Stadt und Militär: Konfrontation und/oder Kooperation. Tagungsband der 57. Jahrestagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung [1 ed.] 9783666315473, 9783525315477


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Stadt und Militär: Konfrontation und/oder Kooperation. Tagungsband der 57. Jahrestagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung [1 ed.]
 9783666315473, 9783525315477

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Beatrix Schönewald (Hg.)

Stadt und Militär Konfrontation und / oder Kooperation Tagungsband der 57. Jahrestagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung

STADT IN DER GESCHICHTE   46

Stadt in der Geschichte

Veröffentlichungen des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung Begründet von

Erich Maschke und Jürgen Sydow Herausgegeben von

Gabriele Clemens und Ulrich Nieß Band 46

Stadt und Militär Konfrontation und/oder Kooperation Tagungsband der 57. Jahrestagung des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung

Herausgegeben von

Beatrix Schönewald

Vandenhoeck & Ruprecht

Der Band erscheint mit Förderung durch die Stadt Ingolstadt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2024 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, 37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Zentrum Stadtgeschichte Ingolstadt, Stadtarchiv II A 5. Satz: textformart, Göttingen Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2940-2581 ISBN 978-3-666-31547-3

Inhalt Beatrix Schönewald Stadt und Militär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Tobias Esch Alexandria Troas und das Militär Eine römische Veteranenkolonie im nordwestlichen Kleinasien . . . . . . . . . . 11 Christian Ottersbach Ein langes Mittelalter Städtische Befestigungen in Südwestdeutschland 1500–1620 und ihr Kontext 97 Max Plassmann Kämpfer oder Kaufleute? Militärische Kompetenzen in der Kölner Bürgerschaft der Vormoderne . . . . 123 Ruth Sandner Festungsarchäologie in Ingolstadt Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Manfred Bauer Festung Ingolstadt Materialität einer Garnisonsstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Brigitte Huber Schutz gegen den Feind von außen und von innen – München als Festungs- und Garnisonsstadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Benedikt Loew Mühlen, Märkte, Magazine Aspekte der Lebensmittelversorgung in der Festungsstadt Saarlouis . . . . . . . 187 Guido von Büren Die Garnison der Festungsstadt Jülich 1600–1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Klaus Roider Die Nürnberger Offiziere im 18. Jahrhundert (1681–1806) . . . . . . . . . . . . 247

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Inhalt

Thomas Tippach Militär und Stadt im langen 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 Oliver Fieg Rastatts Glück? Bürgerschaft und Militär in der Bundesfestung Rastatt. . . . . . . . . . . . . . . 311 Christian Th. Müller Aschaffenburg als amerikanischer Militärstandort Schlaglichter der zivil-militärischen Beziehungen zwischen Kooperation und Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Iris Winkler Militärmusik als fester Bestandteil des städtischen Gesellschaftsund Kulturlebens im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Gabriel Engert Aktuelle Nutzung von städtischen Festungsbauten  . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Stadt und Militär Beatrix Schönewald

Einleitung Das Thema »Stadt und Militär« ist ein Beschäftigungsfeld jener Institutionen, die sich im Kavalier Hepp in Ingolstadt befinden. In diesem Gebäude der ehemaligen Bayerischen Landesfestung sind das Stadtarchiv, die Wissenschaftliche Stadtbibliothek und das Stadtmuseum untergebracht. Sie befinden sich an einem signifikanten Ort für die Stadt- und Landesgeschichte, stehen im Dialog mit der Essenz bürgerlichen Strebens beziehungsweise Wirkens und externer Konditionen. Mittlerweile haben die drei Institutionen einen neuen Namen: »Zentrum Stadtgeschichte«. Das Sammeln, Bewahren, Bewerten und Vermitteln möglichst aller Aspekte der Landes-, Regional- und Stadtgeschichte – von der Frühgeschichte, der Zeit der Kelten und Römer, der Herzogszeit, der Universitätsgeschichte, der Festungszeit und der Industrie – stehen im Fokus. Das heißt immer auch das Begriffspaar Friedens-/Kriegszeit zu analysieren und zu erforschen. Ingolstadts lange Geschichte von der befestigten Residenzstadt zur königlichen Landesfestung bis hin zum Oberzentrum nach 1945 steht beispielhaft für den Themenkomplex »Stadt und Militär« dieser Tagung. Das Selbstverständnis einer Stadt wie Ingolstadt liegt in der herzoglichen Gründung, in ihrer Entwicklung als landesherrliche Stadt. Die Stiftung einer Universität erweitert bis zum Jahr 1800 auch die städtische Entwicklung. Es gab damals drei Autoritäten in Ingolstadt: den Rat der Stadt, den Landesherrn / Statthalter und die Universität. Die Stadt durchlief / erlebte / erfuhr in diesen drei Jahrhunderten einen erstaunlichen Entwicklungsschub, wie er sich erst wieder Ende des 20. Jahrhunderts einstellte. In dieser Zeit veränderten sich allerdings die Zielrichtung der landesherrlichen Stadtpolitik. Humanistische Bildungsziele standen für die beiden niederbayerischen Herzöge im Vordergrund, deren Hauptresidenz in Landshut war. Die geopolitische Lage veränderte sich nach dem Landshuter Erbfolgekrieg. Ab 1506 wurde das wiedervereinte Herzogtum Bayern von München aus regiert. Von den einstigen Residenzstädten behielt Ingolstadt seine große Bedeutung. Die Universität erhielt mit ihrer theologischen Fakultät eine zentrale Bedeutung in der Kontroverse mit Martin Luther. Die ursprünglich innertheologische Auseinandersetzung gewann bald politische Brisanz und veränderte die Machtverhältnisse im Reich und in ganz Europa. Ingolstadt erhielt eine zusätzliche geostrategische Rolle: befestigte Stadt, Grenzstadt, Flussübergang. Die bayerischen Herzöge definieren den Charak-

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ter ihrer Stadt seit dem 16. Jahrhundert neu, beauftragen unter anderem Reinhard Graf Solms zu Münzenberg mit Planung und Bau einer Festung. Das Militär wird neben Statthalter, Stadtrat und Universität zum bestimmenden Faktor der Entwicklung. Jetzt zieht sich ein Ring aus Festungswerken um die Stadt, verändern sich die Konditionen der Stadtgesellschaft. Sie steht nun im Spannungsfeld der offenen universitären Ideale und den sicherheitsrelevanten Einschränkungen städtischen Lebens. Parallel dazu verschärfen sich die Fronten zwischen Reformation und Gegenreformation, Professoren und Studenten verlassen die Universität, verlassen Bayern. Der Orden der Jesuiten stellt die Professoren an der Universität und sie werden zu einem bedeutenden Faktor im Machtgefüge der Stadt, alles im Auftrag der bayerischen Landesherren. Während des Schmalkaldischen Kriegs spielt Ingolstadt erneut eine entscheidende militärische Rolle, als das kaiserliche Heer vor Ingolstadt lagerte. Die politische Lage schnürt die zivile Entwicklung Ingolstadts weiter ein. Der Ausbau der Festung hat Priorität, als zu Beginn des 17. Jahrhunderts die politischen Zeichen erneut auf Krieg standen. Die Intensivierung der militärischen Präsenz in der Stadt beginnt mit dem Dreißigjährigen Krieg. Das Militär wird bestimmend für die Stadt und ihre Bürger, nicht zuletzt durch zwei Jahrhunderte machtpolitischer Auseinandersetzungen mit konfessionellen Legitimationen. Die napoleonischen Kriege veränderten das Land und seine Städte. Die Universität wurde nach Landshut, dann nach München verlegt, und Ingolstadts Entwicklung stagnierte über viele Jahre, ehe sich mit der Entscheidung des bayerischen Königs der Charakter der Stadt veränderte und bis heute prägt. Ingolstadts Bürgerschaft sehen sich als Schanzer und identifizieren sich mit dem militärischen Status ihrer Gemeinde. Deutlich wird dies am Schicksal der einstigen herzoglichen und universitären Bauten, am Schicksal auch des Jesuitenkollegs. Sie sind ihrer Funktion entbunden, werden entweder abgerissen oder neu bespielt, wie zum Beispiel das Georgianum, das einst Kolleg und Priesterseminar war und dann zu einer Brauerei umfunktioniert wurde. Seit dem 19. Jahrhundert teilt Ingolstadt das Los vieler Garnisonsstädte, beziehungsweise vieler Landes- und Bundesfestungen. Sie alle sind den direkten Wechsel­ wirkungen in Friedenszeiten  – Quartiere, Baumaßnahmen, Arbeitsplätze, wirtschaftliche Vorteile bis hin zum Heiratsmarkt  – und den Wechselwirkungen in Kriegszeiten – Belagerungen, Plünderungen, Hungersnöte, Seuchen, Kontributionen, Gewalt – ausgesetzt. Ihre Geschichte heißt auch die Suche nach einer Identität mit und ohne Militär. Ihre Stadtentwicklung heißt auch Akzeptieren von militärischen Vorgaben wie Rayongesetze und Unterordnung der zivilen Belange. Doch geben Festung und Garnison andere Identitäten, andere Sicherheiten. Sie sind exponentielle Garanten von Schutz, von wirtschaftlicher Prosperität. Im Mit- und Gegeneinander spiegeln sich auch gesellschaftliche Entwicklungen, Parteinahmen oder Gegnerschaften, schärfen sich politische und wirtschaftliche Ideologien. Nicht

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umsonst findet das Militär gerade im Umgang mit der Zivilbevölkerung Eingang in Karikaturen und Satiren. Eine derartige Vielfalt der behandelten Themen, wie sie in der vorliegenden Publikation geboten wird  – in einem Band, zu verschiedensten Festungsstädten, in den verschiedenen Epochen, zu den verschiedensten Themen – ist ein Novum. Die meisten – bisher erschienenen – Publikationen zeigen klare Schwerpunkte. In der Regel sind die bisherigen Veröffentlichungen auf einen geografischen Raum beschränkt, häufig behandeln sie eine bestimmte Festungsstadt. Nicht selten steht bei ihnen ein bestimmter militärischer Konflikt im Zentrum der Betrachtungen, wobei hier klare Schwerpunkte der Forschung in den Kriegen der Frühen Neuzeit zu sehen sind. Andere vorherrschende Themen sind etwa die Baugeschichte der verschiedenen Festungen oder allgemein die Entwicklung der Festungsbauten über die Jahrhunderte. Auch das Verhältnis von Bürgern und Militär wird in einigen wenigen Publikationen beleuchtet, allerdings mit einem klaren Fokus auf den Auseinandersetzungen zwischen den Parteien und weniger auf einem vielleicht sogar friedlichen Zusammenleben. Als Hauptursache für diese Schwerpunkte in der bisherigen Forschung ist sicher die Quellenlage zu nennen. Konflikte bringen ein Mehr an Quellen als konfliktlose Zeiten; die zunehmende Schriftlichkeit und die Erfindung des Buchdrucks sorgen in der Frühen Neuzeit für eine wachsende Schriftkultur und Baugeschichte wird durch Baupläne, Stadtansichten und Karten gut dokumentiert. Die Tagung in Ingolstadt bot nun dennoch die Möglichkeit, das Thema Stadt und Militär auf überregionaler Ebene zu diskutieren, in der zeitlichen Abfolge, in der Typologie und auch im Alltag von Garnisonsstädten. Und wir bewegten uns quer durch die Bundesrepublik und quer durch alle Epochen. Der vorliegende Band gliedert sich in drei Sektionen. Voraussetzungen für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Stadt und Militär sind deren Geschichte, sind deren Ursprünge. Sektion 1 »Entwicklung der Militärstädte« verfolgt den chronologischen Ansatz seit der römischen Zeit. Tobis Esch stellt eine römische Veteranenkolonie im griechischen Osten vor. Frühneuzeitliche Befestigungen der Städte entwickeln sich analog zur Professionalisierung des Krieges, wie Christian Ottersbach für die Zeit 1500 bis 1620 vorstellt. Wieweit sich Bürger in den Dienst der Verteidigung ihrer Stadt engagierten, legt Max Plassmann in seinem Beitrag über die militärischen Kompetenzen der Kölner Bürgerschaft dar. Wichtige Erkenntnisse in der Forschung zur Militärgeschichte einer Stadt liefert die Festungsarchäologie. Ruth Sander belegt dies am Beispiel der Ausgrabungen am Neuen Schloss in Ingolstadt. Manfred Bauer präsentiert das zugehörige Fundgut. In der Entwicklung der Beziehung Stadt und Militär kristallisieren sich Typen von Festungs- beziehungsweise Garnisonsstädten heraus. In der zweiten Sektion des Bandes werden Fallbeispiele vorgestellt. Brigitte Huber beschreibt München als Festungs- und Garnisonsstadt unter dem Titel »Schutz gegen den Feind von innen

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und von außen«. Guido von Büren führt in die Festungsstadt Jülich und beschreibt 300 Jahre Garnisonstandort. Die Lebensmittelversorgung steht im Mittelpunkt des Beitrages von Benedikt Loew über Saarlouis. Klaus Roider stellt die Nürnberger Offiziere im 18. Jahrhundert vor. Thomas Tippach beschäftigt sich mit den Festungsstädten im Rheinland des 19. Jahrhunderts und konzentriert sich auf Koblenz als Paradebeispiel. Alltag und Festkultur der Festungs- und Militärstädte beleuchten vier Beiträge in der Sektion 3 des Bandes. Oliver Fieg M. A. widmet sich »Badens Glück? Militär und Bürgerschaft in der Bundesfestung Rastatt«. Christian Th. Müller schildert die Situation der amerikanischen Besatzungstruppen in der Nachkriegszeit und zieht Bilanz bis in die Neuzeit. Eine nicht unbedeutende Komponente im Zusammenleben zwischen Stadt und Militär stellt die Militärmusik dar. Iris Winkler analysiert sie am Beispiel Ingolstadts. Gabriel Engert stellt abschließend die aktuelle Nutzung von städtischen Festungsbauten in Ingolstadt vor.

Alexandria Troas und das Militär Eine römische Veteranenkolonie im nordwestlichen Kleinasien* Tobias Esch

In Gedenken an Elmar Schwertheim (1943–2022) Alexandria Troas in einem Tagungsband zum Thema »Stadt und Militär: Konfrontation und / oder Kooperation?« vorzustellen, mag auf den ersten Blick überraschen, denn die antike Großstadt war nie dauerhaftes Standlager römischer Legionen. Dies erklärt sich vor allem durch ihre Zugehörigkeit zur Provinz Asia, einer provincia populi Romani, in der – anders als in den kaiserlichen Provinzen – in der Regel keine vollständigen legiones, sondern nur kleinere Detachements sowie Hilfstruppen lagen.1 Alexandria war seit seiner Gründung in frühhellenistischer Zeit aufgrund der Nähe zum Hellespont aber von enormer strategischer Bedeutung. Durch Einrichtung der Colonia Augusta Troadensis unter Augustus spielte die Stadt auch bei der Veteranenversorgung eine wichtige Rolle. Zudem wurde sie von der aktiven römischen Armee als Etappenziel und Rekrutierungsgebiet bei der Verlegung von Truppen zwischen Ostgrenze und Balkan beziehungsweise Donau genutzt. Eventuell waren dort sogar Verbände der römischen Kriegsflotte stationiert. Nicht zu unterschätzen ist ferner der Einfluss der (ehemaligen) Militärs und ihrer Nachkommen auf die lokale Politik und Verwaltung.

* Die Abkürzungen antiker Quellen und der Corpora folgen den Richtlinien des Deutschen Archäologischen Instituts; siehe (26.09.2019). Die Zitation der Sekundärliteratur orientiert sich dagegen an den Vorgaben der Reihe »Stadt in der Geschichte«. Das Manuskript wurde im Januar 2020 abgeschlossen, später erschienene Literatur konnte ich nicht mehr berücksichtigen. Mein Dank gilt David Biedermann (Ingolstadt) und Aylin Tanrıöver (Halle) für Hinweise und kritische Durchsicht des Textes sowie Markus Strathaus (Manching) für Hilfe bei der Literaturbeschaffung. 1 Mitchell 1993, S. 120 f.; Speidel 1983, S. 11–13 sowie Sherk 1955, bes. S. 404–407.

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1. Lokalisierung, urbane Struktur und strategische Bedeutung von Alexandria Troas Alexandria Troas lag im nordwestlichen Kleinasien, genauer in der Troas (Abb. 1). Die antike Kulturlandschaft in der heutigen Türkei ist vor allem durch das sagenumwobene Troja berühmt, das örtlich meist mit dem Siedlungshügel des Hissarlık Tepe und dem griechischen Ilion gleichgesetzt wird. In hellenistisch-römischer Zeit bildete jedoch das an der Westküste gelegene Alexandria Troas die stärkste Regionalmacht. Die Ruinenstätte ist unmittelbar südlich des modernen Dalyan Köyü (Landkreis Ezine, Provinz Çanakkale) zu verorten. Sie war bis in die jüngere Vergangenheit zwar massiv von Steinraub betroffen und wird auch heute noch landwirtschaftlich intensiv genutzt, glücklicherweise setzte aber bislang keine nennenswerte Überbauung ein. Auch nach Verödung der antiken Stadt blieben die Überreste vieler Bauten oberirdisch sichtbar. Exemplarisch genannt seien hier der Hafen (Kap. 8), das sogenannte Maldelik, bei dem es sich vermutlich um ein großes Archivgebäude der römischen Kaiserzeit handelte, sowie die von Herodes Atticus um 135 n. Chr. erbauten Thermen.2 Sie wurden lange Zeit für den Palast des mythischen Trojanerkönigs Priamos gehalten und dienten vorbeifahrenden Seeleuten als Navigationshilfe. Durch die Ausgrabungen, Surveys und geophysikalischen Untersuchungen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Ankara Üniversitesi ergeben sich inzwischen auch Erkenntnisse zu zuvor verschütteten Bauten und grundsätzlich zur urbanen Struktur von Alexandria Troas (Abb. 2).3 Noch in die hellenistische Zeit gehören die Fortifikationen (Kap. 2), ein dorischer Tempel4 und ein Wohnhaus5 im südöstlichen Stadtgebiet sowie der grundlegende Zuschnitt des orthogonalen Straßensystems.6 Gelegentlich lassen sich bei späteren Bauten der Kaiserzeit auch hellenistische Phasen erkennen, etwa beim Stadion,7 den sogenannten Zentralthermen8 und einem Hallengebäude am Übergang vom Forum zur ›Unteren Agora‹.9 Viele Komplexe sind jedoch erst für die nachchristlichen Jahrhunderte zu greifen, ohne dass für sie bisher hellenistische Vorgängergebäude 2 3 4 5 6

Klinkott 2014. Einen Überblick gibt Öztepe 2012. Pohl 1999. Aylward 2005, S. 37–39. 47 f. sowie Papenberg / Schrader 1999, S. 74–81. Biller u. a. 2011 sowie Papenberg / Schrader 1999, S. 65–67. Dass das Straßennetz bereits in hellenistischer Zeit angelegt wurde, ergibt sich m. E. klar aus der Tatsache, dass die Trassenführung mit den vier bekannten Toren der lysimacheischen Stadtmauer sowie mit dem Pastas-Haus und der Mittelachse des Stadions korreliert. 7 Mechikoff u. a. 2011. 8 Japp u. a. 2011. 9 Kiernan 2011.

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nachzuweisen sind: das Theater,10 das eigentliche Forum (Kap. 8) sowie die bereits angesprochenen Bauten des Hafens, des Maldeliks und der Herodes-Atticus-Thermen. Zu Letzteren gehörten in gewisser Weise auch ein Nymphäum11 und ein kilometerlanger Aquädukt, der Frischwasser vom Çığrı Dağı beziehungsweise aus dem Ida-Gebirge heranführte.12 Angesichts des immensen Stadtgebietes von allein circa 280 Hektar intra muros13 und der nur punktuell durchgeführten Feldforschungen gleicht unser derzeitiges Wissen aber eher einem Flickenteppich. Viele Fragen zu einzelnen Gebäuden und Arealen sowie ganz allgemein zur Stadtentwicklung sind daher weiterhin offen. Die Örtlichkeit von Alexandria Troas war mit Bedacht gewählt, denn hier befand sich der einzige geschützte Ankerplatz an der Westküste der Troas, der zu einem der bedeutendsten Häfen in der nördlichen Ägäis ausgebaut wurde. Hervorzuheben ist, dass vor der Küste zwei wichtige Schifffahrtswege aufeinandertrafen: die Passage von Kleinasien nach Makedonien14 und weiter in Richtung Griechenland sowie jene von der Ägäis durch das Marmarameer bis ins Schwarze Meer.15 Die zweite Route bereitete aber insofern erhebliche Probleme, als dabei zwingend der nahe gelegene Hellespont zu durchqueren war. Wie auch heute noch bliesen dort in hellenistischrömischer Zeit überwiegend Winde aus Nordosten, die den antiken Segelschiffen eine Einfahrt aus der Ägäis unmöglich machten. Die Schiffe waren daher dazu gezwungen, an der Westküste der Troas – oftmals wochenlang – auf günstige Südwinde zu warten, die im Sommer kaum auftraten und auch im Frühling und Herbst eher selten waren.16 Schutz boten allein der alexandrinische Hafen und in gewisser 10 Eine eingehende Untersuchung steht noch aus; siehe vorläufig Laporte 2011, S. 268 f. mit Abb. 30. 31; Sear 2006, S. 327 sowie Biller 2008, S. 54 f. mit weiterer Literatur. 11 Öztaner 1999. 12 Siehe die kurzen Notizen bei Laporte 2011, S. 270 mit Abb. 33; Öztaner 1999, S. 29.33.35; Schulz 2002, S. 36. 50; Tobin 1991, S. 338. 340–342 sowie Cook 1973, S. 325 f. mit Anm. 4. 13 Die Angabe von 390 ha bei Schulz 2002, S. 33 ist insofern irreführend, als suggeriert wird, dass es sich dabei um die Fläche des ummauerten Stadtgebietes handelt. Tatsächlich hat Schulz auch den extramuralen Hafen berücksichtigt, dessen Areal aber nicht exakt abzugrenzen ist. 14 So hatte Paulus laut Apg 16, 11 f. bei seiner 2.  Missionsreise in Alexandria Troas eine nächtliche Vision, die ihn zur Überfahrt nach Neapolis und zur Verkündung des Christentums in Makedonien bewegte. Auch bei seiner 3. Missionsreise besuchte der Apostel die Colonia Augusta Troadensis, zunächst wiederum als Ausgangspunkt seiner Passage nach Makedonien (2 Kor 2, 12 f.) und dann erneut auf der Rückreise (Apg 20, 6–14), wobei die Überfahrt jeweils nach / von Neapolis erfolgte. Zu den Verbindungen zwischen Alexandria und Neapolis bzw. Thessalonike siehe auch Ign Pol 8, 1 und Gal. SMT IX 2 (Ed. Kühn XII, S. 171 f.). 15 Hierzu und zum Folgenden vgl. Feuser 2009, bes. S. 9–14. 20 f. 24. 16 So berichtet Ioh. Mal. 18, 139, dass die Südwinde von Hochsommer bis Herbst 562 n. Chr. am Hellespont ausblieben und so die Weiterfahrt der ägyptischen Getreideflotte nach Konstantinopel verhinderten.

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Hinsicht auch die Häfen der vorgelagerten Insel Tenedos, die aber über ungleich geringere Kapazitäten verfügten.17 Das Nadelöhr des Hellesponts war nicht nur für die Schifffahrt von größtem strategischem Interesse, es wurde immer wieder auch von Landheeren überquert, die die schmale Meerenge zwischen Asien und Europa mittels Fähren oder Schiffsbrücken relativ leicht überwinden konnten. Erinnert sei hier nur an die berühmten Übergänge der Perser unter Xerxes  I. 480 v. Chr.18 und –  in umgekehrter Richtung  – der makedonisch-griechischen Kontingente unter Alexander dem Großen 334 v. Chr.19 Entsprechendes gilt für viele militärische Unternehmungen der hellenistisch-römischen Zeit, von denen meist auch das Territorium von Alexandria Troas als Durchzugsgebiet betroffen war, etwa 190 v. Chr. bei der Kampagne römisch-pergamenischer Verbände gegen Antiochos III.20 sowie bei den Truppendislokationen im Vierkaiserjahr 69 n. Chr. und beim bevorstehenden Partherfeldzug Caracallas 213/214 n. Chr. (Kap. 5).

2. Die griechische Polis von Antigoneia /  Alexandria Troas in hellenistischer Zeit Alexandria Troas wurde ursprünglich unter dem Namen Antigoneia in den Jahren zwischen 311 und 302 v. Chr. gegründet.21 Verantwortlich zeichnete Antigonos Monophthalmos, ein General Alexanders des Großen, der 306 v. Chr. selbst die 17 Dies sollte sich erst im 6. Jh. n. Chr. ändern, als Justinian I. am Haupthafen von Tenedos einen riesigen Getreidespeicher errichten ließ; siehe Prok. aed. V 1, 7–16. Vgl. hierzu Belke 2000, S. 115–117 sowie Koder 1998, S. 289 f. 18 Hdt. VII 33–36. 42 f. 54–56 und Diod. XI 3, 6. Die Perser zogen von Sardis zur Südküste der Troas und überquerte bei Antandros das Ida-Gebirge, um durch das spätere Territorium von Alexandria Troas nach Ilion und weiter nach Abydos zu gelangen. Vgl. Tenger 1999, S. 133 mit Anm. 179 sowie Müller 1994, S. 33–36. 19 Laut Arr. an. I 11, 7–12, 1; Plut. Alexander 15 sowie Strab. XIII 1, 26 zog Alexander zunächst nach Ilion und dann zum Granikos. Die Süd- und Westküste sowie das Skamanderbecken wurden von seinem General Kalas erobert; siehe Seibert 1985, S. 30–37. 20 Nachdem schon im Vorjahr erste Positionen am Hellespont besetzt worden waren, führten die Scipionen das römische Heer über die Meerenge und zogen dann via Dardanos, Rhoiteion und Ilion weiter in Richtung Pergamon; siehe Liv. XXXVII 9, 6–11; 33, 4–7; 37, 1–3. Dabei werden die Römer der kürzesten Route durch die alexandrinische Chora zur Südküste gefolgt sein, zumal die Alexandriner zuvor fest auf antiseleukidischer Seite gestanden hatten; siehe Tenger 1999, S. 154 sowie Kap. 2. Die Flotte von Eumenes II. ging aufgrund ungünstiger Winde dagegen an einem Ankerplatz im südwestlichen Territorium von Alexandria Troas an Land, und der Pergamenerkönig folgte dem römischen Kontingent dann auf dem Landweg; siehe Liv. XXXVII 37, 4. 21 Strab. XIII 1, 26.33.47; Plin. nat. 5, 124 sowie Eust. 2, 840. – Der terminus post quem erschließt sich aus Diod. XIX 105, 1 sowie Welles 1934/1966, Nr. 1. In diesem Schreiben

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Königswürde annahm. Für seine Neugründung siedelte er an einem Ort, der zuvor angeblich Sigia genannt worden sei, die Einwohner von sechs älteren griechischen Poleis zwangsweise an: Skepsis, Kebren und Neandria im Landesinneren der Troas sowie Kolonai, Larisa und Hamaxitos an der Westküste (Abb. 1). Antigoneia bildete ein Gegengewicht zu Lysimacheia, einer Polis auf der Thrakischen Chersones, die auf Initiative von Antigonos’ Widersacher Lysimachos 309 v. Chr. entstand.22 Ob Antigonos mit seinem Synoikismos auf die Stadtgründung seines Gegners reagierte oder vice versa, ist angesichts der unsicheren Feindatierung aktuell aber nicht sicher zu entscheiden. Auch die Territorien der im antigonidischen Synoikismos aufgegangenen Poleis fielen an die neue Stadt, so dass diese über immensen Landbesitz von geschätzt 1.200 Quadratkilometern verfügte,23 mehr als das heutige Berlin. Antigoneias Territorium und dessen Küsten boten nicht nur gute Voraussetzungen für Landwirtschaft und Fischfang, durch die Granitbrüche um Neandria24 und die Salinen von ­Tragasai25 standen auch wichtige Bodenschätze zur Verfügung. Gerade der als m ­ armor ­Troadense bezeichnete Granit sollte – spätestens in der Kaiserzeit – zu einem echten Exportschlager werden, den man in weite Teile des Mittelmeers verschiffte.26 Mit dem Smintheion, einem extraurbanen Heiligtum des Apollon Smintheus beim modernen Gülpınar, existierte ferner ein Tempel und Orakel von zumindest regionaler Bedeutung.27 Bald nach seiner Machtübernahme in der Troas und in Kleinasien im Jahr 302/301 v. Chr. änderte Lysimachos den Stadtnamen von Antigoneia in Alexandria (Troas) um, angeblich aus Pietät vor Alexander dem Großen, vermutlich aber vorrangig, um die Erinnerung an seinen Feind Antigonos zu tilgen.28 Ferner löste Lysimachos die Bürger und das Territorium von Skepsis wieder aus dem Synoiskomos.29 Damit wollte der Diadoche wohl nicht nur Konflikte zwischen den verfeindeten Skepsiern

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hatte Antigonos dem im späteren Synoikismos inkorporierten Skepsis 311 v. Chr. noch die Autonomie zugesichert. – Der terminus ante quem ist durch Lysimachos’ Machtübernahme in der Troas 302 v. Chr. gesichert; siehe Diod. XX 107, 2–4. Lichtenberger u. a. 2015; Sayar 2014a sowie Sayar 2014b. Die Schätzung berücksichtigt geographische Marken wie Gebirgszüge, Fluss- und Küstenverläufe etc. Eine exakte Abgrenzung zu den Nachbarpoleis ist nicht möglich, zumindest sind mir keine Grenzsteine o. Ä. bekannt. Grundlegend Ponti 1995. Siehe hierzu die von Ricl 1997, T 59–64 zitierten Quellen. Es wurden vor allem Halbfabrikate monolither Säulen exportiert. Zur Verbreitung siehe Feuser 2009, S. 21–23 mit Abb. 3 sowie Williams-Thorpe 2008. Nach aktuellem Stand scheinen die Säulen aus marmor Troadense quantitativ sogar all jene aus anderem Granit übertroffen zu haben, jedoch mit klarem Schwerpunkt in Kleinasien, auf Zypern, in der Levante und Nordafrika. Siehe exemplarisch Özgünel 2012 sowie zuletzt die Beiträge in Özgünel 2015. Strab. XIII 1, 26. Vgl. Ziegler 1998, S. 686. Strab. XIII 1, 33. 52.

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und Kebreniern in Alexandria entschärfen.30 Er hatte auch erkannt, dass durch die administrativen Umwälzungen in der Troas ein gefährliches Machtvakuum an den wichtigen Pässen des Ida-Gebirges entstanden war, das durch die dauerhafte Restitution von Skepsis wieder gefüllt werden sollte.31 Lysimachos ließ den Zentralort der alexandrinischen Polis außerdem mit einer circa 8 Kilometer langen Stadtmauer umgeben (Abb. 2).32 Mit mindestens 44 Türmen, vier Toren, einer Zwischenmauer und der am Gelände orientierten Trassenführung gehörte sie zu den aufwendigsten und fortschrittlichsten Fortifikationen in der Region.33 Die Wehrbauten sollten die strategisch so bedeutende Hafenstadt vor Angriffen von außen schützen und ihr zugleich ein repräsentatives Erscheinungsbild geben. Eindrücklichstes Beispiel ist das Rundhoftor im Osten (Abb.  3), der wohl früheste Vertreter dieser Architekturform in Kleinasien. Denkbar wäre, dass L ­ ysimachos nicht nur die (Teil-)Finanzierung der Baumaßnahmen übernahm,34 sondern auch Architekten und / oder Soldaten aus seinem Heer für die Ausführung zur Verfügung stellte.35 Vom Mauerbau zeugt ferner eine frühhellenistische Inschrift, die zwar 20 Kilometer weiter nordöstlich beim modernen Akköy gefunden wurde, aber angesichts der im Text genannten technischen Details und fehlender Alternativkandidaten höchstwahrscheinlich Alexandria Troas zuzuordnen ist.36 Anscheinend wurden die alexandrinischen Fortifikationen circa 550 Jahre nicht bezwungen, zumindest fehlen bislang entsprechende Belege in der schriftlichen und archäologischen Überlieferung.37 Erst 262 n. Chr. nahmen die Goten Alexandria 30 Zumindest hatte es laut Strab. XIII 1, 33 in klassischer Zeit Gebietskonflikte zwischen den damals noch unabhängigen Bürgerverbänden gegeben. 31 Vgl. Tenger 1999, S. 144 f. – Die Polis von Skepsis prägte fortan wieder eigene Münzen, erließ Dekrete und war selbständiges Mitglied im Koinon der Athena Ilias; siehe exemplarisch Kagan 1984; Schwertheim 1996, Nr. 1. 2 sowie Frisch 1975, Nr. 10. 18. 32 Strab. XIII 1, 26. Vgl. hierzu und zum archäologischen Befund Schulz 2002. Die etwa 750 m lange Zwischenmauer hat Strabon bei seiner Längenangabe von 40 Stadien offenbar nicht berücksichtigt. Er erwähnt aber zusätzlich einen lysimacheischen Tempelbau, bei dem es sich ggf. um das dorische Heiligtum im südöstlichen Stadtgebiet handeln könnte; siehe Pohl 1999, S. 90 f. 33 Siehe den Überblick bei Schulz 2000, bes. S. 9–31. 119. 34 Zu vergleichbaren Geld- und Sachleistungen, die 227/226 v. Chr. Hieron II. und Gelon von Syrakus den Rhodiern beim Wiederaufbau ihrer Fortifikationen bereitstellten, siehe Diod. XXVI 8, 1 und Pol. V 88, 5–8. 35 Die zu Beginn der folgenden Anm. genannte Inschrift enthält allerdings Vereinbarungen, die zwischen einer städtischen Baukommission und ausführenden Privatunternehmern getroffen wurden. 36 Ricl 1997, Nr. 1. Unsicher ist hingegen, ob eine zweite, bei Şapköy entdeckte Mauerbauinschrift zu Alexandria oder Neandria gehört. Siehe ebenda, Nr. 2 sowie konträr Schulz 2002, S. 95 f. und Schwertheim 1994, Nr. 6. 37 Dies soll natürlich nicht bedeuten, dass sich die Alexandriner dem militärischen und politischen Einfluss der hellenistischen Großmächte, d. h. der Seleukiden, Ptolemäer und

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Abb. 3: Das alexandrinische Rundhoftor von Westen. © Tobias Esch

Troas ein und plünderten die Stadt.38 Vor dem Hintergrund dieses katastrophalen Ereignisses wurden offenbar Ausbesserungen am Diateichisma vorgenommen, das ein hochgelegenes, leicht zu verteidigendes Areal südöstlich des antiken Hafens vom übrigen Stadtgebiet abtrennte.39 In hellenistischer Zeit traten die Alexandriner selbst vor allem zwei Mal militärisch in Erscheinung: 218 v. Chr. plünderte der keltische Stamm der Aigosagen die Region am Hellespont und belagerte dabei auch Ilion.40 Den ›Barbaren‹ stellte sich ­ ttaliden, sowie später der Römer entzogen hätten. Anscheinend mussten sie sogar zeitweise A eine Verkleinerung ihres Landbesitzes hinnehmen. Dies lassen Münzen der neuen Poleis von Antiochia und Ptolemais vermuten, die wohl die früheren Gebiete von Kebren und Larisa einnahmen, spätestens im letzten Viertel des 3.  Jhs. v. Chr. aber wieder an Alexandria Troas fielen; siehe hierzu die Literatur bei Esch 2016, Anm. 7. 38 Hiervon zeugen neben Iord. Get. 20, 18 auch mindestens vier Münzhorte aus Alexandria bzw. seinem Territorium, deren Schlussmünzen aus der Samtherrschaft von Valerian und Gallienus bzw. aus der frühen Alleinherrschaft des Gallienus stammen; siehe Esch 2016, S. 78–81 sowie Esch / Martin 2008. 39 Zu den Reparaturen siehe Schulz 2002, S. 39. Zu vergleichbaren Ausbesserungen und Neubauten von Stadtmauern in Kleinasien im 3.  Jh. n. Chr. siehe Esch / Martin 2008, S. 106 mit Anm. 71–81. 40 Pol. V 111, 2.

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jedoch ein gewisser Themistes entgegen, der mit 4.000 Bürgersoldaten aus Alexandria Troas der Nachbarstadt zu Hilfe eilte. Es gelang, Ilion zu entsetzen, die Kelten von ihrem Nachschub abzuschneiden und sie so aus der (westlichen) Troas zu vertreiben.41 Die von Polybios überlieferte Episode wirft nicht nur ein bezeichnendes Licht auf Alexandrias Bevölkerungsgröße und militärisches Potenzial.42 Sie zeigt auch, dass die Polis in der schwierigen Gemengelage des späten 3.  Jahrhunderts v. Chr. durchaus eigene Interessen verfolgte, denn mit ihrem Engagement missachtete sie in gewisser Weise Pläne des verbündeten Pergamenerkönigs Attalos’  I., der die Aigosagen ursprünglich als Söldner angeworben hatte und diese nach ihrem unkontrollierbaren Furor angeblich in der Troas ansiedeln wollte.43 Gut 20 Jahre später gerieten die Alexandriner dann in Frontstellung zum seleukidischen König Antiochos III., der 197 v. Chr. nach Kleinasien zog und damit zu einer ernsten Bedrohung für die Pergamener und die verbündeten Römer wurde.44 196 v. Chr. konnte Antiochos auch große Teile der Troas unter seine Kontrolle bringen, zum Beispiel Ilion und Skepsis.45 Das benachbarte Alexandria hat sich dagegen trotz einer seleukidischen Freiheitsgarantie widersetzt und verblieb auf Pergamons Seite. Gemeinsam mit den Bürgern von Lampsakos und Smyrna wandten sich die Alexandriner mit Gesandtschaften an den römischen Senat und gehörten damit zu den ersten kleinasiatischen Griechen, die Rom um Hilfe beim Kampf um ihre Autonomie baten.46 Laut Appian, Diodor und Polybios bildete der Widerstand der drei Poleis sogar den Anlass zum Römisch-Syrischen Krieg (192–188 v. Chr.).47 Vor diesem Hintergrund kam es in Alexandrias Chora offenbar auch zu kriegerischen Konflikten: Dies verdeutlicht eine Ehreninschrift aus dem Smintheion, die von 41 Pol. V 111, 3–4. Die Hilfe der Alexandriner für Ilion dürfte zum einen ihrer Mitgliedschaft im Städtebund der Athena Ilias geschuldet gewesen sein und zum anderen der gemeinsamen Parteinahme der Poleis für den pergamenischen König Attalos I. in dessen Kampf gegen den seleukidischen Usurpator Achaios. Vgl. hierzu Ricl 1997, T 109. 110 sowie Tenger 1999, S. 151 mit Anm. 313 f. 42 McShane 1964, S. 63 bezweifelt zwar, dass Alexandria Troas in der Lage gewesen sei, ohne Hilfe anderer Poleis oder des Attalos ein Kontingent von 4.000 Mann zu stellen. Diese Zweifel halte ich aber für unbegründet, da die Polis zur fraglichen Zeit, d. h. circa 90 Jahre nach ihrer Gründung, schon über eine beträchtliche Einwohnerzahl verfügt haben dürfte. Zudem war der Angriff der Aigosagen auf Ilion auch für die Alexandriner derart bedrohlich, dass sie mit einer vollen Mobilmachung reagieren mussten. Vgl. Ricl 1997, S. 18 Anm. 164. 43 Pol. V 77, 2; 78, 1–6. Tomaschitz 2002, S. 178 zieht in Erwägung, dass Attalos die Landzuweisungen gar nicht durchführen wollte, sondern insgeheim eine Rückkehr der Aigosagen nach Europa präferierte. 44 Vgl. Tenger 1999, S. 152–154; McShane 1964, S. 131–138 sowie Frisch 1978, S. 132–135. 45 Zu Ilion siehe Liv. XXXV 43, 3 und Frisch 1975, Nr. 37. 45; zu Skepsis Taşlıklıoğlu / Frisch 1975, Nr. 1. 46 Diod. XXIX 7. Vgl. auch App. Syr. 2; Liv. XXXIII 38, 3–7; XXXV 42, 2; Pol. XVIII 52 sowie Frisch 1978, Nr. 4. 47 App. Syr. 29; Diod. XXIX 7 sowie Pol. XXI 13, 3.

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alexandrinischen Bürgern aus (Nea) Chrysa an der südlichen Westküste der Troas für einen vor Ort stationierten Festungskommandanten aufgestellt wurde.48 Die Bürgerabteilung zeichnete ihn aufgrund seiner militärischen Leistungen mit einem goldenen Kranz aus und erwirkte von der Volksversammlung und dem Rat der alexandrinischen Gesamtpolis eine entsprechende Ehrung. Die im Text erwähnten Kampfhandlungen49 sind aufgrund des epigraphischen Schriftbildes und Sprachduktus’ in das frühe 2. Jahrhundert v. Chr. zu datieren und dürften damit auf die Auseinandersetzungen mit Antiochos III. zu beziehen sein. Weitere Details zur hellenistischen Stadtgeschichte spare ich hier aus. Beachtung verdient aber noch, dass Antigoneia / A lexandria Troas seit seiner Gründung wohl die meiste Zeit als demokratische Polis konstituiert war; zumindest lassen sich mit Rat (βουλή) und Volk (δῆμος) die typischen Beschlussorgane mehrfach fassen.50 An der Spitze der Gemeinde standen jährlich gewählte, eponyme Beamte, wie eine Verkaufsinschrift mit dem Passus ἐπὶ Ἀρτέμωνος aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. nahelegt.51 Weitere Amtsträger werden mit ihren Namen beziehungsweise Monogrammen auf autonomen Münzen des 2./1. Jahrhunderts v. Chr.52 erwähnt sowie vereinzelt auch auf städtischen Marktgewichten53 und Amphorenstempeln.54

3. Die Gründung und Privilegierung der Colonia Augusta Troadensis unter Augustus In der frühen Kaiserzeit sollte sich Alexandrias rechtliche, administrative und demographische Struktur dann grundlegend wandeln: Vor Ort wurde mit der Colonia Augusta Troadensis eine römische Kolonie eingerichtet, die meines Erachtens die vollumfängliche Rechtsnachfolge der griechischen Polis antrat.55 Ihr Stadtrecht gehörte zur höchsten Kategorie im Imperium Romanum, das heißt die Koloniebürger waren zugleich cives Romani, konnten damit in Rom das aktive und passive Wahlrecht ausüben und waren auch in vielerlei anderer Hinsicht gegenüber der peregrinen 48 Ricl 1997, Nr. 4. 49 In Zeile 1 f. der Inschrift erscheint das Verbum πραξικοπέω, und in Zeile 5 werden πόλεμοι erwähnt. 50 Ricl 1997, Nr. 3. 4.6.61; T 88.95.105. – Während des Konflikts mit Antiochos III. scheint sich aber zeitweise ein oligarchisches Regime etabliert zu haben; siehe hierzu ebenda, T 95. 51 Ricl 1997, Nr. 61. 52 Bellinger 1961, S. 219 f. und Nr. A136. A137. A148–163. A165–170. A177; de Callataÿ 1997, S. 152; SNG von Aulock, Nr. 7548; Dr. Busso Peus Nachf., Auktionskatalog 371, Frankfurt a. M. 24.–26. April 2002, Nr. 142 sowie Giessener Münzhandlung Dieter Gorny, Auktionskatalog 15, München 17./18. Dezember 1979, Nr. 68. 53 Weiß 2008, S. 718–723. 54 Panas / Pontes 1998, Nr. 70–74; Lazarov 1980, Nr. 78; Robert / Robert 1983, S. 79 Nr. 20 sowie Robert / Robert 1971, S. 469 Nr. 461. 55 Zur fraglichen Existenz einer sog. Doppelgemeinde siehe Kap. 9.

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Provinzbevölkerung bevorteilt.56 In Rom waren sie in der Regel in den Stimmbezirk der tribus Aniensis eingeschrieben.57 Die koloniale Verfassung war eng an das Vorbild Rom angelehnt und sah vermögensbedingte Zugangsbeschränkungen zu den wichtigsten Ämtern und Institutionen vor.58 An Magistraturen sind das Duumvirat, die Ädilität, die Quästur (?) und die praefectura fabrum belegt; zudem kennen wir sakrale Beamte wie pontifices, augures, sacerdotes, flamines und Propheten des Stadtgottes Apollon Smintheus (Tab. 2). Schließlich liegen auch Nachweise für die beschlussfassenden Gremien des Stadtrates (ordo decurionum)59 und der Bürgerschaft (populus)60 vor. Ihren Rechtstatus erhielt die Colonia Augusta Troadensis – anders als die sogenannten Titularkolonien – nicht etwa durch bloße Verleihung, sondern in ihr wurden auch tatsächlich römische Bürger niedergesetzt. Dabei handelte es sich um die vornehmste Gruppe potenzieller Siedler, das heißt um Veteranen der römischen Armee, die im Zentralort und im Territorium der alexandrinischen Kolonie mit Bau- und Ackerland versorgt wurden.61 Die Gründung der Kolonie erfolgte unter Augustus,62 wofür sich durch die koloniale Titulatur ein terminus post quem von 27 v. Chr.63 und durch die Nennung als Ἀποικία Σεβαστὴ Τρῳάς in einem Zusatz zum Zollgesetz von Ephesos ein terminus ante quem von 12 v. Chr. ergibt.64 Durch die kurzen Notizen zum alexandrinischen Koloniestatus bei Plinius dem Älteren und Strabon lässt sich die Zeitspanne nicht 56 Zu den unterschiedlichen Stadtrechtsformen siehe Vittinghoff 1951a, bes. S. 22–48 sowie Vittinghoff 1951b. 57 Kubitschek 1889, S. 247. 58 Aufgrund der relativen Uniformität der Stadtgesetze lassen sich für die alexandrinischen Institutionen und Magistraturen Rückschlüsse aus den Verfassungen anderer coloniae und municipia ableiten. Vgl. etwa Galsterer 1998; Lintott 1993, S. 129–153 sowie Jacques 1992. Für die östlichen Provinzen siehe exemplarisch Deniaux 2005 sowie Engels 1990, S. 17 f. 197–199. 59 Ricl 1997, Nr. 12. 14.19.20.23. 24.34.37.39.47.49.135.138; T 120; Schwertheim 2008, Nr. 2 sowie Burnett 1998. Vgl. auch Tab. 2. 60 Ricl 1997, Nr. 11. 28.46.74; T 120. 61 In R. gest. div. Aug. 28 rühmte sich Augustus, in mehreren Provinzen coloniae militum deduziert zu haben, so auch in Asia. Da es dort mit der Colonia Augusta Troadensis und der Colonia Gemella / Gemina Iulia Pariana nur zwei augusteische Kolonien gab, dürften beide militärischen Charakters gewesen sein. Dies ergibt sich für Alexandria Troas m. E. eindeutig aus der hohen Zahl an (ex-)Militärs, von denen viele noch in die augusteisch-tiberische Zeit gehören, sowie aus der Darstellung eines vexillum auf späten kolonialen Münzen; siehe Tab. 1 und Kap. 7. Vgl. auch Schwertheim 2008, S. 173–179 sowie Römhild 2011, S. 172 f. 62 Die u. a. von Grant 1946/1969, S. 244–246 sowie Ricl 1997, S. 20. 224 f. vertretene These einer triumviralen Erstgründung nach Plänen Caesars kann inzwischen als obsolet gelten. Siehe ausführlich Laffi 2007, S. 179–184 sowie Schwertheim 1999, S. 95–97. 63 Siehe die Belege bei Laffi 2007, S. 175–177 sowie Ricl 1997, S. 4 Anm. 40. 43. Die Titulatur setzt die Verleihung des Augustus-Titels an Octavian voraus. 64 Engelmann / K nibbe 1989, § 44. Der Zusatz ist durch die (Suffekt-)Konsuln P. Sulpicius Quirinus und C. Valgius Rufus sicher datiert.

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weiter eingrenzen.65 Als wahrscheinlichste Zeitfenster dürfen aber die Jahre 20 und 16 v. Chr. gelten, in denen nacheinander Augustus66 und sein Schwiegersohn Marcus Vipsanius Agrippa67 die Troas durchreisten.68 Ich tendiere dabei zum frühen Ansatz, da mir ein Zusammenhang mit der augusteischen Orientreise (22–19 v. Chr.)69 am plausibelsten erscheint. Bemerkenswerterweise wurde der erste Princeps damals von Publius Quinctilius Varus begleitet, dem späteren Feldherrn der Schlacht im saltus Teutoburgiensis, dessen Gentilname auch von der bedeutendsten Familie der alexandrinischen Kolonie geführt wurde. Zudem tauchen die praenomina Publius und Sextus bei beiden Personengruppen immer wieder auf, das heißt sowohl bei den patrizischen Quin(c)tiliern des Varus als auch bei den ›provinzialen‹ Quintiliern aus Alexandria Troas.70 Bei seiner Mission im Osten sah sich Augustus mit dem mächtigen Partherreich jenseits des Euphrats konfrontiert, gegen das er  – gemeinsam mit seinem Stiefsohn Tiberius  – eine militärische Drohkulisse aufbaute. Damit erreichte er nicht nur die Rückgabe römischer Feldzeichen und Kriegsgefangener, der Partherkönig ­Phraates IV. erkannte auch Roms Vorherrschaft und den von Tiberius in Armenien installierten König Tigranes III. an.71 Denkbar wäre, dass die römischen Maßnahmen durch die Gründung der alexandrinischen Kolonie abgesichert werden sollten, denn sie kontrollierte ja die westliche Einfahrt in den Hellespont, der gerade für den Nachschub des Tiberius in Armenien von großer Bedeutung gewesen sein dürfte.72 Am östlichen Ende der Meerenge war einige Jahre zuvor bereits eine Kolonie in P ­ arion eingerichtet worden: die Colonia Gemella / Gemina Iulia Pariana.73 65 Plin. nat. 5, 124 und Strab. XIII 1, 26. 66 Zu Augustus’ Besuch in Ilion siehe Frisch 1975, Nr. 83; vgl. auch Nr. 81. 82, 84. 67 Zum Aufenthalt Agrippas und seiner Frau Iulia in Lampsakos bzw. Ilion siehe Strab. XIII 1, 19 sowie Nikolaos von Damaskos FGrHist 90 F 134 und Ios. ant. Iud. XVI 2, 2. Inschriftliche Ehrungen sind aus Ilion, Alexandria Troas und Assos bekannt; siehe Frisch 1975, Nr. 85; Ricl 1997, Nr. 12 sowie Merkelbach 1976, Nr. 16. 17. Vgl. auch Halfmann 1986, S. 163. 165 sowie Tenger 1999, S. 165. 68 So auch Esch 2018, S. 2 sowie Schwertheim 1999, S. 98 f. 69 Zur Reise ausführlich Esch 2009 sowie Halfmann 1986, S. 158. 160 f. 70 Esch 2018, bes. S. 2–11 und Esch 2009, S. 100. 71 Siehe hierzu die Quellen bei Esch 2009, Anm. 25 f. Zum römisch-parthischen Verhältnis unter Augustus vgl. Wiesehöfer 2010. 72 Eine ähnliche Motivation wird z. T. für die caesarische Kolonisation in Kleinasien angenommen, d. h. für die Gründung der coloniae von Lampsakos, Apameia, Herakleia Pontike und Sinope, die vielleicht als Versorgungsbasen den geplanten Partherfeldzug des Diktators absichern sollten; vgl. Bögli 1966, S. 7 sowie Bowersock 1965, S. 68 f. Zu bedenken bleibt aber, dass in Caesars kleinasiatischen Kolonien – im Gegensatz zu jenen des Augustus – keine Veteranen, sondern zivile Siedler deduziert wurden. 73 In der Forschung wurde zwar gelegentlich die These vertreten, dass schon Caesar Pläne zur Koloniegründung in Parion gehegt habe, die eigentliche Deduktion ist m. E. aber erst unter Octavian in den Jahren 31–28 v. Chr. erfolgt; siehe Esch 2008, Anm. 71.

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Augustus bedachte die alexandrinische Kolonie mit zahlreichen Privilegien: Zunächst erhielt sie neben dem Territorium der alten Polis von Alexandria Troas weiteren Landbesitz. Dies ergibt sich aus einer merkwürdigen Passage im Werk des hochkaiserzeitlichen Reiseschriftstellers Pausanias: »Die Bürger von Tenedos schlossen sich später aufgrund ihrer Schwäche den Alexandrinern auf dem Festland der Troas an.«74 Die Episode dürfte noch in die augusteische Zeit gehören, denn die Inselpolis prägte letztmals unter dem ersten Princeps eigene Münzen.75 Zudem sind Landzuweisungen auch für andere Erst-/Neugründungen des Augustus belegt.76 Der Anschluss der Tenedier wird aber nicht freiwillig erfolgt sein,77 sondern auf Druck der Reichszentrale, die dringend Land für die Veteranenversorgung benötigte. Durch den Gebietszuwachs verfügte die Colonia Augusta Troadensis auch über den ehemaligen Festlandsbesitz der Tenedier um Achaiion (Abb. 1)78 sowie über die Häfen auf der Insel, womit die wichtigen Seerouten vor der Westküste der Troas – ganz im Sinne Roms – nun vollständig unter alexandrinischer Kontrolle standen. Dabei profitierte die Kolonie von dem bereits erwähnten Zusatz in Paragraph 44 der lex portorii Asiae, die die Zollerhebung in der Provinz regelte und ab 12 v. Chr. ein Sonderrecht für Alexandria Troas vorsah: »[Die Konsuln] Publius Sulpicius Quirinus und Valgius [Rufus] fügten (folgenden Zusatz) [an]: Das Zoll(recht) für die Einfuhr und Ausfuhr zu Wasser und zu Land innerhalb der Grenzen und Häfen der Colonia Augusta Troas ist (den publicani) ent[zogen, damit allein] diese colonia den Nutzen (aus dem Zoll) hat; das Übrige (regelt sich) nach dem Gesetz.«79 Spätestens seit 75 v. Chr. unterhielt die römische Steuerpachtgesellschaft der publicani portorii Asiae zahlreiche Zollstationen in der Provinz, unter anderem im Zentralort der damals noch existierenden Polis von Alexandria Troas und vermutlich auch in Hamaxitos.80 Durch die neue Regelung des Jahres 12 v. Chr. war das Recht zur Zollerhebung auf die Einfuhr auswärtiger Waren nach Alexandria Troas und

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Paus. X 14, 4. RPC I, Nr. 2319. So u. a. für Kolonien in Griechenland und Makedonien; siehe exemplarisch Rizakis 2015. Dies ergibt sich z. B. aus der erneuten Abspaltung der Tenedier in der Spätantike. Ein eigener Bischof ist erstmals für 342/343 n. Chr. belegt; vgl. hierzu und zu späteren Quellen Koder 1998, S. 287–291. 78 Tenedos’ Peraia reichte in archaisch-klassischer Zeit laut Strab. XIII 1, 32. 46 f. noch von Achaiion im Norden bis Larisa, vielleicht sogar Hamaxitos im Süden. Weite Gebiete gingen aber bald an Mytilene bzw. später an Antigoneia / A lexandria Troas verloren (s. o.). Vgl. Carusi 2003, S. 245–249. 79 Siehe Anm. 64. Der Vorname des zweiten Konsuls wird im zitierten Paragraphen fälschlich mit Lucius, in § 45 dagegen korrekt mit Gaius angegeben. 80 Die entscheidende Passage bei Engelmann / K nibbe 1989, § 9 Zeile 24 ist zwar nur ergänzt: (…) Λαμψάκῳ, [Ἀβύδῳ, Δαρδάνῳ, Σιγείῳ, Ἀλεξανδρείᾳ, Ἁμαξίτωι, Ἄσ]σωι (…). Alexandria Troas dürfte angesichts des oben zitierten § 44 jedoch unstrittig sein. Auch die Rekonst-

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auf die Ausfuhr alexandrinischer Güter nun aber der Colonia Augusta Troadensis vorbehalten, die hierfür in ihrem Territorium Stationen einrichten konnte, wo es ihr beliebte, das heißt wohl vorrangig in den Häfen und an wichtigen Straßen. Die römischen Steuerpächter waren allerdngs weiterhin in Alexandria Troas aktiv und trieben ihrerseits Zölle für den Import und Export in die beziehungsweise aus der Provinz Asia ein, denn beim Passieren der Zollgrenze wurden zweimal Abgaben fällig: jene an die Kolonie und jene an publicani.81 Transitgüter, die lediglich über alexandrinisches Gebiet verhandelt wurden, waren dagegen wohl nur einmal bei den Steuerpächtern zu deklarieren.82 Gleichwohl stellte das oben genannte Privileg eine überaus lukrative Einnahmequelle für die Colonia Augusta Troadensis dar: Der Zoll betrug in der Regel 2,5 Prozent des Warenwertes, bei manchen Luxusgütern sogar 5 Prozent, oder es wurde eine Pauschale erhoben.83 Die alexandrinische Kolonie besaß außerdem das ius Italicum, wodurch sie mit Italien, das im Imperium einen Sonderstatus innehatte, boden- und steuerrechtlich gleichgestellt war. Dies geht aus zwei Digesten-Stellen hervor, die nahelegen, dass die Privilegierung bereits unter Augustus erfolgte.84 Der Vorteil des seltenen ius Italicum lag zunächst in der Möglichkeit zu vollem Grunderwerb nach quiritischem Recht, durch das Eigentum auch wieder veräußert oder vererbt werden konnte, wohingegen in den Provinzen ansonsten nur prekärer Besitzerwerb möglich war. Als noch bedeutender darf aber die steuerrechtliche Angleichung an Italien gelten, denn damit entfielen für die Bewohner der Colonia Augusta Troadensis alle Kernsteuern, die in den Provinzen regelmäßig erhoben wurden, vor allem die Abgaben auf Acker- und Weideland (tributum soli) sowie die Kopfsteuer (tributum capitis).85 Die Verleihung des ius Italicum an die alexandrinische Kolonie war vorrangig durch die Veteranenversorgung begründet: Da Octavian / Augustus seine Bürger-

ruktion von Hamaxitos ist durchaus plausibel, da ungünstige Winde oft die Umrundung des Kap Lekton verhinderten und zur Landung in Hamaxitos zwangen. 81 Zu solchen Doppelverzollungen vgl. Dreher 1997, S. 81. 82 Für die Zwischenlagerung wurde am alexandrinischen Hafen vermutlich ein Emporion genutzt, das durch Ricl 1997, Nr. 151. 152 epigraphisch belegt ist. Zu solchen ›Freihandelszonen‹ vgl. Ruffing 2006. 83 Siehe Engelmann / K nibbe 1989, § 2. 3.7.34.41.53. 84 In Dig. L 15, 7 und L 15, 8 f.sind neben (Alexandria) Troas mit Berytos, Dyrrachium und Parion ausschließlich Kolonien erwähnt, die unter Augustus gegründet wurden. Zumindest für die Colonia Iulia Augusta Felix Berytus ist durch Dig. L 15, 1, 1 sogar sicher bezeugt, dass diese ihr italisches Recht schon Augustus zu verdanken hatte. Zudem bezieht sich Dig. L 15, 7 auf einen Kommentar des hochkaiserzeitlichen Juristen Gaius zur lex Iulia et Papia, bei der es sich eigentlich um zwei separate Gesetze von 18 v. Chr. und 9 n. Chr. handelt. Zu vermuten ist, dass das ius Italicum nicht erst von Gaius genannt wird, sondern bereits in den bzw. einem der beiden augusteischen leges verankert war; vgl. Bleicken 1974, S. 386 f. 85 Ebenda, bes. S. 368–379. Zur alexandrinischen Kolonie vgl. auch Esch 2018, S. 8–10. 14 f.

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kriegsarmee überwiegend in Italien ausgehoben hatte,86 wollten die Soldaten bei ihrer Entlassung auch wieder auf der Apenninenhalbinsel angesiedelt werden.87 Dort standen angesichts der schieren Masse an Veteranen aber kaum noch Ressourcen zur Verfügung, und weitere Landenteignungen in Italien drohten den brüchigen Frieden nach dem Sieg von Actium 31 v. Chr. zu gefährden. Daher sah sich der Princeps dazu gezwungen, viele italische Soldaten doch in den Provinzen – vorrangig in römischen Kolonien wie zum Beispiel der ›pisidischen‹ Colonia Caesarea Antiochia88 – niederzusetzen. Um sie in diesen coloniae rechtlich nicht schlechter zu stellen als in ihrer alten Heimat, griff Augustus in der Frühzeit seiner Alleinherrschaft auf das ›Hilfskonstrukt‹ des ius Italicum zurück,89 so auch bei der Colonia Augusta Troadensis. Schließlich haben Andrew Burnett und Katharina Martin vor kurzem aufgezeigt, dass die alexandrinische Kolonie ihre Bronzeprägung nicht – wie zuvor lange Zeit angenommen wurde90 – erst unter Vespasian beziehungsweise Antoninus Pius aufnahm, sondern bereits unter Augustus.91 Zur ersten Emission gehörten wohl Münzen, die auf ihrer Vorderseite das Augustus-Porträt und die Legende AVG sowie auf ihrer Rückseite zwei pflügende Männer in Toga, beide capite velato, mit Rindergespann zeigen (Abb. 4).92 Da der weitverbreitete Typus keinen Prägeherren nennt, 86 Zur Zusammensetzung der Bürgerkriegsheere siehe exemplarisch Brunt 1971, S. 473–512. 698 f. 87 Die Ablehnung der Italiker gegen eine Versorgung in den Provinzen schlägt sich –  in übertriebener Form – bei Tac. ann. I 17, 3 nieder. Den augusteischen Veteranen war zudem bewusst, dass viele ihrer Kameraden gegen Ende bzw. kurz nach dem Bürgerkrieg noch in den Genuss von Landzuweisungen in Italien gekommen waren; vgl. Keppie 1983, bes. S. 49–86. 88 Zum italischen Recht dieser Kolonie siehe Dig. L 15, 8, 10. Levick 1967, S. 60–67 konnte aufzeigen, dass die erste Siedlergeneration in Antiochia mehrheitlich aus Mittel- und Norditalien –  insbesondere aus Etrurien  – stammte, wobei für einige Kolonisten auch Kampanien und die seit 49 v. Chr. zum römischen Bürgergebiet zählende Gallia cisalpina als Herkunftsregionen anzunehmen sind. Vgl. auch Christol / Drew-Bear 1998, S. 330–332. Dagegen nimmt Bru 2009 an, dass einige der ersten Kolonisten in der Baetica rekrutiert worden seien. 89 Wenn Augustus dennoch zahlreichen Kolonien das ius Italicum vorenthielt, wird dies darauf zurückzuführen sein, dass er dort Veteranen nicht-italischer Herkunft ansiedelte, oder dass diese coloniae zu einer Zeit gegründet wurden, als der Princeps nicht mehr in dem Maße Rücksicht auf die Befindlichkeiten seiner Soldaten nehmen musste, wie dies noch in seiner frühen Herrschaft der Fall war; vgl. Bleicken 1974, S. 411 f. 90 Aus der älteren Forschung hervorzuheben sind Burnett 1998; Bellinger 1961, S. 103 f. sowie Bellinger 1958, S. 25. Auch ich nahm in Esch 2016, S. 74–78 noch an, dass die koloniale Münzprägung erst unter Vespasian einsetzte, was ich hiermit aber revidieren möchte. 91 Burnett / Martin 2018 sowie Martin 2018, S. 71–75. 92 RPC I, Nr. 1656. Es existieren auch Münzen dieses Typus, die auf ihren Vorderseiten die Porträts von Tiberius, Drusus, Tiberius und Drusus sowie Claudius zeigen; siehe ebenda, Nr. 1657–1660.

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Abb. 4: Bronzemünze einer römischen Ko­ lonie, wohl der Colonia Augusta Troadensis (27 v. Chr. – 14 n. Chr.): Kopf des Augustus – AVG (Avers) sowie zwei Pflüger mit Ochsengespann  – kein Ethnikon (Revers). M 1 : 1. © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18241718, Foto: Lutz-Jürgen Lübke

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Abb. 5: Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (27 v. Chr. – 14 n. Chr.): Kopf des Augustus  – AVG (Avers) sowie zwei Pflüger mit Ochsengespann – […] TROA (Revers). M 1 : 1. © Musei Civici di Verona, 70535

wurde er in der älteren Forschung für diverse andere coloniae in Makedonien und Kleinasien in Anspruch genommen; Abb. 6: Bronzemünze der Colonia Augusta für Alexandrias Prägung war das Mo- Troadensis (138–161 n. Chr.): Kopf des Antiv bislang unbekannt. Zahlreiche neue toninus Pius mit Lorbeerkranz – [IMP] CAES Münzfunde aus dem alexandrinischen […] (Avers) sowie zwei Pflüger mit OchsenStadtgebiet und Territorium sowie aus gespann  – COL [AVG T]ROA (Revers). der Troas legen aber inzwischen die Ver- M 1 : 1. mutung nahe, dass die Prägungen von © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu der Colonia Augusta Troadensis heraus- Berlin, 18252890, Foto: Reinhard Sa­czew­ski gegeben wurden.93 Burnett und Martin konnten zudem zwei Varianten aus der Zeit des Augustus (Abb. 5) und des Antoninus Pius (Abb. 6) ausfindig machen, deren Reverse erstmals auch das abgekürzte Ethnikon TROA beziehungsweise COL [AVG T]ROA erkennen lassen und die Münzen damit eindeutig ›unserer‹ Kolonie zuweisen.94 Tomaso M. Lucchelli publizierte inzwischen zwei weitere Exemplare, die wohl in die frühe Alleinherrschaft des Commodus gehören und auf ihren Rückseiten ebenfalls die Legende [COL AV]G TROA, aber nur einen togatus mit Rindergespann zeigen.95 Gleichwohl ist das Pflügermotiv damit hinlänglich für Alexandria Troas gesichert und markiert zugleich den Beginn der kolonialen Prägung unter Augustus. Es bezieht sich auf den sulcus primigenius, das heißt den Akt der Koloniegründung, bei dem rituell eine Furche um das neue Stadtgebiet gezogen wurde. Unsicher bleibt

93 Burnett / Martin 2018, S. 247 f. mit Abb. 7 und Tab. 1 sowie Martin 2018, S. 72 f. mit Abb. 7. 8. 94 Burnett / Martin 2018, S. 248 f. mit Abb. 8–10 sowie Martin 2018, S. 74 mit Abb. 9. 10. 95 Lucchelli 2017 = RPC IV, Nr. 620.

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aktuell jedoch, warum auf den alexandrinischen Prägungen meist zwei Pflüger dargestellt sind, denn vergleichbare Münzbilder anderer römischer Kolonien zeigen in der Regel nur einen Pflüger.96

4. An der Koloniegründung beteiligte Truppenverbände Für die Beantwortung der Frage, welche aktiven Truppen sich in der Frühzeit am Auf- und Ausbau der alexandrinischen Kolonie beteiligten und welche Veteranen dort angesiedelt wurden, ist ausschließlich auf unseren bescheidenen Bestand an epigrapischen Zeugnissen zurückzugreifen.97 Dieser lässt meines Erachtens aber schon erkennen, dass bei der Konstituierung der Colonia Augusta Troadensis potenziell eine ganze Reihe unterschiedlicher Verbände involviert war. Meine folgenden Ausführungen orientieren sich an der numerischen Reihenfolge der Legionen und stellen abschließend eine Auxiliareinheit vor. Zunächst ist ein Aulus Virgius Marsus zu nennen, der durch eine inschriftliche Ehrung aus dem marsischen vicus Anninus bekannt ist.98 Er diente unter anderem als zweimaliger primuspilus der legio III Gallica und später als Militärtribun der cohortes XI et IIII praetoriae unter Augustus und Tiberius. Während ihrer Regierungszeiten war die 3.  Legion in Syrien stationiert,99 Vexillationen könnten zeitweise 96 Eine weitere Ausnahme bilden m. W. nur Prägungen der Colonia Iulia Felix Sinope; siehe RPC I, Nr. 2129.2133.2140. Von den drei bei Burnett / Martin 2018, S. 249 f. für Alexandria Troas angedachten Begründungen halte ich die ersten beiden für ausgeschlossen. Damit bleibt m. E. nur die dritte Option, d. h. eine Darstellung von zwei Koloniegründern. Hierfür ziehen Burnett und Martin zunächst zwei zeitlich zu unterscheidende deductiones in Betracht, was hinsichtlich einer vermeintlich caesarischen bzw. triumviralen Erstgründung aber hinfällig ist; siehe Anm. 62. Mir scheint daher folgendes Szenario stimmig: Der eine Pflüger stellt Augustus dar, den bei der Gründung amtierenden Herrscher und Namensgeber der Colonia Augusta Troadensis. Beim anderen ist hingegen der vor Ort zuständige deductor gemeint. Dem mag man entgegenhalten, dass eine solche Aufgabenverteilung auch bei anderen Kolonien gegeben war, dies aber keinen Niederschlag in der jeweiligen Münzprägung gefunden hat. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass für die Gründung der alexandrinischen Kolonie eine herausragende Persönlichkeit lokal verantwortlich zeichnete, die durch die Verdoppelung der Pflügerfigur öffentlichkeitswirksam in Szene gesetzt werden sollte, ergibt sich für unsere Prägungen eine besondere Situation! Für die Identifizierung dieses deductor coloniae kämen bei derzeitiger Quellenlage vor allem zwei Personen in Betracht: 1.) Augustus’ Schwiegersohn und engster Vertrauter M. Vipsanius Agrippa, sofern die Koloniegründung 16 v. Chr. erfolgt sein sollte. 2.) P. Quinctilius Varus, wenn die Colonia Augusta Troadensis bereits 20 v. Chr. eingerichtet wurde. Zur Bedeutung seiner Person siehe Eck 2010 sowie PIR 2 Q, Nr. 30. Ich werde mich dem Thema an anderer Stelle ausführlich widmen. 97 Zum Folgenden vgl. Schwertheim 2008, S. 173–179. 98 Siehe Ricl 1997, T 120. 99 Dąbrowa 2000a sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1517–1532.

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aber auch andernorts zum Einsatz gekommen sein.100 Neben Marsus’ militärischen Stationen ist in seiner Ehreninschrift das Amt als IIIIvir quinquennalis in der Colonia Augusta Troadensis verzeichnet. Da für deren Spitzenbeamten ansonsten nur Zweier- aber keine Viererkollegien belegt sind (Tab. 2) und sich IIIIviri vor allem in neugegründeten Kolonien finden, liegt der Schluss nahe, dass Marsus einem der frühesten Kollegien in Alexandria Troas angehörte.101 Aufgrund seiner censorischen Befugnisse war er für die Schätzung der coloni und auch für die Einschreibung neuer Bürger zuständig.102 Zu diesen könnte ein Gaius Marcius Marsus gehört haben, dessen Grabinschrift sich im circa 20 Kilometer nördlich von Alexandria gelegenen Yeniköy fand.103 In einer aus Pergamon stammenden Grabinschrift der tiberischen Zeit104 ist unter anderem ein Militärtribun namens Titus Aufidius Spinter genannt, der durch Angabe der tribus Aniensis und aufgrund weiterer in Alexandria Troas nachzuweisender Aufidii105 als Bürger der Colonia Augusta Troadensis zu identifizieren ist. Dieser Spinter diente fünf Jahre in der legio IIII (Macedonica) auf der iberischen Halbinsel. Unklar bleibt jedoch, in welchem Zusammenhang Spinter rekrutiert wurde, denn die 4.  Legion weist in augusteisch-tiberischer Zeit meines Wissens keinerlei Beziehungen in den Osten oder sogar zu Alexandria Troas auf.106 Durch ein Epitaph aus der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. kennen wir einen Gaius Roscius Capito, der sich im Text als Bürger der Colonia Augusta Troadensis zu erkennen gibt.107 Er diente 24 Jahre in der legio V Macedonica und verstarb im Alter von 55 Jahren im mösischen Oescus. Die 5.  Legion lag in augusteisch-tiberischer Zeit eigentlich in der Provinz Macedonia beziehungsweise im angeschlossenen Heeresbezirk Moesia, wurde bei Kampagnen des Gaius Caesar und des Tiberius aber auch im Osten eingesetzt.108 Denkbar wäre also, dass die legio V Macedonica Alexandria Troas als Etappenziel nutzte und dass damals auch Capitos Rekrutierung erfolgte. Die legio VII Macedonica ist in Alexandria Troas durch die Bauinschrift auf einem marmornen Architrav belegt, der sekundär in eine späte Mauer des sogenannten Po100 Siehe etwa die Grabinschrift CIL III, Nr. 217 aus Zypern. 101 Vgl. Laffi 2007, S. 53–58. 129–148 sowie Esch 2018, S. 10 mit Anm. 60. Hier sei auf die benachbarte Colonia Gemella / Gemina Iulia Pariana verwiesen, durch deren Prägungen sich ein schneller Wechsel von den ursprünglichen IIIIviri zu den IIviri nachweisen lässt; siehe RPC I, Nr. 2253–2254. 2261–2262. 102 So auch Ricl 1997, S. 227. Der Wortlaut der Inschrift könnte aber eventuell darauf hindeuten, dass Marsus’ Wahl nur ehrenhalber erfolgte und er vor Ort ggf. durch einen praefectus vertreten wurde. 103 Ricl 1997, Nr. 120. 104 Ricl 1997, T 152. 105 Ricl 1997, Nr. 46. 93. 106 Vgl. Gómez-Pantoja 2000; Morillo Cerdán 2000 sowie Ritterling 1924/1925, Sp. ­1549–1551. 107 Conrad 2004, Nr. 431. 108 Strobel 2000, S. 523–526 sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1231 f. 1573 f.

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diumsaales am Forum verbaut ist (Abb. 20).109 Der fragmentarische Text zeigt an, dass ein anonymer Militärtribun der 7. Legion, der in der Colonia Augusta Troadensis das sakrale Amt eines pontifex ausübte, ex testamento des Alexandriners Publius Cassius Po[---] ein Bauwerk errichtete, zu dem der Architrav gehörte. Die Inschrift muss noch aus vor- beziehungsweise spätestens frühclaudischer Zeit stammen, da die genannte legio ab 42 n. Chr. den Beinamen Claudia pia fidelis führte.110 Wahrscheinlich war sie in der frühen Kaiserzeit zeitweise in Thrakien stationiert, vielleicht sogar auf der Thrakischen Chersones und damit nicht weit von Alexandria Troas entfernt.111 Hierauf deutet eine Inschrift aus Lysimacheia hin, in der ebenfalls von Bautätigkeiten der legio VII Macedonica, genauer der centuria eines Marcus Caecilius, berichtet wird.112 Unsicher ist die Zeitstellung eines anonymen Veteranen der legio X Fretensis, dessen Grabinschrift sich im alexandrinischen Territorium fand, genauer im modernen Kızılköy.113 Die erhaltenen Buchstabenreste könnten darauf hindeuten, dass es sich um ein Mitglied der gens Cornelia handelte, das der tribus Aniensis angehörte. Die 10. Legion lag unter Augustus zunächst in Makedonien und anschließend in Syrien.114 Weil sie in den Bürgerkriegen noch als Marineeinheit an den Kämpfen gegen Sextus Pompeius vor Sizilien und wohl auch an der Seeschlacht von Actium teilnahm, hätte die Colonia Augusta Troadensis als maritimer Ansiedlungsort für Veteranen dieser Legion durchaus nahegelegen. Es bleibt aber ungewiss, ob der oben genannte Ignotus noch in die augusteische Zeit gehört, oder erst einige Zeit nach der Koloniegründung in Alexandria Troas rekrutiert wurde und dann nach dem Militärdienst in seine alte Heimat zurückkehrte. Im modernen Uluköy – zwischen Alexandria Troas und Neandria gelegen – fand sich das Epitaph eines Gaius Caesius, der Veteran der legio XVI (Gallica) war.115 Sein fehlender Beiname lässt auf eine frühe Zeitstellung schließen. Da die 16. Gallische 109 Schwertheim 2008, Nr. 1. 110 Durch die Grabinschrift Ricl 1997, T 153 ist ein aus der Colonia Augusta Troadensis stammender C. Curiatius Secundus belegt, der als Veteran der legio VII Claudia pia fidelis in Salona bestattet wurde und laut Ritterling 1924/1925, Sp. 1618 noch in die claudische Zeit gehört. Für den in Ricl 1997, T 154 genannten Alexandriner Q. Ignienus Ferox ist die Truppenzugehörigkeit zwar nicht überliefert, doch wird er wahrscheinlich in derselben Legion gedient haben. 111 Vermutlich ist die Anwesenheit der Truppe in der Region mit dem Wirken des L. Calpurnius Piso Pontifex in Verbindung zu bringen. Dieser konnte um 11 v. Chr. einen Aufstand der Bessoi und ihrer Verbündeten niederschlagen, die u. a. die Chersones verwüstet und die provincia Asia bedroht hatten; siehe Strobel 2008, S. 527 sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1230. 1615 f. 112 Krauss 1980, Nr. 43. 113 Ricl 1997, Nr. 147 mit grober Datierung in das 1. Jh. n. Chr. 114 Dąbrowa 2000b, S. 317–319; Dąbrowa 1993, bes. S. 11 f. sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1671 f. 115 Ricl 1997, Nr. 105.

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Legion von 27 v. Chr. bis zu ihrer Auflösung beziehungsweise Umbenennung im Jahr 70 n. Chr. stets in Gallien stationiert war, ist mit Emil Ritterling davon auszugehen, dass Caesius zu den von Augustus in der Colonia Augusta Troadensis niedergesetzten veterani gehörte, denn »für die Tatsache, daß dieser Mann aus einer am Rhein stehenden L[egion] nach seiner Entlassung so weit nach dem Osten verschlagen sein sollte, wird sich kaum eine andere Erklärung finden lassen.«116 In der oben genannten Grabinschrift aus Pergamon taucht neben Titus Aufidius Spinter auch sein Sohn Titus Aufidius Balbus auf, der ebenfalls der tribus Aniensis angehörte.117 Wie sein Vater diente Balbus im römischen Heer, genauer als Militärtribun einer legio XXII, mit der er neun Jahre im ägyptischen Alexandria stationiert war. Die Frühgeschichte der in Ägypten liegenden 22. Legion ist allerdings höchst umstritten: Während die ältere Forschung meist postulierte, dass eine auf den galatischen Klientelkönig Deiotaros zurückgehende legio (XXII) Deiotariana bereits bei der Provinzialisierung Galatiens im Jahr 25 v. Chr. beziehungsweise bald darauf an den Nil verlegt und dort in eine legio iusta transformiert wurde,118 verfolgt Altay Coşkun einen divergierenden Ansatz. Er geht davon aus, dass die ›irreguläre‹ legio Deiotariana viel länger in Heimatnähe –  gemeint ist die provincia Galatia beziehungsweise Kleinasien  – verblieb und zeitweise auch auf dem Balkan und an der Donau zum Einsatz kam.119 Sie sei erst in frühtiberischer Zeit, das heißt mit Germanicus im Jahr 19 n. Chr., nach Ägypten gelangt, wo die Soldaten eine legio XXII (Cyrenaica) aufgefüllt hätten und diese 22. Legion dann den Beinamen Deiotariana erhalten habe. Sollten Coşkuns Thesen zutreffen, ließe sich Balbus’ Rekrutierung plausibel mit den Dislokationen der legio (XXII) Deiotariana verbinden. Dessen ungeachtet ist bei ihren frühkaiserzeitlichen Soldaten ohnehin ein hoher Anteil mit kleinasiatischer Herkunft zu konstatieren, naturgemäß mit Schwerpunkt in Galatien.120 Die legio XXX Classica ist in Alexandria Troas durch die Grabinschrift eines Veteranen namens Gaius Cannutius vertreten, der auch dem kolonialen Dekurionenrat angehörte.121 Die 30. Legion wurde spätestens 31/30 v. Chr. aufgelöst,122 womit sich Cannutius erst einige Zeit nach seinem Dienst in der neuen Kolonie niedergelassen zu haben scheint. Er könnte jedoch – etwa als evocatus – auch länger unter Waffen 116 Ritterling 1924/1925, Sp. 1761 f. Allerdings zieht Keppie 1998, S. 182 in Erwägung, dass der o. g. Veteran in einer 16. Legion gedient hatte, die dem Bürgerkriegsheer des Antonius angehörte. Vgl. exemplarisch Crawford 2001, S. 539–541 Nr. 544, 31. 117 Ricl 1997, T 152. 118 Exemplarisch Keppie 1990, S. 54–56; Keppie 1998, S. 183; Strobel 2000, S. 156 f. sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1791–1793. 119 Coşkun 2008. 120 Siehe die rechte Spalte von CIL III, Nr. 6627. Vgl. auch die Namensliste BGU IV, Nr. 1083. 121 Ricl 1997, Nr. 106. 122 So Ritterling 1924/1925, Sp. 1821 u. a. mit Verweis auf CIL XI, Nr. 623. Spätere Belege sind nicht bekannt. Laut Keppie 1983, S. 155 f. sei die Legion sogar schon 42 v. Chr. entlassen worden.

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gestanden haben123 beziehungsweise schon vor Konstituierung der Colonia Augusta Troadensis im Rahmen einer Viritanassignation in der alexandrinischen Polis niedergesetzt worden sein.124 Jedenfalls gehörte Cannutius sicher zur ersten Siedlergeneration, worauf auch sein fehlendes cognomen hindeutet. Ihr Beiname Classica weist die 30. Legion zur fraglichen Zeit übrigens als Marineverband aus, so dass sich für ihre Veteranen in der Hafenstadt Alexandria geeignete Betätigungsfelder finden ließen. Für einen hohen Offizier namens Titus Iunius Montanus, der in einer frühkaiserzeitlichen Grabinschrift aus Emona125 unter Angabe der tribus Aniensis genannt und angesichts weiterer alexandrinischer Iunii126 wohl als Bürger der Colonia Augusta Troadensis zu identifizieren ist, wird seine Truppenzugehörigkeit im Text leider nicht erwähnt. In Betracht kämen am ehesten die legiones VIII Augusta und XV Apollinaris, die für die augusteisch-tiberische Zeit beide in Emona nachzuweisen sind.127 Vielleicht ist die 8. Legion zu favorisieren, da sie unter Augustus und Tiberius zwar in Illyrien lag, zeitweise aber auch Detachements in andere Regionen –  etwa in die Africa proconsularis – entsandte.128 Veteranen wurden zudem in der Kolonie von Berytos angesiedelt, bemerkenswerterweise gemeinsam mit solchen der in Makedonien stationierten legio V Macedonica (siehe oben).129 Sollten die legio VIII Augusta beziehungsweise Vexillationen der Legion in augusteischer Zeit ebenfalls im Osten operiert haben,130 könnte man vermuten, dass dabei Montanus’ Rekrutierung erfolgte. Unbekannt ist leider auch, in welcher beziehungsweise welchen Einheiten ein Alexandriner namens Gaius Norbanus Quadratus diente. Auf seine Initiative wurde zwischen 37 und 41 n. Chr. eine Ehreninschrift für den späteren Kaiser Claudius in der Colonia Augusta Troadensis aufgestellt.131 Quadratus bekleidete die hohen kolonialen Ämter eines IIvir iure dicundo und augur und hatte es im römischen Militär 123 Vgl. Laffi 2007, S. 179–181 sowie Schwertheim 1999, S. 95 f. 124 Solche ›Einzelansiedlungen‹ in nicht-kolonialen Gemeinden sind in Kleinasien für Augustus belegt; siehe Mitchell 1978 sowie Broughton 1935, bes. S. 20–24. 125 Ricl 1997, T 151. 126 Zu einem späteren T. Iunius Montanus (cos. suff. 81 n. Chr.) siehe Ricl 1997, Nr. 37. Vermutlich hatte man die alexandrinischen Iunii schon in iulisch-claudischer Zeit in den Senat aufgenommen; vgl. Rémy 1989, S. 84 sowie Eck 1978. Weitere Familienmitglieder finden sich in den Inschriften bei Ricl 1997, Nr. 38.124.169. 127 Exemplarisch Mosser 2003, Nr. 4. 5.19.200 sowie Šašel-Kos 1995, bes. S. 238–244. 128 Reddé 2000, S. 119–121; Oldenstein-Pferdehirt 1984, S. 397 f. sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1643–1647. 129 Siehe die claudischen Münzen RPC I, Nr. 4547 mit den Zahlzeichen V und VIII. Dass hier die legiones V Macedonica und VIII Augusta gemeint sind, zeigen Prägungen des 3. Jhs. n. Chr., die im benachbarten und ursprünglich zur Colonia Iulia Augusta Felix Berytus gehörenden Heliopolis geprägt wurden und auf denen die abgekürzten Beinamen der Legionen erscheinen; siehe Okamura 1988. 130 So etwa Ritterling 1924/1925, Sp. 1645 sowie Keppie 1998, S. 135, der von einer zeitweisen Stationierung in Kleinasien ausgeht und dabei Galatien favorisiert. 131 Ricl 1997, Nr. 15.

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bis zum primuspilus, tribunus militum und praefectus castrorum gebracht. Da die Ehreninschrift erst nach Quadratus’ Tod und auf dessen testamentarischen Wunsch hin errichtet wurde, ist davon auszugehen, dass zumindest der Beginn seines Militärdienstes noch in die augusteisch-tiberische Zeit fällt. Von besonderer Bedeutung für den architektonischen Ausbau der Colonia ­Augusta Troadensis war schließlich die cohors Apula, eine Hilfstruppeneinheit, die vor Ort unter dem Kommando des Präfekten Gaius Fabricius Tuscus stand.132 Diesem alexandrinischen Bürger ließ der Dekurionenrat eine Ehreninschrift errichten, in der nicht nur seine einzelnen Laufbahnstationen – koloniale Ämter ebenso wie wichtige Funktionen in der römischen Heeresverwaltung – detailliert vermerkt sind und die damit für Tuscus’ Dienstzeit als praefectus eine Datierung um 1 n. Chr. nahelegt.133 Aus dem Text geht auch hervor, dass Tuscus in der Kolonie umfangreiche Baumaßnahmen seiner Kohorte beaufsichtigte, die iussu Augusti, das heißt auf direkte Anordnung des Princeps, durchgeführt wurden. Nähere Angaben sind der Inschrift zwar nicht zu entnehmen. Da sich die römische Armee bei ihren baulichen Unternehmungen aber vorrangig Infrastrukturprojekten und fortifikatorischen Belangen widmete, wäre für die Tätigkeit der cohors Apula in Alexandria insbesondere an einen Ausbau des Hafens und / oder des regionalen Straßennetzes sowie an Reparaturen beziehungsweise Modifikationen der hellenistischen Befestigungsanlagen zu denken.134

5. Die alexandrinische Kolonie als Durchzugs- und Einsatzgebiet römischer Einheiten Wie ich in Kapitel 1 und 4 schon angedeutet habe, bildeten Alexandria Troas und sein Territorium in der Kaiserzeit wichtige Etappenziele bei der Verlegung römischer Verbände zwischen Ostgrenze und Balkan beziehungsweise Donau. Ich möchte hier zwei Fälle näher vorstellen und den Fokus zunächst auf Truppenbewegungen in flavischer Zeit richten. Unter Vespasian kam es zu größeren Dislokationen in den römischen (Ost-)Provinzen.135 Dies betraf unter anderem die in Syrien stationierte legio VI Ferrata, die zur Durchsetzung der vespasianischen Thronansprüche im Vierkaiserjahr 69 n. Chr. mit starken Auxiliarverbänden von Gaius Licinius Mucianus durch Kleinasien zum Balkan geführt wurde.136 Spätestens 72 n. Chr. kehrte die Legion in die provincia 132 Ricl 1997, Nr. 34. 133 Mit dieser Feindatierung folge ich den Ansätzen von Bean 1973, S. 412 und Orth 1978; anders dagegen Brunt 1974 sowie Jahn 2001, S. 196 Anm. 1142. 134 Vgl. Winter 1996, S. 76 f. 124. 339 Nr. 12 sowie Mitchell 1987, S. 339. 135 Exemplarisch Keppie 1986, S. 420–424; Hallermann 1963, S. 104–106 sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1266–1273. 136 Die Berichte von Ios. bell. Iud. V 11, 1 und Tac. hist. II 83, 2 lassen erkennen, dass Mucianus von Syrien über Kappadokien und Phrygien nach Mösien gelangte, so dass der Übergang

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Syria zurück und beteiligte sich an der Annexion der Kommagene unter dem Befehl des Lucius Iunius Caesennius Paetus.137 Bemerkenswerterweise sind in Alexandria Troas gleich zwei Offiziere der 6.  Legion epigraphisch belegt, genauer ein primuspilus namens [---] Sura und ein centurio namens Gaius Aelius Rufus, von denen zumindest Ersterer auch Bürger der Colonia Augusta Troadensis war und dort die höchste Magistratur eines IIvir quinquennalis bekleidete.138 Damit liegt die Vermutung nahe, dass die legio VI Ferrata bei ihrem Vormarsch nach Europa und / oder auf ihrem Rückweg nach Syrien Alexandria als Sammelpunkt und vielleicht als Rekrutierungsbasis nutzte.139 Entsprechendes könnte auch für andere Einheiten gelten, doch muss dies bei aktuellem Kenntnisstand ungewiss bleiben.140 Meine Überlegungen werden zunächst durch die Tatsache gestützt, dass die alexandrinische Prägestätte nach einer gewissen Unterbrechung in der späteren iulisch-claudischen Zeit unter Vespasian wieder Münzen herausgab.141 Dabei wurden im Auftrag des ordo decurionum zwei neue Typen emittiert, die auf ihren Vorderseiten jeweils den lorbeerbekränzten Kopf des Kaisers sowie auf ihren Rückseiten eine Victoria mit Palmzweig und Kranz (Abb. 7)142 beziehungsweise einen Apollon mit Lyra und Plektron (Abb. 8)143 zeigen. Während der zweite Typus eindeutig auf Alexandrias Hauptgott, den Apollon Smintheus, zu beziehen ist und auf Münzen der hellenistischen Polis rekurrierte, stellte der erste Typus die militärischen Erfolge des Kaisers heraus. Da die Prägungen jedoch nur grob in Vespasians Regierungszeit (69–79 n. Chr.) zu datieren sind, bleibt ungewiss, ob die Victoria auf den Triumph über Judäa 70/71 n. Chr. oder generell auf die kaiserliche Sieghaftigkeit anspielte.144 Wie dem auch sei, der Dekurionenrat der alexandrinischen Kolonie brachte durch

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nach Europa wohl über den Hellespont oder den Bosporus erfolgte. Zum Aufenthalt der 6. Legion auf dem Balkan siehe Tac. hist. III 46, 2; CIL III, Nr. 13542 sowie Lovenjak 2003, Nr. 6. Ios. bell. Iud. VII 7, 1 und CIL III, Nr. 8261. Ricl 1997, Nr. 136 mit grober Datierung in das 1./2. Jh. n. Chr. Denkbar ist gleichwohl, dass die o. g. Offiziere erst in die trajanische Zeit gehören, da eine Vexillation der 6. Legion am 1. Dakerkrieg teilnahm; siehe Piso 2000, S. 211–213 mit Verweis auf AE 1983, Nr. 825 und Cass. Dio LXVIII 9, 7. Weitere Kandidaten wären die o. g. Hilfstruppen und die legio III Gallica, die laut Tac. hist. IV 39, 4 im Winter 69/70 n. Chr. von Italien nach Syrien zurückbeordert wurde. Durch Ricl 1997, Nr. 141 ist für die fragliche Zeit aber nur eine nicht sicher zu identifizierende 3. Legion in Alexandria Troas belegt. In Esch 2016, S. 76 setzte ich noch eine lange Unterbrechung von 120 Jahren an. Die Prägelücke hat sich durch die o. g. Pflügermünzen inzwischen aber deutlich reduziert. Prägungen dieses Typus – jedoch ohne Ethnikon – wurden in vorvespasianischer Zeit letztmals unter Claudius herausgegeben; siehe Anm. 92. Burnett 1998, Nr. 1–3 = RPC II, Nr. 896, 1–3 = Esch 2016, S. 74 f. Nr. 1. Burnett 1998, Nr. 4–8 = RPC II, Nr. 897, 1–5 = Esch 2016, S. 75 Nr. 2. So Burnett 1998, S. 166. Der zweiten Option ist wohl eine höhere Wahrscheinlichkeit einzuräumen; vgl. unten Anm. 169 sowie für die Reichsprägung Noreña 2011, S. 146–165.

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Abb. 7: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (69–79 n. Chr.): Victoria mit Palmzweig und Kranz – VICTORIA AVG, im Feld D D. M 1 : 1 © Ashmolean Museum, University of Oxford, HCR101363

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Abb. 8: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (69–79 n. Chr.): Apollon mit Lyra und Plektron – APOLLO ZMIN, im Feld D D. M 1 : 1 © Ashmolean Museum, University of Oxford, HCR101362

Abbildung des Kaiserporträts auf den Aversen und der Siegesgöttin auf dem Revers des ersten Typus nicht nur seine Loyalität gegenüber der neuen Herrscherdynastie zum Ausdruck. Mit der Victoria wurde auch ein Motiv gewählt, das gerade bei römischen Soldaten äußerst beliebt war, da es die militärische virtus ihres obersten Befehlshabers Vespasian und damit indirekt ihre eigenen Leistungen symbolisierte.145 Unter den Flaviern nahmen zahlreiche Städte im nordwestlichen Kleinasien erstmals ihre (kaiserzeitliche)  Prägetätigkeit auf (Abb. 9). Von diesen lagen Gargara, Antandros, Nakrason, Apollonis und Flaviopolis Daldis146 an einer im Itinerarium Antonini verzeichneten Fernverbindung von Lampsakos nach Laodikeia am Lykos, für die auch Alexandria Troas als Station verzeichnet ist.147 Zumindest der neue Prägeort Iulia Gordos ist ebenfalls zum engeren Einzugsgebiet der Straße zu zählen.148 Bezeichnenderweise sind sechs Meilensteine aus (der Nähe von) Nakrason, Thyateira, Hierokaisareia und Hierapolis bekannt, die einen Ausbau eben jener Fernverbindung unter den Flaviern belegen.149 Sie gehören in einen größeren Kontext von Baumaßnahmen, mit denen Vespasian und seine Söhne die Infrastruktur in Kleinasien stärken wollten, nicht zuletzt um die Truppenverschiebungen und Nachschublieferungen an die Euphratgrenze zu optimieren.150 Es spricht also viel 145 Dies verkennt Kramer 2010, S. 348 f. 146 RPC II, Nr. 901. 902 (Gargara); Nr. 906–909 (Antandros); Nr. 932–936 (Nakrason); Nr. 950–954 (Apollonis) und Nr. 1324–1326 (Flaviopolis Daldis). Vgl. auch die Hinweise von Esch 2016, S. 77 Anm. 45. 147 Itin. Anton. 333, 9–337, 2. Vgl. auch Löhberg 2006, S. 258 f. 380 Karten 51, 4; 56, 1.2.4; 65, 1. 148 RPC II, Nr. 1384. 1385. 149 Taeuber 1995, Nr. 1 (Nakrason); TAM V 2, Nr. 869. 870 (Thyateira); Herrmann / Malay 2007, Nr. 13 und Malay 1999, Nr. 52 (Hierokaisareia) sowie AE 2002, Nr. 1412a (Hiera­ polis). 150 Siehe exemplarisch French 1980, S. 707–711 mit Karten 3 und 4; S. 715–717 Nr. 6–10; S. 727 f.

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dafür, die beiden oben genannten Münztypen der Colonia Augusta Troadensis mit den flavischen Dislokationen und Straßenbauten in Beziehung zu setzen. Durch die massive Präsenz römischen Militärs hätte tatsächlich ein erhöhter Bedarf an (Klein-) Geld in der Region bestanden, der durch die neuen alexandrinischen Münzen zumindest teilweise gedeckt werden sollte.151 Im Rahmen von Caracallas Partherfeldzug wird es 213/214 n. Chr. ebenfalls zu Truppendurchzügen durch das alexandrinische Territorium gekommen sein. Der römische Kaiser hatte im Vorfeld starke Verbände an der Donau und im griechischmakedonischen Raum gesammelt152 und führte diese dann durch Thrakien und über den Hellespont.153 Von dort zog Caracalla nach Ilion, wo er seinem Heer großzügige Donative auszahlte sowie am Grab des Achill opferte und dem Heros eine Statue errichten ließ.154 Anschließend reiste der Kaiser – eventuell über Assos155 – in Richtung Pergamon und Thyateira weiter.156 Schon angesichts dieser Stationen ist davon auszugehen, dass Caracallas Route über die Colonia Augusta Troadensis führte.157 Hierfür spricht auch ein im kolonialen Zentralort gefundener Meilenstein, dessen Inschrift die Straßen- und Brückenbauten des Kaisers in der provincia Asia rühmt.158 Das milliarium muss heute zwar als verschollen gelten und kann wegen der fehlerhaften Aufnahme durch den frühneuzeitlichen Naturforscher Pierre Belon zeitlich nur grob in die Jahre 212/213 bis 151 Zum Zusammenhang von römischen Truppenbewegungen und lokalem Münzausstoß vgl. Ehling 2001, S. 34–57; Ziegler 1996 sowie Ziegler 1993, S. 67–129. 142–145. 152 Siehe übergreifend Mráv 2007, bes. S. 127 Anm. 33; Speidel 1985 sowie Ritterling 1924/1925, Sp. 1321 f. 1398 f. 1450 f. 1479.1536.1686.1742. Zum Partherfeldzug vgl. auch Handy 2009, bes. S. 88–91. 153 Zum Aufenthalt in Thrakien und zur dortigen imitatio Alexandri durch Caracalla siehe Herodian. IV 8, 1. Zur beinahe gescheiterten Passage über den Hellespont siehe SHA Carac. 5, 8 und CIL VI, Nr. 2103a. Allgemein zum Itinerar vgl. Halfmann 1986, S. 224 f. 227–229 sowie Boteva 1999b mit divergierenden Angaben, wo genau Caracalla den Hellespont überquerte. 154 Siehe Cass. Dio LXXVIII 16, 7 und Herodian. IV 8, 3–6 mit weiteren Details zum Besuch in Ilion. Zur Bedeutung Achills, auf den sich Caracallas Vorbild Alexander d. Gr. zurückgeführt hatte, siehe Ameling 1988, S. 689 f. sowie von Gonzenbach 1979. 155 Dort fand sich mit Merkelbach 1976, Nr. 29 eine Statuenbasis für die Kaisermutter Iulia Domna, die Caracalla damals in den Osten begleitete; vgl. Cass. Dio LXXVIII 18, 2 f.; LXXIX 4, 3; 23, 1 f. 5 und Herodian. IV 13, 8. 156 Zum Aufenthalt in Pergamon siehe u. a. Cass. Dio LXXVIII 15, 6 f.; 16, 8 und Herodian. IV 8, 3. Aus dem dortigen Asklepieion sind auch fünf Ehreninschriften für Caracalla und Iulia Domna bekannt; siehe Habicht 1969, Nr. 12–16. Zum Aufenthalt in Thyateira siehe exemplarisch IGR IV, Nr. 1247. 1287. 157 Interessanterweise sind alle o. g. Stationen auch im Itin. Anton. 333, 9–336, 1 aufgelistet, das in der Forschung meist auf Beschreibungen von Reisen bzw. Reiseplanungen Caracallas zurückgeführt wird. 158 Siehe Ricl 1997, Nr. 56 A = French 1988, Nr. 316.

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Abb 9: Neue Prägeorte unter den Flaviern im nordwestlichen Kleinasien. © Karte: Tobias Esch, Vorlage: Barrington Atlas

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217 n. Chr. gesetzt werden.159 Es ist meines Erachtens aber wahrscheinlich, dass zur Vorbereitung des Kaiserbesuches und der damit verbundenen Truppenbewegungen die regionale Infrastruktur ausgebaut beziehungsweise instandgesetzt wurde, womit der Meilenstein am ehesten in das Jahr 212 oder 213 n. Chr. gehören dürfte.160 Weitere Hinweise auf Caracallas Anwesenheit in Alexandria Troas liefert die numismatische Überlieferung: In seiner Regierungszeit erscheint die koloniale Titulatur auf den Münzen erstmals als Colonia Alexandria Augusta,161 später bisweilen auch als Colonia Alexandria (Augusta) Troadensis.162 Allerdings fand auch das alte Ethnikon weiterhin Verwendung. Dass die Einbeziehung des Namens Alexandria –  mehr als 200  Jahre nach der Koloniegründung  – ausgerechnet unter Caracalla erfolgte, ist bezeichnend, denn der Kaiser galt als glühender Verehrer Alexanders des Großen und eiferte diesem in vielerlei Hinsicht nach.163 Bei der Umbenennung ließ sich übrigens nicht nur auf den alten Namen der griechischen Polis zurückgreifen, sondern auch auf eine lokale Gründungslegende, nach der der Ursprung der Stadt nicht etwa auf die realen Gründer Antigonos Monophthalmos und Lysi­ machos zurückging, sondern auf den historisch viel bedeutenderen Eponym Alexander.164 Dieser wurde aus Prestigegründen bekanntlich von vielen Städten als Ktistes in Anspruch genommen, obwohl er mit den Gründungen oftmals nichts zu tun hatte.165 Unter Caracalla erlebte die alexandrinische Prägestätte zudem einen neuen Höhepunkt und emittierte nicht weniger als 23 unterschiedliche Typen.166 Dieser hohe Münzausstoß wird wiederum wesentlich mit der starken Nachfrage nach frischem (Klein-)Geld infolge des Kaiserbesuches und der zeitgleichen Präsenz römischer Truppen in Zusammenhang stehen. Bemerkenswerterweise gab die Kolonie dabei 159 Die Angaben zu Caracallas tribunizischen Gewalten, imperatorischen Akklamationen und Konsulaten sind derart verderbt, dass sie nicht für eine Feindatierung genutzt werden können. Aus Caracallas Tod ergibt sich ein terminus ante quem von April 217 n. Chr. und durch die Angabe des Beinamens Germanicus Maximus lediglich ein vager terminus post quem von 212/213 n. Chr., denn der Siegesname wurde offiziell zwar erst im Herbst 213 n. Chr. verwendet, findet sich aber gelegentlich schon in Texten des Jahres 212 n. Chr.; siehe Dietz 2008, S. 74–76 mit der älteren Literatur. 160 Weitere Exemplare aus Asia liegen m. W. nicht vor. Entlang Caracallas Route in Kleinasien sind mit French 1988, Nr. 105.168.179 aber immerhin drei milliaria von 212/213 n. Chr. aus dem Gebiet um Ankyra bekannt. 161 Zu den unterschiedlichen Abbreviaturen unter Caracalla siehe Lohmann 2002, S. 21. 117–128. 162 Die letzten Münzen gehören in die Zeit des Gallienus; siehe Lohmann 2002, S. 176 Nr. 238/R7. 11; S. 177 Nr. 239/R3 und R6. 163 Exemplarisch Kühnen 2008, S. 29–32. 38–40. 44–51. 176–186; Salzmann 2001; Wirth 1976, S. 200–203 sowie oben Anm. 153 f. 164 Siehe hierzu Kap. 9. 165 Vgl. Ziegler 2003, bes. S. 118 f. und Ziegler 1998. 166 Lohmann 2002, S. 27 f. Tab. 3 sowie Bellinger 1958, Typ 1.2.9.10. 12.13.16–19. 22.26.35– 37.39.44.47. 55–58. 60. Dagegen nennt Filges 2015, S. 87 eine Zahl von ›nur‹ 22 Typen.

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auch zwei neue Typen heraus, deren Rückseiten – ähnlich wie die Victoria-Münzen unter Vespasian (siehe oben) – auf die militärischen Erfolge des Kaisers anspielen. Der erste Typ zeigt Caracalla in Feldherrentracht opfernd vor einem Altar und eine ihn bekränzende weibliche Person. Diese wurde früher als Victoria mit Palmzweig gedeutet;167 Axel Filges spricht sie inzwischen aber als Stadtpersonifikation mit vexillum an (Abb. 10).168 Mit diesem Motiv wollte die alexandrinische Kolonie meines Erachtens nicht generell auf die kaiserliche Sieghaftigkeit hinweisen, da ansonsten zu erwarten wäre, dass der Typus zumindest in Variationen auch unter anderen Herrschern verwendet wurde, was allerdings nicht der Fall war.169 Vielmehr dürfte das Münzbild entweder einen kurz zuvor errungenen Sieg, etwa über germanische und vielleicht auch getische Stämme im Jahr 213 n. Chr.,170 gefeiert, oder einen Erfolg in den noch anstehenden Kämpfen gegen die Parther erbeten haben. Gerade für den zweiten Fall ließe sich darüber spekulieren, ob Caracalla sogar tatsächlich Opfer in Alexandria Troas beziehungsweise im Heiligtum des Apollon Smintheus darbrachte. Der zweiten Typus zeigt den nackten Herakles im Kampf mit dem gleichfalls nackten Riesen Antaios (Abb. 11).171 Wir dürfen Caracalla eine Affinität zum Thema unterstellen, denn Herakles spielte schon als Schutzgott der Prinzen Caracalla und Geta eine zentrale Rolle in der Repräsentation der severischen Dynastie172 und Caracalla wurde während seiner Alleinherrschaft dann auch selbst mit Herakles verglichen.173 Für unseren Zusammenhang ist fast noch bedeutender, dass sowohl Caracallas Vater Septimius Severus als auch der Mythos des Antaios aus Libyen stammten.174 Wie schon Hans Voegtli betonte, ist das Zweikampfmotiv als Chiffre für den Kaiser als Bezwinger eines ›barbarischen‹ Feindes zu verstehen,175 so dass beim alexandrini167 Bellinger 1958, Typ 60; Bellinger 1961, Nr. A290 sowie Lohmann 2002, S. 22.63.128 Nr. 81. 168 Filges 2015, S. 119 mit Abb. 25; Kat. 748. Vgl. auch Kap. 7. 169 Die vespasianischen Victoria-Münzen sowie der unter Maximinus Thrax, Volusian und Valerian verwendete Typ 61 bei Bellinger 1958 zeigen die Siegesgöttin allein und weichen damit nicht unerheblich vom o. g. Typ 60 ab. 170 Exemplarisch Bender 2013; Handy 2009, S. 82–88; Hensen 1994 sowie Boteva 1999a, S. 515–519. Zur Annahme des Siegesnamens Germanicus Maximus vgl. auch Anm. 159. 171 Bellinger 1958, Typ 36; Bellinger 1961, Nr. A260 sowie Lohmann 2002, S. 53 f. 123 Nr. 72. Das Motiv fand später auch unter Elagabal und Volusian Verwendung. 172 Rowan 2012, S. 32–109; Faust 2011, S. 111. 117 f. 127–129 sowie Lichtenberger 2011, S. 27–99. 173 Eine solche Angleichung ist z. B. bei Münzen des pisidischen Sagalassos gegeben; siehe BMC Greek Coins, Lycia etc., S. 243 Nr. 18. Zu den glyptischen Werken siehe Lichtenberger 2011, S. 84–86. 174 Olmos / Balmaseda 1981, S. 800 f. sowie Wernicke 1894, Sp. 2339 f. – Nicht von ungefähr fand sich in den Caracalla-Thermen eine kolossale Herakles-Antaios-Gruppe; siehe Jenewein 1985, S. 18–22 Nr. 2. 3. 175 Voegtli 1977, S. 67 f.

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Abb. 10: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (211–217 n. Chr.): Stadtpersonifikation mit Mauerkrone und vexillum bekränzt den an einem Altar opfernden Kaiser Caracalla  – [CO]L AVG [TROAD]. M 1 : 1 © Fitzwilliam Museum, Cambridge, 7772

Abb. 11: Revers einer Bronzemünze der Co­ lonia Augusta Troadensis (211–217 n. Chr.): Herakles (rechts) und Antaios (links) im Zweikampf – COL AVG TROAD. M 1 : 1 © gallica.bnf.fr / Bibliothèque Nationale de France, Département Monnaies, Médailles et Antiques, btv1b8505975p

schen Münztyp also wiederum die kaiserlichen Siege an der Donau von 213 n. Chr. oder der bevorstehende Partherkrieg in Betracht kämen. Eventuell zielten die Alexandriner mit ihrer Prägung aber auch auf Caracallas imitatio Alexandri ab, denn der berühmte Makedonenkönig hatte seinen väterlichen Stammbaum bekanntlich auf Herakles zurückgeführt.176 Auch wenn die oben genannten Hinweise stark für eine Anwesenheit römischer Truppen in Alexandria Troas beziehungsweise seinem Territorium sprechen, fehlen vor Ort bislang eindeutige Belege für Militärs, die nachweislich an Caracallas Partherfeldzug teilnahmen. Ein potenzieller Kandidat wäre zunächst Gaius Iulius Alexander, der als aktiver Soldat der legio IIII Flavia felix in der alexandrinischen Kolonie starb und dort bestattet wurde.177 Die 4. Legion war seit Domitian zwar in Moesia superior stationiert, doch kamen Detachements häufig auch andernorts zum Einsatz,178 unter anderem in Phrygien, wo sie Aufgaben in der Heeresversorgung übernahmen und die Steinbrüche von Dokimeion schützten.179 Acht Mitglieder der Legion sind durch Grabsteine auch für Syrien und Judäa belegt, womit an­zunehmen ist, dass Vexillationen zeitweise in den Osten abgestellt wurden. Es finden sich ein beneficiarius und ein veteranus in Apameia am Orontes,180 ein miles in 176 Vgl. Huttner 1997, S. 65–72. 86–123. 177 Die Inschrift Ricl 1997, Nr. 116 wurde bei Geyikli gesehen, muss heute aber als verschollen gelten. 178 Le Bohec / Wolff 2000, bes. S. 239–242; Piso 2000, S. 208–213 sowie Ritterling 1924/ 1925, Sp. 1542–1546. 179 Christol / Drew-Bear 1995, S. 75 f. 78; Christol / Drew-Bear 1987, Nr. 7. 9; Drew-Bear / Eck 1976, Nr. 14 sowie CIL III, Nr. 13663. 180 Balty / van Rengen 1993, S. 30 mit Abb. 8 führen zwar nur die Inschrift des Veteranen Flavius Diofantus im Wortlaut an, verweisen aber zusätzlich auf den m. W. bislang unpu­ blizierten Grabstein eines dienenden beneficiarius legati der 4. Flavischen Legion.

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Kyrrhos,181 ein signifer in Seleukeia Pieria,182 mindestens ein miles und ein v­ eteranus in Nea­polis183 sowie zwei weitere milites, die auf einem angeblich aus Nazareth stammenden Epitaph genannt sind.184 Hinzu kommen gegebenenfalls Tonziegel aus Zeugma, die mit LEG IIII gestempelt sind. Es ist jedoch kaum zu entscheiden, ob es sich hier um die 4. Flavische Legion oder um die dauerhaft in Zeugma stationierte legio  IIII ­Scythica handelt.185 Die meisten dieser Zeugnisse können nur grob ins 2./3. Jahrhundert n. Chr. datiert werden,186 so dass ein Bezug zu Caracallas Vorgehen gegen die Parther zwar durchaus möglich ist, da dieser offenkundig Truppen von der Donau ins Feld führte (siehe oben). Eine Beteiligung der legio IIII Flavia felix bleibt letztlich aber ungewiss,187 und die Zeitstellung des in Alexandria verstorbenen Gaius Iulius Alexander lässt sich meines Erachtens ohnehin nicht näher eingrenzen.188 Er könnte zum Beispiel auch an einem anderen Feldzug gegen die

181 Die Inschrift IGLS I, Nr. 150 stellte ein Soldat der legio IIII Flavia für einen imaginifer der legio VII (Claudia) auf. Bemerkenswerterweise lag die 7. Claudische Legion i. d. R. ebenfalls in Obermösien. Sie ist in Kyrrhos zusätzlich durch IGLS I, Nr. 151 nachzuweisen. 182 IGLS III, Nr. 1173. 183 Der in AE 1948, Nr. 147 genannte Soldat wurde von seinem Bruder bestattet, der ggf. ebenfalls in der 4. Flavischen Legion diente. Der von Eck / Koßmann 2015, S. 36. 38 f. vorgestellte Veteran Tib. Claudius Mansuetus stammte interessanterweise aus Pergamon. Angesichts seiner prominent hervorgehobenen tribus Sergia scheint er aber erst unter Philippus Arabs in der neu gegründeten Colonia Sergia Neapolis angesiedelt worden zu sein. 184 Eck / Koßmann 2015, S.  31–37. 185 Vgl. Kurzmann 2006, S. 152–155. Zu bedenken bleibt auch, dass die legio IIII Flavia felix auf ihren in Phrygien hergestellten tegulae die Abbreviatur LEG IIII FL verwendete; siehe Christol / Drew-Bear 1995, S. 75 und Abb. 6. 186 So Le Bohec / Wolff 2000, S. 241 sowie Eck / Koßmann 2015, S. 39. Vgl. aber den Datierungshinweis in Anm. 183. 187 Cowan 2002, S. 136–139 nimmt an, dass die 4. Flavische Legion entweder in Gesamtstärke an Caracallas Partherfeldzug teilnahm, oder dass ein Detachement mit weiteren Einheiten ein gemeinsames Expeditionskorps bildete. Auf gemischte Verbände deuten u. a. die in Anm. 181 genannten Inschriften hin. Dagegen vermutete Fitz 1962, S. 46. 106, dass die legio IIII Flavia felix während des Partherkrieges vollständig an der Donau verblieb, da die Grenzverteidigung durch andere Truppenabzüge ohnehin schon geschwächt war. 188 Marijana Ricl möchte die Grabinschrift in die Jahre 70–117 n. Chr. datieren, da die 4. Flavische Legion in Inschriften der prähadrianischen Zeit stets mit der Abkürzung LEG IIII F F benannt worden sei, danach nur mit LEG IIII FL oder LEG IIII F. ­Einen entsprechenden Hinweis gab schon Ritterling 1924/1925, Sp. 1544. 1548, der die o. g. Inschrift aber in das spätere 2. Jh. n. Chr. setzte, vielleicht weil hier die Mischform LEG IIII FL F verwendet wurde. Nach grober Durchsicht der Inschriften mit Nennung der legio IIII Flavia felix in der Online-Datenbank (26.08.2019) kann ich jedoch nicht erkennen, wie sich aus den divergierenden Abbreviaturen – es finden sich u. a. auch LEG IIII FL FEL, LEG IIII FLAV FELIC und LEG IIII FL FELICIS – überhaupt belastbare Hinweise für eine Datierung ergeben sollten.

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Parther beziehungsweise Sassaniden teilgenommen haben oder nach Phrygien abkommandiert worden sein. Als zweiter Kandidat darf ein gewisser [---] Celer gelten, der seinen Militärdienst als einfacher Soldat in einer cohors praetoria begann und dann über den Rang eines beneficiarius tribuni bis zum cornicularius tribuni aufstieg, aber offenbar noch vor seiner Entlassung verstarb und in der Colonia Augusta Troadensis beigesetzt wurde.189 Ein Bezug zu Caracallas Aufenthalt in Alexandria Troas ist denkbar, da der Kaiser bei seinem Vormarsch gegen die Parther erwiesenermaßen von Prätorianern begleitet wurde.190 Celers Epitaph ist jedoch ebenfalls nur ungenau in das 2./3. Jahrhundert n. Chr. zu datieren.191 Schließlich möchte ich hier noch eine Inschriftenbasis aus dem alexandrinischen Stadtgebiet vorstellen, die darauf hindeuten könnte, dass der Hafen der Colonia Augusta Troadensis in der (frühen?) Kaiserzeit zumindest zeitweise als Stützpunkt der römischen Kriegsflotte fungierte.192 Die Basis weist oben Einlassungen auf, die an die Aufstellung einer Statue in Schrittstellung und an ein attributives Steuerruder denken lassen. Die griechische Inschrift nennt einen Lucius Cornelius Iulianus, der selbst als Nauarch diente, das heißt wohl als Kapitän der classis Romana.193 Sein Vater Lucius Cornelius Pol(l)ianus hatte das hohe provinziale Amt eines Asiarchen ausgeübt. Interessanterweise ist aus der anderen augusteischen Kolonie am Hellespont, der Colonia Gemella / Gemina Iulia Pariana, ein zweiter ναύαρχος namens Titus Flavius Marcus bekannt.194 Strategisch hätte es durchaus Sinn ergeben, die wichtige Meerenge an ihrer westlichen und östlichen Einfahrt durch Marineverbände zu schützen.195 Entlang der Route zum Schwarzen Meer sind weitere Standorte der classis Romana für Perinthos, Kyzikos, Kalchedon und Byzantion belegt.196

189 Ricl 1997, Nr. 108. Zu einem weiteren Prätorianer des 2. Jhs. n. Chr. (?) siehe ebenda, Nr. 146. 190 Cass. Dio LXXVIII 17, 4 und SHA Carac. 5, 8. 191 So etwa Ott 1995, S. 168 sowie Schallmayer u. a. 1990, S. 524. Marijana Ricl datiert die Inschrift in das 2. Jh. n. Chr. 192 Schwertheim 2002. 193 Dörner 1941, Nr. 88 stellte eine Ehreninschrift für einen Nauarchen aus Nikomedeia vor, die ihn zu der Vermutung veranlasste, die Stadt sei nicht nur Station der classis Romana gewesen, sondern habe auch eine eigene Flotte unterhalten. Dagegen postulierte Kienast 1966, S. 106 Anm. 89, dass dieser ναύαρχος eine städtische Magistratur bekleidete, die rein ziviler Natur gewesen sei. Dies schließt Schwertheim 2002, S. 61 Anm. 13 zumindest für die frühkaiserzeitliche Colonia Augusta Troadensis wohl richtig aus. 194 Tanrıver 1991, Nr. 2. 195 Skeptisch zur These einer römischen Flottenstation in Alexandria Troas äußert sich dagegen Feuser 2009, S. 24, dessen Argumentation aber allein auf fehlenden literarischen und archäologischen Belegen beruht. Die o. g. Nauarcheninschrift aus Parion berücksichtigt er nicht. 196 Siehe Reddé 1986, S. 253–269. 309–319; French 1984; Kienast 1966, S. 105–123; Starr 1960, S. 125–129 sowie Viereck 1975, S. 253–257, der Alexandria Troas ohne jegliche

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6. Der politische Einfluss der römischen (ex-)Militärs und ihrer Nachkommen Für die Colonia Augusta Troadensis sind durch 27  Inschriften bislang 29  Bürger bekannt, die als Veteranen oder noch aktive Soldaten über einen militärischen Hintergrund verfügten (Tab. 1).197 Dies entspricht einem beachtlichen Anteil von 15,3 Prozent der insgesamt 189 kaiserzeitlichen Alexandriner, die meines Wissens epigraphisch belegt sind, darunter Individuen jeglichen Alters, Standes und Geschlechts.198 Für zehn (ex-)Militärs, also gut ein Drittel, ist gesichert, dass sie ein politisches beziehungsweise sakrales Amt in der alexandrinischen Kolonie ausübten, dem Dekurionenrat angehörten oder den Ehrentitel eines patronus coloniae führten. Immerhin fünf von ihnen (Tab. 1, Nr. 5. 6.10.17.21) gelangten bis zur höchsten kolonialen Magistratur des Duumvirats, das heißt 17,2 Prozent aller Personen mit militärischem Background.199 Diese Kennzahlen mögen auf den ersten Blick noch nicht für einen bestimmenden Einfluss auf das öffentliche Leben sprechen. Zu bedenken bleibt aber, dass bei den Veteranen und Soldaten der augusteisch-tiberischen Zeit der Anteil kolonialer Funktionsträger viel höher lag: mit fünf von zehn bei 50  Prozent. Gerade in der Begründung und ohne Kenntnis der Inschrift für L. Cornelius Iulianus unter den Stützpunkten der classis Syriaca aufführt. 197 Eventuell kommen weitere Militärs hinzu: L. Vinuleius Pataecius wird in einer Inschrift aus Ilion als Tribun einer 6. Legion und Präfekt zweier Auxiliareinheiten geehrt; siehe Frisch 1975, Nr. 105. Obwohl eine Tribusangabe fehlt, möchten Römhild 2011, S. 173; Devijver 1986, S. 128 f. sowie Pflaum 1960/1961, S. 104 in Pataecius einen Bürger der Colonia Augusta Troadensis erkennen. Zudem könnte man für einige Alexandriner ohne Truppen- oder Rangnachweis vermuten, dass sie im römischen Militär dienten bzw. gedient hatten. Hier sei exemplarisch auf den bei Schwertheim 2008, Nr. 1 genannten P. Cassius Po[---] verwiesen, der ebenso wie sein anonymer Testamentsvollstrecker (Tab. 1, Nr. 3) der legio VII Macedonica angehört haben könnte. – Andererseits sei hier eingeräumt, dass bei einigen der in Tab. 1 und 2 aufgeführten Militärs, für die kein oder ein von der tribus Aniensis abweichender Stimmbezirk genannt ist, nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann, ob sie tatsächlich cives der alexandrinischen Kolonie waren. Dies halte ich aufgrund des jeweiligen Kontextes aber für sehr wahrscheinlich. 198 Bei meiner Berechnung habe ich neben der von Ricl 1997, S. 14 genannten Zahl von 144 Personen folgende Publikationen berücksichtigt: Özhan 2015, Nr. 1–4. 7–9. 11.13.14 (12 Personen); Ricl 2000, Nr. 2 (1 Person); Schwertheim 2016, Nr. 2. 3 (mindestens 15 Personen); Schwertheim 2008, Nr. 1. 2 (4 Personen); Schwertheim 1999, Nr. 2. 3 (2 Personen); Schwertheim 2002, S. 59 (2 Personen); Römhild 2011, S. 174 (1 Person); Conrad 2004, Nr. 431 (1 Person); Bean 1973, Nr. 15 (5 Personen); SEG 55, 2005, Nr. 1321 (1 Person) sowie IGR IV, Nr. 245 (1 Person). Die Individuen der frühbyzantinischen Zeit habe ich ausgespart. 199 Der hier in Tab. 1, Nr. 6 (= Tab. 2, Nr. 2) gelistete A. Virgius Marsus bekleidete allerdings das Amt eines IIIIvir quinquennalis. Vgl. Kap. 4.

44

Tobias Esch

Tabelle 1: Bürger der Colonia Augusta Troadensis mit militärischem Hintergrund Nr. Name

Dienstzeit

Einheiten (Auswahl)

Amt

1

C. Cannutius

caesarischoctavianisch

leg. XXX Classica

×

2

T. Aufidius Spinter

augusteisch

leg. IIII (Macedonica)

3

Ignotus

augusteisch? sicher vor 42 n. Chr.

leg. VII Macedonica

4

C. Caesius

augusteisch? sicher vor 70 n. Chr.

leg. XVI (Gallica)

5

C. Fabricius Tuscus

augusteischtiberisch

leg. III Cyrenaica; coh. Apula; ala praetoria

×

R

Ricl 1997, Nr. 34

6

A. Virgius Marsus

augusteischtiberisch

leg. III Gallica; coh. IIII et XI praetoriae

×

R

Ricl 1997, T 120

7

C. Roscius Capito

augusteischtiberisch

leg. V Macedonica

8

T. Iunius Montanus

augusteischtiberisch

leg. VIII Augusta oder leg. XV Apollinaris

R

Ricl 1997, T 151

9

T. Aufidius Balbus

augusteischtiberisch

leg. XXII (Deiotariana)

R

Ricl 1997, T 152

10

C. Norbanus Quadratus

augusteischtiberisch

unbekannte Legion

R

Ricl 1997, Nr. 15

11

L. Cornelius Iulianus

frühkaiser­ zeitlich?

classis Romana

Schwertheim 2002

12

C. Curiatius Secundus

claudisch

leg. VII Claudia p. f. (= VII Macedonica)

Ricl 1997, T 153

13

Q. Ignienus Ferox

claudisch

leg. VII Claudia p. f.? (= VII Macedonica)

Ricl 1997, T 154

14

Ignotus

nach 42 n. Chr.

leg. VII Claudia p. f. (= VII Macedonica)

Ricl 1997, Nr. 144

×

Stand Quelle D

Ricl 1997, Nr. 106

R

Ricl 1997, T 152

R

Schwertheim 2008, Nr. 1 Ricl 1997, Nr. 105

Conrad 2004, Nr. 431

×

45

Alexandria Troas und das Militär 

Nr. Name

Dienstzeit

Einheiten (Auswahl)

Amt

Stand Quelle

15

C. Antonius Rufus

41–68 n. Chr.

leg. XIII Gemina; coh. XXXII voluntarior.; ala I Scubulorum

×

R

Ricl 1997, Nr. 36

16

T. Iunius Montanus

um 60 n. Chr.? leg. V Macedonica sicher vor 81 n. Chr.

×

S

Ricl 1997, Nr. 37

17

Q. Lollius Fronto

wohl flavisch

leg. III Augusta; ala (Flavia) Numidica

×

R

Ricl 1997, Nr. 35

18

Ignotus

1.  Jh. n. Chr.

leg. X Fretensis

19

[---]lenus

1.  Jh. n. Chr.

leg. III [---]

R

Ricl 1997, Nr. 141

20

[---]us [---] cus

1.  Jh. n. Chr.

unbekannte Einheit

R

Ricl 1997, Nr. 142

21

[---] Sura

leg. VI Ferrata 1./2. Jh. n. Chr. (wohl flavisch)

D

Ricl 1997, Nr. 136

22

C. Aelius Rufus

leg. VI Ferrata 1./2. Jh. n. Chr. (wohl flavisch)

Ricl 1997, Nr. 136

23

[---] Fro[ntinus?]

1./2. Jh. n. Chr.

unbekannte Einheit

Ricl 1997, Nr. 145

24

M. Tep[---]

1./2. Jh. n. Chr.

unbekannte Einheit

25

Sex. Quintilius Valerius Maximus

trajanisch

leg. I Italica; leg. XIII Gemina

26

Ignotus

2.  Jh. n. Chr.

coh. VIII praetoria

27

[---]verus C[---]

2.  Jh. n. Chr.

coh. Hispanorum; coh. Nova [---]

28

C. Iulius Alexander

2./3. Jh. n. Chr.?

leg. IIII Flavia felix

Ricl 1997, Nr. 116

29

[---] Celer

2./3. Jh. n. Chr.?

coh. [---] praetoria

Ricl 1997, Nr. 108

Ricl 1997, Nr. 147

×

×

D

Ricl 1997, Nr. 137

S

CIL XIV, Nr. 2609

Ricl 1997, Nr. 146 R

Ricl 1997, Nr. 143

Bürger der Colonia Augusta Troadensis mit militärischem Hintergrund. (Bearbeitung: Tobias Esch)

46

Tobias Esch

Tabelle 2: Funktionsträger der Colonia Augusta Troadensis Nr. Name

Datierung der polit. kolonialen Ämter Funktion

sakr. Ämter

Ehrentitel

1

C. Cannutius

augusteisch

×

×

Ricl 1997, Nr. 106

2

A. Virgius Marsus

augusteisch

×

×

Ricl 1997, T 120

3

Ignotus

augusteisch? sicher vor 42 n. Chr.

×

×

Schwertheim 2008, Nr. 1

4

C. Fabricius Tuscus

augusteischtiberisch

×

×

×

Ricl 1997, Nr. 34

5

C. Norbanus Quadratus

augusteischtiberisch

×

×

×

Ricl 1997, Nr. 15

6

L. Curiatius Onesimus

frühkaiserzeitlich?

×

Schwertheim 1996, Nr. 16

7

Ignotus

frühkaiserzeitlich

×

Ricl 1997, Nr. 41

8

Quintilia Apphia

wohl claudisch

×

Schwertheim 2008, Nr. 2 a. b

9

C. Antonius Rufus

41–68 n. Chr.

×

10

T. Iunius Montanus

nach 81 n. Chr.

11

Sex. Quinctilius Valerius Maximus

flavisch / unter Nerva

×

12

C. Iulius Iunianus

1.  Jh. n. Chr.

13

D. Iu[nius?]

14

Q. Lollius Fronto

× ×

Militär

Quelle

×

Ricl 1997, Nr. 36

×

Ricl 1997, Nr. 37

×

Ricl 1997, Nr. 39

×

×

Ricl 1997, Nr. 74

1.  Jh. n. Chr.

×

×

Ricl 1997, Nr. 38

1.  Jh. n. Chr.

×

×

×

Ricl 1997, Nr. 35

47

Alexandria Troas und das Militär 

Nr. Name

Datierung der polit. kolonialen Ämter Funktion

sakr. Ämter

15

[---] Sabinus

1.  Jh. n. Chr.

16

Ignotus

1.  Jh. n. Chr.

17

Ignotus

1.  Jh. n. Chr.

18

Ignotus

1.  Jh. n. Chr.?

19

C. Cornelius Secundus Proc(u)lus

1./2. Jh. n. Chr.

20

Q. Pellius Severus

1./2. Jh. n. Chr.

21

M. Tep[---]

1./2. Jh. n. Chr.

×

×

Ricl 1997, Nr. 137

22

[---] Sura

1./2. Jh. n. Chr.

×

×

Ricl 1997, Nr. 136

23

[---] Neryllinus

138–161 n. Chr.

×

24

Ignotus

2./3. Jh. n. Chr.

×

Ricl 1997, Nr. 140

25

[---]s Gnesip- 3.  Jh. n. Chr. pus

×

Ricl 1997, Nr. 98

26

Ignotus

3.  Jh. n. Chr.

×

Ricl 2000, Nr. 2

27

C. [---]

kaiserzeitlich

28

Ignotus

kaiserzeitlich

×

Ehrentitel

Militär

Quelle

×

Ricl 1997, Nr. 135

×

Ricl 1997, Nr. 135

×

Ricl 1997, Nr. 138

×

Ricl 1997, Nr. 148 ×

Ricl 1997, Nr. 43 ×

×

Ricl 1997, Nr. 22

×

×

Ricl 1997, Nr. 49

Schwertheim 1999, Nr. 2 Ricl 1997, Nr. 42

Politische und sakrale Funktionsträger der Colonia Augusta Troadensis. (Bearbeitung: Tobias Esch)

48

Tobias Esch

Gründungsphase der Colonia Augusta Troadensis scheint den Personen mit militärischem Hintergrund also eine enorme politische Bedeutung zugekommen zu sein. Mit Blick auf die Standeszugehörigkeit der alexandrinischen (ex-)Militärs zeigt sich ferner, dass 17 und damit 58,6 Prozent den drei höchsten ordines im Imperium zuzurechnen sind, also dem Senatoren-, Ritter- und Dekurionenstand. Drei weitere gehörten immerhin zum hohen Offizierskorps der primipili und centuriones (Tab. 1, Nr. 22.23.26).200 Gerade die Senatoren und Ritter waren nicht auf ein Engagement in der alexandrinischen Kolonie beschränkt, sondern wirkten verstärkt in der römischen Reichs- und Heeresverwaltung und konnten dabei auch die Interessen ihrer Heimatstadt vertreten. Noch deutlicher werden die Verhältnisse, wenn man alle 28  bekannten Funktionsträger der Colonia Augusta Troadensis in den Fokus rückt (Tab. 2).201 Bezeichnenderweise handelt es sich bei den fünf Vertretern der augusteisch-tiberischen Zeit ausnahmslos um Veteranen beziehungsweise Soldaten. In der Folgezeit finden sich zwar ›nur‹ fünf weitere (ex-)Militärs, doch sollte man bei der Analyse auch die Nomenklaturen der Beamten einbeziehen, da diese Rückschlüsse auf die Sozialisation zulassen:202 Hier sind zunächst drei Männer (Tab. 2, Nr. 11.19.20) zu nennen, die ein nicht-kaiserliches nomen gentile und ein beziehungsweise zwei lateinische cognomina führten und mit einiger Sicherheit schon seit ihrer Geburt cives Romani und Bürger der alexandrinischen Kolonie waren. Sie dürften auf die ersten Siedler zurückzuführen sein, das heißt auf die augusteischen Veteranen. Die einzige Frau (Tab. 2, Nr. 8) stammte väterlicherseits vermutlich aus einer ursprünglich in Italien ansässigen Familie und zählte wohl ebenfalls einen veteranus zu ihren Vorfahren.203 Allein bei drei Funktionsträgern wird es sich angesichts ihres kaiserlichen Gentilnamens (Tab. 2, Nr. 12) beziehungsweise griechischen Beinamens (Tab. 2, Nr. 6. 25) um eingebürgerte Griechen oder um Freigelassene handeln respektive um deren Nachkommen. Festzuhalten bleibt, dass mindestens 14 Personen – also die Hälfte aller kolonialen Funktionsträger – entweder selbst im Militär gedient hatten oder von Veteranen abstammten. Der Anteil wird meines Erachtens aber noch viel höher liegen, da sich bei elf Individuen (Tab. 2, Nr. 7.13.15–18. 23.24.26–28) die Nomenklatur nicht oder nur so rudimentär erhalten hat, dass keine sicheren Aussagen über ihre Sozialisation zu treffen sind. 200 Der epigraphische Befund veranlasste schon Schwertheim 1999, S. 99 zu der treffenden Analyse, dass »die Stadt keineswegs nur für die unteren soldatischen Chargen oder das römische Proletariat als Neusiedlungsgebiet interessant war, sondern auch den Gebildeteren und Gutsituierten gute Chancen bot.« Vgl. auch Schwertheim 2008, S. 177 sowie Römhild 2011, S. 172 f. 201 Ausgespart habe ich die VIviri Augustales, da es sich bei ihnen i. d. R. um Freigelassene handelte, die für das hier behandelte Thema des Militärs ohne Bedeutung sind. Vgl. Schwertheim 1999, S. 100 f. Nr. 1–3. 202 Vgl. Ricl 1997, S. 14. 203 Esch 2018, S. 2–11.

Alexandria Troas und das Militär 

49

Aufschlussreich ist auch die Verteilung der in Tabelle 2 verzeichneten Inschriften auf Sprache und Gattung: Von den insgesamt 28 Texten204 sind 21, das heißt drei Viertel, in Latein verfasst (Tab. 2, Nr. 1–5. 8–18. 20–23. 27). Dagegen überwiegt bei der Gesamtheit der kaiserzeitlichen Inschriften, die sich in Alexandria Troas und seinem Territorium fanden oder die von Alexandrinern außerhalb ihrer Heimatgemeinde aufgestellt wurden, das Altgriechische mit etwas mehr als der Hälfte.205 Latein war also – anders als bei der Mehrheit der alexandrinischen Bevölkerung – die bevorzugte Sprache der Funktionsträger, was nicht nur für ihre Amtstätigkeit, sondern auch für die ›privaten‹ Grab- und Weihinschriften gilt. Bei diesen stehen acht lateinische Texte (Tab. 2, Nr. 1.12.15–18. 21.22.27) vier griechischen Texten (Tab. 2, Nr. 6. 24–26) gegenüber. Bemerkenswert ist ferner der hohe Anteil an offiziellen Dokumenten. Insgesamt 13 Ehreninschriften (Tab. 2, Nr. 2.4.7–11. 13.14.19.20. 28) wurden von öffentlichen Institutionen für Funktionsträger errichtet, also 46,4 Prozent.206 Hinzu kommt eine Grabinschrift (Tab. 2, Nr. 24), die wohl der koloniale Rat für ein verstorbenes Mitglied in Auftrag gab.207 Dies zeigt deutlich, welche Wertschätzung diese Personen erfuhren und in welchem Maße sie sich um die Kolonie verdient machten. Ferner sind eine Bauinschrift (Tab. 2, Nr. 3) und zwei Ehreninschriften für römische Kaiser (Tab. 2, Nr. 5. 23) zu nennen, die von kolonialen Beamten aufgestellt wurden und damit semi-offiziellen Charakter hatten.

7. Koloniale und militärische Themen in der kaiserzeitlichen Münzprägung Für das Selbstverständnis und die Außendarstellung der alexandrinischen Kolonie kommt den Münzen als ›Massenmedium‹ der Antike eine besondere Bedeutung zu. Es ist zwar kaum zu verkennen, dass die kaiserzeitliche Prägestätte auf den Münz­ reversen überwiegend lokale Motive verwendete, die bereits in der hellenistischen Zeit bestimmend waren beziehungsweise (vermeintliche) Ereignisse aus dieser Epoche aufgriffen, etwa den Bildzyklus um Apollon Smintheus und Darstellungen einer angeblichen Stadtgründung durch Alexander den Großen (Kap. 9). Gleichwohl finden sich auch genuin römische beziehungsweise koloniale Themen, die die romanitas der Colonia Augusta Troadensis und ihrer Bürger sowie die militärischen Wurzeln der ersten Siedler in den Vordergrund stellten.

204 Beim Folgenden ist zu beachten, dass die in Tab. 2, Nr. 8 aufgeführte Quintilia Apphia mit zwei gleichlautenden Inschriften vertreten ist, wohingegen die Funktionsträger in Tab. 2, Nr. 15 und 16 in ein und derselben Inschrift genannt sind. 205 Nach den Angaben bei Ricl 1997, S. 13 mit 55,6 Prozent. Eine Neuberechnung unter Einbeziehung der epigraphischen Neufunde steht noch aus. 206 Der Funktionsträger Nr. 2 wurde allerdings nicht von einer Institution der Colonia Augusta Troadensis, sondern von dem zum italischen Marruvium gehörenden vicus Anninus geehrt. 207 Zu dieser Inschrift vgl. auch Kap. 9.

50

Tobias Esch

In Kapitel 3 habe ich dargelegt, dass die koloniale Bronzeprägung bereits unter Augustus begann. Der erste Typus mit Darstellung zweier Pflüger in Toga mit Rindergespann wurde in iulisch-claudischer Zeit offenbar massenhaft ausgegeben, später dagegen nur noch sporadisch, das heißt unter Antoninus Pius und in einer Variante mit nur einem togatus auch unter Commodus.208 Für die Frühzeit könnte man vermuten, dass die kolonialen Autoritäten bewusst das Motiv des sulcus pimigenius, das heißt den etruskisch-römischen Ritus der Stadtgründung, wählten, um öffentlichkeitswirksam auf Alexandrias neuen und privilegierten Status als römische Kolonie hinzuweisen.209 Merkwürdigerweise wird das Ethnikon auf den frühkaiserzeitlichen Münzen allerdings äußerst selten genannt. Sollte etwa die ungewöhnliche Verdoppelung des Plügermotivs den antiken Betrachtern bereits angezeigt haben, dass die Bronzen von der Colonia Augusta Troadensis herausgegeben wurden?210 Oder handelte es sich – wie etwa Burnett und Martin sowie zuvor schon Michael Grant vermuteten – eher um Prägungen, die zur Zirkulation in einem viel größeren Gebiet gedacht waren und daher auf die Nennung der konkreten Prägestätte meist verzichteten?211 Interessanterweise erscheint auf den nachfolgenden Münzen der alexandrinischen Kolonie aus vespasianischer Zeit ebenfalls kein Ethnikon, doch sind von diesen Prägungen bislang nur äußert wenige Exemplare bekannt.212 Auf die besondere Rechtstellung der Kolonie und ihre romanitas weisen auch drei weitere Münzmotive hin: Diesen Aspekt verkörpert par excellence die hinlänglich bekannte und in der Reichs- und Städteprägung vielfach verwendete Darstellung der Lupa Romana mit den Zwillingen Romulus und Remus (Abb. 12). Sie findet sich auf den alexandrinischen Bronzen bei zwei Typen, die sich im Wesentlichen nur durch die Ausrichtung nach links beziehungsweise rechts unterscheiden.213 Das zweite Motiv des trunkenen Marsyas mit Weinschlauch (Abb. 13) geht auf eine Statue des Silens auf dem Forum Romanum zurück und wurde sowohl in der Reichsprägung als auch bei Münzen vieler Kolonien und Munizipien aufgegriffen.214 Dabei bestand – anders als in der Forschung des Öfteren postuliert wird215 – aber wohl kein Zusammenhang mit einer Begünstigung durch das ius Italicum, sondern das Bild sollte ›nur‹ die Verbundenheit mit Rom und das Selbstverständnis der emittierenden 208 Burnett / Martin 2018; Martin 2018, S. 71–75 sowie Lucchelli 2017. 209 Zu vergleichbaren Münzen anderer coloniae mit i. d. R. nur einem Pflüger siehe die RPCIndices der Reversmotive sowie für Kleinasien ausführlich Filges 2015, S. 243–250. 210 Vgl. Anm. 96. 211 Burnett / Martin 2018, S. 250; Martin 2018, bes. S. 73–75; Grant 1946/1969, S. 111–114 (jedoch mit Zuweisung an Parion als Hauptprägestätte mit weiteren Dependancen) sowie Grant 1953, S. 88–96 (nun mit dem ›pisidischen‹ Antiochia als Hauptprägestätte). Vgl. auch RPC I, S. 309 f. (mit vorsichtiger Zuweisung an Philippi). 212 Siehe Kap. 5, bes. Anm. 142 f. 213 Bellinger 1958, Typ 55. 56. Vgl. Lohmann 2002, S. 60 f. und Filges 2015, S. 233–237. 214 Quellensammlungen finden sich u. a. bei Small 1982, S. 127–142; Bernhart 1949, S. 161– 168 sowie in der Literatur der beiden folgenden Anmerkungen. 215 So u. a. Klimowsky 1982/1983; Veyne 1961 sowie Paoli 1938.

Alexandria Troas und das Militär 

Abb. 12: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (253–260 n. Chr.): Lupa Romana mit Romulus und Remus – COL AVG ALE TROAD. M 1 : 1. © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18246180, Foto: Reinhard Saczewski

51

Abb. 13: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (253–268 n. Chr.): Statue des Marsyas auf Basis mit Weinschlauch – COL AVG TR[OA]. M 1 : 1 © gallica.bnf.fr / Bibliothèque Nationale de France, Département Monnaies, Médailles et Antiques, btv1b85062263

Gemeinden als privilegierte Verbände römischer Bürger zum Ausdruck bringen.216 In der Colonia Augusta Troadensis liegt das Motiv ebenfalls in zwei lediglich in ihrer Orientierung divergierenden Münztypen vor.217 Auch das dritte Abb. 14: Revers einer Bronzemünze der CoMotiv nutzte man für zwei Typen. Es lonia Augusta Troadensis (180–192 n. Chr.): zeigt einen stehenden Mann in Hüft- Genius mit cornucopia und Statuette des mantel, der in seinem linken Arm ein Apollon Smintheus  – GEN COL AVG Füllhorn sowie in seiner vorgestreckten TROA. M 1 : 1 Rechten eine Statuette des alexandri- © Ashmolean Museum, University of Oxnischen Hauptgottes Apollon Smint- ford, HCR101375 heus218 (Abb.  14) beziehungsweise alternativ eine Patera über einem Altar219 hält. Die jugendliche Person ist aufgrund ihrer Ikonographie als römischer Genius zu deuten, wobei ihn die meist beigefügte Legende GEN COL AVG TROA und das lokal konnotierte Detail des Apollon Smintheus als überpersönliche Wirkkraft beziehungsweise als Schutzgeist der alexandrinischen Kolonie oder konkreter der kolonialen Bürgerschaft (populus) ausweist.220

216 Grundlegend Bleicken 1974, S. 373–382 sowie zuletzt Esch 2018, S. 14 f. mit konkretem Bezug zu Alexandria Troas. Filges 2015, S. 24 f. 238–242 nimmt eine Zwischenposition ein. 217 Bellinger 1958, Typ 57. 58. Vgl. Lohmann 2002, S. 61 f. und Filges 2015, S. 238–242. 218 Bellinger 1958, Typ 17. Vgl. Martin 2008, bes. S. 442–444; Lohmann 2002, S. 57 f. und Filges 2015, S. 214 f. mit Abb. 327. 219 Filges 2015, S. 213 mit Abb. 324; Kat. 73. 220 Aus dem alexandrinischen Territorium stammt auch eine Inschrift des 1. Jhs. n. Chr., die dem Genius populi geweiht ist; siehe Ricl 1997, Nr. 74.

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Alle drei genannten Motive – Lupa Romana, Marsyas und Genius – wurden über einen langen Zeitraum genutzt, das heißt auf Münzen mit Kaiserporträts von Mark Aurel beziehungsweise Commodus bis zum Ende der Prägetätigkeit unter Gallienus, ebenso bei pseudo-autonomen Münzen, also bei den Bronzen, auf deren Vorderseiten kein Kaiser, sondern ein anderes Motiv abgebildet ist.221 Die lange Verwendung zeigt nicht nur die große Beliebtheit der Themen an, sondern verdeutlicht auch, dass sich die Colonia Augusta Troadensis selbst Jahrhunderte nach ihrer Gründung noch explizit als römische Gemeinde präsentierte und sich damit von der Münzprägung ihrer peregrinen Nachbarstädte abhob. Gleichwohl floss bei der Darstellung des Genius mit der Statuette des Apollon Smintheus auch ein griechisches Element ein, das sowohl für die römische als auch die autochthone Bevölkerung identitätsstiftend gewirkt haben dürfte. Für den hier behandelten Zusammenhang des Militärs sind drei weitere Typen von besonderem Interesse: Zwei von ihnen zeigen in abweichender Ausrichtung die Büste der weiblichen Stadtpersonifikation mit Mauerkrone, hinter der ein vexillum zu erkennen ist. Dieses trägt meist die Aufschrift CO AV beziehungsweise AV CO. Während die Stadtpersonifikation noch klar in der Ikonographie hellenistischer Poleis – erinnert sei nur an die Tyche von Antiochia am Orontes – zu verankern ist, handelt es sich bei dem römischen Feldzeichen um einen stolzen Verweis auf die militärische Sozialisation der ersten Siedler, die im Rahmen der frühkaiserzeitlichen Veteranenansiedlung in der Colonia Augusta Troadensis niedergesetzt wurden.222 Die Typen verwendete man als Reversmotive zwar nur unter Gallienus, sie erscheinen aber auf fast allen Aversen der pseudo-autonomen Prägung (Abb.  15),223 die wohl unter Trebonianus Gallus einsetzte und bis Gallienus weiterlief.224 Der dritte 221 Lupa Romana: Commodus, Septimius Severus, Iulia Domna, Geta, Caracalla, Elagabal, Iulia Paula, Severus Alexander, Maximinus Thrax, Maximus Caesar, Philippus Arabs, Philippus Iunior, Trebonianus Gallus, Volusian, Valerian, Gallienus, Salonina und pseudo-autonome Prägung. – Marsyas: Mark Aurel, Commodus, Geta, Caracalla, Elagabal, Severus Alexander, Maximinus Thrax, Maximus Caesar, Trebonianus Gallus, Volusian, Valerian, Gallienus, Salonina und pseudo-autonome Prägung.  – Genius: Commodus, Caracalla, Elagabal, Valerian, Gallienus und pseudo-autonome Prägung. Vgl. Lohmann 2002, S. 27 f. Tab. 3. 222 So u. a. auch Lohmann 2002, S. 56 f. sowie Filges 2015, S. 223. 262–273, der auch zahlreiche Beispiele kleinasiatischer Kolonieprägungen anführt, auf denen Feldzeichen alleine abgebildet sind. 223 Bellinger 1958, Typ 52.53.53a; Bellinger 1961, Nr. A465. A.466. A468–497; Lohmann 2002, S. 175–177 Nr. 237. 238; S. 180–192 Nr. 247–275 sowie Filges 2015, S. 222–225. Einige wenige pseudo-autonome Prägungen zeigen auf ihren Vorderseiten auch Apollon Smintheus, den Kopf des Parios, einen Raben auf einem Altar oder einen Lorbeerzweig; siehe Bellinger 1961, Nr. A498–502 und Lohmann 2002, S. 192 f. Nr. 276–281. 224 Zur Datierung zuletzt Lucchelli 2007, S. 176–190; Hostein / Mairat 2015a sowie Hostein / Mairat 2015b, S. 114–122. Anders z. B. noch Bellinger 1961, S. 146 f., der von einem Beginn spätestens unter Caracalla ausging.

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Abb. 15: Avers einer pseudo-autonomen Bronze­münze der Colonia Augusta Troadensis (251–260 n. Chr.): Kopf der Stadtpersonifikation mit Mauerkrone und vexillum – COL AVG TRO, im Feldzeichen CO AV. M 1 : 1 © Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Archäologisches Museum, M  5385; Foto: Robert Dylka

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Abb. 16: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (253–260 n. Chr.): Stehende Stadtpersonifikation mit Mauerkrone, vexillum und Statuette des Apollon Smintheus – COL AVGO TRO. M 1 : 1 © gallica.bnf.fr / Bibliothèque Nationale de France, Département Monnaies, Médailles et Antiques, btv1b8506146h

Typ stellt eine stehende Stadtpersonifikation dar, in deren Linker ein vexillum abgebildet ist und die in ihrer Rechten – ähnlich wie bei einem der oben genannten Genius-Typen – eine Statuette des Apollon Smintheus präsentiert (Abb. 16). Dieser Typ wurde nur für Rückseiten alexandrinischer Bronzen genutzt und findet sich unter Commodus, Caracalla, Severus Alexander, Volusian und Valerian sowie in der pseudo-autonomen Prägung.225 Hinzu kommt gegebenenfalls ein vierter Typus, der allein unter Caracalla als Reversbild Verwendung fand. Sollte die Neuinterpretation von Axel Filges zutreffen, wäre ebenfalls eine stehende Stadtpersonifikation mit vexillum abgebildet, die hier aber den opfernden und mit Panzer bekleideten Kaiser bekränzt.226 Angesichts der bereits etablierten Verbindung von Stadtpersonifikation und Feldzeichen dürfte das vexillum wiederum auf die in der Colonia Augusta Troadensis angesiedelten Veteranen zu beziehen sein und nicht etwa auf die militärischen Kampagnen, die Caracalla vor und nach seinem Besuch in Alexandria Troas durchführte (Kap. 5). In ganz anderem Kontext erscheinen römische Feldzeichen bei einem singulär unter Maximinus Thrax verwendeten Typus (Abb. 17).227 Er zeigt eine Bogenarchitektur, auf der ein Wagen mit zwei Rindern nach rechts gezogen wird. Der Lenker des Wagens, vermutlich der Kaiser, hält ein vexillum, auf dem COL zu lesen ist. 225 Bellinger 1958, Typ 16; Bellinger 1961, Nr. A195. A274. A333. A417. A431; Lohmann 2002, S. 107 Nr. 22; S. 120 Nr. 65; S. 162 Nr. 193; S. 165 Nr. 209; S. 182 Nr. 254 sowie Filges 2015, S. 214 f.; Kat. 1352, der die Stadtpersonifikation aber fehlerhaft als Genius deutet. 226 Siehe Anm. 167 f. 227 Bellinger 1958, Typ 63; Bellinger 1961, Nr. A371; Lohmann 2002, S. 148 Nr. 141; Filges 2015, S. 121 f. sowie Boßmann 2016.

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Hinzu kommen über den Zugtieren vier Legionsadler und unter dem Bogen ein fliegender Adler, der einen Stierkopf in seinen Fängen hält. Beim letztgenannten Detail handelt es sich also nicht um ein Feldzeichen, sondern um einen Verweis auf die fiktive Stadtgründung durch Alexander den Großen (Kap. 9). Während das vexillum aufgrund seiner Beschriftung COL – wie schon die vexilla der oben genannten Typen – wohl auch hier auf die frühkaiserzeitlichen Veteranenansiedlungen in der alexandrinischen Kolonie hinwies, sind die vier aquilae und der generelle Sinngehalt des Münzbildes bislang nicht sicher zu erschließen.228 Denkbar wäre zunächst, dass die Darstellung auf ein Bauwerk rekurriert, etwa ein Ehrenmonument, das an einen Sieg des Maximinus Thrax erinnern sollte,229 oder eine Brücke, die unter dem Kaiser im Territorium der Colonia Augusta Troadensis errichtet beziehungsweise instandgesetzt wurde.230 Für beide Fälle fehlen bislang zwar konkrete Hinweise in der archäologischen,231 epigraphischen und literarischen Überlieferung, doch sollte man dieses argumentum ex silentio angesichts der bislang nur punktuell durchgeführten Feldforschungen nicht zu schwer gewichten. Allerdings wäre es gerade bei der Darstellung eines Ehrenbogens atypisch, dass vor den kaiserlichen Wagen Rinder und keine Pferde gespannt sind. Daher zieht Alexandra Boßmann alternativ in Betracht, das Münzbild als Variante des sulcus primigenius-Motivs zu deuten, die anlässlich einer 250-Jahrfeier an die augusteische Koloniegründung erinnern sollte.232 Hierauf würde auch das vexillum hindeuten, und für die aquilae sei zu fragen, ob sie gegebenenfalls auf vier Legionen verweisen, die Veteranen in die neue Kolonie von Alexandria Troas entsandt hatten.233 Wie Boßmann selbst einräumt weicht das Motiv von konventionellen Darstellungen des Gründungsritus jedoch nicht unerheblich ab:234 1.) Die Zugtiere 228 Zum Folgenden ausführlich Boßmann 2016, S. 36–38. 229 So z. B. Bellinger 1958, S. 48, der aber gleichwohl zu bedenken gab, dass Maximinus Thrax während seiner Regentschaft militärisch nur im Westen und nicht im Osten des Imperiums aktiv war. 230 Dies wurde u. a. von Filges 2015, S. 122 vermutet, der die Authentizität des Münzbildes und die Anwesenheit des Kaisers aber generell in Zweifel zieht. 231 Sollte es sich tatsächlich um einen Ehrenbogen handeln, wäre zunächst zu fragen, ob dieser mit dem dreitorigen Monument gleichzusetzen ist, der unter Maximus Caesar auf einem alexandrinischen Münztyp dargestellt wird (s. u.). Zu einem potenziellen Zusammenhang mit einem archäologischen Befund am Eingang zur sog. Unteren Agora siehe Anm. 239. 232 Boßmann 2016, S. 36 f. sowie ähnlich schon Lohmann 2002, S. 59. Auch ich habe diese Deutung in Esch 2008, Anm. 56 in Erwägung gezogen. Sie würde implizieren, dass die alexandrinische Kolonie während Agrippas Orientreise in den Jahren 16–13 v. Chr. eingerichtet wurde, vermutlich im Jahr 16 v. Chr.; vgl. Kap. 3, bes. Anm. 67. 233 Boßmann a. a. O. zieht alternativ Veteranenansiedlungen durch Maximinus Thrax in Betracht, die zu dieser späten Zeit m. E. aber auszuschließen sind. 234 Vgl. Anm. 209. Die alexandrinischen sulcus primigenius-Münzen waren Boßmann bei Publikation ihres Artikels übrigens noch nicht bekannt.

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Abb. 17: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (235–238 n. Chr.): Bogenarchitektur mit Wagengespann, Feld­ zeichen und fliegendem Adler  – AVG AL[E] TRO. M 1 : 1. © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18238542, Foto: Reinhard Saczewski

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Abb. 18: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (236–238 n. Chr.): Bogenarchitektur mit Victoria und zwei Tropaia – TRO COL. M 1 : 1. © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18248470, Foto: Reinhard Sa­ czewski

sind nicht vor einen Pflug, sondern vor einen Wagen gespannt. 2.) Der Lenker der biga scheint nicht capite velato, sondern mit Kranz abgebildet zu sein. 3.) Für eine sulcus primigenius-Szene ist der vorliegende Typus ungewöhnlich komplex ausgestaltet. Vor allem die abgebildete Architektur widerspricht in gewissem Sinne dem Wesen des Ritus, denn dabei wurde ja – zumindest nach idealtypischer Vorstellung – das noch zu ummauernde und zu bebauende Stadtgebiet erst markiert. 4.) Merkwürdig ist ferner die zusätzliche Einbeziehung der mythischen Stadtgründung durch Alexander den Großen, die pars pro toto durch den fliegenden Adler mit Stierkopf angezeigt wird. Wollten die kolonialen Autoritäten etwa bewusst römische und griechische Gründungstraditionen miteinander verbinden? Oder sollte doch eher eine ganz andere Deutung des Münzbildes zu favorisieren sein?235 Ein weiterer Typus, der allein unter Maximus Caesar Verwendung fand, zeigt ebenfalls eine Bogenarchitektur, die hier aber dreitorig ausgeführt und angesichts der angedeuteten Kolonnaden sowie der bekrönenden Victoria und zweier Tropaia sicher als Ehrenmonument anzusprechen ist (Abb. 18).236 Die in Frontalansicht abgebildete Siegesgöttin steht auf einem Globus und hält einen Schild über ihrem Kopf. Eine entsprechende Victoria wurde raumfüllend auch bei einem weiteren Typus unter Maximinus Thrax, Volusian und Valerian genutzt.237 Eine abweichende Darstellung der Victoria mit Palmzweig nach rechts findet sich ferner auf einem der in Kapitel 5

235 Reinhard Wolters (Wien) machte mich darauf aufmerksam, dass es sich auch um eine Darstellung des processus consularis handeln könnte; vgl. hierzu Mittag 2009. Unklar bleibt aber dennoch, warum die Feldzeichen und der fliegende Adler erscheinen. 236 Bellinger 1958, Typ 62; Bellinger 1961, Nr. A384; Lohmann 2002, S. 59 f.; S. 151 f. Nr. 156 sowie Filges 2015, S. 256 f. 237 Bellinger 1958, Typ 61; Bellinger 1961, Nr. A370. A426. A444; Lohmann 2002, S. 63 f.; S. 148 Nr. 140; S. 164 Nr. 205; S. 170 Nr. 223 sowie Filges 2015, S. 230.

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genannten Typen aus vespasianischer Zeit. Wie ich dort bereits ausgeführt habe, ist bei Münzbildern mit Victoria nicht immer zu entscheiden, ob sie auf einen konkreten militärischen Erfolg eines Kaisers beziehungsweise Mitregenten verweisen oder auf die generelle Sieghaftigkeit des Herrschers. In einem militärisch geprägten Umfeld, das die Colonia Augusta Troadensis aufgrund der Veteranenansiedlungen und der häufigen Truppendurchzüge ohne Zweifel bildete, dürften solche Themen aber auf fruchtbaren Boden gefallen sein.238 Auffällig ist zudem die Häufung der Typen unter Maximinus Thrax und seinem Sohn Maximus, so dass man hier gegebenenfalls von einem realpolitischen Bezug, das heißt einer Würdigung ihrer Siege an Rhein und Donau, wenn nicht sogar von der tatsächlichen Errichtung eines Ehrenbogens in Alexandria Troas ausgehen sollte.239 Schließlich möchte ich noch einen ungewöhnlichen Münztyp vorstellen, für den meines Wissens keine Parallelen in der Reichs- oder Städteprägung vorliegen und den die Colonia Augusta Troadensis allein unter Trebonianus Gallus verwendete (Abb. 19).240 Er zeigt eine Versammlung von neun Männern in Toga, die auf einem zweistufigen Podium im Halbkreis angeordnet sind. Die obere Stufe des Podiums ist mit der Legende ALEXAND versehen und die untere mit nicht näher zu definierenden Dekorationen. Die beiden Männer ganz außen sitzen jeweils auf einem Stuhl, genauer einer sella curulis. Dabei handelt es sich um den Amtssessel der kurulischen Magistrate in Rom, der auch den kolonialen und munizipalen IIviri als Ehrenrecht zustand. Die Oberbeamten wurden zudem von zwei Liktoren mit fasces begleitet, die bei den IIviri jedoch nicht mit Äxten versehen und offenbar auch anders ausgestaltet waren als die Rutenbündel, so dass man sie bisweilen als virgae oder bacilla bezeichnete, das heißt als Stöcke oder Stäbe.241 Während also die Männer außen als IIviri der alexandrinischen Kolonie zu interpretieren sind, könnte es sich bei den beiden mittleren Männern, die anscheinend stabförmige Gegenstände halten, um ihre Liktoren handeln. Das Münzbild wird gemeinhin als Versammlung des kolonialen Dekurionenrates gedeutet, der hier aufgrund des beengten Raumes aber nicht in seiner vollen Mitgliederzahl von vielleicht 100 Personen (Kap. 9) sondern 238 Vgl. auch die in Kap. 5 genannten Münztypen aus der Zeit Caracallas. 239 Biller u. a. 2011, S. 283 mit Anm. 23; S. 285; Abb. 3; Taf. 52, 1 bringen den hier vorgestellten Münztyp vorsichtig mit Gewölberesten in Zusammenhang, die sich am östlichen Eingang der ›Unteren Agora‹ fanden und wohl einst die dort verlaufende Hauptstraße als größeres Bogenmonument überspannten. Ähnlich schon Lohmann 2002, S. 60 mit Anm. 281. 240 Bellinger 1958, Typ 54; Bellinger 1961, Nr. A409; Lohmann 2002, S. 58; S. 159 Nr. 185 sowie Filges 2015, S. 287. 241 Zum gesamten Themenkomplex exemplarisch Schäfer 1989, S. 52 f. 105 f. 137–140. 162– 165. 197–200. 217 f. 224 f. 227–232. 281–362 Nr. 21–83; 383–415 Nr. C1–C112. Bei den Grabdenkmälern kolonialer bzw. munizipaler Beamte, auf denen ›konventionelle‹ fasces mit Beilen abgebildet sind, ist wohl davon auszugehen, dass die Verstorbenen eine Angleichung an die stadtrömischen magistratus curules anstrebten.

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in stark verkürzter Form dargestellt ist. Unklar bleibt hingegen, warum der Typus nur unter Trebonianus Gallus verwendet wurde. Spielte er etwa auf einen konkreten Beschluss des ordo decurionum an?242 Oder wird hier ganz grundsätzlich das starke Selbstbewusstsein der politischen Elite zur Schau gestellt, die ja –  wie im Fall der Prägungen unter Vespasian (Kap. 5) – auch für die Ausgabe kolonialer Münzen verantwortlich zeichnete?

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Abb. 19: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (251–253 n. Chr.): Versammlung des Dekurionenrates auf einem Podium – [AVG] TROADA, auf der oberen Stufe ALEXAND. M 1 : 1. © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18265746, Foto: Bernhard Weisser

8. Der archäologische Befund Abgesehen von den frühhellenistischen Fortifikationen (Kap. 2) sind für Alexandria Troas keine genuin militärisch genutzten Anlagen bekannt.243 Damit ist es ungemein schwer, die Anwesenheit römischer (ex-)Militärs konkret im archäologischen Befund zu greifen. Eine Ausnahme bildet die in Kapitel 4 genannte Bauinschrift auf zwei marmornen Architravfragmenten aus vor- beziehungsweise spätestens frühclaudischer Zeit, die man als Spolien für den Bau einer späten, wohl byzantinischen Mauer an der Westfront des sogenannten Podiumsaales am alexandrinischen Forum verwendete (Abb. 20).244 Der noch erhaltene Text lässt immerhin erkennen, dass ein anonymer Militärtribun der legio VII Macedonica auf testamentarischen Wunsch eines Publius Cassius Po[---], der wie der tribunus militum alexandrinischer Bürger war und vielleicht ebenfalls als Offizier beziehungsweise Soldat in der 7. Legion gedient hatte, ein größeres Bauwerk errichten ließ. Ob die Architravfragmente dem frühkaiserzeitlichen ›Podiumsaal‹ (siehe unten) oder einem anderen Gebäude in der näheren Umgebung zugehören, ist bislang nicht sicher zu entscheiden.245 242 Hiervon geht Tanrıöver 2018, Anm. 88 aus. 243 Am Diateichisma und am Osttor sind auch kaiserzeitliche Ausbesserungen bzw. Modifikationen zu erkennen; siehe Schulz 2002, S. 39. 48 f. sowie (20.01.2020). 244 Schwertheim 2008, Nr. 1. 245 Tanrıöver 2018, S. 64. 75 f. Anm. 48; S. 83 plädiert für einen originären Zusammenhang mit dem ›Podiumsaal‹, da die Architrav-Fragmente sowohl zeitlich als auch proportional gut zum Bau passen. Ich halte dies für durchaus möglich, habe aber alternativ in Esch 2018, S. 13. 37 in Erwägung gezogen, dass die alexandrinischen Quintilii für die Finanzierung verantwortlich zeichneten, denn am ›Podiumsaal‹ fanden sich gleich zwei Statuenbasen mit nahezu gleichlautenden Inschriften für Quintilia Apphia; vgl. Schwertheim 2008, Nr. 2.

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Abb. 20: Sekundär verbaute Architrav-Fragmente mit inschriftlicher Nennung eines Militärtribuns der 7. Makedonischen Legion. © Tobias Esch

In Kapitel 4 habe ich zudem angedacht, dass die Baumaßnahmen, die Gaius Fabricius Tuscus als Präfekt der cohors Apula um 1 n. Chr. auf direkte Weisung des Augustus in der Colonia Augusta Troadensis durchführte,246 gegebenenfalls auf einen Ausbau des Hafens nordwestlich des ummauerten Stadtgebietes (Abb. 2) zu beziehen sind. Tatsächlich konnten bei Surveys in den Jahren 2005 und 2006 große Mengen an Keramik im Hafengebiet aufgelesen werden, deren zeitliches Spektrum an der Wende vom 1. Jahrhundert v. Chr. zum 1. Jahrhundert n. Chr. beginnt.247 Inwiefern diese frühkaiserzeitliche Keramik mit einem vollständigen Neubau oder lediglich mit Modifikationen von bereits in hellenistischer Zeit bestehenden Anlagen in Verbindung zu bringen ist, bleibt angesichts ausstehender Grabungen und geoarchäologischer Bohrungen vorerst offen. An Ort und Stelle dürfte es aber schon in vorrömischer Zeit einen bedeutenden Hafen gegeben haben,248 wenn dieser nicht 750 Meter wei246 Ricl 1997, Nr. 34. 247 Feuser 2009, bes. S. 75. 82 Nr. 1–3; S. 88 f. Nr. 54–57; S. 92 f. Nr. 85–87; S. 125 und zusammenfassend Feuser 2011, S. 14 f. 248 Stefan Feuser (Bonn) teilte mir durch mehrere E-Mails sowie durch Übermittlung eines bislang unveröffentlichten Artikels mit, dass sich der hellenistische Hafen seiner Meinung nach am ehesten in einer Bucht befand, die später zum inneren Becken des römischen Hafens ausgebaut wurde (s. u.). Ähnlich schon Leaf 1923, S. 233–235.

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Abb. 21: Schematischer Plan des alexandrinischen Hafens. © Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Forschungsstelle Asia Minor, Stefan Feuser; Farbfassung: Tobias Esch

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ter südlich in einer auffälligen Senke zu verorten sein sollte, die die alexandrinische Seemauer auf einer Länge von etwa 150 Meter unterbricht.249 Dass die obertägig und unter Wasser sichtbaren Überreste nordwestlich des Stadtareals – vor allem Wellenbrecher, Molen, Kaimauern und Ähnliches – tatsächlich erst in die römische Zeit gehören, verdeutlicht schon die massenhafte Verwendung von opus caementitium, eines Baumaterials, das in Italien zwar schon im 3. Jahrhundert v. Chr. Verwendung fand, sich in Kleinasien aber erst ab der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. nachweisen lässt.250 Angesichts der strategischen Bedeutung der Colonia Augusta Troadensis und ihrer Privilegierung durch Augustus, die ja unter anderem das Recht zur eigenen Zollerhebung und zur Einrichtung von Zollstationen an ihren Häfen vorsah (Kap. 3), ist davon auszugehen, dass der Bau der Anlagen schon in der kolonialen Frühzeit erfolgte, vielleicht um Christi Geburt durch die cohors Apula.251 Die Feldforschungen von Stefan Feuser haben ergeben, dass der Hafen ein inneres und ein äußeres Hafenbecken umfasste (Abb. 21 und 22).252 Ersteres war einst durch eine etwa 36 Meter breite Einfahrt aus dem äußeren Hafen zugänglich und verfügte über eine durchbrochene Mole im Süden, die eine Zirkulation des Wassers gewährleisten und damit einer Versandung des inneren Beckens entgegenwirken sollte. Mittlerweile ist dieses aber vom Meer abgeschnitten und stellt sich als flacher Salzsee dar. Das äußere Becken wurde im Norden und Süden durch zwei mächtige Wellenbrecher geschützt, die sich bis zu 100 Meter vom Strand ins Meer hinausziehen und heute in weiten Abschnitten nur noch unter Wasser zu verfolgen sind. Teile des äußeren Hafens sind inzwischen ebenfalls verlandet. Die beiden Becken verfügten über Flächen von 45.000 und 24.000  Quadratmetern, das heißt zusammen knapp 80.000  Quadratmeter. Damit wäre der alexandrinische Hafen laut Feuser zwar nur zu den mittelgroßen Häfen im Imperium zu zählen, er sei aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Hellespont und der dort vorherrschenden Winde (Kap. 1) für die antike Seefahrt in der nördlichen Ägäis aber von herausragender Bedeutung gewesen.253 Während das innere Becken wohl alexandrinischen Schiffen sowie Frachtern vorbehalten war, die Ladung in der Colonia Augusta Troadensis aufnahmen und / oder löschten, dürfte das äußere Becken vorrangig von Schiffen angelaufen worden sein, die auf günstige Bedingungen zur Durchfahrt des Hellesponts warteten. Eine solche räumliche Trennung wäre vor allem insofern vorteilhaft gewesen, als die zuletzt genannten Schiffe den Verkehr

249 Vgl. Schulz 2002, S. 38 f. Aufgrund der Geländesituation möchte Stefan Feuser einen Hafen an dieser Stelle allerdings generell ausschließen. 250 Feuser 2009, S. 125 Anm. 337 und Feuser 2011, S. 15 mit Verweis auf die weiterführende Literatur. 251 Vgl. auch die Literatur in Anm. 134. 252 Feuser 2009, bes. S. 105–111 und Feuser 2011, S. 5–10. 253 Feuser 2009, S. 128 f. und Feuser 2011, S. 16.

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Abb. 22: Das alexandrinische Hafengebiet von Nordosten © Tobias Esch

sowie die Be- und Entladungen im inneren Becken nicht gestört hätten.254 Möglicherweise lagen in Alexandrias Hafen auch Verbände der römischen Kriegsflotte vor Anker, wenn sich die von Elmar Schwertheim und oben in Kapitel 5 vorgeschlagene Deutung einer Nauarchen-Inschrift bewahrheiten sollte.255 Durch typisch römische beziehungsweise italische Architekturformen und Bautechniken der frühen Kaiserzeit lassen sich zudem einige indirekte Hinweise auf die in der alexandrinischen Kolonie angesiedelten Militärs ableiten, denn es ist davon auszugehen, dass die Veteranen, die ja offenbar überwiegend aus Italien stammten (Kap. 3), ihnen vertraute Bautraditionen auch in ihrer neuen Heimat zur Anwendung brachten. Hier sei insbesondere auf das Forum im alexandrinischen Stadtzentrum verwiesen, für das eine Senke mittels gewaltiger Aufschüttungen und Substruktionen eingeebnet wurde (Abb. 2 und 23).256 Den Platz beherrschte ein Tempel auf einem hohen Podium, von dem sich im Wesentlichen nur das circa 24 x 16,5 Meter messende Fundament und das Füllmauerwerk des Podiums – beide aus opus caementitium gefertigt – erhalten haben (Abb. 24). Er ist wohl als Peripteros korinthischer Bauordnung zu rekonstruieren.257 Seine Schmalseiten verfügten jeweils über eine Freitreppe und waren im Osten zum Odeion und ›Podiumsaal‹ sowie im Westen prospekthaft zur ›Unteren Agora‹, zum tiefer gelegenen Stadtgebiet und auf das Meer hin ausgerichtet. Bereits die Mächtigkeit des mehr als 8 Meter tief gründenden Fundaments lässt vermuten, dass der Tempel zur ersten Phase des Forums gehörte. Tatsächlich reicht 254 255 256 257

Feuser 2009, S. 118–120 und Feuser 2011, S. 16. Schwertheim 2002. Vgl. hierzu exemplarisch Tanrıöver 2018, Anm. 57. Erste Vorberichte finden sich bei Görkay 1999 und Görkay 2002, der aber noch eine Rekonstruktion als Prostylos favorisiert. Eine knappe Zusammenfassung der späteren Grabungsergebnisse von Hans Wiegartz findet sich online unter (08.01.2020).

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Abb. 24: Baukern des Podiumtempels auf dem Forum von Südosten. © Tobias Esch

die in den Fundamentsondagen entdeckte Keramik nur bis ins späte 1. Jahrhundert v. Chr. beziehungsweise frühe 1. Jahrhundert n. Chr., und auch die erhaltenen Fragmente der Bauornamentik weisen auf eine Ausführung des Gebäudes in augusteischer Zeit hin, womit es sich hier wohl um den ersten römischen Tempel handelt, der in der Colonia Augusta Troadensis errichtet wurde.258 Unklar bleibt dagegen, welche Gottheit beziehungsweise welche Gottheiten man in dem Sakralbau verehrte. Da sich in unmittelbarer Nähe eine Augustalen-Inschrift fand,259 geht Kutalmış Görkay davon aus, dass das Heiligtum Augustus und / oder Caesar zusammen mit der Dea Roma geweiht war.260 Festzuhalten bleibt vorläufig, dass wir es hier mit einem Tempel zu tun haben, der durch sein hohes Podium mit Freitreppen und das verwendete opus caementitium eindeutig römische Bautraditionen aufgriff, der in die Frühphase der alexandrinischen Kolonie gehört und der vielleicht sogar dem Andenken des Koloniegründers dienen sollte.

258 Görkay 1999, S. 9. 16–19 und Görkay 2002, S. 218. 221–226. 259 Schwertheim 1999, Nr. 3. 260 Görkay 1999, S. 22 f. und Görkay 2002, S. 227 f.; skeptisch hingegen Tanrıöver 2018, Anm. 75.

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Abb. 25: Der sogenannte Podiumsaal am Forum von Süden. © Aylin Tanrıöver

Das Forum war einst von Säulenhallen umgeben, von denen zumindest die Süd- und Osthalle noch der ersten Ausbaustufe zuzurechnen sind.261 Hinter jener im Osten lagen mit dem Odeion und dem sogenannten Podiumsaal zwei repräsentative Versammlungsgebäude. Während ersteres zeitlich noch nicht genauer als in die römische Kaiserzeit einzuordnen ist,262 gehört der ›Podiumsaal‹ (Abb. 25) sicher einer frühen Phase der Platzanlage an. Aylin Tanrıöver konnte durch ihre Untersuchungen inzwischen wahrscheinlich machen, dass es sich um eine curia handelte, also den Bau, in dem der Dekurionenrat der Colonia Augusta Troadensis tagte.263 Hierauf weisen 261 Tanrıöver 2018, S. Anm. 48; Heedemann 2006 sowie (16.01.2020). Im Westen bildete eine Kryptoporticus den Übergang von der Forumsterrasse zur tiefer gelegenen ›Unteren Agora‹. Sie überlagert eine (spät-)hellenistische Stoa dorischer Ordnung mit rückwärtigen Ladenlokalen. Vor bzw. auf die Kryptoporticus setzte man eine neue dorische Halle, von der zahlreiche marmorne Bauglieder erhalten sind. Eine genaue Datierung der kaiserzeitlichen Bauten ist bislang nicht möglich; siehe Kiernan 2011; Çobanoğlu 2007 sowie ­Wiegartz / Çobanoğlu 2008, die die neue Marmorhalle aber in das späte 1. bzw. 2. Jh. n. Chr. setzen. 262 Vgl. vorläufig Öztürk 2006 mit vorsichtiger Datierung in das 1. Jh. n. Chr. 263 Zu dieser Deutung und zu einigen weniger plausiblen Optionen siehe Tanrıöver 2018, S. 76–84.

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Abb. 26: Mauerwerk aus opus reticulatum am sogenannten Podiumsaal. © Tobias Esch

die topographische Lage des Gebäudes, seine Größe, der rechteckige Grundriss, die Einlassungen für Schranken am frontalen Eingang und nicht zuletzt das rückwärtige Podium mit flankierenden Treppen hin. Schon angesichts der veränderten politischen und administrativen Rahmenbedingungen ist meines Erachtens davon auszugehen, dass man bald nach der augusteischen Koloniegründung daranging, ein Versammlungslokal für das wichtigste Gremium der neuen Gemeinde zu errichten. Eine solche Datierung in die (frühe) iulisch-claudische Zeit lässt sich durch zahlreiche Hinweise im archäologischen Befund bestätigen: 1.)  Im ›Podiumsaal‹ trat ein überlebensgroßes Porträt des Claudius zutage, dem vielleicht weitere Skulpturenfragmente zuzuordnen sind.264 2.)  In unmittelbarer Nähe zum Gebäude, das heißt an seiner Südwestecke und in einem Durchgang zum Zwölfeckbau, fanden sich – allerdings wohl in Zweitaufstellung – zwei Statuenbasen für Quintilia Apphia aus claudischer Zeit.265 3.)  Die eingangs des Kapitels genannte Bauinschrift würde, sofern sie tatsächlich dem ›Podiumsaal‹ zuzuweisen sein sollte, sogar einen früheren Zeitansatz nahelegen. 4.) Durch eine Sondage vor der Westfront ließ sich erkennen, dass das Gebäude auf einem gewaltigen Fundament ruhte, das aus opus 264 Siehe vorläufig Tanrıöver 2018, S. 73; Taf. 22.  23. Eine eingehende Publikation wird m. W. von Havva İşkan Işık (Antalya) vorbereitet. 265 Siehe hierzu Anm. 245.

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caementitium in zahlreichen Schichten von je circa 60 Zentimetern gegossen wurde und vom Stylobat bis zum abgearbeiteten Fels 5,30 Meter in die Tiefe reicht. Hierfür hatte man anscheinend keine Baugrube ausgehoben, sondern die Niveauunterschiede bei Ausführung des Fundaments sukzessive durch künstliche Aufschüttungen ausgeglichen.266 Damit ist also schon wahrscheinlich, dass der ›Podiumsaal‹ etwa zeitgleich mit dem Tempel und der grundsätzlichen Anlage des Forums entstand. 5.) Dies wird durch die Keramik aus dem Fundamentschnitt gestützt, deren Zeitspektrum im 3./2. Jahrhundert v. Chr. beginnt und in der 1. Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. endet.267 Nicht nur das Fundament des sogenannten Podiumsaales, sondern auch der Kern seines aufgehenden Mauerwerks war aus opus caementitium gefertigt. Dieses verkleidete man sowohl an den Außen- als auch an den Innenseiten mit opus reticulatum (Abb. 26), das heißt mit einer Netzstruktur von Steinen, deren quadratische Schauseiten auf der Spitze stehen. Hierbei handelte es sich um eine Verschalungstechnik, die in Rom, Italien und im Westen des Imperiums regelmäßig anzutreffen ist, sich in der provincia Asia und den anderen Ostprovinzen dagegen eher selten findet.268 Wie der zentrale Tempel ist also auch der ›Podiumsaal‹ sicher in die frühe Kaiserzeit zu datieren, und es lassen sich wiederum typisch römische Bautraditionen greifen, hier alle wesentlichen Elemente einer curia sowie die Verwendung des opus caementitium, aber noch viel mehr des opus reticulatum. Als Träger des Technologietransfers nach Alexandria Troas dürften bei beiden Gebäuden die unter Augustus angesiedelten Veteranen beziehungsweise ihre direkt folgenden Nachkommen zu identifizieren sein. Bemerkenswerterweise lässt sich das opus reticulatum und das eng verwandte opus quasi reticulatum in der alexandrinischen Kolonie auch bei den Hallen im Osten und Süden des Forums,269 bei den Tonnengewölben an der Hauptstraße nördlich des Platzes,270 bei der Struktur H 5 am Hafen271 sowie bei einigen Grabbauten in der Nekropole von Kestanbol Kaplıcası272 beobachten. Einige andere Bauwerke des Forums gehören dagegen erst späteren Ausbaustufen an, etwa ein Brunnen im Meta-Typus östlich des Podiumtempels273 und ein Abwasserkanal, der circa 9 Meter unter der Platzanlage verlief und sich offenbar auch auf weite Teile des übrigen Stadtgebietes erstreckte.274 Beide Anlagen sind vielleicht mit dem Bauprogramm des Herodes Atticus in Verbindung zu bringen, der um 266 267 268 269 270 271 272 273 274

Tanrıöver 2018, S. 62. Tanrıöver 2018, S. 75. Tanrıöver 2018, Anm. 46. 52 mit Verweis auf die weiterführende Literatur. Tanrıöver 2018, S. 76 mit Anm. 53. Tanrıöver 2011, S. 239; Taf. 45, 3. Feuser 2009, S. 39 f.; Taf. 4, 2. Exemplarisch Schulz 2008, S. 631; Taf. 75, 4. 5 sowie Karaca 2007. Feuser 2008. Siehe Esch / Martin 2008, S. 93 mit Taf. 26, 1. 2 sowie ergänzend Tanrıöver 2018, S. 72 mit Taf. 13, 2; Japp u. a. 2011, S. 228 f. mit Taf. 40, 1 und Laporte 2011, S. 269 mit Abb. 32.

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135 n. Chr. die in Kapitel 1 genannte Fernwasserleitung und mit einiger Sicherheit das zugehörige Nymphäum sowie die großen Thermen errichten ließ.275 Etwa in diese Zeit ist ferner der östlich des Forums gelegene Zwölfeckbau zu setzen. Er war mit dem Platz durch einen Zugang zwischen dem ›Podiumsaal‹ und dem Odeion verbunden und wird von den Ausgräbern vorsichtig als prachtvoll gestaltetes Thermenvestibül gedeutet.276 Insbesondere der Baudekor277 weist das Dodekagon der hadrianisch-frühantoninischen Zeit zu; es scheint aber eine bislang nicht näher zu datierende Vorgängerbebauung in diesem Areal gegeben zu haben. Für all diese Bauten – Brunnen, Kanalisation und Zwölfeckbau – ist eine Beteiligung römischer (ex-)Militärs bislang nicht nachzuweisen und angesichts der späten Datierung auch eher unwahrscheinlich.278

9. Konfrontation und / oder Kooperation mit der griechischen Bevölkerung? Abschließend ist den Fragen nachzugehen, welche Auswirkungen die Koloniegründung auf die bereits zuvor in Alexandria Troas ansässige Bevölkerung hatte, wie die Griechen auf die neuen Verhältnisse reagierten und ob es gegebenenfalls Zugeständnisse an diese Personengruppe gab. Zunächst muss konstatiert werden, dass es durch die Veteranenversorgung zwangsläufig zu Enteignungen kam, die bei den Altbesitzern auf Unmut stoßen mussten. Vermutlich hat man dabei sogar gerade bevorzugte Acker- und Weideflächen eingezogen und die griechischen Bauern auf schlechtere Felder abgedrängt.279 Hiervon waren neben den autochthonen Alexandrinern aber auch die Insel Tenedos und deren Peraia betroffen, die Augustus in die Colonia Augusta Troadensis integrierte (Kap. 3). Die Lasten wurden damit also auf mehrere Schultern verteilt. Ferner kann ich mir kaum vorstellen, dass die Expropriationen ersatzlos vonstattengingen, denn

275 Philostr. soph. II 1, 548. Vgl. zuletzt Esch 2018, S. 38–42 mit Verweis auf die ältere Literatur. 276 Giese u. a. 2018. 277 Söldner 2018. 278 Giese u. a. 2018, S. 169 f. ziehen in Erwägung, dass das Dodekagon von Sex. Quintilius Valerius Maximus und seinem Bruder Sex. Quintilius Condianus (zusammen cos.  ord. 151  n. Chr.) errichtet wurde. Diese bekleideten als Angehörige der römischen Reichsaristokratie sicher auch hohe militärische Ämter, die sich bislang aber nicht belegen lassen und im hier behandelten Zusammenhang m. E ohnehin nicht weiter ins Gewicht fallen würden. Selbst wenn es sich beim Zwölfeckbau tatsächlich um eine Stiftung der beiden Brüder handeln sollte, was aktuell höchst spekulativ bleibt, wäre vielmehr zu betonen, dass die Bautätigkeit der alexandrinischen Quintilier durch die Verbundenheit mit ihrer alten Heimatgemeinde sowie ihre Konkurrenz mit den Claudii Attici motiviert gewesen sein dürfte. Vgl. Esch 2018, S. 21–28. 38–42. 279 Vgl. Rizakis 2004, bes. S. 73–81 sowie oben Anm. 76.

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die Alexandriner waren in hellenistischer Zeit stets treue Verbündete Roms280 und hatten sich auch nach Konstituierung der Provinz Asia meines Wissens nichts zuschulden kommen lassen.281 Vielmehr dürften die früheren Besitzer der Ländereien, die man bei der Koloniegründung an die veterani vergab, immerhin durch Geldzahlungen entschädigt worden sein. So rühmte sich Augustus in seinen Res Gestae, für solche Landkäufe in den Provinzen 30 und 14 v. Chr. insgesamt 260 Millionen Sesterzen aus eigenen Vermögen aufgebracht zu haben.282 Der öffentliche Grund und Boden der alexandrinischen Polis fiel dagegen wohl ersatzlos an die neue Kolonie und vielleicht teilweise an deren Bürger (coloni). Durch die Einrichtung der Colonia Augusta Troadensis verlor ein Großteil der griechischen Bevölkerung auch das Recht auf politische Mitbestimmung, denn Voraussetzung für die Aufnahme in die koloniale Bürgerschaft sowie die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts in der Kolonie war das römische Bürgerrecht (civitas Romana), über das in der frühen Kaiserzeit nur wenige Provinzbewohner verfügten. Die peregrine Altbevölkerung von Alexandria Troas bildete großteils wohl eine minderberechtigte Gruppe sogenannter incolae (griechisch: πάροικοι), die in ihrem Rechtstatus den freien und vor Ort ansässigen Fremden entsprachen.283 Epigraphisch zu greifen sind diese incolae durch die kaiserzeitlichen Personen mit rein griechischen Namen.284 Die Trennlinie zwischen coloni und incolae war zwar klar definiert, konnte bei vorhandenen Eignungen, Beziehungen und Ambitionen aber durchaus überwunden werden, da sich das koloniale und zugleich das römische Bürgerrecht durch kaiserlichen Akt und zum Teil auf Fürsprache hochgestellter Römer an Peregrine vergeben ließ.285 280 Exemplarisch sei auf das Hilfegesuch der Alexandriner von 196 v. Chr. und ihre Unterstützung beim Kampf gegen Antiochos III. verwiesen; siehe Kap. 2 und Anm. 20. 281 An den anti-römischen Gräueltaten bei der sog.  Vesper von Ephesos im Jahr 88 v. Chr. scheinen sich die Alexandriner – anders als App. Mithr. 23 für die Bürger des nahen Adramyttion berichtet – nicht beteiligt zu haben. Zumindest prägte die alexandrinische Polis schon ab 85/84 v. Chr. wieder eigene Münzen und konnte ihren Status als civitas libera bewahren; siehe Leschhorn 1993, S. 438 Nr. 25 = Bellinger 1961, Nr. A164 (Jahr 228 der seleukidischen Ära). 282 R.  Gest. div. Aug. 16, 1. Nach 14 v. Chr. wurden die Veteranen übrigens vorrangig mit pekuniären Entlassungsprämien bedacht, für die Augustus in den Jahren 7–2 v. Chr. laut R. Gest. div. Aug. 16, 2 persönlich weitere 400 Millionen Sesterzen zur Verfügung stellte. Ab 5/6 n. Chr. hat man dann alle Kosten der Veteranenversorgung aus dem neu eingerichteten aerarium militare beglichen, dessen Finanzierung durch eine einmalige kaiserliche Stiftung und Steuereinnahmen erfolgte; siehe Cass. Dio LV 24, 9–25, 6; R. Gest. div. Aug. 17, 2 sowie Suet. Aug. 49, 2. 283 Vgl. Rizakis 1998b; Poma 1998 sowie Chastagnol 1996. 284 Siehe die Nachweise bei Ricl 1997, S. 14 f. 285 Das Recht lag in der Republik beim Koloniegründer und in den nachchristlichen Jahrhunderten (zusätzlich) beim Kaiser; siehe exemplarisch Cic. Balb. 48; Cic. Brut. 79 und Dion Chrys. 41, 6. Zu den Civitätsverleihungen im hier behandelten Gebiet siehe grundlegend Holtheide 1983.

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Solche Civitätsverleihungen286 sind in Alexandria Troas epigraphisch zunächst durch neun Personen mit dem kaiserlichen nomen Iulius zu belegen, von denen wenigstens vier auch das praenomen Gaius führten.287 Der Großteil dürfte entweder selbst unter Augustus beziehungsweise in der frühen Kaiserzeit eingebürgert worden sein oder zu den Nachfahren solcher Bürger gehören. Unter späteren Herrschern wurden dann weitere peregrini in den kolonialen populus integriert: Hiervon zeugen wiederum die kaiserlichen Gentilnamen288 von fünf Claudii,289 vier Flavii,290 sechs Aelii291 und wenigstens 32 Aurelii.292 Mit der Constitutio Antoniniana von 212 n. Chr. erhielten aber ohnehin fast alle freien Provinzialen die civitas Romana. Von den Bürgerrechtsverleihungen dürften gerade in der Frühphase der Colonia Augusta Troadensis vorrangig Angehörige der autochthonen Führungsschicht profitiert haben, die durch ihre Privilegierung mit der Koloniegründung ausgesöhnt werden sollten und von denen man zugleich erwartete, dass sie ihren Beitrag zum Aufbau der neuen Gemeinde leisteten. Ein Vertreter ist vielleicht in einem anonymen Priester des Apollon Smintheus zu erkennen, der im Smintheion mit einer griechischen Inschrift geehrt wurde.293 Er übte als flamen Augustorum zusätzlich ein wichtiges Priesteramt im kolonialen Kaiserkult aus, das in der Inschrift für die griechischsprachige Bevölkerung mit ἱερέα [τῶν Σεβα]στῶν τὸν προσ[αγορευόμε]νον φλάμινα näher erläutert wurde und damit wohl auf eine frühe Zeitstellung des Geehrten hindeutet.294 Auch wenn sein Name nicht erhalten ist, lässt die Sprache der Inschrift gemeinsam mit dem erklärenden Passus darauf schließen, dass der Ignotus ebenfalls griechischer Abstammung war.295 Seine Priesterämter weisen ihn nicht nur als Bürger der Colonia 286 Schwertheim 2016, Nr. 2 hat eine griechische Namensliste aus der Colonia Augusta Troadensis publiziert, die er als Verzeichnis von kolonialen Bürgern bzw. Neubürgern deuten und tendenziell sogar in die Frühzeit datieren will. Siehe hierzu aber die Kritik bei Esch 2018, S. 6 f. mit Anm. 38 f. 287 Ricl 1997, Nr. 17.53.74.116–118 sowie Schwertheim 2016, Nr. 3. 288 Teilweise führten die Personen auch mehrere kaiserliche Namen, so dass kaum zu entscheiden ist, welchem Herrscher ihre Familie die Civität zu verdanken hatte. Hier sei nur auf einen Flavius Iulius Aurelius Hermes und seinen Vater Iulius Aurelius Hermes hingewiesen; siehe Ricl 1997, Nr. 53. 289 Ricl 1997, Nr. 66.78.83.92. 290 Ricl 1997, Nr. 53. 63. 291 Ricl 1997, Nr. 83.84.88.129. 136. 292 Ricl 1997, Nr. 46.50.52.53. 94–97. 99–103.129.154; T 160 sowie IGR IV, Nr. 245. Hinzu kommen ggf. noch vier Personen, deren Namen sich aber nicht zweifelsfrei rekonstruieren lassen und die oben daher nicht aufgenommen sind; siehe Ricl 1997, Nr. 91.98.114. Auch der ilische Bürger Αὐρήλιος Μένανδρος in Nr. 50. 51 fand keine Berücksichtigung. 293 Ricl 1997, Nr. 41. 294 So auch Marijana Ricl. Dagegen machte mich Andrew Lepke (Münster) darauf aufmerksam, dass die Buchstabenformen seines Erachtens eher in das 2. Jh. n. Chr. verweisen. 295 Vgl. Filges 2015, S. 26 f. Anm. 207; Filges 2011, S. 149 Anm. 90 sowie Ricl 1997, S. 13 mit Anm. 128.

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Augusta Troadensis aus, er wurde sogar eigens in den römischen Ritterstand erhoben, so dass er über ein beträchtliches Vermögen verfügt haben muss.296 Im Laufe der Zeit wird es zu einer immer stärkeren Durchmischung von coloni und incolae gekommen sein. Hierzu trugen nicht zuletzt Ehen zwischen Angehörigen der beiden Bevölkerungsgruppen teil. Bemerkenswerterweise sind sogar für die bedeutendsten Bürgerfamilien der alexandrinischen Kolonie, das heißt die Quintilii und Iunii Montani, Frauen mit griechischen Namen nachzuweisen: eine Quintilia Apphia, die Tochter eines kaiserlichen Sonderlegaten der iulisch-claudischen Zeit war und selbst wichtige koloniale Priesterämter ausübte, sowie eine [Iun]ia Xanthe des 1./2.  Jahrhunderts n. Chr.297 Eigentlich galt der Grundsatz, dass die Kinder aus Verbindungen zwischen Römern und Nicht-Römern nur über das Personenrecht des schlechter gestellten Partners verfügten, in unserem Fall also jenes der incolae / peregrini.298 Das Privileg zur rechtsgültigen Eheschließung mit Peregrinen konnte allerdings eigens verliehen werden, womit die später geborenen Kinder auch römische Bürger waren.299 Zudem wurde dieses conubium cum peregrinis mulieribus regelmäßig ausgedienten Auxiliarsoldaten und Prätorianern sowie eventuell auch Legionsveteranen zugestanden.300 Gleichwohl müssen die Landenteignungen und die rechtliche Benachteiligung der incolae besonders in der Anfangszeit der Colonia Augusta Troadensis beim Großteil der autochthonen Bevölkerung große Vorbehalte hervorgerufen haben. Von offenen Anfeindungen oder gar gewalttätigen Aufständen ist in Alexandria Troas allerdings nichts bekannt. Anders verhält es sich dagegen bei zwei Städten der caesarischen Ost-

296 Für die equites galt ein Mindestzensus von 400.000 Sesterzen; siehe exemplarisch Hor. epist. 1, 57; Plin. epist. I 19, 2 und Suet. Iul. 33. – Ebenfalls von gewisser Bedeutung war der Asiarch L. Cornelius Pol(l)ianus, dessen Sohn L. Cornelius Iulianus in Alexandria Troas mit einer griechischen Inschrift als Nauarch geehrt wurde (Kap. 5). Aufgrund der Nomenklaturen mit identischen praenomina vermutet Schwertheim 2002, S. 59 f., dass die Familie ihre civitas Romana der Fürsprache eines herausragenden Vertreters der gens Cornelia mit dem Vornamen Lucius zu verdanken hatte. Er denkt dabei vorrangig an einen frühkaiserzeitlichen Nachfahren des berühmten L. Cornelius Sulla oder an L. Cornelius Cinna (PIR 2 C, Nr. 1338), der als Quästor des Jahres 44 v. Chr. dem P. Cornelius Dolabella eine Kavallerieeinheit in die Provinz Asia zuführen sollte. Die Inschrift für die alexandrinischen Lucii Cornelii wird in AE 2002, Nr. 1383 und SEG 52, 2002, Nr. 1179 allerdings erst in das 2.  Jh. n. Chr. datiert. 297 Siehe Schwertheim 2008, Nr. 2 und Ricl 1997, Nr. 124; vgl. auch Esch 2018, S. 5 sowie Kuhn 2012, S. 441. 298 Ulp. reg. 5, 7–9 und Gai. inst. 1, 78. Allgemein zum conubium siehe Treggiari 1991, bes. S. 43–51 sowie Kaser 1971, S. 75. 315. 299 Ulp. reg. 5, 4. 300 Letzteres ist in der Forschung allerdings umstritten; siehe Vittinghoff 1986, S. 541–544 sowie konträr Behrends 1986, S. 117–119; Mirković 1986, S. 169–171 und Wolff 1974, S. 480. 507–510.

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kolonisation:301 So berichtet Strabon für das nordkleinasiatische Herakleia ­Pontike, dass ein gewisser Adiatorix, dem der griechische Teil der Stadt unterstand, die römischen Kolonisten kurz vor der Schlacht von Actium angriff und töten ließ,302 was letztlich die Auflösung der colonia von Herakleia zur Folge hatte. An Adiatorix’ Aktion dürften sich die peregrinen Herakleoten auch selbst beteiligt haben, denn sie standen den Römern spätestens seit dem 3. Mithradatischen Krieg feindlich gegenüber. 73  v. Chr. hatten sie die vor Ort ansässigen publicani und negotiatores ermordet,303 woraufhin römische Truppen ein Blutbad in Herakleia anrichteten.304 Der von Adiatorix angeführte Überfall wird zwar nicht unwesentlich auf diese alten Konflikte sowie die Gründung der neuen Kolonie und die damit einhergehenden Verluste der griechischen Einwohner zurückzuführen sein. Den aktuellen Anlass und gegebenenfalls auch ausschlaggebenden Grund lieferten aber wohl die innerrömischen Auseinandersetzungen zwischen Marcus Antonius und Octavian, die in Herakleia als ›Stellvertreterkrieg‹ ausgetragen wurden.305 Die griechischen Bürger von Buthroton leisteten sogar von Beginn an Widerstand gegen die Einrichtung einer römischen Kolonie, die noch von Caesar in der epirotischen Stadt geplant worden war. Zunächst versuchten die Buthrotier, die Ausführung durch einen Appell an Cicero zu verhindern, dessen Freund Titus Pomponius Atticus ein Landgut in Buthrotons Chora besaß. Atticus hatte der Stadt eine große Geldsumme geliehen, deren Rückzahlung durch die geplante Koloniegründung gefährdet schien.306 Von Caesar erhielt Cicero noch die Zusage, dass die bereits entsandten Kolonisten an einen anderen Ort umgeleitet werden sollten, doch fühlte man sich nach den Iden des März 44 v. Chr. in Rom nicht mehr an die Absprache gebunden. Cicero unternahm daraufhin diverse neue Vorstöße, die Deduktion noch von Buthroton abzuwenden.307 Durch diese Patronage und die unklaren Verhältnisse nach Caesars Tod sahen sich die Buthrotier offenbar darin bestärkt, sich im Frühsommer 44 v. Chr. den ankommenden Kolonisten gewaltsam entgegenzustellen und sie mit ihrem deductor Lucius Plotius Plancus zumindest vorerst in die Flucht zu schlagen.308 Dauerhaft verhindern konnte die autochthone Bevölkerung die Konstituierung der

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Zum Folgenden vgl. Rizakis 2004, S. 81–85. Strab. XII 3, 6. Memnon FGrH 434 F 27, 5 f. Memnon FGrH 434 F 35, 5–9. Zu Herakleias Rolle im 3. Mithradatischen Krieg vgl. Bittner 1998, S. 103–107. Während Adiatorix laut Strabon Parteigänger des Antonius war, unterstützten die römischen Kolonisten in Herakleia vermutlich Octavian, da sie als Klienten des Koloniegründers Caesar auch dessen Adoptivsohn verpflichtet waren. Zu ähnlichen Klientelverbindungen in Aphrodisias vgl. Millar 1973, S. 56 f. Cic. Att. 16, 16 a. Vgl. auch Bergemann 1998, S. 16. 67–73. Cic. Att. 16, 16 a–f. Cic. Att. 15, 29.

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Colonia Iulia Buthrotum allerdings nicht.309 Möglicherweise wurde sie wegen ihres Widerstandes sogar (teilweise) aus ihrer Heimat vertrieben. Erhebliches Konfliktpotential dürfen wir außerdem für all jene Städte der caesarisch-augusteischen Kolonisation in Kleinasien vermuten, in denen neben den römischen coloniae verkleinerte Poleis mit griechischer Verwaltung fortbestanden, etwa im bereits erwähnten Herakleia Pontike.310 Solche Doppelgemeinden hat man meines Erachtens vor allem dort zugelassen, »wo die Kolonisten nur eine kleine Minderheit bildeten und damit weder in der Lage waren, eine effiziente Administration des gesamten Gemeinwesens zu gewährleisten, noch sich gegen eine einheimische Bevölkerung zu behaupten, die ihnen aufgrund erlittener Enteignungen ohnehin wenig freundlich gesinnt war und die bei einem Verlust ihrer Selbstverwaltung bzw. ihres Bürgerrechts wohl in offenen Widerstand getreten wäre.«311 Das Zitat stammt aus einer Studie von 2008, in der ich die Existenz einer Doppelgemeinde für Alexandria Troas anhand des mir damals zur Verfügung stehenden Quellenmaterials noch ausgeschlossen habe.312 Die Frage wurde aufgrund eines epigraphischen Neufundes aus dem alexandri­ nischen Stadtzentrum von Matthias Haake 2011 erneut zur Diskussion gestellt.313 Die griechische Ehreninschrift für den kaiserzeitlichen Sophisten Lucius Flavius Stlaccius314 nennt einen Ratsbeschluss (βουλῆς ψήφισμα), der im Namen einer Τρωαδέων πόλις gefasst wurde. Während der Terminus βουλή keine Probleme bereitet, da er als griechisches Äquivalent für den lateinischen Begriff ordo decurionum hinlänglich belegt ist,315 überrascht die Angabe des Stadtnamens, denn bei einem offiziellen Dokument der Colonia Augusta Troadensis würde man eigentlich erwar-

309 Zu den ersten Kolonialprägungen siehe RPC I, Nr. 1378. 1379. 310 Hinzu kommen weitere Doppelgemeinden in Sinope sowie in Ikonion und Ninika-Klaudiopolis; siehe Esch 2008 mit Diskussion der relevanten Quellen und Sekundärliteratur. 311 Ebenda, S. 216. 312 Ebenda, S. 207 f.; ähnlich Kuhn 2012, S. 427 mit Anm. 27; Ricl 1997, S. 12 sowie Mitchell 1979, S. 438. 313 Haake 2011, bes. 147 f. 151 f.; vgl. auch Römhild 2011, S. 172 mit Anm. 76. 314 Diesen Sophisten habe ich oben bei den flavischen Neubürgern der Colonia Augusta Troadensis übrigens nicht berücksichtigt, da er Bürger von Sardis war. 315 Ricl 1997, S. 12 f. und Ricl 2000, S. 130 zu den alexandrinischen Inschriften. Zu ergänzen ist SEG 55, 2005, Nr. 1321. Eine Quellensammlung zu anderen Kolonien findet sich bei Mason 1974, S. 31. 123. Aus CIL III, Nr. 6886 geht übrigens unzweifelhaft hervor, dass mit der dort genannten βουλή der Dekurionenrat der Colonia Iulia Augusta Prima Fida Comama gemeint ist. – In den römischen Kolonien der Ostprovinzen war Latein zwar Amtssprache, doch sind auch offizielle Inschriften in griechischer Sprache bekannt, meist aus religiösem oder agonistischem Kontext; vgl. exemplarisch Levick 1967, S. 133–137 für die Colonia Caesarea Antiochia. In dieser Kolonie fanden griechische Amtsbezeichnungen sogar Eingang in lateinische cursus-Inschriften; siehe ILS, Nr. 5081 (agonothetes); ILS, Nr. 7199 (grammateus) sowie Ramsay 1924, S. 198 Nr. 32 (gymnasiarchos).

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ten, dass diese ihren privilegierten Rechtstatus als römische Kolonie durch einen Terminus wie κολωνία oder ἀποικία316 auch explizit zum Ausdruck gebracht und sich nicht als Polis bezeichnet hätte.317 Haake führt in diesem Zusammenhang auch eine griechische Grabinschrift aus Alexandria Troas an, für deren Aufstellung eine angeblich 500 Ratsherren umfassende βουλή und eine Musikervereinigung verantwortlich zeichneten.318 Der Text sei in die Debatte um eine potenzielle Doppelgemeinde in Alexandria einzubeziehen, da sich die genannte Zahl der βουλευταί nicht mit den üblichen Größen kolonialer Dekurionenräte vereinbaren lässt.319 Für die zweite Inschrift hat aber schon Marijana Ricl zu bedenken gegeben, dass sie seit langer Zeit als verloren gilt und dass der fragliche Passus [οἱ  τῆς] φ’ βουλῆς [βουλευταί] vermutlich auf eine Falschlesung zurückgeht.320 Der Text ist allein durch einen anonymen Kopisten der frühen Neuzeit überliefert; bereits der Ersteditor R ­ ichard Pococke hat den Grabstein nicht gesehen.321 Bislang unbeachtet blieb nach meiner Kenntnis eine simple Lösung des oben genannten Widerspruchs, denn das Anstoß erregende Zahlzeichen Phi (Φ = 500) ließe sich plausibel durch das im Schriftbild sehr ähnliche Rho (Ρ  =  100) ersetzen, das mit den überlieferten Mitgliederzahlen kolonialer Ratsversammlungen vollkommen in Einklang stehen würde. Falls die Angabe von 500 Ratsherren doch korrekt sein sollte, könnte man alternativ mit Ricl davon ausgehen, dass im Text die βουλή einer ganz anderen 316 Dies gilt zumindest für Engelmann / K nibbe 1989, § 44 (Ἀποικίας Σεβαστὴς Τρωάδος) und ggf. auch für Frisch 1975, Nr. 111 (τῆς κολω[νίας ---]), wenn diese Inschrift Alexandria Troas zuzuordnen sein sollte. Hier sei ferner auf einige kleinasiatischen Kolonien verwiesen, die in offiziellen Dokumenten als κολων(ε)ία bzw. ἀποικία bezeichnet werden: Zu Parion siehe Ful 2013, Nr. 7 sowie Frisch 1983, T 103. Zu Sinope siehe French 2004, Nr. 101. Zu Antiochia siehe IGR III, Nr. 302. Zu Kremna siehe Horsley / Mitchell 2000, Nr. 34.35.39–42. Zu Komama siehe CIL III, Nr. 6886. Zu Lystra siehe Laminger-Pascher 1992, Nr. 218. Zu Ikonion siehe IGR III, Nr. 1478. Vgl. zusätzlich das Verzeichnis bei ­Mason 1974, S. 108 f., der aber z. T. auch Texte privater Natur angibt. 317 Die kaiserzeitlichen Grabinschriften Ricl 1997, Nr. 94.98.99.102.111.129.153.154.156 mit Nennung einer πόλις können nicht als Beleg für den Fortbestand einer griechischen Gemeinde herangezogen werden, da man bei diesen privaten Texten nicht von einem juristisch exakten Sprachgebrauch ausgehen darf. Vgl. Mitchell 1979, S. 413 Anm. 29; S. 438. – Dagegen handelt es sich bei Ricl 1997, Nr. 42 um eine offizielle Inschrift, für die in Z. 8 περὶ τὴν [πόλιν] rekonstruiert wurde. Hier wäre m. E. aber ebenso gut κολωνίαν bzw. alternativ ἀποικίαν zu ergänzen; vgl. Esch 2008, Anm. 61. 318 Ricl 1997, Nr. 140. 319 Anders als in der Forschung oft angegeben wird, gab es bei den kolonialen (und munizipalen) Stadträten keine Standardgröße von 100 Ratsherren, auch wenn sich diese Zahl häufig nachweisen lässt. Tatsächlich schwankten die Mitgliederzahlen m. W. zwischen 30 und etwas mehr als 100 decuriones; vgl. Mouritsen 1998 sowie Nicols 1988. Dagegen finden sich in den kaiserzeitlichen Poleis oftmals mehrere Hundert βουλευταί. 320 Ricl 1997, S. 13. 321 Pococke 1752, S. 40 Nr. 1.

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Polis gemeint ist.322 In beiden Fällen sind aus dem Epitaph keine Anhaltspunkte auf den Fortbestand einer selbstverwalteten griechischen Gemeinde in Alexandria abzuleiten. Damit bleibt allein die neue Sophisten-Inschrift, und auch diese liefert letztlich nur ein schwaches Indiz und keinen schlagenden Beweis für die Existenz einer Doppelgemeinde.323 So scheint der alexandrinische ordo decurionum bei seinem Text auf zwei ähnliche Ehreninschriften zurückgegriffen zu haben, die die griechischen Poleis (!) von Thessalonike und Byzantion zuvor für Stlaccius aufgestellt hatten.324 Zu beachten ist ferner, dass sich römische Kolonien im Osten sogar in offiziellen Dokumenten bisweilen mit dem Terminus πόλις bezeichneten. Dies gilt beispielsweise in Kleinasien für die Colonia Caesarea Antiochia325 sowie in Griechenland für die Colonia Laus Iulia Corinthus326 und die Colonia Augusta Aroe Patrensis,327 neben denen meines Wissens nach den Koloniegründungen keine Poleis fortlebten. Dass es sich beim ›pisidischen‹ Antiochia um ein einziges Gemeinwesen römischer Rechtstellung handelte, ergibt sich für die Zeit um 92/93 n. Chr. sogar eindeutig aus einem statthalterlichen Edikt, das in seinem Wortlaut klar – aber eben auch nur – zwischen coloni und incolae differenziert.328 Bürger einer vermeintlichen Restpolis werden dagegen nicht erwähnt. Da bei der augusteischen Kolonisation in Kleinasien die Doppelgemeinden mit wohl nur zwei von elf Städten seltene Ausnahmen bildeten,329 tendiere ich weiterhin stark zu der Annahme, dass die Colonia Augusta Troadensis bei ihrer Einrichtung die alexandrinische Polis vollumfänglich ersetzte und Letztere für immer aufgelöst wurde.

322 Gleichwohl rekonstruiert Ricl 1997, Nr. 140 in Zeile 5: [β]ουλευ[τὴν Ἀλεξα]νδρείας. 323 Vgl. die Kriterien bei Esch 2008, S. 200. Zuletzt hat Tanrıöver 2018, S. 81–83 mit Anm. 91 in Erwägung gezogen, dass die beiden Versammlungsgebäude am alexandrinischen Forum, d. h. der sog. Podiumsaal und das Odeion, zwei unterschiedlichen Stadträten als Sitzungsorte dienten: dem ordo decurionum und einer griechischen βουλή. Während Tanrıövers Funktionsbestimmung des ›Podiumsaales‹ als curia überzeugen kann, ist für das Odeion m. E. vorrangig an andere Nutzungen zu denken, etwa an musische Aufführungen. Damit ergeben sich aus dem archäologischen Befund ebenfalls keine belastbaren Hinweise auf den Fortbestand einer griechischen Polis in Alexandria Troas. 324 Man beachte den Passus καὶ ὑπὸ Θεσσαλονεικέων καὶ Βυζαντίων ὁμοίως τετειμήμενον in Zeile 6–8. 325 Ramsay 1906, S. 340 Nr. 18 Z. 1 f. sowie Engelmann u. a. 1980, Nr. 1238. 326 Kent 1966, Nr. 116.502.510. 327 Rizakis 1998a, S. 31. 299–301 Nr. 364. 365; SEG 18, 1962, Nr. 557 sowie IG V 1, Nr. 524. Vgl. auch Mitchell 1979, S. 437 f. und Mason 1974, S. 11 mit zusätzlichen Quellen für Dion und Aquileia. 328 Wiemer 1996. Vgl. auch Esch 2008, S. 209–211 mit Anm. 76. 79 und Levick 1967, S. 72– 76. 329 Siehe Anm. 310.

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Auch wenn die Konstituierung der alexandrinischen Kolonie für die autochthone Bevölkerung eine tiefe und überwiegend schmerzliche Zäsur darstellte,330 hat sie sich anscheinend nicht dagegen gewehrt. Die griechische Führungsschicht dürfte sich angesichts der oben genannten Civitätsverleihungen auch relativ schnell mit den neuen Verhältnissen arrangiert haben. Einblicke in die Perspektive der einfachen Altbevölkerung zu erlangen, ist dagegen ungleich schwerer. Vermutlich reagierte sie mit einem Rückzug ins Private und einer (verstärkten) Fokussierung auf die Religion. So ist etwa hinsichtlich des Kultes für Apollon Smintheus zu konstatieren, dass von den zwölf kaiserzeitlichen Weihinschriften für den Gott sowie den vier Ehreninschriften für seine Priester und Propheten insgesamt zwölf, das heißt drei Viertel, in Griechisch verfasst sind.331 Die Texte nennen 18 Personen, von denen wenigstens elf peregriner beziehungsweise libertiner Herkunft waren oder in der mütterlichen Linie Griechen zu ihren Vorfahren zählten, was einem ebenfalls hohen Anteil von 61,1 Prozent entspricht. Dies verdeutlicht, dass der bereits von Homer332 besungene Apollon Smintheus auch nach der Koloniegründung vorrangig von der griechischsprachigen Bevölkerung verehrt wurde und dass die römischen Neusiedler und ihre Nachfahren anscheinend keine bestimmende Rolle im Kult spielten. Gleichwohl berief sich die Colonia Augusta Troadensis in ihrer öffentlichen Selbstdarstellung, das heißt in ihrer Münzprägung, ebenfalls auf Apollon Smintheus. Nicht weniger als 38 der aktuell 68 bekannten Reverstypen333 zeigen den Gott beziehungsweise seine Kultstatue (Abb.  27), seinen Haupttempel beim modernen Gülpınar, seine Attribute oder Szenen seiner Kultlegende.334 Sie rekurrieren in erheblichem Maße auf Münzbilder des hellenistischen Alexandria Troas (Abb. 28)335 und der klas330 Gleichwohl konnten die incolae von der Privilegierung der alexandrinischen Kolonie durch das ius Italicum und der damit verbundenen Befreiung von den in Kap. 3 genannten Kernsteuern insofern profitieren, als das italische Recht nicht an Personen gebunden war, sondern an den Boden und damit im gesamten Territorium der Kolonie galt; vgl. Bleicken 1974, S. 368–373. Bemerkenswerterweise konnte das ius Italicum in Ausnahmefällen auch an Städte peregriner Rechtsstellung vergeben werde, etwa an das kilikische Selinus /  Traiano­polis; siehe Dig. L 15, 1, 11. 331 Schwertheim 2008, Nr. 2; Schwertheim 1999, Nr. 2; Özhan 2015, Nr. 1. 2.4.6 sowie Ricl 1997, Nr. 41.43.63–68. Die von Ricl unter Nr. 64 a angeführte Inschrift gehört vielleicht noch in die hellenistische Zeit, und es ist zudem unsicher, ob es sich überhaupt um eine Weihung an Apollon handelt. 332 Hom. Il. 1, 39. 333 Bei der Gesamtzahl sind die 63 Typen bei Bellinger 1958, die beiden Typen bei Burnett 1998; der Typ bei Filges 2015, S. 213 mit Abb. 324; Kat. 73 sowie die beiden neuen Typen mit einem bzw. zwei pflügenden togati bei Lucchelli 2017 und Burnett / Martin 2018 berücksichtigt. 334 Bellinger 1958, Typ 1–34. 43–45 sowie der oben in Anm. 143 genannte Typus. Vgl. auch Lohmann 2002, S. 40–48. 50–53. 55 sowie Filges 2015, S. 138–146. 261 f. 335 Exemplarisch Bellinger 1961, S. 80 f. Nr. A21–24 zu den ersten Prägungen der alexandrinischen Polis mit Darstellung des Apollon Smintheus sowie S. 99 Nr. A153 zum hier abgebildeten Exemplar.

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Abb. 27: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (253–268 n. Chr.): Apollon Smintheus mit Opferschale, Bogen und Köcher – COL AVG TROAD. © American Numismatic Society, 1944.100.43746

Abb. 28: Revers einer Tetradrachme der alexandrinischen Polis (104/103 v. Chr.): Apollon Smintheus mit Opferschale, Bogen und Köcher  – AΠOΛΛΩNOΣ ZMIΘEΩΣ, unten AΛEΞANΔΡΕΩΝ ΗΡΟΔΙΚΟ[Y], im Feld links ein Monogramm, rechts ΣΘ (= Jahr 209 der seleukidischen Ära). M 1 : 1. © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18257312, Foto: Bernhard Weisser

sischen Vorgängersiedlung von Hamaxitos (Abb. 29).336 Der erste kaiserzeitliche Vertreter, der in Kapitel  5 vorgestellte Typus aus vespasianischer Zeit, mag zwar erst circa 80 bis 100 Jahre nach Einrichtung der Kolonie emittiert worden sein, doch bleibt zu berücksichtigen, dass man zuvor ohnehin nur das sulcus primigenius-Motiv verwendet hatte und dass für die spätere iulisch-claudische Zeit eine gewisse Prägelücke zu konstatieren ist.337 Den neuen Typus und die nachfolgenden Münzen mit Bezug zum Apollon Smintheus könnte man daher – nicht nur, aber eben auch – als Konzession oder sogar als freiwilliges Angebot an die peregrine Bevölkerung verstehen, die im religiösen Bereich weiterhin am öffentlichen Leben teilhaben und sich trotz der erlittenen Verluste mit ihrer Heimat identifizieren sollte. Zwei der oben genannten Münztypen zeigen neben der Statue des Apollon Smintheus einen jugendlichen Herrscher, der inzwischen gemeinhin als Alexander der Große identifiziert wird.338 Beide Typen propagierten eine vermeintliche StadtAbb. 29: Revers einer Bronzemünze der klassischen Vorgängersiedlung Hamaxitos (4. Jh. v. Chr.): Apollon Smintheus mit Opferschale, Bogen und Köcher  – ΑΜΑΞΙ, im Feld Monogramm. M 1 : 1 © gallica.bnf.fr / Bibliothèque Nationale de France, Département Monnaies, Médailles et Antiques, btv1b85121187

336 BMC Greek Coins, Troas etc., S. 56 Nr. 1–3. 337 Vgl. Kap. 3 und bes. Anm. 92. 338 Bellinger 1958, Typ 10. 12, hier noch als römischer Kaiser bezeichnet. Zum Folgenden grundlegend Weiß 1996, S. 157–165. Vgl. auch Lohmann 2002, S. 48–50 sowie Filges 2015, S. 87 f. 139 f. 142 f. 254 f.

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Abb.  30: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (251–253 n. Chr.): Alexander d. Gr. opfert vor der Statue des Apollon Smintheus, oben fliegender Adler mit Stierkopf. – AVGO TR. M 1 : 1 © Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, 18214400, Foto: Reinhard Saczewski

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Abb. 31: Revers einer Bronzemünze der Colonia Augusta Troadensis (253–260 n. Chr.): Fliegender Adler mit Stierkopf  – COL AVG TRO. M 1 : 1 © Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Seminar für Alte Geschichte, 11722; Foto: Johannes Eberhardt

gründung durch den berühmten Makedonenkönig, der auf den Prägungen opfernd (Abb. 30) beziehungsweise reitend und mit zum Gruß erhobener Hand abgebildet ist. Die Interpretation beruft sich nicht unwesentlich auf einen fliegenden Adler, der über der Opferszene des abgebildeten Typs erscheint und einen Stierkopf in seinen Fängen hält. Er soll Alexander einst den Ort für seine (fiktive) Stadtgründung angezeigt haben. Das Detail findet sich raumfüllend auch bei fünf weiteren Münztypen der Kaiserzeit (Abb. 31)339 sowie eingebettet in ein komplexes Münzbild, das singulär unter Maximinus Thrax verwendet wurde und dessen Sinngehalt sich bislang nicht vollständig entschlüsseln lässt (Kap. 7). Interessanterweise setzten die ersten Emissionen unter Commodus ein,340 das heißt just in der Zeit, als das Motiv des sulcus primigenius – zumindest nach aktuellem Forschungsstand – letztmals auf den Prägungen der alexandrinischen Kolonie Verwendung fand.341 Gaben also die kolonialen Entscheidungsträger die Erinnerung an die römische deductio zugunsten einer angeblich altehrwürdigen, tatsächlich aber fingierten Gründungslegende auf? Skeptisch stimmt zunächst, dass sich der Mythos erst recht spät und anfänglich nur im numismatischen Befund greifen lässt. Die frühesten und zugleich einzigen literarischen Zeugnisse, drei dem Menander Rhetor zugeschriebene Musterreden, stammen aus dem späten 3. Jahrhundert n. Chr.342 Zudem gab die Colonia Augusta Troadensis bis zum Ende ihrer Prägetätigkeit Münzen heraus, die durch Darstellungen der Lupa Romana, des Marsyas und des Genius generell die romanitas der Gemeinde und ihrer Bürgerschaft hervorhoben beziehungs-

339 Bellinger 1958, Typ 46–50. 340 Bellinger 1961, Nr. A194. 203–205.217.219.226. Lohmann 2002, S. 103 Nr. 9 gibt für Typ 10 allerdings schon ein (fragliches?) Exemplar aus der Zeit des Mark Aurel an. 341 Siehe Anm. 95. 342 Men. Rh. II 388, 6–12; 426, 12. 22–24; 429, 1; 444, 2–12.

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weise durch Abbildung des vexillum konkret auf die militärische Sozialisation der ersten Siedler hinwiesen (Kap. 7).343 Die oben genannten Alexander-Typen sind eher in einem größeren Kontext zu sehen, denn ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. griffen die im griechischen Osten gelegenen coloniae bei ihren Münzen verstärkt lokale Gottheiten und Mythen auf, um sich durch diese Alleinstellungsmerkmale aus dem Standartrepertoire der Kolonialprägungen abzuheben.344 Hierfür bot sich den Alexandrinern der Bezug zum Eponym Alexander geradezu an, da dieser in der griechisch-römischen Welt weithin Verehrung genoss und bekanntlich auch von vielen Kaisern als Vorbild imitiert wurde.345 Die Belange der incolae / pregerini mögen dabei zwar eine gewisse Rolle gespielt haben, dürften letztlich aber eher von untergeordneter Bedeutung gewesen sein.

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343 Bemerkenswert ist jedoch, dass bei dem in Anm. 218 genannten Genius-Typ durch das lokal konnotierte Attribut der Apollon-Statuette römische und griechische Traditionen zusammengeführt wurden. Ähnliches gilt in gewissem Maße auch für die Darstellungen der Stadtpersonifikation mit vexillum; siehe Anm. 223. 225. 344 Vgl. exemplarisch Filges 2015, bes. S. 331 f.; Daubner 2014, bes. S. 112 sowie Papageorgiadou-Bani 2004, S. 59–71. Ein solcher Fokus ist – wenig überraschend – auch bei den kleinasiatischen Polis-Prägungen greifbar; vgl. Ziegler 1998; Ziegler 1985; Harl 1987; Strubbe 1984–1986 sowie Weiß 1984. 345 Vgl. die Literatur in Anm. 163 und 165.

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Ein langes Mittelalter Städtische Befestigungen in Südwestdeutschland 1500–1620 und ihr Kontext Christian Ottersbach

Der Titel dieses Beitrages ist absichtlich etwas provokant formuliert, denn unser Blick auf die Befestigungen der Renaissanceepoche ist bis heute oftmals immer noch von einem entwicklungshistorischen Ansatz geprägt, also der Frage danach, was neu und innovativ zu jener Zeit war, um damit die Grenze zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit zu betonen. Doch wir verlieren dabei gerne aus dem Blick, dass eben nicht im Jahr 1450 oder 1500 mit einem Schlag eine neue Epoche begann, sondern wir es mit einer Transitionszeit zu tun haben, die neben allen bekannten Innovationen eben auch immer noch eine spätmittelalterliche Welt darstellte, und dies trifft auch und gerade auf den Befestigungsbau zu. Die übliche Lesart, wie sie in Handbüchern seit dem 19. Jahrhundert verbreitet wird, geht – verkürzt und überspitzt dargestellt – so: Auf hohe mittelalterliche Mauern folgten im frühen 16. Jahrhundert Befestigungen mit niedrigen Erdwällen und Rondellen, wenig später die aus Italien stammende Bastionärbefestigung. Dies wurde ausgelöst durch die Einführung von pulvergetriebenen Waffen, deren Geschossen die älteren Mauern nicht mehr standhalten konnten und das Ende der mittelalterlichen Burgen und Stadtmauern bedeutet hätten. Folglich steht den mittelalterlichen Mauern konträr die neuzeitliche Befestigung für Feuerwaffen gegen Feuerwaffen gegenüber. Und doch ist nichts so einfach, wie es manche – nicht nur populärwissenschaftliche – Bücher vorzugaukeln scheinen. Liebgewordene Bilder müssen neu überdacht werden, das hat nicht nur in jüngerer Zeit Stephan Hoppe1, sondern zuletzt Thomas Biller sehr anschaulich in seinem zweibändigen Werk »Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen« vorgeführt, in dem er sehr ausführlich auf die Veränderungen der Kriegstechnik und ihre Auswirkungen auf den Befestigungsbau im Spätmittelalter eingegangen ist. So wurden noch im 15. und sogar 16. Jahrhundert beispielsweise die Stadtmauern oftmals nicht erniedrigt, sondern ganz im Gegenteil erhöht, um die dahinter liegenden Gebäude vor Beschuss zu sichern.2 1 Stephan Hoppe: Artilleriewall und Bastion. Deutscher Festungsbau der Renaissancezeit im Spannungsfeld zwischen apparativer und mediale Funktion. In: Jülicher Geschichtsblätter Bd. 74/5 (2006/2007), S. 35–64. 2 Thomas Biller: Die mittelalterliche Stadtbefestigung im deutschsprachigen Raum. Ein Handbuch. I. Systematischer Teil, Darmstadt 2016, S. 267 u. 269 f.

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Wer Stadtbefestigungen zwischen dem Ende des 15. Jahrhunderts und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges in ihrer Vielzahl betrachtet, wird einen überraschenden Befund machen: Die auf mathematisch-geometrischen beruhende Befestigung mit Bastionen fand sich bis um 1620 nur in den selteneren Fällen, hingegen entstanden noch um 1600 zum Beispiel im fürstbischöflich-würzburgischen Unterfranken unter Julius Echter von Mespelbrunn Stadtbefestigungen, die auf Formen der älteren Befestigungstradition zurückgriffen, als gäbe es keine Bedrohung durch schwere Artillerie.3 Sie bestanden aus hohen turmbewehrten Mauern, die freilich zum Einsatz von Handfeuerwaffen und leichtem Geschütz eingerichtet waren, aber auf jede Aufstellungsmöglichkeit schwererer Artillerie verzichteten und einem mit eben solcher gut gerüsteten Angreifer perfekte Ziele dargeboten hätten. Betrachten wir generell den deutschsprachigen Raum des Heiligen Römischen Reiches, so fällt auf, dass sich die tatsächlich bastionär befestigten Städte hier leicht an zwei Händen abzählen lassen. Zu den frühen Beispielen, die seit den 1540er Jahren entstanden, zählen Dresden, Graz, Jülich, Klagenfurt, Küstrin und Wien und nach massiven Umbaumaßnahmen einer älteren Rondellbefestigung auch Kassel.4 Andernorts wurden nur einzelne Bastionen angefügt, so in Augsburg, Leipzig, Straßburg oder Ulm. Hier war die Bastion mehr eine offenbar als modern empfundene Form der Streichwehr zur Flankierung einzelner Kurtinenabschnitte. Sie war noch nicht Bestandteil eines einheitlichen Verteidigungskonzeptes aus sich gegenseitig deckenden Werken im Sinne des Bastionärsystems. Es dauerte also, bis die »nichtmathematische Festung«5 nicht nur im Südwesten durch die auf der Grundlage von Geometrie und Mathematik Bastionärfestung abgelöst wurde. Das Bastionärsystem konnte sich tatsächlich erst kurz vor beziehungsweise während des Dreißigjährigen Krieges endgültig im Reich durchsetzen, weil es in Form der sogenannten altniederländischen Manier nun rascher und kostengünstiger zu verwirklichen war als bisher mit gemauerten Ohrenbastionen italienischen Typs. In zahlreichen Darstellungen deutscher Städte in den Topographiebänden Martin Zeillers und Matthäus Merians finden sich Darstellungen dieser oftmals provisorisch errichteten Befestigungen nach niederländischer Manier, die sich vergleichsweise rasch und kostengünstig anlegen ließen. Ein Blick nach Südwestdeutschland zeigt nun die ganze Spannbreite der Möglichkeiten zur Befestigung von Städten zwischen 1500 und 1620 – und zeitigt erstaun3 Vgl. hierzu Barbara Schock-Werner: Die Bauten im Fürstbistum Würzburg unter Julius Echter von Mespelbrunn 1573–1617. Struktur, Organisation, Finanzierung und künstlerische Bewertung, Regensburg 2005, S. 61 f. u. 344–351. 4 Grundlegend zur Entwicklung bastionärer Fortifikation in Europa und im Reich Thomas Biller: Die Wülzburg. Architekturgeschichte einer Renaissancefestung, unter Mitwirkung von Daniel Burger, München / Berlin 1996, S. 1–37. 5 Vgl. hierzu Stephan Hoppe: Die nichtmathematische Festung und ihr medialer Untergang. Eine pluralistische Sicht auf die Geschichte der renaissancezeitlichen Militärarchitektur in Mitteleuropa. In: Bettina Marten / Ulrich Reinisch / Michael Korey (Hrsg.): Festungsbau. Geometrie – Technologie – Sublimierung, Berlin 2012, S. 86–106.

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Abb. 1: Schwäbisch Hall, Südfront der Stadtbefestigung mit Streichwehrturm und Langenfelder Tor © Eigene Darstellung

liche Befunde, denn hier entstanden vor 1600 keine kompletten Bastionärfestungen, auch wenn es Bestrebungen gab wie in Schorndorf Rondellbefestigungen durch Umbauten zu adaptieren.6 Hingegen ist eines zu konstatieren: die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Das angeblich so effiziente, viel modernere Bastionärsystem, Ausweis der neuzeitlichen Fortifikation, brauchte im deutschen Südwesten nämlich recht lange bis zu seiner endgültigen Durchsetzung. Und ältere Modelle der Befestigung waren keinesfalls in den Augen der Zeitgenossen von heute auf morgen obsolet. Es kam darauf an, für welchen Zweck und gegen welchen Feind sie errichtet werden sollten. Eine geradlinige Entwicklung hat es also nicht gegeben, und man mag überrascht sein, wie lange sich quasi Traditionelles hielt, weil es offenbar als effektiver für die eigenen Bedürfnisse erachtet wurde. Dieses Traditionelle reichte allerdings gar nicht so weit zurück. Denn realiter haben der Burgen- wie auch der Stadtmauerbau östlich des Rheines erst um 1400 eine wehrtechnische Revolution erlebt, die weiter westlich und nordwestlich schon im 12. Jahrhundert stattgefunden hatte: die Einführung von flankierenden Bauten wie Türmen zur Bestreichung der Mauerfluchten und von Zwingern vor den Haupt6 Vgl. hierzu Werner Fleischhauer: Renaissance im Herzogtum Württemberg, Stuttgart 1971, S. 30–32.

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mauern und den Toranlagen.7 Während schon im hochmittelalterlichen Frankreich und England hochkomplexe Verteidigungssysteme für Armbrust- und Bogenschützen entstanden, hinkte die Entwicklung im deutschen Kulturraum damals noch weit hinterher. Tatsächlich nämlich wurden viele Türme erst nachträglich im 15. und 16. Jahrhundert an ältere Stadtmauern angesetzt.8 Seit dem frühen 15. Jahrhundert gehörten Flankierungstürme und Zwingermauern auch in Süddeutschland zum Standard – einem Standard, der bis ins frühe 17. Jahrhundert hinein Bestand haben sollte. Frühe Zeugnisse von Zwingerbauten mit Schalentürmen zur Flankierung bieten verschiedene Burgen und Städte am unteren Neckar und in Franken.9 Ein hervorragendes Beispiel hierfür stellt die Reichsstadt Schwäbisch Hall dar. Die Stadt hat auf den Bau großer Geschütztürme verzichtet, sicherte aber ihre vorhandene Zwingerbefestigungen durch weitere, teilweise hohe Streichwehrtürme wie den hufeisenförmigen Wetzelturm an der Südostecke der Gelbinger Vorstadt und vor allem die Hauptangriffsseite im Süden gegen das Gebiet der eng benachbarten Herrschaft Limpurg. Hier entstanden 1515 nicht nur ein hoher äußerer Torturm mit Torzwinger vor dem Inneren Langenfelder Tor, sondern zwei viereckige Streichwehrtürme, der Pechnasen- und der Mantelturm, die man beide vor die ältere Zwingermauer setzte.10 Sie erhielten zahlreiche Schlüsselscharten und auf drei Seiten je zwei nebeneinander angebrachte Wehrerker zur Verteidigung des Turmfußes. Der Pechnasenturm ist über einen eingeschossigen Hals mit Schlüsselscharten, der als Streichwehr quer zum Zwingerraum gelegt ist, mit der inneren Mauer verbunden. Weitere viereckige Streichwehranlagen entstanden zur selben Zeit mit dem Mühlbollwerk im Verlauf der Gelbinger Vorstadt und noch 1526 am Weiler-Tor in der Vorstadt »Jenseit Kochen«. Wie lange man an spätmittelalterlichen Formen festhielt, zeigt dabei die erst 1543 erfolgte Anlage des Neutors jenseits des Grabens vor dem Limpurger Tor, einem Torturm mit niedrigerem Vortor, dem noch 1563 ein zweites Vortor angefügt wurde.11 Solche in die tiefe gestaffelten Torbefestigungen sollten vor allem der Abwehr von Sturmangriffen dienen.

7 Christian Ottersbach: Türme, Kaponnieren und Bastionen  – Flankierungselemente der mittelalterlichen Burg in Mitteleuropa. In: Joachim Zeune (Hrsg.): »Dem Feind zum Trutz«. Wehrelemente an mittelalterlichen Burgen (Veröffentlichungen der Deutschen Burgenvereinigung e. V., hrsg. v. Europäischen Burgeninstitut – Einrichtung der Deutschen Burgenvereinigung, reihe B: Schriften, Bd. 14), Braubach 2015, S. 189–204. 8 Biller (wie Anm. 2), S. 268 f. 9 Vgl. hierzu Christian Ottersbach: Türme, Zwinger, Senkscharten. Überlegungen zu frühen Feuerwaffenbefestigungen am Unteren Neckar und in Unterfranken. In: Neues zur Burgenerfassung und Burgenforschung in Baden-Württemberg. Beiträge der Tagung in Esslingen am Neckar 10.  bis 12.  November 2016 (Burgenforschung. Europäisches Correspondenzblatt für interdisziplinäre Castellologie Bd. 4, 2018), Marburg 2018, S. 205–254. 10 Eduard Krüger: Die Stadtbefestigung von Schwäbisch Hall, Schwäbisch Hall 1966, S. 57– 63 u. 66–68. 11 Ebd., Abb. 7 u. S. 70–73, 105–107 u. 117.

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Abb. 2: Esslingen, sog. Burg, Grundriss 1889 © Eduard Paulus, Die Kunst- und Altertums-Denkmale im Königreich Württemberg. Inventar Neckarkreis, Esslingen 1889.

Wie nah beieinander innovative und vermeintlich atavistische Elemente stehen konnten, verdeutlicht das Beispiel der Reichsstadt Esslingen. Sie hatte 1519 eine erfolglose Belagerung durch Herzog Ulrich von Württemberg auszustehen. Er hatte die Stadt von den nahegelegenen Höhen beschießen lassen. Dabei hatte sich die militärische Bedeutung des Schönenbergs gezeigt, eines Berges im Norden der Stadtanlage, der aus gutem Grund schon im 13. Jahrhundert in den Mauerring einbezogen worden war: Von hier aus konnten die Verteidiger die umliegenden Höhen unter gezieltes Feuer nehmen. In den Jahren nach 1519, spätestens nach 152512 sicherte 12 Es mangelt an Schriftquellen, welche die Baugeschichte der »Burg« erhellen könnten. Es gibt nur zwei Baudaten am Komplex selbst, einmal im Scheitel eines Türbogens zu einer Kasematte in der nordwestlichen Kurtine (1529) und zum andern über dem sog. Kohltor (1531), das den Zugang und die Heranführung von Mannschaften und Artilleriematerial aus der Stadt durch eine ältere, hochmittelalterliche Schildmauer ermöglichte. Eine jüngst unter Bewuchs zum Vorschein gekommene Baufuge an der Ostkurtine verrät, dass der Ausbau der Befestigungen auf dem Schönenberg im Westen bzw. Nordwesten in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts begonnen haben könnte, dann

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Abb. 3: Esslingen, sog. Burg, Ostkurtine mit Schartennischen zur Aufstellung von Kanonen auf der Innenseite © Eigene Darstellung

man das Plateau durch eine weitläufige Zwingeranlage mit insgesamt vier Geschütztürmen. An beherrschender Stelle – übrigens gut sichtbar an einer Hangkante hoch über dem Neckartal – errichtete man das zentrale Bollwerk, den sogenannten Dicken Turm mit einem Durchmesser von 19 Metern und bis zu 5,20 Meter dicken Mauern. Er war so eingerichtet, dass auf allen vier Etagen der Einsatz schwerer Geschütze möglich war, denn Scharten und Nischen sind ausreichend groß für deren Aufstellung konzipiert. Entlang der Ostflanke dieser sogenannten Burg errichtete man eine Batteriestellung, über der – und hier zeigt sich ein völlig traditionell gedachtes Konzept – ein Wehrgang als Schützengalerie angelegt wurde, der heute nach Osten über den Oberen Turm an der Nordostecke fortgesetzt wurde und schließlich mit der Errichtung des Dicken Turmes an der Südwestecke um ca. 1530 herum geendet hat. Zur Burg vgl. Christian Ottersbach: Die Esslinger »Burg«. Eine reichsstädtische Befestigungsanlage als Sinnbild bürgerlicher Macht. In: Marburger Correspondenzblatt zur Burgenforschung, Heft 1 (1997/98), S. 13–22. Zum Ausbau des älteren Seilergangs um 1500 s. Burghard Lohrum: Die Esslinger Burgstaffel. Bauforschung als Basis für ein Sanierungskonzept, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 37 (2008), Heft 3, S. 134–139.

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Abb. 4: Kirchheim unter Teck, Grundriss der Stadtfestung im 17. Jahrhundert mit Zwinger und Streichwehren © Mayer: Aus Kirchheims Vergangenheit, Kirchheim 1913.

aber nicht mehr erhalten ist, nur ein Maueransatz der Brustwehr ist noch sichtbar. Wir haben es also mit einer herkömmlichen, allerdings besonders dicken Stadtmauer zu tun, die einen Wehrgang trug, aber im unteren Teil mit Geschützscharten ausgestattet wurde. Herzog Ulrich, der 1519 Esslingen belagert hatte, verlor in jenem Jahr sein Herzogtum im Krieg mit dem Schwäbischen Bund und konnte dieses erst 1534 in der Schlacht bei Lauffen mit hessischer Hilfe zurückgewinnen. Er entfaltete danach ein umfangreiches Bauprogramm zur Sicherung seines Territoriums gegen die katholischen Mächte im Süden und Südosten Württembergs, das sein Sohn Chris-

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Abb. 5: Reutlingen, Eisturm am ehemaligen Zwinger, nach 1519 © Eigene Darstellung

toph nach 1550 konsequent fortsetzte.13 Neben fünf Burgen wählte man auch die Städte Schorndorf und Kirchheim unter Teck zur Neubefestigung aus. Ihre Werke unterschieden sich in erheblichem Maße voneinander – und man ist versucht anzunehmen, dass man in Kirchheim noch etwas unbeholfen herumexperimentierte, während in Schorndorf ein damals hochmoderner Festungsbau entstand, der dem aktuellen Standard mit Wallkurtinen, niedrigen Streichwehren im Graben und großen Rondellen an den Eckpunkten zur Aufstellung von Kanonen entsprach. Vor der Kirchheimer Stadtmauer verlief ein Zwinger des 14. Jahrhunderts.14 Dieser wurde nun mit fünf lediglich zweigeschossigen, halb- und dreiviertelrunden Streichwehrtürmen zur Flankierung der Fronten verstärkt. Sie ermöglichten aber nur den Einsatz von Hakenbüchsen.15 Das unterschied die Kirchheimer Befestigung nicht sehr von jenen Fortifikationen, die man in den Jahren nach 1519 zumindest in Teilen um die Reichsstadt Reutlingen errichtet hatte. Auch dort gab es Streichwehrtürme über halbrundem und rundem Grundriss mit Maulscharten, die mitunter 13 Zum Bau der württembergischen Landesbefestigung im 16. Jahrhundert vgl. Hans-Martin Maurer: Die landesherrliche Burg in Wirtemberg im 15. und 16. Jahrhundert. Studien zu den landesherrlich-eigenen Burgen, Schlössern und Festungen (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B Forschungen, 1. Bd.), Stuttgart 1958, S. 82–105, sowie Fleischhauer (wie Anm. 6), S. 19–32. 14 Rainer Kilian (Hrsg.): Kirchheim unter Teck. Marktort, Amtsstadt, Mittelzentrum, Kirchheim unter Teck 2006, S. 154. 15 Zu Kirchheim vgl. Werner Fleischhauer: Die Befestigung der Stadt Kirchheim im 16. Jahrhundert. In: Schwäbische Heimat 2 (1969), S. 139–148, sowie Kilian (wie Anm. 14), S. 259–265.

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erstaunlich hoch waren, zumindest gemessen von der Sohle des wohl mehr als vier Meter tiefen Grabens. Diverse Befunde sprechen dafür, dass die Türme nicht nachträglich einer bestehenden Zwingermauer des 14. oder 15. Jahrhunderts angesetzt, sondern mit dieser im Verbund errichtet wurden, wir es also mit einer einheitlichen Befestigungsmaßnahme zu tun haben, die in Folge des württembergischen Überfalls auf Reutlingen umgesetzt wurde. In diesem Rahmen erhielten auch die Tortürme, so das Tübinger Tor laut Inschrift 1528, neue Maulscharten. Zu den Reutlinger Besonderheiten zählt ein immer wieder bei Grabungen angeschnittener teils gewölbter, teils mit Steinplatten gedeckter schmaler Gang, der hinter der Zwingermauer verlief und offenbar zumindest einige der Streichwehrtürme miteinander verband16, womit sich in Reutlingen ein Konzept findet, das sich in ähnlicher Form schon an Stadtbefestigungen und Burgen im fränkischen Gebiet, so in Vellberg und auf den Burgen Möckmühl und Amlishagen in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts finden lässt.17 Damit wurden sowohl in Reutlingen wie Kirchheim noch in der ersten Hälfte des 16.  Jahrhunderts Fortifikationen umgesetzt, die seit dem frühen 15.  Jahrhundert einen Standard im Befestigungsbau Schwabens bildeten. Doch in einem unterschied sich die Kirchheimer Befestigung von Reutlingens Mauern: Um die Stadt gegen Artilleriefeuer zu sichern, wurde rund um Kirchheims Graben ein sogenannter Erdenberg gezogen, ein hoher Wall. Der bot zwar anders als in Schorndorf keinerlei Aufstellungsfläche für Artillerie und war auch nicht durch einen zusätzlichen Graben gesichert, konnte aber immerhin als Deckwerk gegen direkten Artilleriebeschuss dienen. Deutlich durchdachter ist die Befestigung von Schorndorf, die unter dem Einfluss hessischer Berater entstand, welche Landgraf Philipp dem Herzog zur Verfügung gestellt hatte. Der Landgraf hat maßgeblich auf den Festungsbau Einfluss genommen, zumal er mit Ulrich die Stadt umritt, um mit ihm die Befestigung zu besprechen. Philipp selbst besaß mit Gießen, Kassel und Ziegenhain drei ausgesprochen stark ausgebaute, hochmoderne Stadtfestungen. Hohe Erdwälle mit Rondellen umgaben diese Städte. Doch auch dort fand sich, wie übrigens auch in der bayerischen Festung 16 Zu Reutlingen vgl. Alois Schneider: Reutlingen (Archäologischer Stadtkataster BadenWürttemberg, Bd. 23), Esslingen 2003, S. 72, 134 u. 141, sowie Linda Gaiser: Die Reutlinger Stadtmauer – Schutz, Repräsentation, Ressource. In: Reutlinger Geschichtsblätter NF 56 (2016), S. 9–66, hier S. 35, 37–45 u. 56 f. 17 Christian Ottersbach / Jörg Wöllper: Ausgewählte Frühfestungen in Baden-Württemberg. Eine Nachlese zum Festungsführer. In: Festungsjournal 50 (2017) S. 26–55., hier S. 29 f., 40 u. 45, sowie Iris Schneider: Burg Amlishagen. Baugeschichte der Anlage aufgrund der archäologischen Untersuchungen (Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg, H. 38), Stuttgart 1996. Ein solcher schmaler Kasemattengang existiert auch auf der Ravensburg bei Sulzfeld im Kraichgau, dort wurde er offenbar beim Wiederaufbau der Burg durch den Reichsritter Bernhard Göler ab 1547 angelegt. Vgl. hierzu Nicolai Knauer: Ravensburg – mittelalterliche Burg und neuzeitliche Festung. Historische und bauliche Entwicklungsgeschichte der Ravensburg in Sulzfeld. Sonderdruck aus Kraichgau 19 – Beiträge zur Landschafts- und Heimatforschung, Heilbronn o. J.

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Abb. 6: Ingolstadt, Rekonstruktion der Ziegelbastei mit Streichwehr und vorgesetztem Zwinger samt Streichwehr im Graben und zwei Streichwehren zur Anbindung des Bollwerkes an die Stadtmauer des 14. Jahrhunderts © Wilhelm Waetzoldt: Dürers Befestigungslehre. Berlin 1916.

Ingolstadt mit der Streichwehranlage vor der Ziegelbastei und den Ringmauern am Fuß des Bollwerks beim Frauenhaus und dem Münzberg-Bollwerk ein spätmittelalterliches Relikt, das sich offenbar bewährt hatte: Lief um die inneren Mauern üblicher Weise ein Zwinger, so wurde dieser nun mitunter auch am Fuß der mächtigen neuen Erdwälle zur Nahverteidigung beibehalten. Die tief im Graben versteckten Zwingermauern wurden durch Streichwehren flankierend verteidigt. In Ingolstadt bildeten die Befestigungen überdies einzelne, verteidigungsfähige Abschnitte für den Nahkampf mit stürmenden Feinden. Über rückwärtige Streichwehren, die den inneren Graben bestrichen, waren drei von ihnen an die ältere Ringmauer angeschlossen. Hier zeigt sich das Erbe des 15. Jahrhunderts besonders deutlich. Es existierten also zwei Verteidigungsebenen: der Wall mit den Rondellen für den Fernkampf mit dem groben Geschütz, der schweren Artillerie, und die Infanteriemauer mit den Streichwehren zur Abwehr von Sturmangriffen mittels Hand- und Hakenbüchsen sowie leichter Artillerie, welche in Ingolstadt allerdings auf die Basteien und Vorwerke der Tore beschränkt blieben und diese damit zu kleinen, in sich untergliederten Festungen innerhalb der Gesamtumwallung machten. Das unter anderem in Kursachsen, Hessen und Bayern umgesetzte Konzept der Wallbefestigung mit Rondellen, Streichwehren und Infanteriemauern im Graben fand in einer Variante in Schorndorf seine Umsetzung. Vor der hochmittelalterlichen Stadtmauer wurde unter Herzog Ulrich ein breiter Wall aufgeworfen, dessen fünf

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Abb. 7: Schorndorf, Ansicht der Stadt von Norden 1773 © Foto: Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sammlung Karten und Graphik Schefold fol. 6942

Ecken mit Bollwerken in Rondellform besetzt wurden. Am Fuß der Mauern entlang laufende Zwingermauern gab es in Schorndorf zwar nicht, aber niedrige Streichwehren, mit denen längere Kurtinenabschnitte entlang der Wassergräben bestrichen werden konnten. Die Arbeiten an diesen Werken dauerten inklusive steter Erneuerungen und Anpassungen bis in die neunziger Jahre des 16.  Jahrhunderts an.18 Doch bei aller Innovation, die der Schorndorfer Festungsbau für Schwaben bedeutete, so gab es doch gewisse Merkwürdigkeiten, welche den Nutzen der so ausgefeilten Befestigung quasi konterkarierten. Erstaunlicher Weise wurden die Stadttore nämlich mitten durch die Fronten der Bollwerke gelegt, was bedeutet, dass sie nicht durch benachbarte Werke unter Flankenfeuer genommen werden konnten. Es wäre sinnvoller gewesen, die Tore in die Kurtinen oder wenigstens in die Flanken der Rondelle zu legen, um diesen eine möglichst gute Deckung im Falle eines Sturmangriffes zu geben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass das Rondell hier den älteren Torturm als Repräsentationsbau einfach abgelöst hat. Es ging offenbar auch um Schauwerte des neuen Festungsbaus, der die militärische Stärke des Landesherrn demonstrierte. Mit den mächtigen Erdwällen von Schorndorf entstand eine Festung, welche den Anforderungen des damaligen Wehrbaus weitgehend entsprach und sich vielerorts im Reich fand, so nicht nur in Hessen, sondern auch beispielsweise mit Wittenberg im Kurfürstentum Sachsen oder Wolfenbüttel im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg, um nur zwei Beispiele zu nennen. Häuser und ältere Stadtmauer verschwanden in Schorndorf hinter den Werken und waren so gegen Artilleriebeschuss gedeckt. Man verzichtete nun auf hohe Türme, wie auch das Beispiel Kirchheim zeigt, wo auf Befehl Herzog Ulrichs der in die Stadtbefestigung einbezogene Kirchturm er18 Zu Schorndorf vgl. Fleischauer (wie Anm. 6), S. 30–32, sowie Alois Schneider: Schorndorf (Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg, Bd. 36), Stuttgart 2011, S. 78–84. Jüngst: Lea Wegner: Hessische Einflüsse am Bau der Landesfestung Schorndorf?  – Die Wochenberichte der Schorndorfer Bauverwaltung der Jahre 1538–1540. In: Frühe Festungen im deutschen Südwesten 1450–1620, hg. v. d. Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e. V. (Festungsforschung, Bd. 13). Regensburg 2022, S. 203–218.

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Abb. 8: Trochtel­ fingen, Hoher Turm © Eigene Darstellung

niedrigt werden musste, um feindlicher Artillerie kein Ziel zu bieten.19 Das entsprach ziemlich genau zeitgenössischen Forderungen, wie sie sich auch in den theoretischen Werken zum Festungsbau finden lassen. Doch andernorts interessierte diese Prämisse offenbar nicht. Wenn in Schorndorf Erdrondelle als repräsentative Torbauten dienten, so muss es nicht verwundern, wenn in dem kleinen gräflich-werdenbergischen Residenzstädtchen Trochtelfingen die Forderung nach möglichst wenig Angriffszielen für feindliche Kugeln geradezu konterkariert wurde. Hier entstand wohl noch in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein enorm hoher Geschützturm an der feldseitigen Ecke der Stadtburg und damit am höchsten Punkt der Stadt. Er war ursprünglich sogar noch um zwei 19 Fleischhauer (wie Anm. 15), S. 141.

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Abb. 9: Nördlingen, Löpsinger Tor, Stadtseite © Eigene Darstellung

Geschosse höher als heute.20 Die Schießscharten werden von Kanonenkugeln gerahmt, ein äußerst martialischer Gestus, der auf die Stärke und Standhaftigkeit des Festungswerkes verweist. Noch auffälliger erscheint das Beispiel Nördlingen: Während man zum Beispiel in Ulm beim Umbau der Stadtbefestigung zu einem breiten, gemauerten Artilleriewall mitunter die alten hohen Tortürme erniedrigte21, wurden in Nördlingen seit 1566 die 20 Die Trochtelfinger Stadtbefestigung ist bis heute nur unzureichend erforscht, genaue Baudaten liegen nicht vor. Vgl. hierzu Friedrich Hossfeld / Hans Vogel / Walther Genzmer (Bearb.): Kreis Sigmaringen (Die Kunstdenkmäler Hohenzollern, Bd. 2), Stuttgart 1948, S, 378 f. 21 Zu Ulm s. Emil von Loeffler: Geschichte der Festung Ulm, Ulm 1881, S. 67–76; Jonathan Scheschkewitz / Hans Lang: Bis zur Sohle des Ulmer Stadtgrabens, in: Archäologische

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Tortürme – teilweise als hohe Zylinder – neu aufgeführt, die Geschützplattformen tragen. Die kleinen Torzwinger wurden zu Streichwehren umgebaut, die ebenfalls Geschützplattformen erhielten.22 Der Torturm war aber ein nur allzu wirkmächtiges Zeichen als Teil der Stadtbefestigung und damit reichsstädtischer Hoheit, das man offensichtlich nur ungerne aufgab. Thomas Biller hat in diesem Zusammenhang von sogenannten »Wahrzeichentürmen« gesprochen.23 Unter diesem letzteren Aspekt ist auch die Platzierung des Dicken Turms in Esslingen an der »Ecke« des Berges gut sichtbar über dem Neckartal zu verstehen. Vor allem aber konnten hohe Türme tatsächlich eine zentrale Funktion bei der Verteidigung erfüllen: Nicht nur, dass man Belagerungsarbeiten und feindliche Bewegungen von hier aus bestens beobachten konnte, nein, von der Höhe des Turmes ließen sich auch die feindlichen Batterien und Laufgräben gezielt unter Feuer nehmen. Türme erfüllten damit jene Funktion, die sonst den sogenannten Kavalieren, Aufbauten auf Wällen und Bastionen, zukam. Und noch etwas zeigt das Beispiel Nördlingen. Der jüngere, zwischen 1372 und circa 1390 errichtete Mauerring besaß zwar Tortürme, aber keine flankierenden Mauertürme. Damit war die Nördlinger Befestigung wehrtechnisch nicht viel weiter als beispielsweise die hochmittelalterlichen Stadtmauern der Zähringergründungen Freiburg oder Villingen. Ihre flankierenden Türme erhielt die Nördlinger Stadtmauer erst in einer zweiten Bauphase ab 1395, vor allem aber im 16. oder gar erst 17. Jahrhundert, indem man Türme gegen die Mauer setzte!24 Während im Herzogtum Württemberg Kirchheim und Schorndorf zu zentralen Waffenplätzen des Landes ausgebaut wurden, hat man die Befestigungen anderer Landstädte keineswegs vernachlässigt. Die Landesherrschaft hat sich hierbei auch an den Kosten beteiligt, so in Heidenheim, Tübingen und natürlich der Residenzstadt Stuttgart, wo die Stadtbefestigung tatsächlich erst 1564 bis 1567 in ihrem steinernen Ausbau vollendet wurde.25 Und auch hier entstanden keine großen Geschütztürme, sondern lediglich kleine Rund- und Vierecktürme zur Bestreichung der Mauern mit Handfeuerwaffen, wie das Beispiel des Schellenturms, letzter erhaltener Stadtturm Stuttgarts, belegt. Ältere Stadtmauern wiederum erhielten zwar keine mächtigen Bollwerke, wurden aber dennoch stets erneuert und Türme wie Brustwehren zum Einsatz von Handfeuerwaffen nachgerüstet. Ein gutes Beispiel bietet

22 23 24 25

Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2011, Stuttgart 2012, S. 257–260, sowie Dominik Sieber: Die Reformation der Stadtmauer. Reichsstädtische Befestigungsanlagen in Ulm und den oberschwäbischen Nachbarstädten zwischen Transformation und Innovation im 16. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 77 (2018), S. 129–162. Hermann Kessler: Die Stadtmauer der Freien Reichsstadt Nördlingen, Nördlingen 1982, S. 72–74. Biller (wie Anm. 2), S. 142–145. Ebd., S. 268 f. Maurer (wie Anm. 13), S. 142 f., sowie Fleischhauer (wie Anm. 6), S. 33.

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Herrenberg, Geburtsstadt des Baumeisters Heinrich Schickhardt. Er war als württembergischer Hof- und Landbaumeister für eine Vielzahl von Baumaßnahmen zuständig. Vor allem aber ist er als technischer Ingenieur und als Architekt von Schlössern und protestantischen Kirchenbauten in Erinnerung geblieben. Doch auch mit dem Befestigungswesen hat er sich intensiv beschäftigt; so war er immer wieder auch mit Projekten zur Sicherung württembergischer Amtsstädte betraut, darunter Lauffen am Neckar, für dessen Befestigung er 1619 ein Gutachten abgab und im Jahr darauf einen  – heute verlorenen  – Plan zur Verstärkung entwarf.26 Für die Modernisierung der Mauern seiner Heimatstadt Herrenberg fertigte er 1613 Grundrissskizzen.27 Ein aus Sandstein gebauter Schießerker an der Ecke beim Fruchtkasten dürfte auf Schickhardts Ideen zurückgehen, zeigt er doch eben diese Ecke in seinen Skizzen. Hier entsteht kein großer, moderner Festungsbau an strategisch wichtigem Ort, sondern hier wird die Mauer einer Landstadt nachgerüstet, die Schutz vor Überfällen gewähren sollte. Das Beispiel macht deutlich, dass auch eine ältere Befestigung noch ihren Wert hatte und man sich zu deren Verbesserung recht traditioneller Elemente bediente, die eben ledig- Abb. 10: Herrenberg, Schießerker am lich eine Verteidigung mit Handfeuerwaffen Fruchtkasten © Eigene Darstellung zuließen. Ähnliches lässt sich für die Markgrafschaft Baden belegen. Ausführlicher, weil besonders bezeichnend, sei hier die Verstärkung der Stadtmauern von Ettlingen vorgestellt: Aufhänger für den Ausbau der Befestigung war die Erweiterung des Schlosses, als

26 Alois Schneider / Norbert Hofmann / A ndrea Neth / Uwe Gross: Lauffen am Neckar (Archäologischer Stadtkataster Baden-Württemberg, Bd. 38), Stuttgart / Esslingen 2014, S. 117–119. 27 Roman Janssen: Herrenberg. In: Sönke Lorenz / Wilfried Setzler (Hrsg.): Heinrich Schickhardt. Baumeister der Renaissance. Leben und Werk des Architekten, Ingenieurs und Städteplaners, Leinfelden-Echterdingen 1999, S. S. 172–179, hier S. 175–176.

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man 1546 bis 1548 dessen Südflügel errichtete.28 Seine beiden kräftigen Rundtürme deuten darauf hin, dass die Anlage zu einer kastellförmigen Zitadelle mit Geschütztürmen an den Ecken ausgebaut werden sollte. Der Neue Flügel wurde über den älteren Stadtgraben gestellt, das Wasser unter ihm hindurchgeführt. Dies bedeutete, dass man eines neuen Grabens zur Sicherung des Schlosses auf der Feldseite bedurfte. Die Stadtbefestigung auf dem Südufer des Flüsschens Alb wurde daher mit dem sogenannten Zingel, einem dem alten Graben vorgelegten Wall, und einem zweiten, teilweise nassen Graben umgeben. Den von Futtermauern gefassten Wall schloss auf der Feldseite eine Mauer mit Scharten für Handfeuerwaffen ab. Im Süden lag das Schlosstor als autarker Zu- und Ausgang der landesherrlichen Stadtburg; es wurde eigens durch eine kleine flankierende Streichwehr gesichert.29 Eine ähnliche, aber größer dimensionierte Anlage sprang im Osten aus dem Wall in den Schneller vor. Weitere Flankierungsbauten existierten nicht. Allerdings wurde der Albeinlass durch ein eigenständiges Werk gesichert, aus dem gegen Osten ein längliches, schmales Rondell aussprang und so die Flankierung des Flüsschens und eines Mühlkanals wie auch der anschließenden Mauerpartien ermöglichte. Dieser Streichwehr entsprach ein Gegenstück im Westen am Albauslass.30 Ein älterer Turm »Gans« auf dem Nordufer wurde 1558 zu einer halbrunden Streichwehr ausgebaut. Er flankierte den inneren Mauerzug nach Süden und die östliche Neustadtmauer nach Norden.31 Bei Kanalisationsarbeiten wurde 1927 ein Teil des Walles ergraben und dabei an der Nordwange des Vortores am Badener Tor ein Stein mit der Jahreszahl 1569 aufgefunden, der darauf hinweist, dass zumindest der westliche Abschnitt dieser Befestigung damals fertiggestellt wurde32, also nur wenig später als die Vollendung der Stuttgarter Stadtbefestigung. Offenbar aus Sicherheitsgründen wurden im Zuge dieser Umbauten zwei Tore aufgegeben und vermauert. Als Ersatz wurde das 1589 erstmals erwähnte Pforzheimer Tor neu geschaffen. Es besaß eine kleine Barbakane aus zwei niedrigen Rundbzw. Halbrundtürmen, die ein äußeres Tor mit Fallgatterlauf auf der Kontereskarpe flankierten, ein Baukonzept des 15. Jahrhunderts, das im Rahmen der Modernisierung von Stadtbefestigungen durchaus aber auch noch im fortgeschrittenen 16.  Jahrhundert zur Anwendung gelangen konnte. Der westliche der beiden Türme sprang in den Graben zurück und ermöglichte so als Streichwehr die Flankierung der Kontereskarpe und des Grabens aus einer hier befindlichen Kasematte.33

28 Hans Paul Stemmermann: Die Ettlinger Stadtbefestigung. In: Arnold Tschira / Rüdiger Stenzel (Hrsg.): Das Mittelalterliche Ettlingen. 7.–14. Jahrhundert, Karlsruhe 1968, S. 133– 149, hier S. 140. 29 Ebd., S. 140–142. 30 Ebd., S. 142. 31 Ebd., S. 146–148. 32 Ebd., S. 142. 33 Ebd., S. 142–146.

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Abb. 11: Ettlingen, Flankierungsturm am Pforzheimer Tor © Hans Paul Stemmermann: Die Ettlinger Stadtbefestigung, in: Arnold Tschira u. Rüdiger Stenzel (Hrsg.): Das Mittelalterliche Ettlingen. 7.–14. Jahrhundert (Geschichte der Stadt Ettlingen und ihrer Menschen, Bd. I b), Karlsruhe 1968.

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Abb. 12: Bad Urach, Webervorstadt, Dicker Turm © Eigene Darstellung

Ettlingen war eine der bedeutenden Städte der Markgrafschaft Baden-Durlach und wurde offenbar gerade deshalb besonders gesichert. Ein ähnliches, noch späteres Vorgehen dieser Art lässt sich für die württembergische Amtsstadt (Bad) Urach feststellen. Um 1599 wurde hier auf Befehl Herzog Friedrichs I. – vermutlich nach eine Plan Heinrich Schickhardts – die Webervorstadt angelegt.34 Sie wurde befestigt und statt Bastionen oder Türmen über bastionärem Grundriss, die man in jener Zeit durchaus erwarten könnte, entstanden gedrungene runde Geschütztürme, die überdeutlich an die Bauten Herzog Ulrichs aus der ersten Jahrhunderthälfte erinnern. Auch hier zeigt sich das Streben nach martialischer 34 Roland Deigendesch: Urach. In: Sönke Lorenz / Wilfried Setzler (Hrsg.): Heinrich Schickhardt. Baumeister der Renaissance. Leben und Werk des Architekten, Ingenieurs und Städteplaners, Leinfelden-Echterdingen 1999, S. S. 326–331, hier S. 327–330.

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Abb. 13: Trochtelfingen, Plan der Stadtbefestigung 1788 © Friedrich Hossfeld, Hans Vogel u. Walther Genzmer (Bearb.): Kreis Sigmaringen (Die Kunstdenkmäler Hohenzollern, i. A. d. Landeskommunalverbandes d. Hohenzollerische Lande, hrsg. v. Walther Genzmer, Bd. 2), Stuttgart 1948.

Repräsentation, wenn die Scharten getreppte Gewände erhielten, die wiederum abgerundet sind. Diese dienten nicht nur als Kugelfang, sondern waren eindeutig auch Schmuckelement. Man verzichtete also auf die hochmoderne Bastionsform, sondern griff auf ein offenbar bewährtes Element der Befestigung aus der ersten Jahrhunderthälfte zurück, und dies an einem Ort, dem strategisch besondere Qualitäten zukamen, sperrt die Stadt Urach doch eines der Täler der Schwäbischen Alb und damit eine der wichtigen Aufstiegstraße. Es bildete dabei eine Einheit mit der oberhalb gelegenen, seit dem 15. Jahrhundert stark ausgebauten landesherrlichen Burg Hohenurach, die zu den zentralen Festungen des Landes zählte. Das Bastionärsystem hingegen fand in Schwaben zwar in den großen Stadtfestungen wie Ulm allmählich Aufnahme, erfuhr aber gerade in der Provinz oftmals eigentümliche Umsetzungen. Das zeigt nochmals ein Blick nach Trochtelfingen: Die bisher werdenbergische Residenz war nach dem Erlöschen der Grafen in fürstenbergischen Besitz gelangt. Die Fürstenberger haben in der zweiten Hälfte des 16. oder im frühen 17. Jahrhundert – genaue Daten liegen bisher nicht vor – versucht die Neubefestigung zu vollenden.35 Es entstand ein teilweise dreifacher Mau35 Hossfeld / Vogel / Genzmer (wie Anm. 20), S. 359 f. u. 378 f. Die Befestigung Trochtelfingens ist bisher nicht eingehend bauhistorisch, archäologisch und archivalisch untersucht worden.

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Abb. 14: Trochtelfingen, Südbastion, Feldseite © Eigene Darstellung

erring in bastioniertem Trace – allerdings boten die Bastionen offenbar keine große Aufstellungsfläche für Kanonen, das einzige erhaltene Beispiel zeigt lediglich Reste einer Brustwehr mit Scharten für Handfeuerwaffen! Stattdessen handelte es sich um einen teilweise dreifachen Mauerring über bastionärem Grundriss. Dabei fällt auf, dass sich die einzelnen Werke nicht wirklich richtig gegenseitig decken konnten, die Winkel falsch angelegt. Es war kaum möglich, wie es das Bastionärsystem verlangt, die einzelnen Facen, das heißt die Fronten der Bastionen, mit flankierendem Feuer zu bestreichen. Offenbar führten eingeschränkte Ressourcen und wohl auch nur beschränkte Kenntnisse der richtigen Anwendung des Bastionärsystems in Trochtelfingen zu einer mehr als eigenwillig zu nennenden Lösung. Das Bastionärsystem hat sich in Schwaben endgültig erst zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges durchgesetzt, und nun in der deutlich kostengünstigeren und schneller zu errichtenden Variante des sogenannten niederländischen Systems. Die Reichsstadt Ulm war hier Vorreiterin. Hintergrund für diese Maßnahme bildeten die zunehmenden Spannungen zwischen der protestantischen Union, der Ulm 1609 beigetreten war, und der katholischen Liga. An der Grenze zum weitgehend katholisch gebliebenen südöstlichen Reichsteil kam Ulm eine strategische Schlüsselposition am Donauübergang zu. Zwischen 1617 und 1623 erhielt Ulm eine Umwallung nach

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Abb. 15: Überlingen, Johannesturm mit Erhöhung aus dem 17.  Jahr­hundert über der älteren Grabenwehr aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts © Eigene Darstellung

niederländischem System, die im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges noch durch Ravelins verstärkt wurde.36 Gerade während des Krieges wurden dann diverse Städte im niederländischen System mit Erdwerken befestigt, so Konstanz37 oder auch die katholische Reichsstadt Überlingen, deren starke Stadtmauer im Nordosten und Osten 1643 von den Franzosen mit Erdbastionen verstärkt worden war. Doch waren diese Bauten aufwendig im Unterhalt. Erdmassen rutschten nach, mussten immer wieder neu aufgeschüttet 36 Loeffler (wie Anm. 21), S. 121–141, sowie Karl-Klaus Weber: Johan van Valckenburgh. Das Wirken des niederländischen Festungsbaumeisters in Deutschland 1609–1625, Köln / Weimar / Wien 1995, S. 89–96 u. 164–165. 37 Zu Konstanz s. Steffen Killinger / Jonathan Scheschkewitz: Archäologische Untersuchungen zur frühneuzeitlichen Befestigung von Konstanz. In: Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2017, Darmstadt 2018, S. 300–303.

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Abb. 16: Nördlingen, Kaponniere Reissturm © Eigene Darstellung

und gefestigt werden. Den Überlingern war das nach dem Krieg zu kostspielig. Sie ließen diese Erdwerke daher weitgehend wieder einebnen. Stattdessen beschritt man hier einen Weg, der aus heutiger Sicht geradezu atavistisch anmutet. Schon während des Krieges erhöhte man 1632/33 den St. Johannes-Turm und setzte dies 1657 fort, bis er eine Höhe von sechs Geschossen erreicht hatte und entgegen aller Prinzipien der zeitgenössischen Theorie über die Horizontlinie des Grabenabschlusses deutlich emporragte. Und damit nicht genug: Man errichtete an Stelle eines während des Krieges zerstörten Turms 1657 ein völlig neues kasemattiertes Rondell zur Bestreichung der Gräben mit großen Geschützscharten in den beiden Flanken und einer enorm dicken Front.38 Einerseits entspricht dieser Bau Anlagen aus der ersten Hälfte 38 Zu Überlingen s. Wilhelm Telle: Die Überlinger Stadtbefestigung. In: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung Heft 54 (1926), S. 142–203, hier

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Abb. 17: Kirchheim unter Teck, Entwurf des Kellereiwerkmeisters Gabriel Mayer zur Verstärkung des Zwingers zischen der Bastion beim Kloster und dem Untertor an der Nordseite der Stadt mit zwei Streichwehren © Foto Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart N 200. Nr. 17, Plan A1

des 16. Jahrhunderts, andererseits nimmt er ein Befestigungselement vorweg, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmend für den europäischen Festungsbau werden sollte: die Kaponniere. Etwas Ähnliches, scheinbar noch weit Altertümlicheres entstand nur wenig früher in Nördlingen. Noch in der letzten Dekade des Dreißigjährigen Krieges wurde 1644/45 der offenbar bei der Belagerung der Reichsstadt 1634 schwer in Mitleidenschaft gezogene Reissturm in Teilen völlig neu errichtet, eine über den Zwinger in den Graben vorspringende mehrgeschossige Streichwehr.39 Der schlanke runde Turm mit Geschützplattform und wulstförmiger Brustwehr, wie sie für die Nördlinger Befestigung seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts so charakteristisch war, ist über einen Hals mit der Mauer verbunden. Und der bereits um 1600 aufgestockte Untere Wasserturm wurde noch 1675 in tradierter Manier umgebaut: Satteldach und oberstes Geschoss wurden abgetragen und dem Turm eine neue Geschützplattform mit wulstförmiger Brustwehr aufgesetzt. Die Scharten wurden trichterförmig in die Brustwehr eingeschnitten und mit einem Bogen überwölbt. Damit erhielt der Turm ein ausgesprochen trutziges Aussehen, das ihn den bestehenden Türmen S. 178 f. und 196–200, sowie Michael Losse (Hrsg.): Burgen, Schlösser, Adelssitze und Befestigungen am nördlichen Bodensee. Bd. 1.1 Westlicher Teil rund um Sipplingen, Überlingen, Heiligenberg und Salem (Schriftenreihe des Nellenburger Kreises, Bd. 1), Petersberg 2012, S. 134. 39 Kessler (wie Anm. 22), S. 109.

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anglich.40 Nördlingens Befestigung damit ein sehr einheitliches, geradezu charakteristisches Gesicht von hohem Wiedererkennungswert. Es ist durchaus möglich, dass die Stadtväter hier quasi eine eigene Ikonographie ihrer Befestigung anstrebten, die Nördlingen unter den anderen Reichsstädten in Schwaben architektonisch abhob. Nördlingen war aber kein Einzelfall, was die Idee der Verstärkung einer bestehenden Befestigung anging. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war Konrad Widerhold württembergischer Obervogt von Kirchheim unter Teck. Der erfahrene Verteidiger der württembergischen Bergfestung Hohentwiel ließ den Kirchheimer Kellereiwerkmeister Gabriel Mayer um 1663 Entwürfe zur Verstärkung der Stadtfestung Kirchheim ausarbeiten. Doch nicht moderne Bastionen, sondern Streichwehren und Blockhäuser zur Verteidigung von Zwinger und Gräben wurden geplant41, wohl auch aus Gründen der Sparsamkeit, aber auch aufgrund von Kriegserfahrungen, denn Widerhold selbst hatte einst Überlingen erstürmt. Nun stellt sich die Frage, warum man so lange an scheinbar veralteten Formen des Wehrbaus festhielt. Im Falle der kleinen Landstädte im Würzburgischen ging es zuerst um die Sicherheit der Einwohner, für welche die Landesherrschaft zu sorgen hatte. Bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges scheint dies gut funktioniert zu haben. Die turmbewehrten Mauern boten ausreichend Schutz bei Durchzügen fremder Truppen, vor allem aber gegen Überfälle marodierender Soldaten, aber auch der nächsten Nachbarn. Denn was wir immer in Rechnung stellen müssen: Trotz endgültigen Fehdeverbots spätestens auf dem Augsburger Reichstag von 1555 suchten auch kleine Herrschaften beanspruchte Rechte gewaltsam durchzusetzen. Dagegen aber musste man gewappnet sein. Für diese Form des kleinen Krieges waren herkömmliche Stadtbefestigungssysteme völlig ausreichend. Ähnlich wie wir im Falle des Schlossbaus zwischen stark ausgebauten, gegen Artillerieangriffe gerüsteten, strategisch wichtig gelegenen landesherrlichen Burgen und den traditionell mit Türmen und Ringmauern befestigten Schlössern des reichsfreien oder landsässigen Adels auf dem Lande zu unterscheiden haben, so gilt dies auch für Stadtbefestigungen. Wichtige Plätze wurden von der Landesherrschaft zu modernen Artilleriefestungen ausgebaut, ebenso suchten Reichsstädte, sofern sie über ausreichende Finanzmittel verfügten, sich durch starke Fortifikationen als politisch autonome und handlungsfähige Mächte zu behaupten, während die übrigen Städte eines Territoriums weiterhin durch die bewährten Mauern und Türme geschützt blieben, die aber durch entsprechende Einrichtungen mit leichter Artillerie und Handfeuerwaffen zu verteidigen waren. Nicht zuletzt zeigten zumindest noch im Dreißigjährigen Krieg herkömmliche Befestigungen bei hartnäckiger Verteidigung ihren fortbestehenden militärischen Wert. Gerade die eigentümlichen Neu- und Umbauten der Überlinger, Nördlinger wie auch der Kirchheimer Stadtbefestigung nach dem großen Krieg sind nur erklärbar aus den Erfahrungen des damaligen Belagerungskrieges. Offenbar 40 Ebd., S. 110. 41 Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart N 200, Nr. 17.

Ein langes Mittelalter 

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hatten sich hohe Türme mit einer Vielzahl von Scharten als effektiv bei der Abwehr von Sturmangriffen bewährt, und auch die Bestreichung der Gräben und Mauern gegen einen stürmenden Angreifer scheint zu Ergebnissen geführt zu haben, die von den in den Lehrbüchern jener Zeit propagierten und intensiv bis dogmatisch diskutierten Bastionärmanieren völlig abweicht. Gerade der Pragmatiker Konrad Widerhold hat daher in Kirchheim ganz andere Konzepte umzusetzen gesucht, um die württembergische Stadtfestung in wehrhaftem Stand zu erhalten. Wir müssen uns dabei eines vergegenwärtigen: Erst unter Vauban sollte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Angriff auf eine Festung mit einer großen Anzahl von Kanonen und einem ausgeklügelten System von Laufgräben so sehr systematisiert werden, dass sich fast jeder feste Platz innerhalb weniger Wochen ergeben musste. Mit den spätmittelalterlichen Bauformen wie Streichwehren, Zwingern, Türmen und einer abschnittsweise eingerichteten Verteidigung gegen Sturmangriffe begründeten diese Wehranlagen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts eine eigenständige Tradition im deutschen Festungsbau, die schließlich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und in den mächtigen Bauten der neudeutschen Festungsmanier wie in Koblenz, Ingolstadt oder Ulm umgesetzt wurde. Doch dies ist ein anderes Kapitel in der Geschichte der Stadtbefestigungen und des Festungsbaus.

Kämpfer oder Kaufleute? Militärische Kompetenzen in der Kölner Bürgerschaft der Vormoderne Max Plassmann

An klassischen Helden ist die Kölner Geschichte arm. Sagenhaft sind Marsilius (der Köln im 1. Jahrhundert verteidigt haben soll) und der Bürgermeister Gryn (der im 13. Jahrhundert eigenhändig einen Löwen getötet haben soll). Historische Persönlichkeiten sind hingegen Matthias Overstolz und Gerhard Overstolz. Der erste führte die Kölner 1268 bei der Abwehr eines Angriffs des Erzbischofs an der Ulrepforte an und starb dabei. Der zweite fand anscheinend als (ein) Anführer der Kölner Truppen in der Schlacht von Worringen 1288 den Tod  – jedoch bleiben beide im kulturellen Gedächtnis eher randständige, blasse Figuren. Das gilt nicht für Jan von Werth. Der bayerisch-kaiserliche General des 30-jährigen Krieges wird zwar noch heute in Köln lebhaft verehrt, jedoch hatte er zu seinen Lebzeiten mit der Stadt nur insoweit zu tun, als er nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst hier wohnte. Kölner Truppen hat er nie angeführt.1 Insgesamt gehören Waffentaten einzelner Kölner also nicht oder nur marginal zum Traditionsbestand der Stadt und der Stadtgesellschaft. Ein gern gepflegtes Vorurteil will daher wissen, dass die Kölnerinnen und Kölner seit jeher Weltoffenheit, Friedlichkeit sowie Obrigkeit- und Militärferne ausgezeichnet habe. Der Kölner marschiere zu Karneval zwar in Uniform und militärischer Formation auf, jedoch sei gerade dies eine Verhöhnung insbesondere der preußischen Armee und belege, wie wenig Kölschtum und Soldatentum zusammenpassten. Und auch der Kölsche Bauer, ursprünglich ein Symbol von Wehrhaftigkeit, ist heute nur noch eine Karnevalsfigur. Es gibt jedoch gute Gründe dafür, die Entstehung dieses fest in der Stadt verankerten Selbstbildes in die Zeit nach 1945 zu verorten und als Reaktion auf Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg zu beschreiben. Verdrängt wurden darüber nicht nur die Ehrenbürgerschaft des älteren Moltke und der große Anteil der preußischen Garnison an den Karnevalszügen des 19. Jahrhunderts, sondern zum Beispiel auch, dass der Vater Konrad Adenauers ein preußischer Kriegsheld von 1866 war.2 1 Vgl. Michael Kaiser: »… mir armen Soldaten, der sein Proth mit dem Degen gewünen mueß, …«: Die Karriere des Kriegsunternehmers Jan von Werth. In: Geschichte in Köln 49 (2002), S. 131–170. 2 Vgl. Klaus-Jürgen Bremm: 1866. Bismarcks Krieg gegen die Habsburger, Darmstadt 2016, S. 7–8.

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Auch die allgemeine stadtgeschichtliche Forschung neigt dazu, Fragen von Krieg und Militär, wenn nicht völlig zu vernachlässigen, dann doch sehr an den Rand zu schieben und vor allem die Stadt und ihre Bürger als an sich friedliebende Opfer anzusehen.3 In der voluminösen Übersicht von Eberhard Isenmann zur Geschichte der deutschen Stadt im Mittelalter wird der Krieg bezeichnenderweise in einem kurzen Kapitel gemeinsam mit Hunger und Pest als Bedrohung der Stadtbevölkerung abgehandelt. Das trifft von den Auswirkungen her gedacht zwar sicherlich zu, jedoch macht diese Art der Darstellung den Krieg zu einer Naturkatastrophe, die die Stadt zwar erdulden muss, an der sie aber nicht aktiv handelnd teilnimmt. Zu dieser Wahrnehmung passen dann auch Isenmanns kurze Ausführungen dazu, dass sich im Spätmittelalter die Bürger zunehmend aus dem aktiven Kampf im Rahmen der Bürgeraufgebote zurückgezogen hätten, um das Feld Söldnern zu überlassen, die überdies häufig aus der »städtischen Unterschicht«4 stammten. Mit dem Krieg hatte also, so die Botschaft, der Bürger nur soweit zu tun, wie er sein Opfer wurde. Ansonsten konnte er sich idealtypischerweise seinen Geschäften als Kaufmann oder Handwerker widmen. Auf zwei Ebenen stellt sich dennoch die Frage nach der Verbreitung militärischer Kompetenzen in der vormodernen Kölner Bürgerschaft (wie auch der anderer Städte): Zum einen hinsichtlich der Vorbereitung, Planung und Führung von gewaltsamen Auseinandersetzungen mit allen militärischen Mitteln, derer sich die städtische Obrigkeit bedienen konnte  – unter Einschluss von Söldnern und verbündeten Kräften. Und zum anderen – weil ein mehr oder weniger großer Anteil des militärischen Potentials bis zum Ende des 18. Jahrhundert durch das Aufgebot der Bürger zustande kam – ist zu untersuchen, welche Kampfkraft denn dieses Bürgeraufgebot tatsächlich hatte? Diese Fragen könnten als rein akademisch abgetan werden, weil es von wenigen Ausnahmen abgesehen seit dem 13. Jahrhundert bis zum Ende der reichsstädtischen Zeit zu keinen großen Schlachten und epischen Belagerungen kam, an denen die Stadt Köln überhaupt oder maßgeblich beteiligt war – auch der Feldzug nach Neuss 1474/75 war eher eine Demonstration, als die Kölner hier wirklich gekämpft hätten. Tatsächlich lässt sich deshalb der naheliegende Weg nicht beschreiten, Siege und Niederlagen durch die Jahrhunderte zu analysieren und zu vergleichen, um am Ende zu einer Bewertung der jeweils an den Tag gelegten militärischen Kompetenzen zu kommen. Da es auch von Ausnahmen abgesehen keine breite Rezeption von Militärwesen und Krieg in der Kölner Kunst, Literatur oder staatstheoretischen Publizistik gab, lassen sich auch aus ihnen allenfalls Finger3 So ist der Aspekt allenfalls indirekt präsent bei Felicitas Schmieder: Die mittelalterliche Stadt, Darmstadt 2. Aufl. 2009; Ulrich Rosseaux: Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006. 4 Eberhard Isenmann: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150–1550. Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Wien / Köln / Weimar 2012, S. 74–76, Zitat S. 75. Die Wachpflicht der Bürger wird noch kurz erwähnt ebd. S. 146 und S. 452–453.

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Abb. 1: Johann Valentin Reinhardt, Plan von Köln 1752. © Cölner Thorburgen und Befestigungen 1180–1882. Hrsg. v. dem Architecten- und Ingenieur-Verein für Niederrhein und Westfalen. Köln 1883, Blatt 1.

zeige entnehmen. Dieses Fehlen ließe sich durchaus als Desinteresse im Sinne des Vorurteils vom militärfernen Kölner pflegen, um damit auch die historiographische Leerstelle zu begründen. Aber ein Blick auf die geographischen und politischen Rahmenbedingungen der Kölner Geschichte zeigt, dass sie kaum ohne Berücksichtigung kriegerischer Aspekte geschrieben werden kann, und dass folglich die Fähigkeit zur Kriegführung im Sinne eines angemessenen Einsatzes von Kräften und Mitteln zur Erreichung von politischen Zielen ein durchaus relevanter Faktor auch der Kölner Geschichte ist. Denn Köln war nicht zufällig eine bedeutende Handelsstadt mit entsprechendem Reichtum, sondern sie war es aufgrund der Gunst ihrer Position am Schnittpunkt des Rheins mit wichtigen Ost-West-Verbindungen über Land. Schon diese Lage machte sie zu einem attraktiven Ziel jeder Kriegführung in der Region, und an dieser waren das nördliche Rheinland und die Niederlande während der Vormoderne keineswegs arm. Ein Konflikt zwischen größeren Mächten der Umgebung betraf die Kölner Interessen fast immer direkt oder indirekt (indem die Stadt selbst oder ihre Kaufleute im Umland angegriffen werden konnten). Überdies lag die Stadt keineswegs in einem Raum territorialer Zersplitterung, sondern inmitten vergleichsweise mächtiger Fürstentümer und Territorien. Diese führten untereinander Krieg und bedrohten Köln auch direkt – insbesondere der Erzbischof von Köln, dessen Territorium bis unter die Stadtmauer reichte und der als ehemaliger Stadtherr

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häufig darauf sann, die Stadt wieder in seinen Herrschaftsverband einzureihen. In dieser Situation wäre eine grundsätzliche militärische Abstinenz gefährlich geworden, hätte sie Köln doch leicht zum Subjekt einer Einigung zweier Kriegsparteien machen können. Deshalb war es je nach Umständen sinnvoll, sich einer Kriegspartei als Verbündete anzuschließen, und folglich musste Köln neben seinem Reichtum auch eigene Truppen in Allianzen einbringen können. Es besteht also kein Anlass zu vermuten, dass Bürgermeister und Rat in einer Zeit, in der der Schutz der Interessen der Bürgerschaft in kriegerischen Konflikten auch zur Legitimation von Herrschaft beitrug, weder dazu in der Lage waren, angemessene militärische Entscheidungen zu treffen, noch dem Faktor Krieg überhaupt in ihrem Handeln Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Dies ist schon allein mit Blick auf das offensichtlichste Bauwerk mit militärischer Funktion, die Stadtmauer5, festzustellen. Mittelalterliche Stadtmauern und frühneuzeitliche Stadtbefestigungen tendieren in der Literatur dazu, menschenleer zu erscheinen. Sie werden häufig bauund architekturgeschichtlich untersucht und beschrieben oder auf ihre symbolische Funktion hin befragt, ohne dass die Menschen auf der Mauer in Krieg und Frieden eine besondere Rolle spielen würden.6 Aber Mauern konnten weder ihrer praktischen noch ihrer symbolischen Funktion voll gerecht werden, wenn sie nicht bewacht und im Zweifel auf verteidigt wurden – oder wenn potentielle Gegner wenigstens annehmen mussten, dass es so war. Eine auch im Frieden unbewachte Mauer hätte für Kriminelle, Friedensstörer oder Feinde der Stadt zwar ein Hindernis dargestellt, jedoch hätten sie letztlich leicht Wege finden können, sie ungesehen zu passieren. Eine im Krieg schlecht verteidigte Mauer hätte den Feind geradezu dazu eingeladen, die Stadt im Handstreich zu besetzen. Und in Krieg und Frieden gehörte eben deshalb zur Symbolik von Wehrhaftigkeit, Unabhängigkeit und Verteidigungsbereitschaft einer Stadtmauer auch das Bewusstsein, dass das Bauwerk tatsächlich bemannt und geschützt werden konnte. Diese Überlegungen sind an sich selbstverständlich, weshalb sie nicht unbedingt – insbesondere nicht im Mittelalter – Eingang in die Quellen gefunden haben. Dennoch stellt sich hier am Beispiel Kölns die Frage, wie 5 Vgl. Max Plassmann: Stadtgeschichte von außen nach innen: Leben im Schatten der Mauer. In: Willkommen im alten Köln. Geschichte(n) rund um die Stadtmauer. Mit Beiträgen von Martin Bachem [u.a], Köln 2018, S. 71–87; Willkommen im alten Köln. Geschichte(n) rund um die Stadtmauer. Katalog zur Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln. 15. März bis 23. September 2016. Mit Gemälden von Siegfried Glos und Texten von Max Plassmann, Köln 2016. 6 Dies sei hier zwar festgestellt, ist jedoch nicht als Kritik an denjenigen Untersuchungen zu sehen, deren Fragestellung auch ohne die menschliche Dimension auskommt und die daher auch ohne diese unsere Kenntnisse vertiefen. Vgl. z. B. Ferdinand Opll / Heike Krause / Christoph Sonnlechner: Wien als Festungsstadt im 16. Jahrhundert. Zum kartografischen Werk der Mailänder Familie Angielini, Wien / Köln / Weimar 2017; Dominik Gerd Sieber: Die Reformation der Stadtmauer. Reichsstädtische Befestigungsanlagen in Ulm und den oberschwäbischen Nachbarstädten zwischen Transformation und Innovation im 16. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 77 (2018), S. 129–162.

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die umfangreichen Befestigungsanlagen denn bemannt und im Zweifel verteidigt werden sollten, und welche Rolle in der Stadtgesellschaft verfügbare militärische Kompetenzen dabei gespielt haben. In einer Fehde gegen Goiswyn Brent von Vernich rüstete die Stadt 1460 einen Zug gegen seine etwa 24 Kilometer südwestlich von Köln gelegene Burg aus.7 Diese Expedition wurde aus Söldnern und Bürgern gebildet, wobei unklar ist, ob es sich bei Letzteren um Freiwillige oder um in irgendeiner Weise dazu bestimmte handelte. In jedem Fall musste man damit rechnen, dass sie in Kämpfe verwickelt wurden. Sie mussten also grundsätzlich dazu in der Lage sein, in einem Gefecht in offenem Feld zu bestehen – wenn auch mit Rückhalt an den professionellen Söldnern. Gleiches gilt für die Anführer der Truppe. Sie stand unter dem Kommando des Rittmeisters Hermann von Mauwenheim (also eines Söldnerführers) und des Rentmeisters Johann vamme Dauwe sowie des Johann Krulmann.8 Ein Rentmeister als Inhaber eines der höchsten Ratsämter nach den Bürgermeistern hatte in jedem Fall einen zeremoniellen Anspruch darauf, das Kommando zu führen. Vielleicht war er auch hauptsächlich zum Zweck politischer Verhandlungen mitgeschickt worden, während Mauwenheim in rein militärischen Fragen den entscheidenden Einfluss ausübte. Das und die Rolle Krulmanns lässt sich heute nicht mehr rekonstruieren. Entscheidend ist hier jedoch zum einen, dass zumindest formal auch von einem Ratsherrn aus der bürgerlichen Elite erwartet werden konnte, in verantwortlicher Position ins Feld zu ziehen. Und auch umgekehrt: Sollten sie sie zuvor nicht gehabt haben, so erwarben Dauwe und Krulmann zumindest während des Zuges gewisse militärische Erfahrungen. Diese Überlegungen gelten für die aus Bürgermeister und dem Rat gebildete Obrigkeit allgemein. Sie mussten aus denselben Gründen in Krise und Krieg dazu in der Lage sein, sachgerechte militärische Entscheidungen zu treffen, ohne sich von auswärtigen Experten abhängig zu machen. Das Schicksal der Stadt wurde nie in die Hände eines Soldunternehmers gelegt. Ein solcher hätte vielleicht ein militärischer Fachmann sein können, der die Effizienz der Truppenführung oder der Logistik hätte verbessern können. Aber er hätte auch den Herrschaftsanspruch der Ratselite in Frage stellen können. Zugleich hätte ein Feldherr (oder ein Bürgermeister, der als solcher auftrat) Misstrauen in der Bürgerschaft sähen können, die zumindest auf der symbolischen Ebene die grundsätzliche Gleichheit der Bürger gewahrt wissen wollte.9 Auf symbolischer, aber letztlich auch auf praktischer Ebene war es daher wichtig, die Verteidigung der Stadt als Angelegenheit aller Bürger anzusehen, die in 7 Vgl. dazu Brigitte Maria Wübbeke: Das Militärwesen der Stadt Köln im 15. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 230–237. 8 Träger des Namens Krulman(n) saßen im 15. Jahrhundert mehrfach im Rat. Hier dürfte es sich um den Johann Krulmann gehandelt haben, der ab 1465 mehrfach Bürgermeister und Rentmeister war. Vgl. Joachim Deeters: Rat und Bürgermeister in Köln 1396–1797. Ein Verzeichnis, Köln 2013, S. 349 (Nr. 54). 9 Vgl. Max Plassmann: Zur Funktion der Prophetenkammer im Kölner Rathaus. In: Rheinische Vierteljahrsblätter 77 (2013), S. 59–72.

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diesem Sinne nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hatten, selbst die Waffen in die Hand zu nehmen und so den Anspruch auf politische Teilhabe zu dokumentieren. Das jedenfalls in der Theorie, weil es durch die Jahrhunderte in der Praxis natürlich durchaus immer wieder dazu kam, dass Bürger diese Theorie wegen der mit ihr verbundenen Belastungen nicht ernst nahmen. Nur indem sie selbst das Kommando führten, konnten Bürgermeister und Rat ihre Stadt durch gefährliche Zeiten steuern, das militärische Potential des Bürgeraufgebots angemessen einsetzen und sich zugleich als legitime Obrigkeit inszenieren, die die Sicherheit der Bürgerschaft zu gewährleisten wusste. Hier waren die Anforderungen vielleicht sogar noch höher als beim einzelnen Bürger, der im Zweifel nur mit einer Armbrust auf der Mauer stehen und Wehrhaftigkeit markieren musste. Denn Bürgermeister und Rat hatten in Kriegszeiten komplexe und potentiell folgenreiche Entscheidungen zu fällen, bei denen sie wissen mussten, was sie taten. Das beginnt schon bei den Vorbereitungen auf einen Krieg und allen Fragen, die mit Bau, Modernisierung, Waffenausstattung und Bevorratung einer bedeutenden Festung zusammenhängen. Zweitens waren die Streitkräfte Kölns im Blick zu behalten, die sich aus unterschiedlichen Gruppen zusammensetzten und – im besten Fall – im Hinblick auf eine einheitliche Kriegsführung koordiniert werden mussten. Neben dem Bürgeraufgebot ist hier an Söldner im Dienst der Stadt (deren Zahl aber auch in Zeiten wirtschaftlicher Blüte nie ausreichend war, um sich allein auf sie zu verlassen), im Mittelalter an sogenannte Außenbürger und (niederadelige) Lehensmänner und an verbündete Truppen zu denken, von denen in der Frühen Neuzeit die Stadtverteidigung immer mehr abhing. Es war sicherlich auch eine politische Frage, diese Kräfte zu koordinieren und zusammenzubringen. Jedoch ohne Kenntnis über mögliche militärische Folgen und Optionen wäre es schwer geworden, eine erfolgversprechende Politik zu formulieren. Das war umso notwendiger, als Bürgermeister und Rat sowohl im Spätmittelalter, als auch während der Frühen Neuzeit tatsächlich sehr darauf achteten, die bewaffnete Macht Kölns nicht in die Hände eines einzelnen Oberbefehlshabers zu bringen. Um dem Rechnung zu tragen, übten sie in der Praxis nach außen hin auch in größeren Kriegen ein kollektives Oberkommando über alle Teile der Kölner Streitkräfte aus. Soldunternehmer beziehungsweise hochrangige professionelle Militärs wurden allenfalls als Kommandeure über die Soldtruppen eingesetzt, die aber der Bürgerwehr und den Organen der Militärverwaltung keine Anweisungen geben konnten. Sie standen im Rang eines Oberstleutnants oder eines Obersten, während es einen städtischen General nicht gab. Das mag auch der Sparsamkeit geschuldet gewesen sein, denn ein General war natürlich kostspieliger als ein Oberst. Aber das Beispiel des Kaspar Joseph Karl Mylius zeigt, dass auch grundsätzliche Erwägungen dahinterstanden. Er wurde 1783 zum Oberst über das geworbene Stadtmilitär ernannt. Als er im Folgejahr die »benennenung [sic!] eines Stadtkommandanten sich zulegen«10 wollte, reagierte der Rat 10 Historisches Archiv der Stadt Köln (HAStK) Best. 10B A 231, fol. 131r.

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Abb. 2: Kölner Stadtsoldaten im 18. Jahrhundert. © Richard Knötel: Handbuch der Uniformkunde: die militärische Tracht in ihrer Entwicklung bis zur Gegenwart. Bd. 2. Leipzig 1896, Tafel 17.

jedoch schroff. Eine solche Titulatur sei ihm nicht gestattet. Am Ende durfte Mylius sich nur »Kommandant«11 über die das Bataillon Soldtruppen nennen. Ein Stadtkommandant, der die Verteidigung Kölns verantwortlich hätte leiten können, war er also nicht.12 So blieb es bei dem Brauch, dass die Kommandeure der professionellen

11 HAStK Best. 10B A 231, fol. 141v. 12 Obwohl dies in der Literatur bisweilen behauptet wird, vgl. z. B. Friedel Schwarz: Die Kölner Stadt-Soldaten am Ende der reichsstädtischen Zeit. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 48 (1977), S. 151–198, hier S. 152; ders., Werbung, Organisation, Sold und Ausrüstung des »Militär Contingents der Kay. F. R. Stadt Cöln«. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 49 (1978), S. 259–276, hier S. 268.

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Stadtsoldaten »unter Commando Eines Ehrsammen Hochweißen magistratus«13 standen (so eine Formulierung aus dem Jahr 1708). Wenn sich Bürgermeister und Ratsherren also fast schon im Stil eines roi connétable die politische und die militärische Macht vorbehielten, dann trugen sie damit zwar auch politischen Erwägungen Rechnung (denn so konnten sie verhindern, dass das Militär nach innen wie nach außen gegen politische und diplomatische Interessen der Stadt eingesetzt wurde). Aber sie mussten zumindest in Teilen über die militärischen Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, einem solchen Anspruch auch gerecht zu werden. Das heißt: Wenn auch solche militärischen Kompetenzen nicht Voraussetzung für die Übernahme politischer Verantwortung waren, musste doch wenigstens ein Teil der Ratselite darüber verfügen.14 Es stellt sich daher zunächst die Frage, welche militärischen Kompetenzen Bürgermeister und Rat beziehungsweise die politische Elite Kölns in ihre Ämter oder informellen Machtpositionen mitbrachten. Im 19. Jahrhundert wurde ein scharfer Gegensatz zwischen dem militärisch aktiven mittelalterlichen Adel und dem Handel treibenden Bürger, zwischen »Raubrittern« und ihren Opfern ausgemacht. Dieses konstruierte Idyll eines friedliebenden mittelalterlichen Bürgertums, das nur durch die Aggressivität des in seinem Niedergang um sich schlagenden Adels zu den Waffen gezwungen wurde, hat die neuere Forschung ins Reich der Legenden verwiesen. Weder war der Gegensatz so scharf ausgeprägt, noch widmeten sich alle Adeligen nur dem Krieg und alle Bürger nur dem Handel. Vielmehr gab es wenigstens bis zur verstärkten ständischen Abschließung des Adels seit dem endenden 15.  Jahrhundert, jedoch in Teilen auch noch darüber hinaus breite Überschneidungszonen zwischen ländlichen und städtischen, niederadeligen und bürgerlichen Führungsschichten. Dazu zählen auch militärische Aktivitäten und / oder die repräsentative Zurschaustellung militärischer Attribute.15 Wenigstens ein Teil, der bis Ende des 14. Jahrhunderts führenden Geschlechter Kölns entstammte der Ministerialität.16 Es kann 13 HAStK Best. 70 A 1336, fol. 60–61. 14 Um nur ein Beispiel zu nennen: 1614 mussten neue Musketen für die Stadtsoldaten beschafft werden. Der Rat beauftragte dabei den Bürgermeister und die Kriegskommissare, die Waffen zu bestellen, die sie für »guet und rathsam ermeßen« (HAStK Best. 10B A 63, fol. 297v). Das Geschäft wurde also dieser kleineren Gruppe übertragen, die man dafür kompetent hielt. 15 Vgl. zuletzt Ben Pope: Nuremberg’s Noble Servant: Werner von Parsberg (d. 1455) between Town and Nobility in Late Medieval Germany. In: German History 36 (2018), S. 159–180, hier v. a. S. 159–167. Für Köln vgl. Horst Wenzel: Aristokratisches Selbstverständnis im städtischen Patriziat von Köln, dargestellt an der Kölner Chronik Gottfried Hagens. In: Gert Kaiser [u. a.] (Hrsg.): Literatur – Publikum – historischer Kontext, Bern / Frankfurt a. M. / Las Vegas 1977, S. 9–28. 16 Vgl. Knut Schulz: Richerzeche, Meliorat und Ministerialität in Köln. In: ders.: Die Freiheit des Bürgers. Städtische Gesellschaft im Hoch- und Spätmittelalter. Herausgegeben von Matthias Krüger. Darmstadt 2008, S. 199–220; ders.: Ministerialität als Problem der Stadtgeschichte. Einige allgemeine Bemerkungen, erläutert am Beispiel der Stadt Worms. In: ebd., S. 130–170, hier S. 133.

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Abb 3: Wappen der bis 1396 führenden Kölner Geschlechter. © Heinrich van Beeck: Agrippina (nach 1475), HAStK Best. 7030 A 21, fol. 19v.

daher kaum verwundern, wenn sie in verschiedener Hinsicht Anschluss an den ländlichen Niederadel suchten beziehungsweise demonstrierten. Beispielsweise nutzten sie dafür Siegel, die sich grundsätzlich nicht wesentlich von Adelssiegeln der Zeit unterscheiden. Allerdings weisen nicht alle frühen Kölner Bürgersiegel – darunter das älteste überlieferte von 1226 – militärische Attribute auf.17 Bereits hier deutet 17 Vgl. Manfred Groten: Köln im 13. Jahrhundert. Gesellschaftlicher Wandel und Verfassungsentwicklung, Köln / Weimar / Wien 2.  Auflage 1998, S.  79–84.

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sich an, was bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gelten dürfte: im Hinblick auf das Militärische dachten und handelten die Kölner Bürger nicht einheitlich. Im Spätmittelalter führten gleichwohl zahlreiche Kölner den Rittertitel, vor allem Angehörige der führenden Geschlechter, die 1396 durch die Etablierung der Zunftverfassung ihre innerstädtische Machtposition einbüßten.18 Der Rittertitel sollte theoretisch auf militärische Leistungen oder wenigstens Leistungsfähigkeit rekurrieren, konnte aber auch ohne diese etwa anlässlich eines höfischen Festes oder einer Pilgerfahrt ins Heilige Land erworben werden.19 Doch selbst wenn sein Träger niemals ein Schwert im Streit oder im Turnier geführt hatte, so zeigt der Rittertitel doch zumindest, dass er wenigstens in der Theorie dazu in der Lage gewesen sein sollte. Für viele Kölner ist jedoch belegt, dass sie entweder in Kriegen und Fehden oder auf Turnieren des Spätmittelalters tatsächlich als Kämpfer auftraten.20 Im 13. und 14. Jahrhundert schloss die Stadt Bündnisse ab, bei denen sie Waffenhilfe zusagte, die mit Männern aus der Bürgerschaft und nicht etwa mit geworbenen Söldnern geleistet werden sollte.21 Darauf hätten sich die Allianzpartner nicht eingelassen, wenn sie die Kampfkraft der entsandten Bürger fraglich gewesen wäre. Zumindest ein Teil der Kölner, und zwar wohl vornehmlich solche aus den vornehmen Geschlechtern, dürfte im 13. und 14. Jahrhundert durchaus dazu in der Lage gewesen sein, auf Augenhöhe mit dem ländlichen Adel als berittene Krieger zu kämpfen. Tatsächlich wurden 1325 Angehörige der Familien der Quattermart, der Birklin, der Overstolz und der Lisenkirchen mit Geldstrafen belegt, weil sie als Verbündete, Söldner oder Gefolgsleute unter adeligen Herren gekämpft hatten. Das Problem ließ sich aber nicht so leicht lösen. 1328 wurden andere Männer für dasselbe Vergehen bestraft.22 1371, 1414 und 1445 sprach der Rat der Stadt grundsätzliche Verbote gegen die Teilnahme von Bürgern an auswärtigen Fehden aus.23 1482 wurde die Annahme fremder 18 Zahlreiche Belege finden sich dafür in ihren Urkunden, so in HAStK Best. 1. 19 Vgl. Malte Prietzel: Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen, Paderborn [u. a.] 2006, S. 247–258. 20 Vgl. Wenzel (wie Anm. 15), S. 10–11; Wolfgang Herborn: Die Geschichte der Kölner Fastnacht von den Anfängen bis 1600, Hildesheim / Zürich / New York 2009, S. 24–31; Yvonne Leiverkus: Köln. Bilder einer spätmittelalterlichen Stadt, Köln / Weimar / Wien 2005, S. 316–317. 21 Vgl. Hans J. Domsta: Die Kölner Außenbürger. Untersuchungen zur Politik und Verfassung der Stadt Köln von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Bonn 1973, S. 42–43; Ulrich Lehnart: Die Schlacht von Worringen 1288. Kriegführung im Mittelalter. Der Limburger Erbfolgekrieg unter besonderer Berücksichtigung der Schlacht von Worringen, 5.6.1288, Frankfurt a. M. / Griedel 1993, S. 285–290. Vielleicht hatte auch schon ein Kölner an der Schlacht von Bouvines 1214 teilgenommen, vgl. Hugo Stehkämper / Carl Dietmar: Köln im Hochmittelalter. 1074/75–1288, Köln 2016, S. 117 und 217. 22 Vgl. Walther Stein (Bearb.): Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14.  und 15.  Jahrhundert. 2  Bde., Bonn 1895 [ND Düsseldorf 1993], hier Bd. 1, S. 9 und S. 17. 23 Vgl. Stein (wie Anm. 22), Bd. 1, S. 285 und 315.

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Solddienste von der Genehmigung des Rats abhängig gemacht.24 All das half in der Praxis wenig. Immer wieder sind Kölner als Söldner oder Helfer in fremden Kriegen nachweisbar, so etwa gleich gruppenweise auf Preußenreisen im 14. Jahrhundert25 oder in Soldverbänden in Italien.26 In anderen Fällen bediente sich die Stadt Köln aber auch des militärischen Potentials in ihren Mauern, indem sie solche kriegserfahrenen Männer selbst in den Sold nahm.27 Während der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war beispielsweise über viele Jahre Eberhard Kleingedank aus vornehmen Kölner Geschlecht Söldner und Büchsenmeister der Stadt.28 Er könnte in dieser Funktion auch schon für eine neue Zeit stehen, denn ein Büchsenmeister beziehungsweise Artillerist war ein technischer Spezialist just für die Waffe, die nicht unwesentlich zum Ende der Dominanz adeliger Reiterkrieger auf den Schlachtfelder beitrug. Kleingedank könnte also als ein Beispiel dafür stehen, dass sich militärische Kompetenz in einem städtischen Umfeld nicht exklusiv auf adelige Vorbilder beziehen musste. In der Frühen Neuzeit wurde das Konzept des Ritters im Sinne von gepanzertem Reiterkrieger ohnehin obsolet. Offiziere mussten nun zwar weiterhin persönlichen Mut und gewisse praktische Fertigkeiten zum Beispiel beim Führen von Waffen oder beim Reiten mitbringen. Mehr und mehr mussten sie aber auch dazu in der Lage sein, ingenieurtechnische Probleme zu lösen, logistische Fragen im Auge zu behalten und große Menschenmengen zu organisieren. Im gewissen Sinne stiegen damit die Anforderungen. Der Offiziersberuf blieb dabei grundsätzliche eine Domäne des Adels, der seinen Söhnen entsprechende Fertigkeiten vermittelte.29 Nach wie vor ist jedoch für Köln nicht ganz deutlich, wie genau sich das Verhältnis zwischen s­tädtischer Führungsschicht und landsitzendem Adel in der Frühen Neuzeit entwickelte. Einige bürgerliche Familien verfügten über umfangreichen Grundbesitz außerhalb Kölns, 24 Vgl. Wübbeke (wie Anm. 7), S. 59–60. 25 Vgl. Werner Paravicini: Ritterliches Rheinland. 13.  Sigurd Greven-Vorlesung 5.  November 2009 Köln, Köln 2009, S. 11–12 und 21–22. 26 Vgl. Stephan Selzer: Deutsche Söldner im Italien des Trecento, Tübingen 2001, S. 296; Karl Heinrich Schäfer: Deutsche Ritter und Edelknechte in Italien während des 14. Jahrhunderts. Bd. 1: Im päpstlichen Dienste. Darstellung, Paderborn 1911, S. 97. 27 Siehe z. B. HAStK Best. 1 U 1/1047 und U 1/3989 und U 1/3990 und U 1/4186 und U 1/4218 und U 1/4225 und U 1/4291 und U 1/9960. Vgl. Pope (wie Anm. 15), S. 167; Carl Dietmar: Das Militärwesen der Stadt Köln vom 13. bis zum 18. Jahrhundert. Bürgermiliz, Söldner, Stadtsoldaten – ein Überblick. In: Heinz-Günther Hunold / Winfried Drewes / Michael Euler-Schmidt (Hrsg.): Vom Stadtsoldaten zum Roten Funken. Militär und Karneval in Köln, Köln 2005, S. 17–47, hier S. 28. 28 Siehe u. a. HAStK Best. 1 U 1/8489 und U 1/9166 und U 1/9430 und U 1/11354. 29 Obgleich es auch eine Tendenz gab, militärische Beförderungen durch Adelsdiplome zu flankieren, um möglichst einen Gleichklang von militärischem und ständischem Rang zu erhalten. Vgl. dazu Michael Kaiser: Ein niederrheinischer Kriegsunternehmer im Dreißigjährigen Krieg. Wilhelm von dem Bongart (1598–1631). In: Rheinische Vierteljahrsblätter 82 (2018), S. 81–106, hier S. 94–96.

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wo sie einen adeligen Lebensstil pflegen konnten – zumindest in Teilen der Familie.30 Aus dem Lebensstil erfolgte angesichts der ständischen Abschließungstendenzen des Adels zwar nicht automatisch ein anerkannter Adelstitel, jedoch spielt das in unserem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Denn auch wenn letztlich in diesem Sinne erfolglos Adel durch die städtische Elite imitiert wurde, dann gehörten militärisch nutzbare Qualifikationen auch zum Ausbildungsprogramm der männlichen Kinder. Abgesehen davon erreichten einige Kölner Familien (-zweige) einen förmlichen Adelstitel, so die Bolandt, die von Groote, die zum Pütz, die Rottkirchen, die Scharfenstein genannt Pyll, die Mylius und die Wymar.31 Hier müssen allerdings weder militärischen Qualitäten eine Rolle gespielt haben, noch müssen alle Söhne für eine Militärkarriere vorgesehen gewesen sein.32 Anhand eines Beispiels, nämlich der Familie Mylius, lässt sich dennoch belegen, dass der Offiziersberuf ausgeübt wurde.33 Die Familie ist seit etwa 1380 in Köln nachweisbar. Arnold Mylius (1477–1525) verlor sein Leben als kaiserlicher Oberst in der Schlacht von Pavia. Sein gleichnamiger Enkel (1540–1604) büßte die zwischenzeitlich erworbenen Familiengüter in der Grafschaft Moers ein und kehrte nach Köln zurück, um eine durch und durch bürgerliche Tätigkeit als Buchdrucker und -verleger aufzunehmen. Er und seine Nachkommen gehörten als Ratsherren und schließlich auch als Bürgermeister fortan zur politischen Elite der Stadt. Ganz verlor die Familie aber nicht den Kontakt zum Militärdienst: Der schon genannte Kaspar Joseph Karl Mylius wurde 1783 Oberst über die stadtkölnischen Soldtruppen.34 Vier weitere Angehörige der Familie bekleideten im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert österreichische Offiziersränge und erhielten teilweise ­österreichische Adelstitel, jedoch ohne den Kontakt zum Rheinland und zu Köln einzubüßen. Karl Mylius (1778–1838) bewohnte beispielsweise ein Gut bei Jülich und wurde von 1815 bis 1819 Bürgermeister in Köln. Die Familie Mylius zeigt exemplarisch, dass es zum Repertoire frühneuzeitlicher Kölner Familien gehören konnte, wenigstens einige ihrer Söhne für den Offiziersdienst auszubilden. Militärische Fertigkeiten und Traditionen konnten so durchaus mit einem bürgerlichen Lebensstil einhergehen – wenngleich natürlich nicht alle Mylius über soldatische Kompetenz verfügten, nur weil ein Ahnherr bei Pavia gefallen war. 30 Vgl. z. B. Gerd Schwerhoff: Köln im Ancien Régime. 1686–1794, Köln 2017, S. 139. 31 Vgl. Barbara Becker-Jákli (Bearb.): Eberhard von Groote. Tagebuch 1815–1824. Bd. 1: 1815, Düsseldorf 2015, S. 11; Joachim Deeters: Die Kölner Bürgermeister in der Frühen Neuzeit. Profil einer Gruppe von Berufspolitikern. In: Georg Mölich / Gerd Schwerhoff (Hrsg.): Köln als Kommunikationszentrum. Studien zur frühneuzeitlichen Stadtgeschichte, Köln 1999, S. 365–402, hier S. 385. 32 Was im Übrigen auch beim Adel nicht so war, vgl. Florian Schönfuß: Mars im hohen Haus. Zum Verhältnis von Familienpolitik und Militärkarriere beim rheinischen Adel 1770–1830, Göttingen 2017. 33 Vgl. Franz Menges: Mylius, von. In: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 663–664. 34 Vgl. Dietmar (wie Anm. 27), S. 45 (der ihn irrtümlich als Stadtkommandant bezeichnet, siehe dagegen HAStK Best. 10B A 231, fol. 141v).

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Auch das Bürgeraufgebot insgesamt hätte nur dann eine Chance in einem größeren Krieg gehabt, wenn es wenigstens über eine gewisse Anzahl von Männern verfügte, die entsprechende Erfahrungen und einen gewissen Einsatzwillen mitbrachten. Wie in anderen Städten auch gehörte es Köln zu den selbstverständlichen Pflichten der Bürger, mit der selbst zu beschaffenden Waffe35 in der Hand Wachdienste zu versehen und im Zweifel auch im Krieg anzutreten. Die Kölner Bevölkerung umfasste im Spätmittelalter vielleicht 30.000 bis 35.000 und im 18. Jahrhundert etwa 40.000 bis 50.000  Personen.36 Davon verfügten zwar längst nicht alle über das Bürgerrecht, jedoch konnten im Notfall auch andere Einwohnergruppen wie Studenten oder die grundsätzlich vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Protestanten für die Stadtverteidigung gewonnen werden.37 Bereits im Spätmittelalter dürften also mehrere tausend Mann mobilisierbar gewesen sein. Im 17. und 18. Jahrhundert waren es in der Praxis wohl bis zu 10.000, jedenfalls wenn höchste Not dazu trieb und sich Bürger und sonstige Einwohner in ihrer Verteidigungsbereitschaft einig waren. Organisiert war dieses Aufgebot zunächst nach Kirchspielen, also auf eher nachbarschaftlicher Basis. Seit 1396 wurde es nach Gaffeln gegliedert, also nach den Zünften beziehungsweise Korporationen von Kaufleuten, die seit diesem Jahr insbesondere für die Ratswahl zuständig waren und den erweiterten Rat der Vierundvierziger stellten. Das sich die Gaffelmitglieder aber jeweils über das ganze Stadtgebiet verteilten, war eine Alarmierung auf Gaffelbasis umständlich und störanfällig. 1583 wurde deshalb die Stadt dann in acht Colonelschaften genannte Bezirke mit theoretisch insgesamt circa 7.000 Mann unter Waffen gegliedert, deren Bürger jeweils einem aus ihrer Mitte ernannten Oberst unterstanden.38 Diese Bürgerobristen nahmen zugleich vielfältige politische beziehungsweise administrative Aufgaben wahr, indem sie innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs Ratsbeschlüsse umsetzten. Aber im Zweifel mussten sie auch dazu befähigt sein, die ihnen unterstellten Aufgebote zu organisieren und zu führen. Dazu waren wahrscheinlich nicht alle von ihnen gleichermaßen in der Lage. Jedoch deutet nichts darauf hin, dass alle von ihnen diesbezüglich inkompetent gewesen wären. Daher wird in der Praxis mit einem gemischten Befund zu rechnen sein, was die militärischen Erfahrungen und Fertigkeiten unter den An35 Dabei handelte es sich 15.  Jahrhundert vornehmlich um eine Bewaffnung mit Armbrüsten, die seit dem 17.  Jahrhundert durch Feuerwaffen zu ersetzen waren. Vgl. Hans-Peter Korsch: Das materielle Strafrecht der Stadt Köln vom Ausgang des Mittelalters bis in die Neuzeit, Köln 1958, S. 28–29; Wübbeke (wie Anm. 7), S. 60. 36 Vgl. Jürgen Wilhelm (Hrsg.): Das große Köln Lexikon, Köln 2. Aufl. 2008, S. 56. 37 Siehe z. B. HAStK Best. 33 A 68, fol. 28r (1684); HAStK Best. 150 A 188 (1632/33). Bevor sie aus Köln vertrieben wurden, nahmen auch die jüdischen Einwohner an der Stadtverteidigung teil. Vgl. Max Plassmann: Hilliges Köln 2.0. Auf dem Weg zur religiösen Toleranz? Begleitband zur Ausstellung des Historischen Archivs der Stadt Köln 6. April-12. November 2017, Köln 2017, S. 11 und 24. 38 Vgl. Paul Holt: Die militärische Einteilung der Reichsstadt Köln von 1583–1794. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 8/9 (1927), S. 135–181, hier S. 136–137; Dietmar (wie Anm. 27), S. 31–34.

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gehörigen der Kölner Führungsschicht anging. Im Bürgeraufgebot wurde sicher mancher allein aufgrund politischer und sozialer Kriterien gelangte Offizier, ohne dass es jedem Bürgerhauptmann möglich gewesen wäre, auch nur einen Zug Schützen ins Gefecht zu führen (was indes auch auf manchen Adelssprössling zugetroffen haben dürfte, der sich unversehens in einer blutigen Schlacht an der Spitze einer Kompanie wiederfand). Aber nichts spricht dagegen, dass andere durchaus dazu in der Lage gewesen wären, einen größeren Truppenkörper zu führen (dies aber mangels tatsächlichem Einsatz des Bürgeraufgebots nicht unter Beweis stellen konnten). Das führt zur Frage der potentiellen Einsatzbereitschaft und Kampfkraft des Bürgeraufgebots allgemein und damit auch zu den militärischen Kompetenzen in der Bürgerschaft unterhalb der Ebene der höheren Führung. Kürzlich hat Tobias Wulf dem Bürgeraufgebot der Frühen Neuzeit vor allem eine »symbolische Bedeutung«39 zugestanden. Tatsächlich wurde das Bürgeraufgebot so genutzt  – zur Darstellung von innerstädtischer Solidarität, grundsätzlicher Gleichheit der Bürger oder Wehrhaftigkeit, aber auch für zeremonielle Auftritte etwa beim Empfang hochgestellter Gäste. Auch ist durchaus zu belegen, dass Bürger ihren Wachpflichten nur lax nachkamen. Hermann Weinsberg, der Chronist des 16. Jahrhunderts, berichtet beispielsweise von Essen und Wein während einer offensichtlich entspannten Nachtwache.40 So gut gelaunt wie an diesem Tag war er aber wohl wenig später nicht mehr, als er 1568 auf der Mauer stand, während feindlich gesonnene Truppen in der Umgebung der Stadt umherstreiften.41 Dass aus dem Spaß schnell ernst werden konnte, war den Bürgern jedenfalls sehr bewusst. Damit lag es schon in ihrem Eigeninteresse, die Einsatzbereitschaft des Bürgerkorps wenn schon nicht zur Perfektion zu bringen, dann doch hoch genug für defensive Aufgaben auf der Stadtmauer und an den Toren zu halten. Auch wenn es zeitweise möglich war, sich dem Dienst durch direkte oder indirekte Zahlungen zu entziehen42, musste immer damit gerechnet werden, dass die Verteidigung des weitläufigen Mauerrings durch Bürger (mit-) getragen werden musste. Gerade in einer existenzbedrohenden Krise wurde Wert darauf gelegt, dass die Bürger »selbst in deren harnischen an den portzen wachen sollen und keine ­heyerlinck«43. Wenn man dem Bürgeraufgebot keine Standfestigkeit zugetraut hätte, 39 Tobias Wulf: Die Pfarrgemeinden der Stadt Köln. Entwicklung und Bedeutung vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit, Siegburg 2012, S. 281–283. 40 Vgl. Das Buch Weinsberg: Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert. Bd. 1, bearb. von Konstantin Höhlbaum, Leipzig 1886; Bd. 2, bearb. von dems., Leipzig 1887; Bd. 3, bearb. von Friedrich Lau, Bonn 1897; Bd. 4, bearb. von dems., Bonn 1898; Bd. 5: Kulturhistorische Ergänzungen, bearb. von Josef Stein, Bonn 1926. Bd. 1–5 Nachdruck Düsseldorf 2000, hier Bd. 2, S. 178. 41 Vgl. Buch Weinsberg (wie Anm. 40), Bd. 2, S. 186. 42 Vgl. Schwerhoff, Köln, S. 355 und 389 und 424. Siehe auch HAStK Best. 10B A 22, fol. 160v (Befreiung von der Nachtwache gegen Zahlung von 1 fl. (1566). 43 HAStK Best. 10B A 16, fol. 204r (1552). Aus der zweiten Hälfte des 16.  Jahrhunderts liegen dann einige Bürgerverzeichnisse vor, bei denen auch die vorhandene Bewaffnung registriert wurde, siehe HAStK Best. 30N A 1463 und A 1467.

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hätte man umgekehrt gerade in einer bedrohlichen Situation darauf achten müssen, es vollständig durch Söldner zu ersetzen. Zwar ging seit dem Spätmittelalter die Kampfkraft von Bürgeraufgeboten und Landmilizen im Verhältnis zu den professionellen Armeen mehr und mehr zurück, und sie konnten sich kaum mehr mit Aussicht auf Erfolg einer regelrechten Schlacht stellen.44 Aber wenn es um die Verteidigung einer Stadtmauer ging, waren keine komplizierten Manöver erforderlich, die jahrelange Übungen erforderten. Auch konnten Schusswaffen aus festen Deckungen heraus abgefeuert werden, was weniger Kaltblütigkeit erforderte, als einem Kavallerieangriff auf offenem Feld standzuhalten. Bis zuletzt konnten daher Bürgeraufgebote einen für jeden Angreifer schwer zu kalkulierenden Anteil an der Verteidigung einer Stadt übernehmen. Hinzu kommt eine bisweilen erhöhte Motivation zum Schutz der eigenen Lebenswelt. Dabei muss sicherlich zwischen einem harten Kern von Bürgeraufgeboten45 und einem großen Anteil von unerfahrenen und schlecht ausgerüsteten Männern unterschieden werden, die aber im Ernstfall am harten Kern Rückhalt finden konnten. Und für einen solchen harten Kern standen in Köln genügend Männer zur Verfügung. Die Stadt war seit jeher ein beliebter Werbeplatz auch für auswärtige Armeen.46 Angeworben wurden dabei zwar auch fremde Deserteure, die nur von diesem Werbeplatz angezogen an den Rhein kamen, und die sprichwörtlichen Kriminellen und Bettler, die nach der allerdings inzwischen korrigierten Ansicht der älteren Forschung die Ränge der frühneuzeitlichen Armeen gefüllt hätten.47 Aber 44 Vgl. z. B. Roger B. Manning: An Apprenticeship in Arms. The Origins of the British Army 1585–1702, Oxford / New York 2006, S. 290–313; Max Plassmann: Krieg und Defension am Oberrhein. Die Vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693–1706), Berlin 2000, S. 269–274. 45 Zu diesem zählen sicherlich die im 15. Jahrhundert aufgestellte Truppe von etwa 50 semiprofessionellen Schützen und das im 17.  Jahrhundert erneut etablierte Wartschützenwesen mit etwa 100 Mann. Vgl. Wübbeke (wie Anm. 7), S. 68–71; Paul Holt: Die Wartschützen der Reichsstadt Köln, ein Beitrag zur Geschichte ihrer militärischen Einrichtungen. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 6/7 (1925), S. 237–240, hier S. 237. In welchem Verhältnis die Schützen dazu standen, die Schützenfeste auch als gesellschaftliches Ereignis organisierten, müsste noch eingehender untersucht werden. Zu ihnen siehe HAStK Best. 30N A 477–479 und 1204. 46 Preußische Werbungen dokumentiert z. B.  Jürgen Kloosterhuis / Bernhard R.  Kroener /  Klaus Neitmann / R alf Pröve (Hrsg.): Militär und Gesellschaft in Preußen. Quellen zur Militärsozialisation 1713–1806. Archivalien in Berlin, Dessau und Leipzig. 3 Bde., Berlin 2015, hier Nr. 2094, 2115, 2172, 2230, 2408, 2783 f.. Vgl. auch Wilhelm Hamacher: Die Reichsstadt Köln und der Siebenjährige Krieg, Bonn 1911, S. 2. 47 Vgl. Ralf Pröve: Zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft im Spiegel gewaltsamer Re­ krutierungen (1648–1789). In: Zeitschrift für Historische Forschung 22 (1995), S. 193–223; Michael Sikora: Söldner – historische Annäherung an einen Kriegertypus. In: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 210–238, hier S. 218–220; Peter Burschel: Söldner im Nordwestdeutschland des 16. und 17. Jahrhunderts. Sozialgeschichtliche Studien, Göttingen

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es lässt sich leicht erweisen, dass immer wieder auch etablierte Kölner Bürger in unterschiedlichen Funktionen beziehungsweise ihre Söhne in fremde Kriege zogen, um danach zurückzukehren und wieder ein bürgerliches Leben aufzunehmen. So berichtet der Hermann Weinsberg im 16. Jahrhundert gleich mehrfach von Verwandten und Nachbarn, die in den Niederlanden und in Frankreich Kriegsdienste angenommen hatten. Sein Schwager Conrat Eck hatte dies offenbar auf einer höheren Hierarchiestufe getan, denn er war mit einem Heerwagen und 12 Pferden in die Niederlande gezogen.48 Aus welchen Gründen auch immer trat auch der Sattler-Meister Joannes Eupen 1757 in die kurpfälzische Armee ein – wofür er sich auf sechs Jahre vom Kölner Bürgerrecht beurlauben ließ.49 So war nicht jeder Kölner ein erfahrener Soldat, aber es gab immer genug Männer mit entsprechender Expertise in der Stadt, auf die man im Bedarfsfall zurückgreifen konnte, auch um Bürgermeister und Rat zu beraten. So 1552, als ein Krieg mit Frankreich drohte. Damals wurde eine Kommission gebildet, die die Details der notwendigen Kriegsvorbereitungen besprechen sollte. Jede der 22 Gaffeln sollte in diese Kommission ein oder zwei Männer mit militärischer Erfahrung aus ihren Reihen entsenden.50 Zudem wurden vier erfahrene Landsknechte, »so in Kriegshendlen Befelch gehabt«51 als Berater angeheuert, wofür sie jeweils einen Monatssold erhielten. Solche Männer waren offenbar in Köln verfügbar. Das noch etwa 100 Jahre später: 1670 wurde ein Kompaniechef für eine neue Kompanie der Stadtsoldaten ebenfalls in den eigenen Reihen gesucht.52 In Köln lebten also immer Männer mit einer gewissen militärischen Erfahrung, die sie in Krieg und Frieden erworben hatten und die sie ihrer Heimatstadt im Bedarfsfall zur Verfügung stellen konnten. Das bedeutet jedoch umgekehrt nicht, dass alle Kölner begeisterte oder auch nur einsatzbereite Mitglieder des Bürgeraufgebots waren. Im Gegenteil: Probleme mit ihrer Einsatzbereitschaft und ihrer Disziplin sind immer wieder reichlich belegt. Sie erschienen ohne Munition zum Dienst53, klagten über die zu hohen Belastungen durch anstrengende Wachdienste54 und drohten bei

48 49 50 51 52 53 54

1994, S. 54–96; Peter H. Wilson: Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie, Darmstadt 2017, S. 942–948; Marian Füssel: Stehende Söldner-Heere? Europäische Rekrutierungspraktiken im Vergleich (1648–1789). In: Kaspar von Greyerz / A ndré Holenstein /  Andreas Würgler (Hrsg.): Soldgeschäfte, Klientelismus, Korruption in der Frühen Neuzeit. Zum Soldunternehmertum der Familie Zurlauben im schweizerischen und europäischen Kontext, Göttingen 2018, S. 259–278, hier S. 269–270. Vgl. Buch Weinsberg (wie Anm. 40), Bd. 2, S. 190–191 und S. 219 und S. 249 und S. 268 und S. 340 sowie Bd. 4, S. 85. HAStK Best. 10B A 204, fol. 6r. HAStK Best. 10B A 16, fol. 132v-134r. HAStK Best. 10B A 16, fol. 110v-111r. HAStK Best. 10B A 117, fol. 388v. Das ist im Umkehrschluss einem diese Praxis verbietenden Edikt von 1734 zu entnehmen, HAStK Best. 14 A 4, fol. 223. Vgl. z. B. Wübbeke (wie Anm. 7), S. 61.

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Abb 4: Arnold Colyns: Das Kölner Entsatzheer vor Neuss (1582). © Kölnisches Stadtmuseum KSM 1987/502/Rheinisches Bildarchiv rba_d035260_03.

der einzigen größeren Heerfahrt 1474/75 nach Neuss mit der eigenmächtigen Rückkehr nach Köln. Zudem waren dort »etliche burgeren« dadurch aufgefallen, dass sie »jonge knechste ind kyndere alher schicken, die nyet werhafftich syn«55 (was immerhin darauf hindeutet, dass man erwachsene Männer für wehrhaft hielt). Es ist insgesamt schwer zu sagen, wie sich das Bürgeraufgebot im Falle einer regelrechten Belagerung Kölns tatsächlich geschlagen hätte. Vermutlich würde die Antwort nicht einheitlich ausfallen, wären also neben kampfkräftigen und einsatzbereiten Teilen auch solche zu beobachten gewesen, die beim ersten Schuss auseinanderliefen. Entscheidend ist aber, dass auch ein möglicher Angreifer nicht wissen konnte, wie sich die Kölner schlagen würden. Das zahlenmäßig starke Bürgeraufgebot konnte selbst dann, wenn nur die Hälfte von ihm tatsächlich auf die Wälle zog, gemeinsam mit den verfügbaren Söldnern den Angriff einer Belagerungsarmee durchaus zum Scheitern 55 Adolf Ulrich: Acten zum Neusser Kriege 1472–1475. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 49 (1889), S. 1–183, hier Nr. 109.

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bringen. Möglicherweise kam deshalb und wegen der ausgedehnten Befestigungsanlagen niemand auf die Idee, Köln tatsächlich förmlich anzugreifen. Jedenfalls waren bewaffnete Bürger ein für heutige Historiker wie für vormoderne Angreifer schwer zu kalkulierender Teil des militärischen Potentials der Stadt Köln. Zudem muss man sich dafür hüten, nur die große Schlacht oder die förmliche Belagerung als militärische Einsatzszenarien zu betrachten und davon auszugehen, dass außerhalb dieser Großereignisse nicht gekämpft wurde. In der Praxis der vormodernen Kriege nahm der sogenannte Kleine Krieg der Parteien, Patrouillen und Raubzüge, die das Land und die Verkehrswege unsicher machten, häufig sogar einen größeren Stellenwert ein.56 Auch wenn es jedenfalls nach 1475 zu keinen großen Schlachten oder Belagerungen kam, in denen sich das Bürgeraufgebot hätte bewähren können, griffen Kölner daher während der Frühen Neuzeit doch immer wieder unterhalb der Schwelle der großen Operationen zu den Waffen. Im Kleinen Krieg reichte es aber nicht aus, die Festungswälle zu behaupten. Vielmehr musste auch der Verkehr über Land gesichert werden, und auch diejenigen Kölner, die das Vorfeld der Stadt landwirtschaftlich nutzten, wollten ihrem Gewerbe möglichst ungehindert nachgehen. Deshalb schritt beispielsweise ein Bauer 1588 ein, als Männer aus Bonn Pferde vor der Kölner Weiherpforte rauben wollten. Er konnte erreichen, dass ihm reguläre Stadtsoldaten von der Pforte aus zur Hilfe eilten, und zusammen tötete man die Angreifer.57 Kurz darauf wurden im Rahmen eines größeren Überfalls 300  Ferkel vor dem Eigelsteintor geraubt. Sofort eilten »etliche gutte lude«58 aus der Stadt herbei und nahmen die Verfolgung auf, wobei sie offenbar bewaffnet waren. Das sich mit den Räubern entwickelnde Gefecht verloren sie allerdings. Dennoch zeigen diese beiden Beispiele, dass Kölner Bürger durchaus dazu bereit waren, gewaltsam und bewaffnet gegen Friedensstörer im Umfeld der Stadt vorzugehen, wobei es jeweils unerheblich ist, ob es sich um reguläres oder irreguläres Militär oder Räuber handelte. Die Beispiele lassen sich vermehren. 1648, in der Endphase des damals nahe an die Stadt herangerückten Dreißigjährigen Krieges, erhielten Bürger die Genehmigung, bewaffnet auf die Felder vor der Stadt zu ziehen, um sich gegebenenfalls gegen feindliche hessische oder marodierende kaiserliche Truppen wehren zu können. Der Rat machte es ihnen nur zur Auflage, ihre Waffen mit »geziemender bescheidenheit«59 einzusetzen und keine Unschuldigen zu treffen. Und noch Anfang Oktober 1794, wenige Tage vor der Besetzung Kölns durch französische Truppen, forderte ein Ratsedikt vom Bürgeraufgebot, außerhalb der Festungswälle auf Feldwachen 56 Vgl. Martin Rink: Partisanen und Landvolk 1730 bis 1830. Eine militär- und sozialgeschichtliche Beziehung zwischen Schrecken und Schutz, zwischen Kampf und Kollaboration. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 59 (2000), S. 23–59; ders.: Der kleine Krieg. Entwicklungen und Trends asymmetrischer Gewalt 1740 bis 1815. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 65 (2006), S. 355–388. 57 Die Episode wird berichtet in Buch Weinsberg (wie Anm. 40), Bd. 4, S. 31–32. 58 Buch Weinsberg (wie Anm. 40), Bd. 4, S. 34. 59 HAStK Best. 10B A 95, fol. 205r.

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und Patrouillen zu ziehen.60 Wenigstens ein Teil der Bürger und Einwohner Kölns wusste also seine Waffen auch im Kampf zu gebrauchten und scheute im Zweifel auch nicht davor zurück. Insgesamt ergibt sich also der Befund, dass die Kölner Bürger der Vormoderne zwar nicht in ihrer Gesamtheit waffenstarrende militärische Profis gewesen sind und dass wahrscheinlich je nach Betrachtungszeitraum sogar eine Mehrheit von ihnen weder über den Willen noch über die praktischen Fähigkeiten beziehungsweise die körperliche Konstitution verfügte, um erfolgreich in den Krieg zu ziehen. Jedoch waren professionelle und halbprofessionelle Soldaten beziehungsweise Männer mit Kriegserfahrung während der gesamten Vormoderne auf den unterschiedlichsten Ebenen Teil der Stadtgesellschaft. Schon weil die Einwohnerschaft Kölns im Vergleich zu anderen Städten (und während des Mittelalters auch im Vergleich zum mobilisierbaren Potential manches Fürsten) zahlenmäßig herausragte, ergab bereits ein verhältnismäßig geringer Anteil solcher Männer an der Gesamtzahl eine ausreichende Menge, um sowohl Bürgermeister und Rat in Kriegsfragen zu beraten, als auch Führungspositionen zu besetzen und schließlich auch Gefechte zu führen. Militärische Kompetenz gehörte so zu den Bereichen, die in einer arbeitsteilig differenzierten Stadtgesellschaft von einigen zum Wohle aller bereitgestellt wurden. Jedoch waren es letztlich nicht nur die ausgewiesenen Spezialisten, die zu den Waffen griffen. Auch wenn gerade in einer Stadt wie Köln die Austragung von Konflikten mehr und mehr auf friedlichem, nämlich gerichtlichem Wege gesucht wurde, so blieb Gewalt doch eine Alltagserfahrung. Ganz unabhängig vom Krieg war zumindest der männliche Bevölkerungsteil noch im 18. Jahrhundert dazu bereit und in der Lage, auch mit den Fäusten oder mit dem Messer seine Interessen oder seine Ehre zu verteidigen.61 Sicherlich unterscheiden sich die Intensität und das Risiko einer Wirtshausschlägerei von denen eines Gefechts gegen reguläres Militär. Jedoch handelt es sich hier um einen graduellen Unterschied. Die Grenze vom friedlichen Alltag zu Kampf und Verletzung war jedenfalls nicht so scharf gezogen, wie es das später konstruierte Bild des friedlichen und militärfernen Kölners sehen wollte. Daher ist die Antwort auf einen Teil der Frage nach den militärischen Kompetenzen in der Stadtgesellschaft trivial: Selbstverständlich war ein keineswegs geringer Teil der Stadtbevölkerung dazu bereit und in der Lage, Gewalt im Alltag und im Krieg auszuüben (und bis zu einem gewissen Grad zu erleiden). Entscheidend für eine Kriegsführung im größeren Stil war es aber, dieses Potential zu organisieren und zu führen. Das lernte man nicht in der Wirtshausschlägerei, aber durchaus bis zu einem gewissen Grad beim Durchlaufen einer Karriere als Ratsherr, Inhaber von Ratsämtern und Bürgermeister. Die politische und zum Teil auch die soziale Elite musste schon deshalb, weil sie die Interessen der Stadt und der Bürgerschaft in einer

60 HAStK X-Best. 6100 A 248. 61 Siehe etwa die leicht zu vermehrenden Beispiele HAStK Best. 125 A 37, fol. 60–61; HAStK Best. 120 A 4571, fol. 26–27.

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kriegerischen und gewaltbereiten Zeit zu wahren hatte, notgedrungen über gewisse militärische Expertise und Führungserfahrung verfügen. Nicht bei jedem einzelnen Ratsherrn, aber doch bei so vielen, dass man im Bedarfsfall auf sie hören konnte. Dass sich Bürgermeister und Rat stets den Oberbefehl über die bewaffnete Macht aus Söldnern und Bürgeraufgebot vorbehielten und keinen professionellen Anführer einstellten, zeigt jedenfalls, dass sie selbst davon ausgingen, Köln auch durch einen Krieg steuern zu können.

Festungsarchäologie in Ingolstadt Ein Überblick Ruth Sandner

Der Tagungsbeitrag greift überblicksartig und keineswegs vollständig Ergebnisse bisher durchgeführter bauvorgreifender archäologischer Sicherungsmaßnahmen im Festungsgürtel Ingolstadts auf und fokussiert auf die bisherigen Erkenntnisse der seit 2011 mit Unterbrechung laufenden archäologischen Ausgrabungen auf dem so genannten Gießereigelände.1

1. Festungsarchäologie in Ingolstadt Der Begriff der Festungsarchäologie umschreibt  – bezogen auf Ingolstadt  – keine absichtsvoll geplanten archäologischen Ausgrabungen zu Fragen der Festungsgeschichte. Die zahlreichen, mit archäologischen Methoden gewonnenen Einblicke in die untertägig erhaltenen Bestandteile der Festungswerke sind das Resultat einer konsequenten Umsetzung der Bestimmungen des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes. Die bisher dokumentierten Befunde umfassen alle Ausbauphasen und variieren von sehr kleinräumigen Einblicken hin zur Untersuchung räumlich ausgedehnter 1 Vorberichte mit Abbildungen zu den archäologischen Ausgrabungen bei Gerd Riedel / Ruth Sandner / Tobias Schönauer: Von Eseln und Schimmeln. Archäologische Ausgrabungen im Bereich der Ingolstädter Landesfestung. Denkmalpflege Informationen 152, München 2012, S. 19–21; Gerd Riedel / Ruth Sandner: Von der Landesfestung zur Industriestadt. Der Strukturwandel in Ingolstadt aus archäologischer Sicht. Mitt. der Dt. Gesell. f. Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 28, Paderborn 2015, S. 71–82; Gerd Riedel / Ruth Sandner: The Swedish Threat to the Fortress of Ingolstadt – What is the »Legacy« of 4 May 1632? Historische Archäologie 1/2014 [29.01.2016] doi 10.18440/ha.2014.1; Ruth Sandner: »Fest verwachsen mit der bayerischen Heimaterde haben sie dem Zahne der Zeit und den über sie dahinbrausenden Stürmen getrotzt«. Archäologische Ausgrabungen in der Bayerischen Landesfestung. Festschrift für Karl Schmotz zum 65. Geburtstag. Internationale Archäologie – Studia honoria 35, Rahden / Westf. 2014, S. 453–466 sowie Ruth Sandner: Festungsarchäologie – Zum Stand der archäologischen Untersuchungen auf dem Ingolstädter Gießereigelände. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 (2017), S. 261–276. Der hier vorgelegte Tagungsbeitrag ist eine Kurzversion des Vorgenannten; auf die dort publizierten Abbildungen wird ver­ wiesen.

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Areale. Diese »Zufälligkeit« der Zeitstufe, des Ortes und des Ausschnitts wirkt auf den ersten Blick exemplarisch, bietet mittlerweile jedoch eine sehr breite Datenbasis.2 Für die renaissancezeitliche Festung sind die archäologischen Untersuchungen im Bereich der Kugel-, der Harder- und der Eselbastei sowie im Innenhof der so genannten Wunderlkasematte heranzuziehen.3 Auch nachfolgende Ausbauphasen sowie Werke der Neukonzeption des 19. Jahrhunderts wurden von archäologischen Untersuchungen erfasst.4 Bei den angetroffenen Befunden als Teil des Bodendenkmals handelt es sich jedoch nicht immer um massive bauliche Reste, Mauern beispielsweise, deren Interpretation im Abgleich mit verfügbarem Planmaterial im Groben gut gelingt. Zum Befundspektrum zählen auch isoliert angetroffene Erdbefunde, darunter Pflanzlöcher, die zur Maskierung der Stellungen mit Bäumen notwendig waren.5 Eine lagegenaue Vorhersage der untertägig erhaltenen Werke ist – in gewissen Umfang – möglich.6 Eine Beurteilung des untertägigen Erhaltungszustands im Rückgriff auf Archivalien, zeitgenössische Fotos beispielsweise, zu versuchen erweist sich als schwierig. Die unterschiedlichen Intentionen fotografischer Aufnahmen bringen es mit sich, dass darauf festgehaltene Details nicht uneingeschränkt für eine archäologische Grundlagenermittlung geeignet sein müssen. Aufnahmen von umfangreichen Niederlegungsarbeiten7 könnten nur allzu leicht die Schlussfolgerung nach sich ziehen, dass die Werke vollständig, das heißt zusammen mit deren untertägigen Bestandteilen, abgetragen worden seien. Auf Grundlage der bisherigen archäologischen Untersuchungen muss für Ingolstadt aber mittlerweile davon ausgegangen werden, dass sich ein Abtrag der Festungswerke auch im 20. Jahrhundert mit großer Wahrscheinlichkeit in der Regel auf das Niveau späterer Planungsho­rizonte beschränkte, keineswegs jedoch eine tiefgreifende Entfernung baulicher Reste stattfand.8

2 Zur Visualisierung von Grabungsflächen in der Kernstadt (ohne kleinräumige Eingriffe) vgl. Gerd Riedel: Archäologie Aktuell: Wie Ingolstadt zur Stadt wird. In: Stadtarchiv / Wissenschaftliche Stadtbibliothek / Stadtmuseum Ingolstadt in Vbd. mit dem Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege (Hrsg.), Dokumentation zur Stadtgeschichte. Bd. 10, Büchenbach 2016, S. 11–20, hier S. 17 Abb. 6. 3 Uwe Arauner / Gerd Riedel: Das »Glacis«  – Bodendenkmal und »Freilichtmuseum«  – Die unregelmäßigen Fronten. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 119 (2010), S. 158–183, hier S. 160–162; zu den Grabungen im Bereich der Eselsbastei vgl. Anm. 1. 4 Vgl. Sandner 2017 (wie Anm. 1), S. 261–262 mit Anm. 6–7 sowie einige Beispiele auch bei Arauner / R iedel 2010 (wie Anm. 3). 5 Hermann Kerscher: »Militärarchäologie« im Umfeld der ehem. bayerischen Landesfestung Ingolstadt. Denkmalpflege Informationen B 124, München 2003, S. 24–26, hier S. 26 mit Abb. 6 Vgl. dazu grundlegend Uwe Arauner: Festung Ingolstadt. Digitalisierung – Georeferenzierung – Vektorisierung. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 (2017), S. 323–341. 7 Vgl. Riedel / Sandner 2015 (wie Anm. 1), S. 78 mit Anm. 62 sowie Arauner / R iedel 2010 (wie Anm. 3), S. 161 Abb. 2–3; S. 163 Abb. 5; S. 177 Abb. 18. 8 Vgl. Arauner / R iedel 2010 (wie Anm. 3), S. 162–164.

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2. Archäologische Ausgrabungen auf dem Gießereigelände Auf dem so genannten Gießereigelände9 wurde schon in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Abtrag der Industrieanlagen archäologisch begleitet.10 Damals beschränkten sich die archäologischen Untersuchungen auf Bereiche, in denen ein Rückbau der modernen Überbauung erforderlich wurde. Ein hoher Wasserspiegel behinderte die archäologische Dokumentation.11 Trotz der ausschnitthaften und nur oberflächlichen Einblicke war mit abgeschlossener Baufeldfreimachung davon auszugehen, dass dort mindestens Reste der Festungswerke des 19. Jahrhunderts untertägig erhalten geblieben sind. Teilweise lagen die Fundamente dieser Anlagen nach Abtrag der Altbebauung oberflächlich frei.12 Eine vollflächige Beurteilung des tiefgründigen, untertägigen Erhaltungszustands der Festungswerke war zum damaligen Zeitpunkt nicht zuverlässig möglich. Erst die jüngste, vollflächige und tiefgreifende Überplanung rückte das Gießereigelände im Winter 2010/11 wieder in den Fokus der Bodendenkmalpflege.13

3. Festungsgeschichte des Gießereigeländes im Spiegel der Archäologie Bereits zu Beginn der Bauarbeiten wurden im nördlichsten Geländeabschnitt massive Mauern angetroffen. Sie gehörten größtenteils zu den Fundamenten der so genannten Direktorenvillen der ehemals Königlich Bayerischen Geschützgießerei und Geschoßfabrik, die erst in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts abgetragen

9 Mit dem Begriff des Gießereigeländes wird im Nachfolgenden das bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts industriell genutzte Areal zwischen Technischer Hochschule und Schloßlände bezeichnet. Im Süden wird das Gelände durch das Kavalier Dallwigk bzw. der Schloßlände begrenzt, im Osten durch den heutigen Grüngürtel auf dem Glacis und Teilen der Hauptumwallung, nach Norden durch die ältere Bestandsbebauung der Technischen Hochschule und im Westen durch die Roßmühlstraße bzw. das Neue Schloss. 10 Vgl. Arauner / R iedel 2010 (wie Anm. 3), S. 172–175. 11 Vgl. Riedel / Sandner 2015 (wie Anm. 1), S. 76 Abb. 7. 12 Vgl. Arauner / R iedel 2010 (wie Anm. 3), S. 172–174 mit Abb.  12–16 sowie Riedel / Sandner 2015 (wie Anm. 1), S. 77 Abb. 8. 13 Die archäologischen Maßnahmen auf dem Gießereigelände wurden getrennt durchgeführt. Auch bedingt durch den langen zeitlichen Abstand sind mehrere wissenschaftliche Grabungsleiter zu nennen. Um die Übersichtlichkeit zu gewährleisten wird innerhalb des Beitrags nicht nach Maßnahmen unterschieden. Stattdessen werden ausgewählte Befunde in chronologischer bzw. inhaltlicher Zuordnung aufgeführt. Alle Ergebnisse beruhen auf den Mitteilungen bzw. Berichten der archäologischen Fachfirma Pro Arch Prospektion und Archäologie GmbH, hauptsächlich von Stefan Dembinski, Alexander Heckendorff, Michael Rakos und Jan Weinig (Grabungsbericht und Wochenbericht).

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worden sind.14 Ein wichtiges Detail im archäologischen Befund: die Gebäude nutzten Festungsmauern als Substruktion und gründeten in die deutlich erkennbaren beziehungsweise erhaltenen Gräben der barockzeitlichen Festung.15 Da sich die angetroffenen archäologischen Befunde in die südliche Baugrubenwand des ersten Bauabschnitts fortsetzten, war zu vermuten, dass auch in den südlichen Teilflächen des Geländes – trotz intensiver Nutzung – mit archäologischem Befund zu rechnen ist.16 Nach derzeitigem Kenntnisstand stammen die ältesten Befunde auf dem Gießereigelände aus der Vorfestungszeit. Als älteste Bestandteile der Festung sind die untertägig sehr gut erhaltenen Reste der renaissancezeitlichen, bastionären Festung hervorzuheben. Bereits beim Freilegen einer das Gelände zur Schloßlände abschließenden Mauer der jüngeren Nutzungszeit konnte eine weit nach Norden ausgreifende, wandpfeilerartige Struktur dokumentiert werden, die sich von den umliegenden Wandvorlagen unterschied.17 Der weitere Bodenabtrag im Mauervorfeld zeigte, dass sich diese Wandvorlage nicht nur deutlich weiter nach Norden fortsetzte als die umliegenden, sondern auch in einem halbrunden Abschluss endete. Ihre nach Osten gerichtete Außenseite war teilweise mit bossierten Quadern ausgestaltet.18 Der Vergleich dieser noch bis zu sechs Meter hoch erhaltenen Mauer mit der Darstellung des Schloßvorgeländes im großen Sandtnermodell von 1572/7319 untermauert die Deutung des Baubefundes als Eselbastei. Von jener Anlage aus soll während des Dreißigjährigen Krieges der schwedische König Gustav II. Adolf beim Versuch, den erst kurz zuvor verstärkten Brückenkopf einzunehmen, beschossen worden sein. Der König überlebte zwar unverletzt, aber zog am 04. Mai 1632 aus Ingolstadt ab.20 14 Karl Bauer: Die Fronte Raglovich. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 107 (1998), S. 223–257, hier S. 248 Abb. 15; Karl Bauer: Die Zweigbahnen der Fronte Raglovich. Frühe Zweigbahnen in das Innere der Festung. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 107 (1998), S. 259–307, hier S. 286 Abb. 11 (Plan: März 1882). 15 Grabungsbericht M–2011–675–2, Erweiterung Fachhochschule, Bauteil F (Dr. J. Weinig /  A. Heckendorff M. A.), S. 8–9 mit Abb.  7 sowie Sandner 2017 (wie Anm. 1), S. 265 Abb.  2.  16 Grabungsbericht M-2011–675–2, Erweiterung Fachhochschule, Bauteil F (Dr. J. Weinig /  A. Heckendorff M. A.), S. 7 mit Abb. 4. Zur Schwierigkeit der exakten Ansprache angetroffener Befunde im Abgleich mit überlieferten Planmaterials ebd. S. 8. 17 M-2011–675–1, Stadt Ingolstadt Gießereigelände »Mauerabbruch« (M.  Rakos M. A.), S. 6–8; S. 11 mit Planüberlagerung Abb.  10 sowie Tobias Schönauer: Aktuelle Nutzung und Inwertsetzung. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 (2017), S. 244–260, hier S. 259 Abb.  20. 18 Vgl. Sandner 2017 (wie Anm. 1), S. 267 Abb. 3. 19 Frank Becker: Die Bauwerke der mittelalterlichen Stadtmauer und der Renaissancebefestigung. In: Frank Becker / Christina Grimminger / K arlheinz Hemmeter (Hrsg.), Denkmäler in Bayern. Stadt Ingolstadt 1.I, München 2002, S. LXXXV–CII, hier S. XCVII Abb. 21. 20 Ernst Aichner: Die Bayerische Landesfestung Ingolstadt. In: Ingolstadt  – vom Werden einer Stadt. Geschichten & Gesichter, Ingolstadt 2000, S. 140–169, hier S. 145. – Eine Lokalisierung des schwedischen Lagers mit archäologischen Methoden gelang bislang nicht. Vgl. Uwe Arauner / Gerd Riedel: Zur Lokalisierung des schwedischen Lagers von 1623. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 124 (2015), 184–200.

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Die untertägig erhaltenen Reste der Eselbastei liegen im archäologischen Befund in andere bauliche Strukturen eingebettet.21 Deren genaue zeitliche Abfolge wird zuverlässig erst nach Auswertung aller angetroffenen Befunde gelingen. Zur Interpretation werden auch die Ergebnisse der ergänzenden naturwissenschaftlichen Untersuchungen, vorrangig die der Dendrodatierung, eine wichtige Rolle spielen.22 Während des Dreißigjährigen Krieges erfuhr die Festung bauliche Ergänzungen23, was sich im archäologischen Befund des Gießereigeländes bislang jedoch nur andeutet.24 Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde die Festung unter Kurfürst Ferdinand Maria ausgebaut (1654 bis 1662), wofür umfangreiche Finanzmittel freigesetzt wurden mussten25: Vor dem Neuen Schloss, im Bereich des Gießereigeländes, wurden den vorhandenen Geschützplattformen niedrigere Bastionen vorgelagert. Der dortige Stadtausgang wurde in den Zwischenwall verlegt, sodass der Stadtzugang über ein Wallschild zwischen den neuen Bastionen führte, das Feldkirchner-Ravelin.26 Im archäologischen Befund des Gießereigeländes lassen sich dieser baulichen Verstärkung zahlreiche Befunde zuweisen: Neben Mauerzügen auf hölzernen Substruktionen zählen die Gräben der erweiterten Bastionen mit ihren, im feuchten Untergrund teilweise erhalten gebliebenen Brückenkonstruktionen dazu. Ob die hölzernen Verbauungen der Gräben zu deren Wasserhaltung notwendig waren oder Reste der Baugrubensicherung sind, kann zum derzeitigen Kenntnisstand nicht entschieden werden. Im 18. Jahrhundert führte man immer wieder Ausbesserungs- und Ergänzungsarbeiten durch. Trotzdem verschlechterte sich der bauliche Zustand der Festung, auch weil die Finanzmittel zum angemessenen Unterhalt der weitläufigen Anlagen knapp waren.27 1799 wurde die Festung den französischen Truppen übergeben. Es

21 Vgl. Sandner 2017 (wie Anm. 1), S. 268 Abb. 4. 22 Erste Ergebnisse konnten für die Auswertung der Bauhölzer (Franz Herzig: Ingolstadt Gießereigelände. Seit 500 Jahren eine Großbaustelle – Stand der Datierung – Holzbedarf und Holzbeschaffung. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 [2017], S. 378–390) sowie der Bodenkunde (Martin Trappe: Sedimentologische Untersuchungen im Bereich der Grabung »Gießereigelände Ingolstadt«. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 [2017], S. 277–287) bereits vorgestellt werden. 23 Vgl. Aichner 2000 (wie Anm. 20), S. 145. 24 Vgl. Riedel / Sandner 2014 (wie Anm. 1). 25 Zu den bereits 1651 bis 1653 durchgeführten Reparaturen der beschädigten Werke vgl. Aichner 2000 (wie Anm. 20), S. 145–149. 26 Vgl. ebd. S. 147 sowie Ernst Aichner: Die bayerische Landesfestung. In: Frank Becker /  Christina Grimminger / K arlhein Hemmeter (Hrsg.), Denkmäler in Bayern. Stadt Ingolstadt 1.I, München 2002, S. CIII–CXXII, hier S. CVIII–CX. 27 Vgl. Aichner 2002 (wie Anm. 26), S. CX. – Die Beschreibung des baulichen Zustands der Festung Ingolstadt durch den k. u. k. Ingenieur-Major Allio zu Lechhausen und die in die Wege geleiteten Ausbesserungsarbeiten lassen den teilweise stark vernachlässigten Zustand

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folgte ihre Demolierung.28 Die im nördlichen Geländeabschnitt des Gießereigeländes, im Vorfeld der Kanonenhalle, angetroffenen Planierungen lassen sich darauf zurückzuführen.29 Auch Sprenglöcher in aufgehenden Mauerpartien und zerborstene hölzerne Mauerunterzüge, wie sie im archäologischen Befund des südlichen Geländebereichs angetroffen wurden, könnten einer ersten Einschätzung nach dieser Phase zuzuweisen sein. Nur wenige Jahre später fasste der bayerische König den Beschluss, Ingolstadt wieder zur Landesfestung auszubauen. Die Grundsteinlegung folgte sehr viel später, 1828 mit der Tilly-Veste.30 Werke dieser baulichen Neukonzeption waren auf dem Gießereigelände schon vor Beginn der archäologischen Arbeiten sichtbar. Neben den durch Abbrucharbeiten freigelegten Fundamentresten der Fronte Raglovich ist es das obertägig erhaltene Kavalier Dallwigk, das – mit einer industriezeitlichen Ergänzung – die Zeiten überdauerte und das lange Zeit brach liegende Gießereigelände dominierte. Planüberlagerung ließen trotz umfangreicher Niederlegungsarbeiten in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts für den östlichen Bereich des Gießereigeländes auch untertägig erhaltene Festungswerke des 19. Jahrhunderts, der Fronte Raglovich vermuten, die das an der Donaufront gelegenen Kavalier Dallwigk mit dem Kavalier Heideck verband.31 Die archäologischen Ausgrabungen im Vorgriff auf einen Erweiterungsbau der Technischen Hochschule an dieser Stelle bestätigten diese Prognose. Die im Baufenster angetroffenen Festungswerke zeigten eine sehr gute untertägige Erhaltung, einschließlich zahlreicher baulicher Details.32

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der Festung erahnen. Dazu Hermann Kerscher: Zur Armierung und Instandsetzung der Festung Ingolstadt im 1. und 2. Koalitionskrieg (1797–1799). Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 116 (2007), S. 230–232, hier S. 258–262. Vgl. Aichner 2002 (wie Anm. 26), S. CX. – Mit der Entscheidung, Ingolstadt wieder als Festung auszubauen (1804) folgte der Befehl, die Demolierung der Festung sowie den Verkauf der Festungsgründe einzustellen. Zu den weiteren Entwicklungen vgl. Edmund Hausfelder: Der Briefwechsel König Ludwigs I. von Bayern und anderer Zeitgenossen mit dem Ingolstädter Festungsbaudirektor Peter Ritter von Becker. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 107 (1998), 175–221, hier S. 176–178. Wochenbericht KW 16 (2016), mit Plan S. 2. Vgl. Aichner 2002 (wie Anm. 26), S. CXI. Vgl. Arauner / R iedel 2010 (wie Anm. 3), S. 159 Abb. 1. – Erfolgte der Bau der Fronte Raglovich größtenteils auf unbebautem Gebiet, waren trotzdem teilweise Abrissarbeiten bestehender Werke notwendig. So wurden die Abbrucharbeiten am Eselkavalier im Dezember 1835 abgeschlossen. Dazu Bauer (wie Anm. 14), S. 229; S. 223–227. Vgl. Sandner 2017 (wie Anm. 1), S. 271 Abb. 5.

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4. Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik Ab 1875 begann man, die in Bayern verstreut liegenden Rüstungsbetriebe in den Festungsgürtel Ingolstadt zu verlegen.33 Auf dem Gelände vor dem Neuen Schloss, auf der Esplanade der Fronte Raglovich, wurde die Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik angesiedelt. Heute erhalten ist nur mehr die so genannte Gießereihalle (Kanonenwerkstätte, erbaut 1882 bis 1884). Die veränderte Nutzung militärischer Bauten, die im Armierungsfall der Armee zurückgegeben hätten werden müssen, führte zu Umbauten an den Festungswerken, die sich nach dem Ersten Weltkrieg fortsetzten.34 Diese Veränderungen lassen sich auch am archäologischen Befund nachvollziehen.35 Um der veränderten Nutzung gerecht zu werden, war es erforderlich, ergänzende Bauten anzufügen, zum Beispiel im Festungsgraben. Auch ihre untertägig erhaltenen Reste konnten bei bauvorgreifenden archäologischen Sicherungsmaßnahmen dokumentiert werden.36 Dieser Nutzungswechsel, von einer militärischen zur industriellen, lässt sich auf dem Gießereigelände auch am Fundgut nachvollziehen.37

5. Industrielle Nachnutzung Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden die militärischen Betriebe stillgelegt. Die Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik stellte 1920 mit dem Bau von Spinnereimaschinen auf Friedensproduktion um. Drei Jahre später wurde das Gelände der Fronte Raglovich und ihrer Esplanade Eigenbesitz der Aktiengesell-

33 Brigitte Huber: Von der »Bauernstadt« zum überregionalen Industriestandort. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 (2017), S. 230–243, hier S. 238–243. 34 Vgl. Bauer (wie Anm. 14), S. 242–244. Es wurden beispielsweise Durchbrüche für Einfahrten und Zugänge erforderlich und Schießscharten ausgebrochen, um die Durchlichtung zu verbessern. Der Abbruch der Neuen Eselbastei folgte am 22.10.1920 durch das Hüttenwerk Ingolstadt. Das mit diesen Arbeiten hergestellte Erscheinungsbild blieb nach Bauer bis in die neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts weitestgehend erhalten. 35 Gerd Riedel / Ruth Sandner: Rüstungsproduktion und Industrialisierung in der Festung Ingolstadt – archäologische Ergebnisse. In: Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung e. V. (Hrsg.), in Druck.- Grabungsbericht M-2011–675–6, Ingolstadt CARISSMA-Künette (St. Dembinski) S. 6–7. – Die Veränderungen während des 1. Weltkrieges umfassten auch eine teilweise Niederlegung einzelner Festungsabschnitte; vgl. dazu Bauer (wie Anm. 14), S. 243–244. 36 Vgl. Riedel / Sandner (wie Anm. 35) sowie Grabungsbericht M-2011–675–5, Ingolstadt CARISSMA (St. Dembinski), S. 20–22. 37 Dieter Storz: Gegenstände militärischer Herkunft im Fundgut. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 126 (2017), S. 365–377.

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schaft Deutsche Werke.38 Im Zuge der Produktionsumstellung wurden weitere Teile der Festungswerke abgetragen.39 Die Produktionshallen der Königlich Bayerischen Geschützgießerei und Geschoßfabrik konnten dagegen weitergenutzt werden und wurden – mit Ausnahme der Kanonenhalle – erst am Ende des 20. Jahrhunderts abgetragen. Die zukünftige Nutzung der Kanonenhalle als Museum für Konkrete Kunst und Design macht erneut umfangreiche bauvorgreifende archäologische Untersuchungen erforderlich. Nach Kartenüberlagerung und bisheriger Erkenntnis war mit Planungsbeginn davon auszugehen, dass dort mit Festungswerken mindestens des Barock zu rechnen sein wird. Im Innenbereich der Halle werden vor ihrer Entfernung jedoch auch Reste der frühen Industriegeschichte dokumentiert, da sie für die Ingolstädter Stadtgeschichte eine herausragende Bedeutung besitzen.40 Auch wenn für die jüngste Vergangenheit des Geländes viele Archivalien zur Verfügung stehen41, die eine Interpretation angetroffener Strukturen erleichtern, gibt es im archäologischen Befund weiterhin Überraschungen, wie die Entdeckung eines bis dahin unbekannten beziehungsweise vergessenen Luftschutzraumes im nördlichen Vorbereich der Kanonenhalle.42

6. Zusammenfassung Zum Zeitpunkt der Berichtslegung sind die archäologischen Ausgrabungen auf dem Ingolstädter Gießereigelände noch nicht abgeschlossen; die Auswertung naturwissenschaftlichen Probenmaterials steht erst am Beginn. Trotz aller Vorläufigkeit belegen die Ergebnisse der archäologischen Maßnahmen für das Gießereigelände, aber auch für das gesamte Stadtgebiet, einen hervorragenden untertägigen Erhalt der Festungswerke. Eine interdisziplinäre Aufarbeitung der mit archäologischen Methoden

38 Vgl. Bauer (wie Anm. 14), S. 244 mit Anm. 21. – Mit ihrer Umwidmung ging eine neue Nummerierung der Gebäude einher. Zudem wurden ergänzte Bauten mit aufgenommen. Vgl. Josef Steiner: Die Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik. Sammelbl. Hist. Ver. Ingolstadt 119 (2010), 207–249, hier S. 207–208 sowie Ders.: Die Königlich Bayerische Geschützgießerei und Geschoßfabrik. In: Sammelblatt Hist. Ver. Ingolstadt 119 (2010), S. 139–153. 39 Abbrucharbeiten von September 1924 bis September 1925. Vgl. Riedel / Sandner 2015 (wie Anm. 1), S. 78 mit Anm. 62. 40 Die Ausgrabungen in diesem Bereich sind bei Berichtslegung noch nicht abgeschlossen. Eine Dokumentation der Abbrucharbeiten bzw. des Ausbaus erbauungszeitlicher Ausstattungsgegenstände erfolgte mit den Abrissarbeiten in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts noch nicht. Vgl. Riedel / Sandner 2015 (wie Anm. 1), S. 76–77. 41 Vgl. Steiner (wie Anm. 38). 42 Wochenberichte M-2012–2670–2, IN Gießereihalle, MKKD (St. Dembinski) sowie vgl. Sandner 2017 (wie Anm. 1), S. 274 Abb. 6. 

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gewonnenen Erkenntnisse ist angesichts der hohen landesgeschichtlichen Bedeutung der Festung Ingolstadt dringend erforderlich. Nur die Zusammenschau unterschiedlicher Fachdisziplinen wird eine umfassende Bewertung des archäolo­g ischen Befundes und Fundguts ermöglichen und die Stadt-, Festungs- und Industriegeschichte Ingolstadts bereichern.

Festung Ingolstadt Materialität einer Garnisonsstadt Manfred Bauer

Ingolstadt zeichnet sich als ehemalige Festungsstadt gegenüber anderen Vertretern dieser Gattung durch einen guten Erhaltungsgrad sowohl der klassizistischen Werke als auch der renaissancezeitlichen Bodendenkmäler aus. Ein Umstand, der durch die besondere öffentliche Wahrnehmung die archäologische Erforschung und Dokumentation begünstigt. Auf dieser Basis fußt das Promotionsprojekt Die Landesfestung Ingolstadt. Archäologische Untersuchungen an ausgewählten Teilbereichen. Dieser Artikel widmet sich zwei thematischen Schwerpunkten: Zum einen wird das bereits aufgeführte Promotionsprojekt vorgestellt, das sich aus der wissenschaftlichen Auswertung mehrerer archäologischer Grabungen aus dem Altstadtbereich Ingolstadts zusammensetzt, die ein breites Spektrum der militärischen Werke einer Festungsstadt abdecken – von Bastionen über einen alten Militärhafen bis zu Kasernen. Zum anderen liegt ein besonderes Augenmerk auf der Materialität des Militärs im Kontext einer Festungsstadt. Diesem eng verbunden, ist darüber hinaus zu bedenken, dass die materielle Hinterlassenschaft des frühneuzeitlichen Soldaten nicht allein durch primär militärisch konnotiertes Material gekennzeichnet ist, sondern auch durch alltägliche Gegenstände, die durch ihr kontextuelles beziehungsweise gehäuftes Auftreten Hinweise auf die Anwesenheit von Militär geben können. Es gilt der Frage nachzugehen, ob und auf welche Weise diese materielle Kultur des Militärs, sozusagen der »militärische Fußabdruck« in beweglichen Dingen, archäologisch vor Ort fassbar ist.

1. Die Landesfestung als Promotionsprojekt Die Dissertation verfolgt einen Forschungsansatz, der von den Debatten um den Terminus der Materialität geprägt ist.1 Aufgrund der Komplexität dieses Diskurses soll in diesem Artikel jedoch nicht im Detail darauf eingegangen werden. Im militär1 Neben vielen anderen vgl. Marian Füssel: Die Materialität der Frühen Neuzeit. Neuere Forschungen zur Geschichte der materiellen Kultur. In: Zeitschrift für Historische Forschung 42/3 (2015), S. 433–463; sowie Arbeitskreis Militär und Gesellschaft: Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 13/1 (2009).

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archäologischen Kontext versteht man unter dem Begriff Materialität zumeist jenen der Material Culture, welcher im Folgenden zu großen Teilen übernommen werden soll. Präziser ausgedrückt beleuchtet dieser Terminus die Facetten der materiellen Kultur, welche in Verbindung zum allgemein Militärischen wie auch dem speziell fortifikatorischen Kontext stehen, das heißt die materielle Kultur des Militärischen. Diese setzt sich, aus archäologischer Sicht betrachtet, aus Befunden und Funden zusammen. Bereits in der Magisterarbeit, die diesem Projekt zugrunde liegt, wurde im Zuge der Bearbeitung einiger Ingolstädter Festungswerke offenbar, dass eine Weiterführung und dahingehende Zuspitzung der Untersuchung zielführend wäre.2 Es handelte sich um einige der Festungswerke vor dem Neuen Schloss, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert errichtet wurden und aus der Feder von Baumeistern wie dem Grafen Solms von Münzberg und Georg Stern stammen.3 Bei den Ergebnissen der Untersuchung der donauabgewandten Flächen vor dem Neuen Schloss zeichnete sich ab, dass es gerade während der frühen renaissancezeitlichen Bauphasen signifikante Abweichungen zwischen dem dokumentierten Befund und den historischen Plänen gibt, während die klassizistischen Befunde mit den zeitgenössischen Plänen weitestgehend kohärent sind. Gemäß des festungsarchäologischen Forschungsansatzes werden unter den Befunden dabei die militärische Infrastruktur4 und die militärische Intrastruktur subsumiert. »Infrastruktur bezeichnet die langlebigen Grundeinrichtungen zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit einer Festung in Frieden und Krieg in baulicher, technischer, personeller und institutioneller Hinsicht.« und »Die Intrastruktur einer Festung besteht aus den baulichen Einrichtungen zur Beherbergung und Versorgung der personellen Ressourcen und zur Lagerung und Instandsetzung der Wehrtechnik, die zur Erfüllung der Wehrfunktion der Festung erforderlich sind. Intrastrukturelle Bauwerke stehen im überwiegenden Fall innerhalb der Hauptumwallung […].«5

2 Vgl. Manfred Bauer: Die Landesfestung Ingolstadt im Spiegel der Grabungen am Gießereigelände. Magisterarbeit, München 2014. 3 Daniel Burger: Festungen in Bayern. Deutsche Festungen 1, Regensburg 2008, S. 78., R. Fuchs: Die Befestigung Ingolstadts bis zum dreißigjährigen Krieg, Würzburg 1939, S. 33., sowie Otto Kleemann: Geschichte der Festung Ingolstadt bis zum Jahre 1815, München 1883, S. 24. 4 Eberhardt Kettlitz: Einführung. Katalog und Begriffsbestimmung der »Gebäude hinter den Wällen« einer Festung. In: Kasernen – Lazarette – Magazine. Gebäude hinter den Wällen. Festungsforschung 4, Regensburg 2012, S.9–16, hier: S. 12 f. Tatsächlich mangelt es dem Terminus an einer eindeutigen, allgemeingültigen und einheitlichen Definition. Die militärische Provenienz jüngerer Zeit – im Kontext der NATO der 50er Jahre – ist indes unbestritten, sodass seiner Verwendung im Festungskontext nichts entgegenspricht. 5 Ebenda.

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Den Definitionen von Kettlitz folgend, sind unter militärischer Infrastruktur sämtliche Gebäude, Werke und Bodeneingriffe zu verstehen, die intendiert der Erlangung der Wehrfähigkeit einer Festung dienen, also primäre Wehrbauten.6 Diese sogenannten Primärbauten umfassen demzufolge Bastionen, feste Häuser, Kurtinen, Gräben oder weitere diverse Wehranlagen. Der militärischen Intrastruktur sind hingegen, wie der Terminus bereits nahelegt, all jene baulichen Maßnahmen anzurechnen, welche sich innerhalb der Befestigung befinden und Aufgaben der Versorgung, Lagerung und Logistik erfüllen. Man kann sie also generell als Streitkräftebasis verstehen. Typische Vertreter dieser sogenannte Sekundärbauten sind etwa Kasernen, Truppenund Versorgungshäfen oder Ställe. Dies deckt sich mit den Angaben von Clausewitz, gemäß dem die Bauwerksgruppen der Erfüllung elementarer Aufgaben dienten, die da seien: gesicherte Vorratshäuser und Waffenplätze, Sicherung großer und reicher Städte, Sperren an strategischen Geländemarken, taktische Anlehnungspunkte, Station, Rückzugsort, Quartier und Bindungspunkt für eindringende Aggressoren.7 Relevante Funde für die Untersuchung eines Festungsareals sind zuvorderst und grundsätzlich  – allerdings keineswegs ausschließlich, wie im weiteren Verlauf der Untersuchungen zu zeigen ist – Artefakte des militärischen Alltags. Es handelt sich dabei um Gegenstände, die von Menschen intendiert hergestellt wurden und die der Lebenswelt des Soldaten zugewiesen werden oder mit dieser zumindest kontextbedingt in Verbindung gebracht werden können.

2. Von Bastionen bis zu Militärhäfen Um sich der Erfassung der tatsächlichen Gestalt der Festungswerke in den einzelnen Festungsphasen anzunähern, was eine der zentralen Fragestellungen der Arbeit darstellt, ist es notwendig, verschiedene Flächen in die Untersuchung einzubinden. Hierbei muss der Fokus einerseits auf einer großen Varianz der in den Flächen dokumentierten Bauphasen, andererseits auf einer breit gefächerten, über die Festungsstadt Ingolstadt verteilten Aufnahme von Grabungsflächen in die Untersuchung liegen. Nur dadurch kann eine wissenschaftlich kohärente Annäherung an die Beschaffenheit der Festungswerke erlangt werden. Mit dem Referenzieren der Festungsbefunde durch zeitgenössische Pläne kann indes nur ein Teil dessen umrissen werden, womit sich das Projekt befasst. Darüber hinaus soll anhand der fundführenden Flächen das Ensemble von orts- und zeittypischem Fundmaterial erweitert und zudem eine genauere Verankerung der Datierung der einzelnen Baubefunde gesichert werden. Da sich einige der Flächen im inneren Stadtgebiet befinden, sind zudem Rückschlüsse auf die gegenseitige Beziehung von Bürger- und Festungsstadt sowie dem Alltagsleben am Garnisonsstandort Ingolstadt zu erwarten. 6 Im Zuge dieses Artikels erfolgt die terminlogische und typologische Einteilung in vereinfachter Form, für einen detaillierteren Einblick vgl. ebenda, S. 9 ff. 7 Carl von Clausewitz, Vom Kriege. 4. Auflage, Hamburg 2012, S. 215.

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Wissenschaftliche Basis für das Dissertationsvorhaben sind, neben den ausführlichen zeitgeschichtlichen Werken zur Festungsgeschichte und den historischen Plänen8, jüngere Forschungsarbeiten9, die insbesondere auch im Publikationsorgan des Historischen Vereins Ingolstadt Niederschlag finden. Zum Fundmaterial liegt ein umfangreiches Konglomerat an Vergleichsfunden aus der Literatur vor, insbesondere sind hier die Werke des Herrn Endres zu nennen.10 Die Flächen (Abb. 1), welche in der Dissertation Niederschlag finden, sind sowohl der militärischen Infrastruktur der Primärbauten, vertreten durch die Ziegelbastei, die Harderbastei und die Kugelbastei, als auch der militärischen Intrastruktur der Sekundärbauten, vertreten durch die Münzbergkaserne, den alten Militärhafen und die königlichbayerische Geschossfabrik, zugehörig. Sie decken somit eine umfängliche, über das gesamte Areal der einst militärisch genutzten Altstadt reichende Schnittmenge des bei archäologischen Untersuchungen im Festungskontext zu erwartenden Spektrums ab und reichen schwerpunktmäßig vom 16. bis in das 19. Jahrhundert, wobei nach gegenwärtiger Sachlage auch typologische Ausreißer in das Spätmittelalter und das 20. Jahrhundert auftreten. Im Rahmen dieses Artikels erfolgt vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden Tagung eine Konzentration auf das Fundmaterial im militärischen Kontext und die damit einhergehende Fragestellungen. So ist inter alia zu klären – oder zumindest sind erste Vorarbeiten bezüglich der Frage danach zu leisten – ob ein militärisch genutztes Stadtareal auch verstärkt »typisch« militärisches Fundmaterial aufweist, also eine Fundort-Kategorie »Festungsstadt« archäologisch definierbar ist. 8 U. a. vgl. Fuchs (wie Anm. 3); Gustav Kern: Kriegsgeschichte sämmtlicher im Bezirke des Königlich bayerischen zweiten Armee-Divisions-Commandos befindlichen Städte, Festungen und Schlösser 1, Nürnberg 1833. sowie vgl. Kleemann (wie Anm. 3). 9 An dieser Stelle sei nur eine kleine Auswahl aufgeführt: u. a. Ernst Aichner: Der Ausbau und die beginnende Auflassung der bayerischen Landesfestung Ingolstadt (1848–1918). Dissertation, München 1974.; Hermann Kerscher: Zur Armierung und Instandsetzung der Festung Ingolstadt im 1. und 2. Koalitionskrieg (1797–1799).In: Sammelblatt des histo­ rischen Vereins Ingolstadt 116 (2007), S. 230–271.; Gerd Riedel: Die Keramik des 16. und 17. Jahrhunderts aus Latrine 1 vom »Neckermanneck«. In: Sammelblatt des historischen Vereins Ingolstadt 108 (1999), S27–56. sowie Sylvia Sakl-Oberthaler / Martin Mosser / Heike Krause: Von der mittelalterlichen Stadtmauer zur neuzeitlichen Festung Wiens. Historischarchäologische Auswertung der Grabungen in Wien 1, Wipplingerstrasse 33–35. Monografien der Stadtarchäologie Wien Band 9, Wien 2016. 10 Auch hier soll an dieser Stelle eine Auswahl genügen: u. a. Jochen Amme: Historische Bestecke. Formenwandel von der Altsteinzeit bis zur Moderne, Stuttgart 2002.; Werner Endres (Hrsg.): Apothekengefäße von 1571 bis ins 18. Jahrhundert in Ingolstadt. Keramische und pharmaziehistorische Untersuchungen. Beiträge zur Geschichte Ingolstadts 7, Ingolstadt 2011. sowie Claudia Hoffmann / Manfred Schneider (Hrsg.): Von der Feuerstelle zum Kachelofen. Heizanlagen und Ofenkeramik vom Mittelalter bis zur Neuzeit: Beiträge des 3.  wissenschaftlichen Kolloquiums Stralsund 9.  – 11.  Dezember 1999. Stralsunder Beiträge zur Archäologie, Geschichte, Kunst und Volkskunde in Vorpommern 3, Stralsund 2001.

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Abb. 1: Lageplan der Grabungsflächen des Promotionsprojekts, Ingolstadt. 1: Kgl. Bay. Geschossfabrik & Feldkirchner-Tor Bastei, 2: Ziegelbastei / Wunderlkasematte, 3: Harderbastei, 4: Kugelbastei, 5: Münzbergkaserne, 6: Militärhafen. OSM / Bauer, 2019. © OSM / von Manfred Bauer bearb., Karte von Ingolstadt mit den Positionen der Grabungsflächen des Projekts, 2019. (c) OpenStreetMap Mitwirkende, ODbl.

3. Materielle Kultur des Militärs im städtischen Umfeld Die Lebenswelt des Soldaten wird im Sinne der eingangs erwähnten Definition durch seine materiellen Hinterlassenschaften begründet: durch die Dinge, die er trug, die er außerhalb und innerhalb des Kampfes führte und schließlich durch jene Gegenstände, denen Symbolik und Sinnstiftung zugeschrieben wurden.11 Bei der Erfor11 Vgl. Jan Willem Huntebrinker / Ulrike Ludwig: Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit. Einführung. In: Arbeitskreis Militär und Gesellschaft: Militär und materielle Kultur in der Frühen Neuzeit. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 1, 13 (2009), S.7–15, hier S. 9.

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schung der materiellen Kultur des Militärs sind primär explizit militärische Artefakte einzubeziehen, erst nachrangig kommen sekundär mit dem Militärischen in Verbindung stehende Artefakte in Betracht, unter anderem Ausrüstung, Werkzeug oder Tabakspfeifen. Folglich handelt es sich um alltägliche Gegenstände, die durch ihr kontextuelles beziehungsweise gehäuftes Auftreten Hinweise auf die Anwesenheit von Militär geben können, ein »militärischer Fußabdruck« in beweglichen Dingen. Drei Tendenzen lassen sich dabei seit der Frühen Neuzeit bezüglich des spezifischen Verhältnisses von Militär und materieller Kultur feststellen: Eine zunehmende Normierung der Ausrüstung, die am deutlichsten in der Uniformierung erkennbar ist, eine zunehmende Technisierung der materiellen Umgebung des Soldaten und damit einhergehend eine zunehmende Spezialisierung des soldatischen Handwerks, welches in letzter Konsequenz in einer stärkeren Unterteilung des Militärs nach Waffengattungen mündet.12 All dies sind Tendenzen, von denen die Militärarchäologie profitiert, da sie eine genauere Differenzierung und Zuordenbarkeit des Fundmaterials ermöglichen.

4. Primär militärisch besetztes Fundmaterial: Kampfmittel, Bewaffnung, Uniformbestandteile Zur elementaren Grundausrüstung eines frühneuzeitlichen beziehungsweise neuzeitlichen Soldaten gehören neben der eigentlichen Bewaffnung die Kampfmittel artilleristischer oder infanteristischer Provenienz, das heißt Bomben, Granaten oder Munition für Lang- und Kurzwaffen. So sind auf den Flächen des Promotionsprojekts größere Mengen Tongranaten geborgen worden. Ingolstadt ist damit der Orte mit dem bislang größten Fundkomplex in Süddeutschland, inklusive Hinweisen auf eine Produktion vor Ort in Form von Fehlbränden.13 Über die tatsächliche Anwendung der Tongranaten besteht innerhalb der Forschung keine abschließende Einigkeit. Als wahrscheinlich ist aber anzunehmen, dass sie auf Grund ihrer Größe und des Gewichts in der Nahfeldverteidigung eingesetzt wurden und entweder von den Kurtinen geworfen oder mittels Wurfgeräten verschossen wurden. Weiters fanden sich zahlreiche Kugeln von Lang- und Kurzwaffen verschiedenster Kaliber, als auch Granaten aus Eisen, die dem infanteristischen Kampf auf naher Distanz dienten. Eine zunehmende Normierung in Form sich herausbildender einheitlicher Kaliber wird hier in der Gegenständlichkeit der Bewaffnung ebenso besonders fassbar, wie die einhergehende Spezialisierung nach Truppengattungen.14 12 Ebd. S. 10 f. 13 Dazu u. a. Andreas Franzkowiak / Chris Wenzel: Explosives aus der Tiefgarage. Ein außergewöhnlicher Keramikgranatenfund aus Ingolstadt. In: Sammelblatt des historischen Vereins Ingolstadt 125 (2016), S.95–110. sowie Andreas Franzkowiak / Chris Wenzel: Keramikgranaten aus Ingolstadt. Ein außergewöhnlicher Fund. In: Waffen- und Kostümkunde – Zeitschrift für Waffen- und Kleidungsgeschichte 1 (2018), S.65–80. 14 Peter Engerisser: Kalibertabellen und -abmessungen für Feuerwaffen von 1600 bis 1650, http://www.engerisser.de/Bewaffnung/Kaliber.html (01.2019).

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Abb. 2: Militaria. Musketenkugeln 01 Pb, (M 1 : 1). Granaten 02.04 FE (M 1 : 3). Tongranate 03 IRD (M 1 : 3). Blankwaffen 05.06 FE (M 1 : 2). Uniformknopf 07 ME (M 1 : 1). Ingolstadt. Bauer, 2019. © Manfred Bauer, Die Landesfestung Ingolstadt. Archäologische Untersuchungen an ausgewählten Teilbereichen, 2019, Funde (Militaria), Ingolstadt.

Darüber hinaus hat freilich auch die Artillerie ihren Niederschlag im Fundmaterial gefunden. Geben die infanteristischen Kampfmittel auf Grund der vorliegenden Kaliber Hinweise auf vor Ort stationierte Truppenteile, zeigt die Artilleriemunition die vielseitige artilleristische Armierung der Festung auf eindringliche Weise. Auf den Projektflächen, speziell der Gießerei und den Bastionen, repräsentieren Steinkugeln und hölzerne Treibspiegel, wie sie für die Verdämmung von Vorderlader-Geschützen Anwendung fanden, die Anfänge der artilleristischen Waffengattung. Demgegenüber wird die zunehmende industrielle Vereinheitlichung des Militärapparats durch Mörsergranaten – unter anderem eine Granate eines 10-Pfund-Mörser des 18. Jahrhunderts, mit denen Ingolstadt während des Erbfolgekriegs durch österreichische Truppen bombardiert wurde  –, eiserne Kanonenkugeln variierender Kaliber und Größen bis zu Kartätschen- beziehungsweise Carnister-Munition gegenständlich fassbar.15 15 Die Kartätschenkugeln sind an dieser Stelle nicht allein wegen ihrer herausragenden Bedeutung für die Nahfeldverteidigung angeführt. Sie bestehen aus Eisen, was eine Datierung vor 1800 wahrscheinlich macht, da nach 1800 in Bayern Zink als Material vorherrscht.

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Das wohl augenfälligste militärische Fundmaterial des Projekts stellt neben den Kampfmitteln freilich die Bewaffnung, daneben die Uniformtracht, dar. Bisher sind aus sämtlichen ergrabenen Flächen zum gegenwärtigen Untersuchungsstand nur sehr wenige Hinweise auf Blankwaffen zu Tage getreten. Zum einen ein mit vegetabilem Dekor versehenes Stichblatt, vermutlich eines Degens, und diesem eng verbunden eine Reihe an tüllenförmigen Ortbändern aus Eisenblech. Eines der Ortbänder wies sogar sorgfältige Vergoldung auf. Ob letzteres Dekor auf eine hierarchische Distinktion des Trägers hinweist, kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Die Klingenbreiten sprechen für schmale Blankwaffen, genauer für Degen oder Rapiere, was die von begleitender Gebrauchskeramik gestützte Datierung in das 16. beziehungsweise 17. Jahrhundert nahelegt.16 Der militärischen Tracht, respektive Uniform, können eine Reihe an Knöpfen zugesprochen werden, was angesichts dessen, dass sich bei Schanzarbeiten oder Wachdienst der ein oder andere Knopf lösen und in die Gräben gelangen kann, nicht überrascht.

5. Sekundär militärisch besetztes Fundmaterial: Tabakspfeifen, Trinkgeschirr, Schanzwerkzeug Das Gemälde Trinkender Dragoner (1896) von Albert Friedrich Schröder zeigt bildlich und greifbar jene Fundhorizonte auf, die zuvor der sekundär militärisch besetzten Kategorie zugeordnet worden sind  – Tabakspfeifen bis Trinkgeschirr. Insbesondere die Tabakspfeife verdient an dieser Stelle eine besondere Würdigung: Tabakkonsum verbreitete sich in Bayern sowie in Restdeutschland im 16. und 17. Jahrhundert vor allem durch die Armeen, besonders seit dem dreißigjährigen Krieg.17 Das Tabaktrinken barg jedoch gerade im städtischen Kontext nicht nur eine große Brandgefahr, sondern galt auch als »liederlich« oder fand schieres Unverständnis bei Zeitgenossen, besonders in der Frühzeit seiner Verbreitung: »Die Soldatt außen spanischen lant stoltzyren allhiero umher und fressen feuer zambt deme rauch und daß domb folk obwundert sich schier.«18 »[…] Sie stinken! Siben Leichen werden euch so widerlich nit anstinken, als ein einziger von diesen Stinkern. Fliehet, fliehet diese Feuerwürmer, wie eine Taube 16 Rainer Atzbach / I ngolf Ericsson: Die Ausgrabungen im Mühlberg-Ensemble Kempten (Allgäu). Metall, Holz und Textil. Mühlbergforschungen Kempten (Allgäu) 3, Bonn 2011, S. 135, Anm. 111. 17 Christel Bernard: »Rauch schlürfen und Tabak saufen.«. Die Geschichte des Tabakkonsums im Licht archäologischer Funde auf Burg Kirkel. Saarpfalz. Blätter für Geschichte und Volkskunde 1 (2017), S.34–50, hier S. 37 f. 18 18 Conte Corti / Egon Caesar: Geschichte des Rauchens. Nachdruck der Erstauflage: Die trockene Trunkenheit. Ursprung, Kampf und Triumph des Rauchens (1930), Frankfurt am Main 1986, S. 99.

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Abb. 3: Sekundäres Fundmaterial. Kugelbauchkrug Westerwälder Art 01 STZ (M 1 : 3). Tonpfeife 02 IRD (M 1 : 2). Tabakspfeife 03 ME / H (M 1 : 2). Klappmesser 04 FE /  ME / H (M 1 : 2). Blattkachel IRD (M 1 : 2). Ingolstadt. Bauer, 2019. © Manfred Bauer, Die Landesfestung Ingolstadt. Archäologische Untersuchungen an ausgewählten Teilbereichen, 2019, Begleitfunde (Auswahl), Ingolstadt.

den Habicht, wann ihr vieler Gefahr entfliehen wollet. Kehret üm, und lasset diese Pest euch nicht anhauchen! Diese stinkende Wollustbegierde ist bei ihnen in Platz der Vernunft getretten. Decket ihnen eine lange Tafel, und setzet sie voll der köstlichsten Speißen, dass sie sich biegen möchte: sie werden lieber beym Tabaktische sitzen bleiben. […]«19 Erste Rauchverbote, so zum Beispiel in der päpstlichen Bulle Cum Ecclesia vom 30.01.1642 oder in München unter Ludwig I. waren die Folge, ohne die Konsumangewohnheiten von Militärangehörigen ernsthaft zu beeinflussen. So darf die Tabakspfeife weiterhin als ein typisches Erscheinungsbild unter Soldaten angenommen werden, wie bereits die zeitgenössischen Quellen zu berichten wissen.20 Schröders Werk verweist auf ein weiteres soldatisches Laster: den Alkohol. Dabei unterscheiden

19 Jakob Balde: Die truckene Trunkenheit, Nürnberg 1658. 20 um die Mitte des 17. Jahrhunderts trat das Verb »rauchen« in Verbindung mit Tabak auf. Vgl. Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, Band 14, Sp. 245.

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sich die Formen des Trinkgeschirrs nicht von denen der zivilen Bevölkerungsschicht. Man kann daraus schließen, dass sich die Lebenswelt des Soldaten auf Basis einfacher Versorgungsbedürfnisse durchaus mit der des Zivilisten zu vereinen vermag. So wurde etwa die Ziegelbastei nach der Auflassung der Ingolstädter Festung im 19. Jahrhundert einer nachmilitärischen Nutzung als Biergarten der WunderlbräuBrauerei zugeführt, die sich auch im Befund nachweisen lässt. Schanzwerkzeuge dienten zum Erhalt der Wehrfähigkeit der Festungsanlagen, unter anderem der Reinigung und Instandhaltung der Gräben, dem Freihalten des Glacis, aber auch dem begleitenden Gartenbau im städtischen Umfeld, wodurch diese Fundkategorie ebenso ins Blickfeld rückt.21 Zum gegenwärtigen Stand der Auswertung lassen sich jedoch als potentielle Vertreter einzig ambivalent verwendbare Werkzeuge wie Schaufeln, Dechseln und Hippen dieser Kategorie zuordnen.

6. Sekundär militärisch besetztes Fundmaterial – Lebenswelt Die Lebenswelt der Garnisonsangehörigen umfasst indes freilich mehr als den Dienstalltag. Aufgrund ihrer weitgefassten Verwendung können deswegen einige weitere Funde mit interpretatorischer Freiheit als Anzeiger für die Militärpräsenz verstanden werden. Deswegen soll eine weitere Fundkategorie eingeführt werden: die der soldatischen Lebenswelt. Hierzu kann man zunächst die reich verzierte Blattkacheln zählen, wie sie unter anderem am barockzeitlichen Brückenübergang vor dem Neuen Schloss oder in den Basteien anzutreffen waren und anhand ihres vegetabilen Dekors und der Glasur hauptsächlich in das 17. Jahrhundert datiert werden können. Diese Kacheln sind eindeutig als Ofenkeramik zu identifizieren, was wiederum auf die Anwesenheit von beheizten Stuben schließen lässt. Im richtigen Kontext liegt der Schluss nahe, dass es sich um Offiziers- oder Wachstuben gehandelt haben muss. Der Kategorie der soldatischen Lebenswelt lassen sich darüber hinaus auch Alltagsgegenstände wie Murmeln oder Taschenmesser zuordnen. Die Murmeln können bei richtiger Kontextualisierung auf das Praktizieren von Gesellschaftsspielen hinweisen, die dem Soldaten bei einem langen Wachdienst dazu verhalfen, die Langweile zu vertreiben. Das zahlreiche Auftreten von Klappmessern mag auf den ersten Blick wenig mit Militärangehörigkeit zu tun haben, ruft man sich jedoch die Erfindung des Schweizer Offiziersmessers und dessen ursprünglichen Verwendungszweck in Erinnerung, eröffnen sich interpretatorische Möglichkeiten.

21 Dazu u. a. Marlies Konze / Renate Samariter: Der Stralsunder Laufgraben von 1628. Verschüttete Söldner und Waffen in situ. Festungsbau im Süden der Hansestadt (Quartier Frankenhof) im Spiegel archäologischer Befunde und historischer Quellen. In: Schlachtfeld und Massengrab. Spektren interdisziplinärer Auswertung von Orten der Gewalt; Fachtagung vom 21. bis 24. November 2011 in Brandenburg an der Havel. Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg 15, Wünsdorf 2014, S.197–231, hier S. 211.

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Im Zuge der Bearbeitung des Promotionsprojekts ist das Fundmaterial von militärischer Garnisonsstadt und ziviler Bürgerstadt einer klareren Trennschärfe zu unterziehen, um direkte oder indirekte Anzeiger für die Anwesenheit von Militär festzumachen und die Festungsstadt als Fundort-Kategorie zu etablieren. Eine abschließende Beurteilung und Diskussion muss indes für den Abschluss des Projekts ausgelobt werden. Zudem ist es für die zukünftige Forschung angezeigt, archäologisch erfasste Militärlager wie Latdorf als Vergleichswerte heranzuziehen.

Schutz gegen den Feind von außen und von innen – München als Festungs- und Garnisonsstadt Brigitte Huber

1. München wird landesherrliche Festung Das Haus Wittelsbach, das sich im Streit der Konfessionen bereits 1522 für den Katholizismus entschieden hatte, bürdete sich im Lauf des Jahrhunderts aus eigenem Antrieb die Führungsrolle in der ideellen und materiellen Verteidigung des »rechten Glaubens« auf. 1609 stellte sich der bayerische Herzog Maximilian (1573–1651) an die Spitze einer katholischen »Liga«, die den Gegenpart zur »Union« der protestantischen Reichsfürsten bildete. Da allen Beteiligten klar war, dass ein Krieg langfristig unvermeidbar war, und zu befürchten stand, dass auch München Schauplatz von Kampfhandlungen werden würde, ließ der Herzog Projekte prüfen, wie eine technisch moderne Befestigung der Hauptstadt seines Landes beschaffen sein müsste, denn die mittelalterlichen Stadtmauern waren modernen Angriffswaffen nicht mehr gewachsen. Er entschied, seine Residenzstadt mit einem zusätzlichen Festungsring in Form einer Wallanlage zu umgeben – ein Bauprojekt gigantischen Ausmaßes, für dessen Finanzierung und Organisation, anders als bei den mittelalterlichen Stadtmauern, der Staat zuständig war. Weil sich die benötigten Grundstücke überwiegend in privater Hand befanden und finanziell abgelöst werden mussten, befahl Maximilian ihre sofortige Schätzung. Das Ergebnis der Bewertung belief sich auf stattliche 25.990 Gulden. Die Schanzarbeiten begannen umgehend. Da das Material für die Errichtung der Wälle und Bastionen überwiegend aus dem Aushub eines zusätzlichen Grabensystems sowie aus Abtragungen einer im Westen der Stadt verlaufenden Terrassenbildung gewonnen wurde, waren keine größeren Vorbereitungen für die Bauarbeiten notwendig. Die Stadt München, die zu dieser Zeit rund 20.000 Einwohner zählte, stellte auf eigene Kosten zunächst 200 Männer und 300 Frauen (!). Auch die umliegenden Landgerichte schickten Schanzarbeiter und Fuhrwerke. Um möglichst schnell möglichst viele weitere Arbeitskräfte zu gewinnen, erging ein Erlass an die Rentämter, arbeitsfähige Bettler und Landstreicher nicht mehr des Landes zu verweisen, sondern sie zwangsweise für den Festungsbau zu rekrutieren. Auch die strafwürdigen Delikte des Ehebruchs und der »Leichtfertigkeit« (Unzucht) wurden nun bevorzugt mit Schanzarbeit bestraft.1 Bereits im Jahr des Bau1 Reinhard Heydenreuter: Der Magistrat als Befehlsempfänger  – Die Disziplinierung der Stadtobrigkeit 1579 bis 1651. In: Richard Bauer (Hg.): Geschichte der Stadt München, München 1992, S.189–210, hier S. 206.

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Abb. 1: Seuter-Plan © Münchner Stadtmuseum: MS I/842.

beginns sollen schließlich etwa 2.000 auswärtige Arbeiter in München tätig gewesen sein, für deren Unterbringung und Unterhalt die Stadt aufzukommen hatte. Neben der finanziellen Bürde bedeuteten diese wenig zuverlässigen Arbeiter aber auch ein Sicherheitsproblem. Da die bayerische Landeshauptstadt zunächst vom Kriegsgeschehen verschont blieb, erlahmten die Anstrengungen für den Bau der Wallanlagen rasch. Ab Mitte 1625 wurden fast nur noch Ausbesserungen an den noch unvollendeten Fortifikationen unternommen. Doch schon bald sollte ernste Gefahr drohen, denn nach der Schlacht bei Magdeburg verlagerte sich das Kriegsgeschehen nach Süddeutschland. Im April 1632 erreichte der die protestantische Sache vertretende schwedische König Gustav Adolph Bayern und wandte sich – nachdem die Einnahme Ingolstadts nicht gelang und der Weg nach Regensburg durch bayerische Truppen versperrt war – Richtung München. Da der Wallgürtel erst zur Hälfte fertig war und somit noch keinen Schutz bieten konnte, übergab der Stadtrat München am 17. Mai 1632 kampflos. Die kurfürstliche Familie und viele begüterte Einwohner waren rechtzeitig

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Abb. 2: Schlüsselübergabe © StadtA München: HV-BS A 05-01.

aus der Stadt geflohen. Der schwedische König Gustav Adolph zog mit drei Regimentern durch das Isartor ein und nahm Quartier in der Residenz. Alle Stadttore wurden umgehend mit schwedischen Soldaten besetzt. Die Einnahme Münchens durch die Schweden war zwar friedlich verlaufen, doch führte das Ereignis allen Verantwortlichen die grundsätzliche Wehrlosigkeit der Stadt und damit die Notwendigkeit eines intakten Festungswerks deutlich vor Augen. Da ein Ende des Krieges nicht in Sicht war, wurden nach dem Abzug der Schweden die Anstrengungen zur Fortführung des immensen Bauprojektes von staatlicher Seite umgehend wieder intensiviert. Auf Weisung des Kurfürsten wurde auch die an vielen Stellen renovierungsbedürftige mittelalterliche Stadtmauer instandgesetzt. Einzelne Türme baute man so um, dass sie Geschütze aufnehmen und im Ernstfall der Wallanlage »Rückendeckung« bieten konnten. Am 16.  Dezember 1637 erließ Maximilian, der 1623 die Kurwürde erhalten hatte, ein Generalmandat, in dem er für ganz Bayern eine Sondersteuer ausschrieb, mit der die zu bauende Befestigung seiner Haupt- und Residenzstadt finanziert werden sollte. Gleichzeitig erfolgte abermals eine Schätzung aller noch im Baugelände und im Vorfeld liegenden privaten Gebäude (Häuser, Mühlen, Schmieden, Walken, Bleichen et cetera) und Grundstücke, die für das Bauvorhaben noch angekauft werden mussten; es ergab sich eine Summe von weiteren 146.019 Gulden. Schließlich erfolgte der Befehl zur Schleifung aller störenden Baulichkeiten und Anpflanzungen.

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Abb. 3: Schnitt Wallanlage © Brigitte Huber: Mauern, Tore, Bastionen. München und seine Befestigungen, München 2015, S. 155 (Gestaltung: Rudolf P. Gorbach).

Offensichtlich waren die Bevölkerung und auch die Münchner Ratsmitglieder all dieser Maßnahmen längst überdrüssig und reagierten deshalb nicht wie gewünscht auf die Anordnungen. Immer wieder kritisierte der Kurfürst, dass die Bürger sich die notwendige Arbeit »schlecht und schläfrig« angelegen sein lassen. Er verlangte die Abstellung von Leuten, die die Schanzarbeiter antreiben sollten. Der Rat antwortete umgehend: Es seien 16 städtische Mauerer tätig. Noch mehr Leute abzustellen, sei nicht möglich. Auch habe man die Schanzarbeiter »mit angetrother Schlagung in die Ketten und Geigen zur Arbeit angetrieben. Und schließlich verwiesen die Stadtväter noch darauf, dass von den Landgerichten nicht selten schwache oder gar kranke Leute geschickt würden, die zur Arbeit untauglich seien. Den Kurfürsten beeindruckten diese Argumente nicht; er belegte im September 1638 mit nur einer Ausnahme alle Münchner Ratsmitglieder mit einer Geldstrafe, weil sie die Schanzer nicht zu genügend Fleiß angehalten hätten. Schließlich fruchteten die obrigkeitlichen Maßnahmen aber doch: In den folgenden Jahren arbeiten nun jährlich rund 20.000 Menschen an den Wallanlagen; ein Höhepunkt war im Jahr 1639 erreicht, als insgesamt 30.000 auswärtige und 10.000 Münchner Schanzarbeiter tätig waren. 1640 zeigte eine vom Kurfürsten herausgegebene Münze an, dass der Wall um die Stadt nun geschlossen war – München, das mittlerweile weit ab vom Kriegsgeschehen lag, war jetzt eine landesherrliche Festung. Tatsächlich dauerten die Bauarbeiten aber bis 1648, dem Jahr des Friedensschlusses. Die Münchner Befestigung wurde überwiegend nach dem um 1600 entwickelten Niederländischen System gestaltet, das heißt, es wurden deichartige Erdwerke und breite, flache Wassergräben angelegt, die durch Hinzufügen weiterer Vorwerke

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Abb. 4: Neuhauser Tor © Stadtarchiv München: HV-BS B 01–13.

einen breiten Raum einnehmen konnten. Im Idealfall bestand der Wallkörper aus Haupt- und Niederwall, die jeweils von einer Brustwehr mit Schießscharten bekrönt waren; die Berme, der Bereich zwischen Wall und Graben, war gegen den Graben hin mit Palisaden bewehrt. Um die gesamte Anlage verlief ein Graben, der allerdings nur bei Bedarf gänzlich geflutet war. Auf der jenseitigen Böschung des Grabens, der Contrescarpe, lief der Gedeckte Weg, der sich an manchen Stellen zu Waffenplätzen und Sammelpunkten verbreiterte und auf fest installierten oder auch mobilen Stegen erreicht werden konnte. Er war durch das vor dem Graben liegende Glacis (Vorfeld)geschützt. Die Abfolge von niedrigen Erdschanzen und Wasser sollte den Gegner irritieren und zugleich möglichst wenig Angriffsfläche für die feindliche Artillerie bieten. Tatsächlich mussten die Münchner Befestigungen ihre Wehrfähigkeit nie unter Beweis stellen. Die kompliziert aufgebauten Wallanlagen boten der Münchner Bevölkerung zwar eine erhöhte Sicherheit, doch wurde ihr Alltagsleben durch die zusätzlichen Befestigungen enorm beeinträchtigt: Statt der mittelalterlichen acht öffentlichen Zugänge

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(fünf Haupttore, drei Nebentore) gab es nun nur noch sechs Ein- bzw. Ausfahrten, die nun zumeist nicht mehr direkt zu den Hauptverkehrswegen führten. Ein weiteres, finanzielles Negativum war für die Stadtgemeinde der Verlust von wertvollen Besteuerungsobjekten (Wohnhäuser, Gewerbebetriebe), die den Befestigungs­anlagen zum Opfer gefallen waren. Da keine Kriegsgefahr mehr bestand, wurde die Verteidigungsbereitschaft des Bastionssystems schon wenige Jahre nach seiner Fertigstellung in vielerlei Hinsicht geschwächt: Die zunächst nur dem Militär vorbehaltene Wehrgänge, vor allem der Rempart (Wallgang) und der Gedeckte Weg, übernahmen mit der Zeit die Funktion von Verbindungsstraßen zwischen den Stadttoren, was einer Zweckentfremdung gleichkam. Zugleich wurden die Areale auf den Bastionen zunehmend einer profanen Nutzung zugeführt: Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurden weitere große Teile der Befestigungen an kirchliche Einrichtungen, an Hofbedienstete und auch an Privatleute verpachtet oder sogar übereignet. In der Folge entstanden – die wiederholt erlassenen Verbote, den Festungsgürtel zu bebauen oder sonst wie zu gestalten, waren damit eigentlich obsolet – zahlreiche Sommerhäuschen mit Ziergärten, Werkstatthütten, Obst- und Hopfengärten sowie Maulbeer-Plantagen. Ähnliches gilt auch für die Festungsgräben, die großteils trocken waren oder im Lauf der Zeit austrockneten. Dort etablierten sich Wäscheplätze und Bleichgärten, Seilereien, Gewächshäuser und Lagerflächen. Selbst das Glacis, das eigentlich völlig frei von Bebauung und Buschwerk zu sein hatte, wurde schon bald den verschiedensten Nutzungen zugeführt. Auch fanden so manche Bürger höchst eigenmächtige Lösungen, sich Zutritt in die Befestigungsanlagen zu verschaffen oder diese für ihre Zwecke zu verändern. Eine im Stadtarchiv München aufbewahrte Liste aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts belegt, dass es zumindest zu dieser Zeit zwölf inoffizielle Öffnungen in der Zwingermauer gab, durch die man unkontrolliert und nach Belieben zu den Stadtgräben gelangen konnte.

2. Der Militärstandort München im 17./18. Jahrhundert Das Militär hatte in München schon vor dem Dreißigjährigen Krieg eine wichtige Rolle gespielt. Seit den 1590er Jahren hatte Herzog Maximilian seine Hauptstadt nicht nur mit prächtigen Bauten ausgestattet, sondern sie auch zum »Rüstungszentrum« seines Landes gemacht. Das landesherrliche Zeughaus entwickelte sich zum zentralen Depot für Rüstungsgüter, von dem aus die Versorgung der bayerischen »Landfahnen« mit Waffen, Munition und Pulver erfolgte. Nachdem ein älteres Gebäude am Salvatorplatz 1599 abgebrannt war, ließ Maximilian in den Jahren 1615 bis 1624 als Ersatz dafür direkt neben seiner Residenz ein großes Arsenal errichten. Über die personelle Ausstattung des Militärstandortes München nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gibt eine Rechnung aus dem Jahr 1657 Auskunft: Sie nennt einen Hauptmann (= Stadtkommandant Freiherr von Royer), einen

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»­Leitenandt« (Oberst Rieger) und einen »Fenderich« im Offiziersrang. Die Truppe bestand aus einem Feldwebel, vier Korporalen, zwei Spielmännern, zwölf Gefreiten, 78 »Gemain Knechten« und einem im Mannschaftsrang befindlichen »Pixenmaister« (Zeughausarbeiter), insgesamt also 101 Personen, die zumeist privat untergebracht waren. Während Adel und Klerus davon weitgehend befreit waren, bestand für die bürgerlichen Einwohner der Stadt die Pflicht, Angehörige des Militärs in ihren Häusern unterzubringen; diese Quartierpflicht, die eine nicht unerheb­liche finanzielle Belastung bedeutete, wurde erst 1689 zugunsten eines Servisgeldes abgeschafft (nach 1648: ca. 15.000 Einwohner). Erst um 1670 entstanden entlang der Stadtmauer zwischen Neuhauser und Sendlinger Tor zwanzig »Soldatenhäuschen«, die gemeinsam mit einem benachbarten Salzstadel 1704/14 zu einer ersten »Casarma«, der späteren Kreuzkaserne, erweitert wurden. Bis circa 1680 stieg die Zahl der Soldaten in der Münchner Garnison bereits auf 600 Männer, zu denen auch noch 100 Frauen und 200 Kinder gehörten. Davon waren nur 160 Soldaten in einer Kaserne untergebracht.2 Soldaten blieben somit auch weiterhin ein fester Bestandteil des Stadtbildes. Das Militär hatte neben der Ausbildung und Ausstattung der Truppen stets auch Wachaufgaben zu erfüllen. Diese bezogen sich keineswegs nur auf militäreigene Baulichkeiten, sondern auch auf zivile staatliche und städtische Einrichtungen und Gebäude (Stadttore, Gefängnisse et cetera), auf den Personenschutz und die Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit in der Stadt. Üblicherweise war der Stadtkommandant im ausgehenden 17. Jahrhundert in Personalunion auch (Vize-) Präsident des Hofkriegsrats.

3. Die Entfestigung Münchens Gegen Ende des 18. Jahrhunderts erwiesen sich die weitgehend erhaltenen, mittelalterlich-barocken Befestigungsanlagen für die Stadt und ihre Einwohner zunehmend als hinderlich. Im Lauf von knapp drei Jahrhunderten hatte sich die Einwohnerzahl bei gleichbleibender Fläche fast verdreifacht. Zusätzlich verschärft wurde die Situation ab 1778 noch dadurch, dass mit dem neuen Kurfürsten Karl Theodor (1724–1799) auch zusätzlich 3.000 Hofangehörige nach München kamen. Es ist leicht nachvollziehbar, dass eine derartig gewaltige Bevölkerungszunahme die Stadt endgültig an ihre Kapazitätsgrenzen brachte, dass trotz immer stärkerer baulicher Verdichtung  – zunehmend waren Höfe und Gärten überbaut und bisher dreistöckige Gebäude auf vier bis fünf Etagen erhöht worden – drangvolle Enge herrschte und angesichts immer stärker zunehmender Wohnungsnot die Mietpreise stiegen. 2 Weitere Militärbauten (Kaserne auf der Kohleninsel, Militärkrankenhaus und Militärwaisenhaus, Kaserne am Kosttor) entstanden erst unter Kurfürst Max Emanuel (regiert ab 1679); vgl. Christian Lankes: München als Garnison im 19. Jahrhundert, Berlin / Bonn / Herford 1993 (Militärgeschichte und Wehrwissenschaften 2), S. 66–69.

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Da die Abwässer und der Unrat der Bewohner zumeist in den Gräben und Stadtbächen landeten, wurden diese zu sumpfig-modrigen Kloaken. Je mehr aber Schmutz und Gestank in der Stadt zunahmen, desto mehr wuchs die Angst vor »Miasmen«, vor ungesunden Ausdünstungen, die man als Verursacher von Seuchen ansah. Die wenigen, engen Ein- beziehungsweise Ausfahrten durch den Festungsgürtel bildeten eine massive Behinderung für den Warenverkehr sowie für die in die Vorstädte pendelnden Arbeiterinnen und Arbeiter, was immer lauter werdende Kritik hervorrief. Immer deutlicher artikulierte sich deshalb der Wunsch nach der Aufweiterung der bestehenden Tor-Situationen, nach Straßendurchbrüchen sowie einer Verschmelzung Münchens mit den planlos wuchernden Vorstädten. In militärischer Sicht genügten die nahezu 200 Jahre alten Festungsbauten ohnehin nicht mehr. Das Bastionssystem war kriegstechnisch veraltet und hätte möglichen Angriffen einer modernen Artillerie keinesfalls standhalten können, ja wäre bei einer zeitgemäßen Offensivverteidigung sogar hinderlich gewesen. Da eine Modernisierung der Festungsanlage mit bombensicheren Türmen und Kasematten aus finanziellen Gründen nicht in Frage kam, mehrten sich die Stimmen, die eine »offene Stadt« verlangten, um im Kriegsfall Beschuss und Belagerung zu entgehen. Münchens Entfestigung wurde mit der kurfürstlichen Anordnung vom 18. März 1791 eingeleitet. Kurfürst Karl Theodor befahl darin die Einebnung des mächtigsten Bollwerks der Stadt, der Bastion vor dem Neuhauser Tor. Er folgte damit Anregungen von Graf Rumford, der die komplizierte Toreinfahrt zu vereinfachen und das Stadttor demgemäß neu zu gestalten gedachte sowie eine Nutzung des davor gelegenen riesigen Areals über den Wall hinaus vorschlug: Statt gewundener, enger Ein- und Durchfahrten mit Schlagbäumen, Brücken und Torhäusern sollte wieder der direkte Weg zum Stadttor, das nun in »Karlstor« umbenannt wurde, ermöglicht werden. Rumfords radikale Überlegungen trafen keineswegs bei allen Bürgern auf Begeisterung. Nicht nur Vermieter, die einen möglichen Preisverfall befürchteten, wenn nun auch Bauland vor der Stadt zur Verfügung stünde, waren gegen jegliche Veränderung, sondern auch diejenigen, die ihre auf den Bastionen gelegenen Gärten behalten wollten. Ärger gab es auch bei den vom Staat angebotenen Entschädigungen beziehungsweise beim Grundstücktausch, da nach Meinung vieler Besitzer die verkehrsgünstige Lage ihrer nahe bei den Ein- und Ausgängen gelegenen Grundstücke nicht angemessen berücksichtigt wurde. Dennoch wurde schon bald damit begonnen, die Wälle vor dem Neuhauser Tor abzutragen und die westliche Zufahrt zur Stadt vollkommen neu zu organisieren. Damit wurde der Beginn einer neuen Epoche der Stadtentwicklung eingeleitet, denn schon diese erste Öffnung des Befestigungsgürtels ermöglichte eine sofortige Erschließung des Burgfriedens als Siedlungsraum und langfristig eine großzügige Stadtplanung. Nicht nur der Bau längst notwendiger Einzelprojekte (1809/13 Allgemeines Krankenhaus, 1809 Botanischer Garten, 1851/53 Schrannenhalle), sondern auch die Anlage großzügiger Plätze und Prachtstraßen, mit denen man der wachsenden Bedeutung Münchens als Haupt- und Residenzstadt Ausdruck geben wollte, konnte nun realisiert werden.

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Abb. 5: Abbruch der Stadtmauern © Stadtarchiv München: HV-BS B 01–29.

Der um 1790/95 eingeleitete Abbruch der mittelalterlichen Stadtmauern und frühneuzeitlichen Bastionen beziehungsweise die Verfüllung des davor gelegenen Stadtgrabens mit dem anfallenden Abraum war ein langwieriger Prozess, der endgültig erst um 1890 beendet war. Da die Stadt kein Gesamtkonzept für diese Baumaßnahmen hatte, reagierte man meist auf die Initiativen von Privatleuten: Die Stadtmauern wurden abschnittweise »auf Abbruch« an Privatunternehmer verkauft, die dann eigenverantwortlich deren Demolierung durchführten. Da sich ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber ganz allmählich auch ein Bewusstsein für die Bedeutung historischer Denkmäler zu entwickeln begann, führte die geplante Schleifung der noch original vorhandenen mittelalterlichen Stadttore bald auch zu lebhaften Debatten. Vor allem um das völlig verfallene Isartor entspannen sich um 1820 heftige Auseinandersetzungen, die Kronprinz Ludwig schließlich beendete, indem er die Sicherung der Ruine durchsetzte und einige Jahre später für deren Wiederaufbau sorgte. Als 1870 neuerlich Diskussionen um das Isartor aufflammten – die Mehrheit des Magistrats und viele Bürger sahen in dem ehemaligen Stadttor weiterhin nur ein Verkehrshindernis –, konnten sich abermals dessen Fürsprecher durchsetzen; denkmalpflegerische Aspekte hatten mittlerweile ein Gewicht bekommen. Das Isartor mit Hauptturm, Flankentürmen und Fanghof

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ist damit das einzige mittelalterliche Münchner Stadttor, dessen Erscheinungsbild im Wesentlichen bis heute erhalten ist.

4. Die Garnisonsstadt München im 19. Jahrhundert Die Öffnung der Stadttore und das Abräumen der Wallanlagen bedeutete zwar Münchens Ende als Festungsstadt, doch blieb die kurfürstliche Residenzstadt weiterhin ein bedeutender Militärstandort mit einer Vielzahl von einschlägigen Einrichtungen (Kasernen, Gebäude für Kommandobehörden, Artilleriewerkstätten, Versorgungseinrichtungen und Gebäude für das Zeugwesen, Anlagen zur Truppenausbildung, Militärgefängnisse und andere). Um 1800 gab es innerstädtisch zwei große militärische Komplexe: 1. Die Kreuz-Kaserne beim Karlstor (1.500 Personen) und das in der Herzogspitalstraße gelegene Provianthaus mit Militärbäckerei und das sogenannte Kern’schesHaus (Kaserne und Magazin) 2. Hinter der Residenz gelegen die Kosttor-Kaserne (650 Personen), das Zeughaus und Nebengebäude sowie das nahe gelegene Militärgefängnis im Taschenturm. Außerhalb der Stadtmauern lagen die Isarkaserne auf der Kohleninsel (950 Personen, 200 Pferde) und das Fouragemagazin. Dazu kam noch das Militärkrankenhaus (240 Patienten) vor dem Sendlinger Tor. An der Isar lagen eine Walkmühle (zum Reinigen der Wolldecken) sowie drei Pulvermühlen und das sogenannte Bohrhaus, die Artillieriewerkstätte für Geschützrohre. Zum Aufmarsch der täglichen Garnisonswachparade diente der Paradeplatz im Kreuzviertel. Die Ausbildung der Truppen fand auf den drei Exerzierplätzen am Gasteig (Isarkaserne), auf der Neuhauser Heide (späteres Marsfeld) und dem Artillerie-Experimentierplatz auf dem Oberwiesenfeld statt. Folgende Truppenteile waren in München kaserniert: – das Leib-Regiment (= später Infanterieregiment »König«) – das Regiment Kurprinz (= später Infanterieregiment »Kronprinz«) – das 6. Infanterieregiment »Herzog« – zwei Infanterie-Bataillone – das 1. Chevauleger-Regiment – sowie Teile des 4. Chevauleger-Regiments und ein Teil des Artillerie-Regiments (= später 1. Feldartillerie-Regiment Prinz Luitpold). Die Besetzung Münchens durch die französische Armee im Juni 1800 sowie durch die Österreicher im September 1805 waren Ereignisse, die in mehrfacher Hinsicht Auswirkungen hatten. In Hinsicht auf die Garnisonsstadt München sei hier nur Folgendes berichtet: Hatte man schon nach der Rückkehr der bayerischen. Truppen im April 1801 begonnen, die Garnison München wesentlich auszubauen (1801 Bau der Neuen Infanteriekaserne am Hofgarten; Nutzung säkularisierter Klöster

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als Kasernen; 1803 Anmietung, dann 1809 Ankauf der Seidenhaus-Kaserne), so fuhr man damit – nunmehr als Verbündeter Napoleons – fort (1809 Planung eines Militärviertels in der Max-Vorstadt, 1813 Neue Isarkaserne). Erst 1817 kam es aus finanziellen Gründen zu einer Reduzierung der Truppen. Gebaut wurde allerdings weiterhin: 1823 erhielt das (seit 1817 bestehende) Kriegsministerium einen Neubau an der Ludwigstraße / Schönfeldstraße (heute Sitz des Staatsarchivs München) und am Türkengraben wurde mit dem Bau der Infanterie-Kaserne begonnen, die die baufällige Kreuz-Kaserne ersetzen sollte. Mit dem Regierungsantritt von König Ludwig I. änderte sich die Bedingungen für das Militär. Der junge Monarch sparte 1 Million Gulden im Militär-Etat ein, indem er die 1814 eingerichteten kostspieligen Gardetruppen in einfache Linienverbände umwandeln, den Truppenabbau weiterführen ließ und auf jeglichen Kasernenbau verzichtete. Stattdessen sollte das eingesparte Geld in die Landesverteidigung gesteckt werden. Ingolstadt, das ungefähr in der geografischen Mitte des neuen Königreiches lag, wurde deshalb zur bayerischen Hauptlandesfestung ausgebaut.

5. Die Max-II-Kaserne – eine »Defensivkaserne« gegen den Feind von innen Gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts zeigte sich wiederholt, dass einer Stadt nicht nur vor außen, sondern sehr wohl auch durch ihre eigenen Einwohner Gefahr drohen konnte. Schmerzhafte Erfahrungen hierhin hatte München unter anderem beim – übrigens von Soldaten ausgelösten – Bierkrawall 1844 und vor allem 1848 machen müssen, als die Affäre des Königs mit der vermeintlichen Tänzerin Lola Montez die Münchner so erzürnte, dass es schließlich zur Revolution gegen den Monarchen kam. Um solchen Ereignissen vorzubeugen, ließ König Maximilian II. Pläne ausarbeiten, wie seine Residenzstadt künftig gegen den Feind von innen zu schützen sei. 1852 legte Oberst Franz von Hörmann einen Entwurf für eine Defensivkaserne vor. Sie sei notwendig, da »… der inländische Pöbel – durch auswärtiges Proletariat verstärkt – bei Tag und Nacht ohne Hindernis in die Stadt eindringen kann auf allen Seiten, theils um die größten Schätze des Staates und des Landes zu plündern, teils um die heillosen Umtriebe der machtlosen Umsturzpartei in Vollzug zu setzen.«. Als mögliche Szenarien benannte er 1. Eher unpolitische Handwerker und Studentenproteste (Bierkrawall 1844) 2. »Politische Tumulte durch demokratische Umtriebe der republikanisch gesinnten Umsturzpartei veranlaßt« (Märzrevolution 1848) 3. Tumulte kommunistischer Tendenz 4. »Tumulte durch Theuerung, Mißwachs und Hungersnoth veranlaßt«, die Hörmann für die gefährlichste denkbare Variante hielt.3 3 Lankes (wie Anm. 2), S. 428.

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Abb. 6: Max-II-Kaserne © Stadtarchiv München: FS-PK-STB-07024.

Es ist hier nicht der Ort, auf die Details möglicher Gegenmaßnahmen einzugehen. Erwähnt sei nur, dass ab 1860 in Neuhausen – also außerhalb des Münchner Burgfriedens – eine Kaserne entstand, die nach dem Vorbild des Wiener Arsenals als sogenannte Defensivkaserne geplant wurde. Der Entwurf der symmetrisch angelegten Kaserne stammte von Matthias Berger, Entwürfe für die Fassade lieferte Eduard Riedel. Die nach König Maximilian II. benannte Anlage war die größte jemals in München errichtete Kaserne. Der im sogenannten Maximiliansstil, also in gotisierender Ziegelbauweise gestaltete Bau beeindruckte schon durch seine Optik: Mit einer Gebäudefront von 600 m war er zu seiner Zeit das größte Gebäude in der Stadt. Davor erstreckte sich ein riesiges quadratisches Areal, das als Schussfeld angelegt war und nicht bebaut werden dürfte. Außerdem gab es genaue Überlegungen, in welchen Bereichen der Innenstadt eine Beschießung die größtmöglichen Schäden anrichten würde. Noch vor ihrer völligen Fertigstellung wurde die Max-II-Kaserne mit rund 1.700 Mann und knapp 500 Pferden belegt, was einem Drittel aller Soldaten und einem Viertel der Pferde der gesamten Münchner Garnison entsprach.4

4 Siehe auch Birgit-Verena Karnapp: Militärbauten; Maximilian-II-Kaserne. In: Winfried Nerdinger (Hg.): Zwischen Glaspalast und Maximilianeum. Architektur in Bayern zur Zeit Maximilians II. 1848–1864, München 1997, S. 376–385. Die Max-II-Kaserne beherbergte

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Der Privatgelehrte Edward Wilberforce bemerkte daher sicher zu Recht um 1860 ein Vorherrschen des Militärs im öffentlichen Leben Münchens: »München ist in dieser Hinsicht der kriegerischste Ort der Welt, oder einer der kriegerischsten. Kein Offizier in London dächte daran, sich auf der Straße in Uniform zu zeigen, und in Paris, so sagt man mir, ist das Tragen der Uniform formell auf die Diensthabenden beschränkt. In München dagegen darf kein Militär in einer anderen Bekleidung auftreten. Und da die Armee die einzige Karriere ist, die jungen Männern von Familien angemessen ist, werden die Bälle der Gesellschaft von Offizieren monopolisiert […] Dieses allgegenwärtige Militär in München hängt einem wirklich zum Halse heraus, so daß man die Gefühle einfach wiedergeben muß, welche diesen stehenden Heeren gegenüber rasch hochsteigen. Man bedauert die Rekruten, die zum Kriegsdienst eingezogen wurden, anstatt gleich Berufssoldaten geworden zu sein, wenn man sieht, wie sie den ganzen Tag gedrillt, geschlagen und verprügelt werden.«5 Auch der französische Journalist Victor Tissot, der München um 1875 besuchte, zeigte sich überrascht von den vielen Kasernen. Besonders unangenehm ins Auge fiel ihm die besagte Max-II-Kaserne: »[…] Das erste, was einem auffällt, wenn man sich München nähert [Tissot kam mit der Eisenbahn und sah als erstes das Areal der Max-II-Kaserne zwischen Marsfeld und Oberwiesenfeld gelegen] sind die riesigen Gebäude aus rotem Sandstein [Backstein!]. Auf die Frage, was das für Gebäude seien, erhält man zur Antwort: ›Kasernen‹. Ihr Anblick lässt einen frösteln; man hat nicht erwartet, das ›Heiligtum der deutschen Kunst‹ hinter einem Vorhang von Bajonetten verborgen zu sehen, sondern war der Ansicht, die Münchner seinen vollauf mit dem Studium der Kunst beschäftigt – und nun trifft man sie beim Exerzieren an.«6 Beide Beobachtungen waren durchaus zutreffend – München war nach Berlin die zweitstärkste Garnison im Deutschen Kaiserreich und das Militär belegte eine Vielzahl von Gebäuden, die das Erscheinungsbild der Stadt ebenso prägten wie Münchens Prachtbauten. Die von Kriegsminister Freiherr von Pranckh veranlasste Armee-Reform von 1868, die die bayerische Armee nach preußischem Vorbild reorganisierte, hatte auch die Gründung zweier Generalkommandos eingeschlossen, von denen eines in Würzburg, das andere in München angesiedelt wurde. Doch die zunächst vor allem die beiden Feldartillerieregimenter der 1. Feldartillerie-Brigade und die 1. Trainabteilung der Bayerischen Armee sowie ab September 1877 die königlich-bayerische Equitationsanstalt (begründet 1868; 1910 in Militärreitschule umbenannt). 5 Zitiert nach Lankes (wie Anm. 2), S. 18 (Edward Wilberforce: Ein Snob in München. Die erstaunlichen Beobachtungen des Mr. Edward Wilberforce in München anno 1860. Übersetzt von Gerhard Wiesend, München 1990, S. 22 f. 6 Victor Tissot: Reportagen aus Bismarcks Reich. Bericht eines reisenden Franzosen 1874–1876. Herausgegeben und übersetzt von Erich Pohl, Stuttgart / Wien 1989, S. 106.

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bayerische Landeshauptstadt beherbergte nicht nur zahlreiche Kommandobehörden einschließlich des Kriegsministeriums, sondern sie wurde im Lauf des 19. Jahrhunderts auch Sitz von immer mehr militärischen Lehranstalten (1805 Kadettenkorps, 1857 Artillerie- und Ingenieurschule, 1858 Kriegsschule, 1860 Operationskurs am Militärkrankenhaus, 1867 Kriegsakademie, 1868 Equitationsanstalt, 1874 Militärlehrschmiede, 1876 Oberfeuerwerkerschule). Die Munitionsproduktion dagegen gab die Garnison München gegen Ende des 19. Jahrhunderts ab. Mit der Verlegung des »Hauptlaboratoriums«, in dem Munition für Handfeuerwaffen und leichte Geschützmunition produziert wurde, nach Ingolstadt wurde eine Entwicklung eingeleitet, in deren Verlauf die Donau-Stadt das neue bayerische Rüstungszentrum werden sollte.

6. München zu Beginn des 20. Jahrhunderts – Drehscheibe der bayerischen Truppentransporte und Schauplatz der Revolution München im August 1914 – Drehscheibe der bayerischen Truppenverladung Die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am 28. Juli 1914 löste bekanntlich eine politische Lawine aus. Nach der Verhängung des Kriegszustands durch den deutschen Kaiser Wilhelm II. wurde schon bald auch in München der Generalmarsch geschlagen. Mit der Verhängung des »Kriegszustandes« änderten sich nicht nur die Rahmenbedingungen für Bayerns Eigenständigkeit grundlegend  – die bisher auf den bayerischen König vereidigte Armee war nun dem deutschen Kaiser unterstellt. Der 69-jährige König als Generalfeldmarschall der bayerischen Armee war nun nur mehr Befehlshaber der immobilen Ersatztruppen in Bayern. Auch für München brachte dieser Zustand eine wesentliche Veränderung: Mit der Verkündung des »Kriegszustandes« ging die vollziehende Gewalt auf die Militärbehörden über. Die Befehlsgewalt über städtische Behörden der mittleren und unteren Verwaltungsebenen lag nun beim Stellvertretenden Generalkommando, das massive Eingriffe in die Verwaltung, insbesondere die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Wirtschaft vornehmen konnte. Zudem wurde das Standrecht angeordnet. Am 1. August folgten die Kriegserklärung Deutschlands an Russland und die erwartete Generalmobilmachung durch Kaiser Wilhelm und damit auch die Mobilmachung der bayerischen Armee. In der Münchner Garnison, deren Stärke im Sommer 1914 etwas über 700 Offiziere und Militärbeamte sowie rund 11.500 Unteroffiziere und Mannschaften betrug, begann nun ein hektischer Betrieb. Noch am 1. August fanden erste Abschiedsparaden statt; zu den Bahnhöfen marschierende Regimenter bestimmten ab sofort das Straßenbild. München wurde zur Drehscheibe der bayerischen Truppenverladung. Auf den Münchner Bahnhöfen, die mittlerweile unter militärische Kontrolle gestellt waren, herrschte riesiger Trubel; allein am Hauptbahnhof verkehrten täglich bis zu 700 Züge. Während sich erste Truppenkontin-

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Abb. 7: Vor dem Wehramt wartende Kriegsfreiwillige werden von Bürgermeister Merkt begrüßt, August 1914. © Stadtarchiv München: FS-HB-V-b-2281.

gente bereits Richtung Front aufgemacht hatten, trafen aus allen Richtungen des Landes immer neue Einberufene ein: Im Städtischen Wehramt (heute Sitz des Stadtarchivs München), das erst seit wenigen Tagen einen Neubau an der Winzererstraße (Architekt: Hans Grässel) bezogen hatte, wurde mit Beginn der Mobilmachung umgehend mit der Musterung von Soldaten und Pferden begonnen. Obwohl die einberufenen Männer im Drei-Minuten-Takt abfertigt wurden, war der Ansturm kaum zu bewältigen. Zusätzlich zu den Garnisonsangehörigen und den Tausenden von Reservisten, die sich in München sammelten, meldeten sich in den ersten Tagen nach Kriegsbeginn auch rund 30.000 Freiwillige beim Münchner Bezirkskommando. Kaiser Wilhelms Ausruf »Ich kenne nur Deutsche!« und ebenso die Aufrufe verschiedenster Parteien, Institutionen, Gruppierungen und Vereinigungen hatten ihre Wirkung nicht verfehlt. Dass sich die Kampfhandlungen mehr als vier Jahre lang hinziehen und etwa 2 Millionen bayerische Soldaten fallen würden, dass an der »Heimatfront« extreme Versorgungsschwierigkeiten, Zwangsbewirtschaftung, und Wohnungsnot den Alltag prägen sollten, konnten sich zu diesem Zeitpunkt nur wenige Menschen vorstellen. Am 7. November 1918 entlud sich die durch alltägliche Not und Kriegsmüdigkeit die seit langem angestaute Verbitterung der Münchner Bevölkerung – die große Friedensdemonstration auf der Theresienwiese wurde Auftakt zur Revolution in München. Lassen wir an dieser Stelle den Münchner Stadtchronisten Ernst von De-

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stouches zu Wort kommen, der, obwohl selbst unbedingter Monarchist, erstaunlich neutral über die Ereignisse berichtet: »Um ¾ 4 Uhr löst sich die Riesenversammlung auf. Der Hauptstrom wälzt sich über den Karlsplatz, an der Residenz vorbei, … zum Friedensdenkmal [gemeint ist der Friedensengel]. Dem Zug voran schreiten die Abgeordneten Auer7, Franz Schmitt8 und Keidel 9. Franz Schmitt […] mahnt zum ruhigen Auseinander­gehen. Die hier versammelte Menge kommt dieser Aufforderung nach. Eine Gruppe für sich innerhalb der Massen auf der Theresienwiese bilden einige hundert Soldaten, die um eine rote Fahne geschart, für die Schaffung von Soldatenräten demonstrieren. Dem Abmarsch der Massen schließen sie sich nicht an. Ihr Anhang wächst. Schriftsteller Kurt Eisner und der Bauer Ludwig Gandorfer10, Bruder des Abgeordneten, treten, von stürmischen Hoch-Rufen begrüßt, zu den Demonstranten. Eisner fordert sie auf, an die Stelle bloßer Worte die Tat treten zu lassen. Die Gruppe wird Trägerin der Revolution. Unter Führung Eisners und des Schlossers Unterleitner11 werden die ›in den Kasernen zurückgehaltenen Soldaten 7 Erhard Auer (1874–1945), seit 1892 Mitglied der SPD, war von 1900 bis 1921 Leiter des neu errichteten Landessekretariats der bayerischen SPD und war damit enger Mitarbeiter des Vorsitzenden Georg von Vollmar. Ab 1907 war Auer Mitglied der Bayerischen Abgeordnetenkammer und von 1919 bis zum Ende der Republik Vizepräsident des Bayerischen Landtages. 8 Franz Schmitt (1862–1932) war in den 1880er Jahren Gründer und Leiter verschiedener Berufsorganisationen. 1893/99 war er Vorsitzender in Münchner SPD und 1899/1901 deren Gauvorstand in Südbayern. Von 1895 bis 1907 als Weinwirt und Weinhändler in München politisch untätig, wendete er sich dann wieder der politischen Arbeit zu und war von 1907 bis zu seinem Ruhestand 1928 Parteisekretär in München. Von Januar 1912 bis November 1918 gehörte er dem Reichstag an. Kurz vor der Novemberrevolution wurde Schmitt auf dem am 12./13. Oktober 1918 stattfindenden außerordentlichen Parteitag zum stellvertretenden bayerischen SPD-Vorsitzender gewählt. Schmitt war vom 8. November 1918 bis zum 4. Januar 1919 Präsident des Provisorischen Nationalrats in Bayern. Danach war er vom 17.  März 1919 bis zum 18. März 1920 Präsident des Bayerischen Landtags, dem er als Abgeordneter bereits seit 1899 angehörte. 9 Ludwig Philipp Keidel (1857–1932) war seit 1875 Mitglied der SPD und von 1899 bis 1920 Abgeordneter im Bayerischen Landtag. 1919/20 war er einer der engsten Mitarbeiter von Ministerpräsident Johannes Hoffmann. 10 Ludwig Gandorfer (1880–1918) war zunächst in der SPD aktiv und wechselte 1917 zur USPD. Trotz seiner seit 1912 bestehenden Erblindung führte er gemeinsam mit Eisner am 7. November 1918 den Demonstrationszug zu den Münchner Kasernen an und begann im Auftrag Eisners mit dem Aufbau eines »Zentralbauernrats«. Da er jedoch bei einem Autounfall am 10.11.1918 verstarb, übernahm sein Bruder Karl, ein führender Vertreter des linken Flügels des Bayerischen Bauernbund, den Vorsitz in diesem neuen Rätegremium. 11 Der Schlosser Hans Unterleitner (1890–1971) wurde im Kabinett Eisner Minister für soziale Fürsorge, ebenso in den Kabinetten Segitz und im 1. Kabinett Hoffmann. Von 1920 bis 1933 war er Mitglied des Reichstags (SPD), 1933 bis 1935 war er im KZ Dachau inhaftiert. 1936 verließ Unterleitner Deutschland.

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Abb. 8: Proklamation © Stadtarchiv München: PL-04371.

befreit‹, zuerst eine marschbereite Kraftwagenkolonne in der Kazmaierstraße, dann eine Landsturmkompagnie in der Guldeinschule, im weiteren Verlauf die Truppen der Marsfeld-, Türken- und Max-II-Kaserne. Ernster Widerstand wird nirgends geleistete, in der Türkenkaserne durch Werfen von Gasbomben nur versucht. Die Soldaten schließen sich überall den Revolutionären an. Die Residenzwache löst sich gegen 7 Uhr abends auf und folgt dem Beispiel der anderen Münchener Truppen. Die Militärgefangenen werden aus dem Gefängnis an der Dachauer Straße gewaltsam befreit. Vor der Residenz und auf dem Marienplatz kommt es zu antidynastischen Kundgebungen immer neuer Gruppen; Offiziere werden entwaffnet, alle Militärpersonen zum Ablegen der deutschen Kokarde veranlaßt.«12 12 StadtA München: Chronik, 7.11.1918.

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Abb. 9: Schutzwache vor dem Landtagsgebäude, 10.11.18 © Foto von Heinrich Hoffmann, Stadtarchiv München: FS-REV-002.

Da sich die Münchner Garnison auf die Seite der Revolutionäre stellte, gab es für die Staatsmacht keine Möglichkeit, die Ereignisse aufzuhalten: In der Nacht zum 8. November rief der Arbeiter- und Soldaten-Rat im Sitzungssaal des Landtags den »Freistaat Bayern« aus und wählte Kurt Eisner zu dessen erstem Ministerpräsidenten. Die königliche Familie floh noch in den Morgenstunden aus München.

7. Kriegsende und Heimkehr der Fronttruppen Mit dem Waffenstillstand von Compiègne, der am 11. November 1918 unterzeichnet wurde, endete für das Deutsche Kaiserreich der Erste Weltkrieg. Am 26. November kehrte das erste Bataillon des Infanterie-Leibregiments, das in Serbien im Einsatz gewesen war, nach München zurück. Die Münchner Bevölkerung bereitete den Heimkommenden einen Empfang, bei dem die Freude über die Heimkehr im Vordergrund stand; das Kriegselend und die Niederlage des deutschen Heeres verdrängte man lieber. Während der Magistrat die Ausschmückung wichtiger städtischer Gebäude und die Errichtung von »Ehrenpforten« übernahm, wurde die Bevölkerung aufgerufen, die Soldaten im Stile einer Siegesfeier zu empfangen. Die Stadtchronik berichtet:

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Abb. 10: Heimkehr der Fronttruppen © Stadtarchiv München: FS-WKI-STL-0103.

»Die gesamte Bevölkerung, insbesondere die Anwohner der Straßen, durch die der Marsch sich bewegt, werden gebeten, durch herzliche Zurufe, Zuwerfen von Blumen und Sträußchen, festlichen Schmuck ihrer Häuser sich an dem Empfang zu beteiligen. Laßt Flaggen wehen in den alten bayerischen und Münchener Farben, die neben dem Wahrzeichen des neuen Volksstaates ihr Recht behaupten sollen.«13 Die Münchner Stadtchronik, die detailliert die Rückkehr der ersten bayerischen Bataillone beschreibt, gibt dabei auch Hinweise auf die keineswegs einheitliche politische Haltung des Militärs: »Den Anfang macht am 26. November das I. Bataillon mit 18 Offizieren, 440 Mann, 80 Pferden und 12 Fahrzeugen trifft es, von Rosenheim kommend, nachts halb 12 Uhr am Hauptbahnhof ein, dort von einer ungeheuren Menschenmenge jubelnd, z. T. auch johlend, begrüßt. Nach einer Ansprache des Vorsitzenden des Münchener Arbeiter- und Soldatenrates Sauber vollzieht sich der Abmarsch zur Türkenkaserne in größter Unordnung. Anders beim Empfang 13 Münchner Zeitung, 23.11.1918.

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des III. Bataillons, das mit 30 Offizieren, 858 Mann, 124 Pferden und 14 Fahrzeugen am 28. November abends ¾ 4 Uhr von Passau her im Hauptbahnhof einfährt. Vertreter der Stadt und Offiziere des Leibregiments erwarten am Bahnsteig die Heimkehrenden. Sorgfältige Absperrung ermöglicht diesmal den geregelten Abmarsch der Truppe zur Kaserne. Besonders lebhaft wird der Kommandeur des Regiments, Oberst Epp, bejubelt. Freiwillig treten die Kompagnien zu einem Parademarsch vor ihrem Kommandeur im Kasernenhof an. Heimkrieger mit roter Binde suchen dies zu verhindern, doch gelingt es ihnen nur bei einer Kompagnie. Der folgende Tag bringt auch das II. Bataillon in seine Garnison München zurück. 846 Offiziere und Mannschaften ziehen in den Morgenstunden des 29. November durch das geschmückte Karlstor […], überall jubelnd begrüßt.«14 Während sich die überwiegend jungen, noch in Ausbildung befindlichen Soldaten der Münchner Garnison der Revolution begeistert angeschlossen hatten, kehrten nun die kriegserfahrenen Männer zurück, die Gesundheit und Leben für das Vaterland riskiert hatten, das in der alten Form nicht mehr existierte. Viele empfanden die neuen Töne – Soldatenräte sprachen sie bei der Begrüßungszeremonie als »Kameraden in der neuen und freien bayerischen Republik München« an und nahmen dabei auch entschieden Stellung gegen den »Kadavergehorsam der Monarchie« – mehr als befremdlich. Sie standen den neuen Verhältnissen zurückhaltend, wenn nicht gar ablehnend gegenüber. Es verwundert nicht, dass ihre Sympathien Oberst Epp15 galten, Befehlshaber des Infanterie-Leibregiments, der mit seinen Soldaten mit schwarz-weiß-roter Reichsflagge und militärischer Disziplin in München einzog.16

8. Schluss Beenden wir an dieser Stelle unsere Ausführungen zur Geschichte der Festungs- und Garnisonsstadt München. König Ludwig hatte am 13. November von seinem Exil in Anif aus alle Beamten, Offiziere und Soldaten von ihrem Treueeid entbunden.17 Noch am selben Tag hatte 14 StadtA München: Chronik, 26./29.11.1918. 15 Franz Ritter von Epp (1868–1947 ) hatte sich als Kommandeur des Bayerischen InfanterieLeibregiments militärischen Ruhm erworben. Als Führer des nach ihm benannten Freikorps wurde er zu einer Symbolfigur für die Zerschlagung der Räterepublik im Mai 1919. Nach seinem Beitritt zur NSDAP im Jahr 1928 stilisierten ihn die Nationalsozialisten zum »Befreier Münchens« vom »roten Terror«. 1933 wurde Epp als »Reichskommissar« mit der Regierungsbildung in Bayern beauftragt. Ab April führte er den Titel »Reichsstatthalter«, mit dem vorrangig repräsentative Pflichten verbunden waren. 16 Zitiert nach Rudolf Herz / Dirk Halfbrodt: Fotografie und Revolution München 1918/19, Berlin 1988, S. 97 f. 17 Erklärung von König Ludwig III. 13.11.1918; zitiert nach Franz August Schmitt: Die Neue Zeit in Bayern, München 1919, S. 16.

München als Festungs- und Garnisonsstadt 

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sich Eisner an die »Armee des Volksstaates Bayern« gewandt und angekündigt, dass sich die »politischen Errungenschaften der letzten Tage« in »tiefgreifenden Aenderungen der Armee ihren Ausdruck finden« sollten. Gemeint war damit eine Demokratisierung der Armee, die durch die Bildung eines Systems von Kasernen-, Lazarett- und Soldatenräten und die Mitbestimmung aller Soldaten erreicht werden sollte; »Selbsterziehung und die gegenseitige Einwirkung der Mannschaften« sollte künftig die »Manneszucht in der Truppe« garantieren. Eisners Aufruf endete mit den Worten »Seid Euch bewußt, daß ihr berufen seid, die Rechte, die Euch nunmehr zustehen, zu bewahren! Ihr mußt beweisen, daß Ihr reif seid für ein Heerwesen, das als eine Erziehungsaufgabe des Volkes für Geist und Körper in künftiger Friedenszeit neu aufgebaut werden soll, damit es sich harmonisch einfügt in das Ganze eines demokratischen Volksstaates.«18 Die Ermordung von Kurt Eisner am 21. Februar 1919 leitete die Radikalisierung der Revolution in München ein. Sie stürzte die Stadt für einige Wochen ins Chaos. Um dem Treiben ein Ende zu machen, rief die ins Exil nach Bamberg geflüchtete, gewählte Regierung unter Ministerpräsident Johannes Hoffmann Ende April 1919 Reichswehr- und Freikorps-Truppen zu Hilfe; in München gab es zu diesem Zeitpunkt keine zuverlässigen Truppen mehr. Die Eroberung Münchens durch die »Weiße Garde« und Freikorps erfolgte am 1./2. Mai 1919; sie forderte mehrere hundert Tote. Am 10. Mai 1919 verfügte ein Erlass der Stadtkommandatur München die beschleunigte Auflösung der Garnison, die Aufstellung von Depotkompagnien sowie von Untersuchungskommissionen bei den Truppenteilen, die über die Haltung der Militärpersonen während der revolutionären Wochen zu urteilen hatten.19 Bis zum 31.  Mai waren die letzten Mannschaften aus dem Dienst entlassen. Übrig blieben von den einzelnen Regimentern nur kleine Abwicklungskommandos, die nach Erfüllung ihrer Aufgabe entweder auch entlassen wurden oder in die Formation der Reichswehr übernommen werden sollten.20 Damit war die Geschichte des Garnisonsstandortes München unter bayerischer Hoheit beendet.

18 An die Armee des Volksstaates Bayern, Aufruf von Ministerpräsident Kurt Eisner, 13.11.1918; zitiert nach Franz August Schmitt, Die Neue Zeit in Bayern, München 1919, S. 18 f. 19 StadtA München: Chronik,10.5.1919. 20 StadtA München: Chronik, 6.6.1919. Der entsprechende Akt fand am 25.  August 1919 statt, als im Militärministerium in Anwesenheit von Reichspräsident Ebert und Reichswehrminister Noske das bayerische Militärkontingent und die bisherige bayerische Militärhoheit an das Reich übergeben wurden; vgl. dazu StadtA München: Chronik, 25.8.1919.

Mühlen, Märkte, Magazine Aspekte der Lebensmittelversorgung in der Festungsstadt Saarlouis Benedikt Loew

1. Einleitung »Der Mangel an Lebensmittel für die Truppen, welche für jetzt, da keine Vorräthe in der Festung waren, und von dem Wenigen, was bei den Bürgern gefunden, verpflegt wurden, nöthigten den Commandanten einen Ausfall zu machen, um die Festung mit Lebensmitteln zu versehen. Dieser Ausfall gelang, man überzeugte sich von der Schwäche des Blockade- Corps, […] und so wurden diese Versuche zu mehrerenmalen unternommen und die Festung nach Möglichkeit verproviantirt.«1 Dieser rückblickende Bericht des preußischen Platzingenieurs Anton Ritter beschreibt die Situation in der eingeschlossenen Festung Saarlouis im Februar 1814. Nach sechs Wochen Belagerung durch die alliierten Truppen sind die Vorräte innerhalb der Festung aufgebraucht, sowohl die der Garnison als auch diejenigen der Bürger. Dies zeigt, dass es der Garnison nicht gelungen ist, in diesem Kriegswinter die Magazine ausreichend zu füllen. Und dass, obwohl die Festung zu diesem Zeitpunkt verhältnismäßig schwach besetzt ist. Nur etwa 1.900 Mann ist die Besatzung der Garnison stark, verstärkt werden die Verteidiger durch etwa 500 verbliebene Männer der Zivilbevölkerung.2 Ein Teil der Bevölkerung, insbesondere Frauen, Kinder und Alte, hat die Festung wohl rechtzeitzeitig verlassen. Mit versorgt werden muss darüber hinaus ein überfülltes Lazarett, das mit zahlreichen Verwundeten und Kranken belegt ist, die während des Rückzuges im Spätherbst des Vorjahres nach Saarlouis gebracht wurden. Im Idealfall geht man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert davon aus, dass die militärische Verteidigungsbesatzung etwa 5.300 bis 5.500 Mann beträgt und hierfür Lebensmittel für einen Zeitraum von drei Monaten in den Magazinen der

1 Anton Ritter: Geschichte der Stadt Saarlouis 1680–1855. Handschrift, Saarlouis 1856. Stadtarchiv Saarlouis A XII/55. Abschrift., S. 129 f. 2 Ebenda, S. 128 f.

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Garnison zur Verfügung stehen sollten.3 Eine solche Versorgungslage ist offensichtlich zu Beginn der Belagerung im Januar 1814 nicht gegeben, wenn für die etwa 3.000 zu versorgenden Personen nach sechs Wochen die Vorräte aufgebraucht sind. Der seit einigen Monaten andauernde Krieg und das beschränkte Angebot in den Wintermonaten dürften das Auffüllen der Magazine erschwert haben. Darüber hinaus ist Saarlouis, wie schon Vauban 1680 in seinen Bauanweisungen für die Festung anmerkte: »… sehr weit von allen großen Städten entfernt […], aus denen der Platz seine Kriegsmunition und Lebensmittel beziehen könnte, …«4 Erschwert wird dieser Nachteil durch die sicherlich schlechten Straßenverhältnisse im Winter. Die Versorgung mit Lebensmitteln einer Festungsstadt wie Saarlouis, mit ihren Soldaten und ihrer Zivilbevölkerung, stellt sicher nicht nur in Belagerungszeiten die Garnison und die Bevölkerung immer wieder vor neue Aufgabenstellungen und Herausforderungen. Eine Untersuchung der Lebensmittelversorgung bedarf der Berücksichtigung sowohl militärischer, als auch ziviler Aspekte. Eine singuläre Betrachtung der Garnison ist aufgrund der engen Verflechtung mit der Zivilgemeinde nicht ausreichend. Und das nicht nur, da sich die Garnison gegebenenfalls, wie das genannte Beispiel aus dem Jahr 1814 zeigt, im Notfall auch der Vorräte der Zivilbevölkerung bedient. In Bezug auf die Einwohnerzahl hat die Festungsstadt Saarlouis stets eine verhältnismäßig große Garnison, auch wenn deren Stärke im Verlauf der Stadtgeschichte im Grunde ständig variiert. Damit direkt verbunden sind auch leichte Veränderungen in der Zahl der zivilen Bevölkerung. Aber auch unabhängig von der Entwicklung der Garnison ist die Zahl der städtischen Bürger im Laufe der Zeit durchaus auch größeren Schwankungen unterworfen. Die Einwohnerzahl zum Ende der Bauarbeiten dürfte bei etwa 3.000 gelegen haben. In französischer Zeit steigt die Zahl der Bürger trotz Schwankungen insgesamt langsam an, bis sie etwa im Jahre 1795 mit 4.500 ihren Höhepunkt erreicht.5 In seinen Bauanweisungen für die Festung nennt Vauban keine Größenordnung für die zivilen Bewohner der Stadt. Für die Garnison gibt er hingegen vor, dass abgeschlossene Quartiere für 3.500 Männer und 1.000 Pferde mit ihren Offizieren geschaffen werden müssen.6 Genaue Angaben über die tatsächlichen Stärken der Garnison sind für die französische Epoche nicht bekannt. Als Regelstärke einer Festung der Größe von Saarlouis kann eine Belegung mit vier Bataillonen Infanterie und vier Eskadronen berittener Einheiten, Kavallerie oder 3 Jean-Marie de Clinchamp d’Aubigny (gen. d’Aubigny / Daubigny): Atlas ou Recueil de la Ville de Sarrelouis, sig. Daubigny. Saarlouis / Metz 1777 (Fotografische Reproduktion im ­Städtischen Museum Saarlouis. Paris, Archives et Bibliothèques de l’Inspection du Génie, man. A31), S. 9 4 Sébastien le Prestre de Vauban: Projet instructif de la fortification de Sarrelouis. 1680 et 1698. (Fotografische Reproduktion, Inspection du Génie, Bibliothek, Mss.f.33c.), S. 145 f. 5 Rudolf Kretschmer: Die Geschichte der Kreisstadt Saarlouis. Band 4, Saarlouis 1680–1980, Saarlouis 1982, S. 76 f. 6 Vgl. Vauban (wie Anm. 4), S. 130 f.

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Dragoner, angenommen werden.7 Setzt man als Größe für die Bataillone rund 750 Soldaten an und für die Eskadronen jeweils rund 150 Mann, ergibt sich eine Regelstärke der Garnison von rund 3.600 Soldaten. Eine Größenordnung die wohl eher selten überschritten wird. Die tatsächliche Zahl liegt wahrscheinlich des Öfteren auch mal darunter. Diese Besatzung zu Friedenszeiten liegt wiederum deutlich niedriger als die für notwendig erachtete Besatzung zur Verteidigung der Festung in Kriegszeiten oder insbesondere im Belagerungsfall. Hier kann eine notwendige Stärke zwischen 5.000 und 6.000 Mann angenommen werden.8 Eine maximale Auslastung der Unterbringungsmöglichkeiten dürfte nur selten gegeben sein. Insgesamt ist anzunehmen, dass sich über den größten Teil der französischen Zeit die Zahlen der Zivilbevölkerung und der Garnison in etwa die Waage halten.9 Im Laufe des 19.  Jahrhundert ändert sich dieses Zahlenverhältnis etwas. Während die Zivilbevölkerung bis zum Jahr 1868 auf knapp 4.900 ansteigt, bleibt die Stärke der Garnison im Schnitt zunächst unter 3.000 Mann. Ein Höhepunkt, mit 3.300 Soldaten, ist auch in dieser Hinsicht im Jahr 1868 erreicht. Nach dem DeutschFranzösischen Krieg von 1870/71 bis zur endgültigen Aufhebung der Festung 1889 beträgt die Stärke der Garnison nur noch etwa 2.200 bis 2.500 Mann.10

2. Die Versorgung der Soldaten Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert werden zunehmend stehende Heere aufgestellt, womit die bis dahin meist gängige Methode abgelöst wird, Truppen bei Bedarf aufzustellen. Um die Dienstfähigkeit eines Soldaten aufrecht zu erhalten, werden von Seiten des Dienstherrn bestimmte grundlegende Bedürfnisse wie Essen, Kleidung, Unterkunft oder Ausrüstung zur Verfügung gestellt beziehungsweise organisiert.11 Mit der Aufstellung der stehenden Heere werden auch zunehmend Kasernen für die Unterbringung der Truppen errichtet, womit die problembehaftete

7 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 71. 8 So wird zum Beispiel in dem Memorandum aus dem Jahr 1777 die notwenige Stärke der Garnison, um eine Belagerung von drei Monaten Dauer zu überstehen, angeben mit insgesamt 5.280 Soldaten. Die Möglichkeiten zur Unterbringung dieser Anzahl Soldaten sind in den Kasernen vorhanden. So listet der gleiche Bericht vorhandene Kapazitäten für zusammen 5.510 Soldaten auf. Atlas 1777, Memoire No.9. (4.600 Infanteristen, 200 Artilleristen & 480 Kavalleristen bzw. Dragoner.) Im Jahre 1717 listet Le Blond de la Tour Kapazitäten für 4.121 Soldaten und 996 Pferde auf. 9 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 71. 10 Ebenda, S. 216 und S. 942 f. 11 Guy Thewes: Stände, Staat und Militär. Versorgung und Finanzierung der Arme in den Österreichischen Niederlanden 1715–1795. Wien, 2012, S. 209.

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Einquartierung in Privatwohnungen reduziert werden kann.12 Die Einquartierung hat für die Armee den logistischen Vorteil, dass sie eine Verpflegungspflicht mit einschließt. Für die Soldaten, die nun in den Kasernen untergebracht sind, muss eine neue Lösung für diese Frage gefunden werden. Der Beruf der Soldaten stellt in gewisser Hinsicht eine neue gesellschaftliche Gruppe dar. Sie sind reine Verbraucher, die nicht, wie der Großteil der Bevölkerung, an der Produktion von Nahrungsmitteln beteiligt sind. Selbst die Bewohner der Städte, auch die Händler oder Handwerker, haben im Gegensatz zu den Soldaten meist zumindest Gärten, teilweise auch Ackerland und halten sich oftmals auch Nutzvieh.13 Die Sicherung der soldatischen Verpflegung in den europäischen Armeen besteht bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in einer Mischung aus Naturalien und Sold. Der Soldat erhält sein Brot, das grundlegendste Nahrungsmittel, von der Armee. Hat der Soldat ein Quartier in einer Kaserne, muss er sich mit seinem Sold auf den örtlichen Märkten selbst mit den weiteren Nahrungsmitteln versorgen. Durch einen gemeinschaftlichen oder einen durch die Garnison organisierten Einkauf können zumindest überteuerte Preise verhindert werden. Auch greift der Staat in Fällen steigender Preise oder von Versorgungsproblemen durchaus regulierend in die Märkte sein. Gekocht wird dann, meist gemeinsam mit den Kameraden in der Kaserne, wo auf den Stuben entsprechende Möglichkeiten vorhanden sind.14 Ist der Soldat in Privatwohnungen einquartiert, dies gilt weiterhin insbesondere für höheren Dienstgrade, so hat er dort ein entsprechendes Quartiergeld zu entrichten, das die Verpflegung mit einschließt. Nur in Ausnahmefällen erhalten die Soldaten von Seiten der Armee auch weitere Nahrungsmittel, die über die tägliche Brotration hinausgehen. Hierzu zählen Manöver oder tatsächliche Gefechtseinsätze im freien Feld. Und natürlich der besondere Fall einer Einschließung oder Belagerung der Festung. In diesen Fällen können sich die Truppen nicht mehr selbst die zusätzlichen Lebensmittel beschaffen und werden aus den Magazinen der Garnison versorgt.

12 Die Quartierswirte sind auch für die Verpflegung der Soldaten verantwortlich. Auch wenn sie eine finanzielle Entschädigung für Kost und Logis erhalten, so entspricht diese meist nicht den tatsächlichen Kosten. Siehe hierzu auch die Beiträge von Eberhardt Kettlitz und Guy Thewes In: Benedikt Loew / Guy Thewes / Hans Peter Klauck (Hrsg.): Intra muros – Infrastruktur und Lebensalltag in Festungen – Die Kasernen. Schriftenreihe Festungs-Forum Saarlouis Band 1, Saarlouis 2014. 13 Vgl. Thewes (wie Anm. 11), S. 207. 14 Ebenda, S. 209f sowie vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 459.

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2.1. Aspekte der Versorgung der Soldaten in der französischen Zeit Der Staat sichert mit der Unterkunft und den Brotrationen dem Soldaten zwei wesentliche Grundbedürfnisse ab, womit gewissermaßen ein Ausgleich für das verhältnismäßig niedrige Einkommen geschaffen wird.15 Das wichtigste Element bei dieser Grundsicherung ist die gesicherte Brotration. Die Größe der täglichen Ration beträgt 1½ Pfund.16 Ausgegeben wird das aus dunklem Roggenmehl hergestellte ›pain de munition‹, das ›Kommissbrot‹. Es ist günstiger und länger haltbar als helles Weizenbrot und wird oftmals in Laiben zu zwei Tagesrationen gebacken. Zur unabhängigen Herstellung unterhält die Garnison eigene Bäckereien. Im normalen Alltag muss sich der Soldat alle weiteren Lebensmittel bei den Händlern und auf den Märkten der Stadt selbst besorgen. Der Sold eines einfachen Soldaten reicht hierfür in der Regel aus. Aber er ist nicht mehr ausreichend, um damit gegebenenfalls eine Familie zu ernähren. Durch seine relativ geringen täglichen Dienstzeiten bleiben dem Soldaten aber Möglichkeiten, einer weiteren, zivilen Beschäftigung nachzugehen, um zusätzlich Geld zu verdienen.17 So finden die Soldaten Anstellung bei den Handwerkern oder verrichten Tätigkeiten, die sonst von Tagelöhnern übernommen werden. Wobei sie gegenüber den Tagelöhnern einen entscheidenden Vorteil haben: die Grundversorgung ist gesichert. Die einfachen Soldaten haben keine Möglichkeiten, sich mit Hilfe von Gemüseoder Obstgärten zu einem gewissen Grad selbst zu versorgen. Die vor den Stadttoren liegenden Gärten werden nur unter den Einwohnern der Stadt zugeteilt. Dennoch gibt es in französischer Zeit zunächst auch innerhalb der Festungsmauern Nutzgärten, die unter der Aufsicht der Garnison stehen. In einem Bericht aus dem Jahre 1714 werden insgesamt 16, in ihrer Größe sehr unterschiedliche Gärten aufgelistet.18 Diese sind auf verschiedene Festungswerke verteilt. Davon liegen zwei auf der Fausse-Braye und je einer in den Innenhöfen der Bastionen 1–3 und 6. Weitere acht Gärten befinden sich auf dem Hornwerk. Sowie jeweils einer auf den Vorwerken Ravelin 3 und Lünette 2. Mit Ausnahme eines Gartens, der den Brüdern des Augustiner-Ordens zugeteilt ist, werden die anderen Gärten durch Offiziere oder Funktionsträger genutzt. Der größte Teil dieser Gärten steht dem ›Lieutenant du Roi‹, dem Statthalter des Königs, zur Verfügung. Andere Nutznießer sind zum Beispiel: der Platzmajor, dessen Stellvertreter, die Offiziere der Torwachen sowie der Wachen des Arsenals und des Lebensmittelmagazins. Dazu gehören aber auch leitendes Personal des Krankenhauses oder der Gefängniswächter. Die Gärten werden vor allem genutzt, um 15 16 17 18

Vgl. Thewes (wie Anm. 11)., S. 212. Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 74. Ebenda, S. 74 f. Henry-Claude Lemercier de Senneton de Chermont (gen. Senneton de Chermont): Memoire instructif concernant les … Jardins de la place et des ouvrages, Saarlouis / Metz 1714. (Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 250-18).

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Abb. 1: Plan für Reparaturarbeiten an der Infanteriekaserne 44 (später: Kaserne VI). Auf dem Plan ist zu erkennen, dass jede Stube über einen Kamin verfügt, damit die Soldaten auf der Stube kochen können. Der Hohe Speicher der Kaserne dient auch zur Lagerung von Lebensmitteln. Kaserne nach den Standartplänen von Vauban. © Städtisches Museum Saarlouis

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Gemüse und Spalierobst anzubauen. Aber vereinzelt scheinen die Anlagen auch der Erholung zu dienen, so werden in der Auflistung auch eine Weinlaube und auch die Nutzung als Blumengarten erwähnt. Vereinzelt sind auf verschiedenen Plänen aus der französischen Zeit werden weitere Grünflächen innerhalb der Stadt verzeichnet, die eventuell als Nutzgärten gedient haben könnten. So zum Beispiel auf der stadtseitigen Freifläche am Deutschen Tor, am nördlichen Ende der Pavillonstraße neben den Kasernen 2 und 3, im Hof des Arsenals oder im Hof der Garnisonsbäckerei. Im Laufe des 18. Jahrhunderts geht die Anzahl der Nutzgärten innerhalb der Wälle immer weiter zurück. Einer königlichen Aufforderung folgend, Gärten in den Festungsanlagen, mit wenigen Ausnahmen, aufzuheben, werden ab 1752 die meisten dieser Gärten niedergelegt.19 Nur wenige bleiben bis zur Übergabe an Preußen 1815 erhalten. Auf späteren Plänen aus preußischer Zeit sind hiervon nur der Garten im Hof des Zeughauses und ein Teil des Gartens beim Hospital gelegentlich verzeichnet. Öffentliche Gärten, im Sinne kleinere Parkanlagen, lassen auf sich auf franzö­ sischen und preußischen Plänen durchgängig belegen im Hof des Gouvernement-­ Gebäudes, zwischen Kirche und Pfarrhauses, neben dem Kloster der Augustiner sowie an der Zufahrt zum Hospital. Diese Grünflächen bleiben während der gesamten Festungszeit erhalten. 2.2. Aspekte der Versorgung der Soldaten in preußischer Zeit Zu den ersten militärischen Behörden die nach der Übergabe der Festung Saarlouis noch im Dezember 1815 ihre Arbeit aufnehmen, zählt auch das Proviantamt. In seine Zuständigkeit fallen Beschaffung, Lagerung, Verarbeitung und Ausgabe von Lebens- und Futtermitteln.20 Das Amt bezieht zunächst Quartier in Räumen der Kaserne 1. Das Grundprinzip der Versorgung mit Brot durch die Armee und darüber hinaus gehender Selbstversorgung der Soldaten gilt zunächst auch für die preußische Garnison in Saarlouis. Die Ausstattung einer Stube aus preußischen Anfangsjahren zeigt, dass auch die preußischen Soldaten ihr Essen zunächst auf der Stube kochen: »In jedem [Raum] befand sich ein Herd mit Kaminanschluß […] Das Inventar einer Stube aus den ersten Jahren der preußischen Zeit [umfasst]: 4 komplette Betten, 1 eiserner Kessel, 1 Kochlöffel, 1 Schaumlöffel, 1 Salzfaß, 1 Wassereimer, 1 Wasserkrug, 1 Trinkgeschirr, 2 Schüsseln, 5 Teller …«21 Mit der Sanierung der französischen Kasernengebäude zwischen 1818 und 1820 geht die Garnison Saarlouis vergleichsweise früh zur Truppenverpflegung über. Es werden Küchen eingerichtet, Köche eingestellt und Speisesäle für Unteroffiziere und Mannschaften zur Verfü-

19 Anton Delges: Vom Gartenbau in der Festungsstadt Saarlouis. In: Vereinigung für Heimatkunde im Landkreis Saarlouis (Hrsg.): Unsere Heimat (2/1979), S. 44. 20 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 446. 21 Ebenda, S.459.

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gung gestellt.22 Diese Truppenverpflegung, für die vom Sold ein Teil abgezogen wird, umfasst zunächst lediglich ein Essen am Tag. Für die weiteren Mahlzeiten müssen sich die Soldaten wie zuvor selbst versorgen. Dementsprechend reichen die Tagesrationen nicht aus, um den tatsächlichen Nahrungsbedarf zu decken. Brot erhalten sie weiterhin aus den Bäckereien der Garnison. Eine vollständige Verpflegung der Soldaten in Friedenszeiten durch die Küchen der Garnison, wird erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Regel.23 Der Sold der Mannschaftsdienstgrade reicht auch in preußischer Zeit aus, um sich damit selbst zu versorgen, eine Familie kann der einfache Soldat damit aber ebenfalls nicht ernähren. Der Großteil der eingezogenen Männer ist aber auch meist sehr jung und nicht verheiratet. Der Dienstplan lässt den Soldaten auch weiterhin durchaus etwas Zeit, sich ein wenig Geld hinzuzuverdienen. Auch wenn sich die Dienstbezüge im Vergleich zu den allgemeinen Löhnen im Verlauf des 19. Jahrhunderts weniger stark erhöhten, so kann die wirtschaftliche Lage der einfachen, ledigen Soldaten aufgrund der Regelmäßigkeit der Geld- und Lebensmittelbezüge, als stabil und daher als verhältnismäßig gut angesehen werden. Viele junge Männer erhalten während ihrer Dienstzeit zudem wohl von zu Hause Unterstützung in Form von Geld oder Lebensmitteln. Zumindest ein Teil der Soldaten ist finanziell in der Lage, sich anstelle des Kommissbrotes bei den öffentlichen Bäckern mit Weiß- oder Mischbrot zu versorgen. Ihre Brotrationen verkaufen sie zu niedrigen Preisen an die ärmere Bevölkerung, die wiederum ihren Bedarf an Brot mit diesem Kommissbrot deckt,24 teilweise sogar darauf angewiesen ist. Auch in preußischer Zeit wohnen zahlreiche Offiziere in angemieteten Privatwohnungen in der Stadt. Für die Kosten von Miete und Verpflegung erhalten sie zusätzlich zu ihrem Sold den sogenannten ›Servis‹. Dieser ist in seiner Höhe abhängig von Faktoren wie Dienstgrad oder Truppengattung. Offizieren, die in den Kasernen Wohnungen erhalten, wird dieser Servissatz um 2/3 gekürzt.25 Die preußischen Offiziere erhalten im Gegensatz zu den Mannschaftsdienstgraden keine Verpflegung. Ist wie in Saarlouis eine Offiziersspeiseanstalt vorhanden, beziehen sie ›Tischgelder‹, mit denen sich der tägliche Nahrungsbedarf decken lässt.26 Der Sold reicht aber auch für die meisten preußischen Offiziere nicht aus, um damit eine Familie versorgen zu können.

22 Ebenda, S. 461 f. 23 Zum Verpflegungswesen und zur Höhe der Tagessätze siehe Kretschmer (wie Anm. 5), S. 461 f. sowie Hermann Frobenius (Hrsg.): Militär-Lexikon. Handwörterbuch der Militärwissenschaften, Berlin 1901, S. 870 f. 24 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 273, S. 297, S. 464. 25 Ebenda, S. 478 f. 26 Ebenda, S. 479.

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3. Die Versorgung der Zivilbevölkerung Die Garnison sorgt indirekt in gewissem Sinne auch für die Versorgung der Zivilbevölkerung in Saarlouis. Denn die Bewohner der Stadt sind wirtschaftlich fast ausschließlich abhängig von den Arbeiten an den Festungsanlagen, den Aufträgen der Garnison und der Kaufkraft der Soldaten. Diese haben zwar ein verhältnismäßig geringes Einkommen, aber allein ihre große Anzahl schafft dennoch schon eine ausreichende Nachfrage auf den Märkten, bei den Händlern und in den zahlreichen Gaststätten. Das Umland der Festung profitiert wiederum von der Nachfrage der städtischen Bevölkerung, der Garnisonverwaltung und der Soldaten insbesondere nach Lebensmitteln. Mit verschiedenen Privilegien versucht der Staat, die Ansiedlung in der neugeründeten Stadt zu fördern. Ein Mittel hierzu ist die 1682 durch den König gewährte Befreiung von Ein- und Ausfuhrsteuern auf Lebensmittel.27 Dieser Steuervorteil fördert den Handel und erlaubt niedrigere Preise für den Verbraucher. Ein wichtiges Mittel, um die Lebensmittelversorgung in der neuen Stadt zu sichern. Einwohner der Stadt die aus Wallerfangen nach Saarlouis übersiedeln, behalten zunächst alle Rechte und Einnahmen aus den Gemeindegütern Wallerfangens. Diese bestehen insbesondere in der Verpachtung des Gemeindeackerlandes. In der Stadt siedeln sich aber keine Ackerbau treibenden Landwirte an. Die Gründe hierfür liegen in der räumlichen Enge innerhalb der Wälle und in der Entfernung zu den Feldern auf dem alten Wallerfanger Bann. Um nicht komplett auf den Kauf von Lebensmitteln angewiesen zu sein, bieten sich den Stadtbewohnern insbesondere zwei Möglichkeiten der teilweisen Selbstversorgung, die Viehhaltung und der Gemüse- und Obstanbau in eignen Nutzgärten. 3.1 Viehhaltung Im Gegensatz zum Ackerbau lässt sich von der Stadt aus eine Viehhaltung betreiben. Neben Pferden, die insbesondere den Fuhrleuten gehören, halten sich die Bürger von Saarlouis zum Beispiel Rinder, Schweine oder Schafe. Viehhändler und Metzger einmal ausgenommen, dient diese Tierhaltung vornehmlich der Eigenversorgung und ist meist auf wenige oder gar einzelne Tiere beschränkt. Auch hier bietet den Saarlouisern eine staatliche Verordnung einen entscheidenden Vorteil. Ab Juli 1684 können sie ihr Vieh auf den Gemarkungen der umliegenden Dörfer weiden lassen.28 Zwar wird versucht, die Belastungen für die Weideflächen der betroffenen Gemeinden durch gleichmäßige Wechsel der Beweidung gering zu halten. Dennoch wird dieses Sonderrecht zu Gunsten der Saarlouiser Bürgerschaft über viele Jahrzehnte 27 Nicolas Bernard Motte: Manuscrit tiré des archives même de Sarrelouis et de ses environs. Handschrift,1834–1855 Stadtarchiv Saarlouis, A XII/29, S. 12. 28 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5)., S. 34 und S. 94.

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immer wieder zu Missgunst und Rechtstreitigkeiten führen. 1768 wird dieses Recht ausdrücklich bestätigt. Die Verordnung von 1684 gibt darüber hinaus auch maximale Größen der verschiedenen Vieherden vor. Ob die Bestände der Herden dabei aber die erlaubten 300 Stück Rindvieh, 300 Schweine und 500 Schafe erreichen, ist fraglich. Der Viehbestand, insbesondere der Rinder, scheint auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zurückzugehen. Bewacht durch einen, von den Viehaltern gemeinschaftlich bezahlten, Hirten, bleiben die Herden den größten Teil des Jahres, auch nachts, auf ihren Weiden. Im Besondern wird die Schweinehaltung innerhalb der engen Stadt über die Sommermonate im Jahr 1698, wohl aus hygie­ nischen Gründen, untersagt.29. Problematisch wird die Viehhaltung über die Wintermonate, da die Tiere auch in Stallungen innerhalb der Stadt gehalten werden müssen. Kleinvieh, wie zum Beispiel Hasen oder Hühner, wird dagegen dauerhaft innerhalb der Stadt gehalten. Dies gilt für die französische als auch, für die preußische Zeit. In welcher Form sich aber die Haltung von größerem Vieh durch die Stadtbewohner im 19. Jahrhundert entwickelt, lässt sich bisher nicht belegen. Es ist anzunehmen, dass die Haltung solcher Tiere zur Selbstversorgung weiter nachlässt. Diese Vermutung lässt sich mit, ursprünglich bei den ersten Generationen der Stadtbewohner noch vorhandenen, aber nun im Schwinden begriffenen landwirtschaftlichen Traditionen begründen. Zudem stellt die Vorhaltung notweniger Stallungen, in einer sich baulich immer weiter verdichtenden Stadt, ein zusätzliches Problem dar.30 3.2. Gemüse- und Obstgärten Eine weitere, von Seiten des Staates durchgesetzte Unterstützungsmaßnahme bringt den Stadtbewohner zusätzliche, überaus wichtige Möglichkeiten zur Selbstversorgung. Neben dem genannten Privileg der Weiderechte erhalten sie, wohl ebenfalls im Jahr 168431, Flächen zur Anlegung von Nutzgärten für den Gemüse – und Obstanbau vor den Toren der Stadt. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Großteil dieser staatlichen Maßnahmen zur Unterstützung des Aufbaus des städtischen Gemeinwesens durch den Gouverneur Thomas de Choisy initiiert und umgesetzt wird. So wird ihm auch diese Maßnahme zugeschrieben.32 29 Zur Viehhaltung allgemein siehe Ebenda, S. 94 f. 30 Ebenda, S. 95. 31 Die erste Zuteilung von Gärten lässt sich nicht genau datieren. Sie hat aber wohl vor 1685 stattgefunden, da im April 1685 ein Streit über die Zahlung der Pacht belegt ist. 32 Der Bericht von 1714 über die Gärten in Saarlouis (vgl. Senneton, 1714 (wie Anm. 18)) besagt, dass sämtliche Befehle und Berechtigung bzgl. der Gärten ausschließlich an Choisy gerichtet sind. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Maßnahmen von Choisy angeregt werden. Er kennt die Verhältnisse und die Bedürfnisse vor Ort am Besten. Karl Balzer geht ebenfalls davon aus, das die Gärten auf Betreiben Choisys angelegt werden können. Balzer, S. 309. Für seine Annahme, dass bereits Vauban mit dem Abt von Wadgassen über die Anlage von Gärten verhandelt hätte, gibt es aber keinen Beleg.

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Abb. 2: Anonymer Plan der Festung Saarlouis um 1725 (Ausschnitt), mit Einzeichnung der Gärten innerhalb der Wälle. Zudem ist die Lage der Mühle an der Schleusenbrücke (17) erkennbar. verzeichnet sind weiterhin das Fourage-Magazin (51) und die erste Garnisonsbäckerei (58). © Städtisches Museum Saarlouis

Das Areal, auf dem die Gärten in Reihen angelegt werden, liegt südwestlich des Französischen Tores, vor dem Glacis der Festung auf Lisdorfer Bann und gehört der Abtei in Wadgassen. Im Jahr 1684 beginnt wohl die erste Zuteilung der Gartenflächen an Saarlouiser Bürger, Offiziere und hohe Beamte. Auch die Augustiner, die Klöster Wadgassen und Tholey werden berücksichtigt. Das ursprünglich sumpfige Gelände muss erst durch Entwässerungsgräben trockengelegt werden. Dies beginnt mit der ersten Zuteilung der Flächen, nimmt aber einige Jahre in Anspruch. Auch wenn die Gärten bis zur vollständigen Trockenlegung nicht alle gleich ertragsreich sind, verlangt der Abt von Wadgassen eine Pacht. Diese wird von 1685 durch Erlass Ludwig XIV. auf fünf Sol jährlich pro Arpent (circa 34 Ar) festgelegt.33 Viele Pächter zahlen aber zunächst wohl aufgrund der geringen Erträge nicht. In einem diesbezüglichen Gerichtsverfahren von 1696 werden schließlich die Pachtbeträge von 1685 bestätigt und die Zahlung rückwirkend zum Jahr 1692 festgelegt, da ab diesem Jahr 33 Carl Roderich / Maria Richter: Der Bann und die Bannmeile von Saarlouis. In: Hans Latz (Hrsg.): Saarlouis 1680–1930. Rückschau und Ausblick im 250. Gründungsjahre der Stadt, Saarlouis 1930, S. 18 – S. 58, S.18.

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der Bruch vollständig trockengelegt ist und die Gärten Erträge erbringen.34 Zudem wir auch in dem Verfahren auch die Regelung des Königs bestätigt, dass bei Verkauf des Gartens, der Abtei ein Zehntel des Verkaufspreises zusteht. Für diesen Prozess wird eine Auflistung der Gärten, ihrer Besitzer und ihrer Größe angefertigt. Diese erste Auflistung umfasst 279 zugeteilte und noch zehn zu vergebende Gärten.35 Im Jahr 1700 werden den Bürgern, die seit der letzten Verteilung in der Stadt neu gebaut haben, insgesamt 67 weitere Parzellen zugeteilt. Diese nun 356 Gärten in den Gartenreihen bilden den Höchstwert in den zur Verfügung stehenden Aufzeichnungen. Das Memoire von Senneton de Chermont36 über die Gärten in Saarlouis aus dem Jahr 1714 gibt im Text ungefähr 250 Gärten an, in dem zugehörigen Lageplan sind hingegen 287 Gärten verzeichnet. Darüber hinaus weist er eindeutig als brach liegend gekennzeichnete Flächen aus.37 Ein Güterbestand der Abtei Wadgassen listet für das Jahr 1791 die Pacht für 306 Gärten auf.38 Die Verteilung der Gartenflächen an die Bürger, ist abhängig von einem Gebäudebesitz innerhalb der Stadt. Die Größe des Gartens dabei wiederum von der Größe des Hauses. So erhält man bei der Verteilung von 1700 bei einer Hausbreite von fünf Toisen (circa 9,8m)39 eine Parzelle von zehn Toisen Breite und 25 Toisen Länge40 (circa 19,6 x 49 Meter; circa 9,6 Ar). Man kann davon ausgehen, dass die vorherigen Einteilungen auf einer solchen Grundlage erfolgt sind. Sowohl die Auflistung von 1696 als auch ein Abgleich mit dem Lageplan aus dem Jahr 1714 weisen darauf hin. Zwar gibt es aufgrund der Lage und des geländebedingten Zuschnitts auch wenige nicht rechteckig angelegte Parzellen, doch der weitaus Größte Teil der Gärten hat eine rechteckige Form mit einer Länge von 25 Toisen. Es lassen sich bei diesen auch unterschiedliche Breiten von fünf bis zu 30 Toisen finden und erkennen. Die große Mehrzahl entspricht jedoch einem Maß von 10 x 25 Toisen. Die Auflistung von 1696 ergibt eine Gesamtbreite aller Gärten von 3362 Toisen41 (rund 6590 Meter) und im Jahre 1700 eine Erweiterung um 634 Toisen42 (rund 1243 Meter). Insgesamt also eine Straßenbreite aller Gärten von rund 7.833 Meter. Nimmt man hierzu eine einheitliche Tiefe von 49 Metern an, so ergibt sich eine Gesamtfläche für die Gartenreihen von etwa 38,4 Hektar.

34 Ebenda. 35 Vgl. Delges (wie Anm. 19), S. 45 ff. 36 Lemercier de Senneton de Chermont, Henry-Claude (gen. Senneton de Chermont), Fünf Jahre später (1719) wird er verantwortlicher Ingenieur der Festung Saarlouis. Eine Funktion die er bis zu seinem Tod 1758 innehaben wird. 37 Vgl. Senneton 1714 (wie Anm. 18); Estat de nom des Jardins …, 1714. 1 VM 250-18-0009. 38 Vgl. Richter (wie Anm. 33), S. 19. 39 Grundlage für die Umrechnungen der Maße und Flächen: 1 Toise = 1,96 m. 40 Vgl. Richter (wie Anm. 33), S. 19. 41 Vgl. Delges (wie Anm. 19), S. 45 ff. 42 Vgl. Richter (wie Anm. 33), S. 19.

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Abb. 3: Plan der Festung Saarlouis, aquarellierte Tuschezeichnung, vermutl. Senneton de Chermont, 1725. Ausrichtung Nord-Ost. Der Plan zeigt die Gartenreihen südlich der Festung. Die Weideflächen für das Vieh der Stadtbewohner befinden sich überwiegend nordwestlich desHornwerks, auf der rechten Saarseite. © Städtisches Museum Saarlouis

»Ungefähr« 40 weitere Gärten finden erstmals Erwähnung in der genannten Denkschrift zu den Gärten der Stadt aus dem Jahr 1714. Sie befinden sich nördlich vor dem Glacis der Festung an der Straße nach Roden, auf dessen Bann gelegen. Auch hierzu gibt es einen zugehörigen Lageplan, der genau 35 Gärten unterschiedlichster Größe und Form aufzeichnet.43 Nur teilweise scheinen sie einheitlich angelegt zu sein. Über die Umstände und den Zeitraum der Anlegung und eventuelle Pachtbedingungen dieser Gärten ist bisher nichts bekannt. Sie erscheinen im Gegensatz zu den Gartenreihen auch nicht eindeutig und durchgängig auf Karten, die das Umland der Festung abbilden. All diese Faktoren lassen die Überlegung zu, dass diese Gärten nicht auf staatliche, sondern eventuell auf private Initiative hin, mit der erforderlichen Genehmigung des Gouverneurs, an-

43 Vgl. Senneton 1714 (wie Anm. 18) sowie  – Estat des Jardin seitués hors la porte D’alle­ magne, …, 1714. 1 VM 250-18-0010.

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gelegt werden. Die Gärten vor dem Deutschen Tor haben zusammen eine Größe von etwa 4,5 Hektar.44 Insgesamt umfassen die Gärten für die Bewohner der Stadt eine Fläche von etwa 42,9 Hektar. Damit sind die Gartenflächen vor den Toren Festung mehr als doppelt so groß wie das gesamte Areal innerhalb der Festungswälle (circa 18,3 Hektar) und mehr als viermal so groß wie die Fläche der eigentlichen zivilen städtischen Bebauung (circa zehn Hektar).45 Dennoch kann nur ein Teil der Saarlouiser Bürger über einen solchen Garten verfügen. Der Chronist Nicolas Bernard Motte überliefert uns durch eine Auflistung und einen Plan die genaue Aufteilung von 494 Grundstücken im Jahr 1816.46 Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Aufteilung bis auf wenige Veränderungen weitgehend der Parzellierung durch Choisy entspricht. Fasst man die maximal in den Quellen angegeben Anzahl der Gärten vor den Wällen zusammen, so ergeben sich insgesamt 391 Gärten. Es wird deutlich, dass ein großer Teil der Saarlouiser Bevölkerung nicht über die Möglichkeiten eines Nutzgartens verfügen kann. Denn zusätzlich zu den rund 100 Hausbesitzern ohne Garten, kommt der große Anteil der Bevölkerung hinzu, der nicht über Grundbesitz verfügt. Dennoch spielen die Nutzgärten für die Versorgung der Stadt eine wichtige Rolle, wie der Bericht aus dem Jahre 1714 betont: »In den Gärten gibt es Gemüse und Obstbäume aber keine Häuser oder Barracken. [ …] Und sie sind wichtig für den Lebensunterhalt der Stadt […] Die Gärten schaden den [Festungs-] Werken nicht, da sie leicht niederzulegen sind […] und zum Lebensunterhalt der Stadt beitragen.«47 3.3. Besondere Probleme in Krisenzeiten Da Tierhaltung und Gartenbau insgesamt nicht allein ausreichend für die Versorgung der städtischen Bevölkerung sind, und Landwirtschaft von der Stadt aus nicht betrieben werden kann, sind die Bewohner, ebenso wie die Garnison, der Festungsstadt Saarlouis in besonderem Maße vom Lebensmittelhandel abhängig. Gerät dieser in Krisensituationen ins Stocken, ergeben sich zwangsläufig Probleme. Neben Zeiten allgemeiner Lebensmittelknappheit, die für die Menschen aller Dörfer und Städte 44 Eigene Schätzung anhand des Lageplanes von 1714. 45 Die Fläche innerhalb der Wälle beträgt 18,3 Hektar. Einschließlich der Kasernen und Garnisonsgebäude (Auskunft Amt für Stadtplanung und Denkmalschutz, 11.10.17). Die reine zivile städtische Bebauung, ohne Garnisonsflächen, Gouvernement-Gelände und den Paradeplatz (Großer Markt) umfasst sogar nur rund 10 Hektar (Nutzung der Funktion zur Flächenberechnung in der Software: Landesamt für Kataster-, Vermessungs- und Kartenwesen: Topographische Karte des Saarlandes 1:25.000, digitale Ausgabe, Saarbrücken 2001.). 46 Vgl. Motte (wie Anm. 27), S. 84ff, einschließlich öffentlicher Gebäude, ohne Garnisonsgebäude. 47 Vgl. Senneton 1714 (wie Anm. 18), S. 4f (eigene Übersetzung).

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Hunger und Not mit sich bringen, haben die Menschen innerhalb einer Festung die spezielle Gefahr, durch eine Belagerung oder Einschließung vollständig von der Versorgung mit Lebensmittel abgeschlossen zu werden. Während die Garnison versucht, für diese Fälle ihre Magazine rechtzeitig aufzufüllen, werden die Bürger per Verordnung aufgefordert, für sich selbst einen Lebensmittelvorrat anzulegen.48 Sie haben grundsätzlich keinen Anspruch, aus den Magazinen der Garnison versorgt zu werden. Wie das einführende Beispiel vom Februar 1814 zeigt, ist eher das Gegenteil der Fall. Sind die Magazine leer, versucht die Armee ihren Bedarf bei den Bürgern zu decken. Gelingt eine ausreichende Proviantierung der Bevölkerung, oder auch der Garnison nicht, müssen Kinder, Frauen, Alte und Kranke die Stadt verlassen, damit die gesamten vorhandenen Vorräte innerhalb der Festung den Verteidigern der Festung zur Verfügung stehen.49 Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert ist Brot das wichtigste Grundnahrungsmittel. Im 19. Jahrhundert kommt dann zunehmenden auch der Kartoffel diese Bedeutung zu, insbesondere für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Fleisch steht für große Teile der Bevölkerung nur selten auf dem Speiseplan. Die Preise für Brot und Kartoffeln sind selten konstant, sie schwanken je nach Jahreszeit. Die Lebensverhältnisse der Bevölkerung sind stark von den Ernteerträgen und in deren Folge von der Entwicklung der Getreide- und Kartoffelpreise abhängig. Missernten bei Getreide oder Kartoffeln führen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vereinzelt gar zu einer Unterbrechung des üblichen Preiszyklus. Fehlende Lebensmittel und starke Preissteigerungen führen zu Hungerkrisen.50 Durch die Abhängigkeit von den Lebensmittelmärkten treffen solche Krisen die Stadt Saarlouis in besonderem Maße. Der Staat versucht, in diesen Zeiten durch Ausfuhrverbote und Preisfestlegungen die Krise zu lindern. Um die schlimmste Not abzuwenden, werden zudem die Proviantämter angewiesen, die staatlichen Maßnahmen durch Abgabe von Getreide zu günstigen Preisen zu stützen. Darüber hinaus backen die Garnisonsbäckereien Kommissbrot auch für die Bevölkerung, das weit günstiger als zu den herrschenden Marktpreisen verkauft wird.51 In diesen schweren Zeiten scheinen die Bürger von Saarlouis vom dem Status als Festungsstadt und der Nähe des Proviantamtes mit seinen Magazinen vor Ort, im Vergleich zu anderen Städten zumindest leicht zu profitieren. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Regulierung der lokalen Preise als auch in Bezug auf die Verfügbarkeit und Bereitstellung von Getreide.52

48 So zum Beispiel in den Jahren 1792 oder 1814. Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 176 und S. 199. 49 Beispiel hierfür ist das Jahr 1794. Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 181. 50 Hier sind insbesondere die Krisenjahre 1816/17 und die 1840er Jahre zu nennen. 51 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 521, S. 540f, S. 594. 52 Ebenda.

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4. Die Intrastruktur der Festung Saarlouis zur Lebensmittelversorgung der Garnison Eine der wesentlichen Funktionen einer Festung wie Saarlouis, ist die Unterstützung der im Feld operierenden Truppen mit Kriegsgerät, Munition, Fourage und Lebensmitteln. Die Festung bietet gesicherte Magazine, aus denen die Armee im Bedarfsfall versorgt werden kann. Eine Funktion für die Vauban in seinen Bauanweisungen ein »… sehr geräumiges Lager für Lebensmittel [vorsieht,] mit allem nötigen Raum für große Bäckereien, Brotläden, geräumigen Korn- und Mehlspeichern und eine Menge Unterbringungsmöglichkeiten für alles Gerät, das mit Lebensmitteln zu tun hat.«53 Ob hierfür spezielle Gebäude oder die Mitbenutzung von sonstigen Garnisonsgebäuden von ihm vorgesehen sind, bleibt unklar. Vauban listet in seinen Bauanweisungen für Saarlouis die zu errichtenden, staatlichen Gebäude für die Festung, die Garnison und die Verwaltung auf; hierbei auch ein Lebensmittelmagazin. Darüber hinaus weist er Bauflächen zur zivilen Nutzung aus54 Der hierzu beigefügte Plan gilt aber als verloren, so dass die ursprünglichen Vorstellungen Vaubans zur Verteilung der Gebäude nur vermutet, nicht aber gesichert festgestellt werden können. Ein Plan mit dem Titel »Distribution des bastiments de Sarrelouis« (Die Verteilung der Gebäude in Saarlouis) zeigt eine in der Form nicht verwirklichte städtebauliche Planung, die aber auffallend viele Elemente der Bauanweisungen Vaubans enthält.55 Auch auf diesem Plan ist kein benanntes Lebensmittelmagazin zu erkennen. Er zeigt aber ein großes Areal auf der Nordostseite der Stadt, das mit »magasins  a fourages« (Futtermagazine)  gekennzeichnet ist. Ob es sich hierbei auch um Magazine für Lebensmittel handeln könnte, ist nicht auszuschließen, bleibt aber Spekulation. Vauban überlässt in seinen Anweisungen Thomas de Choisy einen gewissen Handlungs- und Gestaltungsspielraum. Choisy, dessen Aufgabe nicht nur auf den Bau der Festung beschränkt ist, sondern der auch den Aufbau eines städtischen Ge53 Thomas Gretscher / Catherine Gretscher (Übers.): Bauanweisung und Begutachtung für die Befestigungsanlagen von Saarlouis 1680, Saarbrücken 1984. Gebundene Kopie einer Übersetzung des Projet instuctif de la fortification de Sarrelouis. Städtisches Museum Saarlouis., S. 62. 54 Vgl. Vauban (wie Anm. 4), Absatz 143 und Absatz 144. sowie vgl. Gretscher (wie Anm. 53), S. 52 ff. 55 Distribution des bastiments de Sarrelouis, ohne Ort, ohne Jahr (evtl. 1680 (?)). Landesarchiv Saarbrücken, B 95 1a. Aufgrund seines Inhaltes kann die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass dieser Plan in etwa die Vorstellungen Vaubans enthalten könnte. Zudem erscheint die Grundstruktur dieses Plans auch auf späteren Plänen, obwohl sie nicht der tatsächlichen Bebauung entspricht. Auch dieser Plan gilt inzwischen als verloren. Verschiedene Pläne zeigen, wie die Verteilung nach Vauban in etwa ausgesehen haben könnte. Siehe hierzu Fritz Hellwig: Alte Pläne von Stadt und Festung Saarlouis, Saarbrücken 1980, S. 6 f., S. 10 ff., S .22 f., S. 30 ff.

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meinwesen fördern und leiten muss, nutzt dem ihm gegebenen Spielraum und passt die grundlegenden Vorstellung Vaubans den politischen Veränderungen und den sich ergebenden Notwendigkeiten an. So wächst die Stadt zum Beispiel anscheinend stärker als zunächst angenommen. Choisy versucht vor allem zusätzliche zivile Bauplätze zu gewinnen. 4.1. Magazine Die Magazinräume für Lebensmittel sind in französischer Zeit auf verschiedene Gebäude verteilt. Der Ingenieur Le Blond de la Tour weißt im Jahr 1717 ausdrücklich darauf hin, dass es kein spezielles Magazingebäude vorhanden ist.56 Die Magazine befinden sich auf den Speichern der Kasernen und der Torgebäude, sowie in weiteren Räumen der Kasernengebäude, im Augustiner-Kloster und in den beiden Gebäuden der Kadettenschule.57 Letztere werden im Laufe der Zeit wohl vornehmlich als Magazine genutzt und auch in verschiedenen Quellen und Plänen als solche bezeichnet. Meist werden sie als Einheit zusammengefasst bezeichnet. Welche der beiden Funktionen ihnen ursprünglich zugedacht ist, lässt sich nicht nachvollziehen. Teile der Räume, wahrscheinlich im stadtseitigen Gebäude, dienen zumindest temporär als Kadettenschule. Die Nutzung als Magazin bleibt bis zur Fertigstellung des neuen großen Proviantmagazins vor dem Deutschen Tor 1822 erhalten.58 Danach werden die Gebäude abgerissen, der Platz wird Standort der neuen evangelischen Garnisonskirche.59 Darüber hinaus werden auch Teile der Kasematten zumindest zeitweise zur Lagerung von »Lebensmitteln des Königs wie Wein, Schnaps, Öl, Käse etc …«60 genutzt. Die Magazinräume der Garnison haben vor allem die Aufgabe große Mengen Korn und Mehl aufzubewahren, um die Produktion der Brotrationen gewährleisten zu können. Die Vorräte reichen dabei für ein ganzes Jahr aus.61 Die mögliche Aufnahmekapazität der Magazine wird in einem umfassenden Memorandum über die Festung aus dem Jahr 1777 mit ausreichend Platz für 38.000 Säcke Getreide oder 56 Pierre Le Blond de la Tour: Memoire sur Sarrelouis, Saarlouis 1717. Handschrift, Stadtarchiv Saarlouis A II/372.1., S. 15. 57 Ebenda; anonym: Explication des chiffrece Et Lettres du Plan Et de la Carte de SâarreLouice. ohne Autor und Jahr. Vermutlich Saarlouis, um 1685. Stadtarchiv Saarlouis, A II/381., S. 6; anonym: »Memoire sur la place de Sarrelouis«. Handschrift, ohne Autor, Titel, Ort und Jahr. Vermutlich Saarlouis, um 1765. Stadtarchiv Saarlouis. Inventar-Nummer: 2014.6., S, 9f sowie vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 20. 58 Auf einem Plan von 1819, sog. Haak-Plan, sind die Gebäude noch verzeichnet, auf einem Plan aus dem Jahr 1825 ist hingegen die Garnisonskirche verzeichnet. 59 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S, 38 f., S. 50. 60 Henry-Claude Lemercier de Senneton de Chermont (gen. Senneton de Chermont): Memoire sur l’employ des souterrains des Sarrelouis, Saarlouis 1745. (Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 250-52). 61 Vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 13.

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Mehl angegeben. Ein Sack zu 200 Livre (Pfund), rund 98 Kilogramm.62 Diese Lager werden aber wohl nicht ausschließlich für Getreide genutzt. Denn darüber hinaus hat die Garnison auch die Aufgabe gegebenenfalls Lebensmittel für die vollständige Verpflegung der Soldaten im Feld bereitzuhalten, sei es für Manöver, Marschverpflegung oder für den Kriegsfall. Hierzu werden auch andere Getreidesorten, Gemüse, Fleisch, Speck, Wein, Spirituosen, Würzmittel und Salz gelagert. Für das Salzlager findet sich in den Quellen neben einem umgenutzten Pferdestall in einer Kaserne auch ein Lagerhaus außerhalb der Stadt in Wallerfangen.63 Über den tatsächlichen quantitativen Bestand der Magazine ist die Quellenlage sehr uneinheitlich. Diese sind im Laufe eines Jahres sicher nicht einheitlich und auch abhängig von der Jahreszeit, dem Angebot im Handel und von langfristig absehbaren Sonderereignissen wie Manövern oder Truppenverlegungen. Betrachtet man die Auflistungen welche Mengen an Vorräten für den Fall einer Belagerung möglichst beschafft werden sollen, so zeigt sich, welche enormen Lagerkapazitäten benötigt werden. So listet als Beispiel der Bericht aus dem Jahr 1777 als notwendigen Bestand für die Versorgung von 5.280 Soldaten, für den Fall einer dreimonatigen Belagerung unter anderem auf:  – 287.385 Kilogramm Weizen /– 143.766 Kilogramm Roggen / – 33.986 Kilogramm Erbsen / – 22.638 Kilogramm Linsen / – 18.196 Kilogramm Reis / – 29.871 Kilogramm Gerste /– 31.901 Kilogramm gesalzenen Speck / – 112.700 Kilogramm Rind- oder Schweinefleisch / – 28.469 Kilogramm kg Schafsfleisch / – 22.638 Kilogramm Käse / – je 35.231 Kilogramm Stockfisch und Dorsch / – 31.807 Kilogramm Hering / – 591.450 Liter Wein / – 41.130 Liter Schnaps / – und auch 9.310 Kilogramm Tabak.64 Hinzu kommen weiterhin Gemüse, Obst, Salz, Gewürze. Und nicht zu vergessen, das notwendige Brennholz für die Bäckereien und Heizöfen, rund 612 Raummeter Holz und 16.425 Reisigbündel.65 Für die Versorgung der Offiziere, des Krankenhauses und verschiedener, für die Verteidigung wichtiger Personen muss zusätzlich nochmal ein Viertel der genannten Mengen hinzugerechnet werden. Ein Platzproblem scheint also trotz des Fehlens eines speziellen Gebäudes für die Lagerung der Lebensmittel nicht zu geben. Sorge bereitet den französischen Ingenieuren aber die Tatsache, dass sowohl für die Unterbringung der Truppen als auch für die Lebensmittellager nicht genügend geschützte, bombensichere Räume vorhanden sind. Zum besseren Schutz der Lebensmittel vor Bombentreffern, wird im Verteidi62 Ebenda, S. 9 und S.18. Berechnungsgrundlage: 1 Livre (Pfund) = 490 g. 1 Quarte (Quart) = 120 Livre = 58,8 Kg. 63 Vgl. Explication 1685, (wie Anm.57), S. 6. sowie vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 13. 64 Vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 9 ff. Berechnungsgrundlage: 1 Livre = 490 g/1 Quarte = 120 Livres = 58,8 Kg/1 Quintal (Doppelzentner) = 100 Livres = 49 kg/1 Muid = 274, 2 l (verschiedene Einträge Wikipedia, Oktober 2017). 65 Ebenda, S. 10. Berechnungsgrundlage: 1 Corde (Cord)  = 3,62 m3 geschichtes Holz mit Zwischenräumen (Raummeter) (Wikipedia, Oktober 2017).

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Abb. 4: Blick über die Dächer der Kasernen 10 (vorne), 2 (links) und 3 auf das dahinter liegende Zeughaus. Die Speicher dieser Gebäude dienen auch zur Lagerung von Lebensmitteln. Postkarte, um 1905. © Städtisches Museum Saarlouis

gungsfall die Verteilung der Bestände auf die gesamte Stadt, auch in die Häuser der Zivilbevölkerung als notwendig erachtet.66 Ein Nachteil, den auch die preußischen Ingenieure erkennen. Sie gehen schnell daran, dieses Problem zu beheben. Neben der Anlegung zahlreiche Kasematten in den Wällen gehört auch der Bau eines neuen, bombensicheren Proviantmagazins zu den entsprechenden Maßnahmen. Das Proviant-Magazin wird 1819 bis 1822 parallel zum Hauptwall der Saarfront auf der freien Fläche beiderseits der Deutschen Straße errichtet. Ein hoher Durchlass über der Straße stellt die Verbindung mit dem Deutschen Tor her. Das Gebäude hat zwei massive Stockwerke, ist 113 Meter lang, 19 Meter breit und hat eine Traufhöhe von zehn Metern. Es ist mit einem starken Kreuzgewölbe bombensicher überwölbt und circa einen Meter hoch mit Erde abgedeckt, darüber ein hoher, zweigeschossiger Dachboden unter einem Walmdach. Der Bau gliedert sich in 26 Kreuzgewölbe in zwei Reihen.67 Das Proviant-Magazin dient insbesondere zur Aufbewahrung von Lebensmitteln mit kurzer Lagerzeit. Weiterhin wird hier auch die Verwaltung des Proviantamtes untergebracht, weshalb das Gebäude auch oft mit ›Proviantamt‹ bezeichnet wird. 66 Ebenda, S. 2 und S. 5 und S. 13 und S. 18. 67 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S. 42.

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Die Anzahl der Kasematten in den Festungswällen wird in preußischer Zeit durch die Anlegung von 44 weiteren bombensicheren Räumen verdreifacht. Sie dienen zum Teil auch der Lagerung von Lebensmitteln. Darüber hinaus nutzen auch die Preußen die Dachböden in den Kasernen 1, 3, 6 f.und 10 zur Lagerung von Lebensmitteln. Aus preußischer Zeit stehen keine Angaben zu vorhandenen oder erforderlichen Lagerkapazitäten für Lebensmittel zur Verfügung. Aufgrund der preußischen Bautätigkeit kann aber davon ausgegangen werden, dass sich die entsprechenden Möglichkeiten im Vergleich zur französischen Zeit, nicht verringert, sondern wohl eher noch erweitert haben. Bis zum Jahr 1700 werden innerhalb der Stadt zwei Futtermittelmagazine errichtet. Eines in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Kavallerie-Kasernen 2 und 3. Genaue Pläne oder Beschreibungen dieses Gebäudes sind nicht bekannt. Ob es zumindest teilweise auch zur Aufbewahrung von Nahrungsmitteln genutzt wird, ist daher bisher nicht zu belegen, aber durchaus denkbar. Auf preußischen Plänen um das Jahr 1820 wird der Bau auch als Proviantmagazin 2 bezeichnet.68 Diese Benennung könnte aus einer zumindest teilweisen oder temporären Umnutzung des Gebäudes als Proviantmagazin resultieren. Die Bezeichnung kann aber auch in einer Zuständigkeit des Proviantamtes für die Fouragemagazine begründet sein. Das Gebäude wird vor 1828 abgetragen, der Standort wird Teil der Baufläche für die Kaserne 10. Ein zweites Futtermittelmagazin entsteht auf dem Hornwerk. Das Gebäude wird sowohl in französischer als auch in preußischer Zeit ausgebaut. Das massive Lagerhaus ist in seiner größten Ausbaustufe zweigeschossig, 133 Meter lang, 16,5 Meter breit und hat eine Traufhöhe von 5,5 Metern. In preußischer Zeit wird es mit einem Schüttboden ausgebaut.69 Darüber hinaus finden sich verschiedene Futtermittellager, insbesondere für Heu, auch im Umland der Festung. Wie bereits aufgezeigt, können die Bestände der Garnisons-Magazine in nicht-militärischen Krisenzeiten den staatlichen Behörden auch dazu dienen, regulierend und unterstützend auf den regionalen Lebensmittelmarkt einzuwirken. Ob die Garnison darüber hinaus, wie die Beispiele aus anderen Festungsstädten zeigen, auch Lebensmittel aus den Magazinen verkauft, die durch neue, länger haltbare Ware ersetzt werden, ist zwar für Saarlouis bisher nicht belegt aber durchaus auch vorstellbar. Exkurs: Landwirtschaftliche Bezugsquellen Die notwendigen landwirtschaftlichen Produkte, um die Magazine der Festung zu füllen, beziehen die Proviantmeister sowohl aus dem direkten Umland als auch aus weiter entfernten Gegenden. 1777 schreibt hierzu d’Aubigny:

68 SBB_IIIC_Kart. X 33383 sowie GStA_ PK_XI_HA Karten_FPK-E 72399. 69 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S. 42 f.

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»Das Land in einem Umkreis von fünf bis sechs Meilen bietet reichlich Getreide und Futter. Eine durchschnittliche Ernte kann 12 bis 15 Tausend Säcke Weizen erbringen, 6 Tausend Säcke Roggen, 12 Tausend Säcke Hafer und mindestens zweihunderttausend Rationen Heu.«70 Auch wenn nach Ansicht des preußischen Ingenieur-Leutnants Karl Wilhelm Frommann im Jahr 1835 die möglichen Erträge der Landwirtschaft in der Umgebung von Saarlouis durchaus steigerungsfähig sind, » … so sind dennoch die Hülfsquellen, welche die Umgegend bis auf etwa 5 bis 6 Stunden […] bedeutend genug, um für den Bedarf der Garnison in Friedenszeiten mit Ausnahme des Brodmaterials, auszureichen, als auch nun im Falle einer eintretenden Armirung die Verproviantirung der Festung aus der Nähe bewerkstelligen zu können.«71 Im Einzelnen listet er hierzu auf: »Ein Rayon von 1 ½ Stunden um die Festung liefert gegenwärtig das nöthige Heu für den jährlichen Bedarf von 2 Escadrons Cavallerie (etwa 300 Pferde) die jetzt in der Festung stehen […] Der Bedarf an Streu- und Futterstroh für die Cavallerie sowie an Lagerstroh […] wird aus Frankreich bezogen. Das nahe gelegene Köllerthal […] liefert in Verbindung mit einigen näher gelegenen Dörfern, den nöthigen Haferbedarf. Aus den Dörfern auf dem sogenannten Gau […] wird der nöthige Weizen genommen. Der Bedarf an Korn hingegen muß in der entfernter liegenden Rheinpfalz bezogen werden, wozu jedoch ein Zeitraum von drei Wochen genügend ist. Die erforderlichen Kartoffeln sowie die übrigen frisch und getrockneten Gemüse für die Verpflegung der Garnison in Friedenszeiten sowie die nöthigen Hülsenfrüchten (Erbsen, Linsen) Graupen und Grütze für die Verproviantirung der Festung sind aus der Umgegend zu erhalten, obgleich die letzteren, wenn Zeit und Umstände es gestatten, billiger und besser aus der Rheinpfalz bezogen werden können. Bohnen sind nicht vorhanden, Butter muß aus Cöln bezogen werden. Der Viehbestand in dem nächsten Rayon von 1 ½ bis 2 Stunden um die Festung, […] ist […] bedeutend genug, um das nöthige Schlachtvieh für die Verproviantirung der Festung darin zu nehmen. Ist dafür eine längere Zeit gestattet, so kann aus dem etwa 15 Stunden nach dem Hochwalde hin entfernten Birkenfeld, sehr gutes Schlachtvieh in hinreichender Menge genommen werden. Das erforderliche gesalzene und geräucherte Schweinefleisch ist in einem Umkreise von 10 Stunden […] zu beschaffen. Auf eine hinreichende Quantität Wein für die Verproviantirung der Festung kann, […] in dem Saarthale angekauft werden. Die Branntweinbrennereien in dem Saarthale können den nöthigen Bedarf an Branntwein liefern.«72

70 Vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 18, eigene Übersetzung. 71 Karl Wilhelm Frommann: Mémoire die Festung Saarlouis betreffend. Enthaltend die Beschreibung wie die Fortifikation und die Militär Geschäfte derselben. Handschrift, Saarlouis 1835. Stadtarchiv Saarlouis, A III/148., S. 16. 72 Ebenda, S.16 f.

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4.2. Militärbäckereien »Es gibt 25 Öfen des Königs […], zwölf im Gebäude der Bäckerei, […] in den Kasernen 45 und 46 [Anmerkung: zwei Gebäudeteile der Kaserne 7], sechs, und in den Kasematten gegenüber der Kasernen sieben.«73 Diese Auflistung der Backöfen der Garnison aus dem Jahr 1717 beschreibt im Grund die Situation der Militärbäckereien in Saarlouis bis etwa zu Beginn der französischen Revolution. Spätere Berichte bestätigen durchgehend diese Angaben, mit der kleinen Änderung, dass in der Bäckerei am Großen Markt später zehn Öfen aufgelistet werden. Die maximale tägliche Leistung dieser Öfen liegt bei 48.300 Broten zu 1 ½ Pfund.74 Die Denkschriften geben darüber hinaus eine mögliche Leistung aller Öfen in der Stadt, der Garnison, der Bäcker und der Bürger, von zusammen täglich 78.300 Broten an. Die Öfen in der Bäckerei und in der Kaserne 7 werden schon um das Jahr 1685 erwähnt.75 Mit ihnen ist schon früh die Grundversorgung gesichert. Durch die Anlegung der Öfen in den Kasematten in der Kurtine links der Bastion 6 wird die Möglichkeit geschaffen, im Belagerungsfall in bombensicheren Räumen die Brotherstellung sicher weiterführen zu können. Zwischen 1732 und 1734 erhält die Bäckerei am Großen Markt einen eigenen Anschluss an die Wasserleitung. 1752 erhalten auch die Bäckereien in der Kaserne 7 und in der daneben liegenden Kurtine einen entsprechenden Anschluss. Auf einem Bohlengerüst gegründet wird 1683 die königliche Bäckerei am Paradeplatz fertig gestellt. Im gleichen Jahr erhält die Bäckerei einen gegrabenen Brunnen. Im Gebäude der Bäckerei befinden zudem Dienstwohnungen und Büros, zunächst des ›Major de la Place‹, später des Lieutenant du Roi. Letztmalig wir die Garnisonsbäckerei als solche auf einem Projektplan für das Jahr 1783 verzeichnet, zwei Jahre später wird das Gebäude mit »anciens fours de munition« beschrieben.76 Das Gebäude am Paradeplatz wird in den 1780er Jahren verkauft und die Garnisonsbäckerei erhält einen Neubau auf dem Hofgelände des Gouvernement-Gebäudes. Diese neue Bäckerei wird erstmals 1793 auf einem Plan verzeichnet und im Jahr 1801 in der Legende beschrieben.77 Diese Bäckerei wird im Jahr 1848 abgebrochen.78 Einen weiteren Ersatz gibt es für sie nicht.

73 Vgl. Le Blond de la Tour (wie Anm. 56), S. 10 (eigene Übersetzung). 74 Vgl. Memoire 1765 (wie Anm. 57) S. 4. Chambarlhiac: Memoire sur la situation de Sarrelouis … Saarlouis, 1775. (Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 252-30), S. 19. sowie vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 17. 75 Vgl. Explication 1685 (wie Anm. 57), S. 6 f. 76 Plan de Sarrelouis. Pour le Projet de l’année 1783. SHD, 1 VM-253-8-0001 sowie Plan de Sarrelouis. Pour le Projet de l’année 1785. SHD, 1 VM-253-12-0013. 77 Plan de Sarre-Libre …, 1793 (?). SHD, 1 VM-253-52-001-0001 sowie Plan de la place de Sarrelibre …, 1801 (?). 1 VM-253-74-0001. 78 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S. 38.

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Abb. 5: Das 1822 fertiggestellte Proviantmagazin am Ender der Deutschen Straße. Aufnahme um 1893, das dahinter liegende Deutsche Tor ist bereits abgetragen. © Städtisches Museum Saarlouis

Abb. 6: Der Place d’Armes, heute Großer Markt, in Saarlouis um 1880. Etwa in der Bildmitte, rechts der Französischen Straße, das Gebäude der Garnisonsbäckerei Saarlouis mit der Dienstwohnung des Lieutenant du Roy. © Städtisches Museum Saarlouis

Wie lange in preußischer Zeit die Öfen in der Kaserne 7 für die Garnison benutzt werden, ist nicht nachzuvollziehen. Die Kaserne wir zwar erst im Jahre 1877 abgerissen, aber bereits 1856 schreibt der Platzingenieur Anton Ritter nur noch von dem Betrieb der Garnisonsbäckerei in den Kasematten der Kurtine zwischen den Bastionen 5 und 6. Die Öfen in der Kaserne 7 finden in den zur Verfügung stehenden Quellen zur preußischen Zeit keine Erwähnung mehr. Die Garnisonsbäckerei besteht ab der Mitte des 19. Jahrhunderts nur noch aus den Öfen in den Kasematten. Sie werden

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Abb. 7: Planzeichnung der Mühle in der ›Alten Saar‹ auf dem Hornwerk aus der Handschrift Ritter. (Stadtarchiv Saarlouis, A XII/55, S.70) © Stadtarchiv Saarlouis

kontinuierlich ausgebessert und modernisiert. 1875 werden sie durch moderne Wasserheizungsbacköfen ersetzt.79 Exkurs: Ausreichend Brot im Belagerungsfall? Ritter schreibt im Jahr 1856: »Die Bäckerei der Garnison ist in den Casematten der Courtine 5–6, hat 3 Backöfen und kann täglich 4500 Brote backen. Wenn in jedem Ofen in 24 Stunden 5 mal und jedesmal 300 Brote gebacken werden«80 Das Gewicht 79 Skizze der Bäckerei-Casematten in der Courtine V-VI, SPK, 1875. FKP-G 70993. 80 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S.43.

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der Brote ist nicht angegeben, ausgehend davon, dass die Brote oftmals in Laiben zu zwei Tagesrationen gebacken werden, dürften sie aber wohl mindestens drei Pfund wiegen, eventuell mehr, bis zu sechs Pfund. Dies erscheint auf den ersten Blick recht wenig im Vergleich zur französischen Zeit. Dieser Unterschied relativiert sich, wenn man folgende Faktoren berücksichtigt: Die geringere Brotproduktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist sicher bedingt durch die im Vergleich kleinere preußische Garnison, die umfangreicher werdende Truppenverpflegung und zunehmende Bedeutung der Kartoffel als Grundnahrungsmittel. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Frage nach den Kapazitäten im Belagerungsfall. Die Gesamtkapazität aller Garnisonsöfen in der Festung in französischer Zeit ist auf Sicherheit ausgelegt, hat viel Spielraum und ist wohl nie wirklich ausgelastet. Letztendlich muss auch in französischer Zeit allein die Bäckerei in den Kasematten im Belagerungsfall in der Lage sein, die Versorgung zu gewährleisten. Und hier liegt der maximale mögliche Ausstoß mit sieben Öfen bei 14.700 Broten zu 1 ½ Pfund. Das ergibt rund 22.000 Pfund Brot für maximal etwa 5.500 zu versorgenden Mann. Womit bei voller Verteidigungsstärke jeder Soldat vier Pfund Brot erhalten kann. Nimmt man für das Referenzjahr 1856 an, dass die Brote ein Gewicht von drei Pfund haben, so ergibt sich eine Leistung der Garnisonsbäckerei in den Kasematten von 13.500 Pfund. Die Größe der Garnison und auch der theoretischen Verteidigungsbesatzung ist in preußischer Zeit deutlich geringer und liegt maximal bei rund 3.500 Mann. Rechnerisch ergibt sich hier eine Zuteilung von knapp 3,9 Pfund pro Tag. 4.3. Mühlen unter Verwaltung der Garnison In den Bauanweisungen für die Festung Saarlouis betont Vauban die Anlegung von Wassermühlen für die Versorgung der Armee. Als Standorte dieser Mühlen sieht er die große Saarbrücke und den Verlauf der Alten Saar im Hornwerk vor.81 Diese werden auch errichtet, stehen aber, wie auch später andere Mühlen innerhalb der Festung, nicht direkt in der Zuständigkeit der Garnison. Zwar gibt es etwa bis zum Beginn der 1760er Jahre unregelmäßig verschiedene Mühlen auf dem Gelände oder auf Bauwerken der Festung, zum größten Teil auch mit staatlichen Geldern errichtet, diese werden jedoch in privater Hand betrieben. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass der Gouverneur entsprechend seiner Befugnisse über Bau, und Betrieb dieser Mühlen Entscheidungsgewalt hat und im Bedarfsfall über sie verfügen kann. Erstmals im Jahr 1771 berichtet Chefingenieur Carpilhet, dass es in Saarlouis keine einzige Mühle mehr gibt. Er weist zugleich auf die Notwendigkeit hin, da für die Versorgung der Truppen im Falle einer Belagerung eine Mühle unabdingbar ist.82 Ein Hinweis, für dessen Umsetzung die entscheidenden Instanzen wohl keine drin81 Vgl. Gretscher (wie Anm. 53), S. 62. 82 Jacques de Carpilhet: Memoire sur les fortification de Sarrelouis, Saarlouis 1771 (Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 252-21), S. 9.

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Abb. 8: Die Schleusenbrücke zwischen dem Hornwerk und der Kernfestung um 1885. Die beiden Pfeiler auf der Stadtseite (links) dienen in den Anfangsjahren der Festung auch zur Aufnahme einer Mühle. Dahinter ist auf dem Niederwall das 1789 errichtet Schlachthaus direkt über der Saar zu erkennen. © Städtisches Museum Saarlouis

gende Notwendigkeit sehen. Denn bis zur Aufhebung der Festung über 100 Jahre später, sind keine ständig betriebenen Mühlen innerhalb der Festungswerke mehr nachgewiesen. Bereits 25 Jahre zuvor weist der damalige Chefingenieur Senneton de Chermont auf den notwendigen Bau von Mühlen für den Belagerungsfall hin. Ab dem Jahr 1746, bis hin zu seinem letzten Projektplan für das Jahr 1758, verzeichnet er stetig, Jahr für Jahr, einen Entwurf zur Anlegung einer bombensicheren Pferdemühle im Wall der Bastion 6. Ein Anregung, auf die wohl ebenso stetig seine Vorgesetzten nicht eingehen.83 Erst nach dem Tod des Chefingenieurs 1758 ist der Vorschlag auf den Projektplänen nicht mehr zu finden. Er wird auch niemals umgesetzt. Doch ganz ohne Möglichkeit im Belagerungsfall Mehl herzustellen ist die Garnison nicht. Denn seit 1705 verfügt die Garnison über ein Dutzend Handmühlen, die im Magazin der Kaserne 5 gelagert werden.84 In der Denkschrift von 1777 listet d’Aubigny 22 solcher Mühlen auf, erwähnt aber zugleich, dass diese reparaturbedürftig sind. Für den Fall

83 Profile … Pour un Moulin à Chevaux à l’Epreuve de la Bombe. 1749. SHD, 1 VM-251-13003-0001 sowie Sarrelouis … Pour le projet de 1758, 1757. SHD, 1 VM-251-29-0018. 84 Vgl. Carpilhet (wie Anm. 82), S. 9.

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einer Belagerung sieht er die im Ganzen die Notwendigkeit von sieben Pferdemühlen und 26 Handmühlen.85 Für die preußische Zeit stehen entsprechenden Bedarfs- oder Bestandslisten der Festung Saarlouis nicht zur Verfügung. Es kann aber davon ausgegangenen werden, dass auch im 19. Jahrhundert der Garnison in Ermanglung jeglicher sonstiger Mühlen, zumindest Handmühlen für den Notfall zur Verfügung stehen.

5. Die öffentliche Infrastruktur in Saarlouis zur Lebensmittelversorgung 5.1. Mühlen Die Geschichte der Mühlen in der Festung zeigt wenig Kontinuität und ist im Grunde geprägt von Problemen und Misserfolgen. Auch für Saarlouis gibt es einen Mühlenbann (Banalité). Dessen Inhaber versuchen natürlich diese Einnahmequelle möglichst ertragsreich zu nutzen, und so werden bis etwa 1760 verschiedenste technische Lösungen für effektive Mühlen versucht und wieder verworfen. Die ersten Inhaber des Mühlenbanns sind zunächst die Gouverneure de Choisy und sein Nachfolger d’Albergotty. Danach geht das Bannrecht 1717 vermutlich an den Staat über.86 5.1.1. Mühlen an der Schleusenbrücke Eine der bereits von Vauban angeregten Wassermühlen wird direkt an der Schleusenbrücke angelegt. Zur Aufnahme von zwei Mühlen werden die drei stadtseitigen Brückenpfeiler flussabwärts verlängert. Die Saar ist aber aufgrund schwankender Wasserstände und insbesondere einer zu geringen Fließgeschwindigkeit nicht gut für den Betrieb von Wassermühlen geeignet. Um die Leistung der 1683 errichteten Mühlen zu erhöhen, werden schon bald nach deren Einrichtung die Schleusen der Saarbrücke dauerhaft geschlossen, um das Wasser etwa 3 Meter hochzustauen und durch die beiden stadtseitigen Öffnungen an den Mühlrädern vorbeifließen zu lassen.87 Die Mühle kann dadurch eine Leistung von rund 4.700 kg Mehl in 24 Stunden erreichen.88 Durch das ständige Aufstauen der Saar ergeben sich jedoch zwei 85 Vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 10 und S. 13. 86 Henry-Claude Lemercier de Senneton de Chermont (gen. Senneton de Chermont): Etat present de la grande Ecluse …, Saarlouis 1725. (Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 250-22). Motte (wie Anm. 27) vermutet, dass das Bannrecht auf die Stadt übergeht, S. 19. Zahlreiche Quellen sprechen in weiteren Verlauf jedoch von den »Mühlen des Königs«, was wiederum die Vermutung zulässt, dass das Bannrecht beim König liegt, der es verpachtet oder Müller einstellt. 87 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S. 14 und S. 116. 88 Vgl. Le Blond de la Tour (wie Anm. 56), S. 8.

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Probleme. Zum einen wird der Schiffverkehr behindert, da für eine Durchfahrt die Sperren abgebaut werden müssen. Der jeweilige Inhaber der Mühle lässt sich von den Schiffern seinen Ausfall entschädigen. Schwerwiegender sind allerdings die Probleme, welche die Ingenieure der Festung beklagen. Die Praxis die Schleusen der Brücke im Grunde ständig zu schließen, führt zu Auskolkungen im Flussbett und zu Schäden am Mauerwerk der Brücke, welche die Stabilität des Bauwerks gefährden. Der Betrieb der Mühlen wird 1725 eingestellt, die Schleusen werden dauerhaft geöffnet. Im Jahr 1726 werden die Mühlenvorrichtungen an der Saarbrücke schließlich aufgegeben und abgebaut.89 5.1.2. Mühle an der Alten Saar Ebenfalls von Vauban vorgeschlagen wird auch im Jahr 1683 im Lauf der Alten Saar innerhalb des Hornwerks eine Wassermühle angelegt. Hierzu wird der gesamte Bereich des Abzweigs vom neuen Flussbett bis zur Mühlenanlage befestigt und verengt. Die Mühle selbst steht auf Pfeilern. Der wirtschaftlich sinnvolle Betrieb dieser Mühle ist wohl auch von der Schließung der Schleusenbrücke abhängig. Die Mühle in der Alten Saar wird bereits 1725 abgetragen.90 5.1.3. Windmühlen Als Ersatz für die die Wassermühlen werden 1726 zwei Windmühlen auf den Kavalieren der Bastionen 4 und 5 errichtet.91 Für das Mahlwerk verwendet man die Mühlsteine der Mühle an der Saarbrücke. Chefingenieur Senneton de Chermont berichtet, dass die Windmühlen sehr gut funktionieren, aber nur mangelhaft ausgelastet sind. Grund hier sei einerseits die Faulheit der Betreiber, aber auch eine gezielte Verleumdung durch den Lieutenant du Roy, M. de Martel, der verlautbaren lässt, dass das Mehl der Mühle zu schlecht sei, um damit Brot für die Hunde zu backen. Die Windmühlen werden 1730 durch einen Sturm zerstört, aber anschließend wieder aufgebaut. Bis zum Jahr 1761 werden sie durchgängig und eindeutig auf Plänen der Festung verzeichnet. Ob sie aber auch durchgängig und bis zu diesem Jahr betrieben werden bleibt unklar. Zumindest werden die erwähnten arbeitsscheuen Müller entlassen. Im Jahr 1751 ist nur eine Mühle in schlechtem Zustand vorhanden. Senneton de Chermont schlägt daher vor, diese Mühle abzureißen, und die brauchbaren

89 Vgl. Senneton 1725 (wie Anm. 86); Henry-Claude Lemercier de Senneton de Chermont (gen. Senneton de Chermont): Memoire sur les Moulins à vent …, Saarlouis 1751(?). (Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 251-21) sowie Ritter (wie Anm.1) S. 63 f. 90 Siehe hierzu Ritter (wie Anm.1), S. 70; Ritter (wie Anm.1), Figur 8 sowie Distribution des bastiments de Sarrelouis, ohne Ort, ohne Jahr, 1680 (?). LAS- B 95 1a. 91 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S. 118.

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Abb. 9: Markttag auf dem Großen Markt im Jahr 1920. © Städtisches Museum Saarlouis

Teile, ebenso wie bereits schon die Teile der zweiten Windmühle, im Magazin in der Kadettenschule einzulagern, und für den Bau der von ihm geplanten Pferdemühle zu verwenden.92 5.1.4. Schiffsmühlen Ab dem Jahr 1715 gibt es eine erste Schiffsmühle auf der Saar. Sie verfügt über einen Mahlstein und erbringt knapp 700 Kilogramm Mehl in 24 Stunden.93 Die Mühle liegt im linken Flussarm neben der Vauban-Insel. Ihr Betrieb verursacht eine große Rinne im Flussbett entlang der Flanke der Contregarde und schädigt den dortigen Mauerabschnitt.94 Im Jahr 1740 erhält der Lieutenant du Roy, M. Chevalier du Lau, auf 20 Jahre den Mühlenbann. Er erwirbt damit nicht nur die Windmühlen sondern auch das Recht zur Anlegung einer neuen Schiffsmühle. Aufgrund der schlechten Erfahrungen enthält das entsprechende Patent genaue, vom Chefingenieur Senneton de Chermont festgelegte Angaben für den Standort und den Betrieb der Mühle. Nach seinen Vorgaben soll die Mühle flussabwärts, unterhalb der Festungswerke

92 zum gesamten Abschnitt siehe: Senneton 1751 (wie Anm. 89). 93 Vgl. Le Blond de la Tour (wie Anm. 56), S. 8. 94 Senneton 1751 (wie Anm. 89).

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platziert werden, woran sich du Lau aber nicht hält. Der Chefingenieur wirft dem Leutnant des Königs später vor, sich nie an die gemachten Vorgaben gehalten zu haben. Er beschwert sich mehrfach bei seinen Vorgesetzten über die nicht erlaubten baulichen Maßnahmen in der Saar und an den Festungswerken, sowie über die erneute Schließung der Schleusen. Alle Maßnahmen, schädigen die Festungswerke und die Brücke. Es entstehen neue Auskolkungen bei der Brücke, Schäden an den Pfeilern, zudem belastet ein dauerhafter Druck durch das aufgestaute Wasser das Bauwerk. Die Brücke droht nach Ansicht des Ingenieurs einzustürzen. Durch Unterspülungen und Rinnen entlang der flussseitigen Mauer des Hornwerks wird auch diese geschädigt, und droht einzufallen. Die Auseinandersetzung hierzu zieht sich über mehrere Jahre hin. Du Lau muss schließlich um 1744 seine Mühle flussabwärts vor die Festung verlagern, wo sie allerdings nicht mehr gewinnbringend betrieben werden kann. Die sehr große Anlage, ist für den Gebrauch auf der Saar eigentlich nicht geeignet und funktioniert nur bei sehr hohen Wasserständen. Die Stadt übernimmt im Jahr 1750 für 8.000 Livres das Recht am Mühlenbann von dem Leutnant des Königs für die verbleibenden zehn Jahre. Du Lau kann seine Mühle nach Köln verkaufen, wo sie auf dem Rhein weiter betrieben wird.95 5.1.5. Mühlen im Umland Der Mühlenbann für die Stadt wird nach im gleichen Jahr auf unbegrenzte Zeit vom König bestätigt. Ab 1771 muss sie aber hierfür einen Zins an den Staat zahlen. In welcher Form die Stadt Saarlouis nun in den nächsten Jahren Mühlen betreibt kann nicht anhand der Quellen nicht nachvollzogen werden. Es ist anzunehmen, dass entsprechende Mühlen außerhalb des Stadtgebietes festgelegt werden, in denen die Saarlouiser ihr Korn zu mahlen haben. Denn innerhalb der Stadt gibt es wohl seit 1750 keine Mühle mehr, mit Ausnahme einer Windmühle, die aber zu diesem Zeitpunkt schon als marode beschrieben wird.96 Bis zu welchem Zeitpunkt diese Mühle eventuell noch betrieben wird, ist nicht nachvollziehbar. nach 1761 wird sie nicht mehr auf den Plänen verzeichnet. Im näheren Umfeld der Stadt, bis zu 2 Meilen entfernt, listet der Bericht von 1777 insgesamt 28 Wassermühlen auf, die täglich knapp 26.000 kg Mehl nur für die Garnison produzieren können, ohne dabei die öffentliche Versorgung zu behindern.97 Die Erträge aus dem Mühlenbann bilden für die Stadt Saarlouis bis zur Französischen Revolution eine wichtige Einnahmequelle. In der Zeit der Revolution wird der Mühlzwang aufgehoben.

95 Siehe hierzu: Senneton 1751 (wie Anm. 89); Richard d’ Überherrn: Etat des Jardins, Maison ou baraques établies dans l’intérieur des fortification à Sarrelouis, Saarlouis 1789.(Handschrift, Digitale Reproduktion. Vincennes, Service Historique de la Defense, 1 VM 253-23). 96 Siehe Anmerkung 90. 97 Vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 17.

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5.2. Bäckereien Das Brot ist natürlich nicht nur das Grundnahrungsmittel für die Soldaten. Auch die Zivilbevölkerung musste sich damit versorgen können. Die Denkschrift aus dem Jahr 1717 listet 50 Öfen ortsansässiger Bäcker auf, die bei dauerhafter Auslastung knapp 11.000 Brote zu 1 ½ Pfund täglich produzieren können. In den privaten Haushalten befinden sich darüber hinaus 278 Öfen mit einer maximalen Kapazität von 12.000 Broten. Der gleiche Bericht führt 26 Bäckermeister und sechs Gesellen auf, die in der Stadt ihrem Gewerbe nachgehen. Zusätzlich werden 39 Bäcker aufgeführt, die zugleich auch Braumeister sind. Eine Überschneidung der beiden Angaben ist hierbei aber nicht auszuschließen. 1789 finden sich 29 Bäcker in der Stadt. Viele Bäcker scheinen zugleich als Wirte tätig zu sein, eine Verbindung, die auch in preußischer Zeit das meistgenannte Berufsbild darstellt. Viele Bäcker verdienten ihr Brot also mehr oder weniger am Tage mit der Zivilbevölkerung und am Abend zu einem großen Teil mit den Soldaten. Die Zahl der Bäckermeister bleibt dabei recht konstant. So sind es zum Beispiel in den Jahren 1816 und 1818 jeweils 30 und 1846 noch 26 Bäcker. Danach sind die Zahlen rückläufig. Dies spiegelt auch ein verändertes Kaufverhalten wider. Auf der einen Seite ist die zunehmende Bedeutung der Kartoffel als Grundnahrungsmittel zu sehen. Zudem wird ab der Volkszählung 1846 der Beruf der Zuckerbäcker / Konditoren gesondert gelistet, dessen Anzahl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ansteigt.98 Viele Bürger können sich zunehmend auch mal den ein oder anderen kleinen Luxus bei den Lebensmitteln gönnen. 5.3. Schlachthöfe und Metzger Zu den etwas besserverdienenden Bürgern zählen insbesondere die Kaufleute und die Wirte. Die Einkünfte der Handwerker bleiben deutlich niedriger. Unter diesen sind allerdings die Lebensmittelproduzenten Bäcker und Metzger wohl leicht bessergestellt. Im Gegensatz zu den Bäckern, die ihren festen Kundestamm in der Zivilbevölkerung haben, handeln die Metzger auch mit der Garnison. Da Fleisch- oder Wurstwaren für große Teile der Bevölkerung zunächst noch kaum erschwinglich sind, stellen die Lieferungen an die Militärverwaltung einen bedeutenden Anteil des Einkommens der Metzger. Ihre Anzahl wird im Jahr 1717 mit 29 Meistern und 16 Gesellen angeben, 1789 sind es noch elf Metzgermeister. 1816 sind es dann nur noch zehn, zwei Jahre später steigt die Zahl leicht auf 14. Im 19. Jahrhundert erlebt das Metzgerhandwerk einen leichten Aufschwung, insbesondere bedingt durch die zunehmende Truppenverpflegung.99

98 Für den gesamten Abschnitt siehe: Le Blond de la Tour (wie Anm. 56), S. 5 und S. 11 sowie Kretschmer (wie Anm. 5), S. 97 und S. 273 f. 99 Zu diesem Abschnitt siehe: Le Blond de la Tour (wie Anm. 56), S. 5. sowie Kretschmer (wie Anm. 5), S. 97 und S. 274.

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In seinen Bauanweisungen listet Vauban unter den zu errichtenden Gebäuden eine Markthalle auf, an deren Platz aber auch ein Gebäude für Schlachtereien entstehen könnte. Der frühe Plan über die Verteilung der Gebäude zeigt eine solche Halle in der heutigen Schlächterstraße.100 Genau hier entstehen nach 1695 die ersten Schlachthäuser der Stadt. Auf Anordnung Choisy müssen sich die christlichen und jüdischen Metzger verpflichten, entsprechende Gebäude zu errichten, dem Schlachten und dem Verkauf dienen sollen. Der Bauunternehmer verpflichtet sich das Gebäude für die christlichen Metzger, das 26 Stände beinhalten soll, bis spätestens Mitte des Jahres 1700 fertigzustellen. Das Haus für die jüdischen Fleischer entsteht zur gleichen Zeit unmittelbar daneben.101 Es wird als Folge der Vertreibung der Juden bereits 1714 verkauft. Die Metzger der Stadt errichten zunehmend eigene Häuser, in denen sie schlachten und verkaufen. Der Schlachthof wird nicht Instand gehalten. Die Stadt errichtet auf dem Niederwall über der Saar 1783 ein neues Schlachthaus, dessen Nutzung verpflichtend für die Metzger der Stadt ist. Das Gebäude wird 1819 hergerichtet, im Gegenzug verpflichten sich die Metzger zu dessen Unterhalt. Das Schlachthaus behält seine Funktion bis zum Ende der Festungszeit.102 Die Lage direkt über der Saar hat den Vorteil, dass die anfallenden Abwässer direkt in den Fluss geleitet werden können. 5.4. Der Eiskeller Ein unscheinbares, kaum erwähntes Bauwerk, das zur Lebensmittel-Infrastruktur gezählt werden kann, ist der Eiskeller auf der Bastion VI. Erstmals erscheint er auf einem Plan aus dem Jahr 1723. Auch wenn das Gebäude kontinuierlich auf Plänen verzeichnet ist, so erfolgt dessen erste Benennung in der Legende eines Plans dagegen erst 1776.103 Der Keller wird bis zum Ende der Festung in den Plänen eingezeichnet. Entsprechende farbliche Markierungen in Plänen aus den Jahren 1728 und 1782/83 lassen die Vermutung zu, dass in diesen Jahren dort Arbeiten zumindest vorgesehen sind. Ritter erwähnt für das Jahr 1853, dass der Eiskeller neu überwölbt wird.104 Das Eis findet in der Regel Einsatz beim Bierbrauen oder bei der Lagerung von verschiedenen Lebensmitteln. Darüber hinaus kann es auch in der Medizin Anwendung finden. In welcher Form der Eiskeller bewirtschaftet wird, lässt sich bisher nicht feststellen. 100 Vgl. Gretscher (wie Anm. 53), S. 52. Siehe hierzu auch Anmerkung 55. 101 Vgl. Motte (wie Anm. 27), S. 27 f. 102 Vgl. Kretschmer (wie Anm. 5), S. 136 und S. 386. Ritter (wie Anm. 1) nennt hierfür das das Baujahr 1780, S. 31. Das Gebäude erscheint erstmals auf einem Projektplan für das Jahr 1787, Die erste Nennung in der Legende auf dem Projektplan für 1789. SHD, 1 VM253-17-0008 sowie 1 VM-253-22-0001. 103 SHD, Plan de Sarrelouis, 1723. 1 VM-250-21-0001 sowie Plan de Sarrelouis …, 1776. 1 VM-252-33-001-0001. 104 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S. 158.

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5.5. Wochen- und Jahrmärkte Die Garnison bezieht aufgrund der umfangreichen Liefermengen ihre Lebensmittel und Fourage größtenteils durch direkte Vereinbarungen mit den Erzeugern. Die Waren werden in die Festung geliefert und werden hier bezahlt. Die Bevölkerung deckt ihren Bedarf an Lebensmitteln im Wesentlichen auf den beiden Wochenmärkten. Ein allgemeiner Lebensmitteleinzelhandel, wie wir ihn heute kennen, entwickelt sich erst zu Beginn des 20 Jahrhunderts. Brot und Fleisch sind bei den ortsansässigen Bäckern und Metzgern erhältlich. Schon ab dem Jahr 1682 werden die zuvor in Wallerfangen gehaltenen Märkte nach Saarlouis verlegt. Wöchentliche Markttage bleiben weiterhin Dienstag und Freitag. Noch heute sind dies die beiden Saarlouiser Markttage. Ebenso werden die vier mehrtätigen Jahrmärkte übernommen, die Thomas de Choisy um zwei weitere ergänzt. Alle diese Märkte haben zumindest bis zur Französischen Revolution Bestand. Ab 1801 kommt ein monatlicher Viehmarkt hinzu.105 In preußischer Zeit werden zunächst nur die beiden Wochenmärkte fortgeführt. Etwa ab den 1840er Jahren werden schrittweise wieder Jahrmärkte zugelassen. Ort der Wochenmärkte ist wohl zunächst ein Platz hinter dem Hof des Gouvernement-Gebäudes. Mit der Abtretung dieses Gelände an die Festung, erhält die Stadt das Recht auf zweien der Viertel des Paradeplatzes die Märkte abzuhalten.106 Eine Vereinbarung, die in etwa um 1720 getroffen wird.107 Die großen Jahrmärkte werden auf dem Paradeplatz abgehalten.108 Die volksmündliche Bezeichnung ›Schweinemarkt‹ für den Platz vor dem Französischen Tor, geht wohl auf die dort stattfindenden Viehmärkte zurück. Die Wochenmärkte dienen vor allem dem Handel mit landwirtschaftlichen Produkten. Im Umfeld der Festung entwickelt sich eine gezielt auf den Absatzmarkt der Stadt und der Garnison ausgerichtete Landwirtschaft. Hier ist insbesondere der Gemüseanbau rund um Lisdorf zu nennen.

105 Vgl. Motte (wie Anm. 27), S. 12 f. Die Jahrmärkte sind wie folgt:  – vom 2. bis 3. Mai abends, – acht Tage dauernd von dem Tag nach dem Peterstag, – zwei Tage dauernd vom Tag nach St. Laurentius, acht Tage dauernd vom Tage nach St. Michael, – vier Tage dauernd vom 30. Oktober an, drei Tage dauernd vom 25. November an. 106 Vgl. Ritter (wie Anm.1), S.38. 107 Eine einzelne Einzeichnung als Grünfläche erscheint auf einem Plan aus dem Jahr 1719, SHD, 1 VM-250-20-0001. Auf einen undatierten Plan des Städtischen Museums Saarlouis, der um 1725 datiert werden kann, sind die Grünfläche (Parkanlage) und die (überdachte)  Mühle auf der Schleusenbrücke verzeichnet, aber nicht mehr die Mühle in der Alten Saar. Eine erste datierbare Einzeichnung der Parkanlage enthält ein Plan von 1728. SHD, Plan de Sarrelouis, 1728. 1 VM-250-25-0001. 108 Vgl. Motte (wie Anm. 27), S.13.

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6. Schlussbetrachtung: Starke wirtschaftliche Abhängigkeit der Zivilgesellschaft von der Garnison Wenn auch von Seiten der Gouverneure und der Stadt einiges versucht wird, um den Bürgern der Stadt Saarlouis, einer Stadt ohne Landwirtschaft, Möglichkeiten zu geben sich zu einem gewissen Grad selbst mit Lebensmitteln zu versorgen, so bleibt deren Abhängigkeit vom Lebensmittelhandel unvermeidbar. Auch die Soldaten brauchen diesen Handel, um sich zu versorgen. Während sie hierfür einen, wenn auch kleinen, aber regelmäßigen Sold bekommen, müssen die Bürger auf andere Weise Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen. Und hier zeigen sich die Abhängigkeit der Zivilgesellschaft von der Garnison, und zugleich deren enge Verflechtung. D’Aubigny stellt in diesem Zusammenhang 1777 fest: »In der Stadt gibt es keine Manufaktur, die Einwohner sind insgesamt arm. Drei Viertel sind Handlanger [Hilfskräfte, franz. manœuvres] und Tagelöhner und überleben aufgrund der Garnison und den Arbeiten an der Festung.«109 Aufgrund der großen Anzahl die d’Aubigny vorgibt, lässt sich annehmen, dass er unter dem Begriff der ›manœuvres‹ die nicht Selbstständigen zusammenfasst. So auch zum Beispiel Gesellen, Hausangestellte oder Lehrlinge. Also eine große Gruppe mit geringem, aber im Gegensatz zu den Tagelöhnern, zumindest regelmäßigen Einkommen. Exkurs: Regimentshandwerker im 18. Jahrhundert In den 1760er Jahren erlaubt Kriegsminister Choiseul, wohl im Zusammenhang mit staatlichen Versuchen die Zünfte aufzuheben oder zumindest neu zu regeln, den Regimentern eigene Handwerker anzustellen. Dies wirkt sich natürlich auf die wirtschaftliche Situation der in der Stadt ansässigen Handwerker aus. Nicht nur, dass die Garnison immer weniger Aufträge erteilt, es tritt zudem das Problem auf, dass diese Handwerker ihre Produkte und Dienstleistungen auch zivil anbieten können, ohne dabei aber den Vorschriften der Zünfte zu unterliegen, womit sie oftmals im Verhältnis günstiger sind. In dem ›Cahier de doléances‹ (in etwa: Beschwerde-Schrift) der Stadt Saarlouis an die Abgeordneten der Generalstände vom März 1785 wird hierzu ausgeführt: »Die Händler und Handwerker möchten die Form, die Regelungen […] ihrer ursprünglichen Zünfte erhalten und dass den Regimentern untersagt würde, Handwerker zu beschäftigen. Diese ruinöse und missbräuchliche Praxis hat sich unter der Regierung des Herzogs Choiseul eingebürgert, und seit eben dieser Zeit sind die Handwerker der Garnisonsstädte ins Elend geraten.«110 Wie tiefgreifend sich aber diese Probleme tatsächlich auf die wirtschaftliche Lage der Handwerker in 109 Vgl. d’Aubigny (wie Anm. 3), S. 19, eigene Übersetzung. 110 Zitiert in: Johannes Schmitt: Französische Revolution an der Saar. quellen und Materialien, Saarbrücken 1989, S. 21 f. Siehe hierzu auch: Johannes Schmitt: Revolutionäre Saarregion 1789–1850. Gesammelte Aufsätze, St. Ingbert 2005, S.66.

Mühlen, Märkte, Magazine 

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Saarlouis auswirken, auch im Vergleich zu anderen Festungsstädten, lässt sich nicht beschreiben. Weitere Forschungen hierzu sind bisher nicht vorhanden, was auch daran liegen mag, dass die genannte Quelle, die bisher einzig bekannte ist, welche dieses Problem zum Inhalt hat. Rund 60 Jahre nach dem Bericht d’Aubignys zählt der Ingenieur-Offizier Karl Wilhelm Frommann etwa ein Drittel der Bevölkerung zur bedürftigen Klasse, die von der Arbeit der Tagelöhner überleben muss. Frommann bringt in seinem Memoire zur Festung 1835 die Verflechtung von Garnison und Bevölkerung deutlich zum Ausdruck: »Die Sitten und Gewohnheiten der Einwohner sind im Allgemeinen dieselben, wie man sie in jeder kleinen befestigten Garnisonsstadt zu bemerken Gelegenheit hat, wo der Bürger, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen genöthigt ist, sich mit der Garnison zu identificiren; ja man kann behaupten, daß diese in Saarlouis die einzige Nahrungsquelle ausmacht. Es gibt daher hier beinahe keinen Handel, keine Profession, die nicht in unmittelbarer Beziehung zu der Garnison stände. […] Diese Menge von Bäckern, Fleischern und Schenkwirthen, welche man hier sieht und welche alle ihr Leben gewinnen, von denen ein großer Theil sogar wohlhabend zu nennen ist, die aber gezwungen sein würden, anderwärts ihr Glück zu suchen, wenn man die Garnison von Saarlouis wegnähme, […]. Der Handel von Saarlouis besteht nur im Detail-Verkauf und beschränkt sich auf Gegenstände für das tägliche Bedürfnis der Garnison, der Einwohner und der Landleute aus der Umgegend, welche hierher kommen, um ihre Bodenerzeugnisse abzusetzen.«111 Neben den Soldaten und Bürgern der Stadt, geben auch die Landwirte, die ihre Waren an die Garnison, die Soldaten und die Bevölkerung verkaufen, das hier verdiente Geld auch wiederum in der Stadt aus. So herrscht nicht nur eine beständige Nachfrage nach Lebensmitteln, auch andere Produkte die auf den Märkten, bei den Kaufleuten und den Handwerkern angeboten werden, finden über das Militär hinaus ihre Abnehmer. Dank der sicheren Besoldung der Soldaten und des beständigen Bedarfs an Waren und Dienstleistungen für die Garnison und die Festung, sind diese, zumindest bis zur beginnenden Industrialisierung, der Garant für eine recht stabile, durchaus krisenfeste wirtschaftliche Situation in der Stadt. So erscheint es auch kaum verwunderlich, dass auch trotz verschiedener Probleme und gelegentlicher Unannehmlichkeiten wie zum Beispiel Regimentshandwerker, Sondersteuern zugunsten der Verproviantierung oder gar die direkte Abgabe von Lebensmitteln, die Saarlouiser Bürger ein relativ gutes Verhältnis zu ihrer Garnison und Festung haben.

111 Vgl. Frommann (wie Anm. 71), S. 19 f.

Die Garnison der Festungsstadt Jülich 1600–1900 Guido von Büren

»Garnison, ist die Besatzung in einer Festung, und gleichwohl nicht genug, daß selbige mit Fortifications-Wercken wohl umgeben, und vortheilhafftig gelegen sey, so muß man auch behörige Leute und Mittel schaffen, welche solche im Fall einer Belagerung tapffer defendiren, und den Feind zum Abzug nöthigen können. Denn wie der Leib ohne Seele todt ist, und sich nicht mehr reget, also ist eine Festung, wie ein Corpus, leblos, wenn solche nicht mit Volck und anderen groben Geschützen, Proviant, Munition, und allen dazu erforderlichen Nothwendigkeiten, so deren Seele genennet werden können, versehen ist.«1 In Zedlers »Universal-Lexicon« wird sehr eindrücklich beschrieben, was eine Garnison für eine Festungsstadt, wie sie Jülich über mehrere Jahrhunderte hinweg war, bedeutete. Vergleichbar ist dies mit einem Computer, dessen Hardware – hier die Festung – nur so gut sein kann, wie es die Software – hier die Besatzung, ihre Ausbildung und ihre Ausstattung – ist. Im Folgenden soll ein Überblick über die Entwicklung der Festung Jülich in Abhängigkeit zu ihrer jeweiligen Garnison gegeben werden. Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen eines Aufsatzes dieses Thema nicht erschöpfend behandelt werden kann. Dennoch mag ein Eindruck davon entstehen, welche prägende Kraft das Militär auf die Entwicklung einer Stadt hatte und was das im Einzelfall für ihre Einwohner bedeutete.2 Noch heute wird der Grundriss der Stadt Jülich von den Zeugnissen ihrer Vergangenheit als Festungsstadt geprägt (Abb. 1). Und das, obgleich Jülich im November 1944 durch alliiertes Luftbombardement nahezu vollständig zerstört wurde. Die gezielte Vernichtung der innerstädtischen Bebauung im Rahmen der »Operation Queen« stand in unmittelbarem Zusammenhang mit der strategischen Lage der Stadt am Übergang über den Fluss Rur. Den US-amerikanischen Bodentruppen sollte hier im wahrsten Sinne des Wortes der Weg freigebombt werden.3 1 [Zedlers] Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 10: G.–Gl., Halle / Leipzig 1735, Sp. 333. 2 Der Beitrag geht zurück auf den unter dem Titel »Die Festungsstadt Jülich als GarnisonStandort (1600–1900)« in Ingolstadt am 17. September 2018 gehaltenen Vortrag im Rahmen der Tagung »Stadt und Militär. Konfrontation und / oder Kooperation«. 3 Allgemein zur Stadtgeschichte mit Angabe der wichtigsten weiterführenden Literatur vgl. Wolfgang Hommel / Guido von Büren: Jülich. Geschichte der Festungs- und Forschungsstadt. 2. Aufl., Jülich 2020.

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Guido von Büren

Abb. 1: Luftbild der Stadt Jülich, 2019 © Geobasis NRW, 2019.

1. Strategische Lage und Anfänge der Befestigungsgeschichte in der Spätantike Gegründet worden war Jülich um Christi Geburt von den Römern als Etappenort an der neu angelegten Verbindungsstraße von der Provinzhauptstadt Köln an die Atlantikküste (Boulogne-sur-Mer). Diese später sogenannte »Via Belgica« findet sich auf der Tabula Peutingeriana, einer im Ursprung hellenistischen Straßenkarte, die in einer spätantiken Fassung durch eine mittelalterliche Kopie erhalten geblieben ist, eingetragen. Dort ist auch »Ivliaco« (Jülich) vermerkt. Der zuerst rein zivile Ort lag rechts der Rur auf hochwasserfreiem Terrain oberhalb des Flusses. Das flache Rur-

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tal bildet hier eine Engstelle aus, sodass die Straße mit Hilfe einer Brücke über den Fluss geführt werden konnte. Im zweiten nachchristlichen Jahrhundert war Jülich zu einem vicus mit geschätzt 1.500 Einwohnern angewachsen. Die größte Siedlung im Hinterland der Provinzhauptstadt Köln übernahm zentralörtliche Funktionen in der fruchtbaren Jülicher Börde, die von einem dichten Netz aus villae rusticae überzogen war.4 Um das Jahr 300 n. Chr. begann die Befestigungsgeschichte Jülichs, nachdem der vicus durch ein vieltürmiges polygonales Kastell gesichert worden war. Hintergrund für diese Sicherungsmaßnahme waren die vermehrt auftretenden Einfälle frän­k ischer Familienverbände aus dem rechtsrheinischen Raum in das römische Reich. Das Kastell sicherte die Straße, auf der die plündernden Franken weit in die Provinz Germania inferior vorstießen. Die aus Natursteinen errichtete Kastellmauer sorgte für das Überleben der Siedlung in ihrem Schatten in den Wirren der nach­ römischen Zeit. Im 6. Jahrhundert ist der Ort als merowingisches Königsgut greifbar, das zu einem unbekannten Zeitpunkt dem Bischof von Köln geschenkt wurde. Die Vögte von Jülich nutzten das Kastell als Machtbasis, um in dessen Umfeld ein eigenes Herrschaftsgebiet aufzubauen.

2. Mittelalter und beginnende Frühe Neuzeit Die erstmals im 11. Jahrhundert greifbare Gaugrafschaft Jülich entwickelte sich zu einem der bedeutendsten weltlichen Territorien im Rheinland. Nachdem es den Grafen von Jülich im 13. Jahrhundert gelungen war, sich politisch von den Erzbischöfen von Köln zu emanzipieren, wurde das um 1234 zur Stadt erhobene Jülich im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts mit einer Stadtmauer befestigt. Drei Stadttore, die als Doppelturmtoranlagen ausgebildet waren, lassen sich nachweisen, wobei mit dem als »Hexenturm« bezeichneten »Rurtor« eines die folgenden Jahrhunderte überdauert hat.5 Jülich bildete zwar im 1362 zum Herzogtum erhobenen Territorium Jülich eine der vier Hauptstädte, seit dem 13. Jahrhundert hielten die Herrscher hier aber nicht mehr Hof. 1473 und 1547 zerstörten jeweils Stadtbrände große Teile der innerstädtischen Bebauung. Der Stadtbrand von 1547 machte den Weg frei zu einer groß angelegten Neuorganisation der Stadtgestalt unter dem damaligen Landesherrn Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg (1516–1592). Dieser ambitionierte Fürst hatte 1546 mit Erzher-

4 Vgl. zusammenfassend Marcell Perse: Vicus IVLIACVM – der Forschungsstand zum römischen Mittelzentrum am Rurübergang. In: Heinz Andermahr / Horst Wallraff (Hrsg.): Zwischen Jülich und Kurköln II. Festschrift der Joseph-Kuhl-Gesellschaft zum 80. Geburtstag von Günter Bers, Aachen 2020, S. 23–70. 5 Vgl. Bernhard Dautzenberg / Marcell Perse: Der Verlauf der mittelalterlichen Stadtmauer Jülichs. In: Jülicher Geschichtsblätter 62 (1994), S. 85–130, hier S. 92–95.

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zogin Maria von Österreich eine Nichte Kaiser Karls V. geheiratet. Zwischen 1538 und 1543 hatten der Herzog und der Kaiser um die Erbfolge im Herzogtum Geldern Krieg geführt. Diese Auseinandersetzung wurde von Wilhelm V. spektakulär verloren, auch weil Karl V. mit einem großen Söldnerheer und modernen Feuerwaffen persönlich 1543 den Kriegsschauplatz betreten hatte.6 Die noch sehr mittelalterlich geprägten Befestigungen in den Territorien des Herzogs von Jülich-Kleve-Berg waren den aktuellen Entwicklungen der Kriegstechnik nicht gewachsen. Im Vertrag von Venlo wurde Wilhelm V. eng in das Bündnissystem des habsburgischen Kaiserhauses eingebunden, nachdem der Fürst zuvor noch mit den Feinden Karls V., König ­Heinrich VIII. von England und König Franz I. von Frankreich paktiert hatte. Die Verbindung zur habsburgischen Familie bedingte nicht nur die Notwendigkeit des Ausbaus einer angemessenen Residenzlandschaft, sondern zwang nun auch zur Neuanlage von Befestigungen.7 Eine zentrale Rolle nahm dabei die Stadt J­ ülich ein, lag sie doch an einem geostrategisch bedeutsamen Punkt. Die Rur bildete das einzig ernst zu nehmende geografische Hindernis zwischen Rhein und Maas. Sollte ein militärischer Schlag des Königs von Frankreich in Richtung Rhein über die Niederlande erfolgen, war Jülich unmittelbar bedroht beziehungsweise konnte als Festung den Angriff aufhalten. Umgekehrt bildete die Stadt eine gute Operationsbasis von der man aus rasch in das Tal der Maas (Lüttich, Maastricht) und weiter Richtung Westen vorstoßen konnte. Es lag somit durchaus im habsburgischen Interesse, dass die Stadt nach 1547 zu einer zeitgemäßen Festung im Bastionärsystem ausgebaut wurde. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg berief als Baumeister von Stadt, Schloss und Festung Jülich den aus Bologna stammenden Architekten und Festungsbaukundigen Alessandro Pasqualini (1493–1559). Dieser hatte seit den frühen dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts für Floris und Maximilian van Egmond, den Grafen von Buren, an verschiedenen Orten in den Niederlanden gearbeitet. Somit stand er zwar nicht unmittelbar in den Diensten des habsburgischen Kaiserhauses, war aber mit den für Karl V. in seinen niederländischen Besitzungen errichteten Festungsanlagen vertraut. Die Habsburger setzten im Festungsbau auf das in Italien in den Jahrzehnten um 1500 entwickelte Bastionärsystem, das mit seinen polygonalen Wällen und pfeilspitzenförmigen Bollwerken eine Rundumverteidigung versprach. Pasqualini plante für den Herzog eine vierbastionäre Zitadelle mit einem Residenzschloss im Stil der italienischen Hochrenaissance im Zentrum sowie eine vorgelagerte Stadt

6 Vgl. Guido von Büren: Karl V. und die militärische Revolution der Frühen Neuzeit. In: Frank Pohle (Hrsg.): Der gekaufte Kaiser. Die Krönung Karls V. und der Wandel der Welt, Dresden 2020, S. 84–97, hier S. 91–93. 7 Vgl. Guido von Büren: Rangbewusstsein und Repräsentation am Hof Herzog Wilhelms V. von Jülich-Kleve-Berg. In: ders. / R alf-Peter Fuchs / Georg Mölich (Hrsg.): Herrschaft, Hof und Humanismus. Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg und seine Zeit. 2. Aufl., Bielefeld 2020, S. 307–369.

Die Garnison der Festungsstadt Jülich 1600–1900 

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Abb. 2: Virtuelles Modell »Jülich um 1600« © 2021, Architectura Virtualis GmbH Darmstadt / Museum Zitadelle Jülich.

auf fünfeckigem Grundriss, die ebenfalls mit Wällen und Bastionen befestigt war. Das Straßenraster, das durch den Stadtbrand von 1547 in großen Teilen neu angelegt werden konnte, nahm auf fortifikatorische und ästhetische Belange Rücksicht. Auf diese Weise entstand eine hochmoderne Stadt- und Festungsanlage, die von den Zeitgenossen bewundert wurde (Abb. 2). Ein gutes Beispiel hierfür ist der Straßburger Festungsbaumeister Daniel Specklin, der sich intensiv mit der Festung Jülich beschäftigte und die Zitadelle ausführlich in seinem 1589 erschienenen Traktat »Architectura von Vestungen« bespricht.8 Dabei führt er aus, dass er die Zitadelle für eines der besten »Kastelle« auf viereckigem Grundriss in den Niederlanden hält. Weil dieses so sei, wolle er aber am Beispiel von Jülich die Nachteile dieser Grundrissausbildung gegenüber fünfeckigen Zitadellen ausführen. Seit den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts waren nämlich in den Niederlanden durch eine neue Generation italienischer Festungsbaukundiger fünfbastionäre Zitadellen wie die von Antwerpen errichtet worden, die sich besser ver-

8 Vgl. zur Person Specklins den Beitrag von Beatrix Schönewald im vorliegenden Band sowie bezogen auf Jülich Guido von Büren: Bollwerke aus Papier. Daniel Specklins Ansichten und Pläne niederrheinischer Festungen aus der zweiten Hälfte des 16.  Jahrhunderts. In: INSITU. Zeitschrift für Architekturgeschichte 3 (2011), H. 1, S. 55–72.

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teidigen ließen. Der Grund hierfür ist, dass die Kurtinen im Bereich der Bastionen in einem stumpferen Winkel aufeinanderstoßen, als dies bei vierbastionären Zitadellen der Fall ist. Bei diesen bildet das Kurtinenquadrat rechte Winkel aus, sodass sich die Bastionen zwar gegenseitig mit Feuerwaffen »bestreichen« ließen, der Angreifer aber leichter eine der Bastionen isolieren konnte, da er anders als bei einer fünfbastionären Zitadelle kein wirkungsvolles Flankenfeuer befürchten musste. Obgleich Wilhelm V. mit Stadt und Zitadelle Jülich über eine der modernsten Befestigungsanlagen der Zeit in Nordwesteuropa verfügte, wurde diese nur spärlich armiert. Der Herzog ließ Landsknechte anwerben, die die Festung besetzten. Dies erfolgte aber erst in den sechziger Jahren des 16. Jahrhunderts als die Spannungen in den benachbarten Niederlanden zwischen großen Teilen der Bevölkerung und dem König von Spanien als Landesherrn stiegen und schließlich in den Achtzigjährigen Krieg mündeten. Es wurde ein kleiner Trupp Landsknechte in die Zitadelle gelegt, womit die Festung ihren Betrieb aufnahm und damit auch die Geschichte der Stadt als Garnisonsstandort begann. Anfangs lassen sich acht, später dann zwölf beziehungsweise 24 Landsknechte nachweisen, die vom Burggrafen beaufsichtigt wurden.9 Letzterer war auch für allgemeine Verwaltungsaufgaben im Hinblick auf den laufenden Betrieb der Residenz zuständig. »Militärischer Vorgesetzter der Landsknechte war der Hauptmann. […] Zwischen dem Hauptmann und den Landsknechten stand in der militärischen Hierarchie der Wachtmeister.« Neben weiteren Bediensteten, die für die Instandhaltung der Waffen zuständig waren, ist der »Profoß« belegt. Er war für die Ahndung disziplinarischer Verfehlungen der Landsknechte verantwortlich.10 Nach dem Tod Wilhelms V. 1592 trat sein Sohn Johann Wilhelm I. (1562–1609) die Regentschaft an, die jedoch unter keinem guten Stern stand. Früh traten beim Herzog Anzeichen einer Geisteskrankheit auf, die eine Herrschaftsausübung zunehmend erschwerten beziehungsweise unmöglich machten. Die bereits durch den Spanisch-Niederländischen Krieg negativ tangierten Rahmenbedingungen eines »guten Regiments« verschlechterten sich dadurch zunehmend. Die Festung Jülich wurde von 1591 bis 1600 widerrechtlich durch Wilhelm von Waldenburg genannt Schenkern (1546–1635) besetzt gehalten.11 Da beide Ehen des Herzogs kinderlos blieben, zeichnete sich bereits um 1600 ab, dass das jülich-klevische Herzogshaus aussterben würde. Verschiedene Erbprätendenten brachten sich daraufhin in Stellung.

9 Vgl. Horst Dinstühler: Wein und Brot, Armut und Not. Wirtschaftskräfte und soziales Netz in der kleinen Stadt. Jülich im Spiegel vornehmlich kommunaler Haushaltsrechnungen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, Jülich 2001, S. 429–463. 10 Dinstühler (wie Anm. 9), S. 451. 11 Vgl. Günter Bers: Die Bittschrift eines Dissidenten in der Stadt Jülich aus dem Jahre 1591. In: Neue Beiträge zur Jülicher Geschichte 1 (1990), S. 11–26, hier S. 19–21.

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3. Jülich-Klevischer Erbfolgestreit, Spanisch-Niederländischer Krieg und Dreißigjähriger Krieg Als mit dem Tod Johann Wilhelms I. 1609 der Jülich-Klevische Erbfolgestreit ausbrach, rückte sehr schnell die Festung Jülich ins Zentrum des Interesses.12 Im Vertrag von Dortmund hatten sich der Kurfürst von Brandenburg, Johann Sigismund, und der Herzog von Pfalz-Neuburg, Philipp Ludwig, auf ein vorläufiges gemeinsames Regiment über die Vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg geeinigt, um ihre Erbansprüche gegenüber dem Kaiser abzusichern. Dieser sah die Territorien als erledigte Reichslehen an und belehnte Kurfürst Christian II. von Sachsen mit ihnen. Da aber anfangs weder der Kurfürst von Sachsen, noch der Kaiser militärisch in den Konflikt eingriffen, konnten sich die beiden »possidierenden« Fürsten von Brandenburg und Pfalz-Neuburg von den Ständen der Territorien huldigen lassen. In dieser Situation gelang es dem Amtmann von Jülich, Johann von Reuschenberg, die Festung Jülich im Namen des Kaisers zu besetzen. Damit hatte Kaiser Rudolf II. nun doch militärisch einen Fuß in der Tür und sandte seinen Neffen Erzherzog Leopold von Österreich, Bischof von Passau, nach Jülich, um die Festung als kaiserlichen Unterpfand erfolgreich gegen die possidierenden Fürsten zu halten. Leopold armierte die Festung und warb weitere Söldner an, sodass Jülich schließlich von rund 2.000 Mann verteidigt wurde. Im Sommer 1610 musste der Erzherzog jedoch erkennen, dass die Übermacht der Gegner zu groß war. Die Fürsten von Brandenburg und Pfalz-Neuburg wurden nämlich ob ihrer lutherischen Konfession nicht nur von der protestantischen Union, sondern auch von den niederländischen Generalstaaten und vom englischen König unterstützt. Auch der König von Frankreich schickte Truppen, sah er doch hier einen Hebel, erfolgreich gegen das habsburgische Kaiserhaus vorzugehen. Für die Generalstaaten bildete der Kampf um die Festung Jülich in zweifacher Hinsicht eine Möglichkeit, ihre Position gegenüber den Spaniern zu stärken. Zum einen unterlief der Waffengang den gerade abgeschlossenen zwölfjährigen Waffenstillstand mit den Spaniern und zum anderen bildete Jülich eine wichtige Relaisstation der sogenannten Spanischen Straße über die die spanischen Niederlande auf dem Landweg mit Nachschub versorgt wurden. Zuletzt lag die Verteidigung der Festung Jülich allein in den Händen von Johann von Reuschenberg, der sich im Spätsommer 1610 einem Belagerungsheer von rund 12.000 Mann gegenübergestellt sah. Unter der Führung von Moritz von Oranien wurde die Belagerung geradezu mustergültig vorgetragen. Innerhalb eines Monats stand durch den massiven Einsatz von Mensch und Material die Zitadelle, auf die sich der Angriff konzentrierte, kurz vor der erfolgreichen Erstürmung. Johann von Reuschenberg blieb nur die Kapitulation. 12 Vgl. Guido von Büren: Die militärischen Auseinandersetzungen am Niederrhein infolge des Jülich-Klevischen Erbfolgestreits aus der Perspektive von Stadt und Festung Jülich. In: Manfred Groten / Clemens von Looz-Corswarem / Wilfried Reinighaus (Hrsg.): Der JülichKlevische Erbstreit 1609. Seine Voraussetzungen und Folgen, Düsseldorf 2011, S. 177–201.

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Abb. 3: Belagerung der Festung Jülich 1610 © Rijksmuseum Amsterdam, Inv.-Nr. RP-P-BI-1044.

Nach dem ehrenvollen Abzug unter Zurücklassung aller Waffen zogen brandenburgische, pfalz-neuburgische und generalstaatische Truppen in die Stadt ein. Mit der zahlenmäßig verstärkten Besatzung der Festung seit 1609 stellte sich nun auch die Frage, wo die Söldner und ihr Anhang unterkommen sollten. Im Bereich der Zitadelle gab es Unterkünfte, diese reichten aber nicht aus. So blieb nur die Einquartierung in der Stadt, ein Phänomen das die Stadtbevölkerung bis ins 19. Jahrhundert hinein immer wieder belasten sollte. Im Bereich zwischen der Schützenstraße und der Grünstraße (heute: An der Synagoge) wurden spätestens nach 1621 hölzerne Baracken errichtet, die trotz ihres provisorischen Charakters lange Zeit Bestand haben sollten. Diesen sogenannten »alten« Baracken wurden kurze Zeit später entlang des Walls an der Bongardstraße »neue« Baracken zur Seite gestellt.13 13 Vgl. Friedrich Lau: Historische Topographie der Stadt Jülich mit einem Grundbuch bis zum Jahre 1794, Bonn 1932, S. 63 f.

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1613/1614 flammte der Jülich-Klevische Erbfolgestreit wieder auf. Grund hierfür war der Konfessionswechsel der possidierenden Fürsten. Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg wurde Katholik, während Johann Sigismund von Brandenburg zum Calvinismus konvertierte. Daraufhin wurden die pfalz-neuburgischen Truppen aus der Festung Jülich ausgeschlossen. Die Niederländer begannen umgehend mit einer Verstärkung der Nordfront der Zitadelle, die die Hauptangriffsseite bildete. Im Vertrag von Xanten wurde im November 1614 die Herrschaft über die Vereinigten Herzogtümer aufgeteilt: Jülich-Berg fielen an den Herzog von Pfalz-Neuburg und Kleve-Mark sowie Ravensberg an den Kurfürsten von Brandenburg. Gubernator der Festung Jülich war seit 1614 der in generalstaatischen Diensten stehende Oberst Frederik Pithan. Der Spanisch-Niederländische Krieg war in dieser Zeit durch ein zwölfjähriges Waffenstillstandsabkommen, das 1609 geschlossen worden war, ausgesetzt. Dennoch fielen spanische Truppen unter Führung von Ambrosio Spinola 1614 in den Niederrhein ein, ohne dass sie aber vor die Festung Jülich zogen. Dies sollte sich nur wenige Jahre später grundlegend ändern. 1621 lief der Waffenstillstand aus. Die niederländischen Generalstaaten, die in den Jahren zuvor eine schwere politische Krise durchlaufen hatten, schätzten die revitalisierte militärische Potenz der Spanier falsch ein und beschränkten sich auf eine Absicherung ihrer Grenzen, vor allem am Niederrhein. Moritz von Oranien hatte dazu Truppen in Nijmegen massiert und entsprechende Kontingente aus den besetzt gehaltenen Festungen im Vorfeld der Niederlande, wie beispielsweise Jülich, abgezogen. Im Spätsommer 1621 zog nun Ambrosio Spinola mit einem 40.000 Mann starken Heer an den Niederrhein und schnitt damit die generalstaatischen Truppen von ihren Garnisonen in den Herzogtümern Jülich und Kleve ab. Gleichzeitig entsandte er Graf Hendrik van den Bergh mit 7.000 Mann nach Jülich, um die Festung zu erobern. Dies gelang nach einer fünfmonatigen Belagerung im Februar 1622.14 Für Jülich bedeutete dies nun eine völlig neue Situation, da die spanische Besatzung nicht nur die protestantische Bevölkerungsminderheit drangsalierte und im starken Maße – mit Rückendeckung des Landesherrn – unter anderem durch Klosterneugründungen gegenreformatorisch aktiv wurde, sondern die Stadt auch und vor allem als Rückzugsort und Versorgungsbasis nutzte.15 So erlebte die Bevölkerung nicht nur beständige Drangsale durch die spanische Garnison, sondern regelmäßig quartierten sich noch zusätzlich spanische Truppenkontingente ein. Der spanische Gubernator, über viele Jahre von 1641 bis 1660 Don Gabriele de la Torre, sah sich mit zahlreichen Beschwerden des Rates der Stadt Jülich über das Verhalten der einquartierten Soldaten konfrontiert, konnte aber hier nicht unmittelbar eingreifen, da

14 Vgl. Guido von Büren / Nils Loscheider: Weltreich und Provinz. Die Spanier am Niederrhein 1560 bis 1660, S. 52 f. 15 Vgl. zum Folgenden Günter Bers: Don Gabriel de la Torre. Ein spanischer Gubernator der Stadt und Festung Jülich (1641–1660). Zur Stadtgeschichte im Dreißigjährigen Krieg, Jülich 2013.

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Abb. 4: Belagerung der Festung Jülich 1621/22 © Museum Zitadelle Jülich, Inv.-Nr. KS 091–092.

diese nicht seiner Befehlsgewalt unterstanden. So entwickelte sich ein reger Schriftverkehr zwischen der Stadt, dem Gubernator, dem Landesherrn in Düsseldorf und der spanischen Regierung in Brüssel, ohne dass sich an der schwierigen Situation für die Einwohner Jülichs etwas änderte. Andererseits sorgte die massive Präsenz spa­ nischen Militärs in der Festungsstadt dafür, dass es zu keinen weiteren kriegerischen Aktionen um die Stadt kam. Zudem kurbelten die Soldaten, wie zu allen Zeiten, die städtische Wirtschaft durch ihren Konsum an. Denn nicht alles wurde requiriert und blieb unbezahlt. Deshalb wirken die in dunklen Farben gemalten Berichte der Stadt gegenüber Dritten immer auch etwas topoihaft, denn tatsächlich konnten bis zuletzt wenn es darauf ankam, alle Forderungen der Besatzung erfüllt werden. Nichtdestotrotz wird man 1660 aufgeatmet haben, als infolge des 1659 geschlossenen Pyrenäenfriedens zwischen den Königen von Frankreich und Spanien die Stadt vom spanischen Militär geräumt wurde.16 Erst jetzt hatte der Landesherr, Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg, vollen Zugriff auf seine Landesfestung, die er nun mit einer eigenen Garnison belegte. In den folgenden Jahrzehnten bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts erlebte die Festung einen beständigen Ausbau, da die Gesamtsituation mit Holländischem Krieg (1672 bis 1678), Pfälzischem Erbfolgekrieg (1688 bis 1697) und schließlich Spanischem Erbfolgekrieg (1701 bis 1714) konfliktbeladen blieb. Vor allem der seit 1679 als Herzog von Jülich-Berg regierenden

16 Vgl. Leo Peters: Unbekannte Quellen zur Armierung der Festung Jülich im 16.  und 17.  Jahrhundert. Der Vollzug von Artikel 88 des Pyrenäenfriedens von 1659. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 216 (2013), S. 95–153.

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Abb. 5: Grundrissplan der Festung Jülich, um 1763 © Museum Zitadelle Jülich, Inv.-Nr. 2018–0230.

Johann ­Wilhelm II. von Pfalz-Neuburg sorgte für eine Modernisierung durch die Anlage von weiteren Vorwerken und der Erhöhung der Wälle der Zitadelle mir Oberwällen. Damit trug man den Verbesserungen der Artillerie Rechnung, die im Laufe der Zeit ihre Reichweite erheblich zu erhöhen vermochte.17

4. Das 18. Jahrhundert Einen Einblick in den Alltag der Garnison im frühen 18. Jahrhundert erlaubt der Bericht des »Wiedertäufers« Wilhelm Grahe (1693–1774) über seine Jahre zwischen 1717 und 1720 in Jülich, die er dort, ob seiner reichsrechtlich nicht anerkannten Konfession als Häftling gemeinsam mit fünf weiteren Glaubensgenossen zu verbringen hatte. Neben gewöhnlichen Häftlingen gab es in der Zitadelle auch immer wieder Personen, die zur Festungshaft verurteilt worden waren. Dabei handelte es sich um eine besondere Form der Haft für höherrangige Personen, die nicht als unehren-

17 Vgl. Guido von Büren / Edmund Spohr: Die Festungsanlagen von Düsseldorf und Jülich in kurpfälzischer Zeit. In: Frank Günter Zehnder (Hrsg.): Das Ideal der Schönheit. Rheinische Kunst in Barock und Rokoko, Köln 2000, S. 211–228, hier S. 215–218.

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haft zu verstehen war. Mitunter konnten sich diese Festungshäftlinge frei innerhalb der Festung bewegen. Das wurde nach einer ersten Zeit der weitgehenden Kerkerhaft, die nur durch Arbeitseinsätze unterbrochen wurden, auch den »Wiedertäufern« zugestanden. Wie auch die gewöhnlichen Soldaten verdienten sie sich durch die Anfertigung von Knöpfen aus Knochen etwas dazu, was es ihnen ermöglichte, ihre kargen Essensrationen durch Zukäufe in der Marketenderei aufzustocken. Letzteres wurde ihnen aber vom Festungskommandanten nicht immer zugestanden.18 Eine besondere Belastung für die Stadtbevölkerung waren die wiederkehrenden Einquartierungen. Die Stadt umfasste im 18. Jahrhundert um die 1.500 Einwohner bei einer Garnisonsstärke von etwa 1.000 Mann. Zusätzlich zur Garnison kamen in Kriegszeiten durchziehende Truppen hinzu, die es in die Häuser der Jülicher einzuquartieren galt. Innerhalb der Festung fehlte es an Unterkünften, weshalb die Stadt darauf drängte, das ehemalige herzogliche Schloss in der Zitadelle stärker entsprechend zu nutzen und zusätzliche Kasernen zu errichten. Für die zweite Hälfte der dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts ist die Herrichtung eines Schlossflügels für Truppeneinquartierungen belegt.19 In den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts erfolgte ein tiefgreifender Umbau des Ostflügels des Jülicher Schlosses, nachdem bereits um die Mitte des Jahrhunderts das zweite Obergeschoss niedergelegt worden war, wurden in die verbliebenen zwei Geschosse neue Decken eingezogen, sodass der Ostflügel nun bei niedrigeren Räumen dreigeschossig war.20 Darüber hinaus wurde in der Stadt im Bereich zwischen dem Aachener Tor und der Stadtbastion St. Jakobus eine große Kaserne errichtet. In den Aufzeichnungen des Johann Wilhelm Tillessen (1712–1778) sind dazu folgende Angaben zu finden: »Anno 1738 hat man die neue Casern an dem Ruhr Tohr auff dem Holzplatz angefangen zu bauen und daß Holzwerck an dieser Casern kostet 4, ja vier tausent Reichstaler, ohne den Arbeits Lohn. Daß ist gewißlich wahr, waß ich da geschrieben habe. – Anno 1744 und Anno 1745 und Anno 1746 und Anno 1747 ist noch viele Dannen Balcken in der neuen Casern gebaut worden, wovon ich keine Nachricht wisse. Anno 1748 ist die neu Casern fertig worden. – Anno 1749 im Octobris sint die Soldaten alle in die Casernen gelegt worden, und die gantze Bugerschafft ißt von den Soldaten Last frey geblieben und ihre Häußer sollen frey bleiben.«21 18 Vgl. Michael Knieriem: »Um Christi willen auf der Festung Jülich«. Der Bericht des Solinger Wiedertäufers Wilhelm Grahe aus dem Jahre 1763. In: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 53 (2004), S. 303–335. 19 Lau (wie Anm. 13), S. 65. 20 Vgl. von Büren / Spohr (wie Anm. 17), S. 227, Anm. 24. 21 Heinrich Schiffers: Oeffentliche Bauten im alten Jülich. In: Rur-Blumen 20 (1941), Nr. 11, S. 41 f., hier S. 42. Die Chronik der Familie Tillessen wurde 1940/41 von Heinrich Schiffers in einer Artikelfolge in den »Rur-Blumen«, der »Heimat-Wochenschrift zum Jülicher Kreisblatt« in thematisch zusammengestellten Auszügen ediert. Leider wurde das Original der Chronik im Zweiten Weltkrieg zerstört.

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Abb. 6: Ansicht der Westfassade des Schlosses der Zitadelle Jülich, um 1768 © Museum Zitadelle Jülich, Inv.-Nr. 2018–0228.

Auch die Versorgung des Militärs wurde insoweit stärker auf Selbstversorgung hin ausgerichtet, als dass eigene Garnisonsgärten vor der Südfront der Stadtbefestigung angelegt werden mussten. Drei Pläne aus den frühen achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts haben sich mit entsprechenden Grundrissen im Bayerischen Kriegsarchiv in München erhalten.22 Zudem lernten die Soldaten durch die Arbeit in den Gärten und Baumschulen »nuetzliche Kenntnisse, die sie […] bei ihrer Zurueckkunft in die Heimath im ganzen Land verbreiten. Es wurde deshalb in jeder Garnisons=Stadt der churpfalzbayerischen Staaten ein Garten fuer das Militaer nebst einer Baumschule angelegt…«.23 An solchen Maßnahmen sind die Ansätze einer aufgeklärten absolutistischen Herrschaft des damaligen Landesherrn, Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz und Bayern (reg. 1742–1799) zu erkennen, die ihre Untertanen fürsorglich zu entlasten und zu bilden versuchte. Das 18. Jahrhundert blieb für das Rheinland ein kriegerisches Jahrhundert. Immer wieder waren Heere fremder Mächte anwesend. Johann Wilhelm Tillessen vermerkt dazu:

22 Vgl. Hartwig Neumann: Stadt und Festung Jülich auf bildlichen Darstellungen, Bonn 1991, S. 378–381. 23 Felix Joseph Lipowsky: Karl Theodor, Churfürst von Pfalz-Bayern, Herzog zu Jülich und Berg etc. wie Er war, und wie es wahr ist, oder dessen Leben und Thaten, Sulzbach 1828, S. 216; siehe auch: Thomas Weidner: Rumford. Rezepte für ein besseres Bayern, München 2014, S. 90–95.

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»Anno 1758 den 28. Maji sind die Hanoveraner über den Rhein kommen, und haben die Hanoveraner so wohl als die Frantzen das ganze Cölnische und Bergische und Gulicher Land verdorben. – Anno 1758 im Julio haben die Hanoveraner eine Stunt von Gülich gestanden und die Frantzosen haben die Gärthen am Rohrtuhr hinter dem Schloß alle verdorben, haben die Hecken und Bäum alle darnieder gehauen und ich habe dabey einen großen Schaden gelitten.«24 Tillessen beschreibt hier eine einschneidende Maßnahme, die das Primat militä­ rischer Erwägungen verdeutlicht. Die Anpflanzungen vor den Festungsmauern der Stadt verstellten das Schussfeld und hätten die Position der Verteidiger so schwächen können. Also mussten sie weichen  – überflüssigerweise, denn »Die Hanoveraner sint wiederumb hinweg gezogen, aber Düsseldorf haben sie belägert und auch bekommen, und die Frantzen haben es auch wieder bekommen ohne einen Schuß zu tun.«25 Da es sich hier vor allem um Obstbäume handelte, die gefällt werden mussten, war dadurch die Versorgung der Bevölkerung mit eigenem Obst über viele Jahre hinweg verhindert, bis neu gepflanzte Bäume soweit herangewachsen waren, dass sie wieder trugen. Zur Zusammensetzung des Gouvernements der kurpfälzischen Garnison finden sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts Aufstellungen in den damals regelmäßig erscheinenden Staatskalendern, dem Kurpfälzischen Hof- und Staatskalender einerseits sowie andererseits dem Niederrheinisch-Westfälischen Kreiskalender.26 Das Gouvernement setzte sich zusammen aus dem Gouverneur, dem Kommandanten, jeweils einem Adjutanten in der Stadt und im Schloss (Zitadelle) sowie dem Gouvernementssekretär. Weiterhin gehörte dazu die Artilleriekompagnie, die mindestens geleitet wurde von einem Leutnant und zwei Sousleutnants, und ein Ingenieurcorps, dessen Leitungsgremium meist aus vier Personen bestand. Die Seelsorge der ­Garnison übernahmen ein Schlossprediger, ein Sakristant und ein Garnisonskaplan. Hinzu kam die militärische Führung des jeweils sich in der Festung befindlichen Regiments.27

24 Heinrich Schiffers: Kriege des 18.  Jahrhunderts im Jülicherland. In: Rur-Blumen 20 (1941), Nr. 13, S. 49 f., hier S. 49. 25 Ebenda, S. 49. 26 Vgl. Günter Bers / Sabine Graumann: Funktions-Eliten einer Territorial-Hauptstadt. Jülich in regionalen Staatskalendern 1748–1800, Jülich 1998. 27 Vgl. hierzu die Aufstellung bei Willi Dovern: Jülicher Garnisons-Kirchenbuch, 3 Bde., Jülich 1999, hier Bd. 1, S. 15. Die hier aufgearbeiteten Kirchenbücher umfassen den Zeitraum 1663 bis 1794. Zur Fortsetzung vgl. ders., Militärangehörige und ihre Familien in Jülich in der Zeit zwischen 1794 und 1920, Jülich 2004.

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5. Die Franzosenzeit Die Bedeutung der Festung Jülich nahm für den Landesherrn, der seit 1777 in München residierte, zunehmend ab. Trotz Eingaben des Stadtkommandanten, der den Unterhalt und die Modernisierung der Festungsanlagen anmahnte, passierte so gut wie nichts. Als die französischen Revolutionstruppen 1794 das linke Rheinland eroberten brach für die Stadt Jülich eine völlig neue Zeit an. 1798 in das französische Verwaltungssystem als Sitz einer Marie im Departement de la Roer eingebunden, wurde Jülich wie das gesamte Gebiet bis zum Rhein 1801 offiziell Teil des französischen Staates. Seit 1799 hatte das französische Militär mit dem massiven Ausbau der Festung Jülich begonnen, in deren Folge auch die Anlage weitere Kasernen geplant wurden. Beispielhaft sei die Defensionskaserne im Bereich der Mittelbastion des Brückenkopfes auf dem linken Rurufer gegenüber der Stadt genannt.28 Der Ausbau wurde jedoch auf persönlichen Befehl Napoleons 1804 gestoppt beziehungsweise eingeschränkt, nachdem er die Arbeiten an den Jülicher Festungsanlagen inspiziert hatte. Anders als sein Militär vor Ort schätzte er die militärische Bedeutung Jülichs als eher gering ein. Die Volksheere der Revolutionskriege stellten eine neue Herausforderung da – vor allem für das französische Kaiserreich Napoleons. Invalide und zu alt gewordene Soldaten mussten nun von Staatswegen versorgt werden. Über das ganze Land wurden die Veteranen verteilt, so auch auf Jülich und seine Umgebung. Baulichkeiten und Ackerland waren durch die erfolgte Säkularisation der Klöster und Stifte im Jahr 1802 ausreichend vorhanden. Die Klosterbauten wurden auf die neue Nutzung hin angepasst. 1804 richtete man ein »Camp de Veterans sous Juliers« ein, das über mehrere Dependancen in der Region verfügte. Mehr als 450 Veteranen sind für das Jülicher Camp zwischen 1804 und 1814 nachweisbar.29 Die Veteranen, die Familie mitbrachten oder hier neu gründeten, verfügten über keinen guten Ruf. Wiederholt äußert sich der Jülicher Privatlehrer Johann Krantz in seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen negativ über die Veteranen, die zum Beispiel im ehemaligen Kartäuserkloster vor den Toren der Stadt im Vogelsang untergebracht waren. Krantz spricht 1803 von »Krüppel[n] der Revolutionszeit«, einem »wahren Auswurf der Bosheit«, von »Lumpengesindel« und von »recht verschmitzte[n] Vögel[n], die obwohl der Krieg sie am Leibe verstümmelt hatte, doch den Revolutionsgeist noch ganz hatten…«.30 Das Ackerland, das jedem Veteran zugestanden wurde, diente weniger 28 Vgl. Neumann (wie Anm. 22), S. 455. 29 Vgl. Willi Dovern: Die französischen Veteranen in Jülich (1804–1814), Jülich 2010. 30 Heinz Spelthahn (Hrsg.): Chronik des Präzeptors Johann Krantz. Das Jülicher Land 1792– 1818, Pattern 1993, S. 62 f. Zur Person des Chronisten vgl. Winfried Romberg: Religion und Revolution im französischen und preußischen Rheinland. Frühultramontane Standortfindung in der Jülicher Chronik des Präzeptors Krantz (1792–1818). In: Geschichte im Bistum Aachen 9 (2007/2008), S. 51–125.

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Abb. 7: Ausbauplanung der Festung Jülich 1804 © Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XI. HA Karten, FpK, Karte B 70261.

zur Selbstversorgung, denn als Einnahmequelle durch Verpachtung. Das Camp war militärisch organisiert, wobei es vor allem auch um die Disziplinierung der ehemaligen Soldaten ging. Eigens gestaltete Knöpfe für das Jülicher Veteranencamp zeigen, dass der »moderne« Staat Frankreich bis in die kleinsten Details des Lebens seiner Untertanen hineinwirkte.31 Der berühmte Landschaftsmaler Johann Wilhelm Schirmer (1807–1863) beschreibt in seinem Fragment gebliebenen Autobiographie, wie sie sich als Kinder regelmäßig mit den Kindern der Veteranen prügelten: »Indessen sollten sich die […] ersten Nationalregungen des Kindes bald fühlbar machen, und zwar durch ernstere Kriegsspiele mit den Kindern der in Jülich garnisonirenden franz. Invalidencompagnien. Ein fast täglich wiederkehrender Kampf unter uns deutschen und diesen franz. Knaben fand nach der Schule auf den Wällen statt, und hörte erst auf, nachdem einige Väter der arg mit31 Vgl. Marcell Perse u. a. (Hrsg.): Einhundertmal. Erinnerungsschätze aus der Sammlung des Museums Jülich, Aachen 2018, S. 170 f., Nr. 75 (Wolfgang Gunia).

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genommenen FranzosenKnaben sich mit den blanken Säbeln hineingemischt, uns mit flachen Hieben zur Ruhe verwiesen hatten.«32 Das Ende der französischen Herrschaft, bedeutete auch das Ende der Anwesenheit der Veteranen, die des Landes verwiesen wurden. Dies führte zu Härtefällen, ließen die Veteranen doch nicht selten ihre Familien zurück, die sie hier erst gegründet hatten. Völlig mittellos, wussten die plötzlich alleinstehenden Frauen nicht mehr ein noch Abb. 8: Knopf einer französischen Veaus. Die durch entsprechende Eingaben do- teranenuniform aus Jülich, nach 1804 kumentierten Fälle lassen sich jedoch leider © Museum Zitadelle Jülich, Inv.-Nr. 1999–0136. nicht weiterverfolgen.33 Im Januar 1814 war die Festung Jülich durch alliierte Truppen blockiert worden. Das führte zu katastrophalen Zuständen in der Stadt, da neben der regulären Garnison und den Veteranen zahlreiche verletzte Soldaten in zumeist provisorisch hergerichteten Lazaretten untergebracht werden mussten. Letztere waren hoffnungslos überfüllt. Die Verwundeten und Kranken gehörten zu den nach der Völkerschlacht von Leipzig in Richtung Westen zurückflutenden Truppen. Die Versorgung mit ausreichend Lebensmitteln war durch die Blockade in erheblichem Maße eingeschränkt. Hier, wie auch in anderen Festungsstädten der Zeit, brachen Seuchen aus, die sowohl Bewohner als auch Soldaten hinwegrafften. Der schon oben erwähnte Johann Wilhelm Schirmer findet in seiner Lebensbeschreibung eindrückliche Worte für diese Situation: »Wie wunderbar es mir jetzt vorkommt daß meine Erinnerungen an die Schrecken jener Zeit auch nicht eine Spur von Grauen oder Ekel enthalten; die Todtenkarren (zuerst unbedeckt) sahe ich morgen’s und Nachmittags beladen mit nackten Soldatenleichen durch die Stadt fahren […]. Die Sterblichkeit dieser pestartigen Krankheit war so groß daß fast die Hälfte der aus 5000 Mann bestehenden Garnison während der 4 Belagerungsmonate starb, von unseren 16 Mann Einquartierungen waren schon bald im Anfange 4 gestorben…«.34

32 Gabriele Ewenz (Hrsg.): Johann Wilhelm Schirmer. Vom Rheinland in die Welt, Bd. 2: Autobiographische Schriften, Petersberg 2010, S. 33. Das Manuskript hatte Schirmer kurz vor seinem Tod 1863 niederzuschreiben begonnen. 33 Vgl. Dovern (wie Anm. 29), S. 13 f. 34 Ewenz (wie Anm. 32), S. 38.

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Die Erleichterung über das Ende der Blockade und des Abzugs der französischen Truppen am 4. Mai 1814 wich rasch einer großen Ernüchterung, denn das Verhalten der zuerst sächsischen und später dann preußischen Truppen kann als durchaus despotisch angesehen werden. Johann Krantz brachte den Einzug der neuen, 3.944 Mann starken Garnison wie folgt auf den Punkt: »Jülich verlor durch den Abzug der Franzosen eine Kreuz-Partikel; die Sachsen brachten ihm an dessen statt einen ganz schweren Kreuz-Block wieder, um die Bürger daran zu kreuzigen und zu quälen.«35 Auch hierzu wieder eine vielsagende Episode aus den Lebenserinnerungen von Johann Wilhelm Schirmer: »Obgleich mäßig, 3–4 Personen, im Vergleich mit der früheren Einquartirung, war die Last derselben jetzt dennoch schwer genug zu tragen, alle Lebensmittel theuer und selten zu erhalten verlangten die neuen Soldaten mehr wie die Franzosen, und einmal mußte mein Vater mit einer dampfenden Schüssel schön geschmelzter Spätzle zum Kommandanten, der, die selbe prüfend, die unzufriedenen Soldaten mit Strenge zur Ruhe verwies. Wir Kinder waren ganz erstaunt, daß unsere Leibspeise so verschmäht werden konnte.«36

6. Das preußische Jahrhundert Den höchsten Grad an militärisch genutzter Infrastruktur erlebte die Stadt Jülich unter preußischer Herrschaft, die offiziell am 25. April 1815 begann.37 Zu Beginn der Preußenzeit war die Festung in Fortführung der Planungen der Franzosen massiv ausgebaut worden. So legte man vor die Nordfront der Zitadelle drei Lünetten und vollendete auch die begonnenen Lünetten um die Stadtbefestigung herum. Liegen blieb der Bau des mit den Erdarbeiten angefangenen, aber auf Befehl Napoleons gestoppten Forts Napoleon auf der Merscher Höhe, dessen bereits angelegten Gräben und Wälle als Übungsgelände genutzt wurden. Aus dem Jahr 1817 hat sich eine Armierungsplan für die Festung Jülich erhalten, den Generalmajor Ludwig von Boyen (1780–1845) verfasst hat.38 Tatsächlich wurde die Festung infolge der JuliRevolution in Paris im Jahr 1831 in Alarmbereitschaft gesetzt. Danach erlahmte aber 35 Spelthahn (wie Anm. 30), S. 110. 36 Ewenz (wie Anm. 32), S. 40. Die Mutter Schirmers stammte aus dem »Schwabenland« (ebenda, S. 32). 37 Vgl. zum Folgenden: Wolfgang Gunia / Peter Nieveler: Jülich als Garnison- und Militärschul-Standort. Stadt und Gesellschaft preußisch militärisch geprägt? In: Guido von Büren / Michael D. Gutbier (Hrsg.): Das preußische Jahrhundert. Jülich, Opladen und das Rheinland zwischen 1815 und 1914, Goch 2016, S. 413–440. 38 Vgl. Andreas Kupka: Der Armierungsplan der Festung Jülich von 1817. In: Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung (Hrsg.): Festungsbaukunst in Europas Mitte, Regensburg 2011, S. 105–121. Das Originalmanuskript ist heute nicht mehr nachweisbar. Der Text wurde aber 1939 in den »Rur-Blumen« durch Leo Sels ediert.

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Abb. 9: Die Rurkasernen am Aachener Tor, 1914 © Bildarchiv Museum Zitadelle Jülich.

das Interesse des preußischen Militärs an der Festung Jülich. Wichtiger schien der Ausbau der Verteidigungslinie entlang des Rheins mit den Festungen Wesel, Köln und Koblenz / Ehrenbreitstein. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zeichneten sich grundlegende Änderungen in der Artillerie ab, die durch den Einsatz von Hinterladern mit gezogenem Lauf deutlich treffgenauer schießen konnte. Zudem wurde das preußische Heer einer umfassenden Reorganisation unterzogen. 1859 wurde daraufhin beschlossen, die Festung Jülich aufzuheben. Das versetzte die Stadt Jülich in helle Aufregung, befürchtete man doch den vollständigen Abzug des Militärs und damit den Verlust einer der Haupteinnahmequellen. Tatsächlich blieb die Stadt aber Garnisonsstandort und zugleich wurde in der Zitadelle eine Unteroffizierschule eingerichtet, die zweite nach Potsdam. Bei der nun einsetzenden Schleifung blieben Zitadelle und Brückenkopf erhalten, da sie als Übungsgelände der Militärschule genutzt wurden. 1891 wurde zudem noch eine Unteroffiziervorschule in Jülich gegründet, die die Rurkasernen am ehemaligen Aachener Tor bezog. Über die Aufgabe der Festung im Jahr 1859 hinaus unterhielt die preußische Garnison zahlreiche Liegenschaften in der Stadt. Diese befanden sich meist in den schon von den Franzosen nach 1802 umgenutzten Klosteranlagen. So war in der ehemaligen Jesuitenkirche am Markt ein Proviantmagazin eingerichtet worden und das ehemalige Sepulchrinerinnenkloster zwischen Stiftsherren- und Sepulchrinerstraße enthielt eine Artilleriekaserne. Am Ende der Bongardstraße befand sich die Garnisonsbäckerei und auf der Esplanade vor der Zitadelle war ein Exerzierhaus

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Abb. 10: Historischer Plan von der Festung Jülich, 1837 © Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, XI. HA Karten, FpK, Karte G 71134.

errichtet worden. Ein Festungsplan von 1837 macht deutlich, wie sehr die innerstädtische Bebauung durch die militärische Nutzung geprägt war. Man kann es wohl nicht anders ausdrücken, als dass die Jülicher Stadtbevölkerung ein geradezu symbio­ tisches Verhältnis zur Garnison aufgebaut hatte. Dies konnte auch nicht anders sein, da zeitweise ein Drittel der Bevölkerung dem preußischen Heer angehörte. Im Jahr des Schleifungsbeginns der Festung 1860 standen 3.119 Einwohner 1.128 Militärangehörige gegenüber.39 Im Beginnenden 20. Jahrhundert neigte sich diese Epoche der Stadtgeschichte aber vorerst ihrem Ende entgegen, da sowohl das Ende der Garnison gekommen war, als auch die beiden Militärschulen Jülich verlassen sollten. Als Kompensation erhielt die Stadt ein Bahnausbesserungswerk, das mit circa 2.000 Beschäftigten Mitten im Ersten Weltkrieg seinen Betrieb aufnahm. Alleine der Ausbruch dieses Ersten Welt39 Jacek Grubba: Bevölkerungsentwicklung in Jülich. In: von Büren / Gutbier (wie Anm. 37), S. 237–244, hier S. 239. Da der Anteil der Militärangehörigen so hoch war, wird Jülich bei Horst Matzerath: Urbanisierung in Preußen 1815–1917, Stuttgart 1985, S. 139 f. zu den Garnisonsstädten gezählt. In Preußen gab es nach dieser Definition insgesamt dreizehn. Eine Aufstellung der seit 1815 in Jülich stationierten Truppenteile findet sich im Manuskript gebliebenen »Verwaltungsbericht der Stadt Jülich 1918–1932«, S. 60–62, im Stadtarchiv Jülich.

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Abb. 11: Schanzübungen in Jülich 1917 © Album für Major Schell, Stadtarchiv Jülich.

kriegs machte Jülich noch einmal zu einem wichtigen Militärstandort, den das hier stationierte 1. Ersatz-Bataillon des Reserve-Infanterie-Regiment 65 zur Ausbildung der Rekruten nutzte. Ein Fotoalbum aus dem Jahr 1918 zeigt unter anderem die zur Vorbereitung auf den Stellungskrieg im Westen angelegten Schanzen und Unterstände nördlich der Zitadelle sowie auf der Merscher Höhe, aber auch den Alltag der Garnison, die von ihrem Kommandanten Major Schell angehalten worden war, selbst Obst- und Gemüse im großen Stil anzubauen.40 Interessant ist die Beobachtung zu Beginn des Ersten Weltkriegs, dass es keiner erläuternder Artikel in den lokalen Jülicher Zeitungen bedurfte, um darüber aufzuklären, wie man sich gegenüber dem Militär zu verhalten habe. Durch das beständige Zusammenleben mit der Garnison war man hier wohl informiert, was anderenorts eher nicht der Fall war, wie entsprechende Beispiele zeigen.41

40 Vgl. Guido von Büren: Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in der Stadt Jülich. In: Ders. / Michael D. Gutbier / Wolfgang Hasberg (Hrsg.): Kriegsenden in europäischen Heimaten, Neustadt a. d. Aisch 2019, S. 267–282, hier S. 277–282. Das Album befindet sich im Stadtarchiv Jülich und harrt einer umfassenden Auswertung. 41 Vgl. Simone Franke: Berichterstattung und Heimatfront 1914 bis 1918 in Opladen und Jülich. In: von Büren / Gutbier / Hasberg (wie Anm. 40), S. 91–109.

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Abb. 12: Soldaten des 1. Ersatz-Bataillons des Reserve-Infanterie-Regiments 65 bei der Verarbeitung selbst angebauten Gemüses in Jülich 1917 © Album für Major Schell, Stadtarchiv Jülich.

7. Ausblick Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutete zwar den Abzug des preußisch-deutschen Militärs, aber zugleich den Einzug von belgischen und zeitweilig französischen Besatzungstruppen, die die Stadt Jülich erst Ende Oktober 1929 räumen sollten.42 Das Rheinland blieb danach entmilitarisierte Zone, aber nur bis 1936, als Adolf Hitler völkerrechtswidrig Militär in die linksrheinischen Gebiete legte. Seit 1938 gab es in Jülich auch wieder eine Garnison, schließlich wurde 1941 an die alten Traditionen anknüpfend eine Unteroffiziervorschule in der Zitadelle eingerichtet. Die Stadt begrüßte diese Entwicklung, da sie damit die Verantwortung für die Zitadelle, die sie seit dem Abzug der Besatzung Inne gehabt hatte, wieder verlor. Das Ende des Zweiten Weltkriegs ermöglichte dann eine zivile Nutzung der Zitadelle, zuerst zeitweilig als Notunterkunft und seit 1972, nach umfassenden Baumaßnahmen, als Schule. 42 Vgl. Günter Bers (Hrsg.): »Freiheit, Heimat, Vaterland«. Die Befreiungsfeier der Stadt Jülich im Jahre 1929. Eine Dokumentation, Jülich 1990, S. 13–24.

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Es mutet schon wie ein Treppenwitz der Geschichte im Kleinen an, dass das im Ersten Weltkrieg als Kompensation für den beschlossenen Abzug des Militärs aus Jülich errichtete Bahnausbesserungswerk seit 1964 von der Bundeswehr als »Mechatronikzentrum« genutzt wird. Ansonsten ist Jülich heute, da das örtliche Kreiswehrersatzamt nach 51jähriger Existenz 2012 als Folge der Bundeswehrreform geschlossen wurde, nur noch eine »Historische Festungsstadt« und stattdessen angesichts mehrere naturwissenschaftlicher Großforschungseinrichtungen eine »Moderne Forschungsstadt«.43

43 Vgl. Guido von Büren / Bernhard Dautzenberg: Die Inwertsetzung der historischen Festung Jülich durch die nordrhein-westfälische Landesgartenschau 1998. In: Deutsche Gesellschaft für Festungsforschung e. V. (Hrsg.): Erforschung und Inwertsetzung von Festungen heute, Regensburg 2015, S. 107–116.

Die Nürnberger Offiziere im 18. Jahrhundert (1681–1806) Klaus Roider

1. Reichsstädtisches Militär Die Reichsstadt Nürnberg war die größte aller deutschen Reichsstädte – ein Titel, der mitunter auch Köln gegeben wird. Doch in Bezug auf den Umfang des reichsstädtischen Militärs gebührt er unzweifelhaft Nürnberg. Mit der Reichsdefensionalordnung hatte der Reichstag 1681 eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die die Verteidigung des Reichs auf eine dauerhafte Basis stellen sollte. Die Reichsarmee blieb nicht dem Kaiser oder wenigen armierten Ständen überlassen, denen man misstraute. Sie sollte aus Kontingenten aller Reichsstände bestehen. Auch im Frieden wurden nun die Truppen aufrechterhalten, wenn auch in reduziertem Umfang.1 Die Reichsstadt Nürnberg war dabei so unglücklich, mit einem ungewöhnlich hohen Anteil veranschlagt zu werden, denn man bezog sich im Grundsatz auf die Wormser Reichsmatrikel aus dem Jahr 1521, als Nürnbergs wirtschaftliche Potenz noch eine ganz andere war als sie es im 18. Jahrhundert sein sollte. So war der Nürnberger Anschlag 1521 dem eines Kurfürsten gleich, nur Ulm war gleichermaßen belastet. Im 17. Jahrhundert stand Nürnberg ebenso an der Spitze der Reichsstädte und war lediglich mit der Reichs- und Hansestadt Lübeck vergleichbar. Ähnlich sah es auf der Ebene des Fränkischen Reichskreises aus, der mit den anderen Kreisen gewissermaßen die mittlere Ebene der Reichsrüstung darstellte. Hier stand, was die Kreislasten betraf, Nürnberg an zweiter Stelle der Kreisstände, nur übertroffen von Würzburg. So hatte die Reichsstadt 1720 rund 20,7 Prozent der Lasten zu tragen, Würzburg etwa 21,3 Prozent, Bamberg an dritter Stelle 10,9 Prozent und die beiden Brandenburger Markgraftümer zusammen nur rund 16,4 Prozent. Die nächstkleinere, deutlich kleinere, Reichsstadt Rothenburg war mit 3,7 Prozent veranschlagt.2 1 Zu den Diskussionen um die Reichskriegsverfassung vgl. Karl Otmar von Aretin: Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 1, S. 280–298. Die einschlägigen fränkischen Beschlüsse in Friedrich Carl Moser: Des hochlöblichen Fränckischen Crayses Abschide und Schlüsse vom Jahr 1600 biß 1748, Nürnberg 1752. 2 Zur Reichsmatrikel vgl. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste…, Halle und Leipzig 1732 ff., Lemma Reichs-Matrickel. Zur fränkischen Kreismatrikel unentbehrlich ist Georg Ludwig von Knapp: Actenmäßige Erläuterungen über das deutsche Reichs- und Kreis-Matrikularwesen, besonders den Fränkischen Creis betreffend…, Nürnberg 1794. Dort in Beilage 26 die Matrikel von 1720.

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Dies hatte ein entsprechend großes Reichs- beziehungsweise Kreiskontingent zur Folge, das den ganz überwiegenden Teil des reichsstädtischen Militärs bildete. Dieses Kontingent, im Nürnberger Sprachgebrauch der Zeit als Feld-Miliz bezeichnet, bestand zunächst (1681) aus fünf Infanterie- und einer Reiterkompanie und einigen Dragonern. Mit den Strukturveränderungen und Verstärkungen der Kreisarmatur der Jahre 1691, 1703 und 1757 entstanden schließlich acht Infanterie- und vier Kavalleriekompanien, die in drei Infanterie- und zwei Kavallerieregimenter des Kreises eingegliedert wurden. Dazu kam immer eine geringe Anzahl Soldaten, die in mit Kontingenten anderer Kreisstände in gemischte Kompanien gestellt wurden. Im Pfälzischen Erbfolgekrieg unterhielt die Reichsstadt zwei weitere, eigene Dragonerkompanien. In der Krise des Spanischen Erbfolgekriegs errichtete der Kreis zusätzlich vier schwache neue oder supranumerare Infanterieregimenter, zu denen Nürnberg dreieinhalb Kompanien beizutragen hatte.3 Die Einführung stehenden Militärs in solch beträchtlicher Anzahl führte in Nürnberg zur Entstehung einer Reihe neuer Einrichtungen: mehrere Kasernen, die Soldaten-Kirche, ein Soldaten-Kirchhof und ein Miliz-Geistlicher tauchen in den Jahren kurz vor 1700 erstmals auf.4

3 Der Umfang des Nürnberger Militärs ist ersichtlich unter anderem aus den Kriegsamtsrechnungen (Staatsarchiv Nürnberg (StAN) Reichsstadt Nürnberg (Rst. Nbg.), Ämterrechnungen V, Kriegswesen, Nr. 40–142), Rechnungen über den Montur-, Brot- und Quartierabzug (Nr. 180–245), Kriegskommissariatsrechnungen (Nr. 300–327) und Montierungsrechnungen (Nr. 260–280). Zusammen mit den, allerdings recht lückenhaften, Anciennetätstabellen des Kreises (StAN, Fürstentum Ansbach (Fsm. Ansb.), Kreistagsakten Nr. 555 sowie Kreismanualakten Nr. 155), den Nürnberger Dekretbüchern (StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 30/1 und 47/3), den Musterlisten (Staatsarchiv Bamberg, Fränkischer Kreis, Kreisarchiv (StABa, Fränk. Kreis, Kreisarchiv) Nr. 1711–1725 und 1976–1781 und Geheimes Archiv Bayreuth Nr. 3430 und 3469) und einigen Pertinenzakten (StAN, Fsm. Ansb., Kreismanualakten Nrn. 167–172, StABa, Fränk. Kreis, Kreisarchiv Nr. 2021 f., 2047, 2050) sind sie zugleich Quelle für die Erfassung und Auswertung der Offizierskarrieren und aller diesbezüglichen Angaben in diesem Text. Die zwei Dragonerkompanien von 1695 wären korrekterweise wohl zur Stadtmiliz zu zählen, wurden sie doch nicht als Kontingent, sondern zusammen mit vier Kompanien Brandenburg-Ansbachs errichtet bzw. übernommen. Der Versuch beider Stände, die Dragoner an den fränkischen Reichskreis zu vermieten, scheiterte. StABa, Fränk. Kreis, Kreisarchiv Nr. 541 (Rezeß Übernahme von Sachsen-Gotha); StAN, Fsm. Ansb., Kreistagsakten (KTA) Nr. 168 (96) Instruction 5.10.1696 (Ablehnung). Das Nürnberger Militär unseres Betrachtungszeitraums ist bisher erst im Überblick bearbeitet durch Franz Willax: Das Verteidigungswesen Nürnbergs im 17. und 18. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 66 (1979), S. 192–247. 4 Kasernen in der Landstadt Hersbruck 1698/99, genutzt bis 1757 (im Siebenjährigen Krieg Lazarett); auf der Veste (der »Burg«) 1695; der Bärenschanze 1695 (ausgebaut 1726 mit »Krankenhaus« und Schmiede und 1735 mit einer neuen Stallung). Auch die Nürnberger

Die Nürnberger Offiziere im 18.  Jahrhundert (1681–1806) 

249

Die Kriegsstärke der Nürnberger Feldmiliz betrug beispielsweise 1682 898 Infanteristen und 265 Reiter und 1757 1.186 beziehungsweise 283 Köpfe.5 Der letzte Ausmarsch der fränkischen Kreistruppen in den Revolutionskriegen brachte eine Ermäßigung auf lediglich zwei Grenadierkompanien und einen Anteil an einer Stabskompanie von zusammen 244 Köpfen.6 Die Sonderverhältnisse Bambergs, Würzburgs, des Deutschen Ordens, der nun preußischen Brandenburger Markgraftümer und der sächsischen Herzöge hatten ohnehin zu einer zahlenmäßig recht kläglichen letzten fränkischen Kreisarmatur von zunächst drei, dann fünf Infanteriebataillonen geführt. Sollstärken des Nürnberger Reichskontingents.7 Jahr

Kavallerie

Infanterie

Gesamt

1681 Reichsfuß

552

1.104

1.656

1683

265

898

1.163

1693

339

1.017

1.356

1701

254

1.327

1.581

1705

287

1.917

2.204

1733

406

1.348

1.754

1735

338

1.316

1.654

1757

283

1.186

1.469

1793



244

244

Festung Lichtenau wurde als Kaserne genutzt. Vgl. dazu: Klaus Roider: Erinnerungsorte des reichsstädtischen Militärs im Nürnberg des 18.  Jahrhunderts. In: Nürnberger Altstadtberichte Nr. 37 (2012), S. 79–116, hier S. 82–94. Die Aufgaben des Soldaten- oder Miliz-Geistlichen beschrieben in seiner Pflicht in StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 21. 5 StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher Nr. 155 sowie StAN, Fsm. Ansb., Kreisgesandtschaftsakten Nr. 204, Tabelle (für 1757). 6 Zur Organisation 1793 zunächst StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 56; die allgemeine Entwicklung und Verwendung in den entsprechenden Jahrgängen der Kreistags- bzw. Ansbacher Kreismanualakten. Der Ausmarsch umfasste drei Bataillone und eine Stabskompanie von zusammen 1.843 Köpfen und 105 Mann Stab und Artillerie. 1795/1796 folgten ein weiteres Infanteriebataillon, ein schwaches Jägerbataillon und drei Dragonerkompanien. BambergWürzburger Truppen im kaiserlichen Sold wurden nach Diskussionen als detachierte Korps der Kreistruppen betrachtet. 7 StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher Nr. 155 und, Fsm. Ansb., Kreismanualakten Nr. 204. 1733 nach Kriegsamtsrechnung 1733 (StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 77, fol. 28 v.).

250

Klaus Roider

Neben der Feldmiliz bestand die Stadt-Miliz, im Kern zwei schon vor 1681 existierende Infanteriekompanien mit einer Stärke von jeweils etwa 100 bis 130 Köpfen. Diese entwickelten sich spätestens um 1700 zu einer Art Invalideneinheit, zu der nicht mehr felddienstfähige Mitglieder des Kreiskontingents versetzt wurden. Bis gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts (1746 und 1763) ließ man die Kompanien aussterben, dafür entstand 1745 eine Invalidentruppe ohne Kompaniestruktur und Offiziere. In einer Stärke von 177 (1759/1763), schließlich (1800) nur noch rund 60 Köpfen übernahm sie die Funktion der Stadtkompanien und leistete Wachdienste wie die Feldmiliz. Rund 30 Einspänniger dienten als eine Art berittener Polizei, Stadtgarde und Repräsentationstruppe. Sie begleiteten etwa die Reichskleinodien nach Frankfurt, bildeten den feierlichen Rahmen bei patrizischen Hochzeiten und Begräbnissen, leisteten beim Rat Ordonnanzdienste, waren aber auch in handgreifliche Auseinandersetzungen mit Brandenburg-Ansbacher Amtsträgern bei der Durchsetzung strittiger Hoheitsrechte auf dem Landgebiet verwickelt. Sie ergänzten sich hauptsächlich aus dem Kavalleriekontingent und wurden in der Regel nur durch einen Wachtmeister kommandiert. Sporadisch finden sich dort allerdings auch Rittmeister oder Leutnante.8 Wenige gelernte Artilleristen, Feuerwerker und Büchsenmeister unterstanden dem Zeugmeister der Reichsstadt und hielten das Inventar des Zeughauses instand. Im Falle eines Reichskriegs traten sie in den Dienst des fränkischen Reichskreises, ohne jedoch Teil des Nürnberger Kontingents zu sein. Es gab Nürnberger mit Offiziersrängen bei Kreis und Reichsstadt, was zu Konflikten führen konnte. Die Artillerieoffiziere bilden eine eigene Gruppe aus Spezialisten und entfalteten bis auf den Zeugmeister im Frieden kaum Aktivitäten. Sie sollen daher hier außer Betracht bleiben. Insgesamt ist in Nürnberg im Frieden mit einer Truppenstärke von rund 1.000 Köpfen zu rechnen. In den letzten Jahren der Reichsstadt ging die Zahl dann allerdings zurück. Dieses Militär stand Wache, streifte auf dem Landgebiet nach Bettlern, Vagierenden und sonstigen Kriminalisierten, und diente ganz allgemein als obrigkeitliches Exekutivorgan, aber auch der Repräsentation von Herrschaft und der demonstrativen Ausübung des landesherrlichen ius armorum.

8 StAN, Rst. Nbg., Rentkammer Akten Nr. 1922, Dienstleistung derer… Individuen [1798] beschreibt die Aufgaben. Nicht mitgezählt die zehn versorgten Pensioniers, die lediglich die Bürgermeister begleiteten und sonst keine Dienste mehr leisteten, ebenso die pensionierten Einspänniger und Artilleristen.

Die Nürnberger Offiziere im 18.  Jahrhundert (1681–1806) 

251

Iststärken im Frieden9 Jahr

Reiter /  Dragoner Infanterie Stadt­miliz Kürassiere

Invalide

Gesamt Ein­ spänniger

1680

55





435





490

1700

115

112

428

221



31

907

1725

73

79

596

237



39

1.024

1750

73

58

751

100

56

31

1.079

1775

44

41

611



147

31

874

1800

6

6

306



59

19

396

Die Besoldung dieser Truppen machte beispielsweise 1700 rund 81.000 Gulden aus, 1725 73.000, 1750 78.000, 1775 52.000 und 1800 30.000 Gulden.10 Im Falle eines Reichskriegs lagen diese Kosten durch die Verstärkung des Kontingents und den höheren Feldsold mit rund 160.000 Gulden deutlich höher. Allein die Anwerbung der rund 3.700 Rekruten kostete im Spanischen Erbfolgekrieg rund 60.000 Gulden, die Anschaffung von 1.621 Pferden und 236 Ochsen nochmals 140.000 Gulden, im Siebenjährigen Krieg lagen die Ausgaben bei 22.000 Gulden Werbkosten für 1.989 Rekruten und 70.000 Gulden Anschaffungskosten für 683 Pferde.11 Die gesamten Aufwendungen der Reichsstadt für das Militär im weitesten Sinne sind ohne weitere Untersuchungen nicht verlässlich zu beziffern. Die erhaltenen Rechnungsserien verführen zwar zu einer einfachen Addition der Ausgaben, doch

9 StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher Nr. 155 sowie Ämterrechn. V Nr. 40–142, 197, 222, 260–280, 303, 327. Die Anzahl der Einspänniger fehlt 1800, dafür hier das Jahr 1799. 10 Ämterrechnungen wie Anm. 9. 11 Besoldungen aus den Kriegsamtsrechnungen 1701 bis 1714, StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 45–58, Titel Stadtkompanien, Kavalleriekompanien, Kriegskommissariat zur Bezahlung, Garnison Philippsburg. Abweichende Zahlen in StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher Nr. 155, wo das Kontingent zu den neuen Infanterieregimentern und wohl nicht spezifizierte weitere Kosten mit eingerechnet werden. Werbkosten und Pferde in den vorgenannten Rechnungen, Titel Hand- und Zuführgeld, Anritt- und Stiefelgeld, Erkaufte Pferde. Die Rekruten erhielten im Spanischen Erbfolgekrieg bei befristetem Dienstvertrag (Kapitulation) teilweise auch mehrmals Handgeld; die Anzahl ohne die neue Regimenter. In den Kosten sind meist auch Degen und Gehenk (á 3 fl.) enthalten. Siebenjähriger Krieg StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 100–107. Für das 17. Jahrhundert sind die Rechnungen nicht durchgängig erhalten, für den Polnischen Erbfolgekrieg ist die Rechnung von 1736 nicht zugänglich. 1793 wurde das ausmarschierende Kontingent aus den vorhandenen Kompanien gezogen.

252

Klaus Roider

sind aufgrund der Art der Rechnungsführung, Lücken und Umbuchungen umfangreiche Berechnungen erforderlich, um zu belastbaren Zahlen zu kommen.12 Das Bürgermilitär, 24 Kompanien innerhalb und drei bis fünf Kompanien außerhalb der Stadtmauern, zwei Kompanien Reiter und Artillerie mit den Stadthauptleuten und -lieutenanten, die den Wachdienst kontrollierten und die Bürgerwachtgelder abrechneten, bleibt unberücksichtigt. Ebenso der Ausschuss auf dem Lande.13

2. Familien Es erstaunt nicht, dass eine derart umfangreiche Truppe eine entsprechende hohe Zahl von Offizieren benötigte. Überschlägig können drei Offiziere in jeder Kompanie angesetzt werden, im Pfälzischen und Spanischen Erbfolgekrieg meist durch einen zusätzlichen Souslieutenant ergänzt. Bei den beiden Stadtmilizkompanien scheinen regelmäßig nicht mehr als je zwei Offiziere vorhanden gewesen zu sein. Im Pfälzischen Erbfolgekrieg ist (inklusive der oben bemerkten Nürnberger Dragonerkompanien) mit nicht ganz 50, im Spanischen mit um 60, im Polnischen nur mit 37 Offiziersstellen zu rechnen. Mit dem Siebenjährigen Krieg war die Zahl der Offiziere wieder auf über 40 gestiegen, um dann durch die Reduzierungen von Stadtkompanien, Kavallerie (wo man seit 1763 die Lieutenantsstellen nicht mehr neu besetzte) und schließlich auch Infanterie auf 22 im Jahr 1806 zu sinken.14 Ein Vergleich mit den für Mitglieder aus rats- und gerichtsfähigen Familien angemessenen Positionen in der reichsstädtischen Regierung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit macht die zahlenmäßige Bedeutung der Offiziersstellen deutlich.15 Im Jahre 1750 wurden dort 290 entsprechende Stellen besetzt. Allerdings beträgt durch Ämterkumulationen die Anzahl der Stelleninhaber lediglich 92. Dagegen stehen in diesem Jahr 37 Offiziersstellen, 39 wenn man Stadtmajor und Stadtlieutenant in der Vorstadt Wöhrd hinzurechnet.

12 Auch die Stadtrechnungen bieten wegen der darin gepflegten Art der Buchführung keinen Ersatz. Die Problematik behandelt bei Paul Sander: Die reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs: dargestellt auf Grund ihres Zustandes von 1431 bis 1440, Leipzig 1902, S. 286–333. 13 Zum Bürgermilitär: Willax, Verteidigungswesen (wie Anm. 3) und ders.: Bürgerausschuß und Feuergehorsam. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 75 (1988), S. 109–132. Speziell zu Bürgerkavallerie bzw. -artillerie Klaus Roider: Die Nürnberger Bürgerkavallerie im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Heereskunde Nr. 417 (2005), S. 118–124 und »Und schießte mit fünf Hasen-Schrot auf einmal sechs Franzosen todt«…, Nr. 447 (2013), S. 2–7. 14 Die Zahlen schwanken wegen der wechselnden Besetzung von Sous- und Capitainlieutenanten und der Zahl der Stellen bei den Stadtkompanien. 15 Zur Rats- und Gerichtsfähigkeit Peter Fleischmann: Rat und Patriziat in Nürnberg (=Nürnberger Forschungen 31), Nürnberg 2008, Bd. 1, S. 226–229. Als Basis für die Zivilstellen wurde der Nürnbergische Adress- und Schreibcalender, Nürnberg 1750 verwendet.

Die Nürnberger Offiziere im 18.  Jahrhundert (1681–1806) 

253

Die diesbezüglich recht gute Quellenlage macht es möglich, insgesamt 302 Offiziere zu identifizieren, die 1681 bis 1806 in Diensten der Reichsstadt Nürnberg standen und deren Karrieren mehr oder weniger exakt zu verfolgen. Dazu kommen noch 71 Volontaire oder Cadets, die eine Offizierslaufbahn anstrebten, doch, zumindest in Nürnberg, nicht erreichten. Aufgrund von Überlieferungslücken – schmerzlich bei den Subalternoffizieren der neuen Infanterieregimenter von 1703 bis 1714 und der Stadtmiliz des 17. Jahrhunderts – mögen nicht mehr als zehn Individuen fehlen.16 Immerhin ist so aber die Basis für einen ersten Versuch einer Prosopographie der Offiziere in den reichsstädtischen Truppenkörpern gegeben. Die Offiziere entstammen 141 Familien, von denen 112 lediglich einen oder zwei Offiziere stellten. Aus nur zwölf Familien andererseits kamen jeweils mehr als fünf Offiziere, zusammen 109 Individuen, also mehr als ein Drittel des Nürnberger Offizierskorps. Wenig überraschend führen acht ratsfähige Familien diese Spitzengruppe an. Sie kamen aus dem kleinen Kreis der Familien, die sich 1521 mit dem Tanzstatut abgeschlossen und sich die Stadtregierung vorbehalten hatten. Im eigener Einschätzung eine Stadtaristokratie, hatte man sich schon früh einer adelsmäßigen Lebensführung befleißigt – man denke etwa an die unter der Bezeichnung Gesellenstechen bekannten Turniere oder die Herrensitze auf dem Land. Mit dem 17. Jahrhundert gaben die Familien die Tätigkeit im Handel endgültig auf. Schließlich wurde den ratsfähigen Familien 1696/97 durch Kaiser Leopold I. ihre lange bestrittene Ebenbürtigkeit mit dem Adel bestätigt.17 16 Vgl. wegen der Quellen Anm. 3. Zwei nur mit Nachnamen bekannte Offiziere sind nicht mitgezählt. In der Frühzeit werden Volontaire oftmals nicht als solche, sondern nur mit einem Mannschaftsdienstgrad bezeichnet. Eine systematische Untersuchung der überschlägig 170 Nürnberger Musterlisten 1682/1683, 1691 bis 1697 und 1701 bis 1703 auf Volontaire steht noch aus. 17 Zu den ratsfähigen Familien und der Nürnberger Verfassung umfassend: Fleischmann (wie Anm. 15) und ders.: Demokratie für wenige? Die Nürnberger Ratsverfassung in der frühen Neuzeit. In: Ernst Otto Braunche / Peter Steinbach (Hgg.): Stadt und Demokratie (Stadt in der Geschichte 38), Ostfildern 2014, S. 23–46. Das Beispiel der Paumgartner bei Ina S­ chönwald: Die Patrizierfamilie Paumgartner auf Burg Grünsberg. Überlegungen zum Selbstverständnis des Nürnberger Patriziats im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts, Lauf 2001. Die Abweichungen gegenüber meinem Aufsatz Georg Christoph Oelhafen von ­Schöllenbach, Nürnberger Offizier und fränkischer General im Jahrbuch des Historischen Vereins von Mittelfranken 101 (2010/2012), S. 71–99, ergeben sich aus einem abweichenden Betrachtungszeitraum und erweiterter Kenntnis des Offiziersbestands. Kleinere Verschiebungen würden sich ergeben bei Einrechnen der Volontaire / Cadets oder Gewichtung nach Dienstjahren, wie sie Siegfried Müller in Kontinuität und Wandel der polit. Elite Hannovers im 17.  Jh. In: Europäische Städte im Zeitalter des Barock, Köln 1988, S. 223–269 vorschlägt. Doch ist im vorliegenden Zusammenhang das Faktum der Unterbringung von Familienmitgliedern im System »Militär« wichtiger als die von Zufälligkeiten abhängige Verbleibensdauer, zumal die mitunter nur mit dem Eintrittsjahr oder gar nur einer Ersterwähnung zu errechnenden Zeiten nur die Illusion exakter Zahlen geben würden.

254

Klaus Roider

Spitzengruppe der Nürnberger Offiziere stellenden Familien Status

Offiziere

Pez

gerichtsfähig 1731

6

Möck

Reichsadel 1760

6

Schreiber

pfälzischer Adel

6

Harsdörfer

ratsfähig

6

Viatis

gerichtsfähig 1730

7*

Tucher

ratsfähig

7

Fürer

ratsfähig

8

Haller

ratsfähig

10

Pömer

ratsfähig

10

Kreß

ratsfähig

13

Grundherr

ratsfähig

14*

Imhoff

ratsfähig

16

* Davon jeweils zwei kassiert.

Diese Familien verfügten auch über die absolut größte Zahl der das Kindesalter überlebender Söhne der Geburtsjahrgänge 1640 bis 1790. Die Imhoff standen an zweiter Stelle mit 69, die Kressen an erster mit 71 Söhnen. Die Ratsfähigen der Spitzengruppe hatten 20 bis 30 Prozent (die Grundherr 37 Prozent) ihrer Söhne in Nürnberger und nochmals zehn bis 15 Prozent in fremden Kriegsdiensten – inklusive der Volontaire. Auffallend abstinent waren die mit vielen Söhnen gesegneten Loeffelholz, Ebner und Holzschuher, die jeweils nur fünf Offiziere in Nürnberg stellten. Nur die Holzschuher glichen dies durch die hohe Zahl von 13 Söhnen in fremden Kriegsdiensten aus.18 Anhaltender, konkurrenzloser Beliebtheit erfreute sich dabei der kaiserliche Dienst, was bei einer Reichsstadt nicht verwunderlich ist. Mit Abstand folgten als Dienstherren Brandenburg-Preußen, Bayern und Hessen, die letzteren vor allem gegen Ende des Jahrhunderts. Ansonsten ging es geographisch weit gestreut nach Florenz, Polen, Dänemark oder Sachsen. Doch fehlen sowohl in der Spitzengruppe als auch überhaupt einige wichtige Namen: Nach den Behaim, Derrer, Groland, Gugel, Nützel und Schlüsselfelder sucht man vergebens. Die personelle Ausdünnung der ratsfähigen Familien im 17. und 18 Vgl. Johann Gottfried Biedermann: Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg…, Bayreuth 1748 sowie Georg Friedrich Wilhelm Volckamer: Johann Gottfried Biedermann’s Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1854.

Die Nürnberger Offiziere im 18.  Jahrhundert (1681–1806) 

255

18. Jahrhundert mag eine Rolle gespielt haben. Die genannten Familien starben zu Beginn des 18. Jahrhunderts aus, die Nützel 1747. Schließlich sah man sich gezwungen, neue Familien in den Kreis der Ratsfähigen aufzunehmen. 1729 wurden sechs, 1788 nochmals drei Familien kooptiert. Dass diese gezielt Söhne in das reichsstädtische oder fremde Militär schickten, um auf adelsmäßige »ritterliche Taten« verweisen zu können, ist nicht ersichtlich. So haben zwar die Praun »sehr zielstrebig und von langer Hand… gemeinsam mit den Woelckern ihre Aufnahme in das Patriziat vorbereitet«19, doch finden wir sie im Kriegsdienst nur im Sinne einer möglichen Alternative zur Tätigkeit als Juristen oder Verwaltungsbeamte. Die Woelckern fallen mit drei Vertretern ab 1780 auch zahlenmäßig nicht ins Gewicht. Im Gegensatz dazu waren die Viatis über vier Generationen ganz massiv im Militär der Reichsstadt vertreten, zogen ihren Antrag auf Ratsfähigkeit aufgrund Zweifels an ihrer noblen Herkunft und der hohen Kosten des Verfahrens aber zurück. Die Oelhafen hingegen, früher durchaus auch als Offiziere tätig, erscheinen in unserem Betrachtungszeitraum nur noch mit Georg Christoph, der es allerdings zum General bringt. Ebenso fallen die Peßler nur im 17.  Jahrhundert als Offiziere auf, lediglich Johann Wilhelm Peßler wurde 1734 Fähnrich, starb jedoch mit noch nicht 21 Jahren, und Johann Jacob Peßler wurde nach kurzem Dienst als Lieutenant 1712 Waagamtmann.20 Andere Faktoren waren für einen Aufstieg in die elitäre Gruppe der Ratsfähigen ebenso relevant, wenn auch kaum eine Familie alle Anforderungen erfüllte: adlige Herkunft, Konnubium mit dem Patriziat, keine bürgerliche Handelstätigkeit, Übernahme reichsstädtischer Ämter, allgemein eine Nähe zum Rat und nicht zuletzt ausreichendes Vermögen. Recht gering ist das Patriziat anderer Reichsstädte vertreten, soweit dies anhand der Namen festzustellen ist. Zudem kann man bei einigen Familien auch von Familienzweigen sprechen, die als Beamte, Pfarrer und Juristen auch in Nürnberg verwurzelt sind, so die schon im 16. Jahrhundert aus Ulm eingewanderten Schleicher, die auch in Rothenburg ansässigen von Geißendorf, genannt Größer, wohl auch die Rösch und die Raab aus Ulm.21 Bei anderen, beispielsweise den Rothenburger von Seyboth, den Ulmer Besserer oder den Nördlinger Frickinger handelt es sich nur um Einzelpersonen, die gewissermaßen zufällig in Nürnberger Diensten standen. Eine zweite Gruppe aus Familien, die jeweils drei bis fünf Vertreter in das reichsstädtische Militär entsenden, setzt sich aus 17 Familien mit 65 Offizieren zusammen. Hier finden sich neben weiteren Ratsfähigen, adlige und gerichtsfähige Familien. Für sie ist der Dienst im Nürnberger – oder fremden – Militär oftmals ausgesprochen 19 Fleischmann (wie Anm. 16), Bd. 2, S. 1177. Der Anteil von fünf von 25 Praun im Nürnberger Militär ist dazu höchst durchschnittlich. 20 Zu den Peßler vgl. StadtAN, E 56/VI, Familienarchiv Ebner Nr. 293. 21 Vgl. StadtAN, E 1/1564 Genealog. Papiere, Nr. 1 (Schleicher); E 1/410 Nr. 1 (Größer); E  1/1453 Nr. 1 (Rösch); sowie Karl Borchardt: Patrizier und Ehrbare: Die Wappen im Geschlechterbuch des Johann Friedrich Christoph Schrag (1703–1780) zu Rothenburg ob der Tauber, Rothenburg 2007.

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Klaus Roider

wichtig. Dies zeigt sich in den Genealogien, wo sich die Offiziere mitunter geradezu ballen, sei es horizontal in einer Generation, sei es vertikal über mehrere Generationen hinweg. Einige scheinen sich geradezu auf den Militärdienst spezialisiert zu haben; anders als bei den – auch weiter verzweigten – Ratsfähigen. Beispiele sind die Schreiber von Grünreuth und die von Geißendorf, wo über mehrere Generationen hinweg fast alle männlichen Familienangehörige in reichsstädtische oder fremde Kriegsdienste traten.22 Ganz anders die Ratsfähigen, die aber auch eine größere Auswahl standesgemäßer Beschäftigung – in der reichsstädtischen Regierung, Justiz und Verwaltung – haben. Bemerkenswert ist die unterschiedliche Heiratspraxis und Auswahl der Taufpaten im Militär. Ratsfähige Offiziere heiraten standesgemäß in der Regel Frauen aus anderen ratsfähigen Familien. Als Taufpaten der Kinder wählt man hier bevorzugt hochrangige Mitglieder ratsfähiger Familien aus. Offiziere sind hierbei unterrepräsentiert und wenig attraktiv. Die Praxis der Abgrenzung der ratsfähigen Familien setzt sich also offenbar auch im Militär fort, soweit es über den Dienstbetrieb hinausgeht. Die eigene Gruppe nimmt einen deutlich höheren Rang ein als irgendwelche Offiziere. Anders die Tendenz bei den gerichtsfähigen und adligen Offizieren. Geheiratet werden zwar ebenfalls Frauen möglichst hohen Rangs, doch haben diese häufig eine enge Beziehung zum Militär, nämlich Brüder oder Väter im Kriegsdienst. Nicht selten wurden Offizierswitwen gewählt. Als Taufpaten sind ranggleiche Kollegen oder deren Frauen Paten erster Wahl, wenn man nicht auf nahe Verwandte zurückgreift. Ein Extrembeispiel aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sind die Verbindungen des Hermann Hieronymus Pez (1745 Hauptmann, 1758 Obristwachtmeister). Er und seine zehn gerichtsfähigen oder adligen Kollegen inklusive des Artillerieobristen von Hartung bilden geradezu ein Netz von Patenschaftsbeziehungen. Zu den ratsfähigen Offizieren gelang es aber nicht, Verbindungen zu knüpfen: Einmal wegen deren im betreffenden Zeitraum geringen Zahl – und Subalternoffiziere sind keine Paten! – zum anderen, da diese gerade bei der Kavallerie vertreten sind, die zur Hälfte außerhalb der Stadt in Hersbruck und Lichtenau stationiert ist. Daneben sind die Kompanieinhaber zufällig etwa im gleichen Alter, was gegenseitige Patenschaften in einem bestimmten Zeitraum wahrscheinlicher macht.23 22 StadtAN, E 56/VI, Familienarchiv Ebner Nr. 372 (Schreiber) sowie StadtAN, E 1/410 Genealog. Papiere Nr. 1 (Größer). 23 Taufen der Kinder des Hermann Hieronymus Pez: Landeskirchliches Archiv der ev.-luth. Kirche in Bayern, Nürnberg, Kirchenbuch St. Sebald Nr. 32, S. 94 (Hieronymus, Georg Christoph), S. 96 (Dorothea Maria), Nr. 13, S. 508 (Rebecca Maria), S. 647 (Ehrenfried Christan Heinrich), S. 714 (Friedrich Hannibal) und S. 774 (Georg Friedrich). Des Georg Friedrich Murr: St. Sebald Nr. 13, S. 877 (Friedrich Hannibal), S. 738 (Helena Catharina), S. 787 (Hermann Hieronymus), S. 827 (Hermann Hieronymus), Nr. 14, S. 103 (Helena Sabina). Des Nicolaus Christoph Schreiber: St. Sebald Nr. 32, S. 96 (Friedrich Hannibal), S. 103 (Philipp Jacob) und S. 113 (Sabina Barbara Friderica). Genannt nur, soweit Offiziere, deren Frauen oder Töchter Paten sind.

Die Nürnberger Offiziere im 18.  Jahrhundert (1681–1806) 

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Im Längsschnitt ist der Anteil der ratsfähigen Offiziere bei der Infanterie am Ende des 17.  Jahrhunderts mit etwas über der Hälfte noch recht hoch, um gegen 1730 kontinuierlich zu sinken und dann wieder nicht ganz auf das alte Niveau anzusteigen. Ausgeglichen wird dies in den Jahren um 1730 vor allem durch Offiziere ohne Adelsprädikat und die Gerichtsfähigen. Letztere machten schließlich ein Drittel bis zwei Fünftel des Offizierskorps aus. Der Anteil des Adels, zunächst ein Drittel bis ein Viertel, verringert sich kontinuierlich, um zum Ende des 18. Jahrhunderts bedeutungslos zu werden. Ganz anders sieht es bei den Kavalleriekompanien aus. Selten stellen die ratsfähigen Familien weniger als 40  Prozent der Offiziere, lediglich im Siebenjährigen Krieg haben die anderen Familien – zu nennen sind die Möck und die Schreiber – sie kurzfristig überrundet. Das höhere Ansehen der Reiterei dürfte sich hier ausgewirkt haben. Adlige, anfangs noch ein Fünftel der Offiziere, gehen um die Mitte des Jahrhunderts zurück. Erstaunlich ist der hohe Anteil von einem Drittel bürgerlicher Kavallerieoffiziere im Spanischen Erbfolgekrieg. Danach können sie gerade einmal eine Quote von einem Sechstel halten. Für die letzten Jahre lassen sich angesichts der geringen Zahl der Kavallerieoffiziere keine sinnvollen Aussagen treffen. Insgesamt sicherten sich die ratsfähigen Familien immer ein Drittel bis die Hälfte der Offiziersstellen. Der Rückgang im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts wird durch Gerichtsfähige aufgefangen, die im weiteren Verlauf ein Viertel bis ein Drittel der Offiziere stellen. Dies geht massiv auf Kosten des sonstigen Adels, der schließlich ganz verschwindet. Bürgerliche Offiziere schließlich haben ihre große Zeit im Spanischen Erbfolgekrieg und den zwei Jahrzehnten danach, um dann von den anderen Gruppen verdrängt zu werden. Eine nähere Betrachtung erlaubt Aussagen über die Chancen der einzelnen Personengruppen. Ausgangspunkt ist die Verteilung der Offiziere auf ratsfähige – rund 39 Prozent, gerichtsfähige – 10 Prozent, andere adlige – 22 Prozent und bürgerliche – 28  Prozent – Familien. Bei den Generalen stehen drei Offiziere aus ratsfähigen Familien dreien aus gerichtsfähigen gegenüber. Unter den Stabsoffizieren finden wir die Ratsfähigen mit 51 Prozent stark über- und die Bürgerlichen mit 14 stark unterrepräsentiert. Umgekehrt ist die Situation bei den Offizieren, die nur Subalternränge – Capitainlieutenant, Lieutenant, Fähnrich, Cornet – erreichten. Hier stellen ratsfähige und bürgerliche Familien je rund ein Drittel. Dies sind jedoch bloße Titel. Interessant wird die Untersuchung der Kompanieinhaber. Hier reduzieren sich die Unterschiede in Richtung auf die Anteile an der Gesamtheit der Offiziere: ratsfähige sind mäßig überrepräsentiert mit rund 43 Prozent, gerichtsfähige und bürgerliche unterrepräsentiert mit 14 und 21 Prozent. Voreilige Schlüsse aus diesen Zahlen sind jedoch nicht angebracht. Die Beförderungen erfolgten, wie oben bereits bemerkt, nach Dienstalter. Durchbrechungen dieses Prinzips sind nicht ersichtlich, die Karrieren von den Zufällen der Sterblichkeit und der Kriege abhängig. Der einzige Effekt von Bedeutung mag der hohe Rang von ratsfähigen Quereinsteigern des späten 17. Jahrhunderts sein.

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3. Karrieren Grundsätzlich begann ein Nürnberger Offizier seine Karriere als Volontair beziehungsweise Cadet. Letzterer bürgerte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als eigener Rang ein, während die Volontaire formal einen Mannschaftsdienstgrad führten  – wenn sie auch in den Mannschaftsrängen recht schnell befördert wurden. Mitunter tauchen die künftigen Offiziere auch in der Primaplana auf, etwa als ­Fourier oder Quartiermeister. Ein Quereinstieg in das Nürnberger Offizierskorps war nur ausnahmsweise möglich. Denn ein Einschieben in das System der Kompanien mit ihrem Anciennetätsprinzip hätte den bereits vorhandenen Offizieren eine Beförderungsmöglichkeit genommen. Fremde Offiziere, die auf der Durchreise in Nürnberg um Dienste ansuchten, hatten keine Aussicht auf Übernahme und erhielten lediglich ein Viaticum. Nur bei größerem Bedarf aufgrund von Veränderungen in der Struktur hatten Quereinsteiger eine Chance: 1681 massiv mit der Neuerrichtung des Kontingents, 1691 mit den zwei neuen Kreisregimentern, 1701 und 1703 mit der Einrichtung je einer weiteren Kompanie und 1703 mit den oben erwähnten vier, allerdings kurzlebigen, neuen Kreisregimentern. Bei den Neuzugängen handelte es sich fast ausschließlich um Mitglieder ratsfähiger Familien. Immerhin brachte mindestens die Hälfte der Neueingestellten Erfahrungen aus fremden Kriegsdiensten mit. Zu Beginn des Spanischen Erbfolgekriegs konnte der Bedarf fast vollständig durch eigene Offiziere oder Volontaire gedeckt werden.24 Es ist bezeichnend, wo Reimporte aus fremden Diensten sonst unterkamen. Sie wurden typischerweise Offizier bei den Einspännigern oder Stadthauptmann oder -lieutenant. Posten also, die nicht durchgehend besetzt waren und die man nutzte, um solche Zugänge unterzubringen. Der aus venezianischen Diensten zurückkehrende ehemalige Nürnberger Volontair und nunmehrige Stückhauptmann Johann Leonhard von Welsch beispielsweise wurde 1770 Stadtmajor und Artillerieobrist, letzteres eine nur für ihn eingerichtete Stelle, denn einen Artillerieoffizier hatte man ja bereits mit dem Zeugmeister und Artillerieobristen (!) Johann Paul Thomas Edel. Daneben gab es weitere Nürnberger mit Rängen bei der fränkischen Kreisartillerie. »Quoniam vero cupiditate mira rei militaris ardebat; corporis exercitationibus simul vacavit, bellique artibis mature imbutus est.«25 In diesen und ähnlichen formelhaften Aussagen erschöpfen sich die am Grabe gehaltenen Standreden, Lebensbeschreibungen in Geschlechterbüchern und teilweise vom Betroffenen zu Lebzeiten

24 1703 bleibt die Herkunft zweier Fähnriche dunkel; der Hauptmann Georg Jeremias Imhof kam aus kurpfälzischen Diensten. 25 Johann Christoph Gatterer: Historia genealogica dominorum Holzschuherorum…, Nürnberg 1775, S. 185 (zum Obristen, Senator, Scholarchen und Administratoren der Familienstiftung Burkhard Sigmund Holzschuher (1673–1744)).

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verfassten Lebensläufe wenn es darum geht, die Motivationslage für den Offiziers­ beruf darzulegen. Nur in Einzelfällen können wir die »glühende Begier« zum Militär näher untersuchen, da weitergehende Ego-Dokumente in der Regel fehlen. Die Attraktivität des Nürnberger Diensts dürfte, was das Prestige der Reichsstadt betrifft, gering gewesen sein, man war natürlich keine Konkurrenz zum Kaiser. In der Reichsfestung Philippsburg, wo es eine gemischt kaiserlich-fränkische Garnison gab, beanspruchten beispielsweise die kaiserlichen Offiziere immer den Vorrang, auch wenn sie gerade nicht dienstälter als ihre fränkischen Gegenüber waren.26 Familientradition mag in einigen Fällen eine Rolle gespielt haben, auch in der Orientierung auf die ja besser angesehene Kavallerie. So war zum Beispiel von 1702 bis 1804 immer ein Kreß und von 1702 bis 1800 immer ein Fürer Kavallerieoffizier. Dafür sind diese Familien bei der Infanterie nur wenig vertreten, die Kreß in der ersten, die Fürer in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Ähnliches gilt von 1691 bis 1793 für die 1760 geadelten Möck, die seit 1726 auffallend mit den beiden Nürnberger Dragonerkompanien und deren langjährigen Standort Lichtenau verbunden sind. Mitunter scheint der Dienst im Militär geradezu einzige in Betracht kommende Möglichkeit zu sein: So zu beobachten bei den Mitgliedern der carolinischen Linie der Grundherren, die im Schatten der leonhardischen stand und Vermögen und Einfluss entbehrte. Der älteste Sohn gelangte in der Regel in die reichsstädtische Verwaltung, die übrigen gingen zum Militär, sei es in Nürnberger oder fremdes, bevorzugt kaiserliches.27 Die oben bemerkten Ballungen von Militärs in den Genealogien einiger gerichtsfähiger und adliger Familien mögen auch hierhergehören. Finanzielle Erwägungen scheinen bei den einzigen beiden Welsern in unserer Liste auf. Johann Carl Joachim Welser war angeblich gegen seinen Willen und nur dem Rat wohlmeinender Freunde folgend ins Militär eingetreten, sein Bruder Carl Sigmund ihm nur aus Bruderliebe gefolgt. Wir wissen allerdings, dass beider Vater überschuldet war. Die Waldstromer waren zwar hoch angesehen, doch wenig vermögend, so dass ihre (im 17. und 18. Jahrhundert wenigen) Söhne häufig Kriegsdienste nahmen. Auch die Söhne des nicht wohlhabenden Christoph Andreas II. Harsdörffer traten bevorzugt ins Militär ein: Christoph Andreas III., Paulus X. und Christoph Benedict. Sigmund Christoph konnte nach einer kurzen Zeit als kursächsischer Lieutenant in Nürnberg Schöffe werden und in den Rat kommen, ebenso wie zwei seiner Brüder, Christoph Willibald und Christoph VII.28

26 StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 295 (55), Relation Baumgartner vom 12.6.1742. Die Kaiserlichen sind hier die Bayern des Wittelsbachers Carl VII. 27 Die allgemeine Einschätzung Fleischmanns (wie Anm. 15), Bd. 2, S. 484, mit Bezug auf Vertretung im Rat bestätigt sich also bei einem Blick auf Genealogie und Offizierschargen. 28 Fleischmann (wie Anm. 15), Bd. 2, S. 545–566, hier S. 564 f. Genealogie bei Biedermann (wie Anm. 18), Taf. CLIX.

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Zwei Schreiber, Georg Alexander und Georg Christoph Alexander, Vater und Sohn, haben in der Schule nicht den erwünschten profectus gezeigt, so dass sie deswegen (!) zum Militär gingen.29 Auf welche Weise Volontaire im Einzelnen rekrutiert wurden ist nicht ersichtlich. Das Kriegsamt entschied jedenfalls über deren Einstellung und achtete darauf, die Anzahl nicht zu hoch werden zu lassen. Zwar konnten Mitglieder ratsfähiger Familien bei den gleichfalls patrizischen Kriegsherren mit Wohlwollen rechnen, doch hinderte dies nicht, dass das Kriegsamt Missbräuche abzustellen suchte. Die Beförderung junger Cadeten zu Gefreiten und Corporalen erfolge gar zu schnelle, monierte man. Auch waren Annahme und Soldzahlung erst möglich, wenn sie das 14. Lebensjahr erreicht, kommuniziert hatten und überhaupt auch Dienst leisten würden. Und zwar letzteres persönlich und nicht durch einen bezahlten Ersatzmann.30 Denn es finden sich nicht wenige Fälle, in denen unter Zehnjährige bereits in Kompanien standen. Normal war allerdings ein Eintrittsalter von 14 bis 20 Jahren. Der jüngste bisher zu identifizierende Volontair ist mit fünf Jahren und vier Monaten Jacob Christoph Joachim Wilhelm Imhoff, Sohn des Stadtobristen Johann Wilhelm Imhoff. Er hat wohl erst einige Jahre später wirklich Dienst getan. Selbst bei offenkundig mangelnder gesundheitlicher Eignung standen die Chancen bei entsprechender Herkunft und Protektion gut, als Cadet angenommen zu werden. So war man im Kriegsamt zwar beim Wunsch des Obristlieutenants Gottlieb Wilhelm von Möck, Johann Christoph Wilhelm, den Sohn seines verstorbenen Bruders, des Hauptmanns Friedrich Philipp Wilhelm, als Cadet anzunehmen der Meinung, »dass dieser junge Mensch, in Ansehung seiner Gesundheits- und sonstigen cörperlichen Umstände, zu Kriegs Diensten nicht wohl tüchtig seye, für selbigen aber weit vertraeglicher seyn doerffte, wenn er zu einem anderen metier gezogen werden würde.«31 Doch auf weiteres Bitten des Obristlieutenants wurde sein mittelloser 15 jähriger Neffe dann doch angenommen. Formal zunächst Cadet einer Infanteriekompanie, tat er in Lichtenau Dienst, wo sein Onkel Pfleger und Kommandant war. Er endete schließlich als Secondelieutenant und Interimskommandant 29 Zu den Welser Johann Friedrich Stoy in der Stand-Rede vor der Altadeligen ErbGruft des wohlgeborenen Herrn Johann Carl Joachim Welser… gehalten (Familienarchiv Welser, F 925) und in der Stand-Rede vor Der Alt-adelichen Erb-Gruft des wohlgebohrnen Herrn Carl Sigmund Welser… gehalten (ebd. F 931). Dargestellt in Klaus Roider: Parallele Leben. Die kurzen Karrieren zweier Welser im Nürnberger Militär. In: Zeitschrift für Heereskunde Nr. 460, April / Juni 2016, S. 58–61. Die Waldstromer bei Fleischmann (wie Anm. 15), Bd. 2, S. 1069–1074. Schreiber: Stadtbibliothek Nürnberg, Gen S 89,2, Christlicher Lebens-Lauff des Hochedelgeboren, Herrn Georg Alexander Schreiber… und Gen S 89,5, Rede vor der Gruft S. T. Herrn Georg Christoph Alexander Schreiber… Der Vater (1672–1726) brachte es bis zum Obristwachtmeister, der Sohn (1712–1746, Tod nach Reitunfall) endete als Lieutenant. 30 StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 102, S. 608 f., 9.11.1780, 5 und StadtAN, B 6, Kriegsamt Nr. 268, 9.8.1790. 31 StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 102, S. 183, 29.4.1779, 3.

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der Festung. In anderem Zusammenhang schildert er seine nach dem Tod des Onkels prekäre finanzielle Lage. Er komme mit Besoldung, Brotportion, Holzdeputat und Nutzung kleiner Gärtchen auf dem Lichtenauer Festungswall gerade einmal auf 170 bis 180 Gulden und müsse auch Geschenke von Metzelsuppe, Butter und Gemüse von Lichtenauer Bürgern annehmen.32 Ähnlich ging es 1784 bei Rudolph Christoph Veit Holzschuher zu, der bekanntermaßen seit seiner Jugend kränklich war. Trotzdem hatte dessen Vater Veit Carl, Pfleger von Velden, Erfolg und konnte seinen Sohn durch den Stadtgerichtsassessor und Pfleger des Stadtbergfrieds Georg Christoph Wilhelm Kreß beim Kriegsamt zur Vereidigung vorstellen lassen. Rudolph Christoph Veit wurde 1784 im Alter von nicht ganz 16 Jahren wenn auch nicht wie gewünscht in die Kavallerie, so doch in die Infanteriekompanie seines weitläufig Verwandten Carl Christoph Sigmund Holzschuher aufgenommen.33 Kriegerische Zeiten schreckten keineswegs davon ab, sein Glück als Volontair zu versuchen. Im Gegenteil, es nahmen während des Spanischen Erbfolgekriegs mindestens 33 Volontaire den Dienst auf, während des Siebenjährigen Kriegs 29. So weit ersichtlich, kann sogar davon ausgegangen werden, dass der Zulauf in Kriegszeiten eher noch größer war als im Frieden. Das erhöhte Risiko nahmen die Volontaire und ihre Anverwandten offenbar in Kauf. »Nun ist aber fast das einzige, so von einem Cavallier oder Officier im Krieg gesuchet wird, sich befördert und zu höhern Chargen employirt zu wißen«34 erklärte 1703 der Bamberger Grenadierobristwachtmeister Albrecht Dietrich Truchseß von Wetzhausen. Und die Volontaire nahmen auch wirklich an den Feldzügen teil. In den Musterlisten der Nürnberger Kompanien aus dem Feldlager bei Fürth vom August 1757 erscheinen ihrer zehn, der jüngste von ihnen und zugleich der jüngste seiner Kompanie der fünfzehnjährige Carl Sigmund Ferdinand Wilhelm von Furtenbach. Wie spätere Musterlisten zeigen, marschierten sie auch wirklich mit ihren Kompanien aus.35 Für den Volontair galt es nun, eine mehr oder weniger lange Durststrecke zu überwinden. Denn die Beförderungen erfolgten nach Dienstalter und erst wenn ein höhere Stelle frei wurde, konnte der Dienstälteste nachrücken. Jeder Offizier war in 32 StAN, Rst. Nbg., Rentkammer, Akten Nr. 138, Schreiben vom 6.9.1802. 33 StadtAN E 49 III Nr. 3, Geschlechterbuch (unpaginiert, im Scan Nr. 155 und 156, hier 156) und StAN, Rst. Nbg., Nr. 104, S. 344, 8.3.1783, 2. und S. 357 f., 26.3.1784, 3. Möck setzte sich erfolgreich auch für Friedrich Gottlieb Christian von Valentini, den Sohn seines Schwagers, ein (Nr. 102, S. 475, 11.8.1780, 5.). 34 StAN, Rst. Nbg., KTA Nr. 135 (539). Eine Generalmajorsgage hätte er ohnehin nicht erhalten. 35 StABa, Fränk. Kreis, Kreisarchiv Nr. 1976 und 1977. Auffallend, dass allein vier von ihnen bei der Kompanie Georg Christoph Oelhafens standen, dem an anderer Stelle (Familienarchiv Welser, F 925, Stand-Rede) im Umgang mit der Jugend besondere Umsicht hinsichtlich »Sitten, Fleiß und Ordnung« zugeschrieben wird. Furtenbach (1742–1825), 1759 Fähnrich, wurde 1806 als charakterisierter Major von Bayern pensioniert.

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seiner Karriere also abhängig von den Zufällen des Glücks, etwa der Langlebigkeit seiner höherrangigen Kameraden. Einer Professionalisierung stand dieses Verfahren nicht im Wege, wurde doch der Offiziersberuf bis ins 18.  Jahrhundert als ein Metier angesehen, das zuallererst durch Erfahrung zu erlernen war. Mit der Absolvierung der einzelnen Ränge der vorgegebenen Karriereleiter erwarb sich der Offizier im Idealfall die jeweils erforderlichen Kenntnisse. Nicht umsonst enthalten Reglements der Zeit regelrechte Aufgabenbeschreibungen vom Corporal bis zum Obristen. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts fand ein Studium an Kriegsakademien und ähnlichen Einrichtungen Verbreitung. Nur in einem einzigen Fall ist von Nürnbergern der Besuch einer Kriegsschule belegt. Der Cadet Carl Christoph Alexander von Peller ging 1782 mit Erlaubnis des Kriegsamts an die Kriegsakademie in Mannheim.36 In einigen Fällen sind Zeiten als Volontaire in einer zweiten Bedeutung des Wortes  – »die sich zur Armee verfügen, um die Operationen mit anzusehen«37– bekannt. Johann Sebastian Haller konnte noch als Hauptmann mit Genehmigung und finanzieller Unterstützung des Rats 1717 »wider den Christl. Erb-Feind die Türcken«38 nach Ungarn gehen. Seine Söhne nahmen in gleicher Eigenschaft an der Schlacht von Dettingen teil. Der Stückhauptmann Friedrich Hannibal von ­Hartung versuchte sich im Österreichischen Erbfolgekrieg ebenfalls als Volontair, hatte jedoch das Pech, zur fachlich interessanten Belagerung von Bergen op Zoom zu spät zu kommen. Carl Christoph Sigmund Holzschuher schließlich wechselte 1744 für fast zwei Jahre aus Nürnberger in kaiserliche Dienste, um den Italienfeldzug mitzumachen. Als kaiserlicher Fähnrich zurückgekehrt erhielt er umgehend denselben Rang in Nürnberg.39 Eine Grand Tour gehörte für den Herrn von Stand ohnehin zur Allgemeinbildung und Initiation in die Gesellschaft. Grenzen setzten hier nur die finanziellen Möglichkeiten der Familie. Konnte Georg Christoph von Oelhafen eine Reise nach Italien, Frankreich, die Niederlande und an den Rhein entlang – wo es Festungen zu sehen gab – unternehmen, musste sein fast gleichaltriger Kollege Hermann H ­ ieronymus Pez darauf verzichten. Auch ein kurzes Studium war üblich, allein in der Altdorfer Matrikel sind 70 spätere Offiziere verzeichnet. Angehende Artilleristen wurden oft 36 StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 103, S. 147, 2.1.1782, 4.  Möck wurde 1785 Bataillonsfähnrich und endete als bayerischer Oberlieutenant. 37 Anton Eberhard Schertel von Burtenbach: Vermischte Beyträge zur Kriegswissenschaft, Frankfurt / L eipzig 1778, Abschnitt Von den Volontairs, S. 134–142, hier S. 134 f. Schertel war fränkischer General und ein produktiver Militärschriftsteller. 38 Hallers Supplik: StAN, Rst. Nbg., Losungamt, gebündelte Stadtrechnungsbelege Nr. 1246. 39 Haller nennt als Kontaktmann den kaiserlichen General Georg Wilhelm Loeffelholz. Seine Söhne lt. Franz Willax: Johann Sebastian Haller von Hallerstein (1684–1745), in: Genealogie Bd. 25, Heft 9–10, S. 332. Hartungs Supplik und Rechtfertigung StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 325 (78) und (89). Holzschuher (1768–1848) in StadtAN Familienarchiv Holzschuher E 49 III Nr. 3 (unpaginiertes Geschlechterbuch). Er ist in diesem Geschlechterbuch als ungarischer Lieutenant portraitiert, kurioserweise in unpassend hohem Alter.

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von den Zeugmeistern und der Stadt gefördert und konnten ebenfalls Festungen besuchen.40 Die durchschnittlichen Wartezeiten auf Beförderungen sind, nach zwei Stichproben zu schließen, im Laufe des 18. Jahrhunderts angestiegen. Hatte ein um 1710 geborener Fähnrich nach elf Jahren mit dem Hauptmannsrang rechnen können, musste er sich 40 Jahre später 23 Jahre gedulden. Dabei war die Varianzbreite beträchtlich, wie nachstehende Tabellen zeigen. Hier schlagen die schon angedeuteten Zufälle auf die Karriereaussichten durch. Für die Älteren erwiesen sich die Beförderungen des Siebenjährigen Kriegs als positiv: Man hatte Ersatz für gefangene Offiziere gebraucht und am Ende des Krieges auch noch aus Gnaden alle Obristen zu Generalmajoren gemacht. Die Besoldung ist allerdings eine andere Frage. Wartezeiten auf Beförderungen, Geburtsjahre 1706 bis 1716. Gerundet auf ganze Monate. Rang

Durchschnitt

Volontair-Fähnrich Fähnrich-Hauptmann Hauptmann-Obrist

Varianzbreite

Kavallerie

Infanterie

Kavallerie

Infanterie

47

66

24*–116

25–138

165

130

136–247

101–153



253



173–325

* In einem Fall nur ein Monat.

Wartezeiten, Geburtsjahre 1745 bis 1755. Rang

Durchschnitt Kavallerie

Volontair-Fähnrich Fähnrich-Hauptmann

Infanterie

Varianzbreite Kavallerie

Infanterie

77

103

72–82

49–128

177

279

156–198

215–320

Die Nürnberger Offiziere wechselten selten in fremde Dienste. Nicht einmal 15 von ihnen wählten diesen Weg, die meisten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die geringe Zahl ist nicht verwunderlich, war es für einen Nürnberger als homo novus nicht unbedingt leichter als für einen auswärtigen Offizier in Nürnberg, in ein fremdes Offizierskorps aufgenommen zu werden. Von den 20 Volontairen, die das Nürnberger Militär verließen, traten allein elf in die kaiserliche Armee ein. Hier fällt 40 Oelhafen: Christian Heinrich Seidel: Gedächtnisrede bei der Gruft des… Georg Christoph Oelhafen…, Nürnberg 1780 (StadtBN, Gen O 25, 99). Zu den Altdorfer Studenten vgl. Elias von Steinmeyer: Die Matrikel der Universität Altdorf, Würzburg 1912.

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die ungleichmäßige zeitliche Verteilung besonders auf, wechselten doch drei Viertel von ihnen im letzten Viertel des Jahrhunderts den Dienstherrn. In den letzten beiden Jahrzehnten entsteht der Eindruck, dass die mit vielen Söhnen gesegneten Familien Fürer und Imhoff verstärkt Cadeten im kaiserlichen und preußischen Dienst untergebracht und versorgt haben. Mehrfach ist von Desertion, zweimal gar in fremde Dienste, die Rede. Der Cadet Christoph Wilhelm von Möck, der 1772 in den preußischen Dienst entwich, konnte bei seiner Rückkehr nach Nürnberg immerhin nachträglich einen ordentlichen Abschied erreichen.41 Das System der Anciennetät setzte sich für die Feldmiliz oberhalb der Kompanieebene bei den Stabsoffiziersrängen beim Kreis fort, wo ja die Regimenter für die Reichsarmee zusammengestellt wurden. So hatten die Offiziere aller Kreisstände gleichermaßen die Chance, lukrative höhere Ränge zu erreichen. Durchbrechungen dieser Verfahrensweise gab es allerdings. »[Es] kommt mir unbegreiflich vor, warum die in dem fränkischen Bezirk gebohren werdende junge Printzen und Grafen die rasende Begierde mit sich auf die Welt bringen gleich im 16t oder 17t Jahre angesehene Kriegshelden zu seyn,«42 so der Würzburger Anton Eberhard Schertel von Burtenbach, ein Opfer jung in höhere Ränge eingesetzter Prinzen regierender Häuser. Unter den Nürnbergern gab es einen eklatanten Fall. Als 1737 mit dem Tod Generalmajor Philipp Caspar von Linsingens die Inhaber- und Generalmajorsstelle des Kreisdragonerregiments frei wurde, hätte dienstaltersgemäß der Obrist Jobst Christoph Kreß nachrücken müssen. Doch seine 42 Dienstjahre erwiesen sich als nicht ausreichend gegenüber den reichskundigen Verdiensten des Hauses Brandenburg-Ansbach, das den nicht ganz 13 Monate alten zweiten Prinzen Carl Alexander bedacht sehen wollte. Er kam schließlich zum Zuge, für Kreß blieben die Funktion des Kommandeurs und die Emolumente aus dem Regiment, nicht aber eine Beförderung und die prestigeträchtige Inhaberschaft.43 Trotz der recht schematischen Beförderungssystematik nach Dienstalter war die Altersstruktur der Offiziere der Nürnberger Feldmiliz in den Reichskriegen gut. Wirft man einen Blick auf das Lebensalter der Infanterieoffiziere bei Kriegsbeginn, findet man zwar naturgemäß unter den Stabsoffizieren die ältesten mit 44 bis 56 Jahren. Die Hauptleute sind 26 bis 51 Jahre alt, Lieutenante 22 bis 40, mit einigen Jahren Unterschied zwischen Lieutenanten / Premierlieutenanten und Sous-/ Secondelieutenanten. Bataillonsfähnriche / Fähnriche liegen bei 15 bis 27 Jahren. 41 Möck in StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 102, S. 475, 11.8.1780, 5.; sein Onkel, der Obristlieutenant Gottlieb Wilhelm, interzedierte für den nunmehrigen preußischen Secondelieutenant. 42 StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 374 (74), Schertel am 9.3.1758. 43 Der Fall Kreß aus Ansbacher Perspektive in StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 286b (1) bis (46). Der spätere Markgraf Carl Alexander resignierte das Regiment erst 1792 (StAN, Fsm. Ansb., Kreismanualakten Nr. 167, 5.10.1792). Kreß (1678–1746) war als Volontair in eine Infanteriekompanie eingetreten und 1702 Fähnrich in einer Dragonerkompanie geworden.

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Eine Ausnahme unter letzteren ist Christoph Michael Haller, der 1757 mit noch nicht 13 Jahren aufgrund der Verdienste seines Vaters supranumerarer Bataillonsfähnrich wurde. Offiziere der Kavallerie sind grundsätzlich fünf bis zehn Jahre älter als diejenigen der Infanterie.44 Echte Aufsteiger aus den Mannschaftsdienstgraden gab es zwar. Doch hatten sie, nicht zuletzt altersbedingt, keine Chance auf höhere Ränge. In der Regel endeten sie als Adjutanten mit Lieutenantstitel oder Stadtlieutenante. Lediglich zwei, Johann Sebastian Kolb und Johann Friedrich Kündinger, brachten es zum Hauptmann und Kompanieinhaber. Allerdings handelte es sich um Kompanien der Stadtmiliz, und dies zu einer Zeit, als es sich bei diesen schon um eine Art Invalidentruppe handelte.45 Die Beförderungspraxis bei den beiden Stadtmilizkompanien ist undurchsichtig und jedenfalls nicht in das Anciennetätssystem der Feldmiliz eingebunden. Subalternoffiziere stiegen nach Dienstalter innerhalb der Kompanien auf, bei den Beförderungen der Kompanieinhaber zu Stabsoffiziersrängen handelte es sich vermutlich um aus Gnaden verliehene Titel, zumal eine Erhöhung der Besoldung nicht erfolgte. Für Offiziere aus ratsfähigen Geschlechtern blieb der Wechsel in die reichsstädtische Regierung oder Verwaltung immer eine Option. Bei Ferdinand Sigmund Kreß beispielsweise liegt nahe, dass er nach Auflösung seines Supranumerarregiments 1714 ohne Kompanie und Besoldung dastand und eine neue Einkommensquelle, zumindest aber standesgemäße Beschäftigung brauchte. Er wurde nacheinander Pfleger der Ämter Hohenstein, Hilpoltstein und Gräfenberg. Seine umfangreiche Kriegserfahrung – er hatte an den großen Schlachten und Belagerungen des Spanischen Erbfolgekriegs teilgenommen  – verschaffte ihm daneben eine Stabsoffiziersstelle beim Nürnberger Landausschuss. Für Subalternoffiziere dürfte die lange Wartezeit auf die erste halbwegs lukrative Stelle als Hauptmann und Inhaber einer Kompanie, also finanzielle Gründe, eine Resignation und eine zivile Karriere attraktiv erscheinen zu lassen. Aber auch höhere Ränge, unter ihnen fünf Kompanieinhaber, haben sich ökonomisch wohl zumindest nicht schlechter gestellt. Der Obristwachtmeister Carl Volckamer etwa wurde Pfleger in Lauf. Am weitesten von den ehemaligen Soldaten brachte es Johann Wilhelm 44 Betrachtet wurden die Jahre 1682, 1703, 1733, 1757 und 1793 und dabei 145 Offiziere (ohne die Supranumerarregimenter von 1703/14). Durchschnitt (Infanterie) der Stabsoffiziere 49 Jahre, Hauptleute 41, Lieutenante 31, Fähnriche 18. Für die Kavallerie 55, 51, 42 und 27 Jahre. Das Alter von 33 Offizieren (Lücken insbesondere 1733 Infanterie, 1703 Kavallerie) konnte nicht ermittelt werden. Haller StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 30/1, 5.4.1757. Er wurde am 22.11.1744 geboren, sein Vater Georg Michael war 20 Jahre lang Nürnberger Kriegsrat gewesen. 45 Kolb wurde Gemeiner 1694, Feldwebel um 1701, Lieutenant vor 1707, Stadtlieutenant in Wöhrd 1717, Hauptmann und Kompanieinhaber 1727. Er starb wohl um 1731. Kündinger, getauft 2.1.1663, Gemeiner 1682, Feldwebel und Adjutant um 1703, Fähnrichstitel 1704, Hauptmann und Kompanie 1733, gestorben 1742. Das Epitaph Kündingers ist auf dem Historischen Militärfriedhof erhalten.

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Imhof. Als Septemvir gehörte er schließlich zum inneren Zirkel der reichsstädtischen Regierung. Überlegungen, einen Vertreter der Familie strategisch zu platzieren mögen bei ratsfähigen Offizieren zusätzlich eine Rolle gespielt haben. Im höheren Alter mochte eine Zivilbedienung dazu vielleicht geruhsamer, sicher aber gefahrloser, auch absehbar länger auszuüben sein als eine Offizierscharge. Erwähnt müssen allerdings auch mindestens neun Offiziere, die aus Krankheitsgründen oder aufgrund von Verwundungen den Dienst quittieren mussten. Über ihren weiteren Verbleib ist nach jetzigem Stand nichts bekannt. Dasselbe gilt für mehr als 20 Offiziere, von denen lediglich die Tatsache ihres Austritts belegt ist. Eine alters- oder gesundheitsbedingte Resignation stellte den Offizier vor die Frage, wie er seinen Lebensunterhalt sichern konnte. Wenn nicht das Familienvermögen oder Ersparnisse Ersatz schafften, bot sich nur eine für die Beteiligten wohl wenig befriedigende Lösung: Mit dem Nachfolger wurde eine Vereinbarung über die Abtretung eines Teils der Gage getroffen. Weiters erhielt der scheidende Inhaber bei Abgabe einer Kompanie die Ablösung des in dieser in Form von Montierungsstücken verkörperten Vermögens durch seinen Nachfolger. 1794 bezifferte der Hauptmann Christoph Carl Sebastian Fürer dieses auf 800 bis 1.000 Gulden. Auch die beim Kriegsamt hinterlegte Kaution von 1.000  Gulden dürfte der Offizier zurückerhalten haben – wenn es sich nicht ohnehin um eine Bürgschaft eines Dritten handelte.46 Anders zu beurteilen ist die Mitgliedschaft als Genannter im größeren Rat. Dazuzugehören war wichtig als Ausdruck von Nähe zur Stadtspitze und verhieß gesellschaftliche Aufwertung. Mitglieder ratsfähiger Familien wurden mit der Heirat mehr oder weniger automatisch aufgenommen. Regelrechte politische Rechte hatte das Gremium nicht. Ein Blick auf die Offiziere zeigt, dass 32 von ihnen Genannte geworden sind, fast alle aus ratsfähigen, zumindest aber gerichtsfähigen Geschlechtern. Ausnahmen sind lediglich Johann Friedrich von Geißendorf, der mit der Ernennung zum Obristlieutenant auch Genannter wurde und Paulus Deuschel, Genannter kurz nach seiner Beförderung zum Obristwachtmeister.47

46 Fürers Aussagen in StAN, Fsm. Ansb., Kreismanualakten Nr. 131. Rückzahlungen der Kautionen sind quellenbedingt leider nicht belegt. Die vorhandenen Dekretbücher (StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 30/1 und 47/3, Laufzeit zusammen 1739 bis 1806) weisen in drei Vierteln der Fälle Bürgschaften aus, in einem Viertel Schuldverschreibungen. 47 Dazu Fleischmann (wie Anm. 15), Bd. 1, S. 119–128 und seine Nachbemerkung in Johann Ferdinand Roth: Das Verzeichnis aller Genannten des Größeren Rats zu Nürnberg, Nürnberg 1802. Neudruck, herausgegeben durch Peter Fleischmann und Manfred H. Grieb, o. J. Deuschel erscheint bei Roth als Tenschel.

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4. Besoldung Eine Stelle beim Nürnberger Militär mochte zwar, abgesehen von der standesgemäßen Beschäftigung, hinsichtlich einer Versorgung erstrebenswert sein. Doch war diese in den unteren Rängen denkbar karg. Denn als Volontair war man unter den Mannschaften als Musketier, Gefreiter oder Corporal eingestellt, in seltenen Fällen auch als Fourier oder Quartiermeister im kleinen Stab der Kompanie. Mochte die Beförderung in den Mannschaftsrängen zügig erfolgen, als Volontair – und ziemlich jeder Nürnberger Offizier begann als solcher seine Karriere – bezog der angehende Offizier lediglich eine Mannschaftsgage. Dies änderte sich nicht, als nach dem Siebenjährigen Krieg der Cadet als eigener Rang eingeführt wurde, auch hier betrug der Sold nur fünf Gulden monatlich. Wie knapp diese Besoldung war, zeigen Aufstellungen über die Auslagen für den Volontair Christoph Andreas von Rost, der am 26. April 1748 nach sieben Jahren und zwei Monaten den Dienst resignierte, ohne es zum Offizier gebracht zu haben.48 Rund 69 Gulden werden durchschnittlich im Jahr verzeichnet, drei Viertel davon wendete er auf Instandhaltung oder Beschaffung von Kleidung und Ausrüstung. Der Rest verteilt sich auf gewohnheitliche Abgaben (zum Beispiel Neujahrsgelder), Steuern, Verbrauchsmaterial (etwa Haarpuder), Tee, Schogeladi und Zucker (dieser Luxus nicht einmal ein Hundertstel der Ausgaben) und leider unbestimmte Zahlungen an Einzelpersonen (15 Prozent der Ausgaben). Es fällt auf, dass weder Nahrungsmittel noch Unterkunft auftauchen. Letztere war nicht die Kaserne, falls er nicht wie die Offiziere gratis dort wohnte. Einen diesbezüglichen Abzug von seiner Besoldung – seit dem 1. November 1741 als Gefreiter 66 Gulden jährlich – erfolgte jedenfalls nicht. Soldabzüge für Brot und Montur gibt es in den einschlägigen Rechnungen gleichfalls nicht. So ist zu konstatieren, dass Rost zusätzliche Beiträge der Familie benötigte, um ein Auskommen zu haben. Ob diese finanzielle Situation, die vergleichsweise lange Wartezeit auf eine Fähnrichsstelle oder andere Gründe dafür ausschlaggebend dafür waren, dass Rost den Dienst quittierte, ist nicht bekannt. Ebensowenig haben wir Kenntnis von seinem weiteren Verbleib. Zumindest aus dem Spanischen Erbfolgekrieg ist die Zahlung von Zulagen durch das Kriegsamt dokumentiert. Die Volontaire erhielten »eine doppelte Portion oder sonsten ein Douceur«49, heißt es in einer Rechnung, so beispielsweise Johann Carl Grundherr nach zwei Jahren als Volontair semel pro semper 40 Gulden. 48 Vier Listen der Auslagen für Rost für die Jahre 1743 bis 1746 in Stadtarchiv Nürnberg (StadtAN) A 32, Hohes Meer Nr. 3396 und B 6, Kriegsamt Nr. 23. 49 StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 523 fol. 21 v./22 r. Eine monatliche doppelte Portion ergeben Besoldung und Douceur freilich nicht. Soweit ersichtlich, ist er der einzige Volontair, von dem Zulage oder Douceur in den Rechnungen dokumentiert ist, möglicherweise finden sich weitere Zahlungen versteckt in Sammeltiteln oder nicht erhaltenen Rechnungen.

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Gerade unter Einbeziehung der oben beschriebenen langen Wartezeit bis zur Erreichung des ersten Offiziersrangs – und im Grunde auch bis zum Erhalt einer Kompanie – kann durchaus von einem ökonomischen Selektionskriterium gesprochen werden. Die Besoldung der Offiziere (und der Mannschaften) war in den Ordonnanzen des Fränkischen Reichskreises festgelegt. Sie blieben seit der Festsetzung im Jahr 1697 konstant. Über einen Vorschlag auf Kreisebene, die Stabsoffiziersbesoldungen zu verdoppeln, wurde 1801 kein Beschluss gefasst.50 Insbesondere in den unteren Rängen von Fähnrich / Cornet und Lieutenant fielen die Zahlungen kärglich aus. Ein Fähnrich der Infanterie bezog 144 Gulden jährlich Friedensgage, ein Lieutenant 216. Bei der Kavallerie waren es 240 beziehungsweise 336 Gulden, allerdings waren dafür auch ein oder mehrere Pferde zu unterhalten. Erst mit dem Range eines Hauptmanns gab es einen signifikanten Einkommenssprung, zunächst aufgrund der ordonnanzmäßigen Gage, die sich auf 400 Gulden beziehungsweise 500 Gulden bei der Kavallerie belief. Die Stabsoffiziere der Feldmiliz erhielten den Teil ihrer ordonnanzmässigen Besoldung, der den Hauptmannssold überstieg, vom fränkischen Reichskreis, demnach indirekt über die Matrikularbeiträge natürlich unter anderem auch von Nürnberg. Dabei gab es eine leidige Einschränkung. Es waren je Kreisregiment nur drei Stabsoffiziersbesoldungen vorhanden und insgesamt im Kreis nur drei Generalsbesoldungen. Nun vergab aber der Kreis großzügig Generals- und Stabsoffizierstitel, obwohl er immer wieder die Multiplication dieser Titel einzuschränken gelobte. Die Folge ist offensichtlich: Ein Stabsoffizierstitel musste nicht per se mit einer entsprechenden Besoldung einhergehen, da diese Besoldungen durch Generale, ranghöhere oder dienstältere Stabsoffiziere besetzt sein konnten. Aufgebessert wurden diese Beträge durch Reihe weiterer Einkünfte. Unter dem Namen eines Winterdouceurs oder von Adjuten gab es Einmalzahlungen, um die die Offiziere jedes Jahr aufs Neue supplizieren mussten. Erstmals tauchen diese aufgrund des geringen Friedenssolds gezahlten Beihilfen 1719 auf. Nach mehrmaligen Suppliken wurde zunächst eine Liste derer erstellt »welche einige[r] Douceurs vor anderen, am allermeisten bedürftig«.51 Nicht das Kriegsamt als vorgesetzte Behörde genehmigte dann diese Unterstützungszahlungen, sondern die Herren Älteren, also die Spitze der reichsstädtischen Regierung. Gestaffelt nach dem Rang lagen die Beträge zunächst bei 30 Gulden für Infanteriefähnriche und -lieutenante. Ein Haupt50 Friedensordonnanzen z. B. StABa, Hochstift Bamberg, Obereinnahme / Hofkriegsrat Nr. 612 (1697), StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 285 (241) (1714), StABa, Hochstift Bamberg, Obereinnahme / Hofkriegsrat Nr. 617 (1736), Stadtbibliothek Nürnberg (StadtBN) Nor. 61, 2o (1763). Feldordonnanzen bei Moser (wie Anm. 1), Bd. 1, S. 560 ff. (1683), Bd. 2, S. 962–965 (1702), StadtBN, Nor. 66, 2o (16) (1733), StadtAN, B6 Kriegsamt Nr. 270 (1742, Aufstellung der Kosten), StadtBN, Nor. 32, 2o (1756). Verdoppelung in StAN, Fsm. Ansb., Kreismanualakten, Nr. 152, Eckart vom 2.5.1801. 51 StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 532, fol. 41 v.

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mann konnte mit 60 Gulden rechnen – auffallend wieder der große Unterschied. Die Kavallerieoffiziere erhielten 44 beziehungsweise 88 Gulden. Doch reduzierte man diese Summen drei Jahre später bereits um ein Drittel. Dabei blieb es bis zum Polnischen Erbfolgekrieg. 1737 kam es zu einer weiteren Reduktion, alle Rittmeister und Hauptleute erhielten nur noch 30 Gulden, Lieutenante 15 und Cornets und Fähnriche 12  Gulden. 1741 stellte man die Zahlungen ganz ein. Das Douceur wurde durch eine Knechtsportion von fünf Gulden monatlich ersetzt. In jeder Kompanie wurden deren zwei berechnet, der Kompanieinhaber erhielt eine und die Subalternoffizier hatten sich die zweite zu teilen.52 Neben den genannten Zahlungen erhielten die Offiziere verschiedene Naturalleistungen. Auch die verheirateten Subalternoffiziere und ein oder zwei Hauptleute sollten, »wie in vorigen Zeiten« in den Kasernen wohnen, verordnete das Kriegsamt 1790. Warum diese Herren an einer solchen – unentgeltlichen! – Unterbringung wenig interessiert waren, wird bei einem Blick auf die beengten Verhältnisse deutlich. Dem Kasernenkommandanten stand in St. Johannis ein Wohnhaus mit Garten und sogar Gartenhäuschen zur Verfügung. Die übrigen Offiziere jedoch mussten sich mit einem Haus begnügen, wo es auf jedem der drei Stockwerke eine Küche, zwei Stuben (im Erdgeschoß eine) und zwei Kammern gab. Eine kursorische Prüfung der Kasernenrechnungen zeigt, dass in der Tat mitunter verheiratete Lieutenante und Hauptleute in den Kasernen wohnten. In der Bärenschanze und auf der Veste standen für die Offiziere der dort einquartierten Kompanien ebenfalls Wohnräume bereit. Wie hoch ein solches Wohnrecht anzusetzen ist, steht dahin; der Zeugmeister schlug seines im Zeughaustorbau jedenfalls auf 50 Gulden jährlich an.53 Holz- und Lichtdeputate kamen dazu, wobei als Sparmaßnahme das Holz teilweise oder ganz durch sogenannte Lohballen ersetzt wurde, einem Abfallprodukt der Gerberei aus Rinde. Etwa 70 Gulden jährlich dürfte das Brennmaterial mindestens ausgemacht haben. Zu den Naturaleinkünften mag man auch die Dienste der Fourierschützen rechnen. Diese dienten den Offizieren als eine Art Leibwache und Diener.54 52 StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V, Nr. 532 bis 555 (Kasernenrechnungen, in letzterer der Wechsel vermerkt) und Nr. 300–325 (Kriegskommissariatsrechnungen mit den Knechtsportionen am Ende jeder Kompanie). 53 StadtAN B6, Kriegsamt Nr. 268, 29.7.1790 mit der wiederholten Weisung. Beschreibung und Plan der Kaserne St. Johannis StadtAN D 2/IV Spitalamt, Akten Nr. 4332. Der Zeugmeister Creuznacher bewertete 1749 sein Wohnrecht in der Wohnung im Zeughaustorbau mit 50 fl. jährlich (StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 342 (89)). Vom Generalmajor Pez ist ein jahreszeitliches Wohnen auf seinem Herrensitz vor der Stadt und in seinem Stadthaus belegt (z. B. StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 106, S. 388, 15.5.1787 und S. 642, 5.10.1787). 54 Zu deren Aufgaben vgl. etwa Maximilian Ludwig Graf von Regal: Reglement über ein Kayserliches Regiment zu Fuß, Nürnberg 1739, ND Bad Honnef 1982, S. 95. Bei der Kavallerie tauchen während des Spanischen Erbfolgekriegs mitunter Offiziersknechte auf, die wohl eine ähnliche Funktion hatten.

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Der ohnehin bereits deutlich besser gestellte Hauptmann konnte sein Einkommen mit der Bewirtschaftung seiner Kompanie weiter aufbessern. Er verrechnete den Mannschaften die Monturstücke. Die negativen Folgen waren durchaus bekannt: »Es kommt also lediglich auf das Benehmen der HH. Compagnie-Commandanten an, ob- und was sie der Mannschaft auf kleine Abrechnung an baaren Geld abgeben; da der Ansaz der kleinen Montur-Stücke blos von ihren Gutgesinnen und uneigennüzigen Handeln abhängt.«55 Die überlieferten Akten sind recht schweigsam, was diesen Compagnie-Nutzen betrifft. Bedeutend war er jedoch, wie Hauptmann Fürers Antrag auf Entschädigung im Jahre 1806 zeigt. Er wäre dem verstorbenen Obristen Johann Georg Haller als Kompanieinhaber nachgefolgt, doch die Kompanie wurde aufgelöst.56 Die Vernehmungen zweier Nürnberger Kompanieinhaber im Jahr 1794 – extreme Desertionsziffern führten zu einer Untersuchung, die diverse Missbräuche offenbarte – zeigen zumindest die Größenordnung: zehn bis 15  Prozent schlugen sie auf Monturstücke auf. Dies dürfte je Mann und Jahr auf etwa einen Gulden gekommen sein. Ausgehend von 90 Mannschaftsdienstgraden Friedensstärke der Kompanie erlöste ein Hauptmann also mindestens 90 Gulden jährlich aus der Monturbewirtschaftung.57 Mit den, allerdings restriktiv gehandhabten, Heiratserlaubnissen für die Mannschaften kamen dem Kompanieinhaber weitere gewohnheitsrechtliche Gebühren zugute. Rechnungsmonita aus dem Jahre 1791 beziffern die von einem Heiratswilligen an verschiedene Funktionsträger zu entrichtenden Gebühren auf insgesamt 40  Gulden. Der Kompanieinhaber erhielt davon 25 Gulden, für den Oberlieutenant fielen noch zwei Gulden 24 Kreuzer ab. Ausgehend von den Heiraten im Kirchenbuch des Milizgeistlichen kann von durchschnittlich einer Heirat je Kompanie und Jahr ausgegangen werden.58 Offiziere und Mannschaften hatten ein Neujahrsgeld an das Kriegskommissariat zu entrichten, dabei entfielen auf den Hauptmann rund sechs, den Oberlieutenant vier und den Unterlieutenant drei Gulden, die von den Bezügen wiederum abzuziehen sind. Ebenso sind die Fouragelieferungen durch das Kriegsamt zu berücksichtigen, die die Kavallerieoffiziere für ihre Pferde bezogen. Dem Hauptmann standen hier zwei, den anderen Offizieren ein Pferd zu, das auf diese Weise unterhalten wurde. Hafer, Heu und Stroh wurden zu einem konstanten, ermäßigten Preis berechnet. Ein Pferd schlug aufs Jahr gerechnet mit 44 Gulden zu Buche. 55 StAN, Rst. Nbg., Ratskanzlei, E-Laden, Akten Nr. 511, Kriegsamt, 3.6.1794. Unterstreichungen im Original. 56 Der Antrag in Prauns Tagebuch, StadtAN E 28/II Nr. 359, 19.7.1806. 57 StAN, Fsm. Ansb., Kreismanualakten Nr. 131, Vernehmungen Fürers und Furtenbachs wegen der Aufschläge und StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 55, Kriegsamt vom 4.6.1794 mit dem unterstellten Bedarf. 58 StadtAN, B6 Kriegsamt Nr. 294, Monita Punkt 94 sowie Landeskirchliches Archiv der ev.-luth. Kirche in Bayern, Nürnberg, Kirchenbuch St. Sebald Nr. 32, Abschnitt Heiraten. Acht bis neun Verheiratete waren je Kompanie gestattet.

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Ordonnanzmäßige monatliche Besoldung der Offiziere, Stand 1742.59 Friedensgage

Feldgage

Geld

Geld

Brotportionen Pferdrationen

Obrist

90 fl.

215 fl.

7

7

Obristlieutenant

54 fl. 10 xr.

125 fl.

6

5

Obristwachtmeister

45 fl. 50 xr.

100 fl.

6

4

Hauptmann

33 fl. 20 xr.

65 fl.

3

3

Lieutenant

18 fl.

26 fl.

2

2

Fähnrich

12 fl.

22 fl.

2

1

Obrist

100 fl.

235 fl.

7

7

Obristlieutenant

66 fl. 40 xr.

143 fl.

8

6

Obristwachtmeister

54 fl. 10 xr.

126 fl.

8

6

Rittmeister / Hauptmann

41 fl. 40 xr.

80 fl.

4

4

Lieutenant

28 fl.

40 fl.

3

3

Cornet / Fähnrich

20 fl.

30 fl.

3

2

Infanterie

Kavallerie

Die Feldgage richtete sich ebenfalls nach den fränkischen Feldordonnanzen. Sie war deutlich höher als die Friedensgage, wobei wiederum eine Bevorzugung der Hauptleute und Rittmeister festzustellen ist. So stieg der Sold des Fähnrichs um 83 Prozent im Vergleich zur Friedensgage, derjenige des Lieutenants um 44, der des Hauptmanns aber um 95 Prozent. Daneben erhielten die Offiziere eine nach dem Rang abgestufte Anzahl von Brotportionen und Pferdrationen. Erstere belief sich auf zwei Pfund Brot täglich, letztere auf eine nicht konstante Menge Hafer, Heu und Stroh. Eine Brotportion wurde monatlich mit einem Gulden, eine Pferdration mit 18 ½ Gulden angesetzt.60

59 StadtAN B6 Kriegsamt Nr. 270, Ohnmaßgeblicher Überschlag, 8.6.1742 (entspricht Feldordonnanz 1733 und Friedensordonnanz 1738, wie Anm. 48). 60 Wie Anm. 48. Bei der Kavallerie 50, 43 und 92 Prozent. Eine Pferdration umfasste z. B. im Spanischen Erbfolgekrieg täglich 8 Pfund Hafer, 8 Pfund Heu und wöchentlich 2 Bund Stroh (Winterquartierordonnanz 1704/05, StadtBN Nor. 66, 2o (6)). In den Kasernenrechnungen werden die den Offizieren abgezogenen vergünstigten Pferdrationen deutlich abweichend mit rund 44 Gulden je Pferd und Jahr angesetzt, vgl. z. B. StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 561, fol. 2 v.

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Abb. 1: Christoph Berthold Tucher (1667–1731): Der Obrist, 1733 im Auftreten noch ganz dem Barock verhaftet. © Paul Decker /  Johann Wilhelm Windter, Christophorus Bertholdus Tucher, 1733, Kupferstich. Aus: Stadtarchiv Nürnberg, A 7/II Nr. 165.

Zur in Geld geleisteten Gage nach Kreisordonnanz ist also ein beträchtlicher Betrag zu addieren, wenn man eine Vorstellung von den Einkünften der reichsstädtischen Offiziere zu gewinnen sucht. Dafür hatten sie aber auch standesgemäß aufzutreten. Dazu gehörten Kleidung und Ausrüstung, die bis zu einem Beschluss des fränkischen Reichskreises im Jahre 1730 nicht reguliert waren. Inventare zeigen den Aufwand, den die statusbewussten Herren betrieben: gold- oder silberbortierte Westen und Röcke, ebenso verzierte, auch gar mit Stickerei versehene Schabracken, silberne Degengriffe und anderes. Und nach der Festlegung der Offiziere auf die Regimentsuniform bestimmte der fränkische Kreis, es sei, »im Feld die Bordierung der Uniform bey denen Haubtleuthen, Lieutenants und Fähndrichen alß ein Überfluß« verboten, damit nicht »der minder es dem Obern bevorthun, und ein mehreres etwa aus eigenen Mitteln oder ohnwirthschafftlich auf die Bordirung seiner Uniform verwenden

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Abb. 2: Johann Georg Friedrich Pipgraß (1683–1752): Als Obristwachtmeister 1744 in zurückhaltend verzierter Regimentsuniform in Weiß und Grün. © Johann Friedrich Schmidt, Iohann Georg Friedrich Pipgras, 1744, Schabkunst. Aus: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Portr. III 1171 (A 16521).

wolle.«61 Zu Beginn des Siebenjährigen Krieges zahlte das Kriegsamt sogar einen Soldvorschuss für die Equipierung. Bagageordnungen geben anhand der je nach Charge erlaubten Pferde und Wägen eine Vorstellung vom Umfang des mitgeführten Gepäcks. Im kaiserlichen Dienst durften beispielsweise die Offiziere vom Obristwachtmeister abwärts höchstens einen vierspännigen Wagen mitführen, dazu je nach Rang zwei bis sieben Pferde.62 Durch unglücklichen Kriegsverlauf verlorenes Gepäck konnte einen Offizier in ernste finanzielle Schwierigkeiten stürzen. Ein 1704 von den Franzosen überfallener und beraubter Fähnrich beispielsweise bezifferte inklusive zweier Pferde seinen Ver61 StAN Fsm An, KTA Nr. 321 (27), Auffsaz Crais-Verordnung… 20.8.1748. 62 Equipierungsgelder StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 101 fol. 19 r. ff. Bagageordnung 1735 in StAN, Fsm. Ansb., KTA Nr. 279 (10).

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Abb. 3: Hermann Hieronymus Pez (1711–1793): Der General 1794 in sehr schlichter, blau-weißer Regimentsuniform. © Christoph Wilhelm Bock, Hermann Hieronymus Pez, 1794, Kupferstich. Aus: Stadtarchiv Nürnberg, E 17/II Nr. 2075.

lust auf rund 500  Gulden. Die Nürnberger Lieutenants, die 1762 bei einer Rückzugsbewegung Opfer der Preußen wurden, setzen 40 bis 56 Gulden an, andere Offiziere mussten allerdings teilweise mehrere Hundert Gulden verschmerzen.63 Die Offiziere der Stadtmiliz und der Einspänniger erhielten Gagen, die sich im Gegensatz zur Feldmiliz nicht an den fränkischen Ordonnanzen orientierten, sondern in der Regel deutlich geringer waren. Georg Jeremias Imhoff, nach Reduzierung der neuen Infanterieregimenter des Spanischen Erbfolgekriegs jahrelang auf eine karge Pension von zuletzt 108 Gulden jährlich gesetzt, wurde 1732 als Obristlieute63 Huchleins Bericht und Supplik: StAN, Rst. Nbg., KTA Nr. 147 (93) und (94). Sein bortiertes Kleidt kostete mit 80 fl. etwa so viel wie ein Pferd. Siebenjähriger Krieg: StAN, Rst. Nbg., KTA Bd. 299 (495) Kerpen vom 26.7.1762 und Anlagen (496) und (497). Meist handelte es sich um Feldbetten, Kleidung und Geschirr.

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nant Inhaber einer Stadtmilizkompanie mit 300 Gulden jährlich. Dies war die feste Besoldung des Kompanieinhabers, unabhängig vom Rang. Die Gage des Einspännigerrittmeisters in Höhe von 18 oder 25 Gulden monatlich war kein Vergleich zu Rittmeistern der Feldmiliz, die allerdings auch ganze Kompanien kommandierten.64 Um nun die Offiziere in die Stadtgesellschaft ökonomisch einzuordnen, bietet sich ein Vergleich mit dem Einkommen in Positionen in reichsstädtischer Regierung, Verwaltung und Justiz an. Die Quellenlage zur Besoldung ziviler Stellen ist aufgrund von Ämterkumulation, Rechnungsführung und Überlieferung schwierig. Als griffige Aushilfe bietet sich die Besoldungsliquidation an, die die bayerische Verwaltung 1807 nach der Okkupation Nürnbergs erstellte, wobei aufgrund der schlechten Kassenlage auch Bayerns die Einkünfte möglichst niedrig taxiert wurden.65 Wir finden die Subalternoffiziere von Infanterie und Kavallerie – mit rund 275 bis 475 Gulden Jahreseinkommen – auf der Ebene nachrangiger Assessoren am Stadtoder Untergericht, eines Lehrers am Egidiengymnasium oder des Diakons bei St. Egidien. Die Kommandierung einiger nach Reduzierung des Militärs unterbeschäftigter Lieutenante zur Rechnungsrevision in die Rentkammer im Jahre 1802 mag ebenfalls einen Anhaltspunkt für die ihrem Rang entsprechenden Zivilstellen geben.66 Im Hauptmannsrang dürfte mit Gage, Naturalbezügen und Kompaniebewirtschaftung, aber ohne Wohnung ein Einkommen von über 660 (als Rittmeister etwa 760) Gulden erreicht worden sein, was durchaus ein auskömmliches Leben ermöglichte. Vergleichbar ist er mit dem Rektor der Schule von St. Lorenz, einem Ratsherrn und Gerichtsrat oder einem Professor an der Universität Altdorf. Ein Kasernenkommandant, in der Regel allerdings ein Stabsoffizier, erhielt weitere Zulagen für ein Pferd und die Aufsicht über die oben bemerkten Lohballen und genoss eine großzügigere Wohnung. Die Stabsoffiziere konnten mit über 750 Gulden das Einkommen des Waagmeisters der Stadtwaage, eines Jungen Bürgermeisters oder eines Vorderen Ratskonsulenten erreichen. Als Obrist mit rund 1.300 bis 1.400 Gulden gelangte man an den unteren Rand der gut verdienenden reichsstädtischen Amtsträger, etwa des Stadt64 Ebenfalls 300 Gulden erhielten z. B. seine Vorgänger, der Obristwachtmeister (!), dann Obristlieutenant Johann Jobst Harsdörffer und der Hauptmann Johann Sebastian Kolb. StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 47 f., 71, 76, Titel Bezahlung der Stadtkompanien bzw. Einspänniger. 65 So Peter Fleischmann, der auch in seiner umfangreichen Darstellung des Nürnberger Patriziats auf diese Quelle zurückgreifen muss (Fleischmann (wie Anm. 15), Bd. 1 S. 204–207, hier S. 206). 66 Ich verwende die zusammenfassende Besoldungsliquidation des Jahres 1807 in StAN, Rst. Nbg., Rentkammer Nr. 2727. Bei den Einkünften der Subalternoffiziere sind 50 Gulden für die Wohnung in der Kaserne angesetzt, nicht aber ein Abzug für eine Pferdration. Die Kommandierung der Lieutenante in StAN, Rst. Nbg., Rentkammer Nr. 26, B 193, 6.8.1802 und B 205, 18.8.1802 sowie Rentkammer Nr. 138. Es handelte sich um Christoph Carl Christian Fürer, Johann Friedrich Sigmund von Praun, Paul Sigmund Christoph von Praun und Sigmund Elias Endter.

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und Bannrichters, des Pfarrers einer der beiden Hauptkirchen St. Sebald und St. Lorenz oder des Pflegers von Velden. Mit einer Generalsbesoldung konnte man sich mit dem Pfleger eines der größeren Ämter auf dem Land vergleichen. Doch von den vorbemerkten 302 Offizieren erreichten 168 maximal den Rang eines Lieutenants, das heißt sie blieben auf eine magere Besoldung verwiesen. Beim Rang eines Hauptmanns endete für 76 Nürnberger Offiziere die Karriere. 17 stiegen bis zum Obristwachtmeister, zwölf zum Obristlieutenant und 22 zum Obristen auf – zumindest nach dem Titel, nicht immer nach der Besoldung. Denn auch die Reichsstadt verlieh aus besonderen Anlässen mitunter einen höheren Titel, ohne die gehörige Gage zu bezahlen, etwa wenn ein Offizier resignierte. Sechs Offiziere erreichten einen Generalsrang (je drei Generalmajore und Feldmarschallieutenante) beim fränkischen Kreis. Doch nur drei von ihnen, Paulus Tucher, Johann Sebastian Haller und Georg Christoph Oelhafen konnten eine Generalmajorsgage erhalten.67 Ein Nürnberger Offizier gehörte also nicht per se zur städtischen Elite, was die finanzielle Situation betrifft  – zumindest wie sie sich aus den Einkünften seines Rangs ergab. Inhaber einer Kompanie mit den zugehörigen finanziellen Vorteilen wurden nur 107 Offiziere. Das heißt, dass rund zwei Drittel der Offiziere auf Ränge mit geringen Einkünften verwiesen blieben. Wir kennen allerdings die sonstigen Einkünfte der Offiziere, etwa aus Familienvermögen, in der Regel (noch) nicht. Eine systematische Erforschung etwa von Testamenten und Nachlassinventaren, soweit vorhanden, steht noch aus. Wenige Schlaglichter sind immerhin möglich und zeigen die höchst unterschiedlichen finanziellen Verhältnisse selbst in den höheren Rängen. So hinterließ der 1710 nach einem Duell verstorbene Infanteriehauptmann Sigmund Elias Schleicher ein Vermögen von 1.090 Gulden, allerdings inklusive zweier rückständiger Monatsgagen; dagegen standen Schulden von 1.126  Gulden. Der Obristwachtmeister der Dragoner Conrad Pürner verfügte 1715 über 7.809 Gulden. Der Obrist Johann Georg Friedrich Pipgraß supplizierte anlässlich seiner Resignation im Jahr 1748 um ein Douceur, da er von seiner Besoldung – immerhin aus 47 Dienstjahren – nichts habe zurücklegen können. Der Kürassierobrist Georg Wolfgang Wuttich, bis zu seinem Tod im Alter von fast 80 Jahren im Dienst, konnte immerhin den Herrensitz Gleißhammer mieten, wurde allerdings im Grab eines (befreundeten oder verwandten?) Kupferhammermeisters beigesetzt. Der Obrist, vorderste Alte Genannte und Pfleger der Stiftung St. Leonhard Christoph Berthold Tucher hinterließ hingegen 34.058 Gulden inklusive Immobilienbesitzes im Wert von fast 4.000 Gulden. Das Vermögen des (bereits verstorbenen) Generalmajors Hermann Hieronymus Petz und seiner Gemahlin schließlich wurde 1802 mit 38.800 Gulden inventarisiert, wiederum mit

67 Johann Wilhelm Imhoff (1725–1797) wurde beispielsweise zwar als Stadthauptmann Obrist, bezog aber vorher bei den Einspännigern wenige Jahre lang nur 18 fl., als Stadtobrist lediglich 25 fl. monatlich (StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 95 bis 98, Titel Ausgaben Einspänniger, Nr. 99–106, Titel Ober- und Unteroffiziere der Bürgerkompanien).

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einem zur Hälfte des Werts von 4.000 Gulden angesetzten Haus (und ohne den im Besitz der Gesamtfamilie stehenden Herrensitz Lichtenhof).68 Auf der anderen Seite stehen aber die Offiziere, die ihre Witwen in höchst prekären finanziellen Verhältnissen hinterließen, so dass diese wegen ihrer bekannten Dürftigkeit kärgliche Gnadengelder in Höhe einer Musketierportion durch das Kriegsamt erhielten. Insbesondere die Familien von Möck, Schreiber von Grünreuth, Gemmel von Flischbach und Raab tauchen hier mehrfach auf. Dem steht nur eine Witwe eines ratsfähigen Offiziers gegenüber: Maria Elisabetha Wölckern, deren Mann, der Obristlieutenant Ferdinand Grundherr, 1704 am Schellenberg fiel.69 Anders als gelegentlich vermutet, blieben die Offiziere nicht grundsätzlich ledig. Zumindest in unserem Betrachtungszeitraum war mindestens die Hälfte von ihnen verheiratet. Gern gesehen waren allzu frühe Eheschließungen allerdings nicht, ein Fähnrichs- oder Lieutenantsgehalt reichte kaum für den Unterhalt eines eigenen Hausstands. Dazu war noch eine Kaution von 2000 Gulden beim Kriegsamt zu hinterlegen, also mehr als bei der Übernahme einer Kompanie. Trotzdem sind Heiraten in den niedrigen Rängen nicht selten. Beispielsweise erteilte das Kriegsamt dem Lieutenant Hieronymus Bartholomäus Viatis eine Erlaubnis wegen der beabsichtigten Vermehrung der Familie.70

5. Lebenswelten Ein kurzer Blick mag dem Alltag des Offizierskorps gelten. Die Quellenlage ist dünn, nicht zuletzt wegen der nur noch wenig umfangreichen Aktenbestände des Kriegsamts. Einige Schlaglichter mögen daher genügen. Nur allgemein scheinen die Lebenswelten im Spiegel der Reglements auf. Schon 1689 hatte ein fränkischer Offizier als Praktiker die Aufgaben der Kompanieoffiziere zusammen mit einem illustrierten Manual in Druck gegeben und war dabei nicht 68 Schleicher (1684–1710): StAN, Rst. Nbg., Landpflegamt Gemeinakten Nr. 1710–37. Pürner: StadtAN Geneal. Papiere E 1/123 Nr. 1, Anlass seine beabsichtigte Wiederverheiratung. Pippgraß (1682–1753): StABa, Fränk. Kreis, Kreisarchiv Nr. 2021 (80). Wuttich (+1723): Landeskirchliches Archiv der ev.-luth. Kirche in Bayern, Nürnberg, Kirchenbuch Reichelsdorf 613–9, S. 97, 30.8.1723; er war mit einer Tucher verheiratet. Als Mieter genannt bei Robert Giersch et al. (Hgg.): Burgen und Herrensitze in der Nürnberger ­Landschaft, Lauf 2006, S. 135 (Gleißhammer II). Er hatte immerhin einen Rittmeister als Kompanieverwalter. Tucher (1667–1731): StadtAN E 1/1871, Genealog. Papiere Nr. 5, Concept Inventarii. Pez (1711–1793): StadtAN Familienarchiv Pez E 31 Nr. B 11. 69 Die Pensionen und Gnadengelder im gleichnamigen Titel der Kasernenrechnungen (StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V, Nr. 513–586; bis 1733 noch unter den Ausgaben für die Kasernen bei St. Johannis) und den Kriegsamtsrechungen (Nr. 118–142). 70 Ledige Offiziere bei Fleischmann (wie Anm. 15), Bd. 1 S. 257, jedoch wohl bezogen auf das 17. Jahrhundert. Die Kaution beispielsweise StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 32, S. 41, 7.3.1778 (Viatis 4.2.1749).

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über das allgemein Übliche hinausgegangen. Das 1763 auf Basis des Reglements des Kreisregiments Varell gedruckte Exercitium vor die von einer des Heiligen Römischen Reichs Freyen Stadt Nürnberg angestellten acht Feld-Compagnien zu Fuß beschäftigt sich zwar in erster Linie mit Evolutionen und Manual der Infanterie, enthält aber auch ein Kasernenreglement und einzelne Verhaltensvorschriften.71 Die relevanten (und missbrauchsgeneigten) Thematiken wurden sporadisch durch das Kriegsamt wiederholt und präzisiert. So waren etwa die Fähnriche für das Visitieren der Lazarette zuständig und hatten sich »a) besonders zur Essens Zeit daselbst einzufinden und zuzusehen ob die Leute die Kost ihren Umständen angemessene, und genießbar erhalten, ob, b)  die Reinlichkeit in Zimmern, Wäsch und Geräthschaft, dann c) der Gebrauch der Medicin in vorgeschriebener Maaß beobachtet.«72 Reihum hatten die Offiziere also die ihrem Rang entsprechenden Aufgaben und Dienste zu versehen, deren gleichmäßige Verteilung 1769 sogar in einer eigenen »Ordnung und Observanz« niedergelegt wurde. Dazu gehörten insbesondere Wachten, Inspektionen, die Entgegennahme und das Erstellen von Rapporten. Die Mannschaft war bis ins kleinste Detail zu kontrollieren was Sauberkeit von Uniform und Ausrüstung, inner- und auch außerdienstliches Verhalten betraf, Fehlverhalten war abzustellen und gegebenenfalls zu bestrafen. Die Ausbildung der Mannschaften dürften in der Regel Unteroffiziere besorgt haben, doch ein kompanieweises Exerzieren, im Feuer gar, erfolgte mit allen Dienstgraden und war eine solenne Veranstaltung, der sogar die Kriegsräte beiwohnten. Auf Streifungen, immer wieder auch koordiniert mit anderen fränkischen Kreisständen, versuchte man, Bettler und Vagierende einzufangen und in ihre Heimat abzuschieben. Einzelne Offiziere hatten Durchzüge fremder Truppen zu begleiten und darauf zu achten, dass Marschrouten eingehalten wurden und es nicht zu Excessen kam. Eine nicht einfache Aufgabe, achtete doch jeder Kreisstand und jede Gemeinde darauf, durch Märsche und den damit verbundenen Quartierforderungen nicht übermäßig belastet zu werden. Es mussten nicht unbedingt kriegerische Zeiten sein, die einen solchen Einsatz erforderten, auch Rekrutentransporte gehörten dazu. Auch Sondereinsätze als polizeiliches Exekutivorgan konnten vorkommen, etwa bei der Beseitigung eines Schwarzbaus.73

71 Christian Wincker: Kurtzer Begrieff der Kriegskunst von der Infanterie, Nürnberg 1689. Der Praktiker Wincker war Lieutenant gewesen. Ferner das Exercitium vor die von einer des Heiligen Römischen Reichs Freyen Stadt Nürnberg angestellten acht Feld-Compagnien zu Fuß…, Nürnberg 1763. 72 StadtAN B6, Kriegsamt Nr. 268, 21./22.2.1786 Nr. 2. 73 StadtAN B6 Kriegsamt Nr. 294: Ohnvorschreibl. Entwurf einer Ordnung und Observanz beym Commandiren derer HH. Officiers zum Dienst. Ratifiziert durch das Kriegsamt am 17.3.1769. Die Protokollbände des Kriegsamts, ohnehin nur unvollständig überliefert, geben in der Regel nur knapp Auskunft. Der Schwarzbau in StAN, Rst. Nbg., Waldamt Lorenzi I Nr. 452/5, für diesen Hinweis danke ich Gunther Friedrich, Staatsarchiv Nürnberg.

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Die Protokollbände des Kriegsamts geben dazu gedrängt die Beschlüsse der Kriegsräte. Dabei führen die Offiziere in der Regel nur Weisungen aus, berichten oder werden gelegentlich auch diszipliniert. Und zwar nicht nur mit dem Verbot, zu lange beim Marketender und in Kellern zu verweilen. Denn obwohl die Kriegsräte ratsfähigen Geschlechtern wie viele Offiziere auch entstammten, achteten sie doch streng auf die notwendige Ordnung bei den Truppen. Manches lässt sich teilweise rekonstruieren und erahnen, etwa der Fall des Lieutenants Carl Sigmund Ferdinand Grundherr. Dieser gibt ein tragisches Bild von Verschuldung und Trunksucht, die in Degradierung zum Invalidencorporal in der Festung Lichtenau, schließlich Entlassung und Internierung auf Wunsch und Kosten der Familie endete. Der Obristlieutenant Georg Andreas Viatis hingegen war offenbar in Unrichtigkeiten bei der Abrechnung der Bürgerwachtgelder verwickelt. Zwar hatte er 4000 Gulden zurückzuzahlen und die Stelle als Stadtobristlieutenant zu resignieren. Er wurde aber, offenbar als eine Art Versorgung, Rittmeister der Einspänniger. Andere Kassationen bleiben wegen der in solchen Dingen in der Aktenführung üblichen Diskretion dunkel. Fornicationsfälle, und auch Offiziere waren in solche verwickelt, werden allerdings offen genannt und mit Profosenarrest bestraft.74 Das Verbot, bürgerliche Kleidung zu tragen »so daß man selbige vom militärischen Standt gar nicht erkennen möge«75 dürfte wohl zu einem Gutteil dem Wunsch nach Überwachung geschuldet sein. Missfallen äußerten die Kriegsräte auch darüber, dass Offiziere auf der Hauptwache »Gesellschaften zu halten pflegen.«76 Die Tagebücher, eigentlich Schreibkalender, des Johann Friedrich Sigmund Praun vermitteln einen Eindruck vom Tagesablauf eines Subalternoffiziers im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Regelmäßig waren Dienste in Kaserne und auf Wachten zu leisten, Inspektionen durchzuführen und Rapporte zu erstellen. Es blieb aber auch Zeit, mit Freunden und Bekannten am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Praun besuchte andere Offiziere, hier vor allem den Zeugmeister Friedrich Caspar Daumüller, dessen Sohn Johann Friedrich Gottfried 1782 Fähnrich wurde. Promenaden wechselten mit Theater- und Verwandtenbesuchen. Seine Lektüre notierte er verstreut in den und auf den Deckeln der Kalender. Militärische Fachliteratur wie Archenholzens Geschichte des Siebenjährigen Kriegs (ein Geschenk seiner Frau) steht dabei neben einigen wenigen Werken unterhaltenden Inhalts, etwa Christiane 74 Marketender usw.: StadtAN B6, Kriegsamt Nr. 268, 28.2.1792. Der Fall Grundherr verstreut in den Kriegsamtsprotokollen nachzuverfolgen, erstmals StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Bd. 102, S. 213, 15.  und 17.6.1779. Er starb, womöglich angetrunken, nach einem Sturz vom Festungswall in den Graben (Kirchenbuch Lichtenau Nr. 3, 15.9.1795). Viatis und die Bürgerfeldwebel werden in einem Spottlied behandelt: StadtBN Nor. H 461. Seine Bestrafung StAN, Rst. Nbg., Ratsverlässe Nr. 3766, fol. 19 r., 17.4.1755. Ein Fornicationsfall etwa der des Bataillonsfähnrichs Carl Christoph Alexander von Peller in StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 108, S. 71, 31.7.1789, 5. und S. 100, 18.8.1789, 2. 75 StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 104, S. 182, 9.8.1783, 3. und öfter. 76 StadtAN, B6 Kriegsamt Nr. 268, 18.11.1769.

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Benedikte Nauberts historischem Roman Thekla von Thurn. Praun erwarb offenbar zur eigenen Fortbildung gezielt eine kleine Handbibliothek mit Werken aus allen militärisch interessanten Bereichen. 1783 ist der Kauf eines Feldmeßtischs vermerkt.77

6. Verbleib Mit der Niederlegung der Kaiserkrone und der damit verbundenen de facto-Auflösung des Reichs war die Reichsstadt Nürnberg zu einem formal souveränen Staat geworden. Die Rheinbundakte teilte die durch bayerische und preußische Besetzung des reichsstädtischen Landgebiets schon stark zusammengestutzte Stadt dem frischgebackenen Königreich Bayern zu. Zu einer bloßen Landstadt herabgesunken, gelang unter Anwendung des sprichwörtlichen Nürnberger Witzes im 19. Jahrhundert der Wiederaufstieg zur modernen Industriestadt. Zugleich wurde Nürnberg zum romantisch-verklärten mittelalterlichen Schatzkästlein. Bereits im Vorgriff auf die Regelungen der Rheinbundakte erfolgte im März 1806 die Besetzung und am 15. September die Besitzergreifung der Reichsstadt durch den bayerischen Generalkommissar Karl Friedrich Grafen von Thürheim.78 Das Nürnberger Militär war in den letzten Jahren stark zusammengeschmolzen. Zunächst hatte man der Reichsstadt 1793 eine bedeutende Erleichterung bei der Truppenstellung zu den mobilisierten Kreistruppen gewährt, es marschierten nur noch zwei Grenadierkompanien und ein Anteil an einer Stabskompanie von zusammen 244 Köpfen aus. Doch die prekäre finanzielle und politische Lage, verschärft durch den Verlust der Einnahmen aus dem Landgebiet und den Kontributionen an die französische Armee, kumulierte 1797. Man war nicht mehr in der Lage, die Truppen zu bezahlen; die Mannschaften waren als sogenannte Standläufer nach Hause (»zum Stand«) gelaufen, um sich nicht unberechtigt über ausbleibenden Sold, schlechte Monturen und ungenießbares Brot zu beschweren. Neben den Offizieren standen so Ende März 1797 nur noch 34 Mannschaftsdienstgrade in den Listen. Am 28. April 1797 wurde Nürnberg schließlich von der Truppenstellung ins Feld ganz befreit, die Grenadierkompanien aufgelöst. Lediglich der Premierlieutenant 77 StadtAN E 28/II, Familienarchiv Praun, hier relevant die Nr. 342 bis 359. Praun (1769–?) wurde in Nürnberger Dienst noch charakterisierter Premierlieutenant und von Bayern als Oberlieutenant übernommen. Archenholz in Nr. 346, 5.3.1793. Der volle Titel des 1788 erschienenen Romans lautet Thekla von Thurn, oder Scenen aus dem dreißigjährigen Kriege (Nr. 344, hinterer Einbanddeckel). Der Feldmeßtisch in Nr. 342, 5.11.1783. Von Christoph Berthold Tucher kennen wir einen recht umfangreichen Bücherbestand von 139 Werken aus allen Gebieten, 16 davon Militaria im engeren Sinne (StadtAN E1/1871 Genealog. Papiere Nr. 5). 78 Der Übergang Nürnbergs an Bayern ausführlich im Katalog: Michael Diefenbacher /  Gerhard Rechter (Hrsg.): Vom Adler zum Löwen. Die Region Nürnberg wird bayrisch 1775–1835, Nürnberg 2006.

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Carl Wilhelm von Wölckern wurde mit Hauptmannscharakter weiter beim Reichsgeneralkommando eingesetzt. Das Militär wurde nun Objekt ausgedehnter Diskussionen mit dem Ziel, Kosten zu sparen. 1799 löste man die Infanteriekompanie des verstorbenen Georg C ­ hristoph Imhoff auf, 1806 folgte auch diejenige des Obristen Johann Georg Haller kurz nach dessen Tod. Der Mannschaftsbestand der Kavallerie war bereits stark abgesunken, 1773 beispielsweise auf 72 Köpfe. Mit dem Jahr 1799 erfolgte ein weiterer starker Einbruch auf nur 28 Köpfe, danach starben die vier Kompanien nach und nach aus.79 Schließlich standen im September 1806 noch 22 Offiziere und 292 Mannschaften in den Listen der Feldmiliz. Dazu kamen 45 Invalide, 19 Einspänniger und diverse Funktionsträger, etwa die Wachtmeister unter den Toren. Sie alle wurden durch den Kriegsobristen Imhoff am 19. September 1806 in einem feierlichen Akt auf den bayerischen König vereidigt und in dessen Dienste übernommen. »4 Laib Brod zum erstenmal v. Baierlein / Bairisch, bairisch, bairisch muß seyn!« reimte etwas holprig der Hauptmann Johann Friedrich Sigmund Praun in seinem Tagebuch. »Der Pensions Zustand brennt auf die Seele« heißt es am 22. November.80 Denn die bayerische Militärverwaltung siebte die neugewonnenen Soldaten sofort aus. Pensioniert wurde nicht nur ein Teil der Mannschaften. Auch viele Offiziere stellte man außer Dienst. Von den 22 Nürnberger Offizieren der Feldmiliz übernahm Bayern lediglich fünf. Auch der Stadthauptmann Carl Alexander Grundherr und dessen Adjutant Carl Christoph Grundherr blieben im Dienst. Der Secondelieutenant und Interimskommandeur der Festung Lichtenau Johann Wilhelm Christoph von Möck wurde in eine Garnisonskompanie versetzt. Einige der pensionierten Offiziere mobilisierte man später zeitweise für die Nationalgarde. Für die rats- und gerichtsfähigen, zu baye­ rischer Zeit in die bayerische Adelsmatrikel aufgenommenen Familien blieb aber der Dienst im nun bayerischen Militär auch weiterhin eine Option.81

79 StAN, Rst. Nbg., Ämterrechn. V Nr. 302–327. 80 StadtAN Familienarchiv Praun, Akten und Bände Nr. 359, Einträge 1.8. und 22.11.1806. 81 Namentliche Aufstellung des Bestands und der zu Pensionierenden in StAN, Rst. Nbg., Rentkammer Akten Nr. 2148, Consignatio, 17.9. und Verzeichnis, 31.10.1806. Vereidigung der Nürnberger: StAN, Rst. Nbg., Kriegsamt Nr. 97, insbesondere Protokolle 16. und 19.9.1806. Die Offiziere teilweise zusammengestellt bei Friedrich von Furtenbach: Die rats- und gerichtsfähigen Familien der vormaligen Freien Reichsstadt Nürnberg im baye­ rischen Offizierskorps seit 1806, Nürnberg 1906. Die späteren tragischen Umstände Rechs in seiner bayerischen Personalakte: Hauptstaatsarchiv München Abt. Kriegsarchiv, Personalakten, OP 81356. Johann Wilhelm Christoph von Möck: ebd. OP 80306. Der Verbleib des Secondelieutenants Johann Christoph Malther ist ungeklärt. Übernommen wurden der Hauptmann Christoph Gottlieb Fürer, die Premierlieutenante Paul Sigmund Christoph Praun, Sigmund Friedrich Wilhelm Bartholomäus Viatis, Carl Christoph Alexander Peller und der Secondelieutenant Friedrich Christoph Rech.

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7. Nürnberger Offiziere – Versuch einer Einschätzung Das Nürnberger Militär basierte fast ausschließlich auf dem exorbitant großen und kostenintensiven Reichskontingent. Die Verfügungsgewalt der Reichsstadt darüber war im Krieg eng begrenzt. Im Frieden bildeten Kreisschlüsse, die Einordnung des Kontingents in die Kreisregimenter und Gewohnheit den weiten Rahmen. Als außenpolitisches Machtmittel oder auch nur vermietbare Subsidientruppe kam es nicht in Frage. Ungleich einer fürstlichen Garnisonsstadt brauchte jedoch die Reichsstadt die Konditionen von Unterbringung, Disziplinierung und Ökonomie des Militärs nicht mit einem womöglich abwesenden Landesherrn auszuhandeln. Das Kriegsamt als Vertreter der Obrigkeit entschied bis in Kleinigkeiten über die Angelegenheiten der Truppen, nötigenfalls auch mit Strenge gegen Offiziere aus ratsfähigen Familien. Wie gezeigt, entstammten die Nürnberger Offiziere nicht nur, aber zu einem signifikant hohen Anteil dem heimischen Patriziat. Gewissermaßen verstärkt wurden die ratsfähigen Geschlechter dabei vor allem von den ratsnahen gerichtsfähigen Familien. Auch Niederadel und Bürger im Militär sind, soweit ersichtlich, in der Regel in der engeren Region verortet. Man könnte beim reichsstädtischen Offizierskorps insofern fast von einer Art closed shop sprechen. Der Dienst als Offizier, sei es bei der Reichsstadt, sei es bei fremdem Dienstherrn bildete wie auch anderswo eine schon allein zahlenmäßig wichtige Option einer standesgemäßen Beschäftigung auch des Stadtadels. Die individuelle Motivation für den Offiziersberuf muss in der Regel zwar vorbehaltlich detaillierter biographischer Forschung offenbleiben. Doch ist der Aspekt der Versorgung nicht zu unterschätzen, wenngleich für viele Offiziere, die durch das Dienstaltersprinzip stark formalisierte Karriere endete, ehe der auskömmlich bezahlte Rang eines Kompanieinhabers erreicht werden konnte. Subalternoffiziere bildeten ein militärisches Prekariat, das zwischen Anspruch standesgemäßen Auftretens und finanziellen Möglichkeiten zu lavieren hatte. Die Lebensweise eines höheren Offiziers, der jahreszeitlich im Stadthaus oder auf dem Herrensitz auf dem Land wohnte, konnte dagegen durchaus adligem Selbstverständnis entsprechen. Das Nürnberger Offizierskorps ist also nur begrenzt als eine ökonomische Elite anzusprechen.82 Gerade bei den ratsfähigen Geschlechtern zeigt sich etwa am Heiratsverhalten und den Patenschaften deutlich, dass der soziale Status der Ratsfähigkeit wichtiger war als der eines Offiziers. Gerichtsfähige und adlige Offiziere hingegen tendierten dazu, Taufpaten ihrer Kinder unter ihren Rang- und Standesgenossen zu suchen. Die Tendenz zur Abschließung der patrizischen Geschlechter ist auch hier sichtbar. Es bleibt zu fragen, inwieweit der gemeinsame Stand als Offizier die Scheidung in 82 Zum Thema Eliten und Militär vgl. Gundula Gahlen / Carmen Winkel: Militärische Eliten in der frühen Neuzeit: Einführung. In: Militär und Gesellschaft in der frühen Neuzeit 14 (2010) Heft 1, S. 7–31.

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ratsfähig und nichtratsfähig überbrücken konnte. Dienst und Reglements jedenfalls bestimmten gleiche Aufgaben und Kompetenzen. Eine negative Entwicklung griff zum Ende der reichsstädischen Zeit Raum, als die Karrierechancen auch hinsichtlich der höheren Kreisränge immer schlechter wurden. Der Rückzug Preußens für die beiden Brandenburger Markgraftümern aus den Kreisregimentern, die Revolutionskriege, eine verschleppte Reorganisation des Kreismilitärs, die Forderungen der Kaufmannschaft nach politischer Mitsprache, die Besetzung des Landgebiets durch Bayern und Preußen und nicht zuletzt die kata­strophale finanzielle Lage der Reichsstadt Nürnberg kulminierten in den Jahren 1796 und 1797. So mussten auch die Aussichten des immer weiter reduzierten Nürnberger Offizierskorps schlechter und schlechter werden. Nur wenige konnten in der Armee des neuen Stadtherrn Bayern 1806 ein Auskommen finden. Weitere Forschungen zur Verortung des Offizierskorps in der Stadtgesellschaft erscheinen wünschenswert, wenn auch quellenbedingt schwierig. In welchen Zusammenhängen außerhalb des Systems Militär erscheinen Offiziere? Wie gestaltete sich ihr Zusammenleben mit der Bürgerschaft? Gab es Konflikte mit nichtmilitärischen Behörden und wie weit konnte sich die militärische Seite durchsetzen? Finden sich Anzeichen zur Verwissenschaftlichung militärischer Bildung auch in der unmilitärischen Reichsstadt? Inwieweit sah sich der Nürnberger Offizier als Mitglied eines Offizierskorps oder -stands oder war doch die Identifikation mit dem Patriziat oder Niederadel wichtiger? Womöglich könnten hier Familienarchive oder Funde in anderem Zusammenhang zur Klärung beitragen.

Militär und Stadt im langen 19. Jahrhundert Thomas Tippach

Im Gefolge der sich seit der Balkankrise 1912 verschärfenden internationalen Spannungen wurden von den verantwortlichen Militär- und Zivilbehörden die wirtschaftlichen Kriegsvorbereitungen im Deutschen Reich bekanntlich zunehmend intensiviert.1 In diesem Kontext rückte zudem erstmals seit den 1880er Jahren die Versorgung der Festungsstädte im Falle einer möglichen Belagerung in den Fokus der Militärverwaltung. Die Diskussionen und Verhandlungen zwischen dem Militärfiskus auf der einen und den verschiedenen Instanzen der Ziviladministration auf der anderen Seite über den Umfang und die Sicherstellung des notwendigen Lebensmittelbedarfs in den betroffenen Städten wurden begleitet von der Frage nach der Ausweisung von Teilen der Zivilbevölkerung. Hierbei wurden die zivilen Lokalund Mittelbehörden vertraulich aufgefordert, Zahlen über die zeitweise umzusiedelnden Bewohner zu ermitteln. Für das Kölner Festungsgebiet, in dem 1910 rund 620.000 Einwohner lebten, ging der Oberpräsident der Rheinprovinz aufgrund der Rückmeldungen der Lokalbehörden von circa 100.000 Menschen aus, die von einer Zwangsevakuierung betroffen waren.2 Das Kriegsministerium reagierte regelrecht schockiert auf diese Mitteilung: »Solche Armeekorps von Abtransporten während der Mobilmachung zu befördern, sei vollständig ausgeschlossen«.3 Die überraschte Reaktion des Kriegsministeriums enthüllt nicht nur eine verblüffende Plan- und Hilflosigkeit der bewaffneten Macht gegenüber den Herausforderungen einer Festungsarmierung im Kriegsfall im Zeitalter der Urbanisierung, sondern sie offenbart prima vista vor allem auch eine erstaunliche Unkenntnis selbst über die quantitative Dimension des Städtewachstums im 19.  Jahrhundert. Dies reizt 1 Vgl. Lothar Burchard: Friedenswirtschaft und Kriegsvorsorge. Deutschlands wirtschaftliche Rüstungsbestrebungen vor 1914 (Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abt. Militärgeschichtliche Studien, Bd. 6), Boppard 1968. 2 Vgl. Vgl. GStA PK Rep. 77 Tit. 332bb, Nr. 30, Bd. 1, Bericht des Oberpräsidenten der Rheinprovinz. 14.8.1913.Thomas Tippach: Festungen im Rheinland. In: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-undThemen/Themen/festungen-im-rheinland/DE-2086/lido/57d12ab3881883.06935053#to c-7 [2016] (zuletzt abgerufen am 23.7.2020) sowie Bernhard Sicken: Zur Lage der Zivilbewohner in Festungsstädte beim Kriegsausbruch 1914. Kommunale Vorsorge für den Unterhalt und behördliche Zwangsmaßnahmen. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 78, 2019, S. 338–376, hier S. 345,347–354. 3 GStA PK Rep. 77 Tit. 332bb, Nr. 30, Bd. 1, Protokoll der kommissarischen Beratungen vom 9.1.1914.

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zu der Frage, wie die bewaffnete Macht Stadt und den Urbanisierungsprozess im langen 19. Jahrhundert überhaupt wahrnahmen. Diese Perspektive erscheint umso lohnender als sich letztlich die seit Wilhelm Heinrich Riehl latente, im weiteren Verlauf des Jahrhunderts wachsende (Groß-) Stadtkritik und der Antiurbanismus zu einer ideologischen Konstante des deutschen Konservativismus entwickelt hatten, zu dessen Protagonisten zumindest die meisten militärischen Entscheidungsträger zählten. Damit wird zugleich die gängige Perspektive der bisherigen geschichtswissenschaftlichen Forschung zum Verhältnis von Stadt und Militär umgekehrt. Sieht man von stadttypologischen Studien ab, die sich vorzugsweise mit Blick auf die Frühe Neuzeit dem Stadttyp Festungsstadt näherten,4 wird die Forschung bislang von Untersuchungen aus einer gleichsam städtischen Brille dominiert. Im Mittelpunkt standen bisher Arbeiten zu den ökonomischen, städtebaulichen, infrastrukturellen, kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Belegung einer Stadt mit Militär, wobei unter anderem versucht wurde, das zeitgenössische Narrativ einer Garnison als Quelle materiellen Wohlstands kritisch zu hinterfragen.5 Hinzu 4 Vgl. Edith Ennen: Die Festungsstadt als Forschungsgegenstand – die Herausbildung der Festungs- und Garnisonsstadt als Stadttyp. In: Hans-Walter Hermann / Franz Irsigler (Hrsg.): Beiträge zur Geschichte der Frühneuzeitlichen Garnisons- und Festungsstadt. Referate und Ergebnisse der Diskussion eines Kolloquiums in Saarlouis vom 24.–27.6.1980 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung XIII), Saarbrücken 1983, S. 19–34; Henning Eichberg: Festung, Zentralmacht und Sozialgeometrie. Kriegsingenieurwesen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden, Köln / Wien 1987; Thomas Tippach: Frühneuzeitliche Festungsstädte in Westfalen. In: Westfälischer Städteatlas Lieferung VI, Einleitungsfaszikel, Altenbeken 1999. Zu den Auswirkungen der Festungseigenschaft auf die Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert: Bernhard Sicken: Festungsstädte im 19.  Jahrhundert im Königreich Preußen und im Kaiserreich. Militärische Ansprüche an den Stadtraum im Wandel und in der Kritik. In: Peter Johanek (Hrsg.): Die Stadt und ihr Rand (Städteforschung A 70), Köln / Weimar / Wien 2008, S. 191–212; Thomas Tippach: Die Rayongesetzgebung in der öffentlichen Kritik. In: ebd.: S. 213–234. 5 Vgl. Bernhard Sicken: Stadt und militärische Anlagen. Historische Entwicklung im Stadtraum  – dargestellt am Beispiel der Landstreitkräfte, in: Stadt und militärische Anlagen. Historische und raumplanerische Aspekte (Veröffentlichungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Forschungs- und Sitzungsberichte 114, Hannover 1977, S. 15–148; Rainer Braun: Augsburg als Garnison und Festung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Aufbruch ins Industriezeitalter, Bd. 2: Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns 1750–1850, München 1985, S. 65–78; Thomas Bruder: Nürnberg als bayerische Garnison von 1806 bis 1914. Städtebauliche, wirtschaftliche und soziale Einflüsse (Nürnberger Werkstücke 48), Nürnberg 1992; Detlev Kotsch: Potsdam. Die preußische Garnisonstadt, Braunschweig 1992; Christian Lankes: München als Garnison im 19. Jahrhundert. Die Haupt- und Residenzstadt als Standort der Bayerischen Armee vom Kurfürst Max IV. Joseph bis zur Jahrhundertwende (Militärgeschichte und Wehrwissenschaften 2), Berlin / Bonn / Herford 1993; Wolfgang Schmidt: Eine Stadt und ihr Militär. Regensburg als bayerische Garnisonsstadt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Regensburg 1993; Ulrich Hettinger: Passau als Garnisonstadt im 19. Jahrhundert, Augsburg 1994;

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traten Studien zur Erwartungshaltung kommunaler Entscheidungsträger gegenüber einer längerfristigen Dislozierung militärischer Verbände und Betriebe6 sowie zur bewaffneten Macht als Faktor der inneren Sicherheit.7 Schließlich fand die Garnisonstadt als Folie zur Überprüfung der Militarisierungsthese Beachtung.8 Diese Hinwendung zu einer »Militärgeschichte vor Ort«9 hat fraglos zahlreiche neue Einsichten in das vielfältige Beziehungsgeflecht von Stadt und Militär eröffnet und somit wichtige Impulse für die Stadtgeschichtsforschung gegeben, gleichzeitig hat sie neue fruchtbare Ansätze für die Militärgeschichte aufgezeigt. Doch wie bereits gesagt liegt all diesen Studien eine eindimensionale Blickrichtung zugrunde. Eine Ausnahme stellt lediglich die Untersuchung Rüdiger Schmidts dar, der die unterschiedlichen Vorstellungen und divergierenden Einschätzungen des Bürgertums und des Militärs über das Phänomen »Sicherheit« thematisiert.10

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Rüdiger Schmidt: Heerwesen, Gemeindeordnung und städtische Interessenpolitik im Vormärz dargestellt am Beispiel der rheinischen Kommunen, Diss. Münster 1995; Bernhard Sicken (Hrsg.): Stadt und Militär 1815–1914. Wirtschaftliche Impulse, infrastrukturelle Beziehungen, sicherheitspolitische Aspekte, Paderborn 1998; Thomas Tippach: Koblenz als preußische Garnison- und Festungsstadt. Wirtschaft, Infrastruktur und Städtebau (Städteforschung A 53), Köln / Weimar / Wien 2000, Thomas Tippach: Die Garnisonstadt, in: Ulrich Wagner (Hrsg.): Geschichte der Stadt Würzburg Bd. III.1 Vom Übergang an Bayern bis zum 21. Jahrhundert, Stuttgart 2007, S. 800–825; Wencke Meteling: Ehre, Einheit, Ordnung. Preußische und französische Städte und ihre Regimenter im Krieg 1870/71 und 1914–19, Baden-Baden 2010; Robert Bohn / Michael Epkenhans (Hrsg.): Garnisonstädte im 19. und 20. Jahrhundert (IZRG-Schriftenreihe, 16), Bielefeld 2015. Neben den in Anmerkung 5 genannten Titeln v. a. Rainer Braun: Garnisonsbewerbungen aus Franken 1803–1919. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung, 47, 1987, S. 105–150 und Bernhard Sicken: Die Garnison im kommunalen Kalkül. Stadt und Militär in der Rheinprovinz und in der Provinz Westfalen 1815–1914. In: Jürgen Reulecke (Hrsg.): Die Stadt als Dienstleistungszentrum. Beiträge zur Geschichte der »Sozialstadt« in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1995, S. 57–124. Gernot Wittling: Zivil-militärische Beziehungen im Spannungsfeld von Residenz und entstehendem großstädtischen Industriezentrum. Die Berliner Garnison als Faktor der inneren Sicherheit. In: Bernhard Sicken (Hrsg.): Stadt und Militär (wie Anm. 5), S. 215–242; Ders.: Militär und staatliches Gewaltmonopol in der preußischen Hauptstadt Berlin zwischen Reaktion und Reichsgründung. In: Wolfgang Neugebauer / R alf Pröve (Hrsg.): Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700–1918 (Innovationen 7), Berlin 1998, S. 287–324. Ingrid Mayershofer: Bevölkerung und Militär in Bamberg 1860–1923. Eine bayerische Stadt und der preußisch-deutsche Militarismus, Paderborn 2010. Rüdiger Schmidt: Innere Sicherheit und »gemeiner Nutzen«. Stadt und Militär in der Rheinprovinz von der Reformzeit bis zur Jahrhundertmitte. In: Sicken (Hrsg.): Stadt und Militär (wie Anm. 5) Wirtschaftliche Impulse, infrastrukturelle Beziehungen, sicherheitspolitische Aspekte, Paderborn 1998, S. 153–214, hier S. 162. Rüdiger Schmidt: Industrialisierung, urbaner Wandel und sozialer Konflikt. Die bewaffnete Macht in Elberfeld zwischen Vormärz und Reichsgründung. In: Bohn / Epkenhans (Hrsg.): Garnisonstädte (wie Anm. 4), S. 81–108.

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1. Die verengte Sichtweise der Forschung ist überraschend, da spätestens mit dem Übergang zu den stehenden Heeren Militär und Stadt untrennbar miteinander verbunden sind. Holger Th. Gräf prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der »Stadtsässigkeit« des Militärs, den er zu einem zentralen Wesensmerkmal der stehenden Heere erhob, um den Unterschied zu den umherziehenden Söldnerhaufen herauszustreichen.11 Tatsächlich war es der wachsende und dauerhafte Quartierbedarf, der die bewaffnete Macht in die Städte zwang, denn nur hier stand hinreichend Quartierraum zur Unterbringung der Truppen zur Verfügung und trotz einzelner Kasernenbauten seit dem 18. Jahrhundert war das Militär zumindest in Preußen bis weit über die Frühe Neuzeit hinaus gezwungen, auf das Naturalquartier zurückzugreifen. Die Einquartierung erschien aus obrigkeitsstaatlicher Sicht sogar als besonders geeignete Unterbringungsform, da sie die gegenseitige Kontrolle von Stadtbürger und Soldat ermöglichte.12 Gleichzeitig sollte die Garnisonierung im ummauerten Stadtraum helfen, Desertionen zu erschweren. Die Symbiose von Militär und Stadt fand zudem ihren fiskalrechtlichen Niederschlag, denn zur Finanzierung der Unterbringung der bewaffneten Macht wurde die Servisabgabe als eine rein städtische Last eingeführt, woraus in Preußen im Zuge der Militär- und Staatsreformen zu Beginn des 19. Jahrhunderts beachtliche Friktionen erwuchsen. Die Beibehaltung des Servis als eine allein von den Städten zu tragende Belastung musste dazu beitragen, den Appell an den »Gemeinsinn« zu konterkarieren, weil sie im städtischen Bürgertum den Eindruck verfestigte, dass die Kosten für den Unterhalt der Armee nicht gleichmäßig auf die gesamte »Nation« verteilt wurden.13 Die Unterbringungsfrage war allerdings nicht allein verantwortlich für das wachsende Interesse der bewaffneten Macht an der Stadt in der Frühen Neuzeit. Die Städte waren von erheblicher Bedeutung für die Herausbildung und Durchsetzung frühneuzeitlicher Staatlichkeit. Eine Voraussetzung für die Durchsetzung staat­licher Machtansprüche waren bekanntlich umfassende Kenntnisse über das jeweilige Territorium. Als geeignetes Mittel der landesherrlichen Raumaneignung erschien die Kartographie. Neben meist lediglich rudimentären Ansätzen zur Landesaufnahme 11 Holger Th. Gräf: Militarisierung der Stadt oder Urbanisierung des Militärs. In: Ralf Pröve (Hrsg.): Klio in Uniform? Probleme und Perspektiven einer modernen Militärgeschichte der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 1997, S. 89–108, hier S. 98. 12 Vgl. Ralf Pröve: Der Soldat in der guten Bürgerstube. Das Frühneuzeitliche Einquartierungssystem und die sozioökonomischen Folgen. In: Bernhard R.  Kroener / R alf Pröve (Hrsg.): Krieg und Frieden. Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1996, S. 191–217, hier S. 201. 13 Vgl. Thomas Tippach: »…wodurch das üble Verhältnis entsteht, daß das Militair die Höhe der Steuern bestimmt, welche die Commune zu tragen hat.« Das Servisregulativ von 1810 und seine Folgen. In: Bohn / Epkenhans (Hrsg.): Garnisonstädte, (wie Anm. 4), S. 30–52.

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zeugt hiervon die wachsende Zahl von Stadtplänen, die auf Veranlassung des jeweiligen Landesherrn entstanden.14 Sie sind freilich nicht nur Ausdruck landesherrlicher sondern vor allem auch militärischer Raumdurchdringung, schenkten die meisten dieser Pläne, die unser Bild von der frühneuzeitlichen Stadt bis heute prägen, der Stadt als Siedlungsraum doch nur wenig Aufmerksamkeit und schon gar nicht dienten die Pläne als pragmatisches Hilfsmittel zur Sicherstellung der Unterbringung.15 Die Pläne konzentrierten sich auf die Darstellung der nach mehr oder minder zeitgenössischen Standards ausgebauten Stadtbefestigung, während der Raum intra muros häufig »leer« blieb oder allenfalls in einer vielfach eher schematischen Darstellung des Straßenrasters beziehungsweise der Baublöcke Beachtung fand. Die Stadt wurde mithin auf ihre Funktion als Festung reduziert. Sie wurde zum Gegenstand militärischer Planung und zum Ausdruck landesherrlicher Souveränität nach innen und außen. In ihr musste die ursprünglich dominierende Schutzfunktion der Befestigung für das Gemeinwesen und die Stadtbewohner hinter die militärisch und / oder politisch definierten Interessen des Staates zurücktreten.16 Noch deutlicher werden die militärischen Stadtvorstellungen in den Idealstadtplanungen, die bekanntlich teilweise realisiert wurden. Sie vermitteln nicht nur das Bild einer nach außen »wohlbefestigten« Stadt, sondern vor allem zeigt sich in ihrer an der Geometrie ausgerichteten Grundrissstruktur die allein an militärischen Erwägungen orientierten Vorstellungen einer »geordneten Stadt«.17 14 Vgl. Ferdinand Opll: Die Stadt sehen. Städteatlanten und der Blick auf die Stadt. In: ­Wilfried Ehbrecht (Hrsg.): Städteatlanten. Vier Jahrzehnte Atlasarbeit in Europa (Städteforschung A 80), Köln / Weimar / Wien 2013, S. 3–29, hier S. 8. Siehe auch Wolfgang Scharfe: Der Anfang – Festungs- und Stadtpläne. In: Wolfgang Scharfe / Holger Scheerschmidt (Hrsg.): Berlin-Brandenburg im Kartenbild. Wie haben die anderen gesehen? Wie haben wir uns selbst gesehen? Berlin 2000, S. 34–48. 15 Auch während des 19.  Jahrhunderts erfolgte die Führung der Einquartierungskataster ausschließlich als Textkataster, obwohl die Verbindung von Text und Karte ihre Zweckdienlichkeit in der Steuerverwaltung nachdrücklich bewiesen hatte. – Zu Karten als Ausdruck pragmatischer Bildlichkeit vgl. Mark Mersiowsky: Aus den Anfängen der Kartographie in Westfalen. Die Mühlen bei Lippstadt (1473). In: Westfälische Zeitschrift 147, 1997, S. 9–18 und zuletzt Katrin Marx-Jaskulski / A nnegret Wenz-Haubfleisch (Hrsg.): Pragmatische Visualisierung. Herrschaft, Recht und Alltag in Verwaltungskarten (Schriften des Hessischen Staatsarchivs Marburg 18), Marburg 2020. 16 Vgl. Thomas Tippach: Frühneuzeitliche Festungsstädte in Westfalen. In: Westfälischer Städteatlas VI. Lieferung, Einleitungsfaszikel, Altenbeken 1999. 17 Vgl. Horst de la Croix: Military Considerations in City Planning: Fortification (Planning and Cities) New York 1972, bes. S. 48–52; Hartwig Neumann: Reißbrett und Kanonendonner. Festungsstädte der Neuzeit. In: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Klar und lichtvoll wie die Regel. Planstädte der Neuzeit vom 16.  Bis zum 18.  Jahrhundert, Karlsruhe 1990, S. 51–76, bes. S.66–69 sowie zuletzt Ulrich Schütte: Die bauliche Repräsentation von Sicherheit. In: Christoph Kampmann / Ulrich Niggemann (Hrsg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm. Praxis. Repräsentation (Frühneuzeit-Impulse 2), Köln / Weimar / Wien 2013, S. 228–235, hier S. 229 ff.

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Mit der in den letzten Dezennien des 18. Jahrhunderts einsetzenden Entfestigungswelle18 und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust der Festungsstädte als zentralem Element zur Durchsetzung und Sicherung der Landesherrschaft rückte die Stadt insgesamt aus dem Fokus der bewaffneten Macht, wenngleich sie als Garnisonort weiterhin natürlich unverzichtbar blieb. Dies spiegeln etwa die kartographischen Quellen wie beispielsweise die in den preußischen Westprovinzen in erster Linie aus militärischen Interessen durchgeführte topographische Landesaufnahme der 1830er und 1840er Jahre zeigt. Sie zielte nicht auf eine exakte Abbildung des städtischen Siedlungsraums, sondern aufgrund der Komplexität des Stadtgrundrisses erschien es mit Blick auf den gewählten Maßstab (1:25.000) hinreichend, lediglich die sogenannten »Kolonnenstraßen« im Stadtraum präzise wiederzugeben.19 Ebenso wenig hatte die Hinwendung zu einer Defensivkriegsstrategie nach dem Ende der napoleonischen Kriege Einfluss auf die militärische Stadtwahrnehmung. Der Strategiewechsel, für den die Durchsetzung der europäischen Friedensordnung mit ihren Prinzipien staatlicher Souveränität, monarchischer Solidarität und konstitutiver Legitimität verantwortlich war, löste einen erneuten, allerdings letztlich auf wenige Städte begrenzten Aufschwung des Festungsbaus aus. So bedeutsam die Festungsstädte für die strategische Planung im 19. Jahrhundert waren,20 so stellten sie ohnehin allenfalls eine Randerscheinung der Städtelandschaft dar. Dennoch sind sie für die hier verfolgte Fragestellung von besonderer Bedeutung, denn in ihnen bündelten sich die Herausforderungen der Urbanisierung und deren Wahrnehmung durch das Militär wie unter einem Brennglas. Hier fand das Zusammenleben von Zivil und Militär im wahrsten Sinne in einem eng begrenzten, zudem in seiner Entwicklung unter militärischem Vorbehalt stehenden Raum statt, woraus zwangsläufig enge Kontakte zwischen den kommunalen Entscheidungsträgern auf der einen und den Spitzen der Garnison auf der anderen Seite resultierten. Die Offiziere wurden hier mit den »Modernisierungsschmerzen«,21 die aus dem, sich seit der Jahrhundertmitte mehr und mehr beschleunigenden Bevölkerungswachstum resultierten, unmittelbar konfrontiert. In den, in ihrer räumlichen Entwicklung behinderten Festungsstädten führte selbst eine moderate Zunahme der Einwohnerschaft rasch zu einer deutlichen Verdichtung der Bevölkerung und damit einhergehend zu einer Verschlechterung der Wohnsituation und sanitären Verhältnisse. Dies blieb nicht ohne Folge für den Gesundheitszustand der Einwohner und barg in Anbetracht des selbst in den Festungsstädten nach wie vor nicht vollständig abgeschafften Bürger18 Siehe hierzu Yair Mintzker: The defortification of the German city. 1689–1866, Cambridge 2012, S. 85–102. 19 Vgl. Thomas Tippach: Die Topographische Landesaufnahme. Geschichtliche Entwicklung und Quellenwert. In: Westfälischer Städteatlas XI. Lieferung, Einleitungsfaszikel, Altenbeken 2010, S. 5–12, hier S. 9. 20 Siehe hierzu unten Kapitel 3. 21 Formuliert in Anlehnung an Dennis E. Showalter: Army and Society in Imperial Germany: The Pains of Modernization. In: Journal of Contemporary History Vol. 18, No. 4 1983, S. 583–618, der allerdings allein auf die Modernisierung der Kriegsführung abhebt.

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quartiers22 erhebliche Gesundheitsrisiken für die jeweilige Garnison. Daher scheinen in den Festungsstädten die Offiziere vorzugsweise aber die Militärärzte, die in Preußen seit 1835 in den Sanitätskommissionen der Garnisonstädte mitwirken sollten,23 den gesundheitlichen Problemen und den Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege zunehmend aufgeschlossen gegenüber gestanden zu haben wie beispielsweise die Mitgliedschaft von immerhin fünf Militärärzten der Koblenz-Ehrenbreitsteiner Garnison an der Ortsgruppe Koblenz des Niederrheinischen Vereins für öffentliche Gesundheitspflege nahelegt,24 wenngleich sie keinen direkten Einfluss auf die Entwicklung der sanitären Infrastruktur der Stadt nahmen. Über den lokalen Erfahrungshorizont hinaus rückten die sich zunehmend verschärfenden hygienischen und sanitären Zustände in den Festungs- und Garnisonstädten indes nur allmählich in den Fokus der bewaffneten Macht. Zwar hatten sowohl der preußische als auch der bayerische Militärfiskus bereits zu einem Zeitpunkt als in den meisten deutschen Staaten die Bemühungen um eine zivile Medizinalstatistik kaum auf Resonanz gestoßen waren,25 die Entscheidung getroffen, jährlich Daten über den Gesundheitszustand und die Verbreitung von Krankheiten in ihren Streitkräften zu erheben, doch in den seit 1867 erstellten und rückwirkend publizierten »Statistischen Sanitätsberichten« fehlte ein eigenständiges Kapitel zur jeweiligen gesundheitlichen Situation in den einzelnen Garnisonorten. Und ebenso machte der Entwurf eines Gesetzes zur Aufnahme einer Anleihe zur Kasernierung des Reichsheeres 1877, in dem erstmals im politisch-öffentlichen Raum Grundsätze zur Truppendislozierung formuliert wurden, Dislokationsentscheidungen keinesfalls von Überlegungen zur öffentlichen Gesundheitspflege abhängig, wenngleich in einigen wenigen Standorten die mangelhaften sanitären Zustände als ein Kriterium für die geplante künftige Entwicklung aufscheinen.26 Erst ab 1890, als zu22 Vgl. Bernhard Sicken: Festungsstädte im 19. Jahrhundert im Königreich Preußen und im Kaiserreich. Militärische Ansprüche an den Stadtraum im Wandel. In: Peter ­Johanek (Hrsg.): Die Stadt und ihr Rand (Städteforschung 70), Köln / Weimar / Wien 2008, S. 191– 212, hier S. 208. In Magdeburg, Stettin, Kolberg, Stralsund und Swinemünde lag die Kasernierungsquote 1872 unter 50 %. 23 Vgl. Gesetzsammlung für die Kgl. Preußischen Staaten 1835, Nr. 27, S. 239–286, hier S. 242. 24 Tippach: Koblenz (wie Anm. 5), S. 141. 25 Vgl. Axel C.  Hüntelmann: Konstruktion und Etablierung der Medizinalstatistik in Deutschland. Ca. 1850–1900. In: Stefan Haas / Michael C. Schneider / Nicolas Bilo (Hrsg.): Die Zählung der Welt. Kulturgeschichte der Statistik vom 18.  bis 20.  Jahrhundert (Studien zur Alltags- und Kulturgeschichte 32), Stuttgart 2019, S. 23–49. 26 Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, 3. Leg. Per., I. Sess. 1877, 3. Bd. Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstags, Aktenstück 22., S. 50–174, zu den allgemeinen Dislokationsgrundsätzen S. 51 f. Lediglich in Inowroclaw (S. 67) und Hamm (Westf.) (S.94) waren es die sanitären Verhältnisse, die den Militärfiskus zu einer Dislokationsänderung veranlassten. Bei Danzig (S. 63) und Radeberg (S. 133) begründeten die hohe Bevölkerungsdichte bzw. das rasche Bevölkerungswachstum, die zu ungünstigen Quartierverhältnissen führten, die geplanten Truppenreduzierungen.

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mindest in den mittleren und größeren Städten die Daseinsvorsorge als unverzichtbarer Teil des kommunalen Aufgabenspektrums anerkannt, zudem der Ausbau der sanitären Infrastruktur bereits vielfach weit vorangeschritten war und sich das Schlagwort vom urban graveyard allmählich umzukehren begann, erschien der Medizinalabteilung des preußischen Kriegsministeriums »nunmehr« die Anfertigung von »Hygienisch-statistischen Beschreibungen der Garnisonorte« als erforderlich, nicht zuletzt um Sanitätsoffizieren, die neu in einen Standort versetzt wurden, eine Orientierungshilfe zu bieten.27 Zuvor waren offenbar allenfalls in einzelnen Standorten auf Initiative des jeweiligen Garnisonarztes entsprechende Berichte angefertigt worden, denen freilich kein einheitliches Erhebungsraster zu Grunde lag. Vorbild für die Ministerialentscheidung war die Praxis in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das Kaiserliche und Königliche Kriegsministerium gab entsprechende Beschreibungen bereits seit 1887 in gedruckter Form heraus.28 Die Anweisung des preußischen Kriegsministeriums sah vor, dass für jeden Standort im Reich entsprechende Erhebungen angefertigt werden mussten, die für das Königreich Bayern vollständig überliefert sind.29 Einzelne Standortbeschreibungen wurden schließlich mit teilweise beachtlicher Auflage publiziert.30 Ungeachtet der in der Debatte über die Stadthygiene nach wie vor einflussreichen Miasmentheorie verlangte das Kriegsministerium das Augenmerk in den Berichten vor allem auf die Wasserversorgung zu richten, die Abwässerentsorgung erwähnte das Ministerium hingegen nicht. Bereits 1892 wurde das Berichtspektrum allerdings erweitert: ergänzend sollten jetzt Pläne des jeweils vorhandenen Kanalisationssystems, von Schlachthäusern, Desinfektionsanstalten sowie Beschreibungen der zivilen Krankenhäuser aufgenommen werden.31 Die Zusammenstellungen, die – sofern sie 27 Bay. HStA Abt. IV, KA, MKr 10299, Schreiben der Medizinalabteilung des peußischen Kriegsministeriums vom 4.1.1890 an die Korpsärzte. 28 Die hygienischen Verhältnisse der grösseren Garnisonsorte der österr.-ungar. Monarchie Bd. 1: Graz, Budapest, Prag, Kaschau, Wien 1887. Insgesamt erschienen bis 1904 15 Bände. Neben den genannten Beschreibungen erfolgten Veröffentlichungen zu Pressburg, Agram, Klagenfurt, Brünn, Szegedin, Laibach, Salzburg, Budweis, Innsbruck, Sarajevo, Lemberg, Wien.  – Zum Vorbildcharakter vgl. Bay.HStA Abt. IV, KA MKr 10299, Schreiben der Medizinalabteilung des preußischen Kriegsministeriums vom 4.1.1890 an die Korpsärzte. 29 Bay HStA Abt. IV KA, MKr 10300–10337. 30 So erschien der Band zu Augsburg mit einer Auflage von 400 Exemplaren, von denen immerhin 125 zum freien Verkauf vorgesehen waren. Vgl. Bay. HStA Abt. IV, KA, MKr 10299, Schreiben der Medizinalabteilung im bayerischen Kriegsministerium an den Kriegsminister 27.6.1900. – Unter dem Reihentitel »Garnisonbeschreibungen vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aufgestellt« wurden in Preußen Bände zu Kassel (1893) Stettin (1895), Liegnitz (1896), Hannover (1896), Frankfurt an der Oder (1899), Potsdam (1900), Bremen (1903), in Bayern zu Augsburg (1900) und in Sachsen zu Zittau (1909) veröffentlicht. 31 Vgl. Bay. HStA Abt. IV, KA, MKr 10299, Anlage zum Reskript des Kriegsministeriums vom 18.2.1892.

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gedruckt wurden – teilweise aufgrund der Materialbeschaffung bei den Kommunalbehörden mehr oder minder starke lokalpatriotische Züge aufweisen, gingen jedoch rasch darüber hinaus. In erster Linie war es ein statistischer Blick, der die Garnisonbeschreibungen kennzeichnete. Zu den zentralen Inhalten gehörten Statistiken zur Einwohnerzahl und zur Bevölkerungsentwicklung der jeweiligen Stadt. Hinzu kamen analog zur Praxis in der Habsburger Doppelmonarchie Auflistungen zu Nationalität, Rasse und Religion, zur Berufsstruktur sowie zur Morbidität und Mortalität. Damit bewegten sich die Vertreter der bewaffneten Macht fraglos auf dem Stand der Wissenschaft, galt die Statistik doch als Grundlage zur Erfassung der gesellschaftlichen Entwicklung.32 Aber nicht nur dieser umfassende statistische Blick auf die Stadtgesellschaft zeigt, dass es dem Militärfiskus um mehr ging als um eine Aufnahme der hygienischen und sanitären Zustände und ihre möglichen Einflüsse auf die Gesundheit der Truppen. Wenn der Korpsarzt des I. bayerischen Armeekorps verlangte, den Fokus insbesondere auf die lokale Industrie sowie die von ihr ausgehenden Umweltbelastungen und die Arbeiterbevölkerung zu richten,33 geschah dies nicht allein aus der Befürchtung heraus, dass sich Infektionskrankheiten, die in dicht besiedelten und häufig schmutzigen Arbeitervierteln auftraten, kaum einhegen ließen und rasch auf die ganze Stadt ausbreiten konnten, sondern die Forderung entsprang gleichermaßen der Sorge, dass von den unzureichenden Wohnverhältnisse und den hygienischen Zuständen in diesen Stadtvierteln erhebliche sozialpolitische Gefahren ausgingen34 wie nicht zuletzt die Garnisonbeschreibung für Augsburg indirekt nahelegt. Der Bericht betont explizit das gute Einvernehmen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, was auf die »Humanität und den Opfersinn« der Arbeitgeber zurückzuführen sei, die bereits vor der Bismarckschen Sozialgesetzgebung Unterstützungs- und Krankenkassen eingeführt und gut ausgestattete Arbei32 Vgl. zuletzt Christa Kamleithner: Kategorisierung und Zonierung. Der Entwurf der modernen Stadt im Statistischen Bureau. In: Stefan Haas u. a. (Hrsg.): Die Zählung der Welt. (wie Anm. 25), S. 51–71, bes. S. 51–53. 33 Bay. HStA Abt. IV, KA, MKr 10299, Schreiben des Korpsarztes des I. bay. Armeekorps vom 10.2.1890. 34 Zum Zusammenhang von Gesundheit und den sozialpoltischen Gefahren vgl. Juan Rodriguez-Lores: Stadthygiene und Städtebau. Am Beispiel der Debatten im Deutschen Verein für öffentliche Gesundheitspflege. In: Jürgen Reulecke / Adelheid Gräfin zu Castell-­ Rüdenhausen (Hrsg.): Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von Volksgesundheit und kommunaler Gesundheitspolitik im 19 und frühen 20. Jahrhundert (Nassauer Gespräche der Freiherr vom Stein Gesellschaft 3), Stuttgart 1991, S. 63–75, hier 64 f; Jürgen Reulecke: Die Politik der Hygienisierung. Wandlungen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge als Elemente fortschreitender Urbanisierung. In: Imbke Behnken (Hrsg.): Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozeß der Zivilisation. Konfigurationen städtischer Lebensweisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Opladen 1990, S. 13–25, hier S. 15, 23; Friedrich Lenger: Stadthygiene: Gesundheit und städtischer Raum in Europa während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Heinz Peter Schmiedebach (Hrsg.): Medizin und öffentliche Gesundheit. Konzepte, Akteure, Perspektiven, Berlin / Boston 2018, S. 85–94, bes. S. 89.

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terquartiere erbaut hätten. Unterstellt wird hiermit implizit ein geringes Potential für Arbeiterunruhen oder gar revolutionärer Bewegungen. In anderen Standort­ beschreibungen wurde das Problem der Arbeiterviertel eher klein geredet. Für Kassel wurde trotz der beachtlichen Industrieansiedlungen im Westen der Stadt das Fehlen eines »massenhafte[n] Auftretens einer dicht zusammengedrängten Fabrikbevölkerung« hervorgehoben, was sich als vorteilhaft für die gesundheitlichen Zustände erweise, während für Bremen konstatiert wurde, dass es »glücklicherweise noch keine geschlossenen Stadtteile der Armut und des Elends« gebe; lediglich in der am linken Weserufer liegenden Neustadt gebe es ungünstige Wohnbedingungen in den sogenannten Gängen. Für Zittau wurde das Fehlen von »Zinskasernen« positiv herausgestrichen.35 Mit diesen Standortbeschreibungen steht erstmals eine Quelle zur Verfügung, die einen umfassenden Einblick in die Wahrnehmung von Stadt durch den Militärfiskus oder präziser durch Vertreter des militärischen Sanitätswesens bietet. Im Mittelpunkt steht zum einen die Erfassung gesellschaftlicher Strukturen und damit indirekt die daraus ableitbaren sozialpolitischen Implikationen, zum anderen wird aber ein grundsätzlich positives Bild gezeichnet, das von den beeindruckenden Fortschritten im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge geprägt ist,36 die zunehmend die Dislokationsentscheidungen beeinflussten.37 Allerdings waren sich die Verantwortlichen im preußischen Kriegsministerium offenkundig der Dynamik städtischer Entwicklung nicht bewusst. Obwohl die sich rasch wandelnden städtischen Verhältnisse, die aus den statistischen Zusammenstellungen in den Garnisonbeschreibungen selbst, zudem aus den in der Bibliothek des Kriegsministeriums problemlos

35 Zu Augsburg: Beschreibung der Garnison Augsburg vom Standpunkte der Gesundheitspflege aus aufgestellt (Garnisonbeschreibungen vom Standpunkt der Gesundheitspflege, hrsg. von der Medizinalabteilung des Königlich Bayerischen Kriegsministeriums, Bd. 1), München 1900, S. 57; zu Kassel vgl.: Beschreibung der Garnison Cassel, vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aufgestellt, (Garnisonbeschreibungen vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aufgestellt, Bd. 1), Berlin 1893, S. 146; zu Bremen: Beschreibung der Garnison Bremen vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aufgestellt (Garnisonbeschreibungen vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aufgestellt, Bd. 7), Berlin 1903, S. 37; zu Zittau: Beschreibung der Garnison Zittau vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus aufgestellt (Garnisonbeschreibungen vom Standpunkt der Gesundheitspflege, hrsg. von der Medizinalabteilung des Königlich Sächsischen Kriegsministeriums, Bd. 1), Leipzig 1909. 36 Vgl. auch Das Königlich Preußische Kriegsministerium 1809–1909, Berlin 1909, S. 363. Hier zeigt sich eine analoge Wahrnehmung. 37 Zumindest eine, zeitgenössischen Standards entsprechende Wasserversorgung erschien aus Sicht der militärischen Entscheidungsträger für die Standortwahl als relevant. Vgl. BA MA PH 2/253 Kriegsminister v. Einem an das Staatsministerium 28.4.1905. Erik v. Baerensprung: Der Nutzen von Armee und Flotte für die deutsche Volkswirtschaft. In: Beiheft zum Militär-Wochenblatt, Jg. 1904, 10. Heft, S. 425–446, hier S. 441.

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zugänglichen – offenbar jedoch unzureichend rezipierten – Erhebungen der zivilen staatlichen Statistik38 leicht ablesbar waren, war zunächst keine laufende Fortschreibung der Berichte vorgesehen. Erst seit 1899 forderte das Kriegsministerium eine regelmäßige, zweijährige Aktualisierung – eine Praxis, zu der das bayerische Kriegsministerium bereits 1892 übergegangen war.39 Die kontinuierlichen Ergänzungen bieten indes in der Regel keine Gesamtdarstellung der städtischen Zustände mehr, sondern referieren lediglich über die Fortentwicklung der kommunalen und militärischen Infrastruktur sowie gegebenenfalls über besonders auffälliges Auftreten von Infektionskrankheiten. Ferner änderte sich der Adressatenkreis. Die Meldungen dienten nun in erster Linie der Information der Medizinalabteilung im Kriegs­ ministerium. Die Wahrnehmung des Urbanisierungsprozesses lässt sich freilich nicht auf den Ausbau der kommunalen Leistungsverwaltung reduzieren. Bei genauerer Betrachtung bietet sich ein durchaus ambivalentes Bild, das gerade auch die Sanitätsoffiziere zeichneten. Neben die Wertschätzung der hygienischen Fortschritte oder der Verbesserung der Wohnverhältnisse durch kommunale Maßnahmen wie Bauordnungen und Wohnungsinspektionen trat der Topos vom sittlichen und moralischen Verfall der großstädtischen Gesellschaft.40 Er gehört fraglos zum Standardrepertoire der Truppenärzte bei der Bewertung der Ursachen eines gehäuften Auftretens von Geschlechtskrankheiten. So wurde die hohe Zahl an venerisch erkrankten Soldaten im Gardekorps 1867 ausdrücklich mit »der größeren Verbreitung dieser Krankheit [der Syphilis] in den volkreichen Städten mit ihrem Prostitutionsunwesen« in Verbindung gebracht. Verbunden war die Kritik mit dem Vorwurf einer als dekadent empfundenen Lebensweise: Die vermeintlich wohlhabenderen Soldaten in den Gardetruppen verfügten über »Mittel zu Ausschweifungen«.41 Das III. Armeekorps, dessen Befehls- und Rekrutierungsbereich sich weitgehend mit der Provinz Brandenburg deckte, wies ebenfalls eine erhebliche Infektionsrate auf, die sich aus Sicht des zuständigen Korpsarztes auf die »Einschleppung« von Geschlechtskrankheiten durch die neu ausgehobenen Rekruten aus der Hauptstadt zurückführen ließ.42 Obwohl eine hohe Zahl von Geschlechtskrankheiten unter den Rekruten und Soldaten 38 Vgl. Verzeichnis der in der Bücherei des Kriegsministeriums vorhandenen Werke, Berlin 1904, S. 243 f. 39 Vgl. Bay. HStA Abt. IV, KA, MKr 10299, Schreiben der Medizinalabteilung des preu­ ßischen Kriegsministeriums an den bayerischen Kriegsminister 1.7.1899 und Antwort der Medizinalabteilung des bayerischen Kriegsministeriums an den Kriegsminister 22.7.1899. 40 Siehe hierzu allgemein Andrew Lees: Critics of Urban Society in Germany, 1854–1914. In: Journal of the History of Ideas Vol. 40, No. 1, 1979, S. 61–83, bes. S. 70 f. Ders.: Cities percieved. Urban Society in European ad American Thought. 1820–1940, Manchester 1985, S. 142–148, 158–164,171–174. 41 Vgl. Statistischer Sanitätsbericht über die königliche preußische Armee für 1867, Berlin 1870, S. XVI. 42 Vgl. ebd. S. XIX.

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keinesfalls ein ausschließlich großstädtisches Phänomen war, ließe sich die Liste entsprechender Belege problemlos verlängern,43 wobei nicht nur die Großstädte sondern auch Industriestädte im Allgemeinen in die Kritik gerieten. Hierbei konnten Stadt- und beinahe sozialdemokratisch anmutende Sozialkritik eine überraschende Symbiose eingehen, wenn beispielsweise konstatiert wurde, dass Fabrikarbeiterinnen aufgrund der schlechten Bezahlung zur Subsistenzsicherung zur Prostitution gezwungen seien.44 Eine entsprechende großstadtkritische Einstellung findet sich aber nicht nur aus der Feder von Sanitätsoffizieren. Die oberste Kommando- und Ministerialebene hatte die großstadtkritischen Topoi ebenso verinnerlicht. Die entsprechende Publizistik beschrieb Großstädte als Hort gesellschaftlicher Degenerationsprozesse, die ihren Ausdruck unter anderem in einem allein auf die Außenwirkung zielenden, luxusorientierten Konsumverhalten fanden. Vor allem aber unterminierte die großstädtische Lebensweise mit ihrer Betonung der Individualität die »Gemeinschaft« beziehungsweise die »Familie«. Beide Begriffe waren konstitutive Metaphern für die militärische Vergesellschaftung. Gemeinschaft war eine zentrale Voraussetzung für die Kameradschaft und die Regimentsfamilie hatte in den Vorstellungen der Vorgesetzten die Herkunftsfamilie abgelöst.45 Es kann daher nicht verwundern, dass die Versuchungen der Großstadt als Gefahr für den Zusammenhalt insbesondere des Offizierskorps angesehen wurden. Mit der Aufforderung zur Rückbesinnung auf das »kameradschaftliche Leben« versuchte die oberste Kommandoebene, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.46 Diese, sich in regelmäßig wiederholten Befehlen

43 Siehe bspw. Der Gesundheitszustand des deutschen Heeres. In: Österreichischer Soldatenfreund 1909, 24.12.1909, S. 716. Der Artikel zitiert einen deutschen Bericht. Zum vermehrten Vorkommen von Geschlechtskrankheiten auch in kleineren Garnisonstädten vgl. bspw. Statistischer Sanitätsbericht über die königliche preußische Armee vom 1.4.1879 bis zum 31.3.1881, Berlin 1882, S. 88. 44 Vgl. Statistischer Sanitätsbericht über die königliche preußische Armee und das XIII. (württembergische) Armeekorps für die Jahre 1870 f.und das erste Vierteljahr 1873 ausschließlich des Krieges 1870/71, Berlin 1877, S. 4; Statistischer Sanitätsbericht über die königliche preußische Armee und das XIII. (württembergische)  Armeekorps vom 1.4.1874 bis zum 31.3.1878, Berlin 1880, S. 48. Statistischer Sanitätsbericht über die königliche preußische Armee, das XII. und XIX. Königl. Sächsische und das XIII. Königl. Württembergische Armeekorps vom 1.10.1903 bis zum 30.9.1904, Berlin 1904, S. 105. 45 Vgl. Ute Frevert: Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001, S. 246–248. Marcus C. Funck: Feudales Kriegertum und militärische Professionalität. Der Adel im preußisch-deutschen Offizierkorps 1860–1935, Berlin 2019 [Diss. Berlin 2003], S. 208 f. 46 Vgl. Kabinettsordre Wilhelms II. aus Anlaß der Übernahme des Oberbefehls über die Armee 5.7.1888, in: Hans Meier-Welcker (Hrsg.): Offiziere im Bild von Dokumenten aus drei Jahrhunderten (Beträge zur Militär- und Kriegsgeschichte 6), Stuttgart 1964, S. 195–197,

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niederschlagende Haltung floss gleichfalls in viel gelesene Dienstratgeber ein,47 so dass Zweifel an der Wirksamkeit dieser Maßregeln berechtigt sind. Ohnedies stand dieser großstadtkritische Tenor im Kontrast zu der aus individuellen Erfahrungen und Erwartungen gespeisten Sicht eines erheblichen Teils des Offizierskorps selbst. Insbesondere die jüngeren, unverheirateten Offiziere zeigten sich offen gegenüber den Reizen der Großstadt. In einer Vielzahl von Lebenserinnerungen wird ein positiv konnotiertes Bild der Großstadt der Monotonie des Dienstes, der Trostlosigkeit und Langeweile in Klein- und Grenzstädte mit ihren begrenzten sozialen Kontakt- und Freizeitmöglichkeiten gegenübergestellt.48

2. Bekanntlich erlebte die Großstadtkritik in Deutschland seit den späten 1880er Jahren einen deutlichen Aufschwung. Es ist hier nicht der Ort, die zeitgenössischen Vorstellungen im Einzelnen zu wiederholen. Stärker als zuvor erschien die Stadt als Bedrohung für das Überleben des Volkes; eigens wurde zudem die Gefahr einer sinkenden Wehrkraft heraufbeschworen, obwohl bereits Wilhelm Heinrich Riehl einen Zusammenhang zwischen der Stadtsässigkeit des Militärs und den daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die ländliche Bevölkerung, die für ihn den »Kern« der bewaffneten Macht bildete, hergestellt hatte.49 Mit diesem Argument waren freilich die Interessen der bewaffneten Macht direkt berührt. Es stellt sich daher die Frage, inwieweit diese Akzentsetzung den militärischen Stadtdiskurs beein-

hier 196. Die Kabinettsordre spricht ausdrücklich von den Versuchungen, denen die Offiziere in den größeren Garnisonen ausgesetzt seien. Vgl. auch mit weiteren Belegen Heiger Ostertag: Bildung, Ausbildung und Erziehung des Offizierkorps im deutschen Kaiserreich 1871bis 918. Eliteideal, Anspruch und Wirklichkeit, Frankfurt am Main / Bern / New York 1990, S. 48 f, Funck: Feudales Kriegertum (wie Anm. 45), S. 210, 217. 47 Vgl. [Rudolf] Krafft: Dienst und Leben des jungen Infanterie-Offiziers, Berlin 1914, S. 260 f. 48 Vgl. bspw. Colmar Frhr. v. d. Goltz: Denkwürdigkeiten, Berlin 1932, S. 34, Franz v. Lenski: Aus den Leutnantsjahren eines alten Generalstabsoffiziers. Erinnerungen an den Rhein und die Reichshauptstadt aus den 80er und 90er Jahren des 19.  Jahrhunderts, Berlin o. J. [1922], S. 65, 86 und mit weiteren Belegen Funck: Feudales Kriegertum (wie Anm. 45), S. 218. 49 Vgl. Wilhelm Heinrich Riehl: Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik. Bd. 2: Die bürgerliche Gesellschaft, Stuttgart ²1854, S. 76. Vgl. hierzu auch Klaus Bergmann: Agrarromatik und Großstadtfeindschaft. Studien zur Großstadtfeindschaft und »Landflucht«-Bekämpfung in Deutschland seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, Meisenheim a.d. Glan 1970, S. 45. Zur Bedeutung des Wehrkraftarguments vgl. auch Lees: Critics (wie Anm. 40), S. 72 und Dirk Schubert: Großstadtfeindlichkeit und Stadtplanung. Neue Anmerkungen zu einer alten Diskussion. In: Die alte Stadt, 13. Jg., 1986, S. 22–41, hier S.26.

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flusste. Direkte Belege lassen sich kaum finden50 und die in der Handbuchliteratur herausgestellte bewusste Rekrutierung vornehmlich der ländlichen Bevölkerung51 kann schwerlich als Indiz für eine wachsende Relevanz großstadtkritischer Denkmodelle für militärische Entscheidungen herangezogen werden, denn schließlich dienten die Wehrpflichtigen in städtischen Garnisonen. Gerade dieser Punkt war es, den Konservative und vor allem agrarische Interessenvertreter immer wieder in ihre Agitation einfließen ließen: Der Militärdienst infiziere die aus dem ländlichen Raum stammenden Rekruten mit sozialdemokratischen Gedankengut, zudem setze er sie den Verlockungen der Großstadt aus und begünstige damit die Landflucht, eine Perspektive, die sich auch mancher Vertreter des preußischen Ministeriums für Landwirtschaft zu eigen machte.52 Noch im Frühjahr 1918 behauptete das Landwirtschaftsministerium anlässlich der Planungen für die Demobilmachung, dass in der Zeit vor dem Kriegsausbruch 45 % der Rekruten nicht in ihre ländliche Heimat zurückgekehrt, »sondern in den Großstädten« verblieben seien, eine Größenordnung, die freilich vom Kriegsministerium bestritten wurde, wenngleich dessen Vertreter einräumen musste, dass die zweijährige Dienstzeit fraglos enge Bindungen zwischen den Wehrpflichtigen und ihrer Garnisonstadt sowie ihrer Bevölkerung entstehen lasse.53 Letztlich ging es den Vertretern der Agrarlobby ohnehin in erster Linie allein um die Sicherstellung eines hinreichenden, insbesondere aber fügsamen und untertänigen Arbeitskräftepotentials, für das die verbreitete Stadtkritik ideale Argumente lieferte. Um ihre Ziele durchzusetzen, forderte sie daher seit den 1890er Jahren die Vermehrung kleinstädtischer Garnisonen, ein Postulat, das ebenso im 50 Vgl. indes Militär-Wochenblatt 75. Jg. 1890, Nr. 85, 8.10.1890, S. 2578. Aufgrund des offiziösen Charakters der Zeitschrift kann jedoch angenommen werden, dass zumindest in Teilen des Kriegsministeriums die Sichtweise geteilt wurde. 51 Vgl. bspw. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte 3. Bd.: Von der »Deutschen Doppelrevolution« bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995, S. 1123 f. Differenziert indes Frevert: Die kasernierte Nation (wie Anm. 45), S.259–261. 52 Vgl. bspw. Deutsche Tageszeitung 591, 5. Jg. 18.12.1898. Die Zeitung wurde vom Bund der Landwirte herausgegeben. Siehe auch Das Land. Zeitschrift für die sozialen und volksthümlichen Angelegenheiten auf dem Lande, 1. Jg., 1893, S. 23 f; Das Land 6. Jg., 1897/1898, S. 309, S. 378 f; Das Land, 7. Jg., 1898/1899, S. 134; Das Land 16.Jg. 1907/1908, S. 240. Vgl. hierzu auch Bergmann: Agrarromatik (wie Anm. 49), S. 69. Siehe auch Frevert: Kasernierte Nation (wie Anm. 45), S. 258 f. Zur agrarischen Interessenpolitik immer noch unverzichtbar Hans-Jörg Puhle: Agrarische Interessenpolitik und preußischer Konservativismus im wilhelminischen Reich (1893–1914). Ein Beitrag zur Analyse des Nationalismus in Deutschland am Beispiel des Bundes der Landwirte und der Deutsch-Konservativen Partei, Hannover 1966. 53 GStA PK I. HA, Rep. 77 Tit 332d Nr. 1, Bd. 2 fol. 143 ff Niederschrift einer Besprechung von Vertretern der Ministerien am 28.3.1918 [Protokoll datiert am 15.4.1918], Zitat fol 144v. – Es fehlt bislang an empirischen Untersuchungen zur Bedeutung des Militärs für die städtische Zuwanderung.

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»Nationalitätenkampf« gegenüber der polnischen Bevölkerung in den preußischen Ostprovinzen erhoben wurde.54 Damit erscheint die Dislokationspolitik als ein geeigneter Indikator, um zu ermessen, in weit sich das Militär diese Argumentation zu eigen machte. Blickt man auf die Ergebnisse der Volkszählungen, so hat in Preußen zwischen 1875 und 1910 eine Verlagerung von Garnisonen aus den Klein- und Landstädten in die Mittel- und Großstädte stattgefunden. Unter Zugrundelegung der von Matzerath entwickelten Gemeindegrößenklassen55 befanden sich 1875 von den 219 Garnisonen 1,8 % der Garnisonen in Stadtgemeinden mit weniger als 2.000 Einwohnern, 20,1 % in Landstädten bis 5.000 und knapp 58 % in Kleinstädten bis 20.000 Einwohner. Indes waren lediglich 38 von 51 Mittelstädten (20.000–100.000 Einwohner) auch Garnisonstädte, während alle sechs preußischen Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern eine Garnison beherbergten.56 Dabei handelte es sich jedoch neben Berlin mit Breslau, Hannover und Königsberg um Provinzialhauptstädte, in denen nicht nur die Generalkommandos des jeweiligen in der Provinz liegenden Armeekorps untergebracht waren, sondern hier trug die bewaffnete Macht mit ihrer Präsenz im alltäglichen Leben wesentlich zur Sichtbarkeit und Inszenierung des Staates bei; in diesen Städten war die Streitmacht unverzichtbar. Hinzu traten Köln, das als eine der zentralen Festungen an der Westgrenze zwangsläufig über eine entsprechend starke Garnison verfügte sowie Frankfurt (Main), in der die Garnison nicht zuletzt den Wechsel der Landesherrschaft (1866) repräsentierte. 1910 war die Zahl der Standorte auf 194 zurückgegangen. Nur noch gut die Hälfte von ihnen lag in Land- und Kleinstädten: so entfielen 6,1 % der Garnisonen auf Landstädte und 44,3 % auf Kleinstädte, allerdings war nur in knapp dreiviertel der 33 Großstädten eine Garnison disloziert.57 Vor allem die Großstädte im Rheinisch-Westfälischen

54 Vgl. Das Land 7. Jg., 1895/96, S. 134. BA MA PH 2/253 Belegung kleiner Städte in den Ostmarken mit Garnisonen 1904–1906 passim. Siehe auch mit weiteren Belegen Tippach: Koblenz (wie Anm. 5), S. 204 f, Anm. 702. 55 Vgl. Horst Matzerath: Urbanisierung in Preußen (Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik 70), Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1985, S. 391. Abweichend zu Matzerath werden hier die Stadtrechtsorte und Titularstädte mit weniger als 2.000 Einwohnern auch als Stadtgemeinde gezählt. Die der Zuweisung zugrundeliegende Einwohnerzahl bezieht sich auf die Gesamtbevölkerung einschließlich der Militärpersonen. Zur Problematik der Erfassung des Militärs in den Volkszählungen siehe Tippach: Koblenz (wie Anm. 5), S. 8–15. 56 Vgl. Preußische Statistik Heft 39, 1. Hälfte: Die Ergebnisse der Volkszählung und Volksbeschreibung vom 1. Dezember 1875 im preußischen Staate, Berlin 1877, S. 208–215. Unberücksichtigt bleiben bei der Auswertung Standorte mit einer zweistelligen Zahl an Militärpersonen. 57 Preußische Statistik Heft 234: Die endgültigen Ergebnisse der Volkszählung vom 1.Dezember 1910 im preußischen Staate sowie in den Fürstentümer Waldeck und Pyrmont, Berlin 1913, S. 306–314.

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Industriegebiet waren – trotz etlicher städtischer Initiativen – »garnisonfrei« geblieben. Hierbei mögen Vorbehalte des Militärfiskus gegenüber einer mancherorts starken sozialistischen Bewegung ebenso eine Rolle gespielt haben wie die lokalen Umweltbedingungen, die Flächenkonkurrenz mit den Industriebetrieben oder das Fehlen urbaner Strukturen in rasch gewachsenen Industrieorten wie Hamborn oder Gelsenkirchen.58 Eine geringfügige Verschiebung zugunsten der Land- und Kleinstädte erfolgte schließlich im Gefolge der Heeresvermehrungen seit 1912. Ihr Anteil wuchs auf 7,3 beziehungsweise 45,4 %.59 Mit Mühlhausen in Thüringen wurde lediglich eine Mittelstadt neu mit einer Garnison belegt. Die sich in dem hier skizzierten statistischen Befund niederschlagende zunehmende Verlagerung der Garnisonen in die Mittel- und Großstädte war zum einen fraglos auf das Städtewachstum zurückzuführen, das dazu geführt hatte, dass manche Garnisonstadt, die 1875 noch zu den Kleinstädten zählte, inzwischen zur Mittelstadt herangewachsen war. Zum anderen zielte der Militärfiskus mit seiner Dislokationspolitik bereits seit den 1860er Jahren auf eine stärkere Truppenkonzentration, um eine effizientere Ausbildung und rationellere und somit kostengünstigere Versorgung und Verwaltung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang waren vor allem seit dem Ende der 1870er Jahre eine Reihe von vielfach in Land- oder Kleinstädten liegenden Standorten, die lediglich ein, zwei Eskadronen Kavallerie oder Teile von Infanterie- oder Feldartillerieregimentern beherbergten, aufgelöst worden.60 Schließlich waren es handfeste fiskalische Erwägungen, die der gewünschten Vermehrung kleinstädtischer Garnisonen entgegenstanden, denn die Dislokationsentscheidungen hingen nicht zuletzt von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab, wenngleich es dem Militärfiskus unschwer gelang, das in der Epoche nach der Reichsgründung stetig wachsende Interesse der Kommunen an der Einwerbung einer Garnison, das in der Regel mit großzügigen finanziellen oder geldwerten Zugeständnissen untermauert wurde, zu seinen Gunsten zu nutzen. Zwischen den Kommunen hatte diese Praxis zu einem Konkurrenzkampf geführt, in dem die häufig wenig finanzkräftigen Land- und Kleinstädte kaum mithalten konnten.61 Die Rücksicht auf den Militär58 Zu den Motiven, die die Dislokationsentscheidungen im rheinisch-westfälischen Industriegebiet in den Dezennien um die Jahrhundertwende vgl. Christoph Irzik: Sicherheits- und Wirtschaftsmotive bei Garnisonbewerbungen aus dem rheinisch-westfälischen Industriegebiet in der Kaiserzeit. In: Sicken (Hrsg.): Stadt und Militär (wie Anm.5), S. 263–280. Zu den Vorbehalten gegenüber Städten mit einer starken sozialistischen Bewegung vgl. auch Braun: Garnisonbewerbungen (wie Anm. 6), S. 122. 59 Eigene Berechnung auf der Grundlage der Volkszählung von 1910 und der Rangliste der Königlich Preußischen Armee und das XIII. Königlich Württembergische Armeekorps für 1914, Berlin 1914. 60 Vgl. Tippach: Koblenz (wie Anm. 5) S. 187 f und für Bayern Braun: Garnisonbewerbungen (wie Anm. 6), S. 121–123. 61 Vgl. Sicken: Garnison im kommunalen Kalkül (wie Anm. 6), S. 58; Tippach: Koblenz (wie Anm. 5), S. 204, 210; Braun: Garnisonbewerbungen (wie Anm. 6), S. 119–121.

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etat war freilich ebenfalls politisch motiviert, da es ungeachtet des alleinigen Rechts des Monarchen zur Bestimmung eines Garnisonorts schließlich der Reichstag war, der die Mittel zur Einrichtung einer Garnison freigeben musste.62 Dass erst der durch die großen Heeresvermehrungen seit 1912 geschaffene Spielraum genutzt wurde, um dem politischen Drängen nach Vermehrung kleinstädtischer Garnisonen stärker zu entsprechen, deutet darauf hin, dass sich der Militärfiskus in seinen Dislokationspolitik weniger von großstadtkritischen Überlegungen als vielmehr von militärisch-funktionalen und allenfalls begrenzt von politischen Erwägungen63 leiten ließ, zumal mancher militärische Entscheidungsträger diesen Forderungen durchaus kritisch gegenüberstand. Widerspruch war in erster Linie von den Kommandierenden Generälen und aus dem Offizierskorps artikuliert worden,64 denn es gab nicht nur die, durch das unterschiedliche Prestige der Truppengattungen und Einheiten fragmentierte Welt der Regimenter wie es Marcus C. Funck pointiert formuliert,65 sondern es hatte sich auch eine zutiefst fragmentierte Welt der Garnisonstädte herausgebildet. In den Residenz-, Landes- und Provinzialhauptstädten lagen nicht nur die Regimenter mit einem hohen Ansehen, das reziprok auf die Städte zurückfiel,66 diese Standorte boten ebenso wie die größeren Verwaltungsstädte vor allem ein dem Selbstverständnis des Offizierskorps angemessenes gesellschaftliches Umfeld. Sie galten im Offizierskorps als sehr gute und gute Garnisonen, während Kleinstädte und peripher gelegene Standorte als schlechte Garnisonen wahrgenommen wurden.67 In ihnen fehlten die Möglichkeiten, standesgemäße soziale Kontakte auch außerhalb des Korps zu pflegen. Konnten adelige Offiziere noch Verbindungen zum Landadel knüpfen, die freilich in weitgehend polnischen Regionen fortfielen,

62 Vgl. BA MA PH 2/253 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums 28.6.1905. Kriegsminister von Einem äußerte hier anlässlich einer Diskussion über die Vermehrung kleiner Garnisonen in der Provinz Posen als Reaktion auf den »Nationalitätenkampf« die Befürchtung, dass der Reichstag »neue Garnisonen zu politischen Zwecken« nicht billigen werde. 63 So waren 1903 im Gefolge der »Hebungspolitik« zu Lasten des preußischen Staatshaushalts in der Provinz Posen in Wreschen (1910 7267 Einwohner) und Schrimm (1910 6993 Einwohner) Garnisonen eingerichtet worden. Vgl. Tippach: Koblenz (wie Anm. 5), S. 204, Anmerkung 702. 64 Vgl. Das Land 7. Jg. 1898/99, S. 134. 65 Vgl. Funck: Feudales Kriegertum (wie Anm. 45), S. 221. Siehe auch ebd. S. 207 und Ostertag: Bildung (wie Anm. 46), S. 48. 66 Vgl. Wencke Meteling: Regimenter als Image prägende Standortfaktoren. Regimentsgeschichte als regionale Militärgeschichte am Beispiel der brandenburgischen Garnison Frankfurt (Oder). In: Geschichte und Region / Storia e regione 14. Jg. 2005, Heft 2, S. 42– 61, hier S. 45, 48 f. 67 Vgl. Franz Carl Endres: Soziologische Struktur und ihr entsprechende Ideologien des deutschen Offizierkorps vor dem Weltkriege. In Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 58, 1927, S. 272–319, hier S. 296.

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so standen diese Verkehrskreise bürgerlichen Offizieren allenfalls begrenzt offen. Damit war unter anderem der Heiratsmarkt für jüngere Offiziere eingegrenzt. Zudem fehlten Möglichkeiten zur adäquaten Zerstreuung;68 Hazardspiel gehörte in den Kleinstädten offenbar zum täglichen Leben,69 so dass Verschuldung drohte. Ob darüber hinaus möglicherweise die Gefahr durch Alkoholmissbrauch vorlag, kann indes aufgrund der unzureichenden Quellenlage nicht beurteilt werden.70 In jedem Fall erwarteten die Vorgesetzten ungeachtet der oben skizzierten verbreiteten Großstadtkritik auf der obersten Kommandoebene von einer Vermehrung kleinstädtischer Garnisonen nicht allein grundsätzliche Nachteile für die Ausbildung, sondern sie fürchteten explizit um die »Erziehung« des Offizierskorps.71

3. Die Wahrnehmung von Stadt durch die bewaffnete Macht kann allerdings nicht nur auf die Garnisonstädte reduziert werden, denn zum einen galt der urbanisierte Raum als Ausgangspunkt und Zentrum revolutionärer Bestrebungen,72 zum anderen spielten Städte in ihrer Eigenschaft als Festungen bis in den Ersten Weltkrieg hinein eine bedeutsame Rolle in der Kriegführung. Im Folgenden ist daher abschließend der Blick auf die Wahrnehmung der Stadt als »Kampfraum«73 zu richten. Die revolutionären Unruhen im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatten den städtischen Raum immer wieder in das Blickfeld des Militärs treten lassen. So hatten beispielsweise die Kommandobehörden in Würzburg im Gefolge der wachsenden politischen Unsicherheiten zu Beginn der 1830er Jahre einen Plan zur Aufstellung von Geschützen in der Stadt entworfen, um angesichts der als zu schwach empfundenen Garnison die Kontrolle über den Stadtraum sicherstellen zu können,74 und nach der Revolution von 1848 beauftragte der bayerische König eine Kommission, Vorschläge zur »Erhöhung der Sicherheit aller Standorte des Königreichs im Falle

68 Vgl. Das Land, 7. Jg. 1898/1899, S. 155. Funck: Feudales Kriegertum (wie Anm. 50), S. 217–219. 69 Vgl. Lenski: Leutnantsjahre (wie Anm. 48), S. 65. 70 Vgl. Alfred Heggen: Alkohol und bürgerliche Gesellschaft Im 19. Jahrhundert (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 64), Berlin 1988, S. 123 f. 71 BA MA PH 2/253. Sitzung des Staatsministeriums 28.6.1905. 72 Vgl. bspw. Bay HStA Abt IV KA, MKr Nr. 2497, Schreiben des preußischen Kriegsministeriums an die Stellvertretenden Kommandierenden Generäle 4.4.1918. 73 Der Begriff wurde von Adrian E. Wettstein – freilich mit einem Fokus auf den Stadtraum in zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen – eingeführt. Vgl. Adrian E. Wettstein: Raumwahrnehmungen und Raumpraktiken des deutschen Militärs im »Kampfraum Stadt«. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 73, 2014, S. 389–413 und Ders.: Die Wehrmacht im Stadtkampf 1939–1942 (Krieg in der Geschichte 81), Paderborn 2014. 74 Vgl. Tippach: Die Garnisonstadt (wie Anm. 5), S. 896 und Tafel 45.

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von Unruhen« zu unterbreiten. Im Mittelpunkt der als Hörmann-Bericht bekannt gewordenen Überlegungen stand die Empfehlung zum Bau von Defensionskasernen, die als Ausgangspunkt für militärische Maßnahmen gegen Aufständische an strategisch wichtigen Punkten in den Städten – vor allem in München – errichtet werden sollten.75 Die Standortüberlegungen Hörmanns zielten ebenso wie der Würzburger Plan jeweils auf eine Kontrolle der gesamten Stadt. Bekanntlich wurden die Pläne Hörmanns aber lediglich in Ansätzen umgesetzt. Zudem besaßen die Projekte nur eine lokale Perspektive. Grundsätzliche Leitlinien für die Bekämpfung innerstädtischer Tumulte und Unruhen wurden aus ihnen nicht abgeleitet. In den anderen deutschen Staaten lassen sich entsprechende umfassende Planungen nicht finden, was nicht ausschloss, dass in ihnen gleichwohl einzelne Militärbauten ausgeführt wurden, um zentrale innerstädtische Punkte zu kontrollieren.76 In den ersten Dezennien des Kaiserreichs trieben weder die Generalstäbe noch die jeweils regional verantwortlichen Kommandierenden Generäle Planungen zur Bekämpfung innerer Unruhen voran, obwohl die bewaffnete Macht vor dem Hintergrund des Erstarkens der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie von den Staatsregierungen und der Ziviladministration zunehmend als »innenpolitisches Kriseninstrument« verstanden wurde, das für die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Fall gewaltsamer Unruhen unverzichtbar war.77 Der grundsätzlich geringe Stellenwert des Stadtraums in der militärischen Planung zeigt sich darin, dass etwa die Generalstäbe in Preußen und Bayern noch bis in den Ersten Weltkrieg hinein keine systematische Sammlung von großmaßstäbigen Stadtplänen angelegt hatten.78 Gleichfalls enthielten die einschlägigen Ausbildungsvorschriften keiner-

75 Vgl. Rainer Braun: Der König und die Armee. In: Haus der bayerischen Geschichte (Hrsg.): König Maximilian II. von Bayern 1848–1864, Rosenheim 1988, S. 163–173, hier S. 171, Lankes: München (wie Anm. 5), S. 426–433. 76 So z. B. die Wache am Unterbaum in Berlin. Vgl. Alfred F. Bluntschli: Gebäude für Verwaltung, Rechtspflege und Gesetzgebung. Militärbauten. Teil 4 Entwerfen, Anlage und Einrichtung der Gebäude (Handbuch der Architektur Teil 4, Halbband 7), Darmstadt 1887, S. 581, Wittling: Militär (wie Anm. 7), S. 321. 77 So zuletzt Frank Becker: »Bewaffnetes Volk« oder »Volk in Waffen«. Militärpolitik und Militarismus in Deutschland und Frankreich 1870–1914. In: Christian Jansen (Hrsg.): Der Bürger als Soldat. Die Militarisierung europäischer Gesellschaften im langen 19. Jahrhundert: ein internationaler Vergleich (Krieg und Frieden, Bd. 3), Essen 2004, S. 158–174, hier S. 169. 78 Vgl. Karten-Sammlung des Königlich Preußischen Großen Generalstabes o. O. 1916. Auch die Überlieferung in Bayern deutet darauf hin, dass hier ebenfalls keine systematische Stadtplansammlung durch den Generalstab angelegt wurde. Vgl. Bay HStA Abt. IV, KA, Generalstab 578. Und wenn vereinzelt großmaßstäbige Stadtpläne erworben wurden, lag der Fokus weniger auf dem Stadtgrundriss als vielmehr dem Relief. Vgl. ebd. Schreiben des Kriegsministeriums an den Generalstab zur Erstellung einer Garnisonkarte von Ulm (1 : 5.000) vom 2.7.1902.

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lei Vorgaben über den Kampf in Städten.79 Erst die von der Kriegsgeschichtlichen Abteilung des Generalstabs 1907 erarbeitete Denkschrift »Der Kampf in insurgierten Städten« leitete hier einen begrenzten Wandel ein.80 Sie bot eine historische Aufarbeitung der revolutionären Ereignisse von der Julirevolution 1830 über die Revolution von 1848 in Paris, Berlin, Dresden und Brescia, den Aufstand der Commune 1871, die Unruhen in Mailand 1898 bis zur Revolution in Moskau 1905. Die Studie bietet für jede Stadt eine Analyse des jeweiligen Aufstandsverlaufs und der militärischen Reaktionen. Vorgeschaltet ist jeweils eine vordergründig-positivis­tische geographische Beschreibung der jeweiligen Stadt, die eine Rezeption innerstäd­ tischer Segregations- und Differenzierungsprozesse nicht erkennen lässt. Sie hat ohnehin einen eher erratischen Charakter, da sie ohne Relevanz für die anschließende Betrachtung der militärischen Maßnahmen blieb.81 Die Denkschrift bildete die Grundlage für die im folgenden Jahr von den Generalkommandos der verschiedenen Armeekorps erlassenen, mehr oder weniger konkreten Bestimmungen über die Verwendung von Truppen zur Unterdrückung innerer Unruhen. In ihnen zeichnet sich ein Paradigmenwechsel auf Seiten der bewaffneten Macht ab. Zielten die bayerischen Erwägungen der 1830er und 1850er Jahren stets auf die Beherrschung des gesamten Stadtraums ab, war dies jetzt zunächst nicht mehr das vordringliche Ziel. Wenngleich die Truppenkommandeure aufgefordert wurden, sich auf der Grundlage von – offensichtlich erst zu beschaffenden – Stadtplänen und Kartenblättern der Topographischen Landesaufnahme ein Bild vom Einsatzort zu verschaffen,82 wurde in den konkreten Einsatzvorgaben der Stadtraum nicht als Gesamtheit in den Blick genommen. Folgt man neueren Forschungen zur räumlichen Dimension von städtischer Gewalt, die die Gesamtstadt als Makroebene definiert, so ist in den 79 Vgl. Bernd F. Schulte: Die deutsche Armee 1900–1914 zwischen Beharren und Verändern, Düsseldorf 1977, S. 539, Thomas Tippach: Die bewaffnete Macht – Garant der öffentlichen Ordnung und revolutionäres Element. In: Frank Bischoff / Guido Hitze / Wilfried Reininghaus (Hrsg.): Aufbruch in die Demokratie. Die Revolution von 1918/19 im Rheinland und in Westfalen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen NF 51), Münster 2020, S. 39–61, hier S. 44. 80 Vgl. zum Folgenden Tippach: Die bewaffnete Macht (wie Anm. 79), S. 42–46 und W ­ ilhelm Deist: Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914–1918 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, 2.  Reihe, Bd. 1.I,) Düsseldorf 1970, S. XXXV.– XXXVIII. 81 Bay HStA Abt. IV, KA MKr Nr. 2497, Denkschrift Kampf in insurgierten Städten. – Lediglich für Moskau finden sich in der geographischen Darstellung Hinweise auf innerstädtische Differenzierungsprozesse, die aber ebenfalls ohne Relevanz für die Analyse der Revolution bleiben. 82 Vgl. Bay HStA Abt. IV, KA MKr Nr. 2497, Bestimmungen über die Verwendung von Truppen zur Unterdrückung innerer Unruhen vom 4.2.1908, Druck des IV. Armeekorps, Anhang Ziffer 25. Eine analoge Anweisung gab auch das Generalkommando des in Teilen der Rheinprovinz diszlozierten VIII. Armeekorps. Vgl. ebd., Bestimmungen des Generalkommandos des VIII. Armeekorps, 1.4.1911, Ziffer 17.

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Anweisungen der Kommandobehörden eine Konzentration auf die Mikroebene beziehungsweise allenfalls auf einzelne Stadtteile (Mesoebene) festzustellen.83 Die Truppen wurden angewiesen, einzelne Punkte beziehungsweise konkreter zentrale Einrichtungen zu besetzen. Im Fall einer Gefahr oder bei Verhängung des Belagerungszustands sollten die Liegenschaften und Gebäude der Staats- und Kommunalverwaltung, der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur sowie Banken militärisch gesichert werden. Besondere Aufmerksamkeit galt ferner den Einrichtungen der kommunalen Daseinsvorsorge, insbesondere den Gas- und Elektrizitätswerken. Ihre Inbesitznahme und Betriebsfähigkeit waren essentiell, da die hell erleuchtete Stadt kontrollierbarer erschien.84 Mittelbar ließ sich mit der Konzentration der Truppen auf diese Einrichtungen das Stadtzentrum beherrschen.85 Dieses Vorgehen sollte allerdings nicht als ein Reaktion auf das räumliche Wachstum der Stadt missverstanden werden: Die bewaffnete Macht zielte mit diesem Schritt prioritär auf die Sicherung und Verteidigung eines als »bürgerlich« verstandenen Stadtraums, während den Arbeitervierteln als Wohnort der potentiellen Revolutionäre erstaunlicherweise eine nachrangige Bedeutung in der Operationsplanung zugemessen wurde. Trotz der Forderung, den Kampf gegen Aufständische »offensiv« zu führen,86 ging es der bewaffneten Macht offenbar nicht in erster Linie um die Eroberung dieser Stadtviertel, in denen die Arbeiterschaft ihren Rückhalt und Rückzugsraum hatte. Möglicherweise fürchtete die bewaffnete Macht verlustreiche Häuser- und Barrikadenkämpfe, für die sie unzureichend ausgerüstet und ausgebildet war. Vor allem aber waren die Arbeiterviertel aufgrund ihrer vielfach kleinräumigen Strukturen und häufig verwinkelten Gassen viel schwieriger zu kontrollieren. Erst in einer späteren Phase sollten sie durch Heranführung zusätzlicher Truppen von außen durch eine

83 Vgl. zu diesen Kategorien William H. Sewell: Space in contentious politics. In: Ronald Aminzade (Hrsg.): Silence and Voice in the Study of Contentious Politics, Cambridge 2012, S. 51–88. – Erstaunlicherweise hat sich die Forschung bislang nicht mit der Wahrnehmung des Stadtraums durch das Militär zugewandt. Vgl. bspw. die Beiträge in Friedrich Lenger (Hrsg.): Kollektive Gewalt in der Stadt. Europa 1890–1939, München 2013 und in Fabien Jobard / Daniel Schönpflug (Hrsg.): Politische Gewalt im urbanen Raum, Berlin 2019. 84 Vgl. Bay HStA Abt. IV, KA MKr Nr. 2497, Bestimmungen über die Verwendung von Truppen zur Unterdrückung innerer Unruhen vom 4.2.1908, Druck des IV. Armeekorps Ziffer 29a, Ziffer 60. Eine analoge Wahrnehmung findet sich auch ebd., Erlass des preußischen Kriegsministers an sämtliche Generalkommandos 26.11.1910. Siehe auch den Erlass des Kriegsministeriums vom 8.2.1912. Dieter Dreetz: Der Erlaß des preußischen Kriegsministers vom 8.Februar 1912 zur Verwendung der Armee zur Bekämpfung innerer Unruhen. In: Militärgeschichte 14, 1975, S. 561–571. 85 Darauf zielten bspw. auch die Einsatzplanungen des Kommandeurs der Landwehrinspektion Dortmund. Vgl. Tippach: Die bewaffnete Macht (wie Anm. 79), S. 46. 86 Vgl. Bay HStA Abt. IV, KA MKr Nr. 2497, Bestimmungen über die Verwendung von Truppen zur Unterdrückung innerer Unruhen vom 4.2.1908, Druck des IV. Armeekorps, Anhang zu Ziffer 63.

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»Umzingelung« niedergerungen werden.87 Mit der Konzentration auf das Stadtzentrum hatten die Militärs in gewisser Weise die Vorstellungen oppositioneller Gruppen über die Inbesitznahme des Stadtraums antizipiert, denn diese strebten in der Vorkriegszeit bei ihren Kundgebungen demonstrativ eine »Eroberung« der als bürgerliche Herrschaftszentren wahrgenommenen Innenstädte an.88 Zeigen diese Planungen, dass sich die bewaffnete Macht durchaus der innerstädtischen Differenzierungs- und Segregationsprozesse bewusst war, so bleibt zu fragen, inwieweit die Urbanisierung Auswirkungen auf die militärische Stadtrezeption mit Blick auf einen möglichen Festungskrieg hatte. Wie oben bereits erwähnt hatte der Festungsbau nach dem Ende der napoleonischen Ära mit ihrem Paradigma vom Bewegungskrieg einen Aufschwung erlebt. Im Zuge des militärischen Entscheidungsfindungsprozesses zum Aufbau eines Festungssystems wurde der Zusammenhang von Stadt und Festung zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Eine Diskussion über die Errichtung rein militärischer, von städtischen Siedlungen losgelösten Befestigungsanlagen fand nicht statt.89 Die Auswirkungen der Festungseigenschaft auf die künftige Stadtentwicklung und auf die Einwohnerschaft spielten in den Erwägungen keine Rolle. Dies vermag nicht zu verwundern, denn es fehlte sowohl den Militär- als auch den Zivilbehörden fraglos an einem ausgeprägten Zukunftsbewusstsein. Allenfalls die Zivilbevölkerung geriet als unter Umständen destabilisierendes Element, das im Fall einer Belagerung die Verteidigungsanstrengungen erschwerte oder behinderte, in den Blick, jedoch erschienen beispielsweise in Preußen die Bestimmungen über die Befehlsgewalt des jeweiligen Festungskommandanten als hinreichend, um hier entgegenzuwirken, verfügte er doch über das Recht, im Vorfeld einer Belagerung als unzuverlässig eingeschätzte Zivilpersonen auszuweisen beziehungsweise im Fall einer Forderung nach Übergabe der Festung die entsprechenden Zivilisten als Meuterer streng zu bestrafen.90 Auf der anderen Seite erschien der Rückgriff auf Teile der Zivilbevölkerung im Falle einer Armierung der Festung als unverzichtbar. An dieser Perspektive änderte sich bis weit über die Jahrhundertmitte nichts. Noch in den 1850er Jahren wurde über einen Ausbau Berlins zur Festungsstadt zur Sicherung gegen äußere Feinde nachgedacht, ohne hierbei militärischerseits auch nur die Konsequenzen für die Stadtentwick87 Vgl. ebd. 88 Vgl. Bernd Jürgen Warneken: »Die friedliche Gewalt des Volkswillens«. Muster und Deutungsmuster von Demonstrationen im deutschen Kaiserreich, in Ders. (Hrsg.): Massen­ medium Straße. Zur Kulturgeschichte der Demonstration, Frankfurt am Main 1991, S. 97–119, hier S. 105; Friedrich Lenger: Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013, S. 257–260. 89 Vgl. zu Bayern Thomas Tippach: Der Marienberg im 19. Jahrhundert. In: Helmut Flachenecker / Dirk Götschmann / Stefan Kummer (Hrsg.): Burg – Schloss – Festung. Der Marienberg im Wandel (Mainfränkische Studien 78), Würzburg 2009, S. 283–301, hier S. 285 f. 90 Vgl. Tippach: Festungen (wie Anm. 2). Alf Lüdtke: »Gemeinwohl«, Polizei und »Festungspraxis« (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 73), Göttingen 1982, S. 272–274.

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lung oder die unter Umständen auftretenden logistischen Probleme zur Versorgung der Stadt, in der Mitte des Jahrzehnts bereits mehr als 425.000 Einwohner (ohne Militär) lebten, im Belagerungsfall zu erörtern.91 Es waren allein strategische und militärisch-funktionale Überlegungen, von denen sich das Militär leiten ließ. Diese eingeschränkte Sichtweise hatte in Bayern und Preußen seit den 1820 Jahren sogar die noch vorhandenen, teilweise seit dem Mittelalter unveränderten Stadtmauern in den Blick der Streitmacht geraten lassen. Diesen Befestigungen wurde in einer Reihe von Städten befremdlicherweise ein gewisser militärischer Wert zugemessen. Der Militärfiskus griff hier zwar nicht wie in den eigentlichen Festungsstädten in die Eigentumsverhältnisse und die Bewegungsfreiheit der Bürger ein,92 aber er entzog die Mauern und Wälle der kommunalen Verfügungsgewalt und Planungshoheit und verwandelte sie ebenfalls zum potenziellen Verteidigungsraum. Ein Abbruch oder sogar nur eine Veränderung konnte nur mit Zustimmung der zuständigen Kommandobehörden durchgeführt werden.93 Die Städte wurden somit in erster Linie auf ihre Bedeutung als strategische Punkte in einem Verteidigungskrieg reduziert. In den folgenden Dezennien zeigte die bewaffnete Macht jedoch ein zögerliches, vor allem volkswirtschaftlich motiviertes Entgegenkommen gegenüber den Herausforderungen der Moderne. Auf den wirtschaftlichen Aufschwung und das Bevölkerungswachstum reagierte das Militär mit der Zulassung von Torerweiterungen und einzelnen lokalen Lockerungen von Baubeschränkungen in den Festungen beziehungsweise im Festungsrayon, die jedoch die Verteidigungsfähigkeit der Festung nicht beeinträchtigen durften.94 Die waffentechnische Entwicklung und die nach dem Deutsch-Französischen Krieg veränderte Grenzziehung waren es schließlich, die zu einer Neubewertung des 91 Vgl. GStA PK I. HA Rep. Rep. 87 ZB, Nr. 234. – Widerspruch kam indes vom Minister für Handel und Gewerbe v.d. Heydt. Siehe ebd. Votum von der Heydts vom 27.5.1855. 92 Zu den Eingriffsmöglichkeiten vgl. Lüdtke: »Gemeinwohl« (wie Anm. 90), S. 272–282; Sicken: Festungsstädte (wie Anm. 22) und Thomas Tippach: Die Rayongesetzgebung in der öffentlichen Kritik. In: Johanek (Hrsg.): Die Stadt und ihr Rand (wie Anm. 22), S. 213–234. 93 Zu Bayern vgl. Rainer Braun: Anfänge der Denkmalpflege. In: Bayern und seine Armee. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 21), München 1987, S. 240–243. Zu Preußen vgl. Wilfried Ehbrecht / Mechthild Siekmann / T homas Tippach: Soest (Historischer Atlas Westfälischer Städte 7), Münster 2016, S. 19 und Karin Schambach: Stadtbürgertum und industrieller Umbruch. Dortmund 1780–1870 (Stadt und Bürgertum 5), München 1996, S. 93–96.  – Biller übersieht indes die militärischen Beweggründe. Vgl. Thomas Biller: Die mittelalterlichen Stadtbefestigungen. Ein Handbuch. Bd. 1, Darmstadt 2016, S. 321. 94 Vgl. Alf Lüdtke: Wehrhafte Nation« und »innere Wohlfahrt«: Zur militärischen Mobilisierbarkeit der bürgerlichen Gesellschaft. Konflikt und Konsens zwischen ziviler und militärischer Administration in Preußen 1815–1860. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 30 (1981), S. 7–56., S. 37; Tippach: Koblenz (wie Anm. 5), S. 100–102.

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Festungssystems führten. Aber obwohl der Krieg, der ja nicht zuletzt ein Festungskrieg gewesen war, gezeigt hatte, welche Auswirkungen Belagerungen von Festungsstädten auf die davon betroffene Bevölkerung und die Verteidigungsfähigkeit der Festungen hatte, blieben diese Erfahrungen offenkundig ohne tiefgreifende Konsequenzen. Es wurde lediglich eine Reihe von Festungen, die ihre strategische Bedeutung verloren hatten, aufgelassen, grundsätzlich hielt der Militärfiskus jedoch weiterhin an der Verbindung von Stadt und Festung fest. Selbst Großstädte wie Köln und Königsberg, deren Versorgung im Armierungsfall durchaus als problematisch eingeschätzt wurde, wurden nicht entfestigt. Die raschen waffentechnischen Neuerungen erzwangen bereits im folgenden Jahrzehnt eine abermalige Revision des Festungssystems. Dennoch wurde auch jetzt ungeachtet einer breiten publizistischen Debatte über den Wert der Festungen95 ebenso wenig wie in der Zeit nach 1900 eine generelle Aufgabe der Stadtfestungen erwogen. In den für die Verteidigung des Reichs als unverzichtbar angesehenen Festungsstädten erfolgte lediglich eine Anpassung der Fortifikation an die größere Reichweite und Durchschlagskraft der Belagerungsartillerie, die ihren Niederschlag unter anderem in einem Hinausschieben der Fortlinie und einer Erweiterung  – beziehungsweise nach der Jahrhundertwende – einer Aufgabe von Stadtumwallungen fand. Die Entscheidung zur Erweiterung oder Aufhebung einer Stadtenceinte, die von den betroffenen Stadtverwaltungen als maßgebliches Hemmnis für die Stadtentwicklung wahrgenommenen wurde, unterlag dabei ausschließlich einem militärischen Kalkül, wenngleich die bewaffnete Macht dies gegenüber den Kommunen stets als ein Entgegenkommen darstellte. Der Militärfiskus profitierte letztlich vom Verkauf der fortifikatorisch veralteten Werke, da damit als notwendig erachtete Ersatzbauten zumindest teilweise finanziert werden konnten. Die Tragweite der Einbeziehung immer größerer Menschenmassen durch die fortwährende Erweiterung der Festungsbereiche wurde auf militärischer Seite indes kaum realisiert. Zwar hatte bereits der Krieg von 1866 eine Diskussion über die Handhabung und die Konsequenzen der Evakuierung beziehungsweise Zwangsausweisung von Zivilpersonen aus einer zu armierenden Festung ausgelöst und in den 1880er Jahren war seitens einzelner Festungskommandanten eine Klärung der Versorgung der Zivilbevölkerung angemahnt worden, doch blieben diese Überlegungen weitgehend folgenlos. Die Militärverwaltung erkannte seit 1882 lediglich ihre Verpflichtung für die Versorgung eines Teils der Zivilbevölkerung an; für zehn Prozent der Einwohnerschaft sollten vorsorglich Verpflegungsvorräte angelegt werden, 95 Vgl. Markus Pöhlmann: Das unentdeckte Land. Kriegsbild und Zukunftskrieg in deutschen Militärzeitschriften. In: Stig Förster (Hrsg.): Vor dem Sprung ins Dunkle. Die militärische Debatte über den Krieg der Zukunft 1880–1914 (Krieg in der Geschichte 92), Paderborn 2016, S. 21–132, hier 82–93. Bernhard Sicken: Zur Lage der Zivilbewohner in Festungsstädten beim Kriegsausbruch 1914: Kommunale Vorsorge für den Unterhalt und behördliche Zwangsmaßnahmen. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 78, Heft 2, 2019, S. 338–376, hier S. 342 f.

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wobei hier Überlegungen zum Umfang der für Armierungsarbeiten unverzichtbaren Zivilbevölkerung zugrunde lagen.96 Konkrete Maßnahmen wie etwa die Anlage von entsprechenden Lagerräumen lassen sich jedoch nicht feststellen. Schließlich konstatierte ein Vertreter des Militärfiskus in der Etatdebatte 1899, dass die »bedenkliche […] Anhäufung der Bevölkerung auf zu engem Raum im Frieden wie im Krieg« die militärischen Interessen in den Festungsstädten gefährde.97 Gleichwohl wurden auch hieraus keinerlei Konsequenzen gezogen. Die bewaffnete Macht begann erst vor dem Hintergrund der wachsenden internationalen Spannungen seit 1913 sich mit den Problemen zur Versorgung beziehungsweise die Evakuierung von Teilen der Zivilbevölkerung in diesen Städten auseinanderzusetzen. Eine Einigung über den Umfang der vorzuhaltenden Lebensmittelvorräte oder gar über die Finanzierungsmodalitäten konnte bis zum Ausbruch des Weltkriegs zwischen den Militärbehörden und der Ziviladministration allerdings nicht erzielt werden.98 Wie eingangs erwähnt zeigten die Vertreter des Kriegsministeriums in den Verhandlungen eine erstaunliche Unkenntnis selbst über die Einwohnerzahl der Festungsstädte, obwohl die entsprechenden Daten im Ministerium durchaus vorlagen. Ob diese augenscheinlich von Ignoranz zeugende Haltung möglicherweise auf einen gewissen Ressortegoismus im Ministerium zurückgeführt werden kann – die Garnisonbeschreibungen und ihre Fortschreibungen entstanden auf Veranlassung der Medizinalabteilung – sei dahingestellt. In jedem Fall dürfte sie vor allem Ausdruck einer sich im Kaiserreich zunehmend allein auf militärische Aspekte konzentrierende Ausbildung des Offizierskorps sein,99 die sich auch in den Festungsübungen des Generalstabs niederschlug. Der jeweiligen Stadt wurde in den Übungen keinerlei Beachtung geschenkt. Die Rolle der Zivilbevölkerung für eine Armierung wurde ebenso wenig berücksichtigt wie die Versorgung oder eine mögliche innere Gefährdung der eingeschlossenen Festung. Im Mittelpunkt standen allein taktische Überlegungen.100 * * * Seit dem Aufkommen der Stehende Heere waren Stadt und Militär untrennbar verbunden, da sich die Unterbringung der bewaffneten Macht nur in den Städten 96 Vgl. Bernhard Sicken: Militärische Notwendigkeit und soziale Diskriminierung: Zur Ausweisung von Einwohnern aus preußischen Festungsstädten bei drohender Invasion (1830/31–1870/71. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift 74, Heft 1–2, 2015, S. 97–126, hier S. 125 und Tippach: Festungen im Rheinland (wie Anm. 2). 97 Tippach: Festungen im Rheinland (wie Anm. 2). 98 Vgl. ebd. 99 Vgl. bspw. die Lehrpläne der Kriegsakademie. Othmar Hackl: Die bayerische Kriegsakademie (1867–1914), München 1989, S. 76 f, 177. 100 Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe 456, F 5/46 Bericht über die große Festungsgeneralstabsreise 1913.

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realisieren ließ. Zudem kam den Städten in ihrer Eigenschaft als Festungsstadt eine entscheidende Rolle in der landesherrlichen und militärischen Raumaneignung im Zuge der Durchsetzung frühneuzeitlicher Landesherrschaft zu. Die am Ausgang des 18. Jahrhunderts einsetzende Entfestigungswelle ließ die Stadt aus dem Fokus der bewaffneten Macht rücken, woran auch die Hinwendung zur Defensivkriegsstrategie mit dem Neubau einer Reihe von Festungsstädten nach 1815 nichts änderte. Das Militär rezipierte zunächst nur langsam die fundamentalen Wandlungen der Urbanisierung im 19. Jahrhundert. Ein Umschwung setzte erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein, wobei die Wahrnehmung von Stadt fraglos ambivalent war. Auf der einen Seite der Medaille stand die Wertschätzung der Fortschritte der kommunalen Daseinsvorsorge, denen großstadtfeindliche Topoi zumindest auf der militärischen Spitzenebene gegenüberstanden, während wiederum Kleinstädte als Garnisonort nicht zuletzt aufgrund ihrer begrenzten standesgemäßen sozialen Kontakt- und Freizeitmöglichkeiten als wenig attraktiv erschienen. Forderungen nach einer Vermehrung kleinstädtischer Garnisonen stand die bewaffnete Macht daher zurückhaltend gegenüber. Die Städte waren aber nicht nur Garnisonort, sondern sie konnten zugleich auch Kampfraum sein. Zum einen galten sie als Ausgangspunkt und Zentrum revolutionärer Unruhen. Dennoch bereitete sich die bewaffnete Macht nur zögerlich auf einen Kampf in den Städten vor. Hierbei stand vor allem die Verteidigung des alles bürgerlichen Stadtraum verstandenen Stadtzentrums im Mittelpunkt. Zum anderen waren die Städte in ihrer Eigenschaft als Festungsstadt Teil der strategischen Planung für die Landesverteidigung. Hierbei ließ sich die bewaffnete Macht allein von militärischen Erwägungen leiten. Der Rolle der Zivilbevölkerung schenkte sie keine Beachtung.

Rastatts Glück? Bürgerschaft und Militär in der Bundesfestung Rastatt Oliver Fieg

Zu Karlsruh’ ist die Residenz, in Mannheim die Fabrik. In Rastatt ist die Festung und das ist Badens Glück. So lautet die dritte Strophe des Badnerliedes, der inoffiziellen Hymne des Landes Baden, welche heute noch bei zahlreichen Veranstaltungen gespielt wird und in die badische Folklore eingegangen ist.1 Im Folgenden soll die Frage, ob die Bundesfestung und ihre Garnison Badens und im Besonderen Rastatts Glück war, schlaglichtartig beleuchtet werden. Dabei liegt das Hauptaugenmerk auf den sozioökonomischen Auswirkungen des Festungsbaus und der Stationierung der Truppen in Rastatt.2 Rastatt, welches seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts Residenz der Markgrafen der katholischen Linie Baden-Baden war, besaß seitdem auch immer eine kleine Garnison.3 Die nach vaubanschem Vorbild angelegte Stadtbefestigung wurde während des Spanischen Erbfolgekrieges 1707 niedergelegt und durfte aufgrund der Bestimmungen des Rastatter Friedens nicht wiedererrichtet werden.4 1 Die Entstehungszeit des Liedes, welches erstmals 1896 gedruckt wurde, lässt sich gut in die ersten 2 Jahrzehnte nach der Reichsgründung datieren. Gründung BASF 1865/Aufhebung Bundesfestung Rastatt 1890. Zum Badnerlied vgl.: Alexander Jordan: Die Badischen Regimenter und das Badnerlied. In: Badisches Landesmuseum Karlsruhe (Hrsg.): Baden! 900 Jahre, Karlsruhe 2012, S. 266 ff. 2 Für Karlsruhe vgl.: Kurt Hochstuhl: Karlsruhe als preußische Garnison. In: Konrad Krimm /  Wilfried Rößling (Hrsg.): Residenz im Kaiserreich. Karlsruhe um 1890, Karlsruhe 1990, S. 36–42. 3 Zu Rastatt im 18. Jahrhundert vgl.: Iris Baumgärtner / Wolfgang Reiß / Markus Zepf: »Unsere ResidenzStatt«. Rastatt zwischen 1705 und 1771, Rastatt 2005. Zum badischen Militär vgl.: Vereinigung der Freunde des Wehrgeschichtlichen Museums Rastatt e. V. (Hrsg.): Unter dem Greifen. Altbadisches Militär von der Vereinigung der Markgrafschaften bis zur Reichsgründung 1771–1871, Rastatt 1984 und Hans Joachim Harder: Militärgeschichtliches Handbuch Baden-Württemberg, Stuttgart u. a. 1987, S. 310–315. 4 Vgl. Oliver Fieg: »… gefährliche Conjuncturen und höchst betrübte Kriegszeithen«. Rastatt zwischen Pfälzischem Erbfolgekrieg und Rastatter Frieden. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): Der

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Während der Koalitionskriege von 1792 bis 1815 war Rastatt immer wieder Ort kriegerischer Auseinandersetzungen und Einquartierungen. Von Dezember 1797 bis April 1799 tagte hier ein Friedenskongress zur Umsetzung der Bestimmungen des Vorfriedens von Campo Formio.5 Dessen Scheitern gipfelte im Rastatter Gesandtenmord und zog weitere kriegerische Auseinandersetzungen nach sich. Der 1815 gegründete Deutsche Bund erhob nach dem Sieg über Frankreich die Festungen Mainz, Landau und Luxemburg zu Bundesfestungen. Neubauten in Germersheim, Rastatt und Ulm sollten zusätzlich den Süden Deutschlands vor französischen Invasionen schützen. Rastatt wurde gewählt, da sich hier, topografisch bedingt, eine »vollständige Sperrung des Rheintales« ermöglichen ließ. Hierzu prüfte eine Lokalkommission zwischen 1819 und 1824 in Rastatt die Umsetzbarkeit und studierte auch die Pläne des Türkenlouis im Generallandesarchiv Karlsruhe.6 Auf Grund fehlender finanzieller Ressourcen wurden jedoch die Festungsneubauten Ulm und Rastatt vom Deutschen Bund zurückgestellt. Erst die Rheinkrise von 1840 führte zu den Beschlüssen der Frankfurter Bundesversammlung, Ulm und Rastatt als Bundesfestungen auszubauen.7 Das im Hinterland gelegene Ulm war zum Hauptwaffenplatz und Rastatt als Grenzfestung und Waffenplatz für bis zu 30.000 Mann des VIII. Armeekorps bestimmt. Das nun zur Festung bestimmte Rastatt war bisher ein vom traditionellen Handwerk und vom Handel geprägter Ort. Eine erste Welle der Frühindustrialisierung war mit dem Konkurs der Stahlfabrik der Gebrüder Schlaff bereits in den 1820er Jahren verebbt.8 Ein Schreiben der Stadt an das Oberamt Rastatt von 1821 resümiert: Ist denn Rastatt ewas ander[e]s als ein großes Dorf? Es hat nur das Glück zweyer Landstraßen und die Begünstigung eines ziemlich besuchten Wochenmark-

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Friede von Rastatt. »… dass aller Krieg eine Thorheit sey.« Aspekte der Lokal- und Regionalgeschichte im Spanischen Erbfolgekrieg in der Markgrafschaft Baden-Baden, Regensburg 2014, S. 43–57. Vgl. Hermann Hüffer: Der Rastatter Kongress und die Zweite Koalition. 2  Bde., Bonn 1878– 1879; Daniela Neri: Frankreichs Reichspolitik auf dem Rastatter Kongress (1797–1799). In: Francia 24/2 (1997), S. 137–157. StadtA Rastatt A 3751. Zur Bundesfestung Rastatt vgl.: Karl Josef Rößler: Kampf um den Bau und die Besatzung der Festung Rastatt. In: Die Ortenau 42 (1962), S. 264–273; Friedrich Wilhelm Schindhelm: Die Festung Rastatt. In: Um Rhein und Murg. Heimatbuch des Landkreises Rastatt 2 (1962), S. 85–113; Rainer Wollenschneider / Michael Feik: Bundesfestung Rastatt. In Erinnerung an die Grundsteinlegung am 18. Oktober 1844, Ötigheim 1994; Marco Müller: Die Bundesfestung Rastatt. In: Badische Heimat 85 (2005), S. 499–515. Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Monographie über die Bundesfestung Rastatt, wie sie andere Festungen erfahren haben, ist bis heute ein Desiderat. Zur Stahlfabrik der Gebrüder Schlaff vgl.: Horst Hoof: Wagenbau um 1800. Dargestellt am Beispiel einer badischen Kutschenfabrik. In: Achse, Rad und Wagen. Beiträge zur Geschichte der Landfahrzeuge Bd. 1, Karlsruhe 1991, S. 41–51.

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tes.9 In den folgenden Jahren entwickelte sich Rastatt durch den Sitz der Regierung des Mittelrheinkreises und des badischen Hofgerichts zu einem überregionalen Behördenzentrum. Die zahlreichen Beamten belebten mit ihren Familien das kulturelle und wirtschaftliche Leben der Stadt.10 In dieser von Handel, Handwerk und Verwaltung geprägten Stadt setzte im Herbst 1842, nach dem Abschluss vorbereitender Maßnahmen, die eigentliche Bautätigkeit ein. Die offizielle Grundsteinlegung der Bundesfestung erfolgte am 18.  Oktober 1844, dem Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig. Der Bau der Bundesfestung veränderte in wenigen Jahren nicht nur Rastatts Gesicht, sondern auch seine sozioökonomische und kulturelle Identität. In den 1840er-Jahren profitierten eine Reihe von Bürgern vom Verkauf ihrer Grundstücke an die Festungsbaukommission.11 Auch der 1838 beginnende Bau der Eisenbahnlinie von Karlsruhe nach Basel versprach wirtschaftlichen Aufschwung.12 Am 1. Mai 1844 erfolgte die Einweihung des Abschnitts von Heidelberg über Karlsruhe nach Rastatt. Hierzu notierte der Rastatter Bankier Franz Simon Meyer: »Die Frequenz der Eisenbahn ist ungeheuer und übertrifft um das doppelte die kühnsten Erwartungen.«13 Doch bald machten sich die negativen Auswirkungen des Eisenbahn- und Festungsbaus bemerkbar. So führte die Bahntrasse aus strategischen Gründen in einem weiten Bogen um die Festung herum. Der Bahnhof lag daher weit vor den Toren der Stadt. Im Gegensatz zu anderen Bahnhofsgebäuden der Zeit wenig repräsentativ aus Holz errichtet, sollte er im Falle einer Belagerung schnell niederzulegen sein. Während bisher die Fernhandelsstraße Frankfurt – Basel durch die Stadt geführt hatte und die auf ihr transportierten Güter in Rastatt gehandelt worden waren, flossen mit der Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene die Warenströme an Rastatt vorbei.14 Weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung Rastatts hatte der Abzug von Justiz- und Verwaltungsbehörden infolge des Festungsbaus. Das Hofgericht wurde

9 Landesarchiv Baden Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) 220/1288; zitiert nach: Marco Müller: Die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt Rastatt 1815–1890 (Stadt Rastatt. Stadtgeschichtliche Reihe Bd. 8), Heidelberg u. a. 2005, S. 9. 10 So war der Hofrichter Freiherr Karl Wilhelm von Drais 1803 die treibende Kraft hinter der Gründung der Rastatter Lesegesellschaft. Vgl. Heinz Holeczek: Rastatter Kongreß und Museumsgesellschaft. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): Rastatt und die Revolution von 1848/49. Vom Rastatter Kongreß zur Freiheitsfestung (Stadtgeschichtliche Reihe Bd. 6), Rastatt 1999, S. 50–52. 11 StadtA Rastatt A 3712–3714. 12 Vgl.: Karl Müller: Die badischen Eisenbahnen in historisch-statistischer Darstellung, Heidelberg 1904. 13 Sebastian Diziol (Hrsg.): Die ganze Geschichte meines gleichgültigen Lebens. Bd. 2: 1829– 1849. Franz Simon Meyer in Zeiten der Revolution, Kiel 2017, S. 292. 14 Bankier Meyer stellt fest: »Die Kutscher scheinen Noth zu leiden und verkaufen Wagen und Pferde, die die Eisenbahn zum Theil entbehrlich macht.« (Diziol [wie Anm. 13], S. 292);

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1847 nach Mannheim verlegt, die Verwaltungsbehörden zogen nach Karlsruhe  – mit ihnen verließ das selbstbewusste Bildungsbürgertum Rastatt. Daher wird es verständlich, dass der Bau der Bundesfestung nicht einhellig von den Rastattern begrüßt wurde. Während einige, wie der Lyzeumsdirektor Josef Loreye, die Festung als patriotischen Akt Großherzog Leopolds feierten, fürchteten vor allem die Rastatter Kaufleute um ihre wirtschaftliche Existenz. Der gleichzeitige Eisenbahn- und Festungsbau ließ die Mieten, Lebenshaltungskosten und Grundstückspreise steigen. Bis zu 6000 Arbeiter strömten nach Rastatt, »und zwar größtentheils aus der untersten Volksklasse, so dass dadurch die strengste Aufsicht und Handhabung der Sicherheits- und Gesundheits, Reinlichkeits, Sittlichkeits und Gesindepolizei absolutes Bedürfnis wird.«15 Mit den Arbeitern kamen auch deren Familien. Nach Aussage des Oberamtes war »die Stadt mit Menschen fast überfüllt.«16 Die in den 1830er Jahren gegründete Kleinkinderbewahranstalt und die Schulen waren auf die Masse der Kinder nicht eingestellt, die Wohnungen heillos überbelegt. Daher verbot das Oberamt 1845 den weiteren Zuzug von Familien ohne vorherige Genehmigung. Dies konnte die Verelendung der Arbeiterfamilien allerdings nicht aufhalten. Immer wieder grassierten Seuchen wie Cholera, Typhus und die Pocken in Rastatt.17 Um der Verbreitung der Syphilis Herr zu werden, wurden staatlich kontrollierte Bordelle für die Festungsarbeiter eingerichtet, die später für die Soldaten bestehen blieben.18 Da das Bürgerspital mit der Versorgung der verletzten und erkrankten Festungsarbeiter und Soldaten überfordert war, wurde im

Carl Borromäus Fickler, Lehrer am Lyceum bemerkte: »Wer früher vor den Gasthöfen zum Kreuz, zur Sonne, zum Rappen, zu den drei Königen fast alltäglich eine ganze Wagenburg von Kutschen und Frachtwagen stehen sah, wer beobachtet hatte, daß oft die 40 Pferde des Posthalters dem Verkehr nicht genügten, der mußte bald aus der Verödung der Straßen den Nachtheil bemessen können, welchen die Stadt erlitten hatte.« (Carl Borromäus Alois Fickler: In Rastatt 1849, Rastatt 2. Aufl. 1899, S. 2–3). 15 GLA 220/803. 16 GLA 220/803. 17 Während des Deutsch-österreichischen Krieges brachte ein aus dem Odenwald heimkehrender badischer Soldat die Cholera nach Rastatt, 18 Menschen Soldaten wie Bürger verstarben. Während des Deutsch-Französischen Krieges waren es die Pocken, die Rastatt heimsuchten. Sie wurden u. a. von einem Mädchen eingeschleppt, das seinen Liebhaber, einen badischen Unteroffizier, nach der Einnahme Straßburgs besucht und sich angesteckt hatte. Gleichzeitig brach auch noch Typhus im Kriegsgefangenlager aus. Vgl. GLA 220/834; 236/16066; 236/16150; 236/16151. Richard von Krafft-Ebing: Beobachtungen und Erfahrungen über Typhus abdominalis während des deutsch-französischen Krieges in den Lazarethen der Festung Rastatt, Erlangen 1871. 18 Als Argument für die Beibehaltung der überwachten Prostitution wurde der Schutz der Frauen und Mädchen Rastatts vor der Masse der zwangszölibatär lebenden Soldaten ins Feld geführt. Die Bordelle wurden erst nach dem Ersten Weltkrieg und dem Abzug der französischen Besatzung 1920 wieder geschlossen. Vgl. StadtA Rastatt A 554.

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ehemaligen Reitschulgebäude ein Festungsarbeiterspital eingerichtet.19 Nach der Fertigstellung des Garnisonslazaretts übernahm die Stadt Rastatt 1853 das Festungsarbeiterspital und verlegte das Bürgerspital dorthin.20 Selbst die Rastatter Bauhandwerker konnten vom Festungsbau nicht profitieren. Das Bauholz lieferte die Gernsbacher Murgschifferschaft, die Bruchsteine kamen aus Steinbrüchen in Kuppenheim und Haueneberstein, der Zement aus Mannheim, Mainz und Kuppenheim, die Armierungseisen aus Karlsruhe und der Völklinger Hütte. Wenigstens einige der Ziegel wurden in der Rheinauer Ziegelhütte gebrannt. Die kleinen handwerklich geprägten Rastatter Betriebe fanden bei den Großaufträgen kaum Berücksichtigung, dagegen beschäftigte der Weisenbacher Baumeister Johann Belzer zeitweise 500 Arbeiter in Rastatt21. Mit der Schließung des Wallgürtels 1848 wurde die Bundesfestung dem ersten Festungsgouverneur, Generalleutnant Carl Felix von Lasolaye, übergeben. In Rastatt lagen zwei Infanterieregimenter, Festungsartillerie und eine Escadron Kavallerie, insgesamt fast 5.000 Mann.22 Die Aufstockung der Rastatter Garnison konnte den durch den Abzug der Staatsbehörden eingetretenen kulturellen und politischen Verlust nicht kompensieren. Dazu war die Verweildauer der Offiziere in der Bundesfestung Rastatt zu kurz. Die Offiziere verbrachten ihre Freizeit in Karlsruhe oder dem mondänen Baden-Baden, wie es der österreichische Oberleutnant Gideon Günste für das Jahr 1866 bezeugt: »Nach Rastatt gingen wir eigentlich nur zum Exercieren und zum Dienstmachen – kaum zum Schlafen.«23 Rastatt und seine Einwohner charakterisierte er folgendermaßen: »Die guten Rastatter kannten keinen Schwindel! Ihr echt süddeutsches Wesen heimelte uns an, der angenehm schwäbische Dialekt, darunter manches uns komisch klingende Wort … dürfte heute noch in manchen Ohren klingen. Wir waren ja so recht mitten im Schwabenländle, in einem echten Soldatenneste, freundlich gut und billig.«24 Andere, wie der badische Publizist Heinrich Hansjakob, empfanden die Stadt als öde und langweilig: »Sonst muß man in Rastatt zu allem Musik haben, um selbst an sogenannten Unterhaltungsorten nicht von Langeweile ertödtet zu werden. Was ist nur der Museumsgarten für ein namenlos ödes Ding!«25

19 GLA 236/16242. 20 Zum Spital vgl.: Oliver Fieg: Vom Rebstock zum Josefshaus. Krankenhaus und Armenfürsorge im Dörfel. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): Das Dörfel. Ein Stadtteil macht Geschichte. Begleitbuch zur Ausstellung im Stadtmuseum Rastatt, Rastatt 2017, S. 88–90. 21 Martin Walter: Johann Belzer. Der Baumeister des Murgtals. In: Heimatbuch Landkreis Rastatt 51 (2012), S. 115–120. 22 Vgl. Müller (wie Anm. 9), S. 232–235. 23 Gideon Günste: Die letzten Tage von Rastatt 1866. Komitragischer, militärpolitischer, internationaler, historischer, patriotischer »Misch-Masch«, Wien 1889. 24 Ebd. 25 Heinrich Hansjakob: Auf der Festung. Erinnerungen eines badischen Staatsgefangenen, Freiburg 1896, S. 42.

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Das Leben der Soldaten war von immer wiederkehrendem Drill und Exerzieren geprägt:26 »Drunten im ehemaligen Schloßgarten exerzirten Soldaten; Infanteristen, Artilleristen und Reiter machten die verschiedensten Uebungen, wie sie eben das preußische Reglement vorschreibt. Unter den prächtigen alten Kastanienbäumen war ein Offizier damit beschäftigt sein Pferd an der Leine »Karoussel« laufen zu lehren, während sein Bedienter pflichtschuldigst und bewundernd zuschaute. Eines Lieutenants Stimme, der eine halbe Compagnie kommandierte, tönte wie Schlachtendonner, wenn er rief: »Ganze Bataillon vorwärts Marsch! Rechts! Links! Gerade aus!«27 Gustav Krüger beschreibt seine Zeit als Soldat der Rastatter Garnison folgendermaßen: »Unser Tagesdienst spielte sich im Kasernenbereich der Leopoldsfeste, der Südbastion der ehem. Festung ab … Das Vorfeld zwischen diesen bildete den Exerzierplatz und der anschließende Wald Richtung Iffezheim und Sandweier nahm unsere Schießstände auf. Der Ausbildungsturnus wiederholte sich alljährlich: Garnison, Übungen in der Umgebung bis in den Schwarzwald und ins Elsaß, Truppenübungsplatz, meist Hagenau, dann Manöver irgendwo, wechselnd im Bereich des badischen Landes…«28 Der eintönige Garnisonsdienst führte immer wieder zu Spannungen zwischen den Soldaten, aber auch mit der Bürgerschaft. So kam es 1861 zu schweren Auseinandersetzungen zwischen preußischen und österreichischen Soldaten mit mehreren Schwerverletzten, wodurch die »Ruhe und Ordnung in hiesigem Platze … ernstlich gestört« war.29 Aus dem Jahr 1866 berichtet Gideon Günste von Exzessen und Raufereien zwischen badischen und preußischen Soldaten: »Es bildeten sich sofort zwei feindliche Lager, – Excesse, Raufereien wiederholten sich in blutiger weise. Die Gegenmaßnahmen wurden mit energischer Strenge durchgeführt.«30 Ausgangspunkte dieser Auseinandersetzungen waren häufig die Rastatter Gasthäuser. Im Jargon der Soldaten galt Rastatt als »befestigte Kantine«. Zu Beginn der 1840er Jahre stellte die Stadtverwaltung fest, »daß Rastatt mehr Wirthschaften hat, als es braucht, denn mehrere ruhen und andere sind so wenig besucht, daß sich in der That kein Bedürfniß des Publicums nach neuen darthut. … Ob der Eisenbahn, oder Festungs-Bau neue Gasthöfe heischen, und in welcher Gegend der Stadt das ist eine Frage, deren Beantwortung freylich die Gegenwart der Zukunft überlassen kann.« Gerade in den ersten Jahren der Festungszeit beklagten sich die Rastatter Brauer und Wirte, die am ehesten von der soldatischen Klientel hätten profitieren können, über die Kanti26 Alexander Jordan: Garnison ohne Festung. Rastatts Militär zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): »Aus langem Festungsschlaf erwacht.« Die moderne Entwicklung Rastatts nach der Entfestigung 1890–1914, Rastatt 2009, S. 30–46, hier S. 39–42. 27 Vgl. Hansjakob (wie Anm. 25), S. 23. 28 Zitiert nach: Uwe-Peter Böhm: Als Pennäler und Soldat in Rastatt. Beobachtungen in der Garnison zwischen 1896 und 1910. In: Der Bote aus dem wehrgeschichtlichen Museum 40 (2002), S. 4–8. 29 GLA 238/477. 30 Vgl. Günste (wie Anm. 23).

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nenwirtschaft der Regimenter: »Das österreichische Militär, namentlich die gemeinen Soldaten, besuchen nur selten die hiesigen Wirtschaften, da in ihren Kasernen sich nicht weniger als 12 Wirthschaften befinden, die von Feldwebeln betrieben werden, und die meisten dieser Kasernenwirthe beziehen sogar ihren Bierbedarf von auswärts«31. Trotz dieser Konkurrenz wurden aber immer wieder neue Gastwirtschaften gegründet.32 Mitte der 60er-Jahre gab es circa 40 Gasthäuser, die ihr Bier selber brauten, außerdem die drei großen Brauereien Streib, Franz und Hatz. Einige Gasthäuser, wie der Deutsche Kaiser und das Hohenzollern, richteten sich vornehmlich an die Soldaten der Garnison. Jedes Regiment, ja jede Kompanie hatte eigene Stammlokale und der Besuch der falschen Lokalität konnte für Soldaten wie Zivilisten schmerzhaft enden. Die Wirte drangen immer auf die Erteilung einer Branntweinkonzession, da sonst die Soldaten das Lokal meiden würden. Für das spätere »Hohenzollern« in der Kriegstraße (heute Friedrich-Ebert-Straße) beantragte Karl Schmelzer 1876 den »Verkauf von Wein, Bier, Branntwein, sowie die Verabreichung von Kostgeberei.« Der Bezirksrat erteilte die Wirtschaftskonzession inklusive des Branntweinausschankes, da die »Wirtschaft hauptsächlich von Soldaten des 1.  Oberschles[ischen] Infanterie-Regiments Nr. 22 frequentiert würde, welchen der Branntwein größtentheils Bedürfniß sei.« Zwischenzeitlich wurde die Gaststätte vom ehemaligen Feldwebel Wilhelm Leonhard betrieben. Im Jahr 1910 änderte der Inhaber Karl Bergmann den bisherigen Namen »Restauration Bergmann« anlässlich der Stationierung des FüsilierRegiments Fürst Karl-Anton von Hohenzollern in »Restauration Hohenzollern«. Der 1875 ebenfalls in der Kriegsstraße, »welche bei 3 großen Kasernen ausmündet«, gegründete »Deutsche Kaiser« hatte als »ausgesprochene Soldatenwirtschaft« nicht den besten Ruf, unter anderem wegen Missachtung der Polizeistunde und Kuppelei.33 Frauen, die ohne Begleitung von Männern Gastwirtschaften aufsuchten, machten sich schnell verdächtig, der Prostitution nachzugehen. Um diesen Auswüchsen zu begegnen, errichtete der Oberrheinische Jünglingsbund 1907 ein Soldatenheim, in dem die Soldaten ihre Freizeit verbringen konnten. Dort wurden auch »Speisen und alkoholfreie Getränke verabfolgt, um die Soldaten besonders an den Sonntagabenden von dem Wirtshaustreiben und übermäßigem Al31 StadtA Rastatt A 2652, zitiert nach Müller (wie Anm. 9), S. 249. 32 Zu den Rastatter Gashäusern vgl.: Klaus Wolf (Hrsg.): Dokumentation über die Rastatter Gastronomie. Herausgegeben anlässlich einer Sonderausstellung über die Rastatter Gastronomie »Einst und Heute« vom 3. April bis 28. April 1985, Rastatt 1985; Oliver Fieg / Michael Feik: Gastwirtschaften und Brauhäuser im Dörfel. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): Das Dörfel. Ein Stadtteil macht Geschichte, Rastatt 2017, 37–53. 33 Der Rastatter Gemeinderat äußerte sich daher 1921 negativ zu einer weiteren Konzessionserteilung: »Nachdem Rastatt aufgehört hat Garnison zu sein, wodurch insbesondere in der Ludwigvorstadt die Verhältnisse eine gründliche Veränderung erfahren haben, muss das Bedürfnis nach dem Weiterbetrieb der Wirtschaft Zum deutschen Kaiser verneint werden … Auch im Hinblick auf die in letzter Zeit bzgl. dieser Wirtschaft gemachten Feststellungen erscheint das Weiterbestehen dieser Wirtschaft durchaus nicht wünschenswert.«

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koholgenuss fernzuhalten.« Während die einfachen Gaststätten und Bierschenken die Klientel der Unteroffiziere und Mannschaften bedienten, gab es auch eine gehobene Gastronomie, die sich der Offiziere annahm. So eröffnete der Konditor Gustav Nusser 1851 einen »italienischen Keller«, in dem er warme Getränke, Liköre und Wein ausschenkte. Das Festungsgouvernement hielt diese Einrichtung »nicht allein als wünschenswerth, sondern auch als notwendig …«.34 Eine Bereicherung für Rastatt waren die täglichen Aufführungen der Militärmusik auf den Plätzen, in den Biergärten und Sälen der Stadt.35 Doch auch im musikalischen Leben herrschte nicht immer Harmonie zwischen kulturell engagierten Offizieren und liberaler Bürgerschaft. Im Rastatter Gesangverein kam es 1842 zu einer Spaltung. Der Tendenz zum politisch orientierten Männergesangverein setzte der badische Ingenieuroffizier Wilhelm Le Beau die Gründung eines auch für Damen offenen gemischten Singvereins entgegen.36 Der seit dem Festungsbau in Rastatt herrschenden Wohnungsnot konnte kaum durch Neubauten abgeholfen werden, da in Rastatt keine Gebäude ohne Genehmigung der Festungsbaudirektion errichtet werden durften. Das Bau-Rayon-Regulativ regelte das Leben in Rastatt. Vor den Festungswällen durfte »ohne Genehmigung des Festungs Gouvernements kein hölzernes Gebäude aufgeführt, keine Chaussee, Eisenbahn, Hecke, Zaun, Damm, Graben, vertiefter Weg, Keller, Stein oder Kalkbruch, Lehm- oder Sandgruben, Beerdigungsplatz angelegt[,] überhaupt keine Veränderung der Erdoberfläche vorgenommen werden, welche der Vertheidigung der Festung nachtheilig werden könnte.«37 Dem Bleicher Anton Kilmarx wurde 1851 untersagt, ein Waschhaus zu errichten, »da die zum Bauplatz gewählte Wiese im Kehlrayon des Forts C. liegt, und die Errichtung einer massiven Herdfeuerung beabsichtigt wird.«38 Der weitere Ausbau der Bundesfestung mit Vorwerken bedingte u. a., dass im vor der Festung liegenden Ortsteil Rheinau »nur für solche Bauten die Genehmigung ertheilt werden, welche ganz aus Holz errichtet werden.«39 Überspitzt formulierte es

34 Vgl. Müller (wie Anm. 9), S. 244. 35 Nach Aussage Heinrich Hansjakobs bevorzugten die Rastatter die österreichischen Kapellen: »Drüben stund eine Militärkapelle und spielte zur mittäglichen Wachparade. … Publikum war wenig da, die Rastatter sollen die österreichische Musik, die ihnen aus Blech Silber in die Taschen spielte, lieber gehört haben. Vgl. Hansjakob (wie Anm. 25), S. 20. 36 Seine Tochter, die Sängerin Luise Adolpha LeBeau erinnert sich: »In Rastatt herrschte damals ein sehr anregendes musikalisches Leben, dessen Mittelpunkt mein Vater war. Er wurde gebeten, einen Verein zu gründen. Die Herren hatten es auf einen Männer-Gesangverein abgesehen; allein mein Vater war das Singen bei Wein und Bier zuwider und so forderte er alle stimmbegabten Damen seines Bekanntenkreises ebenfalls zur Mitwirkung auf und gründete den ›Singverein …‹«. Vgl. Luise Adolpha Le Beau: Lebenserinnerungen einer Komponistin, Baden-Baden 1910, S. 10. 37 StadtA Rastatt A 3730. 38 StadtA Rastatt A 174. 39 StadtA Rastatt A 179.

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der Kaufmann Gräfinger: In Niederbühl durften die Landwirte ohne Genehmigung kein Rübloch machen40. Schließlich konnte die Stadt nach der Schließung des Wallgürtels 1848 nur noch durch die fünf Festungstore zu eingeschränkten Zeiten betreten werden. Abends, um 22 Uhr, wurden diese verschlossen. Ein- und Ausgang war danach nur noch mit Sonderpassierschein des Festungsgouvernements möglich. Der Festungsgouverneur erhielt durch das Festungsreglement neben der Kontrolle über die Tore noch weitere weitreichende Befugnisse der kommunalen Verwaltung, so die Aufsicht über die Ortspolizei und die Feuerwehr. Veranstaltungen konnten zwar bei der Stadtverwaltung angemeldet werden, die endgültige Genehmigung erteilte aber der Festungsgouverneur. Im Inneren des Mauerrings hatten Gewerbebetriebe angesichts des knappen Raums kaum Möglichkeiten zur Expansion. Jedes Baugesuch wurde vom Festungsgouvernement geprüft, gegebenenfalls abgelehnt oder mit Auflagen versehen.41 So wurde 1841 »dem Bierbrauereiinhaber [Johann] Gromer … der Bau eines Kellers sammt darüber befindlichem Schopf mit dem Beding gestattet, daß, insofern durch den Festungsplan diese Baulichkeiten wieder entfernt werden müßten, weder der Bauherr noch seine Rechtsnachfolger, eine Entschädigung anzusprechen haben«.42 Zu allem Überfluss waren die Häuser für den Fall einer Belagerung nicht versichert. Daher hatte die Kreisregierung 1853 Bedenken, der Errichtung einer in Stein ausgeführten Fruchthalle in Rastatt zuzustimmen und erwog ein Provisorium aus Holz.43 Dem entgegnete die Stadtgemeinde: »Wenn man den Grundsatz weiter verfolgen wollte, so müßte alles Neubauen in Rastatt untersagt werden, weil möglicherweise diese Gebäude zerstört werden könnten. Wir sind in der Lage wie die Bewohner um den Vesuv; die Zukunft kann für uns sehr traurig werden, allein wir suchen eben doch die Gegenwart zu benützen, denn in der Gegenwart müßen wir leben.«44 Die teilweise Anfang der 40er Jahre noch vorhandene Begeisterung für den Festungsbau scheint bis Anfang der 50er Jahre, auch in Kenntnis der Belagerung der Festung durch Bundestruppen 1849, einer Ernüchterung und Resignation gewichen zu sein. Bedingt durch diese zahlreichen Einschränkungen stagnierte die Bevölkerungszahl in den fünfzig Jahren zwischen dem Beginn des Festungsbaus 1842 (6.783 Einwohner und 707 Häuser) und der Aufhebung der Festung 1890: (7.304 Einwohner und 802 Häuser). Im gleichen Zeitraum verdoppelte Karlsruhe seine Einwohnerschaft. All diese Folgen des Festungsbaus beschränkten das Wachstum des Rastatter

40 Zitiert nach Markus Zepf: Die Bundesfestung Rastatt. »Badens Glück« oder Rastatts Korsett?. In: Stadt Rastatt Hrsg.): »Aus langem Festungsschlaf erwacht.« Die moderne Entwicklung Rastatts nach der Entfestigung 1890–1914, Rastatt 2009, S. 12–28, hier S. 27. 41 StadtA Rastatt A166–184. 42 StadtA Rastatt A171. 43 GLA 220 Nr. 360. 44 GLA 220 Nr. 360. Zitiert nach Müller (wie Anm. 9), S. 245.

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Handwerks und der Industrie erheblich und verhinderten die Gründung neuer oder die Ansiedlung auswärtiger Unternehmen. War die Festung schon früh zum Hemmnis der Stadtentwicklung geworden, so entwickelte sich die in ihr liegende Garnison mit der Zeit zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor. Sank die Personalstärke der Garnison, machte sich dies sofort nachteilig bemerkbar. So verließen zu Beginn des preußisch-österreichischen Krieges 1866 die österreichischen und preußischen Truppen die neutralisierte Festung. Nach dem Krieg stationierte das Großherzogtum Baden, in dessen Verwaltung die Festung übergegangen war, nur eine kleine Garnison. Heinrich Hansjakob schildert die Lage: »Als ich Rastatt und sein Lyceum verließ, waren noch Oesterreicher da und alles in dulci jubilo mit den gemüthlichen Böhmen des Regiments Benedek. Das Jahr 1866 hat sie vertrieben. Heute sind nur Badische in der Festung, und die haben weder das Geld noch die Gemüthlichkeit der Oesterreicher.«45 Die prekäre Situation der Bewohner beschreibt der Kaufmann Eble: Hier in der Festung sieht es seit dem Friedensschluße traurig aus. Niemand will die Festung besetzen helfen und der Bad. Kriegs Minister Ludwig, der sich zu der tölpelhaften Ansicht bekennt, die Festung Rastatt habe keinen Werth und solle lieber geschleift werden, gibt blos eine Garnison von 1700 Mann hieher. Die früher stets über 6000 Mann in Garnison zählende Stadt ist leer, die Wohnungen, bisher stets besetzt und ordentlich bezalt, sind geschloßen und alle Geschäfte stehen stille. Bei längerer Dauer dieses Zustandes geht die Einwohnerschaft von Rastatt einer traurigen Verarmung entgegen46. Von der Garnison profitierten unter anderem Kaufleute, die ihr Geschäft auf den Handel mit Artikeln des täglichen Bedarfs der Soldaten ausrichteten. Zu nennen sind die 1873 gegründete Militäreffektenhandlung und Uniformschneiderei von Fridolin Hilbert und die Militäreffektenfabrik des Adolf Niederbühl.47 Der 1857 in Allensbach am Bodensee geborene Adolf Niederbühl begann seine Karriere als Metzgerlehrling in Rastatt. Mit 26  Jahren lebte er vom Verkauf von Wurstwaren vor allem an das Militär. Bald darauf verlegte er sein Geschäftsfeld auf Militäreffekten und gelangte so zu Vermögen. 1890 besuchte er mit seinen Waren, vor allem den selbst produzierten Bürsten, die Ausstellung für Kriegskunst und Armeebedarf in Köln. Im folgenden Jahr errichtete er neben den Leopoldskasernen eine Fabrik für Militäreffekten. Der seit 1892 das Prädikat Hoflieferant führende Adolf Niederbühl ließ für sich und seine Familie 1896 eine standesgemäße Villa neben der Fabrik bauen. Zur Jahrhundertwende war er die einflussreichste Persönlichkeit des gesellschaftlichen Lebens in Rastatt: Landtagsabgeordneter, Vorstand des Gewerbevereins, Präsident des Landesverbandes der badischen Gewerbe- und Handwerksvereinigungen, Vorstand und Mitbegründer der Großen Karnevals Gesellschaft und des Dörflervereins. 45 Vgl. Hansjakob (wie Anm. 25), S. 20. 46 Franz Eble: Haus- und Familien-Chronik 1682–1879, transkribiert von Markus Zepf [masch. Manuskript], Rastatt 1998, S. 20 f. 47 Zu Adolf Niederbühl vgl.: Oliver Fieg / Michael Feik: Gewerbe und Industrie im Dörfel. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): Das Dörfel. Ein Stadtteil macht Geschichte, Rastatt 2017, 31 f.

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Niederbühl führte seine Fabrik bis zu seinem Tode 1919. Auch kleinere Betriebe profitierten vom Militär. Hirsch Löw, ein jüdischer Schneider, der unter Protest der ansässigen Schreiner ein Möbellager in Rastatt eröffnet hatte, verkaufte dort nicht nur Möbel, sondern vermietete auch komplette Wohnungseinrichtungen an Militärangehörige.48 Doch barg die Abhängigkeit vom Militär auch Risiken. Die kleine Handschuhwaschanstalt des Heinrich Riedel konnte ohne die Soldaten als Kunden nicht leben.49 Seit 1882 produzierte und wusch Riedel in seinem Laden Handschuhe. Das Ende der Garnison bedeutete auch das Ende dieses auf das Militär und seine Bedürfnisse ausgerichteten Geschäfts. Es gab auch einige auswärtige Soldaten, die in Rastatt ihr privates und berufliches Glück gefunden haben. Josef Bakofen, ein österreichischer Feldwebel aus Brandeis in Böhmen, lernte während seiner Dienstzeit in Rastatt Elise Maier, Tochter des Viehhändlers Josef Maier, kennen.50 Bei der Geburt der gemeinsamen Tochter Henriette im September 1865 ist Josef Bakofen zurück in seiner Heimat und als Direktor in einer mechanischen Weberei tätig. Er kehrte aber nach Rastatt zurück, heiratete am 25.  März 1868 in der Rastatter Synagoge und gründete in Rastatt eine Mehl- und Getreidehandlung, die vom zusätzlichen Getreidebedarf durch die Garnison profitierte. Ihre einzige ernsthafte militärische Nutzung erfuhr die Bundesfestung Rastatt in ihrer kurzen Geschichte während der badischen Revolution 1849. Nach dem Fall der Murglinie zogen sich 7.000 Revolutionäre in die Festung Rastatt zurück und wurden dort von den preußischen Bundestruppen zerniert. Die Kapitulation und Übergabe der intakten Festung an die Bundestruppen erfolgte nach dreiwöchiger Belagerung am 23. Juli 1849. Während des Krieges 1866 wurde die Festung Rastatt neutralisiert und die preußischen und österreichischen Truppen verließen Rastatt. Die bisherigen Waffenbrüder, das preußische Regiment »Königin Viktoria von Schweden« (Pommersches) Nr. 34 und das kaiserliche und königliche Infanterie Regiment »Freiherr von Hess« Nr. 49 trafen sich auf dem Schlachtfeld bei Königgrätz wieder. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und der Annexion Elsass-Lothringens verlor die Bundesfestung Rastatt ihre strategische Bedeutung, doch erst 1890 unterzeichnete Kaiser Wilhelm II. eine Kabinettsorder zu ihrer Aufhebung. Rastatt hatte damals etwa 7.000 Einwohner, zu denen noch über Vier- bis Fünftausend Militärangehörige traten. Der Kaufmann Gräfinger resümierte: »Jetzt konnte man auch Industrie herbeiziehen, denn vorher konnten im Festungsrayon nicht die kleinsten Bauten erstellt werden«51. Die Industrieansiedlung wurde so zu einer Hauptaufgabe des nächsten Jahrzehnts: »Ein Hauptaugenmerk unserer Stadt musste es seit Aufhebung der Festung sein, die auswärtige Industrie auf die Vorteile unserer Stadt aufmerksam zu machen, als da sind: 48 Wolfgang Reiß: Jüdische Familien in Rastatt. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): Einblicke in die jüdische Geschichte Rastatts, Rastatt 2010, S. 16–17. 49 Fieg / Feik (wie Anm. 47), S. 32 f. 50 Ebd., S. 17–19. 51 Zitiert nach Zepf (wie Anm. 40), S. 26 f.

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reichliche Wasserkräfte, billiger Grund und Boden, gesunde Gegend u.s.w.; denn wenn Rastatt noch etwas werden wollte, so musste es Einwanderung von Auswärts erhalten. Dieses wäre nicht ohne Schwierigkeiten möglich. Denn obwohl unsere deutsche Industrie sich allenthalben im Aufschwunge befindet, so hatten sich die großen Industrien unseres Landes und der Nachbarschaft, die während der Festungszeit hier keine Aufnahme fanden, schon anderswo angesiedelt.«52 Die Gemeinde nutzte die Chance, die sich ihr mit der Aufhebung der Festung bot, erwarb diese 1892 für 48.000 Mark und setzte den Abriss um.53 Zur Erstellung eines Planes zur baulichen Entwicklung Rastatts engagierte man den führenden Stadtplaner Reinhard Baumeister von der Technischen Hochschule Karlsruhe54. Dessen Plan sah Ringstraßen mit einer modernen Villenbebauung vor. Hiervon profitierte das Bauunternehmen des Eduard Degler, welches die Festung abriss und einen bedeutenden Teil der neu entstehenden Bauten – gleich, ob sie Gewerbe- oder Wohnzwecken dienten – errichtete.55 Im Zuge der Entfestigung konnte der Bahnhof 1895 an seinen heutigen Standort verlegt und im Lochfeld ein erstes Industriegebiet eingerichtet werden56. Der Brauereidirektor und Landtagsabgeordnete Carl Franz beschrieb die wirtschaftliche Situation Rastatts im Jahr 1900 folgendermaßen: »Die Stadt Rastatt war über 50 Jahre mit Mauern, Graben und Wall umgeben und zwar so eng, dass eine Entwicklung der Stadt unmöglich war. Wir Rastatter waren weiß Gott nicht Schuld daran, daß gerade unsere Stadt zu einer Festung bestimmt wurde […] Das Schloß ist in Folge der Festung in ein Magazin zu Kriegsvorräten verwandelt worden […] Unser schöner Schloßgarten ist in einen Exercierplatz umgewandelt worden. Die Vermehrung der Einwohnerzahl weist genau nach wie wir gegen andere Städte zurückgeblieben sind. Bei jeder Volkszählung […] waren wir jedes Mal entweder um 3 Einwohner mehr oder 3 Einwohner weniger, so dass wir sagen können, 50 Jahre haben wir Stillstand gehabt. Jetzt, da die Mauern gefallen sind, leben wir auf, und sind von der besten Hoffnung beseelt, daß wir auch einmal ein Aufblühen unserer 52 Adressbuch der Stadt Rastatt, Rastatt 1901, S. XII. 53 Vgl. Zepf (wie Anm. 40), S. 12–28. 54 Engelbert Strobel: Reinhard Baumeister. Der Schöpfer und Begründer des wissenschaftlichen Städtebaus. In: Badische Heimat 60 (1980), S. 281–284; Reinhard Molt: Prof. Dr. Reinhard Baumeisters »Entwurf zur Entfestigung und baulichen Entwicklung Rastatts«. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): »Aus langem Festungsschlaf erwacht.« Die moderne Entwicklung Rastatts nach der Entfestigung 1890–1914, Rastatt 2009, S. 46–67. 55 Vgl. Peter Hacker: Wohn- und Villenarchitektur nach der Entfestigung. Dargestellt an einigen exemplarischen Villenbauten. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): »Aus langem Festungsschlaf erwacht.« Die moderne Entwicklung Rastatts nach der Entfestigung 1890–1914, Rastatt 2009, S. 68–73. 56 Franz Mos: Der Abschied vom Festungsdasein macht Rastatt zum mittelbadischen Eisenbahnverkehrsknotenpunkt. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): »Aus langem Festungsschlaf erwacht.« Die moderne Entwicklung Rastatts nach der Entfestigung 1890–1914, Rastatt 2009, S. 83–97.

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Stadt erleben«57. Auch Heinrich Hansjakob, der Rastatt 1870 noch als »entsetzlich öde und langweilig«58 charakterisiert hatte, äußerte sich nun positiv: »Je mehr ich mich Rastatt näherte, umsomehr staunte ich, wie sehr die Stadt gewonnen hat durch ihre Entfestigung, und das Stadtbild war mir … ganz neu und fremd. Das derzeitige Oberhaupt, Bürgermeister Bräunig tut gar viel die alte Festungsstadt zu verjüngen.«59 Rastatt gleiche nun »einer Dame, die in älteren Jahren endlich hoffähig wird und sich nun alle Mühe gibt, nach der neuesten Mode sich zu kleiden.«60 Der 1890 einsetzende wirtschaftliche Aufschwung endete mit dem Ersten Weltkrieg abrupt. Der Abzug des Militärs im Dezember 1918 beendete dann die lange Tradition Rastatts als Garnisonsstadt.61 Oberbürgermeister August Renner äußert sich 1921 über die Bedeutung der Garnison als Wirtschaftsfaktor: »Durch die Aufhebung der Garnison hat das wirtschaftliche Leben der Stadt Rastatt einen außerordentlich schweren Schlag erlitten. Eine große Anzahl wirtschaftlicher Existenzen waren auf die Garnison eingestellt und sind nunmehr gefährdet. Die Stadtgemeinde Rastatt konnte bei dieser Sachlage erwarten, daß sie in ihren Bemühungen im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Aufbau im großen durch die Reichs- und Landesbehörden, die über die militärischen Anlagen zu verfügen haben, ausreichend unterstützt würde, nachdem die Stadt Rastatt durch ihre frühere Eigenschaft als Festung an dem ­wirtschaftlichen Aufschwung anderer Städte in den 70er und 80er Jahren nicht teilnehmen konnte«62. Eine Rastatter Besonderheit ist die nicht immer widerspruchsfreie Haltung von Bürgerschaft und Militär zur badischen Revolution von 1849. Auch hier zeigen sich Differenzen zwischen den revolutionären Soldaten einerseits und der Bürgerschaft andererseits. Bereits am ersten Tag nach Beginn der Belagerung erschien ein Parlamentär in Rastatt, um über eine Übergabe zu verhandeln. Der Gouverneur der Festung, der ehemalige badische Kavallerieoffizier Gustav Tiedemann, bezeichnete es jedoch als einen »Akt der Feigheit, eine so wohl versehene Feste zu übergeben«. Dem Bürgermeister Sallinger, der nicht nachließ, auf Übergabe zu drängen, drohte er, »den Schädel zu spalten.« Der Rastatter Gemeinderat beschloss trotzdem auszuhandeln, »unter welchen Bedingungen die Festung übergeben werden soll.« Die Festungskanoniere drohten darauf, ihre Kanonen gegen die Stadt zu richten. Die unterschiedlichen Positionen der Bürgerschaft und des Militärs, im Besonderen des Offizierskorps, lassen sich exemplarisch an der Akzeptanz der Sedanfeierlichkeiten und der Denkmalkultur in Rastatt aufzeigen. Wurde das Sedanfest vom Militär, Krieger- und Reservistenvereinigungen und dem konservativem Bürgertum gepflegt, so boykottierten sowohl Sozialdemokraten als auch Teile der Katholiken 57 58 59 60 61 62

Rastatter Tageblatt Nr. 44 vom 23. März 1900. Vgl. Hansjakob (wie Anm. 25), S. 7. Heinrich Hansjakob: Sommerfahrten, Stuttgart 1904, S. 72 f. Heinrich Hansjakob: Letzte Fahrten, Stuttgart 1908, S. 11 f. Zur Garnison Rastatt nach 1890 vgl. Jordan (wie Anm. 26), S. 30–46. StadtA Rastatt A 1027.

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das Sedanfest als »Reichsschlachttag« oder »Satansfest«. Diese fehlende Beteiligung wird im Rastatter Wochenblatt 1878 kritisch kommentiert: »Wir können nicht leugnen, dass der Zug zu einer festlichen Feier des Tages diesmal weniger lebhaft ist als früher. Von den Reichsfeinden zu schweigen, scheint selbst in manchen reichsfreundlichen Kreisen keine rechte Lust zum Feiern vorhanden zu sein. … Die erklärten Feinde des Reichs haben sich dabei weit zahlreicher gezeigt als irgend jemand erwartete. Die Anhänger der Sozialdemokratie treten trotz der Sozialistengesetze offen mit ihren auf den Umsturz gerichteten Absichten hervor. Die Ultramontanen lassen sich nicht abhalten, ihrer Antipathie gegen die neue Gestaltung der Dinge im Reich rückhaltlos Ausdruck zu geben.« Diese Ambivalenz der unterschiedlichen Erinnerungskulturen lässt sich auch in den Diskussionen um die Errichtung verschiedener Denkmäler erfassen, welche die gegensätzlichen Lager bedienten: das Militär und die Anhänger der Revolution von 1848/49. Mit dem Denkmal für die 1849 vom Standgericht zum Tode verurteilten und erschossenen Revolutionsteilnehmer auf dem Friedhof und dem Carl-SchurzDenkmal besann sich Rastatt auf seine große Vergangenheit als Ort der badischen Revolution.63 Mit dem Kaiser- und Kriegerdenkmal folgte man dem Trend, die Plätze mit patriotischen Siegesdenkmälern zu schmücken.64 Die Errichtung des Revolutionsdenkmales wurde erstmals 1874 beantragt und in den folgenden Jahrzehnten immer wieder von den lokalen militärischen Stellen untersagt. Noch 1899 protestierte der Standortkommandeur eindringlich gegen dieses Denkmal. Doch nun, mit dem zeitlichen Abstand von 50 Jahren, bestanden in Berlin keine Einwände mehr, solange das Denkmal schlicht gehalten und ohne Reden eingeweiht werde. Das Kaiser- und Kriegerdenkmal wurde 1902 zur Feier des 50-jährigen Bestehens des Regimentes Markgraf Ludwig Wilhelm mit großem Pomp, in Anwesenheit des Großherzogs, eingeweiht. Solche Feiern waren es, die das national konservative gesinnte Bürgertum und das Militär sichtbar vereinten. An diesen wenigen Beispielen zeigt sich, dass das Militär und seine Symbole keine einhellige Akzeptanz in Rastatt hatten. Die Frontlinie verlief hierbei, wie es bereits der Journalist 1878 erfasst hat, nicht einfach zwischen Sozialisten und Bürgertum: »Selbst die angeblichen Verteidiger von Thron und Altar auf protestantischer Seite machen in unseliger Verblendung mit den Feinden von Kaiser und Reich vielfach gemeinsame Sache.« War die Festung nun auch Rastatts Glück? Ich denke, wir können uns hier auf die Einschätzung der Zeitgenossen berufen und dies verneinen. Die Bundesfestung 63 Henning Pahl: Rastatt als Erinnerungsort der deutschen Freiheitsbewegung im 19. Jahrhundert in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 21 (2009), S. 55–72. 64 Iris Baumgärtner: »Das Denkmal soll sein nicht nur eine Zierde unserer Stadt« Das Kaiser- und Kriegerdenkmal an der Badener Brücke. In: Stadt Rastatt (Hrsg.): »Aus langem Festungsschlaf erwacht.« Die moderne Entwicklung Rastatts nach der Entfestigung 1890–1914, Rastatt 2009, S. 179–190.

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wurde von Seiten der Stadt und dem größten Teil ihrer Einwohner als Hindernis für die Entwicklung Rastatts angesehen. Die Garnison dagegen entwickelte sich, vor allem nach der Aufhebung der Festung 1890, zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Stadt.65

Abb. 1: Plan der Bundesfestung Rastatt, 1858 © Stadtarchiv Rastatt. 65 Zum gleichen Ergebnis gelangte bereits 1902 der Stadtchronist Eduard Schuster. Vgl. Eduard Schuster: Rastatt, die ehemalige badische Residenz und Bundesfestung, Karlsruhe 1902, S. 22: »Mit dem Bau der Festung traten wesentliche Aenderungen [sic] in den Erwerbs- und Lebensverhältnissen der Bewohner ein. Ein großer Teil des zunächst der Stadt gelegenen besten Geländes wurde für die Festung erforderlich, und wenn auch gute Entschädigung geleistet wurde, so war der Verlust an Gelände teilweise doch nicht zu ersetzen; anderseits [sic] eröffneten sich schon während des Festungsbaues manche andern Erwerbsquellen und die spätere starke Garnison, die nicht unter 4000 Mann herunterging, brachte den Geschäftsleuten vielen Verdienst; […].«

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Oliver Fieg

Abb. 2: Blick von der Friedrichsfeste auf Schloss und Stadtkirche, vor 1890 © Stadtarchiv Rastatt.

Abb. 3: Offiziere der Garnison Rastatt, 1887 © Stadtarchiv Rastatt.

Rastatts Glück?  

327

Abb. 4: Kapelle des Infanterieregiments »Ludwig-Wilhelm« Nr. 111 im Lindengarten zu Rastatt, um 1910 © Stadtarchiv Rastatt.

Abb. 5: Abriss der Ludwigsfeste, nach 1890 © Stadtarchiv Rastatt.

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Oliver Fieg

Abb. 6: Einweihung des Kaiser- und Kriegerdenkmals, 1902 © Stadtarchiv Rastatt.

Aschaffenburg als amerikanischer Militärstandort Schlaglichter der zivil-militärischen Beziehungen zwischen Kooperation und Konflikt Christian Th. Müller

Der vorliegende Aufsatz basiert auf den Ergebnissen eines durch den Autor 2013 bis 2016 im Auftrag der Stadt Aschaffenburg durchgeführten Forschungsprojektes. Dessen Ziel bestand darin, die Geschichte Aschaffenburgs als amerikanischer Militärstandort zu dokumentieren und das Spektrum der deutsch-amerikanischen Beziehungen vor Ort in einer Überblicksdarstellung zu rekonstruieren.1 Der Untersuchungszeitraum reichte dabei von der Schlacht um Aschaffenburg 1945 bis zum Abzug der U. S. Army und der Konversion der bis dahin militärisch genutzten Flächen. Im Fokus des Erkenntnisinteresses standen die mannigfachen Beziehungen und Erfahrungen, aber auch die Konflikte von Kommune sowie städtischer Gesellschaft einerseits und der amerikanischen Streitkräfte andererseits. Aschaffenburg lässt sich als geradezu typischer Standort der U. S. Army im Deutschland des Kalten Krieges charakterisieren. Von 1949 bis zur Auflösung des Standortes im Herbst 1992 umfasste die amerikanische Garnison fast durchgängig das Äquivalent eines verstärkten Infanterieregiments beziehungsweise einer mechanisierten Brigade zu dem verschiedene Spezial- und Unterstützungseinheiten kamen. Das waren zwischen 4.000 und 4.600 Soldaten sowie zwischen 3.000 und 6.000 Familienangehörige und amerikanische Zivilbeschäftigte. Auch nach Auflösung des Standortes wurden der Standortübungsplatz – STÜP – Schweinheim und Teile der Housing Area bis 2007 weiter durch die US-Streitkräfte genutzt. Die bis zu zehntausend amerikanischen Soldaten und Familienangehörigen bildeten nicht nur ungefähr ein Sechstel der Bevölkerung, das im Stadtbild nicht zu übersehen war. Sie bewohnten auch ein eigenes Stadtviertel mit fünf Kasernenkomplexen und drei Housing Areas. Als »Aschaffenburger auf Zeit« gestalteten sie mit Kultur- und Sportveranstaltungen, Volksfesten, aber auch mit öffentlichen Paraden das städtische Leben wesentlich mit. Hinzu kamen wohltätiges Engagement und praktische Hilfe etwa bei kommunalen Bauvorhaben oder Naturkatastrophen. Als

1 Christian Th. Müller: Aschaffenburg als amerikanischer Militärstandort. Vom Kriegsende bis zur Konversion (= Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg e. V., Band 65), Aschaffenburg 2016.

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Abb. 1: Abzeichen und Divisionszugehörigkeit der in Aschaffenburg stationierten Regimenter, Battle Groups und Brigaden © Eigene Darstellung

Arbeit- und Auftraggeber war die Garnison und als Kunden und Mieter waren auch ihre einzelnen Angehörigen ein signifikanter Faktor der lokalen Wirtschaft. Schließlich ergaben sich aus der jahrzehntelangen deutsch-amerikanischen Nachbarschaft auch enge persönliche Beziehungen, Freundschaften, binationale Ehen und transatlantische familiäre Bindungen. Allerdings war die Präsenz einer personell starken und weitgehend mechanisierten Garnison auch mit ganz erheblichen Belastungen und Konfliktpotentialen verbunden. Diese reichten von Flur- und Straßenschäden im Zuge von Manövern und Kettenmärschen über deviantes Verhalten von US-Soldaten bis hin zu den wohl am häufigsten monierten Lärmbelästigungen durch Militärfahrzeuge und morgendliche Kadenzgesänge. Dann mussten sich immer wieder die funktionierenden Kooperationsbeziehungen zwischen Kommune und Garnison, institutionalisiert im deutschamerikanischen Beratungsausschuss, bewähren, um derartige Konfliktpotentiale, wenn nicht zu beseitigen, so doch deutlich einzuhegen.

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Abb. 2: Lageplan der Kasernen und Housing Areas 1991 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

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Im Folgenden sollen zunächst das Verhältnis von GIs und Einheimischen sowie die institutionellen Beziehungen zwischen Kommune und Garnison skizziert werden, bevor dann im dritten Schritt etwas näher auf die Bearbeitung der mit der amerikanischen Militärpräsenz verbundenen Konfliktfelder eingegangen wird.

1. GIs und Einheimische Werfen wir nun also zunächst einen Blick auf das Verhältnis und die Begegnungsräume von GIs und Einheimischen. Auf deutscher Seite finden wir in dieser Hinsicht je nach Wohnlage und Generation deutliche Unterschiede. Besonders häufige und zum Teil nachhaltig prägende Kontakte zur amerikanischen Lebenswelt hatten die in unmittelbarer Nähe der Kasernen und Housing Areas aufwachsenden deutschen Kinder und Jugendlichen. Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren wurden sie faszinierte Zeugen des – gemessen an den damaligen deutschen Lebensverhältnissen – exotischen und ungemein attraktiven »American Way of Life«, an dem sie mitunter auch in der einen oder anderen Form teilhaben konnten  – etwa, wenn Soldaten Kaugummis und Schokolade verschenkten oder man an der Hintertür des NCO-Clubs für 25 Cent »French Fries« kaufte. Zu diesen Alltagsbegegnungen kam eine ganze Reihe von deutsch-amerika­nischen Feierlichkeiten und Veranstaltungen, die über das ganze Jahr verteilt waren. Diese dienten zum einen der positiven Selbstdarstellung der Garnison und zum anderen der öffentlichen Dokumentation guter deutsch-amerikanischer Beziehungen. Das Spektrum reichte vom Neujahrsempfang beim Standortkommandeur bis zum Good Cheer Programm, bei dem US-Soldaten zu Weihnachten in deutsche Familien eingeladen wurden. So bildete sich bis in die erste Hälfte der 1960er Jahre ein festes Set von Veranstaltungsformaten und Ritualen heraus, das Jahr für Jahr zunehmend routiniert zelebriert wurde. Den jährlichen Höhepunkt dieser Veranstaltungen bildete die für Aschaffenburg erstmals 1955 nachgewiesene Deutsch-Amerikanische Freundschaftswoche.2 Hier sollten Deutsche und Amerikaner sich bei Sport-, Kultur- und geselligen Veranstaltungen näher kommen. Dazu gehörten auch spezifisch militärische Formen der Selbstdarstellung wie Militärparaden und Waffenschauen, an denen sich seit 1957 auch die Bundeswehr regelmäßig beteiligte. In den 1980er Jahren verlegte man sich dann stärker auf weniger martialische Veranstaltungen, wie das zuletzt im Sommer 1992 durchgeführte »Mighty River Raft Race«, einem Schlauchbootrennen auf dem Main. Zum Teil wurden auch Rodeo-Shows veranstaltet, die jedoch alsbald deutsche Tierschützer auf den Plan riefen. Die wahrscheinlich längste Tradition hatten aber Wohltätigkeitsveranstaltungen für Alte, Arme und vor allem Waisenkinder zur Weihnachtszeit. Im Gegenzug 2 Main-Echo vom 24. Mai 1955: Kahl – Links – Schule.

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Abb. 3: Ausschnitt Aschaffenburger Volksblatt vom 8. Juni 1963 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

wurden US-Soldaten zu Weihnachten von deutschen Familien eingeladen. Ab den 1970er Jahren wurden diese Einladungen im Rahmen des »Good Cheer Programmes« durch das Public Affairs Office der Military Community organisiert. Die Resonanz sowohl bei den deutschen Familien als auch bei den amerikanischen Soldaten blieb jedoch recht überschaubar. Gemessen an der Stärke der Garnison lag der Anteil der eingeladenen Soldaten meist bei unter zwei Prozent. Ein besonders stark frequentierter Begegnungsraum war die lokale Gastronomie. Hier ergaben sich dann auch die meisten Kontakte von US-Soldaten zu deutschen Frauen. Bis in die späten 1960er Jahre galten die GIs als Botschafter des »American

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Abb. 4: Ausschnitt Aschaffenburger Volksblatt vom 7. Juni 1969 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

Way of Live« vor allem bei Frauen aus den unteren sozialen Schichten als attraktive Sexual- und Lebenspartner. Gerade in den ersten zwei Jahrzehnten nach 1945 wurde es für manche jüngere Frau zum Lebensziel, einen Amerikaner kennen zu lernen und mit ihm in die USA auszuwandern. Insgesamt sollen nach amerikanischen Angaben zwischen 1946 und

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1992 in Aschaffenburg 2.114 deutsch-amerikanische Ehen geschlossen worden sein.3 Wie diese Zahl erhoben wurde, ist jedoch unbekannt. Sowohl in den überlieferten Akten der Garnison als auch beim hiesigen Standesamt gibt es dazu keine Statistik. Archivinspektor Matthias Klotz vom Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg war daher so freundlich, in den Akten des Standesamtes die Aschaffenburger Eheschließungen mit amerikanischer Beteiligung für ausgewählte Jahre auszuzählen. Die Ergebnisse sind in Tabelle 1 zusammengestellt. Sie verdeutlichen, dass entsprechend dem gesamtdeutschen Trend die Zahl der deutsch-amerikanischen Eheschließungen auch in Aschaffenburg seit Anfang der 1960er Jahre beinahe kontinuierlich sank. Gegenläufig ist lediglich die für 1990 ermittelte Zahl, die jedoch im Zusammenhang mit dem sich bereits abzeichnenden Golfkrieg von 1991 stehen dürfte. Tabelle 1: Trauungen mit amerikanischer Beteiligung Anzahl der Trauungen im Standesamt Aschaffenburg 1950

480

1955

589

Anzahl von Trauungen mit amerikanischen Armeeangehörigen 6

Trauungen mit ame­rikanischen Zivilpersonen 3

Trauungen mit amerikanischer Beteiligung gesamt 9 126

1960

542

69

1965

517

66

1970

445

40

1975

426

43

1980

447

24

4

28

1985

430

18

4

22

1990

521

67

6

73

Zusammengestellt aus Akten des Standesamts Aschaffenburg durch Matthias Klotz.

Eine Hochrechnung der einzelnen Jahre auf den Zeitraum 1946 bis 1992 ergäbe insgesamt 2.486 deutsch-amerikanischen Ehen, so dass die vom Standortkommandeur bei seiner Abschiedsrede 1992 genannte Zahl von 2.114 Ehen ohne weiteres als realistisch angesehen werden kann. Bei einer geschätzten Gesamtzahl von etwa 100.000 US-Soldaten, die seit Ende der 1940er Jahre in Aschaffenburg stationiert waren, hätten hier demnach gut zwei Prozent eine deutsche Frau geheiratet.

3 Main-Echo vom 13. April 1992: »Amerikaner garantierten über Jahrzehnte unser Leben in Freiheit und Demokratie«. Aschaffenburger Volksblatt vom 13. April 1992: Stadt gab Empfang für abrückende US-Armee. »Freud und Leid geteilt«.

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Abb. 5: Ausschnitt Main-Echo vom 15. Mai 1952: Mit unserer Polizei auf Kontrollfahrt © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

Unklar bleibt dabei allerdings, inwieweit auswärts geschlossene Ehen in diese Statistik eingegangen sind oder nicht. So berichteten verschiedene Zeitzeugen, dass es für deutsch-amerikanische Paare nicht unüblich war, in Dänemark zu heiraten, wo Eheschließungen mit relativ wenig Formalitäten und ohne mehrmonatige Wartezeit ermöglicht wurden.4 Daneben gab es aber auch die sogenannten »Ami-Mädchen« oder »Amizonen«, die in den Bars des Kasernenviertels gezielt den Kontakt zu amerikanischen Soldaten suchten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Vor Einführung »der Pille« war damit immer aber auch das Risiko verbunden, ungewollt schwanger zu werden. Ein auch in der Presse thematisiertes Beispiel dafür ist das der 1937 geborenen Näherin Barbara K., die zwischen 1956 und 1960 fünf Kinder von verschiedenen US-Soldaten bekam. Vier der fünf Kinder landeten im Städtischen Kinderheim und wurden später adoptiert. Die Mutter kam wegen Verletzung der Unterhaltspflicht 4 Gespräch mit Guy Parker am 23. Februar 2014.

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mehrfach vor Gericht und wurde 1960 – schwanger mit dem fünften Kind – zu sechs Monaten Arbeitshaus verurteilt, die sie in der Frauenhaftanstalt Aichach verbüßte.5 Ein signifikanter Teil der im Städtischen Kinderheim und den anderen Waisenhäusern im Raum Aschaffenburg untergebrachten Kinder hatte amerikanische Väter, die sich um ihre unehelichen Kinder entweder nie gekümmert oder sich nach einer Ehescheidung von ihren Kindern abgewandt hatten. Waren auch die Mütter nicht willens oder in der Lage, ihre Kinder zu versorgen, so kamen diese ins Heim. Die im Heim lebenden Kinder waren bereits seit 1945 ein bevorzugter Adressat für die Wohltätigkeitsaktionen der US-Streitkräfte. Zum Teil wurden auch spezielle Weihnachtsfeiern nur für die Kinder amerikanischer Väter ausgerichtet, während bei der Stadtverwaltung Listen geführt wurden, in denen bedürftige Kinder mit US-Soldaten als Vätern verzeichnet waren.6

2. Kommune und Garnison Hatte die individuelle deutsch-amerikanische Begegnung – nicht zuletzt durch die zeitlich überschaubaren Dienstzeiten des einzelnen US-Soldaten in der Bundesrepublik – in der Regel nur episodischen Charakter, so pflegten Kommune, Behörden und Vereine langjährige institutionelle Beziehungen zur US-Garnison insgesamt beziehungsweise zu einzelnen Einheiten und Dienststellen. Der individuellen Diskontinuität stand somit bis zum Abzug der Garnison eine institutionelle Kontinuität der deutsch-amerikanischen Beziehungen vor Ort gegenüber. Deren Spektrum reichte von regelmäßigen Treffen zwischen Oberbürgermeister und Community Commander sowie des in der ersten Hälfte der 1950er Jahre gegründeten deutsch-amerikanischen Beratungsausschusses über die institutionelle Kooperation von Feuerwehr, Polizei, Bundeswehr sowie Schulen und Kirchen bis hin zur amerikanischen Beteiligung am örtlichen Vereinswesen und den verschiedenen deutsch-amerikanischen Clubs. Mit Umwandlung der Resident Offices in Civil Affairs Offices im Sommer 1952 wurde von amerikanischer Seite vorgeschlagen, auf Stadt- beziehungsweise Kreisebene sowie auf Landesebene deutsch-amerikanische Beratungsausschüsse zu gründen. Auf Englisch wurde dieses Gremium als German-American Advisory Council (GAAC) und zumindest in Aschaffenburg auch als Community Relations Advisory Council (CRAC) bezeichnet.

5 Main-Echo vom 16. Januar 1960: Statt Hochzeitsschmaus ins Arbeitshaus. Ami-Mädchen Barbara hatte den 4. »Betriebsunfall«. Vgl. auch die ausführliche Darstellung in: SSAA, SBZ 2 Nr. 778, Städtisches Kinderheim. 6 Vgl. Main-Echo vom 24.–26. Dezember 1964: Santa Claus bescherte rund 200 Kinder. Amerikaner bedachten Waisenhäuser, Altersheime und Familien. SSAA, SBZ 2 Nr. 321, Liste bedürftiger Kinder, deren Väter US-Soldaten sind.

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Wann genau der Beratungsausschuss für Aschaffenburg gegründet wurde, geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor. Das erste Mal erwähnt wird er in einem Artikel des Main-Echos aus dem Februar 1954 im Zusammenhang mit der aus amerikanischen und deutschen Spenden finanzierten »Eisernen Lunge« für das Städtische Krankenhaus.7 Fortan bildeten die Beratungsausschüsse auf lokaler und auf Landesebene die wichtigste Kooperations- und Konsultationsinstanz. Hier waren von beiden Seiten die für die deutsch-amerikanischen Beziehungen vor Ort relevanten Ressorts vertreten. So lernten sich nicht allein die einzelnen Ressortvertreter von Kommune und Garnison persönlich kennen. Gleichzeitig wurde so auch die ressortübergreifende Diskussion erleichtert. So bestanden gute Möglichkeiten, nicht allein die anstehenden Fragen im lokalen deutsch-amerikanischen Verhältnis zu diskutieren, sondern auch etwaige Konfliktfelder frühzeitig einzuhegen. Der Aschaffenburger Beratungsausschuss traf sich anfänglich in monatlichen Abständen.8 Ab Anfang der 1960er Jahre sank die Anzahl der Sitzungen auf zwei, später nicht selten auch nur eine Sitzung pro Jahr. Die eigentliche Sitzung war oft eingebunden in ein kulturelles und kulinarisches Rahmenprogramm. So wurde im Offiziersklub oder in einer deutschen Gaststätte zu Mittag gegessen. Zum Kulturbeziehungsweise Damenprogramm gehörte die Besichtigung von Sehenswürdigkeiten und Ausstellungen, Vorführungen von Filmen und Folkloregruppen oder auch Führungen durch die städtischen Parkanlagen.9 Die auf amerikanische Initiative zurückgehenden Beratungsausschüsse waren dabei selbst Bestandteil einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit. Schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA damit begonnen, in Deutschland für das amerikanische Modell zu werben. Dazu gehörte ostentative Wohltätigkeit sowie die Kultur- und Jugendarbeit. Die German Youth Activities (GYA) hielten Sportund Freizeitangebote bereit, während die Amerikahäuser vor allem kulturelle und politische Bildungsarbeit betrieben. Am 30. September 1948 erhielt auch Aschaffenburg sein kleines Amerikahaus, das im dritten Stock des Gebäudes der Militärregierung in der Luitpoldstraße 6 eingerichtet wurde. Dessen Kern bildete eine frei zugängliche Bücherei mit 2.000 Bänden. Das Programm des Amerikahauses reichte von Vortrags- und Diskussionsabenden über Film- und Theateraufführungen bis hin zu Sprachkursen. 7 Main-Echo vom 3. Februar 1954: Deutsch-amerikanischer Beratungsausschuß: Verlosung zum Abschluß. Aktion »Eiserne Lunge«. 8 Aschaffenburger Volksblatt vom 13. Juli 1954: Gäste sagten »Wonderfull«. Amerikaner und Aschaffenburger wollen sich näher kommen. Laut Main-Echo war der Aschaffenburger Ausschuss von den 38 Beratungsausschüssen in der Bundesrepublik hinsichtlich der Sitzungshäufigkeit an dritter Stelle. Main-Echo vom 21.  Mai 1959: Urkunde der US-Armee für deutsche Beamte. 9 Main-Echo vom 13. Juli 1954: Der Verständigungsausschuß im Museum. Main-Echo vom 27. Januar 1955: Maintaler vor Amerikanern.

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Abb. 6: Ausschnitt Aschaffenburger Volksblatt vom 19. Februar 1975 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

Bei einem der ersten Diskussionsabende gab zum Beispiel der Direktor der Militärregierung, Frank D. Rossborough, Auskunft über das gesellschaftliche und politische Leben in den USA. Hier versammelte sich der im Sommer 1948 gegründete DeutschAmerikanische Club oder trug ein »Negerchor« religiöse Lieder vor. Allerdings stellte das Aschaffenburger Amerikahaus seine Tätigkeit bereits 1952 wieder ein.10 10 Main-Echo vom 2. Oktober 1948: Eröffnung des Aschaffenburger Amerikahauses. Eine Bücherei mit 2000 Bänden steht der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung. Main-Echo

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Abb. 7 Ausschnitt Main-Echo vom 21. April 1988 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

Umso bedeutsamer wurde nun die Öffentlichkeits- und Kulturarbeit der Military Community. Dazu gehörten Konzerte von Militärkapellen sowie Kino- und Theaterveranstaltungen, die auch deutschen Besuchern offenstanden. Im Rahmen des Good Neighbor Programmes unterstützte das örtliche Pionierbataillon den Bau von Sportplätzen oder setzte den Spielplatz des Städtischen Kinderheims instand. Außerdem spendeten US-Soldaten regelmäßig Jahr für Jahr Blut für das Bayerische Rote Kreuz. vom 18. Dezember 1948: Ein Diskussionsabend im Amerikahaus. SSAA, Amerikaner 1948–1979 (Zeitungsausschnittsammlung), Amerikahaus Aschaffenburg  – Programm des Negerchors am 17. März 1949.

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Abb. 8: Einladung zu einer Veranstaltung des Deutsch-Amerikanischen Clubs © Eigene Darstellung

Eine andere Form institutionalisierter deutsch-amerikanischer Beziehungen waren die deutsch-amerikanischen Clubs. Davon gab es drei in Aschaffenburg. Erstens den deutsch-amerikanischen Damenclub, der von Zeitzeugen als eine Art Kaffeekränzchen von Kommandeurs- und Honoratiorengattinnen beschrieben wird. Deutlich aktiver war demgegenüber der deutsch-amerikanische Club. Hier wurden zum Beispiel Mottoabende veranstaltet oder Teile des Clubs nahmen an Faschingsveranstaltungen teil. Speziell für Mannschaftssoldaten und deutsche Jugendliche wurde in den 1970er Jahren noch der Kontaktclub gegründet, mit dem die deutsch-amerikanische Jugendbegegnung gefördert werden sollte. Gemessen an der Größe von Stadt und Garnison blieb aber auch der Zulauf zu den beiden letztgenannten Clubs mit jeweils etwa 50 bis 60 Personen recht überschaubar.11 11 Blitz Tip vom 24. Juni 1976: »Kontakt«: Löbliche Ziele für eine junge Gemeinschaft. SSAA, PAO Abgabe Ludwig 28.  Mai 2013 Mappen 1–22 (Karton 1), Mappe 17: Tätigkeiten »Kontakt« 1987. Interview mit Bruno Broßler, S. 20 f.

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Abb. 9: Selbstbeschreibung des »Kontakt«-Clubs © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

3. Konfliktfelder Die Präsenz eines vollmechanisierten Verbandes mit mehreren Tausend jungen Soldaten, Sprachbarriere und kulturelle Unterschiede sowie nicht zuletzt die rechtliche Sonderstellung der US-Streitkräfte in der Bundesrepublik brachten jedoch auch einige Probleme mit sich. Die drei wichtigsten Konfliktfelder waren dabei abweichendes Verhalten, die Begleiterscheinungen beziehungsweise Folgen von Manövern und Marschbewegungen sowie drittens die Modi der Liegenschaftsnutzung. Abweichendes Verhalten war vor allem ein Freizeitphänomen und stand meist im Zusammenhang mit dem Besuch der zahlreichen Kneipen und Clubs im Umfeld des Kasernenviertels. Ein Großteil der dort angesiedelten Gastronomie war auf amerikanische Gäste spezialisiert und führt heute – wie etwa die Bavaria Bar oder der Old Daddy Saloon – nur noch ein Schattendasein. Nicht selten mündete der Kneipenbesuch in übermäßigen Alkoholgenuss und anschließend wurde dann auf der Straße gegrölt oder Passanten wurden angepöbelt. Zum Teil kam es aber auch zu Körperverletzungs- und Sexualdelikten. Manchmal kam es bereits beim Betreten der Lokale zu Konflikten, wenn US-Soldaten allgemein oder Afroamerikanern im Besonderen der Zutritt mit Verweis auf eine angebliche fehlende Clubzugehörigkeit verwehrt wurde. Stadt und Garnison gingen dagegen mit gemeinsamen Streifen vor und vereinbarten einen Verhaltenskodex, der von Soldaten und Gastronomen beachtet werden sollte. Klagen über Lärmbelästigungen ergaben sich jedoch auch aus dem normalen Dienstbetrieb der Garnison. Ein immer wiederkehrendes Thema waren die Be-

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Abb. 10: Die ehemalige »Bavaria Bar« 2014 © Eigene Darstellung

schwerden über die morgendlichen Kadenzgesänge beim Frühsport. Hinzu kam der Lärm von Kettenfahrzeugen, die zu nächtlicher Stunde zum Verladebahnhof oder zum STÜP Schweinheim rollten. Wie schwierig es dabei sein konnte, dauerhafte Abhilfe zu schaffen, zeigen die beiden folgenden Beispiele. Im August 1965 hatte die Aschaffenburger US-Garnison eine »Hawk«-Flugabwehrraketenbatterie als Element der Truppenluftverteidigung erhalten. Während sich die eigentliche Raketenstellung auf dem STÜP Schweinheim befand und das Bedienungspersonal in der Jägerkaserne untergebracht war, hatte man die Funkmessgeräte zur Luftraumüberwachung auf dem Gelände der FioriKaserne aufgestellt. Deren Stromversorgung wurde durch mehrere in unmittelbarer Nähe aufgestellte, rund um die Uhr laufende Dieselgeneratoren sichergestellt.12 Bereits kurze Zeit nach Stationierung der »Hawk«-Batterie beklagten sich die Bewohner der Rhön- und der Schneebergstraße über die von den Generatoren ausgehenden Geruchs- und Lärmbelästigungen. Doch erst drei Jahre später, im Oktober 1968, wurde das Problem schließlich auch im Beratungsausschuss erörtert. Ein Ver12 Aschaffenburger Volksblatt vom 12.  August 1965: Raketen, die Raketen abschießen. HawkFlugabwehrraketen nach Aschaffenburg verlegt – Modernstes Waffensystem.

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Abb. 11: »Old Daddy Salon« 2014 © Eigene Darstellung

treter der Garnison versprach daraufhin: »Bis zum 15.  November jedoch würden die Generatoren in einem unterirdischen Gebäude mit starker Schalldämpfung untergebracht, so daß der Lärm sowieso auf ein Minimum reduziert werde.«13 Eine nachhaltige Lösung des Problems scheint dadurch aber noch nicht erreicht worden zu sein. Denn mit Beginn der warmen Jahreszeit gab es 1969 aus der Schweinheimer Bevölkerung erneut massive Beschwerden über den »entsetzlichen Lärm« der Generatoren. Daraufhin umgaben Pioniere die Generatoren mit einem Lärmschutzwall aus Sandsäcken. Wie der Leserbrief von A. Schmidt verdeutlicht, zeigten sich aber nicht alle der betroffenen Anwohner von der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen überzeugt: 13 Aschaffenburger Volksblatt vom 24.  September 1965: US-Kolonie wuchs auf 10000. MainEcho vom 5. November 1965: Hilfsaktion für Rentner aus der Zone. Aschaffenburger Volksblatt vom 11. Oktober 1968: Sicherheit bemüht den Generalmajor.

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Abb. 12: Ausschnitt Main-Echo vom 5. September 1969 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

»Aber wer nun schon jahrelang unter dem mit gutem Willen vermeidbaren Lärm auf dem Hof der Pionierkaserne zu leiden hat, dem kommen doch erheb­ liche Zweifel, ob denn die deutsch-amerikanische Freundschaft nicht eine einseitige Angelegenheit ist. Man munkelt, daß jetzt die Amis ›mir erheblichen Mitteln‹ endlich ein schallschluckende Anlage schaffen wollen. Der Erfolg bliebe abzuwarten. Der Vorwurf der Gedankenlosigkeit, des Mangels jeglicher Rücksichtnahme auf die deutsche Bevölkerung bleibt den Planern dieser Anlage nicht erspart.«14 14 Main-Echo vom 5.  September 1969: Maßnahmen gegen Generatorenlärm. Main-Echo vom 26. September 1969: »Freundschafts«-Lärm. Leserbrief von A. Schmidt.

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Abb. 13: Ausschnitt Main-Echo vom 14./15. September 1968 © Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg

Auf der Sitzung des deutsch-amerikanischen Beratungsausschusses im Oktober 1969 konnte Stadtrat Josef Zeller dann allerdings doch eine positive Bilanz ziehen. Nachdem die Generatoren mit Sandsäcken eingefriedet und abgedeckt worden waren sowie die nun für die Kühlung benötigten Ventilatoren Schutzkappen erhalten hatten, sei der Lärm zumindest deutlich reduziert worden.15 Danach fand das Problem weder in den überlieferten Akten noch der Lokalpresse weitere Erwähnung. Langwieriger und kostspieliger war dagegen das Problem der Verschmutzung und Beschädigung der öffentlichen Straßen durch Panzerfahrzeuge. Vor allem im Raum Schweinheim wurden Bordsteinkanten abgefahren oder Straßen derart verschmutzt, dass sie erst nach Einsatz von Schneepflügen wieder passierbar wurden. Bereits 1961 wurde daher vorgeschlagen, eine Panzerstraße zum STÜP zu bauen. 1966 folgten erste konkrete Überlegungen. Doch nach einem Streit um die Trassenführung dau15 Aschaffenburger Volksblatt vom 24. Oktober 1969: 5000 Bäume zur Verschönerung.

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erte es noch bis 1970, bis die Projektierung stand und 1972 schließlich der erste von vier Bauabschnitten fertiggestellt worden war. Bis Anfang der 1980er Jahre wurden dann auch die restlichen Bauabschnitte fertig gestellt. Hier war also ein langer Atem notwendig, um zu einer befriedigenden Problemlösung zu gelangen. Im Vergleich zu den vorangegangenen Beispielen erstaunlich unaufgeregt war demgegenüber 1971 mit dem Benzinunfall im Tanklager an der Goldbacher Straße umgegangen worden. Dessen tatsächliche Ausmaße und Folgekosten wurden dann allerdings auch erst über zwanzig Jahre später erkannt. Anfang Juli 1971 bemerkten in der Schönbornstraße beschäftigte Arbeiter des Aschaffenburger Tiefbauamtes einen anhaltenden starken Benzingeruch, als dessen Quelle das von der U. S. Army genutzte Tanklager ausgemacht wurde. Eine für den 9. Juli anberaumte erste deutsch-amerikanische Ortsbesichtigung ergab, dass aus einem undichten Schieber an der Tankanlage geringe Mengen Kraftstoff ausliefen. Nachdem der Schieber rasch repariert war, musste jedoch festgestellt werden, dass sich in dem vom Depot zur Aschaff führenden Regenwasserkanal noch erheblich größere Mengen Benzin auf dem Weg in den Wasserkreislauf befanden. Die Garnisonsfeuerwehr legte daraufhin am 13.  Juli mehrere Ölsperren aus. Das so gestaute Benzin wurde mit einem Bindemittel aufgefangen und anschließend auf dem Grauberg verbrannt. Gut eine Woche später hatten US-Soldaten dann auch die Herkunft des Benzins geklärt. Nachdem sie eine unterirdisch verlegte Kraftstoffleitung aufgegraben hatten, fanden sie ein Leck, aus dem wahrscheinlich bereits sechs Monate lang Benzin ins Erdreich gesickert war. Nun versuchte man, das Benzin in mehreren Auffanggruben zu sammeln und abzupumpen. Das abgepumpte Benzin wurde wieder auf dem Grauberg verbrannt. Doch wider Erwarten führte auch der Regenwasserkanal immer wieder benzinhaltiges Wasser. Dies ging so weit, dass die Böschung am offenen Teil des Kanals stark mit Benzin durchtränkt war. Bei einem neuerlichen Ortstermin am 7. September schlussfolgerten die anwesenden Behördenvertreter, dass der verrohrte Teil des Regenwasserkanals ebenfalls undicht und nun auch das Erdreich außerhalb des Depotgeländes weiträumig mit Benzin verseucht sein musste. Grundwasser und Aschaff blieben daher weiter unmittelbar gefährdet. Für Unverständnis auf deutscher Seite sorgte unter diesen Umständen die von den Vertretern der US-Streitkräfte an den Tag gelegte Haltung. Noch am 6. September hatten US-Soldaten den Regenwasserkanal mit Wasser gespült und dabei große Mengen Benzin direkt in die Aschaff gedrückt. Nach Aussage von Tiefbauarbeitern, die dies beobachteten, hätte man damit Fahrzeuge auftanken können. Gleichzeitig zeigte sich die amerikanische Seite aber aus Kostengründen gegenüber weitergehenden Erkundungen und Sanierungsmaßnahmen wenig aufgeschlossen.16 16 Aschaffenburger Volksblatt vom 15. September 1971: US-Depot verseucht Wasser und Erde. Im Tanklager floß seit Februar Benzin aus – Deutsche Stellen fordern Abhilfe. MainEcho vom 15.  September 1971: Unglaubliche Schlamperei der Amerikaner. Benzin floß ins Erdreich ab: Grundwasser bald verseucht?

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Stadt und Landkreis forderten daraufhin von den US-Streitkräften die umfassende Aufklärung und Beseitigung der Risiken. Um den verseuchten Bereich zu begrenzen, wurden mehrere Gräben angelegt. Im unmittelbaren Umfeld der lecken Benzinleitung wurde das Erdreich abgetragen und ausgetauscht, und schließlich wurde auch die von der Stadt geforderte Inspektion des verrohrten Regenwasserkanals mit einer Fernsehkamera vorgenommen.17 Bezeichnenderweise gerieten in der Folge nicht Kommune und Garnison, sondern Kommune und Bund in Konflikt miteinander. Nachdem Stadt und Landkreis eine umfassende Schadensaufklärung und -beseitigung gefordert hatten, protestierte die Oberfinanzdirektion Nürnberg gegen die anfallenden Kosten in Höhe von 500.000 DM, die sie nun – aus deutschen Steuergeldern – begleichen müsse.18 Leserbriefautor Karl Hesele monierte Mitte Oktober, dass eine derartige Regelung »wider jegliches Rechtsempfinden« sei, und forderte eine Revision des Stationierungsvertrages.19 Das Main-Echo kritisierte demgegenüber das zögerliche Anlaufen der Erkundungs- und Sanierungsmaßnahmen und bezifferte die Menge des in den Boden gelangten Benzins auf 300.000 Liter. Bis Ende des Jahres wurde schließlich der am stärksten kontaminierte Boden auf einer Fläche von zehn mal zehn Metern abgetragen, und in einem für »wasserundurchlässig« befundenen Steinbruch auf dem STÜP Schweinheim »entsorgt«.20 Das Tanklagergelände und die Deponierung von Sondermüll in alten Steinbrüchen auf dem STÜP gerieten erst wieder mit dem Abzug der Garnison 1992 in den Fokus des öffentlichen Interesses. In den Jahren 1998/99 wurden dann noch einmal 48.000  Tonnen kontaminierter Boden abgetragen und gereinigt, wobei 35 bis 40  Tonnen Benzin gewonnen wurden. Bis zum Sommer 1999 war die Sanierung des Bodens abgeschlossen. Deutlich länger dauerte die Reinigung des Grundwassers. Bis Ende April 2001 wurden 97.610 m³ Grundwasser abgepumpt und gereinigt, ohne dass die Grundwasserreinigung damit abgeschlossen gewesen wäre.21

17 Main-Echo vom 23. September 1971: Amerikaner schaufeln nun die Erde um. Sie spüren versickertem Benzin nach. Main-Echo vom 29. September 1971: Dem versickerten Benzin auf der Spur. Amerikaner hoben zwei Gräben aus. Forderungen von Stadtverwaltung, Landratsamt und Wasserwirtschaftsamt werden erfüllt. 18 Main-Echo vom 30. September 1971: Protest. 19 Main-Echo vom 16. Oktober 1971: Überholungsbedürftiger Stationierungsvertrag. Leserbrief von Karl Hesele. 20 Main-Echo vom 8.  Oktober 1971: Jetzt geschieht endlich wieder etwas: Amerikaner graben nach dem Benzin.. Main-Echo vom 12. Oktober 1971: 18 Grundwasserproben aus benzinhaltiger Erde geholt. Main-Echo vom 22. Dezember 1971: Benzinverseuchte Erde kommt fort. 21 Rathaus, Umweltamt, Ordner: Sanierung des ehemaligen Tanklagers an der Goldbacherstraße – Grundwassersanierung 1.  Zwischenbericht 1998/99, S. 4 sowie 3.  Zwischenbericht 2000/2001.

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Abb. 14: BTEX-Belastungen im Bereich des ehemaligen Tanklagers an der Goldbacher Straße © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

Ein weiteres Konfliktfeld war die Art der Liegenschaftsnutzung. Die damit verbundenen Konflikte waren häufig äußerst langwierig und konnten im Einzelfall sogar noch nach dem Abzug der Garnison und der Freigabe des STÜP fortschwelen. Das zeigen vor allem die über inzwischen mehr als fünf Jahrzehnte gehenden Auseinandersetzungen um einen von amerikanischen Pionieren am Reichenbach auf dem STÜP angelegten Stausee. Dieser beeinträchtigte die Wasserversorgung der Fischteiche des Fischmeisters Heinrich Glaab, der in Obernau eine Forellenzucht betrieb. Die beim städtischen Umweltamt dazu angelegte Akte begann 1962 und war Stand 2014 noch nicht abgeschlossen. Sie dokumentiert eine nicht enden wollende Odyssee im toten Winkel behördlicher Zuständigkeiten und in den Lücken des Stationierungsrechts.22 Im Frühjahr 1962 musste Fischmeister Glaab feststellen, dass das vom Reichenbach über den Altenbach zu seinen Fischteichen gelangende Wasser – anders als bislang – stark verschmutzt war. Die Ursache war ein von den US-Streitkräften auf dem STÜP neu angelegter Staudamm nebst Stausee, der für Pionierübungen und später 22 Die folgende Darstellung gibt den Verlauf der Akte wieder: Rathaus, Umweltamt, Ordner: Wasserrecht: Naturschutzgebiet Angelteich, Reichenbach, Sangenbach.

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als Angelteich genutzt wurde. Glaab beklagte sich darüber sogleich beim örtlichen Gewerbe- und Ordnungsamt, worauf Vertreter der Stadtverwaltung den Dammbau bei der Civil Affairs Section der Garnison monierten. Vertreter des Pionierbataillons verwiesen im Juni darauf, dass das Staubecken für Pontonübungen benötigt werde, da der Main als alternatives Übungsgewässer lediglich mit längerer Voranmeldung genutzt werden könne. Am 30. Juni beantragten sie daher die nachträgliche Legalisierung des Dammes. Dem folgte im Februar 1963 der Antrag auf Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis für den Damm. Im örtlichen Wasserwirtschaftsamt wurde der Antrag zunächst nicht weiterbearbeitet. Anfang September 1963 hatte man sich dort aber zumindest eine Meinung gebildet. Fischmeister Glaab habe keine rechtlichen Ansprüche auf Wasser von bestimmter Qualität, und da eine Einbringung wassergefährdender Stoffe nicht zu erwarten sei, könne der Damm bei geringen baulichen Nachbesserungen unbedenklich genehmigt werden. Am 4. Dezember 1963 folgte die formale Genehmigung. Daraufhin legte Heinrich Glaab am 12.  Februar 1964 Einspruch gegen diese Entscheidung ein. Glaab verwies in seinem Schreiben darauf, dass der Altenbach durch den Damm nicht nur deutlich weniger Wasser führe, sondern auch bereits »total versandet« sei. Um seine Forellenzucht vor Sandeinträgen zu schützen, hätte er jährlich 600 DM an zusätzlichen Betriebskosten aufzuwenden. Er beantragte daher die Beseitigung des Dammes, die Ersetzung des ihm entstandenen Schadens sowie die Räumung des in den Altenbach eingetragenen Sandes. Gut zwei Wochen später, Anfang März 1964, begannen Soldaten des Pionierbataillons dann tatsächlich mit der Beseitigung des Dammes. Glaab schien sich durchgesetzt zu haben, seine Forellenzucht gerettet und der Konflikt beigelegt zu sein. Doch der Schein trog. Bereits im Juni 1964 zeigte sich das Wasserwirtschaftsamt aufgeschlossen, den amerikanischen Antrag auf Errichtung eines Staudammes unter Auflagen zu genehmigen. Noch bevor die Genehmigung erteilt war, wurde der Damm daraufhin wieder aufgebaut. Nun begann ein zäher Behördenmarathon. Im Sommer 1965 meldete Fischmeister Glaab, dass in großem Umfang Sand und Schlamm in seine Teiche eingeschwemmt worden und dadurch das Überleben seines gesamten Fischbestandes bedroht sei. Oberrechtsrat Hupfauer von der Stadtverwaltung teilte nun per Schreiben vom 13. August 1965 an den S-3 der 3rd Brigade, Major Marshall, mit, dass das ungenehmigte Aufstauen eines Gewässers und dessen Verunreinigung – durch das Befahren mit Militärfahrzeugen – nach § 3 beziehungsweise § 38 des Wasserhaushaltsgesetzes vom 27. Juli 1957 verboten und strafbewehrt sei. Das Befahren des Stausees mit Militärfahrzeugen habe künftig zu unterbleiben und der Damm sei baldmöglichst abzutragen. Drei Jahre später konstatierte das mit dem Fall befasste Landgericht Würzburg, dass für den Staudamm zwar keine wasserrechtliche Erlaubnis vorliege, das Beseitigungsverlangen vom 13. August 1965 bliebe jedoch folgenlos, da die US-Streitkräfte nicht der deutschen Verwaltungs- und Gerichtshoheit unterliegen würden, weshalb eine Erzwingung nicht möglich wäre.

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Alle weiteren Vorstöße von deutscher Seite, darunter mehrere Strafanzeigen von Fischmeister Glaab, wiederholte Aufforderungen des Wasserwirtschaftsamtes, den Damm zu beseitigen beziehungsweise erteilte Bauauflagen umzusetzen, sowie ein 1984 begonnenes Wasserrechtsverfahren liefen ins Leere. Die amerikanischer Seite bediente sich einer kombinierten Beschwichtigungsund Verzögerungstaktik. So nahmen Vertreter der Garnison zwar mehrfach an Ortsterminen und Konsultationen teil oder erklärten, wie 1975 Colonel Donald E.  Cluxton, dass der Stausee künftig nur noch für unbedenkliche Freizeitzwecke genutzt werde. Gleichzeitig wurde die Ingangsetzung eines Wasserrechtsverfahren konsequent vermieden, um das schließlich doch noch eingeleitete Verfahren dann bis Mitte der 1990er Jahre systematisch zu verschleppen. Die 1998 verkündete Absicht, den Stausee abzulassen und den Damm einzuebnen, wurde bis heute ebenfalls nicht umgesetzt. Für die Fischzucht des Heinrich Glaab stellte der amerikanische Staudamm so über Jahrzehnte ein existentielles Problem dar. Mehrfach konnte der Fischbestand nur durch kostenintensive Teichbelüftung und weitere Maßnahmen gerettet werden. 1977 kam es gleichwohl zu einem großen Fischsterben. Ob und in welchem Maße der Betrieb für die entstandenen Schäden und Mehrkosten entschädigt wurde, geht aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor. Eine diesbezügliche Anfrage bei der Familie des inzwischen verstorbenen Heinrich Glaab blieb ebenfalls ohne Ergebnis. Ebenfalls langwierig, aber ungleich brisanter stellte sich der Streit um das städtische Grundstück am Büchelberg dar. Ohne die Stadtverwaltung vorher zu informieren, hatte die U. S. Army hier im Frühjahr 1951 eine Waldfläche abholzen lassen, um darauf ein Munitionslager für die Garnison einzurichten. Oberbürgermeister Vinzenz Schwind beanstandete zwar umgehend das einseitige amerikanische Vorgehen, machte die städtischen Eigentumsrechte an den geschlagenen Bäumen geltend und verwies auf die von einem Munitionslager auf dem Büchelberg ausgehenden Gefahren für die Bevölkerung. Bei den zuständigen amerikanischen Dienststellen ging man jedoch davon aus, dass es sich um vormaliges Wehrmachtgelände, also Bundeseigentum, handele, und hielt es nicht für notwendig, auf die Einwände der Stadt überhaupt zu reagieren. Erst nach einem förmlichen Protest zeigte sich die amerikanische Seite gesprächsbereit.23 Resident Officer Leo L. Holstein bot nun seine Vermittlung an und stellte eine für alle Beteiligten faire Lösung in Aussicht. Im Endeffekt wurde die Kritik der Stadt am eigenmächtigen amerikanischen Vorgehen zwar als berechtigt anerkannt. An der Standortentscheidung vermochte dies jedoch nichts zu ändern.24

23 Main-Echo vom 31.  Mai 1951: Oberbürgermeister erhebt Protest. US-Dienststellen reagierten nicht auf Einspruch der Stadt. 24 Main-Echo vom 2. Juni 1951: Holstein will vermitteln. Am Dienstag Munitions-DepotBesprechung in Aschaffenburg. Main-Echo vom 9. Juni 1951: Das Munitions-Depot am Büchelberg. »Einspruch des Oberbürgermeisters war berechtigt.«

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In der Folge kam es zunächst zu einem Konflikt mit dem Bund. 1957 versuchte das Bundesvermögensamt, das Grundstück zu enteignen, was jedoch vorerst am Widerstand der Stadt scheiterte. Gleichzeitig wiederholte die Stadt mehrfach ihre Forderung nach Verlegung des Depots. Ein 1959 von der Bundesvermögensstelle Würzburg angebotener Nutzungsvertrag, der den damaligen Stand festgeschrieben hätte, wurde daher abgelehnt.25 Die Chancen für eine Verlegung des Depots standen jedoch eher schlecht, bis im Frühjahr 1967 nur allzu deutlich wurde, welche Gefahren von der auf dem Büchelberg in LKW-Anhängern gelagerten Munition für die umliegenden Siedlungsgebiete ausgingen. Am 3. April wurden der Ostrand Aschaffenburgs und die Gemeinde Haibach kurz nacheinander um 12.15 Uhr und um 12.20 Uhr von zwei heftigen Explosionen erschüttert. Die Druckwellen und herumfliegende Munitionsteile beschädigten in der Gemeinde Haibach über 250 Häuser. Vor allem in der Büchelbergstraße und im Sponackerweg wurden Fenster und Türen eingedrückt sowie bei einer Reihe von Häusern die Dächer abgedeckt. Wie durch ein Wunder gab es aber keine Toten und Schwerverletzten. Lediglich drei Personen hatten Schnittverletzungen durch herumfliegende Glassplitter erlitten. Der Sachschaden wurde auf insgesamt über eine Million D-Mark geschätzt.26 Bereits zwei Tage nach den Explosionen war dann auch deren Ursache ermittelt. Der während seines Einsatzes in Vietnam traumatisierte 25-jährige Pioniersergeant Carl B. Burdette hatte zwei mit je 1.200  Pfund Infanteriemunition beladene Anhänger mittels Zündschnur zur Explosion gebracht. Während des Prozesses vor einem US-Militärgericht in Stuttgart wurden im September 1967 auch die Begleitumstände seiner Tat deutlich. Wenige Tage vor dem 3. April hatte ein Militärarzt bei Burdette eine Angstneurose festgestellt und vor dessen weiterer Verwendung im Munitionslager gewarnt. Der zuständige Kommandeur der 9th Engineers hatte darauf aber nicht mehr rechtzeitig reagiert. Burdette wurde zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt, wobei das Gericht die Empfehlung aussprach, ihn zunächst in eine psychiatrische Klinik einzuweisen.27 25 Main-Echo vom 26.  April 1967: Oberbürgermeister Dr. Vinzenz Schwind an Bundesfinanzminister Franz-Josef Strauß: »Behauptungen des Finanzministeriums entbehren jeglicher Grundlage.« Vgl. auch: Main-Echo vom 4. April 1967: Der Kampf um den Büchelberg. 26 Main-Echo vom 4. April 1967: Erster Gedanke nach der Detonation: Dritter Weltkrieg ist ausgebrochen. »Nur nicht noch einmal verschüttet werden!« – Frauen flüchteten mit ihren Kindern in die Autos. Aschaffenburger Volksblatt vom 4. April 1967: Zwei Explosionen verursachten Millionenschäden. Main-Post vom 5. April 1967: In Haibach helfen viele Hände. Munitions-Explosionen noch nicht aufgeklärt / A merikanischer Soldat unter Tatverdacht festgenommen. 27 Aschaffenburger Volksblatt vom 14. September 1967: Der General muß entscheiden. USSergeant hat im Traumzustand gehandelt  – Besser Nervenheilanstalt. Aschaffenburger Volksblatt vom 13. September 1967: Der Arzt hat vor Burdette gewarnt. Explosion in Haibach hätte verhindert werden können.

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Abb. 15: Ausschnitt Aschaffenburger Volksblatt vom 4. April 1967 © Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg

Nun, nachdem die Gefahren eines Munitionslagers auf dem Büchelberg für alle Beteiligten hinreichend deutlich geworden waren, zeigten sich auch die Vertreter von Garnison und Bundesfinanzministerium einsichtig, dass das Depot unbedingt an einen anderen Standort verlegt werden müsse. Bereits Mitte Mai wurde das Lager geräumt und die Munitionsanhänger in den Schweinheimer Wald verbracht.28

28 Main-Post vom 5. April 1967: In Haibach helfen viele Hände. Main-Echo vom 28. April 1967: Strauß schrieb an Botschafter Burns: »Munition vom Büchelberg verlagern.« MainEcho vom 13. Mai 1967: Das amerikanische Munitionsdepot am Büchelberg wird heute verlegt.

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4. Fazit Insgesamt war die Präsenz einer starken amerikanischen Garnison in Aschaffenburg mit mannigfaltigen Konfliktpotentialen verbunden. Dank zumeist funktionierender deutsch-amerikanischer Konsultations- und Kooperationsbeziehungen konnten diese schließlich in der Regel zumindest erfolgreich eingehegt und ein modus vivendi gefunden werden. Nachhaltige Problemlösungen blieben jedoch die Ausnahme. Wo diese – wie beim Bau der Panzerstraße – zustande kamen, bedurften sie einer mehrjährigen Vorlaufzeit. Ansonsten war ein wellenförmiges An- und Abschwellen der Konfliktpotentiale typisch. Dabei hatten die Konflikte nicht selten auch eine beträchtliche politische Brisanz, beeinträchtigten sie doch das offiziell gepflegte Bild der US-Streitkräfte als Freunde und Schutzmacht nicht unerheblich. Die Vertreter der Stadt bedienten sich daher im Umgang mit den verschiedenen Konfliktlagen einer Doppelstrategie. Einerseits wurden die Interessen von Kommune und deutscher Bevölkerung gegenüber der Garnison, aber auch gegenüber etwa der Bundesfinanzverwaltung klar, zum Teil auch drastisch kommuniziert. Andererseits wurde parallel dazu immer der Dialog und, wenn sich der kommunale Standpunkt nicht durchsetzen ließ, der Kompromiss gesucht. Die Vertreter der U. S. Army legten ihrerseits eine ostentative Gesprächs- und Kooperationsbereitschaft an den Tag, ohne dass sie jedoch zu einer grundlegenden Veränderung ihrer Alltags- und Dienstgepflogenheiten bereit gewesen wären. So hatte die gemeinsame Bearbeitung der Konfliktfelder – etwa im Beratungsausschuss – nicht zuletzt symbolische Bedeutung. Zusammen mit den tradierten Ritualen zur Feier der deutsch-amerikanischen Freundschaft bildeten sie den öffentlichkeitswirksamen Beleg für ein insgesamt funktionierendes deutsch-amerikanisches Miteinander in Aschaffenburg.

Militärmusik als fester Bestandteil des städtischen Gesellschafts- und Kulturlebens im 19. Jahrhundert Iris Winkler

Anhand von Fallbeispielen wird in Auswahl Militärmusik im 19. Jahrhundert in Bayern vorgestellt. Thematisiert werden Wege zu den aufzufindenden zeitgeschichtlichen und musikalischen Quellen und deren Aufbereitung und Erschließung. Die Fragestellungen an die Quellen erweisen sich als fächerübergreifend: als Recherchen unter dem Vorzeichen Sound History oder »Sound der Zeit«1. »Als der Zug, der den Sarg mit dem Verstorbenen nach Bayreuth brachte, am 17. Februar [Richard Wagner starb am 13.02.1883 in Venedig] nachmittags in den Bahnhof einfuhr, standen auf dem Bahnsteig neben den Angehörigen die Honoratioren der Stadt und die Feuerwehr, die den Sarg aus dem Waggon hob und zum mit vier Pferden bespannten Leichenwagen auf dem Bahnhofsvorplatz trug. Dort hatte auch das Musikkorps des K.[öniglich] B.[ayerischen] 7. Infanterie-Regiments Aufstellung genommen und spielte die ›Heldenklänge‹ aus ›Siegfrieds Tod‹. Bevor sich der Trauerzug in Bewegung setzte, hielten Bürgermeister Muncker und Friedrich Feustel Trauerreden, worauf der Gesangverein ›Liederkranz‹ den ›Gesang am Grabe‹ von Carl Maria von Weber vortrug. Danach setzte sich der Trauerzug zur Villa Wahnfried in Bewegung: einer Abteilung der Turnerfeuerwehr folgten zwei Herolde, darauf das Musikkorps des K.[öniglich] B.[ayerischen] 7. Infanterie-Regiments, das Trauermärsche von Beethoven und Chopin musizierte, dann Kranzträger sowie ein Wagen voller Kränze. Es folgten der Leichenwagen, dahinter die Geistlichkeit, als Vertreter des Königs General Graf von Pappenheim, und Vertreter der höchsten Behörden sowie das Offizierskorps und die Beamten der Stadt. Dem Musikkorps des K.[öniglich] B.[ayerischen] 6. Chevaulegers-Regiments, das Trauermärsche von Georg Friedrich Händel und Johann Simon Mayr intonierte, folgten die Musikvereine Bayreuths sowie die Vertreter der Stadt.«2

1 Vgl. Gerhard Paul / R alph Schock (Hrsg.): Sound der Zeit. Geräusche, Töne, Stimmen – 1889 bis heute, Göttingen 2014. 2 Hans-Helmut Schnebel: Die Garnisonen Ansbach und Bayreuth und ihre Militärmusik. In: Freunde Mainfränkischer Kultur und Geschichte e. V.: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 64, Würzburg 2012, S. 147–202, hier S. 186.

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Es wird wohl der bekannte Trauermarsch (»Marcia lugubre« I-BGc Fondo Mayr fald. 47) von Johann Simon Mayr gewesen sein, der nach den Recherchen von HannsHelmut Schnebel am 17. Februar 1883 zu Ehren Richard Wagners, interpretiert als Militärmusik vom Musikkorps des K.[öniglich] B.[ayerischen] 6. Chevaulegers-­ Regiments, intoniert worden ist. Den ideologisch überhöhten Heldentod zu glorifizieren, ist nicht zuletzt durch den Trauermarsch gelungen, der als musikalische Gattung während der Franzö­ sischen Revolution vermehrt als Propagandamittel Verwendung gefunden hat. Der »Trauermarsch« als eigener musikalischer Satz zog seitdem verstärkt in »klassische Gattungen« ein, wie etwa in Beethovens Eroica. Militärmusik hat sich im 19. Jahrhundert aber nicht in eigener Formation und in Standkonzerten präsentiert. Auch in dieser Hinsicht lässt sich Richard Wagner, jetzt als lebender Zeitzeuge, anführen: »Die Feier der Grundsteinlegung [des Bayreuther Festspielhauses] fand am 59. Geburtstag Richard Wagners, [am] 22. Mai 1872, in einem wesentlich feierlicheren Rahmen [als der erste Spatenstich am 24. April 1872] im Opernhaus statt, wobei vom Sinfonieorchester, verstärkt durch Militärmusiker, neben Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie auch Richard Wagners »Kaisermarsch« erklang. Richard Wagner hielt stets Kontakt zu den Dirigenten und den Musikern der in Bayreuth stationierten Regimentskapellen, weil er die Zuverlässigkeit und Präzision im Spiel der Bläser schätzen gelernt hatte. Er förderte durch seine Kompositionen für symphonisches Blasorchester die Entwicklung der Militärmusik in Deutschland.«3 Gewisse Militärkapellen galten als ausgesucht. Bestimmte Militärmusiker ließen sich durchaus auf ihrem Instrument als Virtuosen bezeichnen. Und nicht nur Richard Wagner wusste darum. Vielerorts spielten Militärmusiker in Sinfonie- und Opernorchestern. Dies wiederum sorgte auch für eine Verbreitung des unterhaltsamen Repertoires im Militärmusikbestand. Diese Mobilität musikalisch und historisch detailliert aufzuarbeiten, wäre mentalitätsgeschichtlich als Sound History zu studieren. Achim Hofer weist darauf hin, dass die Bezeichnung »Militärmusikbesetzung« »keine unübliche Verlagsangabe für Notenausgaben ›ziviler‹ Werke (war), denn seit dem 19. Jh. waren die Militärkapellen Vorbild für zivile Blasorchester […]«4. Eine Person in militärischer Uniform hat eine andere Erscheinungsform als eine Person in Zivilkleidung, das scheint doch augenscheinlich ganz einfach. Will man diese scharfe Trennlinie nun auch »musikalisch« ziehen, wird daraus ein Zickzack, es gelingt nicht. Und gut, dass es nicht gelingen kann, denn es verweist uns auf ganz andere vergangene kulturelle, gesellschaftliche, politische Zusammenhänge, über Sozialisation, die es über die Jahrhunderte hinweg freizulegen gilt: Ein kulturelles Erbe, das klug und umsichtig im Zeitspiegel, durchaus im Sinne der »Sound His3 Vgl. Schnebel (wie Anm. 2), S. 184. 4 Achim Hofer: Art. Militärmusik. Einleitung, in: MGG2 Sachteil Bd.6 (1997), Sp. 270.

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tory«, zu befragen und keineswegs als bloße »Reliquie« oder schöne, unterhaltsame Klangkulisse zu missdeuten ist. »Eine systematische der äußerst vielfältigen Beziehungen zwischen Militär- und Kunstmusik steht aber noch aus.«5, konstatiert Achim Hofer. Über das bloße Andeuten dieser Vielfältigkeit im Bereich der Musik im Allgemeinen hinaus, sind am Beispiel Militär – Musik und Stadtkultur doch immer wieder Fragen zu stellen, die keineswegs nur die musikalische Besetzung betreffen. Mädchen spielten mit Puppen, Jungen im 19. Jahrhundert mit Zinnsoldaten. Das Militär war Teil der Lebenswelt und die Offizierslaufbahn war im 19. Jahrhundert nicht mehr allein dem Adel vorbehalten, geht aber auf ihn zurück, mit seinen Zwängen, Pflichten und Privilegien. Der Ehrenkodex begegnet dem Leser etwa in Effi Briest von Theodor Fontane6. Eine Vielzahl von Werken etwa von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Robert Schumann, Peter Tschaikowsky weist auf diese Lebenswelt. Vordergründig ist es Musik, die wir heute noch gerne hören, vielleicht auch gerne spielen, aber deren direkter historischer Bezug uns eigentlich vollkommen fremd geworden ist. In Robert Schumanns Album für die Jugend op. 68, das heute weiterhin im Klavierunterricht verwendet wird, trägt das zweite Stück den Titel »Soldatenmarsch« und das einunddreißigste Stück in der »Zweiten Abteilung« »Für Erwachsenere« den Titel »Kriegslied«. Hanns-Helmut Schnebel bemerkt: »Wenn heutzutage Militärmusik die Aufgabe der Truppenbetreuung hat, so waren damals [im 17. Jahrhundert in Ansbach] schon wesentliche Elemente derselben vorhanden. Militärmusik – gesungen und / oder gespielt – diente der psychologischen Unterstützung beim Marschieren, insbesondere beim Aufmarsch auf das Gefechtsfeld. Vor allem hatte Militärmusik damals die Aufgabe, Befehle durch Signale unüberhörbar an die Truppe weiterzugeben. Der militärische Tagesablauf war genau geregelt, für jede auszuführende Tätigkeit gab es ein Signal. Lagerte die Truppe, dann spielten die Militärmusiker auf Befehl des Kommandeurs während der Schanzarbeit und dem Aufschlagen der Zelte unterhaltsame Weisen.«7 Schnebel untersuchte beispielsweise die »1570 gegründete Stadtmusik Bayreuth«: »Als Hof-Kapellmeister und Hof-Komponisten wirkten nacheinander die Brüder Philipp (1672–1677) und Johann Krieger (1677/78) und bereicherten mit ihrem Schaffen die Hofkultur. Unter anderen Kompositionen entstand die »Lustige Feldmusik«, ein militärmusikalisches Werk für drei Oboen und Fagott, die 1704 in Nürnberg gedruckt wurde und weite Verbreitung an anderen Fürstenhöfen fand. Aus diesem Oboen-Ensemble entwickelte sich im 18. Jahrhundert die Besetzung des Militär-Musikkorps der Infanterie und der Dragoner. Ob Markgraf Christian

5 Ebenda. 6 Der Roman erschien zunächst in 6 Fortsetzungen in der Deutschen Rundschau (1894/1895) und 1896 als Buchpublikation. 7 Schnebel (wie Anm. 2), S. 151.

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Ernst ein solches Ensemble seiner Hof-Kapelle mit sich ins Feld führte, bleibt zu erforschen.«8 Die Besetzungen variierten, beispielsweise wirkten bei der Musik im Infanterieregiment in Bayern um 1811 folgende Militärmusiker mit: »1 Regimentstambour 1 Bataillonstambour 28 Kompanietamboure 4 Hornisten in den (2) Schützenkompanien 8 Hautboisten beim Regimentsstab Ein leichtes Bataillon (später Jägerbataillon) 1 Bataillonstambour 2 Hornisten 14 Kompanietamboure 6 Hoboisten beim Bataillonsstab.«9 Neben der Bläserbesetzung finden sich in den Militärmusikbeständen oft auch zusätzlich Streichinstrumente, gerade im Repertoire der Bearbeitungen von Opern und Operetten, wie etwa auch im Ingolstädter Bestand. Naheliegend ist, dass, wie bei Richard Wagner schon eingangs bemerkt, eben diese gern gezogenen Grenzen zwischen Militärmusik und Theatermusik im 19. Jahrhundert fließend waren. Belegt ist, dass außerdem viele Militärmusiker auch auf dem Spiel der Streichinstrumente bewandert gewesen sind. Im Folgenden sollen einige Persönlichkeiten vorgestellt werden. Der Hofmusiker und spätere Armeemusikmeister Wilhelm Legrand regte eine Veranstaltung an, die die Militärzentralbehörde im Mai 1791 in Schwabing abhalten ließ: eine Versammlung aller Hautboisten und Regimentstamboure »mit dem Ziel, eine Gleichheit der Ausbildung durchzusetzen, eine gleichmäßige Ausstattung mit Musikalien vorzunehmen und im Bereich der Signale und Ordonnanzen (Stücke für den inneren Dienst, das Biwak, den Marsch etc.) eine bestimmte Einheitlichkeit der Ausführung zu erstreben.«10 Wilhelm Legrand wirkte als Oboist, Komponist, Mitglied der Kapelle des Prinzen von Bayern, der Hofkapelle in München. Als »Armeemusikmeister« und »Armee-Musikdirektor«, 1809 von König Maximilian I. Josef eingesetzt, hatte er bis 1825 die Oberaufsicht über die Militärmusik des bayerischen Heeres. Sein Schwerpunkt lag in der Musikausbildung, auch der Feldmusik. Er setzte dienstliche Musikstücke durch (Märsche, Posten, Signale). Aber auch seine Tanzmusik war beliebt (ALLEMANDES pour la grande Salle des Redoutes a Munic, 1804, 1806 f., 1810–1812, 1819 als Klavierauszug gedruckt, TANZMUSIK von W. Legrand Welche

8 Ebenda, S. 153. 9 Vgl. Heinz Busch: Vom Armeemarsch zum Großen Zapfenstreich. Ein Lexikon zur Geschichte der deutschen Militärmusik, Bonn 2005, S. 24. 10 Ebenda.

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bey Gelegenheit der grossen Masquerade den 24.ten Februar 1808 im König: Hofbal ist aufgeführt worden. fürs Piano Forte; Carnevals Belustigung von 1814 fürs Piano Forte von W. Legrand). Auch von Philipp Röth sind Allemandes für Klavier erhalten (erschienen in Augsburg beim Verlag Gombart). Röth instrumentierte ein »Konzert-Stücke« für Klarinette und Orchester g-Moll von Heinrich Joseph Bärmann (1784–1847), dem seit 1807 ersten Klarinettisten der Hofkapelle in München11. Von ihm stammen auch die in der Bayerischen Staatsbibliothek erhaltene Abschrift der »Königl. HofmusikIntendanz« (Mus.ms. 1809). Als »Königlich-Baierischer Hof-Musickus« legte Philipp Röth nicht nur eine Vielzahl von Märchen, sondern auch die komische Operette Der Dichter und der Tonkünstler vor, die 1813 im Königlichen Hof- und Nationaltheater zur Aufführung gelangte (die dreibändige Partitur ist in der Berliner Staatsbibliothek, Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung vorhanden, Mus.ms. 18670). Zu den bekannteren Komponisten zählt Franz Danzi, geboren am 15. Juni 1763 in Schwetzingen, gestorben am 13. April 1826 in Karlsruhe, Unterricht hatte er bei seinem Vater Ignaz Danzi, einem Hofmusiker der Mannheimer Hofkapelle. Nach Übersiedlung der Mannheimer Hofkapelle nach München 1799 wurde Franz Danzi Schüler von Peter von Winter. Ab 1807 Hofkapellmeister und Direktor des Konservatoriums in Stuttgart, ab 1812 in Karlsruhe12. Aber auch der Münchner Georg Wilhelm Baader und der in Würzburg wirkende Militärmusikdirektor Joseph Küffner ist zu nennen. Er war, ebenso wie Legrand, für die Neuorganisation der Militärmusik zuständig13. Eine Vielzahl von Werken hat Joseph Küffner komponiert und arrangiert. Verbreitung fanden insbesondere seine Opern-Arrangements und Variationen über beliebte Melodien wesentlich durch den Druck. Das derzeit an der Bayerischen Staatsbibliothek München laufende Projekt der Erschließung des Verlagsnachlasses Schott fördert beispielsweise auch die zeitgenössische Verbreitung Küffners zutage, insbesondere auch in musikpädagogischer Hinsicht, und eröffnet mit dem Repertoire der Variationen neue Erkenntnisse über das Musikleben im 19. Jahrhundert. Paul Sutor trat am 26. September 1794 als Musiker in das Kurfürstlich Bayerische 4. Linien-Infanterie-Regiment in Regensburg ein. 1811 erfolgte die Ernennung zum Musikmeister. Nach dem Russlandfeldzug 1812 wurde er Musikmeister am Königlich Bayerischen 7.  Infanterie-Regiment in Neuburg an der Donau14. Michael Maurer begann 1801 seine Karriere als Militärmusiker im Kurfürstlich Bayerischen 8. Linien-Infanterie-Regiment Von 1811 bis 1820 wirkte er als Musikmeister des König-

11 Vgl. Folker Göthel (Hrsg.): Musik in Bayern. II. Ausstellungskatalog. Augsburg, Juli bis Oktober 1979, Tutzing 1972, S. 442 f. 12 Vgl. Folker Göthel (Hrsg.): Musik in Bayern. II. Ausstellungskatalog. Augsburg, Juli bis Oktober 1979, Tutzing 1972, S. 438 ff. 13 Vgl. Hanns-Helmut Schnebel: Lexikon zur Militärmusik in Bayern (1806–2006), Langenfeld 2008, S. 83 f. 14 Ebenda, S. 138.

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lichen Bayerischen 5. Infanterieregiments in Nürnberg15. Franz Xaver Edenhofer oder auch Nikolaus Stössel wären zu nennen16. Die einzigartige Sammlung Raymund Schlecht in der Eichstätter Universitätsbibliothek  – Christoph Großpietsch nennt 1.550 handschriftliche Musikalien »von ca. 1740 bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts«17 und kommt auf 7.149 Stücktitel und 648 Komponistennamen – dokumentiert wesentlich die Entwicklung der Kirchenmusik im 19. Jahrhundert: Die Rezeption »alter Musik« (Palestrina, Allegri, Victoria, Lasso, Durante) vor dem Hintergrund des Caecilianismus und die zahlreichen Neukompositionen, die den Caecilianismus prägten etwa von Johann Caspar Aiblinger oder Caspar Ett sind beispielhaft. Raymund Schlecht hat sich wie Carl Proske durch seine Sammlung und sein fundiertes Wissen um Geschichte der Kirchenmusik für diese Entwicklungen eingesetzt. Vor dem Hintergrund von Schlechts eigenem Wirken am Schullehrerseminar, seiner Mitwirkung bei der musikalischen Ausbildung, stellt seine umfangreiche Bibliothek gerade auch im kirchenmusikalischen Bereich eine Fundgrube dar, deren Relevanz wissenschaftlich längst nicht erschlossen ist. Das gilt ebenso für das weite Feld der Militärmusik des 19. Jahrhunderts. Hier bietet die Sammlung viel, was noch von der Forschung aufzuarbeiten ist (Militärmusik des III. Bayerischen Jägerbataillon, das 1826–1828 und 1855–1891 in Eichstätt stationiert war, vergleiche dazu auch Schlechts, in der Universitätsbibliothek Eichstätt handschriftlich überlieferte, Eichstätter Musikgeschichte, Band 1, Alphabetisches Verzeichnis: Militär Musik 78). Neben Rudolf Kropp, Georg Bernklau, Max Seidenspinner, Heinrich Kohn ist Adolph (Adolf)  Scherzer vor allem durch seinen Bayerischen Defiliermarsch der bekannteste Ingolstädter Militärmusiker. Jacob Philipp Adolf Scherzer wurde am 4. November 1815 in Neustadt an der Aisch geboren. Er wirkte als Königlich Bayerischer Musikmeister im Ingolstädter 7. Infanterie-Regiment. Sein 1850 auf Anregung seines Obersten entstandener und dem Regiment gewidmeter Parade- und »Avancier-Marsch« ist als »Bayerischer Defiliermarsch« bis heute bekannt. Ein weiterer Titel lautet »Ingolstädter Parade­ marsch«. Ludwig II. soll den beliebten Marsch zum »Bayerischen Avancier- und Defiliermarsch« erhoben haben. Populär wurde der Marsch im Krieg gegen Preußen 1866 und ebenfalls im Deutsch-französischen Krieg 1870/1871. Adolf Scherzer starb 1864 in Ingolstadt, begraben ist er auf dem Westfriedhof18. 15 Vgl. Ebenda, S. 93. 16 Vgl. Ebenda, S. 36. 17 Vgl. Christoph Großpietsch / Hildegund Hauser: Thematischer Katalog der Musikhandschriften in Eichstätt 2. Sammlung Raymund Schlecht Katalog (KBM 11/2), München 1999, S. XVII. 18 Zur Scherzers Werdegang und Wirken, vgl. Wolfgang Mück: Der Klgl. Bay. Musikmeister Jacob Philipp Adolph Scherzer (1815–1864). Komponist des »Bayerischen Defiliermarsches«, Neustadt a. d. Aisch 1996.

Militärmusik als fester Bestandteil des Kulturlebens

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Am 25. Februar 1885 ist im Ingolstädter Tagblatt zu lesen: »Ingolstadt, 24. Febr. Gestern Abend fand in den Räumen des Meindl’s Colosseums das 3. Abonnementskonzert des Herrn. Musikmeisters Schott statt. Wie wir ja schon aus den Leistungen unserer Zehner-Kapelle wußten, durften wir mit großen Anforderungen den Saal betreten und in der That, unsere Erwartung wurde nicht getäuscht. Schon der erste Blick auf das außerlesene zeigte, daß Herr Schott uns auch diesmal wieder nur Exquisites bot und wollen wir nur aus dem reichen Inhalte desselben die Nummern, ›Vorspiel zum 5. Akt des Königs Manfred‹ von C[arl]. Reinecke und die Hunnenschlacht [EA 29.12.1857 in Weimar, symphonische Dichtung für Orgel, Schlagwerk und Orchester] und von F. L. Liszt besonders hervorheben, welche wirklich mit einer solchen Reinheit und Virtuosität trotz der ungeheueren Schwierigkeiten vorgetragen wurden, daß die Begeisterung eine allgemeine war. Selbstverständlich wurden auch die übrigen 8 Piecen mit der gewohnten Präzision executiert und war die Befriedigung des zahlreichen Auditoriums wohl am besten aus dem großen Beifall ersichtlich, welcher nach jeder Nummer erscholl, und welchem Herr Schott sogar einige Male durch Wiederholung Rechnung tragen mußte.«19 In Max Schotts im Ingolstädter Stadtarchiv aufbewahrten Akte befinden sich auch Programme, die zeigen mit welchen Werken und mit welch großer Besetzung Militärmusik im 19. Jahrhundert auch in Ingolstadt vertreten war. Auf dem Programm seines Abschiedskonzert am 13. November 1919 um 19 Uhr im Schäffbräukellersaal stand unter anderem die Ouvertüre zu Richard Wagners Oper Rienzi, Arrangements über Giacomo Puccinis La Bohème, Teile aus Mendelssohns Sommernachtstraum, Haydns Paukenschlag-Symphonie und Liszt Ungarische Rhapsodie. Aufgrund der großen Nachfrage musste das Konzert wiederholt werden. Ein großer Bestand Ingolstädter Militärmusik befindet sich im Kavalier Hepp und wird im Magazin der wissenschaftlichen Stadtbibliothek gelagert. Der Bestand wurde zunächst in das Ingolstädter Stadtarchiv (Bibliothek und Museum) aufgenommen und war vor 1975 im Neuen Schloss gelagert20. Ilse Ernst (Trischberger) hat vermerkt: »Die Bibliothek der Offiziere des ehemaligen Bayerischen 10. Infan19 Ingolstädter Tagblatt, 26.  Jg., Nr. 45, ist am Mittwoch, den 25.  Februar 1885 (»Katholisch: Walburga« »Protestantisch: Walburga«), S. 201. 20 Vgl. Ilse Ernst: Ingolstadt 1. In: Eberhard Dünninger (Hrsg.): Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Bd. 12 Bayern I-R, Hildesheim / Zürich / New York 1996, S. 17.: »Die Wissenschaftliche Stadtbibliothek Ingolstadt wurde im Jahr 1905 gegründet. In der Haupt-Versammlung am 9. Januar 1905 beschloß der Historische Verein für Ingolstadt und Umgebung, ›sämtliche vom Verein erworbene Gegenstände in das Eigentum der Stadtgemeinde Ingolstadt‹ zu übergeben. Der Historische Verein Ingolstadt wurde bereits im Jahr 1865 gegründet. Er hatte bis 1905 eine stattliche Anzahl von Büchern in seinem Bestand. Leider ist die genaue Zahl nicht angeführt. 1923 zog die Bibliothek zusammen mit

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terie-Regiments ›König‹ wurde im Jahr 1932 der Stadt Ingolstadt geschenkt.«21 Auf das Jahr 1949 ist die noch vorhandene Zettelkartei datiert. Es handelt sich bei dem Militärmusik-Bestand, der im Ingolstädter Stadtarchiv lagert, um über 1.600 Mappen, die verschiedene Stempel tragen (63. Inf. Rgt. Musik, Eigentum des k: b: Jäger-Bataillon; II. Bataillon, 20. Infanterieregiment). Inhaltlich sind es nicht nur Märsche, vorhanden sind eine Vielzahl von Arrangements, Opern- und Operettenbearbeitungen et cetera, vom späten 19. Jahrhundert bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein. Gedrucktes und handschriftliches Stimmenmaterial liegt zum großen Teil ungeordnet vor. Fundierte musikwissenschaftliche Qualifikation und Erfahrung sind bei der Identifizierung und Zuordnung somit Voraussetzung. Derzeit befindet sich der Bestand somit noch ungenügend erschlossen, er steht in Verbindung mit weiteren in der Armeebibliothek aufbewahrten Militärmusikbeständen.

dem Stadtmuseum und dem Stadtarchiv in Herzogschloß (Neues Schloß). Die drei Institutionen sind von da an miteinander verbunden. Die Bibliothek wurde bis in die dreißiger Jahre von Mitgliedern des Historischen Vereins verwaltet, die Bestände wurden immer wieder neu geordnet und katalogisiert. Weder über die Ordnung noch über die genauen Zahlen wurden Angaben gemacht. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist gekennzeichnet von weiterem Zuwachs und etlichen Umzügen. Seit 1975 hat die Bibliothek einen festen Sitz im Kavalier Hepp […]«. 21 Ebenda, S. 18.

Aktuelle Nutzung von städtischen Festungsbauten  Gabriel Engert

Die Stadt Ingolstadt kann auf eine lange Tradition als strategisch wichtige (Landes-) Festung der bayerischen Herrscher zurückblicken. »Auf der Schanz« hielten die Ingolstädter so manchem Angriff stand. Dies gelang ihnen vor allem durch das ausgefeilte System von Festungsbauten. Viele dieser Bauten sind so gut erhalten, dass Ingolstadt heute als ein einzigartiges Freilichtmuseum der deutschen Festungsarchitektur gilt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Ingolstädter bis heute stolz als »Schanzer« bezeichnen. Festungsbauten spielen heute als genutzte beziehungsweise umgenutzte Gebäude in Ingolstadt eine wichtige Rolle. Sie sind also mehr als nur ein Freilichtmuseum. Und das ist gut so und gilt besonders für die Kultur. Um nicht nur eine bebilderte Aufzählung von Festungsgebäuden zu zeigen, und deren heutige Nutzung vorzustellen, möchte ich zum Schluss einige Gedanken zur Frage »Wie viel Vergangenheit braucht die Zukunft?« anschließen und diese Fragestellung vor allem im Hinblick auf den Denkmalschutz diskutieren. Erlauben Sie mir noch eine Vorbemerkung. Ich bin kein Fachmann für Festungsgeschichte, auch nicht für die Festungsgeschichte Ingolstadts. Mit der heutigen Nutzung der Gebäude habe ich allerdings sehr viel zu tun. Insofern werde ich die Fragen dazu kompetenter beantworten können als solche zur Festungsgeschichte. Die heute noch wahrnehmbare Befestigung Ingolstadts hat ihren Ursprung bereits im Mittelalter. Bevor im 19. Jahrhundert die Landesfestung errichtet wurde, gab es im Wesentlichen die zwei mittelalterlichen Stadtmauern sowie die bastionäre Befestigung des 16. und 17. Jahrhunderts. Stadtmauer des 13. Jahrhunderts mit dem Alten Schloss, heute Stadtbücherei Die erste Stadtmauer in Ingolstadt wurde im 13. Jahrhundert als Rechteck mit vier Ecktürmen erbaut. Das Alte Schloss, auch Herzogskasten genannt, ist als Hauptgebäude der ersten Wechselresidenz der Wittelsbacher Herzöge das einzige Überbleibsel der ersten mittelalterlichen Stadtbefestigung. Im Herzogkasten ist die Hauptstelle der Stadtbücherei Ingolstadt mit 2.600 m² auf sechs Etagen großzügig untergebracht. Sie ist wöchentlich 45 Stunden geöffnet. 66 % der Gesamtausleihen, 60 % der Leser und 72 % aller Veranstaltungen sind im Jahr 2017 dem Herzogskasten zuzuordnen. Er ist damit das Herzstück des Ingolstädter Bibliotheksystems der Stadtbücherei. Von den insgesamt 322.881 Besuchen

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Abb. 1: Altes Schloss, heute Marieluise-Fleißer-Stadtbücherei © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte

der gesamten Stadtbücherei im Jahr 2017 entfielen 223.732 auf den Herzogskasten. Selbstverbuchung, Datenbanknutzung und Onleihe sind dort möglich. Stadtmauer des 14. Jahrhunderts mit Kreuztor Etwa um 1360 begann die Stadterweiterung. In diesem Zuge wurde auch der zweite Mauerring, der die heutige Altstadt in einem halbkreisähnlichen Polygon umschließt, gebaut. 87 zinnengekrönte Türme mit bewehrten Toren wurden entlang einer drei Kilometer langen Ziegelmauer um die wachsende Stadt errichtet. Im Nordosten, Nordwesten und Südwesten ist dieser Bering gut erhalten. Von großen mittelalterlichen Torbauten sind nur das Alte Feldkirchener Tor, das später im Neuen Schloss verbaut wurde, und das Kreuztor erhalten geblieben. Das Kreuztor, 1385 an exponierter Stelle als Einlass in die Hauptdurchgangsstraße der Stadt erbaut, reichte dank seiner opulenten Formgebung und reichen Bauplastik weit über die Ansprüche eines Befestigungsbauwerks hinaus. Diese Stellung hat es sich bis heute bewahrt, es ist zum Wahrzeichen für unsere Stadt geworden. Der Förderverein Kreuztor Ingolstadt e. V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Innenausbau des Tores durch Spenden und Eigenleistung voranzubringen und mit Ausstellungen für das Publikum zugänglich zu machen. Durch dieses bürgerschaftliche Engagement bleibt das Kreuztor  – wo einst der Zolleinnehmer seinen Dienst tat – ein lebendiger Ort und verkommt nicht zur reinen Staffage.

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Abb. 2: Stadtmauer des 14. Jahrhunderts mit Neuem Schloss © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte

Stadtbefestigung der Neuzeit Die Stadtbefestigung wurde in den folgenden Jahrhunderten immer weiter ausgebaut und die vorhandene Stadtmauer durch Verstärkungsbollwerke und vorgeschobene Bastionen weiter ergänzt: 1537 Beginn der Schanzarbeiten für die 3. Stadtbefestigung (Renaissance-Festung; bis 1573), 1654 Baubeginn der 4. Stadtbefestigung (Barockfestung; bis 1679). Die so entstandene bastionäre Stadtbefestigung schützte die Ingolstädter bis zum Jahr 1799. In diesem Jahr wurde die Festung kampflos an französische Truppen übergeben. Im Jahr 1800 wurde dann die Festungsanlage von den französischen Truppen geschleift. Nach dem Regierungsantritt König Ludwigs I. 1828 wurde Ingolstadt zur bayerischen Landesfestung und wichtigen Garnisonsstadt ausgebaut. Die markanten

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militärischen Großkomplexe des 19. Jahrhunderts sind für die heutige Stadtgestalt sehr prägend. Der Ausbau lässt sich in zwei Bauphasen gliedern: 1) in die nach dem zirkularen System angelegte Befestigung auf dem südlichen Donauufer; 2) Der Baubeginn des Brückenkopfes (»Tillyveste«) erfolgte ab 1828 unter der Leitung des Ingenieur-Oberst Michael von Streiter. Das Reduit Tilly bildete das Kernstück dieser Anlage (1828–50). Es wird von zwei halbrund geschlossenen Flankenbatterien und den zwei starken Türmen Triva (Donaulände) und Baur (Brückenkopf) flankiert. Mit der Fassadengestaltung der Bauten wurde Leo von Klenze beauftragt. 3) in die ab 1834 nach Entwürfen des Generals von Heideck und des Festungsbaudirektors von Becker gebaute Stadtbefestigung auf dem nördlichen Donauufer; Unter Oberst von Becker wurden acht Fronten, von Osten beginnend, errichtet: Raglowich, Rechberg, Zoller, Vieregg, Pappenheim sowie die unregelmäßigen Fronten Butler, Preysing und Deroy. Die Benennung der Fronten erfolgte nach baye­ rischen Generälen. Rekonstruktion der Festung Wie in der Computeranimation dargestellt, lagen vor dem Wall der Fronten ein Glacis sowie einstöckige Kaponnieren, Kontergarden und Reduits. Die Polygonecken waren durch Kavaliere verstärkt, die hinter dem Mauerwinkel lagen und auf zwei Stockwerken und einer Erdplattform bis zu 50 Geschützen Raum boten. Turm Baur, heute Städt. Simon-Mayr-Sing- und Musikschule Der 1841 fertiggestellte Turm Baur der Fronte Becker flankiert zusammen mit der halbrund geschlossenen Flankenbatterie (darin: Steinmetzschule) das Reduit Tilly (Rückzugsort des bayerischen Könighauses im Ernstfall) im Westen und beherbergt seit 1981 die Städtische Simon-Mayr-Sing- und Musikschule. Im Kalenderjahr 2017 wurden dort 2.509 Schülerinnen und Schüler von 54 Lehrkräften in 30 Vokal- und Instrumentalfächern sowie elementarer Musikpädagogik unterrichtet. Zudem gibt es ein großes Ensemble-Angebot. Das Lehrpersonal kam 2017 auf 808 Jahreswochenstunden. Im Turm Baur stehen 26 Unterrichtsräume sowie vier weitere Räume für Schulleitung, Lehrpersonal und Verwaltung zur Verfügung. Freilichttheater/-Kino im Turm Baur Im Turminnenhof finden in den Sommermonaten Freilicht-Theateraufführungen des Stadttheaters Ingolstadt sowie das Freilicht-Kino statt.

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Abb. 3: Turm Baur, heute Städtische Simon-Mayr-Sing- und Musikschule © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte

Das Freilichttheater wird einmal im Jahr im Sommer gegen Ende der Spielzeit (Juni / Juli) aufgeführt und ist fester Bestandteil des Spielplans des Stadttheaters. Die Freilichtaufführungen im Turm Baur begannen in der Spielzeit 1974/75. Angeboten werden zurzeit 665 überdachte Sitzplätze. In jeder Spielzeit werden knapp 20 Vorstellungen gespielt, die alle größtenteils ausverkauft sind (die Freilichtaufführung »Monthy Python’s Spamalot« in der Spielzeit 2015/2016 erreichte eine Platzauslastung von 99,05 Prozent!). Im Anschluss an das Freilichttheater findet hier jährlich von Ende Juli bis Anfang September das Open-Air-Kino (mit Biergartenbetrieb vor dem Turm Baur) statt. 2018 kamen an 35 Spieltagen über 10.000 Besucher. Batterie / Kaponniere 94, heute Sitz der Kunst und Kultur Werkstatt Kap 94 Von der Fronte Preysing sind weitestgehend die weit vorgeschobenen Teile erhalten geblieben, so unter anderem die Batterie / Kaponniere 94. Dort befindet sich heute die Kunst- und Kulturwerkstatt KAP94, ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Künstler unterschiedlicher Sparten. Den Künstlern und Besuchern stehen dort fünf Ateliers, ein Veranstaltungsraum, Ausstellungsflächen, Arbeitsräume und eine Bar zur Verfügung. Zurzeit ist es geplant, einen öffentlichen Stadtgarten auf dem gesamten Dach des alten Festungsgebäudes zu betreiben. Neben dem künstlerischen Betrieb bietet das KAP94 kulturelle Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte, Auftritte an. Es können aber auch private oder Firmenfeiern in den Räumlichkeiten gebucht werden.

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Abb. 4: Kaponniere 94 © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte

Kaponniere / Fronte 79, heute Stadtjugendring Die Fronte Butler gehört zu den sogenannten unregelmäßigen Fronten, die wegen des ursprünglich sumpfigen Vorgeländes einfacher gebaut wurden als die regelmäßigen Fronten. Von dieser Fronte sind noch wesentliche Teile erhalten. Dazu gehören der Teil des Hauptwalls bis zum heutigen Scherbelberg, große Teile des vorgelagerten Erdwalles, die Kaponniere (heute Fronte 79 genannt), der Künettegraben (das vorgelagerte Wasserhindernis) und mehrere Blockhäuser am Künettegraben. Die 1842 erbaute Kaponniere im Künettengraben wird seit 1987/88 (Betriebsbeginn / Einweihung) vom Stadtjugendring Ingolstadt als Jugendfreizeitstätte und Veranstaltungsort genutzt. Auf rund 1.350 m² Nutzfläche werden seit 30  Jahren sehr erfolgreich Leistungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit für junge Menschen angeboten. 2017 gab es 380 strukturierte Angebote, 52 inklusive Kooperationen, 50 Partys / Events sowie externe Veranstaltungen. 12.105 Besucher kamen 2017 in die Fronte 79. Darüber hinaus bildet die Fronte 79 durch ihren großen Saal mit bis zu 330 Sitzplätzen einen wichtigen kulturellen Veranstaltungsort der Stadt Ingolstadt. Kavalier Zweibrücken, heute Jugendherberge Das Kavalier Zweibrücken, erbaut 1840, beherbergt seit 1987 die Jugendherberge. In den letzten Jahren ist die Anzahl der Übernachtungen in der Jugendherberge Ingol-

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Abb. 5: Kavalier Zweibrücken, heute: Jugendherberge © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte

stadt stark angestiegen. 1987 wurden 6.749 Übernachtungen in der Jugendherberge erfasst. 2016 konnten 14.609 Übernachtungen verzeichnet werden. Die Jugendherberge verfügt aktuell über circa 100 Betten, die überwiegend in Zwölf- beziehungsweise Acht-Bettzimmer aufgeteilt sind. Für Lehrer / Gruppenleiter oder Gäste, die eine Einzelunterbringung wünschen, stehen sechs Zweibettzimmern im Haupthaus zur Verfügung. Übernachtungsgäste sind hauptsächlich Jugendliche / Erwachsene (Städtetrip), Schulklassen, Vereine, Studenten (als Zwischenlösung, bis sie eine dauerhafte Unterkunft gefunden haben), Exkursionsteilnehmer von Hochschulen und Erholungsfreizeiten, Familien, Radwanderer (Donauradweg) und Wandergruppen. Im Kavalier Zweibrücken sind des Weiteren das Amt für Sport und Freizeit der Stadt Ingolstadt sowie a. u. die Judo-Abteilung des MTV Ingolstadt untergebracht. Kriegsspital/»Flandernkaserne«, heute Fachoberschule / Berufsoberschule Das Kriegsspital an der Jesuitenstraße wurde zur Zeit der Weimarer Republik und im Dritten Reich als Kaserne genutzt. Daher stammt auch der Name »Flandernkaserne« (benannt nach den Schlachten des Ersten Weltkriegs), der heute die geläufigere Bezeichnung ist. Nach umfangreichen Umbauten im Inneren wird das Gebäude als Fach- und Berufsoberschule genutzt. An der Fach- und Berufsoberschule wurden im Schuljahr 2017/18 insgesamt 1640 Schüler in 66 Klassen unterrichtet (FOS: 52,5 Klassen, 1.374 Schüler / BOS 12 Klassen, 249 Schüler; beide inklusive Vorklasse und Vorkurs).

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Abb.  6: Kavalier Hepp: heute: Stadtarchiv, Wissenschaftliche Stadtbibliothek, Stadtmuseum © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte, Fotograf R. Haßfurter

Die zur Flandernkaserne gehörenden Gebäude Ketteler- und Ignatiushaus werden ebenfalls schulisch genutzt, aktuell von Fach- und Berufsoberschule und den Gnadenthal-Schulen (Gymnasium wie Realschule). Kavalier Hepp, heute Stadtmuseum, Wissenschaftliche Bibliothek und Stadtarchiv Von der Fronte Vieregg, dem vierten Abschnitt der Stadtumwallung aus dem 19. Jahrhundert, hat sich nur das Kavalier Hepp erhalten. Dieses wurde wie die anderen erhaltenen Kavaliere in einen sehr guten Zustand gebracht und beherbergt heute das Stadtmuseum, die Wissenschaftliche Bibliothek und das Stadtarchiv. Der Bauzustand entspricht immer noch jenem während der Nutzung als Kaserne, wofür die Schießscharten zu großen Fenstern umgebaut worden sind. Zur Feindseite gab es ursprünglich nur Schießscharten für Geschütze und Infanteriewaffen. Die Feldseite im Ursprungszustand ist heute nur noch beim bereits vorgestellten Kavalier Zweibrücken erhalten geblieben. Alle anderen Kavaliere wurden um 1900 im Zuge des Umbaus zu Kasernen mit großzügigen Fenstern versehen, ihre ursprünglichen Erdschüttungen auf dem Dach abgetragen. Das Stadtmuseum nimmt alle musealen Aufgaben wie Sammeln, Bewahren, Beforschen, Ausstellen und Vermitteln insbesondere der Geschichte der Stadt und

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Abb. 7: Harderbastei, heute Städtische Galerie, Sitz des BBK und der Kunst und Kultur Bastei e. V.

Region Ingolstadt wahr. Die räumliche Unterbringung mit Stadtarchiv und Wissenschaftlicher Bibliothek ist von großem Vorteil für die Heimatforschung. 2017 wurden an insgesamt 192 Öffnungstagen der Wissenschaftlichen Bibliothek 613 Medien ausgeliehen. Das Stadtarchiv verzeichnete letztes Jahr 400 Einzelnutzungen im Lesesaal (davon 80 Schülerinnen / Schüler im Rahmen von Unterrichtsprojekten). Im Stadtmuseum wurden letztes Jahr fast 18.500 Besucher gezählt. Es gab insgesamt rund 350 gebuchte Programme und Führungen. Diese wurden sowohl von Schulen, Horten und Kindergärten als auch von Erwachsenengruppen in Anspruch genommen. Zu Ostern (20 Termine)  und zu Weihnachten (20 Termine)  fanden Sonderprogramme für Schulklassen statt. Die Kindergeburtstage zählten zu den erfolgreichsten Aktionen (über 70 Buchungen). Harderbastei, heute Städtische Galerie und Sitz des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberbayern Nord und Ingolstadt e. V. und der Kunst und Kultur Bastei e. V. Die Harderbastei ist eines der drei Hauptbollwerke aus dem 16. Jahrhundert, errichtet 1539–42 zur Verstärkung der Verteidigung des Hardertores. Die Bollwerke wurden im Jahr 1800 von den Franzosen größtenteils gesprengt. Der frühere Tordurchgang des Festungsbauwerks aus dem 16. Jahrhundert beherbergt heute die Städtische Galerie in der Harderbastei. Seit 1998 ist in den dortigen Räumlichkeiten auch die Geschäftsstelle des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberbayern Nord und Ingolstadt e. V. (BBK), seit 2011 zudem die Kinder- und Jugendkunstschule »Kunst und Kultur Bastei e. V.« untergebracht. Die Städtische Galerie wird vom BBK, von der Kunst-

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und Kulturbastei sowie vom Kulturreferat beziehungsweise Kulturamt der Stadt Ingolstadt vielfältig für Ausstellungen und Kulturveranstaltungen genutzt. Zusammen mit dem BBK präsentiert die Stadt Ingolstadt seit gut zehn Jahren im Rahmen der Reihe »KunstStücke« aktuelle Kunst aus dem nördlichen Oberbayern. Durch vielfältige Kunstaktionen, Ausstellungen und Kursangebote ist die Harderbastei in den letzten zwei Jahrzehnten zu einem Ort der Begegnung mit Kunst und des künstlerischen Austausches sowie zu einem wichtigen Kristallisationspunkt im Kulturleben unserer Stadt geworden. Neues Zeughaus, heute Berufsschule I Im Neuen Zeughaus am Unteren Graben ist die Staatliche Berufsschule I untergebracht. Die nur für den Verteidigungsfall vorgesehene zeitweise vorhandene Erddecke wurde für die neue Nutzung durch ein zweckmäßiges Metalldach ersetzt, die Umfassungsmauer aus der Festungszeit ist noch erhalten. An der Staatlichen Berufsschule I wurden im Schuljahr 2017/18 in Teilzeit 3.102 Schüler in 130 Klassen und in Vollzeit 160 Schüler in acht Klassen unterrichtet. An der Berufsschule I werden diverse Ausbildungsberufe in den Bereichen Bau- und Farbtechnik, Ernährung, Gastronomie, Körperpflege, IT- und Elektrotechnik, Mechatronik und Metalltechnik gelehrt. Hierfür stehen die entsprechenden Ausstattungen und Werkstätten zur Verfügung. Kavalier Elbracht, heute Sitz des Staatlichen Bauamts und der Nepomuk-von-Kurz-Schule Die Fronte Rechberg war der zweite Abschnitt der neu erbauten Stadtumwallung des 19. Jahrhunderts. Außer dem Kavalier Elbracht haben sich die Fundamente des Hauptwalls und der vorgelagerten Bauten erhalten. Beim Bau einer Sportanlage der Nepomuk-von-Kurz-Schule (für körperbehinderte Kinder) wurden die Fundamente freigelegt und in die Außenanlagen der Schule integriert. Das Kavalier selbst wurde vorbildlich restauriert und beherbergt neben der Schule auch das Staatliche Bauamt. Neues Schloss mit Altem Zeughaus, heute Bayerisches Armeemuseum Im Neuen Schloss, das im 15. Jahrhundert von den bayerischen Herzögen Ludwig VII. (dem Gebarteten) von Bayern-Ingolstadt und Georg dem Reichen von Bayern-Landshut erbaut wurde, ist das Bayerische Armeemuseum untergebracht. Im 18. und 19. Jahrhundert wurde es als Zeughaus für die Armee verwendet. Nach der Landesausstellung von 2015 wird die Dauerausstellung im Neuen Schloss mit einer Fläche von 3.500 m² ab 2019 sukzessive wiedereröffnet. Langfristig ist seitens des Bayerischen Armeemuseums geplant, das Alte Zeughaus, das derzeit ungenutzt ist, zu sanieren und als Sonderausstellungs- und Veranstaltungsbereich für die Öffentlichkeit nutzbar zu machen. Auf einem Stockwerk

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Abb. 8: Neues Schloss, heute Bayerisches Armeemuseum © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte

soll eine große Ausstellungsfläche entstehen, die nicht nur seitens des Bayerischen Armeemuseums bespielt, sondern auch den städtischen Museen für großflächige Ausstellungen zur Verfügung gestellt werden soll. Auf einem weiteren Stockwerk soll ein variabler Veranstaltungsraum entstehen, dessen Raumgröße durch Abtrennungen für verschiedenste Anlässe angepasst werden kann. Damit entstünde ein großer Veranstaltungsraum, der bislang – abgesehen vom Saal in der Fronte 79, vom Festsaal im Stadttheater und künftigen Möglichkeiten im Kongresszentrum – in Ingolstadt fehlt. Fronte Raglowich Werk-Nr. 1–13: Kavalier Dallwigk, Kavalier Heydeck, Neues Feldkirchner Tor Ab 1834 wurden die regelmäßigen Fronten beginnend mit der Fronte Raglowich als Anschluss an die Donau stromab des Flusses erbaut. Bis heute erhalten geblieben sind davon nur noch ein Teil des Kavaliers Dallwigk (Werk Nummer 2), das Kavalier Heydeck (Werk Nummer 13) sowie das Neue Feldkirchner Tor (Werk Nummer 13a). Anfang des 20.  Jahrhunderts wurden die anderen Gebäude (»Werke«) abgerissen, damit die Königlich Bayerische Geschützgießerei erweitert werden konnte. Von diesem Betrieb selbst sind nur noch wenige historische Werkhallen erhalten.

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Abb. 9: Neues Feldkirchner Tor, heute: Sitz der Freimaurer-Loge

Neues Feldkirchner Tor, heute Sitz der Freimaurerloge Das Neue Feldkirchner Tor, auch Tor Heydeck genannt, wurde 1839 nach Entwurf von Leo von Klenze mit einer reich gestalteten Natursteinfassaden errichtet (unter anderem auch mit Skulpturen der Festungsbaumeister Streiter und Becker). Darin befindet sich das Logenhaus der seit 1804 bestehenden Freimaurerloge Ingolstadt. Der Torbau ist für die Öffentlichkeit – außer in wenigen Ausnahmefällen wie zum Beispiel beim Tag des Offenen Denkmals (zuletzt 2011) – nicht zugänglich. Kavalier Heydeck, heute Sitz der Bundesagentur für Arbeit, der Agentur für Arbeit Ingolstadt und des Jobcenters der Stadt Ingolstadt Im Kavalier Heydeck, erbaut 1840–45, sind die Bundesagentur für Arbeit, die Agentur für Arbeit Ingolstadt sowie das Jobcenter der Stadt Ingolstadt untergebracht. Bereits 1899/1900 wurde es als Kasernengebäude umgebaut; vorhandene Schießscharten wurden teilweise durch Fensteröffnungen ersetzt und die Erdauflage des Daches entfernt.

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Abb. 10: Gießereihalle, geplant: Museum für Konkrete Kunst und Design © Foto: Entwurf des Architekturbüro Querkraft, Wien

Gießereihalle, künftig Sitz des Museums für Konkrete Kunst und Design 2012 einigte man sich darauf, die historische Gießereihalle auf dem ehemaligen Gelände der Fabrik Schubert & Salzer beziehungsweise der einstigen Königlich Bayerischen Geschützgießerei zum Standort des neuen Museums für Konkrete Kunst und Design (MKKD) auszubauen. Für diese 100 Meter lange Backsteinhalle wurde im gleichen Jahr ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben, aus dem das Wiener Büro Querkraft als Favorit des Stadtrates hervorging. Im Juli 2014 beschloss der Ingolstädter Stadtrat die Entwurfsplanung und machte damit den Weg frei für den Baubeginn. Die Entwürfe sehen vor, dass in der ebenerdigen Halle ein großer Gastronomiebereich, Kasse, Shop und ein frei zugänglicher Ausstellungsbereich angelegt werden. Im Untergeschoss befindet sich das eigentliche Museum mit einer Ausstellungsfläche von 2.000 m². Der offizielle Baubeginn fand am 7. Juni 2016 statt. Ein Pre-Opening ist für 2019, die Fertigstellung für 2020 geplant. Kavalier Dallwigk, künftig Sitz des Digitalen Gründerzentrums brigk Das Digitale Gründerzentrum (DGZ) namens brigk stellt eines der großen Zukunftsprojekte für die Stadt und Region Ingolstadt dar. Der runde Wasserturm und der eckige Aufbau auf den Resten des 1840 erbauten Kavaliers Dallwigk wurden in der Zeit der Geschützgießerei angebaut. Später war das Kavalier Dallwigk in das ehemalige Fabrikgelände der Firma Schubert & Salzer integriert, bevor das Gelände von der Rieter AG aufgekauft und wenig später als Produktionsstandort aufgegeben wurde. Die Fabrikanlagen wurden abgebrochen. Kavalier Dallwigk und Gießereihalle blieben aus denkmalschützerischen Gründen stehen. Saniert, gebaut und später

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Abb. 11: Exerzierhalle und Reithalle, heute: Veranstaltungshallen © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte, Fotograf: Bernd Betz

bewirtschaftet wird das DGZ von der Ingolstädter Kommunalbauten GmbH & Co. KG, einer Tochtergesellschaft der Stadt Ingolstadt. Klenzepark mit Exerzier- und Reithalle Im Rahmen der Landesgartenschau 1992 in Ingolstadt wurde das Gelände rund um das Reduit Tilly zu einer Parkanlage umgestaltet und nach dem königlichen Oberbaurat Leo von Klenze benannt. In der Exerzierhalle finden Kunstausstellungen und Veranstaltungen statt. Die Reithalle wird mittlerweile vom Bayerischen Armeemuseum als Depot genutzt.

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Abb. 12: Klenzepark mit Reduit Tilly (Bayerisches Armeemuseum, 1. Weltkrieg) und Turm Triva (Polizeimuseum) © Foto: Stadt Ingolstadt Zentrum Stadtgeschichte, Fotograf: Horst Schalles

Turm Triva, heute Bayerisches Polizeimuseum Der 1841 fertiggestellte Turm Triva, Hauptbestandteil der Fronte Streiter, beherbergt seit 2011 das Bayerische Polizeimuseum mit einer Dauerausstellung auf 650 m² und einer Sonderausstellungfläche von 100 m². In der anschließenden Flankenbatterie befinden sich neben einem Restaurant mit Biergarten seit 1994 die Räumlichkeiten der Vereine »Kunstwerk im Klenzepark e. V.« sowie des »Schanzer Photoclubs Ingolstadt e. V.« Reduit Tilly, heute Museum des Ersten Weltkriegs Das Reduit Tilly ist das erste Bauwerk der klassizistischen Festung. Es wurde ab 1828 unter Leitung des Festungsbaumeisters Streiter erbaut und wird zu beiden Seiten von Flankenbatterien und den beiden starken Türmen Triva und Baur flankiert. Seine Namensgebung geht auf den Grafen von Tilly zurück, der als Feldherr der katho­ lischen Liga in der Schlacht bei Rain gegen die Schweden im Jahre 1632 verwundet wurde und in Ingolstadt starb. Im Kriegsfall sollte das Reduit Tilly den Brückenkopf schützen und der königlichen Familie Zuflucht gewähren. Heute ist das Museum des Ersten Weltkriegs, eine Dependance des Bayerischen Armeemuseums, im Reduit Tilly untergebracht. Es ist ein äußerst erfolgreicher außerschulischer Lernort. Die rund 1.500 m² Dauerausstellung sowie 1.000 m² Sonderausstellung werden jährlich von rund 400 Schulklassen und 25.000 Besuchern frequentiert.

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Gabriel Engert 

Soweit der kurze Überblick über die aktuelle Nutzung von Festungsbauten in Ingolstadt. Weitere Details ließen sich anschließen. Zusammenfassend kann man jedoch sicher festhalten, dass die Festungsbauten in einer sinnvollen Nutzung sind und so nicht nur das heutige Stadtbild von Ingolstadt prägen, sondern auch in ihren vielfachen kulturellen Nutzungen viel zur Atmosphäre kultureller Veranstaltungen oder kultureller Institutionen beitragen. Wie viel Vergangenheit braucht die Zukunft? Diese Frage wird auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Formen immer wieder diskutiert. Auch die Auseinandersetzung um denkmalschützerische Details ist in dieser Fragestellung enthalten. Wie viel ist zu erhalten, um es unverändert der Nachwelt zu überliefern? Wie viel darf verändert werden, um neue Nutzung möglich zu machen und somit der Vergangenheit Zukunft zu geben? Was wollen wir überhaupt festhalten? Welche Epoche, welcher zeitliche Zustand ist erhaltenswert? Wie wir gehört haben, wurden die Kavaliere zu Kasernen umgebaut. Die damaligen Verantwortlichen hatten wenig Hemmungen, die Schießscharten in Fenster umzuwandeln, um der neuen Nutzung zu entsprechen. Wäre dies auch heute denkbar? Diese Frage würden die meisten, die mit Denkmalschutz befasst sind, sicherlich verneinen, zugleich aber fordern, den um 1900 geschaffenen neuen Zustand mit Fenstern als Beispiel für die Entwicklung der Gebäude zu erhalten. Warum durfte die Zeit um 1900 historische Gebäude weiter entwickeln und wir dürfen es nicht mehr? All dies sind Fragen, die sich um unsere Ausgangsfrage »Wie viel Vergangenheit braucht die Zukunft?« ranken. Bei den Festungsbauten in Ingolstadt haben wir eine gute Balance gefunden, auch wenn es oft Diskussionen um Details gibt. Viele Entscheidungen werden im Lichte des Denkmalschutzes gefällt. Als Beispiel dafür möchte ich das neue Museum für Konkrete Kunst und Design zitieren, das in der alten Kanonengießereihalle untergebracht wird. Der Entwurf, der zur Ausführung kommt, verlegt das Museum in den Boden und erhält die Gießereihalle praktisch unverändert. Allerdings wird dadurch ein Bodendenkmal zerstört. Dies allein zeigt, wie schwierig Bauen heute im urbanen Raum ist. Ohne Bauen gibt es jedoch keine Entwicklung für Städte, die man auch immer als Zentren der Veränderung und Entwicklung definieren kann. Durchgefallen ist damals der Entwurf von DFZ-Architekten. Die Gründe für die Ablehnung waren die Veränderung der Halle durch die Überbauung, die allerdings die Bodendenkmäler erhalten hätten. Dies wurde von den Vertretern des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege im Preisgericht kategorisch abgelehnt. Damit kein falscher Zungenschlag aufkommt, die Erhaltung von historischen Gebäuden dieser Qualität ist für mich völlig unstrittig. Zugleich glaube ich jedoch, dass die Umnutzung diesen Gebäuden eine Zukunft verleiht. Die Umnutzung setzt jedoch Kompromisse voraus, damit moderne Nutzung und Erhalt harmonieren. Dies muss jeweils neu ausbalanciert werden – ein Thema, über das man sicherlich abendfüllend diskutieren kann.

Autorinnen und Autoren Guido von Büren, Mitarbeiter am Museum Zitadelle Jülich. Vorsitzender der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern e. V., Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e. V. Mitglied der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Baugeschichte in Aachen, Mit-Kurator der Ausstellung »Renaissance am Rhein« im LVR-LandesMuseum Bonn (Herbst / Winter 2010/2011) sowie Kurator zahlreicher Ausstellungen im Museum Zitadelle Jülich (zuletzt: »Weltreich und Provinz. Die Spanier am Niederrhein 1560–1660«); Forschungsschwerpunkte: Architektur der Renaissance nördlich der Alpen und Festungsbau der Frühen Neuzeit sowie Rheinische Landesgeschichte. Kontakt: [email protected] Dr. Brigitte Huber, Mitarbeiterin im Stadtarchiv München u. a. für Stadtchronik, Grafische Sammlungen und Öffentlichkeitsarbeit, Schriftleiterin des Oberbaye­ rischen Archivs (=Jahrbuch des Historischen Vereins von Oberbayern), Studium der Kunstgeschichte, Bayerische Geschichte sowie Deutsche und vergleichende Volkskunde; Forschungsschwerpunkte: Kunstgeschichte und Geschichte Münchens im 19. und 20. Jahrhundert. Kontakt: [email protected] Dr. Thomas Tippach, Geschäftsführer des Historischen Seminars der Westfä­ lischen Wilhelms-Universität. Mitglied des Vorstands der Historischen Kommission für Westfalen. Mitglied des Vorstands des Kuratoriums für vergleichende Städtegeschichte, Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Geografie und Politikwissenschaften in Münster; Forschungsschwerpunkte: Stadtgeschichte, Kartographiegeschichte, Militärgeschichte. Kontakt: [email protected] Oliver Fieg M. A., Leiter des Stadtarchivs Rastatt; Vorsitzender der Entente rhénane des Archivistes des Services Municipaux (ERASM); Beirat der Siebenpfeiffer-Stiftung; Beiratsmitglied des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung¸ Mitglied der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, Studium der mittleren und neueren Geschichte, Historischen Hilfswissenschaften und Ägyptologie in Heidelberg. Kontakt: [email protected] Manfred Bauer M. A., Archäologie Doktorand und IT-Forensiker, Magister Artium in vor- und frühgeschichtlicher Archäologie, Klassischer Archäologie, Mediä-

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Autorinnen und Autoren

vistischer Germanistik; Forschungsschwerpunkte: Festungsarchäologie, Archäologie des Krieges, Archäologie der Gewalt, Stadtarchäologie. Kontakt: [email protected] Gabriel Engert, berufsmäßiger Stadtrat und Referent für Kultur und Bildung bei der Stadt Ingolstadt. Kontakt: [email protected] Tobias Esch M. A., seit 2018 Leitung des kelten römer museums manching, Studium der Alten Geschichte, Klassischen Archäologie und Erziehungswissenschaften in Münster, 1998–2007 Ausgrabungen in Alexandria Troas, Ab 2006/2008 wissenschaftlicher Volontär bzw. Referent am LWL-Römermuseum in Haltern am See, Ab 2010 Beteiligung an mehreren Ausstellungen des LWL-Museums für Archäologie in Herne, zuletzt als Projektleiter. Kontakt: [email protected] Dr. Ruth Sandner, seit 2021 Referatsleiterin am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege für Niederbayern und Oberpfalz, Magisterstudium an den Universitäten Regensburg und Wien, Promotion an der Universität Regensburg, Mitarbeit am Projekt Archäologiepark Altmühltal des Landkreises Kelheim (2006–2008), im Anschluss Kreisarchäologin im Landkreis Kelheim (2009–2010). 2010–2016 Gebietsreferentin für Oberbayern-Nord am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, im Anschluss Referatsleiterin für Schwaben und Mittelfranken. Kontakt: [email protected] Dr. Christian Ottersbach, Mitbegründer und derzeit 1. Vorsitzender des Marburger Arbeitskreises für europäische Burgenforschung e. V., Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung e. V., der Deutschen Burgenvereinigung e. V. und der Wartburg-Gesellschaft zur Erforschung von Burgen und Schlössern e. V., 1992–98 Studium der Kunstgeschichte, der Mittleren und Neueren Geschichte sowie der Mittelalterarchäologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und der Philipps-Universität Marburg; 1998 Magister artium. 2007 Promotion in Marburg / Lahn; seit 2006 freischaffender Kunsthistoriker und Autor, 2011–13 als Hanauer Stadthistoriker intensive Forschungen zu den Burgen der Herren und Grafen von Hanau (publiziert 2018). 2014–17 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt »Nichtstaatliche Schlösser und Parks« beim Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg.; Forschungsschwerpunkte: Architekturgeschichte, besonders der Burgen, Schlösser und Festungen. Kontakt: [email protected] Benedikt Loew M. A., Leitung Städtisches Museum Saarlouis und Stadtarchiv Saarlouis, Mitglied der Kommission für Saarländische Landesgeschichte, Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung (DGF). Kontakt: [email protected]

Autorinnen und Autoren

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Klaus Roider, Studium Fachhochschule des Bundes, Dipl. Verwaltungswirt (FH); Studium Geschichte, Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Recht an der Fernuniversität Hagen; Forschungsschwerpunkte: fränkisches und insbesondere Nürnberger Militär 1681 bis 1806. Kontakt: [email protected] Christian Th. Müller, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam und freier Historiker in Berlin; Forschungsschwerpunkte: europäische Militärgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Geschichte des Kalten Krieges sowie deutsche Zeitgeschichte. Kontakt: [email protected] Prof. Dr. Iris Winkler, seit Oktober 2019 Mitarbeit in der Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater München, Langjährige Tätigkeit bei der Stadt Ingolstadt, Master of Arts Library and Information Science (M.A.LIS), HumboldtUniversität zu Berlin (2021), Bestellung zur außerplanmäßigen Professorin (2017), Habilitation (2011) und Promotion (1995) an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Magister Artium in den Fächern Musikwissenschaft, Neuere deutsche Literaturgeschichte, Neuere Geschichte an der Universität Erlangen (1992), Lehrtätigkeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Kontakt: [email protected] Dr. Max Plassmann, Historisches Archiv der Stadt Köln (Zuständigkeit für Altbestände, Nachlässe und Sammlungen). Forschungen zur Militär-, Reichsund Stadtgeschichte, zuletzt: Erinnern, Vergessen, Identität. Das Kölner Stadtgedächtnis. Köln 2021; Eine Stadt als Feldherr. Studien zur Kriegsführung Kölns (12.–18. Jahrhundert). Köln 2020. Kontakt: [email protected]

Register Ortsregister Achaiion  24 Actium  26, 30, 71 Ägypten  31 Aichach  337 Akköy  18 Alexandria ad Aegyptum  31 Alexandria Troas  11–13, 16–21, 23 f., 27, 29–35, 38–42, 49 f., 53 f., 56 f., 61, 66–70, 72–75 Allensbach am Bodensee  320 Amlishagen  105 Anif  184 Ansbach  357 Antandros  35 Antiochia ad Pisidiam  74 Antiochia am Orontes  52 Anton Kilmarx  318 Antwerpen  227 Apameia am Orontes  40 Apollonis  35 Armenien  23 Aschaffenburg  329, 332, 335, 337 f., 343, 352, 354 Assos  36 Augsburg  98, 120, 293

Brüssel  232 Buchenwald (Konzentrationslager, Gedenkstätte) siehe Weimar Buthroton  71 Byzantion  42, 74

Baden  111, 311, 320 Baden-Baden  311, 315 Bad Urach  114 f. Balkan  11, 31, 33 Bamberg  185, 247, 249 Basel  313 Bayern  7, 106, 149, 160, 166 f., 178, 185, 254, 292, 303, 307, 355, 358 Bayreuth  355–357 Berlin  17, 177, 299, 304, 306, 324 Berytos  32 Boulogne-sur-Mer  224 Brandeis an der Elbe  321 Bremen  294 Brescia  304

Flaviopolis Daldis  35 Florenz  254 Frankfurt am Main  250, 299, 313 Frankreich  100, 138, 226, 238, 312

Compiègne  182 Dalyan Köyü  12 Dänemark  254 Deutschland  100, 178, 312, 338, 356 Dokimeion  40 Dortmund  229 Dresden  98, 304 Düsseldorf  232, 236 Eichstätt  360 Elsass-Lothringen  321 Emona  32 England  100 Ephesos  22 Esslingen  101, 103, 110 Ettlingen  111, 114 Ezine  12

Gargara  35 Gelsenkirchen  300 Germersheim  312 Gernsbach  315 Gießen  105 Graz  98 Griechenland  13, 74 Gülpınar  17, 75 Hagenau  316

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Register

Haibach  352 Hamaxitos  17, 24, 76 Hamborn  300 Hannover  299 Haueneberstein  315 Heidelberg  313 Heidenheim  110 Herakleia Pontike  71 f. Herrenberg  111 Hersbruck  256 Hessen  106 f., 254 Hierapolis  35 Hierokaisareia  35 Iffezheim  316 Ilion  19 f., 36 Illyrien  32 Ingolstadt  7–10, 106, 121, 143, 146, 148–151, 153, 155 f., 159, 166, 175, 178, 360–366, 368 f., 371–378 Italien  25 f., 48, 60 f., 66, 133, 226 Iulia Gordos  35 Judäa  34, 40 Jülich  10, 98, 134, 223–226, 228 f., 231, 233, 237–242, 244 Kalchedon  42 Karlsruhe  311–315, 322, 359 Kassel  98, 105, 294 Kebren  17 Kirchheim unter Teck  104 f., 107, 110, 120 Kızılköy  30 Klagenfurt  98 Koblenz  10, 121, 291 Köln  123–126, 128, 130–142, 216, 224 f., 241, 247, 285, 299, 308, 320 Kolonai  17 Königgrätz  321 Königsberg  299, 308 Konstanz  117 Kuppenheim  315 Kursachsen  106 Küstrin  98 Kyrrhos  41 Kyzikos  42 Lampsakos  20, 35

Landau  312 Landshut  7 f. Laodikeia am Lykos  35 Larisa  17 Latdorf  163 Lauffen am Neckar  103, 111 Leipzig  98, 313 Libyen  39 Lichtenau  256, 259 Limpurg  100 Lisdorf  219 London  177 Lübeck  247 Luxemburg  312 Lysimacheia  17, 30 Magdeburg  166 Mailand  304 Mainz  312, 315 Makedonien  13, 27, 30, 32 Mannheim  311, 314 f. Möckmühl  105 Moers  134 Moskau  304 Mühlhausen  300 München  7–9, 161, 165–168, 170–172, 174– 178, 182–185, 235, 237, 303, 358 f. Münster  12 Nakrason  35 Nazareth  41 Neandria  17, 30 Neapolis  41 Neuburg an der Donau  359 Neuhausen  176 Neuss  124, 139 Neustadt an der Aisch  360 Niederbühl  319, 321 Niederlande  125, 138, 226–229, 231 Nijmegen  231 Nördlingen  109 f., 119 f., 255 Nürnberg  247 f., 250, 252–255, 258 f., 348, 357, 360 Österreich-Ungarn  178 Parion  23

Ortsregister  Paris  177, 304 Passau  184, 229 Pavia  134 Pergamon  29, 31, 36 Perinthos  42 Philippsburg  259 Phrygien  40, 42 Polen  254 Potsdam  241 Preußen  193, 288, 291, 299, 303, 306 f., 360 Provinz Asia  11, 25, 36, 66, 68 Rastatt  10, 311–316, 318–325 Ravensberg  231 Regensburg  166, 359 Reutlingen  104 f. Rheinau  318 Rheinland  10, 125, 134, 225, 235, 237, 244 Roden  199 Rom  20 f., 24, 50, 56, 66, 68 Rosenheim  183 Rothenburg ob der Tauber  247, 255 Russland  178 Saarlouis  10, 187 f., 193–195, 197 f., 200–202, 206–208, 211, 213, 216, 219–221 Sachsen  107, 254 Sandweier  316 Schorndorf  99, 104 f., 107, 110 Schwaben  105, 107, 115 f., 120 Schwabing  358 Schwäbisch Hall  100 Schwarzwald  316 Schweinheim  329, 343, 346, 348 Schwetzingen  359 Seleukeia Pieria  41 Serbien  178, 182 Sizilien  30 Skepsis  17, 20 Smyrna  20

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Spanien  228 Straßburg  98 Stuttgart  110, 112, 352, 359 Syrien  28, 30, 33 f., 40 Tenedos  16, 24, 67 Thessalonike  74 Thrakien  30, 36 Thyateira  35 f. Troas  12 f., 17, 20, 23 f., 27 Trochtelfingen  108, 115 f. Troja  12 Tübingen  110 Türkei  12 Überlingen  117, 120 Ulm  98, 109, 115 f., 121, 247, 255, 312 Uluköy  30 United States of America  334, 338 Unterfranken  98 Vellberg  105 Venedig  355 Wallerfangen  195, 204, 219 Weisenbach  315 Wesel  241 Wien  98 Wittenberg  107 Wöhrd (Nürnberg)  252 Wolfenbüttel  107 Worringen  123 Würzburg  120, 177, 247, 249, 302, 350, 352, 359 Xanten  231 Yeniköy  29 Zeugma  41 Zittau  294

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Register

Personenregister Adenauer, Konrad  123 Adiatorix  71 Aiblinger, Johann Caspar  360 Alexander der Große, König von Makedonien ​ 16 f., 38, 49, 54 f., 76 Allegri, Gregorio  360 Antigonos Monophthalmos, König von Makedonien  16 f., 38 Antiochos III., König des Seleukidenreiches ​ 16, 20 f. Antoninus Pius, römischer König  26 f., 50 Appian  20 Attalos I., König von Pergamon  20 Auer, Erhard  180 Augustus, römischer Kaiser  11, 22–25, 27 f., 30, 32, 50, 58, 60, 63, 66 f., 69, 71 Aulus Virgius Marsus  28 f. Baader, Georg Wilhelm  359 Baden, Karl Leopold I. Friedrich Großherzog von ​ 314 Baden, Sophie Marie Viktoria Prinzessin und Markgräfin von  321 Baden-Baden, Ludwig Wilhelm Markgraf von ​ 324 Bakofen, Henriette  321 Bakofen, Josef  321 Bärmann, Heinrich Joseph  359 Baumeister, Reinhard  322 Bayern, Carl Theodor Kurfürst von  235 Bayern, Ferdinand Maria Kurfürst von  147 Bayern, Ludwig I. König von  161, 173, 175, 365 Bayern, Ludwig II. König von  360 Bayern, Ludwig III. König von  184 Bayern, Maximilian I. Herzog, später Kurfürst von  165, 167, 170 Bayern, Maximilian I. König von  358 Bayern, Maximilian II. König von  175 f. Bayern-Ingolstadt, Ludwig VII. Herzog von ​ 372 Bayern-Landshut, Georg der Reiche Herzog von ​ 372 Becker, Peter von  366, 374 Beethoven, Ludwig van  355–357

Belon, Pierre  36 Belzer, Johann  315 Berger, Matthias  176 Bergh, Hendrik van den  231 Bergmann, Karl  317 Bernklau, Georg  360 Boyen, Ludwig von  240 Brandenburg, Johann Sigismund, Kurfürst von  229, 231 Brandenburg-Bayreuth, Christian Ernst Markgraf von  358 Bräunig, Alfred  323 Brent von Vernich, Goiswyn  127 Burdette, Carl B.  352 Caracalla, römischer Kaiser  16, 36, 38 f., 41 f., 53 Carpilhet, Jacques de  211 Chermont, Senneton de  198, 212, 214 f. Choiseul, Étienne-François de  220 Choisy, Thomas de  196, 200, 202, 213, 218 f. Chopin, Frédéric  355 Claudius, römischer Kaiser  32, 65 Clinchamp d’Aubigny, Jean-Marie de  206, 212, 220 f. Cluxton, Colonel Donald E.  351 Commodus, römischer Kaiser  27, 50, 52 f., 77 Danzi, Franz  359 Danzi, Ignaz  359 Dauwe, Johann vamme  127 Degler, Eduard  322 Deiotaros  31 Destouches, Ernst von  180 Diodor  20 Domitian, römischer Kaiser  40 Eble, Franz  320 Eck, Conrat  138 Edel, Johann Paul Thomas  258 Edenhofer, Franz Xaver  360 Egmond, Floris van  226 Egmond, Maximilian van  226 Eisner, Kurt  180, 182, 185 Epp, Franz Ritter von  184

Personenregister  Ett, Caspar  360 Eupen, Joannes  138 Feustel, Friedrich  355 Fontane, Theodor  357 Franz, Carl  322 Franz I., französischer König  226 Frommann, Karl Wilhelm  207, 221 Gaius Aelius Rufus  34 Gaius Caesar  29 Gaius Caesius  30 Gaius Cannutius  31 Gaius Fabricius Tuscus  33, 58 Gaius Iulius Alexander  40 f. Gaius Iulius Caesar  63, 71 Gaius Licinius Mucianus  33 Gaius Marcius Marsus  29 Gaius Norbanus Quadratus  32 Gaius Roscius Capito  29 Gaius Valgius Rufus  24 Gallienus, Mitregent, römischer Kaiser  52 Gandorfer, Ludwig  180 Germanicus  31 Glaab, Heinrich  349–351 Grahe, Wilhelm  233 Grässel, Hans Georg  179 Gromer, Johann  319 Gryn, Hermann  123 Günste, Gideon  315 f. Gustav II. Adolph, schwedischer König  146, 166 Händel, Georg Friedrich  355 Hansjakob, Heinrich  315, 320, 323 Haydn, Joseph  361 Heideck, Karl Wilhelm von  366 Heinrich VIII., englischer König  226 Herodes Atticus  12, 66 Hesele, Karl  348 Hessen, Philipp Landgraf von  105 Hilbert, Fridolin  320 Hirsch Löw  321 Hitler, Adolf  244 Hoffmann, Johannes  185 Hohenzollern, Karl Anton Joachim Zephy­ rinus Friedrich Meinrad Fürst von  317 Holstein, Leo L.  351

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Hörmann, Franz von  175 Jülich-Kleve-Berg, Johann Wilhelm I. Herzog von ​ 228 f. Jülich-Kleve-Berg, Wilhelm V. Herzog von ​ 225 f., 228 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen ­Reiches deutscher Nation  226 Keidel, Ludwig Philipp  180 Kleingedank, Eberhard  133 Klenze, Leo von  366, 374, 376 Kohn, Heinrich  360 Krantz, Johann  237, 240 Krieger, Johann  357 Krieger, Philipp  357 Kropp, Rudolf  360 Krüger, Gustav  316 Krulmann, Johann  127 Küffner, Joseph  359 Lasolaye, Carl Felix von  315 Lasso, Orlando di  360 Le Beau,Wilhelm  318 Le Blond de la Tour, Pierre  203 Legrand, Wilhelm  358 f. Leonhard, Wilhelm  317 Leopold I., Kaiser des Heiligen römischen Reichs deutscher Nation  253 Liszt, Franz  361 Loreye, Josef  314 Lucius Cornelius Iulianus  42 Lucius Cornelius Pol(l)ianus  42 Lucius Flavius Stlaccius  72, 74 Lucius Iunius Caesennius Paetus  34 Lucius Plotius Plancus  71 Ludwig, Damian  320 Ludwig XIV., französischer König  197 Luther, Martin  7 Lysimachos  17 f., 38 Maier, Elise  321 Maier, Josef  321 Marcus Antonius  71 Marcus Caecilius  30 Marcus Tullius Cicero  71 Marcus Vipsanius Agrippa  23 Mark Aurel, römischer Kaiser  52

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Register

Marsilius  123 Maurer, Michael  359 Mauwenheim, Hermann von  127 Maximinus Thrax  53, 55, 77 Maximus Caesar  55 Mayer, Gabriel  120 Mayr, Johann Simon  355 Mendelssohn Bartholdy, Felix  361 Mespelbrunn, Julius Echter von  98 Meyer, Franz Simon  313 Moltke, Helmuth Karl Bernhard von  123 Montez, Lola  175 Motte, Nicolas Bernard  200 Muncker, Johann Theodor von  355 Münzberg, Graf Solms von  8, 154 Mylius, Arnold d. Ä.  134 Mylius, Arnold d. J.  134 Mylius, Kaspar Joseph Karl  128, 134 Napoleon Bonaparte, französischer Kaiser ​ 175, 237, 240 Niederbühl, Adolf  320 Nusser, Gustav  318 Oelhafen, Georg Christoph  255 Oranien, Moritz Prinz von  229, 231 Österreich, Leopold Erzherzog von  229 Österreich, Maria Erzherzogin von  226 Overstolz, Gerhard  123 Overstolz, Matthias  123 Palestrina  360 Pasqualini, Alessandro  226 Pausanias Periegetes  24 Peßler, Johann Jacob  255 Peßler, Johann Wilhelm  255 Pez, Hermann Hieronymus  256 Pfalz-Neuburg, Johann Wilhelm II. von  233 Pfalz-Neuburg, Philipp Ludwig von  229 Pfalz-Neuburg, Philipp Wilhelm von  232 Pfalz-Neuburg, Wolfgang Wilhelm von  231 Phraates IV., König des Partherreichs  23 Pithan, Frederik  231 Plinius der Ältere  22 Polybios  20 Pranckh, Siegmund Freiherr von  177 Prestre de Vauban, Sébastien le  121, 188, 202, 211, 213 f., 218

Proske, Carl  360 Publius Quinctilius Varus  23 Publius Sulpicius Quirinus  24 Puccini, Giacomo  361 Quintilia Apphia  65, 70 Reinecke, Carl  361 Renner, August  323 Reuschenberg, Johann von  229 Rhetor, Menander  77 Riedel, Eduard  176 Riedel, Heinrich  321 Riehl, Wilhelm Heinrich  286 Ritter, Anton  187, 209 f., 218 Rossborough, Frank D.  339 Röth, Philipp  359 Rudolf II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation  229 Sachsen, Christian II. Kurfürst von  229 Sallinger, Ludwig  323 Scherzer, Jacob Philipp Adolf  360 Schickhardt, Heinrich  111, 114 Schirmer, Johann Wilhelm  238–240 Schlecht, Raymund  360 Schmelzer, Karl  317 Schmitt, Franz  180 Schott, Max  361 Schröder, Albert Friedrich  160 Schubert, Franz  357 Schumann, Robert  357 Schurz, Carl  324 Schwind, Vinzenz  351 Seidenspinner, Max  360 Septimius Severus, römischer Kaiser  39 Severus Alexander  53 Sextus Pompeius  30 Specklin, Daniel  227 Spinola, Ambrosio  231 Stern, Georg  154 Stössel, Nikolaus  360 Strabon  22, 71 Streiter, Michael von  366, 374, 377 Themistes  20 Theodor, Karl Philipp  171 f. Thompson, Sir Benjamin  172

Personenregister  Tiberius, römischer Kaiser  23, 28 f., 32 Tiedemann, Gustav  323 Tigranes III., König von Armenien  23 Tillessen, Johann Wilhelm  234 f. Tissot, Victor  177 Titus Aufidius Balbus  31 Titus Aufidius Spinter  29, 31 Titus Flavius Marcus  42 Titus Iunius Montanus  32 Titus Pomponius Atticus  71 Torre, Don Gabriele de la  231 Trebonianus Gallus  52, 56 f. Tschaikowsky, Peter  357 T'Serclaes von Tilly, Johann  377 Unterleitner, Hans  180 Valerian, römischer Kaiser  53, 55 Vespasian, römischer Kaiser  26, 33–35, 57 Victoria, Tomás Luis de  360 Volusian  53, 55

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Wagner, Richard  355 f., 358, 361 Waldenburg, Wilhelm von  228 Weber, Carl Maria von  355 Weinsberg, Hermann  136, 138 Welsch, Johann Leonhard von  258 Welser, Carl Sigmund  259 Welser, Johann Carl Joachim  259 Werth, Jan von  123 Widerhold, Konrad  120 f. Wilberforce, Edward  177 Wilhelm II., deutscher Kaiser  178 f., 321 Winter, Peter von  359 Württemberg, Christoph Herzog von  104 Württemberg, Friedrich I. Herzog von  114 Württemberg, Ulrich Herzog von  101, 103, 105–107, 114 Xanthe, Iunia  70 Xerxes I.  16 Zeller, Josef  346