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German Pages 411 [420] Year 1998
Susanne Buchinger: Stefan Zweig - Schriftsteller und literarischer Agent
ARCHIV FÜR GESCHICHTE DES BUCHWESENS Studien Band 1 Herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V.
Buchhändler-Vereinigung G m b H Frankfurt am Main
Susanne Buchinger
Stefan Zweig - Schriftsteller und literarischer Agent Die Beziehungen zu seinen deutschsprachigen Verlegern (1901-1942)
1998 Buchhändler-Vereinigung G m b H Frankfurt am Main
HERAUSGEBER Ordentliche Mitglieder der Historischen Kommission: Prof. Dr. h. c. Klaus G. Saur, München, Vorsitzender; Prof. Dr. Reinhard Wittmann, Oberachau, Stellv. Vorsitzender; Günther Christiansen, Hamburg; Prof. Dr. Bernhard Fabian, Münster; Prof. Dr. Stephan Füssel, Mainz; Prof. Dr. Georgjäger, München; Prof. Klaus-Dieter Lehmann, Frankfurt am Main; Dr. Wulf D. von Lucius, Stuttgart; Dr. Karl H. Pressler, München. Korrespondierende Mitglieder der Historischen Kommission: Prof. Dr. Frédéric Barbier, Paris; Dr. Volker Dahm, München; Prof. Dr. Ernst Fischer, Mainz; Prof. Dr. John L. Flood, London; Prof. Dr. Herbert G. Göpfert, Stockdorf; Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz, Mainz; Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Tübingen; Dr. Mark Lehmstedt, Berlin; Prof. Dr. Joachim-Felix Leonhard, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Alberto Martino, Wien; Prof. Dr. Ulrich Ott, Marbach/N.; David L. Paisey, London; Prof. Dr. Günther Pflug, Frankfurt am Main; Lothar Poethe, Leipzig; Prof. Dr. Paul Raabe, Wolfenbüttel; Prof. Dr. Helmut Rötzsch, Leipzig; Dr. Gottfried Rost, Leipzig; Prof. Dr. Walter Rüegg, Territet-Veytaux; Heinz Sarkowski, Dossenheim; Prof. Dr. Wolfram Siemann, München; Gerd Schulz, Neu-Isenburg; Herta Schwarz, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Peter Vodosek, Stuttgart; Friedrich Wittig, Staufen; Prof. Dr. Bernhard Zeller, Marbach/N.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Buchinger, Susanne: Stefan Zweig - Schriftsteller und literarischer Agent : Die Beziehungen zu seinen deutschsprachigen Verlegern (19011942) / Susanne Buchinger. - Frankfurt am Main : Buchhändler-Vereinigung, 1998 (Archiv für Geschichte des Buchwesens : Studien ; Band 1) ISBN 3-7657-2132-8
ISBN 3-7657-2132-8 © 1998 Buchhändler-Vereinigung GmbH Frankfurt am Main Satz: Herbert Back, Frankfurt am Main Druck: Druckerei Rachfahl, Bad Vilbel Printed in Germany
»Als Sammler war er genial, als Mittler verdienstreich, als Schriftsteller populär, als Lebenskünstler glücklich, als Freund und Helfer unübertrefflich, als literarischer Arbeiter unermüdlich, bis das Jahrhundert keinen Raum mehr hatte weder für
Inhalt 1
Einleitende Bemerkungen
1.1
Stefan Zweigs »Lob der deutschen Verleger«. Eine H i n f ü h r u n g
5
zum Thema
5
1.2
Forschungssituation
6
1.3
Problemstellung und Untersuchungsziel
10
1.4 2
Quellenlage Erste Buchpublikationen bei den Berliner Verlagen Schuster & Loeffler und Egon Fleischel (1901-1905)
14 17
3
Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag (1906-1933)
27
3.1
»Ausschließlich Werke reinsten Kunstwillens in reinster F o r m der Darbietung«. Aus den ersten Jahren des Verlages
27
3.2
Zweig als Autor des Insel-Verlages
34
3.2.1
»Die frühen Kränze« und »Thersites«: Ein vielversprechender Auftakt
34
Stationen einer erfolgreichen Schriftstellerlaufbahn: Z u r Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Novellentrilogie »Die Kette« (1911-1926)
45
»Erstes Erlebnis«
45
3.2.2
3.2.2.1 3.2.2.2
»Amok« - Erstes Erscheinen und spätere Volksausgabe (1931)
52
3.2.2.3
»Verwirrung der Gefühle«
62
3.3
Zweig als Vermittler zeitgenössischer Autoren an Anton und Katharina Kippenberg
70
3.3.1
Emile Verhaeren
70
3.3.2
Albrecht Schaeffer
83
3.3.3
Felix Braun
92
3.3.4
Frans Masereel
3.3.5
Romain Rolland
105
3.3.6
Richard Friedenthal
110
3.3.7
Gescheiterte Pläne
120
101
3.4
Zweig als Initiator neuer Buchprojekte
128
3.4.1
Von »Flugschriften für 20 Pfennig« zur »Insel-Bücherei« (1912)
128
1
Inhalt 3.4.2
»Das Hauptgeschäft«: Die Zusammenarbeit des Insel-Verlages mit Stefan Zweig bei der Herausgabe des »Orbis Litterarum« (1919-1923)
140
3.4.2.1
Planung unter dem provisorischen Titel »Bibliotheca mundi«
140
3.4.2.2
Z u r Publikation der Buchreihen »Bibliotheca mundi«, »Libri librorum« und »Pandora«
152
3.4.2.3
Absatzkrise und Abbruch des Unternehmens
162
3.4.3
Weitere (realisierte) Verlagsprojekte
165
3.5
Gemeinsame Autographensammelleidenschaft als besondere Facette der Beziehung zwischen Stefan Zweig und Anton Kippenberg
172
Stefan Zweigs (ambivalentes) Verhältnis zu seinem literarischen Ruhm und Verstimmungen im Kontext der Biographie »Marie Antoinette« (1932)
186
5
Zwischen »Machtergreifung« und »Anschluß«. Die Lösung des Autors vom Insel-Verlag und sein »Intermezzo in Wien« beim Herbert Reichner Verlag (1933-1938)
198
5.1
Die Bücherverbrennung, »dieses Schicksal völliger literarischer Existenzvernichtung in Deutschland«
198
5.2
Angliederung einer deutschen Buchproduktion an die Pariser Verlage Gallimard bzw. Albatross als »Zwischenmöglichkeit«?
207
5.3
Zweigs Beteiligung an der Anthologie »Novellen deutscher Dichter der Gegenwart« des Amsterdamer Allert de Lange Verlages (1933)
212
Der Konflikt um »Die Sammlung«. Krise und »vorläufige« Lösung vom Insel-Verlag
217
5.5
Exkurs: Die Affäre u m Richard Strauss' Oper »Die schweigsame Frau«
232
5.6
Stefan Zweig beim Wiener Herbert Reichner Verlag (1934-1938)
235
Die Monatsschrift »Philobiblon« und die »Bibliotheca typographica«. Z u den bibliophilen Anfängen des Reichner Verlages
235
5.6.2
Zwischen Kippenberg und Reichner: Die Publikation des Lebensbildes »Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam« (1934)
239
5.6.3
Schriftstellerische und verlegerische Tätigkeit im Schatten der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«
251
Die Biographie »Maria Stuart«: Endgültige Trennung vom Insel-Verlag (1935/36)
251
5.6.3.2
Exkurs: Der Insel-Verlag im Dritten Reich
261
5.6.3.3
Eine weitere Reichner-Neuerscheinung (»Castellio gegen Calvin«) und viele Neuauflagen
264
4
5.4
5.6.1
5.6.3.1
2
Inhalt 5.6.3.4
Beschlagnahme von Zweig-Büchern in Leipzig als polizeiliche »Sonderaktion« (1936)
268
5.6.3.5
Beginn der Sammlung von Stefan Zweigs Werken und eine erste Reise nach Brasilien
271
Uberblick über das weitere, teilweise durch Zweig vermittelte Verlagsprogramm
285
»Finis Austriae«: Das Ende der Wiener Verlagsarbeit mit dem »Anschluß« Österreichs und die nachfolgende Auseinandersetzung um das Verlagsrecht
299
6
Noch eine Heimat in der deutschen Sprache? Stefan Zweigs Beziehungen zu Allert de Lange (Amsterdam) und Bermann-Fischer (Stockholm) (1938-1942)
327
6.1
Vorgespräche
327
6.2
Z u r Zusammenarbeit der beiden Exilverlage am Beispiel des Romans »Ungeduld des Herzens« (1938)
330
6.3
Zweigs Mitwirkung an der »Forum-Bücherei« (1938/39)
348
6.4
Neue Buchpläne und das Schicksal der Mitarbeiter der deutschen Abteilung Allert de Langes nach der Besetzung der Niederlande
359
Von der »Welt von Gestern« zur »Schachnovelle«. Stefan Zweigs Bindung an den Bermann-Fischer Verlag bis zu seinem Selbstmord im brasilianischen Exil
364
Nachwort
383
Danksagung
386
Abkürzungsverzeichis
387
Quellen- und Literaturverzeichnis
387
Register
403
5.6.3.6 5.6.4
6.5
7
8
3
1
Einleitende Bemerkungen*
1.1
Stefan Zweigs »Lob der deutschen Verleger«. Eine Hinführung zum Thema
Das Verhältnis der Autoren zu ihren Verlegern oder umgekehrt der Verleger zu ihren Autoren ist ein beliebter Gegenstand buchhandelsgeschichtlicher Forschung. Selten allerdings erweist sich das behandelte Untersuchungsfeld als so ergiebig wie im Falle Stefan Zweigs. Der auf internationaler Ebene höchst erfolgreiche österreichische Schriftsteller hatte nicht nur Interesse, sondern auch ein enormes Gespür für verlegerische Belange, besonders für Chancen, die der Buchmarkt seiner Zeit bot. Zudem setzte er seine breitgefächerten Fähigkeiten und Talente nicht nur in eigener Sache ein, sondern avancierte früh zu einem einflußreichen literarischen Berater seiner Verleger, zu einer wirkungsvollen Vermittlungsinstanz auf dem Felde der Weltliteratur. Diese doppelte Rolle als Autor und literarischer Agent nachzuzeichnen, ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Weitverbreitet istjedoch eine andere, negative Einschätzung von Autor-Verleger-Beziehungen, nicht zuletzt genährt durch Goethes bekanntes Diktum »Die Buchhändler [und er meinte die Verleger] sind alle des Teufels, für sie muß es eine eigne Hölle geben«.1 Verleger bereichern sich demnach auf Kosten ihrer armen Autoren, sind Ausbeuter und Profiteure, so klagen Schriftsteller in ihren Briefen, während Verleger ihre Autoren insgeheim oft als weltfremde Spinner und Tagträumer abtun. Daß j e doch das aus dem Doppelcharakter des Buches als Geistesgut und Ware resultierende, ambivalente Verhältnis zwischen Autor und Verleger nicht selten überzeichnet ist und von Schriftstellern auch anders gesehen werden kann, macht Stefan Zweig in seinem Zeitungsartikel Lob der deutschen Verleger von 1912 deutlich. Dem negativen Verlegerbild stellt er hier das positive vom Verleger als freundschaftlichen Partner seines Autors entgegen, als integren Mittler zwischen Schriftsteller und Publikum. Diese Laudatio läßt auf (bis dahin) gute eigene Verlegererfahrungen schließen: »Es muß einmal ausgesprochen werden, das Lob der deutschen Verleger. Aber wer sollte es tun? Das deutsche Publikum, das in erster Linie zu Dank verpflichtet wäre, ist bekanntlich schweigsam, sobald es u m ein Lob gilt, und sucht die Öffentlichkeit nur zu Beschwerde und Klage. Die deutschen Autoren wiederum scheinen wenig geneigt, in die Bresche zu springen, ist doch der Verleger für sie meist der traditionelle Widersacher, Harpagon, der Vorschußkarge. U n d überdies scheuen sie die Gefahr, mißverstanden zu werden, denn für viele bedeutet einen Verleger loben auch schon sich um ihn bewerben oder zumindest von ihm Gefälligkeiten verlangen. Ich glaube aber, daß es doch einmal getan werden muß, und will einmal öffentlich sagen, daß der schöne Wille, der heute eine Reihe deutscher Verleger aus der Enge des Geschäftlichen in die ganze wachsende Weite der deutschen Kultur gehoben hat, mit mehr Zustimmung und Bewunderung anerkannt werden sollte.« 2
* Diese für den Druck leicht revidierte Arbeit hat im Wintersemester 1995/96 dem Fachbereich Geschichtswissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Inaugural-Dissertation vorgelegen. Titel der buchwissenschaftlichen Dissertation »Stefan Zweig — Schriftsteller, Vermittler und literarischer Berater. Eine Untersuchung der Beziehungen zu seinen deutschsprachigen Verlegern 1901-1942«, Referent: Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz, Koreferent: Prof. Dr. Ernst Fischer. 1 Äußerung vom 21.5.1829 an Kanzler von Müller, zit. nach Unseld: Goethe und seine Verleger, S. 617. - Die vollständigen Titel sind im Quellen- und Literaturverzeichnis aufgeführt. 2 Zweig: Lob der deutschen Verleger, S. 573.
5
1 Einleitende Bemerkungen Auch Zweigs Briefe an seine Verleger, insbesondere an seinen wichtigsten deutschen Verleger Anton Kippenberg, den langjährigen Leiter des Leipziger Insel-Verlages, zeugen von einem überwiegend harmonischen, konstruktiven Verhältnis. Anfang Februar 1908 etwa teilte er Kippenberg mit: »... ich habe das Verhältnis von Verleger und Autor immer ungern als ein rein geschäftliches empfunden. Ich helfe gerne mit, soweit ich kann, auch und ganz besonders, wenn es nicht mein Werk angeht.« Im September 1931 schrieb er ihm, inzwischen auf eine rund 25jährige Verlagszugehörigkeit zurückblickend: »Sie wissen ja, daß ich über das Ausmaß des bloßen Autors an Büchern und Aufbau des Inselverlags Anteil nehme«. 3 Diese positive Grundeinstellung zum Verlagswesen soll im Laufe der Arbeit unter Beweis gestellt werden, wobei zugleich deutlich werden wird, daß es auch in Zweigs Beziehungen zu seinen deutschen und österreichischen Verlegern - obwohl die üblichen Honorar- und Abrechnungsstreitigkeiten für ihn als gut verdienenden Autor kaum ein Thema waren - nicht nur glückliche Perioden, sondern gleichermaßen Krisen und Trennungen gab. Inwieweit die beiden Briefzitate dennoch kennzeichnend für sein Verhältnis zum deutschsprachigen Verlagswesen sind, gilt es aufzuschlüsseln.
1.2
Forschungssituation
Das literarische Œuvre des Autors jüdischer Herkunft wurde von den Nationalsozialisten geächtet, seine Bücher wurden öffentlich verbrannt und später verboten. Im Gegensatz zu anderen exilierten und heute weithin vergessenen Dichtern waren Zweigs Hauptwerke trotzdem nie vom Buchmarkt verschwunden, sie wurden und werden vielmehr in immer neuen Ausgaben publiziert und verkauft. Dessen ungeachtet nahm die offizielle Literaturwissenschaft in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von Zweigs literarischem Schaffen bald kaum mehr Notiz. Manche Kritiker hielten und halten ihn für einen bloßen Unterhaltungsschriftsteller, einen mondänen, effektsicheren Literaten, der lediglich der >Welt von Gestern* verhaftet sei. Zweigs Bücher verschwanden, nachdem eine bescheidene Zweig-Forschung schon kurz nach 1945 eingesetzt hatte, zunehmend von den Leselisten der Schulen und Universitäten. Bis vor nicht allzu langer Zeit beschäftigte sich der wissenschaftliche Diskurs nur selten mit seinen Schriften. Vertreter der amerikanischen, später auch der europäischen Germanistik bemühen sich erst seit einer Reihe von Jahren um eine kritische Neubewertung von Zweigs Gesamtwerk und beleben so die literatur- und zeitgeschichtliche Diskussion. Zehn Jahre nach dem Zweig-Centenar vom 1981, das weltweit Aktivitäten und Veröffentlichungen stimuliert und eine neue Phase in der Zweig-Forschung - nun auch innerhalb der deutschen und österreichischen Germanistik - eingeleitet hatte, gab auch der im Februar 1992 in Salzburg anläßlich des 50. Todestages abgehaltene Internationale Stefan Zweig-Kongress neue Denk- und Forschungsanstöße. Die verstärkte Beschäftigung mit Zweigs Biographie und Werk trägt heute erste Früchte. Inzwischen wird der Schriftsteller in verschiedenen Publikationen nun auch als scharfsichtiger politischer Beobachter der Vorgänge in der Weimarer Republik wie im Dritten Reich gewürdigt, als ein Beobachter freilich, der sich zeitlebens bewußt abseits aller politischen Lager hielt.
6
3 S. Zweig an A. Kippenberg von [Anfang Februar 1908] und vom 12.9.1931 (LA).
1.2 Forschungssituation Über Zweigs dichterisches Werk liegen mittlerweile Forschungsergebnisse in mehr als 50 Dissertationen, zahlreichen Monographien und vielen Aufsätzen vor. Die meisten dieser Arbeiten zielen jedoch vornehmlich aufmotiv-, literatur- und geistesgeschichtliche Aspekte. Für die hier ins Auge gefaßte verlagshistorische Untersuchung, die literaturwissenschaftliche Fragestellungen nur streifen wird, können sie daher weitgehend außer acht bleiben. Harry Zohns interdisziplinär angelegte Dissertation Stefan Zweig as a Mediator in Modern European Literature ( 1951 ) dagegen hat sich erstmals zum (auch hier angestrebten) Ziel gesetzt, den Schriftsteller als Mittler und Förderer der neueren europäischen Literatur, als Integrationsfigur des europäischen Geisteslebens zu würdigen. »Diese verbindenden Wirkungen«, so formulierte es Stefan Zweig selbst einmal gegenüber Richard Specht, »scheinen mir als der eine Teil meiner Arbeit ebenso wichtig, wie die künstlerischen«. 4 In diesem Zusammenhang muß auch Zweigs enge und produktive Zusammenarbeit mit seinen Verlegern gestellt werden, auf die Zohn lediglich verweist: »Zweig wrote warm, enthusiastic letters to publishers, critics, and friends, drawing their attention to a new talent or book, or to an insufficiently appreciated old one. ... Zweig's friendship with many of the creative artists of our time and his close relationship to Professor Kippenberg of the Insel-Verlag greatly fasciliated the activities as a mediator. Many of Zweig's suggestions have become publishing history. T h e Bibliotheca Mundi was his creation, and he also inspired the famed Insel-Bücherei.«5
Ubersieht man die bislang erschienenen biographischen Arbeiten über Stefan Zweig, so ist nach einer ersten, allzu unkritisch ausgefallenen Biographie des Zweig-Freundes Erwin Rieger (1928), mehreren verdienstvollen Aufsatzsammlungen von Hanns Arens und Erich Fitzbauer und einer knappen Biographie von Arnold Bauer die (1972 im englischen Original und 1981 als revidierte Ausgabe in deutscher Ubersetzung erschienene) Untersuchung Ξίφη Zweig. Das Leben eines Ungeduldigen von Donald A. Prater die erste wissenschaftlich fundierte, quellenkritische Biographie, die diesem Autor erstmals zu der ihm gebührenden Stellung innerhalb der europäischen Literatur- und Geistesgeschichte verhalf. Sie ist bis auf den heutigen Tag Grundlage der internationalen Zweig-Forschung. Daran fügt sich - bei unterschiedlicher Akzentuierung - die (ungedruckte) Salzburger Habilitationsschrift des Germanisten Klaus Zelewitz Stefan Zweig, Schriftsteller (1984) an. Prater und Zelewitz kommen en passant auch auf Zweigs Verlegerbeziehungen zu sprechen, so daß ihre Biographien erster Anknüpfungspunkt für die hier ins Auge gefaßte Untersuchung waren. Schließlich ist auch in der von Gerhard Schuster herausgegebenen und ausführlich kommentierten Edition des Briefwechsels Hugo von Hofmannsthals mit dem InselVerlag (1984) Zweigs Doppelfunktion als erfolgreicher Schriftsteller und literarischer Berater mehrfach angesprochen. Stefan Zweig war seinerzeit nicht nur ein äußerst populärer, sondern auch ein u n gewöhnlich produktiver und vielseitiger Autor. Er verfaßte Lyrik, Feuilletons, Rezensionen, Vor- und Nachworte zu Werken von Schriftstellerkollegen, Ubersetzungen, Novellen, Legenden, Romane, Biographien, Monographien, Essays und Dramen sowie ein Libretto. Daneben brachte er - als einer der passioniertesten Briefschreiber dieses Jahrhunderts - schätzungsweise zwanzig- bis dreißigtausend Briefe zu Papier. Inzwischen ist zwar vieles publiziert worden, angesichts der gewaltigen 4 S. Zweig an R. Specht vom 19.12.1927, in: Die Zeit gibt die Bilder, S. 136. 5 Zohn: Stefan Zweig as a Mediator, Zusammenfassung, S. 6 f.
7
1 Einleitende Bemerkungen
8
Anzahl von Schriftstücken handelt es sich jedoch noch immer u m einen Bruchteil des erhaltenen epistolaren Werkes. Diese ausgedehnte internationale Korrespondenz Zweigs nicht nur mit Schriftstellerkollegen, sondern auch mit Komponisten, Musikern, Politikern, Wissenschaftlern, bildenden Künstlern und Verlegern ist augenfälligster Ausdruck seiner europäischen Mittlerfunktion, die er mindestens ebenso wichtig wie seine eigentliche literarische Karriere nahm. An dieser Stelle sei auf die auf insgesamt vier Bände angelegte, textvollständige und in wissenschaftlich tadelloser Form präsentierte Ausgabe der Briefe Stefan Zweigs beim Frankfurter S. Fischer Verlag hingewiesen, die, herausgegeben von Knut Beck, Jeffrey B. Berlin und Natascha Weschenbach-Feggeler, den Zeitraum 1897 bis 1942 abdecken und somit die bislang wichtigste, vom langjährigen Zweig-Freund Richard Friedenthal edierte Ausgabe Briefe an Freunde (1978) ersetzen wird. Ihr erster Band (1897-1914) ist 1995, der zweite (1914-1919) im Frühjahr 1998 erschienen. Zwar finden sich darin auch einige Briefe Zweigs an seine Verleger bzw. Verlage, doch sind diese Schreiben in der nach autobiographischen Gesichtspunkten zusammengestellten Auswahlausgabe selbstverständlich nicht schwerpunktmäßig vertreten. Obwohl die Literaturlage zu Stefan Zweig, einem der in den zwanziger und dreißiger Jahren meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache (und inzwischen in beinahe 60 Sprachen übersetzten Autor), heute recht gut ist, liegt eine Untersuchung seiner komplexen, sich über vier Jahrzehnte erstreckenden Beziehungen zu seinen Verlegern bislang nicht vor. Auch Einzelarbeiten zu diesem Aspekt sind nicht allzu zahlreich. An Veröffentlichungen sind die von Konstantin M. Asadowski herausgegebenen Briefe Stefan Zweigs an den Leningrader Verlag Wremja zu nennen, des weiteren drei Aufsätze von Jeffrey B. Berlin, die einen Einblick in die bislang unveröffentlichte Korrespondenz Zweigs mit seinem amerikanischen Verleger Ben Huebsch von der N e w Yorker Viking Press gewähren. Inzwischen ausreichend dokumentiert und kritisch beleuchtet ist eigentlich nur Zweigs Verhältnis zu seinem brasilianischen Verleger Abrahäo Koogan (Verlag Guanabara, Rio de Janeiro). Seit Anfang der neunziger Jahre sind zu diesem Themenkomplex drei wissenschaftliche Untersuchungen greifbar. Die Forschungsliteratur zu Zweigs Originalverlegern ist noch weniger ergiebig. Während zu seinen ersten Berliner Verlagen Schuster & Loeffler und Egon Fleischel (bedingt durch fast vollständige Quellenverluste) kaum Hinweise in der Sekundärliteratur aufscheinen, überrascht es, daß auch Zweigs Verhältnis zu seinem wichtigsten deutschen Verlag, dem Leipziger Insel-Verlag, trotz guter Quellenlage bislang nicht hinreichend untersucht worden ist. In Friedenthals Edition Briefe an Freunde und im Band Briefe Í9Í4-Í9Í9 sind mehrere Briefe des Verlagsautors zur fremdsprachigen Buchserie Orbis Litterarum abgedruckt, Praters Zweig-Biographie berücksichtigt außerdem ausgewählte Zweig-Briefe an Anton und Katharina Kippenberg aus den Beständen des Marbacher Literaturarchivs und des State University College (Fredonia), und schließlich sind etwa ein Dutzend relativ willkürlich zusammengestellte Briefe des Leipziger Verlegers an seinen befreundeten Autor in Arens' Sammelband Der große Europäer Stefan Zweig wiedergegeben. An Sekundärliteratur zum Themenkomplex Stefan Zweig im Insel-Verlag sind eigentlich nur zwei 1992 erschienene Publikationen relevant: zum einen der sehr informative, kritische Aufsatz von Volker Michels »Im Unrecht nicht selber ungerecht werden!« Stefan Zweig, ein Autorfür morgen in der Welt von heute und gestern, der (mit Rückgriff auf das Frankfurter Insel-
1.2 Forschungssituation Archiv) im Ansatz auch Zweigs Verhältnis zu Anton Kippenberg w ä h r e n d der problematischen dreißiger Jahre beleuchtet, z u m anderen der knappe, aber gleichfalls »quellenreiche« Beitrag des Zweig-Biographen Donald A. Prater über Stefan Zweig und die Insel-Bücherei. Ü b e r h a u p t v e r w u n d e r t es, daß trotz weitgehend erhaltener Archivalien die literaturwie buchgeschichtlich bedeutsame Geschichte des r e n o m m i e r t e n Verlages bisher nicht in ausreichendem M a ß e aufgearbeitet w o r d e n ist. In d e m 1965 anläßlich der Sonderausstellung zur Insel-Verlagsgeschichte im Marbacher Schiller-Nationalmuseum erstellten Katalog sind zwar viele Auszüge aus der Privatkorrespondenz der Kippenbergs mit ihren Autoren (u. a. Briefe von u n d an Stefan Zweig) abgedruckt, die im Vorwort angekündigte Briefausgabe mit einer repräsentativen Auswahl aus d e n in Marbach liegenden Korrespondenzen ist allerdings nicht verwirklicht w o r den. 6 Im Laufe der Jahre sind zwar zahlreiche, meist lobpreisende Einzelbeiträge, Jubiläumsschriften u n d W ü r d i g u n g e n zur Biographie u n d d e m damit eng v e r k n ü p f t e n verlegerischen Wirken des Ehepaares Kippenberg u n d zu Einzelaspekten wie den turbulenten Anfangsjahren oder der Insel-Bücherei erschienen; eine umfassende, kritisch-wertende Monographie zur beinahe einhundertjährigen Verlagsgeschichte aber fehlt bislang. W e r n e r Ross befand schon 1974, daß die Jahre unter Anton u n d Katharina Kippenberg »deutsche Literaturgeschichte« seien u n d v e r m u t e t e mit Recht: »Wenn Peter de Mendelssohn der Geschichte des Fischer Verlages fast 1.500 Seiten gewidmet hat, die Geschichte der Insel w ü r d e ein ähnliches V o l u m e n brauchen.« 7 Z u m J u b i l ä u m 1999 wird n u n H e i n z Sarkowski, der 1970 die Bibliographie der I n sel-Verlagsproduktion 1899-1969 erarbeitet hat, einen ersten umfassenderen Beitrag zur Geschichte des Leipziger Verlages vorlegen. M i t der Jahreswende 1933/34 bis z u m »Anschluß« Österreichs im März 1938 erschienen Zweigs Werke d a n n sukzessive im kleinen, bibliophil ausgerichteten W i e n e r H e r b e r t Reichner Verlag. Diese Jahre sind durch die wegweisenden Forschungsergebnisse M u r r a y G. Halls im R a h m e n seiner sehr informativen Osterreichischen Verlagsgeschichte 1918-1938 (1985) u n d den 1981 vorab publizierten Aufsatz Literatur- und Verlagspolitik der dreißigerJahre in Osterreich. Am Beispiel Strfan Zweigs und seines Wiener Verlegers Herbert Reichner recht gut erschlossen. In einem weiteren, 1994 publizierten Beitrag Stefan Zweig und der Herbert Reichner Verlag befaßt sich Hall auch mit der schließlich vor Gericht entschiedenen Auseinandersetzung zwischen Z w e i g u n d Reichner u m das Verlagsrecht nach der Annexion. Seine Untersuchungsergebnisse sind Ausgangspunkt f ü r die Beurteilung dieser zweiten wichtigen Verlagsbeziehung Zweigs, wenngleich in der vorliegenden Arbeit zusätzlich auf bislang u n v e r ö f f e n t lichte Autor-Verleger-Korrespondenz aus den J a h r e n 1937/38 zurückgegriffen u n d so detaillierter analysiert werden kann. Stefan Zweigs Z u s a m m e n a r b e i t mit der deutschen Abteilung des Allert de Lange Verlages seit d e m S o m m e r 1938 ist in Kerstin Schoors verdienstvoller U n t e r s u c h u n g Verlagsarbeit im Exil. Untersuchungen zur Geschichte der deutschen Abteilung des Amsterdamer Allert de Lange Verlages 1933-1940 (1992), die erstmals das bislang verschollen geglaubte Verlagsarchiv auswertet, wiederholt angesprochen. D e n n o c h ist Z w e i g in ihrer
6 Vgl. Die Insel, S. 7. 7 Vgl. Ross: 75 Jahre Insel-Verlag, S. 995.
9
1 Einleitende Bemerkungen Überblicksdarstellung selbstverständlich nur einer, wenn auch ein wichtiger Schriftsteller innerhalb der Allert de Lange-Autoren; zudem einer, der dort nur mit insgesamt fünf Büchern (darunter - die beiden Forum-Bände dazugerechnet - drei Nachdrucken) erschienen ist. Alle Titel sind (bei Schoor gleichfalls angedeutet) auf Wunsch des Autors in Zusammenarbeit mit dem Verlagshaus Bermann-Fischer publiziert worden, eine vertragliche Abmachung, die sich nach der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 (bei der der Buchbestand der deutschen Allert de Lange-Abteilung konfisziert und das Unternehmen geschlossen wurde) als sehr gut überlegt erwies. Zweig konnte auch in den folgenden Exiljahren seine Verbindung mit Bermann-Fischer in Stockholm aufrechterhalten - selbst nach Gottfried Bermann Fischers Emigration nach N e w York (1940) - ohne die Rechte an seinem Gesamtwerk erneut gefährdet zu sehen. Die Verlagsgeschichte des Hauses Fischer ist bekanntlich gut erschlossen. Neben Mendelssohns umfassender, allerdings mit dem Tode des Verlagsgründers 1934 endender Darstellung S. Fischer und sein Verlag (1970) und dem ebenfalls fakten- und quellenreichen Marbacher Katalog S. Fischer, Verlag (1985) liegen inzwischen zwei Autobiographien des Schwiegersohns und Nachfolgers Gottfried Bermann Fischer vor: Bedroht - Bewahrt (1967) und Wanderer durch ein Jahrhundert (1994). Mitberücksichtigt wurde auch Gottfried und Brigitte Bermann Fischers Briefwechsel mit Autoren (1990), der einen Großteil des (nicht sehr umfangreichen) Briefwechsels mit Stefan Zweig der Jahre 1939-1942 wiedergibt.
1.3
Problemstellung und Untersuchungsziel
Zweigs Korrespondenzen mit seinen Verlegern begleiten seine über 40jährige Tätigkeit als Schriftsteller und spiegeln unmittelbar alle bedeutsamen Phasen seines dichterischen Schaffens. Seine Biographie ist somit untrennbar mit der Geschichte seiner Veröffentlichungen verknüpft, kam es doch nach einem ermutigenden literarischen Debüt bei den Berliner Verlagen Schuster & Loeffler und Egon Fleischel bald zu einer fruchtbaren, kontinuierlichen Beziehung zum Leipziger Insel-Verlag. Dort erschienen vom zweiten Lyrikband Die frühen Kränze (1906) bis hin zur Biographie Marie Antoinette (1932) nahezu sämtliche seiner Werke, er fand also von Anfang an zu einer produktiven Bindung zum Verlagswesen und gesamten Literaturbetrieb seiner Zeit und avancierte Anfang der dreißiger Jahre zum meistverkauften zeitgenössischen Autor deutscher Sprache. Die Bindung zwischen Autor und Verleger beschränkt sich (potentiell) keineswegs auf das Manuskript, sondern ist ebenso komplex wie kompliziert. Untersuchungen dieses vielfaltigen Beziehungsgefüges machen die Berücksichtigung von Kontextfaktoren notwendig, müssen demzufolge auch abzielen auf das Leben des Schriftstellers, sein Umfeld, auf die Zeit, in der er lebte und arbeitete und die sein Werk-verschlüsselt oder direkt - widerspiegelt. Innerhalb der vielen Briefwechsel, die Zweig mit Partnern in der ganzen Welt geführt hat, nimmt die Korrespondenz mit seinen Verlegern zwar eine Sonderstellung ein, dennoch zählt sie nicht wie bei Rilke als Teil des literarischen Werkes. Sie war vielmehr ein Arbeitsbriefwechsel und somit Ausdruck authentischer, gefühlsbetonter Kommunikation, oft ebenso leichtfüßig abgefaßt wie seine Prosa, keineswegs aber sorgsam durchgefeilt in Hinblick auf eine spätere Publikation.
1.3 Problemstellung u n d Untersuchungsziel Zweigs Korrespondenzen mit den (oft befreundeten) in- u n d ausländischen Verlegern d o k u m e n t i e r e n die H ö h e n u n d Tiefen der jeweiligen geschäftlichen wie menschlichen Beziehungen u n d ihre (von Zeit zu Zeit divergierenden) Lebens- u n d Arbeitsauffassungen. Vor allem aber zeigen sie das Bestreben, etwas Gemeinsames zu schaffen: Werke zu schreiben bzw. zu verlegen, Editionsprojekte auszuarbeiten, neue Autoren u n d Bücher zu vermitteln bzw. zu publizieren. Im Falle Stefan Zweigs steht dabei der fachliche Gedankenaustausch über verlegerische U n t e r n e h m u n gen meist im Vordergrund, f ü r ihn waren die Briefe an seine Verleger vor allem ein F o r u m zur Diskussion n e u e r Verlagsprojekte, -Strategien u n d literarischer S t r ö m u n gen. D e n n o c h beschränkte sich seine Verlegerkorrespondenz nicht auf die Regelung kaufmännischer Überlegungen, technischer Details oder die Diskussion literarischer Fragen, sondern reflektiert auch aktuelle T h e m e n u n d Zeitereignisse. Bei der E r ö r t e r u n g persönlicher Dinge allerdings herrschte eine gewisse Reserviertheit. Da sich Z w e i g j e d o c h regelmäßig mit seinen Verlegern traf, ersetzte das Gespräch unter vier Augen m i t u n t e r den schriftlichen Kontakt - zumindest in den Jahren vor d e m Exil. Die vorliegende Arbeit m ö c h t e Antworten auf die Fragen finden, wie Stefan Zweigs Beziehungen zu seinen deutschsprachigen Verlegern waren, welche Werke u n d Projekte im Laufe der jeweiligen Z u s a m m e n a r b e i t entstanden u n d w a r u m u n d wie oft es zu Verlagswechseln kam. A u ß e r d e m gilt es zu klären, inwieweit sich der Entstehungsprozeß u n d die Rezeption seiner Bücher in der K o m m u n i k a t i o n mit den Verlegern spiegeln, welches Mitspracherecht Zweig bei der Buchausstattung seiner Titel hatte, welche einzelnen Verlegerpersönlichkeiten hinter den jeweiligen U n t e r n e h m e n standen u n d wie sie ihre Aufgabe im Z u s a m m e n s p i e l von wirtschaftlichen, politischen, zeitgeschichtlichen u n d kulturellen Z w ä n g e n sahen. Zeitliche Eckpfeiler der weitgehend chronologisch angelegten U n t e r s u c h u n g sind die Jahre 1901 (damals war Zweigs erster Gedichtband Silberne Seiten erschienen) u n d 1942, das Jahr des Selbstmordes von Lotte u n d Stefan Zweig. Die V e r b i n d u n g zwischen Stefan Z w e i g u n d Anton u n d Katharina Kippenberg n i m m t nach der zeitlichen Erstreckung u n d der Zahl der im Insel-Verlag publizierten Bücher den ersten Platz unter Zweigs Verlegerkontakten ein. Kippenberg war Zweigs Hauptverleger, Z w e i g neben Rilke, H o f m a n n s t h a l u n d Carossa einer der zeitgenössischen H a u p t a u t o r e n des angesehenen Verlages. Dieser b e m ü h t e sich nicht n u r intensiv u m einen freundschaftlichen Kontakt zu seinen Verlegern, sondern n a h m auch - u n d das ist das Außergewöhnliche seiner Verlegerbeziehungen intensiv Anteil am Schicksal seiner Verlage u n d gab viele wertvolle Hinweise f ü r das jeweilige Verlagsprogramm. In seinen Verlegerkorrespondenzen geht es also nicht ausschließlich u m Inhalt, Ausstattung, H o n o r i e r u n g , W e r b u n g u n d Vertrieb seiner eigenen Titel, sondern gleichermaßen u m die Vermittlung n e u e r Autoren, Bücher u n d Projekte. Der mit der nationalsozialistischen »Machtergreifung« 1933 notwendig gewordene sukzessive Wechsel des Autors z u m »jüdischen« Reichner Verlag (Wien) stand von Anfang an u n t e r einem ungünstigeren Stern, wenngleich Z w e i g in diesen knapp f ü n f Jahren rasch zu einer kontinuierlichen literarischen Produktion zurückfand, u n d auch sein bisheriges W e r k Schritt f ü r Schritt in Neuauflagen greifbar wurde. Der österreichische Schriftsteller, w i e d e r u m wichtigster zeitgenössischer Autor, n a h m zwar auch Einfluß auf das Wiener Verlagsprogramm, doch blieben hier ernste Auseinandersetzungen, die mit Kippenberg eigentlich erst Anfang der dreißiger Jahre
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1 Einleitende Bemerkungen aufgetreten waren, nicht lange aus, wenn auch berücksichtigt werden muß, daß die unproblematischeren ersten Jahre ihrer Zusammenarbeit nicht durch Korrespondenz zu belegen sind. Zweig, durch sein unstetes Leben im Exil zunehmend belastet, war von der Angst getrieben, nicht mehr frei über sein (zuletzt fast vollständig bei Reichner gebundenes) Gesamtwerk verfügen zu können. Z u d e m brachte er als ab 1936 mit seinem Gesamtwerk indizierter Autor nur wenig Verständnis für Reichners (oft unumgängliche) Zugeständnisse an die NS-Schrifttumspolitikauf und stritt jetzt u m Honorar- und Freiexemplarabrechnungen sowie Ausstattungsfragen. Mit dem »Anschluß« Österreichs kam es dann zum endgültigen Bruch zwischen dem im sicheren Londoner Exil lebenden Autor und seinem nach Zürich geflüchteten jüdischen Verleger, der mit einem gerichtlich entschiedenen Konflikt u m das Verlagsrecht am Zweig-Werk endete. Trotz schwieriger Exilbedingungen war die sich seit dem Sommer 1938 anschließende Zusammenarbeit mit der deutschen Abteilung des Amsterdamer Allert de Lange Verlages (d. h. mit Walter Landauer und Hermann Kesten) und gleichzeitig mit dem von Wien nach Stockholm übersiedelten Bermann-Fischer Verlag wieder gut und produktiv, so daß Zweig bis zu seinem Freitod im brasilianischen Petrópolis (nach dem Ausfall des holländischen Exilverlages) zumindest mit Gottfried Bermann Fischerweiterarbeiten und sich so bis zuletzt - mit S. Fischer sogar bis zum heutigen Tage - eine verlegerische Heimat für seine deutschen Bücher sichern konnte. Die Gliederung der Untersuchung ergibt sich folglich aus den Lebens- und Schaffensphasen des Schriftstellers, die augenfällig mit den Verlagsphasen übereinstimmen. Verlagswechsel waren im Falle Stefan Zweigs fast immer erst durch politische Umbrüche, also äußere, zeitgeschichtliche Faktoren notwendig geworden. Daher bietet sich die hier gewählte chronologische Vorgehensweise an, einzelne Kapitel werden allerdings - meist in Gestalt von Exkursen - auch einmal von dieser sukzessiven Darstellung abweichen. Bei dem relativ langen Berichts- und Korrespondenzzeitraum müssen thematische Schwerpunkte gesetzt werden. Auf die knappe Darlegung von Zweigs literarischen Anfängen bei den Berliner Verlagen Schuster & Loeffler und Egon Fleischel wird als Kernstück der vorliegenden Darstellung seine kontinuierliche und sehr konstruktive Zusammenarbeit mit dem Leipziger Insel-Verlag behandelt. Die Beziehung zwischen Stefan Zweig und Anton Kippenberg begann mit der Annahme seines zweiten Gedichtbuches Diefrühen Kränze (1906) und festigte sich mit dem Erscheinen seiner Novellentrilogie Die Kette (1911-1926). Erörtert werden Einzelheiten zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte dieser psychologisierenden Novellen, mit denen der Autor erstmals ein breiteres Lesepublikum erreichte und der Insel-Verlag bald hohe Auflagenzahlen verzeichnen konnte. Außerdem wird die Frage diskutiert, ob und in welcher Form der Verleger Einfluß auf den Inhalt und die Textgestalt der Werke nahm, und wie wichtig in diesem Kontext buchhändlerische wie bibliophile Überlegungen waren. Daß Zweig nicht nur ein Autor von außergewöhnlicher Produktivität, sondern auch ein im europäischen Literaturbetrieb heimischer, engagierter Anreger, Talentsucher und literarischer Koordinator - kurz ein wichtiges Bindeglied im literarischen Kommunikationsnetz - war, klang wiederholt an. Hier wird seiner bereits bei Schuster & Loeffler spürbaren und auch bei Reichner nachweisbaren Einflußnahme auf das Verlagsprogramm am Beispiel des Insel-Verlages im Detail nachgespürt, denn erst durch seine tätige Vermittlung konnten dort Schriftsteller wie Emile Verhaeren, Albrecht
1.3 Problemstellung u n d Untersuchungsziel Schaeffer, Felix Braun, Romain Rolland u n d Richard Friedenthal sowie der H o l z schnittkünstler Frans Masereel publizieren. Diese Mittlertätigkeit f ü r zeitgenössische Autoren ist zwar in der Literatur wiederholt angedeutet w o r d e n , hier j e d o c h wird erstmals dokumentiert, wie die V e r m i t t l u n g s b e m ü h u n g e n im einzelnen vor sich gingen, wie sich die anschließenden Verhandlungen zwischen d e m vermittelten Autor u n d der Verlagsleitung gestalteten, u n d in welcher F o r m sich seine Hinweise schließlich im Verlagsprogramm niederschlugen. Z w e i g regte auch wichtige Verlagsprojekte f ü r die Insel an. N e b e n Vorschlägen f ü r Faksimile- u n d Klassikerausgaben war er maßgeblich an der G r ü n d u n g der Insel-Bücherei (1912) beteiligt. Dabei soll herausgearbeitet werden, welchen Anteil Z w e i g an Konzeption u n d Ausbau dieser bis heute populärsten Buchserie des Insel-Verlages tatsächlich hatte, eine Frage, die bislang kontrovers diskutiert wird. Als zweites von i h m angeregtes u n d als Reihenherausgeber betreutes Projekt sind die drei fremdsprachigen Serien des Orbis Litterarum (1920-1923) zu n e n n e n , ein in der Forschung gleichfalls noch nicht ausreichend gewürdigtes U n t e r n e h m e n , wobei es vor allem gilt, Zweigs wesentlichen u n d bisher weitgehend u n b e k a n n t e n Beitrag an der K o n zeption u n d Realisation dieser fremdsprachigen Reihen herauszuarbeiten. Bald nach Zweigs fünfzigstem Geburtstag (1931), zu d e m er in seinem dichterischen Schaffen von Presse, Verlagen u n d Kollegen nochmals gebührend gewürdigt w o r d e n war, kam mit d e m Erstarken des Nationalsozialismus eine schmerzliche Zäsur f ü r den erfolgverwöhnten, wenngleich diesen R u h m stets mit gemischten G e f ü h l e n betrachtenden Autor: die politisch notwendig w e r d e n d e T r e n n u n g v o m angestammten Leipziger Insel-Verlag. Diese f ü r Autor wie Verleger problematischen Etappen, angefangen von der B ü c h e r v e r b r e n n u n g über den Versuch der Angliederung einer deutschen Buchproduktion an die Pariser Verlage Gallimard bzw. Albatross, seiner M i t w i r k u n g am Sammelband Novellen deutscher Dichtung der Gegenwart des Allert de Lange Verlages, d e m hier erstmals aus der Perspektive Stefan Zweigs u n d vor allem Anton Kippenbergs erläuterten Konflikt u m Die Sammlung bis hin zu seiner umstrittenen Librettistentätigkeit f ü r Richard Strauss w e r d e n detailliert dokumentiert. Auch der sukzessive Verlagswechsel zu H e r b e r t Reichner fällt in diese d u n k l e Zeit. Dabei genügt in diesem verlagshistorischen Kontext nicht das in der literaturwissenschaftlichen Forschung oft wiederholte Faktum, daß Z w e i g zu den »unerwünschten«, später verbotenen Dichtern zähle, seine Bücher den B ü c h e r v e r b r e n n u n g e n z u m O p f e r gefallen seien oder daß er später bei d e m einen oder anderen (Exil-)Verlag untergek o m m e n sei. Vielmehr soll hier dargelegt werden, was mit seinen verfemten Büchern geschah, was aus den rechtmäßig geschlossenen Verträgen mit d e m Insel-Verlag w u r de, wie die V e r b i n d u n g z u m neuen W i e n e r Verlag geknüpft wurde, u n d wie sich der Autor u n d seine beiden Verleger in der langen Ubergangsphase (1933-1936) verhielten. Bisher wird in der Sekundärliteratur mehrheitlich davon ausgegangen, daß Kippenberg Z w e i g »fallenließ« oder aber, daß dieser im Konflikt u m die Sammlung mit Kippenberg »gebrochen« habe. Auch hier soll differenzierter analysiert werden. D o c h auch die anfänglich harmonische Z u s a m m e n a r b e i t mit Reichner w u r d e bald durch literaturpolitische Eingriffe der Nationalsozialisten gegen den schließlich indizierten jüdischen Autor u n d seinen »Judenverlag« gestört, angefangen bei Beschlagnahmungen von Z w e i g - B ü c h e r n (1936) bis hin zur Auflösung des Wiener Verlages im März 1938. Stefan Zweigs n u r wenige W o c h e n nach d e m »Anschluß« u n d noch vor der Regelung der verlagsrechtlichen Auseinandersetzung mit Reichner angeknüpfte Beziehung zu
1 Einleitende Bemerkungen den Exilverlagen Allert de Lange und Bermann-Fischer sind dann Gegenstand des letzten Hauptkapitels. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Zusammenarbeit beider Exilverlage bzw. der Verleger Walter Landauer und Gottfried Bermann Fischer bei der Publikation von Zweigs Roman Ungeduld des Herzens (1938) geworfen. Darüberhinaus wird die intensive Mitwirkung des Schriftstellers an der Gründung und Programmgestaltung der wohlfeilen Forum-Bücherei (1938/39) untersucht, wiederum ein Buchprojekt, das - von der Forschung weitgehend ignoriert-auf Zweigs Vorschlag hin und unter seiner tätigen Mitarbeit realisiert worden ist.
1.4
Quellenlage
Die hier angestrebte »Fallstudie« der Verlagsbeziehungen Stefan Zweigs stützt sich, abgesehen von den vereinzelten Äußerungen über seine Verleger in der 1941 niedergeschriebenen Autobiographie Die Weit von Gestern, zum Gutteil auf noch unveröffentlichte (Brief-)Quellen. 8 Angesichts der politischen Katastrophen und Verhängnisse des zwanzigsten Jahrhunderts ist es erstaunlich, wie viel Verlagskorrespondenz sich im Falle Stefan Zweig trotz allem erhalten hat. Verluste und Leerstellen ergeben sich insbesondere für die frühen Jahre 1901 bis 1905, in denen Zweig mit seinen ersten Büchern bei Schuster & Loeffler und Egon Fleischel verpflichtet war. Beide Verlage gingen 1921 bzw. 1922 in den Besitz der Stuttgarter Deutschen Verlags-Anstalt über, deren Verlagsgebäude in der Neckarstraße 121-123 (einschließlich des Verlagsarchivs, in das in den zwanziger Jahren vermutlich auch die Archive von Schuster & Loeffler und Fleischel integriert worden waren) beim Luftangriff auf Stuttgart in der Nacht vom 12. auf den 13. September 1944 vollständig zerstört wurden. 9 Selbst wenn man von der (nicht zu belegenden) Überlegung ausgeht, daß die Altregistratur dieser beiden Firmen auch nach ihrer Fusionierung mit dem Stuttgarter Verlag im Berliner Verlagsbüro in der Linkstraße 16, wo die beiden früheren Eigentümer Richard Schuster (Schuster & Loeffler) und Fritz Theodor Cohn (Fleischel) als Leiter der Berliner Außenstelle der DVA arbeiteten, untergebracht war, lassen sich heute keine entsprechenden Geschäftsunterlagen mehr nachweisen, da auch dieses Gebäude im Zweiten Weltkrieg völlig niedergebrannt ist. Geschäftskor8 Bei u n v e r ö f f e n t l i c h t e n Schreiben w i r d jeweils auf die Briefpartner, das - d a t u m u n d d e n F u n d ort verwiesen. So ist zwar j e d e m Briefzitat der Archivnachweis angefügt, auf die Angabe d e r j e weiligen Sigle aber w u r d e z u g u n s t e n einer besseren Lesbarkeit der F u ß n o t e n verzichtet. Siglenangaben finden sich j e d o c h , soweit die chronologisch v o r g e o r d n e t e n K o r r e s p o n d e n z e n auch katalogisiert sind, im Q u e l l e n v e r z e i c h n i s . Die Briefe d e r Verlage liegen in der Regel in m a s c h i n e n s c h r i f t l i c h e n , meist u n k o r r i g i e r t e n D u r c h s c h l ä g e n nach Diktat vor. Die Schreiben Stefan Zweigs, die o f t z u s a m m e n m i t d e n D u r c h s c h l ä g e n der Verlagsbriefe a u f b e w a h r t u n d so glücklicherweise bis auf d e n heutigen T a g greifbar sind, sind teilweise als handschriftliche Fassungen (oft in der signifikanten lila T i n t e u n d seiner s c h ö n e n , klaren Schrift), teilweise als v o n seiner langjährigen Salzburgcr Sekretärin A n n a Meingast, Friderike o d e r (seit d e m L o n d o n e r Exil) v o n seiner Sekretärin u n d späteren zweiten Frau Lotte A l t m a n n n a c h Diktat angefertigte u n d v o n i h m b e i m Q u e r l c s e n flüchtig korrigierte T y p o s k r i p t e erhalten. Schreibfehler in Z i t a t e n aus u n g e d r u c k t e n Q u e l l e n w u r d e n stillschweigend berichtigt, w ä h r e n d die stilistischen o d e r g r a m matikalischen E i g e n h e i t e n beibehalten w u r d e n . Die vielfältigen Varianten in Zitaten (Sperr u n g , U n t e r s t r e i c h u n g usw.) sind zu Kursivschrift vereinheitlicht w o r d e n . - Z u m Z w c i g - N a c h laß vgl. H a l l / R e n n e r : H a n d b u c h der Nachlässe u n d S a m m l u n g e n österreichischer A u t o r e n , S. 373-379. 9 Vgl. I m 110. J a h r , S. 11, 39-41 u n d 60-62.
1.4 Quellenlage respondenz beider Verlage ist demzufolge, w e n n überhaupt, n u r n o c h in Autorennachlässen zu finden. Da im Falle Stefan Zweigs mit A u s n a h m e einer einzigen Postkarte an die Firma Egon Fleischel v o m 18. Mai 1905 (in der dieser lediglich u m Z u s e n d u n g einiger Rezensionsexemplare bittet), solche Archivalien nicht zu ermitteln waren, lassen sich Zweigs literarische Anfänge n u r lückenhaft rekonstruieren. Dagegen ist der umfangreiche Briefwechsel Stefan Zweigs mit d e m Insel-Verlag aus m e h r als drei J a h r z e h n t e n (1902-1937) durch »eine Laune der Uberlieferung« (Gerhard Schuster) fast vollständig bewahrt. D e r zu großen Teilen unveröffentlichte Bestand verteilt sich auf das Insel-Archiv im S u h r k a m p - H a u s , Frankfurt/Main, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach/Neckar, das Weimarer G o e t h e - u n d SchillerArchiv sowie zu einem kleineren Teil auf die im State University College in Fredonia ( N e w York) gesammelten Schreiben Anton u n d Katharina Kippenbergs an Stefan Zweig. Das Verlegerehepaar hob schon f r ü h die Briefe der Autoren, mit denen wie mit Stefan Z w e i g ein sehr enger Kontakt bestand, gesondert von der Registratur des Insel-Verlages auf. Dieses während des Zweiten Weltkriegs ausgelagerte u n d ohne nennenswerte Verluste erhaltene private Archiv ist auch später getrennt v o m eigentlichen Geschäftsarchiv aufbewahrt w o r d e n . Seit der Ubersiedlung der Wiesbadener Zweigstelle nach Frankfurt/Main 1960 u n d der drei Jahre später erfolgten Ü b e r n a h m e des Kippenbergschen U n t e r n e h m e n s durch die Suhrkamp-Gesellschafter befinden sich Teile dieses Privatarchivs dort. In bezug auf Stefan Z w e i g etwa r u h e n ein beträchtlicher Teil seines Briefwechsels mit Anton Kippenberg (1905-1936) sowie die meisten der zwischen 1917 u n d 1935 abgefaßten Briefe von u n d an Katharina Kippenberg heute - von der Z w e i g - F o r s c h u n g bislang kaum beachtet - in den Stahlschränken des Frankfurter Insel bzw. Suhrkamp Verlages. Diese über dreißig Jahre kontinuierlich geführte Korrespondenz Zweigs mit den Kippenbergs d o k u m e n t i e r t die sehr freundschaftliche, f ü r beide Teile fruchtbare Autor-Verleger-Beziehung in weitaus stärkerem M a ß e als die in W e i m a r liegenden Schreiben u n d ist deshalb wichtigste Grundlage der folgenden U n t e r s u chung. H i e r z u zählen auch 41 (meist edierte) Zweig-Briefe an Anton u n d acht an Katharina Kippenberg, die heute in der S a m m l u n g Kippenberg im Marbacher Literaturarchiv liegen, sowie r u n d 30 Schreiben der Kippenbergs an Z w e i g aus den J a h ren 1913 bis 1935 aus den Beständen des State University College. Die Altregistratur des Leipziger Insel-Verlages, ein reiner Korrespondenzbestand mit kaufmännischer A k t e n f ü h r u n g , w u r d e , soweit nicht im Krieg vernichtet, laut Findb u c h im April 1962 auf staatlichen Befehl hin im Leipziger Insel-Verlag konfisziert u n d ins Weimarer G o e t h e - u n d Schiller-Archiv verbracht. Außer einer Reihe von Unterlagen zur technischen Herstellung u n d z u m Vertrieb der Publikationen enthält das dort ausgelagerte Geschäftsarchiv der Jahre 1899 bis 1947 hauptsächlich den Briefwechsel des Verlages mit seinen Autoren. Bei der archivalischen N e u o r d n u n g faßte man einen Teil dieser Korrespondenzakten zu Sachakten z u s a m m e n . Für die vorliegende Arbeit w u r d e n vor allem zwei Sachakten z u m Orbis Litterarum eingesehen (auch hier vornehmlich Autor-Verleger-Korrespondenz), außerdem Stefan Zweigs u m fänglicher Schriftwechsel mit den Mitarbeitern des Insel-Verlages zwischen 1902 u n d 1937 sowie die (nur teilweise) erhaltenen Verlagsverträge. Auch die Korrespondenzen der von Z w e i g an die Insel vermittelten Autoren mit der Verlagsleitung finden sich größtenteils in Weimar, zu einem kleinen Teil in Marbach/Neckar. Die Korrespondenz Stefan Zweigs mit d e m Wiener H e r b e r t Reichner Verlag ist n u r unvollständig erhalten. Im Z u g e des »Anschlusses« w u r d e nach Reichners Flucht
1 Einleitende Bemerkungen auch das in Wien zurückgelassene Firmenarchiv (samt der Autorenkorrespondenz) von der Gestapo beschlagnahmt. Es gilt seither als verschollen. Hinzu kommt, daß in jenen unruhigen Märztagen noch vor der NS-Konfiskation nachweislich viel Schriftwechsel, darunter »alles, was auf Zweig sich bezog... auch alle Korrespondenz aus vielen Jahren«, 10 von dem in Wien ausharrenden Verlagsmitarbeiter und ZweigVertrauten Emil Fuchs aus Sicherheitsgründen verbrannt worden war. Im Detail sind auch im Falle des Herbert Reichner Verlages die einzelnen Abläufe und oft unkoordinierten Aktionen der ersten Zeit des »Anschlusses« heute kaum noch nachzuvollziehen. Neben dem Entwurf eines Zweig-Briefes an Herbert Reichner aus dem Jahre 1936, der heute im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt/Main aufbewahrt wird, ist aber - auf welchem Wege auch immer - der Zweig-Briefwechsel mit dem Reichner Verlag zwischen dem Januar 1937 und dem Mai 1938 erhalten geblieben (Stefan ZweigEstate im Williams Verlag, London). Dagegen scheint die frühere, spätestens seit 1934 geführte Korrespondenz zwischen dem nach London emigrierten Autor und seinem neuen Wiener Verleger tatsächlich vernichtet worden zu sein. Bedingt durch diese im Vergleich zum Insel-Verlag ungünstigere Quellenlage ist der Zugang zum Herbert Reichner Verlag erschwert. Trotzdem wird auf den folgenden Seiten versucht, auch diesen Verlag und dessen Leitung aus dem Blickwinkel seines wichtigsten zeitgenössischen Autors zu porträtieren. Im Gegensatz zu den Autorenkorrespondenzen und weiteren Geschäftsunterlagen haben sich die Zweig-Verlagsverträge, von Reichner ins schweizerische und später amerikanische Exil mitgenommen, vollständig erhalten und befinden sich heute in Privatbesitz. Durch Archivalien ausgiebig dokumentiert sind auch wieder offizielle Vorgänge wie die Gestapo-Bücherbeschlagnahme von Zweig-Titeln in Leipzig (März 1936) oder die staatlichen Aktionen im Zuge des »Anschlusses« (Osterreichisches Staatsarchiv, Wien, und Internationales Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam). Das Archiv der deutschen Abteilung des Amsterdamer Allert de Lange Verlages, bei dem Stefan Zweig seit Sommer 1938 (gemeinsam mit Bermann Fischer) unter Vertrag stand, hat sich ungeachtet der Schließung des Verlages und der Beschlagnahme der Geschäftsunterlagen und Buchbestände durch die Gestapo (Mai 1940) zu etwa zwei Dritteln erhalten. Es ist (über die Etappen Berlin, Moskau und ab 1957 dem Zentralen Staatsarchiv der D D R in Potsdam) seit 1991 wieder im Besitz des Allert de Lange Verlages und seither im Amsterdamer Internationalen Institut für Sozialgeschichte einzusehen. Ausgewertet wurde insbesondere Zweigs Korrespondenz mit dem Leiter der deutschen Exilabteilung, Walter Landauer, aus den Jahren 1936 und 1938-1940, 11 außerdem auch Briefmaterial zur Forum-Bücherei (1938/39) sowie Abrechnungen, Werbetexte und Rezensionen zu dem im November 1938 von beiden Verlagen gemeinsam herausgegebenen Zweig-Roman Ungeduld des Herzens gesichtet. 12
10 H. Reichner, Zürich, St. Peterstr. 18, an S. Zweig vom 22.3.1938 (WV). 11 Schriftwechsel der Verlagsleitung mit Stefan Zweig der Jahre 1933-1935 und 1937 ist dort nicht nachweisbar; doch darf angenommen werden, daß diese frühe Korrespondenz nicht sehr u m fangreich gewesen ist, da Zweig damals noch bei Reichner unter Vertrag stand. 12 Z u m Schicksal der Buchbestände und Geschäftsunterlagen der deutschen Abteilung Allert de Langes seit dem Mai 1940 vgl. Schoor, S. 3-8.
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Erste Buchpublikationen bei den Berliner Verlagen Schuster & Loeffler und Egon Fleischel (1901-1905)
ie viele seiner Klassenkameraden hatte Stefan Zweig bereits als Schüler mit dem Schreiben und Übersetzen begonnen, allerdings war es ihm damals als einzigem aus seiner Gymnasialklasse gelungen, einige seiner literarischen Proben in den führenden Zeitschriften der Moderne unterzubringen. Nach einer für das assimilierte jüdische Wiener Großbürgertum typischen, auf Disziplin und gute Manieren abzielenden Erziehung hatte er, am 28. November 1881 in Wien als zweiter Sohn des jüdischen Textilfabrikanten Moritz Zweig und seiner Frau Ida geboren, die Volksschule besucht und war anschließend auf das humanistische Maximilian-Gymnasium übergewechselt, das er im Jahre 1900 mit dem Abitur verließ. Daß die Schulzeit nicht ausschließlich eine Zeit quälender Langeweile blieb, verdankte Zweig weniger seinen Lehrern als seinen Kameraden und den Anregungen, die ihm die Stadt Wien mit ihren Buchhandlungen, Theatern, Museen und Konzertsälen bot. Dabei entdeckte er, angeregt auch durch das kosmopolitische Elternhaus, seine künstlerischen, literarischen und musikalischen Interessen, zeigte sich also früh aufgeschlossen für den sich um die Jahrhundertwende auch in Wien abzeichnenden Wertewandel, für neue T h e m e n und künstlerische Darstellungsweisen. Neue literarische Namen wie Baudelaire, Dostojewski, Mallarmé, Strindberg, Valéry, Verhaeren, Whitman und Zola machten von sich reden, in Deutschland kündigte sich damals der Ruhm junger Autoren wie Gerhart Hauptmann, Stefan George und Rainer Maria Rilke an, während sich in seiner Heimatstadt gerade die Gruppe des Jungen Wien etablierte, zu der Peter Altenberg, Hermann Bahr, Richard Beer-Hofmann, Arthur Schnitzler und der junge Hugo von Hofmannsthal zählten. 1 Stefan Zweigs erstes Gedicht Rosenknospen war im Dezember 1898 in der bekannten Berliner Monatsschrift Deutsche Dichtung abgedruckt worden, mit deren Herausgeber Karl Emil Franzos, einem seinerzeit sehr populären Schriftsteller und Journalisten, der Wiener Gymnasiast seit mehreren Monaten korrespondiert hatte. Bald darauf erschienen Gedichte von ihm auch in der von Ludwig Jacobowski geleiteten Gesellschafi (damals die herausragende kulturelle Zeitschrift Berlins) und in der von Maximilian Harden herausgegebenen Zukunft.2 Weitere lyrische Beiträge, aber auch Aphorismen und Rezensionen schickte Stefan Zweig an eine ganze Reihe anderer Zeitungen und Zeitschriften, von denen einige auch gedruckt wurden. Seine Familie, beeindruckt vom frühen literarischen Ruhm, billigte schließlich Stefans Wunsch, Schriftsteller zu werden, zumal sein älterer Bruder Alfred bereits in das im nordböhmischen Ober-Rosenthal bei Reichenberg angesiedelte Familienunternehmen, das später zu einer der größten böhmischen Textilfabriken expandierte, eingetreten war. Die Tatsache, daß er an den (bis zur Annexion der Tschechoslowakei reichlich fließenden) Gewinnen der väterlichen Seidenfabrik beteiligt war, brachte ihm später den besonders in Wiener Dichterkreisen grassierenden Spottnamen »Seidenzweig« - in Abgrenzung zu Arnold Zweig - ein.
1 Vgl. Zweig: Welt von Gestern, S. 44-85. 2 Vgl. Gelber: Karl Emil Franzos, S. 38.
2 Erste B u c h p u b l i k a t i o n e n bei Berliner Verlagen
D a seine Familie zuvor allerdings von i h m ein mit der P r o m o t i o n abgeschlossenes s t a n d e s g e m ä ß e s H o c h s c h u l s t u d i u m erwartete, schrieb er sich i m H e r b s t 1900 an d e r W i e n e r Universität f ü r die F ä c h e r Philosophie, G e r m a n i s t i k u n d R o m a n i s t i k ein, b e s u c h t e a b e r d i e L e h r v e r a n s t a l t u n g e n v o n A n f a n g a n n u r s p o r a d i s c h . L i e b e r las u n d schrieb er u n d k n ü p f t e erste literarische K o n t a k t e u n d F r e u n d s c h a f t e n . O b w o h l das elterliche V e r m ö g e n i h m ein B o h è m e l e b e n frei v o n G e l d s o r g e n ermöglichte, n a h m e r s e i n e l i t e r a r i s c h e n A k t i v i t ä t e n stets s e h r e r n s t u n d b e t r i e b sie m i t A u s d a u e r u n d E n e r g i e , 3 w e n n g l e i c h er in d e n ersten J a h r e n n o c h n i c h t d a r a n z u d e n k e n wagte, m i t s e i n e n B ü c h e r n G e l d zu v e r d i e n e n o d e r gar a u f i h r e n E r t r a g eine E x i s t e n z a u f z u bauen.4 W ä h r e n d seines ersten S t u d i e n j a h r e s beschäftigte er sich d a n n intensiv m i t d e m Plan, einen ersten G e d i c h t b a n d zu veröffentlichen; ein Gedanke, mit d e m er schon w ä h r e n d s e i n e r S c h u l z e i t g e l i e b ä u g e l t h a t t e . D a m a l s w a r es i h m z w a r a u c h s c h o n g e l u n gen, einen W i e n e r Verleger f ü r das V e r s b u c h zu finden, d o c h hatte er das V o r h a b e n auf d e n Rat seines F r e u n d e s A d o l p h D o n a t h h i n a u f g e s c h o b e n . 5 I m M ä r z 1900 n u n w a n d t e er sich m i t einer aktuellen G e d i c h t a u s w a h l an d e n M e n t o r F r a n z o s u n d bat ihn u m Fürsprache bei der C o n c o r d i a : »Ich sende etwas m e h r , weil ich I h n e n einen U b e r b l i c k über m e i n Schaffen bieten m ö c h t e , weil ich jetzt m e i n e Gedichte aus einer b e s t i m m t e n Zeitperiode s a m m e l n m ö c h t e u n d zuerst m i c h an die >Concordia< b e h u f s Verlag w e n d e n will u n d bei I h n e n die E n t s c h e i d u n g ü b e r A n n a h m e liegt. Sollte ich allenfalls Idealist sein, so w e i ß ich, daß m a n es mit G e d i c h t e n nicht sein darf, u n d so m ö c h t e ich die Anfrage stellen, was ein Band Gedichte (cca 70 St.) - v o n d e n e n ich natürlich die d e m Verlage entgegenlaufenden m o d e r n e n u m s c h r e i b e n w ü r d e kosten k ö n n t e bezgl. des Kostenzuschusses.« 6 I m N o v e m b e r h a t t e e r a u f F r a n z o s ' R a t h i n z w a r »die g e n a u e s t e A u s l e s e « v o n 5 0 G e d i c h t e n u n t e r d e m T i t e l Silberne Saiten a u s s e i n e n e t w a 1 5 0 b i s 2 0 0 v e r ö f f e n t l i c h t e n f ü r d e n geplanten Lyrikband zusammengestellt, sprach sich n u n aber dezidiert gegen eine V e r ö f f e n t l i c h u n g b e i m Verlag C o n c o r d i a aus: »Wie strenge ich bei der Sichtung war, m ö g e n Sie aus d e m e n t n e h m e n , daß ich v o n d e n e n in der D[eutscheti] D[ichtung] ersch. G e d i c h t e n n u r den geringeren Theil a u f g e n o m m e n habe.... Aber ich glaube - es ist ein guter Band; u n d deshalb habe ich m i c h m i t e i n e m der besten Verleger in V e r b i n d u n g gesetzt, u m es in Verlag u n d nicht Commissionsveñag u n t e r z u b r i n g e n . D e n k ö n n t e ich bei Pierson schon f ü r 200.- M k haben, w o f ü r ich bestens danke. D e n n e h e r w i r d nie v o n m i r eine Zeile erscheinen, w i e bei P., so coulant er auch m i t Freiex. [zur] Recens, sein möge. Weshalb ich nicht zur C o n c . gehe, w e r d e n Sie vielleicht begreifen, w e n n ich m e i n e G r ü n d e darlege. Erstens weil ich n u r im alleräußersten N o t h f a l l in C o m m i s s i o n s v e r l a g gehe, zweitens weil m i r - o f f e n u n d ehrlich! - die Ausstattung nicht imponiert. Ich verlange j a keinen B u c h s c h m u c k , aber d o c h ein nicht ganz gewöhnliches Titelblatt, ferner daß j e d e s Gedicht auf eine Seite gedruckt w i r d ... u n d ü b e r h a u p t das F o r m a t etwas stattlicher ist, so etwa wie bei G. H . Meyer. M e i n Ziel wäre allerdings i m m e r ein Band wie ihn z. B. A d o l f D o n a t h bei Schuster & Löffler herausgegeben hat oder einer v o n E. Diederichs Verlagsbüchern. - D a s sieht wieder
3 »Ich veröffentliche wirklich nur deshalb, damit ich immer einen Ansporn zum Arbeiten habe und kein Dilettant bleibe. Aus Sucht nach Berühmtheit wirklich nicht, weil ich vollkommen überzeugt bin, daß ich im besten Falle ein bischen Talent für die Skizze oder Lyrik habe, das aber durchaus nicht original ist und noch immer ein wenig von der Lektüre ...abhängig ist.« S.Zweig an K. E. Franzos vom 3.7.1900, zit. nach Prater, S. 32. 4 Vgl. Zweig: Welt von Gestern, S. 114-119 und 370. 5 Vgl. S. Zweig an K. E. Franzos vom 10.12.1901, Zweig: Briefe 1897-1914, S. 30. 6 S. Zweig an K. E. Franzos vom 17.3.1900, Zweig, S. 16.
2 Erste Buchpublikationen bei Berliner Verlagen sehr arrogant aus - aber da stehe ich, Gott helfe mir. Höchstens wird kein Band von mir herauskommen! Ich liebäugle zwar schon seit vorigem Jahr mit der Herausgabe, aber ich brenne nicht darauf.«7 Z w e i g zweifelte seinerzeit keineswegs am Wert des von ihm Verfaßten, das zeigt schon die Entscheidung, möglichst nicht in einem Kommissionsverlag zu publizieren. 8 D e n n o c h sagte i h m auch die w o h l von Franzos e m p f o h l e n e Berliner C o n c o r dia. Deutsche Verlags-Anstalt, bei der j e n e r die meisten seiner Werke erscheinen ließ, seine Zeitschrift Deutsche Dichtung untergebracht u n d auf deren belletristisches Verlagsprogramm (zu den Autoren zählten Willibald Alexis, B e n n o Geiger, Julius H a r t u n d Paul Verlaine) er vermutlich Einfluß hatte, 9 nicht zu. Z u m einen fand er deren Produktion buchkünstlerisch nicht eindrucksvoll genug gestaltet, z u m anderen wollte er der Concordia noch eine Prosabroschüre anbieten u n d glaubte, daß m a n als bisher weitgehend u n b e k a n n t e r Autor einem Verlag nicht gleichzeitig zwei Werke offerieren dürfe. 1 0 Für sein Lyrikbuch w ü n s c h t e er sich vielmehr eine m o d e r n e bibliophile Ausstattung, wie Schuster & Loeffler sie f ü r Adolph D o n a t h s Gedichtband Tage und Nächte (1898) realisiert hatte, u n d wie sie f ü r Diederichs (oder auch den Insel-Verlag) charakteristisch war. Er sandte daher das Manuskript »verwegen genug gerade an jenen Verlag, der damals der repräsentative für deutsche Lyrik war, Schuster & Löffler, die Verleger Liliencrons, Dehmels, Bierbaums, Momberts, jener ganzen Generation, die zugleich mit Rilke und Hofmannsthal die neue deutsche Lyrik geschaffen. U n d - W u n d e r und Zeichen! ... es kam ein Brief mit dem Signet des Verlags, den man unruhig in Händen hielt, ohne den Mut, ihn zu öffnen. Es kam die Sekunde, wo man angehaltenen Atems las, daß der Verlag sich entschlossen habe, das Buch zu veröffentlichen und sich sogar das Vorrecht für die folgenden ausbedinge.«11 Seine f r ü h e Mitarbeit an namhaften Periodika hatte zweifellos seine literarische Reputation gefestigt u n d i h m n u n , zu Beginn seiner dichterischen Karriere, auch den Z u g a n g zu anerkannten Verlagen erleichtert.
7 S. Zweig an K. E. Franzos vom 2.11.1900, Zweig, S. 24. Die Rede ist von dem damals wichtigsten der sogenannten »Selbstvcrleger«, dem Dresdner Kommissionsverlag Edgar Pierson, bei dem auch Hermann Bahrs »Die Uberwindung des Naturalismus« (1891) und Arthur Schnitzlers »Das Märchen« (1894) erschienen waren. 8 Anfang juli 1900 hatte er Franzos zur noch offenen Vcrlagsfrage sclbstbewußt geschrieben: »Sollte mich der Sommer ... nach Berlin führen, so werde ich Ihnen ... eine viertel oder halbe Stunde stehlen, denn es ist das erste Mal, daß ich mich an einen Verlag wende und ein aufrichtiger, geneigter Rath ist in einer solchen Lage unersetzlich. Wahrscheinlich wird es Schuster & Löffler sein, den ich - mit Empfehlungsschreiben ausgerüstet - dort aufsuchen werde. Denn lieber kein Buch, als ein Buch bei Pierson, lieber schlechte Arbeit, als Dilletantenarbeit [sie!]. U n d ich hoffe, daß der N a m e eines solchen Verlages genügt, um diesen Verdacht abzuwehren. Denn lieber will ich gar nicht gelesen werden, als von Pastorstöchtern und lyrisch angehauchten Provinzlern!« Zweig: Briefe 1897-1914, S. 22. 9 Vgl. Offizielles Adressbuch des Deutschen Buchhandels, Jg. 67 (1905), S. 75 und Verlagsverzeichnis Concordia von 1931 (Sächsischen Staatsarchiv, Leipzig). 10 Siehe S. Zweig an K. E. Franzos vom 2.11.1900, Zweig: Briefe 1897-1914, S. 24 f. Über das Schicksal dieser Broschüre (vermutlich einer Abhandlung über Wiener Lyriker) ist laut Prater (S. 38) nichts bekannt. 11 Zweig: Welt von Gestern, S. 120. Ab 1901 rezensierte Zweig auch Schuster & Loeffler-Novitäten, etwa Bücher von Alexander von Bernus, Jakob Julius David, Wilhelm Holzamer, Walter von Molo, Alberta von Puttkamer und Margarete Susman (vgl. Klawiter H 74,131,318,463,522 und 660), ein untrügliches Zeichen dafür, wie sehr er dieses Editionshaus schätzte.
2 Erste Buchpublikationen bei Berliner Verlagen Die schöngeistige Verlagsbuchhandlung Schuster & Loeffler, deren avantgardistisches Programm nicht nur für den noch tastenden Stefan Zweig äußerst attraktiv wirkte, war am 25. November 1895 in Berlin durch den spektakulären Ankauf sämtlicher Schriften des seinerzeit gefeierten Dichters Detlev von Liliencron vom Leipziger Verleger Wilhelm Friedrich gegründet worden. Als Inhaber ließen sich Richard Schuster und Ludwig Loeffler (im Unternehmen tätig bis 1901 ) 12 eintragen, die beide bereits Erfahrung im Verlagsgeschäft gesammelt hatten. Zuerst hatten die Verleger Büroräume in der Schönebergerstraße 19 angemietet, 1898 zogen sie in die Lukkenwalderstraße 1 um und ab 1907 war die Bülowstraße 107 Sitz des Unternehmens. 13 Während die Biographie Ludwig Loefflers, der vielleicht lediglich als Geldgeber fungiert hatte, weitgehend im dunkeln bleibt, weiß man von dem am 16. Februar 1869 in Berlin geborenen Richard Schuster, daß er nach dem Abitur eine buchhändlerische Ausbildung im Berliner Musikverlag Adolph Fürstner durchlaufen und später in der bekannten Verlags- und Sortimentsbuchhandlung Friedrich Fontane & Co., gleichfalls mit Sitz in Berlin, gearbeitet hatte. 1898 ließ er sich als alleiniger Inhaber des Verlages Schuster & Loeffler eintragen, der schließlich am 1. Mai 1922 im Zuge allgemeiner Konzentrationsbewegung im deutschen Buchhandel der Stuttgarter Deutschen Verlags-Anstalt angegliedert wurde. 14 Liliencrons Freund Richard Dehmel hatte sich noch 1896 dem jungen Verlag angeschlossen, Otto Julius Bierbaum, einer der ersten >Vorkämpfer< für die Anerkennung beider Dichter, kam mit seinen humorvollen Prosawerken als Dritter hinzu. Dieses Triumvirat bildete den Kern der sich rasch vergrößernden, in Berlin und beim Kommissionär Carl Fr. Fleischer in Leipzig handelsgerichtlich eingetragenen Firma. Einen Zuwachs von etwa 40 Autoren brachte der Ankauf des gesamten Münchner Verlages Carl Rupprecht (Februar 1896), wodurch Titel etwa von Johann Bojer, Carl Busse, Michael Georg Conrad, Anna Croissant-Rust, Heinrich Mann, Heinrich von Reder, Ernst Rosmer, Ludwig Scharf, Walther Siegfried und Leo Tolstoj erworben werden konnten. 15 Das Unternehmen, das auch musik- und theaterwissenschaftliche Bücher im Programm hatte, machte sich bald insbesondere durch die Veröffentlichung von zeitgenössischen Autoren wie Elisabeth und Max Dauthendey, Jakob Julius David, Frederik van Eeden, Peter Hille, Joris-Karl Huysmans, John Henry Mackay, Malwida von Meysenbug und Alexander Roda Roda einen Namen, wobei die eigentliche Domäne
12 Laut freundlicher Auskunft von Frau Pascale Lang (Heidelberg) war Schusters erste Frau Sophie Pataky auch Verlagsautorin, hatte ihren Mann aber Ende 1900 verlassen, um mit seinem bisherigen Kompagnon Ludwig Loeffler eine neue Lebensgemeinschaft einzugehen. Im August 1903 ist als Nachfolger Loefflers dem Verlagsmitarbeiter Hans Embacher Prokura erteilt worden, vgl. das Geschäftsrundschreiben des Verlages Schuster & Loeffler vom 22.8.1903 (Deutsche Bücherei, Leipzig). Mit Embacher war Zweig offenbar gut bekannt, denn im Brief von Anfang September 1903 an Leonhard Adelt spricht er von »Hans Einbacher [recte Embacher] (bei Schuster & Löffler)« als einem Freund. Vgl. Zweig: Briefe 1897-1914, S. 60 und 351. 13 Vgl. Schmidt: Deutsche Buchhändler, deutsche Buchdrucker, S. 879-882. 14 Vgl. Deutscher Wirtschaftsführer, S. 363. - Der Stuttgarter Verlag übernahm damals die Rechte aller belletristischen Autoren, während die musikwissenschaftlichen Werke teilweise auf den Leipziger Verlag Hesse & Becker übergingen. Vgl. Verlagsveränderungen im deutschen Buchhandel 1900-1932, S. 64. 15 Vgl. Mitteilung über die Verlagsveränderung bei Carl Rupprecht bzw. Schuster & Loeffler vom 12.2.1896 (Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig).
2 Erste Buchpublikationen bei Berliner Verlagen des schon u m die J a h r h u n d e r t w e n d e zu einem der profiliertesten H ä u s e r zählenden Verlages in der Publikation von Lyrik, beispielsweise von Gabriele d ' A n n u n z i o , H a n s Bethge, Franz Evers, H e d w i g Lachmann, Alfred M o m b e r t , Christian Morgenstern, Alberta von P u t t k a m m e r , Margarete S u s m a n n , Paul Verlaine u n d B r u n o Wille, lag. 16 Schuster & Loeffler, eines der wichtigsten U n t e r n e h m e n in der Nachfolge des richtungsweisenden Verlagshauses Wilhelm Friedrich, entwickelte sich - dessen A u f b a u arbeit geschickt nutzend - so rasch zu einem florierenden Z e n t r u m m o d e r n e r Literatur. Seinen auffallend zahlreich u n t e r Vertrag stehenden j u n g e n österreichischen Schriftstellern w i d m e t e das U n t e r n e h m e n u m 1909 sogar einen eigenen W e r b e p r o spekt Osterreichische Autoren im Verlage Schuster & Loeffler. NEUIGKEITEN SOEBENTEXPEPIERT Der j u n g e Stefan Z w e i g sah sich hier jedenfalls im richtigen Programmfeld DAUTHENDEY, Elisabeth, HUNGER. R o m a n O i î M.p geb. 3 M. 50 H u n d war sehr stolz darauf, daß die Verlagsleitung im Februar 1901 nicht n u r SCHAFER, Wilhelm, GOTTLIEB MANGOLD. Geh. 3 M., geb. 4 M. seinen Erstling, die Gedichtauslese Silberne Saiten,17 publizierte, sondern sich DAVID, J. J., TROIKA. D r e i E r z ä h l u n g e n Geh. 2 M 5 0 Ρ»., geb. 4 M. durch einen Optionsvertrag z u d e m CROISSANT-RUST, Anna, PIMPERNELLCHE. H o f f n u n g auf sein zukünftiges W e r k Pfälzer Geschichten G e h 2 M. 50 Pf., geb. 4 M. machte. Sein lyrisches D e b ü t präsenREMER, Paul, OSTERGLOCKEN, àftwffef tierte sich tatsächlich in d e m v o m VerGeh 1 M-. geb. 1 M. fasser gewünschten bibliophilen G e KÜHL, Gustav, WIMPEL UND WINDE, ikdichi« wand, wobei den farbig lithographierGeh. ι M . geb. j H . ten U m s c h l a g in gedämpften Farben REICKE, Georg, WINTERFRÜHLING. Gt¿¿¿ u n d den f ü r den Jugendstil typischen Geb. I M. fließenden Buchstaben H u g o SteinerSUSMAN, Margarete, MEIN LAND, reichte Prag gestaltet hatte, der 1899 auch die G e h 3 M . geb. 3 M, dort h e r a u s g e k o m m e n e n Gedichte des ZWEIG, Stefan, SILBERNE SAITEN. G e d i e h » Geh. ï M. Z w e i g - F r e u n d e s Oskar Wiener ausge* stattet hatte. Z w a r zeichnet sich Zweigs frühe Lyrik durch ruhige, h a n d w e r k BAR: 40-. und 7/6; gemischt 9 8. In Rechnung aar noch vereinzelt· lich virtuos geformte Verse aus, doch ist sie noch unreif, sentimental, gelegentlich gar kitschig u n d in Stil u n d T h e m a SCHUSTER & LOEFfLER + BERLIN tik zu sehr den Gedichten H o f m a n n s „,, . , ¿r·,*™* . . „ , ,, · , Abb. 1 : Bbl.-Anzeiçe vom 16.3.1901 thals, Georges, Rilkes, m e h r vielleicht noch der Lyrik Baudelaires u n d Verlaines verhaftet. Z w e i g verstand d e n n o c h sehr geschickt mit den Motiven der zeitgenössischen LiteraturJung-Wiens wie Todesnähe des Lebens, Gegensatz von T a g u n d Nacht, H a r m o n i e u n d Disharmonie, Glück u n d Trauer, T r a u m u n d Sehnsucht u m z u g e h e n . Auch die Fülle von Vergleichen entspricht den impressionistischen wie neuromantischen Vorbildern. 1 8 16 Vgl. Schmidt: Deutsche Buchhändicr, deutsche Buchdruckcr, S. 880-882. 17 Die v o m Autor ausgewählte, für den heutigen Geschmack etwas preziose Titclmetapher ist vermutlich Jens Peter Jacobsens Novelle »Nils Lyhne« entlehnt. D o r t heißt es: »Er sehnte sich nach tausend zitternden T r ä u m e n , nach Bildern von kühler Freiheit: - leichte Farben, flüchtiger D u f t u n d feine Musik von ängstlich gespannten, z u m Zerspringen gespannten Strömen silberner Saiten.« Beck: N a c h b e m e r k u n g des Herausgebers (Silberne Saiten), S. 238.
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2 Erste Buchpublikationen bei Berliner Verlagen V o n der Kritik w u r d e sein literarisches D e b ü t (bis auf eine einzige ablehnende, »pöbelhaft witzige Fünfzeilenkritik« 1 9 von Sigmar M e h r i n g im Berliner Tageblatt) gelobt, sie w i d m e t e d e m Buch eigens ganze Essays u n d Feuilletons. Auch D e h m e l , Liliencron u n d Rilke n a h m e n den Band wohlwollend auf, zwei Gedichte daraus w u r d e n später sogar von Max Reger vertont ( O p u s 97 u n d 104). 20 Sein literarisches Debüt, erschienen in einem damals f ü h r e n d e n Verlag, besiegelte seine wachsende Reputation als einem der vielversprechenden j u n g e n österreichischen Dichter. Diese erste positiv verlaufende Beziehung des j u n g e n Autors zu e i n e m so anerkannten Verlag war i h m aber nicht n u r Ansporn u n d Motivation, sondern darüber hinaus ausschlaggebend f ü r sein später so fruchtbares Verhältnis z u m gesamten Bereich der literarischen Vermittlung. T r o t z des seinerzeit unerwartet großen Erfolges gab er sich nicht damit zufrieden, bloß als j u n g e s lyrisches Talent zu gelten, sondern b e m ü h t e sich verstärkt, auch seine Begabung als Prosadichter u n t e r Beweis zu stellen. Zwischen 1899 u n d 1902 verfaßte er neben Gedichten eine ganze Reihe v o n Novellen, u m deren Veröffentlichung er sich gleichfalls intensiv k ü m m e r t e . Im August 1901 etwa war seine Novelle Im Schnee (eines der wenigen Zweigschen Prosastücke mit rein jüdischer Thematik) in der W i e n e r Zeitschrift Die Welt, d e m H a u p t o r g a n der m o d e r n e n zionistischen Bewegung, erschienen. Sie w u r d e bereits im darauffolgenden Jahr im meist österreichischen jungjüdischen Autoren vorbehaltenen Jüdischen Almanach nachgedruckt. Z w e i g hatte diese Arbeit auch Franzos f ü r die Deutsche Dichtung angeboten u n d i h m den Inhalt noch vor der U b e r s e n d u n g des Manuskriptes skizziert. Die Geschichte schildert das Schicksal einer J u d e n g e m e i n d e im Mittelalter, die vor Flagellanten flüchtet u n d unterwegs in einen Schneesturm gerät, der sie >erlöst|ì* • * ί » ·&< < ι » « « f 4 * f < d e n Vertragstext, auf die sich K i p p e n b e r g aber e b e n s o w e n i g w i e bei a n d e r e n Z w e i g - T i t e l n n i c h t einlassen wollte. 1 1 9 6(efan 3œef8 W i e s c h o n b e i m Ersten Erlebnis fand a u c h bei Amok eine eigentliche literarische, inhaltliche Diskussio n zwischen A u t o r , Verleger u n d Lektorat nicht statt. D i e D u r c h s i c h t der Z w e i g - K o r r e s p o n d e n z mit A n t o n u n d Katharina K i p p e n b e r g sowie d e n v e r s c h i e d e n e n A b t e i l u n g e n des Verlages ergab, daß auch die ü b r i g e n Z w e i g - B ü c h e r k a u m inhaltlich b e s p r o c h e n w u r d e n . M a n g e w i n n t b e i n a h e d e n E i n d r u c k , daß K i p p e n b e r g Z w e i g s t h e m a tisch breit gefächertes, künstlerisch zwar w e n i g originelles, aber v o n großer Formglätte geprägtes · 3m W e r k bald >blind< v e r k a u f e n k o n n t e . D e r Insel« · * » • · « « · · ·« *·'»»'» 1 9 2 2 Verleger zeigte sich - ähnlich w i e bei H o f m a n n s A thal - bei s e i n e m langjährigen A u t o r jedenfalls bb. 7: Titelblatt »Amok« (1922) w e n i g e r a m P r o z e ß , s o n d e r n v i e l m e h r a m Resultat der schriftstellerischen Arbeit interessiert u n d fragte ihn, o h n e e n t s c h e i d e n d e n E i n f l u ß auf die inhaltliche G e s t a l t u n g seiner M a n u s k r i p t e zu n e h m e n , n u r gelegentlich nach d e m Fortschreiten des jeweiligen Buches. Dieser f e h l e n d e (briefliche) A u s tausch ü b e r das W e r k des F r e u n d e s läßt sich nicht etwa m i t divergierenden K u n s t a u f fassungen beider Partner o d e r m a n g e l n d e r K o m p e t e n z des Verlegers bei d e r B e u r teilung dieser T e x t e erklären. V i e l m e h r spielt hier w o h l die Tatsache m i t hinein, daß Z w e i g m i t seinen psychologisch motivierten N o v e l l e n u n d Biographien rasch zu 117 Insel-Verlag an S. Zweig vom 20.2.1922 (GSA). Auch S. Fischer konnte nach 1918 nur noch Gerhart Hauptmann und Thomas Mann 20 % Tantieme gewähren, 15 % galt damals schon als hohes Honorar. In der Inflationszeit bekam dann Hauptmann als einziger Fischer-Autor noch 20 %. Vgl. Mendelssohn: S. Fischer, S. 876 f. und 893. 118 Vgl. Verlagsvertrag zu »Amok« (22.2.1922) und die Kontrakte zu »Jeremias« und »Drei Meister« (beide 1919). Bei »Drei Meister ihres Lebens« (1928), »Fouchc« und »Heilungdurch den Geist« (1930) (alle GSA) ist der Passus dann zugunsten Stefan Zweigs abgeändert. 119 Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 2.3.1922 und A. Kippenberg an S. Zweig vom 7.3.1922 (LA). Die Erstauflage hatte Kippenberg inzwischen auf 6.600 Exemplare erhöht.
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag seinem literarischen Metier gefunden hatte, das er nun sehr sachkundig, detailgenau und dennoch spannend erzählt gestalten und variieren konnte, ohne die Assistenz seines Verlegers bei Themenwahl oder sprachlicher Ausführung in Anspruch nehmen zu müssen. Er legte in den folgenden, arbeitsintensiven Jahren kontinuierlich neue, beim Lesepublikum gefeierte Werke vor, die sich sehr gut verkaufen ließen und dank ihres geschäftlichen Erfolges auch seinen Verleger zufriedenstellten. Während sich bei anderen Hausautoren wie Rilke, Hofmannsthal oder Carossa oft Katharina Kippenberg in die Manuskriptdiskussion einschaltete, gibt es im Falle des Zweig-Werkes von ihr kaum derartige Äußerungen. Anton Kippenberg jedenfalls war sich bewußt, daß Zweigs der literarischen Tradition verpflichtetes und sehr spannend geschriebenes Œuvre gut verkäuflich war, eine Auseinandersetzung über inhaltliche oder stilistische Aspekte seiner Bücher - abgesehen von der stereotypen Mahnung des Verlegers, weniger Fremdwörter zu verwenden - auch von daher nicht nötig war. O b er Zweigs Werke auch geschätzt hat, bleibt im dunklen. In Anbetracht des vertrauensvollen Autor-Verleger-Verhältnisses hat die folgende, vom Zweig-Freund Erich Ebermayer überlieferte Anekdote jedenfalls einen schalen Beigeschmack. Als Anton Kippenberg im Februar 1933 bei einem Essen im Kreis der Gewandhausgesellschaft hörte, daß Stefan Zweig zusammen mit seinem Bruder Teilhaber der väterlichen Textilfabrik sei, tat er erstaunt und fragte »unter eigenem schallenden Gelächter« taktlos in die (daraufhin betreten schweigende) Runde: »Was? Hat Zweig noch eine Fabrik?« 120 U n d Katharina Kippenberg schrieb Rilke am 19. April 1926 beiläufig: »Die Welt liest augenblicklich keine Gedichte. Schlüssig beweist das ein so beliebter und gangbarer Autor (verzeihen Sie den Verlagsjargon, er ist hier rasch unterrichtend) wie Stefan Zweig, sein Amok, sein Kampf mit dem Dämon, seine Novelle in der Inselbücherei gehen wie die warmen Semmeln, vor seinen Gedichten wird halt gemacht, kaum ein Stück.« 121 Der Schriftsteller sprach in seinen Briefen nur selten über eigene Werke, und wenn, dann charakterisierte er sie lediglich in ein bis zwei Sätzen. Hermann Bahr etwa erinnert sich an eine »gewisse Verlegenheit... wenn man sich nach seinen Arbeiten erkundigte« und konstatiert, daß Zweig »viel lieber von Verhaeren oder Rolland sprach als von sich selbst, den er durchaus nicht so besonders wichtig zu nehmen schien.« 122 Anders dagegen im kollegialen Gespräch mit engen Schriftstellerfreunden. So weiß Carl Zuckmayer zu berichten, daß der Freund am liebsten über die Stoffgebiete sprach, die ihn gerade beschäftigten: »Es war eine Lust zuzuhören, was er da - auch hierin verschwenderisch - aus seinen abundanten Kenntnissen hervorsprudelte«. 123 1922 schrieb Stefan Zweig in einer Autobiographischen Skizze lapidar, daß er niemals versucht habe, sein literarisches Schaffen einzuschätzen: »Ich gebe, soviel ich kann - wieviel es taugt, das zu werten steht mir nicht zu.« 124 Gelegentliche Hinweise befreundeter Autoren (und mitunter auch von Anton Kippenberg), seine Prosatexte auf von Zeit zu Zeit spürbare stilistische Mängel wie zu häufig gesetzte Fremdwörter, Superlative und Adjektive hin durchzusehen und den »aufge120 121 122 123 124
Ebermayer: Denn heute gehört uns Deutschland, S. 23 f. Rilke - Katharina Kippenberg: Briefwechsel, S. 588. Weinzierl: Stefan Zweig, S. 28. Zuckmayer: Als war's ein Stück von mir, S. 52. Prater, S. 480.
3 . 2 Z w e i g als A u t o r des Insel-Verlages
p e i t s c h t e n Stil«, d e n » A m o k t o n « 1 2 5 a b z u s c h w ä c h e n , n a h m er j e d o c h j e d e r z e i t gerne auf. D i e s e ü b e r d e u t l i c h e n , überscharfen F o r m u l i e r u n g e n sollten s e i n e Inhalte für d e n Leser m ö g l i c h s t g u t verständlich w e r d e n lassen, v e r d e c k t e n aber z e i t w e i l i g seine e i g e n t l i c h e B o t s c h a f t hinter zuviel W o r t g e w a l t . I m Mai u n d J u n i 1922 beklagte sich Z w e i g , d u r c h d e n m e i s t r e i b u n g s l o s e n Arbeitsablauf i m Insel-Verlag v e r w ö h n t , in B r i e f e n u n d T e l e g r a m m e n über die verzögerte D r u c k l e g u n g seiner N o v e l l e n , 1 2 6 w o b e i er abermals s e l b s t b e w u ß t a u f seine literarischen Qualitäten wies: »Ich glaube, Sie unterschätzen ein wenig das Buch. Eine Novelle, die ich jetzt daraus veröffentlichte, hat bei den Besten so stark gewirkt wie nichts was ich bisher geschrieben.... Wenn ein Buch von mir, so wird dieses seinen raschen Erfolg haben. U b e r h a u p t habe ich die dunkle Ahnung, daß ich die Insel viel Papier für Neuauflagen im nächsten Jahr kosten werde.« 1 2 7 Victor Fleischer g e g e n ü b e r m a c h t e er s e i n e m U n m u t über die v e r z ö g e r t e H e r s t e l l u n g Luft: »Mit m e i n e m n e u e n Novellenband habe ich viel Ärger. Spamer war besetzt, so gab es die Insel in eine andere Druckerei [Bibliographisches Institut], die bis jetzt innerhalb acht W o c h e n kaum die Hälfte gesetzt hat. Ich bin w ü t e n d u n d m e h r als w ü t e n d u n d gedenke meinen seinerzeitigen Aufsatz Lob der Verleger öffentlich zu widerrufen.« 1 2 8 D a s Frans M a s e r e e l g e w i d m e t e B u c h m i t d e m ( z i e m l i c h dramatischen) Titel Amok. Novellen einer Leidenschaft erschien A n f a n g O k t o b e r als H e r b s t - u n d nicht, w i e ursprünglich geplant, als Frühjahrsnovität. Es enthält n e b e n e i n e m e i n f ü h r e n d e n G e dicht i n s g e s a m t f ü n f erotisch gefärbte u n d v o n S i g m u n d Freuds Psychoanalyse b e e i n f l u ß t e N o v e l l e n : Der Amokläufer, Die Frau und die Landschaft, Phantastische Nacht, Brief einer Unbekannten u n d Die Mondscheingasse. Als >äußeres Gewand< w ä h l t e m a n diesmal e i n e n H a l b l e i n e n b a n d u n d e i n e Erstauflage v o n 6 . 0 0 0 E x e m p l a r e n . 1 2 9 A u f W u n s c h des A u t o r s w u r d e a u ß e r d e m ganz >inselgemäß< e i n e V o r z u g s a u s g a b e in F o r m von 25 numerierten, handeingebundenen Exemplaren auf Bütten bzw. Pergament m i t G o l d s c h n i t t hergestellt. 1 3 0 D i e N o r m a l a u s g a b e kostete 7,-, die spätere H a l b l e derausgabe 10,- Mark. M i t der Publikation dieses Amok-Barides nahm Zweigs Novellenzyklus mit d e m Obertitel Die Kette (was s o w o h l »Last« als a u c h als »Verbindung« b e d e u t e n kann) Gestalt an. Jeder ist, s o der Autor, an d i e »Zwielichtfinsternisse«, »die U n t e r w e l t der 125 Die beiden letzten Formulierungen sind Brauns brieflicher Kritik am Essay »Mary Baker Eddy« (im Band »Heilung durch den Geist« von 1931) vom 14.2.1931 entnommen, zitiert nach: Daviau: The Friendship of Stefan Zweig and Felix Braun, in: Brücken über dem Abgrund, S. 317336, hier S. 329. 126 Vgl. S. Zweig an den Insel-Verlag vom 11.5.1922, 22.5.1922, Telegramm vom 8.6.1922 (GSA): »warum ist druck novellenbuches seit vierzehn tagen statt beschleunigt gaenzlich eingestellt zweig« und die beschwichtigenden Antworten des Insel-Verlages (F. A. Hünich), etwa vom 12.6.1922 (GSA). 127 S. Zweig an A. Kippenberg vom 5.6.1922 (IA). Die im Brief erwähnte Novelle ist vermutlich »Der Amokläufer«, die am 4. Juni 1922 in der »Neuen Freien Presse« vorabgedruckt worden war. 128 S. Zweig an V. Fleischer vom 9.6.1922 (DLA), vgl. auch S. Zweig an R. Auernhcimer vom 18.7.1922: »... die Insel [behelligt] mich seit Monaten mit Correcturen ..., ohne daß dieses nekkische Spiel des Hin- und Hersendcns bedruckter Bögen die Tatsache des Erscheines eines Buches zur Folge hätte.« The Correspondence of Stefan Zweig with Raoul Auernheimer, S. 83. 129 Vgl. Sarkowski 1951 und Insel-Verlag an S. Zweig vom 12.6.1922 (GSA). 130 Vgl. S. Zweig an den Insel-Verlag vom 23.3.1922 (GSA) und Sarkowski 1951 VA.
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag Leidenschaften« gekettet, egal ob sich der Erzähler ins Reich der Kindheit (Erstes Erlebnis - ab 1923 unter dem Reihentitel Die Kette. Ein Novellenkreis. Der erste Ring), in das des mittleren Lebensalters (Amok [...] Der zweite Ring) oder in das des Alters (Verwirrung der Gefühle [...] Der dritte Ring) begibt. 131 Auch für sein eigenes literarisches Schaffen gilt, was er von seinem Vorbild Verhaeren gesagt hatte: »Er betrachtete die Dinge nicht mehr vereinzelt, sondern erweiterte sie zu einer lebendigen Kette.« 132 Ausgehend von den Drei Meistern (1920), wo das Wesen des Schriftstellers als Typus herausgearbeitet wurde, entstanden neben der Kette weitere Trilogien (gemäß Zweigs Konzept der >Typologie des Geistes*) unter dem Oberbegriff Baumeister der Welt, die die Architekten der Geisteswelt anschaulich nebeneinander porträtieren sollten. 133 Der Schriftsteller versuchte also früh, sein dichterisches Schaffen zu organisieren, wobei ihm das Schreiben in Zyklen, das seiner Neigung zur Harmonisierung, Abrundung entsprach, sehr entgegenkam. In der Kurzbiographie Flüchtiger Spiegelblick (1927), abgedruckt in einem ihm gewidmeten Sonderprospekt des Insel-Verlages, schreibt der Autor zum Inhalt seiner novellistischen Reihe Die Kette dann ausführlicher: »Ich möchte in abgeschlossenen Kreisen je einen anderen Typus des Gefühls, der Leidenschaft, der Zeit und Alterszone in verschiedener Abwandlung deuten und durch Gestaltung zur Welt runden.« Auch der Titel des zweiten Novellenbandes aus dem Zyklus Die Kette präzisiert das Thema, das die fünf Einzelstücke jeweils variieren: das Ausgeliefertsein eines bisher alltäglich lebenden Menschen an eine monomanische Leidenschaft bis hin zur Selbstvernichtung. 134 Diese Hingabe der Protagonisten an ein starkes Gefühl führt aber gleichzeitig zu einem gesteigerten Erleben und einer vertieften Erkenntnis der Wirklichkeit. 1928 gestand Stefan Zweig dem Schriftstellerkollegen Rudolf Binding: »Psychologie, dargetan an Gestalten, das wird immer mehr meine Leidenschaft, und ich übe sie abwechselnd an realhistorischen und poetisch-imaginierten Objecten«. 135 Im Mittelpunkt seiner Novellen steht die »sich ereignete unerhörte Begebenheit« (Goethe), die dem Geschehen eine besondere Wendung gibt. Die nach dem Ersten Weltkrieg geschriebenen Erzählungen zeichnen sich dabei durch eine intensivere Sprache, ein schnelleres Tempo, die Ausrichtung auf Spannung und genauere Psychologisierung der Charaktere aus. Dabei bevorzugte Zweig die in der Tradition der realistischen Novelle des 19. Jahrhunderts stehende Konfrontation von Rahmen- und Binnenerzählung (meist als Rückblenden in Form von Lebensbeichten); ein Verfahren, das zur Objektivierung 131 Vgl. Sarkowski 1958,1951 und 1972 sowie Pfoser: Verwirrung der Gefühle als Verwirrung einer Zeit. In: Stefan Zweig 1881/1981, S. 12 f. 132 Prater, S. 197. 133 Die Trilogie »Baumeister der Welt« besteht aus folgenden Gliedern: »Drei Meister« (1920), »Der Kampf mit dem Dämon« (1925) und »Drei Dichter« (1928); die Dreiform ist ζ. B. auch in Heilung durch den Geist (1931) beibehalten. Das letztgenannte Buch fand diesmal auch den (dokumentierten) Beifall Katharina Kippenbergs. Sic schrieb dem Autor am 28. März 1931 (SUC), daß sie es »ausgezeichnet« finde, »in j e d e m Betracht eine große Leistung. Welcher der drei Figuren soll man den Vorzug geben? Freud ist vom Verstand aus vielleicht am besten geschildert, die Baker von der Psychologie.... Dann ist mir die große Gerechtigkeit aufgefallen, die Sie allen drei Helden gegenüber beweisen. Freud hat sich gewiß sehr über Ihre Arbeit gefreut, nicht wahr?« 134 Vgl. Klawiter: Novellen, S. 127 und Zelewitz: Stefan Zweig, S. 305. 135 Zweig: Briefe an Freunde, S. 191.
3.2 Z w e i g als A u t o r des Insel-Verlages
u n d D i s t a n z i e r u n g d e r erzählten Ereignisse beiträgt. Seine v o n Balzac, D o s t o j e w s k i u n d b e s o n d e r s v o n F r e u d s »Seelenwissenschaft« b e e i n f l u ß t e Prosa 1 3 6 d u r c h b r i c h t ähnlich w i e Schnitzlers W e r k - t h e m a t i s c h soziale u n d erotische T a b u s . I n s b e s o n d e r e sein Erzählband Amok, in d e m eine gesteigerte A n t e i l n a h m e , ein leidenschaftlicheres M i t f ü h l e n des Dichters s p ü r b a r ist, m a c h t e i h n in d e n zwanziger J a h r e n als S c h ö p f e r eines m o d e r n e n , psychoanalytisch u n t e r l e g t e n N o v e l l e n t y p u s b e k a n n t u n d beliebt. E n t s p r e c h e n d w e r t e t e n auch viele zeitgenössische R e z e n s e n t e n . O t t o Z a r e k f ü h r t e in der Neuen Rundschau aus: »Selten hat ein Buch mit dieser Klarheit und zugleich mit dieser Meisterschaft... den Urtypus der Novelle wieder aufgenommen, aber das Roh-Zufällige des Vorwurfs durch eine mystische Einbildungskraft ersetzt, wie der neue Novellenband Amok. ... Stefan Zweig schenkt uns ... ein Weltbild. Seine Gestalten gehen mit uns und neben uns, sind Du und Ich sehr lebenswahr.« 137 E b e n s o j e d o c h f i n d e n sich auch kritische S t i m m e n . H a n s J o a c h i m H o m a n n v o m Litterarischen Echo mißfiel der statt i n n e r e m M o n o l o g o d e r Dialog gewählte starre Erzählerbericht der zweiten »Serie«: »Diese Novellen sind nicht so lebensnah,... nicht so unmittelbar ergreifend wie die des ersten Bandes ..., doch wird man sie nicht als reine Literaturerzeugnisse abtun. ... Hier sind es nun Menschen auf der Höhe ihres Lebens, Menschen, denen ein Erlebnis, eine große Leidenschaft den Wendepunkt ihres Lebens - nach oben, nach unten - bringt.« 138 H e r m a n n Kesten b e f a n d : »Seine Prosa ist nachlässig, reich an Füllseln u n d schiefen Bildern«, 1 3 9 u n d E m m a n u e l bin G o r i o n v e r d a m m t e gar Z w e i g s gesamtes W e r k : » O b er Gedichte, N o v e l l e n o d e r Essays schreibt, es ist alles u n e c h t , u n r e i n ... v e r g i f t e t . . . n u r Reiselektüre«. 1 4 0 Stefan Z w e i g s Stil ist vor allem d u r c h die W i e n e r Schule geprägt, der A u t o r selbst b e n a n n t e H o f m a n n s t h a l u n d Rilke als seine wichtigsten (deutschsprachigen) literarischen Vorbilder. Seine N o v e l l e n bestachen u n d bestec h e n das n o c h h e u t e zahlreiche L e s e p u b l i k u m i n s b e s o n d e r e d u r c h i h r e n n o c h klassizistischen A u f b a u , v e r b u n d e n m i t einer s p a n n e n d e n , auf H ö h e p u n k t e hin d r ä n g e n d e n Sprachgewalt. Zweigs Amok-Band erwies sich jedenfalls rasch als sein erster großer P u b l i k u m s e r f o l g u n d b e g r ü n d e t e seinen w e l t w e i t e n R u h m . A m 29. D e z e m ber 1922, n u r drei M o n a t e nach d e m E r s c h e i n e n , w a r e n bereits 5.000 E x e m p l a r e des /4moA.'-Bandes verbreitet. 1 4 1 Z w a r s c h e u t e Stefan Z w e i g die A u f m e r k s a m k e i t der Ö f fentlichkeit, die sein E r f o l g mit sich brachte, d o c h verachtete er keineswegs seinen literarischen R u h m . E r ü b t e sogar scharfe Kritik an seinen Verlegern, falls sie seiner M e i n u n g nach bei W e r b u n g u n d Vertrieb günstige G e l e g e n h e i t e n u n g e n u t z t ließen. So fehlte beispielsweise u m W e i h n a c h t e n 1922 Amok in d e n Auslagen der W i e n e r S o r t i m e n t e , u n d Z w e i g klagte w i e d e r u m Victor Fleischer, daß die »Schlamperei« des Insel-Verlages ihn m i n d e s t e n s tausend E x e m p l a r e koste: »Die Insel erstickt in ihrer Noblesse, die f ü r u n s n i c h t sehr b e q u e m ist.« 142 In Wirklichkeit j e d o c h w a r d e r I n 136 137 138 139 140 141 142
Vgl. Klawiter: Novellen, S. 38, 58 f. und 91. Zarek: Amok, S. 670 f. Homann: Amok, Sp. 1306. Kesten: Stefan Zweig, S. 226. Zit. nach Prater, S. 74. Vgl. Insel-Verlag an S. Zweig vom 29.12.1922 (GSA). S. Zweigan V. Fleischer vom 29.12.1922, zitiert nach Prater, S. 206. Bereits zwei Wochen später, am 13.1.1923 (DLA), teilte er ihm dann wieder beruhigt mit, daß seine »Bücher sich in einem höchst angenehmen Bewegungszustand befinden.«
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag sel-Verlag in der Werbung vergleichsweise rege, gelegentlich im Vergleich zu Konkurrenzunternehmen sogar progressiv, wenngleich er natürlich nicht schwerpunktmäßig - und das war der Kern der Zweigschen Kritik - seine zeitgenössischen Autoren propagierte. Größere Werbekampagnen, wie Stefan Zweig sie immer wieder einforderte, waren Anton Kippenberg meist zu kostspielig und im Falle dieses ohnehin schon sehr populären Schriftstellers wohl auch nicht unbedingt erforderlich. Immerhin wurde für das >Zugpferd< Zweig regelmäßig mit Prospekten, Gesamtkatalogen und gelegentlichen Inseratkampagnen in Zeitungen und Zeitschriften geworben. Angefangen mit dem Novellenband Amok entwickelten seine Titel zudem rasch eine gewisse Eigendynamik und verkauften sich aufgrund des populären Autoren- wie Verlagsnamens bald ohne aufwendige Werbekampagnen äußerst erfolgreich. 143 Die im Kontext des populären Buches realisierten Zwei-Mark-Fünfzig-Biicher gingen ebenfalls auf eine Anregung Stefan Zweigs zurück. Äußerer Anlaß war ein ihm im August 1930 unterbreitetes »außerordentliches« Angebot des Knaur-Teilhabers Adalbert Droemers, von seinem bis dahin beim Insel-Verlag im 70. Tausend erschienenen Novellenband Amok auf dem Lizenzwege eine Volksausgabe zum Warenhauspreis von 2,85 Reichsmark herauszubringen. Der Th. Knaur Verlag lockte mit dem sehr hohen Honorar von 10.000,- Reichsmark für jedes Hunderttausend und einer Vorauszahlung für die ersten 250.000 Exemplare. Am 1. September 1930 unterrichtete Zweig seinen Verleger mit der nächsten Post von diesem großzügigen Vorschlag und riet ihm erneut zur verstärkten Herausgabe preiswerter Bücher in hoher Auflage im eigenen Hause. Im anderen Fall bitte er ihn erstmals und in aller Freundschaft um die Freigabe des Bandes für diese Sonderausgabe: 144 »Wenn also die Insel aus Prinzip ... es ablehnen sollte, Volksausgaben zu machen, so wäre das Gegebene, daß wir uns über die Verteilung diese Summe einigen und ich Knaur das Recht zu dieser Volksausgabe erteile, wobei Sie materiell nicht schlecht fahren würden und gleichzeitig das Prestige der Insel aufrecht halten, nicht in Volksausgaben in Konkurrenz zu treten. Ich unterbreite
Ihnen diesen Vorschlag mit der Redlichkeit und Offenheit, die immer in unseren Beziehungen gewaltet hat.«145 Gleich nach Erhalt dieses Briefes mußte Kippenberg Zweig telegraphisch oder fernmündlich signalisiert haben, daß er - nach anfänglichem Widerstreben - bereit sei, diese preiswerte ylmofe-Ausgabe zu wagen. Vermutlich dachte er mit der Publikation 143 Mitte April 1924 war, selbst in der Inflationszeit mit weitcrem Absatz gesegnet, das 20. Tausend von »Amok«, Mitte Februar 1925 schon das 30. ausgeliefert; im achten Jahr (1930) erreichte man schließlich das 70. Tausend. Die populären Novellen des »Amok«-Bandes wurden außerdem schon früh in zahlreiche Sprachen übersetzt, allein die Titelnovelle übertrug man in über 30 Sprachen und verfilmte sie mehrmals. Vgl. Insel-Verlag an S. Zweig vom 16.4.1924 und 11.2.1925 (GSA) und Sarkowski 1951. 144 Erinnert sei an die sich gleich nach dem Erscheinen Anfang November 1929 explosionsartig verkaufende Volksausgabe von Thomas Manns »Buddenbrooks« bei S. Fischer (besonders nach der Nobelpreisverleihung am 12. November 1929!) zum damals sensationellen Preis von 2,85 R M (statt bisher 17,- RM), die, ebenfalls angeregt durch ein Angebot Knaurs, nach erbittertem Widerstand S. Fischers, der dem Buchhandel einen solchen plötzlichen Preisverfall zunächst nicht zumuten wollte, im eigenen Haus realisiert wurde. Vgl. S. Fischer: Briefwechsel mit Autoren, S. 426-431, Mendelssohn: S Fischer, S. 1188-1194 und S. Fischer-Katalog, S. 369-373 und 383-386. 145 S. Zweig an A. Kippenberg vom 1.9.1930 (IA), s. a. A. Droemer an S. Zweig vom 30.8.1930 (Durchschlag im IA).
3.2 Zweig als Autor des Insel-Verlages des gerngelesenen Novellenbandes an den Erfolg des S. Fischer Verlages anzuknüpfen, der mit seinem Experiment der Buddenbrooks-Volksausgabe seit dem N o v e m b e r 1929 astronomische Verkaufszahlen erzielte, denn noch kurz zuvor, im September 1929, hatte er das für Zweig interessante Angebot zurückgewiesen, die Lizenz f ü r Erstes Erlebnis einer Buchgemeinschaft zu überlassen. 1 4 6 Bereits am 2. September 1930 w u r d e der Verleger von seinem Autor in gewohnter Weise mit konkreten DES Vorschlägen zu dem neuen Insel-Projekt, das er »Optimum« nennen wollte, >überschüttetHerr der Insel· 1925 »trotz guter Bücher« gegen eine Herausgabe, 332 um sein Verlagsprogramm weiterhin auf wenige zeitgenössische Autoren zu konzentrieren. Dieses Argument, das in Kippenbergs Korrespondenz mit seinem literarischen Berater öfter zu lesen ist, ist nicht von der Hand zu weisen, denn die Förderung weniger zeitgenössischer Autoren bedeutet natürlich umgekehrt mehr Engagement und (auch materielle) Unterstützung für den einzelnen in Verlag genommenen Schriftsteller. Dennoch hätte es sich der Verleger durchaus erlauben können, gelegentlich von dieser elitären und wenig risikofreudigen Haltung abzuweichen, denn sein klassischer, auch in Krisenzeiten gut verkäuflicher Programmschwerpunkt hätte ihm eine mäzenatische Unterstützung einzelner vielversprechender, wenn auch vielleicht nicht absatzträchtiger Dichter bestimmt gestattet. Deutlich wird seine sehr vorsichtige Einstellung gegenüber der Gegenwartsliteratur auch am Beispiel des bei expressionistischen Anfängen später sachlich-realistisch schreibenden, an Völkerfrieden und Versöhnung appellierenden Dramatikers und Erzählers Fritz von U n r u h , den Stefan Zweig ihm im Dezember 1929 wiederholt ans Herz legte. Der bisher beim Frankfurter Societätsverlag verpflichtete, mit zahllosen Bühnenaufführungen und hohen Buchauflagen als einer der bedeutendsten deutschen Dichter der Weimarer Republik geltende U n r u h suchte laut Zweig, der den ehemaligen preußischen Offizier schon im Berlin der Vorkriegsjahre kennengelernt und dann im November 1917 als geläuterten, kämpferischen Pazifisten im Schweizer Exil wiedergetroffen hatte, 333 einen Verlag, »zu dem er innerlich ganz gehört«. 334 Kippenberg wog in seiner Antwort das Für und Wider ab:
531 S. Zweigs an K. Kippenberg vom 26.8.1929 (IA). 532 Vgl. S. Zweigan A. Kippenberg vom 9.4.1915,28.8.1920 und 21.9.1925 sowie A. Kippenberg an S. Zweig vom 1.10.1925 (LA). Von Wilhelm Schmidtbonn erschien nur »Der kleine Wunderbaum« als IB Nr. 410 (1930) bei der Insel. 533 Vgl. Zweig: Welt von Gestern, S. 314 und die sehr herzlichen, freundschaftlichen Tagebucheintragungen Zweigs zu Fritz von U n r u h vom 16. und 18. November 1917, Zweig: Tagebücher, S. 261 und 264. 534 S. Zweig an A. Kippenberg vom 2.12.1929 (IA).
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag »Einerseits trage ich Bedenken, in einer Zeit wirtschaftlicher Depression und angesichts einer wirtschaftlich völlig ungewissen Z u k u n f t den Insel-Verlag mit einer größeren Anzahl von bereits erschienenen Büchern zu belasten ...; andererseits aber auch würde ich unehrlich sein, wenn ich nicht offen sagte, daß ich zu einem Teil der letzten Werke von Fritz von U n r u h kein inneres Verhältnis habe, womit über die Qualität der Bücher natürlich nichts ausgesagt werden soll. ... O b es mir möglich sein wird, mich für die neuen Werke von Fritz von U n r u h ... einzusetzen, müßte ich von der Lektüre der neuen Werke abhängig machen. W e n n also Herr von U n r u h mir das Drama und den Roman nach der Fertigstellung zur Lektüre senden will, so kann ich nur versprechen, beides mit der Sorgfalt und dem Anteil zu lesen, die die Werke eines Dichters von solchem Rang in jedem Falle verdienen.« 535
Bereits drei Tage nach diesem Brief wandte sich der Verlagsleiter auch persönlich an den damals bei Zweig in Salzburg zu Besuch weilenden Fritz von U n r u h ; ein Indiz dafür, daß er wirkliches Interesse an diesem Dichter hatte: »Herr Dr. Zweig hat die Güte gehabt mir mitzuteilen, daß Sie beabsichtigen, das Verhältnis zu Ihren bisherigen Verlegern nicht fortzusetzen und Ihre Bücher künftig einem anderen Verlage anzuvertrauen. Es ist natürlich, daß Herr Dr. Zweig, dem immer u m den Insel-Verlag auf das wärmste und freundschaftlichste Bemühten, der Gedanke kam, ob der Insel-Verlag nicht dieser künftige Verlag sein könnte. Ich möchte Ihnen heute, aus der Ferne, nur zum Ausdruck bringen, daß ich mich f ü r Ihre werdenden Bücher, über die H e r r Dr. Zweig mir schrieb, außerordentlich interessiere, und mich sehr freuen würde, näheres darüber von Ihnen zu hören. Am liebsten wäre es mir, gelegentlich einmal mit Ihnen mündlich darüber zu sprechen. ... Eine Verbindung zwischen Ihnen und dem Insel-Verlag würde ja gleichsam eine Ehe bedeuten, und es ist wohl recht, daß Menschen, die eine dauernde Verbindung miteinander eingehen wollen, sich zunächst einmal kennen lernen und aussprechen.« 536
Die angestrebte Verlagsverbindung ist trotz all dieser Anstrengungen 5 3 7 schließlich nicht zustande gekommen. Bereits um die Jahreswende 1929/30 hatte der Verleger seinem Freund zu bedenken gegeben: »Sie wissen, wie sehr dankbar ich Ihnen stets für das warme Interesse bin, das Sie am Insel-Verlag weit über das engere Verhältnis hinaus, in dem Sie zu ihm stehen, nehmen«, dennoch halte er es auch im Falle des Dichters U n r u h nicht für ratsam, »a//zuviel zeitgenössische Autoren zu haben«, um dadurch letztlich »für weniger mit allem Nachdruck eintreten zu können«. 538 Der Ankauf der bisher beim Frankfurter Societätsverlag erschienenen Unruh-Titel hätte viel Kapital in einer wirtschaftlich unsicheren Zeit gebunden, so daß hier vermutlich wieder einmal kaufmännische Argumente, die Kippenberg stets gerne in den Vordergrund rückte, über die ideellen gesiegt hatten. Dabei könnte der abschlägige Bescheid vielleicht noch einen anderen, Zweig gegenüber wohlweislich verschwiegenen Grund haben: U n r u h s radikalpazifistische Grundhaltung, die sich in seinem Werk niederschlug und wohl kaum mit dem deutschnationalen Standpunkt des hochdekorierten Etappenoffiziers Kippenberg vereinbar war. Auch den Ende März 1930 von Zweig empfohlenen sozialistischen Autor Werner Türk, »einen der begabtesten der jungen Talente«, 539 lehnte Anton Kippenberg An-
535 A. Kippenberg an S. Zweig vom 4.12.1929 (IA). 536 A. Kippenberg an F. von Unruh vom 7.12.1929 (GSA). 537 Vgl. F. von Unruh, Salzburg, Hotel Österreichischer Hof, an S. Zweig vom [Dezember 1929] (SUC) und F. von Unruh, Berlin, Bellcvuestr. 6, an A. Kippenberg vom 6.2.1930 (GSA). 538 A. Kippenberg an S. Zweig vom 7.12.1929 (IA). 539 S. Zweigan A. Kippenberg vom 24.3.1930 (IA). Zur Biographie des 1901 in Berlin geborenen Schriftstellers, der nach 1933 in die Tschechoslowakei, später nach Norwegen und schließlich nach England auswanderte, vgl. Proletarisch-revolutionäre Literatur 1918-1933, S. 324 f.
3.3 Zweig als Vermittler zeitgenössischer Autoren fang April ab, da seine Bücher nicht ins Programm der Insel paßten. 540 Hier wird abermals seine wenig risiko- und experimentierfreudige Verlagspolitik in Hinblick auf zeitgenössische, außerhalb des >Insel-Kanons< stehende Dichter, seine Zurückhaltung besonders gegenüber expressionistischen und linksbürgerlichen Autoren deutlich. Zwar erschienen im Laufe der Jahre immer wieder Einzeltitel verschiedenster linksorientierter Schriftsteller (Johannes R. Becher, Leonhard Frank, Heinrich Mann, Martin Andersen Nexö und Carl Sternheim) bei der Insel, doch handelte es sich dabei meist u m eher isoliert stehende, unpolitische Bücher. Alles in allem blieb der Insel-Verlag trotz gutgemeinter Interventionen besonders von Stefan Zweig (und bis 1914 auch von Alfred Walter Heymel) und einiger kurzlebiger Experimente doch eher ein Verlag für das konservative, an Klassikern und Klassikern der Moderne interessierte Bildungsbürgertum und weniger für eine avantgardistisch orientierte Leserschaft. Uberraschend ist aber, daß sich Anton Kippenberg selbst in seiner u m fangreichen Korrespondenz mit seinem befreundeten Außenlektor nicht eingehender zu seinen literarischen oder verlagspolitischen Auswahlkriterien äußerte. In Zweigs Korrespondenz mit Katharina Kippenberg in jenen letzten Jahren vor der nationalsozialistischen »Machtergreifung« erscheinen noch zwei weitere aufschlußreiche Autorenhinweise, auf die abschließend eingegangen werden soll. Z u m einen berichtete er ihr am 5. Mai 1930 von dem erst 24jährigen Walter Bauer, einem »ungeheuer interessanten, ganz jungen Dichter ..., der ... als Volksschullehrer in einem kleinen Dorf im Harz lebt, nachdem er zuvor Arbeiter in den Leuna-Werken gewesen ist« und bei Kaden & Co. in Dresden ein Gedichtbuch Kameraden, zu euch spreche ich veröffentlicht hat. Jetzt habe er ein neues Manuskript von ihm vorliegen, ein Gedichtbuch Das Leuna-Werk, »erstaunlich in seiner Menschlichkeit, ungewöhnlich stark in der Empfindung«. Zwar halte er diese Literatur für zu »proletarisch-sozialistisch« für den Insel-Verlag, doch glaube er, daß in Bauer »eine große Zukunft« 3 4 1 stecke und empfahl der Verlegerin den neuen Gedichtband auf das herzlichste. Am selben Tag noch wandte er sich auch an den jungen Autor und ermunterte ihn in seinem weiteren Schaffen »Lassen Sie sich nur nicht mundtot machen von dem Schweigen um Ihr erstes Buch, da werden wir schon nachhelfen.... Seien Sie sicher, ich halte Ihre Angelegenheit in fester Hand. Ich habe schon lange nicht mit solcher Überzeugtheit für Gedichte und für einen Dichter eintreten können als für Sie und will es zunächst wegen Ihres neuen Buches unterirdisch tun, ehe ich es öffentlich anzeige, denn es handelt sich darum, zunächst einen Verleger zu finden (was unbedingt gelingen wird) und Ihre Existenz auf das Sichere zu stellen.« 542
Der heute weitgehend vergessene Dichter Walter Bauer, am 4. November 1904 als fünftes Kind einer Merseburger Arbeiterfamilie geboren, ging nach der Ausbildung zum Volksschullehrer, Hilfstätigkeiten in verschiedenen Berufen sowie einigen Semestern Germanistik in Halle in den dreißiger Jahren in verschiedenen mitteldeutschen Dörfern und Industrieorten seinem Lehrerberuf nach. In seiner knapp bemessenen Freizeit war er intensiv schriftstellerisch tätig. Schon seine ersten Bücher, kämpferische Verse und Prosa des gerade Fünfundzwanzigjährigen, erregten Aufse-
540 Vgl. A. Kippenberg, Wiesbaden, Hotel Rose, an S. Zweig vom 8.4.1930 (SUC). 541 S. Zweigan Κ. Kippenberg vom 5.5.1930 (LA). 542 Vgl. Günter Hess: Walter Bauer and Stefan Zweig: The Literary and Personal Relationship, in: Der Wanderer, S. 23-34, Zitat S. 24.
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag hen bei etablierten Schriftstellerkollegen wie Hesse, Tucholsky und Stefan Zweig, denn sie waren ein neuer T o n in der Dichtung, Zeichen des Durchbruchs einer jungen literarischen Generation. Im Erinnerungsaufsatz Freundschaft mit Stefan Zweig schreibt Bauer über das Zustandekommen des Briefkontaktes mit dem bewunderten 48jährigen Dichter, 543 aus dem sich bald eine während der ersten Jahre des Dritten Reiches intensivierte und von ihrer gemeinsamen humanistischen Grundhaltung getragene Freundschaft entwickeln sollte: »Dr. H.[ünich] vom Insel-Verlag, mit dem ich bekannt geworden war, bat mich, das Buch an Stefan Zweig zu schicken, der für junge Menschen, die ihren ersten Flügelschlag versuchten, eine großherzige Aufgeschlossenheit habe.... Nie werde ich diesen ersten Brief vergessen, nie den schönen Z u g der leichten, beschwingten Schrift violettfarbener Tinte. Er war ein Zuruf, ein Schlag auf die Schulter: Ich bin da und werde für dich dableiben. Sei meiner sicher, ich werde meine Augen auf dich gerichtet halten. Wenn du Hilfe brauchst - man ist auf der Erde, u m einander zu helfen.« 544
Katharina Kippenberg schrieb Zweig in ihrer Antwort, daß sie Walter Bauers Werk durch Fritz Adolf Hünich kenne, der sich auch schon mit ihm getroffen habe: »Ich finde ihn auch sehr hoffnungsfroh und wir haben ein Auge auf ihn.« 545 Bauers zweites Buch Stimme aus dem Leunawerk erschien jedoch, ohne daß sich das Ehepaar Kippenberg in der Zwischenzeit (nachweislich) um ihn bemüht hätte, noch im gleichen Jahr (und vermutlich mit Zweigs Schützenhilfe) im kommunistischen wie linksbürgerlichen Autoren offenen Berliner Malik-Verlag 546 - für dieses Buch sicher ein adäquateres Umfeld als der elitäre Insel-Verlag. Den von Zweig gleichfalls geschätzten Erstlingsroman Ein Mann zog in die Stadt (1931) veröffentlichte, nachdem Malik abgelehnt hatte, der renommierte Berliner Kunst- und Literaturverlag Bruno Cassirer. 547 Der Publikation vorausgegangen war eine Einladung des Verlages, für den von Max Tau und Wolf von Einsiedel herausgegebenen Band Vorstoß. Prosa der Ungedruckten (1930), der noch nicht veröffentlichte Prosa bisher unbekannter deutscher Autoren sammeln sollte, Manuskripte einzusenden. Unter den fast 2.000 eingegangenen Arbeiten von etwa 600 Autoren wurden schließlich elf Beiträge von acht Autoren veröffentlicht, darunter Walter Bauers Erzählung Der Dieb:548 Hieraus ergab sich für Bauer eine neue Verlagsbindung, die bis 1935 dauern sollte. Trotz breiter Anerkennung seiner Bücher blieb aber der erhoffte finanzielle Erfolg aus, so daß er nicht daran denken konnte, den ungeliebten Brotberuf aufzugeben. Am 20. April 1932, beinahe zwei Jahre nach Zweigs erstem Hinweis, hatte Anton Kippenberg dann doch ein kurzes Einladungsschreiben an den Autor nach Halle gerichtet. 549 Bei diesem nachmittäglichen Kaffeebesuch sprach man zwar über die Möglichkeit, Bauers zukünftiges Werk beim Leipziger Insel-Verlag unter Vertrag zu nehmen, doch wurden in der nächsten Zeit weder vom Autor, der noch an den »jüdischen« Verlag Bruno Cassirer gebunden war, noch von den Kippenbergs weitere
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543 Vgl. W. Bauers devoten Dankesbrief an S. Zweig vom 28. April 1930 (SUC) 544 W. Bauer: Freundschaft mit Stefan Zweig, in: Vierzigjahre Kiepenheuer 1910-1950, S. 172. 545 K. Kippenberg an S. Zweig vom 16.6.1930 (IA). Am 18.6.1930 (IA) erinnerte Zweig K. Kippenberg nochmals an Walter Bauer. 546 Vgl. Zweig: Briefe an Freunde, S. 384. 547 Vgl. Sarkowski: Bruno Cassirer. In: Imprimatur N. F. 7 (1972), S. 125 f. 548 Vgl. Walter: Liebe zu Deutschland, S. 436. 549 Vgl. A. Kippenberg an W. Bauer vom 20.4.1932 (GSA).
3.3 Z w e i g als Vermittler zeitgenössischer Autoren Schritte hin zu einer vertraglichen B i n d u n g u n t e r n o m m e n . 3 5 0 Im Mai 1934 u n d damit etwa ein Jahr, bevor alle seine vor 1933 erschienenen Bücher wegen ihrer sozialistischen T e n d e n z von den Nationalsozialisten verboten wurden, 5 3 1 wandte sich Walter Bauer trotz politischer Vorbehalte 3 3 2 nochmals an den >Herrn der Insel< u n d berichtete i h m von seiner Absicht, sich von B r u n o Cassirer »in gütlicher Vereinbarung« f ü r seine »künftigen Arbeiten zu trennen«. Er bat ihn daher »um eine vertrauliche u n d unverbindliche Ä u ß e r u n g darüber«, ob er daran interessiert sei, seine Bücher (bei Z a h l u n g monatlicher Abschlagszahlungen) in Z u k u n f t herauszugeben. Er plante, wie er schrieb, einen »nicht u n b e d e u t e n d e n Gedichtband sozialer Lyrik« u n d »um die Jahreswende einen n e u e n Roman«. 3 3 3 In Anbetracht der zu erwartenden kulturpolitischen Repressionen bei der Herausgabe eines sozialistisch orientierten Autors fiel Kippenbergs Antwort n u n negativ aus, wobei er darauf verzichtete, seine (eigentlichen) Beweggründe brieflich zu b e n e n n e n : »So gern ich vor einem Jahr bereit war, für den Fall, daß Sie Ihre Verbindung zum Verlage Bruno Cassirer nicht fortzusetzen wünschten, Ihr Werk zu betreuen und Ihnen die Möglichkeit ungestörten Arbeitens auf längere Sicht zu geben, so sehr bedauere ich nun, Ihnen sagen zu müssen, daß mir das zurzeit nicht möglich ist. Unsere Inanspruchnahme ist außerordentlich stark und insbesondere habe ich mit einer Reihe von Autoren längere Verträge abgeschlossen, sodaß ich mich nicht entschließen kann, zurzeit den Kreis der Autoren des Insel-Verlages zu erweitern.« 334 Bauers humanistische, n u n aber weitgehend apolitische Bücher, die er zwischen 1933 u n d 1945 in verschiedenen deutschen Verlagen veröffentlichen konnte, w u r d e n von der nationalsozialistischen Buchzensur (nach jeweiliger M a n u s k r i p t p r ü f u n g durch die Reichsschrifttumskammer) j e d o c h nicht angetastet; in den Literaturzeitungen fanden sich nicht selten sogar wohlwollende Besprechungen. 3 3 3 Walter Bauer wäre also f ü r den Insel-Verlag in j e n e n dunklen Jahren kein allzugroßes Risiko gewesen. Des weiteren wies Stefan Z w e i g die f ü r angloamerikanische zeitgenössische Literatur sehr aufgeschlossene Verlegergattin im August 1931 noch auf die meist in C h i n a lebende amerikanische Romanschriftstellerin Pearl S. Buck hin, deren Roman The Good Earth, »ein herrlicher R o m a n aus d e m heutigen China«, 3 3 6 im gleichen Jahr bei T h e J o h n Day C o m p , in N e w York erschienen war. Z w a r hatte sich Katharina Kippenberg diese umfangreiche N e u e r s c h e i n u n g bestellt, 337 aber bislang noch keine Zeit f ü r die Lektüre g e f u n d e n . Bei einem weiteren Salzburgbesuch Anton Kippenbergs im April 1932 erinnerten Friderike u n d Stefan Z w e i g nochmals an diesen vielversprechenden R o m a n u n d gaben i h m sogar ihr eigenes Exemplar mit nach Leipzig. Katharina Kippenbergs Dankesbrief v o m 28. April 1932 barg d a n n leider trotzdem eine schlechte Nachricht.
550 Vgl. dazu W. Bauer an O . Röders vom 26.1.1976 und 29.6.1975, Bauer: Liebe zu Deutschland, S. 442 und 436. 551 Liste 1 des schädlichcn und unerwünschten Schrifttums, S. 13. 552 Vgl. Prater, S. 273. 553 W. Bauer, Halle, Paul Berckstr. 44, an A. Kippenberg vom 15.5.1934 (GSA). 554 A. Kippenberg an W. Bauer vom 18.5.1934 (GSA). 555 Vgl. Der Wanderer, S. 41-55. 556 S. Z w e i g a n K. Kippenberg vom 22.8.1931 (IA). 557 Vgl. K. Kippenberg an S. Zweig vom 2.9.1931 (IA).
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag Die Übersetzung von The Good Earth war der Insel knapp entgangen. Die Verlegerin hatte den Roman, da sie stark beansprucht war, einem Mit-Lektor zur Prüfung gegeben, »also«, wie sie Zweig gegenüber ausführte, »Ihren seinerzeit so dringend ausgesprochenen Rat« befolgt, »möglichst viel Mit-Lektoren zu haben.« Nach dem erneuten Mahnen des Ehepaares Zweig haben ihr Mann und sie dann den Roman mit wachsender Begeisterung gelesen, sich zur Aufnahme in die Insel entschieden und sofort nach Amerika gekabelt - zu spät. Die Lizenz für die deutschsprachige Ubersetzung war bereits an den Zinnen-Verlag (Basel) vergeben worden, wo er im darauffolgenden Jahr erschien. »Gott«, so Katharina Kippenberg abschließend, »wenn zehn Lektoren sich zehnmal in dieser Weise irrten: das würde eine schöne Insel werden. Ich schicke Ihrer Gemahlin das Buch zurück und danke herzlich mit einem nassen und einem trockenen Auge.« 558 Pearl S. Buck erhielt für ihren Roman noch 1932 den angesehenen Pulitzerpreis und 1938 auch den Nobelpreis für Literatur. Die deutsche Übertragung wäre demnach auch für den Insel-Verlag ein ebenso honorables wie lukratives Unterfangen gewesen. Diese nicht zustande gekommenen Verlagsbindungen - entweder entsprachen sie von vornherein nicht dem Profil des Verlages, waren nicht rentabel oder mußten nach 1933 abgebrochen werden - sind gleichwohl sehr aufschlußreich, offenbaren sie doch Auswahlentscheidungen, jenen unverzichtbaren Bestandteil jeder verlegerischen Arbeit, der oft zugunsten der realisierten Projekte vergessen wird.
3.4
Zweig als Initiator neuer Buchprojekte für die Insel
3.4.1
Von »Flugschriften für 20 Pfennig« zur »Insel-Bücherei« (1912)
Außer der Vermittlung zeitgenössischer Autoren leistete Stefan Zweig viel weitere Verlagsarbeit für die Insel. In der Sekundärliteratur wird bis heute vor allem sein Anteil an der Gründung der populären Insel-Bücherei (kontrovers) diskutiert. Der erste, mit dem Dichter befreundete Zweig-Biograph Erwin Rieger schrieb 1928, daß diese Reihe aufgrund eines Vorschlags des Verlagsautors entstanden sei. 559 Diese Feststellung findet sich auch in anderen Darstellungen, so in neuerer Zeit beispielsweise in Friedrich Michaels Aufsätzen über den Insel-Verlag, einer Rede Siegfried Unselds (1987) oder ebenso in der überarbeiteten Neuauflage des Lexikons des gesamten Buchwesens (1991). 560 Vielfach wird Stefan Zweig aber auch nur als einer der geistigen Mitschöpfer der Insel-Bücherei bezeichnet, 561 oft spricht man dann Anton Kippenberg den Hauptanteil an der Realisierung dieser epochemachenden, preiswerten Buchserie zu. 562 Daß dieser Streit um geistiges Eigentum, vor allem aus der Distanz 558 K. Kippenberg an S. Zweig vom 28.4.1932 (IA). 559 Vgl. Rieger: Stefan Zweig, S. 206 und Bauer: Stefan Zweig, S. 29. 560 Vgl. Michael: Leser, S. 202, Unseld: 75 Jahre Insel-Bücherei, S. 14 und den Artikel zur »InselBücherei« von K. Gutzmer im Lexikon des gesamten Buchwesens. 2., völlig neubearbeitete Auflage, Bd. 3 (1991), S. 628. 561 So Herbert Kastner im Vorwort zu: 75 Jahre Insel-Bücherei 1912-1987, S. VII, vgl. auch Prater, S. 57. 562 Vgl. Jonas: Anton Kippenberg, Verleger der Insel-Büchcrei, S. 7-22, U n r u h : »Der Geist des ewig Gegenwärtigen«, S. A 373 und Johann: Die deutschen Buchverlage des Naturalismus, S. 76. Schon Katharina Kippenberg bezeichnete die »Insel-Bücherei« als »Lieblingsschöpfung« ihres Mannes. Vgl. Navigare necesse est, S. 14.
3.4 Z w e i g als Initiator neuer Buchprojekte von Jahrzehnten, schwierig zu entscheiden ist, zeigt schon die Tatsache, daß sich auch Alfred Walter H e y m e l später im Freundeskreis als Initiator der Insel-Bücherei bezeichnet hat. In Kippenbergs Brief an H e y m e l v o m 1. März 1911 trifft m a n auf folgende bedeutsame Stelle, die (neben Heymels) auch Zweigs Anteil an der P r o jektdiskussion aufzeigt, obwohl sie nicht verrät, ob tatsächlich er die erste Anregung f ü r die Buchreihe gegeben hatte: »Ich habe eine schöne Arbeit f ü r Dich«, teilte Kippenberg seinem F r e u n d u n d Verlagsmitbegründer in diesem Z u s a m m e n h a n g mit, »die Dir Freude machen wird. Wie ich Dir schon sagte, möchte ich Dreißig-Pfennig-Bücher des Insel-Verlages herausgeben, dessen erstes eine Anthologie aus einigen Gedichtbüchern, die bei uns erschienen sind, bildet. Nun hat Zweig, der mir sehr energisch für diese Bändchen zugeredet hat, mir mitgeteilt, wie er sich die Auswahl denkt. Ich sende Dir die Auswahl anbei. Würdest Du wohl auch Deinerseits sorgfältig prüfen, was Du vorschlägst? Ich will dann als Dritter meinen Senf dazugeben. An die Anzahl brauchst Du Dich so genau nicht zu halten. Ich glaube, es können überhaupt einige weitere noch hinein, namentlich von Rilke.«563 In der Welt von Gestern hat sich Z w e i g d a n n erstmals eindeutig zu dieser Frage geäußert: »So ist die Insel-Bücherei, die m i t ihren vielen Millionen Exemplaren gleichsam eine gewaltige Weltstadt u m d e n ursprünglich e l f e n b e i n e r n e n Turm< gebaut u n d die Insel z u m repräsentativsten d e u t s c h e n Verlag gemacht hat, auf einen Vorschlag von m i r entstanden.« 3 6 4
Dieter Schöttker allerdings bemerkt in Hinblick auf Zweigs Exilsituation einschränkend: »ob freilich Z w e i g s B e h a u p t u n g , daß die Idee zur Insel-Bücherei von i h m selbst stamme, wie er in seiner Autobiographie... schrieb, ist niemals bestätigt w o r d e n , hat ihre U r s a c h e vielleicht aber auch in einer Verbitterung des A u t o r s gegenüber seinem einstigen Verleger, der sich mit d e n Nazis scheinbar arrangiert hatte u n d d e m er sich d e n n o c h eng v e r b u n d e n fühlte.« 3 6 5
D o c h auch Friderike Maria Z w e i g bezeichnete ihren verstorbenen M a n n im Brief an Anton Kippenberg von Anfang August 1947 als Initiator der Reihe 5 6 6 u n d erntete damit den energischen Widerspruch seines langjährigen Verlegers: »In einem Punkt aber muß ich Sie berichtigen. Die Insel-Bücherei geht keineswegs auf Stefan Zweig zurück, sondern war von mir längst geplant und auch im einzelnen schon bedacht, ehe ich mit ihm über die Zusammenstellung der ersten Reihe sprach oder korrespondierte. Aber an dem Ausbau der Sammlung hat er immer den lebhaftesten Anteil genommen.« 567 Der Blick in ihre Autor-Verleger-Korrespondenz zwischen 1909 u n d 1912 kann jetzt bis zu einem gewissen Grad klären, welchen entscheidenden Beitrag Stefan Z w e i g bei der B e g r ü n d u n g der Insel-Bücherei tatsächlich geleistet hat. 3 6 8 Bereits am 23. N o v e m b e r 1909, wenige Tage nach einer ausführlichen Besprechung mit seinem Verleger in Leipzig, 569 entwickelte er i h m brieflich einen Plan, »Flugschriften f ü r 20
563 Schuster, Sp. 433. Die erwähnte Auswahl ist nicht erhalten, die geplante lyrische Anthologie wurde nicht realisiert. 564 Zweig: Welt von Gestern, S. 198. 565 Schöttker: Politik unterm Buntpapier, S. 60. 566 Vgl. F. M. Zweig an A. Kippenberg vom 3.8.1947 (DLA). 567 A. Kippenberg an F. M. Zweig vom 21.8.1947 (DLA). 568 Prater bezeichnet Zweigs Aussage, er sei der Initiator der Reihe, aufgrund des ihm vorliegenden Archivmaterials als unmöglich zu belegen (vgl. Prater: Insel-Bücherei, S. 7), doch kannte er beim Abfassen des Aufsatzes den im Frankfurter Insel-Archiv aufbewahrten Briefwechsel zwischen Zweig und Kippenberg nicht. 569 Vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 15.11.1909 (IA).
3 Stefan Z w e i g beim Leipziger Insel-Verlag Pfennig« sechs- bis zwölfmal im Jahr erscheinen zu lassen u n d darin »selbständige, teils abgedruckte, teils ungedruckte Arbeiten« zeitgenössischer Autoren wie beispielsweise Rilkes Gedichtband Die weiße Fürstin, ein D r a m a von H o f m a n n s t h a l , eine Novelle von Ernst H a r d t u n d von i h m selbst einen ungedruckten Einakter zu veröffentlichen, »um so den Kontakt gerade I h r e r m o d e r n e n D i c h t e r mit d e m P u b l i k u m herzustellen, das Exclusive auszugleichen mit d e m P o p u l ä r e n . . . . Erschienen sie monatlich u n d sind sie wie ich vorschlug u n t e r m i s c h t auch m i t u n b e k a n n t e n oder w e n i g b e k a n n t e n W e r k e n Ihrer lebenden Autoren, so verlieren sie das Prospekthafte u n d t u n ihre W i r k u n g , o h n e daß m a n ihre Absicht erkennt. Ich bin überzeugt, daß Ihr Verlag d a d u r c h einen ganz u n g e h e u e r l i c h e n A u f s c h w u n g n e h m e n w i r d (ich w ü r d e jederzeit m e i n e n guten G l a u b e n selbst d u r c h eine finanzielle Beteiligung beweisen), daß vor allem die A u t o r e n ... davon profitieren w e r d e n , u n d daß die a n d e r e n m o d e r n e n A u t o r e n diesen Vorteil e r k e n n e n d , n o c h engeren Anschluß an d e n Verlag suchen werden.«570
Er f ü h r t e also sowohl kommerzielle als auch literarische G r ü n d e an, die Kippenberg z u m Aufgreifen dieser erfolgversprechenden Buchidee bewegen sollen, die nach Zweigs Intention insbesondere als Publikationsmöglichkeit f ü r zeitgenössische A u toren dienen sollte. Als H e f t N r . 1 schlug er i h m die schon angesprochene »lyrische Lese« vor, f ü r N r . 2 arabische M ä r c h e n aus Tausendundeiner Nacht, f ü r N r . 3 Lutherbriefe, weiterhin Cervantes-Novellen, Heinse, Wieland, Balzac, Verhaeren u n d anderes mehr. D a m i t traf er das b u n t e P r o g r a m m der späteren Reihe schon ziemlich genau. Er rechnete mit 30.000 A b o n n e n t e n bei einem Jahrespreis der Serie von 2,Mark, bei einzelnen H e f t e n gar mit bis zu 100.000 abgesetzten Exemplaren - ein Beleg dafür, daß sich seine Verlagsarbeit bei weitem nicht in reinen Autoren- u n d Manuskripthinweisen erschöpfte, sondern bis in kalkulatorische u n d buchhandelsspezifische Detailfragen ging. Anton Kippenberg reagierte erst am 3. Januar 1910: »Mit Recht mahnen Sie mich an die Bearbeitung Ihres Briefes über die Insel-Flugblätter. Er ist nicht verloren gegangen, liegt vielmehr unter dem zunächst zu Erledigenden. Aber ich habe beim besten Willen noch nicht die Zeit finden können, mich näher damit zu befassen, in der allernächsten Zeit wird es aber geschehen.«571 Mitte Februar 1910 traf dann die langersehnte, wie i m m e r pragmatische, aber z u gleich nüchtern-abwägende Antwort des Verlegers zu den »Fugschriften« in Wien ein: »Die Flugschriften. Diese Frage habe ich m i r n u n sehr reiflich überlegt u n d ich bin entschlossen, den Plan a u s z u f ü h r e n . W i r haben, wie Sie mit Recht schreiben, Stoff f ü r viele Jahre, u n d da unsere P r o d u k t i o n beständig bleiben wird, wahrscheinlich f ü r i m m e r . Ich s t i m m e m i t I h n e n ferner darin überein, daß m a n aus ganzem H o l z schneiden u n d monatlich ein H e f t bringen soll. D e r Titel Der Monat endlich ist m i r recht sympathisch. N u n k o m m t aber die wichtige Frage der Ausstattung, u n d da wäre m i r Ihre M e i n u n g w ü n s c h e n s w e r t . ... Welches F o r m a t ? Ich denke ein kleines längliches Oktav. U m die Ausstattung d e n k e ich H e r r n [Emil R u d o l f ) Weiß a n z u g e h e n . N u n d ü r f e n wir freilich die Sache nicht überstürzen. Sie m u ß sehr sehr sorgfältig überlegt, auch b e i m Erscheinen des ersten H e f t e s das gesamte P r o g r a m m f ü r d e n ersten J a h r g a n g bereits mitgeteilt w e r d e n . ... U n d so wollen wir d e n S o m m e r über in aller
570 S. Zweig an A. Kippenberg vom 23.11.1909 (IA). - Eine finanzielle Beteiligung Zweigs an der »Insel-Bücherei« oder gar am gesamten Leipziger Verlagsuntcrnehmen hat es jedoch niemals gegeben. 571 A. Kippenberg an S.Zweig vom 3.1.1910 (LA), am 30.12.1909 (IA) hatte ihn Zweig abermals u m Antwort in dieser Sache gebeten.
3.4 Zweig als Initiator neuer Buchprojekte Ruhe arbeiten, etwa im August die Ankündigung versenden, und am 1. Oktober mit dem ersten Heft herauskommen.« Er schloß diesen Brief mit einem Satz, der nicht nur den Erfolg der entgegen dem zitierten Zeitplan erst zwei Jahre später unter dem Namen Insel-Bücherei herauskommenden Serie andeutet, sondern zugleich Zweigs Initiative bei diesem Projekt bestätigt: »Ich möchte Ihnen nochmals aufrichtig danken für die wertvolle Anregung, die Sie mir, wie in vielen Dingen, besonders in dieser wichtigen Sache gegeben haben.« 572 Die Herausgabe der Prospektserie zögerte sich jedoch, ohne daß Zweig den Grund erfuhr, weiter hinaus, so daß er sich Anfang Januar 1911 genötigt sah, das Erscheinen oder zumindest die Ankündigung der Reihe anzumahnen, besonders da inzwischen andere Verlage ähnliche Pläne ins Auge gefaßt hatten: »Und es könnte dann leicht den Anschein haben, als wären Sie es, der imitiert.« 573 Nach wiederholten energischen Aufforderungen, mit den »Inselblättern ernstlich zu beginnen«, schrieb Stefan Zweig dann ein Jahr später, am 3. Januar 1912: »Was ist mit den Inselblättern? Ich fürchte beinahe, der schöne Plan ist zunichte geworden.« 574 Die zwei Tage später abgesandte Replik des Verlegers zeigt jedoch, daß der Vorschlag seines Autors in der Zwischenzeit sorgfältig durchdacht und in modifizierter Form realisiert worden war: »Nein, Sie irren, der Plan der Insel-Hefte ... ist mitten in der Verwirklichung. Darüber kurz vertraulich das Folgende: Die Sammlung heißt: Insel-Bücherei. Es erscheinen einzelne Hefte im Format des Insel-Almanachs ... in Fraktur gedruckt, im Umfang von 3-5 Bogen ..., die 30 Pfennig kosten. Das vorläufige Programm der ersten 20 Hefte sende ich Ihnen anbei und würde mich sehr freuen, Ihre Meinung darüber zu hören.« Als erstes Heft plante Kippenberg, Hofmannsthals dramatisches Fragment Der Tod des Tizian herauszubringen, gefolgt von einer Gedichtauswahl oder Novelle von Rilke und später auch von Verhaeren-Gedichten. Auch zur vorgesehenen Autorenvergütung äußerte er sich: »Das Honorar für diese Bändchen kann natürlich nur gering sein; für je 10.000 Exemplare könnten M. 150,- gezahlt werden. Aber ich denke, da ich mit einem sehr großen Absatz rechne, daß doch für Verhaeren und Sie allerlei dabei herausspringt.«575 Am 11. März 1912 teilte er Zweig zur Honorarfrage ergänzend mit, daß er nun für Dichter und Ubersetzer insgesamt 300,- Mark zahlen könne, da inzwischen aufgrund höherer Autorenhonorare und besserer Ausstattung der Bändchen »aus den gehefteten 30 Pfennig-Büchern gebundene 50 Pfennig-Bände« 176 geworden seien. U n d Ende März ließ er ihn bitten, seine Verhaeren-Übertragung möglichst bald einzusenden, da aufgrund der momentanen Popularität Emile Verhaerens in Deutschland die Gedichte unbedingt in der ersten Serie der Insel-Bücherei erscheinen sollen. Bis Ende April hatte Zweig die notwendigen Streichungen in seiner Ubersetzung vorgenommen, um den geplanten Umfang des Bändchens nicht zu überschreiten, und am 14. Mai wurde der Vertrag zwischen Verhaeren und ihm einerseits und dem Insel-Verlag andererseits unterzeichnet (zwei Drittel des Honorars von 300,- Mark pro 10.000 Exemplare gingen demnach an Verhaeren). Die Gedichtaus-
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A. Kippenberg an S. Zweig vom 17.2.1910 (LA). S.Zweig an A. Kippcnbergvom4.1.1911 (IA), ähnlich auch am 13.2.1911 und 11.10.1911 (LA). S. Z w e i g a n A. Kippenberg vom 3.1.1912 (LA). Α. Kippenberg an S. Zweig vom 5.1.1912 (LA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 11.3.1912 (LA).
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag wähl Hymnen an das Leben erschien dann wie vorgesehen als IB N r . 5 [1] Anfang Juli 1912, bis 1931 waren 60.000 Bändchen verkauft. 577 Doch bereits auf Kippenbergs Januarankündigung der »Insel-Hefte« reagierte Zweig, das Erscheinen der Serie freudig begrüßend, rasch mit detaillierten Autoren- und Titelvorschlägen - eine Praxis, die sich in den nächsten 25 Jahren nachweislich als fester Bestandteil in ihrer Korrespondenz niederschlagen sollte. 578 Für die ersten Bände wünschte er sich eine stärkere Betonung des »amüsanten, novellistischen« und riet, nicht zuviel Goethe-Titel und stattdessen vielleicht lieber Heinrich Manns moderne Novelle Die Branzilla hinzuzunehmen, denn »es handelt sich doch darum, die ersten zwanzig möglichst farbig zu gestalten«. Statt altdeutscher Gedichte plädierte er für »etwas Exotisches und für das große Publikum reizvolleres« 579 wie etwa »chinesische Sachen«, Cervantes oder Dickens und statt ohnehin weitverbreiteter Mörike-Gedichte für Lyrik von Christian Friedrich Hebbel. 580 Aufhorchen läßt Zweigs Vorschlag zu Rainer Maria Rilke im selben Brief: »Zu N u m m e r 2, Rilkes Novellen möchte ich doch raten, von Axel Juncker die prachtvollen Geschichten vom Cornet Rilke zu erwerben, die ja im U m f a n g ideal in den Rahmen passen würden.« 581 Diese Anregung deckt sich erstaunlich genau mit Kippenbergs Bestreben, Rilkes verstreut erschienenes Frühwerk bei der Insel zu vereinen, wobei er sich schon seit 1909 auch u m die Freigabe des 1906 bei Juncker in einer einmaligen Auflage von 300 Exemplaren herausgekommenen und sich mehr schlecht als recht verkaufenden Comet bemüht hatte. Aufgrund verlagsrechtlicher Unklarheiten zögerten sich die Verhandlungen Kippenbergs mit Juncker jedoch bis zum Januar 1912 hinaus. Am 5. Januar unterrichtete Kippenberg dann auch Rilke über die »Dreißig Pfennig-Bücher« und schlug ihm, der »natürlich vor allem vertreten sein« müsse, »entweder die zweite der Prager Geschichten oder aber eine knappe Auswahl Ihrer Gedichte auf 40 Seiten« 582 zur Veröffentlichung vor. Vom Cornet als preiswerte Ausgabe war in der Korrespondenz zwischen Rilke und Kippenberg damals noch nicht die Rede, wohl aber intern. Denn unabhängig von Stefan Zweig setzte sich damals auch Alfred Walter Heymel dafür ein, Rilkes Comet für die Insel zu gewinnen, 583 war doch auch bei diesem außergewöhnlichen Prosastück unter dem Dach des renommierten Insel-Verlages endlich auf einen besseren Absatz zu hoffen. Am 15. Januar 1912 teilte Rilke seinem Leipziger Verleger auf dessen Schreiben hin zustimmend mit, »daß ... die Idee, den Comet in den FiinfzigPfennig-Büchem zu bringen, bei mir stark eingeschlagen hat: ich fände, nichts könnte besser am Platze sein, und sehe einen, der sich lärmend freut: Heymel.« 584
577 Vgl. Sarkowski, S. 500. 578 Der Briefwechsel verrät viele Beispiele Zweigs als Anreger, Berater und Mitarbeiter der »InselBücherei«, von denen eine beträchtliche Anzahl so oder in abgewandelter Form erschienen. Einige werden im Laufe des Kapitels noch zur Sprache kommen, eine detaillierte Aufstellung seiner Vorschläge aber würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 579 Im [Juli] 1912 (IA) riet er Kippenberg: »Sie sollten weniger Dinge bringen, die schon zu viele Leute besitzen ... und mehr curiose und auch seltene Dinge.« 580 S. Zweig an A. Kippenberg vom 8.1.1912 (IA). 581 S. Z w e i g a n A. Kippenberg vom 8.1.1912 (IA). 582 Insel-Almanach auf das Jahr 1974, S. 57 f. 583 Vgl. R. M. Rilke an A. Kippenberg vom 22.9.1911, Rilke: Briefe an seinen Verleger, S. 140. 584 Rilke, S. 160.
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte E n d e Januar endlich konnte Kippenberg seinem Autor die frohe Kunde übermitteln, daß J u n c k e r den Cornet n u n doch f ü r 400,- Mark definitiv aufgebe u n d er - vielleicht bestärkt oder gar angeregt d u r c h die M a h n u n g e n seiner literarischen Berater H e y m e l u n d Z w e i g - dieses Prosagedicht unbedingt in die »50 Pfennig-Serie« a u f n e h m e n wolle. Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke war zwar von einem kleinen Kreis von K e n n e r n lobend zur Kenntnis g e n o m m e n w o r d e n , ein bedeutender Umsatzerfolg versprach er hingegen w o h l auch im Insel-Verlag nicht zu werden, d e n n die Erstausgabe lag n u n schon sechs Jahre zurück. D e n n o c h gab der Verleger dieser bisher v o m P u b l i k u m weitgehend verschmähten D i c h t u n g die Chance, als Band N r . 1 am Anfang der neugeschaffenen Insel-Bücherei zu stehen. Von der am 2. J u n i 1912 erschienenen wohlfeilen, aber sorgfältig ausgestatteten Ausgabe w u r d e n in den ersten W o c h e n tatsächlich schon 8.000 Exemplare verkauft; noch im selben Jahr m u ß t e n 20.000 Exemplare nachgedruckt w e r d e n 5 8 5 - insgesamt also ein i m m e n ser Verkaufserfolg, der die Erwartungen des Autors wie des Verlegers bei weitem überstieg. Bereits am 23. Mai 1912 war auf der vorderen Umschlagseite des Börsenblattesfür den Deutschen Buchhandel die erste Anzeige der Insel-Bücherei erschienen, die d e m Sortimentsbuchhandel die ersten zwölf Bändchen für Anfang J u n i ankündigte. Im kurz zuvor verschickten, ausführlichen Rundschreiben an den Buchhandel heißt es w e i ter, daß der Insel-Verlag nicht beabsichtige, »mit bestehenden verdienstvollen S a m m l u n g e n in Wettbewerb zu treten«, ferner »nicht einen Rekord der Billigkeit aufstellen« wolle. Im Gegensatz zu bestehenden Serien wollte diese Reihe Weltliteratur in nuce bieten u n d so zur weiteren Lektüre anregen, wobei m a n (der Verlagstradition gemäß) editorisch sehr sorgfältig arbeitete. So w u r d e nicht n u r die H e r a u s gabe u n d K o m m e n t i e r u n g der Bändchen von Kennern der jeweiligen literarischen Texte ü b e r n o m m e n , sondern der Verlag betrachtete die Arbeit an d e n Büchern auch nach ihrem Erscheinen nie als abgeschlossen, ü b e r n a h m Überliefertes nicht ungeprüft, sondern revidierte u n d suchte i m m e r nach noch besseren, lesefreundlicheren Losungen. N i c h t m i n d e r bemerkenswert aber war die gediegene buchkünstlerische Gestaltung der Reihe. M i t ihrem bis z u m heutigen Tage beibehaltenen bibliophilen Buntpapier-Uberzug, gedruckt auf beständigem holzfreien Papier, solide gebunden, in künstlerischer Ausstattung individuell gestaltet u n d doch sichtbar einer Reihe zugehörig, unterschied sie sich augenfällig von den bestehenden, einfach aufgemachten Serien, die lediglich Lesestoff boten. Der gleich nach Auslieferung der ersten Inselbändchen einsetzende Verkaufserfolg gab Kippenbergs Konzept recht. Bereits am 4. Juli 1912 konnte er d e m Initiator Z w e i g nach Wien berichten: »So weit ich sehe, wird die Insel-Bücherei mit außerordentlicher Sympathie a u f g e n o m m e n . Der Buchhandel hat bisher - innerhalb 14 Tage nach Versendung des Rundschreibens - nahezu 20.000 Bände fest bestellt. Ich glaube, wir w e r d e n schnell durchdringen.« 5 8 6 Bis August 1912 war innerhalb der Insel-Bücherei bereits das erste H u n d e r t t a u s e n d abgesetzt, im F r ü h j a h r 1913 zählte m a n schon 375.000 Bände, im März 1914 die erste Million, im Juli 1919 f ü n f Millionen u n d 1937 20 Millionen abgesetzte Exemplare - ein beispielloser Erfolg. Dabei bot die neue, heftig beworbene Reihe schon in den ersten J a h r e n ihres Bestehens ein buntes Kaleidoskop an Titeln. Z u m einen brachte man - ganz in Zweigs 585 Vgl. Die Insel, S. 140. 586 A. Kippenberg an S. Zweig vom 4.6.1912 (LA).
3 Stefan Z w e i g beim Leipziger Insel-Verlag Sinne - zeitgenössische Autoren des In- u n d Auslandes: neben Rilke beispielsweise Rudolf Binding (etwa mit seiner sehr erfolgreichen Novelle Der Opfergang), H u g o von H o f m a n n s t h a l , Ricarda H u c h , H e i n r i c h M a n n , J o h a n n e s Schlaf u n d Stefan Zweig, dazu Björnson, Daudet, Flaubert, Gogol, Jacobsen, Strindberg, T i m m e r mans, Tolstoj, van de Velde, Verhaeren, Wilde; z u m anderen eine ganze Reihe Titel aus vergangenen J a h r h u n d e r t e n : Balzac, Boccaccio, Bürger, Cervantes, Goethe, Hebbel, Hölderlin, Kant, Lichtenberg, Jean Paul, Plato, Schopenhauer, Ulenspiegel, die schöne Magelone, Lieder der Edda, H a n s Sachs, M ä r c h e n , Sagen u n d kleinere historische Werke. N e b e n der Weltliteratur präsentierte die Insel-Bücherei, das m u ß betont werden, j e d o c h v o r n e h m l i c h die bereits im Verlag bewährte neuromantische D i c h t u n g u n d betrat damit (im Gegensatz etwa zu Kurt Wolffs expressionistischer Reihe Der jüngste Tag) verlegerisch eigentlich kein N e u l a n d . Bis heute ist die InselBücherei keine Bibliothek der N e u e r s c h e i n u n g e n , vielleicht aber gerade deshalb so rasch v o m Lesepublikum a n g e n o m m e n w o r d e n . Der nachhaltige Erfolg von Kippenbergs Buchserie, die bald ein Prestigeobjekt w u r de, ermöglichte n u n eine Mischkalkulation nicht n u r innerhalb der Reihe, sondern auch im gesamten Verlagsprogramm. Bei aller Eigenständigkeit w u r d e die Insel-Bücherei so rasch zu einem Abbild des gesamten Verlagsschaffens, zu einem Mikrokosm o s innerhalb des Makrokosmos Insel-Verlag. Es überrascht daher nicht, daß die Insel-Bücherei in U m f a n g , F o r m a t u n d Textauswahl bald auch Vorbild f ü r weitere Buchreihen wurde, so f ü r d e nJüngsten Tag,5S1 die v o m K i p p e n b e r g - N e f f e n u n d f r ü heren Betreuer der Insel-Bücherei, (Max) Christian Wegner, bei Albatross herausgegebene Modern Continental Library (ab 1932), 588 die jüdische Schocken Bücherei (19331938), die Forum-Bücherei (1938/39), die Piper-Bücherei, die bei Langen-Müller publizierte Kleine Bücherei sowie die schöngeistige Bertelsmann-Reihe Das Kleine Buch (ab 1932), wobei die drei letztgenannten die spätere T a s c h e n b u c h - K o n k u r r e n z nicht überlebt haben. Die eingangs gestellte Frage nach d e m Anteil Stefan Zweigs an der G r ü n d u n g der Insel-Bücherei soll an dieser Stelle nochmals aufgegriffen w e r d e n . D e r z ü n d e n d e G e danke, mit Hilfe einer preiswerten Buchserie die W e r b u n g des Insel-Verlages insbesondere f ü r seine zeitgenössischen Autoren zu verstärken, s t a m m t - trotz Kippenbergs wiederholter D e m e n t i s nach 1945 - eindeutig von ihm. 5 8 9 Wieder einmal hatte sich Z w e i g - wie in so vielen Verlagsdingen - als idealer Gesprächspartner erwiesen, mit einem genauen Blick f ü r den Verkaufswert u n d die -chancen literarischer P r o dukte u n d ihre optimale Vermarktungsmöglichkeit. Er ist also, wie die hier erstmals
587 N i c h t von u n g e f ä h r war K u r t W o l f f a n w e s e n d , als im J a n u a r 1912 der Plan der Insel-Bücherei bei A n t o n K i p p e n b e r g b e s p r o c h e n w u r d e , vgl. G ö b e l : D e r K u r t W o l f f Verlag, Sp. 575. 588 Z u r Biographie (Max) Christian W e g n e r s (1893-1965), der nach Buchhandelsgehilfenzeit u n d E r s t e m Weltkrieg als Prokurist (ab 1919) ü b e r z e h n J a h r e die »Insel-Bücherei« betreut, 1931 d e n rasch b e k a n n t g e w o r d e n e n Albatross-Verlag (mit Sitz in Leipzig u n d H a m b u r g ) g e g r ü n d e t u n d als G e s c h ä f t s f ü h r e r geleitet hatte u n d w e n i g e J a h r e später a u c h die L e i t u n g des Leipziger Tauchnitz-Verlages, der sich inzwischen m i t Albatross vereinigt hatte, ü b e r n e h m e n k o n n t e , vgl. Pressler: T a u c h n i t z u n d Albatross, S. A 1-A 10. 589 Z w e i g s A n s p r u c h , die erste A n r e g u n g zur G r ü n d u n g gegeben zu haben, m u ß angesichts der erstmals v e r ö f f e n t l i c h t e n Briefquellen also keineswegs dahingestellt bleiben, wie G e r h a r d u n d Margarete J o n a s n o c h 1995 in i h r e m Aufsatz »Anton K i p p e n b e r g (1874-1950) u n d die InselBücherei« a u f S . 18 schreiben.
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte präsentierten B r i e f d o k u m e n t e bestätigt haben, unbestreitbar der Schöpfer der InselBücherei. Seine schon 1909 ausgesprochene u n d i m m e r wieder ungeduldig in E r i n n e r u n g gerufene A n r e g u n g w u r d e von Kippenberg schließlich aufgegriffen u n d im G e d a n k e n austausch mit Freunden, Verlagsmitarbeitern, Buchkünstlern u n d Autoren unter Ausweitung des thematischen Schwerpunktes auf das ganze Spektrum des Verlages im Laufe von fast drei J a h r e n zur Insel-Bücherei weiterentwickelt. Zweigs gewichtiger Beitrag an diesem Lieblingsprojekt Kippenbergs sollte aber keinesfalls, wie des öfteren in der Sekundärliteratur geschehen, verschwiegen werden. R u f t m a n sich n o c h mals Anton Kippenbergs Brief an Friderike Z w e i g von 1947 ins Gedächtnis, so wird n u n augenscheinlich, daß der Verleger sich in späteren Jahren (auch) in bezug auf die Insel-Bücherei mit Lorbeeren geschmückt hat, die eigentlich Z w e i g zugestanden hätten. Von der Projektidee abgesehen hat der Schriftsteller aber gleichermaßen durch zahlreiche Autoren- u n d Titelvorschläge das Gesicht der Insel-Bücherei fast ein Viertelj a h r h u n d e r t h i n d u r c h mitgeprägt. Schon Ende J u n i 1912 schickte er d e m Insel-Verlag eine Adressenliste f ü r Rezensionsexemplare (u. a. scheinen Felix Braun, Julius Bab, H e r m a n n Bahr, H e n r i Guilbeaux, H e r m a n n Hesse, Ernst Lissauer, Walter von Molo, Alfons Petzold, Franz Servaes, J o h a n n e s Schlaf, Berthold Viertel u n d Paul Z e c h auf), von denen er glaubte, daß sie tätig f ü r dieses neue Projekt einträten. A u ßerdem erwähnte er im selben Brief den Plan, zur möglichst flächendeckenden Propaganda »an j e d e n Buchhändler in Deutschland ein Exemplar zu schicken«. Der Verlag allerdings bemerkte daraufhin lapidar: »Unsinn, die Leute haben so bestellt.« 390 Darüber hinaus half Stefan Z w e i g im Laufe der Jahre bei der Korrektur von Taines Balzac in der U b e r s e t z u n g von E. von Krauss (IB N r . 63 [1]), regte den (schon im Kontext Schaeffer) erwähnten n e u e n Hebbel-Auswahlband (IB N r . 59 [1]) an u n d veranlaßte die A u f n a h m e von zwei zusätzlichen Gedichten, prüfte die Z u s a m m e n setzung von Bürgers Liebesliedern (IB N r . 86 [1]) u n d gab Hinweise f ü r das N a c h wort. 3 9 1 Auf seinen Hinweis v o m Juli 1912 hin erschienen ferner Goethes Briefe an Auguste von Stolberg (IB N r . 10). Aufsätze von Jacob G r i m m kamen 1914 als IB N r . 120 Uber die deutsche Sprache u n d Uber den Ursprung der Sprache heraus, u n d auch sein Autorenhinweis Arnold Ulitz w u r d e im IB Band N r . 411 mit d e m Titel Boykott. Scharlach. Zwei Schülernovellen noch 1930 realisiert. 592 Zweigs E m p f e h l u n g einer N o velle von Balder O l d e n f ü r die Insel-Bücherei v o m D e z e m b e r 1932 dagegen ist, aus vordergründig formalen G r ü n d e n (»gewiß gut, aber f ü r die Insel-Bücherei doch ein wenig d ü n n , u n d z u d e m sagte ich Ihnen schon, daß O l d e n nicht genug N a m e n hat, als daß ich ihn in der Insel-Bücherei durchsetzen könnte«), bei d e m links stehenden Schriftsteller, der wenig später in die Tschechoslowakei emigrieren sollte, vielleicht auch aus politischen Erwägungen, nicht verwirklicht worden. 5 9 3 Im Januar 1913, n u r ein gutes halbes Jahr nach E i n f ü h r u n g der Insel-Bücherei, verwies Stefan Z w e i g in seinem Lob der deutschen Verleger nochmals auf die elitären G r ü n dungsjahre des Insel-Verlages u n d bewertete aus der Retrospektive heraus insbesondere das Erscheinen dieser n e u e n wohlfeilen, aber doch bibliophil gestalteten Reihe
590 591 592 593
S. Zweig an den Insel-Verlag vom 30.6.1912 (GSA), zitiert nach Prater: Inscl-Büchcrei, S. 9 f. Vgl. Prater, S. 10. Vgl. S. Z w e i g a n Α. Kippenberg vom [Juli 1912], 29.7.1912, 19.5. und 26.5.1930 (LA). Vgl. Prater: Insel-Bücherei, S. 13 f.
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag mit Recht als bemerkenswerten Schritt der >Insel< auf dem Weg hin zu einem der wichtigsten belletristischen deutschen Verlage, wobei er als literarischer Berater und Freund der Verlagsleitung einen nicht zu unterschätzenden Anteil an dieser gedeihlichen Entwicklung hatte: »Er [der Insel-Verlag] war ursprünglich gegründet als der elfenbeinerne T u r m aller Erlesenheiten, als H ü t e r der u n n a h b a r s t e n artistischsten Literatur u n d hat als erster (mit Schuster & Loeffler, v o n d e m er abzweigt) b e g o n n e n , auch das Außere, die H e r s t e l l u n g u n d Ausstattung des B u c h e s w i e d e r als eigene K u n s t zu betrachten. ... Bedeutsam aber f ü r die ganze deutsche Literatur ist er erst d a d u r c h g e w o r d e n , daß er diese wertvollen E r r u n g e n s c h a f t e n nicht n u r d e n kostbaren W e r k e n vorbehalten, s o n d e r n k l e i n g e m ü n z t hat, daß v o n der M ü h e , deren Kosten zuerst die Snobs bezahlt haben, die Resultate heute auch den wohlfeileren Ausgaben zuteil w e r d e n . D i e Z w e i m a r k - u n d F ü n f z i g p f e n n i g - B ü c h e r d e r Inselbücherei, die eine A b breviatur seines geistigen Weltbildes geben sollen, tragen die Erkenntnis, daß ein schönes W e r k auch schöne F o r m verlangt, h e u t e in die weitesten Kreise ,..« 594
Auch in seinem Beitrag Wille zur Universalität innerhalb der Kippenberg-Festschrift Navigare necesse est (1924) würdigte er diese auch dank seiner Ideen bis heute populärste Verlagsreihe nochmals mit eindringlichen und seither oft zitierten Worten, ohne sich allerdings als Spiritus rector erkennen zu geben: »Die Insel-Bücherei, die billigste Bibliothek schenkt, was an Kostbarem in J a h r e n gespart u n d gesammelt ward, an die Millionen: hier beginnt der Insel-Verlag, der aristokratisch angefangen u n d es im Sinne d e r H a l t u n g bis h e u t e geblieben ist, d u r c h die T a t demokratisch zu w e r d e n . Aus d e m e l f e n b e i n e r n e n T u r m ist die ganze deutsche Erde g e w o r d e n , in j e d e r F u r c h e , i n j e d e m H a u s r u h t n u n irgend so ein farbiges Korn, ein solches Inselbändchen: zur Universalitat des Gestaltens ist j e t z t auch die Universalität der W i r k u n g g e k o m m e n , das Erfassen nicht n u r des einzelnen Lesers, s o n d e r n der ganzen großen deutschen Gesamtheit.« 5 9 5
Z u m Ausklang dieses Kapitels soll nun auch Stefan Zweig als Autor der Insel-Bücherei zur Sprache kommen. Es überrascht, daß sein erstes Inselbändchen Brennendes Geheimnis (IB N r . 122) erst ziemlich spät, genauer im Frühjahr 1914 erschienen ist, obwohl der Schriftsteller bereits im Juli 1912 seinem Verleger gestanden hatte: »Ich käme natürlich auch gern, sehr gern in diese Serie, an der ich doch meinen Anteil habe.« In diesem Brief hatte er an einen bisher unveröffentlichten Einakter erinnert, der, »käme er in diese Bibliothek - ein großer litterarischer Erfolg sein könnte.« 596 Gemeint war sein für Joseph Kainz skizzierter Einakter Der verwandelte Komödiant, »ein federleichtes Spiel aus dem Rokoko mit zwei eingebauten großen lyrisch-dramatischen Monologen«, 597 der in Velhagen & Klasings Almanach [auf das Jahr] 1912 erstmals abgedruckt worden war. Kippenberg jedoch lehnte die Veröffentlichung innerhalb der Reihe aus zwei (recht fadenscheinigen) Gründen ab, einmal wolle er »Erstdrucke für die Insel-Bücherei überhaupt nicht aufnehmen«, und zudem sei »der Einakter für die Insel-Bücherei doch aus allzufeinem Holz geschnitzt«. Stattdessen schlug er ihm vor, eine Anthologie seiner Gedichte für diese Serie zusammenzustellen. 598 Dennoch wurde auch dieser Lyrikband vorerst nicht realisiert, da die Insel594 595 596 597
Zweig: Lob der deutschen Verleger, S. 574. Zweig: Wille zur Universalität. In: Navigare necesse est, S. 159 f. S. Z w e i g a n A. Kippenberg von [Ende Juli 1912] (IA). Zweig: Welt von Gestern, S. 202. Der tragische T o d Kainz' wenige Wochen nach der Vereinbarung mit Zweig machte das Vorhaben allerdings zunichte, vgl. Prater, S. 75-77. 598 Α. Kippenberg an S. Zweig vom 24.7.1912 (IA). Zwar erschien »Der verwandelte Komödiant« 1913 als luxuriöses Kleinoktav (Halbpergament mit Goldschnitt) (Sarkowski 1971), aber nicht, wie Zweig gewünscht hatte, innerhalb der »Insel-Bücherei«.
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte Bücherei, so der Verleger im O k t o b e r 1913 zu seinen strengen Auswahlkriterien, »Abgeschlossenes, in irgend einem Sinne Klassisches bringen« solle, bei zeitgenössischer Lyrik wolle er d e m n a c h keine Auswahl herausgeben, sondern n u r Gedichte, die »eine bestimmte Einheit bilden«. 599 D a er aber weiterhin betonte, gerne etwas »Abgeschlossenes« von Stefan Z w e i g in der Serie a u f n e h m e n zu wollen, schlug i h m der b e f r e u n dete Autor vor, die Novelle Brennendes Geheimnis aus d e m 1911 publizierten Erzählband Erstes Erlebnis gesondert als Inselbändchen erscheinen zu lassen. 600 Im D e z e m ber 1913 lag Kippenbergs Antwort dazu vor, die trotz prinzipieller Z u s t i m m u n g w i e d e r u m aufschiebend ausgefallen war: »Das Brennende Geheimnis f ü r die Insel-Bücherei wird leider zu lang w e r d e n ; etwa sechs Bogen. W e n n die Bände einen solchen U m f a n g haben, tragen sie kein H o n o r a r , u n d das kann ich I h n e n wieder nicht z u m u t e n . Eventuell m ü ß t e m a n eine andere Novelle n e h m e n . Aber welche? A n sich wäre natürlich das Brennende Geheimnis das beste.« 6 0 1
Zweig, der nach anderthalb J a h r e n der Diskussion endlich auch mit einem eigenen Titel in der von ihm initiierten u n d geförderten Insel-Bücherei vertreten sein wollte, akzeptierte n u n ungeduldig ein durch die umfangsbedingt erhöhten Herstellungskosten reduziertes, z u d e m erst ab d e m 11. Tausend ausgezahltes H o n o r a r von 100,Mark, 6 0 2 was beinahe einer Titelmitfinanzierung gleichkam. Dieses Beispiel macht erneut deutlich, daß Z w e i g nicht in erster Linie nach einer möglichst h o h e n T a n t i e m e trachtete, sondern daß es i h m gelegentlich wichtiger war, einen bestimmten Titel überhaupt beim Insel-Verlag gedruckt zu sehen. N o t a b e n e sollte sich die Erzählung Brennendes Geheimnis als IB N r . 122 [1] (1914) in den nächsten J a h r e n so gut verkaufen (1932: 170. Tsd.), daß Autor wie Verleger bald auf ihre Kosten kamen. Ebenfalls auf einen Zweigschen Vorschlag hin erschien 1927 ein weiteres Inselbändchen, 6 0 3 das beim Lesepublikum noch größere Resonanz als seine populären Essays, Biographien u n d Novellen finden u n d überhaupt zu Zweigs (bis heute) populärstem Einzeltitel u n d internationalem >Longseller< avancieren sollte: Sternstunden der Menschheit. A m 29. M ä r z 1927 berichtete der Autor seinem Verleger erstmals von d e m Vorhaben, schon erschienene historische Essays in novellistischer F o r m (auf russische A n r e g u n g hin) in einem Band zu vereinen, »fünf große weltgeschichtliche Augenblicke, beinahe dramatisch dargestellt... f ü r die Insel-Bücherei... ein durchaus gangbares u n d repräsentatives Buch.« 6 0 4 Kippenberg stimmte diesmal u m g e h e n d u n d in seiner wie so oft auf Goethe verweisenden Diktion zu, wobei er das i h m eigene Organisationstalent u n d seinen »praktischen Idealismus« 6 0 5 verdientermaßen auch
599 A. Kippenberg an S. Zweig vom 13.10.1913 (LA). »Ausgewählte Gedichte« von Zweig erschienen erst 1931 als IB N r . 422. 600 Vgl. S. Zweigan A. Kippenberg vom 15.10.1913 (LA). 601 A. Kippenberg an S. Zweig vom 9.12.1913 (IA). 602 Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 11.12.1913 und A. Kippenberg an S.Zweig vom 12.12.1913 (IA).
603 Auch die pazifistische Novelle Der Zwang, die 1920 als Lederband mit Goldschnitt und Halbpergament in nur 470 numerierten Exemplaren im Insel-Verlag erschienen war (Sarkowski 1975), wollte Kippenberg nun merkwürdigerweise nicht in die »Insel-Bücherei« aufnehmen, da sie sich »nicht zum gesonderten Erscheinen« eigne, vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 3.1.1925 (IA). 604 S. Zweig an A. Kippenberg vom 29.3.1927 (IA). 605 Kippenberg: Lehr- und Wanderjahre, S. 9.
3 Stefan Z w e i g b e i m Leipziger Insel-Verlag
s e i n e m A u t o r zusprach. Z u inhaltlichen Kriterien der n e u e n S a m m l u n g aber schwieg er w i e d e r e i n m a l beharrlich: »Ihr Gedanke, einen neuen Band für die Insel-Bücherei von Ihnen selbst betreffend, ist ganz ausgezeichnet. Sie haben eine überaus glückliche Art, Ihr geistiges Schaffen gleichsam zu organisieren. Das teilen Sie mit unserem großen Meister Goethe. Die beiden Titel, die Sie zunächst in Aussicht genommen haben, sind nicht eben übel, aber vielleicht läßt sich ein noch besserer Titel finden.«606 D a m a l s w u r d e n zwischen b e i d e n n o c h die Buchtitel Große Äugenblicke und Augenblikke der Menschheit diskutiert, 6 0 7 seit spätestens A n f a n g J u n i 1929 stand d a n n der v o n Z w e i g favorisierte Titel Sternstunden der Menschheit (heute ein z u m geflügelten W o r t avancierter A u s d r u c k ) fest, 6 0 8 u n d n o c h i m H e r b s t desselben J a h r e s k o n n t e das B u c h als IB N r . 165 [2] seinen Siegeszug antreten. 6 0 9 W i e gut sich gerade die Sternstunden i m f a r b e n p r ä c h t i g e n G e w a n d der Insel-Bücherei s c h o n in d e n ersten M o n a t e n nach i h r e m E r s c h e i n e n v e r k a u f t e n , zeigt Kippenbergs M i t t e i l u n g v o m J a n u a r 1928: » H ö c h s t e r f r e u l i c h ist der Absatz der Sternstunden: w i r g e h e n m i t l e b h a f t e n Schritten auf das 41.-50. T a u s e n d zu, als w e l c h e ich vorsorglich bereits j e t z t d r u c k e n lasse.« 610 I m April ergänzte er h u m o r v o l l - i r o n i s c h : »Die Sternstunden der Menschheit w e r d e n w e i t e r h i n gefressen.« 6 1 1 Diese ersten f ü n f Sternstunden, zu d e n e n sich i m Laufe der J a h r e n o c h n e u n weitere historische Miniaturen gesellen sollten, w a r e n : Die Weltminute von Waterloo, Die Marienbader Elegie, Die Entdeckung Eldorados, Heroischer Augenblick u n d Der Kampf um den Südpol. M i t seinen p r ä g n a n t u n d s p a n n e n d erzählten historischen M i n i a t u r e n , die ü b e r viele J a h r e v e r b i n d l i c h e S c h u l l e k t ü r e w a r e n , hat Z w e i g eine »neue e p i s c h - d r a m a t i sche Gattung« (Franz T h e o d o r C s o k o r ) 6 1 2 geschaffen, d e n n trotz ihres historischen G r u n d m u s t e r s sind sie h ö c h s t s p a n n e n d erzählt, nach e r z ä h l t e c h n i s c h e n S t r u k t u r e n arrangiert als >sich ereignete, u n e r h ö r t e Begebenheiten< u n d berichtet v o n e i n e m d e u t l i c h m e r k b a r e n , mit I n n e n s i c h t ausgestatteten auktorialen Erzähler. Scheinbar b u n t gemischt, enthalten die Sternstunden i m K e r n d o c h einen Gutteil v o n Stefan Z w e i g s Weltbild: Alle T e x t e befassen sich, so Klaus Zelewitz, i m w e i t e s t e n Sinne m i t d e r V e r t e i d i g u n g u n d der A u s d e h n u n g abendländischer, g e n a u e r gesagt europäischer K u l t u r u n d Zivilisation. 6 1 3 Sie w a r e n z u d e m A u s g a n g s p u n k t f ü r Z w e i g s gleichfalls psychologisch motivierte Biographien großer Persönlichkeiten der Geschichte, a n gefangen v o mJoseph Fouché bis h i n zu Amerigo u n d Balzac, w i e ü b e r h a u p t u m 1927/28 historisch-politische T h e m e n in d e n V o r d e r g r u n d seines dichterischen Schaffens rückten. In der Insel-Bücherei e r s c h i e n e n a u ß e r d e m 1922 n o c h Z w e i g s indische L e g e n d e Die Augen des ewigen Bruders als IB N r . 349 [1], 1929 der E r z ä h l b a n d Kleine Chronik (IB N r . 408 [1]) u n d aus Anlaß v o n Z w e i g s f ü n f z i g s t e m G e b u r t s t a g 1931 die Ausgewählten 606 607 608 609 610 611
A. Kippenberg an S. Zweig vom 31.3.1927 (IA). Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 29.3.1927 (LA). Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 9.6.1927 (IA). Vgl. Sarkowski, S. 526. A. Kippenberg an S. Zweig vom 16.1.1928 (IA). A. Kippenbergs an S. Zweig vom 12.4.1928 (IA). Diese positive Meldung galt auch für die folgenden Jahre und Jahrzehnte: 1928 erschien das 100., 1930 das 250., 1935 das 320. und 1986 das 695. Tausend. 612 Zit. nach Prater, S. 233. 613 Vgl. Zelewitz: Stefan Zweig, S. 362.
3.4 Z w e i g als Initiator neuer Buchprojekte Gedichte (IB N r . 422 [1]), alle drei ebenfalls mit h o h e n Auflagenzahlen. Der Band Kleine Chronik vereint vier bereits separat veröffentlichte Erzählungen Zweigs: die Episode vom Genfer See, Leporella, Buchmendei u n d auch seine in der d u r c h die Inflation bedrohten Welt der Bibliophilen u n d Sammler spielende Novelle Die unsichtbare Sammlung. Z u d e m Inhalt dieser letztgenannten, zuerst am 31. Mai 1925 in der Wiener Neuen Freien Presse erschienenen Erzählung n a h m Katharina Kippenberg im Brief an Stefan Z w e i g vom 19. J u n i 1925 Stellung, war sie doch als Vorabdruck im InselAlmanach auf dasJahr 1927 vorgesehen, den die Verlegergattin über viele Jahre zusammenstellte u n d redigierte (in den dreißiger Jahren dann als alleinige Herausgeberin): »Die unsichtbare Sammlung fallt n a c h m e i n e m E m p f i n d e n v o n d e m P u n k t e ab, w o d e r alte H e r r , d e r ü b r i g e n s a u s g e z e i c h n e t g e l u n g e n ist, die M a p p e n wirklich zeigt. Sie m ü ß t e d a u e r n d s p a n n e n d gehalten sein, u n d das ist sie v o n da an n i c h t m e h r so ganz. K ö n n e n Sie sie n i c h t n o c h e i n m a l d u r c h a r b e i t e n ? Es k ö n n t e d o c h etwas s e h r schönes daraus w e r d e n . / '
Dieses Briefzitat verrät, daß sie sich, sofern es ihren Arbeitsbereich berührte, auch u m die (von ihrem M a n n meist vernachlässigte) stilistische wie inhaltliche Durchsicht der Zweig-Manuskripte b e m ü h t e . Daß der Autor, stets dankbar f ü r die kritische Lektüre seiner Texte, gerne bereit war, ihre freundschaftlich geäußerten, sachdienlichen Korrekturhinweise zu überdenken, zeigt sein Antwortschreiben: »Auch m i t m e i n e r e i g e n e n N o v e l l e b i n ich ganz I h r e r Ansicht. Sic h a b e n da a u s g e z e i c h n e t g e f ü h l t , d a ß im zweiten Teil, w o das G e h e i m n i s gleichsam entschleiert ist, die S p a n n u n g n o c h e i n m a l h i n a u f g e r i e b e n w e r d e n m u ß u n d ich w e r d e sie sicherlich in d i e s e m S i n n n o c h einmal durcharbeiten.« 6 1 -'
Doch auch dieses Manuskript ist nicht erhalten, so daß unklar bleiben m u ß , ob Z w e i g den Text .-IM). 16: »Sternstunden der Menschheit« ( 1 4 *V
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ín.*-r¡JDie Meisterwerke^ >Les Chefs d'Œuvres< oder ein lateinischer Name Bibliotheca mundi. ... Es sollen Ausgaben wie Anthologien, Konzentrationen von Dichtern, Briefsammlungen darunter sein von solcher Qualität, daß sie auch die französischen Ausgaben schlagen und vorbildlich werden. Man muß eben das Gefühl haben was uns in Deutschland lebendig ist und sich nicht an die klassischen Begriffe halten; Corneille, Bossuet, Milton, Voltaire haben gar keine wahrhafte Lebendigkeit für Europa, so wenig wie etwa Lessing und Klopstock. Ich will einen ganz hohen, ganz neuen, ganz europäischen Pegel der Bedeutung nehmen: die universale Lebendigkeit. In dem ganzen Verzeichnis ist kein Buch, das nicht nur berühmt, sondern das auch für uns nicht noch wichtig und lebendig wäre.« 628 Z w e i g riet a u ß e r d e m , d e m U n t e r n e h m e n »eine Art wirtschaftlichen T o c h t e r s t a tus« 6 2 9 i n n e r h a l b des Insel-Verlages e i n z u r ä u m e n , s c h o n zu d i e s e m Z e i t p u n k t a u s r e i c h e n d Kapital zu b e s c h a f f e n (wobei er sogar - w i e s c h o n bei der Insel-Bücherei seine finanzielle U n t e r s t ü t z u n g anbot) u n d in Vorarbeiten zu investieren, so daß sehr rasch u n d k o n z e n t r i e r t »mindestens z e h n B ä n d e zugleich« 6 3 0 auf d e n M a r k t k o m m e n w ü r d e n - i m U n t e r s c h i e d zu der n u r spärlich e r s c h i e n e n e n u n d bald versiegten R e i h e der Tempel-Klassiker. D a b e i dachte d e r Initiator - hierbei ganz K a u f m a n n - v o r allem daran, z u n ä c h s t >klassischeHauptgeschäftsiegessicher< über sein Vorhaben informiert, gewiß, in i h m einen geistesverwandten Befürworter zu finden: »Auch ich stehe nun in Verhandlungen mit meinem Verleger, um eine große und schöne Sache zu stiften: eine internationale Edition aller Meisterwerke aller Sprachen mit Interlineartext... französisch, englisch, italienisch und deutsch, was allen jenen, die diese Sprachen kennen, ohne
631 Vgl. Schuster, Sp. 86 und 94. 632 Zweig: Welt von Gestern, S. 198. 633 Kippenberg bezeichnete hier das U n t e r n e h m e n erstmals mit dem bei Goethe entlehnten Begriff »Hauptgeschäft«. Das Tagebuch des Weimarer Dichters (vgl. Einträge vom 11.2.1826 und 18.5.1827) benutzt dafür des öfteren das Wort »Hauptgeschäft«, mit dem Goethe diejenige größere Arbeit bezeichnete, die jeweils im Vordergrund stand, also den »Faust«, später auch die »Wanderjahre« und die »Ausgabe letzter Hand« allgemein (vgl. Goethe: Werke. Bd. 3: Dramen I, S. 448). Diese Bezeichnung für den »Orbis Litterarum« behielten Autor und Verleger im Briefwechsel über ihre Buchreihe bei und übertitelten so die entsprechenden Briefseiten. 634 A. Kippenberg an S. Zweig vom 27.3.1919 (GSA).
3 S t e f a n Z w e i g b e i m Leipziger Insel-Verlag sie gründlich zu beherrschen, gestatten würde, ihre Kenntnis der europäischen Literatur zu vertiefen. Die Ausgabe soll ein dauerhaftes M o n u m e n t der Einheit der Kunst über alle Unterschiede der Sprachen und alle Strömungen der Jahrhunderte hinweg werden. Die Idee, die ich ihm nahegelegt habe, gefallt ihm sehr, nur erfordert sie einen riesigen Aufwand an Arbeit und Geld. Ich bin bereit, diesem Unternehmen meine ganze Kraft zu widmen, denn durch ihre großen Männer sollten die Völker einander kennenlernen und nicht durch ihre schmutzigen Zeitungen. Ich meine mit hinreichender Tatkraft und Kultur begabt zu sein, u m eine solche Edition zu leiten, die ohne Aufhebens, ohne Reklame, ohne Politik unserem Ideal der weltweiten Brüderlichkeit dienen würde.... Möge diese Idee bald zur Tat werden! Ich bin beinahe ungeduldig, sie zu verwirklichen, denn nach meiner Ansicht wird sie nützlicher sein als alle Kongresse und Verträge.« 635 In s e i n e n a u f rasche V e r w i r k l i c h u n g d r ä n g e n d e n B r i e f e n b r a c h t e d e r b e t r i e b s a m e Z w e i g K i p p e n b e r g bald in Z u g z w a n g . E r sparte dabei n i c h t an e r m u t i g e n d e n H i n w e i s e n auf seine f r e m d s p r a c h i g e R e i h e , w o b e i er a b e r m a l s geschickt ideelle u n d m a terielle B e w e g g r ü n d e zu v e r e i n b a r e n v e r s t a n d . D a b e i w a r e r sich sicher, d a ß K i p p e n berg, sobald er v o n d e m Plan ü b e r z e u g t sein w ü r d e , dieses n e u e , d e r I n s e l - T r a d i t i o n g e m ä ß v o r n e h m l i c h an die L i t e r a t u r e n v e r g a n g e n e r E p o c h e n a n k n ü p f e n d e P r o j e k t m i t aller E n e r g i e u n d m i t viel E n g a g e m e n t v o r a n t r e i b e n w ü r d e . I m M a i 1919, u n t e r d e m n i e d e r s c h m e t t e r n d e n E i n d r u c k d e r Versailler B e d i n g u n g e n , m a h n t e er i h n abermals: »Gedenken Sie meines Planes: es ist für mein Empfinden die einzige Möglichkeit im deutschen Buchhandel, Export zu treiben. U n d das ist auch die einzige Rettung, denn die Kaufkraft der nächsten Generation in Deutschland selbst wird nahe an den Nullpunkt sinken müssen: ich bin herzlich gerne bereit, diese Arbeit zu beginnen, die mir das einzig denkbare Unternehmen scheint.« 636 D e r Verleger j e d o c h zögerte w e i t e r h i n , z o g gar, gerade z u m V o r s i t z e n d e n d e r D e u t s c h e n G e s e l l s c h a f t f ü r A u s l a n d s b u c h h a n d e l gewählt, seine h a l b erteilte Z u s a g e w i e der zurück: »[Ich] bleibe unbedingt dabei, den Plan einer Bibliothek in fremden Sprachen fallen zu lassen. Ich bin nicht Exporteur, sondern deutscher Verleger und will mich lieber nach der Decke strecken, als daß ich mit dazu beitrage, das deutsche Buch im Auslande zu verdrängen.« 637 Z w e i g aber b r a c h t e i m F r ü h j a h r u n d S o m m e r 1919 s e i n e n Vorschlag, d e r i h m sehr a m H e r z e n lag, i m m e r w i e d e r i m b r i e f l i c h e n G e d a n k e n a u s t a u s c h m i t K i p p e n b e r g z u r S p r a c h e u n d t r i e b m i t d u r c h d a c h t e n E i n z e l v o r s c h l ä g e n d i e V o r b e r e i t u n g e n seinerseits u n e r m ü d l i c h v o r a n . In e i n e m w e i t e r e n S c h r e i b e n v o m M a i h e i ß t es beispielsweise: »Ich glaube wir werden französische Lyrik, englisches Drama und zwar eben in der Heimatsprache nicht entbehren können. Ich hielte es für eine Gefahr, würde man für die nächste Generation ... nicht die notwendige kulturelle Bildung vorbereiten und ansammeln. ... Ich wüßte mir keinen schöneren demonstrativen Akt des Protestes und keine wichtigere buchhändlerische Angelegenheit für Deutschland.« 6 3 8 E n d e S e p t e m b e r m u ß K i p p e n b e r g (der e n t s p r e c h e n d e B r i e f ist n i c h t e r h a l t e n ) schließlich signalisiert h a b e n , d a ß er die f r e m d s p r a c h i g e B u c h r e i h e d o c h w a g e n w o l le, d e n n Z w e i g j u b e l t e : »Ich s e h e so gewaltige M ö g l i c h k e i t e n des Erfolges!« u n d
635 636 637 638
Briefwechsel Rolland/Zweig, Bd. 1, S. 443. S. Zweig an A. Kippenberg vom [Mai 1919] (LA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 13.5.1919 (IA). S. Zweigan A. Kippenberg vom [Mai 1919] (IA).
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r B u c h p r o j e k t e
n a n n t e als potentielle Absatzmärkte d e r Titel n e b e n England, Frankreich, Belgien u n d H o l l a n d auch die T s c h e c h o s l o w a k e i , U k r a i n e , P o l e n , Jugoslawien, Bulgarien u n d die T ü r k e i . D i e u r s p r ü n g l i c h ins A u g e gefaßte Beteiligung eines a n d e r e n i n o d e r ausländischen Verlegers an der Serie aber w u r d e bald v e r w o r f e n , m a n setzte v i e l m e h r a u f die w e i t r e i c h e n d e n u n d e r p r o b t e n D i s t r i b u t i o n s - u n d W e r b e m ö g l i c h keiten des Leipziger U n t e r n e h m e n s . Geschickt auf die Exklusivität d e r Insel v e r w e i send, schrieb Z w e i g K i p p e n b e r g i m selben Brief: »Daß es aber, w e n n es u n t e r der Flagge der Insel segelt, gleich mit a n d e r e r Gewalt auftritt u n d bald europäisch wird, ist f ü r m i c h kein Z w e i f e l . ... Das W e s e n t l i c h e ist n u r , o b Sie w a h r h a f t wollen. ... Calculieren Sie inzwischen alles gut durch.« 6 3 9 M i t t e O k t o b e r 1919 brach der A u t o r aus d e m stillen Salzburg, w o h i n er (in b e w u ß t e r E n t s c h e i d u n g gegen die i h m f r e m d g e w o r d e n e H e i m a t s t a d t W i e n u n d seine f r ü h e ren F r e u n d e »wegen u n s e r e r gegensätzlichen E i n s t e l l u n g z u m Kriege« 6 4 0 ) i m M ä r z m i t seiner Frau Friderike u n d ihren b e i d e n T ö c h t e r n aus erster E h e übersiedelt war, zu seiner ersten D e u t s c h l a n d r e i s e nach d e m Krieg auf. In Leipzig traf er sich a m 20. O k t o b e r m i t s e i n e m d e u t s c h e n Verleger, u m a u s f ü h r l i c h ü b e r seine literarische P r o d u k t i o n , N e u a u f l a g e n seiner Titel u n d vor allem ü b e r das »Hauptgeschäft« zu sprechen. N o c h am gleichen T a g berichtete er Friderike i m T e l e g r a m m s t i l v o m sehr positiven A u s g a n g der U n t e r r e d u n g : »Dann bei Kippenberg. Wir sprachen nicht von dem >HauptgeschäftHauptgeschäftr*ciien len. Sonette u n d Fabeln sollten z u d e m in mehrsprachigen Ausgaben präsentiert werden. 6 3 9 Bei den im R a h m e n von Libri librorum und Pandora herausk o m m e n d e n Titeln ist allerdings zu bedenken, daß nicht n u r auf schon Veröffentlichtes zurückgegriffen w e r Abb. 18: Bbi.-Anzeige vom 17.2.1920 den konnte, sondern die meisten Titel auch bereits honorarfrei nachgedruckt waren, also kein Autorenhonorar m e h r anfiel u n d so die Kosten von vornherein niedrig gehalten w e r d e n konnten. Auch in buchgestalterischer Hinsicht gab man sich alle M ü h e . Der schon seit vielen Jahren f ü r den Insel-Verlag tätige B u c h - u n d Schriftkünstler Walter T i e m a n n übern a h m die Ausstattung der drei Serien u n d entwarf z u d e m für j e d e Reihe ein eigenes Signet (eine Variation des Inselschiff-Motivs, u m r a h m t von dem jeweiligen Reihentitel). 660 Ende Februar berichtete Kippenberg seinem F r e u n d Zweig sehr zuversichtlich von der erfreulichen Resonanz des Sortiments auf die ausführliche Börsenblatt-Bekanntgabe: 658 Vgl. Sarkowski, S. 613-615. 659 Vgl. Bbl. vom 17.2.1920, S. 2175 f. 660 Das sprachen Zweig und Kippenberg brieflich schon am 19.11.1919 (IA) und 20.11.1919 (GSA) ab.
3 Stefan Z w e i g b e i m Leipziger Insel-Verlag »Der Widerhall, den die Anzeige im Börsenblatt gefunden hat, ist ungeheuer. Ich sehe zu meinem Erstaunen, wie groß der Markt für derartige Bücher schon in Deutschland ist, und nun kommt das Ausland hinzu, das natürlich erst durch sorgfaltige Bearbeitung gewonnen werden kann, aber ohne Zweifel gewonnen werden wird.« 661 D r e i Tage später b e g l ü c k w ü n s c h t e ihn i m G e g e n z u g Z w e i g z u r g e l u n g e n e n Anzeige, ebenfalls voller H o f f n u n g auf e i n e n erfolgreichen Start der R e i h e n : »Nun ist, was bisher bloß Plan gewesen, Versprechen und Verpflichtung. Viel Mühe und Arbeit bringt Ihnen das kommende Unternehmen, aber Arbeit, ist jetzt nicht nur eine Freude wie bisher, sondern ein Tonikum gegen die Zeit. ... Soweit es an mir liegt, wird, wie bisher, die Arbeit mit aller Leidenschaft gefordert werden. Ich darf mit einer gewissen Genugtuung sagen, daß ich irgendwo im Unsichtbaren in den fast zwanzigjahren literarischer Bemühung ein beträchtliches Capital von Vertrauen gesammelt haben muß, denn wen ich bisher zur Mitarbeit aufrief, der war freudigst bereit: ich weiß allerdings, daß ein gut Teil dieses Zutrauens der Insel zugehört, aber so bindet sich glücklich, was sich zu gemeinsamem Werk verbunden. Mehr denn je bin ich von dem restlosen Gelingen des Unternehmens überzeugt...: wenn in den nächsten Jahren der ungeheure Rückschlag im deutschen Buchhandcl fühlbar sein wird, dann erst dürfte die Dauerhaftigkeit dieser Gestaltung sinnlich zu Tage treten. N u r Verbundensein mit dem Ganzen, Einheit kann politisch Europa retten und nur die Werke bestehen (in jedem Sinn) die den Zusammenhang gewahrt oder gefördert haben. Die Insel ist vielleicht dann in der großen Sündflut die Arche, die überbleibt und kommenden Generationen Botschaft unserer Vergangenheit und ein neues Geschlecht bringt.« 662 In der T a t verhalf Stefan Z w e i g s Status als a n e r k a n n t e r österreichischer Schriftsteller, M i t a r b e i t e r (meist aus s e i n e m g r o ß e n B e k a n n t e n k r e i s ) f ü r diese R e i h e eines z u d e m s e h r r e n o m m i e r t e n Verlages zu g e w i n n e n , d o c h d e m o n s t r i e r t der Brief d a r ü b e r h i n aus, w i e sehr das großangelegte Projekt sein W o h l b e f i n d e n förderte, w i e eifrig er aus d e m n o c h n i c h t v o m F e s t s p i e l r u m m e l e r g r i f f e n e n Salzburg die Arbeit daran v o r a n trieb. T r o t z des e n o r m e n A r b e i t s p e n s u m s f ü h l t e er sich b e i n a h e als F e l d h e r r der in der f r e m d s p r a c h i g e n R e i h e v e r s a m m e l t e n K u n s t - I n t e r n a t i o n a l e . K o n s e q u e n t bat er K i p p e n b e r g a m 9. F e b r u a r 1920 u m »Mitteilung, sobald d e r Generalstab k o m p l e t t ist.« 663 N o c h i m J a n u a r 1920 w a r geplant, diesen »Generalstab« d u r c h d e n m i t Z w e i g b e f r e u n d e t e n österreichischen Literaturhistoriker, U b e r s e t z e r u n d Schriftsteller O t t o H a u s e r zu ergänzen, der als ( d a n n i m Leipziger Verlagshaus tätiger) H a u p t k o r r e k t o r f ü r die f r e m d s p r a c h i g e n Ausgaben v o r g e s e h e n war. D o c h bereits A n f a n g F e b r u a r m u ß t e K i p p e n b e r g Z w e i g n a c h W i e n mitteilen, daß »in Leipzig selbst g e n ü g e n d K o r r e k t o r e n v o r h a n d e n sind, die f r e m d s p r a c h i g e K o r r e k t u r e n e i n w a n d f r e i a u s f ü h r e n k ö n n e n . « 6 6 4 Z u d e m scheute er die h o h e n U b e r s i e d l u n g s k o s t e n H a u s e r s v o n W i e n n a c h Leipzig. 6 6 5 Als d a u e r n d e r wissenschaftlicher Mitarbeiter f ü r die Bibliotheca mundi w u r d e stattdessen u. a. der in Leipzig l e h r e n d e P r o f e s s o r A n d r é Jolies verpflichtet, d e r seit J a h r e n als H e r a u s g e b e r f ü r d e n Insel-Verlag tätig war; 6 6 6 d a n e b e n k ü m m e r t e n sich a u c h D r . H e i n r i c h W e n g l e r , Lektor f ü r r o m a n i s c h e Sprachen an der Leipziger Universität, sowie D r . Fritz A d o l f H ü n i c h als wissenschaftliche M i t a r b e i t e r u m die 661 662 663 664
A. Kippenberg an S. Zweig vom 26.2.1920 (GSA). S. Zweigan A. Kippenberg vom 29.2.1920, Zweig: Briefe an Freunde, S. 115. Ebd., S. 114. Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 15.1. und 1.2.1920 sowie O. Hauser, Wien, Keuyongasse 15, an A. Kippenberg vom 29.1.1920 (GSA). 665 Vgl. A. Kippenberg an O. Hauser vom 3.2.1920 (GSA). 666 Vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 5.2.1920 (GSA).
3.4 Z w e i g als Initiator neuer Buchprojekte Reihen. In Salzburg dagegen war Z w e i g allein (mit U n t e r s t ü t z u n g seines Sekretariats) u m die fremdsprachigen Titel b e m ü h t , w ä h r e n d etwa H o f m a n n s t h a l bei der Betreuung der Österreichischen Bibliothek von Max Meli u n d Felix Braun unterstützt w o r d e n war. Im S o m m e r des Jahres 1920 arbeitete der Insel-Verlag fieberhaft auf das Erscheinen der ersten, seit d e m Frühjahr im Satz befindlichen Bände der Weltbibliotheken hin, das n u n f ü r den Herbst vorgesehen war. Auch der Reihenherausgeber Zweig hatte vollauf zu tun. Er korrespondierte mit Kippenberg u n d seinen Leipziger Mitarbeitern, u m Verzögerungen bei der Manuskriptabgabe oder Drucklegung zu erörtern, fertiggestellte Bände anzukündigen u n d weitere Titelvorschläge samt ihrer möglichen Bearbeiter weiterzugeben. H i n z u kam sein ausgedehnter Briefwechsel mit den verschiedenen Bearbeitern u n d Herausgebern selbst. O b w o h l sich die Sache allem Anschein nach gut anließ, enthielt doch schon der Kippenbergsche Brief an Z w e i g v o m 1. September 1920 einen ersten W e r m u t s t r o p f e n . Er m u ß t e i h m leider berichten, daß die Kalkulation f ü r die Bibltotheca mundi »geradezu erschütternd« ausgefallen sei: »Wenn ich den Ladenpreis f ü r das geheftete Exemplar auf M . 18,- f ü r das g e b u n d e n e auf M . 24,- festsetze, so ist er einerseits so hoch, daß ich nicht weiß, wie das P u b l i k u m sich dazu stellen wird, andererseits aber so niedrig, daß er u n s einen n u r ganz bescheidenen G e w i n n läßt..., der in k e i n e m Verhältnis zur aufgewendeten Arbeit u n d z u m Risiko ... steht.«
Deshalb schlug er vor, statt der prozentualen Beteiligung von 5 % v o m Ladenpreis jedes abgesetzten Buches n u n eine fixe Abgabe von 50 Pfennigen pro Band zu zahlen, u m den Ladenpreis nicht unnötig zu verteuern: »In Betracht zu ziehen bitte ich Sie auch, daß Sie j a ein nicht unerhebliches F i x u m b e k o m m e n . ... Ich zweifle nicht daran, daß Sie sich m e i n e n G r ü n d e n anschließen u n d m e i n e n Vorschlag akzeptieren w e r d e n . Ich m u ß gestehen, daß ich in Bezug auf die Bibliotheca m u n d i nicht o h n e Sorge bin. ... V o n Wichtigkeit ist es natürlich f ü r uns, das Ausland zu g e w i n n e n u n d ich bin entschlossen, auf einen irgendwie erheblichen Valutagewinn dort zu verzichten, u n d die Bände so billig als n u r irgend möglich im Auslande zu verkaufen.« 6 6 7
Ab d e m 1. O k t o b e r 1920 unterlagen Bücher in Deutschland nicht m e h r der Z w a n g s wirtschaft, u n d Papierlieferungen w u r d e n nicht m e h r reglementiert. 6 6 8 Für das u m fangreiche U n t e r n e h m e n bedeutete das zwar eine wesentliche Erleichterung, doch verzögerten n u n vor allem editorische G r ü n d e das Erscheinen der Titel. Die ersten vier Bände der Bibliotheca mundi k o n n t e n schließlich doch noch Mitte N o v e m b e r 1920 (zum Ladenpreis von geheftet 18,- u n d gebunden 25,- Mark) erscheinen, neben Charles Baudelaires Les Fleurs du Mal, Erzählungen von Heinrich von Kleist 669 u n d Trois Drames von Alfred de Musset 6 7 0 erschien der Russischen Parnass, eine chronologisch angeordnete Z u s a m m e n s t e l l u n g m o d e r n e r russischer Lyrik u n d Prosa seit Puschkin mit einem ebenfalls russisch abgefaßten N a c h w o r t der beiden Herausgeber u n d Brüder Alexander u n d David Eliasberg. 671 Diese russische Anthologie war vor667 668 669 670 671
A. Kippenberg an S. Zweig vom 1.9.1920 (IA). Vgl. Widmann: Der deutsche Buchhandcis, S. 146. Vgl. Sarkowski 100 und 931. Vgl. Sarkowski 1178. Vgl. Sarkowski 1382. Zweig stand mit den Brüdern Eliasberg, die als Literaturwissenschaftler und Übersetzer viele Jahre in Deutschland wirkten, bereits länger in Verbindung. Alexander Eliasberg seinerseits hatte, vielleicht auf Zweigs Vermittlung hin, seit 1913 Übersetzungen (u. a. von Tolstoi- und Dostojewski-Erzählungen) für den Insel-Verlag angefertigt.
3 Stefan Z w e i g beim Leipziger Insel-Verlag n e h m l i c h f ü r die damals zahlreich in Deutschland (besonders in Berlin) lebenden Exilrussen gedacht. I m D e z e m b e r 1920 erschien außerdem Stendhals psychologische Studie De l'Amour, herausgegeben von d e m Literaturwissenschaftler, Erzähler, U b e r setzer u n d Kulturschriftsteller Dr. Arthur Schurig, der zuvor schon eine M o z a r t Biographie vorgelegt sowie französische D i c h t u n g (Flaubert, Balzac u n d Stendhal) f ü r die Insel übersetzt hatte. 6 7 2 N o c h rechtzeitig z u m Weihnachtsgeschäft lagen d a n n auch die ersten vierzig Bände der S a m m l u n g Pandora z u m Einzelpreis v o n g e b u n d e n 4,50 M a r k vor. 6 7 3 Die Korrespondenz des Reihenredakteurs Stefan Z w e i g mit den einzelnen Mitarbeitern ist aufgrund der schlechten Quellenlage in den allermeisten Fällen nicht m e h r auffindbar. Eine A u s n a h m e macht dabei die schweizerische Anthologie, deren Entstehungsgeschichte glücklicherweise rekonstruiert w e r d e n kann. U m die Jahresw e n d e 1919/20 hatte Stefan Z w e i g den Schweizer Dichter u n d Literaturhistoriker an der Universität Zürich, Professor Robert Faesi, mit d e m er seit d e m H e r b s t 1917 b e f r e u n d e t war, 6 7 4 brieflich gefragt, ob er bereit sei, die Z u s a m m e n s t e l l u n g der^4«thologia Helvetica zu ü b e r n e h m e n . Dieses Buch war f ü r die Bibliotheca mundi b e s t i m m t als ein »Band Lyrik, der alle f ü n f Landessprachen umfaßt, also deutsch, französisch, Schweizerdeutsch, italienisch, romanisch«. Die Anthologie solle, so Z w e i g weiter, »ein B u c h [ w e r d e n ] , das n o c h nie da war, das f ü r alle Z e i t e n die lyrische Schweiz als nationale Einheit vor der Welt repräsentieren soll innerhalb der gesamten Weltliteratur. U n d selbstverständlich habe ich an Sie als Herausgeber gedacht. Aufgabe w ä r e also: Kein V o r w o r t , keine Erläuterungen. N u r 250-350 Seiten Auswahl der besten Gedichte Schweizer D i c h t e r aus allen Z e i t e n in j e d e r Sprache, in chronologischer Reihenfolge. D a s Beste des Besten siebenfach gesiebt. Ich glaube, dies B u c h w ü r d e ein J u w e l u n d ich habe es f ü r die erste Serie bestimmt.« 6 7 5
Bereits im Januar 1920 konnte er aus seiner Salzburger Bibliotheca miWi-Redaktion nach Leipzig vermelden, daß er Faesi f ü r die Anthologia Helvetica g e w o n n e n habe u n d dieser statt der entwerteten M a r k (der Währungsverfall zeichnete sich damals bereits ab) lieber in Insel-Büchern honoriert w e r d e n wolle. 6 7 6 Später erinnerte sich der Schweizer gerne an ihre gedeihliche, grenzübergreifende Z u s a m m e n a r b e i t so kurz nach Kriegsende: »Daß Z w e i g . . . v i e l m e h r ein Förderer war, das habe ich wiederholt u n d dankbar an m i r selber erfahren. I m Inselverlag gab er in der psychologisch günstigen Z e i t s p a n n e gleich nach d e m Krieg, sozusagen demonstrativ als Symbol einer Wiederherstellung der internationalen Z u sammengehörigkeit, die Bibliotheca mundi heraus, d a r i n j e d e s Volk m i t e i n e m k e n n z e i c h n e n d e n W e r k vertreten sein sollte. F ü r die Schweiz hatte er eine Anthologia Helvetica vorgesehen u n d m i c h als ihren Betreuer. Ein Jahrtausend v o n N o t k e r s lateinischen H y m n e n bis zu d e n G e d i c h t f o r m e n der Gegenwart, Z e u g n i s der schweizerischen Vielsprachigkeit, so daß ich nicht n u r die E r n t e unserer Volksdichtung in Schriftsprache u n d M u n d a r t , s o n d e r n auch die d e r
672 Vgl. Sarkowski 1 5 5 5 u n d A n z e i g e n i m B b l . J g . 8 7 , N r . 2 5 4 v o m 10.11.1920, S. 1244; Nr. 275 vom 6.12.1920, S. 14791 und N r . 296 vom 31.12.1920, S. 15647. 673 Vgl. Bbl.,Jg. 87, Nr. 235 vom 19.10.1920, S. 11510f. und Nr. 264 vom 23.11.1920, S. 13833. 674 Vgl. Faesi: Erlebnisse, S. 213-217 und Zweigs Tagebucheintrag vom 11. Dezember 1917: »Nachmittags bei Faesi in Zollikon. Ich mag diesen feinen vornehmen Menschen mit seiner klugen netten Frau ganz außerordentlich.« Zweig: Tagebücher, S. 288. 675 Zitiert nach Arens: Stefan Zweig, S. 34 f . 676 Vgl. S. Zweigan A. Kippenberg vom 15.1.1920 (GSA). Faesi wurde für seine Herausgebertätigkeit mit 500,- Franken Honorar und Insel-Büchern im Wert von 1.500,- Mark abgegolten, vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 21.1.1920 (GSA).
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte Lyrik in französischer, italienischer, selbst rätoromanischer Zunge einzubringen hatte. Es war eine reizvolle Aufgabe, von Zweig mit aufmunterndem Anteil verfolgt und von der Insel, statt mit der entwerteten Mark-Währung, mit einer Riesenkiste ihrer Verlagswerke honoriert - so daß ich auf lange hinaus der geistigen Ausbeute meiner Bibliothek vieles schuldig blieb.«677 Daß Z w e i g die eintreffenden Manuskripte z u d e m kritisch prüfte, beweist Faesis A n frage v o m 5. N o v e m b e r 1920, in der er sich erkundigte, ob der U m f a n g der A n t h o logie richtig sei u n d sprachliche Erklärungen der Gedichte u n d Volkslieder gew ü n s c h t w ü r d e n . N a c h d e m wie hier inhaltliche Ä n d e r u n g e n zwischen Reihenredakteur u n d Herausgeber diskutiert waren, begann der Kommunikationsprozeß zwischen Verlag u n d Autor über Bogenkorrekturen, mögliche Kürzungen u. ä. Z w e i g schaltete sich d a n n n u r n o c h bei Meinungsverschiedenheiten ein. Die schweizerische Anthologie konnte schließlich im angestrebten U m f a n g von 350 Seiten (ohne sprachliche oder inhaltliche A n m e r k u n g e n ) im S o m m e r 1921 im Insel-Verlag erscheinen. 6 7 8 Als Auswahlkriterium der lyrischen Texte galt Faesi vorrangig »der ästhetische Wert nach u n s e r e m m o d e r n e n Empfinden« (Nachwort), auf eine K o m m e n t i e r u n g oder einen schwerfälligen wissenschaftlichen Apparat wurde, wie bei vielen Insel-Ausgaben, zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet. Die Reaktionen der Sortimenter u n d des Lesepublikums auf die neuerschienenen Bände waren d u r c h w e g positiv, 679 w e n n auch der Absatz der recht teueren Reihen noch i m m e r zu w ü n s c h e n übrigließ. Verlag u n d Herausgeber waren j e d o c h zuversichtlich, daß sich der Verkauf steigern würde, w e n n die Serien bekannter w ü r d e n . M i t d e m Erscheinen der ersten Titel w u r d e n auch Rezensionsexemplare versandt, u n d bald kamen erste Besprechungen zu den Editiones Insulae, wie das Vorhaben auch genannt w u r d e , heraus. T h o m a s M a n n etwa rezensierte die kosmopolitische InselReihe zu Weihnachten 1920 in den Münchner Neuesten Nachrichten u n d betonte dabei (wie die Initiatoren Kippenberg u n d Zweig) den deutschen Blickpunkt des U n t e r n e h m e n s : »Charakteristisch ... wird m a n das Insel-Werk n e n n e n müssen. D e n Wert eines sehr sprechenden D o k u m e n t s deutscher Weltbedürftigkeit, einen Kosmopolitismus, der national ist, wird m a n ihm zubilligen.« 680 G e m ä ß der Absprache mit Kippenberg u n d Z w e i g kündigte H u g o von H o f mannsthal die n e u e n Buchreihen am 15. Februar 1921 in der Neuen Freien Presse mit einem Feuilleton an, o h n e allerdings den Herausgeber (und regelmäßigen Mitarbeiter dieser Wiener Zeitung) namentlich auch n u r zu erwähnen. Lediglich d e m Verlag, der auch der seine war, bescheinigte er mit d ü r r e n W o r t e n Prestige u n d Spürsinn: »Indem der Insel-Verlag im gegenwärtigen Augenblick darangeht, in drei Publikationsreihen den literarischen Reichtum der anderen großen Nationen neben den deutschen hinzustellen ..., so hat er damit eine große und im strengsten Sinne deutsche Gebärde; diese haben zu können, supponiert von der Nation, als deren Vertreter ein Verleger wie jeder andere geistig Hervortretende sich nicht nur empfinden darf, sondern empfinden muß, ... eine gereinigte Seelenverfassung ..., denn nur in dieser Verfassung ist man der vollen Gerechtigkeit gegen fremden Wert... fähig.«681 677 Faesi: Erlebnisse, S. 219 f. 678 Vgl. R. Faesi an S. Zweig vom 5.11.1920 (GSA) und Sarkowski 36. 679 Vgl. etwa A. Kippenberg an S. Zweig vom 30.12.1920 (IA): »Auch ich habe ... nur Gutes über u n ser U n t e r n e h m e n gehört.« 680 Mann: Editiones Insulae, wiederabgedruckt in Mann: Gesammelte Werke. Bd. 10: Reden und Aufsätze 2, S. 587. 681 Hofmannsthal: Bibliotheca mundi. In: Prosa IV, S. 35 f.
3 Stefan Z w e i g beim Leipziger Insel-Verlag Das Verhältnis der beiden Schriftsteller war von Anfang an problematisch, was sich im gemeinsamen Leipziger Verlag nicht i m m e r übergehen ließ. Z w e i g b e w u n d e r t e den einige Jahre älteren Kollegen aufrichtig u n d verehrte ihn wie Rilke oder Verhaeren als Typus des reinen Dichters. 6 8 2 H o f m a n n s t h a l seinerseits hatte sicher viele Werke Zweigs gelesen u n d schätzte w o h l einige wie den f r ü h e n Balzac-Essay. Sein Gesamteindruck von Z w e i g aber war, o h n e daß dieser es ahnte, keineswegs günstig. F ü r ihn war der erfolgreichere Kollege lediglich ein publikumsverwöhnter Erfolgsschriftsteller. Die Beziehung zwischen beiden konnte sich wahrscheinlich n u r erhalten, weil Stefan Z w e i g gerne die selbstgewählte u n d i h m g e n e h m e Vermittlerrolle ü b e r n a h m . D e r sehr distanzierte H o f m a n n s t h a l war dagegen vorwiegend an den von Z w e i g entwickelten literarischen Projekten interessiert. 6 8 3 N u r auf heftiges Drängen Kippenbergs, der Z w e i g »als ein [en] außerordentlich treuer F r e u n d des Verlages« bezeichnete, d e m er »in dieser Beziehung zu mannigfachem D a n k verpflichtet« sei, 684 hatte H o f m a n n s t h a l den Schriftstellerkollegen im Juli 1915 widerstrebend u m die Mitarbeit am Osterreichischen Almanack auf das Jahr Í916 gebeten. 6 8 5 N e b e n d e m Aufsatz über den Gedichtzyklus Die Hände des von ihm hochgeschätzten u n d weitgehend unbekannten tschechischen Dichters Otokar Brezina im Osterreichischen Almanach stellte Z w e i g (auf Vorschlag Hofmannsthals) im R a h m e n der Österreichischen Bibliothek den Band N r . 16: Briefe Nikolaus Lenau[s] an Sophie Löwenthal (1916) z u s a m m e n u n d schrieb eine N a c h b e m e r k u n g dazu. O b w o h l sein N a m e d e m Bändchen zusätzliche Werbekraft hätte verleihen können, wird der U r h e b e r der Z u sammenstellung nicht auf d e m Titelblatt, sondern erst auf der letzten Seite des Bandes genannt u n d auch sein N a c h w o r t erschien (nach Q u e r e l e n mit H o f m a n n s t h a l ) a n o n y m - ein weiteres Indiz f ü r dessen Geringschätzung des Zweigschen Schaffens. 6 8 6 F ü r die Bibliotheca mundi hatte Stefan Z w e i g auch einen Band mit h u n d e r t ausgewählten G o e t h e - G e d i c h t e n vorgesehen, dessen Z u s a m m e n s t e l l u n g auf W u n s c h des G o e the-Philologen u n d -sammlers Kippenberg die »zugkräftigsten« Verlagsautoren H o f mannsthal, Rilke u n d Ricarda H u c h (an Stefan Z w e i g dachte der Verleger dabei merkwürdigerweise nicht!) nacheinander erwägen sollten. A m 9. März 1920 informierte Z w e i g seinerseits Kippenberg, daß er in p u n c t o Goethe-Auswahl sogleich mit H o f m a n n s t h a l Kontakt a u f g e n o m m e n habe, d e n n von seiner Seite habe »ein wirklicher U n f r i e d e ... nie bestanden.« 6 8 7 H o f m a n n s t h a l stimmte d e m Projekt nicht n u r zu, sondern schlug Zweig postwendend auch eine (von i h m zu betreuende) Auswahl aus Novalis-Fragmenten, z u d e m Werke von Voltaire, Diderot, Goldsmith u n d Swift f ü r die Weltbibliotheken vor. 6 8 8 Z w e i g freute sich zwar sehr über dessen fachliches Interesse, gab aber bei der (letztlich nicht zustandegekommenen) Novalis-Auswahl zu bedenken, »daß wir zunächst den Bedürfnissen u n d der schon g e w o n n e n e n N e i g u n g des Publicums entgegen-
682 683 684 685 686
Vgl. Prater, S. 235. Vgl. Berlin: Briefe, S. 86. Vgl. A. Kippenberg an H. von Hofmannsthal vom 16.7.1915, Schuster, Sp. 574. Vgl. Η. v. Hofmannsthal an A. Kippenberg vom 22.7.1915, Schuster, Sp. 578. Vgl. Sarkowski 1208 und S. 612 sowie S. Zweigan den Insel-Verlag vom 7.10.1915, Zweig: Briefe 1914-1919, S. 88 f. 687 S. Zweig an A. Kippenberg vom 9.3.1920 (GSA). 688 Vgl. Η. v. Hofmannsthal an S. Zweig vom 13.3.1920, Berlin: Briefe, S. 100.
3.4 Z w e i g als Initiator neuer Buchprojekte k o m m e n müssen, u m ihr Vertrauen zu selteneren u n d weniger bekannten Werken allmählich emporzusteigern.« Am Schluß des Briefes findet sich eine Passage, die nicht n u r auf die gute Z u s a m m e n a r b e i t zwischen Reihenherausgeber u n d Verleger verweist, sondern z u d e m wie ein Bekenntnis der Zweigschen Motive gelesen w e r d e n m u ß : » ... wir fassen es [das U n t e r n e h m e n ] mit einer Leidenschaft an, die teils Vertrauen zur Sache, teils Zeitflucht ist u n d das Architektonische des Planes, das Ausbalancieren der Werte gibt mir eine ganz neue u n d sehr geistig ansprechende F o r m der Betätigung.« 689 A m 2. April dann bat er H o f m a n n s t h a l (in Absprache mit Kippenberg), als erster die Auswahl aus Goethes Lyrik zu treffen, »die dann Rilke u n d Ricarda H u c h argumentierend einschränken sollen.« 690 O b w o h l H o f m a n n s t h a l seine Auswahl nachweislich bereits E n d e J u n i 1920 nach Salzburg geschickt hatte, 691 ist der Band niemals erschienen. An dieser Stelle ließen sich viele weitere geplante, aber nicht realisierte Bücher aufzählen: neben der Novalis-Edition etwa ein von Kippenberg vorgeschlagener G o e t h e · u n d Schillerbriefwechsel (mit Prof. Albert Leitzmann als Herausgeber), ein Band Poètes Galants (vorgesehener, aber von Kippenberg als wissenschaftlich i n k o m petent abgelehnter Bearbeiter Dr. Wilhelm Friedmann), eine italienische Anthologie (die von d e m angesehenen Professor f ü r italienische Literatur Guiseppe Antonio Borgese bearbeitet w e r d e n sollte), eine holländische (Dr. André Jolies), eine tschechische u n d griechische Anthologie, H a u f f - M ä r c h e n u n d vieles m e h r . Ausschlaggebend f ü r die Nichtrealisierung waren wohl neben der allgemein schlechten Wirtschaftslage z u n e h m e n d e Revisions- u n d Absatzschwierigkeiten bei den übrigen Bänden, im Falle Goethes aber vermutlich auch die Tatsache, daß H o f m a n n s t h a l besonders zu Goethes später Lyrik ein zwiespältiges Verhältnis hatte, das auch diese u n veröffentlichte Auswahl bestimmt hätte - im Gegensatz zu Kippenbergs u n d Zweigs unmittelbarerer Goetheverehrung. 6 9 2 Im Laufe des Jahres 1921, d e m mit f ü n f neuen Bibliotheca mundi-Bïnden u n d der gleichen Anzahl aus der D ü n n d r u c k r e i h e Libri librorum sowie zwölf weiteren Pandora-Bändchen693 produktivsten J a h r der Serien, erschienen neben der Anthologia Helvetica in der Reihe Bibliotheca mundi Byrons Poems, Q . Horati Flacci Opera, der N a p o leon-Band Documents. Discours. Lettres u n d die Lebensgeschichte der Heiligen Teresa de Jésus: Libro de su fida,694 In der Serie Libri librorum kamen Balzacs Les Contes Drolatiques, von Dante Alighieri die zweibändige Ausgabe der Opera Omnia (mit einer E i n leitung des mit Zweig befreundeten Benedetto Croce) heraus, dazu Dostojewskis R o m a n Schuld und Sühne in sechs Bänden mit einem ebenfalls russischen Epilog, H o m e r s Ilias u n d Odyssee in griechischer Sprache (und lateinischem N a c h w o r t von Paul Cauer) u n d schließlich das mittelhochdeutsche Heldenepos Der Nibelunge Not
689 690 691 692
S. Zweig an H. v. Hofmannsthal vom 17.3.1920, Zweig: Briefe an Freunde, S. 116-118. S. Zweig an H. v. Hofmannsthal vom 2.5.1920, Berlin: Briefe, S. 103. So im Brief H. v. Hofmannsthal an S. Zweig vom 22.6.1920, Berlin, S. 105. Vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 24.2.1920 (GSA) und Berlin: Briefe, S. 87. - 1927 gab Zweig dann selbst eine berühmt gewordene Auswahl von Goethe-Gedichtcn beim Leipziger Reclam-Verlag heraus und leitete sie ein. 693 Vgl. Bbl.-Anzeige, Hg. 88, Nr. 171 vom 25.7.1921, S. 7430. 694 Vgl. Sarkowski 265, 787, 1184 und 1727. Die Ladenpreise galoppierten bereits, von August bis Oktober stieg der Preis von 28,- (ursprünglich 25,-) auf 35,- Mark an.
3 Stefan Z w e i g beim Leipziger Insel-Verlag [und Kudrun], revidiert u n d mit einem N a c h w o r t versehen v o n d e m Germanisten Prof. Eduard Sievers, mit d e m Kippenberg seit vielen J a h r e n b e f r e u n d e t war. 6 9 5 D e r Absatz der Bände aber ließ weiter zu w ü n s c h e n übrig. A u f Kippenbergs wiederholte Klagen über die Honorarbelastung bei der Bibliotheca mundi reagierte der Reihenherausgeber deshalb mit folgendem, v o m Verleger vermutlich akzeptierten Vorschlag: Sein Redaktionshonorar solle unverändert bleiben, seine Beteiligung am A b satz j e d o c h erst ab einer b e s t i m m t e n verkauften Exemplarzahl in Kraft treten. 6 9 6 T r o t z all dieser S p a r m a ß n a h m e n schien sich ein Mißerfolg des so zuversichtlich beg o n n e n e n Projektes schon zu diesem Z e i t p u n k t abzuzeichnen, d e n n Kippenberg m u ß t e im September 1921 gegenüber Z w e i g eingestehen: »Uberhaupt kann ich nicht sagen, daß ich mit d e m Absatz der Weltbibliotheken irgendwie zufrieden wäre.« 697 1922 k o n n t e n endlich, nach mehrfach verschobenen Auslieferungsterminen, auch die beiden seit über zwei J a h r e n vorbereiteten S a m m l u n g e n Anthologia Hebraica u n d Anthologia Hungarica (beide Bibliotheca mundi) erscheinen. Die hebräische S a m m l u n g , die laut Verlagsprospekt »zum erstenmal aus vielfach u n b e k a n n t e n Handschriften u n d einzelnen G r u p p e n die ganze hebräische Lyrik seit d e m Abschluß des C a n o n s bis zur neuhebräischen Literatur ans Tageslicht bringt«, 6 9 8 war schon seit Januar 1920 in der Planung. 6 9 9 Als Herausgeber fungierten der namhafte Prager Oberrabbiner D r . Heinrich Brody, der wichtige Werke auf d e m Gebiet der hebräischen Poesie des Mittelalters u n d der rabbinischen Literatur publiziert hatte, sowie der bekannte Dichter u n d Literaturkritiker M e i r Wiener, der sich neben seinem Interesse am m o d e r n e n hebräischen Schrifttum auch d e m S t u d i u m der traditionellen hebräischen D i c h t u n g u n d j ü d i s c h e n Mystik gewidmet hatte. 7 0 0 A u f g r u n d der arbeitsaufwendigen Textbeschaffung u n d -auswahl aus m e h r als tausend Büchern, Manuskripten u n d Zeitschriften (wobei n u r handschriftliche Abschriften möglich waren) w u r d e ihr Herausgeberhonorar ausnahmsweise a u f 4 . 0 0 0 , - M a r k heraufgesetzt. Auch die Herstellung war nicht o h n e Verzögerung vor sich gegangen, d e n n Kippenberg m u ß t e erst bei Spamer bzw. Drugulin anfragen, ob sie hebräischen Satz auf der Grundlage eines Manuskriptes in Kursivsschrift zuverlässig d u r c h f ü h r e n könnten. T r o t z d e m v e r m u t e t e der Verleger zu Recht, daß diese Anthologie »eines der gangbarsten Bücher der Sammlung« w e r d e n w ü r d e , u n d Stefan Z w e i g schrieb in ähnlicher Zuversicht: »Dieser Band wird eine wirkliche Sensation w e r d e n . . . . Die Idee lag irgendwie in der Luft u n d glücklicherweise waren wir die ersten, die sie im Fluge heruntergeholt haben.« 7 0 1 E n d e Juli 1920 drängte er dann ungeduldig, die H e r a u s gabe nicht weiter hinauszuschieben: »Kein B u c h der ganzen Bibliotheca hat so starke Möglichkeiten, im Ausland verkauft zu w e r d e n (besonders in Amerika).« 7 0 2 D o c h es dauerte noch bis Anfang 1922, bis die langerwartete Anthologia Hebraica703 vorlag. Das
695 696 697 698 699 700 701
Vgl. Sarkowski 76,360, 410, 786 und 1191. Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 9.6.1921 (IA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 12.9.1921 (IA). Insel-Almanach auf das Jahr 1975, S. 21. Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 15.1.1920 (GSA). Vgl. Enzyclopaedia Judaica , Bd. 4, Sp. 1399 f. und Bd. 16, Sp. 500. A. Kippenberg an S. Zweig vom 12.2.1920 und S. Zweig an A. Kippenberg vom 16.2.1920 (GSA). 702 S. Zweig an A. Kippenberg vom 21.2.1920 (IA). 703 Vgl. Sarkowski 35. Satz und Druck in hebräischer Quadratschrift übernahm schließlich W. Drugulin.
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte f ü r die Reihe völlig n e u zusammengestellte Buch w u r d e in den folgenden J a h r e n tatsächlich eines der bekanntesten innerhalb der fremdsprachigen Serien, erlebte im Insel-Verlag zwei Auflagen u n d wird in Israel bis heute nachgedruckt. Seine Publikation war also im Rückblick vielleicht doch »ein internationales Geschehnis«, 7 0 4 wie Z w e i g schon Anfang Februar 1920 v e r m u t e t hatte. Eine ähnlich lange >Inkubationszeit< hatte auch die Anthologia Hungarica. Bereits A n fang März 1920 hatte Kippenberg Z w e i g davon unterrichtet, daß sich Prof. Dr. Robert Gragger, der Direktor des Ungarischen Instituts der Berliner Universität, als Herausgeber dieser S a m m l u n g angeboten habe. 7 0 5 Z w e i g riet damals z u m Aufschub dieses Bandes, da U n g a r n sprachlich isoliert sei u n d er dort n u r w e n i g interessiertes Lesepublikum erwarte. 7 0 6 D e r Verleger j e d o c h verwies auf den bisher schon guten Absatz seiner Produktion in U n g a r n u n d das verlagspolitisch wichtige Erscheinen auch ungarischer Titel in den fremdsprachigen Serien. So einigte m a n sich darauf, den Band bei reduzierter Erstauflage (3.000 statt 5.000 Exemplare) 7 0 7 zu machen u n d mit d e m Ubersetzungshonorar nicht allzu großzügig zu verfahren, »um bei den A n thologien größerer Länder, die größere Verbreitungsmöglichkeiten haben, die H o norare reichlicher ansetzen zu können.« 7 0 8 Außer diesen beiden Anthologiebänden erschien 1922 n u r n o c h die revidierte Neuauflage des gutverkäuflichen Russischen Parnass·,709 die Verzögerungen bei der Herausgabe neuer Bände, die eigentlich »in rascher Folge« erscheinen sollten, w u r d e n i m m e r unübersehbarer. Im darauffolgenden Jahr verzeichnen die Geschäftsunterlagen zwar bereits Neuauflagen der Anthologia Hebraica, auch von Baudelaire, Stendhal u n d Balzac; neu kamen j e d o c h n u r zwei Bibliotheca mtmdi-Bände heraus: die Anthologie de la Poésie Française u n d II Rinascimento. Der Plan einer Anthologie m o d e r n e r französischer Autoren war von Zweig u n d Kippenberg schon im Januar 1907 diskutiert worden, 7 1 0 im Mai 1920 machte m a n sich n u n an die Verwirklichung einer originalsprachigen Version. Da f ü r die Bibliotheca mundi möglichst »Männer des eigenen Landes« 711 verpflichtet w e r d e n sollten, entschieden sich der redaktionelle Leiter u n d der Verlag unter m e h r e r e n Anwärtern f ü r Georges D u h a m e l , den mit Z w e i g gut bekannten französischen Arzt, Schriftsteller und einflußreichen Literaturkritiker. Einige zwischen März u n d D e z e m b e r 1922 an Z w e i g gerichtete Briefe D u h a m e l s verraten, daß sich Leiter u n d Herausgeber intensiv u m diesen Band b e m ü h t hatten (und D u h a m e l zuvor ausgedehnte Literaturstudien betrieben hatte, u m eine möglichst repräsentative Auswahl französischer Lyrik v o m E n d e des 16. J a h r h u n d e r t s bis Ende des 19. Jahrhunderts, von Villon bis Baudelaire, zu erstellen). Ende D e z e m b e r 1921 lag D u h a m e l s S a m m l u n g vor, 1923 erschien sie als mit über 500 Seiten umfangreichster Band dieser Reihe. 7 1 2
704 705 706 707 708 709 710 711 712
S. Zweig an A. Kippenberg vom 1.2.1920 (GSA). Vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 4.3.1920 (GSA). Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 9.3.1920 (GSA). Vgl. Sarkowski 37. Vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 12.3.1920 und S. Z w e i g a n A. Kippenberg vom 7.4.1920 (GSA). 6.-9. Tausend, vgl. Sarkowski 1382 A. Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg von [Mitte Januar] und 26.10.1907 (LA). S. Zweig an A. Kippenberg vom 26.5.1920 (GSA). Als Honorar wurden 2.000,- FF festgesetzt, vgl. S. Zweig an den Insel-Verlag vom 27.4.1921 (GSA) und Sarkowski 38.
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag Auch II Rinascimento, die ebenfalls erst 1923 herausgekommene Anthologie italienischer Texte des 13. bis 16. Jahrhunderts, war seit langem eingeplant. Die Herausgabe übernahm schließlich Dr. Joseph Gregor, der Direktor der theatergeschichtlichen Abteilung der Wiener Nationalbibliothek, der neben zahlreichen Publikationen zur europäischen Theatergeschichte auch als belletristischer Autor hervorgetreten war. M i t Stefan Zweig war Joseph Gregor seit 1921 bekannt. Die beiden Wiener Schriftsteller korrespondierten bald regelmäßig über literarische und verlegerische Fragen, über Autographen und das Zeitgeschehen, woraus sich im Laufe der Jahre eine enge Freundschaft entwickelte. Leider fehlen in ihrem 1991 veröffentlichten Briefwechsel Hinweise auf ihre Zusammenarbeit beim Band II Rinascimento, da viele Briefe dieser frühen Jahre als verschollen gelten. 7 1 3 Aus der Korrespondenz zwischen Zweig und Kippenberg läßt sich aber immerhin ersehen, daß sich die Herausgebertätigkeit Gregors besonders schwierig gestaltete. Für das moderne Publikum mußte die O r t h o graphie nach Möglichkeit angeglichen werden, um die Lektüre zu erleichtern. Folglich war langwieriges Redigieren nötig. 7 1 4 Im J u n i 1921 erklärte sich Kippenberg aufgrund dieser unvorhergesehenen Schwierigkeiten bereit, das Honorar wie bei der Anthologia Hebraica auf 4.000,- M a r k heraufzusetzen, »obgleich«, wie er Zweig erläuterte, »die Bibliotheca mundi die auf ihr ruhenden Honorare: Herausgeberhonorar, Jahresgehalt für Sie, Abgabe pro Exemplar für Sie, Honorare Dr. Wengler und Jolies anteilig, schlechterdings nicht mehr trägt, auch dann nicht tragen würde, wenn sie, was leider nicht der Fall ist, einen großen Absatz hätte. «715 Im Gegensatz zu den Nachdruck-Reihen Libri librorum und Pandora waren die A n thologien der Bibliotheca mundi neu und teilweise erstmals unter dieser thematischen Vorgabe zusammengestellt worden. Es verwundert daher nicht, daß gerade ihre >Komposition< am meisten Zeit, Energie und finanziellen Einsatz erforderte.
3.4.2.3 Absatzkrise und Abbruch des Unternehmens Da sich der Absatz der Weltbibliotheken in den folgenden Monaten weiterhin verschlechterte, verzichtete Stefan Zweig ab dem März 1923 auf seine monatliche Spesenüberweisung. Am 21. März bat er darum Fritz Adolf Hünich: »... wollen Sie bitte Prof. Kippenberg bei dieser Gelegenheit sagen, daß ich es für richtig finden würde, wenn wir nun die Spesenbezahlung von monatlich Mark 1.000,- für die Bibliotheca mundi streichen würden, denn leider ist ja die Bibliothek durch die Umstände arg ins Stocken geraten und ich habe momentan gar nichts dafür zu tun. Es wäre mir peinlich eine noch so geringe Bezahlung für eine nicht existierende Leistung anzunehmen. Kommt sie wieder ein wenig in Schwung, was ich ja sehr hoffe, so tue ich das gern in freundschaftlichster Weise und ohne jeden weiteren Anspruch auf Spesenersatz.«716 Unterdessen war die Inflation unaufhaltsam vorangeschritten. Bereits am 13. September 1922 hatte der Börsenverein statt des seit 1918 bestehenden Teuerungszuschlages aufgrund des zunehmenden Währungsverfalls »Schlüsselzahlen« einge-
713 714 715 716
Vgl. Zweig/Gregor: Correspondence 1921-1938, S. 37. Vgl. S. Zweig an Α. Kippenberg vom 27.4.1921 (GSA) und 19.1.1922 (IA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 6.6.1921 (IA). S. Zweig an F. A. Hünich vom 21.3.1923 und F. A. Hünich an S. Zweig vom 21.3.1923 (GSA).
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte f ü h r t , mit d e n e n der G r u n d p r e i s des Buches zu multiplizieren war. Bei ihrer E i n f ü h r u n g betrug sie 60, bis z u m 22. N o v e m b e r 1923 war sie bei galoppierender Inflation bis auf 110 Milliarden gestiegen. 717 An einen zufriedenstellenden Absatz der Weltbibliotheken im Inland war bei diesen h o r r e n d e n Ladenpreisen nicht m e h r zu denken. A m 12. O k t o b e r 1923 gestand Anton Kippenberg auch gegenüber Stefan Z w e i g den wirtschaftlichen Fehlschlag ihres U n t e r n e h m e n s ein. Stattdessen besann er sich wieder auf seine >eigentliche< verlegerische Aufgabe: »Solange wichtige deutsche klassische Werke oder Ausgaben ... fehlen, ist im Insel-Verlag kein Platz f ü r ausländisches. Wie ich d e n n überhaupt von m e i n e m Internationalismus in verlegerischer Hinsicht vorläufig auf das gründlichste geheilt bin.« 718 Z w e i g pflichtete i h m in Anbetracht der veränderten wirtschaftlichen Lage resigniert bei: »Ebenso wie ich Ihnen vor drei J a h ren leidenschaftlich zugeraten habe ausländische Literatur zu bringen, so w ü r d e ich Ihnen heute auf das eindringlichste abraten.« 719 Seine H o f f n u n g auf eine Fortsetzung dieser pazifistisch-humanistischen Tätigkeit, die auch finanzielle Absicherung versprach, war jetzt zerstoben, während er im März 1920 an den F r e u n d Victor Fleischer voller Zuversicht geschrieben hatte: »Die Bibliotheca wird mich in [ein] paar J a h r e n allein über die S ü n d e n f l u t halten.« 720 Bis Ende 1923 lagen in der Bibliotheca mundi-Serie gerade 14 statt 20 Bände vor, innerhalb der Reihe Libri librorum 5 statt der geplanten 7, u n d auch in der S a m m l u n g Pandora waren n u r 52 statt der angekündigten 100 Bände erschienen. N a c h der Stabilisierung der Reichsmark im D e z e m b e r 1923 war z u d e m die deutsche B u c h p r o duktion f ü r das französische u n d englische Ausland nicht m e h r so preiswert wie zuvor, u n d fremdsprachige Druckwerke d u r f t e n n u n wieder unbegrenzt nach Deutschland importiert werden. Der bisher schon schlechte Absatz der fremdsprachigen Reihen stockte in der Folge beinahe völlig, u n d Kippenberg m u ß t e sich (ähnlich wie 1917 bei der Osterreichischen Bibliothek) schweren H e r z e n s z u m Abbruch des U n t e r n e h m e n s entschließen. Im April 1925 schrieb er d e m Initiator enttäuscht nach Salzburg: »Erschütternd aber war der Absatz der fremdsprachigen Bücher. Ich habe darauf eine riesenhafte Abschreibung v o r n e h m e n müssen. S u m m a s u m m a r u m war das U n t e r n e h m e n geschäftlich leider ein entsetzlicher Fehlschlag.« 721 Der Ausverkauf der Lagerbestände war in den ersten M o n a t e n des Jahres 1924 betrieben w o r d e n , n u r bei den wenigen deutschsprachigen Pandora-Titeln hatte man sich (analog zur Osterreichischen Bibliothek) f ü r eine A u f n a h m e in die Insel-Bücherei entschieden. 7 2 2 Die G r ü n d e , die z u m Scheitern des Orbis Litterarum geführt haben, sind vielfaltig. Z u m einen verzögerte die philologisch sorgfältige Textauswahl u n d Redaktion die angestrebte rasche Publikationsweise. Z u m anderen entstanden 1919/20 durch die Zwangswirtschaft Engpässe bei der Papierbelieferung, weitere Verzögerungen bis z u m Erscheinen der Bücher waren unumgänglich. D u r c h die rasante Geldabwertung s c h r u m p f t e n darüber hinaus die Herausgeberhonorare, Bearbeiter sagten teil-
717 718 719 720 721 722
Vgl. Wittmann: Gcschichtc des deutschen Buchhandels, S. 303. A. Kippenberg an S. Zweig vom 12.10.1923 (IA). S. Zweigan A. Kippenberg vom 15.10.1923 (IA). Prater, S. 189. Α. Kippenberg an S. Zweig vom 15.4.1925 (IA). Vgl. Schuster, Sp. 752.
3 Stefan Z w e i g beim Leipziger Insel-Verlag weise ab. 723 Wesentlich f ü r das Scheitern des U n t e r n e h m e n s aber war vor allem das Desinteresse des Käufers, der die relativ h o h e n Ladenpreise f ü r die Bände nicht zahlen wollte. D o c h selbst bei der wohlfeilen S a m m l u n g Pandora war der Absatz viel geringer als bei der auch in Krisenzeiten gut verkäuflichen Insel-Bücherei. F ü r ein breites P u b l i k u m waren die dargebotenen, aus den Literaturen vergangener E p o c h e n ausgewählten Texte o h n e h i n vermutlich nicht reizvoll, gegenwartsnah g e n u g oder auch als Originaltexte zu anspruchsvoll. Mitberücksichtigt w e r d e n sollte nicht z u letzt auch die Tatsache, daß der deutsche Buchhandel nach 1918 eher reaktionär eingestellt war u n d nach d e n d r ü c k e n d e n Bedingungen des Versailler Vertrages trotz intensiver Verlagswerbung oft lieber keine fremdsprachigen Titel abnahm. In seinem Aufsatz Wille zur Universalität von 1924 u m r i ß Stefan Zweig d a n n nochmals die Ziele seines gescheiterten u n d o h n e Nachhall gebliebenen polyglotten U n t e r n e h m e n s , o h n e sich j e d o c h als Initiator oder Herausgeber zu präsentieren: »Aber noch weiter spannt sich der Ring: in der Bibliotheca mundi, der Pandora, den Libri librorum läßt die Insel die fremden Sprachen selbst sprechen, in französischen, englischen, lateinischen, griechischen, spanischen, hebräischen, italienischen Dichtungen gibt sie der Welt gestaltet wieder, was sie empfangen. Der Wille zur Welt, der Universalismus, hat darin weiter, alsjemals ein deutscher Verlag es versucht, seine umfassende Form gefunden.« 724 Die intensive, trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen T e m p e r a m e n t e sich gut ergänzende Z u s a m m e n a r b e i t zwischen Stefan Z w e i g u n d Anton Kippenberg beim »Hauptgeschäft« war ungeachtet ihres kommerziellen Mißerfolges ein wichtiger Meilenstein in ihrer Beziehung. Das gemeinsame Wirken im Dienste der Sache band die beiden in ihrer Verlagsarbeit noch enger z u s a m m e n , d e n n schließlich waren es nicht interne, sondern wirtschaftliche u n d politische G r ü n d e , die die Aufgabe des Vorhabens n o t w e n d i g w e r d e n ließ. Wie oft bei Konflikten bei Autoren u n d Mitarbeitern betonte Kippenberg, daß er das ökonomische F u n d a m e n t des Verlages nicht aus d e n Augen verlieren dürfe. T r o t z des mißgelaunten K o m m e n t a r s über das Scheitern der fremdsprachigen Serien aber versicherte er sich auch in d e n k o m m e n d e n Jahren der kenntnisreichen u n d dabei nie aufdringlichen Mithilfe des Freundes bei diversen U n t e r n e h m u n g e n . D e r Orbis Litterarum war, so gesehen, ein weiteres Beispiel f ü r Zweigs Ideenreichtum, seine Schaffenskraft, Überzeugungsfahigkeit (nicht nur) bei pazifistisch-literarischen U n t e r n e h m u n g e n , sein Organisationstalent (wobei er sich mit Kippenberg auf das trefflichste ergänzte) u n d ebenso f ü r sein Beharrungsvermögen auch bei verlegerischen U n t e r n e h m u n g e n .
723 Schon am 2.3.1920 (GSA) hatte S. Zweig A. Kippenberg über die Schwierigkeit, angemessene Herausgeber für die Anthologien zu finden, informiert: »Die Leute übernehmen alle gern die schon vorgebauten und vorgekauten Dinge, w o sie aus fünf Büchern ein sechstes zusammenstellen können. Wenn aber ... es nötig ist wirklich erst zu suchen, zu entdecken und sich durch cine Vielzahl von Büchern hindurchzuarbeiten, da ist es sehr schwer Menschen zu finden, besonders da das Honorar sich ja inzwischen durch die Teuerung der Preise relativ stark vermindert hat.« Z u d e m waren durch den Währungsverfall ausländische Autorenrechte kaum zu erwerben. 724 Zweig: Wille zur Universalität, in: Navigare necesse est, S. 160. Obwohl der Insel-Verlag in seinem Jubiläumsalmanach auf das Jahr 1974 diesem Projekt überdurchschnittlich viel Raum widmete (S. 20-22), ist der N a m e des Reihenredakteurs Stefan Zweig hier ebensowenig erwähnt wie im Marbacher Katalog »Die Insel« (S. 316 f.).
3.4 Zweig als Initiator n e u e r Buchprojekte
3.4.3
Weitere (realisierte) Verlagsprojekte
Bedingt d u r c h einige Korrespondenzlücken lassen sich Zweigs Projektideen nicht vollständig nachvollziehen, d e n n vieles besprach m a n auch in Leipzig, M ü n c h e n oder Salzburg unter vier Augen. Im umfangreichen, über drei J a h r z e h n t e recht k o n tinuierlich geführten Autor-Verleger-Briefwechsel jedenfalls fallen neben den H i n weisen zur Verpflichtung zeitgenössischer Autoren, der Initiierung der Insel-Bücherei mit all ihren Autoren- u n d Titelanregungen u n d d e m Orbis Litterarum besonders seine >inselgemäßen< Vorschläge f ü r Werkausgaben von Dichtern der Weltliteratur u n d f ü r Faksimilia ins Auge. So finden sich im Autor-Verleger-Briefwechsel bereits im O k t o b e r 1906, also noch im ersten Jahr ihrer Geschäftsbeziehung, Hinweise auf eine (trotz urheberrechtlicher Schwierigkeiten) geplante deutsche Ausgabe der Werke Paul Verlaines. 7 2 3 Stefan Z w e i g hatte sich schon bei Schuster & Loeffler f ü r den 1896 verstorbenen, hochgeschätzten u n d u m die J a h r h u n d e r t w e n d e vor allem von O t t o H a u s e r übertragenen französischen Dichter eingesetzt, z u m einen als Herausgeber der Gedichte von Paul Verlaine. Eine Anthologie der besten Übertragungen (1902), die er mit einer 16seitigen Vorbemerkung einleitete, z u m anderen mit einer einfühlsamen, differenzierter angelegten Biographie des Dichters (1904/05). 7 2 6 Auch im j u n g e n Insel-Verlag war Verlaine vertreten gewesen, nicht n u r in F o r m von Beiträgen in der Insel, sondern auch durch r u n d neunzig Ausgewählte Gedichte (1906) in der U b e r s e t z u n g des frühverstorbenen Grafen Wolf von Kalckreuth. 7 2 7 F ü n f Jahre nach d e m Erscheinen dieser Ausgabe, die sich als »einzige v o m französischen Verleger autorisierte Ü b e r t r a g u n g Verlainescher Gedichte« bezeichnete, 7 2 8 w u r d e die »Verlaine-Angelegenheit«, welche die Kalckreuthsche Edition ersetzen sollte, d a n n in der Autor-Verleger-Korrespondenz wieder aufgegriffen. 7 2 9 A m 24. N o v e m b e r 1913 konnte Kippenberg nach Wien melden, daß er die »Autorisation f ü r die sämtlichen Werke Verlaines erworben« habe. In Hinblick auf die z u künftige Insel-Ausgabe bemerkte er gegenüber d e m eigentlichen Initiator mit verlegerischem Stolz: »Es ist merkwürdig, daß auf Verlaine bisher noch niemand g e k o m m e n ist u n d daß, abgesehen von einer Anthologie, nichts v o n i h m ins Deutsche übertragen ist.« 730 Im E i n v e r n e h m e n mit Kippenberg ü b e r n a h m Stefan Zweig, der sich in den zurückliegenden Jahren intensiv auch mit d e m Werk Verlaines befaßt hatte, die Herausgeberschaft 7 3 1 u n d versandte im Frühjahr 1914 in Z u s a m m e n a r b e i t mit d e m Insel-Verlag ein Rundschreiben, in d e m er viele namhafte deutsche Dichter
725 Vgl. S. Z w e i g a n A. Kippenberg von [Anfang Oktober] und 5.10.1906 (LA). 726 Vgl. Klawiter I 159 und G 937. 727 Vgl. Sarkowski 1974,3; 1977,11; 1982,7/8; 1986; 1988 und 1831. 1912, als die 850 Exemplare der Erstausgabe der »Ausgewählten Gedichte« Verlaines vergriffen waren, publizierte der InselVerlag eine zweite Auflage, nun in klassischer Antiqua und ohne den von Heinrich Wilhelm Wulff entworfenen Buchschmuck im Jugendstil. 728 Gsteiger: Französische Symbolisten, S. 143. 729 Kippenbergs Versuch, durch Zweigs Vermittlung die zweite Auflage der Gedichtanthologie von Schuster & Loeffler zu erwerben, schlug offenbar fehl, vgl. S. Zweigan A. Kippenberg vom 5.10.1906 und 26.11.1913 (IA). 730 A. Kippenberg an S. Zweig vom 24.11.1913 (IA). 731 Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 26.11.1913 und A. Kippenberg an S.Zweig vom 28.11.1913 (IA).
3 Stefan Z w e i g b e i m Leipziger Insel-Verlag
z u r M i t a r b e i t aufrief. W ä h r e n d des Krieges r u h t e die Arbeit daran, so d a ß die auf zwei B ä n d e angelegte Edition erst 1922 e r s c h e i n e n k o n n t e . Z w e i g verstand es, f ü r diese seinerzeit gehaltvollste d e u t s c h e V e r l a i n e - Z u s a m m e n stellung - i m m e r h i n w a r e n u n t e r d e m Titel Auswahl der besten Ubersetzungen 193 G e dichte v o n 52 v e r s c h i e d e n e n , meist m i t i h m b e f r e u n d e t e n U b e r s e t z e r n , also etwa ein Drittel v o n Verlaines gesamter lyrischer P r o d u k t i o n g e s a m m e l t - fast alle Mitarbeiter v o n 1902 w i e d e r zu verpflichten, w o b e i er das damalige K o n z e p t beibehielt. 7 3 2 A u c h er selbst ü b e r t r u g w i e d e r einige Gedichte, schrieb ein N a c h w o r t z u m ersten u n d eine biographische E i n l e i t u n g z u m zweiten, Lebensdokumente übertitelten Band, die v o n J o h a n n e s Schlaf, H a n n s v o n G u m p p e n b e r g u n d Friderike Z w e i g übersetzt w o r d e n w a r e n . 7 3 3 N i c h t zuletzt d a n k seines E n g a g e m e n t s k o n n t e so das Interesse der d e u t s c h e n Leserschaft an Verlaines Lyrik auch nach 1918 n o c h f ü r einige J a h r e w a c h g e halten w e r d e n . E i n e a n d e r e A n r e g u n g Stefan Z w e i g s w u r d e b e d e u t e n d rascher in die T a t umgesetzt: die z w ö l f b ä n d i g e Edition Ausgewählte Romane und Novellen v o n C h a r l e s D i c k e n s (1910-1913), v o n Leo Feld u n d E r w i n K r a u ß nach älteren Ausgaben bearbeitet u n d revidiert u n d v o n Z w e i g s a c h k u n d i g eingeleitet. N a c h v e r m u t l i c h v o r a u s g e g a n g e n e r m ü n d l i c h e r Absprache hatte Z w e i g im M a i 1908 in dieser Angelegenheit an K i p p e n b e r g geschrieben: »Ich will in freier Zeit mich jetzt wieder ein wenig mit Dickens beschäftigen. Vielleicht kann ich Ihnen dann in [ein] paar Monaten Vorschläge machen, welche seiner Werke die geeignetsten für eine schöne Gesamtausgabe wären, zu der das Vorwort zu schreiben, ich eigentlich nicht ungern unternehmen möchte, vorausgesetzt natürlich, daß nicht Herr Hofmannsthal sich dafür interessiert.« 734 W e n i g e Tage später b e m e r k t e er, nach der D u r c h s i c h t v e r s c h i e d e n e r älterer D i c k e n s Ausgaben, z u m U m f a n g d e r geplanten Edition: »So w ä r e eine z e h n - bis z w ö l f b ä n d i g e A u s w a h l m e i n e r M e i n u n g nach nicht n u r eine d e r schönsten, s o n d e r n a u c h zugleich lukrativsten Sachen des Insel-Verlages.« 7 3 5 A u c h bei der 16bändigen D ü n n d r u c k a u s g a b e der W e r k e H o n o r é de Balzacs (19081911) 7 3 6 - ein A u t o r , der i h n sein ganzes L e b e n lang faszinieren u n d literarisch b e schäftigen sollte - u n d C h a r l e s Baudelaires Blumen des Bösen (1907) 7 3 7 m a c h t e er detaillierte Verbesserungsvorschläge z u r T e x t a u s w a h l , - a n o r d n u n g , U b e r s e t z u n g 732 Vgl. Die Insel, S. 190-192 und Sarkowski 1830. 733 Vgl. Sarkowski 1830 und Gstciger: Französische Symbolisten, S. 279.1927 erschien dann als IB Nr. 394 eine ebenfalls von Zweig getroffene und kommentierte »Auswahl der besten Übertragungen« Paul Verlaines, vgl. Sarkowski, S. 560. 734 S. Zweig an A. Kippenberg vom 15.5.1908 (IA). 735 S. Zweig an A. Kippenberg vom 27.5.1908 (IA), s. a. Sarkowski 381. Am 13.6.1910 schrieb er dann an den Insel-Verlag, daß er mit der Fassung »Ausgewählte Romane und Novellen« vollkommen einverstanden sei und die Anordnung des Titels außerordentlich glücklich finde. Dem Wunsch des Verlages, die Einleitung zu kürzen, sei er ebenfalls nachgekommen. Vgl. Zweig: Briefe 1897-1914, S. 213 f. 736 Vgl. ζ. B. S.Zweig an A. Kippenberg vom 30.1.1908 (IA) und Sarkowski 69. Börries Freiherr von Münchhausen schrieb er am 15.2.1908 zu Balzac: »Aber ich habe jetzt an einer Auswahl von Werken Balzacs gearbeitet, habe in vier Wochen sechzig - sage, schreibe, erschrecke: sechzig Bände Balzac gelesen und durchstöbert. Ein schwerer Ekel vor bedrucktem und zu beschreibendem Papier war die unmittelbare Folge und noch heute bin ich von dieser Krankheit noch nicht ganz genesen.« Zweig: Briefe 1897-1914, S. 163. 737 Vgl. z. B. S. Zweig an A. Kippenberg von [Mitte Januar 1907] und Sarkowski 99.
3.4 Z w e i g als Initiator n e u e r Buchprojekte u n d Ausstattung. Auf den im Januar 1908 (in bezug auf Balzac) von Kippenberg ausgesprochenen D a n k f ü r »das große u n d tätige Interesse, das Sie u n s e r e m U n t e r n e h m e n entgegenbringen«, 7 3 8 antwortete Zweig schließlich mit einer Replik, die ihre langjährige, harmonische Z u s a m m e n a r b e i t treffend charakterisiert: »Ich bitte Sie, sich auch weiterhin gerne an mich wenden zu wollen, es ist eine Freude, bei einem solchen Werke mithelfen zu können und ich habe das Verhältnis von Verleger und Autor immer ungern als ein rein geschäftliches empfunden. Ich helfe gerne mit, ... auch und ganz besonders sogar, wenn es nicht mein Werk angeht.«739 Die 1921/22 erschienene Ausgabe der Sämtlichen Romane und Novellen von Fjodor Michailowitsch Dostojewski in 25 Bänden ging teilweise ebenfalls auf Zweigs Anregung zurück, der auch die Einleitung verfaßte. Z u d e m setzte er sich in seinen späteren dichterischen Essays Drei Meister (1920) u n d Drei Dichter ihres Lebens (1928) intensiv mit den f ü r ihn wegweisenden Autoren Balzac, Dickens, Dostojewski, Casanova, Stendhal u n d Tolstoj auseinander. 7 4 0 Harry Z o h n n e n n t die Liste der von Z w e i g eingeleiteten, übersetzten u n d interpretierten Autoren einmal ein »Who's W h o der Weltliteratur«. 7 4 1 Auch Gerhard Schuster hebt die erstaunliche Vielfalt der Anregungen hervor: »[Stefan Z w e i g ] bewegte sich innerhalb des europäischen Literaturbetriebes leichtfüßig genug, u m d e m Verlag die U b e r s e t z u n g s r e c h t e Verhaerens zu verschaffen, oder eine deutsche Verlaine-Ausgabe als b u n t e R e u n i o n greifbarer Ubersetzer zu initiieren; er d u r f t e sich die M i t p l a n u n g der Insel-Bücherei zugute halten, hatte zu Werkausgaben wie der von Charles Dickens, Dostojewski oder T o l s t o j geraten u n d sich nicht erst seit seinem Aufsatz Lob der deutschen Verleger als fleißig preisender, die Insel-Publikationen vielerorts anzeigender Pate d e r Kippenbergschen Arbeit erwiesen.« 7 4 2
Ein weiterer gewichtiger H i n w e i s auf ein Insel-Projekt ist im Brief v o m 4. Juli 1921 festgehalten, in d e m Z w e i g seinem gleichfalls musikbegeisterten Verleger »in alter freundschaftlicher Art f ü r den Verlag« folgende Idee unterbreitete. N a c h der Faksimilierung der 42zeiligen Gutenberg-Bibel (1913/14) u n d in Anbetracht der seiner Einschätzung nach augenblicklich zu h o h e n Kosten f ü r eine ebensolche Edition der Manesseschen Liederhandschrift regte er eine Faksimileausgabe der Matthäus-Passion von J o h a n n Sebastian Bach an. Sein Vorschlag griff den H i n w e i s eines mit den Beständen der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin offenbar gut vertrauten G e heimrates Schreiber auf, w o die Handschrift lag. Bei diesem Faksimile rechnete Z w e i g mit einem Mindestabsatz von 500 Exemplaren u n d schrieb ergänzend: »Ich glaube, daß die Insel, die soviel Repräsentatives auf allen Gebieten geleistet hat ... auch e i n m a l . . . an die »Sprache der SprachenPour-le-méritePalazzo ChippiEinen Einzigen V e r e h r e r n steht auf dem Widmungsblatt seines Kataloges zitiert; so möchte man meinen, hier habe der sonst universal Wirkende sich vereinzelt, sich spezialisiert. Aber gerade die Sammlung zeigt diesselbe kristallinische, kreisbildende Form wie das Verlagswerk, das gleiche Uberwachsen ins Welthafte, denn nicht der Mensch Goethe ist in ihr sammlerisch sichtbar gestaltet (wie in den meisten früheren dieser Art), sondern die Welt Goethe, wie sie sich in Buch und Schrift, in Bild und Plastik, in Erinnerung und Umgebung kundtat.« 789 U m g e k e h r t flöß (wie bei Zweig) ein Gutteil seiner E i n k ü n f t e in den Ankauf neuer, meist kostspieliger Goetheobjekte. Die Goethebegeisterung Kippenbergs fand ihren Ausdruck über die auf den Klassiker konzentrierte Herausgeber- u n d Sammlertätigkeit hinaus auch in seiner langjährigen Mitgliedschaft in der Weimarer Goethe-Gesellschaft. Seit 1919 zählte Kippenberg zu den Vorstandsmitgliedern, von 1938 bis 1950 war er dann, als Nachfolger des Germanisten Julius Petersen, ihr Präsident. Er n a h m dieses in schwieriger Zeit geführte A m t sehr ernst u n d w i d m e t e i h m einen nicht
783 Vgl. Michael: Leser, S. 77. 784 Vgl. Sarkowski 2061-2070. 785 Vgl. die beiden Glückwünsche von S. Zweig an A. Kippenberg vom 7. und 18.3.1932 (GoetheM u s e u m , Düsseldorf). 786 Vgl. Michael: Leser, S. 78. 787 Vgl. Bergmann: Entstehungsgeschichte der beiden Ausgaben des Katalogs, S. 24 f . 788 »Angesichts der Goethe-Sammlung spürt man deutlich, wie sehr sie und der Verlag sich ergänzen, wie reichlich die eine Schöpfung die andere speist. Sind die Vorlagen zu vielen schönen Faksimile- und Neudrucken persönlichem Besitz entnommen, so hielt die Lauterkeit der alten Einbände dem Geschmack ständig einen Spiegel vor.« Navigare nccesse est, S. 14. 789 Zweig: Wille zur Universalität, in: Navigare necesse est, S. 160 f.
3.5 G e m e i n s a m e Autographensammelleidenschaft kleinen Teil seiner o h n e h i n ausgefüllten Arbeitszeit u n d auch seines diplomatischen Geschicks. 7 9 0 Das Sichten der Verkaufs- u n d Auktionskataloge ü b e r n a h m e n dagegen meist die Verlagsmitarbeiter H ü n i c h u n d Bergmann, die in der Regel auch auf Versteigerungen in Kippenbergs Auftrag, der sich als Sammler gerne im H i n t e r g r u n d hielt, boten. 7 9 1 W ä h r e n d Stefan Z w e i g häufig, auch öffentlich, über den Erwerb seiner Autographen berichtete, verschwieg Kippenberg beharrlich die Provenienz seiner Schätze. Er hatte stets eine Liste von Desiderata im Kopf, u m gegebenenfalls seinen F r e u n d e n (und >GoethekonkurrentenLustgarten< b e g i n n e n d im >Chor der N y m p h e n < m i t d e n Zeilen >Und w e n n er zu Mittage schläft, Sich nicht das Blatt a m Z w e i g e regtNun folgt ein großes Ungeschick, D e r Bart e n t f l a m m t u n d fliegt zurück*. A u f d e m Blatte d a n n n o c h der V e r m e r k >Handschrift des Vaters, f ü r Franz Grillparzer. Ottilie v o n Goethe.< Lieber H e r r Professor, Sie begreifen, daß ich, solange ich n o c h S c h u h s o h l e n habe, zögere, das Blatt, solch ein Blatt herauszugeben. Aber ich reserviere es Ihnenfeierlichst, falls Not oder Tod mich zu einem Verkaufe zwingen sollten. ...Also: ein gutes neues Jahr! M e i n Versprechen gilt: Sie als Erster erhalten das Blatt angeboten, wenn ich mich davon trennen muß. Aber w ü n s c h e n Sie d a r u m nicht gleich N o t u n d T o t [!] I h r e m herzlich getreuen Stefan Zweig.« 7 9 8
Der >Herr der Insel< reagierte mit folgender, seinen Sammlerneid kaum unterdrükkenden Replik: »Nein, den Faust habe ich I h n e n n o c h keineswegs verziehen. D a ß Sie als Sammler, der die Psyche dieser spezies h u m a n a kennt, e i n e m S a m m l e r eine W u r s t hinhielten, u m sie im letzten Augenblick w e g z u z i e h e n , war nicht h ü b s c h v o n I h n e n . N u n vielleicht überlegen Sie sich die Sache n o c h einmal u n d verschütten es nicht m i t I h r e m Verleger, der die Legende so schnell hat d r u c k e n lassen u n d bereits einige h u n d e r t Exemplare davon verkauft hat.« 7 9 9
Erst im Sommer 1921 findet sich dazu im Briefwechsel eine Fortsetzung. Auf Zweigs wiederholte Mahnungen, seine indische Legende Die Augen des ewigen Bruders doch als Bändchen innerhalb der populären Insel-Bücherei erscheinen zu lassen, antwortete der Verleger listig und durchaus mit einem Anflug von ernstem Sammlerfanatismus, daß er »die Erzählung - vorausgesetzt natürlich, daß das Faustblatt rechtzeitig in meinen Eisenschrank kommt - gern in die Insel-Bücherei aufnehmen werde.« 800 Am 24. März 1922 heißt es dann in einer kurzen Notiz Kippenbergs an Zweig recht mysteriös:
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796 Zweig: Welt von Gestern, S. 370. 797 Ebd., S. 401. Auch Friderike Zweig bestätigt später in »Spiegelungen« auf S. 100 diese »Konkurrenz«: »Ab und zu kamen sich Professor Kippenberg und Zweig ins Gehege, wenn sie beide für ein Goethe-Autograph boten. Die Aufregung wurde dann beim Schachspiel durch scherzende Anspielungen abreagiert.« 798 S. Z w e i g a n A. Kippenberg vom 6.1.1919, Zweig: Briefee 1914-1919, S. 256 f. 799 A. Kippenberg an S. Zweig vom 7.2.1919 (IA). Gemeint ist sein Kammerspiel »Die Legende eines Lebens«. 800 A. Kippenberg an S. Zweig vom 8.8.1921 (IA).
3.5 G e m e i n s a m e A u t o g r a p h e n s a m m e l l e i d e n s c h a f t »Ich nehme an, daß Sie demnächst wieder nach Leipzig kommen. Bitte vergessen Sie unter keinen Umständen, dann das Faust-Blatt mitzubringen. Ich möchte es zunächst einmal sehen, vor allem aber muß es als sichtbare Unterlage umfangreicher Verhandlungen dienen.« 801 Tatsächlich erschien Z w e i g s indische E r z ä h l u n g n o c h i m Laufe des J a h r e s als IB N r . 349 [ 1 ] 8 0 2 u n d avancierte d o r t bald, entgegen Kippenbergs anfänglichen Vorbehalten, zu e i n e m recht erfolgreichen Titel. D e r auf seiten des Verlegers fast erpresserisch b e t r i e b e n e » T a u s c h h a n d e l zwischen b e i d e n S a m m l e r n k a m also v e r m u t l i c h d o c h n o c h zustande, n a c h d e m er d e n b e f r e u n d e t e n A u t o r fast vier J a h r e ü b e r die P u b l i kation der (der Insel-Bücherei a u f j e d e n Fall adäquaten) N o v e l l e i m u n k l a r e n gelassen hatte. A u c h i m A u g u s t 1930 spiegelt die A u t o r - V e r l e g e r - K o r r e s p o n d e n z eine (eher h u m o r volle) A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m ein G o e t h e - A u t o g r a p h w i d e r . Stefan Z w e i g schrieb a m 23. A u g u s t aus H a m b u r g verheißungsvoll an A n t o n Kippenberg: »Ich habe in London ein bezauberndes Goethestück erworben, eines jener Albumblätter mit aufgeklebtem Bildchen in altem Rahmen, wundervoll signiert und datiert. Ein schöneres Exemplar und Museumsstück ist kaum zu erdenken. Allenfalls bin ich bereit, da es eher in Ihre Sammlung gehört, davon Abstand zu nehmen gegen den Nietzsche, der wieder in meine Sammlung gehört. Ich glaube, wir tauschen da dem Wert gemäß nicht ganz redlich, da mein Goethe marktmäßig bedeutend höher im Preis steht, aber ich will über diese Differenz freundschaftlich das linke Auge zudrücken.« 803 N u r zwei Tage später sandte i h m sein Verleger diese b e d a u e r n d e Replik: »Wie sehr das bezaubernde Goethe-Stück mir das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt, brauche ich nicht zu sagen, aber der Tausch gegen Nietzsche geht leider beim besten Willen nicht. Sie wissen ja, daß diese Verse die Lieblingsverse meiner Frau sind.« 804 V e r m u t l i c h blieb das G o e t h e - A u t o g r a p h (diesmal) in Z w e i g s Besitz, d e n n K i p p e n bergs abermalige E n t g e g n u n g in der Sache klingt ziemlich enttäuscht: »Ihre Rache ist freilich furchtbar. Das Stück, von dem Sie schreiben, habe ich schon vor einem Vierteljahr in Händen gehabt und habe es photographieren lassen. Aber mir war es zu teuer, und nun führen Sie mir vor Augen, wie gut es der Autor gegenüber dem Verleger hat. Das ist nicht schön von Ihnen. Aber ich weiß ja, wozu Sie es kauften, und werde, wenn ich das nächste Mal bei Ihnen bin, genau unter meinem Teller nachsehen, ob dort nicht etwas liegt.«805 A n dieser Stelle sei d a r a u f h i n g e w i e s e n , daß Stefan Z w e i g die enthusiastische G o e t h e v e r e h r u n g seines Verlegers n i c h t n u r respektierte, s o n d e r n sie - bis zu e i n e m gewissen G r a d - auch teilte, was ihrer p e r s ö n l i c h e n A u t o r - V e r l e g e r - B i n d u n g m i t Sicherheit weitere Stabilität verliehen hat. Sichtbarstes Indiz d a f ü r sind (abgesehen v o n d e n H i n w e i s e n a u f G o e t h e - S a m m e l o b j e k t e ) seine zahlreichen w ä h r e n d d e r I n sel-Jahre abgefaßten, p r e i s e n d e n G o e t h e - R e z e n s i o n e n u n d -Aufsätze sowie die S t e r n s t u n d e Die Marienbader Elegie (1923). 8 0 6 D e s s e n u n g e a c h t e t v e r a b s ä u m t e er es nicht, bisweilen das U b e r g e w i c h t v o n G o e t h e - T i t e l n u n d a n d e r e n >Klassikern< geg e n ü b e r zeitgenössischer Literatur im I n s e l - P r o g r a m m (etwa bei d e r P l a n u n g d e r ersten B ä n d c h e n der Insel-Bücherei) a n z u m a h n e n .
801 802 803 804 805 806
A. Kippenberg an S. Zweig vom 24.3.1922 (SUC). Vgl. Sarkowski, S. 555. S. Zweig, Hamburg, an A. Kippenberg vom 23.8.1930 (IA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 25.8.1930 (IA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 29.8.1930 (IA). Vgl. Klawiter H 243-251 und G 777.
3 Stefan Z w e i g b e i m Leipziger Insel-Verlag
V o n Z e i t z u Z e i t w a r e n A u t o g r a p h e n a u c h sorgfältig ausgewählte G e s c h e n k e z w i s c h e n A u t o r u n d Verleger. So m u ß t e Z w e i g M i t t e N o v e m b e r 1919 b e d a u e r n d nach Leipzig m e l d e n : »Mein beabsichtigtes W e i h n a c h t s g e s c h e n k an Sie ist z u n i c h t e gew o r d e n . O b w o h l ich express j e n e Karlsbader Kurliste m i t G o e t h e s E i n t r a g u n g b e stellte, w a r sie d o c h s c h o n ... verkauft.« 8 0 7 A n t o n K i p p e n b e r g seinerseits sandte zu Z w e i g s n e u n u n d v i e r z i g s t e m G e b u r t s t a g »ein v o n L e n a u geschriebenes S t ü c k aus d e m Savonarola m i t e i n e m S c h e r e n s c h n i t t d e r b e r ü h m t e n s c h w ä b i s c h e n K ü n s t l e r i n Luise D u t t e n h o f e r als A n g e b i n d e m i t m e i n e n herzlichsten G l ü c k w ü n s c h e n « 8 0 8 ins f e r n e Salzburg. Wie energisch u n d langwierig das Feilschen der s a m m e l w ü t i g e n F r e u n d e u m ein » G o e t h e - K u r i o s u m « gelegentlich ausfallen k o n n t e , zeigen die f o l g e n d e n B r i e f a u s z ü ge. A m O s t e r s a m s t a g 1925 berichtete Stefan Z w e i g d e m (hier b e i n a h e fanatisch reag i e r e n d e n ) G o e t h e s a m m l e r K i p p e n b e r g v o n einer v i e l v e r s p r e c h e n d e n N e u e r w e r bung: »Mir ist jüngst geglückt, ein seltsames und wertvolles Goethe-Curiosum zu erwerben - vier Seiten eigenhändig Goethe, und zwar die Abschrift eines Briefes von Herder an Jacobi.... In meine Sammlung paßt es eigentlich nicht hinein, nun wenn Sie ein würdiges Tauschobjekt dafür haben, so biete ich es Ihnen gelegentlich an oder in bar gegen das Dreifache des Preises, zu dem ich es erworben habe!« 809 D a r a u f e n t g e g n e t e A n t o n K i p p e n b e r g scheinbar beiläufig: »Das Goethe-Kuriosum senden Sie mir wohl vorläufig; ein würdiges Tauschobjekt wird sich leicht finden. Als bescheidene a Kontozahlung sende ich Ihnen heute eine Kostbarkeit: die erste fast unauffindbar gewordene Ausgabe des Witiko in einem Exemplar, bei dessen Anblick Ihnen, dem Bücherfreund, das Herz lachen wird.« 810 u n d f o r d e r t e d a m i t d e n F r e u n d zu einer p o s t w e n d e n d e n A n t w o r t heraus, die d e n ( T a u s c h - ) W e r t dieses A u t o g r a p h s u n m i ß v e r s t ä n d l i c h deutlich w e r d e n ließ. Stefan Z w e i g erwiderte, daß »es sich nicht um eine Kleinigkeit handelt. ... Ich habe das Stück zufallig unwahrscheinlich billig kaufen können ... [für] 350 Mark ... , später bot mir der rechtschaffene Handelsmann bereits 800 Mark dafür. Also ist es unter Freunden 1.200 Mark wert und unter Feinden - denn der Autor und Verleger sind doch nach dem Gesetz der Natur geborene Feinde - 1.500 Mark.« 811 A u f die v o n Z w e i g a n g e d e u t e t e Lösung, d e n T a u s c h des »Kuriosums« gegen eine b e s t i m m t e Z e i c h n u n g v o n A u b r e y Beardsley, ging K i p p e n b e r g n i c h t ein, d e n n h i e r bei h a n d e l e es sich ( w i e d e r u m ! ) u m ein Lieblingsstück seiner Frau. 8 1 2 Schließlich lenkte der A u t o r ein: »So ziehe ich vor, statt einen schlechten Tausch zu machen, der einen vergifteten Stachel in meinem Busen hinterlassen würde, lieber den Mäcen zu spielen. Lassen Sie meinem Konto Mark 350,- gutschreiben, soviel wie mich das Stück gekostet hat... und betrachten Sie es als
807 S. Zweigan A. Kippenberg vom 17.11.1919 (IA). 808 A. Kippenberg an S. Zweig vom 27.11.1930, abgedruckt in Arens: Der große Europäer, S. 69. Im Originalbrief und im Druck steht »schwedischen« statt »schwäbischen«, wohl ein Fehler der das Diktat aufnehmenden Sekretärin. 809 S. Zweig an A. Kippenberg vom Ostersonntag 1925 (IA). 810 A. Kippenberg an S. Zweig vom 15.4.1925, abgedruckt bei Arens: Der große Europäer, S. 68. 811 S. Zweigan A. Kippenberg vom 18.4.1925 (IA). 812 So an S.Zweig vom 22.4.1925 (IA).
3.5 Gemeinsame Autographensammelleidenschaft das, was es eigentlich ist, als Geschenk und verewigen Sie es in diesem Sinne in Ihrem Katalog.« 813
Sein Verleger antwortete lapidar: »Goethe: einverstanden und schönen Dank.« 814 Tatsächlich ist dieses Brieffragment Herders an Jacobi vom 6. Februar 1784 im Kippenberg-Katalog von 1928 unter der Nr. 161 registriert worden, 8 1 5 also in das Eigentum des Verlegers übergegangen. Aus seiner scheinbar nebensächlichen Entgegnung läßt sich unterschwellig herauslesen, daß, während Zweig das Autographensammeln spielerisch betrieb, im Falle Kippenberg der Sammeleifer rasch einmal in bitteren Ernst umschlagen konnte. Die Jagd nach Trouvaillen konnte also gelegentlich auch Konflikte heraufbeschwören; meist aber trug sie eher dazu bei, die freundschaftliche Bindung zwischen Autor und Verleger zu festigen und gelegentliche Erschütterungen abzufedern. Beim Angebot eines interessanten Stücks, das vom Thema her nicht in die eigene Sammlung paßte, bedachte man auch den Sammelschwerpunkt des anderen und leitete die Offerte gegebenenfalls weiter. Im Februar 1930 etwa informierte Kippenberg Zweig mit Blick auf dessen wachsende Musikautographen-Sammlung über das folgende Autograph: »Mir wurde aus Privatbesitz die vollständige Handschrift der Bach'schen Kantate: Ach Gott, wie manches Herzeleid angeboten. Ursprünglich wurden M 22.000,- gefordert, dann ging man bis auf M 14.000,- herunter. Mir erscheint dieser Preis sehr gering. Für mich kommt die Handschrift natürlich nicht in Frage, aber ich halte mich für verpflichtet, dem berühmten Sammler Zweig von der Gelegenheit, ein unbeschreibliches Stück zu erwerben, Kenntnis zu geben.« 816
Zweig seinerseits gab dem befreundeten Sammler im November 1931 folgenden, nicht ohne Ironie formulierten Hinweis: »Falls die Notverordnung für Ihre Sammlung unbedingt aufrecht erhalten werden soll, würde ich Ihnen raten, den Katalog Buchhandlung Andrieux, Paris der Versteigerung der Sammlung Stapfer am 16. November diesmal nicht zu lesen. Es sind da von dem Goethe-Übersetzer eine Anzahl interessante Stücke darin, deren Anblick Sie schmerzen könnte, vor allem der ungedruckte Brief Stendhals über Goethe.« 817
Demgegenüber ist durch Kippenbergs Adlatus Alfred Bergmann bezeugt, daß der Verleger sich in den zwanziger Jahren (ebenso wie Zweig) trotz sprunghaft gestiegener Auktionspreise kaum eines seiner zahlreichen Desiderata verwehren mußte und seine eigene »Notverordnung« wohl ziemlich oft ignorierte. Der 1928 vorgelegte, wesentlich erweiterte Katalog der Sammlung Kippenberg zeugt von dieser auch in wirtschaftlicher Notzeit ungebrochenen Sammelleidenschaft. Seit Anfang 1931 bereitete dann der ebenfalls autographensammelnde Lektor Fritz Adolf Hünich teils in Leipzig, teils in Salzburg die Herausgabe eines gedruckten Gesamtkatalogs der >Sammlung Zweig< vor, der zum fünfzigsten Geburtstag des Autors im November desselben Jahres im Insel-Verlag erscheinen sollte. Doch schon damals waren Zweigs Bedenken gekommen,
813 814 815 816
S. Zweig an A. Kippenberg vom 24.4.1925 (IA). A. Kippenberg an S. Zweig vom 27.4.1925 (IA). Vgl. Katalog der Sammlung Kippenberg. Zweite, erweiterte Auflage, Bd. 1, S. 17. A. Kippenberg an S. Zweig vom 19.2.1930 (LA). Über den eventuellen Ankauf dieses Sammclobjektes durch Zweig verrät der vorliegende Briefwechsel nichts. 817 S. Zweig an A. Kippenberg vom 7.11.1931 (LA).
3
Stefan Z w e i g b e i m Leipziger Insel-Verlag
»ob h e u t e in einer Zeit allgemeinen Elends es nicht trotzig u n d h e r a u s f o r d e r n d w i r k e n w ü r d e , einen solchen Katalog öffentlich aufzulegen. ... G e r n e überlegte ich m i t I h n e n [Fritz Adolf H ü n i c h ] , o b wir die Sache nicht lieber privat m a c h e n sollen u n d die Insel vielleicht stattdessen eine schöne, nicht verkäufliche Bibliographie m e i n e r O p e r a O m n i a in allen Sprachen druckt.« 8 1 8 A u f W u n s c h des A u t o r s u n d m i t Einverständnis seines Verlegers w u r d e dieser ged r u c k t e Katalog aus g e n a n n t e n G r ü n d e n tatsächlich n i c h t realisiert. Stattdessen e r schien, wie vorgeschlagen, eine von H ü n i c h u n d Rieger zusammengestellte Bibliog r a p h i e der W e r k e Stefan Z w e i g s , g e d r u c k t in 500 n u m e r i e r t e n E x e m p l a r e n
zum
28. N o v e m b e r 1931.819 A u c h i m spärlicher w e r d e n d e n Briefwechsel der S a m m l e r - F r e u n d e ab d e m J a h r e 1934 - damals wechselte Z w e i g m i t s e i n e m G e s a m t w e r k Schritt f ü r Schritt z u s e i n e m n e u e n W i e n e r V e r l e g e r ( u n d H e r a u s g e b e r d e s Philobiblon)
H e r b e r t R e i c h n e r - rissen
d i e B e r i c h t e ü b e r A u t o g r a p h e n a n g e b o t e u n d - k ä u f e n i c h t a b , m a n c h m a l w u r d e n sie sogar z u m H a u p t g e g e n s t a n d d e r S c h r e i b e n , v e r m u t l i c h , u m das T h e m a d e r literaturpolitisch wie zwischenmenschlich problematischen T r e n n u n g Stefan Zweigs v o m I n s e l - V e r l a g z u m i n d e s t z e i t w e i l i g a u s z u k l a m m e r n . I m A p r i l 1 9 3 3 , als s i c h d i e Folgen der verhängnisvollen
M a c h t e r g r e i f u n g d u r c h die Nationalsozialisten
in
D e u t s c h l a n d a u c h f ü r seine P e r s o n u n d sein W e r k a b z u z e i c h n e n b e g a n n e n , b e k a n n t e Z w e i g K i p p e n b e r g g e g e n ü b e r erstmals, daß er an ein »Schlußmachen« b e i m A u t o g r a p h e n s a m m e l n d e n k e , » d e n n l a n g e w e r d e es n i c h t m e h r d a u e r n . « 8 2 0 O b w o h l i h m selbst i m m e r m e h r die Lust a m A u t o g r a p h e n s a m m e l n s c h w a n d , zögerte er n i c h t , K i p p e n b e r g a u c h w e i t e r h i n b e i m E r w e r b v o n G o e t h e - A u t o g r a p h e n b e h i l f lich z u sein. So m e l d e t e er i h m a m 22. F e b r u a r 1935, d a m a l s s c h o n zeitweise n a c h L o n d o n ü b e r g e s i e d e l t , a u s d e m H o t e l R e g i n a i n W i e n : » E r f r e u l i c h ist f ü r m i c h ( u n d
818 S. Zweig an F. A. Hünich vom 23.4.1931 (GSA), ähnlich auch an A. Kippenberg am 25.4.1931 (IA). Allerdings gab es bei der Realisierung dieser Bibliographie Auseinandersetzungen. In Zweigs Tagebuch findet sich am 25. Oktober 1931 folgender Eintrag: »Ärgernis wegen Hünich, der alles, Bibliografie und gar Katalog total verbummelt. Immer mehr die Erkenntnis wichtig auch für das Buch M.[arie] A.jntoinettc] - daß Schwäche das größte Laster ist, weil es die andern corumpiert. Kluber, Hünich, alle im Hause habe ich durch meine Nachgibigkeit [!], mein Vorauserfüllen und Vertrauen nicht angespornt, sondern geschwächt, sie moralisch verdorben. U n d der Arger strömt aus dem Unterbewußtsein gegen einen zurück und mit Recht: Schwäche ist Schuld.« Zwei Tage später heißt es: »Dann Argerwegen Hünich, der mich curioserweise hingehalten hat und mir jetzt noch die Schuld geben möchte.« Zweig: Tagebücher, S. 344 f. Wie berechtigt Zweigs Vorwürfe tatsächlich waren, läßt sich anhand des vorliegenden Briefwechsels nicht nachvollziehen. Jedenfalls gelang es Kippenberg rasch, die Wogen der Erregung zu glätten: »Nachmittags Kippenberg, sehr gut aussehend. Wir bringen alle Dinge rasch auf gleich: ich habe das Gefühl, daß er über die Situation optimistischer redet als er über sie denkt: vielleicht nicht ohne Nebenabsicht. Aber wenn er alles in O r d n u n g bringt dann gut.« Eintrag vom 28. O k tober 1931, Zweig, S. 345. 819 Anläßlich seines runden Geburtstags ließ Stefan Zweig auch ein Musikautograph aus seiner Sammlung für die Freunde faksimilieren, genauer gesagt einen »Brief von Wolfgang Amadeus Mozart an sein Augsburger Bäsle« vom 5.10.1777, den er erstmals ungekürzt veröffentlichen und mit einer Transkription und einem von ihm verfaßten Vorwort versehen abdrucken ließ. Der Privatdruck (dessen Drucklegung laut Vorwort der »bibliophilissimus Viennensis«, d. h. der spätere Zweig-Verleger Herbert Reichner besorgte und überwachte) erschien Ende 1931 in einer limitierten Auflage von 50 Exemplaren. 820 S. Zweig an A. Kippenberg vom 15.4.1933 (IA).
3.5 G e m e i n s a m e A u t o g r a p h e n s a m m e l l e i d e n s c h a f t
bald a u c h f ü r Sie), d a ß ich glaube, j e n e s N i e t z s c h e - G e d i c h t an G o e t h e g e f u n d e n zu haben, das I h r e S a m m l u n g zieren soll. F ü r die m e i n e w u r d e m i r viel Großartiges u n d S c h ö n e s ... angeboten, aber die Lust a m S a m m e l n ist dahin.« 8 2 1 U n d A n f a n g April desselben J a h r e s schrieb er i h m nach Leipzig v o n e i n e m b e d e u t e n d e n G o e t h e - S t ü c k , das in W i e n a u f g e t a u c h t sei: »Meiner M e i n u n g nach w ä r e es ein Stück sei es f ü r Sie, sei es f ü r W e i m a r u n d ich will m e i n Möglichstes t u n u m da als redlicher M a k l e r zu wirken.« 8 2 2 Dieser b e s o n d e r s in d e n F r i e d e n s j a h r e n der W e i m a r e r R e p u b l i k rege G e d a n k e n a u s tausch ü b e r das S a m m e l n , d e n E r w e r b u n d gelegentlich auch T a u s c h von A u t o g r a p h e n ist ein wichtiger Bestandteil ihrer facettenreichen A u t o r - V e r l e g e r - K o r r e s p o n d e n z , ein a u ß e r g e w ö h n l i c h e s Detail notabene, das in d e n allermeisten A u t o r - V e r l e g e r - B r i e f w e c h s e l n w o h l n i c h t zu f i n d e n ist. Ihr g e m e i n s a m e s S a m m l e r i n t e r e s s e ließ d e n B r i e f t o n (insbesondere bei d e m sonst e h e r sachlich u n d trocken reagierenden Verleger) rasch persönlicher, m i t f ü h l e n d e r w e r d e n u n d hat wesentlich dazu beigetragen, eine weit ü b e r die bloße G e s c h ä f t s b e z i e h u n g h i n a u s r e i c h e n d e f r e u n d s c h a f t liche B i n d u n g zwischen Stefan Z w e i g u n d A n t o n K i p p e n b e r g zu schaffen u n d i m m e r m e h r zu festigen. D e r N i e d e r s c h l a g des leidenschaftlichen A u t o g r a p h e n s a m m e l n s in ihrer K o r r e s p o n d e n z ist nicht zuletzt auch ein Indiz d a f ü r , d a ß geschäftliche u n d persönliche Interessen i m Laufe der b e i n a h e dreißig g e m e i n s a m e n J a h r e i m m e r m e h r H a n d in H a n d gingen. Abschließend soll ü b e r das weitere Schicksal der beiden, i n n e r h a l b der zeitgenössischen S a m m l u n g e n d u r c h ihren U m f a n g u n d W e r t exzeptionellen Bestände b e r i c h tet w e r d e n . I m Z u g e der seit A u g u s t 1934 geplanten A u f l ö s u n g seines Salzburger H a u s e s , die erst 1937 abgeschlossen war, hatte Z w e i g - bis auf w e n i g e Lieblingsstücke - auch seine A u t o g r a p h e n s a m m l u n g veräußert. A n t o n K i p p e n b e r g w u r d e s c h o n E n d e 1935 v o n der geplanten A u f l ö s u n g der S a m m l u n g i n f o r m i e r t : »Mir fehlt die Z e i t d a f ü r , der R a u m u n d der alte Eifer«, 8 2 3 gestand er i h m . In der Welt von Gestern b e m ü h t e er sich J a h r e später, sachlich-registrierend an d e n v o n i h m sehr schmerzlich e m p f u n d e n e n Verkauf der S a m m e l s t ü c k e zu e r i n n e r n : »Als die Zeit Hitlers einsetzte und ich mein Haus verließ, war die Freude an meinem Sammeln dahin und auch die Sicherheit, irgend etwas bleibend zu erhalten. Eine Zeitlang ließ ich noch Teile in Safes und bei Freunden, dann aber entschloß ich mich,... lieber Abschied zu nehmen von einer Sammlung, der ich meine gestaltende Mühe weiter nicht mehr geben konnte.« 824 I m Briefwechsel mit der F r e u n d i n Gisella S e l d e n - G o t h , die m i t i h m die Leidenschaft des M u s i k a u t o g r a p h e n s a m m e l n s teilte u n d b e i m V e r k a u f seiner S a m m l u n g die Stücke v o n Gustav M a h l e r sichergestellt hatte, 8 2 5 w a r er a u s f ü h r l i c h e r auf seine B e w e g g r ü n d e eingegangen: »Für die Auflösung der Sammlung hatte ich eine Reihe von Gründen. Der erste liegt in der Umstellung meines Lebens. Hier in meinem Londoner Fiat hätte ich nicht die Möglichkeit, die ganze Sammlung und schon gar die Katalogsammlung aufzustellen. ... Z u m zweiten habe ich wirklich keine Zeit, um im alten Stile fortzusammeln, zum dritten scheint mir das literaturhistorische Sammeln oder musikhistorische Sammeln im Sinne der Komplettheit
821 822 823 824 825
S. Zweig, Wien, Hotel Regina, an A. Kippenberg vom 22.2.1935 (IA). S. Zweig, Wien, Hotel Regina an A. Kippenberg vom 5.4.1935 (IA). S. Zweig, Nizza, Hotel Westminster, an A. Kippenberg vom 30.12.1935 (LA). Zweig: Welt von Gestern, S. 403 f. Vgl. Prater , S. 347.
3 Stefan Zweig beim Leipziger Insel-Verlag nicht m e h r g e m ä ß . . . . So habe ich m i c h auf einige wenige Stücke beschränkt, zu d e n e n ich ein wirklich innerliches u n d persönliches Verhältnis habe.« 8 2 6
Zweigs in den ruhigen Salzburger Jahren gehegter Plan, die Sammlung einem öffentlichen Institut zu hinterlassen, mit der Auflage, für ihren weiteren Ausbau zu sorgen, zerschlug sich aufgrund der widrigen Zeitumstände. 8 2 7 Stattdessen beauftragte er den seit langem mit ihm befreundeten Wiener Antiquar Heinrich Hinterberger mit der Versteigerung der meisten seiner Schätze, der sie im mit vielen faksimilierten Wiedergaben ausgestatteten Verkaufskatalog N r . IX unter dem Titel Original-Manuskripte deutscher Dichter und Denker. Musikalische Meister-Handschriften deutscher und ausländischer Komponisten. Eine berühmte Sammlung repräsentativer Handschriften. 1. Teil (also ohne N e n n u n g des Namens Zweig) noch im selben Jahr 1936 anbot. Es folgten die Kataloge Nr. XVIII Autographen und historische Dokumente und Nr. XX Interessante Autographen aus zwei bekannten Sammlungen (beide 1937), ebenfalls mit O b jekten aus der Sammlung Zweig. Einen Großteil der dort angebotenen Autographen deutscher Dichter und Denker erwarb der renommierte Schweizer Sammler Martin Bodmer (heute Bibliotheca Bodmeriana, Cologny). 828 Eine Reihe weiterer Originalhandschriften zeitgenössischer Autoren übergab Zweig im November 1937 als Schenkung an die Theatersammlung der Wiener Nationalbibliothek, glaubte er sie doch durch die Betreuung seines Freundes Dr. Joseph Gregor, des Direktors dieser Sammlung, zu Recht in guten Händen. 8 2 9 Wieder einen anderen Teil seiner umfangreichen Sammlung, vor allem die Briefe zeitgenössischer Autoren stiftete Zweig der Jewish National and University Library in Jerusalem. 830 N u r etwa 200 besondere Kostbarkeiten, vor allem Musikhandschriften, nahm Zweig mit nach London (heute im Besitz der British Library). Dennoch konnte er auch in England nicht ganz von seiner Sammelleidenschaft lassen, obwohl zu jener Zeit die Beschäftigung mit Autographen wohl eher der Nervenberuhigung diente. Sogar in das letzte, brasilianische Exil nahm er einige seiner Lieblingsautographen wie das Veilchen noch mit. Heute ist die Zweigsche Autographensammlung, obwohl fast vollständig bewahrt, auf mehrere Bibliotheken und Archive in aller Welt verteilt, 831 also dem Wissenschaftler, Sammler und interessierten Laien nicht an einer zentralen Stelle zugänglich, wie es Zweig seinerzeit gewünscht hatte. Demgegenüber konnte Kippenberg seine Goethe-Sammlung, die er ebenso wie sein Privatarchiv schon bald nach Kriegsbeginn in weiser Voraussicht in Bergungsorte in
826 S. Zweig an G. Selden-Goth vom 18.4.1936, in: Zweig: Unbekannte Briefe aus der Emigration an eine Freundin, S. 13. 827 Vgl. Ncbenhay: Gustav Nebehay als Antiquar, S. A 212 und Zweig: Welt von Gestern, S. 403. Friderike Maria Zweig schrieb später Harry Z o h n darüber: »Der oft geäußerte Wunsch meines Mannes war, daß die Sammlung nach seinem Tode f ü r eine Stiftung für Schriftsteller in N o t verwendet würde; es schwebtc ihm ein H e i m oder dergleichen vor. Die zerrüttete Welt ließ ihn wahrscheinlich von einer derartigen Verfügung absehen.« Zohn: Zweig as a Collector, S. 189. 828 Vgl. Mecklenburg: Autographensammeln, S. 74 f. 829 Vgl. Ecker: Die Sammlung Stefan Zweig. In: Die Österreichische Nationalbibliothek, S. 321 und Pausch: Geheimnis der Schöpfung, S. 9-19. 830 Vgl. Arens: Zweig, der Sammler, S. 202. 831 Hauptsächlich verteilt sich die Autographensammlung heute auf die Londoner British Library, The Music Library, Stefan Zweig Collection (autographe Kompositionen und literarische Manuskripte); das Österreichische Theatermuseum, Wien, und die Fondation Martin Bodmer, Bibliotheca Bodmeriana in Cologny bei Genf (meist deutsche Autographen).
3.5 Gemeinsame Autographensammelleidenschaft Sachsen und Thüringen ausgelagert hatte, ohne Verluste im Juni 1945 mit amerikanischer Unterstützung nach Marburg/Lahn (einem der amerikanischen Bergungsstellen für Kunstbesitz) bringen. 832 Im Goethejahr 1949 wurden dann verschiedene Ausstellungen aus den Beständen der Sammlung Kippenberg gezeigt. Die Rückkehr der Exponate nach Leipzig, von Kippenberg ursprünglich vorgesehen, realisierte sich aber nicht. Stattdessen bildet die Sammlung aufgrund einer testamentarischen Verfügung Kippenbergs heute den Grundstock des 1954 gegründeten Goethe-Museums. Anton- und Katharina-Kippenberg-Stiftung in Düsseldorf. 833 So wurde der Wunsch des Verlegers, daß seine Sammlung später einmal neben Weimar und Frankfurt zu einer dritten bedeutenden Goethestätte avancieren solle, doch noch erfüllt.
832 Vgl. Michael: Leser, S. 214. 833 Vgl. Göres: Kippenberg als Sammler und ders.: Das Goethe-Museum Düsseldorf, S. A 344A 348 - Die geplante Übergabe einiger Goethe-Autographen an Kippenberg (vgl. S. Zweig, Nizza, Hotel Westminster, an A. Kippenberg vom 30.12.1935 (LA)) zerschlug sich offenbar, denn Kippenberg fragte Friderike Zweig noch im Januar 1947 nach dem Verbleib dieser Stücke und der übrigen Sammlung (vgl. A. Kippenberg, Marburg, Dörflerstr. 28, an F. M. Zweig vom 9.1.1947 (DLA)).
4
Stefan Zweigs (ambivalentes) Verhältnis zu seinem literarischen Ruhm und Verstimmungen im Kontext der Biographie »Marie Antoinette« (1932)
Z
w e i g spricht in der Welt von Gestern a u c h ü b e r das f ü r i h n z u n ä c h s t ü b e r r a s c h e n d e P h ä n o m e n seines - bis 1933 - stetig w a c h s e n d e n literarischen Erfolges i m I n u n d Ausland:
»Dieser Erfolg war mir nicht plötzlich ins Haus gestürmt; er kam langsam, behutsam, aber er blieb bis zur Stunde, da Hitler ihn mit der Peitsche seiner Dekrete von mir wegjagte, beharrlich und treu. Er steigerte seine Wirkung von Jahr zu Jahr. Gleich das erste Buch, das ich nach dem Jeremias veröffentlichte,... die Trilogie Drei Meister, brach mir Bahn; die Expressionisten, die Aktivisten, die Experimentisten hatten sich abgespielt, für die Geduldigen und Beharrlichen war der Weg zum Volke wieder frei. Meine Novellen/lmofe und Briefeiner Unbekannten wurden populär wie sonst nur Romane, ... ein kleines Büchlein Sternstunden der Menschheit - in allen Schulen gelesen - brachte es in kurzer Zeit in der Insel-Bücherei auf 250.000 Exemplare. In wenigen Jahren hatte ich mir geschaffen, was nach meinem Empfinden für einen Autor die wertvollste Art eines Erfolges darstellt: eine Gemeinde, eine verläßliche Gruppe von Menschen, die jedes neue Buch erwartete, jedes neue Buch kaufte ... Allmählich wurde sie groß und größer; von jedem Buch, das ich veröffentlichte, waren in Deutschland am ersten Tage zwanzigtausend Exemplare verkauft, noch ehe eine einzige Anzeige in den Zeitungen erschienen war.«1 Betrachtet m a n seine gesamte P r o d u k t i o n , so e r s t a u n t i n s b e s o n d e r e seine t h e m a t i sche w i e literarische Vielschichtigkeit. N e b e n d e n b e i m L e s e p u b l i k u m äußerst p o p u l ä r e n N o v e l l e n u n d Biographien v e r k a u f t e n sich auch seine (sonst v o m G e n r e h e r b e i m Leser w e n i g e r beliebten) Essays, D r a m e n , G e d i c h t e u n d Ü b e r t r a g u n g e n d i c h terischer W e r k e a u ß e r g e w ö h n l i c h gut. D e r A u t o r selbst erklärt seinen literarischen R u h m vor allem m i t s e i n e m S t r e b e n nach D i c h t e , Prägnanz u n d Knappheit, d o c h w a r die v o n A n f a n g an nachweisbare enthusiastische A u f n a h m e seiner B ü c h e r d u r c h ein v o r w i e g e n d bürgerliches L e s e p u b l i k u m sicher e b e n s o e n t s c h e i d e n d . Avantgardistische S p r a c h - u n d F o r m e x p e r i m e n t e p a ß t e n z u d e m w e d e r in Z w e i g s R e p e r t o i r e n o c h in das P r o g r a m m des Insel-Verlages. Sein zwar konventionell geschriebenes, t h e m a t i s c h aber z u k u n f t s w e i s e n d e s Œ u v r e f ü g t e sich so gesehen gut in das zeitgenössische V e r l a g s p r o g r a m m ein u n d w a r vielleicht deshalb auch so fabelhaft absetzbar. Dieser i m m e n s e Verkaufserfolg w a r m e h r als lediglich ein finanzieller G e w i n n f ü r die Insel, d e n n das internationale literarische Prestige des österreichischen A u t o r s fiel a u c h a u f seinen Leipziger Verlag z u r ü c k , d e r w i e d e r u m eine g e s u n d e Basis f ü r seine B ü c h e r war. Bis zur Z ä s u r des J a h r e s 1933 hatten die d e u t s c h e n Ausgaben der Z w e i g - T i t e l schließlich die 1 ' ^ M i l l i o n e n g r e n z e ü b e r s c h r i t t e n 2 u n d m a c h t e n d e n Schriftsteller d a m i t n i c h t n u r z u m auflagenstärksten zeitgenössischen D i c h t e r des Insel-Verlages, s o n d e r n a u c h zu e i n e m d e r erfolgreichsten d e u t s c h s p r a c h i g e n A u t o r e n d e r zwanziger J a h r e ü b e r h a u p t . S e i n e n k o n t i n u i e r l i c h e n E r f o l g in M a r k u n d P f e n n i g darzustellen, Aussagen ü b e r G e w i n n e des Verlages o d e r d u r c h s c h n i t t l i c h e J a h r e s e i n k o m m e n des A u t o r s zu m a c h e n ist trotz Einsicht in die G e s c h ä f t s k o r r e s p o n d e n z k a u m möglich. D a s liegt teil1 Zweig: Welt von Gestern, S. 362-364. 2 Vgl. Zweig: Leben und Werk, S. 68.
4 Stefan Zweigs (ambivalentes) Verhältnis zu seinem literarischen Ruhm weise an der Diskretion und Beiläufigkeit, mit der Stefan Zweig auch in seinen persönlichen Dokumenten, Tagebüchern und Briefen das Thema Geld behandelte. Selbst im Briefwechsel mit Anton Kippenberg sprach er nur selten über den finanziellen Erfolg seines literarischen Schaffens und schrieb ihm beispielsweise am 7. Februar 1924 en passant: »Ich freue mich sehr aus den Abrechnungen zu entnehmen, daß meine Bücher unentwegt gut gehen.« 3 Einige seiner Bucherfolge fielen zudem in die schwierigen Inflationsjahre, in denen die Honorare zerrannen, er aber Victor Fleischer gleichwohl frohgemut mitteilen konnte: »Meine Bücher gehen munter weiter (obwohl sie natürlich nicht jene fabelhafte Geschwindigkeit erreichen können, mit der die Mark herunterläuft).« 4 Dennoch verraten die überlieferten Dokumente, daß Stefan Zweig in jenen krisengeschüttelten Nachkriegsjahren sowohl Gelassenheit als auch die erforderliche U m sicht in Gelddingen entwickelte. U m 1923 etwa ließ er, durch den rasenden Geldverfall alarmiert, seine Einkünfte in deutscher Mark an den in Frankfurt/Main lebenden Freund Fleischer überweisen und verhinderte so die hohe Wertminderung durch den Transfer. 5 Seine materielle Sicherheit, obwohl »nie hochmütig verachtet«,6 war ihm aber nicht Selbstzweck, sondern Grundlage für seine Unabhängigkeit, für die von ihm stets angestrebte und bewahrte innere und äußere Freiheit. Dabei schätzte er Anton Kippenbergs hervorragende kaufmännische, organisatorische und buchkünstlerische Fähigkeiten, unter dessen Leitung sich der Insel-Verlag rasch zu dem großen, weltweit geschätzten Unternehmen entwickelt hatte, das seinen Büchern größtmögliche Verbreitung verschaffen konnte. Sogar in den Jahren der »Bücherkrise« vermochte der Verleger frohe Kunde nach Salzburg zu senden: »Daß trotz besagten schlechten Bücherabsatzes Ihre Bücher immer noch sich der Gunst des verehrten Publikums erfreuen, wird Ihnen eine angenehme Nachricht sein.«7 Daß Zweig durchaus zu kalkulieren verstand, zeigt folgende geschickte Transaktion: U m die österreichischen Devisenbestimmungen mit ihrem künstlich hochgehaltenen (offiziellen) Schillingkurs möglichst zu umgehen, beschloß er im Dezember 1931 in Absprache mit Kippenberg ein Bündel von nicht ganz legalen Maßnahmen zur bestmöglichen Verwendung seiner Mark-Einkünfte. 8 Stereotype Situationen beinahe jeder Autor- und Verlegerbeziehung jedoch wie die Forderung von Vorschüssen und die später oft folgende Auseinandersetzung um ihre ordnungsgemäße Abrechnung oder das ständige Feilschen um ein möglichst hohes Honorar finden sich im Briefwechsel zwischen Zweig und Kippenberg nicht. Jener verdiente durch stetige Neuproduktion und guten Abverkauf der bald umfangreichen und vom Insel-Verlag kontinuierlich nachgedruckten backlist, durch Übersetzungen seines Werkes in viele Sprachen, Einleitungen, Vor- und Nachworte, Vortragsreisen, Tantiemen aus den Aufführungen seiner Theaterstücke und vieles mehr bald gut genug, um ohne Vorschüsse seiner Verleger auszukommen. Uberhaupt
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S. Zweig an A. Kippenberg vom 7.2.1924 (IA). S. Zweig an V. Fleischer vom 20.7.1923 (DLA). Vgl. Prater, S. 205. Zweig: Welt von Gestern, S. 370. A. Kippenberg an S. Zweig vom 31.3.1927 (IA). Vgl. S. Zweigan A. Kippenberg vom 9.12.1931, Zweig: Briefe an Freunde, S. 319 f. und Prater, S. 283.
4 Stefan Zweigs (ambivalentes) Verhältnis zu seinem literarischen Ruhm spielte der finanzielle Aspekt seiner schriftstellerischen Tätigkeit für den materiell abgesicherten Autor - zumindest bis zu den Exiljahren - eine untergeordnete Rolle. Stefan Zweig war nicht nur der - bei schwindelerregenden Auflagenziffern - u m satzstärkste lebende Autor des Insel-Verlages, er genoß auch die meiste Rezeption im Ausland. In den dreißiger Jahren verzeichnete man bereits Ubersetzungserfolge in mehr als dreißig Sprachen aller Kontinente und Kulturen. In einer damaligen statistischen Erhebung der Coopération Intellectuelle< des Genfer Völkerbundes wurde er gar als der meistübersetzte Autor der Welt angeführt, 9 dessen ausländische Buchausgaben die deutschen Originalauflagen bald eingeholt hatten. Die auch für ihn durch Wirtschaftskrise und Inflation entstandenen inländischen Verluste konnffl I fc »SHääi^fcejäSMft®^ t e n weiterhin reichlich fließende ausländische Tantiemen bis zu einem gewissen Grade ausgleichen. Dem Europäer Zweig war die Wirkung seiner Bücher im Ausland stets eine r ^ P ^ · ^ ^ ^ · ! Genugtuung, wenngleich ihm, wie er während seiner späteren Exiljahre ^LA schmerzhaft realisieren mußte, die deutschen Originalausgaben seines ^ ^ K , ' W e r k e s doch weit mehr am Herzen laP r i | i ç gen als die zahlreichen Übersetzun§§|gg£ . m' SM gen. Dennoch, das sei hier vorausgeschickt, hielten ihn nach 1933 haupt1 fei. Η Mi •I sächlich seine Ubersetzungshonorare r Κ "Φ· ^ £ p.~i.Tfiüber Wasser. ^^pjSI^^B^^^Ht·^··^···^^^^! In den zwanziger Jahren war der österreichische Autor schließlich international berühmt geworden. Er hatte Freunde, Verleger Publikum und fühlte sich (auch als Abb. 19: Zweig beim Büchersigniereti (DLA) prominentes Mitglied des Internationalen Senats des P.E.N.-Clubs und des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller) 10 verpflichtet, persönlich für die Propagierung des europäischen Gedankens einzutreten und vor dem sich immer deutlicher abzeichnenden Radikalismus und Nationalismus zu warnen. Neben Lesungen aus eigenen Werken stellte er den Zuhörern Schriften seiner Dichterkollegen Rolland und Verhaeren vor und sprach auch direkt über das Thema, das ihm am meisten am Herzen lag: die kulturelle, übernationale Einheit und Freiheit Europas. Dieses Streben nach Verständigung und Vermittlung zwischen den Völkern, Kulturen und Nationen zieht sich wie ein roter Faden durch sein gesamtes Werk und findet sich zuletzt in seinem autobiographischen Vermächtnis, der Welt voti Gestern, wieder. Seine Vortragsreisen, die den Absatz seiner Bücher noch weiter förderten, führten ihn
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9 Vgl. Zweig: Welt von Gestern, S. 367 f. 10 Vgl. Amami: P.E.N, S. 18 und Fischer: Schutzverband Deutscher Schriftsteller, Sp. 128. Auf einer Anfang 1914 zusammengestellten Mitgliederliste des SDS war Zweig neben D c h m e l , H a u p t m a n n , H o f m a n n s t h a l , Annette Kolb, Schnitzler, Tucholsky u n d T h o m a s M a n n als einer von über 800 Mitgliedern aufgeführt.
4 Stefan Zweigs (ambivalentes) Verhältnis zu seinem literarischen Ruhm in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren immer wieder quer durch Deutschland und ins europäische Ausland, vor allem in die Schweiz, nach Holland, Belgien, Frankreich, Italien und 1928 zu einer Vortragsreise sogar in die UDSSR. 1 1 Einerseits genoß Stefan Zweig diese gutbesuchten Vorträge und häufigen lecturetours, doch war er grundsätzlich nur im Werk bereit, sich selbst preiszugeben. Er fürchtete sich davor, vom Publikum als Privatperson vereinnahmt zu werden und sehnte sich immer wieder nach der arbeitsreichen Ruhe auf dem heimatlichen Kapuzinerberg. An seine Frau Friderike richtete er im November 1927 anläßlich einer seiner vielen Lesereisen diese eher pessimistischen Zeilen: »Ich bin, o b w o h l alles gut klappt, fest entschlossen, n u n f ü r i m m e r Schluß zu m a c h e n oder f ü r lange Zeit. Das Z u s a m m e n s e i n m i t M e n s c h e n e r m ü d e t mich innerlich. ... M a n hat j e t z t einen u n a n g e n e h m e n öffentlichen N a m e n u n d ich sehne m i c h i m m e r m e h r nach Rückzug. ... Ich denke m i r , . . . wie herrlich es sein m ü ß t e , wieder ganz privat zu leben, sein Leben.« 1 2
Dieser Briefauszug umreißt in nuce Zweigs ambivalentes, eher noch skeptisches Verhältnis zu seinem literarischen Ruhm. Es scheint, der Dichter habe sich mehr und mehr ins Privatleben oder in die Anonymität irgendeines Hotelzimmers zurückgezogen, je populärer er wurde. 1 3 So hatte er schon im Mai 1923 Victor Fleischer mitgeteilt, daß er Angst habe, »ein Dichterautomat zu werden: meine >Erfolge< langweilen mich unsäglich und ich möchte gern einmal 14 Tage eine Civilperson [sein], sorglos und frei, in irgend einem Winkel.« 14 Anfang August beschwerte er sich bei ihm aber ebenso über seine häuslichen Verpflichtungen: »Ich bin hier gelähmt durch eine Unzahl von Büchern und Post, einem widrigen und wider meinen Willen sich immer erweiternden Betrieb.« 15 Nachrichten dieser Art trafen in regelmäßigen Abständen auch auf dem Kapuzinerberg ein und zeugen von seinen trotz des äußerlichen Erfolges und existentieller Sicherheit häufig wiederkehrenden depressiven Phasen, seiner »schwarzen Leber« - und damit verbunden von zeitweiligen Arbeitsstörungen. Im August 1925 heißt es beispielsweise in einem an Friderike adressierten Brief aus Zell am See: »Ich erwarte mir nichts mehr - denn ob ich 100.000 oder 150.000 Exemplare verkaufe, ist doch einerlei. Wichtig wäre, etwas Neues neu anzufangen, eine andere Art Leben, anderen Ehrgeiz, anderes Verhältnis zum Dasein - auswandern, nicht nur äußerlich.« 16 Auch in seiner Autobiographie spricht Zweig wiederholt über sein differenziertes Verhältnis zum Ruhm: »Aber ich bin ehrlich, w e n n ich sage, daß ich m i c h des Erfolges n u r freute, solange er sich auf m e i n e B ü c h e r u n d m e i n e n literarischen N a m e n bezog, daß er m i r aber eher lästig w u r d e , w e n n sich N e u g i e r auf m e i n e physische Person ü b e r t r u g . . . . A u ß e r d e m drohte, was ich aus N e i g u n g
11 Vgl. Zweig: Welt von Gestern, S. 368, 375-390, zu den russischen Zweig-Ausgaben s. a. Asadowski: Unbekannte Briefe. 12 Zweig: Leben und Werk, S. 171. 13 Ein weiteres Indiz dafür ist, daß er trotz enger Kontakte dem österreichischen P.E.N.-Club niemals angehört hatte, wohl aber von der G r ü n d u n g im Juni 1923 an Mitglied im Internationalen Senat des P.E.N.-Clubs war. Zwar kamen die Ziele des P.E.N.-Clubs Zweigs Ideen von der Verständigung der Völker, seiner Vorstellung von einer übernationalen »Gemeinschaft des Geistes« und seinem Pazifismus sehr entgegen, doch schätzte er die bis 1933 im P.E.N.-Club übliche Form der »Bankett-GesclIschaft« nicht und scheute die Selbstdarstellung der Autoren in der Öffentlichkeit. Vgl. Holl: P.E.N.-Club, S. 71-73. 14 Prater, S. 206. 15 S. Zweig an V. Fleischer vom 6.8.1929 (DLA). 16 Zweig: Briefe an Freunde, S 161.
4 Stefan Z w e i g s (ambivalentes) Verhältnis zu s e i n e m literarischen R u h m begonnen, die Form eines Berufs und sogar eines Betriebs anzunehmen. Jede Post brachte Stöße von Briefen, Einladungen, Aufforderungen, Anfragen, die beantwortet werden wollten. ... Je mehr man ... von mir Teilnahme wollte, Vorlesungen, Erscheinen bei repräsentativen Anlässen, desto mehr zog ich mich zurück, und diese fast pathologische Scheu, mit meiner Person für meinen Namen einstehen zu sollen, habe ich nie überwinden können.« 17 E i n auch literatursoziologisch a u f s c h l u ß r e i c h e r Beleg f ü r Stefan Z w e i g s weltweites schriftstellerisches W i r k e n sind das » H a u p t b u c h « u n d die »Bibliographie«, die sich h e u t e i m N a c h l a ß seiner langjährigen Salzburger Sekretärin A n n a M e i n g a s t b e f i n d e n . H i n t e r d e m Begriff » H a u p t b u c h « verbirgt sich ein g r o ß f o r m a t i g e s K o n t o b u c h , das Z w e i g nach eigenen Vorstellungen anfertigen ließ. Seit A u g u s t 1932 b e g a n n er hier w i e ein K a u f m a n n Bilanz zu ziehen u n d hat darin säuberlich in Spalten eingetragen, w e l c h e U b e r s e t z u n g bei w e l c h e m Verlag erschien, w i e der U b e r s e t z e r hieß, welches H o n o r a r f ü r w e l c h e Auflage bezahlt w u r d e , wieviel davon bereits bezahlt, wieviel n o c h o f f e n war, welches W e r k w a n n , w o u n d v o n w e m v e r f i l m t w u r d e usw. D a m a l s schien er d e n U b e r b l i c k ü b e r sein literarisches S c h a f f e n u n d die in diesen k o m p l e x e n V e r w e r t u n g s z u s a m m e n h a n g fallenden H o n o r a r a n s p r ü c h e verloren zu h a b e n u n d legte deshalb j e n e s (der Z w e i g - F o r s c h u n g lange u n b e k a n n t gebliebene u n d bis 1937 g e f ü h r t e ) Verzeichnis an. N o c h i m englischen Exil e r k u n d i g t e sich d e r Schriftsteller h ä u f i g bei Frau Meingast, bei der das » H a u p t b u c h « z u r ü c k g e b l i e b e n war, nach Details seiner vertraglichen V e r e i n b a r u n g e n . A u c h die 1931 i m Insel-Verlag h e r a u s g e k o m m e n e Zweig-Bibliographie (mit der A u f s t e l l u n g sämtlicher e r r e i c h barer U b e r s e t z u n g e n ) w u r d e v o n ihr bis dahin d u r c h m a s c h i n e n s c h r i f t l i c h e , eingeklebte E i n t r a g u n g e n aktualisiert, da die A u f l i s t u n g k u r z n a c h D r u c k l e g u n g s c h o n w i e d e r ü b e r h o l t war. Z u der u r s p r ü n g l i c h v o r g e s e h e n e n Publikation dieser e r w e i terten Ausgabe k a m es a u f g r u n d der Zeitereignisse n i c h t m e h r . Bei z u n e h m e n d e r U n z u f r i e d e n h e i t m i t d e m i m m e r a r b e i t s a u f w e n d i g e r w e r d e n d e n literarischen »Betrieb«, der i h n b e i n a h e zu e i n e m >Großschriftsteller< w e r d e n ließ, t r ä u m t e Stefan Z w e i g m a n c h m a l davon, ein D o p p e l l e b e n zu f ü h r e n , ein privates u n d eines f ü r seine Arbeit. 1 8 Bis zu e i n e m gewissen G r a d hatte er diese V o r s t e l l u n g auch realisieren k ö n n e n , d e n n e b e n s o w i e das ruhige, u n g e s t ö r t e Arbeiten a u f d e m K a p u z i n e r b e r g b r a u c h t e er in regelmäßigen A b s t ä n d e n z u r W i e d e r h e r s t e l l u n g seines i n n e r e n Gleichgewichts auch d e n Kontrast z u m »Komplex Salzburg«, die S t i m u l a n s des O r t s w e c h s e l s . A u f seinen zahlreichen Reisen d u r c h E u r o p a traf er d a n n F r e u n d e , Verleger, R e d a k t e u r e u n d Schriftstellerkollegen u n d s a m m e l t e z u d e m A n r e g u n g e n u n d Q u e l l e n m a t e r i a l f ü r n e u e literarische Projekte. Z w e i g w u ß t e natürlich, daß viele seiner meist w e n i g e r gut v e r d i e n e n d e n Schriftstellerkollegen, aber auch Literaturkritiker seinen k o n t i n u i e r l i c h e n literarischen E r f o l g m i t A r g w o h n betrachteten u n d sich abschätzig ü b e r d e n »Betriebszweig« o d e r »Erwerbszweig« ä u ß e r t e n . A b g e s e h e n v o n p e r s ö n l i c h e n F e i n d s c h a f t e n (etwa m i t Richard v o n Schaukai o d e r Karl Kraus), ist auffällig, daß der f r e u n d l i c h e , hilfsbereite, fleißige u n d trotz allen R u h m s bescheiden gebliebene Ö s t e r r e i c h e r d e n meisten p r o d u k t i v e n Z e i t g e n o s s e n suspekt war. In F r a n z Bleis Großen Bestiarium der modernen Literatur (1922) fand er gar als »Steffzweig« A u f n a h m e : »Des Steffzweigs muß in diesem Bestiarium Erwähnung geschehen, da es von einigen wenigen immer noch als ein Lebewesen angesehen wird. Aber es ist das Steffzweig ein Kunstprodukt,
17 Zweig: Welt von Gestern, S. 370 f. 18 Vgl. Zweig, S. 372.
4 S t e f a n Z w e i g s (ambivalentes) V e r h ä l t n i s zu s e i n e m literarischen R u h m hergestellt anläßlich eines Wiener Dichterkongresses aus Federn, Haut, Haaren usw. aller möglichen europäischen Tiere. Es ist sozusagen ein Volapüktier. An seine organische Existenz glaubt man zur Zeit nur mehr in entlegenen Ländern und in gewissen Genfer Kreisen. Einige wollen das Steffzweigin einem Leipziger Hause, Kurze Straße 7 [dem Sitz des Insel-Verlages], unter einem kleinen Glassturz gesehen haben.« 19 Kritiker w i e Kollegen w e h r t e n sich i m Falle S t e f a n Z w e i g b e s o n d e r s gegen die G l e i c h s e t z u n g v o n literarischer Q u a l i t ä t u n d A u f l a g e n q u a n t i t ä t . Bis h e u t e w e r d e n a r g w ö h n i s c h e S t i m m e n laut, die literaturkritische u n d ästhetische Z w e i f e l a m R a n g seiner leichtlesbaren, f o r m a l k o n v e n t i o n e l l e n S c h r i f t e n ä u ß e r n u n d sie lediglich als kurzweilige R e i s e l e k t ü r e abII C4·Μ * Ina VtLn ím»,mit 91,3. trim 0 ».Titti gehntagespolitisch< «80 ausgerichtet sein. Z w e i g erklärte sich zur Mitarbeit an d e m n e u e n Exilblatt bereit, obwohl er sogleich betonte, daß er einen »direkt aggressiven Charakter« 8 1 der Zeitschrift ausgeschlossen haben wolle. Klaus M a n n bestätigte ihm, daß sein Publikationsorgan »literarisch« u n d »nicht aggressiv im tagespolitischen Sinne« w e r d e n würde, f u h r aber einschränkend fort: »Ihr oppositionelles Gesicht wird sich schon aus der Z u s a m m e n stellung der Mitarbeiter ergeben.« 82 A m 19. J u n i stellte i h m Z w e i g definitiv ein Kapitel aus seiner neuen Biographie über Erasmus von Rotterdam f ü r Ende des Monats in Aussicht. 8 3 D a n n verschob er die E i n s e n d u n g wegen Arbeitsüberlastung u n d sagte seinen Beitrag erneut f ü r die nächste N u m m e r zu. Aber auch dieses zweite H e f t erschien schließlich o h n e das Erasmus-Kapitel. Wenige Tage später, am 1. September 1933, war die erste N u m m e r der beim A m sterdamer Querido-Verlag erschienenen literarisch-kulturpolitischen Monatsschrift im Handel, die unter d e m Patronat von André Gide, Aldous Huxley u n d Heinrich M a n n von Klaus M a n n herausgegeben w u r d e . Geplant war zwar eine ausgesprochen »literarische« Zeitschrift, an ihrer prinzipiellen Gegnerschaft z u m Nationalsozialism u s aber gab es eigentlich nie Zweifel. Diese »erste u n d umfassendste Kampfansage der antifaschistischen Exilliteratur« 84 drückte sich nicht n u r in H a u s M a n n s p r o grammatischem Vorwort u n d Heinrich M a n n s polemischem Aufsatz Sittliche Erziehung durch deutsche Erhebung im ersten H e f t der Sammlung aus, 85 sondern auch in der auf der ersten Umschlagseite abgedruckten Mitarbeiterliste, die an deutschsprachigen Schriftstellern u. a. Brod, Döblin, Feuchtwanger, B r u n o Frank, Horváth, Kerr, Kesten, Kisch, Heinrich u n d T h o m a s M a n n , Musil, Regler, Roth, Schickele, Seghers, Toller, Wassermann, Ernst Weiß sowie Arnold u n d Stefan Z w e i g nannte, also viele prominente, von der B ü c h e r v e r b r e n n u n g betroffene u n d auf der Liste der » U n erwünschten« stehende Autoren. 8 6 Es ist einsichtig, daß Die Sammlung, deren Mitarbeiterverzeichnis so viele der v o m Naziregime verfemten Schriftsteller enthielt, die
80 81 82 83 84 85 86
Mann: Briefe, S. 92. S. Zweig an K. Mann vom 15.5.1933, Mann, S. 93. K. Mann an S. Zweig vom 19.5.1933, Mann, S. 98. Vgl. Mann, S. 103, s. a. S. 128 und 130 f. Exil in den Niederlanden, S. 119. Vgl. Exil in den Niederlanden, S. 118. Vgl. Walter: Sammlung, S. 851.
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5 Z w i s c h e n »Machtergreifung« u n d »Anschluß«
nationalsozialistischen M a c h t h a b e r zu sofortigem H a n d e l n zwang. D r . H e l l m u t h L a n g e n b u c h e r , seit M i t t e J u n i 1933 H a u p t s c h r i f t l e i t e r des Börsenblattes für den Deutschen Buchhandel u n d ab N o v e m b e r auch stellvertretender Leiter der Berliner Reichsstelle z u r F ö r d e r u n g des d e u t s c h e n S c h r i f t t u m s , 8 7 ü b t e i m Z e i c h e n der »Säuberung« d u r c h B o y k o t t a n d r o h u n g u m g e h e n d D r u c k auf die i n n e r d e u t s c h e n , n o c h n i c h t gleichgeschalteten Verlage der m i t a r b e i t e n d e n A u t o r e n aus. A u f W e i s u n g des Reichsm i n i s t e r i u m s f ü r V o l k s a u f k l ä r u n g u n d P r o p a g a n d a forderte d a h e r die d e m A m t R o s e n b e r g z u g e o r d n e t e Reichsstelle s c h o n u m d e n 1. S e p t e m b e r D e m e n t i s c h r e i b e n der beteiligten A u t o r e n , w e n n diese w e i t e r h i n i m D e u t s c h e n Reich publizieren wollten. D i e Verlage, b e t r o f f e n w a r e n b e s o n d e r s S. Fischer u n d (im Falle Stefan Z w e i g ) der Insel-Verlag, gaben ( n o t g e d r u n g e n ) diesen b e h ö r d l i c h e n D r u c k an ihre A u t o r e n w e i ter. Bereits an j e n e m 1. S e p t e m b e r m e l d e t e sich A n t o n K i p p e n b e r g - aufgeschreckt d u r c h eine n a c h d r ü c k l i c h e W a r n u n g des P r o p a g a n d a m i n i s t e r i u m s , d e n n die Z e i t schrift selbst d u r f t e j a n i c h t direkt ins Reich geliefert w e r d e n - bei Stefan Z w e i g zu dieser A n g e l e g e n h e i t brieflich zu W o r t . E r gab seiner V e r w u n d e r u n g A u s d r u c k , i h n a u f der besagten Mitarbeiterliste der Sammlung zu finden, o b w o h l er sich d o c h e r k l ä r t e r m a ß e n in d e n letzten M o n a t e n ganz aus der tagespolitischen D i s k u s s i o n h e r aushalten u n d ganz seiner literarischen Arbeit w i d m e n wollte. 8 8 D e r A u t o r bestätigte i h m , daß er seine M i t a r b e i t tatsächlich in Aussicht gestellt habe - u n t e r der Voraussetzung, »daß das Blatt ein rein literarisches u n d kein politisches sein werde«, was er p r ü f e n wolle, bevor er das v e r s p r o c h e n e Erasmus-Fragment aus der H a n d gebe. 8 9 Das A n t w o r t s c h r e i b e n seines Verlegers fiel trotz allem vorwurfsvoll aus, w o b e i die B e f ü r c h t u n g , daß diese u n b e d a c h t e V e r ö f f e n t l i c h u n g eine Mißbillig u n g seines g e s a m t e n verlegerischen Schaffens m i t sich b r i n g e n k ö n n t e , deutlich m i t s c h w i n g t . Er tadelte, daß Z w e i g i h n in dieser heiklen A n g e l e g e n h e i t n i c h t u m Rat gefragt habe, er hätte i h m »auf das dringlichste« abgeraten, da zweifellos s c h o n die N e n n u n g seines N a m e n s auf j e n e r Mitarbeiterliste zu d e n »allerschwersten K o m plikationen« 9 0 f ü h r e . W e n i g e T a g e darauf bekräftigte er, daß Die Sammlung (die w e d e r sein A u t o r n o c h er selbst bisher zu Gesicht b e k o m m e n hatte) laut W e i s u n g der N S K u l t u r b e h ö r d e n »alles andere als unpolitisch« sei: »Im Gegenteil, Alfred Kerr und Heinrich Mann geifern darin, daß es einem schlecht werden kann. Ich halte es für unbedingt nötig, daß Sie an den Herausgeber der Zeitschrift schreiben: da die Voraussetzung, unter der Sie Ihre Zusage gegeben hätten, nicht gegeben wäre, so bedauerten Sie, Ihre Zusage einen Beitrag betreffend, ausdrücklich zurückziehen zu müssen.« 91 G e n a u das sollte g e s c h e h e n . Z w a r hatte Stefan Z w e i g auch a m 11. S e p t e m b e r 1933 die A n f a n g des M o n a t s e r s c h i e n e n e N u m m e r 1 der Sammlung n o c h nicht gesehen, aber u n t e r B e r u f u n g auf eifersüchtig-gekränkte R e a k t i o n e n a n d e r e r Exilzeitschrif-
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87 Zur »Rcichsstclle«, der zentralen Prüfungsinstanz für alle Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt, vgl. Aigner: Indizierung, Sp. 964 und Barbian: Literaturpolitik, S. 116 f. und 392. 88 Vgl. A. Kippenberg an S. Zweig vom 1.9.1933 (IA). 89 Vgl. S. Zweig an A. Kippenberg vom 2.9.1933 (IA), in dem er ihm nochmals bestätigte, daß er seit Weihnachten 1932 »keine Zeile Manuskript« mehr publiziert und zur eventuellen Veröffentlichung eine entsprechende (nicht überlieferte) Erklärung dem Insel-Verlag gegenüber vorbereitet habe. 90 A. Kippenberg an S. Zweig vom 5.9.1933 (IA). 91 A. Kippenberg an S.Zweig vom 9.9.1933 (IA).
5.4 D e r Konflikt u m »Die Sammlung« ten, bei d e n e n er eine Mitarbeit bisher strikt abgelehnt hatte, bat er Klaus M a n n , vorläufig seinen » N a m e n von den A n k ü n d i g u n g e n wegzulassen«, da er beschlossen habe, »nirgendwo mitzuarbeiten, ehe wir nicht alle zu einer endgültigen u n d einheitlichen H a l t u n g g e k o m m e n sind«. 92 Die Mitarbeiterlisten, die seinen N a m e n noch erhielten u n d später den Skandal auslösen sollten, waren da bereits im U m l a u f : in F o r m von A n n o n c e n , auf schon ausgedruckten Buchumschlägen des Q u e r i d o Verlages u n d als Bestandteil von vielen tausend Prospekten, mit denen der Verlag f ü r die Sammlung warb. 9 3 A n t o n Kippenberg richtete noch am 13. September ein Schreiben an das Reichsministerium f ü r Volksaufklärung u n d Propaganda, in d e m er unmißverständlich klarmachte, daß Stefan Z w e i g weder an der Sammlung n o c h an anderen Publikationsorganen des literarischen Exils mitarbeite, sich überhaupt m o m e n t a n jedes öffentliche Wort versage, u m in R u h e sein Erasmus-Buch ausarbeiten zu k ö n n e n . Kippenberg schloß mit einem eindringlich formulierten Satz, mit d e m er sich zwar hinter seinen b e f r e u n d e t e n Autor stellte, gleichzeitig aber f ü r die Z u k u n f t ein Verhalten beider im Sinne des n e u e n nationalsozialistischen Staates versprach: »Ich kenne H e r r n Dr. Zweig aus langjähriger V e r b i n d u n g zu gut, u m nicht die Garantie ü b e r n e h m e n zu können, daß er zu seinem Worte stehen wird.« 94 Außer Stefan Z w e i g distanzierten sich bekanntlich auch Alfred Döblin, T h o m a s M a n n u n d René Schickele durch e n t sprechende Erklärungen an Klaus M a n n von ihrer ursprünglich zugesagten Mitarbeit an der Sammlung; aus unterschiedlichen Motiven, j e d o c h allesamt unter H i n w e i s auf den »politischen« Charakter der Zeitschrift u n d gleichfalls auf D r u c k ihres Verlegers Gottfried B e r m a n n Fischer. 9 5 Klaus M a n n war von den Absagen der mit i h m seit langem b e f r e u n d e t e n Schriftstellerkollegen sehr enttäuscht. Mitte September 1933 schrieb er resigniert an Stefan Zweig: »Es ist, u m d e n M u t zu verlieren; ... auf w e n k ö n n e n wir rechnen, w e n n alle die, auf die wir a m meisten vertraut haben, u n s sitzenlassen, aus Rücksicht auf einen d e u t s c h e n Markt