959 vorrangigen … – anderen Verteilungsartikel zuzuordnen. Insbesondere muss die Anwendung des Art. 13 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 (Dividenden) aufgrund der Eigenschaft der Klägerin sowie der AE CV als Personengesellschaften ausscheiden. Da weder Art. 13 DBA-Niederlande 1959 noch Nr. 10 des Schlussprotokolls zu den Art. 5, 7 und 13 DBA-Niederlande 1959 (BGBl II 1960, 1794, BStBl I 1960, 394) eine Definition des Dividendenbegriffs enthalten (Senatsurteil vom 9. April 1997 I R 178/94, BFHE 183, 114, BStBl II 1997, 657) und gleichzeitig ein dem Art. 10 Abs. 3 … OECD-MustAbk) entsprechender Verweis auf das Recht des Ansässigkeitsstaates fehlt, ist nach der allgemeinen Regelung des Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 das Recht des Anwenderstaates maßgeblich (…). Mithin ist – ungeachtet des niederländischen Steuerrechts – die Einordnung als mitunternehmerische

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Einkünfte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG auch abkommensrechtlich maßgeblich. § 50d Abs. 10 EStG nicht einschlägig 38 bb) Es kann dahinstehen, ob der durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilferichtlinieUmsetzungsgesetz – AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl I 2013, 1809, BStBl I 2013, 802) neu gefasste § 50d Abs. 10 EStG, nach dessen Satz 2 durch das Sonderbetriebsvermögen veranlasste Aufwendungen für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung als Teil des Unternehmensgewinns gelten, einen Zusammenhang mit einer geleisteten Sondervergütung erfordert. Einer solchen Umqualifizierung bedarf es unter den Gegebenheiten des Streitfalls nicht, da die Zinszahlungen der Beigeladenen zu 1. bereits nach dem DBA-Niederlande 1959 den Vorschriften über Unternehmensgewinne unterfallen (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 2016 I R 49/14, BFHE 253, 115). Zudem ist im Streitfall nicht darüber zu entscheiden, ob die Anwendung von § 50d Abs. 10 EStG gemäß § 52 Abs. 59a Satz 10 EStG i.d.F. des AmtshilfeRLUmsG in allen Fällen, in denen die Einkommen- und Körperschaftsteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, dem verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzgebot und damit dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG genügt (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 I R 4/13, BFHE 244, 1, BStBl II 2014, 791). inländische BS des mittelbaren MUers 39 cc) Die Beigeladene zu 1. übt im Inland eine gewerbliche Tätigkeit durch eine hier gelegene Betriebsstätte aus. Die Betriebsstätten einer Personengesellschaft sind abkommensrechtlich deren Gesellschaftern als eigene zuzurechnen (Senatsurteile vom 29. Januar 1964 I 153/61 S, BFHE 78, 428, BStBl III 1964, 165; … vom 17. Oktober 2007 I R 5/06, BFHE 219, 518, BStBl II 2009, 356). Dieser Grundsatz gilt für doppelstöckige Personengesellschaften sinngemäß; er führt hier dazu, dass die Betriebsstätten der Untergesellschaft abkommensrechtlich Betriebsstätten der Gesellschafter der Obergesellschaft sind (Senatsurteile vom 13. Februar 2008 I R 75/07, BFHE 220, 489, BStBl II 2010, 1028 …). KSt-Pflicht der AE CV (Obergesellschaft) in den Niederlanden unerheblich 40 Ob die AE CV in den Niederlanden als „open commanditaire vennootschap“ wie eine juristische Person der Körperschaftsteuer unterliegt …, ist unerheblich. Die Frage, welcher Person bestimmte Einkünfte nach steuerlichen Gesichtspunkten zuzurechnen sind, ist nicht Gegenstand der abkommensrechtlichen Zuordnung des Besteuerungssubstrats. Es handelt sich hierbei vielmehr um eine unilateral eigenständig zu beantwortende Rechtsfrage, die Art. 2 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 dem jeweiligen Anwenderstaat – hier Deutschland – überantwortet (vgl. Senatsurteile vom 25. Mai 2011 I R 95/10, BFHE 234, 63, BStBl II 2014, 760 zum DBA mit Ungarn; vom 20. August 2008 I R 39/07, BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234 zum DBA mit den Vereinigten Staaten von Amerika; Senatsbeschluss vom 19. Mai 2010

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht I B 191/09, BFHE 229, 322, BStBl II 2011, 156 zum DBA mit Spanien). Aufgrund ihrer demnach auch für Zwecke der Abkommensanwendung maßgeblichen Vergleichbarkeit mit einer deutschen Kommanditgesellschaft kann die AE CV als Obergesellschaft der Beigeladenen zu 1. eine von der Klägerin als Untergesellschaft unterhaltene Betriebsstätte vermitteln. Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959: Zuordnung gem. Fremdvergleich 41 dd) Nach Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 sollen der Betriebsstätte diejenigen Einkünfte zugewiesen werden, die sie erzielt hätte, wenn sie sich als selbständiges Unternehmen mit gleichen oder ähnlichen Geschäften unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen befasste und Geschäfte wie ein unabhängiges Unternehmen tätigte. Dabei sind die Einkünfte der Betriebsstätte – ähnlich wie dem nach seinem Wortlaut vergleichbaren Art. 7 Abs. 2 Halbsatz 1 OECD-MustAbk 2010 (vgl. Mick in Wassermeyer, Niederlande Art. 5 Rz 37) – dem Fremdvergleichsgrundsatz (‚dealing at arm’s length‘) zuzuordnen. 42 Die Betrachtung der inländischen Betriebsstätte als wirtschaftlich selbständige Einheit bedeutet aber nicht, dass ohne Weiteres auch die der inländischen Betriebsstätte von dem Stammhaus zugeführte Kapitalausstattung ganz oder teilweise als Fremdkapital anzusehen ist und ein entsprechender Zinsaufwand zu fingieren ist (vgl. BFH-Urteile vom 25. Juni 1986 II R 213/83, BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785 zum DBA mit Frankreich; vom 21. Januar 1972 III R 57/71, BFHE 104, 471, BStBl II 1972, 374 zum DBA mit dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland vom 26. November 1964; s.a. Senatsurteil vom 20. Juli 1988 I R 49/84, BFHE 154, 465, BStBl II 1989, 140). Dies gilt für den Streitfall insbesondere angesichts der Bestimmung in Nr. 6 Satz 2 Halbsatz 2 des Schlussprotokolls zu Art. 5 DBA-Niederlande 1959, wonach Zinsen zwischen den Betriebsstätten desselben Unternehmens mit der Folge unbeachtlich sind, dass – jedenfalls insoweit – eine Fiktion von Leistungsbeziehungen zwischen den Unternehmensteilen ausgeschlossen ist (so auch noch Nr. 41 des OECD-Musterkommentars 2008 zu Art. 7 OECD-MustAbk 2008; s. für den ‚Functionally Separate Entity Approach‘ in Nr. 29 des OECD-Musterkommentars 2010 zu Art. 7 Abs. 2 OECD-Mustabk 2010 Senatsurteil vom 17. Juli 2008 I R 77/06, BFHE 222, 402, BStBl II 2009, 464). Kein Dotationskapital – unternehmerische Entscheidung des Stammhauses 43 Gibt das Stammhaus – wie hier die Beigeladene zu 1. – im Anschluss an eine Kreditaufnahme Beträge an die inländische Betriebsstätte, bedarf es damit stets der Prüfung, ob und inwieweit eine Weitergabe aufgenommener Fremdmittel oder eine Dotation aus eigenen Mitteln der Gesellschaft vorliegt. Dabei kommt der unternehmerischen Entscheidung des Stammhauses besondere Bedeutung zu (BFH-Urteil in BFHE 147, 264, BStBl II 1986, 785 zum DBA mit Frankreich). Erforderlich ist die Zweckbestimmung für die Belange der Betriebsstätte (Senatsurteil vom 27. Juli 1965 I 110/63 S, BFHE 84, 69, BStBl III 1966, 24 zum DBA mit der Schweiz vom 15. Juli 1931; s.a. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 24. Dezember 1999, BStBl I 1999, 1076, dort Tz 3.3). Dieser Zuordnungsmaßstab deckt sich im Ergebnis mit der Zurechnung nach Veranlassungsgesichtspunkten, wie sie nach

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht der innerstaatlichen Regelungslage des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG geboten ist (vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2009 I R 99/08, BFHE 227, 83, BStBl II 2011, 1019 zum DBA mit Belgien; Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 I R 4/13, BFHE 244, 1, BStBl II 2014, 791 zum DBA mit Italien; s.a. Wacker in Lüdicke, Aktuelle Problemfelder im Internationalen Steuerrecht, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 45, S. 77, 115). Diese direkte Zuordnung entspricht im Streitfall auch Nr. 6 Satz 1 und Nr. 7 des Schlussprotokolls zu Art. 5 DBA-Niederlande 1959, wonach bei der Ermittlung der aus der Tätigkeit einer Betriebsstätte erzielten Einkünfte grundsätzlich vom Bilanzergebnis der Betriebsstätte auszugehen ist und der Gesamtgewinn eines Unternehmens nur in besonders gelagerten Fällen aufgeteilt werden kann (vgl. Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 5 DBA-Niederlande Rz 8). Maßgeblich: tatsächliche Darlehensverwendung 44 Nach diesen Maßstäben sind das negative Sonderbetriebsvermögen der Beigeladenen zu 1., das nach den bindenden Feststellungen des FG zu dem Zweck aufgenommen wurde, der Beigeladenen zu 1. die Mittel zu verschaffen, um der Klägerin zu ermöglichen, Kapitaleinlagen und Anteilserwerbe bei ihren Organgesellschaften vorzunehmen, sowie die dafür entstandenen Zinsen der Klägerin ihrer Inlandsbetriebsstätte i.S. von Art. 5 Abs. 1 DBA-Niederlande 1959 zuzuordnen (vgl. auch Brandenberg, DStZ 2015, 393, 397; Hruschka, Internationales Steuerrecht – IStR – 2014, 785, 792; derselbe, DStR 2014, 2421, 2426; Wacker in Lüdicke, a.a.O., S. 77, 114 f.). Keine Mitunternehmer-BS der Obergesellschafterin 45 Eine möglicherweise anderweitige Zuordnung der Darlehen und des daraus folgenden Zinsaufwands zu einer Betriebsstätte der Beigeladenen zu 1. in den Niederlanden scheidet im Streitfall aus. Insbesondere vermittelt die Beteiligung an der AE CV der Beigeladenen zu 1. keine (weitere) Betriebsstätte. Bei dem bloßen Innehaben der Beteiligung an der Klägerin durch die AE CV handelt es sich bei der abkommensrechtlich gebotenen isolierten Betrachtung nicht um eine unternehmerische Betätigung, welche allein eine Betriebsstätte im abkommensrechtlichen Sinn begründen könnte (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2013 I R 47/12, BFHE 242, 107, BStBl II 2014, 770 zum DBA mit Thailand). Es ist auch nichts dafür ersichtlich oder dargetan, dass die von der Beigeladenen zu 1. aufgenommenen Darlehen und der daraus folgende Zinsaufwand in einem vorrangigen Veranlassungszusammenhang zu einem von der Beigeladenen zu 1. unterhaltenen gewerblichen Unternehmen stünden. Rechtsprechung zur tatsächlich funktionalen Zuordnung nicht einschlägig 46 Etwas anderes ergibt sich nicht aus den Senatsurteilen vom 8. September 2010 I R 74/09 (BFHE 231, 84, BStBl II 2014, 788) und vom 17. Oktober 2007 I R 5/06 (BFHE 219, 518, BStBl II 2009, 356). Zwar können danach Rechte oder Vermögenswerte nach dem Maßstab der tatsächlichen funktionalen Zuordnung nur dann zu

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht einer Betriebsstätte gehören, wenn sie aus der Sicht der Personengesellschaft einen Aktivposten bilden. Jedoch betraf dies lediglich die Auslegung des Rückverweises für von der Personengesellschaft geschuldete Lizenzgebühren und Zinsen, nicht hingegen die vorliegend zu beurteilende Finanzierung der Einlage des Gesellschafters (Mitunternehmers). Keine Verlustausgleichsbeschränkung gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG n.F. 47 4. Entgegen der Ansicht des FA steht der Berücksichtigung der Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin als Organträgerin i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nicht entgegen. Danach bleiben negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. Nicht entscheidungserhebliche Streitfragen 48 Dabei braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25. Juli 2014 (BGBl I 2014, 1266, BStBl I 2014, 1126) geltende Fassung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 i.V.m. § 34 Abs. 9 Nr. 8 KStG in allen noch nicht bestandskräftig veranlagten Fällen einen verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensschutz vermittelt. Ebenso ist nicht darauf einzugehen, ob die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auf Personengesellschaften als Organträger i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 KStG Anwendung findet (verneinend z.B. Schaden/Polatzky, IStR 2013, 131, 134; bejahend z.B. Kolbe in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 271; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 14 KStG Rz 498) und ob sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf negative Einkünfte des Organträgers beschränkt, die ihre Ursache im Organschaftsverhältnis – d.h. in der Zurechnung eines negativen Einkommens der Organgesellschaft – haben (bejahend z.B. Kolbe in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 14 KStG Rz 275 …). Ferner ist unerheblich, ob § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG die abkommensrechtliche – im Streitfall nach Art. 20 Abs. 3 DBANiederlande 1959 bilateral vereinbarte – Anrechnungsmethode verdrängt, deren Rechtsfolge gerade die Einbeziehung von positiven wie negativen Einkünften in die Bemessungsgrundlage beider Vertragsstaaten ist (vgl. Senatsurteile vom 18. Dezember 2013 I R 71/10, BFHE 244, 331, BStBl II 2015, 361; vom 14. Juli 1976 I R 86/74, BFHE 119, 521, BStBl II 1977, 97). Jedenfalls keine negativen Einkünfte der Organträgerin (= Klägerin) – keine ‚isolierte‘ Betrachtung 49 All dies braucht nicht entschieden zu werden, da es im Streitfall schon an negativen Einkünften der Klägerin als Organträgerin fehlt. Für die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG sind die konsolidierten Einkünfte des Organträgers nach der Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft maßgeblich (Walter

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht in Ernst & Young, KStG, § 14 Rz 966 f.; s.a. Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rz 453; Schneider/Schmitz, GmbHR 2013, 281, 282 f. …), da der Gesetzgeber die Verlustabzugsbeschränkung gerade der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG zugewiesen und damit in den Zusammenhang der Einkommenszurechnung als Rechtsfolge der Organschaft gestellt hat. Zudem sollte nach der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/10774, S. 20) die durch das … Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3858, BStBl I 2002, 35) eingeführte Vorgängerfassung, die ausschließlich auf negatives Einkommen des Organträgers abgestellt hatte, auf Organgesellschaften ausgedehnt werden. Da aber die Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft gerade Rechtsfolge des § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG ist und damit kein (negatives) Einkommen bei dieser verbleibt, muss sich eine Verlustabzugsbeschränkung – soll die Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG nicht für die Organgesellschaften leerlaufen – bereits auf deren Einkünfte beziehen. Stellt der Gesetzgeber vor diesem Hintergrund nunmehr nicht auf das Einkommen des Organträgers ab, sondern bezieht den Begriff der Einkünfte alternativ (‚oder‘) auf Organträger und Organgesellschaft, kann daraus nicht auf eine isolierte Betrachtung der eigenen Einkünfte des Organträgers geschlossen werden. Von diesem Verständnis geht auch die Gesetzesbegründung aus, wenn sie § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG in Fällen für anwendbar hält, in denen die negativen Einkünfte einer doppelt ansässigen Organgesellschaft im Rahmen der Besteuerung im ausländischen Staat mit positiven Einkünften eines Gruppenträgers ausgeglichen oder abgezogen werden. 50 Zugleich werden durch die Verwendung des Einkünftebegriffs als Saldogröße einzelne, bei dem Organträger angefallene Betriebsausgaben nicht vom Abzug ausgeschlossen, sofern auf Ebene des Organträgers insgesamt positive Einkünfte vorliegen (Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 14 Rz 449 …). Insgesamt positive Einkünfte der Klägerin – trotz Zinsaufwand 51 Im Streitfall übersteigt das im Rahmen der Organschaft zuzurechnende Einkommen – auch unter Berücksichtigung der Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. – die auf Ebene der Klägerin als Organträgerin festzustellenden (negativen) Einkünfte; es liegen positive konsolidierte Einkünfte der Klägerin vor. Unerheblich ist damit, ob – wozu sich das FG nicht geäußert hat – die Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. bei deren Besteuerung in den Niederlanden oder in einem anderen ausländischen Staat berücksichtigt wurden. Keine Abzugssperre gem. § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG wegen Überentnahmen 52 5. Ebenso wenig steht dem Abzug der Darlehenszinsen als Sonderbetriebsausgaben die Regelung des § 4 Abs. 4a Satz 1 EStG entgegen. 53 Danach sind Schuldzinsen nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahrs übersteigen (§ 4 Abs. 4a Satz 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 v.H. der

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Überentnahme des Wirtschaftsjahrs zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt (§ 4 Abs. 4a Satz 3 EStG). Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 2050 Euro verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen (§ 4 Abs. 4a Satz 4 EStG). Vorschrift zwar auch bei Mitunternehmer-KapGes. anwendbar 54 Unerheblich ist, ob die Vorschriften über die Entnahme durch § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG verdrängt werden und die Einschränkung des Zinsabzugs nach § 4 Abs. 4a EStG im Rahmen der Gewinnermittlung der Beigeladenen zu 1. als Kapitalgesellschaft Anwendung findet (verneinend z.B. … Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 4 Rz 535 …). Die Regelungen zur Entnahme – und damit auch § 4 Abs. 4a EStG – kommen jedenfalls in den Fällen zur Anwendung, in denen eine Kapitalgesellschaft als Mitunternehmerin an einer Personengesellschaft beteiligt ist (…). Dies gilt auch, soweit – wie im Streitfall – ein mittelbar über eine Personengesellschaft beteiligter Gesellschafter nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG als Mitunternehmer anzusehen ist (BFH-Urteil in BFHE 244, 560, BStBl II 2014, 621). 55 Die Gewinnhinzurechnung gemäß § 4 Abs. 4a EStG ist auf Grundlage des Anteils des einzelnen Mitunternehmers am Gesamtgewinn der Mitunternehmerschaft sowie dem Saldo seiner Entnahmen und Einlagen zu bestimmen. Einzubeziehen sind dabei auch Schuldzinsen, die einem Gesellschafter im Sonderbetriebsvermögen entstanden sind (sog. gesellschafterbezogene Auslegung; s. BFH-Urteil vom 29. März 2007 IV R 72/02, BFHE 217, 514, BStBl II 2008, 420; s.a. Schmidt/ Wacker, a.a.O., § 15 Rz 430). Im Streitfall jedoch keine Überentnahme 56 Im Streitfall ist jedoch nichts dafür dargetan oder erkennbar, dass die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahrs übersteigen. Insbesondere bieten die Feststellungen des FG keine Anhaltspunkte dafür, dass den Einlagen der Beigeladenen zu 1. in Höhe von 66 800 000 Euro übersteigende Entnahmen gegenüberstehen. Aber: Gesellschafterfremdfinanzierung gem. § 8a Abs. 1 KStG a.F. offen 57 6. Nach § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG a.F. sind Vergütungen für Fremdkapital, das eine Kapitalgesellschaft nicht nur kurzfristig von einem Anteilseigner erhalten hat, der zu einem Zeitpunkt im Wirtschaftsjahr wesentlich am Grund- oder Stammkapital beteiligt war, auch vGA, wenn die Vergütungen insgesamt mehr als 250 000 Euro betragen und wenn eine nicht in einem Bruchteil des Kapitals bemessene Vergütung vereinbart ist (Nr. 1) oder in einem Bruchteil des Kapitals bemessene Vergütung vereinbart ist und soweit das Fremdkapital zu einem Zeitpunkt des Wirtschaftsjahrs das Eineinhalbfache des anteiligen Eigenkapitals des Anteilseigners übersteigt, es sei denn, die Kapitalgesellschaft hätte dieses Fremdkapital bei

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht sonst gleichen Umständen auch von einem fremden Dritten erhalten können (Nr. 2). Prüfung im Feststellungsverfahren der Klägerin 58 a) Dabei ist die Entscheidung, ob die von der Beigeladenen zu 1. an die C BV, die als deren Alleingesellschafterin eine wesentliche Beteiligung i.S. des § 8a Abs. 3 Satz 1 KStG a.F. inne hat, gezahlten Zinsen nach § 8a Abs. 1 Satz 1 KStG a.F. als vGA anzusehen sind und außerbilanziell hinzuzurechnen sind, im Rahmen des die Klägerin betreffenden Feststellungsverfahrens zu treffen. Anders als im Senatsurteil vom 7. Juni 2016 I R 51/14 (BFHE 254, 127) stehen dabei nicht die Auswirkungen der Fiktion des § 8a Abs. 5 Satz 2 KStG a.F., die lediglich Fallgestaltungen erfasst, in denen das Fremdkapital nicht – wie im Streitfall – der Kapitalgesellschaft, sondern einer Personengesellschaft überlassen wurde (BTDrucks 15/1518, S. 15; s.a. Wacker, DStR 2004, 1066, 1067 f.), auf den Umfang der auf Ebene der Mitunternehmerschaft zu treffenden Feststellungen in Streit. Vielmehr handelt es sich bei den Zinszahlungen um bei der Klägerin festzustellende Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1., was – aufgrund der untrennbaren Verbindung mit dem Gewinnanteil bei der Klägerin (vgl. Senatsurteil vom 12. März 1980 I R 186/76, BFHE 130, 296, BStBl II 1980, 531; BFH-Urteil vom 23. März 1995 IV R 94/93, BFHE 177, 408, BStBl II 1995, 637) – die Einbeziehung der Frage der außerbilanziellen Hinzurechnung als vGA in das Feststellungsverfahren erfordert (Wacker, DStR 2004, 1066, 1068). Keine hinreichenden Feststellungen 59 b) Zwar übersteigt die Zinszahlung die Freigrenze von 250 000 Euro, jedoch lässt sich den tatrichterlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht entnehmen, ob die Vergütung für das Darlehen i.S. von § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG a.F. nach einem Bruchteil berechnet wurde. Ebenso wenig hat das FG Feststellungen zur Eigenkapitalausstattung der C BV getroffen noch dazu, ob die Beigeladene zu 1. die Darlehen bei sonst gleichen Umständen auch von einem fremden Dritten erhalten hätte (§ 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG a.F.). Zurückverweisung an FG 60 7. Die Feststellungen sind im zweiten Rechtsgang nachzuholen; das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. 61 Dabei wird das FG zugleich der Frage nachgehen müssen, ob die Sonderbetriebsausgaben der Beigeladenen zu 1. nach § 1 Abs. 1 des Außensteuergesetzes i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz) vom 16. Mai 2003 (BGBl I 2003, 660, BStBl I 2003, 321) zu berichtigen sind, was aufgrund der untrennbaren Verbindung mit deren Gewinnanteil im Rahmen des die Klägerin betreffenden Feststellungsverfahrens zu entscheiden ist (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 1990 I R 97/88, BFHE 160, 567, BStBl II 1990, 875) … .“

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht Leitsatz „1. Die Gleichstellung des mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligten Gesellschafters mit dem unmittelbar beteiligten Gesellschafter gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG bezieht sich nicht nur auf Sondervergütungen und das Sonderbetriebsvermögen I, sondern auch auf das Sonderbetriebsvermögen II (Rn. 18)(Rn. 20). 2. Negative Einkünfte des Organträgers i.S. des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG liegen nur dann vor, wenn bei diesem nach der Zurechnung des Einkommens der Organgesellschaft ein Verlust verbleibt (Rn. 47)(Rn. 49)(Rn. 50).“

2. Anmerkungen Das Urteil berührt – man könnte von einem Lehrbuch- und Examensfall sprechen – eine Vielzahl rechtlicher Facetten. Hierzu einige grobe Striche:12 1. Zunächst zum innerstaatlichen Kontext und damit zur Frage, ob Darlehen für fremdfinanzierte Einlagen, die bei doppel- oder mehrstöckigen Personengesellschaftskonzernen von den Gesellschaftern der Oberpersonengesellschaft unmittelbar oder mittelbar in das Gesamthandsvermögen der Unterpersonengesellschaft (= die Klägerin des Verfahrens I R 92/12) geleistet werden, zum negativen Sonderbetriebsvermögen II (SBV II) der Obergesellschafter bei der Unterpersonengesellschaft mit der Folge gehören, dass sowohl der Gesamtgewinn dieser Mitunternehmerschaft als auch der Gewinnanteil des nur mittelbar Beteiligten (Obergesellschafter) um die auf die Einlagedarlehen entfallenden Refinanzierungszinsen gemindert werden. Die Antwort ist aus der Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 EStG abzuleiten, nach der „der mittelbar über eine oder mehrere Personengesellschaften beteiligte Gesellschafter … dem unmittelbar beteiligten Gesellschafter (gleichsteht und) er … als Mitunternehmer des Betriebs der Gesellschaft anzusehen (ist), an der er mittelbar beteiligt ist, wenn er und die Personengesellschaften, die seine Beteiligung vermitteln, jeweils als Mitunternehmer der Betriebe der Personengesellschaften anzusehen sind, an denen sie unmittelbar beteiligt sind“. Das Besprechungsurteil legt hierzu dar, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift zwar auf den Beschluss des Großen Senats BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1 = BStBl. II 1991, 691 = GmbHR 1991, 281 reagiert hat, er sich aber nicht auf eine punktgenaue Korrektur bzgl. der Sondervergütungen des mittelbaren Mitunternehmers und seines Sonderbetriebsvermögens I beschränkt, sondern sich für einen ausgreifenden Ansatz – dh 12 Vgl. auch Wacker, IStR 2017, 286.

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die prinzipielle Gleichstellung von mittelbarem und unmittelbarem Mitunternehmer – entschieden hat, der jedenfalls auch die Zuordnung von negativem (oder positivem) Sonderbetriebsvermögen II und mithin auch die Zuordnung von Einlagerefinanzierungen zum steuerrechtlichen Gesamtgewinn der Unterpersonengesellschaft umfasst. Dies ist m.E. mit erheblichen Weiterungen verbunden und hat z.B. zur Folge, dass Darlehen, die zum Erwerb von Mitunternehmeranteilen an der Oberpersonengesellschaft aufgenommen werden, anteilig auch in den Betriebsvermögenskreis der Unterpersonengesellschaften eingehen. Der I. Senat konnte dies jedoch offen lassen, da jedenfalls negatives Sonderbetriebsvermögen II nach dem Vorstehenden dann zu bejahen ist, wenn erstens der Gesellschafter seine Einlage in die Unterpersonengesellschaft refinanziert und – wie im Streitfall – erst nach der Einlage die doppelstöckige Struktur durch Einbringung des Anteils an der (Unter-)Personengesellschaft in die Obergesellschaft entsteht sowie zweitens – siehe die Erwägungen des Besprechungsurteils – zum Gesellschaftsvermögen der Obergesellschaft ausschließlich die eingebrachte Beteiligung mit der Folge gehört, dass der zunächst gegebene Finanzierungszusammenhang durch die Einbringung in vollem Umfang gewahrt bleibt. Nichts anderes kann im Grundsatz gelten, wenn die (mittelbare, d.h. über die Obergesellschaft vermittelte) Einlage in die Unterpersonengesellschaft erst nach Begründung der doppeloder mehrstöckigen Beteiligungskette erbracht wird; auch in diesem Fall muss jedenfalls für die Konstellation des Verfahrens I R 92/12 – zum Gesamthandsvermögen der Oberpersonengesellschaft gehört nur die Beteiligung an der Unterpersonengesellschaft – die Darlehnsschuld nach den Grundsätzen des Besprechungsurteils in vollem Umfang dem (Sonder-)Betriebsvermögen des Obergesellschafters bei der/den Unterpersonengesellschaften zugewiesen werden. Verfügt die Oberpersonengesellschaft über weiteres Vermögen, sind m.E. – worüber der Senat allerdings gleichfalls nicht zu befinden hatte – die Einlagen und damit nach der Regel der Akzessorietät auch die Refinanzierungsdarlehen sowie die hierauf entfallenden Zinsen nach Veranlassungsgrundsätzen, d.h. nach Maßgabe der konkreten Verwendung der Darlehensvaluta aufzuteilen. 2. Was die Extrapolation dieser Erwägungen auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt anbelangt (hier: Obergesellschafterin: niederländische KapGes. – Obergesellschaft: niederländische haftungsbeschränkte PersGes. [CV] – Untergesellschaft: deutsche KG), beruht das Urteil I R 92/12 im Ausgangspunkt auf einer Reihe festgefügter Rechtssätze. Zum einen auf der steuerrechtlichen Einkünftezurechnung nach Maßgabe des im jeweiligen Anwenderstaat geltenden Rechtsverständnisses mit der Fol442

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ge, dass die AE CV (Oberpersonengesellschaft) – ungeachtet ihrer (intransparenten) Behandlung im Ansässigkeitsstaat (Niederlande) – nach dem sog. Typenvergleich als für ertragsteuerrechtliche Zwecke der Bundesrepublik transparente Personengesellschaft zu qualifizieren ist, diese – ebenso wie eine inländische KG – der gewerblichen Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) unterfällt und demgemäß auch den mitunternehmerschaftlichen Anforderungen an eine Obergesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2, vorletzter Halbs. EStG genügt. Zum anderen, dass nicht nur in einstöckigen, sondern auch in doppel- und mehrstöckigen Personengesellschaftsstrukturen die Betriebsstätten der (Unter-)Personengesellschaft abkommensrechtlich Betriebsstätten der Gesellschafter der (Ober-)Personengesellschaft sind sowie – nicht zuletzt – allein die mitunternehmerschaftliche Beteiligung an einer Personengesellschaft dem Mitunternehmer nach Abkommensrecht keine weitere Betriebsstätte vermittelt, die neben die aus der gesamthänderischen Beteiligung fußende Zurechnungsbetriebsstätte treten würde. 3. Näherer Betrachtung bedürfen die Aussagen zur Zurechnung des Darlehens zur inländischen Betriebsstätte der Klägerin.a) Auszugehen ist hierbei vom Veranlassungsprinzip und damit von der Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verwendung der Darlehensvaluta als allgemeinem Zurechnungsgrundsatz des deutschen Ertragssteuerrechts. Im Streitfall waren hiernach – wie erläutert – die Refinanzierungsdarlehen der Oberpersonengesellschafterin ihrer inländischen Betriebsstätte zugewiesen. b) Hierbei blieb es auch im Rahmen der DBA-rechtlichen Zuordnung nach Art. 5 DBA-Niederlande 1959, nach der die Betriebsstättenergebnisse nach dem (eingeschränkten) Maßstab des Fremdvergleichs („dealing at arm’s length“) abzugrenzen sind und demgemäß das Ergebnis der Veranlassungsprüfung (s.o.) an den Grundsätzen zum Dotationskapital zu messen ist. Mit Rücksicht auf die Bedeutung, die nach der Rspr. der unternehmerischen Entscheidung über die Eigen- und Fremdkapitalausstattung zukommt, war auch unter diesem Blickwinkel die innerstaatliche Zurechnung – d.h. die Zuweisung des Refinanzierungskredits nach Maßgabe der tatsächlichen Verwendung der Darlehensvaluten für Zwecke der inländischen Betriebsstätte der Klägerin (s.o.) – zu bestätigen. Auf die Erläuterungen des Besprechungsurteils darf insoweit verwiesen werden. c) Nur zur Abrundung der Hinweis, dass unter Geltung des sog. Authorized OECD Approach (AOA) zwar gleichfalls das Veranlassungsprinzip zu beachten ist, bspw. dann, wenn der im Ausland ansässige und nur im Inland unternehmerisch tätige Kommanditist seine Kommanditeinlage 443

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fremdfinanziert (s. Wacker in Lüdicke, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 35, 77 [115]). Geht es jedoch – wie im Fall I R 92/12 – um das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens (Stammhauses), so ist nach dem AOA die der fremdüblichen Ergebnisaufteilung zugrunde liegende Annahme der Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Stammhaus und Betriebsstätten auf eine Funktions- und Risikoanalyse der jeweiligen Einheiten zu stützen (Art. 7 Abs. 2 OECD-MA 2010/2014; Art. 7 Abs. 2 DBA-Niederlande 2012) und gemäß der Konkretisierung in § 1 Abs. 5 Satz 3 ff. AStG sowie der hierzu ergangenen Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV v. 13.10.2014, BGBl. I 2014, 1603) der inländischen Betriebsstätte das angemessene Eigenkapital (Dotationskapital) nach der sog. Kapitalaufteilungsmethode zuzuordnen (§ 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG iVm § 1 Abs. 2 Nr. 3 und § 12 BsGaV); dies kann im Vergleich zum Veranlassungsprinzip (Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verwendung der Kreditmittel) zu einer Verengung des Zurechnungszusammenhangs und damit zu einer Erhöhung des inländischen Dotationskapitals führen (s. nunmehr auch Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättenaufteilung – VWG BsGa – v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 – DOK 2016/1066571, BStBl. I 2017, 182 Rz. 129 ff.). d) Zurück zum Besprechungsfall (I R 92/13) und damit zu der Erwägung, dass die Schuldenzurechnung nach dem Veranlassungsprinzip gem. Art. 5 Abs. 2 DBA-Niederlande 1959 auch nicht durch den sog. Betriebsstättenvorbehalt (vgl. zB für Zinsen Art. 11 Abs. 4 OECD-MA) in Frage gestellt wurde (zweifelnd Kahlenberg, GmbHR 2017, 203). Bekanntlich bejaht zwar der I. Senat des BFH in st.Rspr. die dort geforderte tatsächliche Betriebsstättenzugehörigkeit einer zinstragenden Forderung nur unter der Voraussetzung, dass sie aus Sicht der Personengesellschaft zu den Aktiva gehört; Gesellschafterdarlehen (d.h. Darlehen der Gesellschafter einer Personengesellschaft an diese) unterstehen mithin – da ihnen eine Verbindlichkeit der Gesamthand korrespondiert – trotz ihrer Zugehörigkeit zum Sonderbetriebsvermögen I i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht dem Betriebsstättenvorbehalt. Im Streitfall fehlte es aber bereits im Ausgangspunkt an einer solchen Konkurrenz zweier DBA-Zuteilungsnormen, da die Obergesellschafterin aus ihrer Einlage weder Zins- noch Dividendeneinkünfte (Art. 11 und 12 OECD-MA), sondern (unmittelbar) unternehmerische Einkünfte erzielte und damit auch die Betriebsstättenvorbehalte der Zins- und Dividendenartikel nicht zum Tragen kommen konnten. Demgemäß konnte und musste auch unter diesem Blickwinkel (ausschließlich; s.o.) das Veranlassungsprinzip darüber entscheiden, ob 444

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und in welchem Umfang die Zinsen der Obergesellschafterin das inländische Betriebsstättenergebnis mindern. 4. Der Rechtsstreit war indes mit Rücksicht darauf, dass die Vorinstanz etwaige Zinsabzugsschranken nicht geprüft hatte, an das FG zurückzuverweisen. a) Keine Sperre begründete allerdings der im Revisionsverfahren vorgetragene Einwand, dass die – als Sonderbetriebsausgaben anzusetzenden Refinanzierungszinsen – u.U. auch in den Niederlanden bei der Besteuerung der dort ansässigen Oberpersonengesellschafterin berücksichtigt worden sind (sog. Double dip). Die Erwägung konnte bereits deshalb nicht greifen, weil die deutschen Betriebsstätteneinkünfte in den Niederlanden nach Art. 20 Abs. 3 DBA-Niederlande 1959 der Steueranrechnung unterlagen. Nicht eindeutig erscheint, ob dieses Ergebnis sich auch unter Berücksichtigung der durch das sog. BEPS-UmsG (Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000) eingefügten und zwischenzeitlich bereits überarbeiteten (vgl. Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz v. 23.6.2017, BGBl I 2017, 1682) Regelung des § 4i EStG nF einstellen würde (vgl. dazu auch Kahlenberg, GmbHR 2017, 203). Zwar ist nach Satz 2 dieser Vorschrift der inländische Sonderbetriebsausgabenabzug dann nicht gesperrt, wenn die Aufwendungen Erträge mindern, die bei demselben Stpfl. sowohl der inländischen als auch nachweislich der tatsächlichen Besteuerung im anderen Staat unterliegen. Mit anderen Worten: Der zweifache (Sonder-)Betriebsausgabenabzug ist auch hier grundsätzlich die systemgerechte Folge der Besteuerung der nämlichen Erträge durch beide Staaten (Ansässigkeits- und Quellenstaat). Zweifelhaft ist dabei aber zum einen, ob die abgeführten Gewinne der Organgesellschaften zu im anderen Staat steuerpflichtigen (Ausschüttungs-)Erträgen i.S.v. § 4i Satz 2 EStG führen (s.o.) oder ob die Erträge dort nicht – aufgrund einer § 8b KStG vergleichbaren Vorschrift – freigestellt sind. Zweifelhaft ist zum anderen, ob im Rahmen der von § 4i Satz 2 EStG geforderten Nämlichkeitsprüfung („Erträge desselben Steuerpflichtigen …“; hier: Obergesellschafterin = Beigeladene) von der Transparenz der AE CV (Oberpersonengesellschaft) gemäß der inländischen ertragsteuerrechtlichen Beurteilung (Typenvergleich) oder – wofür der Gesetzeswortlaut spricht („tatsächliche Besteuerung“) – von deren Behandlung im anderen Staat und damit von der u.U. gegebenen (s. Besprechungsurteil zu Rz. 40) Körperschaftsteuerpflicht (Intransparenz)

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der Oberpersonengesellschaft (AE CV) nach niederländischen Recht auszugehen ist. b) Keine Zinsabzugssperre entfaltete ferner die rückwirkend eingeführte organschaftliche Beschränkungsregel des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG n.F., nach der negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt bleiben, soweit sie in einem ausländischen Staat im Rahmen der Besteuerung des Organträgers, der Organgesellschaft oder einer anderen Person berücksichtigt werden. Abgesehen davon, dass die Vorschrift entgegen ihrer systematischen Stellung nicht die Voraussetzungen der steuerrechtlichen Organschaft dem Grunde nach regelt, sondern lediglich deren Rechtsfolgen i.S. eines partiellen Abzugsverbots beschränkt, und nicht auf das Einkommen der beteiligten Rechtsträger, sondern (ohne weitere Erläuterung) auf den Begriff der (negativen) Einkünfte rekurriert, ist sie nach Wortlaut und unter Berücksichtigung ihrer Einbindung in die organschaftsrechtlichen Sonderbestimmungen des KStG nicht anwendbar, wenn – wie im Streitfall (Klägerin als Organträgerin bzgl. zweier nachgeordneter Kapitalgesellschaften/Organgesellschaften) – weder die Organgesellschaften negative Einkünfte (bzw. negative Einkommen) erzielen noch sich bei der Organträgerin (Klägerin) nach organschaftsrechtlichen Ergebniszurechnungen negative Einkünfte ergeben. Im Übrigen bestehen Zweifel am Tatbestand des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG auch insofern, als eine Personengesellschaft (Klägerin) nicht Subjekt der Einkunftserzielung ist und es demgemäß i.S.d. vorgenannten Regelung auch keine negativen Einkünfte der Personengesellschaft als Organträgerin geben kann. Zudem erscheint fraglich, ob der gegenteiligen Ansicht im Wege der Gesetzesauslegung mit dem gängigen methodischen Instrumentarium entsprochen werden kann; dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der Gesetzgeber ansonsten durchaus der Zusammenhänge der Transparenzbetrachtung bewusst ist. c) Nach den Verhältnissen des Streitfalls war der Senat ferner der Ansicht, dass die Zinsabzugssperre aufgrund sog. Überentnahmen (§ 4 Abs. 4a EStG) nicht zum Tragen kommt. Zwar ist diese Restriktion nach dem Besprechungsurteil auch für Mitunternehmer-Kapitalgesellschaften zu beachten; jedoch ergaben sich nach den Feststellungen der Vorinstanz keine Anhaltspunkte dafür, dass (bei gesellschafterbezogener Betrachtung) die Entnahmen die Summe aus Gewinnen und Einlagen überschritten hätten.

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d) Anders hingegen die Einschätzung des Senats zu den Grenzen der Gesellschafter-Fremdfinanzierung nach § 8a Abs. 1 KStG (a.F.). Der Vorinstanz wurde insoweit aufgegeben, den Tatbestand dieser Norm im zweiten Rechtsgang mit Rücksicht auf die Refinanzierung der Obergesellschafterin bei ihrer Muttergesellschaft (C BV) zu überprüfen. Nach aktueller Rechtslage ergäbe sich insoweit eine Überprüfung anhand der hier nicht näher zu erläuternden Regeln der Zinsschranke (§ 4h EStG i.V.m. § 8a KStG). Aufklärungsbedarf sah der Senat schließlich auch mit Rücksicht auf die Fremdüblichkeit der Darlehenskonditionen (i.S.v. § 1 Abs. 1 und 4 AStG 2005).

III. Varia 1. Hinzurechnungsbesteuerung – Vorlage an EuGH – BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 a) Sachverhalt (gestrafft) Die Klägerin, eine deutsche GmbH, war zu 30 % an einer Schweizer AG beteiligt. Diese erzielte Einkünfte aus abgetretenen Geldforderungen, die vom FA zu Lasten der GmbH als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterworfen wurden. b) Rechtslage gemäß AStG – bisherige Rechtsprechung des EuGH Mithilfe der Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG) versucht der deutsche Fiskus, Gewinnverlagerungen in das niedriger besteuernde Ausland entgegenzuwirken. Bestimmte Einkünfte („Zwischeneinkünfte“) von Auslandsgesellschaften („Zwischengesellschaften“), an denen in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unbeschränkt Stpfl. beteiligt sind und die in ihren Sitzstaaten mit geringeren Ertragsteuersätzen als 25 % besteuert werden, werden unter bestimmten Voraussetzungen den in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern anteilig zugerechnet und bei diesen ähnlich Gewinnausschüttungen besteuert, ohne dass es darauf ankommt, ob die Gesellschafter tatsächlich Gewinnausschüttungen erhalten haben oder nicht. Der EuGH hat hinsichtlich einer vergleichbaren britischen Regelung im Jahr 2006 entschieden, dass eine Hinzurechnungsbesteuerung nur dann mit der unionsrechtlich verbürgten Niederlassungsfreiheit vereinbar ist, wenn der Stpfl. die Besteuerung durch den Nachweis abwenden kann, 447

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dass es sich bei der Beteiligung an der Zwischengesellschaft nicht um eine rein künstliche Gestaltung handelt, die nur dazu dient, den höheren inländischen Steuersätzen zu entgehen (sog. Motivtest). Den deutschen Gesetzgeber hat die EuGH-Rspr. dazu bewogen, für Beteiligungen an Zwischengesellschaften aus EU- und EWR-Staaten ab dem Jahr 2008 eine Entlastungsmöglichkeit durch einen Motivtest gesetzlich zu verankern (§ 8 Abs. 2 AStG). c) Erwägungen der Vorlage Für in Drittstaaten wie der Schweiz ansässige Zwischengesellschaften gibt es jedoch keine vergleichbare Entlastungsmöglichkeit. Dies könnte nach Auffassung des BFH gegen die unionsrechtlich verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen, die – anders als die Niederlassungsfreiheit – grundsätzlich auch im Verkehr mit Drittstaaten geschützt ist. Die Vorlage,13 die sich zudem mit weiteren Detailfragen14 befasst, kann allgemein für Beteiligungen an Gesellschaften mit Sitz außerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) von Bedeutung sein. d) Leitsätze „Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. [Stand-Still-Klausel anwendbar?] Ist Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) dahin auszulegen, dass eine zum 31. Dezember 1993 im Zusammenhang mit Direktinvestitionen bestehende Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern durch einen Mitgliedstaat auch dann nicht von Art. 56 EG (jetzt: Art. 63 AEUV) berührt wird, wenn die zum Stichtag bestehende, den Kapitalverkehr mit dritten Ländern beschränkende einzelstaatliche Rechtsvorschrift im Wesentlichen nur für Direktinvestitionen galt, aber nach dem Stichtag dahin erweitert worden ist, dass sie auch Portfoliobeteiligungen an ausländischen Gesellschaften unterhalb der Beteiligungsschwelle von 10 % erfasst? 2. [Einfluss von nicht in Kraft getretenen Rechtsänderungen auf die Stand-StillKlausel?] Falls die erste Frage zu bejahen ist: Ist Art. 57 Abs. 1 EG dahin auszulegen, dass es als Anwendung einer am Stichtag 31. Dezember 1993 bestehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschrift zur Beschränkung des Kapitalverkehrs mit dritten Ländern in Zusammenhang mit Direktinvestitionen anzusehen ist, wenn 13 BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642. 14 Vgl. weiterführend Brandis, BFH/PR 2017, 200; Cortez/Schmidt, NWB 2017, 1957; Cloer/Holle, FR 2017, 620; Weiss, IWB 2017, 383.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht eine der am Stichtag bestehenden Beschränkung im Wesentlichen entsprechende spätere Rechtsvorschrift zur Anwendung kommt, die zum Stichtag bestehende Beschränkung jedoch nach dem Stichtag aufgrund eines Gesetzes kurzzeitig wesentlich verändert worden ist, welches zwar rechtlich in Kraft getreten, in der Praxis aber nie zur Anwendung gekommen ist, weil es noch vor dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Anwendbarkeit auf einen Einzelfall durch die jetzt zur Anwendung kommende Rechtsvorschrift ersetzt worden ist? 3. [Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit durch Drittstaaten-Hinzurechnung?] Falls eine der ersten beiden Fragen zu verneinen ist: Steht Art. 56 EG einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, nach der in die Steuerbemessungsgrundlage eines in jenem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, der an einer in einem anderen Staat (hier: Schweiz) ansässigen Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt ist, die von dieser Gesellschaft erzielten positiven Einkünfte mit Kapitalanlagecharakter anteilig in Höhe der jeweiligen Beteiligungsquote einbezogen werden, wenn diese Einkünfte einem niedrigeren Besteuerungsniveau als im erstgenannten Staat unterliegen?“

e) ATAD I – Anti Tax Avoidance Directive Die Richtlinie (EU) 2016/1164 vom 16.7.2016 (sog. ATAD I) enthält – als Vorgabe eines Mindestschutzniveaus – in Art. 7 Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung für bestimmte passive Einkünfte (Zinsen, Dividenden, Lizenzgebühren etc.), die bei EU-Sachverhalten unter dem Vorbehalt des Motivtests stehen („Nachweis der wirtschaftlich wesentlichen Tätigkeit“). Bei Drittstaaten wird den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt, von diesem Vorbehalt abzusehen. Zur Kritik an der Richtlinie z.B. Linn, IStR 2016, 645. Im Übrigen wird auf die gesonderte Darstellung im letzten Teil der Veranstaltung verwiesen.

2. Freigestellte EU-Betriebsstätten und Progressionsvorbehalt – BFH v. 26.1.2017 – I R 66/15, BFH/NV 2017, 726 Sachverhalt (gekürzt) Der mit seiner Ehefrau zusammen zur ESt veranlagte Kläger hatte seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland). Er ist ausgebildeter Steuerfachangestellter und betreibt seit 2001 in A (Niederlande) ein Büro als Belastingadviseur. Aus dieser Tätigkeit bezog er positive Einkünfte, die das FA dem Progressionsvorbehalt gem. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG unterwarf. Der Einwand des Klägers, dem stehe der Ausnahmetatbestand des § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG entgegen, ist weder das FG noch der BFH gefolgt. Letzterer konnte dabei offenlassen,

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ob der Kläger gewerbliche oder freiberufliche Einkünfte aus seiner Tätigkeit in den Niederlanden erzielt hatte. Die einschlägigen Vorschriften lauten auszugsweise: „§ 32b EStG (1) 1Hat ein zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtiger, … 3. Einkünfte, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung steuerfrei sind, … so ist auf das nach § 32a Absatz 1 zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. 2Satz

1 Nummer 3 gilt nicht für Einkünfte

… 2. aus einer anderen als in einem Drittstaat belegenen gewerblichen Betriebsstätte, die nicht die Voraussetzungen des § 2a Absatz 2 Satz 1 erfüllt, … § 2a Abs. 2 Satz 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 (Anm: Verlustverwertungsbeschränkung für gewerbliche Einkünfte) ist nicht anzuwenden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass die negativen Einkünfte aus einer gewerblichen Betriebsstätte in einem Drittstaat stammen, die ausschließlich oder fast ausschließlich die Herstellung oder Lieferung von Waren, außer Waffen, die Gewinnung von Bodenschätzen sowie die Bewirkung gewerblicher Leistungen zum Gegenstand hat, soweit diese nicht in der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen, die dem Fremdenverkehr dienen, oder in der Vermietung oder der Verpachtung von Wirtschaftsgütern einschließlich der Überlassung von Rechten, Plänen, Mustern, Verfahren, Erfahrungen und Kenntnissen bestehen …“. Leitsätze (n.v.) „1. Nach Abkommensrecht steuerfreie positive und negative Einkünfte aus gewerblichen EU-Betriebsstätten, die den Aktivitätsanforderungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG genügen, unterliegen dem Progressionsvorbehalt. 2. Der in § 32b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG enthaltene Verweis auf § 2a Abs. 2 Satz 1 EStG bezieht sich nur auf die dort enthaltenen Aktivitätsanforderungen.“

Anmerkung Der Verweis des § 32b EStG auf § 2a Abs. 2 EStG ist in einem besonders eklatanten Maße missglückt. Nur so ist auch der erhebliche Erläuterungsaufwand des in der Sache zutreffenden Besprechungsurteils zu er450

Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

klären. Zur Entscheidung s. weiterführend Kahlenberg, IWB 2017, 467; Kahlenberg, ISR 2017, 267.

3. Wegzugsbesteuerung gemäß § 6 AStG – Keine Verlustberücksichtigung – BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BFHE 258, 300 Sachverhalt Der bisher im Inland wohnhafte Kläger ist zum 1.7.2009 (Streitjahr) nach Österreich gezogen. Er hielt zu diesem Zeitpunkt Anteile von mindestens 1 % an fünf Kapitalgesellschaften (A, B, C, D, E). Bezogen auf die Anschaffungskosten ergaben sich für die Beteiligungen an A und B fiktive Veräußerungsgewinne auf den Wegzugszeitpunkt, die das FA nach Maßgabe von § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. c EStG zu 60 % der Einkommensteuer unterwarf. Die hierauf entfallende ESt wurde gem. § 6 Abs. 5 AStG zinslos gestundet. In Bezug auf die anderen Beteiligungen des Klägers ergaben sich nach dem Ergebnis der tatsächlichen Verständigung fiktive Veräußerungsverluste auf den Wegzugszeitpunkt von … Euro (C), … Euro (D) und … Euro (E). Sie wurden vom FA bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt. Diese Einschätzung hat der BFH bestätigt.15 Er hat hierbei seine zur früheren Fassung des § 6 AStG ergangene Rspr. auch im Rahmen der Neufassung der Vorschrift durch das SEStEG (Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782 = BStBl. I 2007, 4) bestätigt. Leitsatz „§ 6 Abs. 1 Satz 1 AStG ist auch nach den Modifikationen durch das SEStEG dahin auszulegen, dass er nur für die Fälle auf § 17 EStG verweist, in denen der gemeine Wert der Anteile zu dem für die Besteuerung maßgebenden Zeitpunkt die Anschaffungskosten übersteigt (Anschluss an das Senatsurteil vom 28. Februar 1990 I R 43/86, BFHE 160, 180, BStBl II 1990, 615).“

Anmerkungen –

Offen blieb, ob ein nach Wegzug tatsächlich realisierter Veräußerungsverlust im Inland noch geltend gemacht werden kann.



Eine ganz andere Frage ist, ob die aktuelle Fassung des § 6 AStG, die ja auf die Rspr. des EuGH zurückgeht und sich grundlegend von den Regeln zur gegenständlichen Entstrickung (z.B. Übertragung von

15 BFH v. 26.4.2017 – I R 27/15, BFHE 258, 300 = GmbHR 2017, 1167.

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Wacker, Aktuelle Rechtsprechung des I. Senats zum Internationalen Steuerrecht

Wirtschaftsgütern in ausländische Betriebsstätten) unterscheidet, aufgrund der jüngeren Judikatur des EuGH (s. EuGH v. 21.12.2016 – C-503/14 [Kommission gegen Portugal], ECLI:EU:C:2016:979, ABl. EU 2017, Nr C 53, 2-3 = IStR 2017, 69), nicht zu Lasten der Stpfl. verschärft werden kann oder muss; s. hierzu Wacker, Wegzug und Entstrickung, DStJG 41 [2018].

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Korrespondenzregeln im deutschen Internationalen Steuerrecht Professor Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Frankfurt a.M. Dr. Eva Oertel Bayrisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat, München I. Einleitung II. Generelle Anmerkungen zum Korrespondenzprinzip – die korrespondierende Besteuerung als Leitgedanke 1. Nationales Recht 2. Internationales Umfeld III. Korrespondenzregeln de lege lata 1. Korrespondenz bei Qualifikationskonflikt und vGA a) Materielle Korrespondenz (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) b) Formelle Korrespondenz (§ 32a Abs. 1 KStG) 2. Korrespondenz bei verdeckten Einlagen a) Materielle Korrespondenz (§ 8 Abs. 3 Satz 5 KStG) b) Formelle Korrespondenz (§ 32a Abs. 2 KStG) 3. Materielle Korrespondenz in Fällen doppelter Verlustberücksichtigung bei Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG) 4. Sonderbetriebsausgaben und Steuerbemessungsgrundlage (§ 4i EStG)

a) Sachkorrespondenz b) Ausnahme bei doppelter Erfassung von Erträgen nach § 4i Satz 2 EStG c) Korrespondierende Erfassung in der Steuerbemessungsgrundlage 5. OECD Nexus-Ansatz bei der Lizenzschranke (§ 4j EStG) a) Grundzüge der Lizenzschranke b) Kritische Würdigung 6. Korrespondenz bei DBA (§ 50d Abs. 8 ff. EStG) IV. Korrespondenzregeln de lege ferenda 1. Hybrid Mismatches (ATAD I und II) 2. Korrespondenz im Multilateralen Instrument („MLI“) 3. „Korrespondenz“ auch bei der Gewerbesteuer? (ATAD I) 4. „Korrespondenz“ von Verrechnungspreis und Zollwert? V. Fazit

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht

I. Einleitung Steuerrechtliche Korrespondenzvorschriften, englisch „linking rules“, haben sich zu einem Megatrend im internationalen Steuerrecht entwickelt. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die umfassenden Arbeiten des OECD-Projekts gegen „base erosion and profit shifting“ (BEPS),1 die zahlreiche innerstaatliche Lücken, sog. „mismatches“, offengelegt haben, welche als eine wesentliche Ursache für die (zwar legale, aber nicht gewünschte) Nichtbesteuerung von Einkünften bei Auslandsbezug angesehen werden. Das mit dem Begriff „Korrespondenz“ angesprochene Prinzip ist dem deutschen Rechtsanwender gut bekannt. Der deutsche Gesetzgeber ist zunehmend bemüht, Besteuerungslücken auch weltweit zu schließen und insbes. vermeintlich „weiße Einkünfte“ irgendwie in Deutschland zu besteuern. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, welche Korrespondenzregeln im deutschen internationalen Steuerrecht de lege lata bestehen und welche Regeln de lege ferenda zu erwarten sind. Zuvor wird auf das Verständnis des Begriffs der „Korrespondenz“ nach nationalem Recht und im internationalen Kontext eingegangen.

II. Generelle Anmerkungen zum Korrespondenzprinzip – die korrespondierende Besteuerung als Leitgedanke 1. Nationales Recht Ein allgemeines Korrespondenzprinzip ist in Deutschland zwar weder gesetzlich verankert noch hat es die Rspr. aus höherrangigem Recht oder allgemeinen Rechtsgedanken entwickelt.2 Dennoch ist das deutsche Steuerrecht von einem Korrespondenzgedanken durchzogen. Sowohl im materiellen Recht als auch im steuerlichen Verfahrensrecht finden sich zunehmend Bestimmungen, die auf die korrespondierende Erfassung von Einnahmen einerseits und Ausgaben andererseits abzielen, auch dann, wenn diese bei unterschiedlichen Steuersubjekten anfallen. Zentraler Beleg für die gesetzliche Verankerung des sog. materiellen Korrespondenzprinzips sind Beteiligungserträge, die beim Empfänger nur steuerfrei sind, wenn sie das Einkommen der leistenden Körperschaft 1 OECD (2015), Erläuterung, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD. www.oecd.org/tax/beps-explanatory-statement-2015 .pdf. 2 BFH v. 6.6.2012 – I R 6, 8/11, BStBl. II 2013, 111 = FR 2012, 1173.

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nicht gemindert haben (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) oder verdeckte Einlagen, die das Einkommen der Körperschaft erhöhen, soweit sie das Einkommen des Gesellschafters gemindert haben (§ 8 Abs. 3 Satz 4 KStG). Flankiert werden beide Regelungen durch das sog. formelle Korrespondenzprinzip nach § 32a KStG. Im materiellen Recht lassen sich des Weiteren das Verbot der doppelten Verlustberücksichtigung bei Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG), Bestimmungen zur überschreibenden Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen (§ 50d Abs. 8 ff. EStG), Beschränkungen des Sonderbetriebsausgabenabzugs bei Vorgängen mit Auslandsbezug (§ 4i EStG) und die Lizenzschranke (§ 4j EStG) nennen, ebenso die Vorschriften über den Abzug von Unterhaltsleistungen und deren korrespondierende Erfassung nach §§ 10 und 22 EStG3. In verfahrensrechtlicher Hinsicht anzuführen sind die Kontrollmitteilungen4 und das Empfängerbenennungsverlangen nach § 160 AO. Kontrollmitteilungen sollen die folgerichtige Besteuerung – insbes. die zutreffende Erfassung von Einnahmen – beim Leistungsempfänger sicherstellen.5 Den gleichen Zweck verfolgt auch § 160 AO, der jedoch hinsichtlich der Rechtsfolge eine genau entgegengesetzte Wirkung entfaltet, indem er den Abzug der Aufwendungen beim Leistenden versagt.6 Schon heute steht fest, dass die Zahl der Korrespondenzregeln in Zukunft weiter zunehmen wird. Insbesondere die beiden „Anti-Tax-AvoidanceDirectives“ (nachfolgend: ATAD I und II) der EU7 erfordern konkrete Änderungen des innerstaatlichen Steuerrechts. Hierauf wird später näher eingegangen. Unter fiskalpolitischen Erwägungen erscheint das Korrespondenzprinzip grundsätzlich sinnvoll, ggf. sogar notwendig, jedenfalls wenn man von einem geschlossenen Finanzsystem als Grundprinzip ausgeht, in dem sich Einnahmen und Ausgaben jeweils gegenseitig bedingen. Unter verfas3 Hierzu grundlegend Müller, Das interpersonale Korrespondenzprinzip im Einkommensteuerrecht – Eine steuersystematische Betrachtung, 2007. 4 Unter einem globaleren Blickwinkel kann ergänzend dazu auf die Möglichkeit zum Versand von Spontanauskünften hingewiesen werden, die insbes. in § 8 EUAHiG verankert ist; vgl. hierzu Seer, IWB 2014, 87 (91). 5 Vgl. Rüsken in Klein, AO12, § 194 Rz. 28 ff. 6 Cöster in König, AO3, § 160 Rz. 6. 7 Richtlinie 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarktes (sog. ATAD I) sowie Richtlinie 2017/952 des Rates v. 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie 2016/1164 bezüglich hybrider Gestaltung mit Drittländern (sog. ATAD II).

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sungsrechtlichen Aspekten erscheint das Korrespondenzprinzip hingegen insoweit bedenklich, als es mit dem Leistungsfähigkeitsprinzip und den allgemeinen Grundsätzen der Individualbesteuerung kollidieren kann.8 Aus der Gesamtschau dieser auf Art. 3 und 12 GG basierenden Prinzipien bzw. Grundsätze folgt, dass jeder Aufwand, der zu einer Minderung der Leistungsfähigkeit führt, steuerlich abziehbar sein und jede Einnahme die Leistungsfähigkeit erhöhen muss. Beides sollte indes unabhängig davon erfolgen, wie die Tatbestände bei dem Empfänger bzw. Leistenden zu behandeln sind. Es bedarf keiner besonderen Erklärungen, dass Korrespondenzvorschriften zu erheblichen Vollzugsproblemen führen können.9 Sowohl der Stpfl. als auch die Verwaltung müssen den korrespondierenden Parallelsachverhalt und dessen rechtliche Würdigung im Auge haben. Dies ist regelmäßig mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden.

2. Internationales Umfeld Im internationalen Kontext ist der Begriff der „Korrespondenz“ nicht klar zu greifen. Bis in die jüngere Vergangenheit waren die nationalen Steuersysteme fast ausschließlich über die Doppelbesteuerungsabkommen verknüpft. Die Notwendigkeit für grenzüberschreitend geltende Korrespondenzregeln wurde nicht gesehen. Die BEPS-Initiative der OECD/G20 hat insoweit zu einer grundlegend neuen Sichtweise geführt. Heute dürfte unter den meisten OECD-Staaten ein Konsens darüber bestehen, dass eine faire Verteilung der Steuereinnahmen nur möglich ist, wenn die nationalen Steuersysteme sich einander annähern und an gewissen Schnittstellen aufeinander abgestimmt werden.10 Dieser Gedanke zieht sich als roter Faden durch den ganzen BEPS-Prozess und wird besonders deutlich in Aktionspunkt 2, in dem es um die Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen geht. Exemplarisch sei die Darstellung im „Überblick der OECD über das BEPS-Maßnahmenpaket“11 angeführt:

8 Müller (Fn. 3), 278. 9 Speziell bezogen auf das „materielle Korrespondenzprinzip“ in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG Kroppen, DStJG 37 (2014), 259 (276). 10 Vgl. auch die Diskussion im Rahmen der 38. Jahrestagung der DStJG, DStJG 37 (2014), 288 f. 11 OECD (2015), Erläuterung, OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, OECD. www.oecd.org/tax/beps-explanatory-statement-2015 .pdf.

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht Aktionspunkt 2 – Neutralisierung der Effekte hybrider Gestaltungen „Ein gemeinsamer Ansatz wird über innerstaatliche Vorschriften sowie Abkommensregeln zur Neutralisierung der Effekte solcher Gestaltungen die Konvergenz der Vorgehensweisen der einzelnen Staaten fördern. Dies wird dabei helfen, durch die Beseitigung der steuerlichen Vorteile hybrider Gestaltungen eine doppelte Nichtbesteuerung zu verhindern und kostspielige mehrfache Betriebsausgabenabzüge für einen einzigen Ausgabenposten, Abzüge in einem Staat ohne entsprechende Besteuerung in einem anderen sowie die mehrfache Anrechnung ausländischer Quellensteuern zu unterbinden. Indem sie Besteuerungsinkongruenzen ausmerzen, den Einsatz der entsprechenden Instrumente oder Rechtsträger sonst aber nicht beeinträchtigen, werden die Regeln die Nutzung dieser Gestaltungen als Instrument zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung bremsen, ohne sich negativ auf die grenzüberschreitende Handels- und Investitionstätigkeit auszuwirken.“

Innerhalb der EU wurde der BEPS-Aktionspunkt 2 bereits aktiv umgesetzt. ATAD I und II verlangen von den EU-Mitgliedstaaten in den nächsten zwei Jahren zahlreiche Rechtsangleichungen. Dem liegen folgende Überlegungen zugrunde: „Inkongruenzen führen oft zu einem doppelten Abzug (d.h. einem Steuerabzug in beiden Steuersystemen) oder zum Abzug der Einkünfte in einem Land bei gleichzeitiger Nichtbesteuerung im anderen Land. Um die Auswirkungen hybrider Gestaltungen zu neutralisieren, müssen Vorschriften festgelegt werden, nach denen eines der beiden betroffenen Steuergebiete den Abzug einer Zahlung, die zu einem solchen Ergebnis führt, verweigert.“12

Bei Lektüre der EU-Dokumente fällt auf, dass der Begriff „Korrespondenz“ – zumindest in den offiziellen deutschen Sprachfassungen – kaum bis gar nicht verwendet wird. Das erklärte Ziel ist vielmehr das „Ausmerzen von Besteuerungsinkongruenzen“. Beiden Begriffen liegt dasselbe Ziel zugrunde, allerdings ist der mitschwingende Unterton bemerkenswert. Die sprachliche Herangehensweise dürfte wohl darauf zurückzuführen sein, dass den Staaten die Rechtfertigung von international abgestimmten, aber national zu treffenden Maßnahmen besser gelingt, wenn es (negativ) darum geht, Inkongruenzen zu vermeiden, als (positiv) Korrespondenzen zu schaffen. Im EU-Recht besteht jedenfalls nur Raum für abgestimmte Maßnahmen, wenn die sog. Subsidiaritätsprüfung negativ ausfällt, d.h. wenn das gesetzgeberische Ziel nicht auch ohne verbindliche internationale Richtlinien erreicht werden kann.

12 Vgl. Erwägungsgrund 13 der ATAD I.

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III. Korrespondenzregeln de lege lata 1. Korrespondenz bei Qualifikationskonflikt und vGA a) Materielle Korrespondenz (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) Mit dem Jahressteuergesetz 200713 wurde der Gedanke des materiellen Korrespondenzprinzips zunächst für Bezüge aus verdeckten Gewinnausschüttungen (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG) und für verdeckte Einlagen (§ 8 Abs. 3 Sätze 4–6 KStG) gesetzlich verankert.14 Das für verdeckte Gewinnausschüttungen geltende Korrespondenzprinzip wurde im Jahr 201315 erweitert und gilt seither für sämtliche Bezüge i.S.v. § 8b Abs. 1 KStG. Das materielle Korrespondenzprinzip in § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG verknüpft im Rahmen des Schachtelprivilegs (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG) die Sphäre von Körperschaft und Anteilseigner dahingehend miteinander, dass die Steuerbefreiung von Bezügen auf Ebene der empfangenden Körperschaft nur erfolgt, soweit diese Bezüge das Einkommen der leistenden Gesellschaft nicht gemindert haben. Insoweit ordnet es eine Durchbrechung des Trennungsprinzips an, das besagt, dass Körperschaft und Anteilseigner als voneinander selbständige Steuersubjekte zu behandeln sind.16 Besondere Bedeutung hat § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG bei Steuersachverhalten mit Auslandsbezug. Die Regelung wirkt maßgeblich der Nichtbesteuerung von Einkünften entgegen, die sich aus Qualifikationskonflikten durch Rechtsunterschiede zwischen den Steuersystemen der Länder ergeben. Dies entspricht der Intention des Gesetzgebers, nicht besteuerte („weiße“) Einkünfte insbes. aus hybriden Finanzierungen zu verhindern.17 Für inländische Steuersachverhalte ist die Bedeutung der Vorschrift vergleichsweise gering.18

13 Jahressteuergesetz 2007 v. 13.12.2006, BGBl. I 2006, 2878. 14 Bereits zuvor hatte der BFH den Korrespondenzgedanken als Voraussetzung für das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung formuliert. Vgl. BFH v. 7.8.2002 – I R 2/02, BStBl. II 2004, 131 = FR 2003, 132. 15 Amtshilferichtlinien-Umsetzungsgesetz v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1809. 16 Gosch in Gosch, KStG3, § 8b Rz. 143a; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/ Neumann, KStG, § 8b Rz. 128. 17 BR-Drucks. 632/1/12, 3 f. 18 Gosch in Gosch, KStG3, § 8b Rz. 143c; Birker/Schänzle, Ubg. 2016, 320.

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht Die Funktionsweise des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG sei an folgendem Beispiel illustriert: Die inländische M-AG ist zu 100 % an der luxemburgischen T-Sàrl beteiligt und erhält jährlich Zahlungen unter einem Genussrecht i.H.v. 100. Das Genussrecht wird in Deutschland als Eigenkapital und in Luxemburg als Fremdkapital qualifiziert. Die Zahlungen der T-Sàrl mindern deren steuerpflichtigen Gewinn.

Die steuerliche Behandlung stellt sich wie folgt dar: Bei der M-AG als Zahlungsempfängerin sind die Zahlungen als Bezüge aus dem Genussrecht i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG grundsätzlich nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG steuerfrei gestellt. Das materielle Korrespondenzprinzip des § 8b Abs. 1 Satz 2 KStG ordnet nun an, dass die Bezüge der M-AG aus dem Genussrecht i.H.v. 100 voll steuerpflichtig sind. Das Abzugsverbot des § 8b Abs. 5 KStG greift nicht.

b) Formelle Korrespondenz (§ 32a Abs. 1 KStG) Mit § 32a Abs. 1 KStG besteht eine Verfahrensvorschrift, die die Änderungsvorschriften der AO bei Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung ergänzt. Soweit gegenüber einer Körperschaft ein Steuerbescheid hinsichtlich der Berücksichtigung einer verdeckten Gewinnausschüttung erlassen, aufgehoben oder geändert wird, kann ein Steuer- oder Feststellungsbescheid gegenüber dem Gesellschafter, der die verdeckte Gewinnausschüttung erhält, oder einer diesem nahestehenden Person erfolgen.

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht Beispiel: Die M-AG vermietet der T-GmbH ein Grundstück zu einem unangemessen hohen Preis, der i.H.v. 100 nicht fremdüblich war. Die Mietzahlungen wurden bei der T-GmbH in voller Höhe als Betriebsausgaben und bei der M-AG als Betriebseinnahmen erfasst. Eine Änderung der bestandskräftigen Steuerbescheide der M-AG ist nach den Vorschriften der AO nicht mehr möglich.

Die nicht fremdüblichen Mietzahlungen der T-GmbH an die M-AG i.H.v. 100 dürfen als verdeckte Gewinnausschüttung gem. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG das Einkommen der T-GmbH nicht mindern, so dass die steuerliche Bemessungsgrundlage der T-GmbH um 100 zu erhöhen ist. Bei der M-AG stellen die nicht fremdüblichen Mietzahlungen Gewinnausschüttungen dar, die im Ergebnis zu 95 % steuerfrei sind (§ 8b Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 KStG). Die bestandskräftigen Steuerbescheide der M-AG können gem. § 32a Abs. 1 Satz 1 KStG (zu ihren Gunsten) geändert werden.19 Das formelle Korrespondenzprinzip bewirkt eine Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist hinsichtlich der Steuerbescheide der M-AG, die bis zum Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit der Steuerbescheide der T-GmbH korrigiert werden können (§ 32a Abs. 1 Satz 2 KStG).

19 Vgl. zur Zweifelsfrage, ob es sich bei § 32a KStG um eine Ermessensvorschrift handelt, Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 32a KStG Rz. 34 m.w.N.

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2. Korrespondenz bei verdeckten Einlagen a) Materielle Korrespondenz (§ 8 Abs. 3 Satz 5 KStG) Verdeckte Einlagen20 führen grundsätzlich nicht zu einer Einkommenserhöhung bei der sie empfangenden Körperschaft (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG). Ausnahmen hiervon sind in § 8 Abs. 3 Sätze 4 und 5 KStG geregelt. Nach § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG ist eine verdeckte Einlage der sie empfangenden Körperschaft einkommenserhöhend zu berücksichtigen, soweit sie das Einkommen des Gesellschafters gemindert hat. § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG ordnet eine Einkommenserhöhung durch verdeckte Einlagen für Dreieckskonstellationen an, bei denen verdeckte Gewinnausschüttung und verdeckte Einlage zusammentreffen: Das Einkommen der die verdeckte Einlage empfangenden Körperschaft erhöht sich, wenn die Einlage auf einer verdeckten Gewinnausschüttung beruht, die dem Anteilseigner von einer nahestehenden Person zugewendet wurde und diese bei der Besteuerung des Anteilseigners nicht berücksichtigt wurde, es sei denn, die verdeckte Gewinnausschüttung hat das Einkommen des Leistenden nicht vermindert. Werden auf Ebene der Körperschaft Bezüge als verdeckte Einlagen behandelt, folgt nach der Grundkonzeption des Trennungsprinzips hieraus keine entsprechende Qualifikation auf der Ebene des Anteilseigners.21 § 8 Abs. 3 Sätze 4 und 5 KStG stellen eine korrespondierende Behandlung von verdeckten Einlagen auf Ebene des Anteilseigners und der Körperschaft sicher. Wie die Parallelvorschrift in § 8b KStG wird die Sicherstellung einer Einmalbesteuerung bezweckt.22 Die Verknüpfung der Ebenen von Körperschaft und Anteilseigner durch § 8 Abs. 3 Satz 4 KStG ist auf den Wert der verdeckten Einlage begrenzt (betragsmäßige Korrespondenz).23 Zur Veranschaulichung der Funktionsweise sollen die nachfolgenden drei Beispiele dienen.

20 Vgl. zum Begriff der verdeckten Einlage R 8.9 Abs. 1 KStR. 21 Schallmoser in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 87. 22 Roser in Gosch, KStG3, § 8 Rz. 124; Schallmoser in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 87. 23 Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 186.

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht Ausgangsfall Im Ausgangsfall hat die T2-GmbH ihrer Schwestergesellschaft T1-GmbH ein Darlehen gegen Zahlung eines unangemessen hohen Zinses gewährt. Die Zinsen werden bei der T1-GmbH in voller Höhe als Betriebsausgaben und bei der T2-GmbH in voller Höhe als Betriebseinnahmen erfasst. Die Zinsen sind i.H.v. 100 nicht fremdüblich. Die Steuerbescheide aller beteiligten Gesellschaften sind änderbar.

Die Vorteilszuwendungen zwischen den Schwestergesellschaften führen zu einer verdeckten Gewinnausschüttung der T1-GmbH an die M-AG und zu einer verdeckten Einlage der M-AG an die T2-GmbH. Die Steuerbescheide der beteiligten Gesellschaften sind zu ändern. Auf Ebene der T1-GmbH darf die verdeckte Gewinnausschüttung nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG), so dass sich die steuerliche Bemessungsgrundlage um 100 erhöht. Auf Ebene der M-AG ist die verdeckte Gewinnausschüttung im Ergebnis zu 95 % steuerfrei (§ 8b Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 KStG), während die verdeckte Einlage zu einer Erhöhung des Beteiligungsbuchwerts an der T2-GmbH um 100 führt. Die steuerliche Bemessungsgrundlage der M-AG erhöht sich mithin um 5. Auf Ebene der T2GmbH führt die verdeckte Einlage nicht zu einer Einkommenserhöhung (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG), so dass sich die steuerliche Bemessungsgrundlage um 100 reduziert. Erste Abwandlung In Abwandlung des Ausgangsfalls wird nunmehr die Situation betrachtet, dass der Steuerbescheid der T1-GmbH nach den Vorschriften der AO nicht mehr geändert werden kann:

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Es ergeben sich folgende Besteuerungsfolgen: Auf Ebene der T1-GmbH kann die verdeckte Gewinnausschüttung aufgrund der bestandskräftigen Steuerbescheide nicht mehr berücksichtigt werden, d.h. die materiell-rechtlich gebotene Einkommenserhöhung um 100 (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) ist abgeschnitten. Auf Ebene der M-AG ist die verdeckte Gewinnausschüttung – anders als im Ausgangsfall – nunmehr in voller Höhe steuerpflichtig, da sie das Einkommen der T1-GmbH gemindert hat (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Die verdeckte Einlage führt wiederum zu einer Erhöhung des Beteiligungsbuchwerts an der T2-GmbH um 100. Auf Ebene der T2GmbH führt die verdeckte Einlage nicht zu einer Einkommenserhöhung (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG), das Einkommen wird um 100 reduziert. Zweite Abwandlung Die Situation entspricht derjenigen im Grundfall, jedoch sind die Steuerbescheide von T1-GmbH und M-AG nach den Vorschriften der AO nicht mehr änderbar.

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht Auf Ebene von T1-GmbH und M-AG können die verdeckte Gewinnausschüttung bzw. die verdeckte Einlage nicht mehr berücksichtigt werden. Auf Ebene der T2GmbH führt die verdeckte Einlage zu einer Einkommenserhöhung (§ 8 Abs. 3 Satz 5 KStG). Aufgrund der Bestandskraft der Steuerbescheide von T1-GmbH und M-AG hat die überhöhte Zinszahlung das Einkommen der T1-GmbH gemindert und ist bei der Besteuerung der M-AG nicht berücksichtigt worden. Die verdeckte Einlage der M-AG an die T2-GmbH beruht zudem auf der verdeckten Gewinnausschüttung der T1-GmbH an die M-AG. Mithin ist die verdeckte Einlage gem. § 8 Abs. 3 Satz 5 KStG einkommenserhöhend zu berücksichtigen. Das Einkommen der T2-GmbH bleibt unverändert, da die überhöhte Zinszahlung als Betriebseinnahme erfasst wurde.

b) Formelle Korrespondenz (§ 32a Abs. 2 KStG) § 32a KStG beinhaltet eine Verfahrensvorschrift, welche die Änderungsvorschriften der AO bei Vorliegen einer verdeckten Einlage ergänzt: Wird gegenüber dem Gesellschafter ein Steuerbescheid oder Feststellungsbescheid hinsichtlich der Berücksichtigung einer verdeckten Einlage geändert, sieht § 32a Abs. 2 KStG eine Berichtigung bei der vorteilsempfangenden Körperschaft vor. Mit Verweis auf § 32a Abs. 1 Satz 2 KStG wird abweichend zu § 170 AO festgelegt, dass die Festsetzungsfrist des Steuerbescheids auf Ebene der Körperschaft nicht vor Ablauf eines Jahres nach Unanfechtbarkeit des Steuerbescheids des Gesellschafters endet. Anders als § 32a Abs. 1 KStG enthält § 32a Abs. 2 KStG keine Korrekturmöglichkeit für Steuerbescheide der dem Vorteilsempfänger nahestehenden Personen (sog. Dreieckskonstellationen). Eine entsprechende Anwendung wird in der Literatur abgelehnt.24 Beispiel: Der Sachverhalt entspricht dem des obigen Ausgangsfalls, jedoch sind die Steuerbescheide der Schwestergesellschaften T1 und T2-GmbH nach den Vorschriften der AO nicht mehr änderbar.

24 Dötsch/Pung, DB 2007, 11 (14); Bauschatz in Gosch, KStG3, § 32a Rz. 42; Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32a KStG Rz. 20; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 32a KStG Rz. 52; Heinemann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 32a Rz. 74.

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Auf Ebene der T1-GmbH kann die verdeckte Gewinnausschüttung aufgrund bestandskräftiger Bescheide nicht mehr berücksichtigt werden. Die materiell-rechtlich gebotene Erhöhung des Einkommens um 100 (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) kann nicht mehr erfolgen. Auf Ebene der M-AG ist die verdeckte Gewinnausschüttung voll steuerpflichtig, da sie das Einkommen der T1-GmbH gemindert hat (§ 8b Abs. 1 Satz 2 KStG). Die verdeckte Einlage führt wiederum zu einer Erhöhung des Beteiligungsbuchwerts an der T2-GmbH um 100. Das Einkommen der M-AG erhöht sich mithin um 100. Auf Ebene der T2-GmbH führt die verdeckte Einlage materiell-rechtlich nicht zur Einkommenserhöhung (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG). Die bestandskräftigen Steuerbescheide der T2-GmbH können gem. § 32a Abs. 2 KStG geändert werden, so dass sich das Einkommen um 100 reduziert.

3. Materielle Korrespondenz in Fällen doppelter Verlustberücksichtigung bei Organschaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG) § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG soll bei Organschaft die (doppelte) Nutzung von Verlusten im In- und Ausland verhindern.25 Negative Einkünfte des Organträgers oder der Organgesellschaft bleiben bei der inländischen Besteuerung unberücksichtigt, soweit sie im Ausland bereits berücksichtigt wurden. Nicht erforderlich ist, dass die Verluste im Ausland bei demselben Rechtsträger erfasst werden, bei dem sie auch im Inland erfasst werden.26 Bei den negativen Einkünften handelt es sich um das konsolidierte Ergebnis des Organkreises.27 Rechtsfolge des § 14 25 BT-Drucks. 17/10774, 20. 26 Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UwStG, § 14 KStG Rz. 520. 27 BFH v. 12.10.2016 – I R 92/12, GmbHR 2017, 425; a.A. Neumann in Gosch, KStG3, § 14 Rz. 480a; Krumm in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 14 Rz. 218; Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UwStG, § 14 KStG Rz. 502.

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Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG ist die Versagung der steuerlichen Berücksichtigung der Verluste beim Organträger. Beispiel: Die ausländische Muttergesellschaft MG ist an der inländischen M-GmbH beteiligt. Die inländische T-GmbH ist eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der M-GmbH und bildet mit ihr eine Organschaft. Die MG erzielt im Ausland Einkünfte von 100. Die M-GmbH hat als Organträgerin Verluste von 200, die T-GmbH erzielt positive Einkünfte von 100. Bei der Besteuerung der MG im Ausland werden die Einkünfte der M-GmbH und der T-GmbH berücksichtigt (sog. „check the box“-Option“28).

Grundsätzlich ist der M-GmbH als Organträgerin das Einkommen der T-GmbH zuzurechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG). Damit ergibt sich im Organkreis ein Einkommen i.H.v. –100. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 KStG bleiben die negativen Einkünfte der M-GmbH unberücksichtigt, soweit sie im Ausland berücksichtigt werden. Bei der Besteuerung der ausländischen MG werden aufgrund der „checkthe-box“-Option die Verluste der M-GmbH i.H.v. –100 berücksichtigt. Danach ergibt sich eine Verlustabzugssperre i.H.v. 100, so dass das Einkommen des Organkreises 0 beträgt.

28 Zum „check the box“-Wahlrecht in den USA vgl. Jorde/Bernard, DB 2013, 2765–2769.

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4. Sonderbetriebsausgaben und Steuerbemessungsgrundlage (§ 4i EStG) Entsprechend der Forderung in der Beschlussempfehlung des Bundesrats29 wurde im Rahmen des sog. BEPS-Umsetzungsgesetzes30 mit § 4i EStG eine Vorschrift zur Begrenzung des doppelten Sonderbetriebsausgabenabzugs eingeführt. Die Regelung rückt die korrespondierende Behandlung von Sonderbetriebsausgaben in der Steuerbemessungsgrundlage in den Fokus. a) Sachkorrespondenz Der Sonderbetriebsausgabenabzug wird ausgeschlossen, soweit es im Ausland zu einem identischen Abzug kommt. Voraussetzung ist eine sachlich korrespondierende31 Behandlung der Aufwendungen32 im Inund Ausland. § 4i Satz 1 EStG stellt jedenfalls nicht darauf ab, ob und wo Einnahmen erzielt und versteuert werden.33 Die Gesetzesbegründung34 geht davon aus, dass eine doppelte Abzugsmöglichkeit Folge von nicht abgestimmter internationaler Gesetzgebung ist und sieht hierin die alleinige Ursache. Die Literatur35 erkennt dies nur als einen der möglichen Gründe an und weist zu Recht darauf hin, dass neben rechtlichen Aspekten (bspw. weil das Konzept des Sonderbetriebsausgabenabzugs im Ausland weitgehend unbekannt ist) auch Unterschiede bei der Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen oder rein tatsächliche Umstände, wie etwa Fehler bei der Rechtsanwendung, für ein sog. Double-Dip ausschlaggebend sein können. Daraus, dass der Gesetzeswortlaut allein auf die sachlich gleiche Behandlung im Ausland abstellt, folgt, dass es auf das zeitliche Moment, 29 30 31 32

BR-Drucks. 406/1/16, 3. BGBl. I 2016, 3000. Gosch in Kirchhof, EStG16, § 4i Rz. 6. Der Begriff „Aufwendung“ ist im deutschen Recht nirgends definiert. Im Kontext des § 4i EStG ist entsprechend dem Zweck der Norm eine weite Auslegung gerechtfertigt. Aufwendungen erfassen als Oberbegriff danach Ausgaben und Aufwand, d.h. sämtliche Wertabflüsse. Vgl. hierzu Pohl in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 4i EStG Rz. 27. 33 Schnitger, IStR 2017, 214 (216), mit Hinweis darauf, dass ein entsprechendes Erfordernis im Gesetzentwurf des § 4 Abs. 5a EStG-E noch enthalten war. 34 BT-Drucks. 18/9956, 2. 35 Gosch in Kirchhof, EStG16, § 4i Rz. 6; Pohl in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 4i EStG Rz. 53.

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wann jeweils Ausgaben abgezogen werden, nicht ankommen soll. Die Norm entfaltet mithin auch dann Wirkung, wenn der andere Staat den (Sonder-)Betriebsausgabenabzug (periodenversetzt) bereits in einem vorherigen oder späteren Zeitpunkt zugelassen hat bzw. zulässt. Eine zeitliche Korrespondenz im Hinblick auf den Besteuerungszeitraum, das betroffene Wirtschafts- bzw. Kalenderjahr oder den Veranlagungszeitpunkt ist nicht erforderlich.36 b) Ausnahme bei doppelter Erfassung von Erträgen nach § 4i Satz 2 EStG § 4i Satz 2 EStG enthält eine Rückausnahme. Danach kommt Satz 1 nicht zum Tragen und das Abzugsverbot greift nicht, wenn Erträge desselben Gesellschafters doppelt erfasst werden. Neben der Personenidentität ist weitere Voraussetzung, dass die Erträge des betroffenen Gesellschafters auch in eben jenem Staat besteuert werden, der korrespondierend zum deutschen Recht den (Sonder-)Betriebsausgabenabzug zulässt. Geht man davon aus, dass die Korrespondenzregeln das Ziel einer weltweit zutreffenden Einmalbesteuerung verfolgen, ist diese Regelung für Dreieckskonstellationen (d.h. wenn ein dritter Staat die Erträge berücksichtigt) bedenklich, weil Satz 2 dann nicht greift.37 Schließlich ist eine „tatsächlichen Besteuerung“ im anderen Staat erforderlich. Ausweislich der Gesetzesbegründung38 ist diese zu bejahen, wenn die Erträge in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezogen werden.39 Damit kommt der korrespondierenden Behandlung in der steuerlichen Bemessungsgrundlage40 in beiden Sätzen des § 4i EStG eine entscheidende Bedeutung zu.

36 Bergmann, FR 2017, 126 (129); Gosch in Kirchhof, EStG16, § 4i Rz. 6, der zu Recht darauf hinweist, dass die Zweckrichtung des § 4i EStG gerade nicht mit der des § 34c EStG vergleichbar ist, wo eine zeitliche Korrespondenz Voraussetzung für die Steueranrechnung ist; Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (349). 37 Schnitger, IStR 2017, 214 (218). 38 BT-Drucks. 18/9956, 4. 39 Zustimmend auch Wacker in Schmidt, EStG36, § 4i Rz. 6 und Kanzler, NWB 2017, 326. 40 Siehe dazu sogleich unter c).

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c) Korrespondierende Erfassung in der Steuerbemessungsgrundlage Wann es zu einer Minderung bzw. Erfassung in der (ausländischen) Steuerbemessungsgrundlage kommt, dürfte mangels einer international abgestimmten Definition des Begriffs nicht immer eindeutig zu bestimmen sein. Ausländisches Steuerrecht folgt nicht zwangsläufig dem in § 2 EStG niedergelegten Berechnungsschema. Man sollte daher nicht generell voraussetzen, dass alle Beträge, die in der Bemessungsgrundlage enthalten sind, auch automatisch zu einer Steuerzahllast führen. Dieser Annahme läge ein deutsches bzw. westeuropäisches Besteuerungsverständnis zugrunde. Solange allerdings keine tieferen Erkenntnisse über die Besonderheiten des Steuerrechts anderer Staaten im konkreten Fall relevant sind, wird die Interpretation des Begriffs „Steuerbemessungsgrundlage“ nach nationaler Herangehensweise erfolgen – obgleich die Regelung eigentlich ausländisches Recht41, nämlich die ausländische Steuerbemessungsgrundlage, in den Vordergrund stellt. Es ist zu erwarten, dass im Laufe der Zeit Erkenntnisse über ausländische Besteuerungspraktiken die Definition des Begriffs verändern und die Rechtsanwendung beeinflussen werden. Basierend auf nationalem Recht und hier insbes. § 2 EStG bedeutet „Einbeziehung in die Steuerbemessungsgrundlage“, dass der Vorgang im ausländischen Steuerbescheid berücksichtigt bzw. bei der Berechnung der Steuerzahllast eingeflossen ist.42 Keine Einbeziehung liegt hingegen vor, wenn die Beträge im anderen Staat nicht steuerbar bzw. sachlich steuerbefreit sind, oder der Stpfl. persönlich steuerbefreit ist oder aus anderen Gründen eine tatsächliche Besteuerung nicht erfolgt.43 Der letzte Punkt zeigt, wie bedeutsam die Details des ausländischen Rechts an dieser Stelle sind.

5. OECD Nexus-Ansatz bei der Lizenzschranke (§ 4j EStG) a) Grundzüge der Lizenzschranke Mit der sog. Lizenzschranke (§ 4j EStG) wurde eine weitere Spielart des Korrespondenzprinzips eingeführt.44

41 So auch Wacker in Schmidt, EStG36, § 4i Rz. 13. 42 A.A. Kudert/Kahlenberg, StuW 2017, 344 (355): Eine tatsächliche Steuerzahlung ist nicht erforderlich. 43 BT-Drucks. 18/9956, 4; vgl. auch Wacker in Schmidt, EStG36, § 4i Rz. 13. 44 Eingeführt durch das Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074.

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Grundsätzlich sind betrieblich veranlasste Lizenzgebühren ungeachtet der (ggf. niedrigen) Besteuerung beim Lizenznehmer abzugsfähig. § 4j EStG untersagt den Betriebsausgabenabzug, soweit (kumulativ) die Lizenzgebühren im Ausland einer Niedrigbesteuerung in Gestalt einer Präferenzregelung unterliegen, das in Frage stehende ausländische Präferenzregime dem Nexus-Ansatz gemäß dem Aktionspunkt 5 des OECD BEPS-Projekts nicht entspricht und schließlich die in Rede stehenden Lizenzgebühren an nahestehende Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG gezahlt werden. Eine Niedrigbesteuerung ist nach § 4j Abs. 2 EStG gegeben, wenn die Ertragsbesteuerung beim Lizenzgeber bzw. Zahlungsempfänger weniger als 25 % beträgt. Allerdings führt die Niedrigbesteuerung für sich allein noch nicht zum Abzugsverbot. Erforderlich ist, dass sich die niedrige Besteuerung aus einer Präferenzregelung ergibt. Damit gemeint ist eine Besteuerung im Land des Zahlungsempfängers, die die Einnahmen aus der Rechteüberlassung in Abweichung vom allgemeinen Steuerregime begünstigt (vgl. Lizenzbox-Regelung).45 Entspricht die Präferenzregelung dem Nexus-Ansatz der OECD, greift die Lizenzschranke nicht (§ 4j Abs. 1 Satz 4 EStG). Nach dem OECD Nexus-Ansatz sind Steuerbegünstigungen durch Präferenzsysteme nur zulässig, wenn die Einnahmen aus geistigem Eigentum resultieren, das der Lizenzgeber in eigener F&E-Tätigkeit entwickelt46 und in diesem Zusammenhang auch die Kosten der Entwicklung getragen hat („qualifizierte Ausgaben“)47. Der Nexus-Ansatz steht einer Steuerbegünstigung von IP-Einnahmen auch entgegen, wenn die F&E-Tätigkeit von einem nahestehenden Unternehmen durchgeführt wird.48 Eine Auftragsforschung durch fremde Dritte kann jedoch begünstigt werden.49 Marketingbezogene geistige Eigentumswerte (Marken) dürfen nach dem Nexus-Ansatz keiner Steuerbegünstigung unterfallen.50

45 Grotherr, Ubg. 2017, 233 (237); Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (207). 46 Abschlussbericht zu BEPS Aktionspunkt 5, Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz, Rz. 29 und 46 ff.; Schneider/Junior, DStR 2017, 417 (422). 47 Abschlussbericht zu BEPS Aktionspunkt 5, Rz. 39 ff. 48 Abschlussbericht zu BEPS Aktionspunkt 5, Rz. 49. 49 Abschlussbericht zu BEPS Aktionspunkt 5, Rz. 49 ff. 50 Abschlussbericht zu BEPS Aktionspunkt 5, Rz. 38.

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Blumenberg/Oertel, Korrespondenzregeln im Internationalen Steuerrecht Beispiel: Die inländische T-GmbH zahlt an die in Staat A ansässige M-B.V. Lizenzgebühren von 100 für die Überlassung von IP. In Staat A unterliegen die Lizenzgebühren einem Sonderregime und werden mit 10 % besteuert. Die ausländischen Sonderregelungen entsprechen dabei nicht dem Nexus-Ansatz der OECD.

M-B.V. und T-GmbH sind nahestehende Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG. Bei dem Sonderregime für Lizenzgebühren in Staat A handelt es sich um eine Präferenzregelung i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG, die mit einem Steuersatz von 10 % zu einer Niedrigbesteuerung der Lizenzgebühren bei der M-B.V. führt (vgl. § 4j Abs. 2 EStG). Die Höhe der bei T-GmbH nicht abziehbaren Lizenzgebühren ergibt sich aus der Formel des § 4j Abs. 3 EStG: 25 % – 10 % = 60 %. Die T-GmbH kann da25 % her Lizenzgebühren von 40 abziehen.

b) Kritische Würdigung Mit dem Verweis auf den OECD-Bericht zu BEPS Aktionspunkt 5 ist dieser deutsches Recht geworden. Dabei ist die demokratische Legitimation des Berichts zweifelhaft, weil er von einer multilateralen Organisation erarbeitet wurde und einem rechtsstaatlichen Gesetzgebungsverfahren mithin nicht standhält.51 Der Bericht stellt zudem keine verbindlichen Regelungen auf, sondern proklamiert Programmsätze einer internationalen Gemeinschaft, die Spielräume für die nationalen Gesetzgeber belas-

51 Haarmann, BB 2017 Heft 22, Seite I; Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (600); a.A. Heil/Pupeter, BB 2017, 1947 (1949).

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sen. Insoweit ist zweifelhaft, ob der Bericht die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots erfüllt.52 Der Lizenzschranke unterfallen nicht alle Lizenzzahlungen in niedrig besteuernde Länder, sondern nur solche an Zahlungsempfänger, die in Staaten ansässig sind, welche eine Präferenzregelung haben, die dem Nexus-Ansatz der OECD nicht entspricht. Die Abzugsfähigkeit des Lizenzaufwands hängt so weniger von den individuellen Verhältnissen und der Leistungsfähigkeit des Lizenznehmers ab, als von einem zufällig OECDkonformen Lizenzbox-Regime im Empfängerland.53 Auch kommt es für die Vereinbarkeit mit dem BEPS Nexus-Ansatz nicht auf die konkrete Tätigkeit des Lizenzgebers an, sondern auf die abstrakten Regelungen des Präferenzregimes im Empfängerstaat.54 Da sich die Lizenzschranke faktisch auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt, stellt sich zudem die Frage ihrer Vereinbarkeit mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten.55 Auch die Vereinbarkeit mit der Zins- und Lizenzrichtlinie56 wird in Frage gestellt.57 Schließlich stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit der Regelung in zeitlicher Hinsicht. Da § 4j EStG erstmals für nach dem 31.12.2017 geleistete Lizenzzahlungen gilt (§ 52 Abs. 8a EStG) und die OECD-Mitglieder ohnehin verpflichtet sind, dem BEPS Nexus-Ansatz nicht entsprechende Lizenzbox-Regimes bis zum 31.6.2021 abzuschaffen,58 dürfte es sich lediglich um eine Übergangsregelung handeln. Der deutsche Gesetzgeber hat also gewissermaßen in vorauseilendem Gehorsam eine Regelung zu Lasten inländischer Unternehmen eingeführt.

6. Korrespondenz bei DBA (§ 50d Abs. 8 ff. EStG) § 50d EStG enthält in seinen Abs. 8–11 unilaterale Sondervorschriften zur Vermeidung sog. „weißer Einkünfte“.

52 Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (600); weniger kritisch Heil/ Pupeter, BB 2017, 1947 (1949). 53 Lüdicke, DB 2017, 1482; Heil/Pupeter, BB 2017, 1947 (1950). 54 Lüdicke, DB 2017, 1482; Heil/Pupeter, BB 2017, 1947 (1948 und 1951). 55 Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561 (1567); Jochimsen/Zinowsky/Schraud, IStR 2017, 593 (598); Lüdicke, DB 2017, 1482 (1483). 56 RL 2003/49/EG. 57 Haarmann, BB 2017 Heft 22, Seite I; Ditz/Quilitzsch, DStR 2017, 1561. 58 Vgl. OECD, Action 5: Agreement on Modified Nexus Approach for IP-Regimes (2015), 4.

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Die Rückfallklausel in § 50d Abs. 8 EStG ist eine Reaktion des Gesetzgebers „auf die unsichere Rechtslage, ob, in welchen DBA und in welchem Umfang die Inlandsbesteuerung davon abhängig ist, ob der ausländische Staat tatsächlich von seinem Besteuerungsrecht Gebrauch gemacht hat.“59

Mit § 50d Abs. 10 EStG „will der Gesetzgeber den Rechtsanwender, insbesondere die Rechtsprechung zwingen, DBA in einem bestimmten (…) Sinn auszulegen, nämlich durch Qualifizierung von Sondervergütungen i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG als Einkünfte aus Gewerbebetrieb im Abkommenssinne.“60

§ 50d Abs. 11 EStG bezweckt, den „steuerfreien Bezug von (Schachtel)Dividenden bei persönlich haftenden Gesellschaftern bei sog. hybriden Gesellschaftsformen auszuschließen,“61

der international durch Qualifikationskonflikte der Gesellschaftsstrukturen ermöglicht wird. § 50d Abs. 12 EStG zielt schließlich darauf ab, „Abfindungen, die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, abkommens- und rechtsprechungsüberschreibend im Inland zu besteuern.“62

Im Fokus steht in allen Fällen die korrespondierende Auslegung und Anwendung von Doppelbesteuerungsabkommen bzw. abstimmungsbedürftigen Rechtsfragen jeweils durch Verwaltung und Rechtsprechungspr. Derartige Annäherungen an die ausländische Rechtsauslegungs- und Rechtsanwendungspraxis sind mitunter höchst komplex und bereiten teilweise erhebliche Schwierigkeiten.63 Um das Ziel einer weltweit durchgängigen Einmalbesteuerung zu erreichen, sind die Vorschriften – trotz aller Kritik – ein wichtiger Beitrag zur Auflösung negativer Qualifikationskonflikte.64

Loschelder in Schmidt, EStG36, § 50d Rz. 53. Gosch in Kirchhof, EStG16, § 50d Rz. 2. Wagner in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 50d Rz. 136. Gosch in Kirchhof, EStG16, § 50d Rz. 2. Deutsches wissenschaftliches Institut der Steuerberater e.V. (Hrsg.), Base Erosion and Profit Shifting (BEPS) – Ein Thema für den Mittelstand. DWS-Symposion 2015 (2016), 23. 64 Hierzu instruktiv Geberth, FS Wassermeyer, 65 ff.

59 60 61 62 63

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IV. Korrespondenzregeln de lege ferenda 1. Hybrid Mismatches (ATAD I und II) BEPS-Aktionspunkt 2 nimmt hybride Gesellschaften, die grenzüberschreitend strukturiert sind und entweder eine Abzugsfähigkeit ohne korrespondierende Besteuerung oder die doppelte Abzugsfähigkeit der Betriebsausgaben zur Folge haben, ins Visier. Die EU hat bereits mit der Bekämpfung dieser Effekte begonnen und in der „Anti Tax Avoidance Directive I“ (ATAD I)65 und II die europäischen Steuergesetzgeber zu Maßnahmen verpflichtet. Diese Maßnahmen können in fünf Kategorien eingeteilt werden:66 Bekämpfung des doppelten Betriebsausgabenabzugs, Bekämpfung des Abzugs von Aufwendungen ohne korrespondierende Besteuerung, Beseitigung der Inkongruenzen bei der Annahme von Betriebsstätten, Beseitigung von Inkongruenzen bei doppelter Ansässigkeit, sowie Beseitigung steuerschädlicher Effekte aus sog. „importierten Inkongruenzen“. Aus Art. 9 ATAD I i.V.m. mit den primären und sekundären Handlungsempfehlungen der ATAD II sind die nationalen Gesetzgeber nunmehr dazu verpflichtet, ihr nationales Gesetz dahingehend anzupassen, dass die unerwünschten Effekte vermieden und zutreffende Einmalbesteuerungen sichergestellt werden. Das Ergebnis dieser Arbeiten bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass umfassende sachliche Korrespondenzregelungen, Regelungen zur Herstellung einer Einnahmen-Ausgaben-Korrespondenz, sowie Regelungen zur korrespondierenden Einordnung von Sachverhalten – insbes. als Betriebsstätteneinkünfte – auch in das deutsche Recht neu eingeführt werden müssen.

2. Korrespondenz im Multilateralen Instrument („MLI“) Das BEPS-Projekt enthält u.a. Empfehlungen zur Bekämpfung von hybrid mismatches mittels abkommensrechtlicher Maßnahmen. Um zu vermeiden, dass dafür Tausende von bilateralen DBA in langwierigen und komplexen Prozessen neu verhandelt werden müssen, wurde das 65 Richtlinie 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016. Die Maßnahmen der ATAD I sollen bis zum 31.12.2018 in nationales Recht umgesetzt werden. Seit Beginn der Umsetzungsfrist am 1.8.2016 dürfen die EU-Mitgliedstaaten keine Vorschriften erlassen, welche die Erreichung des vorgeschriebenen Ziels der Richtlinie gefährden. 66 Einen guten Überblick liefern Kahlenberg/Oppel, IStR 2017, 205.

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sog. Multilaterale Instrument („MLI“) entwickelt.67 Am 7.7.2017 haben 67 Staaten, darunter Deutschland, das MLI unterzeichnet. Es sieht neben Mindeststandards zum Abkommensmissbrauch und zur Verbesserung von Verständigungsverfahren (BEPS-Aktionspunkte 6 und 14) Empfehlungen vor, die hybride Gestaltungen (Aktionspunkt 2), Anpassungen des Betriebsstättenbegriffs (Aktionspunkt 7) und Schiedsverfahren (Aktionspunkt 14) betreffen.68 Die Korrespondenzregeln, die bei hybriden Gestaltungen sog. Besteuerungsinkongruenzen verhindern sollen, finden sich in Art. 3–5 MLI: (i)

Art. 3 MLI enthält eine Regelung zur Verhinderung von steuersubjektbezogenen Qualifikationskonflikten im Zusammenhang mit transparenten oder hybriden Gesellschaften.69

(ii) Art. 4 MLI regelt, dass die Besteuerung doppelt ansässiger Gesellschaften von einem Verständigungsverfahren zwischen den betreffenden Staaten abhängen soll. Die Regelung weicht von der „TieBreaker-Rule“ des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA ab, wonach sich die Ansässigkeit der Gesellschaft nach dem Ort der Geschäftsleitung richtet.70 (iii) Art. 5 MLI enthält drei alternative Regelungsmodelle für die Fassung des DBA-Methodenartikels (Art. 23 A oder 23 B OECD-MA), für die die unterzeichnenden Staaten optieren können.71 Nach der vorläufigen Auswahlentscheidung, die noch bis zur Ratifizierung des MLI geändert werden kann, hat Deutschland angekündigt, von diesen Regelungen keinen Gebrauch zu machen.72

3. „Korrespondenz“ auch bei der Gewerbesteuer? (ATAD I) Im sog. BEPS I-Gesetz v. 20.12.201673 wurde die Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags i.S.d. § 10 Abs. 1 AStG normiert. Nach § 7 67 68 69 70 71 72

Präambel des MLI. Schön, IStR 2017, 681 (682); Polatzky/Balliet/Steinau, IStR 2016, 226 (227). Polatzky/Balliet/Steinau, IStR 2017, 226 (228). Reimer, IStR 2017, 1 (3); Polatzky/Balliet/Steinau, IStR 2017, 226 (228 f.). Für Einzelheiten vgl. Grotherr, ISR 2017, 221 (225). Position Deutschlands abrufbar unter http://www.oecd.org/tax/treaties/ beps-mli-position-germany.pdf; Schön, IStR 2017, 681 (684 f.). 73 Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000.

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Sätze 7 und 8 GewStG handelt es sich bei Hinzurechnungsbeträgen um Einkünfte, die in einer inländischen Betriebsstätte anfallen bzw. als in einer solchen erzielt werden. Mit der Regelung hat der Gesetzgeber auf ein entgegenstehendes Urteil des BFH reagiert.74 Weiterhin gesetzlich nicht vorgesehen ist indes die Anrechnung ausländischer Steuern auch auf die Gewerbesteuer.75 Fraglich ist, ob sich diese aus Art. 8 Abs. 7 ATAD I ergibt, der im Hinblick auf die Hinzurechnungsbesteuerung folgendes ausführt: „Der Mitgliedstaat der Steuerpflichtigen lässt einen Abzug der von dem Unternehmen oder der Betriebsstätte entrichteten Steuer von der Steuerschuld des Steuerpflichtigen in dem Land seines Steuersitzes oder Steuerstandorts zu. Der Abzug wird nach den nationalen Rechtsvorschriften berechnet.“

Bei der Gewerbesteuer handelt es sich zweifelsohne um eine Steuerschuld des Stpfl. Da die Formulierung erkennbar nicht zwischen der Anrechnung auf die Einkommensteuer bzw. Körperschaftsteuer und auf die Gewerbesteuer differenziert, hat nach der hier vertretenen Auffassung eine Anrechnung auch auf die Gewerbesteuer zu erfolgen.

4. „Korrespondenz“ von Verrechnungspreis und Zollwert? Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit sowohl der ertragsteuerlichen Verrechnungspreise als auch des Zollwerts ist der sog. Fremdvergleichsgrundsatz („arm’s length“-Prinzip). Von daher wäre es naheliegend, wenn der Verrechnungspreis für ertragsteuerliche Zwecke und der Zollwert einander entsprechen würden. Tatsächlich sind Abweichungen zwischen Verrechnungspreis und Zollwert keine Seltenheit und werden von der Verwaltung ausdrücklich hingenommen.76 Die Gründe dafür sind entgegengesetzte Interessenlagen von Steuer- und Zollbehörden, das Auseinanderfallen der Zeitpunkte, zu denen die Behörden die vereinbarten Preise prüfen, der Umstand, dass zusammenhängende Einzeltransaktionen für Zwecke der Verrechnungspreise in vielen Fällen zusammengefasst werden, besondere zollrechtliche Bestimmungen zur Korrektur der Bemessungsgrundlage und Unterschiede in der Methodenfolge und der Methodenwahl. Auch die 74 BFH v. 11.3.2015 – I R 10/14, BStBl. II 2015, 1049 = FR 2015, 719. 75 § 12 Abs. 1 AStG sieht die Anrechnung ausländischer Steuern auf die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vor, nicht jedoch auf die Gewerbesteuer. 76 Vgl. die Verwaltungsgrundsätze zu Verrechnungspreisen von 1983 (BMF v. 23.2.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83, BStBl. I 1983, 218 = StEK AStG § 1 Nr. 3).

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höchstrichterliche Rechtsprechungspr. hat ungeachtet der Fülle von Urteilen zur Zollwertbestimmung noch keine grundlegende Entscheidung über den Gleichlauf von Verrechnungspreis und Zollwert getroffen. Vor diesem Hintergrund verdient das Vorabentscheidungsersuchen des FG München an den EuGH v. 15.9.2016 besondere Erwähnung.77 Streitgegenständlich war die Frage, ob die nachträgliche Anpassung der ertragsteuerlichen Verrechnungspreise zugunsten einer inländischen Gesellschaft auch für den Zollwert zu gelten hat. Bemerkenswert ist, dass das FG diese Frage bejaht hat. Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH sich verhalten wird.78

V. Fazit Eine einheitliche Definition des Begriffs des Korrespondenzprinzips besteht weder im nationalen noch im internationalen deutschen Steuerrecht. In der Praxis sind unterschiedliche Formen und Ausprägung von Korrespondenzregeln zu beobachten. In Zukunft wird deren Zahl weiter zunehmen. Grundsätzlich erscheinen Korrespondenzregeln als ein sinnvolles Mittel, um die Einmalbesteuerungen von Einkünften (bzw. die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung) zu erreichen und damit Steuersubstrat zu sichern. An einer „Generalisierung“ sind sowohl aus nationaler als auch aus internationaler Sicht Bedenken angebracht.79 Der Umgang mit gesetzlich verankerten Korrespondenzregeln stellt für den Rechtsanwender – seien es die betroffenen Stpfl., die Berater, die Verwaltung oder auch die Gerichte – eine erhebliche Herausforderung dar. Denn die Anwendung des innerstaatlichen Rechts kann nur fehlerfrei gelingen, wenn zugleich Kenntnisse über den im Ausland verwirklichten Sachverhalt und deren rechtliche Würdigung vorliegen. Wie dies in jedem Einzelfall zu bewirken sein soll, wenn grenzüberschreitende Korrespondenzen nicht die

77 FG München v. 15.9.2016 – 14 K 1974/15, BB 2017, 995 an EuGH, Rs. C-529/16. 78 EuGH v. 20.12.2017 – C-529/16 (Hamamatsu Phtonics Deutschland), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 25 hat entschieden, dass der Zollwert in erster Linie auf Basis des Transaktionswerts zu ermitteln ist und eine nachträgliche Anpassung nur in Ausnahmefällen erfolgen kann, mithin eine Korrespondenz nicht besteht. 79 Zourek/Pross/Hey/Sell, DB 2013, 21 (22); Türksch, Hybride Gestaltungsinstrumente im systematischen Kontext der BEPS-Debatte, 2016, 238.

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Ausnahme, sondern der allgemeine Standard werden, ist derzeit noch schwer absehbar. Den betroffenen Stpfl. ist zu raten, sich um eine ausreichende interne Dokumentation aller betroffenen Geschäftsvorfälle und eventuell auch der rechtlichen Behandlung im Ausland zu bemühen. Die enge Abstimmung mit den verantwortlichen Personen im Ausland scheint dazu unerlässlich. Die Verwaltung wird sich bemühen müssen, Kenntnisse über Auslandssachverhalte und deren rechtliche Würdigung zu erlangen. Eine „Internationalisierung“ des Steuervollzugs scheint unausweichlich, will man die Korrespondenzregeln zutreffend anwenden bzw. die Anwendung überprüfen. Im Ergebnis könnte in den Korrespondenzregeln aber auch eine Chance liegen, sich der offenen Fragen gemeinsam anzunehmen und im Dialog zwischen inländischen und ausländischen Behörden, den Stpfl. und ihren Beratern zu lösen. Ein echter Dialog zwischen allen Beteiligten vor Ort – beispielsweise im Rahmen einer gemeinsamen Betriebsprüfung – kann es ermöglichen, die korrespondierende Besteuerung sicherzustellen.

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ATAD und Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung Regierungsdirektor Thomas Rupp Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg, Stuttgart Professor. Dr. Stefan Köhler Steuerberater, Eschborn I. Einleitung II. Grundlagen 1. Einordnung der Hinzurechnungsbesteuerung a) § 42 AO (Missbrauch) b) § 10 AO (Ort der Geschäftsleitung) c) Gewinnabgrenzung d) Hinzurechnungsbesteuerung 2. Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung 3. Historische Einordnung der Hinzurechnungsbesteuerung 4. Hinzurechnungsbesteuerung 2017 III. Reformüberlegungen zu den deutschen Regelungen IV. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Neuregelung V. Zwei alternative Grundkonzepte der Hinzurechnungsbesteuerung 1. Alternative 1: Unangemessene Gestaltungen 2. Alternative 2: Hinzurechnung von „passiven Einkünften“ gem. Einkünftekatalog a) Beherrschung aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie

b) Freigrenzen aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie c) Besteuerungshöhe aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie d) Qualifizierende Substanz aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie e) Definition passiver Einkünfte aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie f) Gewinnermittlung aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie g) Vermeidung Doppelbesteuerung aa) Geltendes Recht bb) Richtlinie h) Ausgewählte weitere Aspekte aa) Umstellung auf periodengleichen Zufluss bb) Wegfall Strafbesteuerung § 17 Abs. 2 AStG cc) Konkurrenzregelung zum Investmentsteuergesetz VI. Zusammenfassung und Ausblick

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I. Einleitung Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich in doppelter Hinsicht mit einem Novum in der EU-unionsrechtlichen bzw. deutschen Steuerrechtsentwicklung. Denn die Hinzurechnungsbesteuerung wurde bislang aus unionsrechtlicher Sicht i.d.R. aus dem Blickwinkel einer Beschränkung der Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit, und damit einem ggf. daraus resultierenden Verstoß gegen unionsrechtliches Primärrecht diskutiert. Nunmehr wird erstmals Kraft einer zwingend umzusetzenden EU-Richtlinie (Anti Tax Avoidance Directive – ATAD1) eine sekundärrechtliche Vorgabe erlassen, nach der bezüglich beherrschter ausländischer Unternehmen flächendeckend Regelungen zu einer Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7, 8) zwingend umzusetzen sind. Weiterhin bedeuten die Regelungen der ATAD-Richtlinie erstmals unionsrechtliche, zwingende Vorgaben materiellrechtlicher Art, die zu belastenden Steuerwirkungen im Unionsraum führen (während bislang die EU-Richtlinien im Bereich der direkten Steuern lediglich der Minderung oder Vermeidung der Doppelbesteuerung bzw. dem Aufschub der Besteuerung bei grenzüberschreitenden Umwandlungen dienten) und die darüber hinaus (aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips im Bereich der Besteuerung) nur dann geändert werden könnten, wenn alle (gegenwärtig) 28 EU-Staaten einer Änderung zustimmen würden. Insoweit ist geradezu von einem Paradigmenwechsel auszugehen, bei dem auch hinterfragt werden kann, ob diese EU-Richtlinie und insbes. ihre Vorgaben für den Bereich der beherrschten Unternehmen gem. Art. 7, 8 – vom EU-Recht überhaupt gedeckt ist (fehlender Harmonisierungsauftrag bei den direkten Steuern – Art. 114 Abs. 2, Art. 115 AEUV).

II. Grundlagen 1. Einordnung der Hinzurechnungsbesteuerung Aufgrund der vorgenannten europäischen Vorgaben ist die Hinzurechnungsbesteuerung bis zum 1.1.2019 richtlinienkonform anzupassen. Aufgrund des gegebenen (nachfolgend noch näher auszuführenden) Reformstaus besteht darüber hinaus auch ein genereller Bedarf, die Hinzurechnungsbesteuerung zu reformieren und neu auszurichten. Entsprechend ist in diesem Kontext zunächst zu hinterfragen, welchen Normzweck eine neu gefasste Hinzurechnungsbesteuerung verfolgen 1 Richtlinie (EU) 2016/1164 v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1.

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sollte, mit anderen Worten, wofür bzw. wogegen sich die Neufassung der Regelung richten sollte. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich, zunächst abzuschichten, welche weiteren Normen des deutschen Steuerrechts im Umfeld der Hinzurechnungsbesteuerung Relevanz entfalten, um daraus abzuleiten, in welchen verbleibenden Bereichen tatsächlich (noch) Bedarf und damit Berechtigung für eine Hinzurechnungsbesteuerung besteht. a) § 42 AO (Missbrauch) Wird die Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft als missbräuchlich i.S.d. § 42 AO eingestuft, so wird die Gesellschaft insgesamt negiert. Sie existiert für steuerliche Zwecke schlicht nicht. Die Wirtschaftsgüter und Einkünfte werden unmittelbar dem oder den Gesellschaftern zugerechnet. Einer Hinzurechnungsbesteuerung bedarf es entsprechend nicht mehr. Daher geht der BFH in st.Rspr. davon aus, dass die Regelungen des § 42 AO denjenigen der Hinzurechnungsbesteuerung logisch vorgehen. Denn wenn eine ausländische Gesellschaft aufgrund des § 42 AO insgesamt negiert wird, so fehlt es an einem Objekt der Hinzurechnungsbesteuerung (z.B. funktionslose Briefkastengesellschaft). Es existiert in diesem Fall steuerlich gesehen gerade gar keine ausländische Gesellschaft, entsprechend können auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung gar nicht erfüllt werden. Ist allerdings eine ausländische Gesellschaft steuerlich dem Grunde nach anzuerkennen, so gehen dann grundsätzlich die spezielleren Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung den allgemeineren Missbrauchsbestimmungen vor (wohl noch weitergehend i.S. einer ggf. exklusiven vorrangigen Anwendbarkeit der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung [negative Sperrwirkung] Gosch2). b) § 10 AO (Ort der Geschäftsleitung) Insbesondere bei substanzarmen Kapitalgesellschaften kann (aufgrund einer Steuerung der Geschäfte aus dem Inland) eine Doppelansässigkeit der Gesellschaft dergestalt entstehen, dass sich zwar der registrierte Sitz der Gesellschaft im Ausland befindet, der Ort der Geschäftsleitung jedoch im Inland verortet ist.

2 Vgl. Gosch, IWB 2017, 876 ff.

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Dies führt zu einer unbeschränkten Körperschaftsteuerpflicht gem. § 1 Abs. 1 KStG. Eine Hinzurechnungsbesteuerung tritt dann wiederum nicht (mehr) ein, da es an dem Tatbestandsmerkmal der ausländischen Gesellschaft mangelt. Hierfür besteht auch kein Bedarf, da durch Eintritt in die unbeschränkte Steuerpflicht ohnehin in Bezug auf die Einkünfte der Gesellschaft grundsätzlich das Welteinkommensprinzip gilt. c) Gewinnabgrenzung Darüber hinaus sind seit der Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung im Jahre 1972 weitgehende, sehr scharfe, zielwirksame bzw. z.T. sogar in ihrer Wirkung fragwürdige bzw. überschießende Regelungen zur Gewinnabgrenzung im deutschen und internationalen Steuerrecht eingeführt worden. Neben den insbes. durch die Rspr. weiterentwickelten Grundsätzen der Gewinnabgrenzung aufgrund der Annahme verdeckter Gewinnausschüttungen bzw. verdeckter Einlagen sind die umfassenden Bestimmungen des § 1 AStG sowie der dazu ergangenen Verordnungen von großer Bedeutung. Dadurch sind weite Bereiche, die zum Zeitpunkt der erstmaligen Gesetzgebung zur Hinzurechnungsbesteuerung noch durch diese erfasst werden sollten, heute anderweitig geregelt und die Hinzurechnungsbesteuerung hat insoweit ihre Berechtigung verloren. Darüber hinaus hat die BEPS-Initiative im Rahmen der Aktionspunkte 8–10 und der daraufhin neugefassten Transfer Pricing Guidelines, in der Fassung Juli 2017, zu einer erheblichen Weiterentwicklung des Verständnisses über die Zuordnung von Wertschöpfungsbeiträgen in Konzernen geführt. Dabei ist einer der tragenden Grundsätze, dass ohne lokal kontrolliertes Risiko und substanzbasierte Wertschöpfung mit entsprechender Personalfunktion „vor Ort“ (in Abgrenzung von lediglich vertraglich zugewiesenen bzw. übernommenen Risiken) (fast) kein Wertschöpfungsbeitrag mehr zuzuweisen sei. Mit anderen Worten: nach den aktuellen Tendenzen im Verrechnungspreisbereich wären damit substanzarmen Konzerngesellschaften kaum noch Gewinne zuzurechnen. Hieraus wird beispielsweise im Bereich der funktionsschwachen Konzernfinanzierung abgeleitet, dass einer solchen Konzernfinanzierungsgesellschaft nur noch ein risikoloser Zinssatz zuzuweisen sei, was aufgrund des derzeitigen Zinsniveaus rein steuerlich faktisch zu (fast) einkunftslosen Gesellschaften führen würde. Einer Hinzurechnungsbesteuerung bedarf es in solchen Fällen erkennbar nicht (mehr).

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d) Hinzurechnungsbesteuerung Die vorgenannten Normen bzw. Normkreise gehen alle logisch der Hinzurechnungsbesteuerung vor.3 Es stellt sich damit die Frage, was als Regelungsgegenstand der Hinzurechnungsbesteuerung noch verbleibt. Erkennbar ist, dass substanzlose bzw. substanzarme Gesellschaften entweder gar nicht anerkannt werden, deren Ort der Geschäftsleitung womöglich als im Inland befindlich angenommen wird, oder ihnen im Fall ihrer steuerlichen Anerkennung als ausländische Gesellschaft kaum noch Einkünfte zuzurechnen wären. Auf der anderen Seite sind aber solche Gesellschaften, die über eine hinreichende eigene und tatsächlich wertschöpfende Substanz verfügen, kaum als Ziel einer Hinzurechnungsbesteuerung geeignet, denn insoweit wird man kaum von einer künstlichen Verlagerung von Einkünften sprechen können, die allein einen Durchgriff durch die grundsätzlich gegebene Abschirmwirkung der (ausländischen) juristischen Person legitimieren würde (so auch EuGH/§ 8 Abs. 2 AStG). Vorliegende Überlegungen zeigen, dass im Rahmen der Neufassung der Hinzurechnungsbesteuerung, ein gegenüber dem gegenwärtig geltenden Regelungswerk schlankerer Ansatz indiziert erscheint und damit insbes. Überlappungen bzw. Normenkollisionen zu anderen Regelungen des deutschen internationalen Steuerrechts reduziert bzw. vermieden würden. Die Finanzverwaltung dürfte dies allerdings anders sehen. Wie sich z.B. aus den zur Gewerbesteuerpflicht des Hinzurechnungsbetrags ergangenen gleichlautenden Ländererlassen vom 14.12.20154 (BStBl. I, 1091) ergibt, sieht die Verwaltung die Hinzurechnungsbesteuerung auch als Missbrauchsvermeidungsregelung, die funktionale Zuordnungen von betrieblichen Aufgaben und Dienstleistungen vornimmt. Dies zeigt sich z.B. auch an der früheren Gesetzesbegründung zur Verschärfung der Konzernfinanzierung (vgl. z.B. BT-Drucks. 12/5764), wonach ausdrücklich einer steuerplanerischen Verlagerung von Konzern-Finanzierungsdienstleistungen entgegengewirkt werden soll und deshalb faktisch nur ein marginaler „unschädlicher“ Anwendungsbereich z.B. für die Konzernfinanzierung besteht. Gerade die „Überdotation“ von ausländischen Gesellschaften mit Eigenkapital ist ein Anwendungsbereich, der von den 3 Vgl. z.B. BFH v. 19.3.2002 – I R 4/01, BStBl. II 2002, 644 = FR 2002, 1058 zum Vorrang des § 1 AStG vor der Hinzurechnungsbesteuerung. 4 Gleich lautende Erlasse v. 14.12.2015, BStBl. I 2015, 1090 = FR 2016, 237.

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anderen Normen des deutschen internationalen Steuerrechts nicht aufgegriffen wird.

2. Tatbestandsvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung Die Hinzurechnungsbesteuerung tritt nur dann ein, wenn sämtliche relevanten Tatbestandsvoraussetzungen zugleich, d.h. kumulativ, erfüllt sind. Fehlt auch nur eines der folgenden Tatbestandsmerkmale, tritt keine Hinzurechnungsbesteuerung ein:5 –

Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.d. KStG,



Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Ausland,



Beteiligung zu mehr als der Hälfte (Beherrschung) bzw. bei Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter zu mindestens 1 % oder ggf. auch weniger (in bestimmten Fällen jede auch noch so minimale Quote), mittelbar oder unmittelbar (§ 7 Abs. 2, 6 AStG),



durch unbeschränkt Stpfl. (und Personen i.S.d. § 2 AStG),



Erzielung passiver Einkünfte (§ 8 Abs. 1 AStG); zu diesen können auch solche mit Kapitalanlagecharakter gehören (§ 7 Abs. 6a AStG) und



niedrige Besteuerung, , 25 % (§ 8 Abs. 3 AStG).

Unter die Hinzurechnungsbesteuerung fallen nur die Einkünfte einer ausländischen Gesellschaft, für die diese Gesellschaft „Zwischengesellschaft“ ist (§ 8 Abs. 1 AStG): Dies sind die Einkunftsteile der ausländischen Gesellschaft, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht aus aktiven Einkünften stammen. Die Einkünfte der tatsächlich gesellschaftsrechtlich existenten ausländischen Gesellschaft sind folglich für Zwecke des deutschen internationalen Steuerrechts zu unterscheiden in (1) hoch besteuerte einerseits und (2) niedrig besteuerte andererseits, sowie weiterhin in (3) aktive bzw. (4) passive Einkünfte. Für die Hinzurechnungsbesteuerung sind nur die kumulativ unter (2) und (4) fallenden Einkünfte (niedrig besteuert und passiv) relevant. 5 Sonderfälle der REITs und Investmentfonds werden hier nicht behandelt.

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3. Historische Einordnung der Hinzurechnungsbesteuerung Die Hinzurechnungsbesteuerung wurde 1972 in Deutschland eingeführt. Die kombinierten Ertragsteuersätze aus Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer lagen seinerzeit weit über 60 %, die Aufgriffsgrenze zur Niedrigbesteuerung mit 35 % jedoch weit darunter. Erkennbar verfolgte die Hinzurechnungsbesteuerung zwei Kernziele: (1) Erfassung von in substanzarme Strukturen im Ausland verlagerte Einkünfte (typisierender Indikator: fehlender eingerichteter Geschäftsbetrieb/fehlende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr), (2) Erfassung von in das Ausland verlagerten Wertschöpfungsanteilen (typisierender Indikator: Mitwirkungstatbestände, Bedienenstatbestände, Liefer-/Leistungsbeziehungen von oder nach Deutschland, Überwiegen der Geschäftsbeziehungen zu inländischen nahe stehenden Personen) Die stetige Fortentwicklung (und Verschärfung) des deutschen internationalen Steuerrechts sowie generell des internationalen wirtschaftlichen Geschehens, ohne flankierende Anpassung/Modernisierung der Hinzurechnungsbesteuerung, haben zwischenzeitlich zu erheblichen und unsystematischen Besteuerungswirkungen sowie insbes. zu Überschneidungen mit den Regelungen der Verrechnungspreise geführt. Die Hinzurechnungsbesteuerung sollte daher insbes. um Elemente aus dem Bereich der Verrechnungspreise entschlackt, der Aktivitätskatalog aktualisiert sowie die Niedrigsteuergrenze an das aktuelle nationale und internationale Steuerniveau angeglichen werden, ohne dabei das Ziel, ungerechtfertigte Steuervorteile aus niedrigbesteuerten, substanzarmen Strukturen einzuebnen, aus den Augen zu verlieren.

4. Hinzurechnungsbesteuerung 2017 Gegenüber den vergangenen Jahrzehnten hat sich das steuerpolitische Umfeld stark gewandelt. Moderate bis niedrige Körperschaftsteuersätze sind global der Regelfall und nicht mehr die Ausnahme. Selbst die USA haben per 1.1.2018 den Körperschaftsteuersatz auf 21 % gesenkt. Der deutsche Körperschaftsteuersatz ist mit 15 % sogar noch niedriger als in vielen anderen Staaten. Man kann zwar in diesem Zusammenhang einerseits auf die deutsche Spezialität der Gewerbesteuer verweisen, die häufig mindestens die Höhe der Körperschaftsteuer erreicht. Andererseits stellt 485

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sich allerdings die Frage nach der systematischen Relevanz der Gewerbesteuer im Hinblick auf die Hinzurechnungsbesteuerung. Wenn und soweit man die Gewerbesteuer (immer noch) als eine Zuschlagsteuer auf den im Inland befindlichen stehenden Gewerbebetrieb (Objektsteuer) begreift, ist und bleibt die Gewerbesteuer aufgrund ihres Territorialprinzips entsprechend für die systematische Belastungsfrage auf das Inland beschränkt. Wer dagegen die Gewerbesteuer als belastungsrelevante Größe sowohl für die Bemessung der Niedrigsteuergrenze als auch in Bezug auf den Hinzurechnungsbetrag selbst ansieht (wie dies nunmehr § 7 Satz 7 GewStG ausdrücklich regelt), negiert zum einen das Territorialitätsprinzip der Gewerbesteuer und erzwingt zum anderen in einer an Folgerichtigkeit ausgerichteten Betrachtung einen grundsätzlichen Systemwandel innerhalb der Gewerbesteuer: Wenn und soweit man diese internationalisieren wollte (wie gerade durch § 7 Sätze 7 ff. GewStG im Grundsatz bereits für die hier interessierenden Einkunftsgruppen erfolgt), so kann es nicht bei der reinen Ausweitung der Bemessungsgrundlage bleiben. In diesem Fall wären auch die weiteren systematischen Konsequenzen zu ziehen, mit anderen Worten: je mehr sich die Gewerbesteuer einer Personensteuer angleicht (d.h. nicht der stehende Gewerbebetrieb im Inland, sondern ein Welteinkommen einer [juristischen] Person belastet wird), desto mehr zwingt dies auch zur Übernahme weiterer Elemente der Personensteuer, wie z.B. auch Einführung eines Verlustrücktrags, Abzug und Anrechnung ausländischer Steuern auch auf die Gewerbesteuer sowie Anwendung der entsprechenden DBA-Regelungen bezüglich der Anrechnung. Obwohl die ATAD-Richtlinie aktuell lediglich eine Hinzurechnungsbesteuerung für Kapitalgesellschaften und nur für die Körperschaftsteuer regelt, ist gleichwohl davon auszugehen, dass Deutschland auch weiterhin eine Hinzurechnungsbesteuerung in Bezug auf natürliche Personen bzw. Personenunternehmen vorsieht. In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf die Niedrigsteuergrenze naturgemäß insbes. auf die erhebliche Spreizung des Einkommensteuersatzes zwischen natürlichen Personen (bis zu 45 %) einerseits und dem weit niedrigeren Körperschaftsteuersatz andererseits hinzuweisen. Ergänzend ist allerdings beachtlich, dass der Einkommensteuersatz in sich nochmals gespreizt ist, da neben dem vorgenannten allgemeinen Spitzensteuersatz spezifisch für Einkünfte aus Kapitalvermögen die sogenannte Abgeltungsteuer (jedenfalls noch) gilt, womit (private) Kapitalanlagen folglich nur einer Höchstbelastung von 25 % unterliegen. Daher ist die tatsächliche Spreizung, insbes. bei Kapitaleinkünften (und um solche geht es im Rahmen der 486

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Hinzurechnungsbesteuerung insbes. auch), bei Weitem nicht so raumgreifend, wie es aus Sicht des ESt-Spitzensteuersatzes zunächst erscheint. Zinseinnahmen beispielsweise unterliegen dabei im Rahmen der Abgeltungsteuer keinerlei steuerlicher Vorbelastung (da regelmäßig beim Schuldner abzugsfähig).

III. Reformüberlegungen zu den deutschen Regelungen Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass als Zielsetzung eine Reform der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung anzustreben ist, die folgende Aspekte umfasst: –

einfachere und schlankere Regelungen, die sich stärker am Missbrauch orientieren und weniger überschießende Wirkung entfalten,



Berücksichtigung der Elemente des BEPS-Aktionspunkts 3,



Beachtung der Mindeststandards der EU-ATAD-Richtlinie.

Hieraus leiten sich folgende Kernpunkte der Fortentwicklung im Überblick ab: –

Die Niedrigsteuergrenze sollte sich am Körperschaftsteuersatz (15 %) orientieren. Dies steht in Übereinstimmung mit der Richtlinienvorgabe der EU und vermeidet zugleich (insbes. durch die Gewerbesteuer induzierte) Anrechnungsüberhänge, die eine Übermaßbesteuerung (und gerade nicht nur eine Einebnung von Steuervorteilen) bedeuten würde. Insbes. im Hinblick auf den Abgeltungsteuersatz ergibt sich auch keine besondere weitergehende Spreizung im Vergleich zur Einkommensbesteuerung. Orientiert man sich allein an den Vorgaben der ATAD-Richtlinie und betrachtet die Gewerbesteuer, wie oben bereits diskutiert, vor aktuellem Hintergrund weiterhin als nationale Zuschlagsteuer, so wäre sogar eine Niedrigsteuergrenze von 7,5 % (gem. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b ATAD-Richtlinie der hälftige des national anfallenden Körperschaftsteuersatzes) folgerichtig. Eine diesbezügliche Reform ist nicht nur wünschenswert, sondern auch vor dem Hintergrund der flächendeckend niedrigen Körperschaftsteuersätze in der EU aus Sicht der Wirtschaft und Beratung absolut notwendig.



Der Aktivitätskatalog ist aus Sicht der Wirtschaft und Beratung zu straffen und zu modernisieren sowie die Gesetzestechnik umzustellen. Es sind in Übereinstimmung mit der EU-ATAD-Richtlinie positiv die zu erfassenden passiven Einkünfte (Passivkatalog) – und nicht

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mehr die nicht zu erfassenden aktiven Einkünfte (Aktivkatalog) – zu beschreiben. Aus Sicht der Finanzverwaltung sollte hingegen die bisherige Systematik beibehalten werden. Im Rahmen der stetigen Weiterentwicklung der Wirtschaft (Wirtschaft 4.0; digital economy) entstehen laufend neue Geschäftsmodelle, deren Charakter – aktiv oder passiv – nicht eindeutig ist. Aus fiskalischer Sicht ist es einfacher, z.B. im Wege der Verwaltungsanweisung eine Begünstigung vorzunehmen als laufend den Gesetzeskatalog anzupassen. Zudem ist zu sehen, dass die DBA im Methodenartikel häufig auf den Katalog des § 8 AStG verweisen. Unabhängig von der Diskussion, ob die Auslegung statisch oder dynamisch zu erfolgen hat,6 wäre eine systematische Fortführung zweckdienlich. –

Dividenden, Veräußerungsgewinne sowie Umwandlungsfälle sollten in Übereinstimmung mit der EU-ATAD-Richtlinie (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b – Vergleich zur gegebenen inländischen Steuerbelastung) als generell hoch besteuert eingestuft werden, da auch im vergleichbaren Inlandsfall in aller Regel keine höhere Besteuerung erfolgt (§ 8b KStG/ Buchwertfortführung UmwStG) und es anderenfalls wiederum zu einer Übermaßbesteuerung käme. Alternativ wäre § 10 Abs. 3 AStG dergestalt zu ändern, dass die Regelungen der § 3 Nr. 40 EStG, § 8b KStG sowie des UmwStG entsprechend zur Anwendung gelangen. Eine Erfassung unter der Hinzurechnungsbesteuerung dürfte auch kaum mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sein. Auch aus Sicht der Finanzverwaltung dürfte die Behandlung dieser Einkünfte als passiv überschießend sein, da es durch die Erfassung mittelbarer passiver Einkünfte zu einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung käme.



Beherrschung: Die Besteuerung sollte nur bei tatsächlicher relevanter Beherrschung und daher ab einer Beteiligung von mindestens 50 % erfolgen (ATAD-Richtlinie verlangt Aufgriff auch erst ab . 50 % – Art. 7 Abs. 1 Buchst. a). Entsprechend sind hierfür nur nahe stehende Person mit gleichgerichteten Interessen sowie verbundene Unternehmen zusammenzurechnen. Unterhalb dieser Grenze besteht auch kein Handlungsbedarf mehr. Aufgrund der Abgeltungsteuer unterliegen private Anleger ohnehin mit sämtlichen Einkünften aus einer Beteiligung einer Steuerbelastung von i.d.R. 25 %. Durch § 8b Abs. 4 KStG n.F. können darüber hinaus auch Kapitalgesellschaften unter-

6 Vgl. z.B. Schönfeld/Häck in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 23 A/B Rz. 86.

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halb der Beteiligungsgrenze von 10 % keine steuerfreien Dividenden mehr beziehen. Die Sonderregelung zu Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter (§ 7 Abs. 6, 6a AStG) bedarf insoweit ebenfalls der Anpassung, da eine Grenze von einer Beteiligung i.H.v. 1 % (oder sogar niedriger, sogenannte Zwergbeteiligungen) eine nicht zu rechtfertigende Schärfe mit sich bringt. Ein grundlegendes Problem liegt dabei vor allem darin, dass Betroffene in EU/EWR-Fällen kaum in der Lage sind, einen Substanz-Nachweis (s. nachfolgend) vorzulegen. –

Tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit: Bei Substanz-Nachweis (lokaler Einsatz von Personal, Räumen und Sachausstattung – tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit; § 8 Abs. 2 AStG) kommt es bereits heute in EU/EWR-Fällen zu keiner Hinzurechnungsbesteuerung. Dieser allgemeine, unionsrechtliche vom EuGH vorgegebene Substanz-/ Aktivitätstest, den auch die ATAD-EU-Richtlinie grundsätzlich übernimmt, sollte zielgerichtet (weil treffsicherer und im Zeitablauf flexibler als Beurteilungskriterium geeignet) die bisherigen typisierenden Vermutungen schädlicher Tatbestände (wie z.B. Mitwirkung, Bedienen etc.) ersetzen, die entsprechend entfallen können.

IV. Rechtliche Rahmenbedingungen zur Neuregelung Der deutsche Gesetzgeber ist aufgrund der grundsätzlich verbindlichen Vorgaben der ATAD-Richtlinie in der Reformierung der Hinzurechnungsbesteuerung nicht mehr frei. Bis zum 31.12.2018 sind die Vorgaben der Richtlinie umzusetzen und ab dem 1.1.2019 anzuwenden. Hierbei gilt die Besonderheit, dass die Richtlinie ein sogenanntes Mindestschutzniveau vorsieht, mit anderen Worten: die Regelungen müssen mindestens so scharf sein, wie sie die Richtlinie vorgibt, es können aber auch noch schärfere nationale Regelungen umgesetzt werden. Ergänzend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass zwar einerseits grundsätzlich ein Umsetzungszwang bezüglich EU-Richtlinien besteht, dass im konkreten Fall aber durchaus Zweifel an der Rechtsgrundlage für den Erlass dieser Richtlinie bestehen. Gemäß Art. 114 AEUV wird grundsätzlich eine Rechtsangleichung im Binnenmarkt angestrebt (Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben). Diese Rechtsangleichung bildet einen der großen Vorteile des gemeinsamen Binnenmarkts. Gemäß Art. 114 Abs. 2 AEUV werden aber ge489

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rade die Bestimmungen über die Steuern von der Rechtsangleichung ausgenommen. Entsprechend beruft sich daher die Kommission in Bezug auf den Erlass der ATAD-Richtlinie auf Art. 115 AEUV, der eine Rechtsangleichung jedoch nur insoweit vorsieht, wie die Angleichung sich unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Binnenmarkts auswirkt. Es stellt sich damit die Frage, ob eine EU-weite, zwingende Regelung der Hinzurechnungsbesteuerung hiervon gedeckt ist. Wäre dies nicht der Fall, würden Vertragsverletzungsverfahren gegen EU-Staaten, die die Vorgaben der Richtlinie nicht oder nicht vollständig oder abweichend umsetzen, ggf. leer laufen. Weiterhin könnte die Frage der Rechtmäßigkeit der Richtlinie auch Auswirkungen auf die Folgefrage nehmen, ob das mit der Richtlinie geschaffene Sekundärrecht wichtige Auslegungshilfe oder sogar gleichwertig oder vorrangig zu den Grundfreiheiten des EU-Rechts als Primärrecht auf dem Prüfstand vor dem EuGH anzusehen wäre. In diesem Zusammenhang sei auf die sehr weitreichenden Alternativen/Wahlrechte, die die Richtlinie im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung aufweist, hinzuweisen (siehe nachstehend unter V.). Hieraus ergibt sich die Frage, ob die Regelungen überhaupt eine Harmonisierung innerhalb der EU anstreben bzw. erreichen (können). Die relevanten Teile der ATAD Richtlinie werden im Anhang für den Leser wörtlich wiedergegeben.

V. Zwei alternative Grundkonzepte der Hinzurechnungsbesteuerung Im Hinblick auf die (vermeintliche?) Harmonisierung der Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung ist darauf hinzuweisen, dass der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten sehr (zu?) weitgehende Wahlrechte in der Umsetzung der Hinzurechnungsbesteuerung eingeräumt hat, die bei Lichte betrachtet dazu führen, dass von einer Harmonisierung mutmaßlich jedenfalls dann keine Rede sein kann, wenn und soweit Mitgliedstaaten (wovon hier ausgegangen wird) diese Wahlrechte auch in entsprechendem unterschiedlichen Maße ausüben und es damit zu stark unterschiedlichen Regelungen kommen wird (sowohl bezüglich der grundsätzlichen Ausgestaltung als auch der Ausformung einzelner Elemente, wie z.B. relevante Beherrschungsquoten, Grenze der Niedrigbesteuerung etc.).

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Besonders beachtlich erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Richtlinie zwei völlig unterschiedliche (alternative) Grundkonzepte der Hinzurechnungsbesteuerung enthält, die in Art und Ausmaß zu sehr unterschiedlichen Rechtsfolgen führen dürften. Zum einen sieht die Richtlinie die Hinzurechnung von Einkünften aus sogenannten „unangemessenen Gestaltungen“ vor. Zum anderen wird auf eine Hinzurechnungsbesteuerung auf Basis eines Katalogs von „passiven Einkünften“, die in den systematischen Grundzügen den geltenden deutschen Regelungen nahe steht (wenngleich auch in vielen Einzelaspekten mehr oder minder stark abweichend – dazu mehr nachstehend), abgestellt.

1. Alternative 1: Unangemessene Gestaltungen Nach der erstgenannten Alternative soll eine Hinzurechnungsbesteuerung unter einem Konzept greifen, das bereits aus der BEPS-Initiative bekannt ist und sich letztendlich im Kern auf den sogenannten Principal Purpose Test bezieht. Hiernach sollen Einkünfte aus unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, erfasst werden. Eine Gestaltung oder eine Abfolge von Gestaltungen gilt als unangemessen, sofern das Unternehmen –

nicht selbst Eigentümer der Vermögenswerte ist oder



die Risiken, aus denen seine gesamten Einkünfte oder Teile davon erzielt werden, nicht eingegangen wäre, und



wenn es nicht von einer Gesellschaft beherrscht würde, deren Entscheidungsträger die für diese Vermögenswerte und Risiken relevanten Aufgaben ausführen, die für die Erzielung der Einkünfte des beherrschten Unternehmens ausschlaggebend sind.

Unter dieser Maßgabe wird die Hinzurechnungsbesteuerung dann auf Erträge erhoben (bzw. begrenzt), die durch Vermögenswerte und Risiken erzielt werden, die mit den Aufgaben von Entscheidungsträgern zusammenhängen, die von der beherrschenden Gesellschaft ausgeführt werden. Erkennbar werden hier die BEPS-Grundsätze bezüglich „fremdbestimmtem/fremdkontrolliertem“ Vermögens und Risiken bzw. Chancen adaptiert. Verblüffend hieran ist, dass nach den Transfer Pricing Erwägungen der BEPS Aktionspunkte 8–10 sowie den OECD Transfer Pricing Guide491

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lines vom Juli 2017 in solchen Fällen der betreffenden Gesellschaft bereits eigentlich (fast) kein eigener Gewinnbeitrag wegen fehlender tatsächlicher Wertschöpfung zuzuweisen wäre. Man fragt sich daher, ob sich hier der unionsrechtliche Gesetzgeber sozusagen rechts selbst überholt hat und übersieht, dass das, was hier einer Hinzurechnungsbesteuerung zugeführt werden soll, bereits aufgrund von Verrechnungspreisregelungen gar keine Einkünfte der betreffenden Gesellschaft mehr darstellen sollte, oder aber, ob hier den Mitgliedstaaten (absichtlich?) eine Regelung angeboten wird, die sich als quasi zahnloser Tiger erweist, da hierunter im Grundsatz gar keine Einkünfte in relevantem Umfang mehr zu erfassen wären. In jedem Fall weist dieses Konzept erkennbar einen weiten Auslegungsund Anwendungsspielraum auf und mag entsprechend konzeptionell insbes. für solche Staaten attraktiv sein, die im Rahmen der Umsetzung der EU-Richtlinie keine übermäßig scharfe Hinzurechnungsbesteuerung einführen bzw. fortentwickeln möchten. Entsprechend sei auch an dieser Stelle nochmals auf den damit möglicherweise einhergehenden geringeren bzw. fehlenden Harmonisierungsgrad i.S. einer Rechtsangleichung im EU-Raum hingewiesen, sowie die sich daraus etwaig ergebenden Zweifel (Art. 114, 115 AEUV). Da soweit bekannt diese Alternative nur auf britische Wünsche zurückzuführen ist, wird im Hinblick auf die Rahmenbedingungen – den absehbaren BREXIT und die nicht zu erwartende Umsetzung in Deutschland – auf diese Alternative nicht näher eingegangen.

2. Alternative 2: Hinzurechnung von „passiven Einkünften“ gem. Einkünftekatalog Die Alternative 2 folgt im Grundkonzept den Eckpunkten der deutschen Regelung und wird nachfolgend näher diskutiert: a) Beherrschung aa) Geltendes Recht Sind unbeschränkt Stpfl. an einer ausländischen Gesellschaft zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt. 492

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Ist für die Gewinnverteilung der ausländischen Gesellschaft nicht die Beteiligung am Nennkapital maßgebend oder hat die Gesellschaft kein Nennkapital, so ist der Aufteilung der Einkünfte nach § 7 Abs. 1 AStG der Maßstab für die Gewinnverteilung zugrunde zu legen. Ist eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S.d. § 7 Abs. 6a AStG und ist ein unbeschränkt Stpfl. an der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt, sind diese Zwischeneinkünfte bei diesem Stpfl. dennoch steuerpflichtig, auch wenn die Beteiligungsvoraussetzungen im Übrigen nicht erfüllt sind. Unabhängig von jeder Mindestbeteiligungshöhe kommt es auch dann zu einer Hinzurechnungsbesteuerung bei einer Beteiligung von weniger als 1 %, wenn die ausländische Gesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich Bruttoerträge erzielt, die Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter zugrunde liegen, es sei denn, dass mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. bb) Richtlinie Gemäß der Richtlinie gilt der Beherrschungstatbestand (nur) dann als erfüllt, wenn der Stpfl. selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte des Kapitals hält oder Anspruch auf mehr als 50 % der Gewinne besitzt. Gegenüber dem geltenden deutschen Recht ist damit zwar einerseits eine wesentlich höhere Beherrschungsquote eines Gesellschafters bzw. von verbundenen Unternehmen gefordert, andererseits muss es sich aber nicht ausschließlich um eine Beherrschung von deutschen Gesellschaftern? handeln. Hält z.B. eine deutsche Tochtergesellschaft an einer niedrigbesteuerten ausländischen Gesellschaft nur 49 %, deren ausländische Mutter zusätzlich z.B. weitere 2 % (so dass die Konzernbeteiligung insgesamt 51 % erreicht), so wäre trotz einer fehlenden deutschen Beherrschung (aber aufgrund der Konzernbeherrschung) damit in Summe der Beherrschungstatbestand gleichwohl erfüllt. Weiterhin ist beachtlich, dass die „gehaltene“ Beteiligungsquote gem. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie auch zugleich die Grundlage für die Hinzurechnung sein soll. Es entsteht damit der Eindruck, dass die Beteiligungsquote (Tatbestandsvoraussetzung) auch immer gleich der Hinzurechnungsquote (Rechtsfolge) sei. Dies entspricht insoweit nicht dem geltenden deutschen Recht, da die Beteiligungsquote (wie auch bei der 493

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Richtlinie) sich z.B. auch rein aus der Stimmrechtsmehrheit ergeben kann, die Hinzurechnungsquote sollte sich aber im Grundsatz stets nur nach der Höhe der Beteiligung am Nennkapital oder hilfsweise nach der Höhe der Gewinnbeteiligung richten. Wäre die Richtlinie wörtlich dahingehend auszulegen, dass die Beteiligungsquote und die Beherrschungsquote stets identisch wären, könnte dies dazu führen, dass bei einem Auseinanderfallen von Kapitalbeteiligung und Stimmrechten bzw. Gewinnbeteiligung auch Hinzurechnungsquoten von über 100 % entstünden. Hiervon sollte allerdings wohl nicht auszugehen sein. Anwendungsprobleme in diesem Bereich zeichnen sich gleichwohl ab. In Bezug auf eine mögliche Umsetzung in deutsches Recht wird es für denkbar erachtet, dass grundsätzlich primär auf eine tatsächliche Beherrschungsbeteiligung (. 50 %) abgestellt wird. Dies könnte womöglich auch zugleich die Problematik beseitigen, ob die Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung auch in Zukunft noch Gegenstand des erweiterten Schutzbereichs der Kapitalverkehrsfreiheit wären (Anwendung auch auf Drittstaaten). Insoweit ist darauf zu verweisen, dass im EuGH-Verfahrens C-135/177 es um die Frage geht, ob für die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen, die innerhalb der EU/EWR nicht durchgreifen (vgl. Rz. 73, 74 des BFH-Urteils). Diese Frage braucht der EuGH jedoch nur zu beantworten, wenn er den Bestandsschutz (sog. „Stand still-Klausel“ für „Altfälle“) nicht als gegeben ansieht. Würde der EuGH Bestandsschutz gewähren, bedeutet dies jedoch nicht zwangsläufig, dass auch nach der Reform die Voraussetzungen des Bestandsschutzes noch vorliegen. Lehnt der EuGH den Bestandsschutz ab, müsste im Rahmen der gesetzlichen Reform die Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit jeweils gerechtfertigt werden, und zwar entweder im Wesentlichen auf der Basis der Kriterien des Cadbury-Schweppes-Urteils oder aufgrund von (weiteren) Kriterien, die (nur) im Verhältnis gegenüber Drittstaaten gelten. Zur Schließung möglicher Lücken mag es gleichwohl indiziert sein, dass nahestehende Personen bzw. Personen mit gleichgerichteten Interessen sowie Personengesellschaften in weiterem Umfang zusammengefasst werden, als dies die Richtlinie selbst als Mindeststandard vorsieht. Ein weiterer möglicher Regelungskomplex betrifft die Frage, ob es eine 7 Auf Vorlage von BFH v. 12.10.2016 – I R 80/14, BStBl. II 2017, 615 = FR 2017, 642.

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„Nachfolgeregelung“ für Streubesitzfälle im Bereich der Kapitalanlagen geben wird (§ 7 Abs. 6a AStG) oder alternativ eine entsprechende Ausweitung des Investmentsteuergesetzes erfolgt. Beachtlich ist weiterhin die Tatsache, dass nach dem Mindeststandard der Richtlinie in Zukunft damit auch eine Hinzurechnungsbesteuerung eintreten sollte, wenn es insgesamt an der Beteiligung am Nennkapital mangelt und nur eine Gewinnbeteiligung vorliegt, wie z.B. durch Genussrechte vermittelt. b) Freigrenzen aa) Geltendes Recht Es sind im Grundsatz Einkünfte, für die eine ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, außer Ansatz zu lassen, wenn die ihnen zugrunde liegenden Bruttoerträge nicht mehr als 10 % der gesamten Bruttoerträge der Gesellschaft betragen, vorausgesetzt, dass zugleich die bei einer Gesellschaft oder bei einem Stpfl. hiernach außer Ansatz zu lassenden Beträge insgesamt 80 000 Euro nicht übersteigen. bb) Richtlinie Gemäß der Richtlinie erfolgt keine Erfassung, wenn 1/3 oder weniger der Einkünfte aus passivem Erwerb stammen. Eine mögliche Umsetzung in deutsches Recht ist noch offen. Hinreichend hohe relative und absolute Freibeträge dienen allerdings der Vereinfachung und damit der Entlastung aller Beteiligten und sind folglich zu begrüßen. c) Besteuerungshöhe aa) Geltendes Recht Eine niedrige Besteuerung liegt vor, wenn die Einkünfte der ausländischen Gesellschaft einer Belastung durch Ertragsteuern von weniger als 25 % unterliegen, ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht. In die Belastungsberechnung sind Ansprüche einzubeziehen, die der Staat oder das Gebiet der ausländischen Gesellschaft im Fall einer Gewinnausschüttung der ausländischen Gesellschaft dem unbeschränkt Stpfl. oder einer anderen Gesellschaft, an der der Stpfl. direkt oder indirekt beteiligt ist, gewährt („Malta-Klausel“). 495

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bb) Richtlinie Gemäß der Richtlinie ist eine niedrige Besteuerung gegeben, wenn die tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer niedriger ist als die Differenz der inländischen vergleichbaren Körperschaftsteuerbelastung und der tatsächlich entrichteten ausländischen Körperschaftsteuer. Beispiel: Inland Ausland Differenz: Belastungstest:

30 10 30 – 10 = 20 10 , 20 R Niedrigbesteuerung

Damit bedeutet die Formel „im Klartext“: 1/2 der Inlandsbelastung als Grenze.

Die Festlegung der Niedrigsteuergrenze ist letztendlich eine politische Frage. Es sind verschiedene Grundansätze zur Vorgehensweise denkbar. Die halbe Inlandsbelastung mit Körperschaftsteuer (Mindeststandard gemäß der Richtlinie) würde die Niedrigsteuergrenze bei 7,5 % verorten. Würde man sich am (geltenden) deutschen Körperschaftsteuersatz orientieren, wären es 15 %. Ggf. könnte man sich z.B. auch an 50 % oder 75 % des (gewichteten) Durchschnitts der Körperschaftsteuersätze im EU/EWR Raum orientieren. Weiterhin wäre ggf. auch eine Anwendung zweier Steuersätze in Abhängigkeit davon denkbar, ob die Hinzurechnungsbesteuerung Körperschaften (Niedrigsteuergrenze z.B. 15 %) oder natürliche Person (Niedrigsteuergrenze z.B. 25 %) betreffen würde. Desweiteren könnte auch über die (Wieder)Einführung eines Sondersteuersatzes (wie bereits durch das Steuersenkungsgesetz vom 23.10.2000 vorgesehen, aber vor der erstmaligen Anwendung bereits rückwirkend wieder abgeschafft) nachgedacht werden (seinerzeit war ein pauschaler Steuersatz von 38 % auf den Hinzurechnungsbetrag vorgesehen). Dieser pauschale Steuersatz dürfte allerdings wesentlich niedriger (z.B. bei 25 %) liegen und hätte den Vorteil, die Problematik eines Anrechnungsüberhangs zu vermeiden. In diesem Zusammenhang haben auch eine Reihe von weiteren Aspekten große Bedeutung. Die Richtlinie schweigt z.B. zu der wichtigen Frage, ob und wie eine Verlustverrechnung sowie Verlustvor- bzw. -rücktrag 496

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für die Bestimmung der Niedrigbesteuerung zu berücksichtigen sind. Weiterhin braucht es auch eine sinnvolle Berücksichtigung ausländischer Gruppenbesteuerungssysteme (z.B. Zahlung der Steuer nur durch die Obergesellschaft einer Gruppe, sowie Eliminierung interner Transaktionen oder Nichtbeachtung von Verrechnungspreisregelungen aufgrund der Übertragung innerhalb der Gruppe, etc.). In der Wirtschaft wird auch ein Bedarf an Übergangsregelungen bei Erwerb niedrig besteuerter ausländischer Gesellschaften (mit Risiken im Bereich der Hinzurechnungsbesteuerung) gesehen. d) Qualifizierende Substanz aa) Geltendes Recht Eine Gesellschaft, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens hat, ist gem. § 8 Abs. 2 AStG nicht Zwischengesellschaft für Einkünfte, für die unbeschränkt Stpfl., die i.S.d. § 7 Abs. 2 oder Abs. 6 AStG an der Gesellschaft beteiligt sind, nachweisen, dass die Gesellschaft insoweit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem Staat nachgeht. Nach der gesetzlichen Regelung und der darunter liegenden EuGH-Rspr. kommt es damit nur auf eine „tatsächliche“ wirtschaftliche Tätigkeit an. Wie dieses Merkmal näher auszulegen ist, ist jedenfalls im deutschen Rechtskreis höchst umstritten. Dies beweist unter anderem das Urteil des FG Münster8. bb) Richtlinie Nach der Richtlinie soll in Zukunft folgender Mindeststandard gelten: –

Nachweis durch relevante Fakten und Umstände, dass



gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine



wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird.

8 Vgl. FG Münster v. 20.11.2015 – 10 K 1410/12 F, EFG 2016, 453 = ISR 2016, 119, nrkr., Rev. Az. BFH I R 94/15. Zur Auffassung der Finanzverwaltung vgl. zuletzt OFD Karlsruhe v. 16.5.2017 – S 135.1/7 - St 224.

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Während für den EU-Raum die Anwendung des qualifizierenden Substanz-Escape wohl zwingend ist, können die Mitgliedstaaten den Substanz-Escape für Drittstaaten ausschließen. Deutschland strebt im Grundsatz die Übernahme der vorstehenden Regelung an, dabei besteht die Tendenz, keinen Substanz-Escape für Drittstaatenfälle vorzusehen. Auch in Fällen des switch-over gem. § 20 Abs. 2 AStG möchte man (auch innerhalb der EU) tendenziell vom Substanztest absehen. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass eine wichtige Begrifflichkeit hier eine erhebliche Veränderung erfahren soll. Während bislang eine „tatsächliche“ wirtschaftliche Tätigkeit (also real und nicht nur vorgetäuscht) vorliegen muss, sieht die Richtlinie als neue und wohl jedenfalls dem Wortlaut nach ungleich schärfere Voraussetzung eine „wesentliche“ wirtschaftliche Tätigkeit vor. Je nach Umsetzung in deutsches Recht und Interpretation der abweichenden Begriffe mag dies dazu führen, dass zwar in tatsächlicher Hinsicht eine Substanz vorliegt, die zwar nach Maßgabe des EuGH ausreichend wäre („tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“), die aber, da „nur“ tatsächlich, nicht zugleich auch „wesentlich“, im Sinne der Richtlinie wäre und damit nicht auch dem schärferen Maßstab der Richtlinie genügen würde. Beispiel: Zwei Personen auf Malta betreiben für einen großen Konzern eine Finanzierungsgesellschaft. Die Personen sind tatsächlich vor Ort und leiten tatsächlich von dort auch die Geschicke der Gesellschaft. Die Voraussetzungen der EuGH-Rspr. als auch des § 8 Abs. 2 AStG in der geltenden Fassung sollten damit nach der hier vertretenen Ansicht erfüllt sein. Stellte sich nun aber die Finanzverwaltung im Rahmen einer Betriebsprüfung auf den Standpunkt, dass zwei Personen zwar womöglich einer tatsächlichen Tätigkeit nachgehen, diese aber nicht wesentlich sei, da zwei Personen in Bezug auf einen großen Konzern mit tausenden von Mitarbeitern schlicht unwesentlich seien, ergibt sich daraus die Folgefrage, wie sich der Begriff der Wesentlichkeit in einem solchen Kontext bestimmt.

Neben die reine Quantitätsfrage tritt daneben auch (erneut) die Frage nach der relevanten Qualität der Aktivitäten „vor Ort“. Die Formulierung („wesentlich“) lässt offen, ob und in welchem Umfang auch eine qualitative Verknüpfung zwischen den relevanten „substanzspendenden“ Aktivitäten vorliegen muss. Mit anderen Worten: reicht es aus, dass insgesamt eine tatsächliche bzw. wesentliche Tätigkeit in der betreffenden ausländischen Gesellschaft erfolgt oder muss die tatsächliche 498

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bzw. wesentliche Tätigkeit sich exakt auf die Einkünfte (vorrangig) beziehen, die möglicher Gegenstand einer Hinzurechnungsbesteuerung wären? In diesem Zusammenhang sollte die Beantwortung der Frage nicht nur aus dem Blickwinkel einer Regelung zur Bekämpfung der Ausnutzung des internationalen Steuergefälles gesehen werden, sondern insbes. auch aus dem Blickwinkel des Unionsrechts. Der Substanz-Escape ist Ausfluss des Schutzes auf das Recht zur freien Wahl des Orts der Niederlassung innerhalb des EU-Raums. Dabei darf das Wirtschaftssubjekt diese Wahlentscheidung auch nach einem vorteilhaften Steuerregime ausrichten. Der Schutz dieser Wahlentscheidung ist nach der Rspr. des EuGH dann zu gewähren, wenn sich eine Gesellschaft tatsächlich an einem Ort niederlässt (sich vor Ort sozusagen tatsächlich verwurzelt). Liegt eine solche „tatsächliche“ Niederlassung vor (und nicht nur eine gekünstelte, da lediglich eine Briefkastengesellschaft errichtet wurde o.ä.), so soll der Schutz der Grundfreiheiten greifen. Mit anderen Worten: wer sich tatsächlich niederlässt, genießt auch den Schutz der Niederlassungsfreiheit und ist damit auch vor einer Hinzurechnungsbesteuerung durch den Sitzstaat der beherrschenden Muttergesellschaft zu bewahren. Der Test, ob eine Gesellschaft niedergelassen ist oder nicht, sollte aber wohl kein Test sein, der sich auf einzelne Einkunftsbestandteile (passiver Natur) bezieht oder beschränken kann. Vielmehr sollte entweder eine Gesellschaft insgesamt substanzerfüllt und dauerhaft vor Ort tätig (und damit niedergelassen) sein oder sie wird mangels hinreichender Substanz oder Dauerhaftigkeit insgesamt als nicht niedergelassen angesehen. Aus diesem Blickwinkel heraus erscheint eine selektive oder qualitative Betrachtung der notwendigen Substanz für den Nachweis einer Niederlassung grundsätzlich nicht als überzeugender Begründungsansatz. Die Finanzverwaltung hat allerdings eine partiell andere Sicht. Erweiterung des Beispiels: Die o.g. maltesische Finanzierungsgesellschaft tätigt ausschließlich Finanzierungsgeschäft mit Drittstaatengesellschaften, ein „MaltaMalta-Darlehen“ wird hingegen nicht gewährt.

Die Finanzverwaltung hat aus den Kriterien der EuGH-Rspr. u.a. abgeleitet, dass die Gesellschaft in ihrem Ansässigkeitsstaat am Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig teilnehmen muss. Außerdem muss sie die Kernfunktion, die Gegenstand ihres Geschäfts ist, selbst ausüben.9 Eine Gesellschaft, 9 Vgl. BMF v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99 = FR 2007, 206 sowie Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 2 AStG, BTDrucks. 16/6290.

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die über eine sachliche, räumliche und personelle Ausstattung verfügt, wird gewöhnlich nicht als rein künstliches Gebilde betrachtet werden können. Eine andere Frage ist, ob es sich jeweils um eine der Funktion der Gesellschaft angemessene Ausstattung handelt. Entscheidende Bedeutung dürfte dem Kriterium „Integration in das Marktgeschehen im Staat der Niederlassung“ zukommen, das dem EuGH-Urteil vom 12.9.200610 zu entnehmen ist (Rz. 53 ff.). Das FG Münster hat eine solche Integration verneint, wenn die Gesellschaft im Staat ihrer Niederlassung nur den Beschaffungsmarkt in Form der Anmietung von Büroräumen, Einkauf von Strom und Telekommunikationsdienstleistungen und Beschäftigung einer Geschäftsführerin in Anspruch nimmt, ihren Gewinn aber gerade nicht auf diesem Markt erzielt.11 In der Literatur wurde dieses Urteil auch kritisch kommentiert.12. Die EU-Richtlinie lässt optional die Möglichkeit zum Gegenbeweis auch im Hinblick auf Drittstaaten zu. Die bislang in Deutschland geltenden Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung finden dagegen im Drittstaaten-Fall nur keine Anwendung, soweit bestimmte andere (veraltete) Gegenausnahmetatbestände erfüllt sind (z.B.: eingerichteter Geschäftsbetrieb, Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr). Entsprechend sollte auch der Nachweis der tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit auf das Drittlandsgebiet Anwendung finden. Denn wenn nur steuerinduzierte Gestaltungen getroffen werden sollen, können tatsächliche wirtschaftliche Betätigungen keiner zusätzlichen Besteuerung unterworfen werden. Insbesondere in Bezug auf Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen sowie bezüglich Banken und Versicherungen oder auch der aktiven Verwaltung, Entwicklung und Weiterentwicklung von immateriellen Wirtschaftsgütern ist es evident, dass auch in Drittstaatenfällen der Nachweis von Personal, Ausstattung, Vermögenswerten und Räumlichkeiten, die eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit bedeuten, eine Zusatzbelastung in Form der Hinzurechnungsbesteuerung ausschließen sollte. Im Zusammenhang mit einer tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit kommt es auf die Gesamtschau der ausgeübten Tätigkeiten, des eingesetzten Personals, der Räumlichkeiten sowie der weiteren Sach- und Mit10 EuGH v. 12.9.2005 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), FR 2006, 987. 11 Vgl. FG Münster v. 20.11.2015 – 10 K 1410/12 F, EFG 2016, 453 = ISR 2016, 119 (insbes. Rz. 46), nrkr., Rev. Az. BFH I R 94/15. 12 Vgl. z.B. Köhler, ISR 2016, 119.

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telausstattung an. Diese geben Aufschluss über Art und Umfang der Verwurzelung an einem bestimmten Standort (tatsächliche Niederlassung). Unschädlich bleibt auch eine (ausschließliche) grenzüberschreitende Aktivität der betreffenden Einheit. Wie bereits das Urteil zu Cadbury Schweppes (irische Finanzierungsgesellschaften, die den internationalen Konzern finanzierten) beweist, kam und kommt es nicht darauf an, dass der relevante Beschaffungs- oder Absatzmarkt (ganz überwiegend) im Sitzstaat der Gesellschaft belegen ist, sondern vielmehr darauf, dass die wirtschaftliche Tätigkeit tatsächlich von dem Ansässigkeitsort der Gesellschaft ausgeht. Mit anderen Worten: es kommt nicht darauf an von wo welche Märkte bearbeitet werden, sondern dass die Bearbeitung der Märkte tatsächlich von einem bestimmten Ort aus erfolgt. Zur abweichenden Beurteilung der Finanzverwaltung s.o. e) Definition passiver Einkünfte aa) Geltendes Recht Eine ausländische Gesellschaft ist gem. § 8 Abs. 1 AStG Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung unterliegen und nicht stammen aus: 1. der Land- und Forstwirtschaft, 2. er Herstellung, Bearbeitung, Verarbeitung oder Montage von Sachen, … 3. dem Betrieb von Kreditinstituten oder Versicherungsunternehmen, die für ihre Geschäfte einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Betrieb unterhalten, es sei denn, die Geschäfte werden überwiegend mit unbeschränkt Stpfl., die nach § 7 AStG an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sind, oder solchen Stpfl. i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG nahestehenden Personen betrieben, 4. dem Handel, soweit nicht … 5. Dienstleistungen, soweit nicht … 6. der Vermietung und Verpachtung, ausgenommen … 7. der Aufnahme und darlehensweisen Vergabe von Kapital, für das der Stpfl. nachweist, … 8. Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften,

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9. der Veräußerung eines Anteils an einer anderen Gesellschaft sowie aus deren Auflösung oder der Herabsetzung ihres Kapitals, soweit der Stpfl. nachweist, dass … 10. Umwandlungen, die ungeachtet des § 1 Abs. 2 und 4 UmwStG zu Buchwerten erfolgen könnten; das gilt nicht … Der vorstehend – auszugsweise verkürzt dargestellte – Aktivitätskatalog macht die Problematik des geltenden Rechts deutlich: Es handelt sich aus Sicht von Wirtschaft und Beratung um einen nicht mehr zeitgemäßen und nur punktuell nachgebesserten Aktivitätskatalog. Die Systematik der Umkehr der Abgrenzung zwischen aktiven und passiven Einkünften führt zu problematischen Ergebnissen. Denn nicht alles, was der Gesetzgeber positiv als aktiv beschrieben hat, ist im Gegenschluss zutreffenderweise stets passiv. Da die maßgeblichen Regelungen allerdings aus dem Jahr 1972 (also aus dem letzten Jahrhundert und sogar Jahrtausend) stammen, ist es evident, dass aufgrund der fehlenden, stetigen Fortentwicklung des Aktivitätskatalogs moderne, arbeitsteilige Zusammenarbeit im Konzern, neue Geschäftsmodelle etc. nicht (mehr) hinreichend als aktiv qualifizieren. Mit anderen Worten: die Regelung ist zum einen nicht mehr zielgerichtet und zum anderen, aufgrund der Umkehr der Abgrenzungssystematik, auch dem Grunde nach kaum tauglich. Eine schlüssige (neue) Regelung sollte positiv beschreiben, was passiv sein soll. Diesen Weg geht auch die EU-Richtlinie. Der Gesetzgeber sollte dem folgen und den durch die EU-Richtlinie vorgegebenen positiv definierten Passiv-Katalog übernehmen. Dadurch würde die eigentliche Zwecksetzung gezielter verfolgt werden, lediglich „mobile“ passive Einkünfte der Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen. bb) Richtlinie Gemäß der Richtlinie soll folgendes gelten: Passiv sind nicht ausgeschüttete Gewinne aus: 1. Zinsen oder sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen; 2. Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum; 3. Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen; 4. Einkünfte aus Finanzierungsleasing; 5. Einkünfte aus Tätigkeiten von Versicherungen und Banken und aus anderen finanziellen Tätigkeiten Finanzunternehmen können optio502

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nal als aktiv gelten, wenn max. 1/3 der Einkünfte aus Transaktionen mit verbundenen Unternehmen (25 %) stammen 6. Einkünfte von Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von verbundenen Unternehmen erworben oder an diese verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirtschaftlichen Mehrwert bringen; Gegenwärtig ist noch unklar, wie die Umsetzung in deutsches Recht erfolgen soll, d.h. ob eine Fortentwicklung des geltenden Aktivitätskatalogs (Negativabgrenzung) oder eine Adaption des von der Richtlinie vorgeschlagenen Passivkatalogs (Positivdefinition) erfolgen soll. I.S. einer zielgerichteten Gesetzestechnik wäre es sehr zu begrüßen, wenn explizit die passiven Einkünfte definiert werden, da dies Zufälligkeiten der Abgrenzung von aktiven und passiven Einkünfte aufgrund der Fortentwicklung von wirtschaftlicher Entwicklung, Geschäftsmodellen, etc. vermeiden würde. Das geltende Recht sieht u.a. sogenannte Mitwirkungs- und Bedienungstatbestände vor. Durch die inzwischen detaillierten und viel weiterreichenden, zielwirksamen Regelungen im Bereich der Verrechnungspreise sollten diese Tatbestände nicht parallel auch nochmals im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung behandelt werden. Ähnliches gilt für die Merkmale des eingerichteten Geschäftsbetriebs bzw. der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Die EU-Richtlinie sieht an dieser Stelle anstelle dessen einen Substanz- und Aktivitätstest vor, nach dem eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit durch Personal in entsprechenden Räumen nachzuweisen ist. Dieses EU-einheitliche Verständnis für das Vorliegen von Substanz und Aktivität sollte auch die vorgenannten Kriterien des deutschen Rechts umfassend ersetzen. Nur hierdurch kann einerseits auch zukünftig sichergestellt werden, dass keine künstlichen, substanzarmen Gestaltungen steuerliche Berücksichtigung finden, aber andererseits zugleich der Tatsache Rechnung getragen werden, dass in international agierenden Unternehmensgruppen grenzüberschreitende Zusammenarbeit an der Tagesordnung ist und auch ein betriebswirtschaftlicher Imperativ: ein unkoordiniertes Nebeneinander herarbeiten mit sich entsprechend vervielfachenden Kosten ist im internationalen Wettbewerb nicht darstellbar. Die Zusammenarbeit über die Grenze und zwischen verschiedenen Konzerngesellschaften hinweg kann daher kein Aufgriffspunkt (mehr) für eine Hinzurechnungsbesteuerung sein. Entscheidend ist allein, ob tatsächliche, wirtschaftliche 503

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und inhaltliche Substanz vorliegt, die nach den Abgrenzungsregelungen der Verrechnungspreise dazu führt, dass vor Ort in dieser Höhe tatsächlich Gewinne erzielt werden (können). Dieses Kriterium ist darüber hinaus auch im Zeitablauf flexibler und erlaubt eine bessere Anpassung und Weiterentwicklung der Kriterien an ein sich ständig änderndes wirtschaftliches Umfeld. Wichtig ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass die funktionale Betrachtung Bestand behält und gesetzlich geregelt wird. Dieser wichtige Auslegungsgrundsatz findet bereits seit 1972 in der Rspr. Anwendung und spiegelt sich auch im Anwendungserlass der Finanzverwaltung wider. Als wichtiger Grundbaustein für eine sachgerechte Auslegung der Norm sollte dieser Grundsatz nunmehr auch umfassend kodifiziert Eingang in die gesetzliche Regelung finden. Die funktionale Betrachtungsweise ist hierbei so auszuformulieren, dass auch Tätigkeiten mehrerer Konzerngesellschaften, die ineinander greifen (z.B. ausgelagerte Immobiliengesellschaft), sowie intertemporäre Bezüge (z.B. nachlaufende Veräußerungsgewinne aus ehemals aktivem Geschäft dienenden Wirtschaftsgütern) Berücksichtigung finden. Während das AStG 1972 eine sehr stark isolierte Sicht auf die jeweils einzelne Kapitalgesellschaft zeigt, ist auch hier die zwischenzeitliche Entwicklung zu berücksichtigen: auch im Inland sind Konzerne heute häufig so organisiert, dass verschiedene wichtige Konzernfunktionen in unterschiedliche Gesellschaften separiert gebündelt werden, um durch die Spezialisierung zusätzliche Skaleneffekte zu erzielen (z.B. getrennte Gesellschaften für das Immobilienvermögen, für Forschungs- und Entwicklungszwecke usw.). Entsprechendes sollte auch im Rahmen der funktionalen Betrachtungsweise für ausländische Strukturen gelten: bereits in der Vergangenheit enthielten z.B. § 8 Abs. 2 AStG a.F. sowie § 13 AStG bestimmte Regelungen (eingeschränkt auch heute noch in § 14 AStG), nach denen auch Aktivitäten nachgeschalteter Gesellschaften in Zusammenschau mit vorgeschalteten Gesellschaften als funktional verknüpft und damit als aktiv anzusehen waren. Wenn sich soweit also erkennbar in der Gesamtschau eine gemeinsame aktive Tätigkeit ergibt, so ist dies auch im Rahmen der funktionalen Betrachtungsweise entsprechend zu würdigen. Es sollte auch eine Fokussierung auf die Verlagerung von Einkünften aus dem Inland erfolgen. Die Hinzurechnungsbesteuerung zielt auf eine Bekämpfung der Verlagerung von (hoch) mobilen Einkünften aus dem Inland in das Ausland ab. Hierin muss sich das Normziel auch zugleich erschöpfen. Entsprechend sind Tatbestände, die nur zu der Erzielung von 504

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niedrig besteuerten Einkünften aus dem Ausland führen (aber das inländische Steuersubstrat gar nicht berühren, also keine Gewinnverlagerung vom In- in das Ausland darstellen) nicht vom Regelungsziel erfasst und damit auch von den Rechtsfolgen auszunehmen. Dies erfolgt z.B. bereits heute in Bezug auf den Handelstatbestand – § 8 Abs. 1 Nr. 4 AStG, da die Norm nur den Warenverkehr von oder zum Inland erfasst. Beispiel: Soweit z.B. eine ausländische Konzernfinanzierungsgesellschaft Zinsen aus den USA und aus Deutschland bezieht, wäre eine Hinzurechnungsbesteuerung nur auf das aus dem deutschen Inland stammende Zinsergebnis vorzunehmen. Die aus den USA resultierenden Zinseinkünfte sind dagegen kein vom Normzweck umfasster Gegenstand der Hinzurechnungsbesteuerung. Denn ohne die konzerninterne Fremdfinanzierung würden etwaige Gewinne aus den USA nach allgemeinen Grundsätzen in Deutschland gleichfalls keiner Besteuerung unterliegen (DBA-Schachtelbefreiung bzw. § 8b KStG bzw. Betriebsstättenbefreiung). Ob diese Drittstaateneinkünfte nun einer ungeschmälerten (höheren) Belastung im Drittstaat oder einer ggf. geringeren Belastung in einem anderen Staat unterliegen (weil in Zinseinkünfte transformiert), kann erkennbar zu keinem erhöhten Besteuerungsrecht im Inland führen. Es bleibt in jedem Fall bei ausländischen Einkünften, die nach den allgemeinen Grundprinzipien des deutschen Steuerrechts keiner zusätzlichen Besteuerung in Deutschland zugeführt werden.

Sicht der Finanzverwaltung ist allerdings, dass die Finanzierungsfunktion nach der bisherigen Intention des Gesetzgebers grundsätzlich bei der deutschen Konzernspitze anzusiedeln ist und nur „ausnahmsweise“ im Rahmen des Aktivitätsvorbehalts aktive Einkünfte vorliegen. Insoweit stellt sich auch die Frage, ob der Gesetzgeber im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung auch weitere Rahmenbedingungen des BEPS-Berichts der OECD aufgreift und integriert. Diese Problematik zeigt sich insbes. bei der Behandlung der Lizenzverwertungsgesellschaften. Im Hinblick auf den Nexus-Ansatz stellt sich die Frage, ob Lizenzgebühren den Motivtest nur erfüllen können, soweit die Gesellschaft die Ergebnisse eigener Forschungs- oder Entwicklungsarbeit verwertet (nach der Richtlinie wären selbst derartige Lizenzeinkünfte passiv). Das bedeutet umgekehrt, dass eine Gesellschaft, die lediglich Rechte verwaltet oder verwertet oder Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten „im Auftrag“ durchführen lässt bzw. Rechte bloß erworben hat, u.U. in Verschärfung des bisherigen Rechts passive Einkünfte bezieht, für die kein Motivtest zugelassen wird. 505

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Des weiteren ist darauf hinzuweisen, dass nach der heutigen gesetzlichen Lage der Aktivitätskatalog des § 8 AStG auch häufig aufgrund der Verweise Relevanz für die Aktivitätsklauseln der DBA bzw. des § 9 Nr. 7 GewStG besitzt. Möchte man eine Verweistechnik aufrechterhalten, so stellt sich die Folgefrage, ob man weiterhin mit einem (weitgehend) identischen Abgrenzungskatalog operieren möchte oder diese voneinander abgekoppelt. Die Frage hat deshalb nicht nur akademische Bedeutung, da für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung die EU-Richtlinie einen Mindestkatalog passiver Einkünfte vorschreibt. Für Doppelbesteuerungsabkommen oder Zwecke der Gewerbesteuer bleibt es dagegen grundsätzlich eine rein nationale Entscheidung, wie die Abgrenzung erfolgen soll. Vor diesem Hintergrund könnte z.B. auch überlegt werden, die Verweise der DBA und des GewStG auf den bestehenden Aktivitätskatalog des § 8 AStG fortbestehen zu lassen und z.B. gesetzestechnisch an § 8 einen § 8a AStG anzufügen, in dem dann der Einkünftekatalog für Zwecke der unionsrechtlich vorgegebenen Hinzurechnungsbesteuerung separiert definiert würde. Die Verweise der DBA und des GewStG würden dadurch auf eine rein nationale Regelung fortbestehen, nur für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung wäre ein EU-konformer Aktivitätskatalog neu zu bestimmen. Diesem Aspekt könnte man natürlich wiederum kritisch entgegnen, dass das Recht damit noch komplexer wird, da verschiedene Aktivitätskataloge zu berücksichtigen sind. Tatsächlich ist dies aber auch bereits heute (teilweise) der Fall. Zum Teil verweisen die DBA auf (Teile des) Aktivitätskatalogs des AStG. Zum Teil regeln die DBA eigenständige Aktivitätskataloge. Weiterhin verweisen einige DBA explizit auf eine bestimmte Fassung der Aktivitätsklausel auf einen bestimmten in der Vergangenheit liegenden Tag, andere DBA nennen keinen Stichtag für die Geltung einer bestimmten Aktivitätsklausel des § 8 Abs. 1 AStG, so dass sich in der Folge die Frage stellt, ob es sich hierbei um einen dynamischen Verweis auf sich ändernde nationale Aktivitätskataloge handelt oder ob stets der Aktivitätskatalog relevant ist, der im Zeitpunkt des Abschlusses des betreffenden DBA galt. Offen bleibt auch, ob (ungeachtet des Wortlauts der Richtlinie) Dividenden bzw. Veräußerungsgewinne (sowie Umwandlungsfälle) begünstigt sein können, da bei mittelbarer Beteiligung die zugrunde liegenden originäre Einkünfte bereits erfasst werden. Dies führt zu der Frage nach der Anwendbarkeit der nationalen Gewinnermittlung.

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f) Gewinnermittlung aa) Geltendes Recht Die dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte sind – mit wichtigen Ausnahmen – in entsprechender Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln: Steuerliche Vergünstigungen, die an die unbeschränkte Steuerpflicht oder an das Bestehen eines inländischen Betriebs oder einer inländischen Betriebsstätte anknüpfen, und die §§ 4h, 4j EStG sowie die §§ 8a, 8b Abs. 1 und 2 KStG bleiben unberücksichtigt; dies gilt auch für die Vorschriften des UmwStG, soweit Einkünfte aus einer Umwandlung nach § 8 Abs. 1 Nr. 10 AStG hinzuzurechnen sind. Verluste, die bei Einkünften entstanden sind, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, können in entsprechender Anwendung des § 10d EStG, soweit sie die nach § 9 AStG außer Ansatz zu lassenden Einkünfte übersteigen, abgezogen werden. Soweit sich durch den Abzug der Steuern nach § 10 Abs. 1 ein negativer Betrag ergibt, erhöht sich der Verlust, der nur im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung berücksichtigungsfähig bleibt. Neben den im Rahmen des § 10 Abs. 3 AStG geregelten Ausnahmen von den allgemeinen steuerlichen Grundsätzen ist insbes. auch und ergänzend auf § 21 Abs. 3 AStG hinzuweisen, nach dem auch bei Eintritt in die Hinzurechnungsbesteuerung keine Aufstockung in der eröffnenden Hinzurechnungsbilanz auf den gemeinen Wert der Wirtschaftsgüter vorgesehen ist. Vielmehr ist der Wert anzusetzen, der sich ergeben würde, wenn seit Übernahme der Wirtschaftsgüter durch die ausländische Gesellschaft bereits die Vorschriften des deutschen Steuerrechts angewendet worden wären (mit anderen Worten: dieser zwingt bei Erwerb einer bestehenden ausländischen Gesellschaft im Grundsatz eine historische Rückrechnung des sich ergebenden Buchwerts aus der in der Vergangenheit, vor Eintritt der deutschen Beherrschung, gegebenen Anschaffungskosten auf den fortentwickelten deutschen steuerlichen Buchwert bei Eintritt in die Hinzurechnungsbesteuerung). Zum einen bedeutet dies eine komplexe und in der Praxis häufig kaum zu leistende Überleitung und zum anderen, dass stille Reserven der deutschen Besteuerung unterfallen, die gar nicht unter deutscher Beherrschung entstanden sind und für die systematisch (eigentlich) auch gar kein deutsches Besteuerungsrecht begründet wird. Allerdings ist nach Ansicht der Finanzverwaltung auch unstrittig, dass ein erworbenes Dividendenpotential unabhängig von der Entstehungs507

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geschichte bei einer Ausschüttung der Wohnsitzbesteuerung im Empfängerstaat des Gesellschafters unterliegt. Weiterhin sei ausdrücklich auf die in § 10 Abs. 3 AStG enthaltenen Gegenausnahmen bezüglich der Nichtanwendung der Regelung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf Dividendenbezüge und Veräußerungsgewinne (§ 8b Abs. 1 und 2 KStG) hingewiesen. Diese werden nach den geltenden Regelungen des AStG gleichwohl vergleichsweise umfassend gem. § 8 Abs. 1 Nr. 8 und 9 sowie bezüglich Umwandlungsgewinnen gem. Nr. 10 AStG ausgenommen. bb) Richtlinie Wie vorstehend dargestellt und der den Mindeststandard wiedergebende Passivkatalog der Richtlinie belegt, sollen derartige Gewinne zukünftig generell passiv sein. In der Sache muss sich dadurch jedenfalls dann nicht viel ändern, wenn man insoweit wiederum dem Mindeststandard der Richtlinie Folge leistet und die Ermittlung der Einkünfte gemäß nationalem Recht vornimmt. Mit anderen Worten: soweit man die Anwendung der Regelung des § 8b KStG sowie des UmwStG zukünftig nicht mehr (systemfremd) in § 10 Abs. 3 AStG ausschließen würde, wäre im Grundsatz ein Gleichlauf von Besteuerungs- und Befreiungstatbeständen zu inländischen Regelungen erreicht. Dies erscheint systematisch auch naheliegend, da anderenfalls ausländische Holdinggesellschaften einer schärferen Besteuerung unterfallen würden als inländische Holdinggesellschaften. Jedenfalls innerhalb der EU erscheint ein solches Ergebnis vor dem Hintergrund der zu beachtenden Niederlassungsfreiheit bedenklich. Im Detail würde eine vollständige Übernahme der mittlerweile komplexen Regelungen des § 8b KStG allerdings zu vielen Zusatzproblemen gegenüber den heute geltenden Regelungen führen. So sind z.B. gem. § 8 Abs. 1 Nr. 8 AStG Dividenden generell aktiv gestellt und werden damit nicht zum Gegenstand der Hinzurechnungsbesteuerung. Im Rahmen des § 8b KStG sind dagegen mittlerweile Mindestbeteiligungsquoten und Zeiträume beachtlich sowie aufgrund des sog. materiellen Korrespondenzprinzips gem. § 8b Abs. 1 Sätze 2–4 KStG Belastungstests etc. beim Dividendenzahler durchzuführen. Dies alles in Bezug auf nachgeschaltete ausländische Dividendenbezüge nachzuhalten, würde zu einer extremen Komplizierung der deutschen internationalen Konzernbesteuerung führen und letztlich womöglich sowohl die Stpfl. als auch die Betriebsprüfer überfordern. Mit anderen Worten: das Besteuerungsergebnis hinge dann auch in nicht unerheblichem Ausmaß davon ab, welcher Doku508

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mentationsaufwand im Einzelfall getrieben wird, ob überhaupt alle notwendigen Nachweise herbeigebracht werden können und welche Prüfungsdichte auch eine Finanzverwaltung in jedem Einzelfall für jeden einzelnen Dividendenbezug in einem tief gestaffelten Konzern leisten kann. Die generelle Befreiung erscheint daher auch zukünftig der bessere Lösungsansatz zu sein. Des weiteren gilt es, folgenden Systembruch zu beseitigen: Im geltenden Recht werden zwei diametral gegenläufige Grundsätze im System der Hinzurechnungsbesteuerung angewandt: einerseits bewirkt die Hinzurechnungsbesteuerung eine Art direkte Besteuerung bestimmter ausländischer Wirtschaftsgüter (z.B. Kapitalanlagen, Immaterialrechte sowohl bzgl. der sich daraus ergebenden laufenden Zins- oder Lizenzeinkünfte als auch etwaiger Kurs- bzw. Veräußerungsgewinne). Insoweit greift die Hinzurechnungsbesteuerung materiell-rechtlich auf die einzelnen, passiven Wirtschaftsgüter durch. Auf der anderen Seite berücksichtigt die gesetzliche Systematik dies aber im Anschaffungszeitpunkt nicht. Dieser Widerspruch ist aufzulösen. Folgerichtig bedarf es daher im Erwerbszeitpunkt einer ausländischen Gesellschaft der Aufstellung einer eröffnenden Hinzurechnungsteuerbilanz, die abgeleitet aus dem Gesamtkaufpreis für die ausländische Gesellschaft diesen anteilig auf die passiven Wirtschaftsgüter herunterbricht und diese entsprechend zu dem höheren Teilwert (anteiliger Kaufpreis) zum Ansatz bringt. Nur hierdurch wird das systematische Problem gelöst, dass dem Stpfl. auf der einen Seite materiellrechtlich das Einzelwirtschaftsgut zugerechnet wird, aber andererseits die hierfür getätigten Aufwendungen unberücksichtigt bleiben (Vermeidung Übermaßbesteuerung). Darüber hinaus sollten die Regelungen praxistauglicher werden. Im Grundsatz sind die Einkünfte für Zwecke der Hinzurechnungsbesteuerung umfassend und neu nach deutschen Gewinnermittlungs- bzw. Überschussermittlungsgrundsätzen zu bestimmen. Hieraus ergibt sich häufig ein erheblicher, aber häufig im Ergebnis unnötig großer administrativer Aufwand. Zugleich wird im Grundsatz anerkannt, dass ausländische Gewinnermittlungsmethoden i.d.R. (allerdings zum Teil mit zeitlichem Versatz) über die Totalperiode zu sehr ähnlichen Ergebnissen führen. Es sollte erwogen werden, i.S. einer Vereinfachung bereits vorliegende ausländische Gewinnermittlungen jedenfalls dann auch einer Hinzurechnungsbesteuerung zugrunde legen zu dürfen, wenn das betreffende Gewinnermittlungssystem internationalen Standards gerecht wird (zum Beispiel IFRS). 509

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g) Vermeidung Doppelbesteuerung aa) Geltendes Recht Das geltende System der Hinzurechnungsbesteuerung sieht nur eine unvollständige Vermeidung der Doppelbesteuerung vor. Dem Grunde nach ergibt sich dies hieraus, dass § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG (der nach h.M. auch im Rahmen der Körperschaftsteuer Anwendung finden soll – offen jedoch gem. BFH v. 26.4.201713) nur für einen Zeitraum von 7 Jahren eine (volle) Berücksichtigung von Hinzurechnungsbeträgen auf „Nachschüttung“ dieser Gewinne oder Veräußerungsgewinne berücksichtigen möchte. Mit anderen Worten: nach Ablauf der 7-Jahresfrist kommt es zu einer systemwidrigen Doppelbesteuerung (dabei ist insbes. auch darauf hinzuweisen, dass, je länger der Zeitraum zwischen der vorweggenommenen Hinzurechnungsbesteuerung und der späteren Ausschüttung ist, desto größer bereits der ökonomische Zinseszinseffekt für den deutschen Fiskus ausfällt und damit gerade ein längerer Zeitraum bis zur „Nachschüttung“ oder Veräußerung der betreffenden Beteiligung gerade daher auch kein systematisches Argument für eine spätere nochmalige (auch nur anteilige) Besteuerung darstellt. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass durch die Ausweitung der Gewerbesteuer im Rahmen des § 7 Satz 7 GewStG nunmehr auch Hinzurechnungsbeträge der Gewerbesteuer unterfallen sollen, jedoch systemwidrig keine Berücksichtigung einer ausländischen Vorbelastung im Rahmen einer Anrechnung vorgesehen ist, so dass sich hieraus häufig Zusatzbelastungen aufgrund resultierender Doppelbesteuerung einstellen. Zusätzlich hat in Bezug auf die Doppelbesteuerung der Höhe nach der BFH (s. Fn. 13, letztlich auch systemwidrig, aber aus dem Gesetzeswortlaut wohl begründbar) entschieden, dass selbst „Nachschüttungen“ innerhalb der 7-Jahresfrist gleichwohl bei Bezug durch eine Körperschaft § 8b Abs. 5 KStG (5 % Schachtelstrafe) unterfallen. Diese, so wohl rechtlich mögliche, Sichtweise verkennt damit die Tatsache, dass in einer solchen Fallkonstellation voll vorbelastete Einkünfte erzielt werden, so dass sich in besonderer Weise die Frage nach der systematischen Legitimierung einer zusätzlichen Schachtelstrafe stellt.

13 BFH v. 26.4.2017 – I R 84/15, FR 2017, 1142.

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bb) Richtlinie Die Richtlinie sieht an dieser Stelle eine einfache, klare Regelung vor, nach der eine vollständige Anrechnung (allerdings aufgrund ihres Regelungsbereichs nur bezogen auf die Körperschaftsteuer) sowie eine vollständige Vermeidung der Doppelbesteuerung (was im Grundsatz wohl eine 100 %ige Befreiung der mit Hinzurechnungsbesteuerung vorbelasteten Einkünfte bedeuten sollte) zu erfolgen hat. Im Hinblick auf eine Umsetzung in deutsches Recht ergibt sich hieraus unter anderem die Konsequenz, dass die zeitliche 7-Jahres-Beschränkung innerhalb des § 3 Nr. 41 Buchst. a EStG entfallen sollte. Weiterhin wäre zu prüfen, ob Nachschüttungen generell zu 100 % befreit werden (explizit auch mit einer Gegenausnahme zu § 8b Abs. 5 KStG). Um Rechtssicherheit zu schaffen, wäre darüber hinaus wohl eine gesonderte Feststellung von Hinzurechnungsbeträgen erforderlich, mit dem Ziel, die sich hieraus ergebende Befreiungsberechtigung für alle Beteiligten im Besteuerungsverfahren im Zeitablauf dauerhaft rechtssicher festzustellen. Ob und wie eine Vermeidung der Doppelbesteuerung im Bereich der Gewerbesteuer erzielt werden könnte, ist dagegen aufgrund der Sonderstellung und der politischen Probleme im Hinblick auf den Einfluss der Gemeinden schwierig; ggf. könnte eine (pauschale) Kürzung des Gewerbesteuermessbetrags vorgesehen werden, wie z.B. die pauschale Kürzung im Rahmen des Protokolls des DBA Australien a.F. h) Ausgewählte weitere Aspekte aa) Umstellung auf periodengleichen Zufluss Gemäß Art. 8 Abs. 4 der EU-Richtlinie ist der Zufluss der ausländischen Einkünfte bereits zum Schluss (also i.d.R. per 31.12.) des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft im Inland steuerlich zu erfassen. Gegenüber dem noch geltenden Recht erfolgt die Besteuerung damit i.d.R. bereits ein Jahr früher als bisher. Soweit sich der deutsche Gesetzgeber an diese Richtlinienvorgabe gebunden fühlen sollte (Mindeststandard, der insoweit schärfer sei als das geltende Recht), sollte eine Übergangsregelung getroffen werden, die geeignet ist, die anderenfalls im Umstellungsjahr (2019) eintretende Einkunftserfassung von zwei Jahren (zum einen letzter Hinzurechnungsbetrag aus dem alten System, d.h. passive Einkünfte 2018, die bei Wirtschaftsjahr = Kalenderjahr per 1.1.2019 zu511

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fließen, zuzüglich passive Einkünfte 2019, die dann per 31.12.2019 zufließen würden) zumindest zu strecken. Soweit man die Richtlinienvorgabe für zwingend hält, würde dies bedeuten, dass z.B. die „letzten Zwischeneinkünfte“ unter den Altregelungen (Wirtschaftsjahr 2018, Hinzurechnungszeitpunkt 1.1.2019) über drei oder fünf Jahre gestreckt in die Bemessungsgrundlage eingehen würden. bb) Wegfall Strafbesteuerung § 17 Abs. 2 AStG Die Regelung sieht die Möglichkeit der Schätzung der ausländischen Einkünfte i.H.v. mindestens (nicht höchstens) 20 % des gemeinen Werts der gehaltenen Anteile vor. Eine solche Regelung ist nicht mehr zeitgemäß und sollte entfallen. cc) Konkurrenzregelung zum Investmentsteuergesetz Das deutsche Recht kennt neben der Hinzurechnungsbesteuerung insbes. im Rahmen des InvStG weitere Sondertatbestände, die zu einer (partiellen) Durchbrechung der Abschirmwirkung ausländischer juristischer Personen führen. Um daraus etwaige entstehende Doppelbesteuerungen durch konkurrierende nationale Besteuerungskonzepte zu vermeiden, sieht § 7 Abs. 7 AStG die vorrangige Anwendung des InvStG vor. Die Hinzurechnungsbesteuerung greift dagegen nur subsidiär. Die EU-Richtlinie enthält jedoch keine entsprechende Konkurrenz-Regelung, was darauf hindeuten könnte, dass die Norm-Konkurrenz aus Sicht des EU-Richtliniengebers entgegengesetzt zu lösen wäre: d.h. soweit passive, niedrig besteuerte Einkünfte vorliegen, wären diese stets und vorrangig der Hinzurechnungsbesteuerung zu unterwerfen. Eine Besteuerung nach den Regelungen des InvStG würde dagegen nur subsidiär greifen können. Dies würde erkennbar das national geschaffene Regelungsgeflecht stören. Es ergibt sich daraus die Folgefrage, ob es aus Sicht des Unionsrechts als hinreichend angesehen würde, wenn auch nach einer anderen Norm als den §§ 7 ff. AStG eine bestimmte Besteuerung eingreifen kann und damit insoweit die Umsetzung der EU-Richtlinie (auch in der Rechtsfolge) substituiert werden kann, oder ob die Richtlinie so (eng) auszulegen wäre, dass das Konkurrenzverhältnis im Regelungsbereich der Richtlinie (d.h. insbes. für Zinsen und Veräußerungsgewinne) abweichend und widersprüchlich zum heutigen § 7 Abs. 7 AStG zu regeln wäre.

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VI. Zusammenfassung und Ausblick Die Darstellung und Diskussion zeigt, dass in Bezug auf die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung zum einen wesentlicher Reformbedarf besteht und zum anderen auch die ATAD-Richtlinie zu Veränderungen führen wird. In diesem Zusammenhang sei nochmals darauf hingewiesen, dass jedenfalls für den Bereich der Regelungen für beherrschte Unternehmen (Art. 7, 8 ATAD-Richtlinie) die Wahlrechte für die Mitgliedstaaten so umfassend ausgestaltet sind, dass bei deren Ausschöpfung von einer tatsächlichen Harmonisierung der Hinzurechnungsbesteuerung in der EU kaum gesprochen werden kann. Insoweit mag es an einer hinreichenden Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinie und deren verbindliche Umsetzung womöglich mangeln (Art. 114, 115 AEUV). Die Darstellung zeigt auch, dass im Bereich vieler, wichtiger Einzelfragen Entscheidungen durch den Gesetzgeber gefordert sind. Diese spielen sich im Rahmen von steuerpolitischen Entscheidungen stets in dem Spannungsfeld zwischen Steueraufkommen, Steuergerechtigkeit und Standortpolitik ab. Entsprechend gilt es auch bei der Reformierung der Hinzurechnungsbesteuerung, eine Balance zu finden zwischen einerseits dem berechtigten Anliegen des deutschen Fiskus, der künstlichen Verlagerung von Einkünften entgegenzutreten, und andererseits die deutsche Wirtschaft und deutsche Unternehmen nicht im Übermaß und insbes. nicht mehr als andere Staaten zu belasten und deren Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beschädigen. Eine Entschlackung und Straffung dessen, was als passiv anzusehen ist, sowie eine zeitgemäße Absenkung des Niedrigsteuersatzes stehen damit im Zentrum der Reformerwartungen. Zugleich gilt es, unangemessene Verschärfungen (z.B. die Passivierung von Dividenden, Veräußerungsgewinnen oder Lizenzeinnahmen aus selbstgeschaffenen immateriellen Wirtschaftsgütern) zu vermeiden. Anhang Auszug aus der ATAD-Richtlinie Artikel 1 Anwendungsbereich Diese Richtlinie gilt für alle Steuerpflichtigen, die in einem oder mehreren Mitgliedstaaten körperschaftsteuerpflichtig sind, einschließlich der in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegenen Betriebsstätten von Unternehmen, die steuerlich in einem Drittland ansässig sind.

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Rupp/Köhler, ATAD und Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung Artikel 3 Mindestschutzniveau Diese Richtlinie verhindert nicht die Anwendung nationaler oder vertraglicher Bestimmungen zur Wahrung eines höheren Maßes an Schutz der inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen. Artikel 7 Vorschrift für beherrschte ausländische Unternehmen (1) Der Mitgliedstaat eines Steuerpflichtigen behandelt Unternehmen oder Betriebsstätten, deren Gewinne in diesem Mitgliedstaat nicht der Steuer unterliegen oder steuerbefreit sind, als beherrschtes ausländisches Unternehmen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: a) Im Falle eines Unternehmens hält der Steuerpflichtige selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte oder hält unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % des Kapitals oder hat Anspruch auf mehr als 50 % der Gewinne dieses Unternehmens; und b) die von dem Unternehmen oder der Betriebsstätte tatsächlich entrichtete Körperschaftsteuer auf seine bzw. ihre Gewinne ist niedriger als die Differenz zwischen der Körperschaftsteuer, die nach der geltenden Körperschaftsteuerregelung im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen für das Unternehmen oder die Betriebsstätte erhoben worden wäre, und der von dem Unternehmen oder der Betriebsstätte tatsächlich entrichteten Körperschaftsteuer auf seine bzw. ihre Gewinne. Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe b wird die Betriebsstätte eines beherrschten ausländischen Unternehmens, die im Steuergebiet des beherrschten ausländischen Unternehmens nicht der Steuer unterliegt oder steuerbefreit ist, nicht berücksichtigt. Zudem ist unter der Körperschaftsteuer, die in dem Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen erhoben worden wäre, die Körperschaftsteuer zu verstehen, wie sie gemäß den Vorschriften des Mitgliedstaats des Steuerpflichtigen berechnet wird. (2) Wird ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte als beherrschtes ausländisches Unternehmen gemäß Absatz 1 behandelt, so wird im Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen Folgendes in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen: a) die nicht ausgeschütteten Einkünfte des Unternehmens oder die Einkünfte der Betriebsstätte aus folgenden Kategorien: (i)

Zinsen oder sonstige Einkünfte aus Finanzanlagevermögen;

(ii) Lizenzgebühren oder sonstige Einkünfte aus geistigem Eigentum; (iii) Dividenden und Einkünfte aus der Veräußerung von Anteilen; (iv) Einkünfte aus Finanzierungsleasing; (v) Einkünfte aus Tätigkeiten von Versicherungen und Banken und aus anderen finanziellen Tätigkeiten; (vi) Einkünfte von Abrechnungsunternehmen, die Einkünfte aus dem Verkauf von Waren und der Erbringung von Dienstleistungen erzielen, die von ver-

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Rupp/Köhler, ATAD und Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung bundenen Unternehmen erworben oder an diese verkauft werden, und keinen oder nur geringen wirtschaftlichen Mehrwert bringen; Dieser Buchstabe findet keine Anwendung, wenn das beherrschte ausländische Unternehmen, gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wie durch relevante Fakten und Umstände nachgewiesen. Ist das beherrschte ausländische Unternehmen in einem Drittland ansässig oder belegen, das keine Vertragspartei des EWR-Abkommens ist, so können die Mitgliedstaaten beschließen, Unterabsatz 2 nicht anzuwenden. oder b) die nicht ausgeschütteten Einkünfte des Unternehmens oder der Betriebsstätte aus unangemessenen Gestaltungen, deren wesentlicher Zweck darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen. Für Zwecke dieses Buchstabens gilt eine Gestaltung oder eine Abfolge von Gestaltungen als unangemessen, sofern das Unternehmen oder die Betriebsstätte nicht selbst Eigentümer der Vermögenswerte wäre oder die Risiken, aus denen seine gesamten Einkünfte oder Teile davon erzielt werden, nicht eingegangen wäre, wenn es nicht von einer Gesellschaft beherrscht würde, deren Entscheidungsträger die für diese Vermögenswerte und Risiken relevanten Aufgaben ausführen, die für die Erzielung der Einkünfte des beherrschten Unternehmens ausschlaggebend sind. (3) Wird die Steuerbemessungsgrundlage eines Steuerpflichtigen nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats gemäß Absatz 2 Buchstabe a berechnet, so kann der Mitgliedstaat sich dafür entscheiden, ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte nicht als beherrschtes ausländisches Unternehmen gemäß Absatz 1 zu behandeln, wenn ein Drittel oder weniger der Einkünfte des Unternehmens oder der Betriebsstätte in eine der Kategorien unter Absatz 2 Buchstabe a fällt. Wird die Steuerbemessungsgrundlage eines Steuerpflichtigen nach den Vorschriften eines Mitgliedstaats gemäß Absatz 2 Buchstabe a berechnet, so kann der Mitgliedstaat sich dafür entscheiden, Finanzunternehmen nicht als beherrschte ausländische Unternehmen zu behandeln, wenn ein Drittel oder weniger der Einkünfte des Unternehmens aus den Kategorien unter Absatz 2 Buchstabe a aus Transaktionen mit dem Steuerpflichtigen oder seinen verbundenen Unternehmen stammt. (4) Die Mitgliedstaaten können Unternehmen oder Betriebsstätten vom Anwendungsbereich des Absatzes 2 Buchstabe b ausnehmen, a) deren Buchgewinne 750 000 Euro und deren nicht kommerzielle Einkünfte 75 000 Euro nicht übersteigen; oder b) deren Buchgewinne nicht mehr als 10 % ihrer betrieblichen Aufwendungen für den Steuerzeitraum ausmachen. Für Zwecke des Unterabsatzes 1 Buchstabe b dürfen die betrieblichen Aufwendungen weder die Kosten der Waren, die außerhalb des Landes verkauft wurden, in dem das Unternehmen/die Betriebsstätte für Steuerzwecke ansässig bzw. belegen ist, noch Zahlungen an verbundene Unternehmen einschließen.

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Rupp/Köhler, ATAD und Neuregelung der Hinzurechnungsbesteuerung Artikel 8 Berechnung der Einkünfte eines beherrschten ausländischen Unternehmens (1) Findet Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a Anwendung, so werden die in die Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen einzubeziehenden Einkünfte nach den Körperschaftsteuervorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Steuerpflichtige steuerlich ansässig oder belegen ist, berechnet. Verluste des Unternehmens oder der Betriebsstätte werden nicht in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen, sondern können gemäß nationalem Recht vorgetragen und in den nachfolgenden Steuerzeiträumen berücksichtigt werden. (2) Findet Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b Anwendung, so sind die in die Steuerbemessungsgrundlage des Steuerpflichtigen einzubeziehenden Einkünfte auf Beträge begrenzt, die durch Vermögenswerte und Risiken erzielt werden, die mit den Aufgaben von Entscheidungsträgern zusammenhängen, die von der beherrschenden Gesellschaft ausgeführt werden. Die Zurechnung der Einkünfte eines beherrschten ausländischen Unternehmens erfolgt nach dem Fremdvergleichsgrundsatz. (3) Die in die Steuerbemessungsgrundlage einzubeziehenden Einkünfte werden anteilig zu der vom Steuerpflichtigen an dem Unternehmen gehaltenen Beteiligung im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a berechnet. 4) Die Einkünfte werden in den Steuerzeitraum des Steuerpflichtigen einbezogen, in dem das Steuerjahr des Unternehmens endet. (5) Schüttet das Unternehmen an den Steuerpflichtigen Gewinne aus und werden diese ausgeschütteten Gewinne in die steuerpflichtigen Einkünfte des Steuerpflichtigen einbezogen, so werden die Einkünfte, die zuvor gemäß Artikel 7 in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen waren, bei der Berechnung des Betrags der auf die ausgeschütteten Gewinne zu erhebenden Steuer von der Bemessungsgrundlage abgezogen, um eine Doppelbesteuerung auszuschließen. (6) Veräußert der Steuerpflichtige seine Beteiligung an dem Unternehmen oder eine von seiner Betriebsstätte ausgeübte Geschäftstätigkeit und wurde ein Teil der Erlöse aus der Veräußerung zuvor gemäß Artikel 7 in die Steuerbemessungsgrundlage einbezogen, so wird dieser Betrag bei der Berechnung des Betrags der auf diese Erlöse zu erhebenden Steuer von der Bemessungsgrundlage abgezogen, um eine Doppelbesteuerung auszuschließen. (7) Der Mitgliedstaat des Steuerpflichtigen lässt einen Abzug der von dem Unternehmen oder der Betriebsstätte entrichteten Steuer von der Steuerschuld des Steuerpflichtigen in dem Land seines Steuersitzes oder Steuerstandorts zu. Der Abzug wird nach den nationalen Rechtsvorschriften berechnet. Art. 11 Umsetzung (1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 31. Dezember 2018 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit. Sie wenden diese Vorschriften ab dem 1. Januar 2019 an.

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Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht Professor Dr. Bernd Heuermann Vorsitzender Richter am BFH, München1 I. Neue Rechtsprechung zur Organschaft 1. Organisatorische Eingliederung durch Beherrschungsvertrag 2. Umsatzsteuerrechtliche Organschaft endet in der Insolvenz II. Ort der Lieferung: Konsignationslager (Konsignationslagerurteil II) III. Steuerschuld aufgrund einer Rechnung IV. Steuerfreiheit von Eingliederungsleistungen 1. Sozialrechtliche Ausgangslagen 2. Unionsrechtliche Vorgaben

3. § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG ist unionsrechtskonform 4. Die Entscheidung und ihre Bedeutung V. Steuersatzermäßigung bei Auftragsforschung 1. Vermögensverwaltung in unionsrechtlich gebotener Interpretation 2. Bedeutung der Entscheidung VI. Belegvorlage im Vergütungsverfahren VII. Übergangsrecht in BauträgerFällen (§ 27 Abs. 19 UStG)

Wenn wir uns mit einigen Höhepunkten der Rspr. zum Umsatzsteuerrecht beschäftigen wollen, werden wir uns an der Struktur des Gesetzes orientieren. Zur Person des Stpfl. interessieren zwei neue und grundlegende Entscheidungen zur Organschaft. Daran schließt sich die Konsignationslagerentscheidung II an, die wichtige Präzisierungen für eine Lieferung über ein Lager enthält. Die Steuerschuld aufgrund einer Rechnung ist das dritte große Thema. Hier fließen auch neuere Entscheidung des EuGH in das Rechnungserfordernis ein. Schließlich geht es um wichtige Ausnahmen von der Besteuerung. Zunächst soll die neue Rspr. zu den Steuerbefreiungen von Eingliederungsleistungen dargestellt werden, mit der der BFH die nationale Rechtslage ab 2009 im Wesentlichen bestätigt. Sodann geht es um die Steuersatzermäßigung für die Auftragsforschung. Der ermäßigte Steuersatz für gemeinnützige Körperschaften wird so nicht von der Richtlinie vorgeben. In einer Art geltungserhalten1 Der Autor ist Vorsitzender des V. Senats des Bundesfinanzhofs und Honorarprofessor an der Ruprecht Karls Universität in Heidelberg. Er hat diesen Beitrag nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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der Reduktion versucht der BFH, diese nationale Vorschrift durch eine umsatzsteuerrechtlich spezifische Auslegung des Merkmals der Vermögensverwaltung zu halten. Schließlich sollen zwei verfahrensrechtlich orientierte Entscheidung den Abschluss bilden: Die Kopie der Kopie und die Entscheidung zum Übergangsrecht der Bauträger-Fälle.

I. Neue Rechtsprechung zur Organschaft Die Organschaft war das Thema der Entscheidungen des V. Senats aus dem Dezember 20152, mit denen er seine Rspr. an Rechtsentwicklungen im Unionsrecht angepasst und nur strukturiert hat. Er hat in diesen Entscheidungen die Organschaft als eigenständiges Rechtsinstitut begriffen, das insbes. voraussetzt, dass sich die Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers eingliedert. Diese Voraussetzungen sind ein Spezifikum des nationalen Rechts ohne direkte unionsrechtliche Vorgabe. Verlangt Art. 11 MwStSystRL lediglich eine enge Verbindung durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen, handelt es sich indes um bedingte Voraussetzungen, auf die sich ein Stpfl. nicht berufen kann. Die engeren Eingliederungsvoraussetzungen mit Durchgriffsmöglichkeiten des Organträgers sind im nationalen Kontext ohne verfahrensrechtliche Absicherung mit Blick auf die Rechtssicherheit und wegen der Übernahme der strafbewehrten Verantwortung durch den Organträger geboten. Da der EuGH3 dem Mitgliedstaat insoweit einen Präzisierungsspielraum einräumt, hat der V. Senat diese gesetzlichen Voraussetzungen bestätigt. Die Finanzverwaltung ist dem im Wesentlichen gefolgt.4 Zwei wichtige neue Entscheidungen betreffen die organisatorische Eingliederung und das Ende der Organschaft in der Insolvenz.

2 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, BStBl. II 2017, 547 = UR 2016, 185; v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192; v. 2.12.2015 – V R 67/14, BStBl. II 2017, 560 = UR 2016, 199; v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BStBl. II 2017, 597 = UR 2017, 178; v. 10.8.2016 – XI R 41/14, BStBl. II 2017, 590 = UR 2017, 119. 3 EuGH v. 16.7.2015 – C-108/14, C-109/14 (Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt), EU:C:2015:496, BStBl. II 2017, 604 = UR 2017, 671. 4 Zu möglichen Entwicklungen vgl. Wäger, UR 2017, 664 ff.

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1. Organisatorische Eingliederung durch Beherrschungsvertrag Mit seinem Urteil vom 10.5.2017 – V R 7/165 beschäftigt sich der BFH mit der organisatorischen Eingliederung, Zur Organschaft kommt es ja nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Im Fall, welcher der Entscheidung vom 10.5.2017 zugrunde lag, ging es vorrangig um die organisatorische Eingliederung. Fall: Es ging um das Jahr 2007. Die A-GmbH (A) war Alleingesellschafterin der B-GmbH (B). Mit notariellem Vertrag vom 29.10.2007 schloss A als herrschendes Unternehmen mit B einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag, der am 4.12.2007 im Handelsregister eingetragen wurde. Danach unterstellte B die Leitung ihrer Gesellschaft der A und berechtigte sie, der Geschäftsführung der B sowohl hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft als auch allgemein oder auf Einzelfälle bezogene Weisungen zu erteilen. B verpflichtete sich, den Weisungen zu folgen. Der Vertrag sollte hinsichtlich des Weisungsrechts mit Eintragung im Handelsregister wirksam werden. FA und FG nahmen eine Organschaft für das gesamte Jahr 2007 an.

Der BFH folgte dem zum Teil. Er bestätigte das FG-Urteil in der Annahme einer organisatorischen Eingliederung, sah diese aber erst mit der Eintragung des Beherrschungsvertrags in das Handelsregister als gegeben an. Die mit der Organschaft verbundene Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger wirkt sich finanziell belastend aus. Um deshalb die Voraussetzungen der Organschaft rechtssicher bestimmen zu können, erfordert die organisatorische Eingliederung im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als Organgesellschaft. Erster Grundsatz: Rechtssichere Bestimmung der organisatorischen Eingliederung durch personelle Verflechtung über Geschäftsführung notwendig Aber nicht allein die personelle Verflechtung über die Geschäftsführung führt zur organisatorischen Eingliederung, sondern auch ein wirksamer Beherrschungsvertrag. Denn damit unterstellt die juristische Person gem. § 291 AktG in direkter (bei Aktiengesellschaften) oder analoger Anwen-

5 BFH v. 10.5.2017 – V R 7/16, BStBl. II 2017, 1261 = UR 2017, 620.

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dung im GmbH-Recht6 die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen als dem Organträger. Die organisatorische Eingliederung ist ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal neben der finanziellen Eingliederung. Deshalb bedeutet dieses Judikat zugleich eine Absage an diejenigen im Schrifttum, die schon in den Weisungsrechten des Mehrheitsgesellschafters aufgrund der finanziellen Beherrschung zugleich eine organisatorische Eingliederung sehen.7 Das Weisungsrecht aufgrund eines Beherrschungsvertrags geht aber darüber hinaus und zielt auf die Leitung der abhängigen Gesellschaft (§ 308 AktG), eröffnet also nicht nur wie das Weisungsrecht des Mehrheitsgesellschafters die Möglichkeit, einzelne laufende Angelegenheiten an sich zu ziehen.8 Der BFH knüpft an die zivilrechtliche Wirkung des Vertrags an; denn nur das entspricht dem umsatzsteuerrechtlichen Tatbestandsmerkmal der organisatorischen Eingliederung: Ohne Eintragung in das Handelsregister gibt es keinen wirksamen Vertrag und ohne wirksamen Vertrag kein Einwirken auf die Geschäftsführung. Der Vertrag wirkt rechtsbegründend. Zweiter Grundsatz: Ein wirksamer Beherrschungsvertrag führt zur organisatorischen Eingliederung Ob es darüber hinaus weitere Fälle der organisatorischen Eingliederung gibt, musste der Senat nicht entscheiden. Die Dimension der „institutionell abgesicherten unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft“, auf die der XI. Senat in seinem Urteil vom 12.10.2016 – XI R 30/149 Bezug nimmt und die ein Beherrschungsvertrag auf jeden Fall ausfüllt, ist noch nicht durchmessen.

6 Vgl. BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = MDR 1989, 234, Rz. 19; Emmerich in Scholz, GmbHG12, Anh. § 13 Rz. 170; Liebscher in MünchKomm. GmbHG2, Anh. § 13 Rz. 648; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG8, Anh. § 13 Rz. 17. 7 Englisch, UR 2016, 822 (839). 8 Vgl. zum Gesellschaftsrecht Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG19, Anh. § 13 Rz. 46, m.w.N.; zum Umsatzsteuerrecht Wäger in Festschr. Schaumburg, 120. 9 BFH v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BStBl. II 2017, 597 = UR 2017, 178.

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2. Umsatzsteuerrechtliche Organschaft endet in der Insolvenz Mit seiner Entscheidung vom 15.12.201610 hatte der BFH die Gelegenheit, seine Maßstäbe zur Beendigung der Organschaft in der Insolvenz darzulegen. Fall: Die A-GmbH war Alleingesellschafterin von sechs Tochter-GmbHs. Mit einer Ausnahme war A alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer. Ende April 2012 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über die A-GmbH und alle ihre Tochtergesellschaften und ordnete Eigenverwaltung an. Für den Zeitraum bis Mai 2012 gingen alle Beteiligten von einer Organschaft zwischen der A-GmbH und ihren Töchtern aus. Das FA ging davon aus, auch im Mai 2012 bestehe die Organschaft fort und erließ gegenüber der A-GmbH einen entsprechenden Umsatzsteuervoranmeldungsbescheid. Zu Recht?

Die Organschaft endet sowohl mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers wie auch mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Organgesellschaft. Hintergrund ist: Umsatzsteuerrechtlich kommt es zu einer Zusammenfassung von Organträger und Organgesellschaft zu einem Stpfl. in der Person des Organträgers. Demgegenüber folgt das Insolvenzrecht dem Grundsatz der Einzelverfahren. Es gibt hier keine Möglichkeit einer Konzerninsolvenz mit einer einheitlichen Masse für den gesamten Konzern. Es bleibt damit bei mehreren getrennten Insolvenzverfahren. Die Rechtslage ist unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um die Insolvenz des Organträgers oder der Organgesellschaft handelt: a) Wird über das Vermögen der vormaligen Organträgerin das Insolvenzverfahren eröffnet, endet die Organschaft, weil es kein einheitliches Insolvenzverfahren für den gesamten Organkreis gibt. Damit erstreckt sich die Insolvenz des herrschenden Unternehmers nur auf sein Vermögen, nicht dagegen auf das Vermögen der Tochtergesellschaft. Diese insolvenzrechtliche Trennung bewirkt: Nur die eigene Umsatztätigkeit und lediglich der dadurch entstehende Umsatzsteueranspruch des herrschenden Unternehmers und Organträgers führen zu Masseverbindlichkeiten. Der Umsatzsteueranspruch aufgrund der Umsatztätigkeit der Organgesellschaft richtet sich allein gegen die vormalige Organgesellschaft. Deshalb fehlt es in Bezug auf die Umsatztätigkeit der Organgesellschaft an einer Masseverbindlichkeit des Organträgers (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Die Um10 BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305.

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satzsteuer aus der Tätigkeit der Organgesellschaft kann nicht gegenüber dem Organträger festgesetzt werden. Die Organschaft als Unternehmenseinheit ist damit beendet. b) Etwas anders ist der Begründungsweg bei der Insolvenz der Organgesellschaft. Damit endet nämlich ihre Eingliederung in den Organträger. Es ist jetzt der Insolvenzverwalter, der das Vermögen der Organgesellschaft verwaltet (§ 80 Abs. 1 InsO). Der Organträger hat also keine Möglichkeit mehr, sich durchzusetzen. Diese Möglichkeit hat er auch dann nicht, wenn Eigenverwaltung angeordnet wird. Denn statt des Organträgers obliegt es bei der Eigenverwaltung dem Sachwalter, die Geschäfte zu überwachen. Nach § 276a InsO haben der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners. Das Gesetz beschränkt die Organkompetenz. Die finanzielle Eingliederung fällt in sich zusammen. Die Organschaft erlischt, weil ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen.

II. Ort der Lieferung: Konsignationslager (Konsignationslagerurteil II) § 3 Abs. 6 UStG setzt eine Versendung an den Abnehmer voraus. Beförderung muss zu einer Lieferung i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 UStG führen. Der Abnehmer muss daher im Zeitpunkt der Versendung feststehen.11 Denn § 3 Abs. 6 Satz 1 verlagert lediglich Ort und Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht auf den Beginn der Beförderung; steht bei Beginn der Beförderung noch nicht fest, an wen geliefert wird, greift § 3 Abs. 6 Satz 1 nicht ein.12 Das ist insbes. für die Frage von Bedeutung, ob beim Warenverkauf über ein Konsignationslager die Versendung in das Lager der über das Lager durchgeführten Lieferung zuzurechnen ist.13 Fall: Lieferer A versendet Bildschirme aus den Niederladen in das Inland und lagert sie in einem Lager auf dem Betriebsgelände des B ein. Grundlage ist ein Vertrag (Consignment Distribution Agreement – CDA). Danach ist ein verbindlicher Kaufvertrag zwischen den Vertragsbeteiligten erst nach der Einlagerung der Waren geschlossen, weil B nicht von vornherein dazu verpflichtet war, die von A in das Lager verbrachten Waren abzunehmen. B war auch erst nach der Entnahme der Waren aus dem Konsignationslager zur Zahlung verpflichtet. 11 BFH v. 20.10.2016 – V R 31/15, BStBl. II 2017, 1076 = UR 2017, 185. 12 Siehe auch Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 3 Rz. 461. 13 Vgl. auch Wäger, BFH/PR 2017, 236.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht

Die entscheidende Frage ist, ob A die Ware lediglich nach Deutschland verbringt (§ 1 Abs. 1 Nr. 5, § 1a Abs. 2 UStG) und damit hier (§ 3d UStG) die Voraussetzungen eines innergemeinschaftlichen Erwerbs erfüllt, der zwar steuerbar und steuerpflichtig ist, aber nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG zum Vorsteuerabzug in nämlicher Höhe führt (Nullsummenspiel). Daran schließt sich allerdings eine (unbewegte) normale Inlandslieferung aus dem Lager nach B an, die hier steuerbar und auch steuerpflichtig ist. Oder aber: A führt trotz Zwischenlagerung eine Versendungslieferung von den Niederlanden nach Deutschland aus, die als innergemeinschaftliche Lieferung nach § 4 Nr. 1 Buchst. b, § 6a UStG steuerfrei ist. Dies hängt davon ab, ob der Abnehmer B beim Beginn der Versendung in den Niederlanden von vornherein feststeht. Eine innergemeinschaftliche Lieferung ist zu verneinen, wenn erst mit der Entnahme der Ware aus dem Konsignationslager sicher feststeht, dass der Kunde die Gegenstände behalten wird, ein verbindlicher Kaufvertrag erst nach der Einlagerung der Waren geschlossen wird und für den Kunden keine Verpflichtung besteht, in das Lager verbrachte Ware abzunehmen. So lag es im Fall des BFH Konsignationslager II.14 Wie ist aber zu verfahren, wenn sich die Vertragsparteien im Rechtsirrtum darüber befanden, ob die Lieferungen steuerbar waren und deshalb rechtsirrtümlich die Gegenleistung ohne Umsatzsteuer vereinbarten? Auch hier ist die Lieferung gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG nach dem Entgelt zu bemessen. Der vereinbarte Betrag ist danach in Entgelt und darauf entfallende Umsatzsteuer aufzuteilen.

III. Steuerschuld aufgrund einer Rechnung Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Das Nämlich gilt gem. § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag ausweist, obschon er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt. Diese Vorschriften standen im Mittelpunkt eines Falls, über den der V. Senat des BFH in der Rechtssache V R 27/16zu entscheiden hatte.15 14 BFH v. 16.11.2016 – V R 1/16, BStBl. II 2017, 1079 = UR 2017, 354. 15 BFH v. 16.3.2017 – V R 27/16, BFHE 257, 462 = UR 2917, 550.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht Fall: K war mit anderen Personen als Erfinder tätig. Er schloss zusammen mit drei Personen als Lizenzgeber Lizenzverträge mit einer KG für die Vermarktung der Erfindungen. Die KG sollte Gutschriften erteilen. K versteuerte die anteiligen Einnahmen als Einzelunternehmer. Die KG erstellte Gutschriften mit dem Regelsteuersatz. Die Gutschriften nannten den Namen und die Anschrift des K und nahmen Bezug auf den zwischen den Erfindern und der KG geschlossenen Vertrag. Das FG bejahte eine Steuerschuld des K nach § 14c Abs. 2 UStG.

Hier wäre die Gutschrift – indem sie sich vordergründig an K richtet – unrichtig, weil sie nicht den leistenden Unternehmer ausweist. Unternehmer war nämlich die aus den drei Erfindern bestehende Gemeinschaft, welche die Lizenzverträge abgeschlossen hat. Indes müssen bei der Prüfung, ob eine Rechnung oder Gutschrift unrichtige Angaben enthält, die zu einem Steuerausweis nach § 14c UStG führen, auch Bezugnahmen in der Rechnung auf andere Dokumente berücksichtigt werden. Kann der tatsächliche Inhalt einer Rechnung durch Bezugnahmen geklärt und die Gefahr eines unberechtigten Steuerausweises ausgeschlossen werden, entfällt die missbilligte Gefährdung des Steueraufkommens. Die Finanzverwaltung darf sich nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken, sondern muss auch zusätzliche Informationen beachten. Dies gilt nach der EuGH-Entscheidung Barlis 0616 umso mehr. Im Fall nahmen die Gutschriften auf den Lizenzvertrag Bezug, der den Leistungen zugrunde lag. Ist die Bruchteilsgemeinschaft, nicht aber der einzelne Erfinder der Unternehmer, liegt auch nahe, dass sich die Gutschriften an die Gemeinschaft richten. Mit Blick auf die Rechnungskorrekturen ist streng zu unterscheiden: –

Einer Rechnungsberichtigung i.S.d. des § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG kommt keine Rückwirkung zu.17



Anders aber bei einer Rechnung i.S.v. §§ 14, 14a UStG, die (zunächst) den Anforderungen nicht entspricht. Berichtigt der Unternehmer diese Rechnung nach § 31 Abs. 5 UStDV, wirkt dies auf den Zeitpunkt zurück, in dem die Rechnung erstmals ausgestellt wurde.18

16 EuGH v. 15.9.2016 – C 516/14 (Barlis 06), EU:C:2016:690, UR 2016, 795, Rz. 44. 17 BFH v. 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474 = UR 2017, 237. 18 BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, BFHE 255, 348 = UR 2017, 60; EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex GmbH), EU:C:2016:691, DStR 2016, 2211 = UR 2016, 800.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht

IV. Steuerfreiheit von Eingliederungsleistungen Nach § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG in seiner geltenden Fassung (seit 2009) sind Leistungen der Einrichtungen steuerfrei, mit denen eine Vereinbarung nach § 75 SGB XII besteht. Mit dieser Norm befasste sich der BFH in folgendem Fall.19 Fall: K war als Erzieherin und selbständige Betreuerin für den gemeinnützigen Verein X (Verein) tätig. Sie war dessen Vorsitzende. Zwischen dem Verein und dem Landkreis G bestand eine Vereinbarung nach § 75 ff. SGB XII. K unterstützte mit ihrer für den Verein erbrachten Leistung seelisch kranke Menschen in ihren Wohnungen. Das diente der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII. Seit 2011 war K auch unmittelbar für verschiedene Sozialhilfeträger tätig. K begehrte die Steuerfreiheit ihrer gesamten Tätigkeit. Das FA lehnte das ab, indem es die Leistungen der Besteuerung unterwarf. Die Klage hatte Erfolg.

1. Sozialrechtliche Ausgangslagen Der Leistungsumfang ergibt sich aus § 53 SGB XII. § 53 Leistungsberechtigte und Aufgabe (1) 1Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, erhalten Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. 2Personen mit einer anderen körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung können Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten.

Die Voraussetzungen der Einrichtung stellt § 75 SGB XII auf: § 75 Einrichtungen und Dienste … (3) 1Wird die Leistung von einer Einrichtung erbracht, ist der Träger der Sozialhilfe zur Übernahme der Vergütung für die Leistung nur verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verband eine Vereinbarung über 1. Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen (Leistungsvereinbarung), 2. die Vergütung, die sich aus Pauschalen und Beträgen für einzelne Leistungsbereiche zusammensetzt (Vergütungsvereinbarung) und

19 BFH v. 9.3.2017 – V R 39/16, UR 2017, 507.

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Heuermann, Rechtsprechungs-Highlights zum Umsatzsteuerrecht 3. die Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen (Prüfungsvereinbarung) besteht. 2Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen. 3Der Träger der Sozialhilfe kann die Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistung prüfen.

2. Unionsrechtliche Vorgaben Der BFH beurteilt § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG als unionsrechtskonform. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen, einschließlich derjenigen, die … durch … von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.“

Die MwStSystRL legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Es ist Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen anerkannt werden. Die Mitgliedstaaten verfügen damit über ein Ermessen.20 Die nationalen Gerichte müssen nun eine Art von Ermessensprüfung vornehmen. Hierzu müssen sie die für die Anerkennung maßgebenden Gesichtspunkte in einer Art Gesamtwürdigung berücksichtigen. Dazu gehören21 –

das Bestehen spezifischer Vorschriften, seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Stpfl. verbundene Gemeinwohlinteresse,



die Tatsache, dass andere Stpfl. mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und



dass die Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden oder übernehmbar sind.

3. § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG ist unionsrechtskonform Der Gesetzgeber hat, indem er an § 75 SGB XII anknüpft, den unionsrechtlichen Vorgaben entsprochen. Er hat seinen Ermessensspielraum 20 EuGH v. 15.11.2012 – C-174/11 (Zimmermann), EU:C:2012:716, UR 2013, 35, Rz. 26; v. 26.5.2005 – C-498/03 (Kingscrest Associates und Montecello), EU:C:2005:322, UR 2005, 453, Rz. 51. 21 BFH v. 9.3.2017 – V R 39/16, UR 2017, 507, Rz. 14, m.w.N.

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nicht überschritten. Die Steuerfreiheit hängt von einer Vereinbarung ab, die nach § 75 Abs. 3 SGB XII Regelungen zum Inhalt und Umfang und zur Qualität der Leistungen, zur Vergütung und zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen enthält. Eine über dem Anwendungsbereich dieser Vorschriften hinausgehende Steuerfreiheit ist unionsrechtliche nicht geboten. Der nationale Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der unternehmerbezogenen Anerkennung vielmehr befugt, die Leistungsqualität zu garantieren, indem er sie der Prüfung durch den Sozialversicherungsträger unterzieht. Dieses unternehmensbezogene Tatbestandsmerkmal einer „Qualitätsprüfung“ ist das wesentliche Differenzierungskriterium für die gesetzliche Grundentscheidung. Deshalb wird das aus dem Gleichheitssatz abgeleitete Neutralitätsprinzip nicht verletzt. Das Urteil zeigt auch, dass die Rspr. zur Rechtslage bis 2009 eigentlich nicht auf den neuen § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG übertragbar ist. Die alte Rechtslage entsprach nicht den Anforderungen der Richtlinie. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den Motiven des Gesetzgebers selbst.22

4. Die Entscheidung und ihre Bedeutung Der BFH musste die Entscheidung des FG aufheben; denn eine Steuerfreiheit, die sich unmittelbar auf die Richtlinie stützt, kommt wegen des rechtmäßigen nationalen Umsetzungsakts von vornherein nicht in Betracht. Es kommt vielmehr auf die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG an. Zur Anwendbarkeit dieser Norm muss das FG aber noch weitere Feststellungen treffen. Diese Grundsatzentscheidung zum aktuellen Recht rückt einige Dinge wieder ins rechte Licht: Setzt die MwStSystRL die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter voraus, richtet sich diese Anordnung zunächst nur an den nationalen Gesetzgeber und nicht an die Judikatur. Da der Mitgliedstaat ein Ermessen hat, welche Strukturen er schafft, ist es die Aufgabe der Justiz nur, eventuelle Ermessensfehler zu prüfen. Wenn aber das nationale Sozialversicherungsrecht für die Sozialhilfe nach § 75 SGB XII eine Leistungsvereinbarung über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen für erforderlich hält, darf auch das Umsatzsteuerrecht daran anknüpfen.23

22 BT-Drucks 16/11108, 37 f. 23 Heuermann, DStR 2017, 1323.

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V. Steuersatzermäßigung bei Auftragsforschung Eine besonders auch praktisch bedeutende Steuersatzermäßigung ergibt sich aus § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG. Die gemeinnützige Körperschaft ist mit ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben nur begünstigt, wenn es sich um einen Zweckbetrieb handelt. Darum ging es in der Entscheidung des V. Senats vom 10.5.2017 – V R 43/14, V R 7/15.24 Fall: Eine gemeinnützige GmbH ist im Bereich der Auftragsforschung tätig. Sie vereinnahmte insbes. Beteiligungserträge und Mieteinnahmen. Das FA unterwarf die Leistungen der GmbH im Bereich der Auftragsforschung mit ihren Bruttobeträgen dem Regelsteuersatz und nicht dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG. Nach Auffassung des FG handelt es sich bei den Einnahmen nicht um Vermögensverwaltung, so dass kein Zweckbetrieb vorliegt.

Nach § 68 Nr. 9 AO gehören zu den Zweckbetrieben auch Wissenschaftsund Forschungseinrichtungen, deren Träger sich überwiegend aus Zuwendungen der öffentlichen Hand oder Dritter oder aus der Vermögensverwaltung finanziert.

1. Vermögensverwaltung in unionsrechtlich gebotener Interpretation Den Begriff der Vermögensverwaltung versteht der BFH auch hier25 i.S. einer nichtunternehmerischen und damit nicht wirtschaftlichen Tätigkeit. Zur Vermögensverwaltung gehört damit das Halten von Gesellschaftsanteilen, nicht aber das Vermieten als entgeltliche Leistung. Für die indirekte Besteuerung durch die Umsatzsteuer kommt es nicht darauf an, ob die aus der Beteiligung erzielten Einnahmen ertragsteuerrechtlich als Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren sind (§ 14 Satz 1 AO). Denn die Umsatzsteuer erfasst den Verbrauch beim Leistungsempfänger der gemeinnützigen Körperschaft (vgl. Art. 1 MwStSystRL). Beteiligungserträge sind indes kein Entgelt für eine steuerbare Leistung.

24 BFH v. 10.5.2017 – V R 43/14, V R 7/15, UR 2017, 548. 25 Vgl. grundlegend BFH v. 20.3.2014 – V R 4/13, BFHE 245, 397) UR 2014, 732, Rz. 26, m.w.N. zur Rspr. des EuGH.

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Damit ist zu differenzieren: –

Die Beteiligungserträge unterfallen dem Tatbestandsmerkmal der Vermögensverwaltung in § 12 Abs. 2 Nr. 8 Buchst. a UStG i.V.m. § 68 Nr. 9 AO und können damit Finanzierungsinstrument sein.



Demgegenüber sind die Mieteinnahmen keine Vermögensverwaltung; denn sie gehören zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Stpfl.

Von vornherein als Finanzierungsinstrument ausscheiden tut die Umsatzsteuer selbst. Denn der Träger der Forschungseinrichtung vereinnahmt die Umsatzsteuer als „Steuereinnehmer für Rechnung des Staats“.

2. Bedeutung der Entscheidung Mit dieser Entscheidung setzt der V. Senat des BFH seine Rspr. zur spezifisch umsatzsteuerrechtlichen Auslegung des Begriffs der Vermögensverwaltung i.S.v. § 14 AO fort. Vermögensverwaltung liegt im bloßen Halten von Beteiligungen, weil die daraus fließenden Erträge keine Entgelte sind. Demgegenüber ist Vermieten eine wirtschaftliche Tätigkeit (Art. 9 MwStSystRL) und deshalb keine Vermögensverwaltung. Zwar sieht § 14 Satz 3 AO für den Regelfall in der Vermietung von unbeweglichem Vermögen Vermögensverwaltung. Dies gilt aber nur im Regelfall, also z.B. ertragsteuerlich (§ 21 EStG), nicht aber umsatzsteuerrechtlich. Denn hier wird die national mögliche Auslegung unionsrechtlich überformt: Die umsatzsteuerrechtliche Betrachtungsweise ist nämlich geboten, weil die Vorschriften, die zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes führen, notwendigerweise eng auszulegen sind. Hinzu kommt ganz aktuell folgende Überlegung: Würde man „Vermögensverwaltung“ weit auslegen, käme man wohlmöglich in Kollision mit dem unionsrechtlichen Beihilfeverbot des Art. 107 AEUV.26 Denn es entspricht allgemeiner Auffassung, dass § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG über das unionsrechtlich Gebotene hinausgeht.

VI. Belegvorlage im Vergütungsverfahren Zum Vorsteuerabzug ist auch jeder ausländische Unternehmer berechtigt. Zur Vereinfachung des Verfahrens ermächtigt § 18 Abs. 9 UStG zu einem besonderen Verfahren für die Vergütung der Vorsteuer. Es ist in

26 Siehe dazu EuGH v. 21.12.2016 – C-20/15 P und C-21/15 P (World Duty Free Group), EU:C:2016:981, IStR 2017, 77.

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den §§ 59–61 UStDV geregelt. Diese Bestimmungen wurden im Zuge der Entwicklung hin zu mehr Elektronik mehrfach geändert. So musste sich der BFH mit der Rechtslage des Jahres 2010 in einem Fall auseinandersetzen, in dem der Unternehmer zur Verifikation seines Vergütungsantrags Kopien von Rechnungskopien auf elektronischem Wege beigefügt hatte.27 Fall: K stellte 2011 einen Antrag auf Vergütung von Vorsteuerbeträgen für den Zeitraum Januar bis Dezember 2010. Dem Antrag waren auf elektronischem Wege unter anderem Rechnungsdokumente der Firma A beigefügt, welche den Aufdruck „COPY 1“ trugen. Das BZSt lehnte den Antrag ab, da keine eingescannten Originalrechnungen vorgelegt worden seien. Die Klage des K hatte auch in letzter Instanz Erfolg.

Das Vergütungsverfahren ist wegen der Entwicklung hin zur Digitalisierung steten Veränderungen ausgesetzt. Für Vorsteuerbeträge in den Jahren von 2010–2014 galt folgende Regelung des § 61 Abs. 2 UStDV (i.d.F. v. 19.12.2008): 1Die

Vergütung ist binnen neun Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Vergütungsanspruch entstanden ist, zu beantragen. 2Der Unternehmer hat die Vergütung selbst zu berechnen. 3Dem Vergütungsantrag sind auf elektronischem Weg die Rechnungen und Einfuhrbelege in Kopie beizufügen, wenn das Entgelt für den Umsatz oder die Einfuhr mindestens 1000 Euro, bei Rechnungen über den Bezug von Kraftstoffen mindestens 250 Euro beträgt. 4Bei begründeten Zweifeln an dem Recht auf Vorsteuerabzug in der beantragten Höhe kann das Bundeszentralamt für Steuern verlangen, dass die Vorsteuerbeträge durch Vorlage von Rechnungen und Einfuhrbelegen im Original nachgewiesen werden.

Der BFH musste also entscheiden, ob die Kopie der Kopie auch eine Kopie des Originals ist. Nach der Entscheidung ist das der Fall: Auch die Kopie einer Rechnungskopie ist eine Kopie der Rechnung i.S.v. § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV a.F. Unionsrechtliche Grundlage war für diese Norm Art. 10 der Richtlinie 2008/9/EG. Danach kann der Mitgliedstaat der Erstattung verlangen, dass der Antragsteller zusammen mit dem Erstattungsantrag „auf elektronischem Weg eine Kopie der Rechnung oder des Einfuhrdokuments einreicht“, wenn bestimmte Steuerbemessungsgrundlagen überschritten sind. Nach der BFH-Entscheidung liegt eine Kopie des Originals auch dann vor, wenn von einer Kopie eine weitere Kopie angefertigt wird. Auch die 27 BFH v. 17.5.2017 – V R 54/16, BStBl. II 2017, 925 = UR 2017, 637.

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Kopie einer Kopie des Originals ist – mittelbar – eine Kopie des Originals. Sie ist ein originalgetreues Abbild des Originaldokuments und damit eine „originalgetreue Reproduktion“. Dass sie mit einem die Kopie kenntlich machenden Zusatz versehen ist, spielt hierfür keine Rolle. Für ein Unmittelbar-Erfordernis gibt es keine Sachgründe: –

Die elektronische Übertragung schließt es aus, auf dem übermittelten Dokument Markierungen anzubringen – Verhinderung wiederholter missbräuchlicher Nutzung einer Rechnung zu Vergütungszwecken.



Bei jeder Kopie kann naturgemäß nicht geprüft werden, ob an dem Original nach dem Anfertigen der Kopie Manipulationen vorgenommen wurden.



Eine Prüfung des Originaldokuments auf seine Authentizität ist ebenso ausgeschlossen, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich bei der elektronisch beigefügten Kopie um eine unmittelbare Kopie des Originals oder um die Kopie einer Originalkopie handelt.



Bei begründeten Zweifeln jeglicher Art besteht nach § 61 Abs. 2 Satz 4 UStDV die Möglichkeit, die Vorlage von Rechnungen im Original zu verlangen.

Die Entscheidung ist von großer praktischer Bedeutung. Sie betrifft allerdings nicht die aktuelle Rechtslage, sondern diejenige, die bis zum 31.12.2014 galt. In den Zeiträumen danach sind die Rechnungen als „eingescannte Originale vollständig beizufügen“, § 61 Abs. 2 Satz 3 UStDV). Wie dies auszulegen ist, darüber hat der BFH noch nicht entschieden.

VII. Übergangsrecht in Bauträger-Fällen (§ 27 Abs. 19 UStG) Diese Übergangsvorschrift war Gegenstand einer Vielzahl von Gerichtsentscheidungen und Äußerungen im Schrifttum. 1. Fordert der Leistungsempfänger im Fall des § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG die Erstattung der Steuer, ist die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern. Es handelt sich um eine eigenständige Änderungsvorschrift, die neben die AO-Korrekturnormen (z.B. § 164 Abs. 2 AO) tritt. Nach § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG steht § 176 AO der Änderung nicht entgegen. Kern der Regelungen des § 27 Abs. 19 Sätze 1–4 UStG ist es, den Vertrauensschutz nach § 176 AO auszuschalten

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und ihn besonders zu regeln. Nach dem BFH-Urteil vom 23.2.201728 gehört zu den Änderungsvoraussetzungen gem. § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG auch, dass dem leistenden Unternehmer ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht.29 Dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal folgt aus den unionsrechtlichen Grundprinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und ist im Wortlaut und in der Systematik der in § 27 Abs. 19 UStG vereinigten Vorschriften angelegt.30 Die Finanzverwaltung folgt dieser Rspr. im Wesentlichen.31 2. Um die Problematik klar zu machen, versuchen wir, sie an einem einfachen Fall darzustellen. Fall:32 Malermeister M streicht im Jahr 2012 die Innenräume eines Neubaus, den Bauträger B auf eigenem Grundstück errichtete, um das Haus zu veräußern. In ihrer Vereinbarung gingen M und B von der Steuerschuldnerschaft des B aus. B erklärte die Umsatzsteuer entsprechend in der Voranmeldung und der Jahreserklärung 2012, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging, zahlte die Umsatzsteuer aber nicht. Die Umsatzsteuer-Festsetzung 2012 gegenüber M wurde bestandskräftig. B begehrte nach Ergehen der BFH-Entscheidung v. 22.8.201333 die Berichtigung der Jahressteuerfestsetzung 2012 und die Erstattung der Umsatzsteuer, weil er als Bauträger nicht Steuerschuldner ist. Dem folgt das FA und korrigiert die Festsetzung gegenüber M.

Wesentlich sind drei Schritte: a) M als der leistende Unternehmer stellt dem Leistungsempfänger B nun eine Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer aus (bislang mit der Angabe „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 14a Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 UStG) und erfüllt auch sonst die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 Satz 4 UStG. b) Das FA muss zulassen, dass M dem FA den ihm gegen den B zustehenden Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen USt an 28 BFH v. 23.2.2017 – V R 16, 24/16, BStBl. II 2017, 760 = UR 2017, 357. 29 Insoweit a.A. Reiß, MwStR 2017, 407 ff. 30 Eingehend BFH v. 23.2.2017 – V R 16, 24/16, BStBl. II 2017, 760 = UR 2017, 357, Rz. 30 ff. 31 BMF v. 26.7.2017 – III C 3 - S 7279/11/10002-09, IV A 3 - S 0354/07/10002-10 – DOK 2017/0658012, BStBl. I 2017, 1001 = UR 2017, 688. 32 Fall ist dem Beispiel bei Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 13b Rz. 157 aufgrund der einschlägigen BFH-Urteile nachgebildet. 33 BFH v. 22.8.2013 – V R 37/10, BStBl. II 2014, 128 = UR 2014, 282.

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Zahlungs Statt abtritt.34 Ein derartiger Anspruch besteht, weil die Vertragsparteien von der Schuldnerschaft des B ausgegangen sind, diese zur Grundlage des Vertrags geworden ist und sich nachträglich geändert hat (§ 313 BGB).35 c) Stehen sich so der auf das FA übergegangen Anspruch des M und der Erstattungsanspruch des B aufrechenbar gegenüber, erlöschen sie durch Aufrechnung (§§ 388 ff. BGB).36 Hat das FA schon vorher B gegenüber die Umsatzsteuer erstattet, trägt es dessen Insolvenzrisiko.37 Kein Verstoß gegen Verfassungsrecht – Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Neutralität Setzt die Befugnis des FA zur Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung gegen den Bauhandwerker M voraus, dass diesem ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger (Bauträger B) zusteht, wird M vollständig von der Mehrwertsteuer auf seine Leistungen entlastet und steht dann so, wie er stünde, wenn alles von vornherein richtig gelaufen wäre. Mehr kann er nicht verlangen: –

Er tritt seinen Anspruch gegen den Bauträger B auf (weiteren) Werklohn (= Mehrwertsteuer) an das FA ab und tilgt damit zugleich die ihm gegenüber zusätzlich festgesetzte Umsatzsteuer. Er kann damit im Kern nicht belastet werden.



Auch der Bauträger B steht nun so, wie er stünde, wenn alles korrekt verlaufen wäre: Das FA muss ihm zwar die Umsatzsteuer erstatten, kann aber sofort mit seiner Forderung auf Werklohn (in Höhe der Umsatzsteuer), die ihm vom Bauhandwerker abgetreten wurde, aufrechnen. Das Ganze stellt sich so als Nullsummenspiel dar.38

34 BFH v. 23.2.2017 – V R 16, 24/16, BStBl. II 2017, 760 = UR 2017, 357, Rz. 63 ff. 35 BFH v. 23.2.2017 – V R 16, 24/16, BStBl. II 2017, 760 = UR 2017, 357, Rz. 48 ff.; mit Vorrang der ergänzenden Vertragsauslegung vgl. OLG Düss. v. 28.11.2017 – I-23 U 23/16, UR 2018, 207. 36 Vgl. nur Grüneberg in Palandt, BGB76, § 395 Rz. 1. 37 Zum Verfahrensrecht vgl. auch Heuermann, DB 2015, 577. 38 Weiterführend Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 27 Rz. 55 ff.; BMF v. 26.7.2017 – III C 3 - S 7279/11/10002-09, S 0354/07/10002-10 – DOK 2017/0658012, BStBl. I 2017, 1001 = UR 2017, 688.

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Umsatzsteuerliche Organschaft im Spiegel höchstrichterlicher Rechtsprechung – Sichtweise der Verwaltung – Regierungsdirektor Wolfgang Tausch1 Ministerium der Finanzen des Landes NRW, Düsseldorf I. Einleitung II. Reaktion der Verwaltung auf die aktuelle Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft 1. Einbeziehung von Personengesellschaften in die umsatzsteuerliche Organschaft a) Tochterpersonengesellschaft ausnahmsweise als Organgesellschaft b) „Ein-Mann-GmbH & Co KG“ als umsatzsteuerrechtliche Organschaft c) Mittelbare Beteiligung d) Zeitliche Anwendung 2. Beibehaltung und Nachjustierung der Eingliederungsvoraussetzungen a) Finanzielle Eingliederung b) Organisatorische Eingliederung aa) Grundsätze bb) Ausgestaltung cc) Ausnahmen dd) Beherrschung c) Zeitliche Anwendung

3. Beibehaltung und Nachjustierung weiterer Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft a) Eigene wirtschaftliche Tätigkeit (Unternehmereigenschaft von Organträger und Organgesellschaft) b) Weiterhin Ausschluss der „Mehrmütterorganschaft“ c) Komplementär-GmbH als Organgesellschaft 4. Organschaft – Insolvenzverfahren a) Ende der Organschaft mit Insolvenzeröffnung b) Eigenverwaltung c) Ende der Organschaft vor Insolvenzeröffnung d) Zeitliche Anwendung e) Keine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften III. Ausblick

I. Einleitung Mit Schreiben vom 26.5.2017 hat die Finanzverwaltung die Kernaussagen der aktuellen Rspr. von EuGH und BFH zur umsatzsteuerrechtlichen Or1 Dieser Beitrag wurde in nichtdienstlicher Eigenschaft verfasst.

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ganschaft sowie zum Vorsteuerabzug beim Erwerb und im Zusammenhang mit dem Halten von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen in den Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) eingearbeitet und die Entscheidungen der Gerichte zeitgleich im Bundessteuerblatt veröffentlicht. Der Auslegung der EuGH-Rspr. durch den V. und XI. Senat des BFH folgend betrifft das BMF-Schreiben im Wesentlichen drei Regelungsbereiche. Darin wird die Einbeziehung von Personengesellschaften in die umsatzsteuerrechtliche Organschaft unter bestimmten Voraussetzungen bei unveränderter nationaler Gesetzeslage und Fortentwicklung der Eingliederungsvoraussetzungen nachvollzogen. Darüber hinaus werden die vom BFH entwickelten Grundsätze zur Beendigung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft in Insolvenzfällen berücksichtigt. Schließlich trifft die Verwaltung auch die notwendigen Schlussfolgerungen zur Unternehmereigenschaft und zum Vorsteuerabzug einer Führungsholding. Nachfolgend werden die Änderungen des UStAE zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft auf der Grundlage des BMF-Schreibens im Kontext des jeweiligen Abschnitts dargestellt. Die Vielzahl der den Änderungen zugrunde liegenden Sachverhalte und Urteilsgründe der BFH-Entscheidungen werden dabei zum besseren Verständnis durch eine zusammenfassende Darstellung im Überblick erläutert.

II. Reaktion der Verwaltung auf die aktuelle Rechtsprechung zur umsatzsteuerlichen Organschaft 1. Einbeziehung von Personengesellschaften in die umsatzsteuerliche Organschaft a) Tochterpersonengesellschaft ausnahmsweise als Organgesellschaft Eine Personengesellschaft kann nach Abschn. 2.8. Abs. 2 Satz 5 UStAE ausnahmsweise wie eine juristische Person als eingegliedert i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG anzusehen sein, wenn die finanzielle Eingliederung wie bei einer juristischen Person zu bejahen ist. Die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft setzt nach Abschn. 2.8. Abs. 5a Satz 1 UStAE dabei voraus, dass Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind, so dass die erforderliche Durchgriffsmöglichkeit selbst bei der stets möglichen Anwendung des Einstimmigkeitsprinzips gewährleistet ist. Die Verwaltung übernimmt damit die zentralen Aussagen aus der Entscheidung des V. Se538

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nats des BFH vom 2.12.2015 – V R 25/13.2 In der Folge wurde auch die Aussage zur Selbständigkeit von Personengesellschaften in Abschn. 2.2. Abs. 5 Satz 1 UStAE angepasst. Während die Verwaltung in Übereinstimmung mit der bisherigen BFH-Rspr. davon ausging, dass eine Personengesellschaft des Handelsrechts stets selbständig ist, weist der UStAE an dieser Stelle als Folge der Änderung in Abschn. 2.8. Abs. 2 Satz 5 UStAE nunmehr darauf hin, dass eine Personengesellschaft selbständig ist, wenn sie nicht ausnahmsweise nach § 2 Abs. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Im dem Verfahren V R 25/13 ging es um entgeltliche Leistungen einer Muttergesellschaft (AG) an ihre Töchter in der Rechtsform einer KG, die ihrerseits umsatzsteuerfrei Altenheime betrieben und nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren. Komplementär dieser KGs war jeweils eine GmbH ohne Geschäftsanteil, die ihrerseits entgeltliche Leistungen an die KGs ausführte. Die AG war an den KGs und an der jeweiligen Komplementär GmbH jeweils zu 100 % beteiligt. Im Fall des Vorliegens einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zwischen der AG und ihren Töchtern sind die Leistungen untereinander als sog. Innenumsätze nicht steuerbar und es entsteht für die Töchter keine nicht als Vorsteuer abziehbare Umsatzsteuer. Der V. Senat hatte seine Entscheidung bis zu einer Entscheidung des EuGH in der verbundenen Rechtssache „Larentia und Minerva“ und „Marenave“, das auf den Vorlagebeschlüssen des XI. Senats vom 11.12.20133 beruhte, zunächst zurückgestellt. Mit Urteil vom 16.7.20154 hat der EuGH in dieser verbundenen Rechtssache wie folgt entschieden: Das Unionsrecht5 ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung entgegensteht, die die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, eine Gruppe von Personen zu bilden, die als ein Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können, allein den Einheiten vorbehält, die juristische Personen sind und mit dem Organträger dieser Gruppe durch ein Unterordnungsverhältnis verbunden sind, es sei denn, dass diese beiden Anforderungen Maßnahmen darstellen, die für die Erreichung der Ziele der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen

2 BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, BStBl. II 2017, 547 = UR 2016, 185. 3 BFH v. 11.12.2013 – XI R 38/12, BStBl. II 2017, 567 = UR 2014, 323. 4 EuGH v. 16.7.2015 – C-108/14 und C-109/14 (Larentia + Minerva und Marenave), BStBl. II 2017, 604 = UR 2015, 671. 5 Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-RL; Art. 11 MwStSystRL.

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und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung erforderlich und geeignet sind, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat. Der V. Senat geht in seinen Urteilsgründen davon aus, dass rechtliche Irrtümer und damit verbundene Steuerumgehungen im Kontext des bestehenden nationalen Rechts, in dem über die Organschaft ohne besonderes Feststellungsverfahren zu entscheiden ist, nur vermieden werden können, wenn die Voraussetzungen hierfür leicht und einfach festgestellt werden können. Mangels eigenständiger steuerrechtlicher Definition der „juristischen Person“ stellt der V. Senat dabei auf das zivil- und gesellschaftsrechtliche Verständnis der juristischen Person ab. Im Hinblick auf die Unterschiede etwa bzgl. der Rechtspersönlichkeit und der Willensbildung bei juristischen Personen wie z.B. einer GmbH oder einer AG im Gegensatz zu Personenhandelsgesellschaften wie einer OHG oder KG hält der V. Senat weiter daran fest, dass eine Personengesellschaft des Handelsrechts grundsätzlich nicht Organgesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sein kann, um die mit der Organschaft angestrebte Verwaltungsvereinfachung und Missbrauchsvermeidung zu erreichen. Der aus Sicht des V. Senats auch weiterhin gebotene Ausschluss von Personengesellschaften als Organgesellschaften rechtfertigt allerdings nicht den Ausschluss derjenigen Personengesellschaften, bei denen das dort grundsätzlich bestehende Einstimmigkeitsprinzip von vornherein ohne Bedeutung ist und daher bereits abstrakt einer finanziellen Eingliederung nicht entgegenstehen kann. Das ist bei der GmbH & Co KG, bei der neben dem Organträger (z.B. Kommanditist der KG) Gesellschafter der KG nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind (z.B. Komplementär-GmbH), gegeben. Anders als der V. Senat, der sich vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils „Larentia und Minerva“ und „Marenave“ insgesamt mit der Fragestellung auseinandersetzt, ob Personengesellschaften Organgesellschaft sein können, beschränkt sich der XI. Senat auf der Grundlage des zu entscheidenden Einzelfalls im Rahmen der Nachfolgeentscheidung zu „Larentia und Minerva“ und „Marenave“ bei seiner Beurteilung auf die GmbH & Co KG. Während der V. Senat die Tochterpersonengesellschaft (GmbH & Co KG) als Organgesellschaft lediglich im Ausnahmefall im Wege der teleologischen Extension für möglich hält, erkennt der XI. Senat jedenfalls die GmbH & Co KG als Organgesellschaft ohne weitere Einschränkungen an, indem er Parallelen zu Entscheidungen anderer oberster Gerichte zieht, die dieselbe Auslegung in anderem Zusammenhang bereits ebenfalls vorgenommen haben. 540

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Weil bei Unterschieden lediglich in der Begründung, nicht aber im Ergebnis eine Vorlage an den Großen Senat des BFH nicht in Betracht kommt, war die Verwaltung gehalten, unter Berücksichtigung der Entscheidungen beider Umsatzsteuersenate des BFH zu einer fortentwickelten Rechtserkenntnis zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zu gelangen. Die Verwaltung hat sich hinsichtlich der finanziellen Eingliederung von Personengesellschaften der engeren Sichtweise des V. Senats angeschlossen. Aus Sicht der Unternehmen sollte die Entscheidung der Verwaltung für die Erweiterung des Kreises der in die Organschaft einzubeziehenden Tochtergesellschaften nach den Vorgaben des V. Senats auf Zustimmung stoßen. Da nach nationalem Recht des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG anhand der Organschaft über die Person des Steuerschuldners zu entscheiden ist, müssen die Voraussetzungen hierfür rechtssicher ausgestaltet sein. Das soll rechtliche Irrtümer genauso wie Steuerumgehungen verhindern. b) „Ein-Mann-GmbH & Co KG“ als umsatzsteuerrechtliche Organschaft Für die Praxis wichtig erscheint der Hinweis, dass die bisherige Sichtweise zum Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft in den Fällen der ertragsteuerlichen „Betriebsaufspaltung“ nunmehr auch auf die „Ein-Mann-GmbH & Co KG“ zu übertragen ist, wenn der Besitzunternehmer etwa durch Vermietung seines Grundstücks an die Betriebsgesellschaft eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Betriebsgesellschaft wird in diesen Fällen zwar i.d.R. eine Kapitalgesellschaft (z.B. GmbH) sein, denkbar ist aber eben auch die Vermietung an eine GmbH & Co KG, sofern neben dem Besitzunternehmer Gesellschafter der KG nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sind (Komplementär-GmbH). Die Verwaltung hat diese Folge aus der aktuellen Organschaftsrechtsprechung des V. Senats des BFH in Abschn. 2.8. Abs. 6b UStAE entsprechend berücksichtigt. c) Mittelbare Beteiligung Die Wirtschaftsverbände hatten im Vorfeld der Herausgabe des BMFSchreibens vom 26.5.2017 darum gebeten, darin auch Beispiele zu den Auswirkungen der aktuellen Organschaftsrechtsprechung aufzunehmen, wenn die finanzielle Eingliederung einer Personengesellschaft mittelbar 541

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über eine unternehmerisch oder nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft erfolgt.6 Dieser Anregung ist die Verwaltung gefolgt. Liegen die Voraussetzungen für die finanzielle Beteiligung nach den Vorgaben des V. Senats des BFH vor, sind auch mittelbare Beteiligungen für die Eingliederung einer Personengesellschaft ausreichend. Abschn. 2.8. Abs. 5a Satz 3 UStAE enthält hierzu unter Bezugnahme auf Abschn. 2.8. Abs. 5b UStAE folgende Beispiele: Gesellschafter einer GmbH & Co. KG sind die Komplementär-GmbH und eine weitere GmbH als Kommanditistin. Die A-AG hält an beiden GmbHs jeweils einen Anteil von mehr als 50 %. In diesem Beispiel 1 sind alle Gesellschafter der GmbH & Co. KG finanziell in das Unternehmen der A-AG eingegliedert. Damit ist auch die GmbH & Co. KG in das Unternehmen der A-AG finanziell eingegliedert. In dem folgenden Beispiel 2 liegen die Voraussetzungen für die finanzielle Eingliederung dagegen nicht vor: Gesellschafter einer GmbH & Co. KG sind die Komplementär-GmbH K1 sowie die GmbH K2 und eine weitere Person P (Beteiligungsquote 0,1 %) als Kommanditisten. Die A-AG hält an K1 und K2 jeweils einen Anteil von mehr als 50 %. An P ist die A-AG nicht beteiligt. Da nicht alle Gesellschafter der GmbH & Co. KG finanziell in das Unternehmen der A-AG eingegliedert sind, ist auch die GmbH & Co. KG nicht finanziell in das Unternehmen der A-AG eingegliedert.

Vorstehende Lösung unterstellt das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung entsprechend der Beteiligung. Da die finanzielle Eingliederung auf die Stimmen in der Gesellschafterversammlung ausgerichtet ist, könnte eine finanzielle Beteiligung ohne Stimmrechte eines nicht in den Organkreis integrierten Gesellschafters unschädlich für die Eingliederung der Personengesellschaft sein. Zu dieser Fragestellung hat sich der BFH bisher nicht geäußert. Diese Fallgestaltung wird daher auch von der Finanzverwaltung nicht angesprochen. Vorstehende Beispiele machen auch den wesentlichen Unterschied zwischen der Eingliederung einer juristischen Person und einer Personengesellschaft in ein anderes Unternehmen deutlich. Während es bei der Eingliederung einer juristischen Person wegen des bei Kapitalgesellschaften grundsätzlich geltenden Mehrstimmigkeitsprinzips ausreichend ist, dass der Organträger die Mehrheit der Stimmen in der Gesellschafterversammlung innehaben muss, ist bei der Eingliederung einer Personengesellschaft in den Organkreis erforderlich, dass wegen des Einstimmig6 Schreiben vom 31.1.2017, www.gdv.de/…/GDV-Stellungnahme-WirtschaftUSt-Organschaft-BMF_13_02_2017.

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keitsprinzips alle Stimmen an der Personengesellschaft in der Hand des Organkreises sein müssen.7 Die Beispiele der Verlautbarung der Verwaltung sind auch auf eine mittelbare finanzielle Eingliederung über eine nichtunternehmerisch tätige Tochtergesellschaft anwendbar. So ergibt sich die Lösung zu Beispiel 1 auch, wenn die Kommanditist-GmbH eine nichtunternehmerisch tätige Beteiligungsgesellschaft ist. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass Wäger8 im Schrifttum aktuell Überlegungen dazu anstellt, ob und wie die Voraussetzungen einer rechtssicheren Feststellung der Eingliederungsvoraussetzungen der beiden vorstehend genannten Fallgruppen unter Beachtung des o.a. Urteils des XI. Senats des BFH9, nach dem es bei der GmbH & Co. KG nicht auf die Personenidentität des Organträgers mit den Mitgesellschaftern der KG ankommt, angenähert werden können. Die Eingliederung von Personengesellschaften könnte danach auch davon abhängig gemacht werden, dass sich die Nachweise aus anderen Unterlagen ergeben, die eine Feststellung der Eingliederung wie oder zumindest ähnlich wie bei einer juristischen Person ermöglichen. Dies könne ein Anknüpfen an die Registerpublizität rechtfertigen, wie sie sich auch aus dem Handelsregister ergebe. Zu berücksichtigen seien dabei auch andere Register wie sie z.B. für Partnerschaftsgesellschaften bestehen.10 Die Verwaltung belässt es bis auf Weiteres bei den oben dargestellten Aussagen in Abschn. 2.8. UStAE. Alle Mitgesellschafter der Personengesellschaft müssen danach in den Organträger finanziell eingegliedert sein, damit die Personengesellschaft als Organgesellschaft nichtselbständig in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein kann. d) Zeitliche Anwendung Die sich aus der Umsetzung der aktuellen BFH-Rspr. zur Eingliederung von Personengesellschaften ergebenden Änderungen des UStAE sind auf nach dem 31.12.2018 ausgeführte Umsätze anzuwenden. Eine frühere Anwendung wird nicht beanstandet, wenn sich die am Organkreis Beteiligten bei der Beurteilung des Umfangs der umsatzsteuerrechtlichen 7 Vgl. dazu ausführlich Heuermann, Vorsitzender Richter des V. Senats des BFH, DB 2016, 608 ff. 8 RiBFH Christoph Wäger ist Mitglied des für Umsatzsteuer zuständigen V. Senats des BFH. 9 BFH v. 19.1.2016 – XI R 38/12, BStBl. II 2017, 567 = UR 2016, 312. 10 Vgl. Wäger, UR 2017, 664 ff.

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Organschaft übereinstimmend auf die entsprechenden Regelungen des geänderten UStAE berufen. Eine lediglich umsatzbezogene Berufung ist nicht möglich. Ein Berufungsrecht besteht zudem nur, soweit sämtliche betroffenen Steuerfestsetzungen der Beteiligten noch änderbar sind.11 Da nach der BFH-Rspr. die Einheitlichkeit der Willensbildung Voraussetzung für die Annahme der Organschaft mit einer Personengesellschaft als Organgesellschaft ist, wäre es m.E. treuwidrig, wenn die Person, die den Organträger und die Organ(personen)gesellschaft beherrscht, sich einerseits auf Vertrauensschutz und andererseits auf die Anwendung der neuen Rspr. beruft. Die Anwendungsregelung im BMF-Schreiben vom 26.5.2017 ist daher nachvollziehbar und zur Vermeidung der Ausnutzung eines steuerrechtlichen Zufallsgewinns zu begrüßen. „Windfall-profits“ sind in keiner Weise schutzwürdig.12

2. Beibehaltung und Nachjustierung der Eingliederungsvoraussetzungen In Übereinstimmung mit der aktuellen Rspr. des V. Senats des BFH hält die Verwaltung in Abschn. 2.8. UStAE weiter daran fest, dass die umsatzsteuerrechtliche Organschaft eine eigene Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der Tochtergesellschaft voraussetzt und dass zudem im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung bestehen muss. Die Begründungskette für die Beibehaltung der finanziellen und organisatorischen Eingliederung i.S. einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten anstatt eines Über- und Unterordnungsverhältnisses zwischen Organträger und Organgesellschaft ergibt sich aus der Entscheidung des V. Senats vom 2.12.2015 – V R 15/1413, die von der Verwaltung nunmehr in Abschn. 2.8. Abs. 5 UStAE zur finanziellen Eingliederung und in Abschn. 2.8. Abs. 7 und 8 UStAE zur organisatorischen Eingliederung aufgenommen wurde. Die nationale Regelung zur umsatzsteuerrechtlichen Organschaft in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dient der Verwaltungsvereinfachung – insoweit in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht in Art. 11 MwStSystRL – und führt zu einer Zusammenfassung zu einem Unternehmen beim Organträger – anders als das Unionsrecht in Art. 11 MwStSystRL, das von einer Gruppe als Stpfl. ausgeht. Der Organträger ist entsprechend dem Verein11 BMF v. 26.5.2017 – III C 2 - S 7105/15/10002 – DOK 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790 = UR 2017, 522, Rz. 5. 12 BFH v. 23.2.2017 – V R 16, 24/16, BStBl. II 2017, 760 = UR 2017, 357, Rz. 57. 13 BFH v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192.

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fachungszweck Steuerschuldner auch für Umsätze der aufgrund der Organschaft unselbständig tätigen Person. Die Rechtsfolgen der Organschaft treten von Gesetzes wegen ein. Da sich die mit der Organschaft verbundene Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger finanziell belastend auswirken kann, müssen die Voraussetzungen der Organschaft rechtssicher bestimmbar sein. Solange das nationale Recht weder einen Antrag noch ein besonderes Verfahren zur Feststellung der Voraussetzungen der Organschaft vorsieht, lehnt es der V. Senat des BFH ausdrücklich ab, die Organschaft aus Gründen des Unionsrechts auf lediglich eng miteinander verbundene Personen zu erweitern. Da es an einem Grundlagenbescheid fehlt, ist es nämlich nicht möglich, für die Organschaft anstelle einer eigenen Mehrheitsbeteiligung auf das unbestimmte wie auch unpräzise Merkmal einer lediglich engen finanziellen Verbindung zwischen mehreren Personen abzustellen. Eine derartige Verbindung würde es nicht ermöglichen, die Person rechtssicher zu bestimmen, die die steuerrechtlichen Verpflichtungen für den Organkreis als Organträger und damit als einzige Steuerschuldnerin zu erfüllen hat. Inzwischen ist klar, dass auch der XI. Senat auf der Grundlage des nationalen Rechts an den Eingliederungsmerkmalen der Organschaft festhält. So stellt er in den Urteilsgründen seiner Entscheidung XI R 30/1414 klar, es sei für die Annahme einer Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG erforderlich, dass der Organträger finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte bei der abhängigen juristischen Person verfügt, wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist und die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann. a) Finanzielle Eingliederung Unter der finanziellen Eingliederung einer juristischen Person ist der Besitz der entscheidenden Anteilsmehrheit an der Organgesellschaft zu verstehen, die es dem Organträger ermöglicht, durch Mehrheitsbeschlüsse seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Dem zur Begründung hierzu im Klammerzusatz des Abschn. 2.8. Abs. 5 Satz 1 UStAE zitierten BFH-Urteil vom 2.12.2015 – V R 15/1415 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die A-KG führte im Rahmen des Betriebs eines Seniorenzentrums als Wohn- und Pflegeheim steuerfreie Pflegeleistungen aus. Die GmbH erbrachte entgeltliche 14 BFH v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BStBl. II 2017, 597 = UR 2017, 178. 15 BFH v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192.

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Tausch, Umsatzsteuerliche Organschaft Leistungen im Bereich der Speisenversorgung an die A-KG. Streitig war, ob die GmbH als Organgesellschaft nicht steuerbare Leistungen an die A-KG als Organträger erbrachte. Gesellschafter der GmbH waren D und ihre Tochter B mit einer Beteiligung von jeweils 50 %. D und B hatten zudem eine Stimmbindungsvereinbarung geschlossen, in der sich beide verpflichteten, ihr Stimmrecht als Gesellschafter nur einheitlich auszuüben, wobei B ihr Stimmverhalten an der Stimmabgabe durch D auszurichten hatte. Alleinige Geschäftsführerin der GmbH war B. D war darüber hinaus alleinige Kommanditistin der A-KG und Alleingesellschafterin der V-GmbH, die Komplementärin der A-KG war. D war zudem einzige Geschäftsführerin der V-GmbH.

Der BFH entschied, dass die GmbH nach nationalem Recht nicht Organgesellschaft der A-KG war. Die finanzielle Eingliederung der Klägerin in die A-KG scheiterte bereits daran, dass die A-KG keine eigene Mehrheitsbeteiligung an der Klägerin in ihrem Gesamthandsvermögen hielt, sondern nur über ihre Gesellschafterin D mit der Klägerin verbunden war. Ohne eigene Mehrheitsbeteiligung ist die Person des Organträgers im Verhältnis zwischen der Klägerin, einer GmbH, und ihrer SchwesterKG nicht eindeutig bestimmbar. Es bestanden im Streitfall auch keine rechtsverbindlichen Regelungen zur Zusammenrechnung eines mehreren Gesellschaftern zustehenden Anteilsbesitzes. Dies gilt auch für den Fall einer familiären Verbundenheit mehrerer Gesellschafter. Der von D mit ihrer Tochter getroffenen Stimmbindungsvereinbarung kam keine Bedeutung zu, da diese nicht in der Satzung der Klägerin vereinbart war. Insoweit verweist der BFH zur Begründung wiederum auf seine Entscheidung zur Eingliederung von Personengesellschaften in eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft.16 Diese wichtigen Aussagen zur Abgrenzung der finanziellen Eingliederung übernimmt die Verwaltung in Abschn. 2.8. Abs. 5 Satz 3 und 4 UStAE. Im Interesse der Rechtsklarheit sind Stimmbindungsvereinbarungen oder Stimmrechtsvollmachten grundsätzlich ohne Bedeutung. Stimmbindungsvereinbarungen und Stimmrechtsvollmachten können bei der Prüfung der finanziellen Eingliederung nur zu berücksichtigen sein, wenn sie sich ausschließlich aus Regelungen der Satzung wie etwa bei einer Einräumung von Mehrfachstimmrechten („Geschäftsanteil mit Mehrstimmrecht“) ergeben. Zusammenfassend standen der A-KG im Streitfall V R 15/14 somit keine eigenen Durchgriffsrechte zu. Ihr, wie auch der für sie organschaftlich handelnden Komplementär-GmbH, war es nicht möglich, die Ver16 BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, BStBl. II 2017, 547 = UR 2016, 185.

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antwortung dafür zu übernehmen, dass die A-KG Umsätze der Klägerin gegenüber Dritten ordnungsgemäß versteuert, oder dafür verantwortlich zu sein, dass derartige Umsätze nicht vorliegen. b) Organisatorische Eingliederung aa) Grundsätze Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft durch die Muttergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung tatsächlich wahrgenommen wird. Es kommt darauf an, dass der Organträger die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrscht und seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann. Nicht ausreichend ist, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist. Mit diesen Vorgaben in Abschn. 2.8. Abs. 7 Sätze 1–3 UStAE hält die Verwaltung an den bisherigen Grundsätzen zur organisatorischen Eingliederung fest und ergänzt sie gleichzeitig um Rspr.-Grundsätze aus der aktuellen Organschafts-Rspr. des V. Senats des BFH.17 Danach ist auch bei der Auslegung der organisatorischen Eingliederungsvoraussetzung der mit der Organschaft verfolgte Vereinfachungszweck zu berücksichtigen. Dieser erfordert, dass die Organschaft auch für den Organträger als Steuerschuldner für die organschaftlich zusammengefassten Unternehmen einfach anzuwenden ist. Ohne Antrags- und ohne Feststellungsverfahren muss es dem Organträger daher aufgrund der Eingliederung möglich sein, die – nach § 370 AO strafbewehrte – Verantwortung für die Umsatztätigkeit der mit ihm verbundenen juristischen Person zu übernehmen. Dies setzt bei der Eingliederung i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG Durchgriffsmöglichkeiten voraus, aufgrund derer der Organträger – ähnlich wie bei unselbständigen Betriebsabteilungen im Unternehmen einer Person – die für die Abgabe von Steueranmeldungen und Steuererklärungen notwendigen Informationsansprüche wie auch die zur Erfüllung von Steueransprüchen notwendigen Ausgleichsansprüche gegen die Organgesellschaft durchsetzen kann. Insoweit nimmt der BFH in

17 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BStBl. II 2017, 543 = UR 2013, 785; v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192.

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seinem Urteil vom 2.12.2015 – V R 15/1418 Bezug auf seine Entscheidung V R 18/13 aus dem Jahr 2013. Anlass dieses Urteils war der Streit um die Beendigung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Die organisatorische Eingliederung einer GmbH in das Unternehmen des Organträgers endet danach, wenn das Insolvenzgericht für die GmbH einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt und dabei anordnet, dass Verfügungen der GmbH nur noch mit seiner Zustimmung wirksam sind. Weil der BFH dieses Urteil auch im Hinblick auf die Grundsätze zur organisatorischen Eingliederung in späteren Entscheidungen mehrfach zitiert (u.a. in V R 15/14), hat es die Verwaltung nunmehr ebenfalls in Abschn. 2.8. Abs. 7 UStAE aufgenommen.19 bb) Ausgestaltung Nach der Rspr. des V. Senats BFH setzt die organisatorische Eingliederung voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss. Hiervon ist z.B. dann auszugehen, wenn bei zwei GmbHs eine Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen besteht. Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt und zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist. Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist.20 Soweit der V. Senat hierfür in der Vergangenheit in einem Einzelfall auf eine „institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeit in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung“21 abgestellt hat, folgt hieraus nichts anderes, als dass im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als Organgesellschaft bestehen muss. Nicht ausreichend sind Weisungsrech18 BFH v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192, Rz. 24. 19 Zusammenfassend zur Beendigung der Organschaft im Insolvenzverfahren vgl. Abschn. 2.8 Abs. 12 UStAE. 20 BFH v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192, Rz. 42. 21 BFH v. 3.4.2008 – V R 76/05, BStBl. II 2008, 905 = UR 2008, 549, unter II.4.

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te, Berichtspflichten oder ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung oder zugunsten des Mehrheitsgesellschafters. Gegen diese Anforderungen bestehen nach Auffassung des V. Senats des BFH auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Larentia + Minerva und Marenave22 keine Bedenken in unionsrechtlicher Hinsicht. Auch das Erfordernis einer in organisatorischer Hinsicht bestehenden Durchgriffsmöglichkeit dient insbes. der rechtssicheren Bestimmung der Eingliederungsvoraussetzungen, der Verwaltungsvereinfachung und der Missbrauchsverhinderung.23 Damit fehlte es im Streitfall V R 15/1424 auch an einer organisatorischen Eingliederung der GmbH in die A-KG. Denn es bestand eine organisatorische Trennung zwischen der GmbH, deren einzige Geschäftsführerin B war, und der A-KG, die organschaftlich durch ihre Komplementär-GmbH vertreten wurde, bei der D einzige Geschäftsführerin war. Vorstehende Grundsätze zu den wesentlichen Merkmalen der Ausgestaltung der organisatorischen Eingliederung berücksichtigt die Verwaltung in Abschn. 2.8. Abs. 8 UStAE. Sie nimmt dort auch ausdrücklich Bezug auf das BFH-Urteil vom 2.12.2015 – V R 15/14 und stellt darüber hinaus klar, dass bei einer Stimmenminderheit der personenidentischen Geschäftsführer oder bei Einzelgeschäftsführungsbefugnis der fremden Geschäftsführer zusätzliche institutionell abgesicherte Maßnahmen erforderlich sind, um eine Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger sicherzustellen. Alternativ kann nach der Verwaltungsauffassung auch bei Einzelgeschäftsführungsbefugnis des fremden Geschäftsführers ein bei Meinungsverschiedenheiten eingreifendes, aus Gründen des Nachweises und der Inhaftungnahme schriftlich vereinbartes Letztentscheidungsrecht des personenidentischen Geschäftsführers eine Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger sicherstellen. cc) Ausnahmen Während der XI. Senat des BFH in seinen Nachfolgeurteilen zu Larentia + Minerva und Marenave25 offen gelassen hatte, ob er der Auffassung 22 EuGH v. 16.7.2015 – C-108/14 und C-109/14 (Larentia + Minerva und Marenave), BStBl. II 2017, 604 = UR 2015, 671. 23 BFH v. 2.12.2015 – V R 15/14, BStBl. II 2017, 553 = UR 2016, 192, Rz. 44. 24 S.o. zu 2.a. 25 BFH v. 19.1.2016 – XI R 38/12, BStBl. II 2017, 567 = UR 2016, 312; v. 1.6.2016 – XI R 17/11, BStBl. II 2017, 581 = UR 2016, 673.

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des V. Senats folgt, nach der für das sich aus dem nationalen Recht ergebende Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG eine hinreichende Grundlage im Unionsrecht besteht, prüfte und bejahte er im Urteil XI R 30/1426 (u.a. unter Bezugnahme auf das Urteil des V. Senats vom 2.12.2015 – V R 15/14) das Vorliegen der nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderlichen Eingliederungsvoraussetzungen, ohne die EU-Konformität zu problematisieren. Damit schließt sich der XI. Senat im Ergebnis der Auffassung des V. Senats zum Erfordernis einer Eingliederung mit Durchgriffsrechten i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG in Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht an. Der Entscheidung des XI. Senats lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die B-GmbH (Klägerin) versorgte Alten- und Pflegeheime mit Lebensmitteln und Dienstleistungen. Mit Beginn des Streitjahres übernahm eine neu gegründete F-GmbH (Gesellschafter: V zu 90 %, M zu 10 %) das einheitliche Halten und Verwalten der Familienbeteiligungen sowohl an der A-GmbH als auch an der B-GmbH. V und M hatten hierfür ihre Geschäftsanteile an der A-GmbH und an der B-GmbH in die F-GmbH eingebracht. S war durch einen „Anstellungsvertrag für Geschäftsführer“ zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer der B-GmbH bestellt worden, hatte danach aber Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie des Geschäftsführers V der A-GmbH zu befolgen. Tatsächlich kümmerte sich S nicht um die Geschäfte des Firmenkomplexes, sondern überließ die Geschäftsführung gänzlich dem V.

Der XI. Senat des BFH entschied: Eine organisatorische Eingliederung ist auch ohne Personenidentität in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft gegeben, wenn nach dem Anstellungsvertrag zwischen der Organgesellschaft und ihrem nominell bestellten Geschäftsführer dieser die Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie eines angestellten Dritten zu befolgen hat, der auf die Willensbildung der Gesellschafterversammlung einwirken kann und der zudem alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer des Organträgers ist. Im Einklang mit Abschn. 2.8 Abs. 10 Satz 2 und 3 UStAE und der bisherigen Rspr. hält der XI. Senat des BFH eine organisatorische Eingliederung in Fällen, in denen keine Personenidentität in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft besteht, nur bei Vorliegen institutionell abgesicherter unmittelbarer Eingriffsmöglichkeiten des Organträgers in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Gesellschaft für gegeben. Der Organträger müsse in der Lage sein, durch schriftlich fixierte Vereinbarungen (z.B. Geschäftsführungsordnung, Konzernricht26 BFH v. 12.10.2016 – XI R 30/14, BStBl. II 2017, 597 = UR 2017, 178.

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linie) gegenüber Dritten seine Entscheidungsbefugnis nachzuweisen und den Geschäftsführer bei Verstößen gegen seine Anweisungen haftbar zu machen. Eine bloß faktische Geschäftsführung reiche nicht aus. Im Streitfall hatte sich der einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer der Organgesellschaft im „Anstellungsvertrag für Geschäftsführer“ verpflichtet, die Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie des alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers des Organträgers zu befolgen und die Einwilligung der Gesellschafterversammlung zur Vornahme einer Vielzahl von Handlungen einzuholen. Tatsächlich führte allein der Geschäftsführer des Organträgers die Geschäfte der Organgesellschaft. Der XI. Senat des BFH sah die Regelungen im Anstellungsvertrag als institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeit des Organträgers in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft an, da der Organträger aufgrund dieser Regelungen mittels seines Geschäftsführers die Art und Weise der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft beherrsche. Im Streitfall bestand zudem die Besonderheit, dass der Geschäftsführer der Organgesellschaft deren Geschäfte tatsächlich nicht geführt hat, sondern die Geschäftsführung ausschließlich durch den Geschäftsführer des Organträgers erfolgte. Gleichwohl sieht der XI. Senat des BFH den Anstellungsvertrag als Grundlage für eine institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeit an, weil das Unterlassen der Geschäftsführung der dem Geschäftsführer der Organgesellschaft nach dem Anstellungsvertrag zugedachten Rolle entsprach. Die Verwaltung hat unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil XI R 30/14 die Beispiele zu den Ausnahmefällen der organisatorischen Eingliederung ohne personelle Verflechtung in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft bei schriftlich fixierten Vereinbarungen als Grundlage der Eingriffsmöglichkeiten in die Geschäftsführung der Organgesellschaft in Abschn. 2.8 Abs. 10 Satz 3 UStAE um den „Anstellungsvertrag“ erweitert. dd) Beherrschung Hat die Organgesellschaft mit dem Organträger einen Beherrschungsvertrag nach § 291 AktG abgeschlossen oder ist die Organgesellschaft nach §§ 319, 320 AktG in die Gesellschaft des Organträgers eingegliedert, geht die Verwaltung in Abschn. 2.8. Abs. 10 Satz 4 UStAE nunmehr als stets eintretende Rechtsfolge von dem Vorliegen einer organisatorischen 551

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Eingliederung aus. Die bisherige Formulierung, wonach hiervon „regelmäßig“ auszugehen sei, wurde durch die Formulierung „ist davon auszugehen“ ersetzt. Der Organträger ist in diesen Fällen berechtigt, dem Vorstand der Organgesellschaft nach Maßgabe der §§ 308 bzw. 323 Abs. 1 AktG Weisungen zu erteilen. Nach Abschn. 2.8. Abs. 10 Satz 7 UStAE (neu) wird eine organisatorische Eingliederung durch Beherrschungsvertrag jedoch erst ab dem Zeitpunkt seiner Eintragung in das Handelsregister begründet, der konstitutive Wirkung zukommt. Diese Änderungen des UStAE beruhen auf dem BFH-Urteil des V. Senats V R 7/1627, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: Eine GmbH (G), deren Unternehmensgegenstand u.a. die Übernahme, die Fortführung und der Verkauf von Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen ist, war zu 100 % an einer C-GmbH beteiligt. Mit notariellem Vertrag vom 29.10.2007 schloss G als herrschendes Unternehmen mit der C-GmbH in Gründung (i.Gr.) (C) einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag, der am 4.12.2007 im Handelsregister eingetragen wurde. Danach unterstellte C die Leitung ihrer Gesellschaft der G. Nach §§ 1 und 2 des Vertrags war G berechtigt, der Geschäftsführung der C sowohl hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft als auch allgemein oder auf Einzelfälle bezogen Weisungen zu erteilen. Gleichzeitig verpflichtete sich die C, den Weisungen zu folgen. Alleiniger Geschäftsführer der G war S, Geschäftsführer der C waren T und K. Im Rahmen sowohl bei der G als auch bei der C durchgeführter Außenprüfungen stellte das FA nicht versteuerte Umsätze der C fest. Am 1.1.2011 wurde über das Vermögen der C das Insolvenzverfahren eröffnet. Infolgedessen hob das FA den Umsatzsteuerbescheid 2007 gegenüber der C auf und änderte den Umsatzsteuerbescheid 2007 gegenüber der G, in dem es die Umsätze der C nach den Feststellungen der Betriebsprüfung bei der G erfasste. Streitig war, ob die C trotz fehlender Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen im Hinblick auf den Beherrschungsvertrag organisatorisch in das Unternehmen der G eingliedert war.

Der BFH entschied: Unterstellt eine juristische Person gemäß oder entsprechend § 291 AktG28 die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen, so führen die auf diesem Beherrschungsvertrag beruhenden umfassenden Weisungsrechte, anders als die sich aus der Stellung als Mehrheitsgesellschafter gem. § 46 Nr. 6 GmbHG ergebenden Wei-

27 BFH v. 10.5.2017 – V R 7/16, BStBl. II 2017, 1261 = UR 2017, 620. 28 Nach § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG liegt ein Beherrschungsvertrag vor, wenn sich eine AG im Rahmen eines Unternehmensvertrags verpflichtet, die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen zu unterstellen (Beherrschungsvertrag). Nach § 46 Nr. 6 GmbHG unterliegen der Bestimmung der Gesellschafter die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung.

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sungsrechte, zur organisatorischen Eingliederung. Der V. Senat des BFH begründet seine Entscheidung wie folgt: Da sich die mit der Organschaft verbundene Verlagerung der Steuerschuld auf den Organträger finanziell belastend auswirken kann, müssen die Voraussetzungen der Organschaft rechtssicher bestimmbar sein. Deshalb erfordert die organisatorische Eingliederung im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der juristischen Person als Organgesellschaft. Unterstellt aber die juristische Person gem. § 291 AktG in direkter (bei AGs) oder analoger Anwendung (im GmbH-Recht) die Leitung ihrer Gesellschaft einem anderen Unternehmen als dem Organträger, begründet der Beherrschungsvertrag die organisatorische Eingliederung (vgl. Abschn. 2.8. Abs. 10 Satz 4 UStAE).29 Zwar berechtigt auch die mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Stellung als Mehrheitsgesellschafter gem. § 46 Nr. 6 GmbHG zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung des beherrschten Unternehmens und in Vollzug dieses Rechts zur Erteilung von Weisungen zwecks Ausführung der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung. Dieses Weisungsrecht erfüllt aber nicht das selbständige Tatbestandsmerkmal der organisatorischen Eingliederung. Etwas anderes gilt demgegenüber für die weitergehenden Rechte aus einem Beherrschungsvertrag; sie führen zur organisatorischen Eingliederung, weil sich das Weisungsrecht nach § 308 AktG nicht nur auf die Überwachung beschränkt, sondern darüber hinaus auf die Leitung der Gesellschaft bezieht.30 Im Gegensatz zum Weisungsrecht des Mehrheitsgesellschafters, das nur die Möglichkeit eröffnet, einzelne laufende Angelegenheiten an sich zu ziehen, umfasst das Weisungsrecht aus § 308 AktG die Geschäftsführung, die organschaftliche Vertretung sowie Maßnahmen im Innenverhältnis der Gesellschaft unter Einschluss der Rechnungslegung. Dem Geschäftsführer der abhängigen GmbH können damit direkt Weisungen erteilt werden, ohne dass der Weg über die Gesellschafterversammlung beschritten werden müsste. Der Beherrschungsvertrag gewährleistet folglich von Rechts wegen den Vorrang des Organträgers vor dem Interesse der Organgesellschaft und rechtfertigt deren Eingliederung.

29 Vgl. BFH v. 10.5.2017 – V R 7/16, BStBl. II 2017, 1261 = UR 2017, 620, Rz. 17 m.w.N. 30 Vgl. § 76 Abs. 1 AktG.

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Die organisatorische Eingliederung mittels eines Beherrschungsvertrags setzt jedoch dessen Wirksamkeit voraus. Da ein Beherrschungsvertrag den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft ändert, wird ein zwischen zwei GmbHs abgeschlossener Beherrschungsvertrag erst mit der Eintragung im Handelsregister wirksam; der Eintragung kommt konstitutive Wirkung zu. Im Streitfall war G aufgrund des Vertrags vom 29.10.2007 Organträgerin der C-GmbH. Da dieser Vertrag jedoch erst mit der Eintragung in das Handelsregister am 4.12.2007 wirksam wurde, ist die C-GmbH erst von diesem Zeitpunkt an organisatorisch in die G eingegliedert gewesen. Nach diesen Maßstäben war schon das FG zutreffend von einer Organschaft zwischen der G und der C-GmbH aufgrund des Beherrschungsvertrags ausgegangen. Es hatte aber nicht berücksichtigt, dass die Organschaft erst mit Wirksamwerden dieses Vertrags am 4.12.2007 begann und damit die zuvor verwirklichten Besteuerungsgrundlagen nicht umfasste. Deshalb hat der BFH die Sache zur erneuten Verhandlung an das FG zurückverwiesen. c) Zeitliche Anwendung Die unter 2.b cc und 2.b dd erläuterten Änderungen in Abschn. 2.8. Abs. 10 UStAE zu den Ausnahmen der organisatorischen Eingliederung auch ohne personelle Verflechtung in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft sind in allen offenen Fällen anzuwenden.31 Im Übrigen sind die unter 2. erläuterten Änderungen in Abschn. 2.8. Abs. 5, 7 und 8 UStAE grundsätzlich auf nach dem 31.12.2018 ausgeführte Umsätze anzuwenden.32

31 BMF v. 26.5.2017 – III C 2 - S 7105/15/10002 – DOK 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790 = UR 2017, 522, Rz. 4. 32 BMF v. 26.5.2017 – III C 2 - S 7105/15/10002 – DOK 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790 = UR 2017, 522, Rz. 5; vgl. hierzu auch die Ausführungen unter 1.a.

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3. Beibehaltung und Nachjustierung weiterer Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft a) Eigene wirtschaftliche Tätigkeit (Unternehmereigenschaft von Organträger und Organgesellschaft) Organträger kann jeder Unternehmer sein. Auch eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann Organträger sein, wenn und soweit sie unternehmerisch tätig ist.33 Die Unternehmereigenschaft des Organträgers gehört danach zu den Voraussetzungen, nicht aber zu den Rechtsfolgen der Organschaft. Der Unternehmerbegriff des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG entspricht dem des § 2 Abs. 1 UStG und dem Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit in Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL. Ebenso wie bei § 15 Abs. 1 Satz 1 UStG handelt es sich um den Tätigkeitsbereich, in dem der Unternehmer nachhaltig Leistungen gegen Entgelt erbringt. Hieran fehlt es z.B. bei einer hoheitlichen Tätigkeit, bei der entweder keine entgeltlichen Leistungen erbracht werden oder es aber zumindest an einem wettbewerbsrelevanten Verhalten fehlt. Dementsprechend hat der V. Senat in seinem Urteil V R 67/1434 eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen einer jPdöR (Ärztekammer) ohne eigene wirtschaftliche Tätigkeit und einer GmbH versagt, die mit der Organisation von Notdiensten in Bereitschaftsdienstpraxen eine zuvor von der jPdöR zu erledigende Aufgabe übernommen hatte und diese danach gegen Entgelt gegenüber der jPdöR erbrachte. Die Beschränkung der Organschaft auf Unternehmer bewirkt, dass die Organschaft nicht entgegen ihrem Vereinfachungszweck als reines steuerrechtliches Gestaltungsinstrument zur Vermeidung nicht abziehbarer Vorsteuerbeträge in Anspruch genommen werden kann.35 Die gegen das Urteil V R 67/14 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen.36 Auch in dem Verfahren XI R 41/1437 versagte der XI. Senat des BFH einem kommunalen Zweckverband die Anerkennung als Organträger einer umsatzsteuerlichen Organschaft mangels Vorliegen der Unternehmereigenschaft. Der Zweckverband hatte die ihm obliegende Pflicht zur 33 BFH v. 9.10.2002 – V R 64/99, BStBl. II 2003, 375 = UR 2003, 74. 34 BFH v. 2.12.2015 – V R 67/14, BStBl. II 2017, 560 = UR 2016, 199. 35 Vgl. BFH v. 2.12.2015 – V R 67/14, BStBl. II 2017, 560 = UR 2016, 199, Rz. 35 m.w.N. 36 BVerfG v. 11.1.2017 – 1 BvR 482/16, n.v. 37 BFH v. 10.8.2016 – XI R 41/14, BStBl. II 2017, 590 = UR 2017, 119.

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Trinkwasserversorgung auf einen Unternehmer übertragen, der hierfür im Gegenzug einen vertraglichen Anspruch gegen den Zweckverband auf Weiterleitung von Fördermitteln erlangte. Mangels Vorliegen einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft erbrachte der Unternehmer dadurch seine Leistung gegen Entgelt steuerbar und steuerpflichtig an den Zweckverband. Die Verwaltung nimmt beide BFH-Urteile in Abschn. 2.8. Abs. 2 Satz 9 UStAE auf. Personen, die keine Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG sind, können danach weder Organträger noch Organgesellschaft sein. b) Weiterhin Ausschluss der „Mehrmütterorganschaft“ Die Voraussetzungen für die umsatzsteuerliche Organschaft sind dem Grunde nach nicht identisch mit den Voraussetzungen der körperschaftsteuerlichen und gewerbesteuerlichen Organschaft. Eine gleichzeitige Eingliederung einer Organgesellschaft in die Unternehmen mehrerer Organträger (sog. Mehrmütterorganschaft) ist allerdings auch bei der Umsatzsteuer nicht möglich.38 Der V. Senat des BFH hält in seinem Urteil V R 36/1339 auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils „Larentia + Minerva“ und „Marenave“40 an seiner Rspr. fest, nach der es keine sog. Mehrmütterorganschaft gibt. Dem Streitfall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, ein Einzelunternehmer, hatte im Wege der Generationennachfolge sein Unternehmen auf zwei Personengesellschaften, eine Betriebsgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG und eine Besitzgesellschaft in der Rechtsform einer GbR, übertragen. Gesellschafter waren jeweils der Einzelunternehmer und seine beiden Söhne. Hierzu brachte er das Anlagevermögen in die GbR und die übrigen Wirtschaftsgüter seines Einzelunternehmens in die KG ein. Die KG setzte die bisher vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Bauunternehmen fort. Ihrem Gesellschaftsvertrag entsprechend stellte die GbR der KG das Anlagevermögen „unentgeltlich zur uneingeschränkten Nutzung“ zur Verfügung.

Zwischen der Betriebs- und der Besitzgesellschaft lag keine Organschaft vor. Es fehlte schon an der finanziellen Eingliederung, da weder die KG an der GbR noch die GbR an der KG über eine eigene Mehrheitsbeteiligung verfügte. Zwar steht die Beteiligung einer natürlichen Person der Einbeziehung der Personengesellschaft in den Organkreis nicht entgegen,

38 BFH v. 30.4.2009 – V R 3/08, BStBl. II 2013, 873 = UR 2009, 639. 39 BFH v. 3.12.2015 – V R 36/13, BStBl. II 2017, 563 = UR 2016, 204. 40 BFH v. 3.12.2015 – V R 36/13, BStBl. II 2017, 563 = UR 2016, 204.

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wenn die natürliche Person der Organträger ist.41 Die Einbeziehung der Personengesellschaft setzt dann aber voraus, dass an ihr nur eine natürliche Person als Organträger beteiligt ist, da es keine Mehrmütterorganschaft gibt. Die Verwaltung hat das BFH-Urteil V R 36/13 in Abschn. 2.8. Abs. 3 Satz 2 UStAE aufgenommen. c) Komplementär-GmbH als Organgesellschaft Eine Kapitalgesellschaft ist stets selbständig, wenn sie nicht nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert ist; dies gilt insbes. hinsichtlich ihrer gegen Entgelt ausgeübten Geschäftsführungs- und Vertretungsleistungen gegenüber einer Personengesellschaft.42 Auch das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gegenüber der juristischen Person als Geschäftsführerin führt nicht zur Unselbständigkeit. Nach der bisherigen Auffassung der Verwaltung in Abschn. 2.2. Abs. 6 Satz 3 UStAE übt jedoch die Komplementär-GmbH einer KG, die zu 100 % unmittelbar an dieser GmbH beteiligt ist (sog. Einheits-GmbH & Co KG), bei Vorliegen der übrigen Eingliederungsvoraussetzungen ihre Geschäftsführungs- und Vertretungsleistung gegenüber der KG als deren Organgesellschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht selbständig aus. Diese Auffassung der Verwaltung war vor dem Hintergrund nicht unumstritten, dass allein die Komplementär-GmbH befähigt ist, an der Willensbildung mitzuwirken.43 Danach könne die KomplementärGmbH nicht gleichzeitig in die KG derart eingegliedert sein, dass die KG den Willen der Komplementär-GmbH bestimme. Ein Geschäftsführer könne nicht demjenigen untergeordnet sein, dessen Geschäfte er führt.44 Unter Berücksichtigung des BFH-Urteils V R 15/14, nach dem es für die Organschaft anstelle eines Über- und Unterordnungsverhältnisses auf eine Eingliederung mit Durchgriffsrechten ankommt,45 dürften auch die Kritiker zu einer geänderten Beurteilung bezüglich der Möglichkeit der nicht selbständigen Eingliederung der Komplementär-GmbH in die Organschaft mit der KG gelangen. Denn entscheidend ist nach der aktuel41 Vgl. Ausführungen unter 1.b zur „Ein-Mann-GmbH & Co KG“ als umsatzsteuerrechtliche Organschaft. 42 BFH v. 6.6.2002 – V R 43/01, BStBl. II 2003, 36 = UR 2002, 422. 43 BFH v. 14.12.1978 – V R 85/74, BStBl. II 1979, 288 = UR 1979, 81. 44 Zu den unterschiedlichen Rechtsauffassungen der sog. Einheits-GmbH & Co KG als umsatzsteuerrechtliche Organschaft vgl. umfassend Liebgott, UR 2016, 86–92. 45 Vgl. die Ausführungen unter 2. und 2.a.

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len Rspr. des BFH die Einheitlichkeit der Willensbildung, die eine Erfüllung der für den gesamten Organkreis bestehenden steuerrechtlichen Verpflichtungen ermöglicht, nicht mehr jedoch, wer wem gegenüber untergeordnet ist. Die Verwaltung greift diesen Gesichtspunkt durch eine Änderung in Abschn. 2.2. Abs. 6 Satz 3 und Abschn. 2.8. Abs. 2 Satz 8 UStAE auf. Danach reicht es für die Eingliederung der KomplementärGmbH in die KG aus, wenn diese mehrheitlich an der KomplementärGmbH beteiligt ist.

4. Organschaft – Insolvenzverfahren a) Ende der Organschaft mit Insolvenzeröffnung Umsatzsteuerrechtlich begründet die Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG die Zusammenfassung der Unternehmen mehrerer Personen zu einem Unternehmen. Anders als das Umsatzsteuerrecht mit der Organschaft fasst das Insolvenzrecht die Verfahren mehrerer Personen nicht zusammen. Es enthält keine Regelungen, die im Fall einer Konzerninsolvenz ein einheitliches Insolvenzverfahren für mehrere Gesellschaften des Konzerns ermöglichen. Sowohl hinsichtlich der Feststellung des Insolvenzgrunds als auch in Bezug auf die Abwicklung des Insolvenzverfahrens bleiben verbundene Unternehmen daher insolvenzrechtlich selbständig. Dabei scheidet die Bildung einer einheitlichen Haftungsmasse bestehend aus mehreren rechtlich selbständigen Konzerngesellschaften aus, da ansonsten der unterschiedliche Umfang der Gläubigerrechte, wie sie im Verhältnis zu den einzelnen Insolvenzschuldnern bestehen, missachtet würde. Die Insolvenz eines herrschenden Unternehmens erstreckt sich daher nach geltendem Insolvenzrecht nur auf dessen Vermögen, nicht dagegen auf das Vermögen seiner Tochtergesellschaften. Die Vermögensmassen insolvenzfähiger Gesellschaften und Personen sind dementsprechend trotz konzernmäßigen Verbunds getrennt abzuwickeln, so dass es keine Konzerninsolvenz gibt (insolvenzrechtlicher Einzelverfahrensgrundsatz).46 Vor diesem Hintergrund hat der V. Senat des BFH in dem Verfahren V R 14/16 entschieden, dass mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft die Organschaft endet.47

46 BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305, Rz. 20 m.w.N. 47 BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305.

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Die Verwaltung hat diesen Leitsatz in Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 1 UStAE übernommen. Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, eine GmbH, war als Organträgerin unmittelbar bzw. über eine Tochtergesellschaft mit mehreren Gesellschaften organschaftlich verbunden. Sie stellte für sich und ihre Tochtergesellschaften Insolvenzantrag und beantragte Eigenverwaltung. Das FA ebenso wie das FG gingen davon aus, dass die Organschaft zwischen der Klägerin und ihren Tochtergesellschaften auch nach der Insolvenzeröffnung fortbestanden habe und der Umsatzsteueranspruch auch insoweit Masseverbindlichkeit sei, als er auf die Umsatztätigkeit der Tochtergesellschaften entfalle.

Diese Auffassung konnte in Anbetracht der vorstehenden Ausführungen zum Ende der Organschaft mit Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers keinen Bestand haben. Der Umsatzsteueranspruch für eine Umsatztätigkeit der Insolvenzmasse nach Insolvenzeröffnung ist zwar Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da es sich um eine durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Verbindlichkeit handelt. Dies gilt aber nur für den Umsatzsteueranspruch aus der eigenen Umsatztätigkeit des bisherigen Organträgers und nicht auch für den Umsatzsteueranspruch, der auf die Umsatztätigkeit seiner bisherigen Organgesellschaften entfällt. Denn die Umsatzsteuer für die Umsatztätigkeit dieser Organgesellschaft gehört nicht zur Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, die sich auf das rechtlich eigene Vermögen des bisherigen Organträgers bezieht und sich nicht auf das Vermögen der bisherigen Organgesellschaften erstreckt.48 In der Folge begründet die Umsatztätigkeit der bisherigen Organgesellschaft in der Insolvenz des bisherigen Organträgers keine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Vielmehr führt die auch umsatzsteuerrechtlich zu beachtende insolvenzrechtliche Trennung dazu, dass sich der Umsatzsteueranspruch aus der Umsatztätigkeit der bisherigen Organgesellschaft nunmehr gegen diese selbst richtet. Bei der Annahme einer fortbestehenden Organschaft bestünde demgegenüber für das FA nur die Möglichkeit, einen auf die eigene Umsatztätigkeit des Organträgers beschränkten Steuerbescheid zu erlassen und die Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch zu nehmen. Dies ist nach Auffassung des BFH mit dem umsatzsteuerrechtlichen Grundsatz der organ-

48 Vgl. BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305, Rz. 24.

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schaftlichen Unternehmenseinheit und der mit der Organschaft bezweckten Verwaltungsvereinfachung nicht vereinbar.49 Der BFH stellt auch klar, dass unabhängig von den Verhältnissen beim Organträger die Organschaft jedenfalls mit der Insolvenzeröffnung bei der Organgesellschaft endet, da (spätestens) zu diesem Zeitpunkt die finanzielle Eingliederung entfällt. Insoweit verweist der BFH auf seine gefestigte Rspr. zur Beendigung der Organschaft mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters,50 die die Verwaltung nunmehr in Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 4 UStAE aufgenommen hat. Zur Beendigung der Organschaft mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft kommt es nach Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 5 UStAE auch in den Fällen, in denen für den Organträger und die Organgesellschaft ein personenidentischer Insolvenzverwalter bestellt wird.51 Dies ist ebenfalls eine notwendige Folge aus der insolvenzrechtlichen Verfahrenstrennung. b) Eigenverwaltung Der Umstand, dass bei der Eigenverwaltung die Unternehmenssanierung, nicht aber die Verwertung des Unternehmens im Vordergrund steht, ändert nicht, dass die Ziele des Insolvenzverfahrens nichts am Umfang der dem Insolvenzverfahren unterliegenden Haftungsmasse ändern. Nur soweit durch die Insolvenzmasse Umsatzsteueransprüche begründet werden, liegen nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Masseverbindlichkeiten vor. Damit ist auch die Anordnung der Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren des Organträgers ohne Bedeutung. Denn sie ändert nichts an der insolvenzrechtlichen Verfahrenstrennung. Es gelten somit dieselben Grundsätze wie bei der Bestellung eines Insolvenzverwalters in den Insolvenzverfahren von Organträger und Organgesellschaft. Die Verwaltung greift diesen Aspekt aus dem BFH-Urteil V R 14/1652 in Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 2 UStAE auf. Das Ende der Organschaft gilt danach jeweils auch bei Bestellung eines Sachwalters im Rahmen der Eigenverwaltung nach 49 Vgl. BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305, Rz. 25. 50 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BStBl. II 2017, 543 = UR 2013, 785; v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117. 51 Vgl. BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305, Rz. 39. 52 Vgl. BFH v. 15.12.2016 – V R 14/16, BStBl. II 2017, 600 = UR 2017, 305, Rz. 26, 27, 39.

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§§ 270 ff. InsO. Das gilt nach Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 5 UStAE auch in den Fällen, in denen für den Organträger und die Organgesellschaft ein personenidentischer Sachwalter bestellt wird. Die o.a. Grundsätze zur Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile auch in den Fällen der Eigenverwaltung sprechen m.E. dafür, die vom BFH im Jahr 2010 entwickelten Grundsätze zur rechtlichen Uneinbringlichkeit von Forderungen mit der Folge der ersten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und einer zweiten Berichtigung gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG nach Vereinnahmung in der Masse53 ebenfalls in Fällen der Eigenverwaltung anzuwenden. Das entspricht wohl auch der aktuellen Auffassung der Finanzverwaltung, da es umsatzsteuerlich nach Insolvenzeröffnung auch in Fällen der Eigenverwaltung zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile kommt, zwischen denen einzelne umsatzsteuerliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht mehr miteinander verrechnet werden können. Obgleich der Schuldner im Fall der Eigenverwaltung selbst mit Verfügungsbefugnis handeln kann, ist der Schuldner jetzt als Vertreter der Insolvenzmasse anzusehen. Der BFH hat die Uneinbringlichkeit der Entgeltforderungen aus Rechtsgründen seinerzeit u.a. damit begründet, dass der Unternehmer selbst nicht mehr in der Lage ist, rechtswirksam Forderungen in seinem bzw. für seinen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zu vereinnahmen, da die Schuldner ausschließlich in die Insolvenzmasse zu leisten haben. Entscheidender Grund für die Annahme einer „Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen“ ist somit die fehlende Möglichkeit der Vereinnahmung in dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil.54 Dies trifft auch in Fällen der Eigenverwaltung zu. Das FG Baden-Württemberg hat die Auffassung der Finanzverwaltung inzwischen bestätigt.55 Das Revisionsverfahren ist beim BFH anhängig.56

53 54 55 56

Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE. BFH v. 9.12.2010 – V R 22/10, BStBl. II 2011, 996 = UR 2011, 551. FG Bad.-Württ. v. 15.6.2016 – Az. 9 K 2564/14, EFG 2016, 1565. Az. V R 45/16.

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c) Ende der Organschaft vor Insolvenzeröffnung Der V. Senat des BFH hatte bereits im Jahr 2013 entschieden, dass spätestens bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft mit dessen Bestellung die Organschaft endet.57 Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die beim Einbau von Heizungs-, Lüftungs-, Sanitär- und Klimaanlagen sowie im Trockenausbau steuerpflichtige Leistungen erbrachte. Der Kläger hatte Geschäftsräume an die GmbH vermietet. Er versteuerte die Umsätze der GmbH als deren Organträger. Im März 2002 beantragte der Kläger für die GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Zahlungsunfähigkeit, danach bestellte das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Während des Eröffnungsverfahrens wurden Bauvorhaben fortgeführt und Restarbeiten vorgenommen. Die GmbH stellte ihren Geschäftsbetrieb zum 31.3.2002 ein. Das Insolvenzgericht eröffnete mit Beschluss vom 20.8.2002 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH. Das FA berichtigte den von der GmbH in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug bei Insolvenzeröffnung insoweit wegen Uneinbringlichkeit gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG und richtete die daraus resultierende Steuernachforderung an den Kläger als Organträger. Das FG bestätigte die Rechtsauffassung des FA.

Der BFH hob das FG-Urteil jedoch auf. Da die Organschaft im Streitfall bereits aufgrund der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt endete, hatte der Kläger die im Anschluss an diese Bestellung ausgeführten Umsätze der GmbH nicht mehr zu versteuern. In Bezug auf den vom FA gegen den Kläger geltend gemachten Vorsteuerberichtigungsanspruch nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG muss das FG im zweiten Rechtsgang beachten, dass die Organschaft zwar bereits aufgrund der Bestellung des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt geendet hat, dass die nach dieser Vorschrift erforderliche Uneinbringlichkeit im selben Zeitpunkt womöglich jedoch schon früher bestand und sich der Vorsteuerberichtigungsanspruch daher gegen den Kläger als Organträger richten könnte. Mit Urteil vom 24.8.201658 hat der BFH entsprechend der vorstehend erläuterten Entscheidung an seiner Auffassung festgehalten, wonach die Organschaft spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft entfällt.59 Die Verwaltung nimmt in Abschn. 2.8. Abs. 12 57 BFH v. 8.8.2013 – V R 18/13, BStBl. II 2017, 543 = UR 2013, 785. 58 BFH v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117. 59 BFH v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117, Rz. 15.

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Satz 3 und 4 UStAE Bezug auf die Leitsätze der beiden BFH-Urteile hinsichtlich der Beendigung der Organschaft bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Wird im Rahmen der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, endet die Organschaft danach mit dessen Bestellung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter maßgeblichen Einfluss auf den Schuldner erhält und eine Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger nicht mehr möglich ist. Dies ist insbes. der Fall, wenn der vorläufige Insolvenzverwalter wirksame rechtsgeschäftliche Verfügungen des Schuldners aufgrund eines Zustimmungsvorbehalts nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO verhindern kann. Zur Beendigung der Organschaft über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters kommt es nach Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 5 UStAE auch in den Fällen, in denen für den Organträger und die Organgesellschaft ein personenidentischer vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird. Aktuell hat sich auch der XI. Senat des BFH der Rechtsauffassung des V. Senats angeschlossen und die Beendigung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft nach Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft bejaht.60 Die unter 4.b angesprochenen Grundsätze zur Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen finden auch im Fall der Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt61 und dem Recht zum Forderungseinzug62 Anwendung.63 Steuerbeträge aus Umsätzen, die der Unternehmer vor Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters mit den genannten rechtlichen Befugnissen erbracht hat, sind daher nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen. Gleiches gilt für die Steuerbeträge aus Umsätzen, die der Unternehmer danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt. Im Anschluss an die Uneinbringlichkeit kommt es durch die Vereinnahmung des Entgelts nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Dem steht nicht entgegen, dass die erste Berichtigung aufgrund Uneinbringlichkeit und die zweite Berichtigung aufgrund nachfolgender Vereinnahmung 60 61 62 63

BFH v. 28.6.2017 – XI R 23/14, BFHE 258, 517 = UR 2017, 921. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO. §§ 22 Abs. 2, 23 InsO. BFH v. 24.9.2014 – V R 48/13, BStBl. II 2015, 506 = UR 2015, 192.

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ggf. im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen. Die aufgrund der während des Insolvenzeröffnungsverfahrens erfolgenden Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO.64 Erfolgt die Entgeltvereinnahmung erst während des eröffneten Insolvenzverfahrens, begründet die dadurch entstehende Steuerberichtigung eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.65 Schließlich hat das FG Münster66 zuletzt entschieden, dass die umsatzsteuerliche Organschaft mangels organisatorischer Eingliederung auch mit Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung nach § 270a InsO über das Vermögen der Organträgerin und einer Organgesellschaft endet. Folgerichtig soll das Ende der Organschaft auch dann eintreten, wenn für beide Gesellschaften ein personenidentischer vorläufiger Sachwalter bestellt wird. Das FG leitet seine Entscheidung aus dem o.a. vom BFH wiederholt betonten insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatz ab. Auf die zusätzliche Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach § 21 InsO soll es danach nicht ankommen. Die Revision ist inzwischen beim BFH anhängig.67 Dort wird als letzte noch ungeklärte insolvenzrechtliche Konstellation nun zu klären sein, ob eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft durch Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung mit Bestellung eines vorläufigen Sachwalters endet, wenn das Gericht neben der vorläufigen Eigenverwaltung zugleich einen Vollstreckungsschutz gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO68 angeordnet hat und ob die erforderliche Eingliederung mit Durchgriffsmöglichkeit aufgrund der einschränkenden Regelungen des § 276a Satz 1 InsO entfällt.69 Damit einher geht es in diesem Verfahren um die Frage, ob im Eröffnungsverfahren nach § 270a InsO Masseverbindlichkeiten begründet werden können. Soweit

64 Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 13 UStAE; wegen der Einzelheiten zum Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO vgl. BMF v 20.5.2015 – IV A 3 - S 0550/10/10020-05 – DOK 2015/0416027, BStBl. I 2015, 476 = UR 2015, 526; v. 18.11.2015 – IV A 3 - S 0550/10/10020-05 – DOK 2015/1037464, BStBl. I 2015, 886 = UR 2015, 968. 65 Vgl. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE. 66 FG Münster v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15, EFG 2017, 1756. 67 Az. BFH XI R 35/17. 68 Nach dieser Vorschrift kann das Gericht insbes. Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. 69 Anm. Kruth, MwStR 2018, 47 zu dem Urteil des FG Münster v. 7.9.2017 – 5 K 3123/15.

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wollte die Verwaltung in ihrem Schreiben vom 26.5.2017 offensichtlich ohne vorherige entsprechende Entscheidung durch den BFH nicht gehen. d) Zeitliche Anwendung Die unter 4.a–4.c erläuterten Änderungen in Abschn. 2.8. Abs. 12 UStAE zum Ende der Organschaft im Kontext zu Insolvenzverfahren sind in allen offenen Fällen anzuwenden.70 e) Keine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften In dem unter 4.c angesprochenen und in Abschn. 2.8. Abs. 12 Satz 4 UStAE zitierten BFH-Urteil V R 36/1571 hat der BFH nicht nur zum Ende der Organschaft mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt Stellung genommen, sondern darüber hinaus auch unter Berücksichtigung aller Vorgaben des Unionsrechts an der bisherigen Rspr. festgehalten, wonach zwischen Schwestergesellschaften keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG besteht.72 Im Streitfall waren Gesellschafter einer GmbH neun natürliche Personen und eine GbR, die sämtlich zugleich auch alleinige Gesellschafter einer KG waren. Die KG hatte Vermögensgegenstände an die GmbH für deren unternehmerische Tätigkeit verpachtet. Die KG hatte sich über mehrere Jahre zu Unrecht als Organträger ihrer Schwester-GmbH angesehen. Kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH machte die KG geltend, dass es für eine Organschaft an der organisatorischen Eingliederung fehle. Daraufhin erstattete das FA die Umsatzsteuer an die KG, die die Auszahlung dieser Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren nach Geltendmachung des Insolvenzverwalters an die GmbH weiterleitete. Als das FA die für die Umsatztätigkeit der GmbH geschuldete Umsatzsteuer gegen die GmbH als Steuerschuldner zur Insolvenztabelle anmeldete, widersprach der Insolvenzverwalter dem und stützte sich hierfür insbes. auf die Rechtsgrundsätze des Vertrauensschutzes sowie von Treu und Glauben.

Dem folgte der BFH nicht. Der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes stehen einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen 70 BMF v. 26.5.2017 – III C 2 - S 7105/15/10002 – DOK 2017/0439168, BStBl. I 2017, 790 = UR 2017, 522, Rz. 4. 71 BFH v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117. 72 BFH v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117, Rz. 14.

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wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat.73 Die Verwaltung zitiert das BFH-Urteil V R 36/1574 bezüglich der Versagung einer Organschaft zwischen Schwestergesellschaften auch in Abschn. 2.8. Abs. 5b Satz 4 UStAE. Eine finanzielle Eingliederung setzt eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft voraus. Ist eine Kapital- oder Personengesellschaft nicht selbst an der Organgesellschaft beteiligt, reicht es für die finanzielle Eingliederung nicht aus, dass nur ein oder mehrere Gesellschafter auch mit Stimmenmehrheit an der Organgesellschaft beteiligt sind. In diesem Fall ist keine der beiden Gesellschaften in das Gefüge des anderen Unternehmens eingeordnet, sondern es handelt sich vielmehr um gleich geordnete Schwestergesellschaften. Dies gilt auch dann, wenn die Beteiligung eines Gesellschafters an einer Kapitalgesellschaft ertragsteuerlich zu dessen Sonderbetriebsvermögen bei einer Personengesellschaft gehört.

III. Ausblick Es bleibt abzuwarten, ob die umsatzsteuerliche Organschaft auf der Grundlage des Status quo zukunftsfähig ist und dabei den an sie gestellten Erfordernissen gerecht werden kann. Der BFH hat mit der Vielzahl seiner aktuellen Entscheidungen zunächst einmal eine Brücke geschlagen, auf deren Grundlage das nationale Recht in einer zutreffenden unionsrechtlichen Auslegung auch weiterhin angewendet werden kann. Die Verwaltung hat mit ihrem Schreiben vom 26.5.2017 sicherlich einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Rechtsanwender aus Wirtschaft, Beratung und Verwaltung leichter nachvollziehen können, wo sich aufgrund der Rspr. Änderungen ergeben, obwohl diese nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut abgeleitet werden können, und wo schon bislang zu beachtende Vorgaben auch in Zukunft zu beachten sind. Das betrifft die Eingliederung von Personengesellschaften unter bestimmten, engen Voraussetzungen auf der einen Seite und die Manifestierung der bisherigen finanziellen und organisatorischen Eingliederungsvoraussetzungen auf der anderen Seite. Abschn. 2.8. UStAE kann dabei als „Gebrauchsanleitung“ für den Umgang mit diesem schwierigen Themenfeld der 73 BFH v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117, Rz. 16, 19 und 20. 74 BFH v. 24.8.2016 – V R 36/15, BStBl. II 2017, 595 = UR 2017, 117.

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Umsatzsteuer herangezogen werden. Insbesondere aus Sicht der von den Änderungen möglicherweise betroffenen Unternehmen ist es auch zu begrüßen, dass die Verwaltung der Wirtschaft in ihrem Schreiben vom 26.5.2017 eine zeitliche Übergangsregelung bis zum 1.1.2019 eingeräumt hat. Strukturen miteinander verbundener Unternehmen können so überprüft und ggf. angepasst werden. Und doch bleibt es am Ende dabei, dass die Rechtsfolge „ja“ oder „nein“ zum Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG mit den sich daraus zwingend abzuleitenden Folgen je nach Ausgestaltung auch in Zukunft das Ergebnis einer komplizierten rechtlichen Beurteilung sein wird, die wegen nach wie vor vorhandener Interpretationsspielräume zu den Eingliederungsmerkmalen womöglich unterschiedlich ausfallen kann. Solange es ferner dabei bleibt, dass die Beteiligten bis zur ersten Veranlagung oder gar bis zur Betriebsprüfung selbst feststellen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Organschaft vorliegen, besteht Rechtsunsicherheit mit erheblichen steuerlichen Risiken für die Betroffenen, aber auch für den Fiskus. Das machen insbes. die vom BFH aktuell entschiedenen Fälle deutlich, in denen sich die Frage nach dem Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft im Kontext mit einer Insolvenz des vermeintlichen Organträgers bzw. seiner Tochtergesellschaft stellte. Selbst wenn Fehleinschätzungen bei der Rückabwicklung einer irrtümlich über Jahre angenommenen Organschaft im Nachhinein noch korrigiert werden, können sich erhebliche Zinsnachteile ergeben. Bei Insolvenzen im Organkreis besteht zudem die Gefahr erheblicher Steuerausfälle. Vor diesem Hintergrund sind Forderungen nicht nur nachvollziehbar, sondern m.E. ausdrücklich zu begrüßen, die die umsatzsteuerliche Organschaft auf eine neue, mehr als bislang unmittelbar an das Unionsrecht angelehnte Grundlage stellen wollen. Die Spitzenverbände der deutschen gewerblichen Wirtschaft haben hierzu gemeinsam mit der Deutschen Kreditwirtschaft bereits am 14.12.2016 in einem Schreiben an das BMF deutlich Stellung bezogen und einen ersten Diskussionsentwurf für ein mögliches Konzept für ein Antragsverfahren übersandt. Mit der gesetzlichen Einführung eines Antragsverfahrens könnten aus Sicht der Wirtschaft Rechtsunsicherheiten für die Unternehmen beseitigt und gleichzeitig die Transparenz für die Finanzverwaltung erhöht werden. Die Bundessteuerberaterkammer bezieht in ihrem Schreiben vom 31.1.2017 ebenfalls deutlich Position und spricht sich für ein gesetzlich geregeltes Antrags- oder Feststellungsverfahren aus. 567

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Ausgehend von dem Standpunkt eines Konsenses aller Beteiligten über die Notwendigkeit einer Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft wäre es zu begrüßen, wenn sich die neue Bundesregierung dieses Themas im Rahmen der steuerpolitischen Zielfestlegungen zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts in Deutschland für die kommende Legislaturperiode annehmen würde. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Projekts könnte einen wirksamen Beitrag zu mehr Rechtssicherheit, zur Sicherung des Steueraufkommens und nicht zuletzt auch für weniger Bürokratie schaffen. Eine radikale Alternative hierzu, die unionsrechtlich möglich und dogmatisch nachvollziehbar wäre, die Abschaffung der umsatzsteuerlichen Organschaft, scheint dagegen aus wirtschaftspolitischen Gründen von vornherein ausgeschlossen. M.E. sollte geprüft werden, den Automatismus der umsatzsteuerlichen Organschaft in Abhängigkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen durch die gesetzliche Implementierung eines kombinierten Antrags- bzw. Feststellungsverfahrens zu ersetzen. Antragsverfahren Während sich die Wirtschaftsverbände ein Antragsverfahren auf der Grundlage der Beibehaltung der Eingliederungsvoraussetzungen nach derzeitiger Gesetzeslage vorstellen können, sollten diese m.E. nach der Reform nicht mehr bedingenden, sondern nur noch indiziellen Charakter haben. Wenn die umsatzsteuerliche Organschaft zukünftig an den Grundtatbestand des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL angepasst werden soll, ist nicht mehr ein Unternehmen im Wege der Unterordnung nichtselbständig in das Unternehmen eines Organträgers eingeordnet, der das untergeordnete Unternehmen beherrscht. Stattdessen entsteht eine Gruppe zwar rechtlich unabhängiger, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbundener Subjekte, die zusammen als ein Stpfl. zu behandeln ist. Die enge Verbindung träte dann an die Stelle der Eingliederung mit Durchgriffsrechten.75 Ein Feststellungsverfahren, das die so verbundene Gruppe von einem bestimmten Zeitpunkt an auf Antrag feststellt, könnte das Erfordernis einer Mehrheitsbeteiligung oder einer personellen Verflechtung über Geschäftsführungsorgane als bisherige Werkzeuge der Herstellung von Rechtssicherheit zur Bestimmung des Unternehmers als Steuerschuldner überflüssig machen. Im Rahmen einer Diskussion über die Bestimmung der nach dem Unionsrecht erforderlichen Verbun75 Vgl. hierzu Wäger, UR 2016, 173 ff. unter V.2.

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denheit der Gruppenmitglieder sollte es keine Denkverbote geben. Auch Erfahrungen zur Feststellung der Verbundenheit von Unternehmen zu anderen Steuerarten könnten hierbei hilfreich sein. Vorstellbar scheint mir danach beispielsweise, das Merkmal eines Ergebnisabführungsvertrags als Indiz für die Verbundenheit von Unternehmen im Rahmen umsatzsteuerlicher Betrachtung zu instrumentalisieren. Letztlich mag es sogar ausreichen, die Verbundenheit abstrakt zu beschreiben und nicht von der Erfüllung eng definierter Tatbestandsmerkmale abhängig zu machen. Maßstab einer solchen Beschreibung sollte die Erfüllung des Zwecks der unionsrechtlichen Regelung sein, der in der Verwaltungsvereinfachung besteht, oder um bestimmte Missbräuche zu verhindern wie z.B. die Aufspaltung eines Unternehmens zwischen mehreren Stpfl., um in den Genuss einer Sonderregelung zu gelangen.76 Feststellungsverfahren Art. 11 MwStSystRL schreibt den Mitgliedstaaten, die Regelungen zur Bildung einer Mehrwertsteuergruppe treffen, nicht vor, den Stpfl. gegenüber die Bildung einer solchen Gruppe zu bestätigen. Allerdings schließt das Unionsrecht ebenso wenig eine solche Bestätigung aus. Ein derartiges Feststellungsverfahren könnte Rechtssicherheit für alle beteiligten Parteien bieten und darüber hinaus auch für Kontrollzwecke hilfreich sein. Insofern dürfte ein Feststellungsverfahren dem Grunde nach mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Bei der Ausgestaltung sind jedoch vielfältige, vor allem verfahrensrechtliche Fragestellungen zu klären. Das beginnt zum Beispiel bei der Bestimmung des Zeitpunkts, von dem an die Voraussetzungen der Mehrwertsteuergruppe vorliegen bzw. deren Folgen zu beachten sind. Zwingend regelungsbedürftig sind zum Beispiel auch Zeitpunkt und Folgen, wenn die Voraussetzungen der Mehrwertsteuergruppe nicht mehr vorliegen, was in Verbindung mit einem Antragsverfahren auch zu prüfen ist, wenn einzelne Mitglieder aus der Gruppe ausscheiden (wollen). Auch hierbei sollte die generelle Vorgabe der unionsrechtlichen Regelung als Maßstab herangezogen werden, wonach das Regelwerk zu einer Mehrwertsteuergruppe nicht ursächlich dafür sein darf, ungerechtfertigte Steuervorteile zu generieren. Das könnte u.a bedeuten, dass der Unternehmer nur solange dem Besteuerungsregime der Gruppenregelung unterliegt, wie die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Eine von der Gruppe zu bestimmende Person, die die Gruppe vertritt und für die formelle und materielle Einhaltung der umsatzsteu76 EuGH v. 9.4.2013 – C-85/11 (Kommission/Irland), UR 2013, 418.

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erlichen Vorschriften verantwortlich ist, könnte insoweit auch in die Pflicht genommen werden, dem FA entsprechende Veränderungen mitzuteilen.77 In verfahrensrechtlicher Hinsicht zu klären ist auch die Zuständigkeit für die Besteuerung der Mehrwertsteuergruppe. Womöglich sind hier neue Regelungen erforderlich. Die mit dem Projekt verbundenen Chancen vor allem unter dem Gesichtspunkt für mehr Rechtssicherheit sind es wert, über diese und weitere Fragestellungen zur Reform der umsatzsteuerlichen Organschaft zu diskutieren und sie einer tragfähigen Lösung zuzuführen.

77 Vgl. hierzu Rauch, UR 2017, 885 ff.

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(Rückwirkende) Rechnungskorrekturen Ministerialrat Stephan Filtzinger, Mainz1 Finanzministerium Rheinland-Pfalz, Mainz I. Anforderungen an die Rechnungspflichtangaben für Zwecke des Vorsteuerabzugs 1. Rechtsentwicklung am Beispiel der Pflichtangabe „vollständiger Name und Anschrift“ a) Bisherige BFH-Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung b) EuGH-Rechtsprechung c) BFH-Vorlagen V R 25/15 und XI R 20/14 d) Schlussanträge des Generalanwalts 2. EuGH-Urteil vom 15.9.2016 „Barlis 06“ a) Anforderungen an die Rechnungspflichtangaben b) Folgen mangelhafter Rechnungspflichtangaben II. Zeitliche Wirkung einer Rechnungsberichtigung 1. Rechtsentwicklung a) Bisherige EuGH-Rechtsprechung b) Nationale Rechtsprechung 2. EuGH-Urteil vom 15.9.2016 „Senatex“ III. Konsequenzen aus der EuGHRechtsprechung 1. Erfordernis einer Rechnung bleibt bestehen

2. Mindestanforderungen an eine Rechnung a) Existenzielle Mindestangaben b) Inhaltliche Anforderungen an die existenziellen Mindestangaben 3. Durchführung der Rechnungsberichtigung a) Korrigierbare Pflichtangaben b) Zeitliche Grenze der Rechnungsberichtigung c) Form der Rechnungsberichtigung d) Auswirkungen auf die Zinsfestsetzung aa) Rechtzeitige Berichtigung einer bereits abgezogenen Rechnung bb) Verspätete Berichtigung einer bereits abgezogenen Rechnung cc) Berichtigung einer noch nicht abgezogenen Rechnung e) Fälle der Steuerschuld nach § 14c UStG 4. Möglichkeit individueller Sanktionen IV. Fazit

1 Dieser Beitrag wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst.

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I. Anforderungen an die Rechnungspflichtangaben für Zwecke des Vorsteuerabzugs 1. Rechtsentwicklung am Beispiel der Pflichtangabe „vollständiger Name und Anschrift“ Der Unternehmer kann die Vorsteuer aus Eingangsleistungen für sein Unternehmen gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt aber nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass er eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Insbesondere § 14 Abs. 4 UStG enthält eine Liste von Rechnungspflichtangaben, die auf Art. 226 MwStSystRL zurückgeht. Gleichwohl sind in § 14 Abs. 6 UStG i.V.m. § 31 UStDV für bestimmte Rechnungsangaben gewisse Erleichterungen vorgesehen, um praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Sie stützen sich auf Art. 238 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL. a) Bisherige BFH-Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG erfordert eine ordnungsgemäße Rechnung u.a. auch die Angabe des vollständigen Namens und der vollständigen Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers. § 14 Abs. 6 Nr. 3 UStG i.V.m. § 31 Abs. 2 UStDV lässt dafür ausreichen, wenn sich der Name und die Anschrift des Leistenden und des Leistungsempfängers anhand der Angaben eindeutig feststellen lassen.2 Der BFH hatte allerdings mehrfach, zuletzt mit Urteil vom 22.7.2015,3 entschieden, dass hinsichtlich der Angabe des leistenden Unternehmers die Vorgaben des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG nur dann erfüllt sind, wenn unter der Anschrift eine eigene wirtschaftliche Aktivität entfaltet wird. Sowohl Sinn und Zweck der Regelungen in § 15 Abs. 1 UStG und § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG als auch das Prinzip des Sofortabzugs der Vorsteuer verlangten es, der Finanzverwaltung anhand der Rechnung eine eindeutige und leichte Nachprüfbarkeit des Tatbestandsmerkmals der Leistung eines anderen Unternehmers zu ermöglichen. Die Angabe einer Anschrift, an der im Zeitpunkt der Rechnungstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfänden, reiche daher nicht aus. In Abkehr 2 Vgl. auch Abschn. 15.2a Abs. 6 Satz 13 UStAE zu Schreibfehlern. 3 BFH v. 30.4.2009 – V R 15/07, BStBl. II 2009, 744 = UR 2009, 816; v. 22.7.2015 – V R 23/14, BStBl. II 2015, 914 = UR 2015, 796.

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von seiner bisherigen Rspr.4 lässt der BFH auch einen „Briefkastensitz“ mit nur postalischer Erreichbarkeit nicht mehr genügen.5 Der in der Rechnung angegebene Sitz der GmbH müsse bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung vielmehr tatsächlich bestanden haben. Die Feststellungslast dafür trage der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer. Es bestehe für ihn die Obliegenheit, sich über die Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu vergewissern. § 15 UStG sehe den Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen nicht vor. Vertrauensschutz könne daher nicht im Festsetzungsverfahren, sondern nur im Rahmen einer Billigkeitsmaßnahme gem. §§ 163, 227 AO gewährt werden, wobei die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden sei.6 Wird der Billigkeitsantrag dagegen erst nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung gestellt, bleibt es bei einem zweistufigen Verfahren. Die Finanzverwaltung wendet diese Rspr. des BFH nur an, soweit es Name und Anschrift des leistenden Unternehmers betrifft. In Bezug auf die Pflichtangabe der Anschrift des Leistungsempfängers soll dagegen eine Postfachanschrift ausreichend sein, weil hier kein Steuerausfallrisiko drohe.7 b) EuGH-Rechtsprechung Der EuGH hatte zur Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung aus Rechnungen mit ungenauen oder falschen Angaben dagegen bereits früher einen weniger formalen Standpunkt eingenommen als der BFH.8 Er stellte zumindest hinsichtlich der Angabe von Strohmännern als Leistende oder von Scheinsitzen darauf ab, ob aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Leistungsempfänger wusste oder hätte wissen müssen, dass dieser Umsatz in eine vom Liefernden bzw. vom Leistenden oder einem an-

4 5 6 7

BFH v. 19.4.2007 – V R 48/04, BStBl. II 2009, 315 = UR 2007, 693. BFH v. 22.7.2015 – V R 23/14, BStBl. II 2015, 914 = UR 2015, 796, Rz. 25. BFH v. 22.7.2015 – V R 23/14, BStBl. II 2015, 914 = UR 2015, 796, Rz. 31 f. Abschn. 14.5 Abs. 2 Satz 3 UStAE, vgl. auch BMF v. 13.9.2016 – III C 2 S 7280-a/07/10005 :002, UR 2016, 936. 8 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11 und C-142/11 (Mahagében und Dávid), UR 2012, 591; v. 6.12.2012 – C-285/11 (Bonik), UR 2013, 195; v. 13.2.2014 – C-18/13 (Maks Pen), UR 2014, 861.

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Filtzinger, (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen – Verwaltungssicht

deren Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.9 Mit dem Urteil „Stehcemp“ vom 22.10.201510 setzte der EuGH diese Rechtsprechungslinie in einem Fall, in dem die betroffenen Umsätze nicht von der in der Rechnung als leistender Unternehmer angegebenen Person ausgeführt worden waren, fort. Der Vorsteuerabzugsrecht dürfe hier nicht mit der Begründung versagt werden, dass die Rechnung von einem Wirtschaftsteilnehmer ausgestellt wurde, der (…) als ein nicht existenter Wirtschaftsteilnehmer anzusehen ist, und dass es unmöglich ist, die Identität des tatsächlichen Lieferers der Gegenstände festzustellen. Etwas anderes gelte nur, wenn aufgrund objektiver Anhaltspunkte und ohne von dem Stpfl. ihm nicht obliegende Überprüfungen zu fordern dargelegt wird, dass dieser Stpfl. wusste oder hätte wissen müssen, dass diese Lieferung im Zusammenhang mit einer Mehrwertsteuerhinterziehung steht. Der EuGH hält also die Kenntnis des Leitungsempfängers von dem wahren Sachverhalt und nicht allein die vorliegend objektiv falsche Rechnungsangabe für entscheidungserheblich. Letztere betrachtet er lediglich als formelle Bedingung für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts. Für dessen Entstehen stellt der EuGH dagegen auf das Vorliegen der materiellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen ab. Damit kann er zu dem Ergebnis kommen, dass trotz fehlender oder fehlerhafter Rechnungsangaben im Fall der Gutgläubigkeit des Rechnungsempfängers in Bezug auf einen zum Vorsteuerabzug berechtigenden tatsächlichen Sachverhalt der Vorsteuerabzug zu gewähren ist. c) BFH-Vorlagen V R 25/15 und XI R 20/14 Die EuGH-Entscheidung „Stehcemp“ hat die beiden Umsatzsteuersenate des BFH dazu bewogen, die bisherige nationale Rspr. in zwei Vorlagebeschlüssen vom 6.4.201611 zu hinterfragen. Zugrunde liegt zum einen ein Fall, in dem eine Anschrift des leistenden Unternehmers angegeben war, an der für die geschäftlichen Aktivitäten ungeeignete Räumlichkei-

9 EuGH v. 21.6.2012 – C-80/11 und C-142/11 (Mahagében und Dávid), UR 2012, 591, Rz. 45. 10 EuGH v. 22.10.2015 – C-277/14 (PPUH Stehcemp), DB 2015, 2799 = UR 2015, 917. 11 BFH v. 6.4.2016 – V R 25/15, UR 2016, 598; v. 6.4.2016 – XI R 20/14, UR 2016, 604.

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ten angemietet waren.12 Der zweite Fall betrifft einen „Briefkastensitz“, unter der der leistende Unternehmer lediglich postalisch erreichbar war und wo tatsächlich keine geschäftlichen Aktivitäten stattgefunden haben.13 Beide Senate sehen als klärungsbedürftig an, ob der Vorsteuerabzug die Angabe einer Anschrift des Stpfl. voraussetzt, unter der er seine wirtschaftlichen Tätigkeiten entfaltet. Den Vorlagebeschlüssen ist allerdings zu entnehmen, dass die beiden Senate hierzu gegensätzliche Auffassungen vertreten: Nach Ansicht des V. Senats meint der Begriff der „vollständigen Anschrift des Steuerpflichtigen“ in Art. 226 MwStSystRL nur die zutreffende Anschrift; die Angabe einer Scheinadresse, an der keine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet werden, sei damit nicht zu vereinbaren, so dass auch ein bloßer „Briefkastensitz“ nicht ausreiche. Der XI. Senat neigt dagegen der Auffassung zu, dass im Hinblick auf das Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers nach Art. 168 Buchst. a MwStSystRL nicht entscheidend ist, ob unter der in der Rechnung angegebenen Adresse i.S.v. Art. 226 Nr. 5 MwStSystRL eine wirtschaftliche Tätigkeit des Leistenden ausgeübt wird. Die beiden BFH-Vorlagen betreffen zudem die Frage, in welchem Verfahren ggf. ein Schutz des guten Glaubens geltend zu machen ist. Auch hier offenbaren sich Unterschiede in der Beurteilung der beiden Senate. Während der V. Senat an seiner bisherigen Sicht festhalten will, dass diese Frage nur im Billigkeitsverfahren zu prüfen ist, hält es der XI. Senat nicht für ausgeschlossen, dass im Fall des guten Glaubens abweichend von der nationalen Praxis der Vorsteuerabzug trotz des Fehlens einzelner materieller oder formeller Merkmale zu gewähren ist.14 d) Schlussanträge des Generalanwalts Die Schlussanträge des Generalanwalts Wahl15 vom 5.7.2017 lassen die Erwartung zu, dass der EuGH sich dem V. Senat nicht anschließen wird. Der Generalanwalt greift darin die bisherige EuGH-Rspr. auf, wonach 12 EuGH-Rechtssache Butin, C-375/15 (Vorlage durch BFH v. 6.4.2016 – V R 25/15). 13 EuGH-Rechtssache Geissel, C-374/16 (Vorlage durch BFH v. 6.4.2016 – XI R 20/14). 14 BFH v. XI R 20/14, UR 2016, 604, Rz. 60. 15 Schlussanträge v. 5.7.2017 – C-374/16 und C-375/16, UR 2017, 629. Die Entscheidung des EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Butin und Geissel), UR 2017, 960, lag zur Zeit des Kongresses noch nicht vor.

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zwischen materiellen Voraussetzungen (Lieferung oder sonstige Leistung an einen Unternehmer für dessen Unternehmen durch einen anderen Unternehmer) und formellen Voraussetzungen (Rechnung) für den Vorsteuerabzug zu unterscheiden ist. Hinsichtlich der Adressangabe in der Rechnung hält er die strenge Sicht des V. Senats, wonach stets eine Adresse anzugeben ist, an der der Aussteller seine wirtschaftliche Aktivität entfaltet, für unionsrechtswidrig. Sie folge nicht aus dem Wortlaut und entspreche auch nicht Sinn und Zweck der Regelung. Diese diene nämlich neben der Sicherstellung der Steuerentrichtung der Kontrolle des Vorsteuerabzugsrechts. Dies erfordere aber nicht die Angabe einer Anschrift, an der der leistende Unternehmer real präsent ist. Die Mitgliedstaaten hätten eine Vielfalt von (anderen) Informationen und seien nicht auf die angegebene Anschrift in einer Rechnung angewiesen. Zudem sei es angesichts der Vielfalt unternehmerischer Aktivitäten ohnehin nicht überzeugend, die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit an der angegebenen Anschrift zu erwarten.16 Zu den Anforderungen an den guten Glauben verweisen die Schlussanträge dagegen auf die Einzelfallumstände. Der Stpfl. sei zu besonderer Sorgfalt verpflichtet, wenn er von möglichen Steuerhinterziehungen oder Unregelmäßigkeiten des Lieferers wusste oder hätte wissen müssen. Immerhin stellt der Generalanwalt klar, dass das jedenfalls nicht allein schon wegen der Unvollständigkeit oder Fehlerhaftigkeit der Adressangabe in der Rechnung anzunehmen sei. Denn dieser Umstand sei für den Rechnungsempfänger u.U. nur schwer erkennbar.17 Die Antwort auf die Frage, ob der gute Glaube nur im Billigkeitsverfahren geprüft werden kann, will der Generalanwalt wegen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dem BFH überlassen. Es sei dabei allerdings der Effektivitätsgrundsatz zu beachten. Das Billigkeitsverfahren dürfe daher hinsichtlich seiner Länge, Komplexität und der damit verbundenen

16 Schlussanträge v. 5.7.2017 – C-374/16 und C-375/16, UR 2017, 629, Rz. 40–44; siehe dazu die zwischenzeitlich ergangene Vorabentscheidung des EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Butin und Geissel), UR 2017, 960, die insoweit dem Generalanwalt weitgehend folgt. 17 Schlussanträge v. 5.7.2017 – C-374/16 und C-375/16, UR 2017, 629, Rz. 62 und 63; die Vorabentscheidung des EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Butin und Geissel), UR 2017, 960 geht auf diese Fragestellung nicht ein.

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Kosten keine unverhältnismäßigen Schwierigkeiten für den Stpfl. auslösen.18

2. EuGH-Urteil vom 15.9.2016 „Barlis 06“ Die vorstehend beschriebene Entwicklung dürfte aber durch das am 15.9.2016 ergangene EuGH-Urteil „Barlis 06“19 bereits überholt sein. Der EuGH hatte darin über folgenden vereinfacht dargestellten Fall zu entscheiden: Ein Hotelbetreiber mit Sitz in Lissabon (Barlis 06 – Investimentos Imobiliários e Turísticos) hat in den Jahren 2008–2010 Dienstleistungen einer Anwaltskanzlei in Anspruch genommen. Die darüber ausgestellten vier Rechnungen unterschiedlichen Datums enthalten jeweils folgende Beschreibungen: „Honorare für vom [Datum oder Monat oder keine Angabe] bis zum heutigen Tag erbrachte juristische Dienstleistungen“. Die portugiesische Finanzverwaltung war der Auffassung, dass die jeweiligen Leistungsbeschreibungen nicht den Rechnungsanforderungen genügen. Barlis 06 legte daraufhin ergänzende Dokumente vor, die eine ausführlichere Beschreibung der Dienstleistungen enthielten. Die Steuerverwaltung hielt die Rechnungen aber weiterhin nicht für ausreichend.

a) Anforderungen an die Rechnungspflichtangaben Der EuGH stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass es die Rechnungsangaben den Steuerverwaltungen ermöglichen müssen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und ggf. das Bestehen des Vorsteuerabzugsrechts zu kontrollieren. Der in den in Rede stehenden Rechnungen verwendete Begriff „juristische Dienstleistungen“ decke „ein breites Spektrum von Dienstleistungen ab, zu dem auch Leistungen gehören, die nicht notwendigerweise zur wirtschaftlichen Tätigkeit zählen.“ Darüber hinaus sei diese Angabe derart allgemein, dass sich ihr der Umfang der erbrachten Dienstleistungen nicht entnehmen lasse. Somit erfülle diese Angabe nicht die Voraussetzungen von Art. 226 Nr. 6 (MwStSystRL).20 Diese Ausführungen bestätigen die Ansicht der deutschen Finanzverwaltung und des BFH, wonach die Leistungsbezeichnung so genau sein

18 Schlussanträge v. 5.7.2017 – C-374/16 und C-375/16, UR 2017, 629, Rz. 72 und 73; die Vorabentscheidung des EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Butin und Geissel), UR 2017, 960 geht auf diese Fragestellung nicht ein. 19 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795. 20 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 28.

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muss, dass sie eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Leistung ermöglicht.21 Die in den Rechnungen enthaltenen Leistungszeitpunkte hält der EuGH ebenfalls für nicht ausreichend, soweit sie nur die Angabe „Erbringung juristischer Dienstleistungen bis zum heutigen Tag“ ohne Konkretisierung des Beginns des Abrechnungszeitraums enthalten. Rechnungen, die sich auf die „Erbringung juristischer Dienstleistungen ab [einem bestimmten Datum] bis zum heutigen Tag“ beziehen, erfüllen die Voraussetzungen von Art. 226 Nr. 7 MwStSystRL dagegen.22 Auch diese Sichtweise deckt sich mit der bisherigen deutschen Anweisungslage, wonach Leistungszeitpunkt bzw. -zeitraum zumindest auf den Kalendermonat genau anzugeben sind.23 b) Folgen mangelhafter Rechnungspflichtangaben Der hierzulande bisher h.M. völlig entgegengerichtet sind allerdings die Ausführungen des EuGH zu den Folgen von Mängeln bei den Rechnungspflichtangaben für den Vorsteuerabzug des Rechnungsempfängers. Denn der EuGH stellt erneut klar, dass zu unterscheiden ist zwischen materiellen Voraussetzungen für das Entstehen des Vorsteuerabzugs und formellen Bedingungen für die Ausübung dieses Rechts. Zu den formellen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts gehöre es, dass der Stpfl. eine im Einklang mit Art. 226 der Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzt.24 Die Steuerverwaltung dürfe aber, wenn sie über die Angaben verfügt, die für die Feststellung des Vorliegens der materiellen Voraussetzungen erforderlich sind, hinsichtlich des Rechts des Stpfl. auf Abzug dieser Steuer keine zusätzlichen Voraussetzungen aufstellen, die die Ausübung dieses Rechts vereiteln können.25 Sie könne daher, wenn sie über sämtliche Daten verfügt, um zu prüfen, ob die materiellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen erfüllt sind, das Recht auf Vorsteuerabzug nicht allein deshalb verweigern, weil eine Rechnung nicht die in Art. 226 Nr. 6 und 7 MwStSystRL aufgestellten Anforderungen erfüllt.26 Das FA dürfe sich daher für den Vorsteuerabzug 21 22 23 24 25 26

Vgl. Abschn. 14.5 Abs. 15 UStAE. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 33. Abschn. 14.5 Abs. 16 Satz 4 UStAE. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 41. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 40. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 42.

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nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken. Es habe auch die vom Stpfl. beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen. Daher seien im Einzelfall neben den Rechnungen die in dazu vorgelegten Annexen enthaltenden Informationen in die Prüfung des materiellen Vorsteuerabzugsrechts einzubeziehen. Der EuGH hebt allerdings hervor, dass die Darlegungslast für das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugsrechts beim Stpfl. liegt. Die Steuerbehörden könnten somit vom Stpfl. selbst die Belege verlangen, die ihnen für die Beurteilung der Frage, ob der verlangte Abzug gewährt werden kann, notwendig erscheinen.27 Die Mitgliedstaaten seien außerdem nach Art. 273 MwStSystRL befugt, Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorzusehen. Diese Maßnahmen dürften aber nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen und die Neutralität der Mehrwertsteuer nicht in Frage stellen; ggf. könne eine in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehende Geldbuße oder finanzielle Sanktion verhängt werden, um die Missachtung der Formerfordernisse zu ahnden.28 Im Ergebnis hat der EuGH mit dieser Entscheidung der bisherigen Verwaltungspraxis eine klare Absage erteilt, bei Vorliegen von Rechnungsmängeln den Vorsteuerabzug zu versagen, ohne vorhandene weitere Informationen in die Beurteilung der materiellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen einzubeziehen.

II. Zeitliche Wirkung einer Rechnungsberichtigung 1. Rechtsentwicklung Die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Im Fall einer fehlerhaften oder unvollständigen Rechnung erlaubt § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG i.V.m. § 31 Abs. 5 Satz 1 UStDV eine Berichtigung. Aus diesem Regelungskonzept werden bislang nicht nur inhaltliche Bedingungen für die Rechnungstellung hergeleitet, sondern auch zeitliche Schranken. Die Finanzverwaltung geht bisher – anknüpfend an die frühere BFH-Rspr.29 – davon aus, dass der Vor27 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 46. 28 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 47 f. 29 BFH v. 24.8.2006 – V R 16/05, BStBl. II 2007, 240 = UR 2007, 63.

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steuerabzug erst zu dem Zeitpunkt in Anspruch genommen werden kann, in dem eine Rechnung vorliegt, die die inhaltlichen Vorgaben erfüllt. Im Fall der Berichtigung nach § 31 Abs. 5 UStDV ist das der Zeitpunkt, in dem der Rechnungsaussteller die Rechnung in ausreichender Weise berichtigt und an den Rechnungsempfänger übermittelt hat (Abschn. 15.2a Abs. 7 Satz 2 UStAE). a) Bisherige EuGH-Rechtsprechung Man sah sich in dieser Auffassung auch durch das EuGH-Urteil vom 29.4.2004 (Terra Baubedarf)30 bestätigt. Darin hatte der EuGH entschieden, dass es nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße, dass der Stpfl. den Vorsteuerabzug (erst) für den Erklärungszeitraum vorzunehmen hat, in dem sowohl die Voraussetzung des Besitzes einer Rechnung oder eines als Rechnung zu betrachtenden Dokuments als auch die der Entstehung des Vorsteuerabzugsrechts erfüllt sind. Zweifel an der ex-nunc-Wirkung der Rechnungsberichtigung ergaben sich dann aber aufgrund des EuGH-Urteils vom 15.7.2010 (Pannon Gép).31 Darin hatte der EuGH ausgeführt, dass der Vorsteuerabzug zumindest wegen bestimmter fehlender Rechnungsangaben (im Entscheidungsfall falsches Leistungsdatum und fehlende fortlaufende Nummer) nicht versagt werden kann, wenn der Unternehmer der Finanzbehörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat. Bestätigt wurde diese Linie durch die EuGH-Entscheidung Petroma Transports32, auch wenn er im konkreten Fall eine in diesem Sinne rechtzeitige Berichtigung verneinte. b) Nationale Rechtsprechung Der BFH konnte die aus der EuGH-Entscheidung zu ziehenden Konsequenzen in seinem Urteil vom 2.9.201033 zunächst noch offen lassen, weil im Streitfall davon auszugehen war, dass bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG keine nachträgliche Berichtigung der fehlerhaften Rechnungsangabe erfolgt war.

30 31 32 33

EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02 (Terra Baubedarf-Handel), UR 2004, 323. EuGH v. 15.7.2010 – C-368/09 (Pannon Gép), UR 2010, 693. EuGH v. 8.5.2013 – C-271/12 (Petroma Transports), UR 2013, 591. BFH v. 2.9.2010 – V R 55/09, BStBl. II 2011, 235 = UR 2010, 946.

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In seiner Entscheidung vom 20.7.201234 hielt er es dann aber in einem Fall, in dem die zunächst fehlerhaften Rechnungen später tatsächlich korrigiert worden waren, für ernstlich zweifelhaft, ob der Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs versagt werden kann, wenn das zunächst erteilte Dokument die Mindestanforderungen an eine Rechnung erfüllt. Dies seien Angaben –

zum Rechnungsaussteller,



zum Leistungsempfänger,



zur Leistungsbeschreibung,



zum Entgelt und



zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer.

Eine derartige Rückwirkung sei zudem mit dem Wortlaut des § 31 Abs. 5 UStDV vereinbar. Auch der EuGH scheine in seiner Pannon Gép-Entscheidung eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung zu bejahen. Allerdings hielt es der BFH noch für fraglich, wie diese Entscheidung mit dem o.g. EuGH-Urteil „Terra Baubedarf“35 zu vereinbaren ist. Es sei allerdings durchaus möglich, dass der Stpfl. nach dieser Rspr. das Recht auf Vorsteuerabzug zwar erst ausüben könne, wenn ihm eine Rechnung vorliegt, dass diese Rechnung bei Fehlern oder Unvollständigkeiten aber auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung berichtigt werden könne. In der Rechtsache „Senatex“ legte das FG Niedersachsen diese Frage schließlich mit Beschluss vom 3.7.201436 dem EuGH vor.

2. EuGH-Urteil vom 15.9.2016 „Senatex“ Der Vorlage des FG Niedersachsen lag vereinfacht dargestellt folgender Sachverhalt zugrunde: Senatex betreibt einen Großhandel mit Textilien und machte in den Jahren 2009–2011 Vorsteuern aus ihren Handelsvertretern erteilten Gutschriften sowie einer Rechnung eines Werbegestalters geltend. Die Gutschriften und die Rechnung des Werbegestalters enthielten aber weder die Steuernummer noch die UStIdNr. der jeweiligen Unternehmer. Nach Beanstandung durch die Außenprüfung des FA im Jahr 2013 berichtigte Senatex die Gutschriften noch vor Prüfungsabschluss dergestalt, dass die jeweilige 34 BFH v. 20.7.2012 – V B 82/11, BStBl. II 2012, 809 = UR 2012, 714. 35 EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02 (Terra Baubedarf-Handel), UR 2004, 323. 36 Nds. FG v. 3.7.2014 – 5 K 40/14, EFG 2015, 80.

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Filtzinger, (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen – Verwaltungssicht Steuernummer bzw. USt-IdNr. des Handelsvertreters ergänzt wurde. Auch die Rechnung des Werbegestalters wurde entsprechend noch vor Prüfungsabschluss korrigiert. Ungeachtet dessen kürzte das FA die Vorsteuern mit der Begründung, dass die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nicht in den Jahren 2009–2011, sondern erst im Zeitpunkt der durchgeführten Rechnungsberichtigung vorlägen, also erst 2013.

Dieselbe Kammer des EuGH, die im „Barlis 06“-Urteil die Versagung des Vorsteuerabzugs durch die portugiesische Steuerverwaltung verworfen hatte, kritisiert in der am gleichen Tag ergangenen „Senatex“-Entscheidung37 auch die deutsche Rechtspraxis, wonach das Recht auf Vorsteuerabzug in Bezug auf die berichtigte Rechnung erst für das Jahr der Berichtigung ausgeübt werden kann. Der EuGH hält es für mit der MwStSystRL unvereinbar, dass der Berichtigung einer Rechnung in Bezug auf eine zwingende Angabe (also im Urteilsfall der Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer) keine Rückwirkung zukommt. Dies begründet er u.a. wie folgt: –

Das Recht auf Vorsteuerabzug sei integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer, könne grundsätzlich nicht eingeschränkt werden und müsse für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufen sofort ausgeübt werden können. Eine nationale Regelung, nach der Nachzahlungszinsen auf die vor einer Berichtigung der ursprünglich ausgestellten Rechnung als geschuldet angesehenen Mehrwertsteuerbeträge zu entrichten sind, belege diese mit einer aus der Mehrwertsteuer resultierenden steuerlichen Belastung, obwohl das gemeinsame Mehrwertsteuersystem die Neutralität dieser Steuer garantiere.38



Der Vorsteuerabzug müsse gewährt werden, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Stpfl. bestimmten formellen Bedingungen nicht genügt hat. Der Besitz einer Rechnung, die die in Art. 226 der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Angaben enthält, stelle aber nur eine formelle und keine materielle Bedingung für das Recht auf Vorsteuerabzug dar.39



Das Vorsteuerabzugsrecht sei daher für den Erklärungszeitraum auszuüben, in dem die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung bewirkt wurde und in dem der Stpfl. die Rechnung besitzt. In der Rechtssache Terra Baubedarf sei es um ein Unternehmen gegangen, das zum Zeitpunkt der Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts

37 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), UR 2016, 800. 38 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), UR 2016, 800, Rz. 37. 39 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), UR 2016, 800, Rz. 38.

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nicht über eine Rechnung verfügte, so dass der Gerichtshof nicht über die zeitlichen Wirkungen der Berichtigung einer ursprünglich ausgestellten Rechnung entschieden habe. Senatex dagegen habe zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihr Recht auf Vorsteuerabzug ausübte, Rechnungen gehabt und die Mehrwertsteuer gezahlt.40 Die Bundesregierung hatte dagegen im Verfahren u.a. Gesichtspunkte der Umsatzsteuerkontrolle vorgetragen und vorgebracht, dass die mit der Gewährung des Vorsteuerabzugs erst für den Besteuerungszeitraum der Rechnungskorrektur verbundene Zinsfolge aus Sanktionsgründen gerechtfertigt sei. Dies lehnt der EuGH ab und weist gleichlautend mit der „Barlis 06“-Enscheidung auf die Möglichkeit hin, andere Sanktionen vorzusehen, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen. Die mit der Anwendung von Nachzahlungszinsen verbundene spätere Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nach der deutschen Rechtspraxis trete dagegen ohne Berücksichtigung der Umstände des Falls immer ein, was unverhältnismäßig sei.41

III. Konsequenzen aus der EuGH-Rechtsprechung Die Praxisfolgen der beiden dargestellten EuGH-Entscheidungen vom 15.9.2016 sind noch nicht abschließend geklärt. In der Zwischenzeit ergangene BFH-Urteile zu dieser Thematik lassen aber zumindest erste Schlussfolgerungen zu.

1. Erfordernis einer Rechnung bleibt bestehen Der BFH lässt die aus dem „Barlis 06“-Urteil des EuGH für den Vorsteuerabzug zu ziehenden Konsequenzen bislang zwar weitgehend offen.42 Der EuGH wird in der Literatur jedoch teilweise so verstanden, dass nicht nur ungenaue, sondern auch gänzlich fehlende Rechnungspflichtangaben vom Rechnungsempfänger mit allen Beweismitteln nachgeholt bzw. ergänzt werden können, ohne dass sich diese auf die Rechnung selbst direkt beziehen müssen.43 Der EuGH komme in diesem Urteil – wie bei seiner 40 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), UR 2016, 800, Rz. 39. 41 EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), UR 2016, 800, Rz. 42. 42 BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 60, Rz. 25; v. 20.10.2016 – V R 54/14, MwStR 2017, 422, Rz. 18. Zur Berücksichtigung von Bezugnahmen im Zusammenhang mit § 14c UStG s. allerdings BFH v. 16.3.2017 – V R 27/16, UR 2017, 550. 43 Maunz, UR 2016, 805 (Anm.).

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Rspr. zur Steuerbefreiung der Ausfuhren und der innergemeinschaftlichen Lieferung – zur Möglichkeit des Objektivnachweises beim Vorsteuerabzug. Die Notwendigkeit einer Rechnungsberichtigung bestehe nicht mehr. Es genüge, dass die Verwaltung oder das Gericht in die Lage versetzt werden, die Rechnung ohne großen Aufwand daraufhin zu überprüfen, ob sie den Vorbezug schlüssig dokumentiert.44 Die Entscheidung wird daher z.T. als Meilenstein gefeiert.45 Eine Auslegung, wonach der Vorsteuerabzug auch allein per Objektivnachweis erreichbar ist, würde m.E. das in Art. 226 MwStSystRL verankerte Rechnungserfordernis jedoch im Ergebnis im Ergebnis in Gänze überflüssig machen. Der Vorsteuerabzug wäre auch ohne jedes Abrechnungspapier möglich, wenn anhand anderer Beweismittel, z.B. auch nur des Zeugenbeweises, belegt werden kann, dass die Eingangsleistung für das Unternehmen tatsächlich bezogen worden ist. Ein so weitgehendes Verständnis wäre nicht mehr in Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben zu bringen.46 Dafür spricht auch und gerade der Umstand, dass dieselbe Kammer des EuGH zeitgleich in der Rechtssache „Senatex“ die Bedingungen einer rückwirkenden Rechnungskorrektur präzisiert hat. Wäre die „Barlis 06“-Entscheidung so zu verstehen, dass ein Vorsteuerabzug auch ganz ohne Rechnung möglich ist, wenn der Vorbezug für das Unternehmen nur irgendwie auf andere Weise belegt werden kann, hätte es einer Entscheidung zur Frage der rückwirkenden Rechnungskorrektur in der Rechtssache „Senatex“ nicht bedurft. Auch der Generalanwalt Wahl hat in seinen Schlussanträgen zu den BFH-Vorlagen „Butin“ und „Geissel“47 nicht auf das „Barlis 06“-Urteil rekuriert, sondern Rechnungsangaben als zwar formelle, aber notwendige Bedingung für das Vorsteuerabzugsrecht angesehen. Eine Rechnung ist damit m.E. auch künftig für den Vorsteuerabzug erforderlich,48 wenngleich die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechnung deutlich entschärft worden sind (s. dazu nachfolgend unter 2. 44 45 46 47

Widmann, UR 2017, 18. Langer/Zugmaier, DStR 2016, 2249. Vgl. Radeisen, DB 2017, 212. BFH v. 6.4.2016 – V R 25/15, UR 2016, 598; v. 6.4.2016 – XI R 20/14, UR 2016, 604. 48 So auch Slapio, UR 2017, 456 (457); in diesem Sinne zwischenzeitlich auch EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Butin und Geissel), UR 2017, 960, Rz. 30.

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und 3.). Diese Einschätzung ist allerdings nur ein vorläufige. Wahrscheinlich wird man, um Gewissheit zu erlangen, ein weiteres, derzeit beim EuGH noch anhängiges Verfahren abwarten müssen.49 Darin fragt das rumänische Berufungsgericht in Alba Iulia den EuGH explizit danach, ob die MwStSystRL es gestattet, dass ein Stpfl., der die sachlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt, von seinem Vorsteuerabzugsrecht Gebrauch macht, wenn er – zumindest im besonderen Kontext des Ausgangsverfahrens – nicht in der Lage ist, die Vorsteuer für die Eingangsumsätze durch Vorlage steuerlicher Rechnungen nachzuweisen. Geht man aber – wie hier vertreten – bis auf weiteres davon aus, dass ein Vorsteuerabzug ganz ohne Rechnung nicht möglich ist, dann wird man folgerichtig auch anzunehmen haben, dass eine Rechnung nicht mit zeitlicher Rückwirkung ausgestellt werden kann. Das folgt jedenfalls nicht aus der „Senatex“-Entscheidung des EuGH. Sie betrifft nur die zeitliche Wirkung einer Rechnungsberichtigung, nicht aber die Rückwirkung einer erstmaligen Rechnungsausstellung. Liegt für den Besteuerungszeitraum der Leistungsausführung keine Rechnung vor, fehlt es an einer materiellen Vorsteuerabzugsbedingung, die rückwirkend nicht mehr geschaffen werden kann. In diesen Fällen bleibt es danach bei der bisherigen Rechtslage: ein Vorsteuerabzug ist erst für den Besteuerungszeitraum möglich, in dem eine Rechnung vorliegt. Sofern in früheren Besteuerungszeiträumen bereits ein Vorsteuerabzug gelten gemacht worden ist, kommt es dann zu einer Änderung der diesbezüglichen Steuerfestsetzung nach abgabenrechtlichen Vorschriften (i.d.R. § 164 AO) und der Festsetzung entsprechender Nachzahlungszinsen nach § 233a AO.

2. Mindestanforderungen an eine Rechnung Damit kommt der Frage nunmehr eine große Bedeutung zu, was ein Abrechnungspapier zu einer Rechnung i.S.d. Umsatzsteuerrechts macht. Nur ein solches Dokument ist berichtigungsfähig. Der BFH50 führt dazu aus, ein Dokument sei jedenfalls dann eine Rechnung und damit berichtigungsfähig, wenn es Angaben enthält zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer. 49 Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Alba Iulia (Rumänien), eingereicht am 21.12.2016 – C-664/16 (Va˘dan). 50 BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 125, Rz. 19.

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a) Existenzielle Mindestangaben Der BFH differenziert also zwischen nicht berichtigungsfähigen Abrechnungspapieren und berichtigungsfähigen Rechnungen und verlangt für das Vorliegen einer berichtigungsfähigen Rechnung fünf existenzielle Mindestangaben. Seine Aufzählung ist m.E. so zu verstehen, dass damit zunächst die in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, 5, 7 und 8 UStG bezeichneten Angaben gemeint sind. Es handelt sich um solche Angaben, die bereits für die zivilrechtliche Abrechnung auf der Basis des geschlossenen Vertrags erforderlich sind. Bei diesem Verständnis des BFH gehört m.E. allerdings auch der Leistungszeitpunkt zu den für die Existenz einer Rechnung zu fordernden Mindestangaben, da nur diese Angabe die zutreffende Bestimmung des Besteuerungszeitraums ermöglicht, von der nicht zuletzt auch die Frage der zeitlichen Rückwirkung einer Berichtigung abhängt. Dagegen spricht auch nicht die „Barlis 06“-Entscheidung des EuGH. Denn dort enthielt die ursprüngliche Rechnung auch die Angabe des Leistungszeitpunkts, sie war nur nicht präzise.51 § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 6 UStG dürfte damit ebenfalls zu den für eine Rechnung existenziellen Mindestangaben gehören, ohne die eine Rechnung nicht vorliegt. Die Pflichtangaben nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, 3, 4, 9 und 10 sowie § 14a UStG sind dagegen nicht von existentieller Notwendigkeit und folglich auch nachträglich noch ergänzbar, jedenfalls aber berichtigungsfähig. Sie müssen im ursprünglichen Abrechnungsdokument nicht enthalten sein, um dieses zu einer Rechnung zu machen. Es handelt sind im Wesentlichen um Angaben formeller bzw. rein umsatzsteuerlicher Natur. Beispiel gesonderter Umsatzsteuerausweis: Enthält eine Rechnung die Angaben nach § 14 Abs. 4 Nr. 1, 5, 6 und 7 UStG und ist die Umsatzsteuer i.S.v. § 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG gesondert ausgewiesen, liegt nach der hier vertretenen Auffassung eine berichtigungsfähige Rechnung vor. Es wäre für die Berichtigungsfähigkeit allerdings z.B. auch nicht schädlich, wenn in einer Rechnung über eine steuerfreie Leistung ein gesonderter Umsatzsteuerausweis fehlt, aber der nach § 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG erforderliche Hinweis auf die Steuerbefreiung vorhanden ist. Auch wenn es sich um eine Kleinbetragsrechnung nach § 33 UStDV handelt, für die insbes. das Erfordernis des gesonderten Steuerausweises modifiziert wird, muss die o.g. Aufzählung des BFH m.E. entsprechend ange-

51 Zu den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit s. nachfolgend unter b.

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Filtzinger, (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen – Verwaltungssicht wandt werden, d.h. eine Kleinbetragsrechnung wäre auch ohne gesonderten Steuerausweis berichtigungsfähig, wenn die Voraussetzungen des § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV erfüllt sind.

Fraglich ist, inwieweit sich alle für das Vorliegen einer Rechnung erforderlichen Mindestangaben aus dem Abrechnungsdokument selbst ergeben müssen oder ergänzende Unterlagen ausreichen. Eine Berücksichtigung von Bezugnahmen ist unionsrechtlich zwar geboten.52 Soweit es die existenziellen Mindestangaben betrifft, dürften aber weiterhin die Vorgaben des § 31 Abs. 1 UStDV zu beachten sein, wonach ausdrückliche Bezugnahmen auf andere Dokumente erforderlich sind, so dass Dokumente, auf die im Abrechnungspapier nicht Bezug genommen wird, bei der Frage, ob die Mindestangaben einer Rechnung vorliegen, nicht zu berücksichtigen wären. Anderenfalls liefe nämlich die Voraussetzung, dass für den Vorsteuerabzug eine berichtigungsfähige Rechnung mit bestimmten Mindestangaben vorliegen muss, ins Leere. Gegen die hier vertretene Auffassung spricht auch nicht das BFH-Urteil vom 16.3.2017,53 in dem der V. Senat in Bezug auf die Beurteilung der Rechnungsangabe des leistenden Unternehmers die vom Stpfl. beigebrachten zusätzlichen Informationen für beachtlich hält.54 Denn im Urteilsfall waren ausdrückliche Bezugnahmen im Abrechnungsdokument vorhanden. In Bezug auf nichtexistenzielle Pflichtangaben dürfte § 31 Abs. 1 UStDV dagegen obsolet geworden sein. Sie kann man jederzeit mit allen geeigneten Mitteln beibringen. b) Inhaltliche Anforderungen an die existenziellen Mindestangaben Danach ist also eine Rechnung mit bestimmten existenziellen Mindestangaben erforderlich. An die inhaltliche Bestimmtheit dieser Mindestangaben dürfen, um den EuGH-Vorgaben gerecht zu werden, allerdings keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Dementsprechend legt der BFH die inhaltliche Messlatte insoweit nicht sehr hoch. Die Angaben dürfen lediglich nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. Bezüglich der Leistungsbeschreibung lässt es der BFH daher beispielsweise nun genügen, dass die Rechnung unter dem Briefkopf eines Rechtsanwalts erteilt wird und auf einen nicht näher bezeichneten Bera52 So auch BFH v. 16.3.2017 – V R 27/16, UR 2017, 550. 53 BFH v. 16.3.2017 – V R 27/16, UR 2017, 550. 54 BFH v. 16.3.2017 – V R 27/16, UR 2017, 550, Rz. 12.

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tervertrag Bezug nimmt oder dass sie über „allgemeine wirtschaftliche Beratung“ oder „betriebswirtschaftliche Beratung“ ausgestellt ist.55 Um Missverständnissen vorzubeugen: es handelt sich hier lediglich um den Maßstab für das Vorliegen einer Rechnung mit den dafür erforderlichen Mindestangaben. Auf einem anderen Blatt steht, ob die Angaben auch dafür ausreichen, um den Vorsteuerabzug zu begründen. Der EuGH hat dazu in der „Barlis 06“-Entscheidung allerdings klargestellt, dass die Mitgliedstaaten die in Art. 226 MwStSystRL genannten Voraussetzungen nicht erweitern dürfen. Art und Umfang der erbrachten Dienstleistungen seien zwar zu präzisieren, was jedoch nicht heiße, dass die konkreten erbrachten Dienstleistungen erschöpfend beschrieben werden müssten.56 Damit entzieht der EuGH der bisherigen Rspr. des BFH den Boden,57 nach der die Leistungsbeschreibung in einer Rechnung nicht nur hinreichend genau sein muss, um aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht Steuerschuldner, Steuerzeitpunkt und Steuersatz zu bestimmen, sondern so präzise zu sein hat, dass eine Doppelabrechnung vermieden wird.58 Der für den Vorsteuerabzug zu fordernde Präzisionsgrad ist damit zwar nicht mehr so hoch wie nach bisheriger Ansicht, gleichwohl aber höher als der, der erfüllt sein muss, um vom Vorliegen einer berichtigungsfähigen Rechnung ausgehen zu können. Das ist allerdings nun weitgehend unproblematisch. Denn erfüllen die ursprünglichen Rechnungsangaben die für den Vorsteuerabzug zu stellenden Anforderungen nicht, können sie nun – wie im Urteilsfall – später präzisiert werden und kann damit das Recht auf Vorsteuerabzug rückwirkend noch gesichert werden. Sind die Mindestangaben dagegen auch nach den geringen Anforderungen des BFH zu ungenau, müssen sie nicht als vorhanden angesehen werden. Das Abrechnungspapier stellt dann keine berichtigungsfähige Rechnung i.S.d. Umsatzsteuerrechts dar. Ein solcher Mangel kann rückwirkend nicht geheilt werden.

3. Durchführung der Rechnungsberichtigung a) Korrigierbare Pflichtangaben Nur in den Fällen, in denen nach den vorgenannten Grundsätzen eine berichtigungsfähige Rechnung vorliegt, kommt also eine Korrektur der 55 56 57 58

BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 125, Rz. 19. EuGH, v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 25 f. Maunz, UR 2016, 806. BFH v. 15.5.2012 – XI R 32/10, BFH/NV 2012, 1836, Rz. 43.

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Rechnung mit zeitlicher Rückwirkung für den Besteuerungszeitraum der Leistungsausführung in Betracht. Dabei können einerseits die existenziellen Mindestangaben selbst, soweit sie für Zwecke des Vorsteuerabzugs noch zu ungenau sind, präzisiert oder berichtigt werden. Andererseits können fehlende für die Rechnung nicht existenzielle Rechnungsangaben ergänzt werden. Insbesondere folgende Pflichtangaben des § 14 Abs. 4 UStG sind damit nachhol- oder korrigierbar: –

Steuernummer bzw. USt-IdNr. (Ziff. 2),



Ausstellungsdatum (Ziff. 3),



Rechnungsnummer (Ziff. 4),



weitere Hinweise auf Aufbewahrungspflicht oder Gutschrift (Ziff. 9, 10),



besondere Pflichtangaben nach § 14a UStG.

Dem Urteil „Barlis 06“ kommt in diesem Zusammenhang eine weitreichende praktische Bedeutung zu. Denn es lässt die umfangreiche Beweisführung durch den den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmer zu. Er ist damit nicht mehr in allen Fällen auf die Mitwirkung des Rechnungsausstellers angewiesen. Ist der Leistungsempfänger im Besitz einer Rechnung mit allen Mindestangaben, kann er die Beseitigung von Mängeln bei den übrigen Pflichtangaben der Rechnung ggf. ohne den Rechnungsaussteller erreichen, wenn ihm die notwendigen Informationen oder Beweismittel vorliegen. Er kann damit beispielsweise die Steuernummer des leistenden Unternehmers selbst ergänzen. b) Zeitliche Grenze der Rechnungsberichtigung Zeitliche Grenze für die Rechnungsberichtigung ist nach dem BFH-Urteil vom 20.10.2016 der Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht als Tatsacheninstanz.59 Teilweise angestellte Überlegungen, berichtigte Rechnungen müssten noch während bzw. bis zum Abschluss einer die vorgelegten Dokumente beanstandenden Betriebsprüfung erfolgen, sind dadurch hinfällig geworden. c) Form der Rechnungsberichtigung Eine Berichtigung der nicht existenziellen Pflichtangaben ist formlos möglich. Zu beachten ist allerdings § 31 Abs. 5 UStDV. Danach ist eine 59 BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 60, 3. Leitsatz.

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Rechnungsberichtigung nur durch Dokumente möglich ist, die spezifisch und eindeutig auf die Rechnung bezogen sind. Daran hat sich durch die neue Rechtslage nichts geändert. Unproblematisch ist es dagegen m.E., eine Rechnung zu stornieren und durch eine neu ausgestellte zu ersetzen. Sofern bei dem Storno auf die ursprüngliche fehlerhafte Rechnung eindeutig Bezug genommen wird, handelt es sich im materiellen Gehalt des Vorgangs nicht um eine erstmalige Rechnungstellung, sondern um eine Rechnungsberichtigung. d) Auswirkungen auf die Zinsfestsetzung Die Auswirkungen der neuen Rspr. auf die Verzinsung sind vielfältig und hängen von der jeweiligen Fallkonstellation ab. Beispielhaft sollen folgende Fälle zur Erläuterung genügen: aa) Rechtzeitige Berichtigung einer bereits abgezogenen Rechnung Sachverhalt: Der Leistungsempfänger hat aus einer existenten, aber fehlerhaften Rechnung den Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs (2013) geltend gemacht. Das FA beanstandet dies im Jahr 2016 im Rahmen einer Betriebsprüfung. Die fehlerhaften Rechnungsangaben werden noch vor Abschluss der Prüfungshandlungen korrigiert.

Die Rechnungskorrektur konnte nach neuer Rechtsauffassung rückwirkend für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs (2013) erfolgen. Damit lagen die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs im Jahr 2013 vor. Die Steuerfestsetzung 2013 bleibt unverändert. Zinsfolgen ergeben sich – im Gegensatz zur bisherigen Praxis – nicht mehr. bb) Verspätete Berichtigung einer bereits abgezogenen Rechnung Sachverhalt: Der Leistungsempfänger hat aus einer existenten, aber fehlerhaften Rechnung den Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs (2013) geltend gemacht. Das FA beanstandet dies im Jahr 2016 im Rahmen einer Betriebsprüfung und ändert die Steuerfestsetzung. Nachzahlungszinsen wurden ebenfalls festgesetzt. Die fehlerhaften Rechnungsangaben werden erst im Jahr 2017 korrigiert. Der Änderungsbescheid 2013 ist zu diesem Zeitpunkt bereits bestandskräftig.

Die Rechnungskorrektur könnte nach neuer Rechtsauffassung nur rückwirkend für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs (2013) erfol590

Filtzinger, (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen – Verwaltungssicht

gen. Daher ist ein Vorsteuerabzug im Jahr der Rechnungskorrektur (2017) – anders als bislang – nicht mehr berücksichtigungsfähig. Die Steuerfestsetzung 2013 kann allerdings nur erneut geändert werden, sofern sie noch änderbar ist. –

Sofern keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist und eine Änderungsmöglichkeit (i.d.R. nach § 164 Abs. 1 AO) besteht, wird die Steuerfestsetzung für den Zeitraum des Leistungsbezugs (2013) ex tunc erneut geändert und der Vorsteuerabzug berücksichtigt. Es kommt dementsprechend auch eine Festsetzung von Erstattungszinsen nach § 233a AO in Betracht, so dass sich die Zinsbelastung aus der ersten Änderung wieder ausgleicht.



Steht der Bescheid nicht (mehr) unter Vorbehalt der Nachprüfung, z.B. nach Abschluss einer Betriebsprüfung, wäre alternativ an eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen eines rückwirkenden Ereignisses zu denken. In diesem Fall beginnt die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO). Es ist aber zweifelhaft, ob der Berichtigung einer Rechnung eine Rückwirkung i.S. der genannten Vorschrift zukommt. Denn nach der Rspr. ist die Rechnung zumindest hinsichtlich der nicht existenziellen und deshalb nachträglich berichtigungsfähigen Pflichtangaben nunmehr nur noch als formelle Bedingung für den Vorsteuerabzug anzusehen. Die nachträgliche Berichtigung oder Ergänzung der Rechnung hinsichtlich solcher nicht existenziellen Angaben dürfte damit als bloße Beleglegung über den im Übrigen allein anhand der Mindestangaben erfüllten materiellen Tatbestand des Vorsteuerabzugsrechts zu verstehen und damit wie ein Beweismittel zu behandeln sein, das ausschließlich dazu dient, eine steuerrechtlich relevante Tatsache zu belegen. Dann hätte sie keine materielle Rückwirkung;60 eine Änderungsmöglichkeit nach § 175 AO wäre nicht mehr gegeben. Der Vorsteuerabzug geht in diesem Fall also endgültig verloren; die Zinsfestsetzung bleibt bestehen. Dass eine nachträgliche Rechnungsberichtigung nicht als rückwirkendes Ereignis anzusehen sein kann, zeigt auch die für diesen Fall geltende Zinsfolge des § 233a Abs. 2a AO. Danach beginnt der Zinslauf bei Änderungen, die auf der Berücksichtigung eines rückwirkenden Ereignisses nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO beruhen, abweichend vom Regelzinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des

60 Vgl. BFH v. 6.3.2003 – XI R 13/02, BStBl. II 2003, 554 = FR 2003, 680.

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Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Erstattungszinsen würden daher in diesem Fall nicht entstehen. Zugleich würden nach § 233a Abs. 7 Satz 2 Halbs. 2 i.V.m. Abs. 2a AO die Zinsen auf den ursprünglich mit der fehlerhaften Rechnung geltend gemachten Vorsteuerabzug jedoch endgültig bestehen bleiben. Dies stünde im Widerspruch zur EuGH-Entscheidung „Senatex“. Die abgabenrechtliche Dogmatik ist mit der EuGH-Rspr. daher nur zu vereinbaren, wenn man nicht von einem rückwirkenden Ereignis nach AO ausgeht. Es ist daher zur Vermeidung von Rechtsverlusten im Fall der Beanstandung des Vorsteuerabzugs wegen Rechnungsmängeln wichtig, darauf zu achten, dass die Steuerfestsetzung änderbar bleibt, bis die Rechnungen korrigiert worden sind. cc) Berichtigung einer noch nicht abgezogenen Rechnung Sachverhalt: Der Leistungsempfänger hat für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs (2013) den Vorsteuerabzug nicht geltend gemacht, weil er nicht im Besitz einer Rechnung mit ausreichenden Angaben war. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde 2016 aufgehoben. 2017 erreicht den Leistungsempfänger die korrigierte Rechnung.

Eine Berücksichtigung der Rechnung im aktuellen Besteuerungszeitraum (2017) ist nicht (mehr) möglich. Die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs liegen zwar für den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs (2013) nun rückwirkend vor. Ist die Festsetzung für diesen Besteuerungszeitraum aber nicht mehr änderbar, geht der Vorsteuerabzug endgültig verloren. Zinsfolgen hat dieser Vorgang nicht. e) Fälle der Steuerschuld nach § 14c UStG Weiterhin nicht möglich ist die rückwirkende Beseitigung der Steuerschuld wegen eines unrichtigen Steuerausweises nach § 14c Abs. 1 UStG. Beispiel: Unternehmer U mit Sitz im Vereinigten Königreich vermietet in den Jahren 2007–2009 im Zusammenhang mit Messen und Ausstellungen im Inland Standflächen, die er zuvor von den Veranstaltern der Messen bzw. Ausstellungen angemietet hatte. Leistungsempfänger ist u.a. die im Inland ansässige Firma X. U weist in seiner Rechnung gegenüber X deutsche Umsatzsteuer offen aus.

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Filtzinger, (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen – Verwaltungssicht Das FA beanstandet, dass nicht U, sondern X nach § 13b Abs. 1 Nr. 1 UStG Steuerschuldner für die Leistung sei, U die offen ausgewiesene Umsatzsteuer aber nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG trotzdem weiterhin schulde. 2012 berichtigt U den Steuerausweis in der Rechnung.61

Unter Berücksichtigung der o.g. Unterscheidung in Mindestangaben und übrige Pflichtangaben der Rechnung ist in diesem Fall zwar vom Vorliegen einer berichtigungsfähigen Rechnung auszugehen. Denn ein Umsatzsteuerausweis lag – wenn er auch fehlerhaft war – vor. In Bezug auf den Vorsteuerabzug der X wäre daher die rückwirkende Rechnungskorrektur beachtlich, spielt aber im Ergebnis keine Rolle, weil X gem. § 15 Abs. 1 Nr. 4 UStG gleichwohl das Recht auf Vorsteuerabzug hätte. Hinsichtlich der Steuerschuld aus dem unrichtigen Steuerausweis nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG kommt der BFH in diesem Fall jedoch zu dem zutreffenden Ergebnis, dass dessen Beseitigung durch die Berichtigung rückwirkend nicht möglich ist. Dies ergebe sich aus der Verweisung auf § 17 Abs. 1 UStG. Danach wirke diese Berichtigung erst für den Besteuerungszeitraum der Berichtigung. Jede andere Auslegung sei mit dem Normzweck des § 14c UStG und des Art. 203 MwStSystRL, einer Gefährdung des Steueraufkommens durch einen unzutreffenden Steuerausweis in Rechnungen entgegenzuwirken, nicht vereinbar. Auch der Umstand, dass nach der Rspr. des EuGH einer Rechnungsberichtigung beim Vorsteuerabzug unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkung zukommen kann, führe in Bezug auf § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG zu keiner anderen Beurteilung.62

4. Möglichkeit individueller Sanktionen Im nationalen Recht sind derzeit Sanktionen im Zusammenhang mit der Rechnungstellung nur in folgenden Fällen vorgesehen: –

§ 26a Abs. 1 Nr. 1 UStG: Bußgeld bei Verstoß gegen Rechnungserteilungspflicht nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder 2 UStG,



§ 26a Abs. 1 Nr. 2 und 3 UStG: Bußgeld bei Verstoß gegen Aufbewahrungspflichten nach § 14b Abs. 1 Satz 1 und 5 UStG.

61 Beispiel gebildet nach BFH v. 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474 = UR 2017, 237. 62 BFH v. 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474 = UR 2017, 237, Rz. 36f.

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Filtzinger, (Rückwirkende) Rechnungskorrekturen – Verwaltungssicht

Nach den beiden Entscheidungen des EuGH vom 15.9.2016 sind die Mitgliedstaaten befugt, Sanktionen auch für den Fall der Nichterfüllung der formellen Bedingungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts vorzusehen. Diese dürfen aber nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgehen. Der EuGH hält beispielsweise die Auferlegung einer Geldbuße oder einer finanziellen Sanktion, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Verstoßes steht, für denkbar.63 Nähere Ausführungen lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen. Beispielsweise bleibt offen, ob eine Sanktion den Rechnungsaussteller treffen soll, weil er eine nicht den Vorgaben des Mehrwertsteuerrechts entsprechende Rechnung in den Verkehr gebracht hat, oder den Rechnungsempfänger, wenn er aus einer solchen Rechnung den Vorsteuerabzug vornimmt. Beides wären denkbare Anknüpfungen. Praktisch administrierbar wäre aber wohl nur das Ansetzen beim Leistungsempfänger. Er nimmt das Recht auf Vorsteuerabzug in Anspruch und könnte durch eine solche Sanktion angehalten werden, sich in Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung zu bringen, die die Kontrolle der korrespondierenden Umsatzsteuerzahlung ermöglicht. Eine solche Sanktion müsste, um wirksam zu sein, an die Höhe des Steuervorteils und idealerweise auch den Zinsgewinn geknüpft werden, zugleich aber – um den Anforderungen des EuGH gerecht zu werden – auch die individuelle Schwere der Verfehlung berücksichtigen. Eine solche Maßnahme wäre daher hinsichtlich ihrer Bezugsgrößen zunächst ähnlich wie die heutige Verzinsung. Sie müsste aber individuell unter Berücksichtigung der subjektiven Vorwerfbarkeit durch begründete Einzelfallentscheidung bemessen werden. Mit den Erfordernissen eines Massenverfahrens wie der Umsatzbesteuerung wäre dies nicht leicht in Einklang zu bringen. Es bleibt daher zunächst abzuwarten, ob der nationale Gesetzgeber sich zu einer solchen Maßnahme entschließt. Ohne gesetzliche Grundlage jedenfalls wären solche Sanktionen nicht möglich.

IV. Fazit Will man die Folgen aus den beiden EuGH-Urteilen „Barlis 06“ und „Senatex“ zutreffend bestimmen, müssen diese zusammen betrachtet werden. Deren Konsequenzen für die Praxis in Deutschland sind zwar nicht ganz so weitreichend, dass man künftig auf eine Rechnung vollständig 63 EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 47 f.

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verzichten kann, wenn man den Vorsteuerabzug aus einem Leistungsbezug geltend machen will. Dennoch stellt die EuGH-Rspr. eine Zäsur dar. Künftig sind, sofern bei Leistungsbezug eine Rechnung mit den nötigen Mindestangaben vorlag, Fehler mit Rückwirkung auf den Besteuerungszeitraum des Leistungsbezugs korrigierbar. Diese Korrekturen können sogar vom Leistungsempfänger selbst vorgenommen werden, soweit er über die nötigen Informationen oder Unterlagen verfügt. Die bisher zum Teil erheblichen negativen Zinsfolgen des § 233a AO, die in einem dem Neutralitätsprinzip folgenden Mehrwertsteuersystem ohnehin ein Fremdkörper sind, können so in vielen praktischen Fällen vermieden werden. Für Unternehmer, die bei der Mehrwertsteuer ohnehin nur als Steuereinnehmer des Staates fungieren, stellt das eine erhebliche Entlastung dar.

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(Rückwirkende) Rechnungsberichtigung aus Beratersicht Anmerkungen zu den EuGH-Entscheidungen Barlis 06 und Senatex Robert C. Prätzler Steuerberater, Eschborn I. Kurze Einführung II. Kernaussagen der EuGH-Urteile III. Thesen zur Anwendung der Senatex-Rechtsprechung – rückwirkend berichtigungsfähige Rechnung 1. Relativ sichere Korrekturmöglichkeiten a) Merkmal Steuernummer (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 UStG) b) Merkmal Rechnungsnummer (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 UStG) c) Merkmal fehlender Steuersatz (§ 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG) d) Merkmal Leistungsbeschreibung (§ 14 Abs. 4 Nr. 5 UStG) e) Merkmal Leistungsdatum (§ 14 Abs. 4 Nr. 6 UStG) f) Merkmal Leistungsempfänger oder leistender Unternehmer (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) g) Merkmal Ausstellungsdatum (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 UStG) h) Merkmal Entgeltminderungshinweis (§ 14 Abs. 4 Nr. 9 UStG) 2. Wahrscheinlich zulässige Korrekturmöglichkeiten

a) Merkmal Anschrift des Leistenden (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) b) Merkmal Anschrift des Leistungsempfängers (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) c) Digitale Rechnung ohne Signatur (Rechtslage bis 30.6.2011) d) Bruttorechnungen ohne gesonderten Steuerausweis 3. Vermutlich nicht zulässige Korrekturmöglichkeiten a) Konflikt mit dem Anwendungsbereich des § 14c UStG b) Nachträgliche Erhöhung einer Nettorechnung um einen Umsatzsteuerbetrag c) Gänzlich fehlende Rechnung 4. Weitere unklare Rechtsfragen a) Rückwirkendes Ereignis b) Rechnungsstorno und neue Ausstellung c) Rückwirkende Berichtigung im Dreiecksgeschäft IV. Thesen zur Anwendung der Barlis 06-Rechtsprechung V. Schlussbemerkung

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Prätzler, (Rückwirkende) Rechnungsberichtigung aus Beratersicht

I. Kurze Einführung Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)1 in der Rechtssache Senatex und ihm folgend der Bundesfinanzhof (BFH)2 haben aus Sicht der Berater und Stpfl. erfreulicherweise entschieden, dass jedenfalls bestimmte formelle Mängel in Eingangsrechnungen für Zwecke des Vorsteuerabzugs einer rückwirkenden Berichtigung zugänglich sind. Der folgende Beitrag soll einen zusammenfassenden Überblick zu entsprechenden Korrekturmöglichkeiten bieten und Diskussionspunkte adressieren. Zusätzlich wird auf das am gleichen Tag wie Senatex ergangene Urteil des EuGH in der Rechtssache Barlis 063 eingegangen. Diese Entscheidung, deren Auswirkungen auf Vorsteuerabzugszwecke der BFH bisher ausdrücklich offen gelassen hat,4 könnte zu einer fundamentalen Neubewertung des Merkmals der Rechnung für Zwecke des Vorsteuerabzugs führen.

II. Kernaussagen der EuGH-Urteile Die EuGH-Entscheidung Senatex betraf Abrechnungen im Gutschriftsverfahren, bei denen die Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des leistenden Unternehmers gefehlt hatte. Dieser Fehler wurde berichtigt. Der EuGH entschied, dass ein Mitgliedstaat bei einem entsprechenden Formmangel im Beleg nicht berechtigt ist, den Vorsteuerabzug nur aus formellen Gründen zu verwehren. Dabei führte er ebenfalls aus, dass er die in Deutschland greifende finanzielle Sanktion in Form der ohne jede Abstufung nach Schwere des Fehlers entstehenden Nachzahlungszinsen nach § 233a AO für unverhältnismäßig hielt. Die Frage zum spätesten Zeitpunkt der Berichtigung ließ er jedoch offen. In der Entscheidung Barlis 06 ging es um Rechnungen, deren Leistungsbeschreibung sich auf „juristische Dienstleistungen“ beschränkte und in denen weiterhin teilweise der Leistungszeitraum nicht eindeutig be1 Vgl. EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 (Senatex), UR 2016, 800. 2 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, BFHE 255, 348 = UR 2017, 60: mangelhafte Leistungsbeschreibung; v. 20.10.2016 – V R 64/14, MwStR 2017, 425: Berichtigung der Steuernummer; v. 20.10.2016 – V R 54/14, MwStR 2017, 422: falsche Rechtsform des Leistungsempfängers. 3 Vgl. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795. 4 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, BFHE 255, 348 = UR 2017, 60.

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stimmt war. Der Leistende hatte in Ergänzung der Rechnungen sog. „Annexe“ übermittelt, die Stundenaufstellungen mit Tätigkeitsbeschreibungen enthielten. Auch hier entschied der EuGH, dass trotz der Tatsache, dass es sich nicht um ordnungsmäßige Rechnungen handelte, der Vorsteuerabzug nicht aus rein formalen Gründen verwehrt werden durfte. Die Steuerbehörde müsse bei der Entscheidung alle vorgelegten Informationen berücksichtigen.

III. Thesen zur Anwendung der Senatex-Rechtsprechung – rückwirkend berichtigungsfähige Rechnung Es ist nach wie vor nicht für alle Fälle geklärt, wann eine berichtigungsfähige Rechnung vorliegt. Der EuGH geht in seiner Entscheidung nicht auf die Rechnungsmerkmale insgesamt ein. Abweichend hiervon hat der BFH in der Vergangenheit vertreten, dass eine rückwirkende berichtigungsfähige Rechnung sogenannte Mindestmerkmale aufweisen muss.5 Bei der Festlegung dieser Mindestmerkmale orientierte er sich an seiner Rspr. zu § 14c UStG6 und definierte sie als Angaben zum Leistungsempfänger, zum leistenden Unternehmer, zum Nettoentgelt, zum gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag und schließlich einer Leistungsbeschreibung. Aus den drei unter Berücksichtigung von Senatex ergangenen BFH-Entscheidungen kann nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob der BFH an dieser Rechtsauffassung weiter festhält. Sämtliche der Entscheidungen befassten sich nämlich mit Sachverhalten, in denen jeweils die fraglichen Merkmale vorhanden, wenn auch in einem Fall7 fehlerhaft in den Belegen wiedergegeben waren. Damit war die weiterführende Frage irrelevant für die Entscheidung.

1. Relativ sichere Korrekturmöglichkeiten Ausgehend von der Überlegung des BFH, Mindestmerkmale zu verlangen, sowie den Ausführungen des EuGH in Senatex, darf für eine Reihe

5 Vgl. BFH v. 20.7.2012 – V B 82/11, BStBl. II 2012, 809 = UR 2012, 714, wird auch in der aktuellen Rspr. nach Senatex angeführt, allerdings nicht eindeutig als notwendige Bedingung, da im Streitfall jedenfalls gegeben. 6 Vgl. BFH v. 17.2.2011 – V R 39/09, BStBl. II 2011, 734 = UR 2011, 630. 7 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 54/14, MwStR 2017, 422, Rechtsform des Leistungsempfängers.

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von Fällen mit sehr hoher Sicherheit von einer rückwirkenden Berichtigungsmöglichkeit ausgegangen werden. Diese werden nachfolgend kurz dargestellt. a) Merkmal Steuernummer (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 UStG) Es ergibt sich bereits aus dem Sachverhalt des EuGH-Verfahrens, dass eine fehlende Steuernummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des leistenden Unternehmers ebenso wie eine fehlerhaft angegebene entsprechende Nummer einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung zugänglich ist. Dies hat der BFH entsprechend gesehen.8 Die Auffassung hat trotz der Ausführungen des Gerichtshofs in der Entscheidung zu den verbundenen Rechtssachen RGEX GmbH9 und Igor Butin10 Bestand, in denen dieser die Mehrwertsteueridentifikationsnummer als Überprüfungs- und Identifizierungsmerkmal hervorhebt (Rz. 43). Damit ist festzuhalten, dass gerade ein besonders problematisches Rechnungsmerkmal, dessen Überprüfung dem Leistungsempfänger zudem regelmäßig unmöglich ist,11 rückwirkend nachgeholt oder berichtigt werden darf. b) Merkmal Rechnungsnummer (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 UStG) Die fortlaufende eindeutige Rechnungsnummer ist ein rein formelles Merkmal, und damit sind keine Argumente erkennbar, die gegen eine rückwirkende Berichtigung oder Ergänzung sprechen sollten. Dies gilt insbes., da EuGH und BFH die nachträgliche Berichtigung des sicherlich

8 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 64/14, MwStR 2017, 425. 9 EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Geissel und Butin), UR 2017, 970; Vorlagebeschluss des BFH v. 6.4.2016 – XI R 20/14, BFHE 254, 152 = UR 2016, 604. 10 EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Geissel und Butin), UR 2017, 970; Vorlagebeschluss des BFH v. 6.4.2016 – V R 25/15, BFHE 254, 139 = UR 2016, 598. 11 Es gibt in Deutschland keine Möglichkeit, die Gültigkeit von Steuernummern prüfen zu können, weder online noch im Wege einer Einzelanfrage beim FA, vgl. beispielhaft OFD Magdeburg v. 3.5.2010 – S 7359 - 29 - St 242, DStR 2010, 1338 = UR 2010, 790: Bescheinigungen werden nur für Zwecke des Vorsteuervergütungsverfahrens und zwecks erstmaliger Erteilung einer USt-IdNr. erteilt. Das VIES-Verfahren ermöglicht nur die Prüfung ausländischer Umsatzsteuer-Identifikationsnummern.

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als wichtiger einzustufenden Merkmals der Steuernummer ausdrücklich zugelassen haben. Explizit hat sich die höchstrichterliche Rspr. zu diesem Merkmal allerdings noch nicht geäußert. c) Merkmal fehlender Steuersatz (§ 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG) Wenn in einer Rechnung der Umsatzsteuerbetrag ausdrücklich ausgewiesen wurde, jedoch der Steuersatz nicht angegeben ist, berechtigt dieser Beleg nach bisheriger Auffassung nicht zum Vorsteuerabzug. Es sollte aus den bereits genannten Gründen zulässig sein, das fehlende Merkmal Steuersatz im Wege einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung nachzuholen. Allerdings liegt auch zu dieser Frage noch keine höchstrichterliche Finanzrechtsprechung vor. d) Merkmal Leistungsbeschreibung (§ 14 Abs. 4 Nr. 5 UStG) In der Vergangenheit kam es häufiger vor, dass der Vorsteuerabzug versagt wurde, weil eine Leistungsbeschreibung als nicht ausreichend genau bewertet wurde. Die entsprechende Rspr. des BFH12 war durchaus berechtigter Kritik in der Literatur ausgesetzt. Nach Senatex ist anzunehmen, dass unvollständige Leistungsbeschreibungen rückwirkend berichtigt werden können. Dies entspricht auch den Grundsätzen einer der BFHEntscheidungen, in denen auf Senatex eingegangen wurde.13 Im entsprechenden Urteilsfall enthielten die Rechnungen zunächst nur Beschreibungen wie „allgemeine wirtschaftliche Beratung“, doch wurden diese später konkretisiert, was der BFH rückwirkend anerkannte. Nach Ansicht des Verfassers ist es jedoch nicht möglich, eine rückwirkende Rechnungsberichtigung vorzunehmen, wenn eine Leistungsbeschreibung komplett unzutreffend war, weil dann eine Überschneidung mit dem Anwendungsbereich des § 14c UStG gegeben ist. Zu denken ist hier vor allem an den Bereich der Schein- oder Gefälligkeitsrechnung. e) Merkmal Leistungsdatum (§ 14 Abs. 4 Nr. 6 UStG) Die Angabe des Datums der Lieferung oder sonstigen Leistung (in Ergänzung zum Rechnungsdatum) sollte in der Qualität nicht anders zu 12 Vgl. beispielhaft BFH v. 15.5.2012 – XI R 32/10, UVR 2012, 359; v. 8.10.2008 – V R 59/07, BStBl. II 2009, 218 = UR 2009, 196. 13 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, BFHE 255, 348 = UR 2017, 60.

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beurteilen sein als die Angabe einer Rechnungsnummer oder einer Steuernummer. Somit ist kein Grund erkennbar, weshalb ein fehlendes Leistungsdatum einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung entgegenstehen sollte. Problematischer dürften Belege sein, die weder ein Belegdatum noch ein Leistungsdatum enthalten, weil dann nämlich nicht prüfbar ist, wann die Steuer entstanden ist. Das bekannte BFH-Urteil zur Versagung des Vorsteuerabzugs wegen fehlenden Leistungsdatums in einer Rechnung14 könnte im Übrigen, je nach Qualität der Angaben, durch Barlis 06 hinfällig geworden sein. Im Urteilsfall stand offenbar der Leistungszeitraum zweifelsfrei fest, war jedoch im Beleg nicht bezeichnet. Die höchstrichterliche Rspr. nach Senatex hat diese Frage allerdings noch nicht behandelt. f) Merkmal Leistungsempfänger oder leistender Unternehmer (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) Die Angaben zum Leistungsempfänger und zum leistenden Unternehmer gehören zu den vom BFH in der Vergangenheit für besonders bedeutsam erklärten Mindestmerkmalen einer Rechnung. Wenn jedoch bloß kleinere Fehler im Beleg bestehen, sollte einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung nichts entgegenstehen. Dies hat der BFH in einem seiner Senatex-Urteile entsprechend gesehen und die fehlerhafte Angabe einer deutschen Rechtsform (GmbH) anstelle der eigentlich zutreffenden polnischen Rechtsform („Sp.zo.o“) für rückwirkend berichtigungsfähig erklärt.15 Demzufolge müsste es insbes. möglich sein, nach Senatex Rechnungen rückwirkend zu berichtigen, wenn eine Namensänderung oder eine Rechtsnachfolge im Beleg nicht richtig berücksichtigt worden ist. Die Grenze dürfte bei Fällen liegen, in denen der Beleg die Rechtsfolge des § 14c Abs. 2 UStG verwirklicht, also auf einen existierenden komplett falschen Leistungsempfänger oder von einem existierenden komplett falschen leistenden Unternehmer ausgestellt ist.

14 Vgl. BFH v. 17.12.2008 – XI R 62/07, BStBl. II 2009, 432 = UR 2009, 247. 15 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 54/14, MwStR 2017, 422.

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g) Merkmal Ausstellungsdatum (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 UStG) Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung, sowohl das Ausstellungsdatum der Rechnung (Rechnungsdatum) als auch das Datum der Lieferung oder sonstigen Leistung anzugeben. Es handelt sich jedoch um rein formelles Merkmal, dessen Qualität, ähnlich wie die fortlaufende Rechnungsnummer, nach Ansicht des Verfassers niedriger einzustufen ist als die Steuernummer. Letztere hat der EuGH für rückwirkend berichtigungsfähig erklärt. Demzufolge müsste auch ein fehlendes Ausstellungsdatum nachgeholt werden können. In der Praxis werden entsprechende Fälle allerdings eine sehr geringe Relevanz haben, da die meisten Unternehmen jedenfalls ein Rechnungsdatum in ihre Belege aufnehmen. Höchstrichterliche Rspr. hierzu liegt noch nicht vor. h) Merkmal Entgeltminderungshinweis (§ 14 Abs. 4 Nr. 9 UStG) Im Voraus vereinbarte Entgeltminderungen müssen grundsätzlich ebenfalls im Beleg referenziert werden. Fehlen entsprechende Hinweise, ist der Vorsteuerabzug gefährdet. Da es sich um eine Angabe von eher geringer rechtlicher Qualität handelt, sind keine Argumente erkennbar, die gegen eine rückwirkende Berichtigung dieses Merkmals sprechen sollten. Höchstrichterlich ist allerdings bislang noch nicht einmal geklärt, in welcher Form überhaupt ein Entgeltminderungshinweis aufzunehmen ist. Ein hierzu anhängiges Revisionsverfahren16 wurde ohne Klärung dieser Rechtsfrage beendet.

2. Wahrscheinlich zulässige Korrekturmöglichkeiten Eine Reihe von weiteren Konstellationen erscheint deutlich unsicherer, jedoch nach Ansicht des Verfassers ebenfalls rückwirkend berichtigungsfähig. a) Merkmal Anschrift des Leistenden (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) Angesichts der bisherigen BFH-Auffassung zu den Mindestmerkmalen eine Rechnung ist unklar, ob eine fehlerhafte Anschrift des leistenden Unternehmers rückwirkend berichtigungsfähig ist. Die bisherige BFH-

16 Vgl. BFH v. 10.2.2010 – XI R 3/09, UR 2010, 701, Vorinstanz: FG Münster v. 13.1.2009 – 5 K 5721/04 U, EFG 2009, 795.

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Rspr.17 vertritt, dass der leistende Unternehmer verpflichtet ist, in der Rechnung eine Anschrift anzugeben, unter der er eine wirtschaftliche Aktivität entfaltet. Die Angabe einer reinen postalischen Anschrift ohne geschäftliche Aktivität wie auch die Angabe einer ehemaligen, aktuell nicht mehr gültigen Anschrift soll nicht ausreichend sein. Diese Rspr. ist zwischenzeitlich durch die genannte EuGH-Entscheidung Igor Butin und Geissel18 zumindest bezüglich der postalischen Anschrift überholt. Nach Ansicht des Verfassers ist die Anschrift jedenfalls ein rückwirkend berichtigungsfähiges Merkmal. Dies lässt sich zusätzlich darauf stützen, dass der EuGH in der genannten Entscheidung ausführt, dass es für den Vorsteuerabzug nicht notwendig ist, dass der Rechnungsaussteller überhaupt eine Anschrift angibt, unter der er eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Die Anschrift dient genau wie die Angabe der Steuernummer oder Umsatzsteueridentifikationsnummer im Wesentlichen der korrekten Identifizierung des leistenden Unternehmers. Dadurch soll der Steuerbehörde bei einer Kontrolle die Verknüpfung zwischen Vorsteuerabzug und gemeldeter Umsatzsteuer ermöglicht werden. Da der EuGH in Senatex die rückwirkende Berichtigung der fehlenden Steuernummer akzeptiert hat, ist kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb das bezüglich der Anschrift des leistenden Unternehmers anders sein sollte. b) Merkmal Anschrift des Leistungsempfängers (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG) Die oben gemachten Ausführungen gelten entsprechend für das Merkmal der Anschrift des Leistungsempfängers. Insbesondere die in der Praxis häufig vorkommenden Fehler, dass trotz eines zwischenzeitlich erfolgten Umzugs des Unternehmens Rechnungen noch auf die alte Anschrift ausgestellt werden, sollten einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung zugänglich sein. c) Digitale Rechnung ohne Signatur (Rechtslage bis 30.6.2011) Vor der Änderung des UStG zur Umsetzung einer Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie per 1.7.2011, welche die Verbreitung digi17 Vgl. BFH v. 22.7.2015 – V R 23/14, BStBl. II 2015, 914 = UR 2015, 796, m.w.N. 18 EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Geissel und Butin), UR 2017, 970.

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taler Rechnungen erleichtern sollte, erforderten digital übermittelte Belege für den Vorsteuerabzug im Regelfall eine qualifizierte elektronische Signatur mit Anbieter-Akkreditierung oder eine qualifizierte elektronische Signatur (§ 14 Abs. 3 UStG a.F.). Es sind eine Reihe von Fällen bekannt, in denen nach alter Rechtslage insbes. in Konzernsachverhalten oder in der sogenannten New Economy digitale Belege ohne Signaturmerkmal übermittelt wurden, beispielsweise als einfache PDF-Datei. Die Finanzverwaltung hat in der Vergangenheit stets den Vorsteuerabzug unter Verweis auf die klare gesetzliche Regelung versagt. Nach der EuGH-Entscheidung Senatex sollte es möglich sein, entsprechende Fälle rückwirkend zu berichtigen. Dies könnte entweder im Wege einer nachträglichen Übermittlung der Belege mit elektronischer Signatur (ggf. als Sammelrechnung) oder alternativ durch Übermittlung in Papierform geschehen. Dem sollte nicht entgegenstehen, dass die Finanzverwaltung teilweise vertritt, entsprechende unsignierte digitale Belege seien umsatzsteuerlich ein „Nichts“. Jedenfalls unter der Voraussetzung, dass die fraglichen Belege von den beiden Unternehmen ausgetauscht, verbucht und bezahlt wurden, ist kein Grund erkennbar, weshalb gerade das fehlende Merkmal der elektronischen Signatur einer Berichtigung entgegenstehen sollte. Vielmehr handelt es sich um ein rein formales Kriterium. Die vom EuGH in der Rechtssache Terra Baubedarf19 geforderte Belastung des Leistungsempfängers mit der Mehrwertsteuer als Voraussetzung des Vorsteuerabzugs wäre unzweifelhaft gegeben. Zwischenzeitlich liegt ein erstes positives finanzgerichtliches Urteil vor. Das FG Stuttgart hat die nachträgliche Übermittlung in Papierform nebst Nachholung einzelner fehlender bzw. mangelhafter Angaben (konkret: Steuernummer und unvollständige Leistungsbeschreibung) rückwirkend für Zwecke des Vorsteuerabzugs anerkannt.20 d) Bruttorechnungen ohne gesonderten Steuerausweis Es kommen Fallkonstellationen vor, in denen ein Gesamtentgelt vereinbart wurde, jedoch kein Steuerausweis erfolgt ist. Regelmäßig wird es 19 Vgl. EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02 (Terra Baubedarf), UR 2004, 323; Nachfolgentscheidung BFH v. 1.7.2004 – V R 33/01, BStBl. II 2004, 861 = UR 2004, 542, insbes. Rz. 35 des EuGH-Urteils. 20 Vgl. FG Stuttgart v. 24.5.2017 – 1 K 605/17, EFG 2018, 244, nrkr., Rev. Az. BFH V R 48/17.

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sich um Sachverhalte handeln, in denen die Beteiligten über die Anwendung einer Steuerbefreiungsnorm geirrt haben oder sich später herausgestellt hat, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben waren, beispielsweise wegen fehlerhafter Belegnachweise. Fraglich ist, ob entsprechende Vorgänge, bei denen rückwirkend eine Umsatzsteuerpflicht besteht, einer rückwirkenden Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs zugänglich sind. Nach Ansicht des Verfassers gibt es keine gültigen Argumente gegen die rückwirkende Berichtigung. Insbesondere stehen die Grundsätze der EuGH-Entscheidung Terra Baubedarf21 dem nicht entgegen. Zwar trifft es zu, dass der EuGH in Terra Baubedarf entschieden hat, dass der Besitz einer Mehrwertsteuer-Rechnung notwendige Bedingung für das Vorsteuerabzugsrecht ist. Allerdings hat der EuGH in der entsprechenden Entscheidung weiter ausgeführt, Hintergrund hierfür sei, dass ein Unternehmer erst dann mit der Mehrwertsteuer belastet sei, wenn er eine entsprechende Rechnung erhalten und bezahlt habe.22 Die nach dem Neutralitätsprinzip durch den Vorsteuerabzug gebotene Entlastung müsse somit nicht früher gewährt werden. Im genannten Fall, in dem keine nachträgliche Erhöhung des Rechnungsbetrags erfolgt, steht die Gesamtbelastung des Leistungsempfängers jedoch von vornherein fest, nämlich in Höhe des Bruttobetrags, der einen Mehrwertsteueranteil enthält. Dieser Anteil ist lediglich nicht gesondert ausgewiesen worden. Somit sollte es möglich sein, durch nachträgliche Übermittlung einer Rechnung mit gesondert ausgewiesener Umsatzsteuer den Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers rückwirkend herzustellen. Außerdem schuldet der Leistende die entsprechende Mehrwertsteuer rückwirkend.

3. Vermutlich nicht zulässige Korrekturmöglichkeiten Es verbleiben verschiedene Fälle, in denen nach Ansicht des Verfassers auch Senatex keine rückwirkende Berichtigungsmöglichkeit bietet.

21 Vgl. EuGH v. 15.11.2017 – C-374/16 und C-375/16 (Geissel und Butin), UR 2017, 970. 22 Vgl. EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02 (Terra Baubedarf), UR 2004, 323, Rz. 35.

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a) Konflikt mit dem Anwendungsbereich des § 14c UStG Der BFH hat bereits entschieden, dass die Rechtsfolge des § 14c UStG (d.h. Schulden der fehlerhaft ausgewiesenen Umsatzsteuer) auch dann eintreten kann, wenn eine Rechnung nicht alle Merkmale nach § 14 Abs. 4 UStG enthält.23 Nach der BFH-Rspr. reicht es aus, wenn in einer Rechnung, die keine Kleinbetragsrechnung (§ 33 UStDV) ist, ein leistender Unternehmer, ein Leistungsempfänger, eine Leistungsbeschreibung, ein Entgelt und ein Umsatzsteuerbetrag ausgewiesen sind. Bei einer Kleinbetragsrechnung wären Gesamtentgelt (brutto), Steuersatz und leistender Unternehmer ausreichend. Der BFH hat ebenfalls unter Berücksichtigung von Senatex entschieden, dass er eine rückwirkende Berichtigung von Falschrechnungen nach § 14c UStG weiterhin ablehnt.24 Da es sich um eine abstrakte Sanktionsnorm handelt, die eine potentielle Gefährdung des Steueraufkommens bekämpfen soll, ist der entsprechenden Auffassung zuzustimmen. Anderenfalls wäre § 14c UStG, der auf Unionsrecht basiert, faktisch wirkungslos, weil in fast allen Fällen eine rückwirkende Korrektur die Rechtsfolge entfallen lassen könnte. Immer dann, wenn eine Rechnung von § 14c UStG erfasst wird, sollte demnach eine rückwirkende Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs nicht möglich sein. Dies würde insbes. gelten, wenn in der Rechnung der gänzlich falsche Leistungsempfänger angegeben ist oder der gänzlich falsche leistende Unternehmer, oder wenn die Leistungsbeschreibung vollkommen falsch ist. Beispiele: Ein Unternehmen rechnet eine Leistung an die A GmbH ab und die A GmbH bezahlt diese Rechnung. Später stellt sich heraus, dass die Leistung in Wirklichkeit an die verbundene B GmbH erbracht wurde. Die C GmbH rechnet eine Leistung an einen Kunden ab. Der Kunde bezahlt diese Leistung. Später stellt sich heraus, dass die Leistung in Wirklichkeit von der D GmbH ausgeführt wurde.

23 Vgl. BFH v. 17.2.2011 – V R 39/09, BStBl. II 2011, 734 = UR 2011, 630. 24 Vgl. BFH v. 12.10.2016 – XI R 43/14, BFHE 255, 474 = UR 2017, 237.

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b) Nachträgliche Erhöhung einer Nettorechnung um einen Umsatzsteuerbetrag In der Praxis kommen häufig Fälle vor, in denen irrtümlich eine Rechnung nur über den Nettobetrag gestellt wird. Es kann sich um fehlerhaft gewürdigte Reihengeschäfte25 handeln, in denen der leistende Unternehmer fehlerhaft von einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung oder Ausfuhrlieferung ausgegangen ist, obwohl in Wahrheit eine ruhende steuerpflichtige Inlandslieferung vorliegt. Denkbar sind ebenfalls Irrtümer über den Anwendungsbereich von Steuerbefreiungen wie insbes. der Regelung für steuerfreie Finanzumsätze.26 Nach der EuGH-Entscheidung Senatex stellt sich nun die Frage, ob eine rückwirkende Rechnungsberichtigung dergestalt möglich ist, dass eine Rechnung zuzüglich Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger ausgestellt und von diesem bezahlt wird. Ausgehend von den Ausführungen des EuGH in der Rechtssache Terra Baubedarf27 ist allerdings davon auszugehen, dass eine entsprechende Rechtsauslegung nicht vollumfänglich der Auffassung des Gerichtshofs entspricht. Der EuGH hat sehr deutlich gemacht, dass ein Unternehmen, das noch keine Mehrwertsteuerrechnung erhalten hat, nicht mit der Mehrwertsteuer belastet ist, und damit auch keine Notwendigkeit für die Entlastung durch den Vorsteuerabzug besteht. Diese Grundsätze dürften auf die vorstehend genannten Fälle unmittelbar anzuwenden sein. Somit ist der Vorsteuerabzug bei einer nachträglichen Erhöhung einer Nettorechnung um einen Umsatzsteuerbetrag nach den Grundsätzen des § 17 UStG zu beurteilen. Die wahrscheinlichste Würdigung ist wie folgt: der Leistungsempfänger ist berechtigt, durch Herausrechnen mit dem anzuwendenden Steuersatz einen anteiligen Vorsteuerabzug zu beanspruchen. Der Differenzbetrag an Vorsteuer ist erst nach Erhalt der berichtigten Rechnung und deren Bezahlung28 abziehbar.

25 26 27 28

Vgl. § 3 Abs. 6 und 7 UStG. Vgl. § 4 Nr. 8 UStG. EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02 (Terra Baubedarf), UR 2004, 323. Vgl. hierzu EuGH v. 29.5.2001 – C-86/99 (Freemans). UR 2001, 349; BFH v. 19.11.2009 – V R 41/08, BFHE 227, 521 = UR 2010, 265; so auch Slapio, UR 2017, 456 und Sterzinger, UR 2017, 62.

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Prätzler, (Rückwirkende) Rechnungsberichtigung aus Beratersicht Beispiel: Ein Unternehmer erhält eine Rechnung über 1000 Euro netto, die er im Jahr 2013 bezahlt. Im Jahr 2017 stellt sich der Vorgang als umsatzsteuerpflichtig heraus. Aufgrund einer Nettoentgeltvereinbarung stellt der leistende Unternehmer im Jahr 2017 eine berichtigte Rechnung über 1000 Euro zzgl. 190 Euro Umsatzsteuer, in Summe 1190 Euro, die der Leistungsempfänger im gleichen Jahr bezahlt. Der Leistungsempfänger war bereits mit anteiliger, nicht ausgewiesener Umsatzsteuer i.H.v. 159,66 Euro belastet. Er ist somit berechtigt, rückwirkend einen anteiligen Vorsteuerabzug von 159,66 Euro für das Jahr 2013 geltend zu machen. Der Differenzbetrag von 30,34 Euro ist dagegen erst im Jahr 2017 abziehbar.

c) Gänzlich fehlende Rechnung Der EuGH hat bereits entschieden, dass ein Vorsteuerabzug nicht zu gewähren ist, wenn der Leistungsempfänger gar keine Rechnung mit Mehrwertsteuerausweis erhalten hatte.29 Im Urteilsachverhalt zu Terra Baubedarf versuchte der Leistungsempfänger bekanntlich, den Vorsteuerabzug bereits für den Monat Dezember geltend zu machen, obwohl er die Rechnung erst im Januar des Folgejahres erhalten und bezahlt hatte. Der EuGH verwehrte dieses vorzeitige Vorsteuerabzugsrecht. Zugleich befasst sich die Rechtssache Senatex mit der Berichtigung von Rechnungen und nicht mit der nachträglichen erstmaligen Ausstellung einer Rechnung. Somit dürfte die wahrscheinlichste Auslegung darin bestehen, dass Fälle ohne Rechnung einer rückwirkenden Korrektur nicht offen stehen. Dies sollte jedenfalls dann gelten, wenn der Vorgang bisher an eine ganz andere Partei oder gar nicht abgerechnet wurde.30 Eine abweichende Bewertung könnte u.U. geboten sein, wenn der Leistungsempfänger zwar noch keine Rechnung erhalten, jedoch bereits eine Zahlung geleistet hat. Dann ist er nämlich sehr wohl mit dem entsprechenden Betrag wirtschaftlich belastet und müsste i.S. der Ausführungen in Terra Baubedarf einen Entlastungsanspruch nach dem Neutralitätsprinzip besitzen. Somit erscheint es denkbar, in Einzelfällen auch ohne Rechnung ein rückwirkendes Vorsteuerabzugsrecht des Leistungsempfängers zu bejahen.31 Die meisten Fallkonstellationen werden hiervon allerdings nicht 29 Vgl. EuGH v. 29.4.2004 – C-152/02 (Terra Baubedarf), UR 2004, 323. 30 Vgl. BFH v. 19.6.2013 – XI R 41/10, BStBl. II 2014, 738 = UR 2014, 58. 31 Dies könnte auch auf Barlis 06 gestützt werden.

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erfasst werden, denn nur in ganz seltenen Fällen werden Unternehmen Zahlungen ohne Beleg leisten.

4. Weitere unklare Rechtsfragen a) Rückwirkendes Ereignis Der EuGH hat in seiner Entscheidung ausdrücklich offen gelassen, bis zu welchem Zeitpunkt eine Rechnungsberichtigung erfolgt sein muss, damit sie für Zwecke des Vorsteuerabzugs zu berücksichtigen ist. Der BFH hat hingegen eindeutig Position bezogen und entschieden, dass eine entsprechende Berichtigung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG möglich ist.32 Diese Auffassung ist konsistent beispielsweise mit der BFH-Rspr. zur Nachholung von Belegnachweisen bei innergemeinschaftlichen Lieferungen oder Ausfuhrlieferungen.33 Aus deutscher Sicht ist noch nicht geklärt, ob die rückwirkende Rechnungsberichtigung ein rückwirkendes Ereignis (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO) darstellt. Der BFH hat diese Frage bisher ausdrücklich offen gelassen, weil sie in den entschiedenen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich war.34 Die Frage des rückwirkenden Ereignisses ist in zweifacher Hinsicht relevant. Zum einen stellt sie sich im Hinblick auf die Frage, ob eine Steuerfestsetzung noch berichtigt werden kann, zum anderen wäre sie relevant für die Verzinsung nach § 233a AO. Grundsätzlich können Steuerfestsetzungen, soweit sie nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind, nur in bestimmten Fällen geändert werden. In der Vergangenheit wurde in Deutschland eine rückwirkende Rechnungsberichtigung für Zwecke des Vorsteuerabzugs nicht anerkannt. Dies hatte zur Folge, dass viele Steuerfestsetzungen, bei denen der Vorsteuerabzug aufgrund formeller Fehler in Rechnungen versagt wurde, formell bestandskräftig geworden sind. Wenn weiterhin kein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 2 AO) besteht oder ein solcher, beispielsweise nach abgeschlossener Außenprüfung, aufgehoben wurde, könnte die betroffene Steuerfestsetzung trotz der nunmehr vorteilhaften Rspr. von 32 Vgl. BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 60. 33 Vgl. zuletzt BFH v. 28.8.2014 – V R 16/14, BStBl. II 2015, 46 = UR 2014, 893, Rz. 10, m.w.N. 34 Vgl. u.a. BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 60, Rz. 26.

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EuGH und BFH nicht mehr geändert werden. An dieser Stelle soll dabei nicht weiter das besondere Problem vertieft werden, das bei Vorsteuervergütungsanträgen (§ 18 Abs. 9 UStG) wegen der dort geltenden Ausschlussfristen besteht35. Falls die Rechnungsberichtigung ein rückwirkendes Ereignis sein sollte, wären jedenfalls die genannten Fälle des Regelbesteuerungsverfahrens noch grundsätzlich einer Änderungsmöglichkeit zugänglich (vgl. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). Sollte die rückwirkende Rechnungsberichtigung ein rückwirkendes Ereignis sein, wäre für die entsprechenden Erstattungszinsen abweichend von der Generalsnorm des § 233a Abs. 2 AO für den Beginn des Zinslaufs grundsätzlich weiterhin auf das Kalenderjahr der Rechnungsberichtigung abzustellen (vgl. § 233a Abs. 2a AO). Allerdings ist durch die Rspr. des EuGH eindeutig entschieden worden, dass die Erhebung von Nachzahlungszinsen im Zusammenhang mit formellen Rechnungsmängeln unzulässig ist, wenn die Rechnungsberichtigung vor endgültiger Bestandskraft der Änderungsfestsetzung erfolgt. Dies ergibt sich sehr eindeutig aus den Ausführungen des EuGH, der sich gegen die entsprechende Verzinsung ausspricht.36 Somit dürfte ein abweichender Zinslauf grundsätzlich nicht in Betracht kommen. An dieser Stelle kann die Frage, ob ein rückwirkendes Ereignis anzunehmen ist, nur kurz erörtert werden. Das rückwirkende Ereignis wird definiert als ein Fall, in dem ein richtig ermittelter steuerrechtlich gewürdigter Sachverhalt sich durch eine später eingetretene tatsächliche Entwicklung ändert.37 Der BFH hat bereits entschieden, dass eine nachträglich ausgestellte Rechnung mit Umsatzsteuerausweis für einen eigentlich steuerfreien Vorgang ein rückwirkendes Ereignis ist, wenn für das Jahr der Leistungserbringung bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war, und dies auf die für das Streitjahr maßgebliche Fassung des § 13 Abs. 1 Nr. 3 UStG gestützt.38 Die Ausübung der Option zur Steuerpflicht nach § 9 Abs. 1

35 Vgl. hierzu Esch, Umsatzsteuer direkt digital 4/2018, 10, mit Bericht zu einem Verfahren vor dem FG Köln. 36 Vgl. Rz. 37 und 42 des Urteils, so auch BFH v. 20.10.2016 – V R 26/15, UR 2017, 60, Rz. 26. 37 Vgl. Rüsken in Klein, AO13, § 175 Rz. 50. 38 Vgl. BFH v. 13.11.2003 – V R 79/01, BStBl. II 2004, 375 = UR 2004, 312. Seinerzeit gab es keinen gesonderten Steuerentstehungstatbestand für § 14c UStG-

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UStG ist nach BFH-Meinung kein rückwirkendes Ereignis,39 deren Rücknahme allerdings sehr wohl.40 Nach Ansicht des Verfassers ist bei der Rechnungsberichtigung eher nicht von einem rückwirkenden Ereignis auszugehen. Hier geht es um die Heilung eines rein formellen Mangels, um dadurch eine bestimmte Steuerfolge (konkret: Vorsteuerabzugsrecht) endgültig herbeizuführen. Die Problematik erscheint gut vergleichbar mit der Nachholung der Belegnachweise bei steuerfreien Umsätzen, auf die der BFH bei seiner Begründung zum zeitlichen Rahmen verwiesen hat. In den entsprechenden Urteilen hat der BFH stets die Steuerfreiheit anerkannt, wenn der Nachweis nachträglich geführt wurde, ohne jemals ein rückwirkendes Ereignis anzunehmen. Auch erscheint es unter dem übergeordneten Grundsatz der Rechtssicherheit angemessen, die Berichtigung nicht ad infinitum zuzulassen. Da die Mitgliedstaaten die Modalitäten des steuerlichen Verfahrensrechts im Rahmen der übergeordneten Grundsätze frei bestimmen können, erscheint eine Anknüpfung an die Änderbarkeit (materielle Bestandskraft) angemessen und sinnvoll. b) Rechnungsstorno und neue Ausstellung in der Literatur im Zusammenhang mit Senatex wird nach wie vor die Frage erörtert, ob eine rückwirkende Rechnungsberichtigung auch anzunehmen ist, wenn der leistende Unternehmer die fehlerhafte Rechnung storniert und einen komplett neuen Rechnungsbeleg erstellt. Teilweise wird auf das Risiko hingewiesen, dass die Kombination aus Storno und neue Ausstellung kein Fall ist, der nach Senatex eine rückwirkende Rechnungskorrektur gestattet.41 Dieser Auffassung ist nicht zuzustimmen. Es ist kein vernünftiger Grund erkennbar, weshalb die Kombination aus Storno und neuer Ausstellung, unter der Bedingung einer eindeutigen Referenzierung der Belege untereinander, anders beurteilt werden sollte, als der Fall der nachträglichen Berichtigung oder Ergänzung des Ursprungsbelegs Anderenfalls Rechnungen bzw. Rechnungen nach den damals einschlägigen § 14 Abs. 2 und 3 UStG. 39 Vgl. BFH v. 2811.2002 – V R 54/00, BStBl. II 2003, 175 = UR 2003, 195. 40 Vgl. BFH v. 19.12.2013 – V R 7/12, BStBl. II 2017, 84 = UR 2014, 579, v. 10.12.2009 – XI R 7/08, UR 2010, 690. 41 Vgl. das Thema als Risiko ansprechend Becker, BC 2017, 254.

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würden wieder einmal formelle Kriterien stärker bewertet als materielle Kriterien, was der st.Rspr. des EuGH42 massiv entgegen liefe. c) Rückwirkende Berichtigung im Dreiecksgeschäft Die EuGH-Entscheidung Senatex ist nicht nur für Fragen des Vorsteuerabzugsrechts von Bedeutung. In Fällen der innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäfte43 gehört es zu den Voraussetzungen für die Nichtbesteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs des mittleren Abnehmers wie auch der Abstandnahme von dessen steuerlicher Registrierung im Bestimmungsmitgliedstaat, dass er eine Rechnung an den letzten Abnehmer stellt, in der er auf die Steuerschuldnerschaft desselben für die Lieferung nach der Dreiecksregelung hinweist. In der Praxis werden immer wieder Fälle bekannt, in denen Unternehmen diese Formalien nicht einwandfrei eingehalten haben. Insbesondere fehlt gerne der entsprechende Dreieckshinweis und stattdessen stellt der mittlere Unternehmer eine Rechnung, die genauso aussieht wie bei einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung, also die Lieferung als steuerfrei bezeichnet. Fraglich ist nunmehr, ob es in diesen Fällen möglich ist, dennoch die Dreiecksregelung anzuwenden. Einzelne Mitgliedstaaten, und hierzu gehört durchaus Deutschland, sind der Auffassung, dass die Rechnung mit dem Hinweis auf die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers notwendige Bedingung für die Dreiecksregel ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, soll an dieser Stelle nicht weiter problematisiert werden. Jedenfalls erscheint es sehr wahrscheinlich, unter Bezugnahme auf die Rechtsgrundsätze von Senatex und die Tatsache, dass der EuGH rein formelle Merkmale und Regeln für weniger relevant erachtet als materielle Aspekte einer Transaktion, durch rückwirkende Rechnungsberichtigung die Dreiecksregelung anwenden zu können. Dies ist von ganz erheblicher Bedeutung, weil sowohl die Strafbesteuerung des mittleren Abnehmers wegen Verwendung seiner UmsatzsteuerIdentifikationsnummer aus einem anderen Staat (§ 3d Satz 2 UStG ohne Vorsteuerabzugsrecht, vgl. § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG und Facet-Urteil des

42 Neben Barlis06 und Senatex beispielsweise EuGH v. 20.10.2016 – C-24/15 (Josef Plöckl), UR 2016, 882. 43 Vgl. § 25b UStG und Art. 141 MwStSystRL.

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EuGH44) als auch die drohende nachträgliche Erwerbsbesteuerung und Lieferungsbesteuerung desselben im Bestimmungsmitgliedstaat mit entsprechenden Strafzuschlägen, Zinsen usw. so vermieden werden können. Allerdings dürfte ergänzende Voraussetzung für die Rückwirkung der Korrektur sein, dass der letzte Abnehmer im Bestimmungsland die Erwerbssteuer angemeldet hat. Dann hat er nämlich die Steuerschuld als solche der Höhe nach zutreffend erklärt, lediglich im falschen Feld seiner Steuermeldung. Ggf. wird der EuGH diese Rechtsfrage in einem österreichischen Vorabentscheidungsersuchen45 beantworten können.

IV. Thesen zur Anwendung der Barlis 06-Rechtsprechung In der Rechtssache Barlis 06 entschied der EuGH, dass eine Rechnung, in der lediglich „juristische Dienstleistungen“ abgerechnet wurden und außerdem der Leistungszeitraum nicht ausreichend genau bezeichnet worden war, ohne eine explizite Berichtigung zum Vorsteuerabzug berechtigen kann, wenn den Beteiligten und den Finanzbehörden ausreichend ergänzende Informationen vorliegen, aus denen sich die fehlenden Angaben ergeben. Leider wird aus der Entscheidung nicht ausreichend deutlich, ob und inwieweit eine Referenzierung zwischen den ergänzenden Unterlagen und dem Rechnungsdokument zu erfolgen hat. Der EuGH verweist zweimal auf Art. 219 MwStSystRL mit einem spezifischen und eindeutigen Bezug auf die Rechnung.46 Andererseits formuliert er, dass sämtliche vom Stpfl. beigebrachten zusätzlichen Informationen durch die Steuerverwaltung zu berücksichtigen seien.47 Im Ausgangsverfahren wurden nachträglich so genannte Annexe vorgelegt, die detailliertere Beschreibungen der juristischen Dienstleistungen enthielten. Leider wird aus den weiteren Angaben nicht deutlich, ob diese

44 Vgl. EuGH v. 22.4.2010 – C-536/08 und C-539/08 (Facet), UR 2010, 418; BFH v. 8.9.2010 – XI R 40/08, UR 2011, 322; v. 1.9.2010 – V R 39/08, BStBl. II 2011, 658 = UR 2011, 319; v. 16.12.2010 – V R 40/08, BFH/NV 2011, 1401. 45 C-580/16 (Hans Bühler KG). Die konkrete Vorlagefrage bezieht sich auf Nichtmeldung der Dreiecksumsätze in der Zusammenfassenden Meldung des mittleren Unternehmers. Der Schlussantrag des Generalanwalts v. 30.11.2017 schlägt dem EuGH vor, das Dreiecksgeschäft zu gestatten, auch wenn die Zusammenfassende Meldung nicht abgegeben wurde, vorausgesetzt, es bestehen keine Anhaltspunkte für Steuerhinterziehung. 46 Vgl. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 34 und 44. 47 Vgl. EuGH v. 15.9.2016 – C-516/14 (Barlis 06), UR 2016, 795, Rz. 44.

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Annexe sich, beispielsweise durch Angabe der Rechnungsnummern, eindeutig auf bestimmte Ursprungsrechnungen bezogen. Die deutsche Finanzverwaltung hat in der Vergangenheit regelmäßig ergänzende Angaben nur dann akzeptiert, wenn diese eindeutig in der Rechnung bezeichnet waren. So musste beispielsweise ausdrücklich auf einen Vertrag verwiesen werden, damit in diesem enthaltene Angaben (Steuernummer, Anschrift, Name des Leistenden) vorsteuerrelevant werden konnten. Gleiches galt für andere ergänzende Belege wie insbes. Stundenaufstellungen, Lieferscheine usw. Nach dem EuGH-Urteil Barlis 06 sollte diese harte Verknüpfung angesichts der recht offenen Aussagen des Gerichts nicht mehr gefordert werden. Somit sind ergänzende Belege und Informationen der oben genannten Art auf jeden Fall für Vorsteuerabzugszwecke relevant. Ebenso sollten allgemein bekannte Angaben, auch wenn sie in der Rechnung nicht enthalten sind, für Vorsteuerzwecke anerkennungspflichtig sein. Wenn zum Beispiel der leistende Unternehmer seine Steuernummer in einzelnen Rechnungen angibt und in anderen nicht, sollte der Vorsteuerabzug aus allen diesen Belegen ohne eine zusätzliche Berichtigung zu gewähren sein. Gleiches sollte gelten, wenn die Steuernummer, die Anschrift oder ähnliche Merkmale aus anderen Dokumenten wie beispielsweise dem Schriftverkehr zur Bestellung, den Informationen bei der Stammdatenanlage usw. bekannt sind. Die Grenze müsste jedoch, genau wie bei Senatex, im Anwendungsbereich des § 14c UStG gesehen werden. Wenn ein Beleg also isoliert betrachtet die Rechtsfolge des § 14c UStG erfüllt, beispielsweise, weil er unstreitig auf die falsche Partei ausgestellt wurde, dürfte der Vorsteuerabzug nicht über Barlis 06 erreicht werden können. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass der BFH für die Anwendung des § 14c UStG selbst bereits Barlis 06 angewendet hat. Im fraglichen Urteil48 äußerte er Zweifel an der Anwendbarkeit der Sanktionsnorm und verwies an das FG zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurück, weil in den potentiell falsch ausgestellten Belegen auf Verträge verwiesen wurde, die ggf. Klarheit zum Leistenden lieferten.

48 Vgl. BFH v. 16.3.2017 – V R 27/16, UR 2017, 550.

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V. Schlussbemerkung Durch die Rspr. von EuGH und BFH hat sich die rechtliche Situation der Stpfl. erheblich verbessert, wenn sie den Vorsteuerabzug aus mangelhaften Belegen begehren. Es wäre wünschenswert, wenn die deutsche Finanzverwaltung möglichst zeitnah und in möglichst großzügiger Weise zu den genannten Punkten Stellung nehmen könnte. Dies wäre im Interesse der Rechtssicherheit und der Verwaltungsvereinfachung zu begrüßen.

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Industrie 4.0 und Steuern Dr. Georg Roderburg Rechtsanwalt/Steuerberater, Düsseldorf I. Digital Economy II. Ertragsteuer: Betriebstätte, Verrechnungspreise und Qualifikation 1. Grundfrage: Verteilung der Besteuerungsrechte vor neuen Herausforderungen a) Lösungsmöglichkeiten: Ansatz der OECD b) Europäische Union und nationale Alleingänge 2. Sonderfälle

III. Umsatzsteuer 1. Grundlegende Probleme 2. „Kostenlose“ digitale Dienstleistungen IV. Lohnsteuer: Mobile Office und Crowdworking V. Ausblick

I. Digital Economy Wenn auch zögerlich: Die vierte industrielle Revolution hat begonnen.1 Nach der Einführung der Dampfmaschine (Mechanisierung), der Fließband-Produktion (Elektrifizierung) sowie der Automatisierung führt die Vernetzung der Maschinen untereinander und unternehmensübergreifend zu einem erneuten Umbruch. Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel werden weltweit vernetzt und durch IT-Strukturen mit einer künstlichen Intelligenz koordiniert.2 Doch dabei bleibt es nicht. Auch in den Privathaushalten und sogar im Auto halten die „smarten“ Geräte Einzug. Der Kühlschrank meldet per SMS, dass die Milch knapp ist – und per Knopfdruck kann diese neu bestellt werden. Per App kann das Smart-Home gesteuert werden. Das Auto erfährt durch andere (verbundene) Fahrzeuge, dass die Gefahr von Glatteis besteht – und bremst automatisiert sicher ab. 1 Nur 33,8 % der Betriebe in Deutschland nutzt moderne digitale Technologien, für 17,6 % der Betriebe sind solche Technologien zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells (Stand: April/Mai 2016), IAB-ZEW-Betriebsbefragung „Arbeitswelt 4.0“, veröffentlicht im IAB-Kurzbericht 22/2016, 3. 2 Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0 von April 2013, 5.

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Vereint werden dabei die Cloud-Technologie, Big Data, additive Fertigung bzw. das 3D-Druckverfahren und Cyber-Physical-Systems (CPS), zum „Internet der Dinge“.3 Die Herausforderungen dieser Entwicklung betreffen die gesamte Rechtsordnung und reichen über vertragsrechtliche, haftungsrechtliche und datenschutzrechtliche Fragen bis zum Steuerrecht. Die OECD BEPS-Initiative hat sich folgerichtig in ihrem Aktionspunkt 1 auch den Herausforderungen der digitalen Wirtschaft gewidmet.4 Auch auf Ebene der Europäischen Union werden die steuerrechtlichen Fragestellungen diskutiert, auch wenn eine Einigung noch offen ist.5 Neben den klassischen Unternehmen der Digital Economy (Facebook, Google u.a.) halten auch die klassischen Industriebetriebe mit den neuen Entwicklungen Schritt. Dort verspricht man sich durch das „Internet der Dinge“ eine Steigerung der Effizienz um 20 % + x.6 Es ermöglicht den Schritt von der linearen zur modularen Fertigung. Statt der traditionellen Produktion am Fließband geschieht diese durch Fahrerlose Transportsysteme (FTS), welche die verschiedenen Materialien an bis zu 200 verschiedene Stationen bringen. Dort werden dann die weiteren Produktionsschritte durch menschliche Mitarbeiter oder Roboter durchgeführt. Die FTS sind untereinander und mit einem Zentralrechner vernetzt, ebenso die einzelnen Fertigungsstationen. Der Zentralrechner bestimmt das Wegenetz und passt dieses kontinuierlich an.7 Das bringt Flexibilität und potenziert die Möglichkeiten zur Erweiterung des Produktionssortiments, ohne einen zwischenzeitlichen Stillstand in Kauf nehmen zu müssen. So entsteht die „Smart Factory“. Der Sportartikel-Konzern Adidas hat bspw. eine neue Produktionsstätte in Deutschland errichtet. Statt die Fertigung ihrer Sportschuhe in Asien vorzunehmen, werden diese im mittelfränkischen Ansbach vollständig automatisiert mithilfe von Robotern produziert. Pro Jahr sollen dort zukünftig 500 000 Schuhe produziert werden. Das stellt zwar nur einen 3 Siehe auch Mayinger, RAW 2017, 37 (38). 4 OECD Action 1, Abschlussbericht abrufbar unter: http://www.oecd.org/tax/ addressing-the-tax-challenges-of-the-digital-economy-action-1-2015-final-report9789264241046-en.htm. 5 Council conclusions, „Responding to the challenges of taxation of profits of the digital economy“, Doc. Nr. 15445/17 Rz. 26. 6 So die Berechnung von AUDI AG, Dialoge Smart Factory, Ausgabe 2017, 27. 7 Zur Vision dieses Betriebsablaufs AUDI AG, Dialoge Smart Factory, Ausgabe 2017, 22 ff.

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Bruchteil der Gesamtproduktion des Konzerns dar, solche „Speedfactories“ könnten jedoch beliebig oft nachgebaut werden. Konkret geplant ist dies jedenfalls im US-amerikanischen Atlanta.8 Gründe für den Wechsel der Produktionsstätte zurück in die Industrieländer ist laut Adidas vor allem der Zeitgewinn, sowie die Flexibilität und Produktvariabilität.9 Die 18 Monate in der herkömmlichen Produktionskette seien für die anspruchsvollen und durch Amazon-Prime verwöhnten Kunden einfach zu lange. Auch Versandhändler Amazon versucht sein Geschäftsmodell weiter zu digitalisieren. Durch ein Patent hat sich Amazon die Rechte an der automatisierten Produktion von Kleidung durch 3D-Drucker gesichert, die erst beginnt, nachdem der Kunde bereits bestellt hat – möglicherweise auch direkt im Lieferwagen.10

II. Ertragsteuer: Betriebstätte, Verrechnungspreise und Qualifikation 1. Grundfrage: Verteilung der Besteuerungsrechte vor neuen Herausforderungen Die oben beschriebenen und ähnliche Geschäftsmodelle stellen das Ertragsteuerrecht vor neue Herausforderungen. Anknüpfungspunkt für die Aufteilung der Besteuerungshoheiten im internationalen Kontext sind nach traditioneller Konzeption Betriebsstätten. Eine Betriebsstätte erfordert eine feste Geschäftseinrichtung oder ständige Vertretung, mithin eine physische Präsenz oder die Tätigkeit natürlicher Personen (§§ 12, 13 AO sowie Art. 5 OECD-MA).11 Anders als traditionelle Industriebetriebe können Unternehmen der Digital Economy jedoch ganz ohne physische Präsenz auskommen. Sie generieren ihre Wertschöpfung vielmehr häufig

8 Pressemitteilung der adidas Gruppe v. 10.8.2016; http://news.adidas.com/us/La test-News/adidas-will-open-atlanta-based-facility–to-make-shoes-in-america/s/ 4d105d93-794c-4282-9382-d50032585cc1 (zuletzt abgerufen am 13.12.2017). 9 Pressemitteilung der adidas Gruppe v. 9.12.2017; https://www.adidas-group. com/media/filer_public/3e/b8/3eb8e67e-0899-4653-90ad-40947b3030d8/dec9 _adidas_speedfactory-de.pdf (zuletzt abgerufen am 13.12.2017). 10 Angemeldet durch Amazon Technologies Inc. als: Providing Services related to item Delivery via 3D Manufacturing on Demand; Patent No.: 9,684,919. 11 Wobei der nationale und der abkommensrechtliche Begriff nicht deckungsgleich sind, vgl. auch Wassermeyer in Wassermeyer, OECD-MA 2008, Art. 5 Rz. 10.

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aus der Pflege und Erweiterung ihrer IT-Systeme und immateriellen Wirtschaftsgüter, wie Marken, Software, Logistikkonzepte und Big Data.12 Auch klassische Industriebetriebe können sich einer physischen Präsenz durch die Digitalisierung entziehen. Im IoT kommunizieren die Maschinen direkt miteinander, Verträge werden „smart“ und automatisiert geschlossen. Dadurch nimmt die Wichtigkeit von Personalfunktionen ab und die von immateriellen Wirtschaftsgütern wie Software-Algorithmen zu. Künftig ist es daher immer seltener notwendig, eine physische Präsenz vor Ort zu unterhalten, welcher die Qualität einer steuerlich relevanten Betriebsstätte zukommt. a) Lösungsmöglichkeiten: Ansatz der OECD Darüber, wie mit diesen Problemen konkret umzugehen ist, herrscht auf dem internationalen Parkett noch Uneinigkeit. Die OECD hat in ihrem Abschlussbericht zu Aktionspunkt 1 der BEPS-Initiative keine abschließende Empfehlung abgegeben. Grundsätzlich strebt sie jedoch eine globale Lösung an, insbes. eine Anpassung der Betriebsstätten-Definition sowie der Verrechnungspreisrichtlinien an die Besonderheiten der digitalen Wirtschaft. Die Einführung einer sog. digitalen Betriebsstätte könnte eine Zuordnung von Besteuerungsrechten auch ohne physische Präsenz ermöglichen.13 Mindestens erforderlich soll dafür eine „erhebliche wirtschaftliche Präsenz“ sein. Ungeachtet der offenen Fragen hinsichtlich der Voraussetzungen einer solchen erheblichen Präsenz sieht sich dieser Vorschlag erheblicher Kritik ausgesetzt. Schon die Rechtfertigung des Steuerzugriffs ist fraglich, da häufig zweifelhaft ist, ob die digitale Tätigkeit auch wirklich zu der viel zitierten Wertschöpfung führt.14 Auch der zu erwartende (enttäuschende) Zuwachs an Steuersubstrat mag die Zurückhaltung erklären. Selbst wenn eine digitale Betriebsstätte angenommen werden sollte, würde sie mangels physischer Präsenz keine Personalfunktionen übernehmen. Damit würde ihr wohl nur ein geringer Teil der Ge-

12 Heggmair/Riedl/Wutschke, IStR 2015, 92 (93). 13 OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, 107; auf traditionelle Begründungsansätze zurückgreifend Hongler/Pistone „Blueprints for a new PE nexus“, IBFD Working Paper (2015), 15 ff. 14 So auch Fehling, IStR 2015, 797 (801).

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winne zugerechnet werden.15 Dass das Verhalten von Nutzern und Usern der digitalen Dienstleistungen als Personalfunktion zugerechnet wird, ist zu weitgehend. Eine Zuordnung nach Regeln vorzunehmen, die so stark vom tradierten Konzept abweichen, erscheint schwierig, insbes. da sie ggf. eine Ungleichbehandlung nicht-digitaler Geschäftsmodelle zur Folge hat. Zur Anpassung der Regeln für die Verrechnungspreisbestimmung hat die OECD jüngst einen neuen „six-step-approach“ vorgestellt, um Erträge aus der Verwertung immaterieller Wirtschaftsgüter besser zuordnen zu können.16 In einem digitalen Geschäftsmodell nimmt die Bedeutung digitaler immaterieller Wirtschaftsgüter zu. Ihre Verwertung soll jedoch auch nur ihren wirtschaftlichen Eigentümern zustehen (§ 39 AO). Da Digital Values aber besonders mobil sind und im IoT auch ohne Personalfunktionen entwickelt und gepflegt werden können, geraten die bisherigen Grundsätze an ihre Grenzen. Weitere Lösungsansätze, die diskutiert, jedoch nicht empfohlen werden, sind eine Quellensteuer auf Umsätze im grenzüberschreitenden OnlineHandel, sowie die Erhebung einer Ausgleichsabgabe, die an Umsätze oder Nutzerzahlen digitaler Plattformen anknüpft.17 Der Charme der global abgestimmten Lösung ist gleichzeitig ihr Fluch: Die Umsetzung der Anpassung der Betriebsstätten-Definition sowie der Verrechnungspreisrichtlinien in nationales Recht sowie in die zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen ist langwierig und mit politischen Hindernissen verbunden. Trotz der Möglichkeit der Änderung der DBA mithilfe des multilateralen Instruments (MLI)18 würde der politische Willensbildungsprozess wohl einige Zeit in Anspruch nehmen.19

15 Weshalb auch die OECD die Einführung einer digitalen Präsenz i.E. nicht weiter verfolgt, OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, 111 ff. 16 OECD (2017), OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2017, 259 f. 17 OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, 107 ff.; i.E. wird jedoch keine der Lösungen empfohlen (S. 137); weitere Kritik von Blum, Bulletin for International Taxation, 2015, 314; Englisch, IStR 2016, 717 (722). 18 Zu den Einzelheiten s. Schön, IStR 2017, 681. 19 Zu den Schwierigkeiten, einen politischen Konsens schon im Rahmen der OECD BEPS-Initiative zu finden, vgl. Fehling/Kampermann, IStR 2017, 638 (641).

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b) Europäische Union und nationale Alleingänge Auch in der Europäischen Union wird eine globale Lösung im Einklang mit der OECD bevorzugt.20 Einigen Mitgliedstaaten wurde dies jedoch nicht zielstrebig genug verfolgt, sodass sie nationale Alleingänge gewagt haben. So hat Italien eine neue „Internetsteuer“ eingeführt. Ein Steuersatz von 3 % wird auf Zahlungen italienischer Unternehmen für digitale Dienstleistungen an in- sowie ausländische Dienstleister erhoben. Auch Großbritannien ist Spitzenreiter auf dem Gebiet der Besteuerung der digitalen Wirtschaft. Nach Einführung der Diverted Profits Tax21 hat die Regierung ein Positionspapier veröffentlicht, wonach sie als Übergangslösung eine Steuer auf Umsätze aus der Erbringung digitaler Dienstleistungen am britischen Markt einführen will.22 Zusätzlich hat sie eine Konsultation zu einer Erweiterung der Quellensteuer auf Lizenzgebühren eröffnet. Nach dem neuen Vorschlag soll ein Steuerabzug erfolgen, soweit die Lizenz in Großbritannien verwertet werden soll, unabhängig davon, ob eine inländische Betriebsstätte die Zahlungen tätigt.23 Zwar kann durch diese kurzfristigen Lösungen der politische Druck gemindert werden. Dieses Gefühl ist jedoch trügerisch. Gesetzgeberische Schnellschüsse im nationalen Alleingang sind meist mit Systembrüchen verbunden. Im internationalen Kontext drohen Doppelbesteuerungen, sowie Verstöße gegen DBA-Verpflichtungen. Solche Verstöße sind zwar – ebenso wenig wie der vom BVerfG gebilligte Treaty Override – verfassungsrechtlich irrelevant, können aber andere Staaten verprellen, die als Partner bei der Entwicklung eines fairen und globalen Besteuerungssystems so wichtig wären. Fraglich ist auch, inwiefern gerade Deutschland sich mit einer Einführung einer nationalen Sondersteuer einen Gefallen tun würde. Wie oben gezeigt führt die Digitalisierung der Industrie auch zu einer Rückkehr 20 Council conclusions, „Responding to the challenges of taxation of profits of the digital economy“, Doc. Nr. 15445/17, Rz. 10–12, 17. 21 Siehe dazu Oppel, IStR 2015, 333. 22 Positionspapier „Corporate tax and the digital economy“ von November 2017, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/at tachment_data/file/661458/corporate_tax_and_the_digital_economy_position _paper.pdf (letzter Abruf 31.1.2018). 23 Consultation Document v. 1.12.2017, abrufbar unter: https://www.gov.uk/go vernment/uploads/system/uploads/attachment_data/file/663889/Royalties_ Withholding_Tax_-_consultation.pdf (letzter Abruf: 31.1.2018).

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der Produktion an den Standort Deutschland. Hier ist zudem ein großer Teil des Know-How zu verorten. Sondersteuern, die zu einer Doppelbesteuerung und möglicherweise auch zu einer Erdrosselungswirkung führen, wären dann ein negativer Standortfaktor. Eine globale Lösung, die sich am traditionellen Besteuerungssystem orientiert und dieses zielgenau an die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft anpasst, wäre wünschenswert. Eine konkrete Umsetzung ist jedoch zeitintensiv, so dass jedenfalls übergangsweise geltende nationale Lösungen ein probates Mittel sein können, um auch die Besteuerung der Digital Economy fair zu gestalten. Dabei sollten die Maßnahmen jedoch sorgfältig geprüft und Systembrüche, die zu übermäßigen Belastungseffekten führen können, vermieden werden.

2. Sonderfälle Schon die Einordnung digitaler Leistungen unter bestehende Besteuerungskonzepte und Doppelbesteuerungsabkommen kann Probleme hervorrufen. So ist fraglich, ob im Fall der Bereitstellung einer Cloud Computing-Infrastruktur von Lizenzzahlungen oder Gewinneinkünften auszugehen ist. Wurde ihm eine Lizenz eingeräumt, wenn der Nutzer auf die in der Cloud gespeicherten Datenmengen zugreifen kann, oder hat er tatsächliche alle Daten „gekauft“ – wenn auch möglicherweise nur auf Zeit? Ähnliches gilt für die Bereitstellung einer Druckanleitung für 3D-Drucker. Wenn der Käufer die Anleitung bzw. das Programm herunterlädt, mit dem er dann selbst seinen 3D-Drucker füttert – kauft er das Produkt selbst, kauft er die Anleitung oder erwirbt er eine Lizenz zur einmaligen oder mehrmaligen Verwendung der Anleitung? Statt des einfachen Produktkaufs könnte man von einer Lizenzierung ausgehen.24 Die Einordnung ist entscheidend für die Frage des Steuerregimes und auch der Besteuerungshoheit. Während Lizenzzahlungen überwiegend durch Quellensteuern einbehalten werden, ist für das Besteuerungsrecht von Unternehmensgewinnen zumeist eine Betriebsstätte erforderlich. Eine solche kann gerade bei digitalen Dienstleistungen, wie oben gezeigt, leicht vermieden werden.

24 OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, 105 f.

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III. Umsatzsteuer 1. Grundlegende Probleme Umsatzsteuerrechtlich stellt sich zum einen bei digitalen Leistungen an Endverbraucher die grds. Frage nach dem Leistungsort. In konsequenter Verwirklichung des Bestimmungslandprinzips ist dies der Verbrauchsort.25 Da gerade bei digitalen Dienstleistungen dieser Verbrauchsort mitunter schwer festgestellt werden kann, gilt seit dem 1.1.2015 § 3a Abs. 5 UStG, wonach der Verbrauchsort der Ort ist, an dem der Leistungsempfänger seinen Wohnsitz hat. Schwierig bleibt jedoch, diesen zweifelsfrei zu ermitteln. Man könnte zwar auf die vom Verbraucher übermittelte Anschrift oder IP-Adresse zurückgreifen,26 diese ist jedoch nicht immer zuverlässig. Der technisch versierte Nutzer kann weitgehend anonym digitale Leistungen in Anspruch nehmen, auch ohne dabei die Grenzen legalen Handelns zu überschreiten.27 Um jedenfalls das Besteuerungsverfahren zu vereinfachen, wurde in der Europäischen Union das MOSS28Verfahren mit Wirkung zum 1.1.2015 eingeführt.29 Dies erleichtert zwar nicht die Aufschlüsselung der Umsätze pro Mitgliedstaat für den Unternehmer, aber führt zumindest dazu, dass die Steuererklärungen und -zahlungen von einer Anlaufstelle mit den übrigen Mitgliedstaaten automatisch ausgetauscht werden.

2. „Kostenlose“ digitale Dienstleistungen Ungeklärt ist die Umsatzsteuerpflicht „kostenloser“ digitaler Dienstleistungen. Diese reichen von funktionalen Anwendungen wie beruflichen Netzwerken, Suchmaschinen und Vergleichsportalen bis zu Unterhaltungsangeboten. Der Endverbraucher erbringt zwar keine Geldleistung zur Nutzung dieser Angebote, meist wird er sich jedoch mit der Nutzung seiner Daten durch den Unternehmer einverstanden erklären müssen. Ob ein solches Datenverwertungsrecht eine umsatzsteuerbare Gegenleistung darstellen kann, ist in der Literatur umstritten und gerichtlich

25 Zur Neuregelung seit dem 1.1.2015 siehe Ilsey/Pauksch/Rakhan, MwStR 2014, 259. 26 So schlägt es die OECD vor: OECD (2017), Internationale Leitlinien für die Mehrwertbesteuerung, 93 f. 27 Diese Befürchtung teilen Ismer/Gradl, MwStR 2016, 324 (330). 28 Steht für Mini-One-Stop-Shop („einzige kleine Anlaufstelle“). 29 Siehe dazu auch Grebe, UStB 2017, 212 (217).

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noch nicht entschieden.30 Das LG Berlin hat zwar entschieden, dass in einem solchen Fall zivilrechtlich ein gegenseitiger Vertrag vorliegen kann,31 ob dies auch auf das Mehrwertsteuerrecht zu übertragen ist und ein tauschähnlicher Umsatz nach § 3 Abs. 12 Satz 2 UStG anzunehmen ist, bleibt indes offen. Fraglich ist schon, ob es sich bei der Einwilligung des Nutzers in die Verwertung oder Sammlung seiner Daten um ein Entgelt handelt. Dies wird teilweise abgelehnt, da der Umfang der Daten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch ungewiss ist.32 Der monetäre Wert der Gegenleistung ist insbes. davon abhängig, wie intensiv der Nutzer das „kostenlose“ Angebot nutzt. Nach anderer Ansicht ist dies unschädlich. Im Zeitpunkt der Steuerentstehung müsse das Entgelt der Höhe nach noch nicht feststehen.33 Vor allem jedoch die angemessene Bewertung des eingeräumten Datenverwertungsrechts begegnet oft großen Schwierigkeiten, zumal es sich um eine elektronische Dauerdienstleistung handeln kann, die mal mehr und mal weniger intensiv genutzt wird (wie bspw. Facebook).34 Einfacher ist die Bewertung dagegen, wenn der Nutzer statt des Datenverwertungsrechts auch eine Zahlung zur Nutzung leisten kann. Die Einwilligung ist dann mit der Zahlung gleichzusetzen. Fraglich ist in den übrigen Fällen, ob auf die Selbstkosten des Unternehmers als Gegenwert oder auf den Verkehrswert abzustellen ist. Beides ist nicht unproblematisch. Während die Kosten für den Unternehmer, die durch die Nutzung durch einen weiteren User verursacht werden, gegen Null tendieren werden, ist der Verkehrswert des hingegebenen Datenverwertungsrechts womöglich schwierig festzustellen.35 Auch eine daraus (zwingend) folgende Unternehmerstellung des Konsumenten wird erwogen.36 Hinzu kommen Unsicherheiten bzgl. der Behandlung kostenpflichtiger digitaler Dienstleistungen, die dem Unternehmer jedoch zusätzlich ein Datenverwertungsrecht einräumen, wie 30 Vgl. zum Diskussionsstand die aufeinander bezogenen Beiträge von Melan/ Wecke, DStR 2015, 2267; Melan/Pfeiffer, DStR 2017, 1072; Grambeck, DStR 2016, 2026 sowie Grebe, UStB 2017, 247 (248 f.). 31 LG Berlin v. 19.11.2013 – 15 O 402/12, MMR 2014, 563. 32 Grambeck, DStR 2016, 2026 (2030). 33 Englisch, UR 2017, 875 (883). 34 Grambeck, DStR 2016, 2026 (2032). 35 Englisch, UR 2017, 875 (884), a.A. Melan/Wecke, DStR 2015, 2267 (2269). 36 Grebe, UStB 2017, 247 (249); Grambeck, DStR 2016, 2026 (2031); a.A. Melan/ Pfeiffer, DStR 2017, 1072 (1075).

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bei einer Software, die erst durch anschließende Registrierung funktionsfähig wird.37 Ist neben dem tatsächlichen Entgelt auch über das fiktive Entgelt durch das Datenverwertungsrecht abzurechnen? Und wie sind diese beiden Leistungen zu qualifizieren? Vertreten wird, dass die entgeltliche Lieferung der Software und die anschließende „kostenlose“ elektronische Leistung, durch die die Software funktionsfähig wird, als einheitliche komplexe Leistung anzusehen sind.38 Als indirekte Steuer ist auch die Mehrwertsteuer grundsätzlich auf Überwälzung auf den Endverbraucher ausgelegt. Dass dies bei kostenlosen Dienstleistungen nicht möglich ist – wie es bei tauschähnlichen Umsätzen regelmäßig der Fall ist – wird wohl allein nicht reichen, um eine Umsatzsteuerbarkeit auszuschließen.39 Aufgrund der bestehenden Unsicherheiten ist jedoch auf baldige Klärung der Rechtslage durch den Unionsgesetzgeber zu hoffen.

IV. Lohnsteuer: Mobile Office und Crowdworking Durch die zunehmende Digitalisierung sowie Technologisierung von Beschäftigten kommt es zu einer zeitlichen und räumlichen Entgrenzung von Arbeit.40 Durch den Einsatz mobiler digitaler Endgeräte, die eine immer höhere Speicherkapazität und Datenübertragungsrate aufweisen, haben Beschäftigte zu jeder Zeit und an jedem beliebigen Ort Zugriff auf betriebliche Daten und sind für Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden erreichbar. Dies wird dem Interesse des Arbeitgebers, aber auch des Arbeitnehmers an erhöhter Flexibilität gerecht. Die Möglichkeit des „Home-Office“, wobei das Home überall sein kann, kann zu einer Verbesserung der gewünschten „Work-Life-Balance“ führen. Gleichzeitig können jedoch auch die Grenzen der privaten und der betrieblichen Sphäre verschwimmen.41 Steuerrechtlich interessant ist dabei das Konzept des „Bring your own device“, wobei Mitarbeiter ihre privaten elektronischen Geräte auch betrieblich nutzen.42 Ist dies bei Anschaffung des privaten Geräts bereits geplant, kommt auch ein (anteiliger) Werbungskostenabzug in Betracht. 37 38 39 40 41

Instruktiv dazu Melan/Pfeiffer, DStR 2017, 1072 (1076 f.). So Melan/Pfeiffer, DStR 2017, 1072 (1077). So auch Englisch, UR 2017, 875 (878 f.). Krause, NZA-Beilage 2017, 53 (54). Zum Ganzen aus arbeitsrechtlicher Perspektive Krause, NZA-Beilage 2017, 53. 42 Siehe dazu auch Raif/Naumann, GWR 2016, 221 (222).

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Die konkrete Abzugsfähigkeit, bedingt durch die Schwierigkeit des Nachweises über die tatsächliche betriebliche Nutzung (insbes. was ständige Erreichbarkeit und das Lesen dienstlicher E-Mails auch nach Dienstschluss angeht), wird vermutlich zu einer erhöhten Streitanfälligkeit führen, wie sie auch durch den häuslichen Arbeitsplatz hervorgerufen wurde.43 Das Internet und die mobilen digitalen Endgeräte machen außerdem eine weitere Arbeitsform möglich: Crowdworking oder Crowdsourcing. Gemeint ist damit die Vergabe von Aufträgen an eine üblicherweise unbestimmte Anzahl von Menschen, die sog. „Crowd“. Dabei kann es sich um die Stammbeschäftigten, externe „Selbständige“ oder jede Person weltweit, die einen Internetanschluss besitzt, handeln. Auch Mischformen sind denkbar.44 Eine entsprechende Auftragsvermittlungsplattform kann vom Auftraggeber selbst eingerichtet worden sein oder extern betrieben werden.45 Einige Unternehmen haben diese Arbeit auf Abruf zum Geschäftsmodell gemacht. So beschäftigt Uber „selbständige“ Fahrer, Ryanair „selbständige“ Piloten und TaskRabbit „selbständige“ Handwerker.46 Ob es sich dabei jedoch wirklich um Selbständige oder um Arbeitnehmer handelt, ist oft unklar. Eine falsche Einordung zieht schwerwiegende Konsequenzen nach sich. Von den Vorgaben des Arbeitnehmerschutzrechts abgesehen, trifft den Arbeitgeber bei einer unselbständigen Tätigkeit die Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer und eine damit einhergehende Haftung, sowie das Risiko einer Nachzahlungspflicht für Sozialversicherungsbeiträge. Zur Abgrenzung gelten insoweit die allgemeinen Grundsätze: Es ist eine Gesamtwürdigung aller Merkmale vorzunehmen, die für eine steuerliche Einordnung relevant sind, wie die persönliche Abhängigkeit, Weisungsgebundenheit, Urlaubs- sowie Krankengeld, Unternehmerrisiko und -initiative u.a.47

V. Ausblick Reaktionen des deutschen Gesetzgebers sowie auf Ebene der europäischen Union bleiben abzuwarten. Diskussionen über die Einführung ei43 Vgl. dazu BFH v. 27.7.2015 – GrS 1/14, BStBl. II 2016, 265 = FR 2016, 314. 44 Zur arbeitsrechtlichen Einordung siehe Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032 (1033). 45 Bspw. Amazon Mechanical Turk oder CrowdFlower. 46 Für diese und weitere Beispiele s. Däubler/Klebe, NZA 2015, 1032. 47 BFH v. 22.2.2012 – X R 14/10, BStBl. II 2012, 511 = FR 2012, 731.

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ner Sondersteuer oder Ausgleichsabgabe werden jedoch immer konkreter, wobei auch eine Verfassungsänderung nicht ausgeschlossen wird. Im Grundsatz ist zwischen der Möglichkeit einer langfristig und minimal invasiven Lösung und (möglicherweise bloß temporärer) „quick fixes“ zu unterscheiden. Die Erweiterung der Regelungen über Betriebsstätten um eine digitale Betriebsstätte würde die Änderung bestehender DBA sowie des OECDMA und einen dementsprechenden politischen Konsens erfordern. Dies dürfte einen längeren politischen Abstimmungsprozess auf internationaler Ebene erforderlich machen. Die Einführung einer Ausgleichsabgabe oder „equalization levy“ auf nationaler Ebene würde zwar kurzfristig ein höheres Steueraufkommen generieren und insofern den politischen Druck mildern, gleichzeitig würde jedoch die Gefahr der Doppelbesteuerung erhöht. Zu bedenken bleibt bei der Ausgestaltung einer solchen Abgabe, dass man sich nicht zu kurzsichtigen Maßnahmen hinreißen lassen sollte, die mehr Schaden als Nutzen anrichten. Der Wertschöpfungsfaktor „Daten“ ist noch sehr unscharf. Wann kommt es tatsächlich zu einer Wertrealisierung? Eine Verkehrssteuer würde notwendigerweise direkt an eine Transaktion anknüpfen – unabhängig von einer tatsächlich Gewinnrealisierung. Sollte es außerdem zu Doppelbesteuerungen und damit einhergehenden Erdrosselungseffekten kommen, könnte dies gerade digitale Start-Ups vom Standort Deutschland abschrecken. Der Rat der Europäischen Union hat im Anschluss an eine Ratssitzung am 5.12.2017 verlauten lassen, dass sie eine globale Lösung im Rahmen der BEPS-Initiative vorziehen.48 Nachdem der Abschlussbericht des OECD BEPS-Aktionspunkts 1 verschiedene Lösungsmöglichkeiten aufgriff, ohne jedoch eine abschließende Empfehlung auszusprechen49, soll die „Task Force on the Digital Economy“ (TFDE) im April 2018 einen Zwischenbericht vorlegen, wie die Herausforderungen der Digitalisierung an das Steuerrecht bewältigt werden sollen.50 Bestehende Unsicherheiten für betroffene Unternehmen dauern also noch an. 48 Council conclusions, „Responding to the challenges of taxation of profits of the digital economy“, Doc. Nr. 15445/17, Rz. 10–12, 17. 49 OECD (2015), Addressing the Tax Challenges of the Digital Economy, Action 1 – 2015 Final Report, 137. 50 Communication from the Commission to the European Parliament and the Council – A Fair and Efficient Tax System in the European Union for the Single Market (Dok. 12429/17), COM(2017) 547 final.

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Substanzanforderungen im Ertragsteuerrecht Professor Dr. Jochen Lüdicke1 Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht/Steuerberater, Düsseldorf I. Einführung II. Die „Substanz“ als steuerrechtlicher Kernbegriff 1. Historischer Ausgangspunkt 2. „Substanz“ im deutschen Ertragsteuerrecht 3. Missbrauchsvorschriften im europarechtlichen Kontext III. § 50d Abs. 3 EStG als vergünstigungsausschließendes Substanzmangelkriterium 1. Vorliegen eines „Treaty Override“ 2. Zweifel an der Europarechtskonformität IV. Die „wirtschaftliche Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG und Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Unterabs. 2 ATAD 1. Umsetzung von „Cadbury Schweppes“ 2. Anpassungsbedarf an Art. 7 ATAD V. Der Verweis auf den sog. NexusAnsatz der OECD/G20 im Rahmen der Lizenzschranke nach dem neuen § 4j EStG

1. Die Abweichung „von der Regelbesteuerung“ 2. Verweis auf den sog. NexusAnsatz VI. Der Erwerb substanzloser Gesellschaften und seine Behandlung durch §§ 8c und 8d KStG 1. Das BVerfG zum teilweisen Verlustuntergang 2. Übertragbarkeit auf den vollständigen Verlustuntergang? 3. Rückausnahme nach § 8d KStG VII. Das zeitbezogene Substanzkriterium in § 50j EStG 1. „Mindesthaltedauer“ und „Mindestwertänderungsrisiko“ 2. Typisierung durch „Zeitsubstanzkriterien“ VIII. § 42 AO als subsidiäres Werkzeug zur Verhinderung steuerlicher Privilegierung trotz Substanzlosigkeit

1 Prof. Dr. Jochen Lüdicke ist Partner der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Honorarprofessor an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und Präsident des Bundesverbands der Steuerberater.

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I. Einführung Durch Substanzanforderungen soll im Ertragsteuerrecht erreicht werden, dass eine rein formale Rechtsgestaltung nicht zu einer von der wirtschaftlichen Realität losgelösten – für den Stpfl. oder jedenfalls den wirtschaftlich am Stpfl. Interessierten – günstigen Besteuerung führen kann. Die Anforderung von „Substanz“ wird daher im Wesentlichen dann zu beobachten sein, wenn eine Kapitalgesellschaft an die Stelle ihres in einem anderen Staat ansässigen Gesellschafters tritt und besteuert werden soll, weil die direkte Besteuerung des Gesellschafters zu insgesamt belastenderen Rechtsfolgen führt, als die vom Stpfl. gewählte rechtliche Struktur. Wir befassen uns mit Substanzanforderungen daher primär im Bereich des internationalen Steuerrechts, wenn durch eine Kapitalgesellschaft diese zum betroffenen Stpfl. wird und an die Stelle ihres Gesellschafters tritt. Relevanz haben Substanzanforderungen aber auch im Rahmen des nationalen Steuerrechts, wenn es um die Durchbrechung des Transparenzprinzips durch Kapitalgesellschaften oder um die Abgrenzung „rein künstlicher Gestaltungen“ geht. Die „Substanzanforderung“ dient mithin dazu, nicht an der Oberfläche einer Gestaltung hängen zu bleiben, sondern über den Gesetzeswortlaut hinausgehend Steuerfolgen festzulegen, die sich bei Einbeziehung von Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung ergeben. Dies beschreibt zugleich das Dilemma, weil der konkret formulierte Belastungsgegenstand möglicherweise nicht wortlautgetreu erfüllt wird. Ausdrücklich ausgespart in dieser Betrachtung bleibt, ob eine Besteuerung jenseits des Wortlauts konkreter Steuernormen auch strafrechtlich abgesichert ist, oder ob der strafrechtliche Grundsatz „nulla poena sine lege“ (Art. 103 Abs. 2 GG) dazu führen muss, dass in den hier nachstehend erörterten Bereichen ggf. ein nicht mehr strafbewehrter Steueranspruch bestehen kann, mit anderen Worten: erlaubt das Steuerrecht ggf. eine Besteuerungsanalogie, die nicht mehr unter den Blankettstraftatbestand des § 370 AO passt?2 Die schriftliche Ausarbeitung des Vortrags wurde bis zum Jahresende 2017 aktualisiert.

2 Vgl. Gersch in Klein, AO13, § 4 Rz. 37 f.; BVerfG v. 19.12.2002 – 2 BvR 666/02, wistra 2003, 255.

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II. Die „Substanz“ als steuerrechtlicher Kernbegriff 1. Historischer Ausgangspunkt Am 23.6.1964 veröffentlichte die Bundesregierung auf Ersuchen des Deutschen Bundestags ihren auch als „Steueroasenbericht“ bezeichneten Bericht an den Deutschen Bundestag über die Wettbewerbsverfälschungen, die sich aus Sitzverlagerungen und dem zwischenstaatlichen Steuergefälle ergeben können.3 Die Bundesregierung beschreibt hier drei Konstellationen, in denen es zu steuerbedingten Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten deutscher Unternehmen kommen kann. Neben den Wettbewerbsvorteilen der in einem Niedrigsteuerland (z.B. British Virgin Islands, Jersey, Gibraltar) ansässigen Unternehmen gegenüber deutschen Unternehmen kann auch das bloße Zwischenschalten von Geschäftseinheiten in Niedrigsteuerländern zu einer Verfälschung der Wettbewerbsverhältnisse führen. Einfluss auf die Wettbewerbsverhältnisse zwischen deutschen Unternehmen nimmt es insbes., wenn „einzelne deutsche Unternehmen den niedrig besteuernden Staat als ‚Basis‘ für Maßnahmen benutzen, durch die die Besteuerung in der Bundesrepublik umgangen wird, ohne daß die erlangte Steuerersparnis durch eine entsprechende Steuer im Ausland ausgeglichen wird“.4

Der Wettbewerb zwischen deutschen Unternehmen und Unternehmen aus Drittstaaten mit einem zu Deutschland vergleichbaren Steuerniveau wird zudem in Fällen verfälscht, „in denen Unternehmen solcher Länder ihre Geschäfte über niedrig besteuernde Staaten abwickeln und damit die Steuer ihres Heimatstaates einsparen“.5

Das zwischenstaatliche Steuergefälle schafft folglich beträchtliche Anreize für Unternehmen, ihr Vermögen und ihre Produktionsmittel aus den regelmäßig hoch besteuernden Ländern der Wertschöpfung ganz oder teilweise in Niedrigsteuerländer zu verlagern und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Die Bundesregierung schließt ihre dortige Untersuchung mit einem als Appell zu verstehenden Abschnitt zur inter-

3 BT-Drucks. IV/2412, 1 – Anlass war das Urteil des BFH v. 7.4.1959 – I 2/58 S, BStBl. III 1959, 233 = FR 1960, 16, in dem der BFH die in § 30 EStG 1934 normierte Pauschalbesteuerung von Auslandssachverhalten als verfassungswidrig angesehen hatte. 4 BT-Drucks. IV/2412, 3 unter I.5. Daraus leitet sich der Begriff „Basisgesellschaften“ ab. 5 BT-Drucks. IV/2412 3, unter I.6.

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nationalen Zusammenarbeit ab.6 Hier betont sie, dass steuerliche Manipulationen im internationalen Bereich nur durch die Zusammenarbeit sämtlicher betroffener Staaten bekämpft werden können und das Tätigwerden der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (heute: der Europäischen Union) und des Steuerausschusses der OECD als ein zu begrüßender Beitrag hierzu zu bewerten sei. Die Bundesregierung hatte damit bereits vor gut 53 Jahren eine Entwicklung vorgezeichnet, die gegenwärtig im Mittelpunkt steuerrechtlicher Aufmerksamkeit steht. Neben dem BEPS-Projekt („Base erosion and profit shifting“) der OECD/G20, sind es insbes. die beihilferechtliche Kontrolle steuerlicher Maßnahmen durch die Europäische Kommission, die neue Richtlinie des Rates zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken („Anti-Tax-Avoidance-Directive“, kurz ATAD)7 und die „Enthüllungen“ in den OffshoreLeaks (2013), LuxLeaks (2014), SwissLeaks (2015), Panama Papers (2015), BahamasLeaks (2016) und neuerdings auch Paradise Papers (2017), die das Thema der Verlagerung von Steuerbemessungsgrundlagen auf die Titelseiten der Tagespresse gebracht haben. Trotz der internationalen Bemühungen durch die OECD/G20 und die EU liegt der Schwerpunkt der Missbrauchsbekämpfung auf dem Gebiet des Steuerrechts noch immer in den nationalen Steuersystemen. Zu den Instrumenten des Steuergesetzgebers gehört hier insbes. die Koppelung steuerlicher Vergünstigungen an das Vorhandensein einer tatsächlichen wirtschaftliche Substanz der eine Privilegierung begehrenden Rechtseinheit. Insoweit ist dem EuGH8 beizupflichten, dass in Fällen, in denen eine ausländische einer inländischen Muttergesellschaft gleichsteht, es schon im Ansatz nicht um eine Privilegierung geht. Diesem Privilegierungsansatz folgte bereits der in Folge des Steueroasenberichts erlassene sog. „Oasenerlass“ vom 14.6.19659, der eine

6 BT-Drucks. IV/2412, 14. 7 Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates v. 12.7.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1; geändert durch die Richtlinie (EU) 2017/952 des Rates v. 29.5.2017 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2016/116 bezüglich hybrider Gestaltungen mit Drittländern, ABl. EU 2017 Nr. L 144, 1. 8 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24, insbes. Rz. 94. 9 Gemeinsame Ländererlasse v. 14.6.1965, BStBl. II 1965, 74 = FR 1965, 331.

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Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Prinzip des „lifting the corporate veil“ und in Anlehnung an die amerikanischen „Controlled Foreign Corporation Rules“ vorsah. Mangels gesetzlicher Grundlage wurde der Erlass jedoch drei Jahre später vom BFH für rechtswidrig erklärt.10 Der Verwaltung blieb daraufhin allein § 6 StAnpG (heute: § 42 AO) als „statutory general anti-avoidance rule“ zur Bekämpfung missbräuchlicher Gesellschaftsgestaltungen, die aber mit der Einführung des AStG11 eine erste wichtige Konkretisierung erfuhr. Heute adaptiert wiederum das BEPSProjekt der OECD/G20 den Ansatz eines Substanzerfordernisses, der wiederum Rückwirkungen auf die Gestaltung des nationalen Rechts nehmen soll. So nimmt etwa die in § 4j EStG geregelte sog. „Lizenzschranke“ Kap. 4 des Abschlussberichts 2015 zu Aktionspunkt 5 „Erfordernis der wesentlichen Geschäftstätigkeit (Substanz)“ in sich auf und soll diesem damit nationale Geltung verschaffen.

2. „Substanz“ im deutschen Ertragsteuerrecht Das Thema der Substanz ist nicht nur steuerpolitisch brisant, sondern hat sowohl für den international als auch für den rein national tätigen Stpfl. große praktische Bedeutung. Seine Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Struktur seiner wirtschaftlichen Tätigkeit ist regelmäßig von der Frage bestimmt, ob etwa eine Betriebsstätte, ein Teilbetrieb oder eine Tochter- bzw. Muttergesellschaft über eine hinreichende Substanz – mit anderen Worten eine wirtschaftliche Realität – verfügt, um als steuerlich uneingeschränkt existent zu gelten und die dementsprechenden ertragsteuerlichen Konsequenzen zu zeitigen. Ebenso muss der potentielle Erwerber einer Kapitalgesellschaft bei seiner Kaufentscheidung regelmäßig einpreisen, ob sein Kaufobjekt wirtschaftlich hinreichend substantiiert ist oder er sich im Fall des Erwerbs dem Stigma eines „Mantelkaufs“ ausgesetzt sieht und infolgedessen nicht in den Genuss des in der Gesellschaft gespeicherten Verlustvortrags kommt. Das deutsche Ertragsteuerrecht kennt indessen keinen allgemeinen Substanzbegriff, sondern stellt an verschiedenen Stellen substanzbezogene Erfordernisse auf, ohne dass das Vorliegen einer ausreichenden wirtschaftlichen „Substanz“ ausdrücklich als Tatbestandskriterium genannt werden würde. Der Gesetzgeber scheint dem Allgemeinplatz der „Substanz“ zu Recht zu misstrauen, doch werden die vagen Formulierungen, 10 BFH v. 17.7.1968 – I 121/64, BStBl. II 1968, 695 = FR 1969, 72. 11 AStG v. 8.9.1972, BGBl. I 1972, 1713.

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die er stattdessen gewählt hat, dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit kaum besser gerecht. Während etwa die (inzwischen als unionsrechtswidrig12 erkannte) Regelung des § 50d Abs. 3 EStG den Anspruch einer ausländischen Gesellschaft auf Entlastung von der Kapitalertragsteuer verneint, wenn ihre in dem betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge „nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen“ und „wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe“ für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft fehlen oder sie nicht mit einem „für ihren Gesellschaftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb“ wirtschaftlich tätig ist, verlangt § 8 Abs. 2 AStG für den Ausschluss der Hinzurechnungsbesteuerung, dass die ausländische Gesellschaft in ihrem Sitzstaat bzw. in dem Staat ihrer Geschäftsleitung einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachgeht. Eine zeitliche Dimension erlangt das Substanzkriterium in dem durch das BEPS-Umsetzungsgesetz13 eingeführten und seit dem 1.1.2017 geltenden § 50j EStG, der eine bestimmte Mindesthaltedauer für dividendenausschüttende Gesellschaftsanteile und eine dies flankierende Verpflichtung, das wirtschaftliche Risiko einer Anteilswertänderung zu tragen, zur Voraussetzung der Nutzung bestimmter Abkommensvorteile macht. Die Substanzerfordernisse tragen der Wertung Rechnung, dass es ein Erfordernis der Steuergerechtigkeit sei, die formal-rechtliche Lage zu durchschauen und die dahinter liegenden tatsächlichen wirtschaftlichen Umstände zu erfassen, wenn es ansonsten zu einer ungerechtfertigten Privilegierung bestimmter Stpfl. käme. Gesellschaftsbezogene Substanzanforderungen erlangen aber nicht nur in Fällen Bedeutung, in denen der Stpfl. versucht, durch das Ausreizen des Steuerrechts illegitime finanzielle Vorteile zu erlangen, sondern auch bei wirtschaftlich gut begründeten Gestaltungsentscheidungen, bei denen die durch mitunter vage formulierte Substanzerfordernisse geschaffene Rechtsunsicherheit nicht durch den Missbrauchsvermeidungszweck aufgewogen werden kann.14 Die vom Gesetzgeber in den zahlreichen Missbrauchsvorbehalten vorgenommenen Typisierungen werden darum regelmäßig als nicht hinreichend zielsicher und trennscharf kritisiert, wobei das BVerfG die 12 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24. 13 BEPS-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000. 14 In diese Richtung auch Zimmer auf dem 56. IFA-Kongress in Oslo am 25.8.2002, vgl. die Zusammenfassung des Generalberichterstatters Schiessl, IWB 2002, 943 (945) = F. 3, Deutschland Gr. 1, 1917 (1919). Dies wurde jüngst durch die EuGH-Entscheidungen (s. Fn. 11) bestätigt.

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verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Typisierungen jedoch nur in Ausnahmefällen als überschritten ansieht. Der EuGH hat hingegen deutlich gemacht, dass es keine unwiderleglichen Missbrauchsvermutungen geben dürfe, mit denen Freiheitsrechte des Unionsprimärrechtes oder Regelungen des Unions-Sekundärrechts eingeschränkt werden.15 Nur am Rande sei außerdem erwähnt, dass §§ 90 Abs. 2 AO, 76 Abs. 1 Satz 4 FGO bei der Einschaltung ausländischer Gesellschaften die Verschärfung der verfahrens- und prozessrechtlichen Mitwirkungspflichten des missbräuchlich handelnden wie des redlichen Stpfl. gleichermaßen anordnet und so den im Steuerrecht geltenden Amtsermittlungsgrundsatz partiell in Frage stellt. Neben der Typisierung von Missbrauchskonstellationen finden sich im deutschen Steuerrecht mitunter auch substanzbezogene Zuordnungsentscheidungen, die sich als „wertneutral“ bezeichnen lassen; so knüpfen etwa § 18 Abs. 1 Nr. 1–4, § 19 Abs. 2 Satz 1 AO die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden an den wirtschaftlichen Schwerpunkt der zu besteuernden Einkunftsquelle. § 1 Abs. 3 EStG bestimmt weiterhin, dass Grenzpendler, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, zu einer fingierten unbeschränkten Steuerpflicht in Deutschland optieren können, wenn ihre substanziellen Einkunftsquellen in Deutschland liegen. Dies ist alternativ anhand eines relativen oder eines absoluten Grenzwerts zu bestimmen. Relativ müssen die der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte mindestens 90 % der Gesamteinkünfte ausmachen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte dürfen den absoluten Betrag des in § 32a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG bestimmten Grundfreibetrags (8820 Euro im VZ 2017 bzw. 9000 Euro im VZ 2018) nicht übersteigen. Ist eine der Varianten erfüllt, so wird die unbeschränkte Steuerpflicht nicht schlechthin nach Deutschland verlagert, sondern lediglich bei der steuerrechtlichen Behandlung der inländischen Einkünfte i.S.v. § 49 EStG fingiert, um die Gleichbehandlung mit den deutschen Steuerinländern herzustellen, soweit der deutsche Staat Steuergläubiger ist. Es handelt sich dabei um eine Reaktion auf die Entscheidung „Schumacker“16, in der der EuGH die Nachteile der beschränkten Steuerpflicht (vor allem die Nichtberücksichtigung subjektiver Steuermerk15 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24, insbes. Rz. 70. 16 EuGH v. 14.2.1995 – C-279/93 (Schumacker), EuGHE 1995, I-225 = FR 1995, 224.

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male) als grundfreiheitswidrige Diskriminierung von Steuerausländern mit wesentlichen Einkünften im Inland qualifiziert hat.

3. Missbrauchsvorschriften im europarechtlichen Kontext Die verfassungsrechtliche Problematik wird von europarechtlichen Anforderungen flankiert, die sich insbes. aus der Niederlassungsfreiheit ergeben. Der EuGH hat bereits in der Entscheidung „Centros“17 klargestellt, dass es die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit nicht per se ausschließt, wenn die substanzlose oder substanzarme Niederlassung einer Gesellschaft in einem fremden Mitgliedstaat nur dem Zweck der Umgehung des Rechts ihres Herkunftsmitgliedstaats zu dienen bestimmt ist. Dies hat die Europarechtskonformität mitgliedstaatlicher Substanzerfordernisse zu einer Frage der Rechtfertigung der Grundfreiheitsbeschränkung gemacht und zwingt die Mitgliedstaaten, ihre substanzbezogenen Missbrauchsvermeidungsvorschriften stets kritisch auf ihre Erforderlichkeit zu befragen, da ansonsten ihre Unanwendbarkeit droht. Im Zuge seines Auftrags, das Europarecht konkretisierend auszulegen, hat der EuGH in der Entscheidung „Cadbury Schweppes“18 daraufhin die Anforderungen spezifiziert, die seiner Meinung nach die Niederlassungsfreiheit an den mitgliedstaatlichen Steuergesetzgeber bei der Gestaltung von Missbrauchsvermeidungsvorschriften stellt. Der Gerichtshof hatte dort entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit es dem Herkunftsmitgliedstaat grundsätzlich verbietet, die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat dadurch zu behindern, dass sie die Gewinne der Tochtergesellschaft bei Unterschreiten eines bestimmten Besteuerungsniveaus in ihrem Sitzstaat der eigenen inländischen Steuer unterwirft. Eine solche Ungleichbehandlung zu rein inländischen Mutter-Tochter-Gesellschaftsstrukturen und Niederlassungen in hochbesteuernden Mitgliedstaaten kann danach nur dann unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsvermeidung gerechtfertigt sein, wenn eine rein künstliche Gestaltung vorliegt, die das Ziel verfolgt, den Steuerrechtsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats zu entgehen.

17 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97 (Centros), EuGHE 1999, I-1459 = FR 1999, 449. 18 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes), EuGHE 2006, I-7995 = FR 2006, 987.

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Unter Zugrundelegung des Zwecks der Niederlassungsfreiheit, die wirtschaftliche Eingliederung in andere Mitgliedstaaten mittels ständiger Einrichtungen zu fördern, ist eine solche rein künstliche Gestaltung dann gegeben, wenn es der ausländischen Einrichtung an jeglicher wirtschaftlicher Realität fehlt, und die Niederlassung somit nur dem Zweck dienen soll, der inländischen Steuer zu entgehen (sog. Motivtest). Sobald jedoch die tatsächliche Ansiedlung über die für eine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit in dem Aufnahmemitgliedstaat ausreichende Mindestsubstanz in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen verfügt, ist der Schutz durch die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt. Irrelevant soll hingegen sein, ob die Tätigkeit genauso gut von einer Einrichtung im Herkunftsmitgliedstaat aus hätte durchgeführt werden können, in welchem Wirtschaftszweig das Unternehmen tätig ist, welche Größe des Unternehmen hat und ob es lediglich eigene Wirtschaftsgüter verwaltet. Schließlich lässt sich dem Urteil auch kein Hinweis auf einen Ausschluss „geoutsourcter“ Tätigkeiten von der Substanzbetrachtung entnehmen.19 Der EuGH nimmt damit nur eine stark zurückgenommene Missbrauchskontrolle vor, ohne die wirtschaftliche Plausibilität der Gestaltungsentscheidung in seine Erwägung miteinzubeziehen. In der Entscheidung „Felixstowe“20 hat der EuGH diese Grundsätze nochmals bestätigt und klargestellt, dass auch die Bekämpfung von Steueroasen keinen anderen Rechtfertigungsmaßstab begründet. Auch die jüngste Rspr. des EuGH21 bleibt dieser Linie treu, so dass eine Einschränkung der Grundfreiheiten und des Unions-Sekundärrechts nur auf der Basis einer Gesamtprüfung der relevanten Umstände des Einzelfalls, aber nicht auf Basis einer allgemeinen unwiderleglichen Vermutung, also in abstraktgenereller Form, erfolgen kann. Zusätzliche Brisanz hat die europarechtliche Seite des Substanzthemas schließlich aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie22, der Fusionsrichtlinie23 und vor allem der neuen Anti-Tax-Avoidance-Richtlinie24 erlangt, die es fraglich erscheinen lassen, inwieweit das Europarecht noch Raum für autonome mitgliedstaatliche Lösungen des Problems des Regelungsmissbrauchs durch allgemeine Regelungen lässt, da der EuGH 19 Vgl. Haase, IStR 2016, 767 (768). 20 EuGH v. 1.4.2014 – Rs. C-80/12 (Felixstowe), AG 2014, 699. 21 EuGH v. 7.9.2017 – C-6/16 (Eqiom und Enka), HFR 2018, 175; v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24. 22 Richtlinie 90/435/EWG v. 23.7.1990, ABl. EWG 1990 Nr. L 225, 6. 23 Richtlinie 2009/133/EG v. 19.10.2009, ABl. EG 2009 Nr. L 310, 34. 24 Richtlinie 2016/1164/EU v. 12.7.2016, ABl. EU 2016 Nr. L 193, 1.

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ganz deutlich gemacht hat,25 dass er nur Individualregelungen für geeignet hält, dem Grundsatz der „Erforderlichkeit“ der Freiheitsrechtseinschränkung zu genügen.

III. § 50d Abs. 3 EStG als vergünstigungsausschließendes Substanzmangelkriterium Typische Substanzerfordernisse finden sich in § 50d Abs. 3 EStG. Diese Norm hat der Gesetzgeber 1994 als Reaktion auf das sog. „Monaco“-Urteil des BFH26 eingeführt.27 Dem entnahm er, dass die Anwendung von § 42 AO auf substanzlose ausländische Basisgesellschaften ausgeschlossen sei, wenn kein gesellschaftsrechtlicher Bezug zum Inland mehr bewiesen werden könne und es darum zu befürchten sei, dass solche Beziehungen zukünftig durch Treuhandverhältnisse vor dem Blick der Finanzverwaltung erfolgreich verborgen werden könnten. Um beschränkt Stpfl. keine vermeidbaren Missbrauchsfreiräume zu belassen, die unbeschränkt Stpfl. nicht zukommen, hat der Gesetzgeber die auf Grundlage des Angemessenheitskriteriums in § 42 AO entwickelte sog. Basisgesellschaft-Rspr. des BFH in Gesetzesform gegossen und so die diesbezügliche Gleichbehandlung unbeschränkt und beschränkt Stpfl. wiederhergestellt. Im Laufe der Jahre wurde die Regelung von § 50d Abs. 1a EStG in Abs. 3 verschoben und mehreren Änderungen unterzogen28. § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG knüpft die Annahme einer missbräuchlichen gesellschaftlichen Gestaltung an mehrere Voraussetzungen. Der Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch für Quellensteuer ist der ausländischen Gesellschaft danach zu verwehren, soweit an ihr in Deutschland unbeschränkt Stpfl. oder andere Personen beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus ihrer eigenen Wirtschaftstätigkeit stammen. Diese flexible Lösung („soweit“) wurde durch das BeitrRLUmsG ab 1.1.2012 an die Stelle der von der Europäischen Kommission als grundfreiheitswidrig angesehenen starren 10 %-Rege-

25 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24, Rz. 74. 26 BFH v. 29.10.1981 – I R 89/80, BStBl. II 1982, 150 = FR 1982, 101. 27 Vgl. BT-Drucks. 12/5630, 65. 28 Zuletzt mit Ges. v. 7.12.2011, BGBl. I 2011, 2592 (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz).

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lung gesetzt,29 wonach es den Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch der ausländischen Gesellschaft vollständig beseitigt hatte – und zwar ohne Möglichkeit, die Missbrauchsvermutung zu widerlegen – wenn der Anteil an den Bruttoerträgen, die aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, die 10 %-Schwelle nicht überschritten hatte. Aus Sicht des FG Köln30 ist aber auch für die geänderte Regelung die Unionsrechtskompatibilität zweifelhaft, weil erneut kein Gegenbeweis im Einzelfall zugelassen wurde. Was unter „eigener Wirtschaftstätigkeit“ im Einzelnen zu verstehen ist, lässt sich dem Wortlaut nur schwer entnehmen und kann in Ermangelung eines hinreichenden Fundus an diesbezüglicher Rspr. auch nur eingeschränkt kasuistisch ermittelt werden. Das mittlerweile aufgehobene sog. „Cadbury-Schweppes-Schreiben“31 umschreibt die „wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit“ jedoch als „über den Rahmen der Vermögensverwaltung hinausgehende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“, während der BFH in älteren, zu § 42 AO bzw. § 6 StAnpG ergangenen Entscheidungen die eigene Wirtschaftstätigkeit dadurch charakterisiert und von bloßen Verwaltungs- und Rechtshandlungen abgegrenzt hat, dass sie unternehmerisch ist32 und die Gesellschaft ein dementsprechendes Risiko trägt,33 was etwa auch die Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holding erfassen soll. Weiterhin muss die ausländische Gesellschaft wenigstens eines der zwei genannten Substanzmangelkriterien erfüllen, um den Ausschluss des Entlastungsanspruchs in Höhe des zuvor ermittelten Anteils der nicht eigenwirtschaftlich erlangten Bruttoerträge zu rechtfertigen: entweder fehlt es in Bezug auf die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammenden Erträge an einem wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft (Nr. 1) oder diese nimmt nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessenen 29 Die Kommission hatte dazu ein Vertragsverletzungsverfahren in Gang gesetzt (Az. 2007/4435). 30 FG Köln v. 17.5.2017 – 2 K 773/16, EFG 2017, 1518, Rz. 167; das EuGH-Verfahren ist zum Zeitpunkt des Manuskriptabschlusses noch nicht entschieden. 31 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/1032913, BStBl. I 2012, 171 = FR 2012, 233, Tz. 5.2. 32 Vgl. BFH v. 9.12.1980 – VIII R 11/77, BStBl. II 1981, 339 = FR 1981, 286; v. 2.6.1992 – VIII R 8/89, BFH/NV 1993, 416; v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235 = FR 1998, 572. 33 Vgl. BFH v. 31.5.1972 – I R 94/69, BStBl. II 1972, 697; v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235 = FR 1998, 572.

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Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr ihres Ansässigkeitsstaats teil (Nr. 2). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine mit hinreichender Substanz ausgestattete ausländische Muttergesellschaft sowohl aus einem beachtlichen Grund in die Leistungskette zwischen der Tochtergesellschaft und den Anteilseignern eingeschaltet worden ist, als auch mittels zweckgerechter Betriebseinrichtungen an dem Wirtschaftsverkehr in ihrem Ansässigkeitsstaat teilnimmt. Wirtschaftliche Gründe für eine solche Gestaltung hat der BFH in seiner auf § 42 AO gestützten Rspr. etwa in der Stellung als Konzernspitze34, der Wahrnehmung geschäftsleitender Funktionen35 und in der Übernahme von Finanzierungsaufgaben36 erkannt, während sonst beachtliche Gründe in Ermangelung einschlägiger Judikatur abstrakt als Oberbegriff für rechtliche, politische oder auch religiöse Gründe verstanden wird.37 Der angemessen eingerichtete Geschäftsbetrieb liegt in dem „greifbaren Vorhandensein“ von qualifiziertem Personal, Geschäftsräumen und Kommunikationsmitteln.38 Das sich aus den in § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG bestimmten Anforderungen zusammensetzende Bild von der wirtschaftlichen Mindestsubstanz der ausländischen Gesellschaft erhält in den darauf folgenden beiden Sätzen in manchen Beziehungen zusätzliche Konturen. Zunächst ordnet § 50d Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 EStG eine isolierte Betrachtung der ausländischen Gesellschaft an; § 50d Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 EStG stellt dazu klar, dass selbst die organisatorischen, wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnisse der der ausländischen Muttergesellschaft i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG nahestehenden Unternehmen keinen Einfluss auf die Beurteilung der Substanzkriterien haben dürfen. § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG spricht weiterhin das „Outsourcing“ von Unternehmensfunktionen an. Zu den eigenen wesentlichen Wirtschaftstätigkeiten der ausländischen Gesellschaft gehören danach ausschließlich von ihr selbst erbrachte Handlungen, während auf Dritte ausgelagerte Tätigkeiten ebenso wenig in die Erwägung einzubeziehen sind, wie aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielte Bruttoerträge. Auch diese Regelung wird vom FG Köln

34 35 36 37

BFH v. 29.1.1975 – I R 135/70, BStBl. II 1975, 553. BFH v. 29.1.2008 – I R 26/06, BStBl. II 2008, 978 = FR 2008, 672. BFH v. 20.3.2002 – I R 63/99, BStBl. II 2003, 50 = FR 2002, 1077. BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/1032913, BStBl. I 2012, 171 = FR 2012, 233, Tz. 6. 38 BMF v. 24.1.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 – DOK 2011/1032913, BStBl. I 2012, 171 = FR 2012, 233, Tz. 7.

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im Vorlagebeschluss vom 17.5.201739 völlig zu Recht als über das zur Verhinderung von „Directive Shopping“ erforderliche Maß weit hinausgehend gewürdigt.

1. Vorliegen eines „Treaty Override“ Eine Gesamtschau der Tatbestandskriterien der Norm weist auf eine bestimmte als Steuervermeidungsstrategie typisierte Konstellation hin. § 50d Abs. 3 EStG soll danach den Fall erfassen, dass die Auszahlung von Kapitalerträgen über eine substanzlose oder substanzarme ausländische Muttergesellschaft geleitet wird, an der primär beschränkt steuerpflichtige Anteilseigner beteiligt sind, um sich durch die Zwischenschaltung der Gesellschaft einen Vorteil zu verschaffen. Die Regelung trifft aber, wie die Entscheidung des FG Köln40 zeigt, auch MäanderStrukturen, bei denen der betroffene Gesellschafter eine Anrechnung bzw. Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer ohne die Zwischenschaltung der Auslandsgesellschaft erhalten hätte, es also keinerlei Raum für einen „Missbrauch“ bzw. Vorteil geben kann. Es spricht m.E. viel dafür, dass in diesen Fällen für die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG kein Raum bleibt. Ziel einer solchen Gestaltung ist regelmäßig, die formale Anspruchsberechtigung der zwischengeschalteten ausländischen Muttergesellschaft für die sich etwa aus DBA („treaty shopping“) oder der MutterTochter-Richtlinie („directive shopping“) ergebenden Vorteile für bei unmittelbarer Beteiligung nicht berechtigte Anteilseigner zu schaffen. In den Fällen, in denen dies zwar auf Abkommens- bzw. Richtlinienebene gelingt, die wirtschaftliche Realität die daran anknüpfende Rechtsfolge der Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer nach § 50d Abs. 1 EStG bzw. deren Freistellung nach § 50d Abs. 2 EStG aber nicht rechtfertigt, soll § 50d Abs. 3 EStG der ausländischen Gesellschaft den Anspruch hierauf verwehren. Dies wird vom Gesetzgeber nicht als „Override“ der abkommensrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben verstanden, sondern als Konkretisierung eines sämtlichen bilateralen Abkommen und Maßnahmen inhärenten Umgehungsvorbehalts, den der Gesetzgeber den Textziffern 7 ff. des amtlichen Kommentars zu Art. 1 des OECD-Muster-

39 FG Köln v. 17.5.2017 – 2 K 773/16, EFG 2017, 1518, Rz. 170. 40 FG Köln v. 17.5.2017 – 2 K 773/16, EFG 2017, 1518, Rz. 119 und 160.

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abkommens 1992, und den Missbrauchsklauseln europarechtlicher Regelungen41 entnimmt. In welchem Verhältnis § 50d Abs. 3 EStG zu völkerrechtlichen Abkommen tatsächlich steht, lässt sich nur schwer beurteilen. Zunächst ist zu erkennen, dass es nicht erst Abs. 3 ist, der das im konkreten Anwendungsfall anwendbare Doppelbesteuerungsabkommen überschreibt, sondern bereits § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG, der nationale Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Kapitalertragsteuern für anwendbar erklärt, und zwar „ungeachtet (…) des Abkommens“. Daraufhin wird aber die Harmonie zwischen nationalem Recht und Abkommensrecht wiedergeherstellt, indem § 50d EStG den Anspruch auf Vergütung abkommenswidrig vereinnahmter Kapitalertragsteuer zum Gegenstand einer Ausnahme macht (Abs. 1 Satz 2) bzw. einen Anspruch auf Freistellung (Abs. 2) einräumt.42 § 50d Abs. 3 EStG schließt diese Ansprüche wiederum aus, ohne eine Rückkehr zur Anwendbarkeit der nationalen Regeln „ungeachtet (…) des Abkommens“ anzuordnen oder einen sonstigen Hinweis auf anwendbare Abkommen zu regeln. Sollte die Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG demnach zu einer nicht bereits in dem einschlägigen Abkommen vorgesehenen Rechtsfolge kommen, spricht alles dafür, einen sog. „verdeckten Treaty Override“43 anzunehmen, der in Ermangelung eines im Normwortlaut hinreichend klar zum Ausdruck gebrachten „Durchbrechungswillens“ des Gesetzgebers keine die Anordnung des Abkommensvorrangs durch § 2 Abs. 1 AO überschreibende Wirkung entfalten könnte.44 § 50d Abs. 3 EStG ließe sich somit nur vor der Verdrängung durch vorrangig anzuwendende Besteuerungsabkommen retten, wenn man seinen Wortlaut und den dort enthaltenen gesetzgeberischen Willen dahingehend interpretiert, dass die Norm einen vermeintlichen abkommensinhärenten Umgehungsvorbehalt ausschließlich deklaratorisch wiederholt. Eine solche Auslegung würde auch das Problem lösen, wie eine Kollision von § 50d Abs. 3 EStG mit einem ausdrücklich in dem einschlägigen Abkommen enthaltenen Missbrauchsvorbehalt zu behandeln 41 BT-Drucks. 12/5630, 65. 42 Vgl. Gosch, IStR 2008, 413 (415). 43 Zu diesem Begriff und den Anforderungen eines wirksamen „Override“ Jürgen Lüdicke, IStR 2017, 289 (290 ff.). 44 Vgl. auch Jürgen Lüdicke, IStR 2012, 81 (85); Frotscher, FS Schaumburg, 687 (689), dagegen BFH v. 28.11.2001 – I B 169/00, BFH/NV 2002, 774 (zu § 50d Abs. 1a EStG 1990/1994); Gosch in Kirchhof, EStG16, § 50d Rz. 25.

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ist; eine solche Kollision wäre dann nämlich zugunsten der ausdrücklichen Missbrauchsvermeidungsregel zu lösen, zumal sowohl § 2 Abs. 1 AO als auch der allgemeine Spezialitätsgrundsatz der Abkommensregelung den Vorrang einräumen würde. Eine solche Auslegung wird von Frotscher mit Blick auf die Regelungen des OECD-Musterabkommens zu Umgehungen und dem Begriff des „Nutzungsberechtigten“ (beneficial owner) für möglich gehalten. In darüber hinausschießenden Anwendungsfällen will er eine teleologische Reduktion vornehmen.45 Der Rückgriff auf Zurechnungsgrundsätze wird aber m.E. dadurch gesperrt, dass die Aufteilungsklausel nunmehr einen partiellen Anspruchsausschluss anordnet, der dem Anteil passiver Erträge entspricht und somit eine mit Zurechnungserwägungen inkonsistente Rechtsfolge anordnet.46 Im Ergebnis lässt sich somit jedenfalls der Schluss ziehen, dass § 50d Abs. 3 EStG für abkommensberechtigte Stpfl. keine zusätzlichen rechtlichen Konsequenzen zeitigen kann, sei es, indem man § 50d Abs. 3 EStG den Vorrang vor dem einschlägigen Abkommen versagt, sei es, dass man keine Rechtswirkungen annimmt, die nicht bereits das Abkommen vorsieht.

2. Zweifel an der Europarechtskonformität Die Europarechtskonformität des pauschalisierenden Missbrauchsvorbehalts in § 50d Abs. 3 EStG wird aktuell vom FG Köln in drei Vorabentscheidungsersuchen in Zweifel gezogen.47 Während die ersten beiden Gesuche die Gesetzesfassung aus dem Jahr 2007 zum Gegenstand haben,48 geht es in der Vorlage vom 17.5.2017 um die seit 2012 geltende Fassung. Anlass für das jüngste Gesuch ist die Klage einer niederländische Holdinggesellschaft, die über Büroräume und Personal in den Niederlanden verfügt und in alleinigem Anteilseigentum einer deutschen GmbH steht (sog. Mäander-Struktur), gegen das Bundeszentralamt für Steuern. Es geht dabei um die Kapitalertragsteuer auf Ausschüttungen ihrer deutschen Tochter-GmbH, deren Erstattung das Bundeszentralamt auf Grundlage von § 50d Abs. 3 EStG versagt hat. Während die Tatbestandserfüllung 45 Frotscher, FS Schaumburg, 687 (689). 46 Klein/Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach EStG/KStG, § 50d EStG Rz. 52. 47 FG Köln v. 17.5.2017 – 2 K 773/16, EFG 2017, 1518; v. 31.8.2016 – 2 K 721/13, EFG 2017, 51 (Az. EuGH C-613/16); v. 8.7.2016 – 2 K 2995/12, EFG 2016, 1801 (Az. EuGH C-504/16). 48 Vgl. zu diesen beiden Gesuchen umfassend Biebinger/Hiller, IStR 2017, 299.

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nicht in Streit steht, zweifelt das FG Köln zunächst an der Vereinbarkeit von § 50d Abs. 3 EStG mit der Niederlassungsfreiheit. Ausgangspunkt des Gerichts ist, dass die Regelung die Konsequenz der Belastung einer ausländischen Holdinggesellschaften mit Kapitalertragsteuer zeitige, während eine entsprechende inländische zwischengeschaltete Gesellschaft ohne weiteres in den Genuss der weitgehenden Steuerbefreiung nach § 8b KStG käme. Unter dem Gesichtspunkt der Missbrauchsbekämpfung könne dies nicht gerechtfertigt werden, da die kumulativen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG die Anspruchsberechtigung ausländischer Gesellschaften unverhältnismäßig erschweren würde, gerade da die Regelung auch aus nicht als missbräuchlich qualifizierbaren Gründen getroffene Strukturentscheidungen erfasse und für solche Fälle keinen Gegenbeweis vorsehe, der einer überschießenden Anwendung entgegenwirke. Unter dem Vorzeichen der Missbrauchsbekämpfung fehlgeleitete Resultate ergäben sich zudem daraus, dass § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG nahestehende Gesellschaften bei der Prüfung der wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft ausblende. Der EuGH49 hat sich im Urteil vom 20.12.2017 für die ersten beiden Konstellationen (also zum alten Recht) der Ansicht des FG Köln angeschlossen und diese als dem Unionsrecht widersprechend gekennzeichnet. Die Argumente des EuGH decken sich mit den vom EuGH in „Cadbury Schweppes“50 aus der Niederlassungsfreiheit abgeleiteten Maßstab für europarechtskonforme Missbrauchsvermeidungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten und stehen damit der Europarechtskonformität von § 50d Abs. 3 EStG entgegen. Man mag zwar zugeben, dass § 50d Abs. 3 EStG in vielen Anwendungsfällen zu sachgerechten Resultaten führt, zumal die Empirie dem Gesetzgeber Recht gibt, wenn er die in der Regelung beschriebene Sachlage als missbräuchliche Gestaltung typisiert. Die Wichtigkeit der Niederlassungsfreiheit für den Binnenmarkt verbietet es aber, unter der Ägide einer effektiven Missbrauchsbekämpfung aus redlichen Motiven getroffene Strukturgestaltungen ohne konkrete Entlastungsmöglichkeit zu benachteiligen, selbst wenn es sich um Grenzfälle handeln sollte. Gerade die Tatsache, dass die ausländische Gesellschaft, zu deren Ungunsten § 50d Abs. 3 EStG zur Anwendung gebracht wurde, sowohl über Räume und Mitarbeiter in ihrem Sitzstaat verfügte, 49 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24. 50 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, EuGHE 2006, I-7995 = FR 2006, 987.

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macht sie zu einem Paradebeispiel für die vom EuGH in „Cadbury Schweppes“ umrissene Mindestsubstanz und zeigt die Schwäche des pauschalen Missbrauchsvorbehalts auf. Hinzu kommt, dass das Ausblenden „geoutsourcter“ Tätigkeiten bei der Beurteilung über die in „Cadbury Schweppes“ bestimmten zulässigen Kriterien nationaler Missbrauchsnormen hinausgeht (s.o.) und darum kaum wird Bestand haben können. Weiterhin stellt sich auch die Frage, ob ein § 50d Abs. 3 EStG entsprechender Missbrauchsvorbehalt mit Art. 1 Abs. 2 der Mutter-TochterRichtlinie51 in Einklang steht, wonach die Mitgliedstaaten die Vorteile der Richtlinie nicht gewähren, wenn eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vorliegt, die auf die Erlangung von zweckwidrigen Vorteilen gerichtet ist. Während die deutsche Sprachfassung eine Missbrauchsdefinition durch die Mitgliedstaaten zuzulassen scheint, erlauben andere Sprachfassungen eine Versagung der Steuervergünstigung durch die Mitgliedstaaten nur dann, wenn diese zur Missbrauchsvermeidung „required“ (englisch), „nécessaire“ (französisch), „necessarie“ (italienisch) und „necesarias“ (spanisch) ist. Diese Formulierungen ergeben nur dann Sinn, wenn der Richtlinie ein unionsrechtliches Missbrauchsverständnis zugrunde liegt, das einen einheitlichen Bezugspunkt der durchgängig verlangten „Erforderlichkeit“ statuiert. Ein unionsrechtlich determinierter Missbrauchsbegriff entspräche auch dem Zweck der Mutter-Tochter-Richtlinie, der darin besteht, der Niederlassungsfreiheit Geltung zu verschaffen, indem er garantiert, dass die durch die Richtlinie gewährten Vergünstigungen auch in potentiellen Umgehungsfällen der mitgliedstaatlichen Disposition entzogen sind.52 Der EuGH hat den wertungsmäßigen Gleichklang zwischen den Missbrauchsanforderungen bei dem Unions-Primärrecht und dem Unions-Sekundärrecht in seiner verbundenen Entscheidung zu Rs. C-504/16 und C-613/1653 explizit bestätigt.

51 Richtlinie 90/435/EWG v. 23.7.1990, ABl. EWG Nr. L 225, 6 und deren Fortentwicklung in der Richtlinie 2003/123/EG, ABl. EG 2003 Nr. L 157, und der Richtlinie 2011/96/EU des Rates v. 30.11.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 345, 8; die Mutter-Tochter-Richtlinie in der jüngsten Fassung der Richtlinie (EU) 2015/121 des Rates v. 27.1.2015, ABl. EU 2015 Nr. L 21, 1, ist im Streitfall indes nicht anwendbar, da sie das Streitjahr 2013 nicht erfasst. 52 Vgl. Schön, IStR 1996, Beihefter zu Heft 2, 1 (7 f.). 53 EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24, Rz. 97.

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IV. Die „wirtschaftliche Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG und Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Unterabs. 2 ATAD § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG stellt den Gegenpol zu § 50d Abs. 3 EStG dar. Während Letzterer einen Privilegierungsausschluss bei Zwischenschaltung einer anhand typisierender Merkmale als substanzmangelhaft qualifizierten ausländischen Gesellschaften normiert, erlaubt es § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG inländischen Stpfl., einen einzelfallbezogenen Substanzbeweis zu leisten, um negative ertragsteuerliche Konsequenzen der Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft abzuwehren. Die Rechtsfolgen der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 10 Abs. 1 AStG ergeben sich danach nämlich nicht für Einkünfte, bezüglich derer dem unbeschränkt Stpfl. der Nachweis gelingt, dass sie aus einer „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ der ausländischen Gesellschaft stammen (und der zwischenstaatliche Auskunftsverkehr nach § 8 Abs. 2 Satz 2 AStG garantiert ist), selbst wenn ansonsten die Voraussetzungen der §§ 7 ff. AStG gegeben sein mögen. Wie sich an § 18 Abs. 3 Satz 1 AStG ablesen lässt, ergänzt die Möglichkeit des Gegenbeweises die enumerative Aufzählung von aktiven Einkünften in § 8 Abs. 1 AStG und ist dementsprechend erst dann relevant, wenn bereits feststeht, dass passive Einkünfte in Rede stehen, die eigentlich dem unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseigner in Höhe ihres Hinzurechnungsbetrags zugeordnet werden müssten.

1. Umsetzung von „Cadbury Schweppes“ Die Entlastungsmöglichkeit in § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG soll die Cadbury Schweppes-Grundsätze umsetzen54 und ist in diesem Sinne auszulegen. Keine Bedeutung hat es dementsprechend, dass die deutsche Wortlautfassung des Urteils von einer „wirklichen“ anstatt von einer „tatsächlichen“ wirtschaftlichen Tätigkeit spricht. Der Gesetzgeber räumt ein, dass er der Rspr. des EuGH keine endgültige Definition des Ausdrucks „tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit“ zu entnehmen vermag, doch leitet er insbes. aus „Cadbury Schweppes“ Kriterien ab, die er als maßgeblich für deren Feststellung ansieht.55 Diese Kriterien entlehnt er dem grundfreiheitlichen Niederlassungsbegriff, der es ermöglichen soll, „in stabiler und kontinuierlicher Weise am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates teilzunehmen“ und damit an eine „tatsächliche Ansiedlung“ sowie an die „Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätig54 Vgl. BT-Drucks. 16/6290, 91. 55 Auch zum Folgenden vgl. BT-Drucks. 16/6290, 91.

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keit“ anknüpft, was vor allem dann zu verneinen sei, wenn die Gesellschaft ihre Kernfunktion nicht selbst ausübt oder nur Beteiligungen verwaltet, ohne geschäftsleitende Funktionen auszuüben. Die Feststellung dieser Voraussetzungen müsse auf „objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten beruhen“, wozu insbes. das „Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen“ gehöre. Am 8.1.2007 wurde das „Schreiben betr. Hinzurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG)“56 des BMF veröffentlicht. Dieses Schreiben erging noch nicht zu § 8 Abs. 2 AStG, sondern hat den Grundsätzen aus „Cadbury Schweppes“ im Rahmen unionsrechtskonformer Auslegung der Vorschriften zur Hinzurechnungsbesteuerung Geltung verschafft. Obwohl das Schreiben mit der ausdrücklichen Normierung der Cadbury Schweppes-Grundsätze obsolet geworden ist, spricht vieles für die Übertragbarkeit der dortigen Überlegungen auf die Auslegung von § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG. Selbst wenn die Voraussetzungen der §§ 7–14 AStG vorliegen, sollte danach kein Hinzurechnungsbetrag nach § 18 AStG festzustellen sein, wenn der Stpfl. nachweist, dass die Gesellschaft im Ansässigkeitsstaat einer „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ nachgeht. Das Schreiben hatte dies in einem nicht abschließenden Katalog („insbesondere“) von Umständen konkretisiert, die der Stpfl. vorbringen musste, um seinen Anspruch auf die Ausnahme von der Hinzurechnungsbesteuerung zu untermauern, „Der Steuerpflichtige hat insbesondere nachzuweisen, dass a) die Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, am dortigen Marktgeschehen im Rahmen ihrer gewöhnlichen Geschäftstätigkeit aktiv, ständig und nachhaltig teilnimmt, b) die Gesellschaft dort für die Ausübung ihrer Tätigkeit ständig sowohl geschäftsleitendes als auch anderes Personal beschäftigt, c) das Personal der Gesellschaft über die Qualifikation verfügt, um die der Gesellschaft übertragenen Aufgaben eigenverantwortlich und selbstständig zu erfüllen, d) die Einkünfte der Gesellschaft ursächlich aufgrund der eigenen Aktivitäten der Gesellschaft erzielt werden, e) den Leistungen der Gesellschaft, sofern sie ihre Geschäfte überwiegend mit nahe stehenden Personen im Sinne des § 1 Abs. 2 AStG betreibt, für die Leistungsempfänger wertschöpfende Bedeutung zukommt und die Ausstattung 56 BMF v. 8.1.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07, BStBl. I 2007, 99 = FR 2007, 206.

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Lüdicke, Substanzanforderungen im Ertragsteuerrecht mit Kapital zu der erbrachten Wertschöpfung in einem angemessenem Verhältnis steht.“

und verwies ansonsten auf die „Umstände des Einzelfalls“. Das FG Münster folgte indes nicht dieser Auslegung, sondern legte seinem Urteil vom 20.11.201557 ein verschärftes Verständnis der aus „Cadbury Schweppes“ abzuleitenden Kriterien zugrunde. Dort hat das FG die Rspr. des EuGH dahingehend ausgelegt, dass die ausländische Gesellschaft Ressourcen im Aufnahmestaat „gezielt“ nutzen müsse, was besonders ausgestattete Räumlichkeiten, Maschinen oder hinreichend qualifiziertes Personal oder Produktionsbedingungen betreffe, während die rechtlichen Gegebenheiten des Ansässigkeitsstaats nicht ins Gewicht fallen dürften. Sollte die Entscheidung des FG Bestand haben, was angesichts der eingelegten Revision58 und der unionsrechtlich determinierten Notwendigkeit, effektiv einen Gegenbeweis führen zu können,59 zweifelhaft erscheint, würde dies jedoch auch Rückschlüsse auf die Auslegung von § 8 Abs. 2 AStG erfordern. Dies ist jedoch nicht zu erwarten, denn die Auslegung durch das FG setzt der Niederlassungsfreiheit Hindernisse, die weit über das in „Cadbury Schweppes“ skizzierte zulässige Maß hinausgehen. Zum Zweck der Verhinderung von Missbrauchsgestaltungen darf das nationale Recht nämlich nur eine tatsächliche Ansiedlung in Ausübung der Niederlassungsfreiheit verlangen, nicht aber eine Rechtfertigung der konkreten Allokationsentscheidung durch objektive und greifbare landesspezifische Gründe.

2. Anpassungsbedarf an Art. 7 ATAD Art. 7 ATAD sieht die unionsweite Einführung einer Hinzurechnungsbesteuerung in die mitgliedstaatlichen Körperschaftsteuersystemen60 vor. Ist ein Unternehmen oder eine Betriebsstätte eines Unternehmens, dessen Gewinne nicht in dem Mitgliedstaat des Stpfl. der Steuer unterliegen oder steuerbefreit sind, ein „beherrschtes ausländisches Unternehmen“ i.S.v. Abs. 1, so sind die in Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD aufgezählten „passiven“ Einkünfte des beherrschten Unternehmens in die 57 FG Münster v. 20.11.2015 – 10 K 1410/12 F, EFG 2016, 453, nrkr., Rev. Az. BFH I R 94/15. 58 Az. BFH: I R 94/15. 59 Vgl. EuGH v. 20.12.2017 – C-504/16 und C-613/16 (Deister Holding), ABl. EU 2018 Nr. C 72, 24, Rz. 74. 60 Zur Beschränkung der Richtlinie auf körperschaftsteuerpflichtige Stpfl. durch Art. 1 Abs. 1 ATAD vgl. u.a. Lüdicke/Oppel, DB 2016, 549 f.

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Steuerbemessungsgrundlage des beherrschenden Stpfl. im Mitgliedstaat einzubeziehen. Art. 7 Abs. 2 Buchst. a Unterabs. 2 ATAD sieht eine Ausnahme von der Zurechnung vor,61 wenn das beherrschte Unternehmen den sog. Cadbury-Test besteht.62 Dazu muss es, gestützt auf Personal, Ausstattung, Vermögenswerte und Räumlichkeiten eine „wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit“ ausüben und dies durch relevante Fakten und Umstände nachweisen. Ob die Wortlautdivergenz zwischen der „tatsächlichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ in § 8 Abs. 2 Satz 1 AStG bzw. der „wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit“ in „Cadbury Schweppes“ und der finalen Fassung von Art. 7 ATAD auch einen qualitativen Unterschied zwischen den verschiedenen Substanzbegriffen zum Ausdruck bringt, ist nicht ganz eindeutig. Zwar spricht das Erfordernis der „Wesentlichkeit“ in der Richtlinie dafür, dass die Mitgliedstaaten in Zukunft höhere Anforderungen an das Vorliegen einer hinreichenden Substanz stellen, doch würde dies eine Schwächung der Niederlassungsfreiheit zugunsten eines intensiveren Schutzes der inländischen Besteuerungsgrundlagen bedeuten. Dass der Richtliniengesetzgeber einen solchen Paradigmenwechsel gegenüber den gefestigten Grundsätzen aus „Cadbury Schweppes“ durch eine bloße Wortlautänderung herbeiführen wollte, ist insbes. zweifelhaft, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich nach Art. 3 ATAD lediglich um ein Mindestschutzniveau handeln soll und es den Mitgliedstaaten freigestellt wird, die inländischen Körperschaftsteuerbemessungsgrundlagen noch stärker zu schützen, was nach der Rspr. des EuGH dann aber mit einer Einzelfallprüfung zu verbinden wäre.

V. Der Verweis auf den sog. Nexus-Ansatz der OECD/ G20 im Rahmen der Lizenzschranke nach dem neuen § 4j EStG Ein Substanzkriterium sui generis enthält die sog. Lizenzschranke des neuen § 4j EStG. Die Lizenzschranke soll der internationalen Mobilität immaterieller Wirtschaftsgüter (Patente, Lizenzen etc.) und dem damit verbundenen besonderen Potential für steuerwettbewerbliche 61 Nach Unterabs. 3 kann der die Richtlinie umsetzende Mitgliedstaat auf die Ausnahme verzichten, wenn das beherrschte Unternehmen in einem Drittstaat ansässig oder belegen ist. 62 Ausführlich zu dem Verhältnis von Art. 7 ATAD und §§ 7 ff. AStG Linn, IStR 2016, 645.

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Grabenkämpfe zwischen den Staaten Rechnung tragen. Diese können durch die Installation entsprechender Präferenzregime (IP-, Lizenzoder Patentboxen) die Ansiedlung der immateriellen Produktionsfaktoren multinationaler Konzerne verhältnismäßig einfach anreizen und ihren Nachbarstaaten so effektiv Steuerquellen entziehen (sog. „Beggarthy-neighbor“-Politik).63 Der Abschlussbericht zu Aktionspunkt 5 des Projekts der OECD/G20 zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung („Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz“)64 enthält zwar eine (unverbindliche) Verständigung der beteiligten Staaten, die Anwendung solcher Präferenzregelungen von einer substantiellen Geschäftstätigkeit in ihrem Inland abhängig zu machen (sog. Nexus-Ansatz), doch sieht die Bundesregierung die Gefahr schädlicher steuergesetzlicher Maßnahmen auf diesem Gebiet dadurch noch nicht als gebannt an. Die Lizenzschranke soll die Effekte solcher Maßnahmen konkurrierender Staaten abwehren, indem sie die Lizenzeinkünfte indirekt besteuert, die eine ausländische Gesellschaft von ihr i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG nahestehenden inländischen Stpfl. bezieht und einer von der Regelbesteuerung abweichenden ertragsteuerlichen Belastung von insgesamt weniger als 25 % unterliegt (vgl. Abs. 1 und 2). Ansatzpunkt der indirekten Besteuerung ist ein sich nach dem Verhältnis der ausländischen Präferenzbesteuerung zu dem Referenztarif von 25 % zu bemessendes Teilabzugsverbot (Abs. 3) für die Lizenzaufwendungen des inländischen Stpfl. Dies führt faktisch zu einer der Hinzurechnungsbesteuerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG vergleichbaren Anrechnung des einer Niedrigbesteuerungsquote entsprechenden Teils der ausländischen Lizenzeinkünfte auf die Einkünfte des inländischen Stpfl. Um eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden, sieht § 4j Abs. 1 Satz 5 EStG deshalb vor, dass die Anwendung der Lizenzschranke soweit ausgeschlossen sein soll, wie die ausländischen Lizenzeinkünfte hinzugerechnet werden.

1. Die Abweichung „von der Regelbesteuerung“ Schlechthin unverständlich ist, was das Gesetz mit dem Erfordernis einer Abweichung „von der Regelbesteuerung“ als Definitionsmerkmal der Präferenzregelung in § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG meint. Die Unklarheiten 63 Vgl. die Ausführungen der Bundesregierung zu ihrem Gesetzentwurf v. 20.2.2017, BT-Drucks. 18/11233, 1 und 9. 64 Zu beziehen unter OECD Publishing, Paris, http://dx.doi.org/10.1787/ 9789264258037-de.

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fangen bereits bei der Frage an, ob die Abweichung stets nach unten geschehen muss. Man mag hier zwar versucht sein, auf die Formulierung zu verweisen, die von einer abweichenden „niedrigen Besteuerung“ spricht, doch handelt es sich dabei um einen in Abs. 2 der Vorschrift definierten feststehenden Begriff, wonach die Besteuerung immer dann als „niedrig“ zu qualifizieren ist, wenn sie zu einer Ertragsteuerbelastung von weniger als 25 % führt, unabhängig davon, ob diese nun höher oder geringer ist, als die Ertragsteuerlast im Fall einer Regelbesteuerung. Weiterhin lässt die Norm offen, was die Natur der Besteuerungsabweichung sein muss, um die Folgen der Lizenzschranke zu zeitigen. Neben dem Paradefall einer IP-, Lizenz- oder Patentbox sind auch Sonderregime denkbar, die zwar die Besteuerung von Lizenzeinkünften im Ergebnis mitumfassen, jedoch keinerlei spezifischen Bezug zu diesen aufweisen. Diese Unstimmigkeit wird insbes. dann deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass etwa eine nicht gewerblich tätige Stiftung (ein Fall des § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG) im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften (Nr. 1), Genossenschaften (Nr. 2) sowie Versicherungs- und Pensionsfondsvereine auf Gegenseitigkeit (Nr. 3) – und damit dem Großteil der körperschaftsteuerpflichtigen Personen – weder durch die Anwendung des § 8 Abs. 2 KStG, noch nach § 2 Abs. 2 und 3 GewStG in die Gewerbesteuerpflicht gerät und damit lediglich eine Körperschaftsteuerlast von 15 % zu tragen hat. Eine identische ausländische Regelung wäre demnach als Präferenzregelung i.S.d. § 4j Abs. 1 Satz 1 EStG zu verstehen und lässt keinen anderen Schluss zu, als dass die deutsche Unternehmensbesteuerung in den Augen des Gesetzgebers Züge eines „als schädlich einzustufenden Präferenzregimes“65 hat. Mithin bietet es sich an, im Rahmen einer teleologischen Auslegung der Norm eine bereichsspezifische Tätigkeitsbegünstigung durch eine niedrigere Besteuerung – sei es durch eine Tarifnorm, sei es durch eine Verminderung der Bemessungsgrundlage – vorauszusetzen.

2. Verweis auf den sog. Nexus-Ansatz In § 4j Abs. 1 Satz 4 EStG hat der Gesetzgeber eine begünstigende Rückausnahme zu dem Abzugsverbot normiert, die die Ansiedlung immaterieller Wirtschaftsgüter in Staaten honorieren soll, die den vom Gesetzgeber als steuerpolitisch sinnvoll erachteten Nexus-Ansatz der OECD/G20 in ihrer Rechtsordnung adaptiert haben. Der Regierungsentwurf des „Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammen65 Vgl. BT-Drucks. 18/11233, 9.

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hang mit Rechteüberlassungen“ sah hierzu in Abs. 1 Satz 4 noch vor, dass die Aufwendungen für die Rechteüberlassung entgegen dem in Satz 1 und 2 in Rückgriff auf Abs. 3 zu bemessenden teilweisen Abzugsverbot vollständig abziehbar sein sollten, wenn die niedrige Besteuerung auf eine Präferenzregelung des ausländischen Staats zurückgeht, die auf Rechte beschränkt ist, denen eine „substanzielle Geschäftstätigkeit“ zugrunde liegt.66 Eine solche Geschäftstätigkeit sollte nach Satz 5 nicht vorliegen, wenn der Gläubiger (Lizenzgeber) das Recht nicht oder nicht weit überwiegend im Rahmen seiner eigenen Geschäftstätigkeit entwickelt hat, insbes. wenn er es erworben hat oder es durch ihm nahestehende Personen entwickelt worden ist. Die allgemeine Regel des Satzes 4 und die in Satz 5 vorgenommene Negativabgrenzung konnten in dieser Normfassung kaum in Einklang gebracht werden. Während nämlich Satz 4 eine abstrakt-steuerrechtliche Bewertung des ausländischen Regimes der Besteuerung von Lizenzeinkünften verlangte, stellte Satz 5 darauf ab, was der Gläubiger konkret „entwickelt hat“.67 Dieser Wortlaut fand indes nicht die Zustimmung des Bundesrats, der zwar nicht das unharmonische Verhältnis von Satz 4 und Satz 5 monierte, doch auf die Gefahr einer allein dem nationalen Wortlaut der Norm verhafteten Auslegung durch Verwaltung und Rspr. hinwies, die der gesetzgeberischen Intention widerspräche, dem sog. Nexus-Ansatz der OECD/G20 einen Anhaltspunkt im deutschen Recht zu geben.68 Nunmehr verweist Abs. 1 Satz 4 ausdrücklich auf Kapitel 4 des Abschlussberichts 2015 zum Aktionspunkt 5 des OECD/G20-Projekts zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, der den Titel trägt „Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz“69, das wiederum auf das „Erfordernis der wesentlichen Geschäftstätigkeit (Substanz)“70 rekurriert. Die Bezugnahme auf den relevanten Abschnitt des Abschlussberichts geschieht im Wege eines „amtlichen Verweises“ auf die Website der OECD71. Die Inkorporation weiterer Inhalte in ein deutsches Gesetz ist dabei nichts gänzlich Neues, zumal bereits das Grundgesetz in Art. 140 GG die Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung 66 Vgl. BT-Drucks. 18/11233, 7. 67 Vgl. Schneider/Sauer, DStR 2017, 417 (422); Benz/Böhmer, DB 2017, 206 (208). 68 Vgl. BT-Drucks. 18/11531, 2 f. 69 Vgl. Fn. 65. 70 Vgl. den Abschlussbericht, 25 ff. 71 Vgl. Fn. 43.

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zu Bestandteilen des Grundgesetzes erklärt und gerade im Umwelt- und Immissionsschutzrecht Verweise auf technische Konkretisierungen üblich sind,72 doch kann das gesetzgeberische Vorgehen bei dem Verweis auf den sog. Nexus-Ansatz nicht überzeugen und ist verfassungsrechtlich im Steuerrecht eine Novität. Es dürfte bereits an der formellen Rechtmäßigkeit für ein Steuergesetz als Eingriffsnorm fehlen, da § 4j EStG kein ordnungsgemäß verkündetes Gesetz darstellt. Die Verkündung im Bundesgesetzblatt nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG soll einer gesetzlichen Norm die in einem Rechtsstaat gebotene Publizität verleihen und muss darum grundsätzlich das vollständige Gesetz umfassen (sog. Vollständigkeitsprinzip). Verweise sind zwar zulässig, müssen aber hinreichend klar und leicht zugänglich sein, denn der Verweisinhalt erwächst in gleicher Weise in Gesetzesrang, als würde er im Gesetz selber oder als Anhang verkündet sein.73 Angesichts der heute breitgefächerten Verfügbarkeit des Internets bestehen keine grundsätzlichen Zweifel an der Zulässigkeit von Internetverweisen, doch darf diese Möglichkeit nicht dazu führen, dass der Gesetzesanwender über den Umweg eines zunächst unscheinbaren Verweises mit einer kaum zu bewältigenden Informationsflut konfrontiert wird, die ihm zudem komplexe Wertungen abverlangt und damit weit über die ansonsten typischerweise im Wege von Verweisen integrierten Detailregelungen technischer Natur hinausgeht. Ebenso wie die intergouvernementale Zusammenarbeit im Rahmen der OECD/G20 Sache der Bundesregierung ist, darf die steuerpolitisch durchaus delikate Beurteilung der BEPS-Konformität fremder Rechtsordnungen zudem nicht zur Debatte zwischen dem Stpfl. und der Finanzbehörde gestellt werden und kann von diesen auch gar nicht geleistet werden. § 4j EStG würde für den Stpfl. und die Verwaltung darum erst dann praktisch handhabbar sein, wenn das BMF einen Katalog der dem Nexus-Ansatz genügenden Steuerrechtsordnungen veröffentlicht, wodurch der Verweis auf den Abschlussbericht zur bloßen rechtstechnischen Hülse degradiert wird. Den Anforderungen an eine vollständige Verkündung genügt dies m.E. selbst dann nicht, wenn man einen steuerstrafrechtlich nicht bewehrten Randbereich von Steuerrecht zulässt.

72 Exemplarisch sei hier § 7 Abs. 1 BImSchG genannt, der die Konkretisierung der allgemeinen Betreiberpflichten nach § 5 BImSchG zum Gegenstand einer ergänzenden Verordnung der Bundesregierung macht, die unter anderem technische Anforderungen (Nr. 1) und Schwellenwerte (Nr. 2) enthalten kann. 73 BVerwG v. 29.8.1961 – I C 14/61, NJW 1962, 506; Butzer in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 82 Rz. 237 f. m.w.N.

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VI. Der Erwerb substanzloser Gesellschaften und seine Behandlung durch §§ 8c und 8d KStG Einen zunächst nur schwer als solchen erkennbaren Substanzbezug enthält die Regelung des § 8c KStG zum schädlichen Beteiligungserwerb. Danach führt die Übertragung von mehr als 25 % der Anteile an einer Körperschaft innerhalb von fünf Jahren zum teilweisen Untergang bestehender Verlustvorträge nach § 10d Abs. 2 EStG, sowie der laufenden Verluste, während eine Beteiligungsübertragung von mehr als 50 % sogar sämtliche abziehbaren Verluste beseitigt. Eine als schädlich beurteilte Übertragung zwischen Anteilseignern wird also mit dem Untergang tatsächlicher wirtschaftlicher Werte der Körperschaft in Form von Steuersparpotentialen bestraft – eine Konsequenz, die das Trennungsprinzip schlechthin zu ignorieren scheint. Die Ratio dieser Regelung wird erst mit Blick in die Gesetzeshistorie klar. Die Vorgängernorm § 8 Abs. 4 KStG a.F. hat den Verlustabzug an die „wirtschaftliche Identität“ der verlusterleidenden und der verlustabziehenden Körperschaft geknüpft. Als Regelbeispiel eines schädlichen Identitätsverlusts hat die Norm die Übertragung von wenigstens der Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft in Verbindung mit der Fortführung oder Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs mit überwiegend neuem Betriebsvermögen genannt. Sinn dieser Regelung war es, sog. Mantelkäufen ihre steuerrechtliche Attraktivität zu nehmen. Dabei handelte es sich um eine Strategie, um einer Person zustehende steuerrechtliche Verluste wirtschaftlich „handelbar“ zu machen, indem eine bis auf den in ihr gespeicherten Verlust substanzlose Körperschaft (sog. Mantelgesellschaft) übertragen und anschließend von dem Erwerber mit einem neuen Geschäftsbetrieb ausgestattet wurde. Dies ist zunächst Folge des bei Kapital- im Unterschied zu Personengesellschaften74 geltenden Trennungsprinzips, nach dem die Ebene der Körperschaft losgelöst von der Ebene der Gesellschafter und deren Leistungsfähigkeit betrachtet wird. Solange die Körperschaft besteht, hat (und behält) sie die ihr zuzurechnenden Besteuerungsmerkmale. Die Unbestimmtheit des Tatbestands von § 8 Abs. 4 KStG a.F. hatte die Anwendung der Norm indes zum Gegenstand vieler Auseinandersetzungen und anfällig für Gestaltungen gemacht, so dass sich der Gesetzgeber dazu bewegt sah, die mit mathematischer Exaktheit ausgestaltete Regelung des § 8c KStG einzuführen und den vagen § 8 Abs. 4 KStG im Gegenzug aufzuheben, 74 Vgl. BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BStBl. II 1993, 616.

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ohne an Sinn und Zweck des Verlustuntergangs etwas zu ändern.75 Die abgestuften Schwellenwerte des § 8c KStG sollen demnach die vorher unter den Verlust der wirtschaftlichen Identität subsumierten steuerschädlichen Tatbestände faktischer Verlustübertragung mittels substanzloser Gesellschaftsvehikel typisieren. Im Kern handelt es sich bei der Sanktion schädlicher Beteiligungsübertragungen durch § 8c KStG somit um die Verwirklichung eines Gebots der Substanzkontinuität der Gesellschaft. Mithin böte sich systematisch an, in Höhe der für eine Verlusttragung relevanten Substanz einen Verlustverbleib bei der Körperschaft ungeachtet etwaiger Wechsel auf der Ebene der Anteilseigner bestehen zu lassen.

1. Das BVerfG zum teilweisen Verlustuntergang Mit Beschluss v. 29.3.2017 hat das BVerfG die durch § 8c KStG vorgenommene Typisierung jedenfalls zum Teil zu Fall gebracht.76 Gegenstand des Beschlusses war lediglich die Behandlung von Erwerbstatbeständen, die einen teilweisen Untergang der Verluste bei der Übertragung von mehr als 25 % bis zu 50 % der Gesellschaftsanteile nach sich ziehen, durch die seit dem Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen v. 12.8.200877 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 20.12.201678 geltende Gesetzesfassung. Das Gericht argumentiert hier, dass die durch § 8c KStG bewirkte Durchbrechung der ansonsten für alle Körperschaften geltenden steuerlichen Trennung von Anteilseignerund Körperschaftssphäre bei der Übertragung von mehr als 25 % der Beteiligungen innerhalb von fünf Jahren zu einer willkürlichen Ungleichbehandlung von Körperschaften führt, an denen Beteiligungen oberhalb oder unterhalb der 25 %-Schwelle übertragen worden sind. Missbräuchliche Mantelkäufe können danach nicht durch die 25 %-Erwerbsgrenzen sachgerecht typisiert werden. Neben der Vielzahl denkbarer redlicher Gründe, die eine solche Übertragung rechtfertigen können, spricht gegen die Pauschalbeurteilung eines solchen Erwerbs als für den Fortbestand der Verluste auf Ebene der Körperschaft schädlich, dass der Kreis der Gesellschafter, also die persönli-

75 76 77 78

Vgl. BT-Drucks. 16/4841, 75. BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, BStBl. II 2017, 1082 = FR 2017, 577. BGBl. I 2008, 1672. BGBl. I 2016, 2998.

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che Substanz,79 für die Beibehaltung der wirtschaftlichen Identität nur von untergeordneter Bedeutung ist und stattdessen der Unternehmensgegenstand und die Zusammensetzung des Betriebsvermögens der Gesellschaft, mithin ihre sachliche Substanz, das bei wertender Betrachtung bestimmende Element ist. Das BVerfG bedient sich sogar rechtsvergleichender Argumente, um zu demonstrieren, dass die Sanktionierung von Anteilsübertragungen im Bereich von 25–50 % eine deutsche Besonderheit ist, während andere Staaten – wenn sie überhaupt eine Mantelkaufregelung kennen – entweder ausschließlich80 oder ergänzend zum Anteilseignerwechsel81 eine Änderung der sachlichen Substanz verlangen oder erst Übertragungen wesentlicher Beteiligungen (zumeist mehr als 50 %) als schädlich qualifizieren.82 Eine Rechtfertigung der niedrigen Sanktionsschwelle lässt sich außerdem nicht aus den Modalitäten gesellschaftlicher Einflussnahme schöpfen. Anteilseigentum i.H.v. mehr 25 %, aber weniger als 50 % statuiert lediglich eine Sperrminorität und kann damit etwa Satzungsänderungen (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GmbHG, § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG) und andere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen von grundlegender Bedeutung stoppen, die eine qualifizierte Beschlussmehrheit von wenigstens drei Vierteln der abgegebenen Stimmen bzw. des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erfordern. Ein aktives Mitgestalten der unternehmerischen Geschicke der Gesellschaft wird durch den Erwerb von weniger als 50 % der Anteile dagegen nicht ermöglicht, so dass die in § 8c KStG aufgestellte unwiderlegbare Vermutung, dass ein entsprechender Erwerb die wirtschaftliche Identität maßgeblich beeinflussen würde, jegliche Grundlage fehlt. Schließlich lehnt das Gericht noch die Ableitung eines sachlichen Grunds für die 25 %-Schwelle aus dem Gedanken der Unternehmeridentität ab. Dies kann überzeugen, denn die von den Anteilseignern getrennte Besteuerung des Einkommens der Körperschaft ist eine gesetzgeberische Grundentscheidung mit materiellem Charakter und nicht nur rechtstechnisches Mittel zur gleichmäßigen Gesellschafterbesteuerung. Das zeigt sich vor allem in der unternehmenssteuerrechtlichen Dichotomie von transparenten Personengesellschaften und opaken Körperschaften, die zwei unterschiedlichen, aber gleichrangigen Gesetzen unterfallen. Au79 Das Bundesverfassungsgericht spricht von Substrat, doch sind die Begriffe Substanz und Substrat in diesem Zusammenhang wohl Synonyme. 80 Frankreich und Portugal. 81 Italien, Japan, Kanada, die Niederlande, Österreich, Slowenien, Spanien, Tschechien, das Vereinigte Königreich und Zypern. 82 Dänemark, Finnland, Portugal, Schweden und die U.S.A.

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ßerdem ist es nicht Aufgabe von § 8c KStG, die Gleichmäßigkeit der Besteuerung von Einzelunternehmen, Mitunternehmern und Anteilseignern herzustellen, zumal der Untergang von Verlusten bei den ersten beiden Gruppen nur den einzelnen Unternehmer belastet, dem diese zugeordnet werden, während der Verlustuntergang nach § 8c KStG die Körperschaft trifft und somit über die Ergebnisverteilung an sämtliche Anteilseigner weitergeleitet wird. Die Argumentation des BVerfG weiß zu überzeugen. Die Erlangung positiver steuerrechtlicher Effekte durch Verwendung nur rechtlich existenter Gesellschaften sollte möglichst über den Weg eines sachlichen Substanzkriteriums verhindert werden. Der Grundgedanke von Missbrauchsbekämpfungsnormen ist gerade das Durchschauen formaljuristischer Kategorien, um die dahinter stehende wirtschaftliche Realität zu erfassen. Zieht sich der Gesetzgeber hier auf pauschalisierte Quoten und Schwellenwerte zurück, an die er unwiderlegbare Vermutungen knüpft, so ersetzt er lediglich eine formaljuristische Betrachtung durch eine andere und provoziert einen Wertungswiderspruch. Zwar wird man aus Gründen der Zweckmäßigkeit und Normenklarheit nicht gänzlich auf Typisierungen verzichten können, doch sind Missbrauchsbekämpfungsnormen stets Ausnahmeregelungen, an deren Präzision bei der Definition der erfassten wirtschaftlichen Sachverhalte bedeutend höhere Anforderungen zu stellen sind als an die Grundregel, von der sie abweichen. Eine so unscharfe Regelung wie der teilweise Verlustuntergang nach § 8c KStG genügt dem jedenfalls nicht.

2. Übertragbarkeit auf den vollständigen Verlustuntergang? Fraglich ist jedoch, ob der vollständige Verlustuntergang bei Überschreiten der 50 %-Schwelle83 ebenso das Stigma der willkürlichen Ungleichbehandlung verdient. Die Argumentation des BVerfG weist möglicherweise in eine andere Richtung, denn das Gericht führt im Rahmen rechtsvergleichender Argumentation explizit Staaten an, die entsprechende Regelungen in ihrem Steuerrecht vorsehen. Außerdem geht eine Beteiligung von mehr als 50 % über eine bloße Sperrminorität hinaus und erlaubt dem Anteilseigner eine wesentliche Einflussnahme auf den Geschäftsbetrieb der Gesellschaft. Gleichwohl sprechen mit dem FG Hamburg die besseren Gründe gegen die Verfassungsmäßigkeit der 83 Vgl. Vorlagebeschluss des FG Hamburg v. 29.8.2017 – 2 K 245/17, EFG 2017, 1906 = FR 2017, 1134.

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50 %-Schwellenregelung. Zum einen sind auch in diesem Fall unzählige redliche Gründe für eine Übertragung denkbar, zum anderen hat auch ein solcher signifikanter Wechsel in der Anteilseignerschaft noch keinen Einfluss auf die sachliche Substanz der Gesellschaft. Erst wenn die vermittelten Stimmrechte entsprechend zu einer Neuaufstellung der Körperschaft genutzt würden, wäre ein den Verlustuntergang rechtfertigender Identitätsverlust denkbar. Hinzu kommt, dass entsprechend signifikante Maßnahmen, die auf die sachliche Substanz der Gesellschaft durchschlagen, regelmäßig eine Satzungsänderung benötigen, für die auch eine Mehrheit von 51 % nicht ausreicht, sondern zusätzlich die Zustimmung von wenigstens weiteren 24 % der abgegebenen Stimmen bzw. des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erfordert (§ 53 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 GmbHG, § 179 Abs. 2 Satz 1 AktG). Selbst wenn jedoch eine satzungsändernde Mehrheit in den Händen eines Anteilseigners vereinigt sein sollte, ist dies noch keine Garantie für die abstrakte Rechtsmacht, identitätsändernde Beschlüsse im Alleingang fällen zu können, denn die Satzung kann gem. § 53 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, § 179 Abs. 2 Sätze 2, 3 AktG erschwerende Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Satzungsänderung aufstellen. Umgekehrt ist ein im Ergebnis identitätsändernder Beschluss nicht nur bei vorangehendem Beteiligungsübergang möglich, sondern auch bei unveränderter Zusammensetzung der Anteilseigner weder als ausgeschlossen, noch als unwahrscheinlich zu qualifizieren. Eine hinreichend trennscharfe Abgrenzung missbräuchlicher Mantelkäufe von substantiierten Unternehmenskäufen lässt sich also auch nicht an der 50 %- oder gar einer 75 %-Schwelle festmachen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist § 8c KStG in der vom BVerfG betrachteten Fassung somit in Gänze mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

3. Rückausnahme nach § 8d KStG Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften v. 20.12.201684 hat der Gesetzgeber mit § 8d KStG eine Rückausnahme zu § 8c KStG eingeführt, nach der die Verlustvorträge (auf Antrag) auch über einen ansonsten schädlichen Beteiligungserwerb hinaus erhalten bleiben, wenn und solange von einer Fortführung desselben Geschäftsbetriebs auszugehen ist. Die Körperschaft muss dafür seit ihrer Gründung oder zumindest seit dem Beginn 84 BGBl. I 2016, 2998.

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des dritten Veranlagungszeitraums, der dem Veranlagungszeitraum des Beteiligungserwerbs vorausgeht, ausschließlich denselben Gewerbebetrieb unterhalten und es darf in diesem Zeitraum bis zum Schluss des Veranlagungszeitraums des schädlichen Beteiligungserwerbs zu keinem Ereignis gem. Abs. 2 (Geschäftsbetrieb ruhend gestellt, andersartiger Zweckbestimmung zugeführt u.a.) gekommen sein. Der unter diesen Voraussetzungen erhaltene Verlustvortrag wird nach Abs. 1 Satz 6 als „fortführungsgebundener Verlustvortrag“ bezeichnet und geht mit Einstellung des Geschäftsbetriebs oder dem Eintritt eines schädlichen Ereignisses gem. Abs. 2 Satz 2 unter. Das Erfordernis „denselben Geschäftsbetrieb“ zu unterhalten, erinnert an das plastische, aber in der Vergangenheit als zu unbestimmt verworfene Bild der „wirtschaftlichen Identität“ der verlusterleidenden und der verlustabziehenden Gesellschaft (vgl. § 8 Abs. 4 KStG a.F.) und ist an das Kriterium der Unternehmensidentität angelehnt.85 Der in Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 enthaltenen normspezifischen Legaldefinition des „Geschäftsbetriebs“ lässt sich entnehmen, dass der Verlustvortrag von der Kontinuität der von einer einheitlichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nachhaltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördernden Betätigungen abhängt und anhand qualitativer Merkmale in einer Gesamtbetrachtung festzustellen ist. Qualitative Merkmale sollen insbes. die angebotenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kunden- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte und die Qualifikation der Arbeitnehmer sein. Die Wendung „in einer Gesamtbetrachtung“ weist dabei darauf hin, dass es sich bei der Betriebskontinuität um einen Typusbegriff handelt, der jedoch nicht zu eng verstanden werden darf. Würde man überzogene Anforderungen an das Vorliegen der Betriebskontinuität stellen, so hätte dies mit Sinn und Zweck des Fortführungserfordernisses unvereinbare Hemmungswirkung zur Folge, denn Körperschaften könnten von wirtschaftlich sinnvollen Veränderungen abgehalten werden, wenn der zu erwartenden Vorteil den Verlust des fortführungsgebundenen Verlustvortrags aufgrund des Kontinuitätsbruchs nicht eindeutig überwiegt. Da insbes. junge und innovative, aber auch sanierungsbedürftige Unternehmen oftmals Änderungen in den als „qualitative Merkmale“ bezeichneten Bereichen durchführen müssen, um wirtschaftlich zu sein, darf man das Fortführungserfordernis nicht als Erfordernis eines gleich85 Vgl. Förster/von Cölln, DStR 2017, 8 (10).

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förmigen Geschäftsbetriebs missverstehen. Ausreichend für die Anwendung von § 8d KStG muss es vielmehr sein, wenn ein „roter Faden“ im Laufe der wirtschaftlichen Tätigkeit der Körperschaft gewahrt ist und sich Änderungen als organische Entwicklung darstellen. Erfreulich ist es darum, dass das BMF in der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetzentwurf von § 8d KStG zugesagt hat, dass der Begriff „Geschäftsbetrieb“ so auszulegen sein wird, dass er organisches Wachstum erlaubt.86 Gleichwohl überzeugt mich das Grundkonzept der gesetzlichen Regelung nicht. M.E. wäre gut begründbar, dass eine Körperschaft, die mit einem beschränkten Fonds, dem Gesellschaftskapital, ausgestattet ist, dann, wenn sie die Verluste nicht mehr tragen kann und nicht saniert wird, indem die Altgläubiger ganz oder teilweise auf die Erfüllung der Verbindlichkeiten verzichten, wie eine wirtschaftliche Neugründung behandelt wird. Lebt sie aber ganz oder teilweise fort, spricht die Orientierung am Trennungsprinzip m.E. dafür, ihr den Verlust bis zur Höhe der Verlusttragungsfähigkeit, also dem Eigenkapital und den stillen Reserven, zu belassen. Versteht man den Grundansatz in der beschriebenen Weise, stellt sich die Regelung der Fortsetzung der Verlustnutzung als Substanzanforderung im Rahmen des Verlustvortrags dar.

VII. Das zeitbezogene Substanzkriterium in § 50j EStG Während das als „Cum/Ex-Geschäft“ bezeichnete mehrfache Erwirken von Kapitalertragsteuerbescheinigungen neben dem Aktivwerden der Steuerfahndung und eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses auch ein steuerrechtlichen Streitfragen ansonsten unbekanntes mediales Gewitter erfahren hat, blieben die sog. „Cum/Cum-Geschäfte“ weitgehend unbedacht von öffentlicher Aufmerksamkeit. Dieser Begriff bezeichnet Gestaltungen, durch die ein im Inland oder im Ausland ansässiger Empfänger einer aus Deutschland fließenden Dividende einen verringerten DBA-Quellensteuersatz verschafft, auf den er ansonsten keine Anspruch hätte, indem er das wirtschaftliche Eigentum an den Dividendenpapieren rechtzeitig vor dem Dividendenstichtag auf einen Steuerinländer mit der Vereinbarung überträgt, dass sie nach der Ausschüttung wieder zurückübertragen werden sollen.87 Mit Wirkung seit dem 1.1.2017 verhindert nunmehr § 50j EStG88 die als missbräuchlich verstandene Erwirkung eines Entlastungsanspruchs gem. § 50d Abs. 1 EStG für DBA86 BT-Drucks. 18/10495, 12. 87 BT-Drucks. 18/10506, 78; Salzmann/Heufelder, IStR 2017, 125 (127 f.). 88 Art. 19 Abs. 2 BEPS-UmsG, BGBl. I 2016, 3000.

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rechtliche Quellensteuerentlastungen i.S.d. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA mittels einer solchen Verkaufs- und Rückkaufgestaltung.

1. „Mindesthaltedauer“ und „Mindestwertänderungsrisiko“ Entsprechend seiner Absicht, eine Parallelität zu der Regelung des § 36a EStG herzustellen,89 hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen des § 50j EStG dabei weitgehend dessen Wortlaut nachgebildet. Der Stpfl. kann die Entlastung von der Kapitalertragsteuer verlangen, wenn der Erwerber innerhalb der 45 Tage vor und der 45 Tage nach dem Erwerb die Beteiligungen mindestens für einen Zeitraum von 45 Tagen ununterbrochen als wirtschaftlicher Eigentümer hält (sog. „Mindesthaltedauer“, § 50j Abs. 2 EStG), er zudem währenddessen ununterbrochen das Risiko trägt, mindestens 70 % eines Wertverlustes der übertragenen Beteiligung tragen zu müssen (sog. „Mindestwertänderungsrisiko“, § 50j Abs. 3 EStG), und keiner anderen Person „ganz oder überwiegend, unmittelbar oder mittelbar“ zur Vergütung der Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG verpflichtet ist. § 50j Abs. 4 EStG normiert weitere Ausnahmen zu dem Missbrauchsvorbehalt in § 50j Abs. 1–3 EStG mit der Intention, dessen Anwendung auf die risikobehafteten und fiskalisch relevanten Fälle zu konzentrieren.90 Als missbräuchlich werden danach nur Gestaltungen qualifiziert, durch die die Quellensteuerbelastung der Kapitalerträge nach dem anwendbaren DBA 15 % unterschreitet (Satz 1 Nr. 1). Jedenfalls für Streubesitzanteile sehen dies nur wenige DBA vor, doch werden auch wichtige Handelspartner erfasst, wie etwa China, Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate.91 Zusätzlich müssen die Kapitalerträge einer beschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft zufließen, die am Nennkapital einer unbeschränkt steuerpflichtigen Kapitalgesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG zu mindestens einem Zehntel unmittelbar beteiligt ist und im Staat ihrer Ansässigkeit den Steuern vom Einkommen oder Gewinn unterliegt, ohne davon befreit zu sein (Satz 1 Nr. 2). Gegenstand von § 50j EStG sind darum Steuergestaltungen mit Streubesitzdividenden.92 Schließlich findet § 50j EStG keine Anwendung, wenn der Gläubiger der Kapitalerträge bei deren Zufluss seit mindestens einem Jahr ununterbrochen wirtschaftlicher Eigentümer der Anteile war (Satz 2). 89 BT-Drucks. 18/10506, 79. 90 BT-Drucks. 18/10506, 80. 91 So auch Kretzschmann/Schwarz, FR 2017, 223 (227, Fn. 20); vgl. zudem den Überblick bei Tschbirek/Specker in Vogel/Lehner, DBA6, Art. 10 Rz. 67. 92 Vgl. BT-Drucks. 18/10506, 80.

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2. Typisierung durch „Zeitsubstanzkriterien“ § 50j EStG führt das Verhältnis von Haltedauer und wirtschaftlichem Risiko als ein streng formalisiertes Substanzerfordernis ein. In dem Moment, in dem die wirtschaftliche Inhaberschaft und die Risikotragung die Zeitschwelle von 45 Tagen überschreitet, wird die Gestaltung automatisch von dem Vorwurf des Missbrauchs befreit und der Stpfl. kommt in den Genuss der vollständigen Entlastung nach § 50d Abs. 1 EStG. Ebenso als „Zeitsubstanzkriterien“ benennbare Tatbestandsvoraussetzungen enthalten etwa auch § 12 Satz 2 Nr. 8 AO (sechs Monate) und Art. 5 Abs. 3 OECD-MA (zwölf Monate) für die Qualifikation von Bauausführungen und Montagen als Betriebsstätten. Das Überschreiten der maßgeblichen Zeitschwelle typisiert hier die für eine steuerrechtliche Zuordnung erforderliche Intensität und Festigkeit der unternehmerischen Beziehung zu dem Gebiet des Steuergläubigers (Staat oder Gemeinde). Die von § 50j EStG vorausgesetzte Mindestdauer der wirtschaftlichen Zuordnung soll stattdessen das für den Erfolg eines „Cum/Cum-Geschäfts“ erforderliche Hin- und Herschieben der wirtschaftlichen Zuordnung, wie es Art. 10 Abs. 2 OECD-MA durch den Begriff „Nutzungsberechtigter“ bzw. „beneficial owner“ zum Ausdruck bringt,93 um das Erfordernis der Mitübernahme eines hinreichend beachtlichen Zeitrisikos erweitern. Der Gesetzgeber umschreibt die die Substanz ausmachende wirtschaftliche Realität der Anteilsinhaberschaft in § 50j EStG demzufolge als die Gefahr, einen möglichen Wertverlust der Anteile in eigener Person und ohne Rückgriffsmöglichkeit auf Dritte tragen zu müssen. Lässt sich der Gläubiger der Kapitalerträge für wenigstens 45 Tage hierauf ein, so wird unwiderleglich vermutet, dass er die Anteilsinhaberschaft „ernst meint“ und darum auch den Entlastungsanspruch nach § 50d Abs. 1 EStG verdient. Dabei handelt es sich jedoch um eine nur abstrakte Gefahr, die sich nicht zu einer konkreten Gefahr verdichten muss, um den Missbrauchsvorbehalt auszuschalten. Die exakt definierte Haltedauer, gepaart mit dem Zeitkorridor von 90 Tagen, gibt den gestaltungswilligen Stpfl. vielmehr eine noch immer hinreichend flexible Planungsgrundlage, um das von dem Gläubiger getragene konkrete Verlustrisiko so weit zu minimieren, dass das Substanzkriterium im Ergebnis leerzulaufen droht. Ob die durch § 50j Abs. 5 EStG offen gelassenen Instrumente (DBA-Missbrauchsvorbehalte, § 42 AO und sonstige steuerlichen 93 Vgl. OECD-Kommentar (MA-Komm.), Art. 10 Tz. 12.

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Vorschriften, die die Entlastung in weitergehendem Umfang ausschließen) die damit verbleibenden Lücken in der Bekämpfung von „Cum/ Cum-Geschäften“ schließen können, ist zwar zweifelhaft, der Gewinn an Rechtssicherheit durch die konkreten Prüfschritte hingegen begrüßenswert.

VIII. § 42 AO als subsidiäres Werkzeug zur Verhinderung steuerlicher Privilegierung trotz Substanzlosigkeit Die Vielzahl typisierter Substanzanforderungen im Ertragsteuerrecht wirft die Frage auf, inwiefern noch bestehende Lücken im Gefüge der Missbrauchsbekämpfungsregeln durch Anwendung von § 42 AO als „statutory general anti-avoidance rule“ ausgefüllt werden dürfen. § 42 Abs. 1 Satz 1 AO stellt fest, dass durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden kann. Was unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „Missbrauch“ zu verstehen ist, ist Abs. 2 zu entnehmen. Da es dem Stpfl. frei steht, seine wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem Ziel der Vermeidung von Steuerbelastungen zu gestalten,94 wird hier die „Angemessenheit“ der Gestaltung zur Trennlinie zwischen ihrer steuerlichen Anerkennung und der Qualifikation als Missbrauch erhoben. Die an eine Leerformal grenzende Offenheit dieses Kriteriums macht es möglich, auch Fälle des Substanzmangels ohne großen argumentativen Aufwand als missbräuchliche Gestaltung einzuordnen. Die Anwendbarkeit von § 42 AO in solchen Konstellationen zu bejahen, würde folglich bedeuten, den Stpfl. regelmäßig dazu zu zwingen, nicht nur die Übereinstimmung seiner Gestaltung mit expliziten Substanzanforderungen zu gewährleisten, sondern sie auch darüber hinaus zu rechtfertigen, indem er außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (Satz 2). § 42 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AO sprechen für eine solche umfassende Anwendbarkeit von § 42 AO. Danach bestimmen sich die Rechtsfolgen nicht nach dem allgemeinen § 42 AO, sondern nach der spezielleren Missbrauchsregelung in einem Einzelsteuergesetz, wenn der Tatbestand der spezielleren Regel erfüllt ist (S. 2). „Anderenfalls“ ist aber § 42 Abs. 2 AO anzuwenden (Satz 3). Das Wort „Anderenfalls“ bringt zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber eine „Prüfungsreihenfolge“ festlegen wollte: erst sind die einzelgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsregeln zu prüfen, daraufhin ist nur und immer dann, wenn keine einzelgesetzliche Regelung 94 Vgl. BFH v. 29.11.1982 – GrS 1/81, BStBl. II 1983, 272 = FR 1983, 275, zu III.

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erfüllt ist, auch § 42 Abs. 2 AO zu prüfen.95 Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung soll so der methodische Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ durch „lex specialis positiva derogat legi generali“ ersetzt werden, um einen möglichst lückenlosen Schutz der inländischen Steuerbemessungsgrundlagen zu gewährleisten. § 50j Abs. 5 EStG geht sogar darüber hinaus, indem er anordnet, dass (insbes.) § 42 AO selbst dann anwendbar sein soll, wenn die zeitbezogene Substanzanforderung nicht erfüllt ist, § 50j Abs. 1 EStG aber zu einer nur teilweisen Beschränkung des Entlastungsanspruchs führt und § 42 AO die Rechtsfolge einer weitergehenden Beschränkung zeitigt. In letzter Konsequenz wird das Konkurrenzverhältnis von § 50j EStG und § 42 AO so stets zugunsten des Steueraufkommens gelöst. Die mit dem Ziel der Lückenfüllung angeordnete umfassende Anwendbarkeit des § 42 AO ist symptomatisch für ein fehlgeleitetes Verständnis des Verhältnisses von Steuertatbestand und Missbrauchsvermeidungsziel. Der Verlust von Steuerbemessungsgrundlagen darf nicht dadurch bekämpft werden, dass bestimmte Ausübungen der Privatautonomie unter Generalverdacht gestellt werden, sondern der Gesetzgeber muss den Steuertatbestand hinreichend zielgenau gestalten, um unangemessene Gestaltungen zu erfassen: „Nicht der Bürger muss sich gegenüber dem besteuernden Staat rechtfertigen, sondern den Gesetzgeber trifft die Haftung für die Qualität seines Produkts.“96. Dieses Postulat bekommt im europarechtlichen Kontext besondere Bedeutung, denn der durch „Cadbury Schweppes“ und das europäische Sekundärrecht stark limitierte Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Gestaltung von Missbrauchsregeln darf auch nicht durch die, wenn auch subsidiäre, Anwendung unbestimmter Generalklauseln unterminiert werden, sondern muss in hinreichend klar normierten Steuertatbeständen verwirklicht werden. Dies rechtfertigt es, den Anwendungsbereich von § 42 AO auf grob wertungswidrige Ergebnisse einzelgesetzlicher Substanzprüfungen zu reduzieren und die Vorschrift so zur „ultima ratio“ der Missbrauchsbekämpfung zu machen.

95 BT-Drucks. 16/7036, 24. 96 Zitat von Schön, DStJG 33 (2010), 29 (41).

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Aktuelle Fragen des Steuerabzugs nach § 50a EStG aus Unternehmenssicht Dr. Carsten Schlotter Rechtsanwalt/Steuerberater, Bonn Franz Hruschka1 Leitender Regierungsdirektor, München I. Problemstellung (Schlotter/ Hruschka) II. Normativer Rahmen 1. Relevante Tatbestände (Schlotter/Hruschka) a) § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG b) § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG c) § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG d) § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG e) § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG 2. Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG (Schlotter) a) Urheberrechte b) Gewerbliche Schutzrechte c) Gleichgestellte Rechte („insbesondere“)

d) Abgrenzung zwischen Nutzungsüberlassung und Veräußerung e) Verwertungsmerkmal III. Einordnung und Würdigung des BMF-Schreibens v. 27.10.2017 1. Grundsätzliches (Hruschka) 2. Einzelfälle a) Software b) Internetbasierte Softwareüberlassung (Schlotter) c) Datenbanken/Datenbankinhalte (Schlotter)) IV. Sonstige Problemfelder (Schlotter) 1. Freie Redakteure 2. Streaming 3. Vergütungen für Online- und Social-Media Werbung und Suchmaschinenoptimierung

I. Problemstellung (Schlotter/Hruschka) Der Steuerabzug nach § 50a EStG ist in jüngerer Zeit aus seinem bisherigen „Schattendasein“ herausgetreten und in den Blickpunkt des fachlichen Interesses geraten. Dies liegt nicht nur am rasanten Bedeutungsgewinn immaterieller Wirtschaftsgüter, sondern auch daran, dass für alle nach dem 31.12.2013 zufließenden Vergütungen das Bundeszentral-

1 Die Anmerkungen von Hruschka sind in nicht dienstlicher Funktion gefertigt und geben ausschließlich die persönliche Sicht des Verfassers wieder.

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amt für Steuern zentral für die Durchführung des Steuerabzugsverfahrens nach § 50a Abs. 1 EStG zuständig ist. Beim Steuerabzug nach § 50a EStG geht es um eine Steuerschuld des ausländischen Vergütungsgläubigers, die vom Vergütungsschuldner einbehalten und für Rechnung des Vergütungsgläubigers an das Bundeszentralamt für Steuern abgeführt werden muss (§§ 50a Abs. 5 Satz 2, 3 EStG). Die Verpflichtung zum Steuerabzug trifft auch auslandsansässige Vergütungsschuldner.2 Der Steuersatz beträgt grundsätzlich 15 % der Einnahmen zuzüglich 5,5 % Solidaritätszuschlag (§ 50a Abs. 2 Satz 1 EStG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 6 SolZG). Hieraus ergibt sich eine Gesamtbelastung von 15,825 %. Während Fragen des Steuerabzugs nach § 50a EStG früher häufig insbes. mit Vergütungen an auslandsansässige Künstler und Sportler assoziiert wurden, die in §§ 50a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG geregelt sind, konzentrieren sich die Fragestellungen nunmehr zunehmend auf die Reichweite des Anwendungsbereichs von § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG beim Bezug von digitalen und medialen Eingangsleistungen. Fragen des § 50a EStG sind daher für jedes Unternehmen, aber auch Universitäten, gemeinnützige Organisationen oder Behörden relevant. Umso problematischer ist daher, dass der genaue Anwendungsbereich des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht abschließend geklärt ist und sich viele Zweifelsfragen stellen. Die ausländischen Anbieter digitaler Leistungen gehen ihrerseits vielfach davon aus, dass sie mangels physischer Präsenz im Inland nicht der beschränkten Steuerpflicht unterliegen oder jedenfalls unmittelbar von abkommensrechtlichen Entlastungen profitieren können. Entsprechend der Auslegung des OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA wird davon ausgegangen, dass Vergütungen für die Nutzungsüberlassung von Software an Endanwender (im B2B- und B2C-Bereich) den Unternehmensgewinnen gem. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA zuzuordnen sind und daher dem Betriebsstättenprinzip unterliegen. Die Einräumung eines Vervielfältigungsrechts wird als unschädlich angesehen, solange die Vervielfältigung lediglich dem bestimmungsgemäßen Gebrauch der Software dient.3 Dies gilt auch für Unternehmenslizenzen im Endanwenderbereich.4 Die vollständige Übertragung des Urheberrechts an einem Computerprogramm (Total-Buy-Out) wird wiederum den Unternehmensgewinnen i.S.d. Art. 7

2 BFH v. 22.8.2007 – I R 46/02, BStBl. II 2008, 190. 3 OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA Nr. 14. 4 OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA Nr. 14.2.

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OECD-MA oder dem Bereich der Veräußerungsgewinne i.S.d. Art. 13 OECD-MA zugeordnet.5 Nach Auffassung der OECD sind auch Vergütungen für das Cloud Computing grundsätzlich als Unternehmensgewinne zu qualifizieren. Die auslandsansässigen Vertragspartner übersehen jedoch, dass die deutschen Steuerabzugstatbestände von den tatbestandlichen Voraussetzungen eher weit gefasst, abkommensrechtliche Entlastungen nach deutschem Recht grundsätzlich unbeachtlich sind und der Steuerabzug nach § 50a EStG grundsätzlich ungeachtet abkommensrechtlicher Entlastungen durchzuführen ist (§ 50d Abs. 1 Satz 1 EStG). Der Steuerabzug darf nur unterbleiben oder nach einem niedrigeren Steuersatz vorgenommen werden, wenn der Vergütungsgläubiger dem Vergütungsschuldner eine vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) erteilte Freistellungsbescheinigung vorgelegt hat (§ 50d Abs. 2 Satz 1 EStG). Gewisse Erleichterungen bestehen nur im Rahmen des sog. Kontrollmeldeverfahrens.6 Für die Vergütungsschuldner resultieren hieraus vielfältige Herausforderungen. Diese sind zunächst einmal wirtschaftlicher Natur. Insbesondere der Umstand, dass in Deutschland (anders als in vielen Staaten) eine abkommensrechtliche Entlastung vom Steuerabzug nur mittels eines besonderen Freistellungsverfahrens erreicht werden kann, veranlasst auslandsansässige Vertragspartner zunehmend, sich vertraglich mit sog. Nettoklauseln zu schützen, die bewirken, dass der Steuerabzug wirtschaftlich auf den inländischen Vergütungsschuldner überwälzt wird. Unerkannte Steuerabzugspflichten können daher nachträglich zu erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen führen (Steuersatz dann 18,8 %). Schon beim Abschluss der Verträge sollte daher gut überlegt werden, ob man das Risiko von Nettoklauseln eingehen möchte. Häufig fehlt es den Beziehern von entsprechenden Leistungen aber an der Marktmacht, derartige Klauseln zu vermeiden. Die vom Gesetz vorausgesetzte Interessenlage, dass der Steuerabzug zu Lasten des Vergütungsgläubigers geht und der inländische Vergütungsschuldner zur Vermeidung einer eigenen Haftung schon im Zweifel berechtigt ist, die Steuer einzubehalten,7 wird durch Nettoklauseln jedenfalls in das Gegenteil verkehrt. Weiterhin haben inländische Vergütungsschuldner die Einhaltung des steuerlichen Pflichtenkatalogs sicherzustellen. Insoweit ist nicht nur von 5 OECD-MK zu Art. 12 OECD-MA Nr. 16. 6 Frotscher in Frotscher/Geurts, EStG, § 50a Rz. 24. 7 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 10.

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Bedeutung, dass den Vergütungsschuldner eine eigene Entrichtungsschuld trifft, sondern auch, dass § 380 AO einen speziellen Bußgeldtatbestand für die vorsätzliche oder leichtfertige Verletzung der Abzugsverpflichtung („Gefährdung der Abzugsteuern“) vorsieht und die Festsetzungsverjährung bei unterlassener Steueranmeldung erst nach vielen Jahren eintritt.8 Unternehmen müssen steuerlich zudem eine Vielzahl von Schnittstellenfragen abbilden. Vergütungen für die Nutzungsüberlassung von Rechten unterfallen häufig auch der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG, wobei die Steuer nach § 50a EStG wiederum die gewerbesteuerliche Bemessungsgrundlage beeinflusst.9 Berührungspunkte gibt es aber auch zu Fragen der Aktivierung und der Lizenzschranke. Um die Problematik zu bewältigen, ist auf Seiten des Vergütungsschuldners daher regelmäßig eine enge Vernetzung von Steuer-, Rechts- und Einkaufsabteilungen erforderlich, um die relevanten Steuerabzugsfälle rechtzeitig identifizieren und den steuerlichen Pflichten nachkommen zu können.10 Die Finanzverwaltung hat sich dem Themenkomplex eher zögerlich genähert. In Betriebsprüfungen wurden in der jüngeren Vergangenheit zum Teil sehr weite Auslegungen vertreten. Umso bedeutsamer ist daher, dass das BMF mit Schreiben vom 27.10.2017 für einige Streitfragen beim Bezug digitaler Leistungen (Software und Datenbanken) nunmehr eine Verwaltungsauffassung veröffentlicht und dabei zumindest in der Grundtendenz eine ausgewogene Position vertreten hat.11 Viele Fragestellungen sind aber unbeantwortet geblieben. Eine grundsätzliche Klärung durch die Rspr. steht noch aus. Nachfolgend sollen u.a. die Grundaussagen des BMF-Schreibens analysiert werden. Dazu sollen nach einer Skizzierung des normativen Rah8 Die Verjährungsfrist beträgt gem. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Dazu kommt die Anlaufhemmung gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO aufgrund Nichtabgabe der Steueranmeldung. Die Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 15 AO stellt sicher, dass auch im Verhältnis zum ausländischen Steuerschuldner keine Festsetzungsverjährung eintreten kann. 9 Im Zusammenhang mit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung der Aufwendungen für Rechte werden Vergütungen nach § 50a EStG abgefragt (Zeile 41a der Gewerbesteuererklärung). 10 Zu Fragen der Tax Compliance in diesem Zusammenhang ausführlich Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 2018, Kap. 28. 11 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42.

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mens die grundsätzlichen Aussagen des BMF eingeordnet werden. Abschließend sollen aber auch einige aktuelle praxisrelevante Fälle in den Blick genommen werden, die im BMF-Schreiben nicht behandelt werden.

II. Normativer Rahmen 1. Relevante Tatbestände (Schlotter/Hruschka) Nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG besteht eine Pflicht zum Steuerabzug bei Einkünften, die aus Vergütungen für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung von Rechten, insbes. von Urheberrechten und gewerblichen Schutzrechten, von gewerblichen, technischen, wissenschaftlichen und ähnlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Fertigkeiten, z.B. Plänen, Mustern und Verfahren, herrühren (§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 und 9 EStG).12 § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG ist eng mit den in Bezug genommenen Normen der beschränkten Steuerpflicht verschränkt. Eine Pflicht zum Steuerabzug besteht nur dann, wenn ein Tatbestand der beschränkten Steuerpflicht erfüllt ist und zusätzlich die Voraussetzungen des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG gegeben sind. Es ist daher erforderlich, sich einen Überblick über die relevanten Tatbestände der beschränkten Steuerpflicht zu verschaffen. a) § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG Mitunter kommt es vor, dass ein auslandsansässiger Vertragspartner seine Leistungen über eine inländische Betriebsstätte gem. § 12 AO erbringt oder einen ständigen Vertreter gem. § 13 AO eingeschaltet hat. Zwar ist für entsprechende Einkünfte grundsätzlich eine Veranlagung vorgesehen. Nach der Rspr. des BFH und Auffassung der Finanzverwaltung schließt das Vorhandensein einer inländischen Betriebsstätte oder die Einschaltung eines inländischen Vertreters die Verpflichtung zum Steuerabzug nach § 50a EStG durch den Vergütungsschuldner jedoch nicht aus, was vielfach übersehen wird.13 Begründet wird dies letztlich mit dem weiten Wortlaut der Norm. 12 Einkünfte aus der sog. Spielerleihe sollen hier nicht betrachtet werden; dazu umfassend Schlotter/Degenhart, IStR 2011, 457 ff. 13 BFH v. 7.9.2011 – I B 157/10, BStBl. II 2012, 590 (zum ständigen Vertreter); BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 3 (zur Betriebsstätte); kritisch Holthaus, IStR 2014, 628 (629).

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b) § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG Von besonderer Bedeutung ist im hier interessierenden Kontext § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG. Da die Einkünfte von Kapitalgesellschaften als gewerblich gelten, ist § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG der zentrale Tatbestand, wenn es um Fragen der Rechteüberlassung geht. Da eine inländische Betriebsstätte nicht vorausgesetzt wird, handelt es sich um „betriebsstättenlose“ gewerbliche Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung oder Veräußerung von Rechten.14 Für den Inlandsbezug wird die Eintragung des Rechts in einem inländischen Register bzw. die Verwertung des Rechts in einer inländischen Betriebsstätte oder anderen Einrichtung vorausgesetzt. Bei der Betriebsstätte handelt es sich nicht um eine Betriebsstätte des beschränkt Stpfl. Für den Inlandsbezug reicht die Verwertung in irgendeiner inländischen Betriebsstätte aus. Dabei wird es sich regelmäßig um die Betriebsstätte des Vergütungsschuldners handeln, erforderlich ist dies jedoch nicht.15 Alternativ reicht eine Verwertung in einer anderen Einrichtung aus.16 Der Begriff der Einrichtung wird weit verstanden und geht über den Begriff der „festen Einrichtung“, also die Betriebsstätte des Selbständigen, hinaus. Eine auf Gewinnerzielung ausgelegte Tätigkeit ist nicht erforderlich, was zur Folge hat, dass auch öffentlich-rechtliche Körperschaften (z.B. Universitäten, Rundfunkanstalten oder auch Behörden) und gemeinnützige Organisationen ohne wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb von der Grundproblematik betroffen sind. Nicht erfasst sind jedoch Verwertungshandlungen durch Verbraucher im B2C-Geschäft, da diese keine Einrichtung unterhalten.17 Der Begriff der Einrichtung verlangt ein Mindestmaß einer Organisationsstruktur, die bei einfachen Verbrauchern nicht vorliegt. Der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG erfasst nicht solche Fälle, bei denen die Rechtsposition auf Ebene des Vergütungsschuldners entsteht und der auslandsansässige Vertragspartner lediglich Dienstoder Werkleistungen erbringt (etwa Fälle einer unechten Auftragsproduktion und andere Fälle, bei denen der Vergütungsschuldner nach bilanzieller Würdigung als Hersteller anzusehen ist).

14 15 16 17

Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (499). Wied/Reimer in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 49 EStG Rz. 208. Wied/Reimer in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 49 EStG Rz. 209. Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (499).

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c) § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG Denkbar ist auch, dass eine auslandsansässige natürliche Person digitale oder mediale Leistungen als Selbständiger i.S.d. § 18 EStG erbringt. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG ist Anknüpfungspunkt für den Inlandsbezug wiederum das Unterhalten einer festen Einrichtung oder Betriebsstätte oder die Ausübung oder Verwertung der selbständigen Arbeit im Inland. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass sich der Verwertungsbegriff auf den beschränkt Stpfl. selbst bezieht.18 Nach der Rspr. des BFH liegt der Verwertungsort bei geistigen Produkten dort, wo dem Vertragspartner die Urheberrechte überlassen werden. Da dies nach der (allerdings nicht ganz unumstrittenen) Rspr. i.d.R. am Ort der Geschäftsleitung des Vertragspartners ist, liegt der Verwertungsort grundsätzlich dann im Inland, wenn der Vertragspartner ein Steuerinländer ist.19 d) § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG Der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, der sich auf Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezieht und Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung von Rechten, die in ein inländisches Register eingetragen sind oder in einer inländischen Betriebsstätte bzw. festen Einrichtung verwertet werden, erfasst, hat nur noch geringe Bedeutung, da die ausländischen Vertragspartner regelmäßig bereits kraft Rechtsform20 gewerbliche Einkünfte beziehen und damit dem Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG unterfallen. e) § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG Von Bedeutung ist ferner der Tatbestand des § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Die Norm erfasst u.a. Einkünfte aus der Nutzung beweglicher Sachen im Inland und der Nutzungsüberlassung von Know-how, das im Inland genutzt wird. In § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist Know-how als gewerbliche, technische, wissenschaftliche oder ähnliche Erfahrungen, Kenntnisse oder Fertigkei18 BFH v. 16.12.1970 – I R 137/68, BStBl. II 1971, 200 f.; v. 5.11.1992 – I R 41/92, BStBl. II 1993, 407 (408); Schaumburg, Internationales Steuerrecht4, Rz. 6.226. 19 BFH v. 20.7.1988 – I R 174/85, BStBl. II 1989, 87 (89); Mody, Die deutsche Besteuerung international tätiger Künstler und Sportler, 1994, 71; Pfeifer, Die deutsche Besteuerung ausländischer Tonkünstler und Künstlergesellschaften, 2013, 71; Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (499). 20 Anders etwa bei ausländischen Universitäten.

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ten, z.B. Pläne, Muster oder Verfahren umschrieben. Nach der Rspr. des BFH handelt es sich um Spezialwissen, das entweder aus einer erfinderischen Tätigkeit herrührt (die ungeschützte Erfindung) oder um Erfahrungswissen, dessen Überlassung dem Vergütungsschuldner Zeit und Kosten erspart.21 Der Tatbestand ist auch bei der zeitlich unbegrenzten Überlassung von Know-how erfüllt.22 Abzugrenzen ist jedoch auch hier von der Dienstleistung, die auch vorliegen kann, wenn das Know-how im Auftrag eines Auftraggebers erstellt wird (z.B. Auftragsstudien).23 Aufgrund einer ähnlichen Wertung wie in Fällen der unechten Auftragsproduktion ist auch hier zu beachten, dass die originären Rechte am Know-how auf Ebene des Vergütungsschuldners entstehen.24 Während bei Know-how die inländische Nutzung für den Inlandsbezug ausreicht, muss sich bei der Nutzungsüberlassung beweglicher Sachen die Sache selbst während der Nutzung im Inland befinden.25 Ein Tatbestandsmerkmal der „Verwertung“ fehlt im § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG.

2. Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG (Schlotter) Der Tatbestand des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG erfasst nicht alle Einkünfte, die von der beschränkten Steuerpflicht nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 2, 3, 6 und 9 EStG umfasst sind. Nicht erfasst werden insbes. Veräußerungseinkünfte, die im Rahmen von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, Buchst. f Doppelbuchst. bb oder Nr. 3 EStG grds. ebenfalls tatbestandsmäßig sind. Hier hat ggf. eine Veranlagung zu erfolgen. Die Pflicht zum Steuerabzug bezieht sich daher nur auf Einkünfte aus Nutzungsüberlassungen von Rechten, die nicht als Veräußerungen angesehen werden. Diese Grundsätze gelten auch für die Know-how-Überlassung, so dass zwischen der befristeten Nutzungsüberlassung und der endgültigen Übertragung zu unterscheiden ist.26 Die Steuererhebung für die Nutzung beweglicher Sachen im Inland erfolgt ebenfalls im Wege der Veranlagung. Nicht vom Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG erfasst werden zudem Einkünfte aus gewerblichen Dienstleistungen.

21 BFH v. 13.11.2002 – I R 90/01, BStBl. II 2003, 249 = FR 2003, 469. 22 Gosch in Kirchhof, EStG16, § 49 Rz. 94. 23 Denkbar ist insoweit jedoch, dass hier auch Rechte nach dem UrhG eingeräumt werden. 24 FG München v. 27.5.2013 – 7 K 3552/10, EFG 2013, 1412, rkr. 25 BFH v. 10.4.2013 – I R 22/12, BStBl. II 2013, 728 = FR 2013, 956. 26 Frotscher in Frotscher/Geurts, EStG, § 50a Rz. 73.

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Die unterschiedliche Behandlung einzelner Leistungen auslandsansässiger Vertragspartner führt vielfach zu Problemen, weil eine Vielzahl von Verträgen nicht allein eine Leistung einräumen, sondern mehrere Leistungen beinhalten (sog. gemischter Vertrag), von denen die Rechteüberlassung nur eine Teilkomponente ist. Häufig werden in der Vertragspraxis Rechteklauseln auch höchst vorsorglich aufgenommen.27 Entsprechende Klauseln sind für die steuerliche Betrachtung jedoch unerheblich, weil es allein auf die tatsächliche Rechteeinräumung ankommt. Besondere Schwierigkeiten treten auf, wenn zudem Gesamtvergütungen vereinbart sind und eine Aufteilung auf die einzelnen Leistungskomponenten nicht ersichtlich ist. Nach der Rspr. des BFH ist in derartigen Situationen zu prüfen, ob die Rechteüberlassung lediglich eine unselbständige Nebenleistung darstellt, auf die nicht mehr als 10 % der Vergütung entfällt.28 Liegen eigenständig zu beurteilende Leistungen vor, ist eine Aufteilung der Vergütung erforderlich, wobei der abzugspflichtige Betrag ggf. im Wege der Schätzung zu ermitteln ist.29 Die aus Sicht des deutschen Steuerrechts steuerliche Empfehlung, die einzelnen Leistungskomponenten zu „bepreisen“, lässt sich in der Praxis häufig nur schwer umsetzen. Abzugsverpflichtet ist nach § 50a Abs. 5 Satz 2 EStG der Vergütungsschuldner. Vergütungsschuldner ist derjenige, der zivilrechtlich die Vergütung schuldet.30 Bislang kaum diskutierte Zweifelsfragen treten dann auf, wenn der Vergütungsschuldner zwar im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung handelt. Dabei ist zwischen der Einkaufs- und der Verkaufskommission zu unterscheiden. Im letztgenannten Fall stellt sich die Frage, ob der Verkaufskommissionär, der in Rechtevermarktungen des auslandsansässigen Kommittenten (Rechteinhaber) eingeschaltet ist, bei der Herausgabe des zivilrechtlich im Rahmen der Verkaufskommission Erlangten, nämlich der vom Dritten vereinnahmten Lizenzgebühr, als Vergütungsschuldner die Steuerabzugsvorschriften anwenden muss. Da im Ertragsteuerrecht Fiktionen wie in der Umsatzsteuer fehlen, sprechen im letztgenannten Fall gewichtige Gründe dafür, entsprechende Sachverhalte nicht nach § 50a EStG zu beurteilen.

27 Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616 (621). 28 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550 = FR 2004, 776; v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920. 29 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 21. 30 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 40.

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Von besonderer Bedeutung ist die Reichweite der erfassten Rechte. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG enthält keine abschließende Rechtedefinition, sondern nennt insbes. Urheberrechte, gewerbliche Schutzrechte und gewerbliche, technische, wissenschaftliche und ähnliche Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten, z.B. Pläne, Muster und Verfahren. Eine Konkretisierung erfolgt durch §§ 73a Abs. 2 und 3 EStDV. In den Tatbeständen der beschränkten Steuerpflicht fehlt eine Rechtedefinition. § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG verweist jedoch auf § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Dort wird Bezug genommen auf Einkünfte aus der zeitlich begrenzten Überlassung von Rechten, insbes. von schriftstellerischen, künstlerischen und gewerblichen Urheberrechten, von gewerblichen Erfahrungen (Know-how) und von Gerechtigkeiten und Gefällen (Real- und Gewerbeberechtigungen). Unter die Norm fallen Urheberrechte, gewerbliche Schutzrechte oder bestimmte Lieferrechte.31 Für die Begriffsbestimmungen wird im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG ebenfalls auf §§ 73a Abs. 2 und 3 EStDV Bezug genommen.32 Interessant ist, dass gewerbliche Schutzrechte im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (anders als in § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG) nicht explizit genannt sind, sondern als „ähnliche Rechte“ (insbesondere) angesehen werden. Die Grundsätze zu § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG werden auch auf § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG übertragen. a) Urheberrechte Der Terminus Urheberrecht wird in § 73 Abs. 2 EStDV legaldefiniert. Urheberrechte sind Rechte, die nach Maßgabe des UrhG in der jeweils geltenden Fassung geschützt sind. M.E. enthält § 73a Abs. 2 EStDV eine Rechtsgrundverweisung auf das deutsche UrhG. Damit sind besondere Herausforderungen verbunden. Verlangt wird eine konkrete Subsumtion unter das deutsche UrhG. Erforderlich ist es daher auch, in den Blick zu nehmen, welche Handlungen dem Urheber oder dem Inhaber eines Leistungsschutzrechts oder einem anderen vorbehalten sind, die Rechte vom Urheber oder Inhaber von Leistungsschutzrechten ableiten. Es ist daher nicht ausreichend, dass beispielsweise eine Datenbank im UrhG abstrakt urheberrechtlichen Schutz genießt. Es ist vielmehr unter Rückgriff auf die normativen Wertungen des UrhG zu untersuchen, ob eine bestimmte Verwertungshandlung dem Inhaber vorbehalten ist, weil im UrhG eine abschließende Regelung der Befugnisse enthalten ist, die aus 31 Schallmoser in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 21 EStG Rz. 456. 32 Hofacker in Haase, Geistiges Eigentum, 2012, Rz. 4.76.

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dem Urheberrecht abzuleiten sind und deren Ausübung der Zustimmung des Berechtigten bedarf.33 Die Verträge sind dann im Einzelfall darauf zu untersuchen, ob entsprechende Befugnisse im Einzelfall betroffen sind. Ohne eine genaue urheberrechtliche Kenntnis der Gesetzeslage und eine einzelvertragliche Analyse sind die Sachverhalte daher eigentlich nicht lösbar. Im Gesetz sind in den §§ 15 ff. UrhG Verwertungsrechte genannt, die dem Urheber gesetzlich vorbehalten und auch nicht übertragbar sind.34 Die Verwertungsrechte sind mit der Person des Urhebers verbunden und stehen nur diesem zu.35 Er kann diese nicht abtreten.36 Insofern muss man wissen, dass es vielerlei Eingriffshandlungen gibt, die gesetzlich gestattet und daher vom Schutzbereich des UrhG gar nicht umfasst sind. Handlungen, die dem Urheber als Verwertungsrechte i.S.d. §§ 15 ff. UrhG vorbehalten sind, sind etwa Vervielfältigungshandlungen, Bearbeitungsrechte oder das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.37 Der reine Konsum i.S.d. Werkgenusses ist etwa nicht geschützt.38 Nur wenn eine Vergütung gezahlt wird, um eine urheberrechtlich geschützte Rechtsposition im Inland nutzen zu können, die nach dem Gesetz der Zustimmung des Rechtsinhabers bedarf, liegt ein finaler Bezug zwischen geschütztem Recht und Vergütung vor. Insoweit ist auch zu beachten, dass nach den gesetzlichen Wertungen des UrhG bestimmte Nutzungshandlungen, die zum bestimmungsgemäßen Gebrauch erforderlich sind (etwa § 69d Abs. 1 UrhG Vervielfältigung, Bearbeitung), nicht der Zustimmung des Rechtsinhabers bedürfen.39 Nur wenn der Berechtigte gegen Entgelt ein die geschützte Handlung betreffendes Nutzungsrecht einräumt, ist der gesetzliche Zuweisungsgehalt des Rechtsschutzes betroffen. Zahlungen, die auf nicht zustimmungspflichtige Nutzungen entfallen, sind daher für den Steuerabzug auszuscheiden; allein der Umstand, dass die faktische Mitwirkung des Vertragspartners erforderlich ist, 33 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, UrhG4, Vor §§ 31 ff. Rz. 23. Im Fall der Datenbank ist daher anhand der §§ 87a ff. UrhG konkret zu analysieren, welche Handlungen dem Inhaber vorbehalten sind. 34 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, UrhG4, Vor §§ 31 ff. Rz. 23. 35 Ungern-Sternberg in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht5 § 15 Rz. 4. 36 Spautz/Göttig, BeckOk UrhR, § 29 Rz. 1. 37 Heerma in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 15 Rz. 2; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 29 Rz. 1. 38 Kroitzsch/Götting in Ahlberg/Götting, BeckOK Urheberrecht, § 15 UrhG Rz. 11. 39 Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, § 69d Rz. 1 ff.; Grützmacher in Wandtke/ Bullinger, UrhG4, § 69d Rz. 4; vgl. auch Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 110.

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kann ein gegenteiliges Ergebnis nicht begründen. Werden in den Verträgen überschießend und höchst vorsorglich Rechte eingeräumt, ist dies unerheblich, da es für Zwecke des § 50a EStG darauf ankommt, ob tatsächlich Urheberrechte überlassen werden.40 Der Urheber als Schöpfer ist stets eine natürliche Person. Bei zustimmungspflichtigen Handlungen verfügt der Urheber über das an ihn gebundene Verwertungsrecht (§§ 15–23 UrhG), indem er einzelne Nutzungsrechte von diesem abspaltet und an den Erwerber überträgt.41 Der Begriff des Nutzungsrechts beschreibt daher aus Perspektive des deutsche UrhG die aus dem Verwertungsrecht abgeleiteten Rechte, die der Berechtigte erhält.42 Der Urheber kann sein Werk durch Dritte daher in der Art verwerten lassen, indem er ihnen Nutzungsrechte in mehr oder weniger großem Umfang einräumt (§§ 29 Abs. 2, 31 ff. UrhG).43 Erfolgen Zahlungen für Rechtspositionen, die nicht nach deutschem Urheberrecht geschützt sind, kann auch die Vergütung nicht einer Rechteüberlassung zugeordnet werden. Ein Anwendungsfall können schuldrechtliche Vertriebsrechte sein. Insoweit ist aber Vorsicht geboten, weil durch die Einräumung von Vertriebsrechten gleichzeitig geschützte Verbreitungsrechte etwa i.S.d. UrhG betroffen sein können. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das UrhG zwischen den urheberrechtlich geschützten Werken und den Leistungsschutzrechten unterscheidet. Letztere sind nicht an die individuelle Schöpfungshöhe eines Werks geknüpft, sondern haben einen anderen Schutzgrund, häufig die wirtschaftliche Investition des Herstellers. Soweit nicht explizit gesetzlich angeordnet, spielt bei Leistungsschutzrechten, anders als bei Werken, insoweit das sog. Urheberpersönlichkeitsrecht keine Rolle. Auch Leistungsschutzrechte fallen jedoch in den Anwendungsbereich des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG.44 Schließlich ist zu beachten, dass deutsche Vertragspartner regelmäßig nicht mit dem Urheber (dies ist denknotwendig eine natürliche Person) selbst in Geschäftsbeziehungen stehen, sondern mit Gesellschaften, bei denen die eigentlichen Urheber angestellt sind und bei denen die ver40 Vgl. Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616 (621). 41 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, UrhG4, Vor §§ 31 ff. Rz. 24. 42 Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, UrhG4, Vor §§ 31 ff. Rz. 24; vgl. auch Thiele, DStR 2018, 274 (278). 43 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 29 Rz. 1. 44 FG Hamburg v. 29.1.1975 – II 25/74, EFG 1975, 368, rkr.; Maßbaum in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 50a EStG Rz. 58.

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mögensrechtliche Verwertungsposition etwa im Rahmen des § 43 UrhG beim Arbeitgeber liegt. Da das Recht am Arbeitsergebnis dem Arbeitgeber zusteht, ist der Arbeitnehmer zur Einräumung von im Zweifel ausschließlichen Nutzungsrechten an den Arbeitgeber, allerdings beschränkt auf den Zweck des Betriebs, verpflichtet.45 Regelmäßig wird die nach den §§ 34 und 35 UrhG erforderliche Zustimmung zur Weiterübertragung eingeräumter Nutzungsrechte oder die Einräumung weiterer Nutzungsrechte durch den Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts an Dritte stillschweigend erteilt.46 In Bezug auf Software ist zusätzlich zu beachten, dass gem. § 69b Abs. 1 UrhG ausschließlich der Arbeitgeber zur Ausübung aller vermögensrechtlichen Befugnisse berechtigt an der Software ist. § 69b UrhG ist als lex specialis zu § 43 UrhG zu verstehen.47 Der Arbeitgeber erwirbt kraft Gesetzes an dem Computerprogramm sämtliche ausschließlichen Nutzungsrechte in unbeschränkter Form, so dass der Arbeitgeber abweichend von §§ 34, 35 UrhG zur Weiterübertragung der Nutzungsrechte auch keiner Zustimmung des Urhebers bedarf und dieser auch keinen Anspruch auf gesonderte Vergütung hat.48 Der inländische Vertragspartner erwirbt daher von den ausländischen Kapitalgesellschaften nach deutscher Wertung abgeleitete Nutzungsrechte. Schließlich kann auch jeglicher andere Inhaber von Nutzungsrechten, der diese vom Urheber ableitet, unter bestimmten Voraussetzungen über diese verfügen oder Dritten Nutzungsrechte einräumen. Das Gesetz unterscheidet in § 34 UrhG und § 35 UrhG zwei Vorgehensweisen. Ausschließliche oder einfache Nutzungsrechte können vom Inhaber eines Nutzungsrechts49 durch Abtretung übertragen werden. Dieser translative Übertragungsvorgang, bei dem sich der Inhaber des Nutzungsrechts seiner Rechtsposition begibt, ist in § 34 UrhG geregelt. Im Unterschied zur translativen Übertragung regelt § 35 UrhG den Fall, dass der Inhaber eines ausschließlichen Nutzungsrechts sein ausschließliches Nutzungsrecht mit weiteren einfachen oder ausschließlichen Nutzungsrechten auf nachgelagerter Stufe belastet, also den Fall, dass ein Nutzungsrechtsinhaber (und nicht der Urheber) Dritten Nutzungsrechte als Enkelrechte einWandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 43 Rz. 73. Dreier in Schulze/Dreier, UrhG5, § 43 Rz. 21. Grützmacher in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 69b Rz. 1. Wiebe in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien3, § 69b UrhG Rz. 4; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, § 69b Rz. 9; Loewenheim/Spindler in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht5, § 69b Rz. 1 ff. 49 Dies ist nicht der Urheber.

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räumt.50 Hier behält der Inhaber also sein Nutzungsrecht und belastet dieses nur. Ein weiteres Problem liegt darin, dass § 73a Abs. 2 EStDV für den Umfang des Steuerabzugs auf das deutsche UrhG Bezug nimmt, die ausländischen Vertragspartner jedoch davon ausgehen, dass ihnen ausländische Rechte zustehen. Für die Prüfung des Gesetzesbefehls sind zwei Herangehensweisen denkbar. Nach Auffassung der Finanzverwaltung und der Mehrzahl der Stimmen in der Literatur soll eine fiktive Prüfung des deutschen Urheberrechts stattfinden. Es wird also die Anwendbarkeit des deutschen Urheberrechts unterstellt.51 Versteht man § 73a Abs. 2 EStDV jedoch wörtlich, kann man auch zu einem anderen Ergebnis gelangen. Geht man davon aus, dass ein tatsächlicher Schutz nach deutschem UrhG erforderlich ist, wäre auch eine konkrete Prüfung des internationalen Teils des deutschen UrhG erforderlich, das insbes. vom sog. Schutzlandprinzip geprägt ist.52 Abzustellen wäre daher auf Handlungen, die im Geltungsbereich des deutschen UrhG erfolgen, so dass Eingriffshandlungen, die im Ausland erfolgen, vom Schutz nicht erfasst sind. Da inlandsansässige Vertragspartner regelmäßig für inländische Nutzungen zahlen, werden beide Auslegungen häufig zu identischen Ergebnissen gelangen. b) Gewerbliche Schutzrechte Geschützte Rechte sind ferner alle gewerblichen Schutzrechte. Dies sind nach § 73a Abs. 3 EStDV Rechte, die nach Maßgabe des Designgesetzes, Patentgesetzes, Gebrauchsmustergesetzes oder Markengesetzes geschützt sind. Auch hier ist ein konkreter Schutz nach deutschem Recht zu verlangen. c) Gleichgestellte Rechte („insbesondere“) Aus dem Zusatz in § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG „insbesondere“ wird abgeleitet, dass die Aufzählung der vom Steuerabzug getroffenen Rechte nicht abschließend ist.53 Der BFH54 hat auf dieser Basis auch entgeltliche Ge50 Wandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 35 Rz. 5. 51 Hecht/Lampert, FR 2009, 1127 (1130); Ackermann, ISR 2016, 258 (260). 52 BGH v. 24.9.2014 – I ZR 35/11, NJW 2015, 1690 = CR 2015, 458. Die §§ 120 und § 121 Abs. 4 Satz 1 UrhG i.V.m. TRIPS, RBÜ führen dazu, dass grundsätzlich ein weitreichender Schutz in Deutschland besteht. 53 BFH v. 28.1.2004 – I R 73/02, BStBl. II 2005, 550 = FR 2004, 776; auch § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG enthält den Terminus „insbesondere“. 54 BFH v. 19.12.2007 – I R 19/06, BStBl. II 2010, 398 = FR 2008, 920.

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stattungen von Eingriffen in Persönlichkeitsrechte auf schuldrechtlicher Basis in den Steuerabzug einbezogen (bedeutsam etwa für Fotos und Werbekampagnen). Grundlage für die Gleichstellung ist einerseits der Umstand, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht absoluten Schutz genießt und in vielen Spezialgesetzen konkretisiert ist (etwa Namensschutz § 12 BGB, Recht am eigenen Bild § 22 KUG, etc.). Wesentlicher ist aber noch, dass in der zivilrechtlichen Rspr. dem Inhaber nicht nur ein Abwehrrecht, sondern auch eine vermögensrechtliche Verwertungsbefugnis zugestanden wird. Auch wenn das allgemeine Persönlichkeitsrecht als höchstpersönliches Recht nicht übertragbar ist, können mit dem Persönlichkeitsrecht verbundene Befugnisse durch schuldrechtliche Gestattungen kommerzialisiert werden.55 Nach zutreffender Auslegung, die auch im BMF-Schreiben v. 25.11.2010 anklingt, können jedoch nur solche Rechte als ähnliche Rechte in den Steuerabzug einbezogen werden, die eine Ausformung in einem Schutzgesetz erfahren haben.56 Daraus folgt, dass einfache schuldrechtliche Gestattungen und die Einräumung von Ansprüchen, als „relative Rechte“ im Zweiparteienverhältnis, wie beispielsweise die schuldrechtliche Einräumung von Alleinvertriebsrechten, nicht als „ähnliche Rechte“ angesehen werden können.57 In der Praxis der Betriebsprüfungen ist jedoch zu beobachten, dass zunehmend rein schuldrechtliche Gestattungen in die Diskussion geraten (zu Werberechten s. nachfolgend unter IV.3.). d) Abgrenzung zwischen Nutzungsüberlassung und Veräußerung Während früher zeitweise auch beschränkt steuerpflichtige Einkünfte aus dem Rechtekauf in den Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG einbezogen waren, hat der Gesetzgeber mit dem JStG 2009 v. 19.12.2008 Einkünfte aus dem Rechteverkauf nunmehr vom Steuerabzug ausgenommen.58 § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG spricht von einer Vergütung für die Überlassung der Nutzung oder des Rechts auf Nutzung. Die Veräußerung eines Rechts ist hiervon nicht erfasst. Für die Auslegung ist auch eine Zusammenschau mit §§ 49 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG,

55 BGH v. 14.10.1986 – VI ZR 10/86, GRUR 1987, 128 f. = MDR 1987, 305. 56 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 22. 57 Zutreffend Petersen, IStR 2017, 136 (137); Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/ Idler, Tax Compliance, 2018, Kap. 28 Rz. 19. 58 Zuvor war explizit angeordnet: „Das Gleiche gilt bei Einkünften für die Veräußerung von Rechten …“.

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49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst f Doppelbuchst. aa EStG geboten, wo von Einkünften aus der zeitlich begrenzten Überlassung von Rechten die Rede ist. Für Fragen des Steuerabzugs ist daher von besonderer Bedeutung, nach welchen Kriterien die Abgrenzung genau zu erfolgen hat. Der BFH59 hat in seinem Urteil zur sog. Spielerleihe im Profifußball herausgearbeitet, dass es einer fortbestehenden eigenständigen Rechtsposition beim Überlassenden bedarf, um den Tatbestand einer zeitlichen Nutzungsüberlassung zu erfüllen. Die Rückeinräumung einer (bei zivilrechtlicher Betrachtung) anderen vertraglichen Rechtsposition ist daher nicht ausreichend. Allerdings ist aus der Rspr. des BFH auch ersichtlich, dass von einer Nutzungsüberlassung bereits immer dann auszugehen sein soll, wenn das Recht nicht endgültig beim Vergütungsschuldner verbleibt oder an den Vergütungsgläubiger zurückfallen kann.60 Allein der Umstand, dass die Dauer der Nutzung ungewiss ist, steht einer zeitlich begrenzten Nutzungsüberlassung nicht entgegen.61 Eine zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung soll daher auch dann vorliegen, wenn der Vertrag über die Nutzung auf unbestimmte Zeit geschlossen ist und durch Kündigung oder außerordentlich beendet werden kann. Umgekehrt soll allein der Umstand, dass das Recht selbst nach Gesetz zeitlich befristet ist, nicht zwangsläufig dazu führen, dass eine zeitlich begrenzte Nutzungsüberlassung vorliegt.62 Unter Berücksichtigung der Spezifika von Immaterialgüterrechten, die regelmäßig durch Abspaltung von Tochterrechten beliebig teilbar sind, die dann wiederum in Rechteketten ausschließlich oder einfach weiterüberlassen werden, sind m.E. verschiedene Fragenkreise auseinanderzuhalten. Zunächst ist fraglich, ob eine Rechteveräußerung dann anzuerkennen ist, wenn im Rahmen eines sog. „Total-Buy-Out“ der auslandsansässige Vertragspartner alle vermögenswerten Rechte (häufig aber nicht zwangsläufig gegen Einmalzahlung) auf den Vergütungsschuldner überträgt. Im Bereich der Urheber- und Persönlichkeitsrechte vertritt die Finanzverwaltung insoweit eine sehr fiskalische Auffassung, die von ausländischen 59 BFH v. 27.5.2009 – I R 86/07, BStBl. II 2010, 120. 60 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 23. 61 BFH v. 5.12.1977 – I R 54/75, BStBl. II 1978, 355 = FR 1978, 200. 62 FG Köln v. 25.8.2016 – 13 K 2205/13, EFG 2017, 311, nrkr., Rev. Az. BFH I R 69/16; v. 28.9.2016 – 3 K 2206/13, EFG 2017, 298, nrkr., Rev. Az. BFH I R 83/16.

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Vertragspartnern kaum verstanden wird. Ausgehend von dem Umstand, dass weder das allgemeine Persönlichkeitsrecht, noch das sog. Urheberpersönlichkeitsrecht gem. § 29 Abs. 1 UrhG unter Lebenden übertragbar ist, geht die Finanzverwaltung63 davon aus, dass niemals eine Vollrechtsübertragung vorliegen und daher immer nur ein Nutzungsrecht eingeräumt werden kann. Das BMF-Schreiben zu Software und Datenbanken hält an dieser Sichtweise fest und stellt sich auf den Standpunkt, dass Entsprechendes auch bei Softwareurheberrechten gelte.64 Die bisherige erstinstanzliche finanzgerichtliche Rspr. hat sich dieser Sichtweise angeschlossen. In zwei Urteilen hat das FG Köln65 zu urheberrechtlichen Total-Buy-Out-Sachverhalten Stellung genommen. Die Sachverhalte betreffen einmal eine Rechteeinräumung durch den Urheber selbst (natürliche Person) und zum anderen durch eine auslandsansässige Kapitalgesellschaft, die ihrerseits vom Urheber abgeleitete Rechte an einen inlandsansässigen Vergütungsschuldner vollständig übertragen wollte.66 Interessant ist, dass das FG Köln davon ausgeht, dass aufgrund der Nichtübertragbarkeit des Urheberpersönlichkeitsrechts in beiden Sachverhalten eine Rechteveräußerung nicht vorliegen soll. Argumentiert wird ergänzend mit § 41 UrhG67 und dem Hinweis, dass die jeweiligen Urheber auch wirtschaftlich mit ihrem Werk verbunden bleiben, da ihnen nach § 32a Abs. 1 UrhG ein Anspruch auf weitere Beteiligung zustehe, auf den im Voraus nicht verzichtet werden könne. Im Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Recht am Bild) hat das FG München68 in einer rechtskräftigen Entscheidung zuvor eine ähnliche Sichtweise vertreten. Folge dieser Sichtweise ist, dass es selbst bei Kettenübertragungen auf je63 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 23; OFD Karlsruhe v. 29.4.2014 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554; Wehmhörner, ISR 2018, 66 (68 f.). 64 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 11. 65 FG Köln v. 25.8.2016 – 13 K 2205/13, EFG 2017, 311, nrkr., Rev. Az. BFH I R 69/16; v. 28.9.2016 – 3 K 2206/13, EFG 2017, 298, nrkr., Rev. Az. BFH I R 83/16), vgl. dazu Boller/Gehrmann/Ebeling, IWB 2017, 273 ff.; Klomp, EFG 2017, 304. 66 Im zweiten Fall hat die Kapitalgesellschaft in der Wertung des deutschen UrhG ein ausschließliches, unbeschränktes Nutzungsrecht gem. § 31 UrhG eingeräumt erhalten, dass diese dann mit Zustimmung des Urhebers gem. § 34 UrhG abgetreten hat. 67 Vgl. auch BFH v. 1.12.1982 – I B 11/82, BStBl. II 1983, 367 (369) = FR 1983, 202; Wehmhörner, ISR 2018, 66 (68 f.). 68 FG München v. 30.11.2015 – 7 K 3840/13, juris, rkr.

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der Stufe zu einem Steuerabzug kommen kann, nur weil nach der gesetzlichen Wertung auf der ersten Stufe das sog. Urheberpersönlichkeitsrecht als unentziehbare Rechtsposition beim Urheber verbleibt (§§ 11 Satz 1, 13 UrhG) und nicht übertragbar ist. Teilt man diese Auffassung, würde diese insbes. auch auf grenzüberschreitende Asset Deals ausstrahlen, weil in diesem Fall aus dem Gesamtkaufpreis ein Teilentgelt zu eliminieren wäre, das auf die Übertragung von Softwareurheberrechten und dergleichen entfällt. Diese schematische Auslegung überzeugt nicht. Fraglich ist bereits, ob es gerechtfertigt ist, dem Urheberpersönlichkeitsrecht einen derartig überragenden Bedeutungsgehalt für steuerliche Zwecke zuzuweisen. Das Urheberpersönlichkeitsrecht führt nicht dazu, dass die Vermögensrechte zwingend beim Urheber verbleiben. Der Urheber kann – wie bereits beschrieben – sein Werk durch andere verwerten lassen, indem er ihnen Nutzungsrechte in mehr oder weniger großem Umfang einräumt (§§ 29 Abs. 2, 31 ff. UrhG).69 Mit der Einräumung eines Nutzungsrechts nach § 31 UrhG an den Vertragspartner entsteht im Ausgangspunkt jeweils eine neue verkehrsfähige Rechtsposition. Derartige Nutzungsrechte haben dinglichen Charakter.70 Es ist daher anerkannt, dass entsprechende Nutzungsrechte nach § 31 UrhG auf Ebene des Nutzenden auch angeschafft werden können.71 Es liegen daher gerade keine schwebenden Dauerschuldverhältnisse vor, bei denen die überlassene Rechtsposition während der Überlassung dauerhaft beim Überlassenden liegt und lediglich auf schuldrechtlicher Basis die Nutzung gestattet ist. Erkennt man diese Zusammenhänge, dann stellt man sich die Frage, warum entsprechende Nutzungsrechte für Zwecke des § 50a EStG nicht grundsätzlich als Objekt von nicht dem Steuerabzug unterliegenden Veräußerungen anerkannt werden sollten. Für steuerliche Zwecke geht es allein um die vermögensrechtlichen Befugnisse. Es ist daher zu fragen, ob aus Sicht des Erwerbers eine Rechtsposition erlangt wird, die dazu führt, dass diesem das wirtschaftliche Eigentum zusteht. Da sich die Zuweisung von Rechten im Ertragsteuerrecht nach dem wirtschaftlichen Eigentum beurteilt, können m.E. im Bereich des § 50a EStG für den Begriff der Veräußerung 69 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 29 Rz. 1. 70 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 8; Wiebe in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien3, § 31 UrhG Rz. 6; vgl. auch Thiele, DStR 2018, 274 (278). 71 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 11; Soppe in Ahlberg/Götting, BeckOK Urheberrecht, § 31 UrhG Rz. 77 ff.; Wiebe in Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien3, § 31 UrhG Rz. 3 f.

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keine abweichenden Grundsätze gelten. Das wirtschaftliche Eigentum an einem Urheberrecht wird aber jedenfalls dann grundsätzlich dem Erwerber zuzuweisen sein, wenn es sich um ein ausschließliches Nutzungsrecht handelt.72 Durch ein ausschließliches Nutzungsrecht (§ 31 Abs. 3 UrhG) erlangt der Nutzungsberechtigte eine Abwehrbefugnis, denn das ausschließliche Nutzungsrecht schließt regelmäßig ein negatives Verbotsrecht ein.73 Er kann das Werk unter Ausschluss aller anderen Personen einschließlich des Urhebers nutzen.74 Zwar ist der Urheber berechtigt, ein ausschließliches Nutzungsrecht im Fall der Nichtausübung zurückzurufen (§ 41 Abs. 1 Satz 1 UrhG). Allein das Vorhandensein eines Rückrufrechts sollte jedoch nicht dazu führen, dass der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums per se ausgeschlossen werden kann, weil der Rückruf urheberrechtlich ein Gestaltungsrecht ist.75 Allerdings haben sich die urhebergesetzlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf ausschließliche Nutzungsrechte, die gegen ein Einmalentgelt eingeräumt werden, kürzlich verändert. Für Verträge, die ab dem 1.3.2017 geschlossen werden, ist die Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts gegen Einmalentgelt nach § 40a Abs. 1 UrhG n.F. grundsätzlich nur auf zehn Jahre limitiert. Der Nutzungsberechtigte verliert sein Recht jedoch nicht. In der Folgezeit besteht das Nutzungsrecht nur als einfaches Nutzungsrecht weiter. Ob sich aus diesen Umständen Argumente ableiten lassen, die generell gegen den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums sprechen, bleibt abzuwarten. Regelmäßig schließen inländische Vertragspartner ihre Verträge auch nicht mit den Urhebern (also natürlichen Personen), sondern mit (Kapital-)Gesellschaften, bei denen die Urheber angestellt sind. Hier ist zu berücksichtigen, dass bei Pflichtwerken das Arbeitsergebnis kraft Schuldverhältnis dem Arbeitgeber gehört. Aus dem Wesen des Arbeitsverhältnisses ergibt sich, dass der angestellte Urheber dem Arbeitgeber schon mit dem Arbeitsvertrag ein entsprechendes ausschließliches Nutzungsrecht überträgt,76 das der Arbeitgeber dann weiterverwertet. Bei Arbeitsverhältnissen ist etwa zu beachten, dass das Rückrufsrecht wegen Nichtausübung gem. § 41 UrhG dem Arbeitneh-

72 Gosch in Kirchhof, EStG16, § 50a Rz. 15. 73 Grunert/Wandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 31 Rz. 29. 74 Grunert/Wandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 31 Rz. 27; Thiele, DStR 2018, 274 (278). 75 Klein in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 49 Rz. 932; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, § 41 Rz. 1. 76 Wandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 43 Rz. 30.

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merurheber nur eingeschränkt zusteht.77 Bei Software ist etwa zu berücksichtigen, dass den Programmierern ein Urheberpersönlichkeitsrecht zusteht, weil § 69a Abs. 4 UrhG ergänzend auf die für Sprachwerke geltenden Bestimmungen verweist.78 Auch hier wird der Arbeitgeber kraft Gesetzes Inhaber des ausschließlichen Nutzungsrechts an dem Computerprogramm (§§ 69b i.V.m. 31 Abs. 3 Satz 1 UrhG). Dieses ausschließliche Nutzungsrecht kann der Arbeitgeber jedoch gem. § 34 Abs. 1 UrhG vollständig an einen Dritten abtreten.79 Im Kontext der §§ 34, 35 UrhG ist ferner zu beachten, dass ein Wegfall des ausschließlichen Nutzungsrechts früherer Stufe – sei es durch Anfechtung, Kündigung, Rückruf (§§ 41, 42 UrhG) – ein hiervon abgeleitetes Nutzungsrecht späterer Stufe nach Auffassung des BGH80 nicht automatisch beseitigt.81 Die Argumente des FG Köln (§§ 41, 32a UrhG), können daher in der Generalität nicht überzeugen. Jedenfalls bei der Übertragung der ausschließlichen Nutzungsrechte sprechen m.E. die besseren Argumente dafür, eine Veräußerung anzuerkennen. Dies gilt insbes., wenn Vertragspartner Kapitalgesellschaften sind, die über abgeleitete Nutzungsrechte verfügen und diese vollumfänglich nach § 34 UrhG abtreten. Selbst, wenn man die Sichtweise der Finanzverwaltung zum Total Buyout im Ausgangspunkt teilt, ist zu beachten, dass die Thesen nicht (auch nicht typisierend) unbesehen auf alle Leistungsschutzrechte i.S.d. UrhG übertragen werden können. Bei Leistungsschutzrechten stehen regelmäßig nicht die persönlichen Beziehungen einer natürlichen Person zum Werk im Vordergrund. Ein Urheberpersönlichkeitsrecht ist nur relevant, wenn die entsprechende Geltung angeordnet ist. Die Verwertungsrechte eines Datenbankherstellers nach §§ 87a, 87b UrhG sind etwa ein entsprechendes Leistungsschutzrecht, bei dem § 29 Abs. 1 UrhG nicht gilt.82 Eine Rechteveräußerung sollte in diesem Fällen bei Vereinbarung eines Total-Buy-Outs ohne weiteres anzuerkennen sein. Der Urheber kann anderen nach § 31 UrhG auch einfache Nutzungsrechte einräumen. Das einfache Nutzungsrecht ist in § 31 Abs. 2 UrhG als Recht umschrieben, das den Inhaber berechtigt, das Werk auf die er77 Gennen in Moll, Münchener Handbuch Arbeitsrecht4, Teil D, § 16 Rz. 250. Aus wirtschaftlichen Gründen kann er kein Rückrufsrecht geltend machen, denn er wurde ja bereits wirtschaftlich durch das Arbeitsentgelt entlohnt. 78 Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, § 69a Rz. 34. 79 Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, § 69b Rz. 9. 80 BGH v. 19.7.2012 – I ZR 24/11, GRUR 2012, 914 (915) = MDR 2012, 1111. 81 Wandtke/Grunert in Bullinger/Wandtke, UrhG4, § 35 Rz. 7. 82 Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, Vorb. zu § 87a Rz. 2.

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laubte Art zu nutzen, ohne dass eine Nutzung durch andere ausgeschlossen ist. Wie bereits ausgeführt, kann zudem auch ein Inhaber ausschließlicher Nutzungsrechte, der seine Rechte vom Urheber ableitet (etwa auch der Arbeitgeber), seinen Vertragspartnern einfache Nutzungsrechte nach § 35 UrhG einräumen. Einfache Nutzungsrechte können vom Inhaber eines derartigen Nutzungsrechts aber auch in der Art und Weise übertragen werden, dass dieser sein Nutzungsrecht an einen anderen abtritt (translativer Vorgang nach § 34 UrhG). Abzustellen ist in den beiden letztgenannten Fällen bei der steuerlichen Einordnung dann auf diese abgetretenen oder eingeräumten Rechte nach §§ 34, 35 UrhG. Auch an einfachen Nutzungsrechten i.S.d. UrhG kann das wirtschaftliche Eigentum erworben werden, wenn die Vermögensrechte an diesem Nutzungsrecht in ausreichend sicherem Maße dem Erwerber zustehen. Anders als bei reinen Gestattungen liegen insoweit grundsätzlich keine schwebenden Geschäfte vor.83 Auch ein Rückrufsrecht nach § 41 UrhG spielt bei einfachen Nutzungsrechten keine Rolle, weil das Rückrufsrecht nach § 41 Abs. 1 UrhG nur für ausschließliche Nutzungsrechte gilt. Basierend auf dieser Ausgangssituation ist im Bilanz(steuer)recht bei Einmalzahlungen zum Erwerb von einfachen Nutzungsrechten etwa anerkannt, dass einfache Nutzungsrechte an Software angeschafft werden können und zu aktivieren sind.84 Dies liegt nicht allein an der Fiktion, gewisse Software als bewegliches Wirtschaftsgut zu behandeln, sondern folgt daraus, dass der Vertragspartner nach den §§ 31, 34, 35 UrhG ein eigenes, nach h.M. dinglich wirkendes Nutzungsrecht85 als immaterielles Wirtschaftsgut derivativ eingeräumt erhält. Entsprechendes gilt für Nutzungsrechte an Filmen nach § 31 UrhG.86 Unerheblich ist insoweit, ob das Nutzungsrecht unbefristet oder zeitlich befristet erworben wird. Im letztgenannten Fall ist das Nutzungsrecht über die Nutzungsdauer abzuschreiben. Die Frage des Übergangs des wirtschaftlichen Ei83 Soppe in Ahlberg/Götting, BeckOK Urheberrecht, § 34 UrhG Rz. 13; Wandtke/Grunert in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 34 Rz. 4. 84 BMF v. 18.11.2005 – IV B 2 - S 2172 - 37/05, BStBl. I 2005, 1025 = FR 2005, 1266, Rz. 2 (ERP-Software); Trivialsoftware gilt im Wege der Fiktion allerdings aus Vereinfachungsgründen als bewegliches materielles Wirtschaftsgut (R 5.5 EStR). 85 Grunert/Wandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 31 Rz. 31 zur Frage, ob auch einfache Nutzungsrechte dinglichen Charakter mit Ausschließlichkeitswirkung haben; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 52 mit Nachweisen zur Rspr. 86 OFD Frankfurt a.M. v. 15.4.2010 – S 2241 A - 64 - St 213, FR 2010, 533; Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 141.

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gentums eines Nutzungsrechts hängt daher nicht an der Übertragung des Vollrechts, sondern ist für das jeweils eingeräumte Nutzungsrecht zu beurteilen. Bei der Beurteilung ist auch zu beachten, dass ein einfaches Nutzungsrecht nur ein positives Nutzungsrecht, aber kein Verbotsrecht bzw. eigenes Klagerecht gegen Dritte hat und den Nutzungsberechtigten der Urheber daher bei der Rechtsverfolgung unterstützen muss.87 Der Inhaber eines einfachen Nutzungsrechts genießt aber Sukzessionsschutz nach § 33 UrhG, denn dieses Recht ist auch dann geschützt, wenn der Urheber nachträglich einem Dritten das gleiche Nutzungsrecht ausschließlich einräumt.88 Dies führt zu der ergänzenden Frage, ob der bilanzrechtliche Erwerb eines einfachen Nutzungsrechts dazu führt, dass eine Pflicht zum Steuerabzug nach § 50a EStG aufgrund des Vorliegens einer Veräußerung ausgeschlossen sein kann. Die Diskussion zu dieser Frage steht erst am Anfang. Nach einer Ansicht soll eine Veräußerung höchstens bei der Übertragung ausschließlicher Nutzungsrechte in Betracht kommen. Nach traditioneller Lesart, für die sicherlich gewichtige Gründe sprechen, wird hingegen davon ausgegangen, dass sich Aktivierung und Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG gegenseitig ausschließen. Teilt man diesen Standpunkt, kann eine Rechteveräußerung grundsätzlich auch bei einfachen Nutzungsrechten in Betracht kommen. Im Rahmen der bilanziellen Würdigung wird allein auf das abgespaltene, einfache Nutzungsrecht abgestellt. Es ist hingegen unerheblich, ob der Einräumende jegliche Rechtsposition verliert. In Fällen des § 34 UrhG liegt indes auch ein translativer Übertragungsvorgang vor. Zumindest im letztgenannten Fall ist daher m.E. eine Rechteveräußerung anzuerkennen. Selbst wenn man diese weitgehende Sichtweise nicht teilen will, ist zusätzlich zu beachten, dass im Rahmen von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f und Nr. 6 EStG (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) auf § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG Bezug genommen wird, der wiederum nur eine zeitlich befristete Nutzungsüberlassung als tatbestandsmäßig ansieht. Jedenfalls kann aus § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG entnommen werden, dass die Einräumung einfacher, zeitlich unbefristeter Nutzungsrechte grundsätzlich nicht tatbestandsmäßig sein dürfte, es sei denn, es bestehen Kündigungsmöglichkeiten oder ähnliches. Nach anderer Ansicht soll eine Veräußerung höchstens

87 Grunert/Wandtke in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 31 Rz. 32; Dreier in Dreier/ Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 51. 88 Schulze in Dreier/Schulze, UrhG5, § 31 Rz. 52.

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bei der Übertragung ausschließlicher Nutzungsrechte in Betracht kommen. Bei gewerblichen Schutzrechten ist die Abgrenzung einfacher. Hier ist anerkannt, dass Patente und Markenrechte durch Abtretung auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden können. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der BFH89 im sog. Bandenwerbungsfall die Rechtsfigur der veräußerungsgleichen, sog. verbrauchenden Rechteüberlassung entwickelt hat. Eine verbrauchende Rechteüberlassung liegt bei veranstaltungsbezogenen und damit nicht wiederholbaren Rechten (etwa dem Recht zur Uraufführung oder Rechten, deren wirtschaftlicher Gehalt sich auf ein Live-Sportereignis bezieht) vor, die sich mit Ablauf des Ereignisses verbrauchen. Man wird davon ausgehen können, dass sich diese Wertungen auch auf ähnliche Erscheinungsformen ereignisbezogener Rechteüberlassungen übertragen lassen. Allein der Umstand, dass sich Werberechte oder das Recht zur Verwendung eines Bilds während der dem Vertragspartner zugestandenen Nutzungsdauer verbrauchen, führt nicht zu einer verbrauchenden Rechteüberlassung.90 e) Verwertungsmerkmal In der jüngeren Diskussion der Fragen des Steuerabzugs nach § 50a EStG konzentrieren sich die Überlegungen zunehmend auf den Gehalt des Merkmals der Verwertung durch den Vergütungsschuldner.91 Bei einem Blick auf die gesetzlichen Tatbestände fällt jedoch auf, dass das Merkmal in § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG gar nicht enthalten ist, sondern seinen Ursprung in den Tatbeständen von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, Nr. 6 EStG hat. Diese haben zwar eine sehr hohe Relevanz. In anderen relevanten Tatbeständen der beschränkten Steuerpflicht, wie etwa § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst a, Nr. 3 EStG, bei denen ein Steuerabzug ebenfalls in Betracht kommt (s.o. zu 1.), spielt das Merkmal der Verwertung durch den Vergütungsschuldner keine Rolle. In § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG wird zudem auf eine Nutzung abgestellt.92

89 BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641 = FR 2002, 102. 90 BMF v. 25.11.2010 – IV C 3 - S 2303/09/10002 – DOK 2010/0861549, BStBl. I 2010, 1350, Rz. 24; OFD Karlsruhe v. 26.4.2015 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554. 91 Vgl. nur Kessler/Wald, IStR 2015, 889 ff. 92 Holthaus, DStZ 2018, 68 (71).

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Das Merkmal der „Verwertung“ wird traditionell eher weit verstanden und jede Form der wirtschaftlichen Nutzbarmachung erfasst.93 Bei einem derartigen Verständnis besteht die Gefahr, dass jegliche Verwendung im Rahmen der betrieblichen Wertschöpfung des Vergütungsschuldners den Steuerabzug rechtfertigt.94 Ganz in diesem Sinne ordnen etwa Petersen und Holthaus die Nutzung von Software als Verwertungshandlungen ein.95 Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn in jüngerer Zeit Versuche unternommen werden, das Merkmal einschränkend auszulegen. Ziel ist es, den reinen Eigenkonsum i.S.d. Benutzung der Funktionalitäten eines Computerprogramms aus dem Anwendungsfeld der Verwertung auszunehmen. M.E. sind die Überlegungen, die im Rahmen des Verwertungsbegriffs angestellt werden, dogmatisch vorzugswürdig im Rechtebegriff (s.o. zu I.2.a) zu verorten, da aufgrund der Verweisung des § 73a EStDV bereits im Rahmen der Subsumtion unter die einzelnen urheberrechtlichen Tatbestände diejenigen Nutzungen, die einer Zustimmung durch den Rechtsinhaber nicht bedürfen, tatbestandlich auszuscheiden sind. Bei Software kommt es daher etwa darauf an, ob die Nutzungen über den Rahmen der zustimmungsfreien Handlungen gem. § 69d UrhG hinausgehen. Ein entsprechendes Vorgehen hätte auch den Vorteil, dass die Überlegungen einheitlich für alle Tatbestände der beschränkten Steuerpflicht relevant wären, was – wie gezeigt – bei einer Anknüpfung an den Verwertungsbegriff nicht gewährleistet ist. Der Verwertungsbegriff hat aber auch einen eigenen Bedeutungsgehalt. Da die Verwertung in einer inländischen Betriebsstätte oder Einrichtung erforderlich ist, sind Sachverhalte auszuscheiden, wo Rechte vom Vergütungsschuldner an dessen auslandsansässige Vertragspartner nur durchgehandelt werden.96

93 94 95 96

Gosch in Kirchhof, EStG16, § 49 Rz. 86 und 53. Petersen, IStR 2013, 896 (901). Petersen, IStR 2013, 896 (904); Holthaus, IStR 2017, 729 (730). BFH v. 23.1.1973 – I R 163/71, BStBl. II 1974, 287; Klein in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 49 EStG Rz. 955.

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III. Einordnung und Würdigung des BMF-Schreibens v. 27.10.201797 1. Grundsätzliches (Hruschka) Mit Schreiben v. 27.10.2017 zum Steuerabzug bei grenzüberschreitender Überlassung von Software und Datenbanken hat das BMF nun zu wichtigen Praxisfragen Stellung genommen. Ziel des Schreibens war es, die Unsicherheit, ob ein Quellensteuereinbehalt erfolgen muss oder nicht, für die wichtigsten Fragen der digitalen Leistungserbringung, d.h. für die Überlassung von Software und von Datenbankzugriffsrechten, praxistauglich zu lösen. Hierzu sollte dem Rechtsanwender ein Instrument an die Hand gegeben werden, mittels dessen er ohne aufwändige Abgrenzungsfragen sachgerechte Entscheidungen fällen kann. Eine vollumfängliche, steuerrechtliche Neuordnung der digitalen Leistungserbringung war nicht angestrebt. Deswegen löst das BMF-Schreiben ausschließlich die Fragen des § 50a EStG. Die ertrag- und gewerbesteuerliche Einordung der Software- und Datenbanküberlassung bleiben unangetastet. Aus diesem Grund ist die Interpretation der Tatbestandsmerkmale nur normspezifisch zu verstehen.98 Das BMF hat sich inhaltlich erkennbar bemüht, eine ausgewogene Position einzunehmen. Die Auslegung von Merkmalen des nationalen Rechts ist dabei in der Zielsetzung erkennbar an einem Abgleich mit dem Besteuerungsrecht orientiert, das der Bundesrepublik Deutschland nach den Wertungen des Abkommensrechts zusteht. Zudem sind die steuerlichen Wertungen des BMF eng aus das UrhG abgeleitet99 was angesichts des Normbefehls von § 73a EStDV auch zutreffend ist. Im BMF-Schreiben werden aus anderen § 50a EStG-Sachverhalten bekannte Abgrenzungen (etwa 10 %-Grenze zur Bestimmung der untergeordneten Bedeutung bei gemischten Verträgen, Schätzungsbefugnis bei fehlender Aufteilung der Gesamtvergütung, wenn nur einzelne Leistungen dem Steuerabzug unterliegen, die nicht von untergeordneter Bedeutung sind100) auf den Bereich der Software- und Datenbanken über97 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42. 98 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 2. 99 So auch Thiele, DStR 2018, 274. 100 Vgl. dazu BFH v. 7.9.2011 – I B 157/10, BStBl. II 2012, 590; dazu Gosch, BFH/ PR 2012, 48.

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tragen.101 Eine Unterscheidung zwischen Standard- und Individualsoftware ist für Zwecke des § 50a EStG nicht vorgesehen.102 Dies ist im Hinblick auf die urheberrechtlichen Grundlagen zutreffend. Für die Verwertung stellt das BMF-Schreiben nicht – wie etwa in § 49 Abs. 1 Nr. 3 und 4 EStG – auf die Verwertung durch den beschränkt steuerpflichtigen Leistungserbringer, sondern auf die Verwertung durch den Leistungsempfänger ab. Dies macht es dem Abzugsverpflichteten Inländer einfacher, über seine Pflichten zu entscheiden. Denn entscheidend ist nicht fremdes, sondern eigenes Verhalten. Grundsätzlich ist jedes Nutzbarmachen der überlassenen Software bzw. Datenbank eine Verwertung in diesem Sinne. In Anlehnung an abkommensrechtliche und urheberrechtliche Wertungen bei Software und Datenbanken unterscheidet das BMF jedoch zwischen der bloßen Gestattung der Eigennutzung des geschützten Werks durch einen Endanwender (Überlassung zum bestimmungsgemäßen Gebrauch) und der Einräumung eines umfassenden Rechts zum Zweck der wirtschaftlichen103 Weiterverwertung.104 Zum bestimmungsgemäßen Gebrauch einer Software gehören nach dem BMF-Schreiben105 auch die Installation der Software, die Anwendung der Software und ggf. notwendige Bearbeitungs- und Vervielfältigungshandlungen, um die Softwareanwendung zu ermöglichen. Dazu zählen auch Maßnahmen zur Integration in die IT-Umgebung des Anwenders.106 Eine wirtschaftliche Weiterverwertung wird nicht bereits dadurch begründet, dass mit Hilfe der Software im Rahmen einer funktionsgemäßen Nutzung Ergebnisse erzielt werden, die dann einer kommerziellen Nutzung zugeführt werden (z.B. Erstellung eines Gutachtens oder einer Präsentation).107 Ein Recht zur wirtschaftlichen Weiterverwertung ist regelmäßig gegeben, wenn zur kommerziellen Verwertung 101 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 23. 102 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 12. 103 Der Entwurf des BMF-Schreibens bezog sich auf eine finanzielle Weiterverwertung. 104 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 3 f. und 33. 105 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 4. 106 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 4. 107 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 8.

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eines Computerprogramms Vervielfältigungs-, Verbreitungs- und Bearbeitungsrechte i.S.d. § 69c UrhG eingeräumt werden.108 Entsprechendes wird aber auch dann gelten, wenn Verwertungsrechte nach den §§ 16 ff. UrhG betroffen sind. Praktisch gesprochen liegt eine Verwertung stets nur dann vor, wenn der Steuerinländer die bezogene Software bzw. Datenbank selbst am Markt zur Einkünfteerzielung verwendet und dabei die eben genannten Schwellen überschreitet. Es spricht viel dafür, dass ein eine umfassende Einräumung von Nutzungsrechten zum Zweck der wirtschaftlichen Verwertung immer dann vorliegt, wenn nach den urheberrechtlichen Wertungen Nutzungen betroffen sind, die nach Gesetz aufgrund des Eingriffs in Verwertungsrechte der Zustimmung des Inhabers des Rechts bedürfen.109 Umgekehrt sind dann auch die urheberrechtlichen Ausnahmetatbestände zu berücksichtigen. So sind in § 69d Abs. 1 UrhG gewisse Eingriffe in Verwertungsrechte des Urhebers (insbes. Vervielfältigungshandlungen) gestattet, um einen bestimmungsgemäßen Gebrauch zu ermöglichen. Es liegt daher nahe, diese Wertung auf das Steuerrecht zu übertragen. Vor diesem Hintergrund hat die Definition der Reichweite des bestimmungsgemäßen Gebrauchs einer Software eine urheberrechtliche Fundierung. Bei Datenbanksachverhalten soll es darauf ankommen, ob der Nutzer lediglich einen Zugang zu den Elementen der Datenbank erhält, der sich im Rahmen der üblichen Benutzung hält (Zugriffs-, Lese- und Druckfunktion), oder ob ihm weitergehende Rechte im Hinblick auf die Datenbank als Ganzes oder bezüglich wesentlicher Teile der Datenbank eingeräumt werden. Im jeweils erstgenannten Fall soll eine Pflicht zum Steuerabzug nicht bestehen. Begründet wird dieses Ergebnis mit einer engen Auslegung des Verwertungsbegriffs. Allerdings bleibt das BMF-Schreiben auch punktuell hinter den abkommensrechtlichen Wertungen zurück. Das BMF-Schreiben v. 27.10.2017 bestätigt etwa noch einmal die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, dass ein sog. Total Buy-Out nicht zu einer Rechteveräußerung führt und

108 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 7; FG München v. 23.5.2001 – 1 K 3026/97, EFG 2001, 1374, rkr.; Petersen, IStR 2017, 136 (137); Ackermann, ISR 2016, 258 (261). 109 So auch Thiele, DStR 2018, 274 (275).

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bekräftigt diese Sichtweise auch für Software.110 Wie schon erwähnt, dient diese Sichtweise der Praktikabilität. Dem Anwender wird auf diesem Wege die Abgrenzung zwischen Rechteübertragung und Rechteüberlassung erspart. Die Wertungen des BMF-Schreibens v. 27.10.2017 können trotz der Ähnlichkeit der Tatbestände nicht unbesehen auf die gewerbesteuerliche Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG übertragen werden, da die steuerlichen Würdigungen auch an Tatbestandsmerkmalen hängen (§ 73a EStDV, Verwertungsbegriff), die sich nicht deckungsgleich in § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG finden.111 Dies ist auch nicht beabsichtigt.112 Das BMF-Schreiben dient ausschließlich zur Bestimmung, ob ein Quellensteuerabzug erfolgt oder nicht. Im Übrigen bleiben die bestehenden Regeln des Ertrag- und Gewerbesteuerrechts unverändert fortbestehen. Wird beispielsweise in Bezug auf Software ein Vollrecht im ertragsteuerlichen Sinn übertragen, gilt dies auch für die Gewerbesteuer. Eine anteilige Hinzurechnung des Aufwands erfolgt daher nicht. Der Quellensteuerabzug i.S.v. § 50a EStG bleibt davon unberührt. In der Literatur113 sind die Aussagen des BMF-Schreibens überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Allerdings gibt es aber auch einige äußerst kritische Gegenstimmen, die anmerken, dass als Verwertung bislang jedes Nutzbarmachen angesehen wurde, so dass hiervon auch die bestimmungsgemäße Verwendung erfasst sein könnte.114 Nachfolgend sollen die Aussagen des BMF-Schreibens an einigen Beispielsfällen näher betrachtet werden. Es zeigt sich, dass Detailfragen nach wie vor offen sind. Zudem ist vor einer allzu schematischen Anwendung der BMF-Grundsätze zu warnen, weil stets die Umstände des Einzelfalls relevant sind.

110 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 11; zustimmend Wehmhörner, ISR 2018, 66 (68 f.). 111 So auch Pinkernell, Ubg. 2018, 139 ff.; vgl. auch Maßbaum/Imhof, FR 2018, 6 (10). 112 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 2. 113 Pinkernell, Ubg. 2018, 139 ff.; Maßbaum/Imhof, FR 2018, 6; Thiele, DStR 2018, 274; vgl. zum Entwurf Schnitger/Oskamp, IStR 2017, 616; Pinkernell, Ubg. 2017, 497; Backu/Bayer, DStR 2017, 2368; Wehmhörner, ISR 2018, 66. 114 Holthaus, DStZ 2018, 68; vgl. bereits Holthaus, IStR 2017, 729.

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2. Einzelfälle a) Software Bei der Beurteilung der Software-Fälle kann grob zwischen den Fällen unterschieden werden, in denen ein Unternehmen selbst Software von einem Anbieter für eigene Endanwendungen bezieht und solchen Fällen, bei denen Software für das Unternehmen entwickelt wird.115 Fall 1: Standardsoftware (Schlotter) Die inländische X-AG hat bei der ausländischen A-Ltd eine Standardsoftware erworben. Die folgenden Varianten sollen betrachtet werden: a) Die X-AG kauft eine DVD und darf 50 Kopien für ihre Mitarbeiter erzeugen und dauerhaft nutzen. b) Die Auslieferung erfolgt per Download. c) Die X-AG erhält 300 Lizenzen. Die Lizenzgebühr pro Nutzer beträgt 75 Euro. Der Vertrag läuft auf unbestimmte Zeit, kann aber durch Kündigung jederzeit beendet werden. d) Es besteht das Recht zur Sublizenzierung im Konzern. Nach Auffassung der Finanzverwaltung erfordert eine wirtschaftliche Verwertung ein zielgerichtetes wirtschaftliches Tätigwerden des Vergütungsschuldners, was grundsätzlich im Fall des bestimmungsgemäßen Anwendergebrauchs nicht vorliegen soll. Unerheblich ist, ob der Kunde die Software auf einem physischen Datenträger oder per Download erhalten hat.116 In den Fällen 1a) und 1b) kann daher ein Steuerabzug unterbleiben.117 Auf den früheren Begründungsansatz,118 dass beim Kauf von Programmkopien auf Datenträgern ein Sachkauf vorliegt, kommt es nicht mehr an. Dieser Begründungsansatz war ohnehin nach dem Urteil des BFH v. 18.5.2011 nicht mehr tragfähig, weil durch die BFH-Rspr. klargestellt ist, dass es sich bei Software um immaterielle Wirtschaftsgüter (Sprachwerk § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG, § 69a ff. UrhG) handelt und die Verkörperung unerheblich ist.119

115 Ackermann, ISR 2016, 258 (259 ff.). 116 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1443 = FR 2018, 42, Rz. 3. 117 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1443 = FR 2018, 42, Rz. 13 Beisp. 2. 118 OFD München v. 28.5.1998 – S 2303 34/11 St 41/42, FR 1998, 755. 119 BFH v. 18.5.2011 – X R 26/09, BStBl. II 2011, 865 = FR 2011, 956.

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Inhaltlich ist das vom BMF gefundene Ergebnis zutreffend.120 Die vom BMF aus dem UrhG entlehnten Wertungen, dass typische Anwenderhandlungen, wie die Installation des Programms, das Kopieren in den Arbeitsspeicher und die Verwendung des Programms den Steuerabzug nicht begründen können, ist zutreffend. Aus der urheberrechtlichen Wertung ergibt sich auch, dass Vervielfältigungen im Rahmen des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Computerprogramms (§ 69d Abs. 1 i.V.m. § 69c Nr. 1 UrhG) unerheblich sind.121 Der Nutzer zahlt für die Funktionalität. M.E. wäre es – wie oben ausgeführt – jedoch vorzugswürdig gewesen, die Wertungen nicht am Merkmal des Verwertungsbegriffs anzuknüpfen, sondern ausgehend von § 73a EStDV zu berücksichtigen, dass nicht alle Nutzungshandlungen nach dem UrhG zustimmungsbedürftig sind. Es fehlt damit bereits an einer Zahlung für eine zustimmungsbedürftige Nutzungshandlung (vgl. Wortlaut § 73a UrhG nach dem UrhG geschützt sind). Eine derartige Auslegung entzieht auch der Kritik von Holthaus122 an der Auslegung des Verwertungsbegriffs die Grundlage. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre jedoch fraglich, ob im Fall 1a) und 1b) nicht auch ein Rechtekauf anzunehmen ist, weil der inlandsansässige Vertragspartner ein unbefristetes, einfaches Nutzungsrecht erhält.123 Teilt man die Auffassung, dass § 29 Abs. 1 UrhG kein Gegenargument gegen eine Rechteveräußerung ist und auch der Erwerb des wirtschaftlichen Eigentums an einfachen Nutzungsrechten i.S.d. §§ 31, 34, 35 UrhG möglich ist, würde auch aus diesem Grund ein Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG ausscheiden. Jedenfalls fehlt es bei einer unbefristeten, sog. perpetual licence an einer zeitlich befristeten Nutzungsüberlassung. Wie Pinkernell124 zutreffend herausgearbeitet hat, ist die Einräumung eines unbefristeten Nutzungsrechts zivilrechtlich als Veräußerung i.S.d. § 69c Nr. 3 Satz 2 UrhG einzuordnen, was auch zur Erschöpfung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts des Herstellers führt (Rechtskauf nach § 453 Abs. 1 BGB). Anmerkung Hruschka: Dem Ergebnis stimme ich zu. Das Beispiel zeigt sehr schön das Vereinfachungsziel der Verwaltung. Unbestritten ist die Ansicht von Schlotter rechtlich vollumfänglich zutreffend. Der inländische Bezieher soll aber von der komplexen Urheberrechtsprüfung befreit 120 Pinkernell, ISR 2012, 82 (84); Hecht/Lampert, FR 2009, 1127 (1131); Kessler/ Wald, IStR 2015, 889 (894); Maßbaum/Müller, BB 2015, 3031 (3032). 121 Vgl. auch Thiele, DStR 2018, 274 (279). 122 Holthaus, DStZ 2018, 68; Holthaus, IStR 2017, 729 (730). 123 Vgl. Petersen, IStR 2013, 896 (9049. 124 Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (501).

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werden, die selbst dann nicht einfach ist, wenn sie durch steuerlich Vorgebildete – wie etwa den steuerlichen Berater – erfolgt. Zugegebenermaßen ist dieser anwenderorientierte Pragmatismus rechtlich angreifbar. Daher ist zu befürchten, dass das Schreiben über kurz oder lang in das Kreuzfeuer von Beratung und Rspr. rücken wird. Im Fall 1c) könnte zunächst berücksichtigt werden, dass die Softwaremiete nach Auffassung der Finanzverwaltung als eine Rechteüberlassung i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f GewStG einzuordnen ist.125 Beide Tatbestände sind aber nicht deckungsgleich, weil im Bereich des Steuerabzugs die Anforderungen des § 73a EStDV zu beachten sind („geschützt sind“). Da auch im Fall 1c) keine weitergehenden Rechte eingeräumt werden, fehlt es an der Tatbestandsmäßigkeit. Allein der Umstand, dass die perpetual licence kündbar ist, führt daher nicht zu einem anderen Ergebnis.126 Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. Im Fall 1d) handelt es sich um einen häufig vorkommenden Fall einer konzerninternen Weiterüberlassung von Software.127 Die Software wird also zentral beschafft und dann weitergereicht.128 Urheberrechtlich wird der Einkaufsgesellschaft also ein Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung eingeräumt. Das BMF-Schreibens ist bei derartigen Sachverhalten großzügig und geht davon aus, dass bei rein konzerninternen Überlassungen (§ 18 AktG) ein Steuerabzug nicht vorzunehmen ist. Unerheblich ist, ob im Rahmen der Verrechnung ein Gewinnaufschlag erhoben wird. Anmerkung Hruschka: Auch hier zeigt sich der Wille der Verwaltung, den Alltag des Stpfl. möglichst einfach zu gestalten. Natürlich stellt die Rechteüberlassung im Konzern eine Verwertung i.S. der Nutzbarmachung der bezogenen Software durch den Rechteerwerber dar. Gleichwohl wird sie aus der Pflicht genommen, da es nur rechtlich, aber wirtschaftlich keinen Unterschied macht, ob die Nutzungsüberlassung 125 Gleichlautender Ländererlass v. 2.7.2012, BStBl. I 2012, 654 = StEK GewStG § 8 Ziff. 1 Nr. 66, Rz. 33. Vgl. auch obiter dictum zu „Office 365“ FG Köln v. 16.6.2016 – 13 K 1014/13, EFG 2016, 1718, nrkr., Rev. Az. BFH I R 55/16; zu Recht kritisch dazu Pinkernell, FR 2017, 20. 126 So auch Ackermann, ISR 2016, 258 (260); Kessler/Wald, IStR 2015, 889; anders jedoch Petersen, IStR 2013, 896 (901). 127 Vgl. Haase, IStR 2013, 61. 128 Leicht anders gelagert sind Fälle, wo die Einkaufsgesellschaft lediglich als Stellvertreter für die Tochter oder als Einkaufskommissionär agiert, vgl. dazu Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (505).

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innerhalb desselben Unternehmens oder aber Rechtsträger übergreifend zwischen Konzernunternehmen erfolgt. Fall 2: Individualsoftware/Apps (Schlotter) a) Die X-AG erwirbt von der US-Inc. eine standardisierte komplexe Software für die Buchhaltung (einfaches Nutzungsrecht, perpetual licence). Die X-AG darf die Software zeitlich unbegrenzt nutzen und für den eigenen Betrieb Kopien erstellen. Es findet ein Customizing statt (Anpassung an die unternehmensspezifischen Einstellungen ohne Programmänderung). Aufgrund der spezifischen Bedürfnisse des Kunden finden zudem umfangreiche Programmänderungen statt. Die Vergütung (Festpreis) beträgt insgesamt 200 000 Euro, wovon laut Vertrag 100 000 Euro auf die Implementierung (Customizing und Modifications) entfallen. Der Vertrag unterliegt US-Recht. Die X-AG erhält den Quellcode, um laufend betriebliche Anpassungen vornehmen zu können. Die X-AG hat die Anschaffungskosten aktiviert. b) Die X-AG hat die US-Inc. beauftragt, eine spezielle Softwarelösung zu entwickeln. Die Software besteht aus einer individuell für die X-AG programmierten Serverkomponente. Die X-AG zahlt einmalig 500 000 Euro für die Programmierung und das ausschließliche Recht, diese zu nutzen, zu vervielfältigen und zu bearbeiten (Abtretung sämtlicher Vermögensrechte). Die X-AG will das Programm weiterentwickeln und vermarkten. Außerdem erhält sie den Quellcode. Der Vertrag unterliegt US-Recht. c) Wie b). Die X-AG beauftragt die in den USA ansässige natürliche Person N mit der Entwicklung. d) Die beauftragte US-Inc. wird vom IT-Leiter der X-AG angewiesen und überwacht und wird nach Arbeitsstunden vergütet. Der X-AG sollen sämtliche Rechte an der Software zustehen. Im Fall 2a) ist zunächst unerheblich, dass die Software in erheblichem Maße individualisiert wurde. Eine Unterscheidung zwischen Standardund Individualsoftware erfolgt nicht.129 Es kommt aufgrund von § 73a EStDV auch nicht darauf an, dass der Vertrag US-Recht unterstellt wurde. Auch hier ist fraglich, ob ein Rechtekauf anzunehmen ist, weil der inlandsansässige Vertragspartner ein unbefristetes, einfaches Nutzungsrecht erhält. Selbst wenn man dies (entsprechend der Sichtweise der Finanzverwaltung) anders sieht, wird nach dem BMF-Schreiben vom 129 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 12.

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27.10.2017 ein Steuerabzug nicht in Betracht kommen, da es sich um einen Endanwenderfall handelt. Ein anderes Ergebnis lässt sich nach den Wertungen des BMF wohl auch nicht aus dem Umstand ableiten, dass erhebliche Implementierungsmaßnahmen stattfinden. Das Customizing und auch die Modifizierung des Programms sind darauf gerichtet, dem Endanwender den bestimmungsgemäßen Gebrauch der Software zu ermöglichen. Ein Recht zur wirtschaftlichen Weiterverwertung ist damit nicht verbunden. Hierfür spricht auch, dass die Bearbeitung für den bestimmungsgemäßen Gebrauch von § 69d Abs. 1 UrhG umfasst ist. Unklar ist, wie die zusätzliche Überlassung des Quellcodes zum Zweck einer gem. § 69d UrhG zulässigen Bearbeitung durch den Endanwender zu behandeln ist. In Betracht kommt ein Steuerabzug auf Basis von §§ 50a Abs. 1 Nr. 3, 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG (Know-how-Überlassung). M.E. ist aus dem BMF-Schreiben ersichtlich, dass ein Steuerabzug im Endanwenderfall nicht auf eine Know-how-Überlassung gestützt werden soll, weil auch in diesem Fall zu berücksichtigen ist, dass der Quellcode nur zu Anpassungen genutzt werden darf, die den dauerhaften bestimmungsgemäßen Gebrauch sicherstellen. Auch wenn das Merkmal der Verwertung in § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht enthalten ist, wird man jedenfalls berücksichtigen müssen, dass ein entsprechender Leistungsteil gemessen am Zweck von untergeordneter Bedeutung ist.130 Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. Nach dem BMF-Schreiben ist von einem Endanwenderfall auszugehen. Eine wertschöpfende Verwendung der Software am Markt findet nicht statt. Im Fall 2b) ist der Sachverhalt durch eine Entwicklungsleistung für den Auftraggeber gekennzeichnet. Zivilrechtlich wird im Rahmen eines Werkvertrags ein fertiges funktionsfähiges Werk zu einem Festpreis geschuldet. Die US-Inc. tritt am fertigen Werk sämtliche vermögensrechtlichen Verwertungsrechte ab. Es liegt ein Fall einer echten Auftragsproduktion vor.131 Nach Auffassung der Finanzverwaltung führt der Umstand, dass dem Auftraggeber ausschließliche Nutzungsrechte eingeräumt werden, nicht zu einem Rechtekauf.132 Die Finanzverwaltung steht (m.E. unzutreffend) apodiktisch auf dem Standpunkt, dass selbst ei130 Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (504): unselbständige Nebenleistung. 131 Vgl. Zur Abgrenzung zwischen Anschaffung und Herstellung IDW HFA 11 n.F. v. 27.12.2017, Rz. 9. 132 Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (506 ff.); BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 11.

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ne echte Auftragsentwicklung, bei der sämtliche vermögensrechtlichen Befugnisse abgetreten werden, einer Veräußerung nicht gleichgestellt werden kann. Es wird auch nicht davon ausgegangen werden können, dass das Recht beim Auftraggeber entsteht, weil vorliegend allein der Auftragnehmer das Entwicklungsrisiko trägt. Aufgrund der Reichweite der eingeräumten Rechte ist im Fall b) von der Einräumung umfassender Rechte zur kommerziellen Weiterverwertung auszugehen. Der Rechtekomponente wird auch ein eigenständiger Gehalt zuzuweisen sein, weil zusätzlich zur Programmierleistung (gewerbliche Werkleistung) das Recht zur kommerziellen Verwertung eingeräumt wird. Die Finanzverwaltung will jedoch ungeachtet des Umstands, dass im Rahmen eines gemischten Vertrags auch eine Entwicklungsleistung geschuldet ist, die gesamte Vergütung der Rechteüberlassung zuordnen.133 Diese Position steht in einem Widerspruch zu einer anderen Verfügungen,134 die etwa bei freien Redakteuren der Erstellungsleistung einen eigenständigen Gehalt zuweist, was zu einem anteiligen Steuerabzug führt. Der Überlassung des Quellcodes kommt m.E. auch insoweit keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu, da der Quellcode nur dazu dient, die X-AG in die Lage zu versetzen, die Bearbeitung der Software vorzunehmen. Anmerkung Hruschka: Die Betrachtung des BMF-Schreibens gilt allein für Zwecke des § 50a EStG. Im Rahmen einer normspezifischen Betrachtung halte ich den Standpunkt der Verwaltung für vertretbar. Genau die Frage der Aufteilung und tief in die eigentliche Rechtsfrage einzusteigen soll dem Anwender durch das BMF-Schreiben erspart werden. Unterlässt er den Quellensteuerabzug unter Berufung auf die von Schlotter dargestellte Rechtslage, muss ihm bewusst sein, dass er sich in steuerstrafrechtlich „gefährliche Gewässer“ begibt. In jedem Fall ist auch in diesem Fall der Sachverhalt gegenüber dem BZSt anzuzeigen und zu erklären, warum im konkreten Fall der Steuerabzug unterbleibt. Der Fall 2c) ist lediglich von der Besonderheit gekennzeichnet, dass eine natürliche Person Vertragspartner ist, deren Einkünfte unter § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG fallen. Die auslandsansässige natürliche Person erzielt beschränkt steuerpflichtige Einkünfte dadurch, dass sie ihr Arbeitsergebnis in Deutschland verwertet (maßgebend ist die Verwertungshandlung des Stpfl., die sich jedoch durch Einräumung von Nutzungsrechten voll-

133 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 23. 134 OFD Karlsruhe v. 29.4.2014 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554.

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ziehen kann). Die steuerlichen Problemfelder entsprechen im Übrigen dem Sachverhalt im Fall 2b). Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. Der Fall 2d) behandelt einen Sachverhalt, der im BMF-Schreiben nicht angesprochen ist. Es liegt ein Anwendungsfall einer sog. unechten Auftragsproduktion vor.135 Es liegt zivilrechtlich ein Dienstvertrag vor, weil der Auftraggeber als Dienstherr das wirtschaftliche Risiko i.S.d. Herstellerrisikos trägt. Da der Auftragnehmer lediglich eine Dienstleistung ausführt und das maßgebliche Verwertungsrecht Recht beim Auftraggeber originär entsteht, liegt kein Anwendungsfall einer Rechteüberlassung i.S.d. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG vor. Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. Fall 3: Vertriebsrechte und Zwischenhändler (Schlotter) a) Die deutsche Y-AG vertreibt Softwarekopien einer Standardsoftware ihrer US-Mutter. Sie darf die Software nicht vervielfältigen oder bearbeiten oder umgestalten. An die Kunden werden Kopien der Software auf Datenträgern überlassen, die die Y-AG von der US-Mutter erhält. Es ist eine jährliche Lizenzgebühr von 100 000 Euro vereinbart. b) Die A US-Inc. räumt ihrer deutschen Tochter Y-AG für 5 Jahre das Recht ein, die von US-Inc. hergestellte Software zu vervielfältigen, fortzuentwickeln und kommerziell in Deutschland zu vertreiben. In dem Distribution Agreement ist eine Einmalzahlung von 1 Mio. Euro für die Einräumung des Vertriebsrechts und eine jährliche Lizenzgebühr von 500 000 Euro vereinbart. In Fall 3a) liegt ein „typischer“ Zwischenhändlerfall vor. Die Tochtergesellschaft erhält am Computerprogramm keine umfassenden Rechte zur wirtschaftlichen Weiterverwertung. Aus diesem Grund hat das BMF im Schreiben vom 27.10.2017 in einem entsprechenden Fall eine Pflicht zum Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG verneint.136 Diese Würdigung ist zutreffend. Zwar erhält der Vergütungsschuldner das Recht zur Verbreitung von Kopien (urheberrechtlich Vervielfältigungsstücken), so dass man daran denken könnte, dass ein Verbreitungsrecht nach § 69c Nr. 3 UrhG betroffen ist. Als urheberrechtliche Besonderheit ist jedoch der Erschöpfungsgrundsatz zu berücksichtigen (vgl. § 69c Nr. 3 135 IDW HFA 11 n.F. v. 27.12.2017, Rz. 9. 136 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 21/Beispiel 6.

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Satz 2 UrhG), weil es sich um eine bereits in Verkehr gebrachte Software handelt. Da der Urheber die Software veröffentlicht hat und deshalb Erschöpfung eingetreten ist, ist durch die nachgelagerten Handlungen das Verbreitungsrecht nicht mehr betroffen.137 Bei Fall 3a) handelt es sich im Ergebnis um einen Fall, bei dem der Tochter ein nicht zum Steuerabzug verpflichtendes schuldrechtliches Vertriebsrecht eingeräumt wird.138 Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. Im Fall 3b) liegt ein Sachverhalt vor, der dadurch gekennzeichnet ist, dass einer Tochtergesellschaft umfassende Bearbeitungsrechte und Vervielfältigungsrechte in Bezug auf die Software eingeräumt werden. Eine Vergütung an einen ausländischen Vergütungsgläubiger für die Einräumung eines zeitlich befristeten Rechts zur Vervielfältigung und Bearbeitung von Software unterliegt dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG.139 Es sind Handlungen betroffen, die nach § 69c UrhG zustimmungspflichtig sind. In der Diktion des BMF-Schreibens liegt ein Sachverhalt vor, bei dem die Tochtergesellschaft aus den überlassenen Rechten selbst einen wirtschaftlichen Nutzen zieht, weil die Einräumung der Nutzungsrechte auf eine wirtschaftliche Weiterverwertung der Rechte selbst gerichtet ist. Das Konzernprivileg nach Rz. 16 des BMF-Schreibens greift in diesen Fällen nicht. In der Praxis wird – wie auch im Fall 3a) – teilweise ein gesondertes Entgelt für die Einräumung eines schuldrechtlichen Alleinvertriebsrechts vereinbart. Insoweit ist aber Vorsicht geboten, weil immer dann, wenn das Vertriebsrecht im urheberrechtlichen Verbreitungsrecht nach § 69c Abs. 1 Nr. 3 UrhG aufgeht, eine Separierung des Vertriebsrechts nicht zulässig ist. Nach ganz h.M.140 ist in Fällen, in denen tatsächlich ein urheberrechtliches Verbreitungsrecht nach § 69c Nr. 3 UrhG betroffen ist, der Steuerabzug auch auf den Vergütungsteil vorzunehmen, der auf das „Vertriebsrecht“ entfällt. Vorliegend könnte aber die Besonderheit bestehen, dass aufgrund eingetretener Erschöp137 Vgl. auch Ackermann, ISR 2016, 258 (261). 138 Stehen schuldrechtliche Alleinvertriebsrechte nicht in einem Zusammenhang, lösen dbzgl. Vergütungen keinen Steuerabzug aus; vgl. BFH v. 27.7.1988 – I R 130/84, BStBl. II 1989, 101. 139 BFH v. 27.2.2002 – I R 62/01, BFH/NV 2002, 1142; BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 19 Beisp. 5, Rz. 22; Gosch, BFH-PR 2003, 121 (122); Thiele, DStR 2018, 274 (281). 140 FG München v. 13.12.2000 – 1 K 5389/98, EFG 2001, 571, rkr.; BFH v. 27.2.2002 – I R 62/01, BFH/NV 2002, 1142; Petersen, IStR 2017, 136 (137 f.); Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (506).

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fung ein urheberrechtliches Verbreitungsrecht nicht betroffen ist. Da die Vervielfältigung aber erfolgt, um diese zu verbreiten, könnte davon auszugehen sein, dass die Vergütung für das Vertriebsrecht wirtschaftlich der Vervielfältigung zugerechnet wird. Auch in den Fällen, in denen nicht Programmkopien auf Datenträgern vertrieben werden, sondern von der Tochter dem Kunden ein Lizenzcode überlassen wird, mit dem sich der Kunde die Software per Download herunterladen kann, wird nach zutreffender Auffassung des BMF141 nicht abweichend behandelt. Pinkernell142 hat zu Recht darauf hingewiesen, dass entsprechende Fälle in der Praxis regelmäßig dadurch gekennzeichnet sind, dass der Endnutzer die Software von der Seite des Herstellers downloadet und im Rahmen der Installation einen Endnutzervertrag mit dem Hersteller abschließen muss, was zur Folge hat, dass dem Kunden die eigentlichen Nutzungsrechte nicht vom Zwischenhändler, sondern vom Hersteller eingeräumt werden. Entsprechende Rechte werden in diesem Fall vom Zwischenhändler nicht eingeräumt, sondern nur vermittelt. Etwas anders gelagert sind die Fälle, bei denen auf Ebene der Tochter selbst Handlungen ausgelöst werden, die nach den Wertungen des UrhG der Zustimmung des Verwertungsberechtigten bedürfen. Hier wird von Bedeutung sein, ob urheberrechtlich mit dem Inverkehrbringen bereits Erschöpfung eingetreten ist143 und ob auf Ebene des Zwischenhändlers für Zwecke des Vertriebs relevante zustimmungspflichtige Vervielfältigungshandlungen vorgenommen werden müssen.144 Anmerkung Hruschka: Dem Ergebnis stimme ich zu. Nach den Vorstellungen des BMF ist die Verwertung des überlassenen Rechts am Markt entscheidend. In Anbetracht dessen löst die bloße Vermittlung des Lizenzvertrags keine Quellensteuer aus. Sofern der inländische Lizenznehmer dieselbe fortentwickelt, erscheint mir diese Variante allerdings eher unwahrscheinlich.

141 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 21 Beisp. 6. 142 Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (506). 143 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 21 Beisp. 6. 144 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 22.

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b) Internetbasierte Softwareüberlassung (Schlotter) Fall 4: Software-as-a-Service (SaaS) Der indische SaaS-Provider A stellt der inländischen M-AG das Softwareprodukt „Data Cloud Edition“ über das Internet zur Verfügung. Die M-AG eröffnet 10 Nutzerkonten, die monatlich abgerechnet werden (75 Euro pro Nutzer). Der Lizenzvertrag läuft auf unbestimmte Zeit und ist nach Ablauf eines Jahres mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende kündbar. A verpflichtet sich zur Programmpflege, zur sicheren Speicherung der Daten in der Cloud und einer Service-Hotline. Die Software läuft ausschließlich auf dem Server von A in Indien. A überlässt der M-AG eine Zusatzsoftware für den Zugriff, die vom Kunden installiert werden muss. Die Zusatzsoftware ist Bestandteil des Lizenzvertrags. Die Mitarbeiter der M-AG benötigen nur einen Browser mit Internetzugang. Nach dem Einloggen können sie die Benutzeroberfläche im Browserfenster verwenden. In der jüngeren Vergangenheit gab es in Betriebsprüfungen vielfach die Tendenz, Vergütungen für Cloud-Leistungen dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG zu unterwerfen. Bei Fall 4 handelt es sich um einen Software-as-a-Service (SaaS)-Sachverhalt zwischen dem SaaS- bzw. ASP-Anbieter und einem Endnutzer. Entsprechende Sachverhalte sind dadurch gekennzeichnet, dass der SaaS-Anbieter dem Kunden nicht nur eine Softwarefunktionalität zur Nutzung überlässt, sondern insgesamt eine komplexe Dienstleistung erbringt, weil etwa auch Speicherleistungen oder Datenverarbeitungsleistungen erbracht werden und sich der SaaS-Anbieter auch zur Pflege und Wartung und zu Programmupdates verpflichtet hat.145 Urheberrechtliche Nutzungsrechte an der Software werden an den Kunden nicht eingeräumt, weil sich alle potentiell relevanten Nutzungshandlungen in Bezug auf die Software allein in der Herrschaftssphäre des Cloud-Anbieters abspielen.146 Die Software kann sich dabei auf einem in- oder ausländischen Server befinden. Das BMF geht im Fall 4 entsprechend der h.M.147 zutreffend davon aus, dass die entsprechende Vergütung nicht dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterliegt, weil die eingeräumten Rechte den inländi145 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 26. 146 Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (505). 147 Vgl. nur Pinkernell, Ubg. 2012, 331 (334).

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schen Vergütungsschuldner lediglich in die Lage versetzen, die Software bestimmungsgemäß zu nutzen.148 Der Vertrag mit dem Endkunden ist nicht auf eine wirtschaftliche Weiterverwertung der Software gerichtet. Die Bezeichnung des Vertrags als Lizenzvertrag ist unerheblich, weil der Vertrag steuerlich nach seinem wirtschaftlichen Gehalt zu würdigen ist. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen, weil der auslandsansässige Anbieter lediglich insgesamt eine in automatisierter Form erbrachte Dienstleistung erbringt. Auch der BFH hatte im sog. Satellitenurteil eine „Transpondermiete“ als erfolgsbezogene komplexe Dienstleistung qualifiziert.149 Die dortigen Überlegungen lassen sich hier übertragen. Durch das BMF-Schreiben ist (mittelbar) auch geklärt, dass entsprechende Sachverhalte nicht unter dem Gesichtspunkt der „besitzlosen Sachmiete“ dem Steuerabzug zu unterwerden sind. Pinkernell150 hatte bereits vor einigen Jahren darauf hingewiesen, dass es in Anlehnung an die zivilrechtliche Rspr.151 denkbar wäre, das Cloud-Computing steuerlich als sog. „besitzlose Sachmiete“ einzuordnen. Auch bei einer derartigen Würdigung ließe sich eine Pflicht zum Steuerabzug nach § 50a EStG sachlich aber nicht begründen, weil zwar ggf. eine beschränkte Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG bestünde, allerdings § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG für die Nutzungsüberlassung beweglicher Sachen einen Steuerabzug nicht mehr anordnet. Aus gleichen Gründen unterliegen auch Vergütungen für sog. Plattformleistungen nicht dem Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, weil auch insoweit automatisierte Dienstleistungen erbracht werden.152 Anders sind jedoch nach Auffassung des BMF153 Sachverhalte gelagert, bei denen im Rahmen einer internetbasierten Softwareüberlassung an den Vergütungsschuldner umfassende Nutzungsrechte zur wirtschaftlichen Verwertung überlassen werden. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn seitens eines Software-Unternehmens i.S.d. § 69c UrhG zustimmungspflichtige Nutzungsrechte (etwa Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte) eingeräumt werden. Entsprechende Sachverhalte sind ins148 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 28 Beisp. 8 und 11. 149 BFH v. 17.2.2000 – I R 130/97, BFH/NV 2000, 1182. 150 Pinkernell, Ubg. 2012, 331 (334); Ackermann, ISR 2016, 258 (262). 151 BGH v. 15.11.2006 – XII ZR 120/04, NJW 2007, 2394 = MDR 2007, 254. 152 Vgl. zu § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG FG Köln v. 16.6.2016 – 13 K 1014/13, EFG 2016, 1717, nrkr., Rev. Az. BFH III R 25/16; zustimmend Pinkernell, FR 2017, 20 ff. 153 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 27.

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bes. im Rahmen von Rechtsbeziehungen von ASP-Anbietern zu Softwareherstellern denkbar.154 Soweit im Rahmen entsprechender Rechtsbeziehungen auch Dienstleistungen erbracht werden (etwa Speicherleistungen), ist ggf. nach den Grundsätzen zu gemischten Verträgen aufzuteilen. Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. c) Datenbanken/Datenbankinhalte (Schlotter) Fall 5: Kapitalmarktdaten a) Die in UK ansässige C-Ltd. betreibt eine Online-Datenbank für Kapitalmarktdaten (z.B. Börsenkurse). Mitarbeiter der D-AG können gegen eine jährliche „Lizenz-Flatrate“ von 200 000 Euro beliebig viele Daten abrufen. Der Abruf erfolgt über eine Client-Software (Standardsoftware), die der D-AG per Download von der C-Ltd. überlassen wird. b) Die D-AG hat zusätzlich das Recht, den gesamten Inhalt der Datenbank herunterzuladen und ihren weltweiten Kunden gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen. Sie zahlt der C-Ltd. dafür eine vom Nutzungsumfang abhängige Vergütung. Datenbankfälle waren in der jüngeren Vergangenheit ebenfalls vielfach Gegenstand von Auseinandersetzungen in Betriebsprüfungen. Auch hier lohnt es sich, zunächst einen Blick auf die urheberrechtlichen Grundlagen zu werfen. Nach deutschem UrhG ist das Recht des Datenbankherstellers als Leistungsschutzrecht geschützt (vgl. §§ 87a ff. UrhG).155 Mit Blick auf § 73a EStDV ist aber auch hier im Einzelfall genau zu hinterfragen, gegen welche Eingriffe der Datenbankhersteller urheberrechtlich überhaupt geschützt ist. Nach § 87b Abs. 1 Satz 1 UrhG hat der Datenbankhersteller ausschließliche Verwertungsrechte in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht (§ 16 UrhG), das Verbreitungsrecht (§ 17 UrhG) sowie das Recht der öffentlichen Wiedergabe (§§ 15 Abs. 2, 19 ff. UrhG) einschließlich des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG).156 Allerdings sind die dem Datenbankhersteller gewährten Ausschließlichkeitsrechte richtlinienkonform (vgl. Art. 7 Da154 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 29 Beisp. 9 und 10. 155 Der Schutz von Sammel- und Datenbankwerken nach § 4 UrhG setzt eine persönliche geistige Schöpfung hinsichtlich Auswahl oder Anordnung des Inhalts der Datenbank voraus. Bei §§ 87a ff. UrhG ist keine geistige Schöpfung erforderlich. 156 Thum/Hermes in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 87b Rz. 1.

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tenbank-Richtlinie) auf Nutzungen der Datenbank insgesamt oder auf ihrer Art oder ihrem Umfang nach wesentliche Datenbankteile beschränkt, was zur Folge hat, dass die Nutzung unwesentlicher Teile der Datenbank frei ist.157 Insoweit ist dann aber zu beachten, dass nach § 87b Abs. 1 Satz 2 UrhG die an sich freie Nutzung unwesentlicher Teile ausnahmsweise dann dem Rechtsinhaber vorbehalten ist, wenn die Nutzung wiederholt und systematisch erfolgt und sie dadurch entweder einer normalen Auswertung der Datenbank zuwiderläuft oder die berechtigten Interessen des Datenbankherstellers unzumutbar beeinträchtigt.158 Das Leistungsschutzrecht des Datenbankherstellers ist zudem auch ohne weiteres durch Abtretung übertragbar.159 § 29 Abs. 1 UrhG ist mangels persönlicher Schöpfung nicht anwendbar. M.E. sollte daher insoweit auch nach Auffassung der Finanzverwaltung ein Total-Buy-out als Rechteverkauf und nicht als Nutzungsüberlassung angesehen werden können.160 Das BMF-Schreiben vom 27.10.2017 knüpft an diese urheberrechtlichen Unterscheidungen an und geht davon aus, dass von einer Überlassung umfassender Nutzungsrechte i.d.R. nicht auszugehen ist, wenn nach dem UrhG eine Zustimmung des Rechtsinhabers zur Nutzung nicht erforderlich ist.161 Die Einräumung des Zugangs zur Datenbank und die Einräumung von Rechten, die für eine übliche Nutzung der Datenbank erforderlich sind (etwa Rechte für Zugriffs-, Lese- und Druckfunktionen) erfüllen nach Auffassung des BMF nicht den Tatbestand der Verwertung eines Rechts.162 Unerheblich ist, wenn die Erkenntnisse aus dem Datenbankinhalt bestimmungsgemäß für eigenbetriebliche Zwecke verwendet werden.163 Im Zusammenhang mit dem letztgenannten Aspekt ist aber zu beachten, dass zwischen der Datenbank und den einzelnen Inhalten der Datenbank zu differenzieren ist. Bei genauer Betrachtung ist zudem die zur Schaffung des Datenbankwerks oder zur Ermöglichung des Zugangs not-

Thum/Hermes in Wandtke/Bullinger, UrhG4, § 87b Rz. 4. Dreier in Schulze/Dreier, UrhG5, § 87b Rz. 1. Dreier in Dreier/Schulze, UrhG5, Vorb. zu § 87a Rz. 2. Ebenso Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (508). BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 34. 162 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 35. 163 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 34.

157 158 159 160 161

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wendige Software zu separieren.164 Bei Verträgen mit Endkunden wird den Kunden regelmäßig eine Client-Software überlassen, die den Zugriff auf die Datenbank ermöglicht. Die eigentliche Datenbank und die diesbezügliche Steuerungssoftware laufen auf einem Server, der sich im Herrschaftsbereich des Inhabers der Datenbank befindet. Bezogen auf die Client-Software wird in der Diktion des BMF-Schreibens eine unerhebliche Überlassung zum Gebrauch an den Kunden vorliegen. Der Kunde nutzt die Datenbanksoftware nicht in einer Weise, die urheberrechtliche Relevanz hat. Da im Endkundenbereich qualifizierte Eingriffe in Datenbanken regelmäßig nicht erfolgen und ein Steuerabzug auch nicht auf eine Softwareüberlassung gestützt werden kann, kommt es daher maßgeblich auf den Inhalt der Datenbank an und diesbezügliche Nutzungsrechte an. Allein der Umstand, dass zum Zugriff auf die Datenbank ein LogIn erfolgen muss, stellt keine Nutzungsüberlassung eines Rechts i.S.d. § 73a Abs. 2 EStDV dar, weil es sich insoweit lediglich um eine „Zugangskontrolle“ handelt, aber kein Recht i.S.d. § 73a UrhG überlassen wird. Besteht der Inhalt der Datenbank aus reinen Daten, die mangels Schöpfungshöhe als solche nach dem UrhG nicht schutzfähig sind (z.B. Wetterdaten, Ergebnisse von Wettkämpfen oder Kapitalmarktdaten), liegt schon kein tatbestandsmäßiges Recht vor. Es liegt insoweit auch keine tatbestandsmäßige Know-how-Überlassung vor, da dem Endanwender kein Knowhow im Hinblick auf die Funktionsweise der Datenbank, sondern nur die Daten selbst überlassen werden.165 Im Fall 5a) kann daher ein Steuerabzug nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG unterbleiben. Anmerkung Hruschka: Ich stimme dem Ergebnis zu. Allerdings differenziert das BMF nicht nach der Datenqualität, sondern ausschließlich nach dem Umfang der Informationsweitergabe. Auch hier steht die Praktikabilität im Vordergrund. Im Fall 5b) hat die D-AG zusätzlich das Recht, den gesamten Inhalt der Datenbank herunterzuladen und ihren weltweiten Kunden gegen Entgelt zur Verfügung zu stellen. Die D-AG hat daher das Recht zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Zugänglichmachung (§ 87b Abs. 1 Satz 1

164 Entsprechende Software ist als von der Datenbank unabhängiger Schutzgegenstand nach den Sondervorschriften der §§ 69a ff. UrhG geschützt, vgl. nur Dreier in Schulze/Dreier, UrhG5, § 87a Rz. 5. 165 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 37 Beisp. 13.

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UrhG) der Datenbank. Da der D-AG umfassende Nutzungsrechte an der Datenbank eingeräumt wurden, hat ein Steuerabzug zu erfolgen.166 Anmerkung Hruschka: Ich stimme zu. Besteht der Inhalt der Datenbank aus Fotodateien oder Videos, die heruntergeladen werden können, ist zu beachten, dass dem Kunden vom Vergütungsgläubiger grds. nur einfache Nutzungsrechte eingeräumt werden. Teilweise wird dem Nutzer das Recht eingeräumt, die Bilder (etwa auf der Homepage) anderen öffentlich zugänglich zu machen.167 Je nachdem, ob man bei einfachen unbefristeten Nutzungsrechten einen Rechtekauf annehmen will oder nicht (s.o.), wird man hier einen Steuerabzug bejahen oder verneinen. Die Finanzverwaltung wird einen Steuerabzug bejahen, da diese selbst bei einem Total Buy-Out an Fotos eine Rechteveräußerung nicht anerkennt.168 Kann aus einer Datenbank Standardsoftware heruntergeladen werden (etwa eine App), gelten die Ausführungen zur Software. Datenbankfälle gibt es auch im nichtunternehmerischen Bereich. Nach Auffassung des BMF liegt kein steuerabzugspflichtiger Tatbestand vor, wenn eine Universität die Inhalte einer Datenbank ihren Studenten kostenfrei und Dritten gegen ein kostendeckendes Entgelt zugänglich macht.169

IV. Sonstige Problemfelder (Schlotter) Neben dem im BMF-Schreiben vom 27.10.2017 angesprochenen Software- und Datenbanksachverhalten treten im unternehmerischen Bereich eine Vielzahl von weiteren Sachverhalten auf, bei denen fraglich ist, ob eine Pflicht zum Steuerabzug besteht. 166 BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 39 Beisp. 1. Anders ist der Fall ggf. dann zu beurteilen, wenn allein ein Datenbankzugang vermittelt wird, vgl. Pinkernell, Ubg. 2017, 497 (508). 167 Vgl. Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 2018, Kap. 28. 168 Bei Lichtbildern sind die §§ 28 ff. UrhG entsprechend anwendbar; dem Lichtbildner stehen die Urheberpersönlichkeitsrechte zu; vgl. Schulze in Dreier/ Schulze, UrhG5, § 72 Rz. 16. 169 Senatsverwaltung für Finanzen Berlin v. 11.5.2017 – III A - S 2303 - 3/2013, juris; BMF v. 27.10.2017 – IV C 5 - S 2300/12/10003 :004 – DOK 2017/0894289, BStBl. I 2017, 1448 = FR 2018, 42, Rz. 43 f.; kritisch dazu Holthaus, IStR 2017, 729 (730).

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1. Freie Redakteure Fall 6: Bericht für die Homepage Die A-AG beauftragt den in der Österreich ansässigen Journalisten R, einen Bericht über die Produktpalette der A für deren Homepage zu verfassen, der auf der Website der A veröffentlicht werden soll. Die Festvergütung beträgt 5000 Euro, die in einer Summe gezahlt wird. A erwirbt das ausschließliche, weltweite, zeitlich und inhaltlich unbeschränkte Recht, den Bericht in jeglicher Hinsicht zu nutzen und zu verwerten („Total-Buy-Out“). Im Fall 6 nimmt die Finanzverwaltung eine Pflicht zum teilweisen Steuerabzug an. R erzielt inländische Einkünfte aus selbständiger Arbeit gem. § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, da journalistische Tätigkeit als Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG anzusehen ist. Die Verwertung des Testberichts erfolgt auch im Inland. Dies geschieht dadurch, dass R der A-AG ein ausschließliches Nutzungsrecht an einem Sprachwerk (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG) eingeräumt wird, insbes. das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung. Nach Auffassung der OFD Karlsruhe vom 29.4.2014170 finden die Grundsätze des gemischten Vertrags Anwendung, weil neben der Schreibleistung auch eine Rechteüberlassung vergütet wird. Sofern kein anderer Aufteilungsmaßstab nachgewiesen wird, gilt nach Auffassung der OFD ein Regelaufteilungsmaßstab im Verhältnis 60 % für die Rechteüberlassung und 40 % für die Dienstleistung. Der Umstand, dass ein Total-Buy-Out vereinbart wurde, soll nicht zu einem Rechtekauf führen. Mit Blick auf die obigen Argumente ist dies sicherlich fragwürdig.

2. Streaming In jüngerer Zeit werden Multimedia-Inhalte, wie z.B. Videos, zunehmend entgeltlich über das Internet gestreamt oder per Download vertrieben.171 Es sprechen gute Gründe dafür, das Streaming an Endanwender als Dienstleistung anzusehen, weil nach der urheberrechtlichen Würdigung (§ 44a UrhG) eine flüchtige Vervielfältigungshandlung keine eigenständige Bedeutung hat. Es liegt m.E. daher ein Fall eines nichtabzugspflichtigen Werkgenusses vor.172 Anders werden die Dinge aber dann liegen, wenn der auslandsansässige Vergütungsgläubiger einem Vergü170 OFD Karlsruhe v. 29.4.2014 – S 2303/41 - St 142/St 136, DStR 2014, 1554. 171 Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 2018, Kap. 28. 172 Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 2018, Kap. 28.

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tungsschuldner das Recht einräumt, geschützte Werke (ggf. im Rahmen des Streaming) öffentlich zugänglich zu machen (§ 19a UrhG).173

3. Vergütungen für Online- und Social-Media Werbung und Suchmaschinenoptimierung Zunehmend streitig werden in jüngerer Zeit Sachverhalte, die im weitesten Sinne als Online-Werbung zu bezeichnen sind. Eine Miete einer Sache wird man in diesen Fällen nicht annehmen können.174 In Betriebsprüfungen wird zunehmend die Auffassung vertreten, dass in derartigen Fällen ein Werberecht zeitlich befristet überlassen werde. Ein entsprechendes Recht sei als ein „ähnliches Recht“ anzusehen und unterliege daher dem Steuerabzug nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. Der BFH175 hatte im Bandenwerbungsurteil offengelassen, ob die Gewährung der Werbemöglichkeit grundsätzlich dem Steuerabzug nach § 50a EStG unterfallen kann. Der BFH hatte dabei auf ein Urteil des BGH verwiesen, der das Recht zum Aufstellen von Werbetafeln auf einem Golfplatz als eine Rechtspacht angesehen hatte, und die werkvertraglichen oder mietrechtlichen Elemente gegenüber dem Recht, auf dem Gelände Werbung betreiben zu dürfen, als nebensächlich angesehen.176 Diese Gedanken lassen sich nicht ohne Weiteres auf den Bereich der Online- und SocialMedia-Werbung übertragen, da dort im Unterschied zu dem BGH-Fall allein der Betreiber der Website oder der Social-Media-Plattform die Werbung schaltet, was dafür spricht, von einem Werk- oder Dienstvertrag auszugehen.177 Ganz in diesem Sinne werden auch im Zivilrecht Verträge über Werbemaßnahmen, bei denen die Durchführung einer Werbemaßnahme geschuldet ist, als Werkvertrag mit Geschäftsbesorgungscharakter eingeordnet.178 Dies gilt insbes. auch dann, wenn der Anbieter dafür sorgt, dass die Werbung bestimmten Nutzergruppen zielgenau gezeigt wird, was bei der Social-Media-Werbung typischerweise der Fall ist. Diese Sichtweise wird durch eine Entscheidung des FG Köln zur gewerbesteuerlichen Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG gestützt.

173 174 175 176 177

Pinkernell/Schlotter in Rübenstahl/Idler, Tax Compliance, 2018, Kap. 28. Vgl. auch Rapp, FR 2017, 563 (571). BFH v. 16.5.2001 – I R 64/99, BStBl. II 2003, 641 = FR 2002, 102. BGH v. 26.1.1994 – XII ZR 93/92, MDR 1994, 346. So auch Rapp, FR 2017, 563 (571) für die gewerbesteuerliche Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG. 178 Busche in MünchKomm. BGB7, § 631 Rz. 175.

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Schlotter/Hruschka, Steuerabzug nach § 50a EStG aus Unternehmenssicht

Dort hat das FG Köln179 zu automatisiert ablaufenden Plattformleistungen auf Servern des Anbieters herausgearbeitet, dass auf diesen technische Dienstleistungen erbracht werden. Auch bei einem längerfristigen Vertrag über eine Suchmaschinenoptimierung besteht keine Pflicht zum Steuerabzug, weil es sich hierbei zivilrechtlich um einen Dienstvertrag handelt.180 Selbst wenn man die Dinge anders sieht, dürfte wertungsmäßig regelmäßig ein Fall der verbrauchenden Rechteüberlassung vorliegen, weil sich die Werbeleistungen mit der Einblendung jeweils verbrauchen. Anmerkung Hruschka: Ob in den Fällen der Onlinewerbung tatsächlich ein Werkvertrag oder aber doch eine steuerabzugsverpflichtende Rechtspacht vorliegt, muss noch höchstrichterlich entschieden werden. Die These des Werkvertrags unterstellt m.E. eine persönliche Leistungserbringung des Plattformbetreibers. Dies ist jedoch nicht der Fall. Üblicherweise sind die Algorithmen, mittels derer die Werbung zielgerichtet geschaltet wird, bereits installiert. In Anlehnung an das Urteil des BGH zur Golfplatzwerbung stehen die Tafeln/Algorithmen bereits. Der Kunde lässt sich durch den Vertrag lediglich das Recht einräumen, diese zielgerichtet zu nutzen. Vor diesem Hintergrund meine ich, dass die Schaltung von Onlinewerbung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zum Steuereinbehalt gem. § 50a EStG verpflichtet.

179 FG Köln v. 16.6.2016 – 13 K 1014/13, EFG 2017, 1718, nrkr., Rev. Az. BFH III R 25/16. 180 AG Ludwigslust v. 28.5.2014 – 5 C 31/13, NJW-RR 2014, 1206; OLG Köln v. 16.1.2014 – 19 U 149/13, MMR 2014, 660.

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Stichwortverzeichnis Verfasser: Tom Christoph Beckert

A

bschlag 264 ff. – Vorababschlag 265 f. – Verschonungsabschlag bei Großerwerben 266 ff. Abzugsbeschränkungen 181 ff. Aktienoptionsprogramm – bilanzsteuerliche Beurteilung 336 ff. Aktivierungsbegrenzungen 360 ff. Anschaffungskostenprinzip 38 Anteilserwerb – § 8c KStG 158 ff. Anti Tax Avoidance Directive (ATAD) 449, 479 ff. – Hybrid Mismatches 474 ff. – wirtschaftliche Tätigkeit 648 ff. Anzeigepflicht – Gestaltungsmodelle 128 ff. Auftragsforschung – Steuersatzermäßigung 530 f. Aufwandsverteilungsposten 395 ff. Aufwendungen für Forschung und Entwicklung – steuerliche Berücksichtigung 116 ff. Ausschüttungsbegrenzungen 360 ff. Authorized OECD Approach 443 f. Automobilindustrie – Entwicklungskosten 377 ff.

Beihilfenrecht

163 f. BEPS-Initiative 456 f. Beteiligungserwerb – unterjähriger schädlicher 65 Betriebsstätte – digitale 126 – ausländische 417 ff. Betriebsstättenvorbehalt 444 f. Bewertungsbegrenzungen 360 ff. Bilanzsteuerrecht – aktuelle Fälle 381 ff.

BMF-Schreiben – Sanierungserlass 297 ff. – Software und Datenbanken 691 ff. Buchwertfortführung 29 ff. Bundessteuergesetzbuch – Reformentwurf (BStG-E) 7 Bundestagswahl – Wahlprogramme 99 ff.

Cadbury Schweppes

648 ff.

Digitale Wirtschaft

619 ff. – Ideen zur Besteuerung 124 ff. – equalisation tax 125 – GKKB 125 f. Doppelbesteuerung – Vermeidung 510 ff. Doppelbesteuerungsabkommen – Korrespondenz 472 ff. – Einlagenrückgewähr 217 ff. – „weiße“ Einkünfte 472 f. doppelte Verlustberücksichtigung – Organschaft 465 ff. Dotationskapital 435 f. Due Diligence – Aufwand 400 ff.

Einbringungen – Sonderprobleme 218 ff. Einbringungsgewinn – rückwirkende Versteuerung 223 ff. Eingliederungsleistungen – Umsatzsteuerfreiheit 527 ff. – Unionsrecht 528 f. Einheits-GmbH § Co. KG – gewerbliche Prägung 44 ff. – Geschäftsführung 45 Einlagenrückgewähr 201 ff. – Probleme 205 ff. – Steuerbescheinigung 210 f. – verdeckte Gewinnausschüttungen 211 ff.

713

Stichwortverzeichnis – EU-Gesellschaften 215 ff. – Drittstaatengesellschaften 217 ff. Einkünfte – passive 492 ff., 501 ff. Erbschaftsteuer 133 – Lohnsummenregeleung 274 ff. – Veräußerungsnachsteuer 277 ff. – Stundung in Todesfällen 273 – Verschonungsabschlag 266 ff. – Verschonungsbedarfsprüfung 269 ff. Erbschaftsteuerreform 235 ff. Erdienensdauer – Unterstützungskassenzusage 92 ff. Ergänzungsbilanz 38 ff. Erwerb eigener Anteile 224 ff. EU-Gesellschaften – Einlagenrückgewähr 215 ff. EuGH-Urteile – Timac Argo 419 ff. – Stehcemp 574 – Barlis 06 577 ff., 598 ff.,, 614 ff. – Senatex 581 ff., 598 ff. EuGH-Vorlage 447 ff. Erbfolge – vorweggenommene 396 f.

Fallbeil-Methode

177 Familienunternehmen – Bewertungsabschlag 259 ff. finale Verluste – ausländische Betriebstätte 417 ff. Finanzmittel – Erbschaftsteuerreform 242 ff. Fortführungsgebundener Verlustvortrag 146 ff., 165 ff.

Generalanwalt Wahl – Schlussanträge 575 ff. Geringwertige Wirtschaftsgüter 373 ff., 382 ff. – Wahlrechtsausübung 384 Geschäftswert 357 f. geschäftswertähnliche Wirtschaftsgüter 358 f. Gesamthandslehre 11

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Gesamtversorgungszusagen – Regelaltersgrenzen 350 ff. Gesellschafterfremdfinazierung – § 8a I 1 KStG a.F. 439 ff. Gesetzgebungskompetenzen – Steuertypenlehre 4 f. Gewerbesteuer – Hinzurechnungen 114 ff. – Rechtsformabhängigkeit 13 Gewinnabgrenzung 482 Gewinnausschüttungen – steuerfreie 61 ff. Gewinnermittlung 507 ff. GKKB 428 ff. Gleichheitssatz 9 ff. Gleichstellungsthese 36 Grundsteuerreform 131 ff. Grunderwerbsteuer 111 ff. – Freibetrag 113 f.

Hinzurechnungsbesteuerung

62 f.,

480 ff. – Reformüberlegungen 487 ff. hybride Gestaltungen – Vermeidung 130 ff. Hybrid Mismatches 474

I

dentität – wirtschaftliche 154 f. – Unternehmeridentität 156 IFRS 395 immaterielle Wirtschaftsgüter 353 ff. – Bilanzierung 355 ff. – Praxisfragen 367 ff. Implementierung – KSt in ESt 7 Industrie 4.0 619 ff. – Ertragsteuer 621 – digitale Betriebstätte 622 f. – Umsatzsteuer 626 ff. – Lohnsteuer 628 f. Internationales Steuerrecht – Aktuelle Rechtsprechung 417 ff. Intransparente Sichtweise – KGaA 305 f.

Stichwortverzeichnis

Kernbrennstoffsteuer

3 f. KG & Still – Gewerbesteuerfragen 53 ff. KGaA 301 ff. – intransparente und teiltransparente Sichtweise 305 ff. – gesonderte und einheitliche Feststellung 309 ff. – Ergänzungsbilanz 317 ff. – Umwandlung 328 ff. – Organschaft 327 f. Konsignationslagerurteil 524 ff. Korrespondenzprinzip 454 ff. – verdeckte Einlagen 461 ff. korrespondierende Bilanzierung 35 ff. Kryptowährungen 362 f.

Leasingverhältnisse

372 f. Leistungsfähigkeitsprinzip 9 ff. Letter of Intent 401 ff. Luftposten 220 ff. Luftverkehrssteuer 3 Lohnsteuer – Mobile Office und Crowdworking 628 f. Lohnsummenregelung 274 ff.

M

issbrauchsbekämpfung 481, 665 f. Mitunternehmerschaft – doppelstöckige 186 Modified Nexus Approach 192 f. Multilaterales Instrument – Korrespondenz 474 ff.

N

egatives Kapitalkonto 38 ff. Nexus-Ansatz 653 ff. – Lizenzschranke 469 ff. Niederlassungsfreiheit 418

Objektives Nettoprinzip

100 f. Organschaft 8, 520 ff., 537 ff. – Gewinnabführungsvertrag 73 ff. – Gewinngemeinschaftsvertrag 70 ff. – Mehr-/Minderabführungen 78 ff. – KGaA 327 f.

Pensionsrückstellungen

107 ff. Personengesellschaft – Gewerbesteuerfragen 46 f. – mehrstöckig 49 f., 430 ff. – Verlustvortrag 48 f. Poolabschreibung 382 ff. – Wahlrechtsausübung 384 ff.

Realteilung – Realteilungserlass 28 f. – Rechtsprechungshighlights 27 ff. – echte 33 ff., 52 – unechte 33 f. Rechnungskorrekturen 571 ff. – Rechnungspflichtangaben 572 ff. – zeitliche Wirkung 579 ff. – Mindestanforderungen 585 ff. – Durchführung 588 ff. Rechteüberlassungen 187 ff., 469 ff., 651 ff. Rückstellungen – aktuelle Rechtsprechung 344 ff.

Sale-lease-back

389 ff. Sanierung – unternehmensbezogene 284 ff. Sanierungserlass – gesetzliche Neuregelung 281 ff. Sanierungsertrag 283 f.,, 286 Sanierungskosten 288 f. Schachtelprivileg 316 f. schädliche Ereignisse – § 8d KStG 174 ff. Schulden – Erbschaftsteuerreform 244 ff. schwebendes Geschäft – Bilanzierungsverbot 370 ff. shareholder relief 59 Software 691 ff. – entgeltlicher Erwerb 375 ff. Sonderunternehmenssteuern 5 f. Sonderbetriebsausgaben 183 ff., 467 ff. Steuerabzug – beschränkt Steuerpflichtige 667 ff. Steuerberaterhaftung 20 f.

715

Stichwortverzeichnis Steuerminderungspositionen 287 ff. – Untergang 289 ff. Steuerpolitik in der EU 135 Stichtagsprinzip 89 f. Stand-Still-Klausel 448 Statuswechsel 92 stille Reserven – Übertragung 41 ff. – Verschonung 171 Stundung – in Todesfällen 273 f. Substanzbegriff 633 ff. – Basisgesellschaften 640 ff. – Zeitbezug 662 ff. substanzlose Gesellschaften – Erwerb 656 ff. Symmetriethese 418 ff.

Teiltransparente Sichtweise – KGaA 306 ff. Treaty Override 643 ff.

Umsatzsteuer – Bauträger-Fälle 533 f. – Rechtsprechungs-Highlights 519 ff. – Industrie 4.0 626 ff. unangemessene Gestaltungen 491 f. – Hinzurechnungsbesteuerung 491 ff. Unternehmenssteuerreform 118 ff. – Abgeltungssteuer 120 ff. – Steuersätze 122 f. – Hinzurechnungsbesteuerung 123, 447 ff.

716

V

eräußerungsgewinne – Befreiung 58 ff. Veräußerungsnachsteuer 277 ff. Verbundvermögensaufstellung 250 ff. verdeckte Gewinnausschüttung 82 ff. – Überversorgung 87 ff. verdeckte Einlagen – Korrespondenz 461 ff. Verfügungsbeschränkungen 263 f. Vergütungsverfahren – Belegvorlage 531 ff. Verlustausgleichsbeschränkung 437 Verlustnutzung 64 ff., 141 ff., 158 ff. Verlustuntergang 657 ff. Verlustvortrag – fortführungsgebundener 166 f. Vermögensteuer 133 ff. Verpflichtungsübernahmen 340 ff. Verschonungsbedarfsprüfung 269 ff. Verwaltungsvermögen – Erbschaftsteuerreform 238 ff. – Test 247 ff. Vollbefreiung 254 ff.

Wegzugsbesteuerung – Verlustberücksichtigung 451 f. Wirtschaftsgüter – abgespaltene 358 f. – immaterielle 353 ff.

Zinsen – Steuerpolitik 103 ff. Zinsabzugsschranken 445 ff.