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German Pages 249 [252] Year 2013
Jan Alexander van Nahl Snorri Sturlusons Mythologie und die mittelalterliche Theologie
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer Band 81
De Gruyter
Jan Alexander van Nahl
Snorri Sturlusons Mythologie und die mittelalterliche Theologie
De Gruyter
ISBN 978-3-11-030686-6 e-ISBN 978-3-11-030691-0 ISSN 1866-7678 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available in the Internet at http://dnb.dnb.de
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Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München im März 2012 als Dissertation unter dem Titel „Ok þat er mín trúa – Philologische Studien zum Werk des Historikers Snorri Sturluson“ angenommen. Für die Druckfassung wurde sie in Teilen überarbeitet; im Hinblick auf den intendierten Adressatenkreis wurde zudem der Titel der Arbeit modifiziert. Mein Interesse an dem literarischen Erbe des hochmittelalterlichen Historikers, Dichters und Staatsmanns Snorri Sturluson reicht zurück bis in meine Studienzeit am Institut für Nordische Sprachen der Universität Uppsala, Schweden, in den Jahren 2006/2007. Meine Magisterarbeit am Institut für Germanistik, Vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaften der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn ermöglichte mir zwei Jahre später, in Auseinandersetzung mit der komplexen Thematik eigene methodische Zugänge zu erproben. Die Resultate dieser Studie bestärkten mich in dem Beschluss, das Thema im Rahmen einer Dissertation am Institut für Nordische Philologie der Universität München umfassend zu behandeln. Dank gilt an erster Stelle meinen Eltern, Dr. Astrid und Dr. Rudolf van Nahl, die mich auf dem Weg durch das Studium und zur Promotion auch in Zeiten der Krankheit unerschütterlich und wegweisend begleiteten. Danken möchte ich zudem meinem Doktorvater Prof. Dr. Wilhelm Heizmann, der mich an der Münchner Universität mit offenen Armen aufnahm und mir die Möglichkeit bot, mein Forschungsvorhaben in einer vielstimmigen Diskussion auf eigenen Wegen voranzutreiben. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich meinem Zweitgutachter und langjährigen Mentor Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Beck, dessen lebenslange Forschungstätigkeit mir ebenso Vorbild, wie sein scharfer Blick für das Wesentliche unersetzlicher Ratgeber war und ist. Prof. Dr. Rudolf Simek aus Bonn gilt an dieser Stelle mein Dank für seine Unterstützung während meines Magisterstudiums; für die zweijährige Förderung während dieser Studienzeit danke ich der Studienstiftung des Deutschen Volks. Den zügigen Abschluss meiner Dissertation schließlich erlaubte nicht zuletzt die finanzielle Unterstützung seitens des Evangelischen Studienwerks e.V. in Form eines zweijährigen Promotionsstipendiums; dafür gilt dem Studienwerk, im Besonderen Prof. Dr. Eberhard Müller, mein herzlicher Dank. Für die Durchsicht der Summary danke ich
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Vorwort
Dr. Shane Walshe vom Englischen Seminar der Universität Zürich. Nicht zuletzt möchte ich den Herausgebern der Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde für die Aufnahme meiner Arbeit in diese renommierte Reihe danken, ebenso dem Verlag. Ich hoffe, mit der Publikation meiner Dissertation einen neuen Diskussionsanstoß in einem Forschungsbereich zu geben, der seit zwei Jahrhunderten große Gelehrte gleichermaßen fasziniert wie herausgefordert hat und künftige Forschergenerationen fraglos weiterhin beschäftigen wird. München, im Oktober 2012
Jan Alexander van Nahl
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1. Zielsetzung und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Handschriften und Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1. Snorra-Edda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2. Heimskringla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Forschungsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2. Handschriftenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Codex Upsaliensis DG 11 – Eine Sammelhandschrift . . . . . . 2.1.1. Zum Handschriftenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Zum Verhältnis von Skáldskaparmál und Edda . . . . . . 2.2. Zum Verhältnis von Formáli, Gylfaginning und Ynglinga saga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3. Thematisch-methodische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Snorra-Edda = Snorris Edda? – Zu Snorris Verfasserschaft . . 3.3. Funktionen der Sprache in Snorris Werk . . . . . . . . . . . . . . . 3.4. Die theologische Dimension von Snorris Werk . . . . . . . . . . 3.4.1. Natürliche Religion und Analogie . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1.1. Snorris Geschichtsverständnis . . . . . . . . . . 3.4.1.2. Offenbarungsanalogie – Zur Funktion der sjónhverfingar . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2. Snorrischer Euhemerismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Lexematische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
4.2. Funktionsträger in Snorris Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1. Gylfi und Ásgarðr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1.1. Gefjon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2. Die irdischen Asen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1. Das translatio-Konzept . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2. Die Urheimat der Asen . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.3. Die Wanderung der Asen. . . . . . . . . . . . . . 4.2.3. Allvater – Höchster und ältester aller Götter? . . . . . . 4.2.3.1. smíða und skapa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3.2. þjóna . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Göttliche Macht – kraptr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2. Gylfaginning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3. Ynglinga saga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4. Weiterführende Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.1. stýra und stýrandi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4.2. íþrótt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Eine Frage des Glaubens – trúa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2. Gylfaginning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3. Ynglinga saga . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4. Weiterführende Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.1. guð und goð . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.2. fróðr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.3. þat veit trú mín . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.4.4. Þórrs Schwäche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5. Wege der Kontaktaufnahme – heita á und blóta. . . . . . . . . . 4.5.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2. heita á . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.3. Der Kult der Asen – blót . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6. Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2. fjo˛ lkyngi. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.3. spádómr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.4. seiðr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.1. Die Struktur der Gylfaginning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 5.2. Nachbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
Inhaltsverzeichnis
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6. Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Aufbau der Handschrift U. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Verzeichnis der genannten Handschriften . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1. Snorra-Edda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2. Heimskringla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Verzeichnis der genannten Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1. Snorra-Edda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2. Heimskringla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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7. Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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8. Index der schwerpunktmäßig untersuchten Lexeme . . . . . . . . . . . 235 English Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Edda’en er den første moderne syntese skabt over de hedenske kilder […]. Derfor er også hele forskningstraditionen afhængig af Snorri. Der går ingen vej til nordisk mytologi uden om han. […] Han er på vores side af det store skel mellom de førkristne og de kristne verdensbillede.1 (Meulengracht Sørensen 1992, S. 217)
1. Einleitung 1.1. Vorbemerkungen Der Isländer Snorri Sturluson (1178/79–1241) hinterließ ein Werk, das in der Überlieferung des europäischen Hochmittelalters einzigartig dasteht.2 Es ist neben der Liederedda nicht nur die bedeutsamste Dokumentation der nordischen Mythologie, es zählt auch zu den wichtigsten Zeugnissen der hochmittelalterlichen Auseinandersetzung mit Religion, Geschichte und Sprache. Nicht nur zeitlich stand Snorri näher an einer germanischen 1
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‚Die Edda ist die erste moderne Synthese, die aus den heidnischen Quellen geschaffen wurde. […] Deshalb ist auch die gesamte Forschungstradition von Snorri abhängig. Kein Weg zur nordischen Mythologie führt um ihn herum. […] Er ist auf unserer Seite der großen Kluft zwischen dem vorchristlichen und dem christlichen Weltbild.‘ Vgl. Schier 1981, S. 406: „Die Snorra-Edda nimmt innerhalb der europäischen Literatur des Hochmittelalters schon allein dadurch eine besondere Stellung ein, daß sie der einzige große Versuch einer systematischen und umfassenden Darstellung der mythologischen Überlieferung einer europäischen Region ist; aus dem griechisch-byzantinischen, lateinisch-romanischen, dem keltischen, slawischen, baltischen oder irgendeinem anderen europäischen Bereich ist, soweit ich sehen kann, kein einigermaßen vergleichbares Werk bekannt“; Clunies Ross 2000, S. 134 f.: „His [d.i. Snorris] achievement is truly remarkable, measured in both medieval and modern terms, and its power comes from his enormous synthetic abilities. He took information that was partial and allusive, and quite often pointing in disparate directions, and he pulled it all together in a way that gave Old Norse mythological and poetic traditions written and authorized status and allowed those of us who have come after him to gain entry into an otherwise lost intellectual world.“
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Einleitung
Religion – er war bereits ihr Interpret.3 Ohne sein Schaffen wäre vieles, das heutzutage in der wissenschaftlichen Diskussion vorausgesetzt wird, verloren, anderes unverständlich. Breites Interesse weckten Snorris Texte bereits kurz nach Fertigstellung, so können die erhaltenen Handschriften und Fragmente gedeutet werden. Die Überlieferung bezeugt intensive Auseinandersetzung mit diesen Schriften, die abweichende Bearbeitungen nach sich zog – das spricht auch für Snorris exponierte Stellung in der gelehrten Welt seiner Zeit. Seit zwei Jahrhunderten haben sich in der nordistischen Forschung zahlreiche Arbeiten seiner Darstellung angenommen und in dieser Diskussion das heutige Bild nordgermanischer Mythologie und Religion geformt.4 Snorris außergewöhnlicher Umgang mit der Überlieferung seiner Vorfahren bedingt, dass sein Werk bis auf den heutigen Tag „very difficult and multifaceted questions and problems“ bietet.5 1.1.1. Zielsetzung und Methode Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, neue Perspektiven in der Erforschung von Snorri Sturlusons Werk zu eröffnen; im Laufe von zweihundert Jahren hat sich diese Forschung in vieler Weise entfaltet, zunehmend aber auch kanonische Geltung reklamiert. Der Anspruch einer konstruktiven Neuorientierung fordert zum ersten die zielgerichtete Aufarbeitung der umfangreichen Forschungsgeschichte, die in aktueller Betrachtung prägenden Einfluss übt. Zum zweiten wird für einen gleichermaßen text- wie kontextbewussten methodischen Ansatz in der Altnordistik plädiert, der in der folgenden Untersuchung zu Snorris Werk beispielhafte Umsetzung findet und damit künftiger Forschung einen möglichen Weg in strittiger Diskussion zu offerieren vermag. Snorri wagte in seinen Arbeiten den einzigartigen Entwurf einer Geschichte der paganen Religion, die in seinen Augen eigenständigen Wert gehabt hatte; seine gelehrte Auseinandersetzung mit solcher Vergangenheit ist es, die in der vorliegenden Arbeit im Zentrum der Betrachtung steht. Die
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Vgl. auch Clunies Ross 1992, S. 633: „It is important that, in attempting to write our own histories of Germanic religion, we first discover how medieval thinkers approached these matters, not only because they were closer to the object of our enquiry than we are, […] but also because their views and assumptions shaped the texts they produced […]. Their ideas thus influence us because they are inscribed in the texts we use.“ Zum Mythos-Begriff vgl. Assmann 1998. Víðar Pálsson 2008, S. 123.
Vorbemerkungen
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Fragen, die es zu beantworten gilt, sind in vielen Fällen durchaus bereits gestellt worden: Welche Position vertrat Snorri gegenüber dem Polytheismus seiner Vorfahren? Welches Geschichtsverständnis prägte seine Arbeiten? Lassen sich Einflüsse kontinentaler Entwicklungen seiner Zeit wahrscheinlich machen und falls ja, wie verarbeitete er diese? Bezog er in seinem Werk Position auch hinsichtlich einer isländischen Identität? Welche Rolle spielte eine Herkunft der Asen aus Asien? Angesichts der voluminösen Forschungsliteratur mag der Eindruck entstehen, dieses Thema sei hinreichend ausgeschöpft; doch führt die nähere Beschäftigung mit bisherigen Ansätzen zu anderem Ergebnis. „Die Untersuchung des Verhältnisses von Text und Kontext gehört zu den altehrwürdigen Aufgaben der Literatur- und Kulturwissenschaft“6 – diese aktuelle Konstatierung Jan-Dirk Müllers impliziert doch keinesfalls, dass die Frage nach textlicher Manifestation einerseits, kulturellem Hintergrund andererseits ad acta gelegt wäre.7 Vielmehr ist zu beobachten, dass sich eine gewisse Skepsis im Blick auf bestehende Interpretationsmodelle zu formen begonnen hat: Als gegebene Ansätze a priori in externen, differenten Kontexten entstanden, antworten sie zumeist auf sehr spezifische disziplinäre Konstellationen, Bedürfnisse und Fragen; nicht selten erschließen sich ihre zentralen und innovativen Argumente, ja ihre Logik, erst aus dieser Bindung an einen spezifischen Kontext. […] Insbesondere die jüngsten Versuche, derartige Ansätze auf die (deutschsprachige) mediävistische Diskussion hin abzustimmen (oder abzugleichen), haben dabei gezeigt, dass ihre eigentlichen Triebkräfte oder Zentralele-
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Müller 2007, S. vii. Zum Textbegriff in der Nordischen Philologie notierte vor einigen Jahren Preben Meulengracht Sørensen prägnant: „Den genealogiske tekstkritik med dens postulat om en originaltekst eller arketype bygger på et tekstbegreb, der er i modstrid med tekstens faktiske, dynamiske karakter. Det er nødvendigt, at vi forstår teksten både gennem den selv og gennem varianternes forskelle og korrespondancer. Vi har, kort sagt, brug for et nyt tekstbegreb, og det må udvikles i et samspil mellem filologi i snæver forstand og litteraturvidenskab, ikke af dem hver for sig. Denne metode, der tager sit utgangspunkt i, at teksten har en flyende, dynamisk form og en mening, vil jeg kalde filologisk“ (Meulengracht Sørensen 2001, S. 286 (‚die genealogische Textkritik mit ihrem Postulat eines Originaltextes oder Archetypus basiert auf einem Textbegriff, der in Kontrast steht zum tatsächlichen, dynamischen Charakter des Textes. Es ist notwendig, den Text sowohl aus sich selbst heraus als auch durch Unterschiede und Übereinstimmungen der Varianten zu verstehen. Kurzum, wir benötigen einen neuen Textbegriff, der entwickelt wird im Zusammenspiel von Philologie im engeren Sinne und der Literaturwissenschaft, nicht getrennt voneinander. Diese Methode, die ihren Ausgangspunkt darin nimmt, dass der Text eine fließende, dynamische Form und Bedeutung hat, will ich ‚philologisch‘ nennen‘)). Vgl. etwa Schnell 1998; Peters 2001; Goetz/Jarnut 2003; Müller 2007 und 2010.
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Einleitung
mente, aus der Dynamik ihrer spezifischen Zielrichtung gerissen, an programmatischer und avantgardistischer Bedeutung oder überhaupt: an Relevanz verlieren; adaptiert, ergänzt, eingeschränkt werden müssen, um sinnvoll zu bleiben.8
Man kann sagen: In stärkerem Maße wird künftig eine gegenstandsspezifische, individuell problemorientierte Herangehensweise in der Untersuchung mittelalterlicher Literaturen gefordert sein, die der Tendenz einer Entkontextualisierung entgegenwirkt, dabei auch ‚Kontext‘ definiert.9 Die zielgerichtete Berücksichtigung eines traditionellen methodischen Inventariums schließt dies nicht aus. So wird in philologischen Disziplinen seit rund zwei Jahrzehnten mit dem Begriff der New Philology operiert:10 The New Philologist must, insofar as possible, recontextualize the texts as acts of communication, thereby acknowledging the extent to which linguistic structure is shaped by the pressure of discourse. It is through these and similar gestures that we might ultimately reformulate philology’s role in the field of medieval studies.11
Dieser wohlformulierten Forderung zum Trotz scheint eine Besinnung auf aktuelle Forschungspotenziale innerhalb der Altnordistik vielfach noch auszustehen. So ist auch eine von Stefanie Gropper (ehemals Würth) vor wenigen Jahren getätigte Äußerung weniger als Konstatierung zu verstehen denn als Postulat: Ich denke, dass wir uns zuerst darauf besinnen müssen, dass wir Vertreter einer Philologie sind, d.h. dass wir es mit sprachlichen Äußerungen zu tun haben, die wir innerhalb eines bestimmten zeitlichen und geographischen Rahmens analysieren. […] Das heißt, bei der Analyse der Texte haben wir zu berücksichtigen, dass sie ein sprachliches Abbild der Welt liefern, dass die Welt somit nicht unmittelbar, sondern codiert abgebildet wird. […] Meiner Ansicht nach [sollte] unsere Basis für die skandinavistische Mediävistik als Kulturwissenschaft die New Philology sein.12
In der schwerpunktbildenden Betrachtung Snorris üben heutzutage jedoch methodische und interpretatorische Zugänge der 1950er und -60er Jahre prägenden Einfluss und auch die überkommene Suche nach einer
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Bezner 2001, S. 581. Zur Debatte innerhalb der Altnordistik vgl. etwa SteblinKamenskij 1973 (dazu auch Weber 1981b); Sverrir Tómasson 1988; Krömmelbein 1998, S. 14; Torfi Tulinius 2002, bes. S. 64. Vgl. dazu auch Spoerhase 2007. Zur Diskussion vgl. Tervooren 1997. Fleischmann 1990, S. 37. Würth 2005, S. 65 f.
Vorbemerkungen
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‚Originalversion‘ der Snorra-Edda scheint im 21. Jahrhundert nicht aufgegeben.13 Jüngere Beiträge führen Argumentationslinien solch älterer Forschung unkritisch fort oder sind bisher weitgehend unberücksichtigt geblieben; der Grund hierfür ist wesentlich in fehlender methodischer Reflexion vieler aktueller Arbeiten zu suchen, die sich oftmals durch eigenartige Distanz zu den überlieferten Texten auszeichnen, andererseits aber auch deren determinierendes Umfeld regelmäßig nur am Rande streifen und schließlich eine kritische Verortung im forschungsgeschichtlichen Kontext vermissen lassen.14 Dieser Problematik entgegenzutreten, erfordert keinesfalls die weitreichende Unterordnung unter Postulate einer vielstimmigen literatur- und kulturwissenschaftlichen Theoriedebatte. Vielmehr ist eine problemspezifisch selektierende Herangehensweise anzustreben, die einerseits mittelalterliche Handschriftenvarianz berücksichtigt, andererseits außertextliche Zusammenhänge zur Kenntnis nimmt. Dabei gilt es, die Methodendiskussion der aktuell Einfluss übenden Forschung zu beachten, Ausgangspunkt und Maßstab der Betrachtung aber in der Überlieferung selbst zu suchen. Dies bedarf in besonderem Maße der kritischen Erörterung von Snorris eigener Methodik, deren Beurteilung in der Forschung diametrale Positionen bedingt hat. Dieser fundamentalen Aufgabe – damit auch der strittigen Verfasserfrage – widmet die vorliegende Arbeit einen eigenen Untersuchungsschwerpunkt.15 Es wird die Frage zu stellen sein: Welche gelehrten – und das muss für das Hohe Mittelalter wesentlich heißen: theologischen – Diskurse lassen sich für Snorris zeitliches Umfeld wahrscheinlich machen, und in welcher Weise determinierten sie ein Werk, das heute in voneinander abweichenden Fassungen erhalten ist?16 Die Untersuchung eines literarischen Erbes, 13
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Vgl. etwa Williams 2007; Sävborg 2012. Kritisch bereits Beck 1998, S. 1: „Zum einen spricht gegen diese ältere Textbehandlung die Tatsache, daß der Originalbegriff selbst ins Wanken geraten ist. Zum anderen haben Interpolationen und Bearbeitungen eine Neubewertung erfahren. Sie gelten nicht mehr als ‚Verdunklung‘ ursprünglicher Intention, erhellen vielmehr einen Rezeptionsprozeß und zeugen von einer lebendigen Tradition, einer Auseinandersetzung mit Texten, die gleiches Recht beanspruchen dürfen wie ein wirkliches oder vermeintliches Original. Textkritik wird damit nicht überflüssig, wohl aber erfährt sie eine Neubewertung.“ Nicht zuletzt eine sprachliche Barriere scheint die Rezeption deutschsprachiger Fachbeiträge im Ausland zunehmend zu erschweren (vgl. auch FN 54). Die vorliegende Arbeit bietet aus diesem Grund auf den letzten Seiten eine englische Zusammenfassung, die den Zugang erleichtert; die Übersetzung fremdsprachiger Quellenund Forschungszitate im Text soll zudem einen interdisziplinären Austausch anstoßen. Vgl. Kap. 3. Aspekte solcher Betrachtung finden sich u.a. bereits bei Dronke 1977, Weber 1986 und Beck 1993b.
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Einleitung
dessen geistiger Urheber in der Person Snorris wahrscheinlich zu machen ist, kann nicht in neuzeitlicher Theoriedebatte erfolgen, sondern muss sich an zeitgenössischer Interpretationsmethodik orientieren, muss danach fragen, in welcher Weise auch „kollektive, nicht-individuelle Anteile“ ihren Niederschlag auf textlicher Ebene gefunden haben: Das große Werk zeichnet aus, dass es diese auf eine anspruchsvollere Weise reflektieren kann; seine Bedeutung bemisst sich in Bezug auf die konkreten historischen Konstellationen, die es voraussetzt, thematisiert, reflektiert, vielleicht überwindet.17
Der begrenzte Rahmen einer Dissertation bedingt, dass in solcher Auseinandersetzung nur eine begründete Auswahl mittelalterlicher Diskurse Berücksichtigung finden kann; die vorliegende Arbeit strebt nicht die Darstellung in extenso an, soll vielmehr das Potenzial solcher Diskussion aufzeigen und darin künftiger Forschung Impulse geben. Doch gilt es auch ein wissenschaftsgeschichtliches Problem zu bedenken: In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sah sich die germanistischnordistische Forschung mit einer Herausforderung konfrontiert: Welche Position sollte man vertreten in Betrachtung und Beurteilung des so genannten ‚Germanischen‘, das in nationalsozialistischer Zeit in unterschiedlichem Maße ideologisiert worden war?18 Bei diesem Verarbeitungsprozess kam es 17 18
Müller 2010, S. 8. Die Aufarbeitung des Fragenkomplexes, wie solche Forschung, einzelne Forscher und Institute zum Nationalsozialismus zu positionieren sind und in welchem Maße so genannte ‚Kontinuitäten‘ auch nach 1945 noch bestanden, ist, wie Julia Zernack kürzlich notierte, ein noch keineswegs abgeschlossenes Unterfangen (Zernack 2005; vgl. auch Würth 2005, S. 57); als merkwürdig genügsam kritisierte Zernack dabei die bisherige Auseinandersetzung der Nordischen Philologie mit der eigenen Fachvergangenheit. Zur fachspezifischen Problematik der Germanistik vgl. von See 2004, hier S. 221 f.: „Wenn in diesen Diskussionen der Eindruck entstand, das Fach Germanistik sei weit mehr als andere Fächer durch die NS-Ideologie belastet gewesen, so könnte dieser Eindruck darauf zurückzuführen sein, daß das Fach sich mehr und früher als andere mit seiner NS-Vergangenheit – gelegentlich durchaus notgedrungen – auseinandergesetzt hat.“ Vgl. bereits von See 1983 und 1984; vgl. auch Weber 1984 und Hempel-Küter 2000. Zur Rolle der nordischen Mythologie in Politik und Propaganda vgl. jüngst Zernack 2011, hier S. 143: „Die politisch-ideologische Indienstnahme nordischer Mythen gilt häufig als eine charakteristische Erscheinung des Nationalsozialismus. […] Rasch stellt sich eine verbreitete Denkfigur ein: Die nationalsozialistische Propaganda hätte alles Nordisch-Germanische ideologisch derart korrumpiert, dass die Stoffe nach 1945 für lange Zeit tabuisiert waren. Diese Behauptung tut den Nationalsozialisten zu viel Ehre an: Sie haben sich in ihrer Propaganda nicht öfter als andere auf die nordische Mythologie berufen.“ Zernack betonte, die politische Instrumentalisierung nordischer Mythen müsse vielmehr als
Vorbemerkungen
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auch zu Neubesinnungen: Eine christlich-theologische, dem so genannten Heidentum strikt entgegenstehende Haltung wies nun einen Weg und wurde auch an Snorris Werk angelegt, das doch selbst Zeugnis einer Auseinandersetzung mit schwieriger Vergangenheit gab. Solche Kontextualisierung auch der Forschung ist bis in jüngste Zeit weitgehend unberücksichtigt geblieben. Anhand der Arbeiten des Leipziger Skandinavisten und Religionswissenschaftlers Walter Baetke (1884–1978), der 1950 mit seiner Abhandlung „Die Götterlehre der Snorra-Edda“19 am Anfang einer neuen Epoche der Forschung stand, wird die Diskussion aufgenommen.20 Die vorliegende Arbeit setzt mehrere Schwerpunkte. Nach einleitender Behandlung forschungs- und wissenschaftsgeschichtlicher Voraussetzungen der weiteren Betrachtung erfolgt die Auseinandersetzung mit Charakteristika der ältesten Snorra-Edda-Handschrift Codex Upsaliensis DG 11, bedeutsam für die Bewertung von Snorris Werk in seiner Gesamtheit; seit den 1940er Jahren ist dieses Manuskript nicht mehr Grundlage einer umfassenden philologischen Untersuchung gewesen und wird auch in aktueller Forschung oftmals unbesehen zugunsten vermeintlich ‚besserer‘ Textfassungen zurückgestellt.21 Den zweiten Schwerpunkt stellt eine thematisch-methodische Analyse dar: Den bisherigen Forschungszugang zur Überlieferung der betrachteten Werke gilt es kritisch zu hinterfragen, dabei auch Snorris Positionierung im Spannungsfeld hochmittelalterlicher Diskurse zu konkretisieren – auf diesem Wege wird die methodische Grundlage der nachfolgenden lexematischen Untersuchung gelegt. Diese wortschatzbasierte Analyse der Gylfaginning und der einleitenden Kapitel der Ynglinga saga stellt das Kernstück der vorliegenden Arbeit dar: Hier werden die im Vorfeld diskutierten Ansätze an den Texten erprobt, präzisiert und gegebenenfalls revidiert. Dabei ist sowohl die Betrachtung zahlreicher ‚Schlüsselwörter‘ von Bedeutung als auch die Berücksichtigung einzelner Textpassagen. Es gilt zu prüfen, inwieweit der Gebrauch solcher Lexeme bestimmte Deutungskonzepte in den überlieferten Werkfassungen erkennbar werden lässt; synchroner
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Phänomen auch jüngster Zeit angesehen werden. Im Gesamtblick wird man darin zustimmen müssen, dass eine fachgeschichtliche Aufarbeitung in Nordistik und Germanistik noch keinen Abschluss gefunden hat. Baetke 1950. Vgl. Kap. 1.3. Zwar wurde diese Handschrift jüngst in einem mehrjährigen Forschungsprojekt der Universität zu Uppsala untersucht; die soweit ich sehen kann mangelnde Berücksichtigung der deutschsprachigen Forschung bedingte aber merkliche Restriktion im thematisch-methodischen Zugang (vgl. FN 54). Die Publikation der Ergebnisse steht zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Arbeit weitgehend noch aus (vgl. Williams 2007; Sävborg 2012).
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Einleitung
Vergleich mit außersnorrischen Texten ordnet dabei den Wortgebrauch tendenziell im Zeitkontext ein.22 Dieses methodische Vorgehen stellt meines Erachtens den einzig gangbaren Weg einer Lexemuntersuchung dar, die sich weder bereits im Vorfeld einer starren Wertung unterordnen oder auf singuläre Belegstellen beschränken, noch in bloßer Statistik erschöpfen darf. Das Potenzial einer solchen Wortschatzanalyse wurde in bisheriger Forschung nur am Rande notiert;23 so merkte Ernst Walter Ende der 1990er Jahre zwar an: Snorri war ja einer der gelehrtesten und belesensten Leute seiner Zeit. In seinen Werken finden wir einen großen Wortschatz. Er verwendete nicht nur heimische Lexik, sondern bediente sich zahlreicher Fremd- und Lehnwörter, Lehnbildungen und Lehnwendungen und auch mancher heimischer Wörter mit Lehnbedeutung.24
Eine systematische, werkübergreifende Analyse der verwendeten Lexeme in Formáli, Gylfaginning und der thematisch anknüpfenden Ynglinga saga steht aber aus. Abschließend wird die Frage zu stellen sein, in welchem 22
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Für die Prosa werden die Lexemverzeichnisse von Ludvig Larsson und Anne Holtsmark herangezogen (Larsson 1891, Holtsmark 1955); Holtsmark merkte dazu an: „Det er klart at bare en brøkdel av tidens ordforråd kan være i de få skriftene som er ekserpert til de to ordlistene. Desto mer skulle en overensstemmelse bety“ (Holtsmark 1964, S. 6 (‚es ist klar, dass nur ein Bruchteil des zeitgenössischen Wortschatzes in den wenigen Handschriften, die in die beiden Wortlisten aufgenommen sind, auftaucht. Umso mehr würde eine Übereinstimmung bedeuten‘)). Andrea de Leeuw van Weenens Neuausgabe des Index zum Isländischen Homilienbuch wurde vergleichend berücksichtigt (de Leeuw van Weenen 2004). Für die eddische Dichtung wurde Hans Kuhns Wörterbuch zu den Liedern des Codex Regius verwendet (Kuhn 1968). Finnur Jónssons zweite Ausgabe des Lexicon Poeticum ergänzt diese Basis (Finnur Jónsson 1931). Angestrebt ist nicht die erschöpfende Bestandsaufnahme der untersuchten Lexeme über Snorris Werk hinaus; vielmehr gilt es nachzuvollziehen, in welchem gelehrten Milieu Snorri agierte. Wilhelm Heizmanns kritische Einschätzung der aktuellen Möglichkeiten und Grenzen von Wortschatzuntersuchungen betreffen daher die vorliegende Arbeit nur am Rande (Heizmann 2000, S. 109). Der neben Anne Holtsmarks Abhandlung „Studier i Snorres Mytologi“ (Holtsmark 1964) bedeutsamste Beitrag stammt von Helmut de Boor aus dem Jahre 1930 (de Boor 1930); seine lexematische Betrachtung der Vo˛ luspá versuchte wahrscheinlich zu machen, dass die Komposition dieses Gedichts wesentlich mit dem Wirken der norwegischen Ladejarle im Spannungsfeld einer voranschreitenden Christianisierung des späten 10. Jahrhunderts zu verstehen ist. Zur vorliegenden Arbeit sind doch nur marginale Berührungspunkte in der ausgewählten Terminologie zu verzeichnen (die in der folgenden Untersuchung bedacht sind); de Boors Aufsatz dokumentiert aber beispielhaft das Potenzial von Wortschatzbetrachtungen. Walter 1998, S. 288.
Handschriften und Ausgaben
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Maße die gewonnenen Erkenntnisse die konstruktive Neupositionierung im Diskurs aktuell einflussreicher Interpretationsmodelle erforderlich werden lassen. Darin werden auch künftige Perspektiven der Altnordistik überhaupt zu formulieren sein.
1.2. Handschriften und Ausgaben25 1.2.1. Snorra-Edda Der Text der Snorra-Edda (bestehend aus den Hauptteilen Formáli, Gylfaginning, Skáldskaparmál und Háttatal; entstanden nach allgemeiner Einschätzung in den frühen 1220er Jahren)26 ist in vier Haupthandschriften überliefert:27 Codex Upsaliensis (De la Gardie 11, U, ca. 1300), Codex Regius (Gks 2367 4to, R, erstes Viertel 14. Jahrhundert), Codex Wormianus (AM 242 fol., W, Mitte 14. Jahrhundert), Codex Trajectinus (MS No 1374, T, um 1595). R, T und W (der so genannte ‚Gemeine Text‘) weisen zahlreiche Übereinstimmungen auf, doch hat W auch Erweiterungen erfahren. Den Anfang des Formáli, der für R und T nicht überliefert ist, versuchte Ende der 1970er Jahre Anthony Faulkes mithilfe später Papierhandschriften zu rekonstruieren.28 U ist vollständig, weicht aber in zahlreichen Punkten von den anderen Handschriften ab. Die Frage, ob U eine frühere oder spätere Bearbeitungsstufe als RTW repräsentiert, beschäftigt die Forschung bis zum heutigen Tag; dazu wird im Folgenden noch Stellung zu beziehen sein. Ein kurzer Blick auf die wichtigsten Editionen: Die erste Ausgabe der Snorra-Edda, die wissenschaftlichem Anspruch genügen konnte, erschien 1818 unter Rasmus Rask.29 Er wählte R als Grundlage, während U ihm als verkürzte Version erschien; in seiner Ausgabe etablierte er die gebräuchlichen Begriffe Formáli, Bragaræður und Eptirmáli.30 In den Jahren 1848 bis 1887 erschien die dreibändige Arnamagnäanische Ausgabe unter der
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Vgl. auch Kap. 6.2 und 6.3. Es darf bei solcher Datierung indessen nicht ausgeschlossen werden, dass Snorri Entwürfe einzelner Texte bereits zu früherem Zeitpunkt, etwa während seiner ersten Norwegenfahrt zwischen 1218 und 1220, zu Pergament brachte. Vgl. Seelow 1998; Snorri Sturluson. Edda. Prologue and Gylfaginning (hrsg. von Anthony Faulkes), S. xxviii ff. Faulkes 1979. Snorra Edda ásamt Skálda og þarmeð fylgjandi ritgjörðum (hrsg. von Rasmus Rask). Vgl. Kap. 2.1.1.
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Einleitung
Federführung von Jón Sigurðsson;31 mit dem zweiten und dritten Band lag erstmals eine weitgehend vollständige Ausgabe der Uppsala-Edda vor. Zur Jahrhundertwende brachte Finnur Jónsson seine erste Snorra-Edda-Edition heraus,32 in der jedoch viele Varianten nur unzureichend dokumentiert waren, sodass er 1931 auf Geheiß der Arnamagnäanischen Kommission eine neue Ausgabe vorlegte,33 intendiert auch als Ergänzung der früheren AM-Edition. 1962 wurde posthum der erste Band der Codex-UpsaliensisAusgabe von Anders Grape herausgegeben, in dem er die Forschungsgeschichte dieser Handschrift bis in die 1950er Jahre aufarbeitete und einen Faksimile-Druck lieferte; der zweite Band mit Transkription und paläographischen Anmerkungen erschien erst 1977.34 1982 erschien die erste Auflage von Anthony Faulkes’ vierbändiger Snorra-Edda-Ausgabe; in den Jahren 1998 bis 2005 wurde sie in überarbeiteter Form neu aufgelegt.35 Faulkes wendete sich nach eigener Aussage vor allem an englischsprachige Studenten, die zu den bisherigen Ausgaben nur bedingt Zugang gefunden hätten. Zur textlichen Grundlage von U wählt die vorliegende Arbeit den zweiten Band der Arnamagnäanische Ausgabe von 1852 (in wenigen Fällen zum Vergleich auch Grapes Edition). Der Text von R (im Normalfall als Zitierversion für RTW gewählt) entstammt Finnur Jónssons bewährter Ausgabe von 1931, W seiner Edition aus dem Jahre 1924.36 Für T wird die 1913 erschienene Ausgabe von Willem van Eeden verwendet.37 Die in dieser Untersuchung gebrauchten Kapitelangaben von RTW folgen der Ausgabe des Codex Regius; dabei ist anzumerken, dass in der maßgeblichen AMEdition von U die Gylfaginning erst mit Kapitel 5 einsetzt, da der Formáli mitgezählt wird. 1.2.2. Heimskringla Das Abfassungsdatum der Heimskringla wird um das Jahre 1230 angesetzt. Während zumindest eine hochmittelalterliche Handschrift Snorri Sturluson mit der Edda in Verbindung bringt (U), liegen für die Heimskringla keine zeitgenössischen Zeugnisse vor, die eine solche Verknüpfung ermöglichen.
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Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Jón Sigurðsson). Snorri Sturluson. Edda (hrsg. von Finnur Jónsson). Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson). Snorre Sturlasons Edda. Uppsala Handskriften DG 11 (hrsg. und komm. von Anders Grape). Snorri Sturluson. Edda (hrsg. von Anthony Faulkes). Codex Wormianus af Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson). De Codex Trajectinus van de Snorra Edda (hrsg. von Willem van Eeden).
Handschriften und Ausgaben
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Snorri findet allerdings im 13. und 14. Jahrhundert Erwähnung als Autorität für die Geschichte norwegischer Könige, und wird in Übersetzungen des 16. Jahrhunderts genannt.38 Für seine Verfasserschaft an den Inhalten der Heimskringla wird auch die weitere Untersuchung argumentieren; dies muss doch nicht implizieren, dass die überlieferten Fassungen allein auf Snorri zurückgehen.39 Die Heimskringla, wie sie heute überliefert ist, setzt sich zusammen aus einem das Gesamtwerk einleitenden Prolog und sechzehn Sagas. Der erste große Teil (Hkr i) beginnt mit der mythologisch geprägten Ynglinga saga und behandelt danach die norwegischen Könige vor der Zeit von Óláfr inn helgi.40 Der zweite Teil (Hkr ii) ist ganz diesem Óláfr gewidmet und weist einen separaten Prolog auf; der dritte große Abschnitt (Hkr iii) behandelt die folgenden Herrscher bis in die Zeit von König Sverrir Sigurðarson (ca. 1151–1202).41 Sechs Hauptmanuskripte der Heimskringla liegen heutzutage vor (K, AM 39 fol., F, E, J und G), teils nur in Abschrift; daneben existiert eine größere Anzahl an Fragmenten.42 Die Handschriften lassen sich grob in die Kringla-Gruppe (K) und die Gruppe um die so genannte Jo˛ fraskinna (J) unterteilen. Keine erhaltene Handschrift überliefert alle bekannten Teile der Heimskringla, teils aufgrund späterer Verluste, teils weil von vornherein offenbar nur ausgewählte Abschnitte kopiert wurden. K steht nach Ansicht der Forschung Snorris Original am nächsten, ist allerdings bis auf ein Blatt nur in Papierabschriften des 17. Jahrhunderts erhalten. Auffällig ist, dass keine Handschrift der J-Gruppe die Saga von Óláfr inn helgi (Hkr ii) überliefert, was die Frage provoziert, ob dieser Teil ursprünglich zum HeimskringlaKonzept gehörte.43 38 39 40
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Vgl. Schier 1998, S. 185. Zur Diskussion vgl. Louis-Jensen 1997. Hálfdanar saga svarta, Haralds saga hárfagra, Hákonar saga góða, Haralds saga gráfeldar, Óláfs saga Tryggvasonar. Magnúss saga góða, Haralds (harðráði) saga Sigurðarsonar, Óláfs saga kyrra, Magnúss saga berfætts, Magnússona saga, Magnús saga blinda ok Haralds gilla, Haraldssona saga (Saga Inga konungs og bræðra hans), Hákonar saga herðibreiðs, Magnús saga Erlingssonar. Vgl. weiterführend Whaley 1991, S. 41 ff.; Louis-Jensen 1997, S. 16 ff. Vgl. Louis-Jensen 1997, S. 235: „Hkr ii kan være en tilføjelse i x-klassen [d.i. Gruppe K], evt. en tilføjelse der er specifik for en del af x-klassen, ligesom vi må regne med at OH [d.i. Óláfs saga helga] er en specifik tilføjelse i J. Men i så fald kan man stille der spørgsmål, om Hkr ii, forstået som forfatterens egen revision af den særksilte Olavssaga, nogensinde har eksisteret? Forholder der sig ikke snarere sådan at den Olavssaga som findes i Kringla […] er en lidt forkotet version af den særskilte saga ligesom det er tilfældet med Olavssagaen i Jöfraskinna?“ (‚Hkr ii kann ein
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Einleitung
Die erste Heimskringla-Ausgabe erschien im Jahre 1697 in Stockholm unter der Leitung des schwedischen Gelehrten Johan Fredrik Peringskiöld; er gab dem Werk auch den Titel „Heimskringla“.44 Es folgten zwischen 1777 und 1783 eine mehrbändige dänische Edition von Gerhard Schøning und Skúli Þórðarson Thorlacius, sowie in den 1860er Jahren eine norwegische Edition von Carl Richard Unger.45 Erst 1944 erschien das komplette Werk auch in Island, herausgegeben von Steingrímur Pálsson.46 Die heutigen Standardeditionen sind der Arbeit des „indefatigable Finnur Jónsson“ (1893–1900)47 und des „painstaking Bjarni Aðalbjarnarson“ (1941–1951)48 zu verdanken, wie Diana Whaley sie treffend bezeichnete.49 Beide Ausgaben umfassen drei Bände, Finnur Jónsson veröffentlichte zudem einen vierten Band mit Versinterpretationen. Seine Ausgabe zeichnet sich durch einen kritischen Apparat mit umfassender Aufnahme der verschiedenen Varianten aus, während Bjarnis Edition Erklärungen und Informationen zum Inhalt der jeweiligen Stellen liefert. Im Jahre 1991 erschien eine neue dreibändige Ausgabe unter Leitung von Bergljót Kristjánsdóttir, Bragi Halldórsson, Jón Torfason und Örnólfur Thorsson. Die vorliegende Arbeit wählt die bewährte Ausgabe von Bjarni Aðalbjarnarson zur Grundlage.
1.3. Forschungsgeschichtlicher Überblick Die wissenschaftliche Erforschung von Snorris Werk reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück.50 Die heutige Forschung basiert nicht mehr auf diesen
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Zusatz der x-Klasse sein, vielleicht ein Zusatz, der spezifisch ist für einen Teil der x-Klasse, wie wir auch damit rechnen müssen, dass OH ein spezifischer Zusatz in J ist. Aber in diesem Fall kann man fragen, ob Hkr ii, verstanden als des Verfassers eigene Revision der Selbständigen Óláfs saga, überhaupt einmal existiert hat. Verhält es sich nicht eher so, dass die Óláfs saga in Kringla eine leicht gekürzte Version der selbständigen Saga ist, wie es in der Jo˛ fraskinna der Fall mit der Óláfs saga ist?‘). Diese frühen Bestrebungen Schwedens erklärte Kurt Schier aus dem schwedischen Anspruch heraus, die norrönen Quellen zur Erhellung der eigenen Geschichte heranzuziehen (Schier 1998, S. 193 ff.). Heimskringla edr Noregs Konunga-Sögor af Snorra Sturlusyni (hrsg. von Gerhard Schøning/Skúli Þórðarson Thorlacius); Heimskringla eller Noregs Kongesagaer af Snorre Sturlassøn (hrsg. von Carl Richard Unger). Heimskringla (hrsg. von Steingrímur Pálsson). Heimskringla. Nóregs konunga so˛ gur (hrsg. von Finnur Jónsson). Snorri Sturluson. Heimskringla (hrsg. von Bjarni Aðalbjarnason). Whaley 1991, S. 47. Einen Überblick zu ältester Forschung bietet Müller 1811, S. 4 ff. Vgl. auch Snorra Edda ásamt Skálda og þarmeð fylgjandi ritgjörðum (hrsg. von Rasmus Rask); Mogk 1879.
Forschungsgeschichtlicher Überblick
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frühen Auseinandersetzungen, und selbst Arbeiten aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts finden in den wenigsten Fällen Eingang in die Literaturverzeichnisse aktueller Betrachtungen. Das Ende des ‚Dritten Reichs‘ bedeutete in der Retrospektive auch für die Snorri-Forschung eine Zäsur; die Problematik des ‚Germanischen‘ wird Anlass geboten haben, auch Snorris Werk, das sich so dezidiert mit nordgermanischer Mythologie und Religion auseinandersetzte, umzuwerten. Dass diese Neubesinnung im Fall Snorris bereits wenige Jahre nach Kriegsende ihren Anfang nahm, liegt wesentlich in der Person Walter Baetkes begründet, der schon in den 1930er und -40er Jahren strikt Stellung gegen jegliche „Germanenschwärmerei“51 bezogen hatte – und diese Linie nach Kriegsende vehement fortführte. Hans Kuhns (möglicherweise etwas unvorteilhaft formulierte) Äußerung 1942, Snorri habe in seinem Inneren an das meiste, das er schrieb, noch in einem religiösen Sinne geglaubt,52 kann indessen nicht stellvertretend für eine breitere Forschungssicht dieser Zeit stehen, forderte vielmehr Baetke zur kritischen Stellungnahme heraus (s.u.). Friedrich Müllers bereits ein Jahr vor Kuhn erschienene Dissertation zum Codex Upsaliensis zeigte sich in ihren mitunter bemerkenswerten Schlussfolgerungen deutlich nüchterner; dass sie in heutiger Forschung dennoch keine Berücksichtigung erfährt, muss als Zeichen solcher Zäsur gelten. Walter Baetkes Arbeit zur „Götterlehre der Snorra-Edda“53 gab in der Nachkriegszeit den Anstoß zu einer Entfaltung der Snorri-Forschung in beträchtlichem Ausmaß; seine Überzeugung, Snorri habe den nordischen Gott Óðinn in Gestalt eines Allvaters nach den hochmittelalterlichen Vorgaben des Konzepts einer ‚natürlichen Theologie‘ präsentieren wollen, eröffnete ungekannte Interpretationsmöglichkeiten; Baetke prägte dafür den Terminus ‚Odinstheologie‘. Bedeutsame Auseinandersetzungen der Folgezeit, etwa Anne Holtsmarks „Studier in Snorres Mytologi“, aber auch Arbeiten der 1980er und ‑90er Jahre von Gerd Wolfgang Weber, Margaret Clunies Ross, Klaus von See und Heinrich Beck sind ohne Baetkes fundamentale Vorarbeiten kaum denkbar. Umso bemerkenswerter, dass nach Baetkes Pioniertat mehr als drei Jahrzehnte vergehen sollten, ehe sich die deutschsprachige Forschung der Thematik wieder umfänglich annäherte. Noch 1984 konstatierte Gerd Wolfgang Weber, die Altnordistik hätte gegenüber dem Zeitraum bis 1930 an Boden verloren – dies doch primär in Deutschland, nicht im Ausland, wo man
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Vgl. auch von See 1994, S. 187 ff. Kuhn 1942, S. 165. Baetke 1950.
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Einleitung
„weit weniger an den weltanschaulichen Verwicklungen einzelner Nordisten Anstoß nahm, als uns dies ein notwendiges Bedürfnis ist.“54 Doch Baetkes Arbeit muss im zeitlichen Kontext eingeordnet werden. Nur so ist seine für den Leser überraschende, für Folgearbeiten aber maßgebliche Schlussfolgerung verständlich, trotz all dieser positiven Bezüge beruhe der pagane Glaube letztlich auf dämonischer Täuschung.55 Baetke darf nicht auf seine ‚Götterlehre‘ reduziert werden, ist diese doch erst Ergebnis einer Forschungstätigkeit im Bereich der Altnordistik, die mit frühen Sagaübersetzungen bis in die 1920er Jahre zurückreicht. Seine Positionierung in der Forschung, die schließlich auch die Beurteilung Snorris grundlegend prägte, soll daher im Folgenden in groben Zügen skizziert werden. Seit Beginn der 1930er Jahre verfolgte Walter Baetke mit kritischem Interesse die Entwicklungen der ‚Germanen‘-Forschung. Besonders galt sein Augenmerk einer ‚germanischen Religion‘, über die er in zahlreichen Arbeiten handelte. 1934 erschien seine Abhandlung „Art und Glaube der Germanen“; im einleitenden Kapitel konturierte Baetke Möglichkeiten und Grenzen einer germanischen Religionsgeschichte, die er als „höchst aktuelle Frage, d.h. eine Frage der lebendigen Wirklichkeit“ einstufte.56 Über Betrachtung der Religion, wie er sie in schriftlicher Überlieferung gezeichnet fand, hoffte Baetke zum Kern einer ‚germanischen Art‘ vorzudringen; kritisch merkte er doch an, dass erstens die deutsche Geschichte wenig dazu tauge, da sie eng mit dem Christentum verbunden sei, und dass zweitens auch keinerlei Versuch der Erneuerung einer germanischen Religion das
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Weber 1984, S. 31. Interessanterweise sah Weber in der „isolationistischen und schließlich katastrophalen Zäsur von Hitlerzeit und ii. Weltkrieg“ nur einen Grund dieser Entwicklung; mehr noch habe eine Ablösung der Wissenschaftssprache Deutsch durch „eine Art bastardisiertes Englisch“ auch der Altnordistik zum Nachteil gereicht (ebd., S. 32) – eine Beobachtung, die (ohne die Weber’sche Begrifflichkeit zu übernehmen) nach eigener Erfahrung zumindest in der aktuellen SnorriForschung Bestätigung zu finden scheint: Anders denn durch sprachliches Unverständnis ist etwa Gísli Sigurðssons jüngste Rekapitulation der Arbeiten Heinrich Becks (zitiert allein Beck 1993b) als „building largely upon Baetke“ kaum zu deuten. Auf fehlende Berücksichtigung deutschsprachiger Forschung auch im Uppsala-Edda-Projekt wurde verwiesen (s. FN 21). Baetke 1950, S. 67. Wenn auch im Folgenden von ‚nicht-christlichem Glauben‘ die Rede ist, so versteht sich diese Begrifflichkeit – in Anlehnung an bisherige Forschung – als Analogiebildung zum ‚christlichen Glauben‘, die gerade im snorrischen Kontext ihre Berechtigung hat, wie die weitere Untersuchung noch präzisieren wird (zu Terminologie und Semantik vgl. H. Schulz 2000). Baetke 1934, S. 5.
Forschungsgeschichtlicher Überblick
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Ziel sein könne.57 Wie achtzig Jahre zuvor schon Jacob Grimm,58 schätzte aber auch Baetke, zeitgleich mit Andreas Heusler,59 den Wert nordischer Überlieferung für die Erforschung des ‚Germanischen‘ hoch ein: Wir dürften uns von vornherein von dem skandinavischen Norden eine reichere Ausbeute erwarten – nicht nur, weil hier das Christentum erst Jahrhunderte später Eingang fand, sondern weil sich hier ein nationales Schrifttum entwickelt hat, das zum großen Teil noch im Heidentum wurzelt. Dies gilt besonders für Island, das für uns das eigentliche klassische Land des germanischen Altertums ist; wir verdanken ihm die Edda, die Skaldenlieder und die Sagas. Namentlich die Edda gilt ja in der ganzen Welt noch heute als die Hauptquelle des heidnisch-germanischen Glaubens.60
Von einer „germanischen Bibel“ wollte Baetke im Fall der Lieder-Edda aber keinesfalls sprechen und schränkte weiter ein, auch die Skandinavier hätten schon lange vor ihrer Bekehrung prägenden Kontakt zum Christentum gehabt.61 Walter Baetkes Arbeit „Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen“ ist in diesem Kontext zu sehen; sie erschien 1937 in erster, ein Jahr später bereits in zweiter, vermehrter Auflage.62 Hundert Jahre nach Jacob Grimm habe eine „Wiedergeburt des nordisch-germanischen Altertums“ begonnen, die das „Gepräge einer geistigen Volksbewegung“ trage.63 Die wissenschaftliche Dimension solcher Entwicklung sah Baetke kritisch: Leider ist es aber dahin gekommen, daß die wissenschaftliche Behandlung der germanischen Religion selbst in den weltanschaulichen Meinungsstreit hineingezogen worden ist. Im Zusammenhang damit hat sich ein gewisser Dilettantismus dieses Gebietes bemächtigt und ein Schrifttum gezeitigt, das bestrebt ist, die Vergangenheit nach dem Bilde der Gegenwart zu formen und Wunschträume an die Stelle geschichtlicher Wirklichkeit zu setzen. Die Folge ist auf der
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Baetke 1934, S. 6 f. Vgl. Grimm 1854, S. 8: „[Es] hat sich nun aber die reinere quelle altnordischer religion in dem abgelegensten ende des Nordens, wohin sie, gleichsam zu vollständigerer sicherung, geflüchtet war, auf Island geborgen. Nicht bloß in den beiden edden, auch in einer menge vielgestaltiger sagen, die ohne jene rettende auswanderung wahrscheinlich in Norwegen, Schweden und Dänemark untergegangen wäre.“ Vgl. Heusler 1934, S. 94: „Reden wir von germanischer Religion, germanischem Heidentum, so drängen sich alsbald die nordischen Namen und Bilder in den Vordergrund. Hier ist in der Tat die Überlegenheit der nordischen Tradition am handgreiflichsten.“ Baetke 1934, S. 9. Baetke 1934, S. 10 f.; vgl. auch Schier 1991, S. 136 f. Baetke 1938. Baetke 1938, S. v.
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Einleitung
einen Seite eine schlimme Verwirrung, auf der andern Ratlosigkeit und Enttäuschung.64
Zur „totalen Indoktrination“65 der Altnordischen Philologie kam es sicherlich nicht, doch offerierte die Thematik des Faches mit ihrem vergleichsweise umfangreichen Quellenmaterial Möglichkeiten ideologischer Aus- und Umdeutung: Durch seine unbestechlich textkritische Aufarbeitung der Quellen geriet er [d.i. Baetke] in Konflikt mit den in den frühen 30er Jahren um sich greifenden pseudowissenschaftlichen Theorien, wie sie durch Alfred Rosenbergs ‚Der Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts‘ (1930) und die ‚völkisch-rassische‘ Umdeutung der germanischen Frühgeschichte durch die so genannte ‚Deutsche Glaubensbewegung‘ vertreten wurden.66
Solcher Entwicklung wollte Baetke mit seinem Quellenbuch entgegentreten; er wollte diejenigen fördern, „die nach einer tieferen Begründung ihres Wissens von der germanischen Religion verlangen, ohne Zeit und Möglichkeit zu wissenschaftlichem Quellenstudium zu haben.“67 Das Studium der Quellentexte nach wissenschaftlichen Kriterien – für Baetke war es wesentliche Voraussetzung jeglichen Erkenntnisgewinns; man wird Kurt Schier zustimmen dürfen, dass es gerade nationalistische Interpretationsversuche waren, die „den Anstoß gegeben [haben] zu einer objektiven, an der Sache, den Texten, der Geschichte orientierten wissenschaftlichen Untersuchung.“68 Die Unbeirrbarkeit in dieser Haltung ließ Baetke zur Mitte der 1930er Jahre als geeigneten Kandidaten für den religionsgeschichtlichen Lehrstuhl an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig erscheinen.69 Gegen anfängliche Widerstände folgte Baetke diesem Ruf Anfang 1936: Daß ein Germanist als ordentlicher Professor in eine Theologische Fakultät berufen wurde, war gewiß etwas Ungewöhnliches. Der Fakultät lag aber daran, in ihrem Lehrkörper einen Fachmann auf dem damals so umstrittenen Gebiet der Germanischen Religionsgeschichte zu haben, der befähigt war, die jungen Theologen über die Verfälschung der germanischen Altertumskunde durch die Nationalsozialisten aufzuklären.70
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Baetke 1938, S. v. Vgl. von See 1983, S. 12; Zernack 2011. Vgl. auch FN 18. Heller 2011, S. 13. Baetke 1938, S. v. Schier 1998, S. 225. Vgl. Rudolph 1962, S. 155 ff. Rudolph 1962, S. 157 f.
Forschungsgeschichtlicher Überblick
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Nach Kriegsende überführte Baetke im Zuge einer Neustrukturierung der Leipziger Universität das religionsgeschichtliche Seminar in die Philosophische Fakultät, ermöglicht auch durch seine zeitgleiche Übernahme des Lehrstuhls für Nordische Philologie.71 Einen Meilenstein der altnordistischen Forschung bedeutete dann 1950 Baetkes Abhandlung zur „Götterlehre der Snorra-Edda“.72 Nur unter oben skizzierten Voraussetzungen aber ist seine abwertende Schlussfolgerung zur Darstellung der paganen Religion in der Gylfaginning erklärbar: „Dieser ganze Glaube beruht also auf Trug und Irrwahn.“73 Baetke argumentierte damit vor allem contra Hans Kuhn: Nun wissen wir, daß Snorri seine Edda im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts schrieb, über 200 Jahre nach der Einführung des Christentums […]. Verband sich aber damit vielleicht doch auch ein religiöses Interesse? Hielt er die Mythen in irgendeinem Sinne für wahr? Trug er vielleicht noch einen […] Glauben an die alten Götter im Herzen? Wollte er vielleicht in der Edda davon Zeugnis ablegen oder die Götter seinen Zeitgenossen durch sein Buch näherbringen? Es möchte bei dem heutigen Stande der Forschung vielleicht überflüssig erscheinen, diese Frage aufzuwerfen. Aber das ist von anderer Seite neuerdings geschehen. Hans Kuhn hat […] allen Ernstes die These verfochten, Snorri habe tatsächlich an die Wahrheit der von ihm erzählten Mythen geglaubt. […] Das schließt natürlich auch den Glauben an die heidnischen Götter ein. […] Aus dem mythologischen Handbuch würde, wenigstens zum Teil, ein Glaubensbuch oder eine Bekenntnisschrift.74
Ein Bekenntnis zum Heidentum musste dem christlich geprägten Quellenkritiker Baetke zutiefst widerstreben, stand eine solche Annahme doch zu nahe noch an Gedankengut der 1930er und -40er Jahre (in denen Kuhns Arbeit ja auch erschien). Kuhn sah sich daraufhin ebenfalls angehalten, 1952 in einer Besprechung scharf auf Baetkes Ausführungen zu antworten: In den Erörterungen Baetkes kommt als festes Grundargument noch ein starres Entweder-oder hinzu […]. Entweder Heiden oder Christen. Beides vermengt oder nebeneinander, das gibt es nicht. Gradunterschiede erkennt er nicht an.75
Kuhn betonte nochmals die eigene Sicht auf Snorris ‚Bekenntnis‘, wollte seine Überzeugung aber recht verstanden wissen:
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Vgl. Rudolph 1962, S. 15 f. Vgl. auch Grosse 1989. Baetke 1950, S. 67. Baetke 1950, S. 4 f. Kuhn 1952, S. 100.
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Einleitung
Diese Sätze sind ein Bekenntnis. Sie haben mich überzeugt, daß auch in Snorris Herzen ein Winkel noch den alten Göttern gehört hat. […] Eine Liebe zu diesen Göttern wird ihn geführt haben, als er die Gylfaginning schrieb. […] Daß dies kein Bekenntnis zum ganzen Heidentum, keine Absage ans Christentum ist, ist selbstverständlich.76
Baetke hatte sich stets für strikte Trennung von Theologie und Religionswissenschaft ausgesprochen; in seinem Fazit zu Snorris Darstellung folgte er aber seiner christlichen Überzeugung, die auch ein Bekenntnis nur zu Teilen des Heidentums strikt ablehnen musste: Den theologischen Standpunkt, d.h. die scharfe Abgrenzung des Christlichen von allen weiteren religiösen Erscheinungsformen, aber auch die rigorose Bestimmung dessen, was Religion ausmacht, vertrat er [d.i. Baetke] lebenslang. In dieser Perspektive muss man auch seine Götterlehre der Snorra Edda sehen. Es ist die Sicht eines Theologen, der die reine Lehre seiner Kirche vertrat und allen Versuchen widerstand, die einer ‚Germanischen Wiedererstehung‘ im geistigen und religiösen Leben das Wort redeten.77
Während Hans Kuhns These in der Folge auf allgemeine Ablehnung seitens der Forschung stieß,78 war Baetkes Interpretation folgenreich: Das Konzept, über die Gestalt Allvater/Óðinn eine Relation zu christlichen Vorstellungen zu konstruieren, war nach seiner abschließenden Bemerkung gleichsam mit negativem Vorzeichen versehen. An diesem Punkt setzte ein Jahrzehnt später die norwegische Philologin Anne Holtsmark (1896–1974) mit ihrem Prinzip „assosiasjon ved kontrast“79 an: Snorri als Christ des hochmittelalterlichen Islands habe eine pejorative Haltung gegenüber der Religion seiner Vorfahren vertreten, die Gylfaginning dem Zweck gedient, den nordischen Polytheismus als teuflischen Irrglauben und Betrug an naiven Menschen vorchristlicher Zeit zu brandmarken. Holtsmark leugnete nicht christliche Anklänge in Snorris Werk, interpretierte diese aber als Kontrast: Je größer die Ähnlichkeit paganer zu christlicher Vorstellung, desto größer der darin implizierte Gegensatz. Diese wirkungsmächtige Interpretationsmethode übte Einfluss etwa auf Gerd Wolfgang Webers Arbeiten der 1980er und -90er Jahre, verweist aber bis in jüngste Forschung; die weitere Untersuchung wird dies präzisieren.
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Kuhn 1952, S. 104. Beck 2007, S. 28 f.; die Bezeichnung Baetkes als Theologe ist indessen zu hinterfragen. Kuhn plädierte in einem späteren Aufsatz nochmals für seine These (Kuhn 1966, S. 385). Holtsmark 1964, S. 24.
Forschungsgeschichtlicher Überblick
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1964, zeitgleich mit Holtsmarks Abhandlung, formulierte Jan de Vries in der zweiten Auflage seiner Altnordischen Literaturgeschichte zwar bereits abweichend: Die Freiheit, mit der Snorri der heidnischen Götterwelt gegenüberstand, ist für einen mittelalterlichen Verfasser bemerkenswert. Man könnte sagen, das war nur dem Isländer möglich, der durch seine Literatur zur Einsicht erzogen worden war, daß die heidnische Überlieferung nicht als verdammenswürdiger Teufelsspuk verurteilt werden sollte.80
Kritik an der Holtsmark’schen Forschungslinie formte sich dennoch erst Jahre später. 1988 fragte Klaus von See in einer Abhandlung recht vorsichtig, ob nicht die Theologisierung der altnordischen Literatur doch erheblich zu weit getrieben ist, ob nicht dabei die merkwürdige Rolle, die der heidnischen, also genuin nordischen Kulturtradition im Bewußtsein der hochmittelalterlichen Nordleute zukommt, mehr oder weniger verkannt wird.81
Von See formulierte in den folgenden Jahren sein (nicht unstrittiges) Konzept einer ‚Nordischen Sonderkultur‘; einer theologischen Dimension von Snorris Werk erteilte er darin die klare Absage.82 Gegen Holtsmark, aber auch von See publizierte Heinrich Beck 1992 einen kurzen Artikel zu den religionsgeschichtlichen Quellen der Gylfaginning;83 zwei Jahre später schloss er eine erweiterte Ausarbeitung mit dem Fazit: Er [d.i. Snorri] vertiefte diese historische Sicht aber derart, daß auch das religiöse Erbe der Vorzeit und damit auch die Kultur der eigenen vorchristlichen Epoche Anerkennung fand. Diese Epoche war in Snorris Sinne nicht mit der Formel Entweder-Oder zu beurteilen […]. Als Historiker wies er der paganen Welt ihren geschichtlichen Platz zu. Als Interpret war er bemüht, den methodischen Weg zu finden, das überkommene Erbe in seiner tiefen Wahrheit zu verstehen und weiterzugeben.84
Beck gestand Snorri damit erstmals die geschichtstheologische Würdigung der vorchristlichen nordischen Vergangenheit zu.85 Zeitnah erschien ein
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de Vries 1999, S. 220. Von See 1988, S. 17. Auch Anthony Faulkes äußerte sich zeitnah in der Einleitung seiner ersten Edda-Ausgabe kritisch der früheren Ansicht gegenüber, wenn er von Snorris „non-polemical treatment“ sprach (Snorri Sturluson. Edda. Prologue and Gylfaginning (hrsg. von Anthony Faulkes), S. xxviii). Vgl. besonders von See 1999d. Beck 1992. Beck 1994, S. 60. Vgl. auch Kap. 3.4.1.1.
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Einleitung
Aufsatz von Margaret Clunies Ross, den sie mit dem Satz einleitete: „Snorri Sturluson’s Edda is our first Germanic Religionsgeschichte.“86 Bemerkenswert: Trotz signifikanten Interesses an einer theologischen bzw. religionshistorischen Dimension der Gylfaginning wurde die SnorraEdda in der Forschung der letzten Jahrzehnte primär als Lehrbuch für angehende Skalden verstanden;87 Snorri habe einer Tendenz zur Aufgabe der alten Dichtkunst entgegenwirken wollen. Wird man solche Bestrebungen Snorri auch nicht absprechen wollen, so greift die Forschung doch zu kurz, wenn sie annimmt, die Gylfaginning liefere in erster Linie Hintergrundwissen für den vermeintlichen Hauptteil der Edda, die Skáldskaparmál.88 Guðrún Nordal vertrat vor einigen Jahren gar die These, die Gylfaginning sei allein „an introduction to Skáldskaparmál“,89 und Jón Gunnar Jørgensen notierte jüngst: Verket er primært en norrøn poetikk. Den innledes med en prolog som har nær forbindelse med innholdet i de tre følgende hoveddelene, Gylvaginning, Skaldskaparmål og Håttatal. I Gylvaginning gjenges en velredigert samling mytologiske fortellinger, som tjener som en materialsamling for skaldediktning.90
Innere Kohärenz der einzelnen Edda-Teile stellte auch Alois Wolf nicht in Frage, gab aber der Gylfaginning den zeitlichen Vorrang: Für die Entstehungsgeschichte läßt sich annehmen, daß Snorri zunächst versucht hat, die in der Gylfaginning mit Konsequenz und Erfolg durchgehaltene Bauform auch auf die Skáldskaparmál zu übertragen, daß er aber dann davon abgekommen ist und sich unauffällig davon freigemacht hat. Den umgekehrten Weg,
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Clunies Ross 1992, S. 633. Zur Terminologie vgl. Figl 2003a, S. 51 ff. Vgl. Kap. 2.1.2. Guðrún Nordal 2001, S. 5. Jørgensen 2009, S. 6 (‚das Werk ist primär eine norröne Poetik. Sie wird eingeleitet mit einem Prolog, der enge Verbindung mit dem Inhalt der drei folgenden Hauptteile hat, Gylfaginning, Skáldskaparmál und Háttatal. In der Gylfaginning wird eine wohlgeordnete Sammlung mythologischer Erzählungen präsentiert, die als Materialsammlung für die Skaldendichtung dient‘). Vgl. ähnlich bereits Faulkes 1983, S. 285: „The ultimate aim of Gylfaginning (as of most of the narratives in Skáldskaparmál too) is presumably to give the mythological background to the kennings of skaldic verse, though this is nowhere stated in the book.“ In gleiche Richtung zielte Wanner 2008, S. 6: „It does seem clear that his [d.i. Snorris] chief wish was to promote the continued production and appreciation of skaldic verse, and that the mythological material, while it gives the Edda most of its value for modern readers, was included mainly to provide needed background for the comprehension and crafting of this poetry.“
Forschungsgeschichtlicher Überblick
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von der Inkonsequenz der Skáldskaparmál zur Konsequenz in der Gylfaginning, halte ich für weniger wahrscheinlich.91
Wie sich der Formáli in ein solches Konzept integrieren soll, ist seit langem umstritten; weder thematisiert er explizit die Dichtersprache, noch steht er in bruchlosem Verhältnis zur Gylfaginning; Andreas Heusler bezeichnete ihn als „befleckende spätere Zugabe.“92 Doch entwickelt der Formáli ein interessantes Konzept zum Verhältnis von Sprache und Religion, das eine Anknüpfung erlauben könnte.93 Im Gegensatz zum breiten Spektrum der Snorra-Edda-Forschung erscheinen die Interpretationsansätze zur Heimskringla homogener. Gustav Storm publizierte 1873 zu „Snorre Sturlassöns Historieskrivning“;94 Sigurður Nordal leistete mit seiner 1914 erschienenen Abhandlung „Om Olaf den helliges saga“ ebenfalls einen frühen Beitrag.95 1941 näherte sich dann Bjarni Aðalbjarnarson in der Einleitung seiner Heimskringla-Ausgabe einigen Fragestellungen umfassender an. Jonna Louis-Jensen setzte sich 1977 mit der handschriftlichen Überlieferung auseinander; zwanzig Jahre später unterzog sie ihre Ergebnisse einer kritischen Revision.96 1990 veröffentlichte Sverre Bagge einen kurzen Beitrag zu Snorri Sturlusons Geschichtsschreibung;97 im folgenden Jahr erschien seine Monographie „Society and Politics in Snorri Sturluson’s Heimskringla“.98 Zu erwähnen ist auch Diana Whaleys Arbeit „Heimskringla – An Introduction“, ebenfalls von 1991; sie will primär dem Studienanfänger einen Leitfaden an die Hand geben.99 Der Schwerpunkt der Heimskringla-Forschung liegt seit Storm und bis in jüngste Zeit auf der Frage nach historischer Zuverlässigkeit der Schilderungen und Snorris möglichen Quellen für seine Darstellung; auch Bagges umfängliche Arbeit ist darunter einzuordnen, wenn er einleitend konstatierte: „As a historian, however, my main interest lies in Heimskringla as a description of society and as evidence of social and political attitudes, not in literary or aesthetic aspects.“100 Die Relevanz der Heimskringla als Quelle
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Wolf 1977, S. 1. Heusler 1930, S. 228. Vgl. Kap. 3.3. Storm 1873. Sigurður Nordal 1914. Louis-Jensen 1977 und 1997. Bagge 1990. Bagge 1991. Whaley 1991. Bagge 1991, S. 2.
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Einleitung
für Geschichtswissenschaft und Archäologie schätzte in den 1990er Jahren Alexandra Pesch jedoch kritisch ein: Daher ist äußerste Vorsicht geboten, wenn dieser Text als Erklärungsgerüst für Epochen, Ereignisse oder Bräuche der skandinavischen Vorgeschichte benutzt wird, wie es bisher immer wieder geschehen ist und trotz aller geäußerten Kritik auch in neuesten Publikationen immer noch geschieht. Als Grundlage für die historische Forschung ist die Heimskringla schlichtweg ungeeignet.101
Vernachlässigung einer literaturwissenschaftlichen Betrachtung notierte zur gleichen Zeit Oskar Bandle: Zu diesem Forschungsstand scheinen verschiedene Gründe beigetragen zu haben: einerseits die frühe Fixierung auf die Königssagas als historische Quelle, andererseits aber auch verschiedene Faktoren, welche die Beurteilung des rein Ästhetischen schwierig zu machen scheinen – die mündlichen Überlieferungen, mit denen wir grundsätzlich rechnen müssen, die aber nur wenig greifbar werden, ebenso wie die verschiedenen Versionen der Königssagas, deren gegenseitiges chronologisches und literarisches Verhältnis nur teilweise geklärt ist.102
Die Ynglinga saga als mythologische Vorgeschichte blieb in solcher Betrachtung nahezu unbeachtet, zog Bedeutung primär aus dem Umstand, dass sie das Gedicht Ynglingatal überliefert. Hans-Peter Naumann referierte vor einigen Jahren die ersten dreizehn Kapitel mit den Worten: Den Geschehnissen der Ynglingar-Zeit ist die Einwanderung des vermenschlichten Kriegerkönigs Óðinn aus Ásia vorausgeschickt. Zusammen mit den Wanen begründete er in Alt-Sigtuna am Mälar eine Herrschaft. Nach seinem Tod folgte auf ihn Njörðr, sodann dessen Sohn Freyr, der in Uppsalir Tempel und Wohnsitz hatte und als Yngvi-Freyr zum Spitzenahn des Geschlechts wurde.103
Diese knappe Darstellung steht beispielhaft für die aktuelle Forschungslage zur Ynglinga saga, die sich im vagen Verweis auf ein Euhemerismuskonzept weitgehend erschöpft. Umso auffälliger, als sich in den letzten zwei Jahrzehnten in der Snorra-Edda-Forschung neue Linien herauszukristallisieren begonnen haben, die bei einer Interpretation der Ynglinga saga zu bedenken sind. Die Frage nach einer möglichen euhemeristischen Darstellung gilt es dabei neu zu stellen.104
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Pesch 1996, S. 178. Bandle 1993, S. 27. Naumann 2007, S. 380. Vgl. Kap. 3.4.2.
2. Handschriftenanalyse 2.1. Codex Upsaliensis DG 11 – Eine Sammelhandschrift 2.1.1. Zum Handschriftenaufbau Soviel auch schon über die Snorra-Edda geschrieben worden ist, besteht doch über den eigentlichen Sinn und Zweck des Buches noch immer wenig Klarheit. Das liegt zum Teil daran, daß es sich aus mehreren Teilen sehr verschiedenen Charakters zusammensetzt, deren innerer Zusammenhang nicht ohne weiteres deutlich ist. […] Nach der gewöhnlichen Ansicht hat Snorri eine Poetik für Skalden verfassen wollen und die Mythen nur erzählt, um durch sie die Kenningar […] zu erklären. Diese Auffassung trifft gewiß für den zweiten Teil der Edda, die Skáldskaparmál zu, kaum jedoch für den ersten, die Gylfaginning. In ihr wird über die Kenningar nicht gehandelt, überhaupt auf die Sprache der Skalden kein Bezug genommen, die Mythen dienen nicht zur Erläuterung oder Veranschaulichung sprachlicher Erscheinungen. […] Die Gylfaginning muß so als durchaus selbständiger Teil der Edda betrachtet werden.1
Mit diesen Worten leitete Walter Baetke 1950 seine Abhandlung zur „Götterlehre der Snorra-Edda“ ein. Doch blieb seine bemerkenswerte Einschätzung in späterer Forschung unberücksichtigt, wurde die Einstufung der Snorra-Edda als Skaldenlehrbuch selten hinterfragt (s.o.). Nicht unwesentlichen Anteil daran hatte in jüngerer Zeit Margaret Clunies Ross: „My general conclusions have been that Skáldskaparmál is closley linked to Gylfaginning and the Prologue, and that all parts form a unity both on a structural level and in terms of content“2 – diese Feststellung beeinflusst die Forschung noch heute, wie regelmäßige Verweise belegen. Clunies Ross’ weitere Beurteilung scheint indessen weniger beachtet worden zu sein: I agree with earlier writers that there is a practical dimension to the Edda and that one of Snorri’s aims was to give a comprehensive account of the language of skaldic poetry. However, this aim seems to have been coexistent with and
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Baetke 1950, S. 3 f. Clunies Ross 1987, S. 20.
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Handschriftenanalyse
sometimes subordinate to a desire to show how the language of early Icelandic poetry expressed the basic tents of the pre-Christian Scandinavian religion and represented a serious attempt to understand the basis principles of the cosmos.3
1818 notierte Rasmus Rask im Vorwort seiner Snorra-Edda-Ausgabe: Höfundur Gylfaginníngar þykir mér hafa ætlað að útlista guðafræði fornmanna að svo miklu leiti sem siðsemi leyfði. Sá sem ritaði Bragaræður hefir ætlað að bæta því við, sem honum hefir þótt vanta, og eigi bundizt að inna klám þat allt, sem hinn fyrsti höfundr sneiddi hjá. Þetta er Snorra-Edda eginliga svo kölluð. Enn af því hér var einnig sagt frá uppruna skáldskaparins, og hin forna guðafræði yfirhöfuð, eptir það kristin var lögtekin, einúngis vegna skáldskaparins var álitin þolandi og verð að þeckja; þá hefir komið þriðja eiganda í hug, að þessi guðafræðibók (Edda) væri ágætr stofn undir skáldskaparfræði.4
Die Skáldskaparmál waren nach Rasks Überzeugung nicht ursprünglicher Teil einer guðafræðibók, eines ‚Götterlehrbuchs‘; in diesem sei nur die Gylfaginning von Snorri konzipiert gewesen. Diese These mag auch Baetke in seiner Abhandlung beeinflusst haben. Schon nach erstem Vergleich der U-Gylfaginning mit der Fassung von RTW drängt sich die Vermutung auf, der gemeine Text sei stilistisch redigiert worden.5 Tendenzen dazu lassen sich möglicherweise auch in Skáldskaparmál und Háttatal fassen.6 Diese Beobachtung hat bereits die frühe Forschung dazu verleitet, die überlieferten Handschriftenfassungen in eine chronologische Ordnung zu bringen, in der U das älteste Glied darstelle; so notierte schon Eugen Mogk: Habe ich eine wohlgeordnete vorlage vor mir und will diese in kürzerer fassung wiedergeben, so ist man doch in der kürzung consequent oder gibt das kürzer
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Clunies Ross 1987, S. 20. Snorra Edda ásamt Skálda og þarmeð fylgjandi ritgjörðum (hrsg. von Rasmus Rask), S. 5 (‚es scheint mir, als habe der Verfasser der Gylfaginning danach gestrebt, die alte Götterlehre so weit zu skizzieren, wie die Moral es erlaubte. Derjenige, der die Bragaræður verfasste, wollte das hinzufügen, was ihm zu fehlen schien, und hat sich nicht gescheut, die ganzen Zoten darzulegen, denen der erste Verfasser auswich. Dies ist die eigentlich so genannte Snorra-Edda. Aber weil hier auch vom Ursprung der Skaldik erzählt wurde, und, nachdem das Christentum gesetzlich angenommen worden war, die alte Götterlehre überhaupt nur wegen der Skaldenkunst als erträglich und wert verstanden zu werden angesehen wurde, da ist dem dritten Besitzer die Idee gekommen, dass dieses Buch der Götterlehre bemerkenswerter Bestandteil der Skaldenlehre war‘). Vgl. auch Snorri Sturluson. Edda. Prologue and Gylfaginning (hrsg. von Anthony Faulkes), S. xxx. Vgl. Marold 1995.
Codex Upsaliensis DG 11 – Eine Sammelhandschrift
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wieder, wofür man kein besonderes interesse hat oder macht sich nur einen auszug. Keine von diesen möglichkeiten passt für U. Diese abschrift geht vielmehr auf eine vorlage zurück, die im cod. R – diesen will ich hier nur als Vertreter des gemeinen textes dem cod. U gegenüberstellen – eine Überarbeitung und neuordnung gefunden hat.7
In ähnliche Richtung tendierte in den 1940er Jahren Friedrich Müller: „Kaum vorstellbar, daß ein Redaktor etwa Wortstellung, Numerus- und Tempuswahl seiner Vorlage geändert haben sollte, wenn er damit nicht eine bestimmte Absicht gehabt hätte.“8 Ein bemerkenswerte Einschätzung, die doch bereits in Rask eine Gegenstimme gefunden hatte.9 Auf Müller geht auch die nie entkräftete These zurück, sowohl die Vorlage von U als auch von RTW stammten von Snorri selbst; im gemeinen Text glaubte Müller Spuren späteren kirchlichen Einflusses feststellen zu können.10 Jan de Vries zog seinerzeit zwar (ohne nähere Begründung) den Schluss, die Handschrift U stehe Snorris Original sicherlich nicht nahe, setzte ihre Bedeutung für die Forschung aber hoch an: Es braucht nicht näher ausgeführt zu werden, daß Snorris Originalarbeit nicht so ausgesehen haben kann. Wiewohl die Handschrift in Uppsala die älteste ist, wird sie nicht als eine ursprüngliche Fassung zu betrachten sein; sie kann aber in mancher Hinsicht wohl etwas Altes enthalten, das in der Gruppe RWT verderbt worden ist.11
Auf textkritischer Grundlage setzte sich jüngst Daniel Sävborg mit der Fragestellung auseinander: Über Vergleiche des textlichen Umfangs einzelner Passagen in Gylfaginning und Skáldskaparmál versuchte er, für U eine Blockbildung wahrscheinlich zu machen, die auf die Hand zweier Redaktoren, damit gegenüber R sekundäre Überarbeitung hindeute. Er berücksichtigte jedoch ohne überzeugende Begründung ausschließlich Prosaabschnitte und löste die überlieferten Strukturen der Texte auf: [Det] bör påminnas om de skillnader mellan Gylfaginning och Skáldskaparmál vad gäller de berättande avsnitten […]. Skáldskaparmál består rentav till
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Mogk 1925, S. 403. Müller 1941, S. 40. Nach Einschätzung Finnur Jónssons zeichnete sich der Schreiber von U durch eine schreibtechnisch sichere Hand aus, die auf entsprechende Schulung hindeutet (vgl. Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson), S. xi f.). Mogk vermutete den Aufzeichner von U in Snorris Neffen Egill So˛ lmundarson, der im Sturlungatal abschließende Erwähnung findet (Mogk 1925, S. 405). Vgl. Snorra Edda ásamt Skálda og þarmeð fylgjandi ritgjörðum (hrsg. von Rasmus Rask), S. 8 f. Müller 1941, S. 148. de Vries 1999, S. 216.
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Handschriftenanalyse
övervägande del av annat slags material än det berättande (förteckningar över kenningar, heiti, homonymer, utläggningar om poetiska omskrivningar överlag, skaldecitat m.m.). Detta didaktiska material är inte behandlat här. Det bör noteras att didaktisk text av detta slag ofta är inskjuten mellan de berättande avsnitten […].12
Entsprechend selbstkritisch musste er eingestehen: „Den olika uppläggningen i Eddas två delar gör dock att Gylfaginning och Skáldskaparmál inte är alldeles jämförbar.“13 Sävborgs grundsätzlich interessanter Beitrag bedarf somit in jedem Fall einer künftigen Präzisierung. Eine Chronologie der Snorra-Edda-Versionen – und das heißt: die Stellung der Handschrift U zur Fassung R – hat die Forschung seit langem und bis auf den heutigen Tag interessiert; es wird in dieser Debatte aber deutlich: Die Indizien sind ambivalent. Es stellt sich daher die Frage nach der Bedeutung solch relativer Verortung: Die Suche nach einer ‚Originalversion‘14 darf der Beachtung aller überlieferten Fassungen nicht im Wege stehen, und die Konzeption einer Handschrift muss nicht korrespondieren mit Vor- oder Nachstellung im Vergleich zu anderen Handschriften. Wer von vornherein über chronologische Hypothesen filtert, der schränkt sein Blickfeld ein. Zum Aufbau von U: Zwischen Gylfaginning und Skáldskaparmál sind von gleicher Hand eingeschoben die so genannten Bragaræður (die Reden des Dichtergotts Bragi), das Skáldatal (ein Skaldenverzeichnis), die Ættartala Sturlunga (eine Genealogie des Sturlungen-Geschlechts) und das Lo˛ gso˛ gumannatal (ein Verzeichnis der isländischen Gesetzessprecher); vor dem Háttatal findet sich eine Version des Zweiten Grammatischen Traktats.15 Der Beginn der Skáldskaparmál wird in U markiert durch die – dieser Handschrift eigene – Rubrik (c. 37): her hefr skalldskapar mal ok heiti margra hlvta.16 Skáldskaparmál, Háttatal und Skáldatal bezeugen Interesse an der Dichtkunst, und der Zweite Grammatische Traktat hat ebenfalls
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Sävborg 2012, S. 40 (‚es muss an die Unterschiede zwischen Gylfaginning und Skáldskaparmál erinnert werden, die die erzählenden Abschnitte betreffen. Die Skáldskaparmál bestehen nämlich zum größten Teil aus anderem Material als dem erzählenden (Verzeichnisse von Kenningar, Heiti, Homonyme, Darstellungen poetischer Umschreibungen überhaupt, Skaldenzitate etc.). Dieses didaktische Material ist hier nicht behandelt. Es sei notiert, dass didaktischer Text dieser Art oft eingeschoben ist zwischen die erzählenden Abschnitte‘). Sävborg 2012, S. 40 (‚der unterschiedliche Aufbau der beiden Edda-Teile bedingt jedoch, dass Gylfaginning und Skáldskaparmál nicht durchweg vergleichbar sind‘). Vgl. auch Guðrún Nordal 2001, S. 43 f. Vgl. Kap. 6.1. Zwischen Traktat und Háttatal ist ein weiterer kurzer Text in ‚Geheimschrift‘ eingefügt (vgl. Grape 1977, S. 170 f.). ‚Hier beginnt die Sprache der Dichtkunst und die Benennung vieler Dinge.‘
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unmittelbaren Bezug zur nordischen Sprache.17 Doch wirft der Traktat auch Fragen auf: Seine Überschrift (her segir af setningo hatta lyckilsins)18 steht nicht zu Anfang des Textes auf der neuen Seite, sondern am Ende der vorherigen – sollte hier eine Verbindung mit den vorangehenden Skáldskaparmál geschaffen werden? Inhaltlich scheint der Traktat eher zur folgenden kurzen Einleitung des Háttatal zu gehören, von der er aber ebenfalls durch Seitenwechsel getrennt ist. Die Gylfaginning fügt sich in ein Dichtungskonzept ebenso wenig wie der Formáli und die weiteren Einschübe: Die Konstruktion der Gylfaginning mit mehreren Erzählebenen, mit irdischen und göttlichen Asen, einer berichtenden Dreiheit (Hár, Jafnhár, Þriði) und einem kritisch fragenden Gylfi ist viel zu komplex, als dass man an bloßes Beiwerk zur Erklärung der Dichtersprache denken kann; das betonte schon Baetke (s.o.). Offenkundige Verbindung der Ættartala Sturlunga zur Skaldik liegt ebenfalls nicht vor und das Lo˛ gso˛ gumannatal ist zwar mit Snorri verbunden, nicht aber mit der Dichtkunst – beide Einschübe sind vielmehr zu verstehen als Zeugnis der Errungenschaften und des Selbstverständnisses einer herrschenden Sippe.19 Die Bragaræður finden sich in abweichender Form auch in RTW, allerdings sind die Þórr-Mythen dort weit nach hinten verschoben (c. 25 bis 27). Daniel Sävborg verwies darauf, dass in U der Mythos von Þórr und Hrungnir mit den Worten nv skal segia af hverio þær keningar ero er aþr ero dæmi savgþ 20 eingeleitet würde, diese Beispiele jedoch noch gar nicht erwähnt worden seien – anders als in RTW; bereits Eugen Mogk notierte das.21 Diesen fehlerhaften Verweis sah Sävborg als Beleg für eine sekundäre Stellung der Fassung U; Mogk hingegen hielt dies im Gegenteil „für ganz ausgeschlossen“.22 Doch muss die Platzierung der Þórr-Mythen auch in RTW hinterfragt werden, wenn dort zusammenhanglos Ægir und Bragi als 17 18 19
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Vgl. Braunmüller 1995; Guðrún Nordal 2001, S. 51 ff. ‚Hier wird erzählt von der Art und Weise der Versarten.‘ Vgl. Guðrún Nordal 2001, S. 54 f.; vgl. auch Krömmelbein 1992a, S. 123: „The insertion of Skáldatal, Ættartala Sturlunga, and Lögsögumannatal serves to emphasize three further aspects of Snorri’s achievements: his social position as skald at the Norwegian Court, his position in the Sturlung family, and finally his position in Icelandic society.“ Eugen Mogk verwies auf die fehlenden Jahreszahlen von Snorris zweiter Amtszeit: „Hieraus schließe ich, daß das verzeichnis während der amtstätigkeit Snorris, also zwischen 1222 und 1231 entstanden ist, also in den jahren, in die man allgemein die schriftstellerische tätigkeit Snorris zu setzen pflegt“ (Mogk 1925, S. 404). ‚Nun soll erzählt werden, warum es die Kenningar gibt, zu denen vorher Beispiele genannt wurden.‘ Sävborg 2009b, S. 840; Mogk 1925, S. 409. Mogk 1925, S. 411 f.
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Handschriftenanalyse
Gesprächspartner auftauchen – deren Dialog (gekennzeichnet durch Phrasen wie Bragi segir und Ægir spyr) erstreckt sich ansonsten auch in RTW nur auf die Bragaræður selbst;23 darin unterscheiden sich diese beiden Mythen auch von weiteren Prosaeinschüben der Skáldskaparmál. Die Erklärung muss darin liegen, dass die Platzierung dieser Passagen auch in den Skáldskaparmál von RTW nicht ursprünglich ist.24 Die unterschiedliche Positionierung beruht vermutlich auf abweichender Komposition: In RTW schließen sich an die Saga Þórs ok Hrungnis sieben Strophen aus der Haustlo˛ng an,25 die folgende Erzählung Frá Geirro˛ ð jo˛ tni ok Þór wird von der neunzehn Strophen umfassenden Þórsdrápa abgeschlossen. Beide Gedichte fehlen in U; es hat sich bei diesen Strophen offenbar um Material gehandelt, das nur dem Redaktor von RTW vorlag. Die dortige Verknüpfung mit kenningreichen Skaldenstrophen kann in einem nächsten Schritt aber bedingt haben, dass die Episoden aus dem Kontext der Bragaræður gelöst und in den Abschnitt der Götterkenningar der Skáldskaparmál verschoben wurden. Das gilt auch für die wenigen weiteren Prosaepisoden die an späterer Stelle in die Skáldskaparmál eingefügt wurden: Sie sind dort fest in den thematischen Kontext umgebender Skaldenstrophen integriert. Ohne solchen Strophenanhang hingegen fügen sie sich, wie U zeigt, stimmiger zum Dichtermet- und Þjazimythos in den Bragaræður, die sich in ihrem mythographischen Charakter an der Gylfaginning orientieren. 23
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Margaret Clunies Ross entging dieser Umstand: „Skáldskaparmál has a parallel structure to Gylfaginning, consisting of a narrative frame which also serves as the locus of dialogue and embedded discourses of several types. […] There is no doubt, however, that the frame as dialogue serves as the mechanism which enables information about skaldic poetry and examples of the art to be laid out in the body of the text in an organic fashion“ (Clunies Ross 1986, S. 58; vgl. auch McTurk 2002, S. 218 ff.). Kevin Wanners These, der Bruch in der Darstellung zwischen Bragaræður und Skáldskaparmál sei nicht abgeschlossener Überarbeitung geschuldet, führt nicht weiter (Wanner 2008, S. 135); in ähnliche Richtung tendierte indessen bereits Finnur Jónsson (Snorri Sturluson. Edda (hrsg. von Finnur Jónsson), S. iii). Friedrich Müller betonte: „Die Placierung der Thorsmythen in U im Zusammenhang der Bragaræður macht es außerdem undenkbar, daß Bragaræður und Eptirmáli i in der Form, wie wir sie jetzt in U vor uns haben, kompositorisch ein Glied der Skáldskaparmál gebildet haben könnten“ (Müller 1941, S. 85). Bereits Peter Müller notierte: „In beyden Stücken ist überdies die Behandlungsart gar sehr verschieden“ (Müller 1811, S. 63). Und auch Alois Wolf sprach im Zusammenhang von der „Inkonsequenz der Skáldskaparmál“ (Wolf 1977, S. 1). Vgl. auch Snorri Sturluson. Edda. Skáldskaparmál (hrsg. von Anthony Faulkes), S. xix. Wenn Sävborg jüngst zur vermeintlichen Vorrangstellung des gemeinen Textes resümierte: „Inga indicier har pekat på motsatsen“ (Sävborg 2012, S. 48; ‚keinerlei Indizien haben das Gegenteil angedeutet‘), dann ignorierte er diesen Umstand. Vgl. auch Lindow 1996.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Bragaræður in U sind als eigenständiger Teil konzipiert, der den Schwerpunkt auf solche Mythen legt, die in der Gylfaginning nicht erzählt wurden. Ein Mythos ist die Erzählung zum Dichtermet, die Snorri einen kurzen Exkurs zur Dichtkunst erlaubt (s.u.). Spätestens mit den folgenden Mythen zu Þórr wird dieser skaldische Bereich aber wieder verlassen. Man könnte vermuten: Snorri hat sich hier im ersten Entwurf auch einer Präsentation der Skaldik genähert, dabei aber unter Eindruck der Gylfaginning seinen Blick auf Göttermythen konzentriert. 2.1.2. Zum Verhältnis von Skáldskaparmál und Edda Die hoch- und spätmittelalterliche Rezeption des vermeintlichen Skaldenlehrbuchs ‚Snorra-Edda‘ zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass dessen Teile voneinander gelöst, umgestellt und umfangreicher bearbeitet wurden. Eugen Mogk hielt im Fazit seiner Untersuchung zum Codex Upsaliensis fest: Aus alledem geht hervor, daß der archetypus ein sammelwerk gewesen ist, dem noch die ordnung gefehlt hat. Dieses ist in der familie Snorris erhalten geblieben und liegt in einer etwas späteren abschrift im cod. U vor […]. In diese sammlung hat man später ordnung zu bringen gesucht, hat verschiedene teile ausgemerzt, neues eingefügt und den stoff ergänzt.26
Eine ursprüngliche Trennung der Einzeltexte lässt sich in U anhand mehrerer Eigenheiten wahrscheinlich machen. Bereits Friedrich Müller verwies darauf, die Skáldskaparmál seien dort nicht nur durch separate Vorrede und eigene Rubrik eingeleitet, sondern würden gar mit einer neuen Lage (der vierten) beginnen – allein die Bindung knüpft sie an die vorausgehenden Lagen und deren Inhalte. Müllers einleuchtende Schlussfolgerung: Um zu betonen, daß es sich bei den Skáldskaparmál um etwas wesentlich Neues handelt, begann der Schreiber von U dieselben mit einer neuen Lage. Die Seiten 43–49 füllte er, um sie irgendwie auszunützen, mit den erwähnten Registern.27
Eine solche Abgliederung würde die eigenständige Konzeption der Gylfaginning nochmals betonen. In welcher Reihenfolge der Schreiber von U die einzelnen Texte niederschrieb und wie viel Zeit zwischen ihrer jeweiligen Niederschrift verging, lässt sich nicht sicher sagen. Eine interessante Entdeckung machte jedoch kürzlich Guðvarður Már Gunnlaugsson: Handritið sjálft er dálítið merkilegt á þessum stað. Eins og áður segir hefur skrifarinn skilið bl. 26v [d.i. die letzte Seite der Lage vor den Skáldskaparmál] eftir autt – seinna hafa svo verið dregnar myndir af Ganglera, Háum, Jafnháum og 26 27
Mogk 1925, S. 413. Müller 1941, S. 104.
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Handschriftenanalyse
Þriðja á þessa síðu – en það sem vekur athygli er hve máð hún er og óhrein. Hún lítur nefnilega út fyrir að hafa verið ysta blað handritsins um hríð og verið óvarin (hver lengi er algjörlega óvíst). Getur verið að þessi hluti handritsins (26 bl. eða þrjú kver) hafi legið lengi óbundinn áður en afgangnum (30 bl. eða fjórum kverum) ver skellt aftan við og bókin bundin inn? Fremsta blaðsíða handritsins er einnig dökk og máð.28
Indizien können auch solche Handschriften liefern, die nur Ausschnitte des Gesamtwerks überliefern. AM 757 a4to (B, ca. 1400) enthält eine Fassung der Skáldskaparmál, in der es heißt: sua segir j bók þeirri sem edda heiter at sa maðr sem êgir het spurðe braga skalld meðal annarra hluta – auch der folgende Text rekurriert auf die Bragaræður.29 Wenig später findet sich die erneute Feststellung: […] suo sem skrifat finnz j fyrsta capitula greindrar bókar, þar sem segir af skipan himins ok jarðar ok allra hluta er þeim fylgia. Þar segir ok af þvi er mannfolkit villtiz sua at j vpphafe heimsbygðarennar kunno faer menn deile a sinum skapara.30
Hier wird Bezug genommen auf den Formáli. Der Schreiber von B unterschied somit zwei getrennte Werke: Die Skáldskaparmál einerseits, ein Buch ‚Edda‘ – mit zumindest Formáli und Bragaræður – andererseits.31
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Guðvarður Már Gunnlaugsson 2009, S. 345 (‚die Handschrift selbst ist etwas merkwürdig an dieser Stelle. Wie bereits erwähnt, ließ der Schreiber Blatt 26v leer – später wurden dann Bilder von Gangleri, Hár, Jafnhár und Þriði auf dieser Seite gezeichnet; Beachtung verdient aber, wie abgenutzt und schmutzig sie ist. Sie sieht aus, als sei sie eine Zeit lang das äußerste Blatt einer Handschrift gewesen und ungeschützt (wie lange, ist völlig ungewiss). Könnte es sein, dass dieser Teil der Handschrift (26 Blätter oder drei Lagen) lange ungebunden herumgelegen hat, bevor der Rest (30 Blätter oder vier Lagen) hinten angeschlossen und das Buch gebunden wurde? Die vorderste Seite der Handschrift ist ebenfalls dunkel und abgenutzt‘). Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Jón Sigurðsson), Bd. 2, S. 532 (‚so wird erzählt in dem Buch, das Edda heißt, dass der Mann, der Ægir hieß, den Skalden Bragi neben anderen Dingen fragte, […]‘). Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Jón Sigurðsson), Bd. 2, S. 533 (‚so wie es geschrieben steht im ersten Kapitel des genannten Buches, wo berichtet wird von der Anordnung von Himmel und Erde und aller Dinge, die ihnen folgen. Dort wird auch davon erzählt, wie die Menschen verwirrt wurden, so dass zu Beginn der Besiedlung der Welt nur wenige Menschen über ihren Schöpfer Bescheid wussten‘). Siegfried Gutenbrunner notiert seinerzeit in Bezug auf U: „Von den drei Teilen der Snorra Edda werden der zweite und dritte mit ihren Namen angeführt (Skaldskaparmal und Hattatal), der erste aber nur mit der Angabe seines Inhalts (frá ásum ok Ymi). Das macht die Vermutung rege, daß der erste Teil eine ‚Edda‘ im engeren Sinne des Wortes war, daß also das ganze von Snorri verfaßte Buch nach seinem ersten Teil benannt wurde. In der Handschrift U hat dieser erste Teil allerdings die Überschrift hér hefr Gylfaginning, was sich auf die Rahmenerzählung von Gylfi bezieht. Da
Codex Upsaliensis DG 11 – Eine Sammelhandschrift
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Bemerkenswert: In derselben Lage der Skáldskaparmál in B sind auch der Anfang des Dritten Grammatischen Traktats, Teile der Litla Skálda und eine Liste mit Þulur überliefert. Während die weiteren Lagen religiöse Gedichte enthalten, hat diese Lage somit den Charakter einer Abhandlung zur Dichtkunst – ähnlich dem Komplex Skáldskaparmál, Zweiter Grammatischer Traktat und Háttatal in U. In AM 748 ib4to (A, ca. 1300–1325) sind die Skáldskaparmál ebenfalls kombiniert mit der Litla Skálda, dem Dritten Grammatischen Traktat, dem Ende des so genannten Fünften Grammatischen Traktats und abermals einer umfangreichen Liste an Þulur. In AM 748 ii4to (C, ca. 1400) sind die Skáldskaparmál wiederum bereichert durch Þulur. Die Handschriften, die die Skáldskarparmál überliefern, stellen sich im Überblick somit folgendermaßen dar (T als späte Abschrift wird nicht aufgeführt):32 Tabelle 1. Handschriftenaufbau U
R
W33
Skáldskaparmál
Skáldskaparmál
Skáldskaparmál
2. GT
–
1.–4. GT
–
Þulur
–
–
–
–
Háttatal
Háttatal
Háttatal
A
B
C
Skáldskaparmál
Skáldskaparmál
Skáldskaparmál
3.+5. GT
3. GT
–
Þulur
Þulur
Þulur
Litla Skálda
Litla Skálda
–
–
–
–
GT: Grammatischer Traktat
32 33
jedoch Snorris Arbeit doch wohl das Schlußglied einer längeren Überlieferung ist, wird durch den Namen Gylfaginning die Annahme nicht unmöglich gemacht, daß dieses Stück in einer älteren Fassung einmal Edda schlechtweg geheißen habe“ (Gutenbrunner 1942, S. 276; vgl. auch Faulkes 1977, S. 32; Liberman 1996 und 1997). Vgl. Guðrun Nordal 2001, S. 45. Karl G. Johansson verwies darauf, zwischen dem Ende des Vierten Traktats und den folgenden Teilen Háttatal, Rígsþula und ókennd heiti befände sich eine leere Seite. Er vermutete, diese Abschnitte stellten ursprünglich eine eigenständige Kompilation dar ( Johansson 1997, S. 241).
32
Handschriftenanalyse
Die Skáldskaparmál haben in allen Versionen redaktionelle Eingriffe erfahren und sind mehrfach separat von der Gylfaginning überliefert – das spricht dafür, dass sie im Mittelalter als eigenständiger Teil verstanden wurden.34 Zwar finden sich auch in den Bragaræður Verweise auf die Dichtkunst, doch sind diese im Kontext der dortigen Mythenerzählungen zu verstehen, wenn Bragi am Ende des Þjazi-Mythos in allen Handschriften festhält: er nv gvllit kallat mvntal iotna.35 Dieser Nachtrag muss als darstellungstechnische Ergänzung Snorris verstanden werden, veranlasst er doch Ægir, sich nach dem Ursprung der Dichtersprache zu erkundigen (hvaþan af kom skalldskaprinn)36 und motiviert damit die Erzählung zum Mythos vom Dichtermet: her segir fra þvi at æsir sato at heimboþi at ægis ok han spvrþi braga hvaþan af kom skalldskaprinn. fra þvi er quasir var skapaþr.37 Diese Aussage macht auch deutlich, dass die folgenden Ausführungen noch dem Gespräch zwischen Bragi und Ægir zugeordnet sind. Allein der kurze Abschnitt her segir hverso skilia skal skalldskap 38 tangiert die Theorie der Skaldik, ist aber integriert in die Gesprächssituation, in der Bragi (und hinter ihm darf man hier Snorri sehen) mit der Aussage schließt: En þat er at segia vngvm skalldvm er girnaz at nema skalldskapar mal. ok heyja ser orþfiolþa með fornvm heitvm eða skilia þat er hvlit er ort þa skili hann þessa bok til skemtanar. en ecki er at gleyma. eða osanna þessar frasagnir eða taka or skalldskapnvm fornar kenningar er havfvþ skalldin hava ser lika latið. en eigi skvlo cristnir men trva ne a sannaz at sva havi verit.39
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35 36 37
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Vgl. auch Sverrir Tómasson 2009, S. 671: „Þessi skipan leyfir þá ályktun að strax í upphafi 14. aldar ríki tvenns konar textahefð: annars vegar sú sem hefur efnisskipan líka því sem er i Wormsbók, Konungsbók og Uppsalabók, hins vegar sú sem hefur aðeins Skáldskaparmál med ritgerðum er skýra eiga efnið“ (‚diese Anordnung erlaubt die Schlussfolgerung, dass unmittelbar zu Beginn des 14. Jahrhunderts zwei Texttraditionen herrschten: die eine, die einen Inhalt wie Wormianus, Regius und Upsaliensis hat, die andere, die nur die Skáldskaparmál hat, mit Textteilen, die das Thema nicht berühren‘). ‚Und nun wird Gold Rede der Riesen genannt.‘ ‚Woher kommt die Dichtkunst?‘ ‚Hier wird davon berichtet, wie die Asen zum Gelage bei Ægir saßen und dieser Bragi fragte, woher die Dichtkunst käme. Und davon, wie Kvasir geschaffen wurde.‘ Die folgende Aussage her hefr miok setning skallðskapar (‚hier beginnt umfangreich die Regelung der Dichtkunst‘) trifft allerdings nur bedingt zu – eine theoretische Erörterung der Dichtkunst erfolgt nicht. ‚Hier wird gesagt, wie die Dichtkunst zu verstehen ist.‘ ‚Und das ist jungen Skalden zu sagen, die danach streben, die Skaldenkunst zu lernen und sich einen Wortschatz anzueignen mit alten Benennungen oder das zu verstehen, was verborgen gedichtet wurde, da verstehe er dieses Buch zur Unterhaltung. Und nicht sind zu vergessen oder zu entkräften diese Erzählungen oder sind
Zum Verhältnis von Formáli, Gylfaginning und Ynglinga saga
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In allen Handschriften findet sich in dieser Bemerkung die Formulierung þessa bók (in U fehlt allerdings der Hinweis auf den Anfang des Buches). Die Forschung tendiert dazu, mit bók die Snorra-Edda in ihrer Gesamtheit zu fassen, doch wird etwa in AM 757 a4to mit bók ein Werk bezeichnet, in dem die Skáldskaparmál nicht Bestandteil waren (s.o.). Die RTW-Ergänzung er sagt er fra atbvrþvm þeim er maNfolkit viltiz fra retti trv 40 deutet darauf hin, dass unter upphaf der Anfang des Formáli zu verstehen ist; Finnur Jónsson kennzeichnete diesen Zusatz allerdings als Interpolation.41 Worin die in RTW angesprochene Erklärung (aNan veg en sva sem her fiNz ivphafi bokar)42 liegen soll, darüber herrscht in der Forschung keine Einigkeit. Es wird hinter dieser abschließenden Bemerkung aber der Anspruch Snorris greifbar, seinem Publikum den rechten Weg im Umgang mit der paganen Überlieferung aufzuzeigen – einer Interpretation der Gylfaginning kommt damit dezidiert Bedeutung für die Beurteilung seines religionsgeschichtlichen Verständnisses zu. Die nachfolgenden Ausführungen in RTW (þa næst fra Tyrkivm hvernig Asia menn þeir er æsir erv kallaþir favlsvþv frasagnir þær fra þeim tiþindvm er gerþvz iTroio til þes at landfolkit skyldi trva þa gvð vera)43 leiten einen Antikenexkurs ein, den so genannten Eptirmáli ii. Seit Finnur Jónsson wird nicht daran gezweifelt, dass es sich um Interpolation handelt, die nicht auf Snorri zurückgeht: „Der kan ingen tvivl være om, at alt dette er indskud i Snorres tekst.“44 Doch illustriert dieser Nachtrag eine Deutungstendenz, die in der Gylfaginning versionsbedingt fassbar wird; das folgende Kapitel wird dies präzisieren.
2.2. Zum Verhältnis von Formáli, Gylfaginning und Ynglinga saga In den vorausgegangenen Betrachtungen wurde mehrfach auf den Formáli Bezug genommen; in seiner Beurteilung zeigt sich die Forschung
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44
Kenningar aus der Dichtung zu lösen, die die Hauptskalden sich haben gefallen lassen. Und nicht sollen Christen glauben, dass es wahrhaftig so gewesen ist.‘ Vgl. Kap. 3.4.1.2. ‚Wo von den Ereignissen erzählt wird, als die Menschen vom rechten Glauben abirrten.‘ Vgl. Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson), S. 86. ‚Auf andere Weise als es sich hier zu Anfang des Buches findet.‘ ‚Danach von den Türken; wie die Asienleute, die Asen genannt werden, Geschichten von den Ereignissen, die in Troja geschehen sind, verfälschten, damit die Bevölkerung des Landes glauben sollte, dass sie Götter wären.‘ Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson), S. xx (‚es kann nicht bezweifelt werden, dass all dies eingeschoben wurde in Snorris Text‘).
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Handschriftenanalyse
gespalten.45 Eine wesentliche Ursache der Problematik liegt darin, dass die einzelnen Abschnitte des Formáli nur bedingt miteinander in Verbindung zu bringen sind: Der erste Teil bietet die knappe, aber anschauliche Darstellung einer natürlichen Religion aus christlicher Perspektive.46 Der folgende Abschnitt bildet mit seinen Ausführungen zur Geographie, die über den Mittelpunkt der Welt schließlich zu den irdischen Asen führen, einen thematischen Neubeginn und damit zunächst eine Abgrenzung zum Vorhergehenden. Konzeptionelle Nähe des Formáli zu lateinischen Werken, wie Margaret Clunies Ross sie wahrscheinlich machen konnte, muss nicht bestritten werden.47 Die Frage ist jedoch, wie Ähnlichkeiten in Formulierung und Aufbau zu werten sind: Erlauben sie die Folgerung, der Verfasser des Formáli habe eben solche Konzeption vor Augen gehabt? Oder arbeitete er mit ähnelnden Versatzstücken, die – wie in Spätantike und Mittelalter üblich – Gelehrsamkeit ausdrücken und Publikumserwartungen erfüllen sollten?48 Thomas Krömmelbein hielt fest, der Formáli sei aus hoch- und spätmittelalterlicher Perspektive fester Bestandteil der Snorra-Edda gewesen und müsse als „guide to interpretation“ verstanden werden.49 Die Quellenlage über die Haupthandschriften hinaus ließ er in dieser Einschätzung aber außer Acht (s.o.). Sicherlich ist der Formáli ein möglicher Wegweiser der Interpretation – keinesfalls aber der einzige. Im Vergleich von Gylfaginning und Formáli treten Unstimmigkeiten hervor, die eine konzeptionelle Zusammengehörigkeit unwahrscheinlich werden lassen. Unvereinbarkeit beider Teile impliziert dies nicht; Wertung und Gewichtung einzelner Unterschiede sollten versionsabhängig erfolgen. Die Ynglinga saga muss in solche Betrachtung einbezogen werden, weisen ihre ersten Kapitel doch signifikante Parallelen zum Formáli auf. Von sekundärer Bedeutung hingegen ist die Frage, ob der Formáli aus Snorris Feder stammt oder nicht: Die konsequente Umsetzung eines Konzepts muss nicht an einen singulären Verfasser gekoppelt sein, wie auch das Vorhandensein unterschiedlicher Perspektiven nicht zwangsläufig mehrere Redaktoren implizieren muss. Zu den auffallenden Unterschieden zwischen Gylfaginning und Formáli zählt bekanntermaßen eine Genealogie, die Þórr als Vater Óðinns aus-
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Vgl. z.B. Faulkes 1983. Strikte Unvereinbarkeit von Formáli und Gylfaginning vertrat Klaus von See (von See 1999b). Auch Heinrich Beck sprach sich in jüngsten Aufsätzen für eine konzeptionelle Unabhängigkeit beider Teile aus (Beck 2007 und 2009). Vgl. Kap. 3.4.1. Clunies-Ross 1987, S. 162 f. Vgl. Kap. 3, FN 36. Vgl. etwa Schmale 1985, S. 143 ff.; Simek 1990, S. 229 ff. Krömmelbein 1992a, S. 115.
Zum Verhältnis von Formáli, Gylfaginning und Ynglinga saga
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weist;50 auch die Sehergabe seiner Ehefrau Sif (über Verknüpfung mit Sibill) ist sonst unbekannt. Siegfried Beyschlags These, die Gestalten des Formáli hätten für hochmittelalterliches Publikum eine „historische Wirklichkeit“ dargestellt, die Snorri in den Mythen der Gylfaginning bewusst kontrastierte, um deren fiktiven Charakter zu betonen, findet in der Überlieferung keine Stütze.51 Heinz Klingenberg vermutete, Þórr/Trór sei als Zeitgenosse und Verwandter des Aeneas kreiert worden (über einen gemeinsamen Vorfahren Trōs); den Namen Trór verstand er als asische Variante des nordischen Þórr, entstanden unter Einfluss von Trōs. Klingenberg versuchte, Parallelen zwischen Formáli und Vergils Aeneis wahrscheinlich zu machen: Wenige Prosasätze skizzieren eine gedanklich konzipierte, nordgermanisch orientierte ‚Asia und Aenea oder Europa‘ nach dem Fall Trojas, einen ersten Teil Altisländischer Gelehrter Urgeschichte. Wenige Worte stellen dem dynastischen Stammvater der römischen Urgeschichte eine vergleichbare Anfangsgestalt zur Seite. […] Der Prolog-Verfasser bietet anspruchsvolle literarische Produktion in Gestalt komprimierter Aeneis-Rezeption – so komprimiert, daß meines Erachtens von direkter Benutzung Vergils auszugehen ist.52
Die Antikenanknüpfung des Formáli muss aber im Vergleich der unterschiedlichen Handschriften betrachtet werden. In RTW wird Þórr/Trór ein Reich Thrakien53 zugesprochen, das er durch Mord an seinem Ziehvater, Herzog Lorikus, übernimmt ( þá drap hann Lóríkúm hertoga, fóstra sinn); es wird mit Þórrs Herrschaftsgebiet Þrúðheim identifiziert. In U jedoch fehlt die Erzählung um Þórrs Ziehvater: þa var hann xii vetra er hann hafþi fvllt afl sitt. þa lypti hann af iorþv x biarnstokvm senn.54 Der Text in U bleibt im Folgenden dennoch schlüssig – einer Aeneas-Parallele kommt im Gesamtbild der Überlieferung keine primäre Bedeutung zu; sie wäre, wie der Antikenexkurs Eptirmáli ii, dem Bestreben eines Redaktors nach Aufwertung der nordischen Geschichte entsprungen.55 50 51 52
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Vgl. auch Lassen 2011, S. 273 ff. Beyschlag 1954. Klingenberg 1992, S. 47 f. Skeptischer zeigte sich Anthony Faulkes: „The beginning of the genealogy in the prologue seems to have been constructed from names chosen arbitrarily from various learned writings“ (Faulkes 1978, S. 101). Vgl. Simek 1990, S. 210. ‚Im Alter von zwölf Jahren war er im Vollbesitz seiner Kräfte. Da hob er zehn Bärenspieße [s.u.] gleichzeitig vom Boden auf.‘ Klingenbergs Deutung basierte auch auf einer Übersetzung von bjarnsto˛ kum mit ‚Bärenspieße‘; er sah hier die Anspielung auf Aeneas (Klingenberg 1992, S. 33); Fritzner übersetzte bjarnstaka hingegen unter Verweis auf die Snorra-Edda mit ‚Bärenfell‘ (Ordbog over Det gamle norske Sprog, s.v. bjarnstaka); vgl. auch Altnordi-
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Handschriftenanalyse
RTW vollziehen im Formáli die Verknüpfung von Troja mit Tyrkland (nær miðri vero˛ ldunni var go˛ rt þat hús ok herbergi er ágætast hefir verit, er kalla er Trója, þar sem vér ko˛ llum Tyrkland (c. 3));56 von dort habe Óðinn seine Fahrt gen Norden begonnen (byria ferþ sina af Tyrklandi (c. 4)). U stellt mit der Aussage þar var sett roma borg, er ver kavllvm troio 57 (c. 3) eine andere Gleichung auf, kennt Tyrkland nicht.58 Eine Troja-Konzeption, die in allen Formáli-Versionen Umsetzung findet, ist somit zu trennen von einer Thrakien-/Tyrkland-Idee, die nur der RTW-Redaktor kannte.59 Durch Zusammenstellung von Tyrkland und Troja wurde ersteres aber deutlich aufgewertet. In RTW findet sich auch in der Gylfaginning eine formelhafte Erwähnung Trojas: þar næst gerþv þeir sér borg imiþivm heimi er kallvð er Asgarðr. Þat kavllvm ver troia (c. 6).60 Die Formulierung í miðjum heimi hat ihre Entsprechung wiederum im Formáli (s.o.). Der Redaktor von RTW wollte das Formálikonzept offenbar auf die Gylfaginning übertragen; eine Interpolation nahm bereits Finnur Jónsson an. Dafür spricht auch der Eptirmáli ii des gemeinen Texts, der nordische Geschichte mit trojanischen Ereignissen in Relation setzt.61 Die Motivation wird abermals im Wunsch
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sches etymologisches Wörterbuch, s.v. staka. Der Text von U macht unmissverständlich deutlich, worauf die Aussage þa lypti hann af iorþv x biarnstokvm senn zu beziehen ist: auf die vorausgehende Konstatierung, Trór habe im Alter von zwölf Jahren körperlich ein Maximum erreicht – eine Kraft-, vielleicht auch eine Mutprobe (vgl. auch Schjødt 2007b, S. 145 f.). ‚Nahe der Mitte der Welt wurde die Stadt [wörtlich: das Gehöft und die Wohnstätte] gegründet, die die berühmteste war und Troja hieß, dort, wo wir es Tyrkland nennen‘; vgl. auch Faulkes 1978, S. 115. ‚Dort wurde Rom gegründet, das wir Troja nennen/wo wir es Troja nennen.‘ Die Ansprache Trojas als Stadt der Römer mag in abweichenden Mittelpunktsvorstellungen begründet liegen. Vgl. auch Faulkes: „Whether or not the references to Troy were included by Snorri, whoever wrote them had a very inadequate understanding of the Troy story. They are full of misunderstandings and mistakes, and the writer does not seem to know much of the actual events that were narrated in the Medieval Latin versions of Homer and in the Norse Trójumanna saga. It is likely that he had heard a somewhat garbled account of it, but had not actually read any version of the story himself“ (Faulkes 1993, S. 2). Vgl. auch Beck 1994, S. 55: „Die Heimlýsing (Erdkunde), von Finnur Jónsson auf ca. 1200 datiert, setzt den Japhetsohn Tiras, der Trakia bewohnte, als Stammvater der Tyrkir an. Bei Isidor heißt es von diesem Japhet: Thiras, ex quo Thraces; quorum non satis inmutatum vocabulum est, quasi Tiraces. Die Traces = Tiraces-Gleichung kommt im Norden also – letztlich – als Tyrkir-Gleichung an.“ ‚Danach bauten sie sich die Burg in der Mitte der Welt, die Ásgarðr heißt. Die nennen wir Troja.‘ Vgl. Beck 1998.
Zum Verhältnis von Formáli, Gylfaginning und Ynglinga saga
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nach Aufwertung der nordischen Kultur gelegen haben, doch zeichnet sich diese Verknüpfung durch „a strange mixture of genuine tradition and fantasy or ignorance“ aus.62 In RTW bedingt dies auch Diskrepanzen, wenn im Formáli Þórr mit einem antiken Trór, Enkel des Priamos, gleichgesetzt wird, im Rahmenschluss der Gylfaginning aber eine Gleichung O ˛ ku-Þórr = Hector aufgestellt wird. Heinrich Beck merkte an: Ist hier in U wirklich ein ‚planloses Textkürzen‘ zu unterstellen, dem selbst ein so gewichtiger Verweis, wie der auf Ektor, zum Opfer gefallen sein sollte? Angesichts des völligen Fehlens der Tyrkir/Tyrkland/Troia- und der ThrakiaVerweise in U kann von Planlosigkeit nicht die Rede sein (selbst dann, wenn man der Kürzungsthese anhängen wollte). […] Die Hypothese, daß die U-Version ein Kürzungsprodukt darstellt, das den prosaischen Text des gemeinen Textes durchgängig dezimiert hätte, ist durchaus eine offene Frage […] – die Alternative spräche für eine ursprünglichere Version, die auch als authentischer zu gelten hätte.63
Eine weitere Untersuchungsebene eröffnet die Ynglinga saga, die Bezüge zum Formáli aufweist. Ihre Darstellung ist ausführlicher, stimmiger im Detail; es hat den Anschein, als seien Teile des Formáli erst unter ihrem Einfluss entstanden. So erfüllt Tyrkland in der Ynglinga saga als Urheimat der Asen eine wesentliche Funktion; die kommentarlose Formáli-Aussage zum Aufbruch der Asen aus Tyrkland kann hier beeinflusst sein.64 Doch auch die inhaltliche Struktur zeigt Ähnlichkeiten: Formáli und Ynglinga saga geben zunächst einen Einblick in das mittelalterliche geographische Weltverständnis, wenden sich dann den Asen zu und verfolgen deren etappenweise Wanderung. Übereinstimmungen sind im Detail zu fassen, wenn es in RTW heißt: Oþin hafþi spadom ok sva kona hans, ok af þeim visindvm faN hann þat, at nafn hans mvndi vppi vera haft inorðrhalfv heims og tignat vm fram alla konvnga. Firir þa savk fystiz hann at byrja ferþ sina af Tyrklandi ok hafþi með ser mikiN fiolþa liðs.65 62 63
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Faulkes 1978, S. 123. Beck 2009, S. 88 f. Anders hingegen Andreas Heusler: „Daß der Türkenname alle drei Male dem planlosen Textkürzen von U zum Opfer gefallen wäre, könnte man für einen unwahrscheinlichen Zufall erklären, und zu erwägen ist es sicher, ob ihn nicht erst ein Bearbeiter in die Fassung X [d.i. RTW] hereinbrachte. Ich glaube doch, daß man sich dagegen zu entscheiden hat. An allen drei Stellen fehlt in U nicht bloß der einzelne Ausdruck, sondern die benachbarten Sätze sind gestrichen oder stark gekürzt; der Eigenname kann mit dem übrigen, ohne kritische Überlegung des Schreibers, unter den Tisch gefallen sein“ (Heusler 1908, S. 22 f.). Vgl. Kap. 4.2.2.2. ‚Óðinn besaß die Sehergabe und seine Frau ebenfalls. Durch diese Kunst erkannte er, dass sein Name in der Nordhälfte der Welt hochgehalten und verehrt werden
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Handschriftenanalyse
In der Ynglinga saga (c. 5) führt Snorri ganz ähnlich aus: En fyrir því at Oþinn var fórspár ok fjo˛lkunnigr, þá vissi hann, at hans afkvæmi myndi um norðrhálfu heimsins byggva. Þá setti hann brœðr sína, Vé ok Víli, yfir Ásgarð, en hann fór ok díar allir með honom ok mikit folk annat.66
Auch die Schilderung des Treffens zwischen irdischen Asen und Gylfi scheint in beiden Texten aufeinander zu verweisen; im U-Formáli heißt es: ðaþan for oþinn i sviþioð. þar var sa konvngr er gylfi het. ok er hann fretti til asia manna er æsir vorv kallaþir for hann i moti þeim ok bavþ þeim i sitt riki;67 R ist noch ausführlicher: en er hann spyR til ferþar þeiRa Asiamanna, er æsir voro kallaðir, for hann i moti þeim ok bavð at Oþinn skyldi slikt vald hafa ihans riki sem hann vildi sialfr. 68 Die Ynglinga saga (c. 5) schildert: En er Óðinn spurði, at góðir landskostir váru austr at Gylfa, fór hann þannok, ok gerðu þeir Gylfi sætt sína, því at Gylfi þóttist engi krapt til hafa til mótsto˛ ðu við Ásuna. Mart áttust þeir Óðinn við ok Gylfi í bro˛ gðum ok sjónhverfingum, ok urðu Æsir jafnan ríkri.69
Trotz der Erwähnung von sjónhverfingar schließen sich Formáli und Ynglinga saga in diesem Punkt gegen die Gylfaginning zusammen. Dort agieren Gylfi und eine Dreiheit, einander ebenbürtige Gesprächspartner; man kann gar annehmen, Gylfi behalte in der Diskussion die Oberhand, wenn Hár abschließt: en nv, ef þv kant lengra framm at spyrja, þa veit ec eigi, hvaþan þer kemr þat, firir þvi at ongan maN heyrþa ec lengra segia fram aldar farit 70 – das Wissen der Botschafter ist erschöpft, die Entrückung verliert
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würde vor allen anderen Königen. Deshalb wollte er seine Reise von Tyrkland aus beginnen und er hatte ein sehr großes Gefolge bei sich‘; vgl auch Kap. 4.6.3. ‚Und weil Óðinn zukunfts- und zauberkundig war, da wusste er, dass seine Nachkommen in der Nordhälfte der Welt siedeln würden. Da setzte er seine Brüder Villi und Vé [als Herrscher] über Ásgarðr, und er fuhr mit den Díar und großem Gefolge.‘ ‚Von dort fuhr Óðinn nach Schweden. Dort war der König, der Gylfi hieß, und als dieser von den Asienleuten erfuhr, die Asen genannt wurden, fuhr er ihnen entgegen und lud sie in sein Reich ein.‘ ‚Und als er von der Fahrt dieser Asienleute, die Asen genannt wurden, erfuhr, reiste er ihnen entgegen und bot an, dass Óðinn soviel Gewalt in seinem Reich haben sollte, wie er selbst wolle.‘ ‚Und als Óðinn erfuhr, dass es gute Ländereien bei Gylfi im Osten gab, fuhr er dorthin und er und Gylfi schlossen einen Vergleich, weil Gylfi nicht die Kraft zu haben schien, den Asen zu widerstehen. Óðinn und Gylfi stritten sich heftig in Zauberkunst und Sinnesentrückungen, und die Asen wurden stets mächtiger.‘ ‚Und wenn Du nun noch weiter fragen kannst, dann weiß ich nicht, woher das kommt, denn niemanden hörte ich länger erzählen vom Gang der Welt.‘ In U endet
Zum Verhältnis von Formáli, Gylfaginning und Ynglinga saga
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ihre Funktion und Gylfi findet sich auf freiem Feld wieder.71 Während Formáli und Ynglinga saga dieses Treffen in Gylfis Reich verorten, verlässt dieser in der RTW-Gylfaginning sein angestammtes Gebiet, um zu den Asen zu reisen, und kehrt abschließend wieder dorthin zurück (c. 42): gengr hann þa leið sina bravt ok kemr heim iriki sitt.72 Auch in U ist die Handlung offenbar nahe der irdischen Stadt Ásgarðr im Asenland angesiedelt.73 En sa timi fylgþi ferþ þeirra [d.i. der Asen] hvar sem þeir dvolþvz i londvm. þa var þar ár ok friþr ok trvþo menn at þeir veri þess raþandi. þvi at rikis menn sa þa olika flestvm mönnvm oþrvm at fegrð ok viti.74
Diese weitere Ausführung des Formáli bietet abermals eine Zusammenfassung der Ynglinga saga – verweist aber nicht auf die folgende Gylfaginning. Formáli und Ynglinga saga sind Snorri zuzuschreiben, bzw. seinem engen Umfeld, eine direkte Beeinflussung ist daher keine abwegige Vermutung.75 Der Codex Upsaliensis lässt sich der Idee eines konzeptionellen Gesamtwerks nur bedingt unterordnen, das wurde bereits gezeigt; ein kurzer Text wie der Formáli – möglicherweise als Versuch einer Rekapitulation der Ynglinga saga – hätte sich leicht nachträglich anfügen lassen. Das würde auch die Gefjonepisode in RTW erklären:76 Ein Redaktor wollte die Gylfaginning integrieren in ein Konzept, das der Formáli in Anlehnung an die Ynglinga saga vorgab. Die theologische Betrachtung des ersten Formáli-Abschnitts mag hingegen der religionsgeschichtliche Charakter der Gylfaginning motiviert haben. Die Ynglinga saga vermag somit eine Erklärung zu offerieren für die Verbindung von Formáli und Gylfaginning, knüpft sie doch konzeptionell auch an letzteres Werk an; die weitere Untersuchung wird dies präzisieren.
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das Gespräch abrupt, verschwindet Gylfi genauso kommentarlos, wie er erschienen ist (vgl. Kap. 4.2.1.). Vgl. auch Kap. 3.4.1.2. Christopher Abram vertrat jüngst die These, Snorri hätte in der Akzentuierung paganer Unzulänglichkeiten ähnlich operiert wie frühe Missionare in Skandinavien. Seine Vermutung, ein im 13. Jahrhundert drohender Rückfall in den Polytheismus sei Motivation für Snorris Gylfaginning gewesen, ist allerdings haltlose Spekulation (Abram 2009). ‚Er geht dann seines Weges und kommt in sein Reich zurück.‘ Vgl. Kap. 4.2.1. ‚Und solch gute Zeit begleitete ihre Fahrt, wo auch immer sie sich in den Ländern aufhielten; da gab es dort gutes Jahr und Friede, und die Menschen glaubten, dass sie dafür verantwortlich waren, weil die mächtigen Leute sie betrachteten als ungleich den meisten anderen Menschen hinsichtlich Schönheit und Wissen‘ (nach U). Vgl. bereits Heusler 1908, S. 32. Vgl. Kap. 4.2.1.1.
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Handschriftenanalyse
Bezeichnungen wie ‚Formáli‘ oder ‚Snorra-Edda-Prolog‘ wären aufgrund von Versionsabweichungen und heterogenem Bezug zu Snorris Werk korrekterweise zu meiden. Gelegentliche Spezifizierung etwa zu ‚Gylfaginning-Prolog‘ würde daran wenig ändern, zumal sie Diskrepanzen zwischen beiden Werken ignorieren würde. In Abgrenzung zum Prolog der Heimskringla und in Ermangelung einer Gegenbezeichnung wird auch in der vorliegenden Arbeit der Begriff ‚Formáli‘ verwendet, eingedenk der behandelten Einschränkungen.
2.3. Zusammenfassung Die vorausgehenden Betrachtungen setzten sich zum Ziel, die Ambivalenz aktueller Interpretationsansätze hinsichtlich der Gewichtung einzelner Handschriften und ihrer Texte kritisch aufzuzeigen. Den separaten Teilen der so genannten ‚Snorra-Edda‘ muss Eigenständigkeit hinsichtlich ihrer Konzeption zugestanden werden, dafür wurde im Vorausgehenden argumentiert. Es muss nicht bestritten werden: Teile der überlieferten Kompositionen erwecken den Eindruck eines Lehrbuchs der Skaldik; dafür sprechen auch verschiedene Einschübe in den Handschriften. Doch lässt sich von diesem Skaldik-Schwerpunkt ein zweiter Teil absondern: Formáli, Gylfaginning und Bragaræður (mit Ergänzungen) sind nicht unbesehen einem PoetikKonzept zu subsumieren. Das Verhältnis von Formáli und Gylfaginning, sowie Formáli und Ynglinga saga wurde erörtert. In den Prologen der Heimskringla und der Óláfs saga helga bekundet Snorri die klare Idee, was in solcher Vorrede zu behandeln ist. Der Formáli weicht von dieser Vorgabe in mehrerer Hinsicht ab, weist darüber hinaus inhaltliche und konzeptionelle Diskrepanzen zur Gylfaginning auf. Vieldiskutierte Punkte, wie Þórrs sonderliche Vorrangstellung gegenüber Óðinn, lassen sich nicht stimmig mit einer Verfasserschaft Snorris in Einklang bringen. Auffällig sind hingegen zahlreiche Übereinstimmungen zur Ynglinga saga. Diese Beobachtungen führten zu der These, der Formáli sei erst zu späterem Zeitpunkt, unter Einfluss der Ynglinga saga entstanden und in eine Kompilation integriert worden. Das bedeutet nicht, dass ihm kein eigenständiger Wert bei einer Interpretation zukommen kann. Die handschriftliche Überlieferung bezeugt frühe Auseinandersetzung mit Snorris Werk; dies bedingte Umarbeitungen unterschiedlicher Art. Eigenheiten der Handschrift U könnten im Vergleich zu RTW auf eine frühere Fassung deuten, doch ebenso lassen sich Gegenargumente finden. Es wäre eine Überlegung wert, ob nicht Friedrich Müllers These, Entwürfe sowohl von R als auch von U gingen auf Snorri zurück, wieder in Betracht zu zie-
Zusammenfassung
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hen ist. Die Frage nach zeitlicher Vorrangstellung einer bestimmten Handschrift darf in jedem Fall nicht unbesehen inhaltliche Bevorzugung implizieren; hier ist dem Anspruch der New Philology auf Berücksichtigung der hoch- und spätmittelalterlichen Handschriftenkultur (und das heißt: Handschriftenvarianz) Rechnung zu tragen – mit der überkommenen Suche nach einer Originalfassung ist diese Forderung nicht in Einklang zu bringen. Es wurde daher für ein stärkeres Versionsbewusstsein im Umgang mit den einzelnen Handschriften plädiert.
3. Thematisch-methodische Analyse 3.1. Vorbemerkungen In der Diskussion um Snorris Werk wurden seit der Nachkriegszeit thematisch wegweisende Akzente gesetzt, aber auch unterschiedlicher methodischer Zugang wurde erprobt. Seit Walter Baetke erwuchs vor allem aus der Analyse einer theologischen Dimension der Gylfaginning ein Forschungsschwerpunkt. In der Retrospektive haben sich dabei drei Konzepte als besonders einflussreich erwiesen: ‚Natürliche Religion‘, ‚Analogie‘ und ‚Euhemerismus‘. In kritischer Auseinandersetzung mit bisheriger Forschung gilt es im folgenden Untersuchungsteil das methodische Potenzial dieser Erklärungsmodelle herauszuarbeiten und auf die Person Snorris sowie das ihm als geistiger Schöpfer zugeschriebene Werk zu präzisieren. In dieser problemspezifischen Diskussion aktuell Einfluss übender Interpretationsansätze wird die thematisch-methodische Grundlage der lexematischen Analyse formuliert. In der altnordistischen Forschung ist die Tendenz zu verzeichnen, einen Fachwortschatz aus Theologie und Religionswissenschaft weitgehend unkritisch auf Snorri zu übertragen: Es wird dabei in der Semantik solcher Termini ein wissenschaftlicher Konsens vorausgesetzt, der in den entlehnenden Nachbardisziplinen häufig keinesfalls gegeben ist – in philologischer Diskussion muss dies zur Konfusion führen. Strikt abzulehnen ist der Gebrauch solcher Terminologie gleichwohl nicht, würde dies doch die Einführung neuer, fachspezifischer Begrifflichkeiten notwendig machen – ein in mehrfacher Hinsicht schwieriges Unterfangen. Vielmehr müssen bestehende Termini und die dahinter stehenden Konzepte aus philologischer Perspektive auf den konkreten Untersuchungsgegenstand präzisiert werden. Solch gegenstandsorientierte Herangehensweise bedingt die Hinterfragung des methodischen Inventariums. Bereits einleitend wurde festgehalten: Der Tendenz, die mittelalterliche Überlieferung unter den Vorgaben neuzeitlicher (Literatur-)Theorie zu deuten, wird zunehmend mit skeptischer Zurückhaltung begegnet. Grundsätzlich müssen zwei Annahmen die folgende Untersuchung leiten: Erstens ist vorauszusetzen, dass die überlieferten
Snorra-Edda = Snorris Edda? – Zu Snorris Verfasserschaft
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Fassungen von Snorra-Edda und Heimskringla Reaktionen auf eine schriftliche Hinterlassenschaft Snorri Sturlusons darstellen; Snorris Verfasserschaft ist dabei eine Frage, die es im Vorfeld zu bedenken gilt. Zweitens ist damit zu rechnen, dass Snorri nicht unabhängig von Diskursen seiner Zeit operierte, sondern in verschiedener Weise von einem geistigen und kulturellen Umfeld geprägt wurde; es gilt, solche Einflüsse zu präzisieren.
3.2. Snorra-Edda = Snorris Edda? – Zu Snorris Verfasserschaft […] þykir mèr likast, að hann [d.i. Snorri] hafi eptir sig látið nockurskonar uppkast af Gylfaginníngu, enn ecki endzt til at gefa það út sjálfr. Þetta uppkast hefir þá flækzt í ættinni, og hefir hvörr bætt við af sínum forða eðr gömlum brotum án þess þó að nefna sig, svo að nu er nærri ómöguligt að greina ámilli þeirra, og eigna sèrhvörjum það er hann í raun og veru á.1
Diese Einschätzung Rasmus Rasks von 1818 wurde von nachfolgender Forschung selten rezipiert, doch die Frage wird bis heute diskutiert: Welchen Anteil hat Snorri an dem Werk, das seinen Namen trägt? Der in der Handschrift U überlieferte Terminus setja saman – die norröne Übertragung eines lateinischen componere – wurde in bisherigen Untersuchungen unterschiedlich gedeutet. In vorausgegangener Betrachtung des Codex Upsaliensis entstand das Bild einer Sammelhandschrift, in der ein (Snorri nahestehender) Redaktor Texte zu einem Codex zusammenfasste, die nicht sämtlich aus der Feder Snorris, aber aus dessen Umkreis stammten.2 Ein Bearbeiter gliederte das Material in thematische Blöcke, gab der Sammlung den Namen ‚Edda‘ (der sich ursprünglich möglicherweise nur auf den ersten Teil bezog) und verwies einleitend auf Snorris nicht eindeutig definierte Urheberschaft: hana
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Snorra Edda ásamt Skálda og þarmeð fylgjandi ritgjörðum (hrsg. von Rasmus Rask), S. 5 (‚es scheint mit am wahrscheinlichsten, dass er einen Entwurf der Gylfaginning hinterlassen hat, aber nicht geplant hat, ihn selbst zu veröffentlichen. Dieser Entwurf ist dann in Unordnung geraten in dem Geschlecht und jeder hat es aus seinem eigenen Vorrat oder aus anderen Bruchstücken ergänzt, aber ohne sich zu nennen, sodass es nun fast unmöglich ist, zwischen diesen zu unterscheiden, und jedem Einzelnen das zuzuordnen, was er in Wirklichkeit beigesteuert hat‘). Es steht zu vermuten, dass Snorri in Reykholt eine intensive Schreib- und Kompilationstätigkeit verfolgte; dabei stand sicherlich eine größere Zahl an Mitarbeitern in seinen Diensten. So schreibt die Sturlunga saga (c. 11): Sturla [Sighvatsson] lagdi mikinn hug á at láta rita sögubækr eptir bókum þeim er Snorri setti saman (‚Sturla legte großen Eifer an den Tag, Geschichtenbücher aufschreiben zu lassen nach den Büchern, die Snorri kompiliert hatte‘ (Sturlúnga-Saga edr Íslendínga-Saga hin mikla (hrsg. von Bjarni Þorsteinsson))).
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Thematisch-methodische Analyse
hevir saman setta snorri sturlo sonr – eine Posthum-Ausgabe gesammelter Manuskripte.3 Insgesamt lässt sich also feststellen, dass kein Manuskript bekannt ist, das die Grammatischen Traktate oder die Snorra-Edda getrennt überliefert – und zugleich, dass auch diese enge Verbindung der vier Grammatischen Traktate mit Snorris Edda über die tatsächlichen Verfasserabsichten und Entstehungsumstände der Abhandlung keine sicheren Auskünfte geben kann. Zu vermuten ist nur, dass sich die Einschätzung der Kompilatoren fünfzig oder hundert Jahre nach Entstehung der Texte nicht gänzlich von der der Autoren selbst unterschied.4
Der Bearbeiter von W verstand die ihm vorliegende Fassung einer ‚SnorraEdda‘ als Skaldenlehrbuch, so könnte man unter Verweis auf vier dort überlieferte Grammatische Abhandlungen argumentieren. Doch ist zu bedenken, dass die Platzierung der Traktate zwischen Skáldskaparmál und Háttatal primär eine Verbindung mit diesen beiden Teilen bedeutet – die Interpolationen im W-Formáli sprechen hingegen für Interesse an antiker Mythologie und
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‚Snorri Sturluson hat sie zusammengestellt.‘ Ein setja saman erwähnen auch die Isländischen Annalen im Kontext von Snorris Tod 1241: andlat Snorra Stulla sonar j Reykhollti: hann war madr witur og margfródr […] hann samsettj Eddu og margar adrar frædibækur islendskur saugur (‚Snorri Sturluson in Reykholt gestorben; er war ein weiser und sehr gelehrter Mann; […] er stellte die Edda zusammen und viele andere gelehrte Bücher über isländische Erzählungen‘ (Islandske Annaler indtil 1578 (hrsg. von Gustav Storm), S. 481)). Ulrike Strerath-Bolz’ Annahme, „hiermit legt der Bearbeiter von U einen eindeutigen Rahmen für die authentischen Teile der Snorra Edda fest“ (Strerath-Bolz 1998, S. 167), ist zu hinterfragen – nicht zuletzt, weil die Rubriken in U sich generell durch Diskrepanz zur Erzählung auszeichnen. Anthony Faulkes verwies seinerzeit darauf, ab dem Ende des 13. Jahrhunderts sei der Begriff ‚Edda‘ (z.B. reglur eddu, eddu list) verbreitet als Bezeichnung für ‚Dichtung‘ verstanden worden; ab dieser Zeit habe wohl auch der Bezug zu Snorri primär auf Skáldskaparmál und Háttatal, nicht auf die Gylfaginning abgezielt (Faulkes 1977, S. 3). Die Gegenüberstellung von ‚Edda‘ und Skáldskaparmál in AM 757 a4to von ca. 1400 (vgl. Kap. 2.1.2.) belegt jedoch, dass ein solches Verständnis keinesfalls zwingend ist. Vgl. auch Bagge 1991, S. 31: „His [d.i. Snorris] account of his sources and methods show him as more than simply a copyist. He has criteria that enable him to distinguish between more or less trustworthy information and even to some extent to choose between conflicting evidence. Though he is not a modern, critical historian, his reflections on these matters in the prologue [d.i. der Heimskringla-Prolog] are truly remarkable by medieval standards. This means that he must also be more than a compiler. Though not necessarily an author in the modern sense, he seems to have examined his materials closely and reflected on what to include or not.“ Vgl. auch Minnis 1984; Bumke 1997. Beuerle 2010, S. 417.
Snorra-Edda = Snorris Edda? – Zu Snorris Verfasserschaft
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biblischen Ereignissen.5 Inwieweit sich solche Addenda mit einer Intention Snorris noch deckten, kann nicht beurteilt werden;6 doch darf mit gewisser Berechtigung angenommen werden, dass zumindest die in sämtlichen Haupthandschriften belegten Texte zu Snorris eigenem Schaffen in direkter Relation stehen. Redaktoren fungieren als Bindeglied zwischen angenommenem Original und folgender Überlieferung und müssen als formende Instanz wahrgenommen werden.7 Sie bleiben aber in den meisten Fällen nur schemenhaft. Die Eigenheiten eines Manuskriptes müssen daher zunächst in sich interpretiert und danach vergleichend zu anderen Handschriften betrachtet werden. Die vielschichtige Problematik wird durch stärkere Betonung möglicher Redaktoren nicht gelöst, nur verschoben. Dies gilt in gesteigertem Maße für Snorri Sturluson, der als Persönlichkeit des hochmittelalterlichen Islands ein markantes Profil annimmt, bedingt nicht zuletzt durch den Umstand, dass unser heutiges Wissen um seine Person zu beachtlichen Teilen aus zeitgenössischen Werken über ihn stammt; nachdrücklich ist daher Ernst Walter zuzustimmen: „Wenn wir von einem Anonymus als Verfasser sprechen müßten, hätten wir in unserem Falle nicht viel gewonnen.“8 5
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Das kommentarlos anhängende Eddalied Rígsþula könnte ebenfalls für den Kompilationscharakter auch der Fassung W sprechen (vgl. aber Johansson 1997, 1998). Beispielhaft genannt sei der Dritte Grammatische Traktat, in dem der gelehrte Skalde Óláfr Þórðarson Hvítaskáld, ein Neffe Snorris, das Verhältnis der nordischen Dichtkunst zum Kontinent ganz anders darlegt als sein Onkel, der keinen Bezug zur griechischen oder lateinischen Dichtung sucht. Eine Verbindung der Skaldik zur Antike stellt hingegen Óláfr her und spricht von einer einzigen Kunst (listin), die von Athen auf die lateinische Sprache übergriff und schließlich von den Asen nach Skandinavien gebracht wurde: j þeſſi bok ma giorla ſkilia, at o˛ ll ær æin maalſ liſtín, ſv er romverſker ſpekingar namv í atheníſ borg a grikklandi, ok ſnero ſiðan ilatinv mal, ok ſa hlioða haattr ok ſkaalld ſkapr, er oðinn ok aðrer aſiemenn flvttv norðr hingat, þa er þeir bygdv norðr haalfv hæímſinſ, ok kendv monnvm þeſſ konar liſt a ſina tvngv, ſva ſem þeir hofðv ſkipat ok nvmíð i ſialfv aſia landi, þar ſem meſtr var fegrð ok rikdomr ok froðleikr veralldarennar (‚in diesem Buch kann genau erkannt werden, dass alles eine einzige Sprachkunst ist, die, die römische Weise in der Stadt Athen und Griechenland lernten und danach ins Lateinische übertrugen, und das Versmaß und die Dichtkunst, die Óðinn und andere Asen hierher in den Norden brachten, als sie die Nordhälfte der Welt besiedelten; und sie lehrten die Menschen diese Kunst in ihrer Sprache, so wie sie sie im Asenland selbst geordnet und gelernt hatten, dort, wo Schönheit, Reichtum und Klugheit am größten auf der ganzen Welt waren‘ (nach Krömmelbein 1998, S. 96)). Zur Problematik vgl. auch Gardt 2007, S. 269 ff. Vgl. auch Krömmelbein 1992a, S. 125. Walter 1998, S. 287. Daher ist auch die bis in jüngste Zeit regelmäßig noch vertretene Forderung zu kritisieren, einen ‚Autor‘ aus der Betrachtung mittelalterlicher
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Thematisch-methodische Analyse
In diesem Punkt scheint die Forschung oftmals durch ein EntwederOder-Verständnis geprägt: Entweder wird Snorri vorbehaltlos als Verfasser der Snorra-Edda gesehen (die dann am ehesten im Codex Regius in einer ‚Originalform‘ präsent sei) oder seine Bedeutung wird gegenüber späteren Bearbeitern – und das muss heißen: auf sie zurückgeführten Fassungen – als unerheblich eingeschätzt. Beiden Betrachtungsweisen – wobei erstere dominiert – ist ein methodisches Problem immanent: In erstem Fall drohen inhaltliche und konzeptionelle Differenzen einzelner Textversionen, und damit deren Eigenständigkeit, aus dem Blick zu rücken. Im zweiten Fall käme die Diskussion von Einflüssen auf Snorris Werk, wie sie in gelehrten Diskursen, geschichtlichen Ereignissen und politischen Kontakten zu vermuten sind, in Ermangelung eines Bezugspunktes weitgehend zum Erliegen: Der Begriff des Autors ist für unsere Anstrengungen im Rahmen der akademischen Philologien unmittelbar relevant, weil wir auf ihn zurückgreifen, um das Feld der Literatur zu ordnen. Der Begriff des Autors reduziert die Möglichkeiten des Umgangs mit Literatur und schränkt die unbegrenzte Anzahl potentiell heranzuziehender Kontexte auf ein bearbeitbares Maß ein.9
Es ist dies auch die Frage nach der Relation von Autor und Werk: Es begegnen Fälle, in denen wir den Werkbegriff, nicht aber den Autorbegriff problematisieren müssen. Das heißt, die Idee von der Einheit von Werk und Autor erweist sich hier als hinderlich. […] Es stellt sich die Frage, welchen Erkenntnisgewinn wir erzielen, wenn wir verschiedene Fassungen unter einen
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Texte grundsätzlich fernzuhalten: „Die Skepsis gegenüber den teilweise rigiden Forderungen der New Philology erscheint umso dringlicher, als die Forderung nach Verabschiedung des Autors in der deutschen Mediävistik erst in den letzten Jahren, im Gefolge der Rezeption der Postmoderne-Diskussion und der Rezeption der Diskurstheorie erhoben worden ist […]. Die Vermutung liegt nahe, daß sich der Ruf nach dem ‚Tod des Autors‘ eher der Theoriedebatte verdankt als den Erkenntnissen der Überlieferungsgeschichte mittelalterlicher Texte. […] Ich stelle die provozierende Gegenfrage, ob sich Überlieferungsbefund und Diskurstheorie, Mittelalterstudien und Poststrukturalismus tatsächlich so problemlos gegenseitig in die Hände arbeiten, wie dies heute zuweilen suggeriert wird“ (Schnell 1998, S. 44 f.). Vgl. auch Spoerhase 2007, S. 12: „Die autorkritischen literaturtheoretischen Reflexionen über Autorschaft […] wurden der vermeintlichen Globalthese ‚Tod des Autors‘ subsumiert. Die mit der Globalthese verbundene Homogenisierung divergierender Typen der Autorkritik ließ sich nur um den Preis der Entkontextualisierung erzielen, die alle spezifischen Argumentationszusammenhänge der autorkritischen Gründertexte ausblendete.“ Spoerhase 2007, S. 1.
Funktionen der Sprache in Snorris Werk
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Werkbegriff subsumieren oder aber als je selbständige Texte für sich verstehen. Jedenfalls bedarf es in jedem Einzelfall einer präzisen Relationierung von Werkbegriff, Fassungsbegriff und Textbegriff.10
Es kann kein Versuch unternommen werden, an dieser Stelle eine komplexe Theoriedebatte um die Relation von Autorschaft und Interpretation zu entfalten.11 Snorri als Urheber von Edda und Heimskringla in die Untersuchung einzubeziehen, erteilt Varianz aber keinesfalls die Absage: Wenn im Folgenden von Snorri die Rede ist, so kann dies nicht implizieren, dass die untersuchten Texte (und dies gilt auch für die Heimskringla) allein auf seiner Arbeit beruhen; schon die handschriftliche Überlieferung, die sämtlich erst nach Snorris Tod datiert, bedingt dies. Es ist keine sichere Aussage zu treffen, welchen Anteil er an dem Gesamtwerk, wie es heute überliefert ist, hatte; das gilt aber gleichermaßen für spätere Redaktoren. Ernst Walter notierte: Wir können nicht angeben, was für Veränderungen, d.h. Modernisierungen hier und da von den Abschreibern im Laufe des 13./14. Jahrhunderts mit dem Text der Heimskringla vorgenommen worden sind. Und dabei war gerade das 13. Jahrhundert ein schreibfreudiges, gelehrtes, dem Neuen zugängliches und sprachlich agiles Jahrhundert.12
Die Rede von der Snorra-Edda ist somit strenggenommen irreführend, suggeriert sie doch ein von Snorri geplantes Gesamtwerk, das in dieser Form keinesfalls sicher zu belegen ist: „Perhaps one could say, putting it somewhat pointedly, that there is no true Snorra Edda. Snorra Edda is each one of its various compilations.“13 Der Begriff wird in Ermangelung einer Alternative aber weiterhin Verwendung finden, so auch in der vorliegenden Arbeit; doch muss dieser Gebrauch künftig in stärkerem Maße ein Versions- und damit einhergehend Kontextbewusstsein im Blick auf die überlieferten Handschriften implizieren,14 das in der methodischen Annäherung seinen Ausdruck findet.
3.3. Funktionen der Sprache in Snorris Werk Wenn wir einmal als im Prinzip richtig unterstellen, daß Sprache der Schlüssel zur Welt ist, dann ist es sicher berechtigt, auf der Suche nach Erkenntnis und im Bemühen um das Verständnis des Wesens einer Sache – oder eines komplexen
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Schnell 1998, S. 70. Vgl. dazu jüngst Spoerhase 2007. Walter 1998, S. 288. Krömmelbein 1992a, S. 116. Vgl. auch Snorri Sturluson. Edda. Prologue and Gylfaginning (hrsg. von Anthony Faulkes), S. xxix ff. Vgl. auch Strohschneider 1997.
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Thematisch-methodische Analyse
Sachverhaltes wie bei unserem Thema – zunächst einmal die Sprache zu befragen, welche Begriffe sie überhaupt für die gefragten Sachen oder Sachverhalte kennt, wie diese benannt sind und was die Benennungen eigentlich meinen.15
Solch fundamentales Verständnis von Sprache – seinerzeit von Wolfgang Meid im Rahmen der sprachlichen Betrachtung germanischer Religion formuliert – gilt es in einer philologischen Auseinandersetzung mit dem Œuvre eines Mannes wie Snorri Sturluson grundsätzlich zu bedenken (ohne dass dies eine sprachphilosophische Betrachtung erfordern würde): Snorris mannigfaltigen Tätigkeiten als Dichter, Historiker und Politiker erforderten meisterliche Beherrschung der Sprache in unterschiedlichem Kontext. Die Erkenntnis, dass Texte kein unmittelbares Abbild einer realen Welt, vielmehr codiert sind, ist keinesfalls neu, fordert in der Betrachtung dennoch die regelmäßige Besinnung auf philologische Grundlagen: Wir [haben] uns damit zu befassen, wie diese sprachliche Codierung erfolgt, welche Entwürfe der Welt sich darin erkennen lassen, welche Konsequenzen diese sprachlichen Weltentwürfe sowohl für die Zeitgenossen wie auch für spätere Generationen hatten, wie sich die sprachliche Abbildung im Laufe der Zeit wandelt und unter welchen Bedingungen diese sprachlichen Weltentwürfe entstehen und kommuniziert werden.16
Die Skaldenkunst des Mittelalters diente dem Fürstenpreis, der Reputation des Dichters und der Unterhaltung; doch in ihr fanden sich auch Anklänge an vergangene Zeiten erhalten – stärker als eddische Dichtung können skaldische Gedichte Zeugnis einer zurückliegenden historischen Epoche geben, sind stückweit authentische Quellen.17 Diese Ansicht vertrat Snorri im Prolog der Heimskringla: En þat er háttr skálda at lofa þann mest, er þá eru þeir fyrir, en engi myndi þat þora at segja sjálfum honum þau verk hans, er allir þeir, er heyrði, vissi, at hégómi væri ok skro˛ k, ok svá sjálfr hann. Þat væri þá háð, en eigi lof. 18
An eine verlässliche Quelle hatte er klare Ansprüche: Á bók þessi lét ek ríta fornar frásagnir um ho˛ fðingja þá, er ríki hafa haft á norðrlöndum ok á danska tungu hafa mælt […] sumt er ritat eptir fornum kvæðum eða so˛ guljóðum, er menn hafa haft til skemmtanar sér. En þótt vér 15 16 17 18
Meid 1992, S. 486. Würth 2005, S. 66. Zur grundsätzlichen Problematik vgl. etwa Paravicini 2010. ‚Zwar ist es Eigenart der Skalden, den am meisten zu loben, vor dem sie sich befinden, aber niemand würde es wagen, ihm selbst solche seiner Taten zu erzählen, von denen alle, die sie hörten, wüssten, dass es Unwahrheit und Erdichtung wären, und er selbst auch; das wäre dann Spott und nicht Lob.‘
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vitim eigi sannyndi á því, þá vitum vér dœmi til, at gamlir frœðimenn hafa slíkt fyrir satt haft. […] En kvæðin þykkja mér sízt or stað fœrð, ef þau eru rétt kveðin ok skynsamliga upp tekin.19
Die 102 selbst verfassten Strophen des Háttatal nicht mitgezählt, zitiert Snorri in Edda und Heimskringla jeweils rund 580 Skaldenstrophen; eine nicht näher bekannte Zahl eigener Dichtungen wird hinzukommen.20 Auf breit gefächerte Darstellung ist er in seinen Skáldskaparmál bedacht, mit Bevorzugung jüngerer Überlieferung.21 Das mag motiviert gewesen sein durch äußere Bedrohung der Dichtkunst, wachsendes Interesse an anderen Textgattungen.22 Doch das weite Spektrum der zitieren Dichtung konnte dem Publikum auch den Stellenwert verdeutlichen, den die Skaldendichtung bereits in vorchristlicher Zeit, dann aber – gleichsam bestätigt durch höhere Zahl zitierter Strophen – auch in Snorris Zeit einnahm bzw. einnehmen sollte.23 Snorri präsentierte sich als Kenner und Bewahrer einer nordischen Tradition, die durch die Sprache aus mündlicher Zeit über frühe Schriftzeugnisse bis ins christliche Hochmittelalter nachvollzogen werden konnte: „The 19
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‚In diesem Buch ließ ich alte Erzählungen von den Häuptlingen aufschreiben, die Reiche in den Nordländern gehabt haben und ‚dänisch‘ sprachen. […] Einiges ist nach alten Gedichten oder Gesängen geschrieben, die Menschen zu ihrer Unterhaltung kannten. Und obwohl wir deren Wahrheitsgehalt nicht kennen, haben wir doch Belege dafür, dass alte Gelehrte solches für wahr hielten. […] Aber die Gedichte scheinen mir am wenigsten verfälscht zu werden, wenn sie richtig gesprochen und klug aufgefasst werden.‘ Vgl. auch Kap. 4.4.4.2. Rudolf Simek sah Snorris großes Wissen und Interesse an der Skaldik in dessen Abstammung begründet (Simek 2007, S. 3). Weniger verwunderlich als Simek es darstellte, ist indessen die Tatsache, dass Snorri in der Heimskringla zahlreiche Strophen zitiert, die in den Skáldskaparmál keine Erwähnung finden: Fast ein Jahrzehnt nach Entwurf der Skáldskaparmál kann Snorris Quellenmaterial durchaus um eine größere Zahl an Strophen gewachsen sein. Vgl. auch Schier 1981, S. 413 ff. In den 1980er Jahren verwies Margaret Clunies Ross darauf, die Skáldskaparmál seien in vielen Abhandlungen trotz postulierter Vorrangstellung im vermeintlichen Gesamtwerk ‚Edda‘ gegenüber der Gylfaginning forschungsmäßig in den Hintergrund gerückt (Clunies Ross 1987, S. 17 ff.). Bis zum heutigen Tag hat sich dies erst in Ansätzen geändert (vgl. etwa Johansson 2009). Das seit 2001 laufende, international besetzte Projekt „Skaldic Poetry of the Scandinavian Middle Ages“ eröffnet allerdings einen neuen Zugang zum Material, der von künftiger Forschung genutzt werden kann. Vgl. etwa Wanner 2008, S. 79. Vgl. Clunies Ross 2000, S. 129: „He [d.i. Snorri] was apparently concerned to legitimate Icelandic vernacular poetry and poetics, and its underpinning ideology, in the face of antique classical models as medieval Christian learning presented them. He may also have had personal motives, in the political climate of his day, for promoting his own abilities as a skald and a scholar.“
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Thematisch-methodische Analyse
citation of skaldic verse in thirteenth-century sources is a highly political act; it contributes to the presentation of historical material.“24 Solches Wissen um Zusammenhänge und Verweisfunktion vergangener Ereignisse ging einher mit persönlichem Prestige, auch gegenüber den norwegischen Herrschern dieser Zeit, auf die Snorri Preislieder, u.a. Háttatal, dichtete. Dieses Gedicht belegt Snorris Anspruch auf eigenen Ruhm, wenn es in Strophe 96 heißt: ort er of ræsi þaN er ryðr granar vargs ok ylgiar ok vapnlitar þat mvn æ lifa nema avld fariz bragninga lof eþa bili heimar.25
Die angemessene Fortführung der Skaldendichtung betonte aber auch die Bedeutung Islands, waren doch im Hochmittelalter viele der Skalden in Norwegen Isländer; die Insel selbst blickte zu Beginn des 13. Jahrhunderts auf eine nur wenige Jahrhunderte existente Kultur zurück. Die zu Snorris Zeit, der Sturlungenzeit, wachsende politische Bedrohung von innen und außen wird auch zur Rückbesinnung auf die Anfänge Islands geführt haben.26 Óskar
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Guðrún Nordal 2000, S. 238. ‚Fürst besang ich, Der färbt’ Wölfins, Wolfes Mund auch, Die Waffen rötet’. Immer wird leben – Menschen eh’ sterben, Erd’ versinkt eh’r – Der Edlen Preisung‘ (Übersetzung nach Die jüngere Edda mit dem sogenannten ersten grammatischen Traktat (übertragen von Gustav Neckel und Felix Genzmer), S. 330 f.). Vgl. auch Frantiŝek 1987, S. 22 f.: „Der Historiker schrieb jedoch nicht nur, um anderen dauernden Ruhm zu gewährleisten, er beanspruchte auch für sich selbst einen Anteil am ‚Überleben‘.“ Die Sturlunga saga weiß zu berichten, dass 1219 allein durch Snorris Intervention ein Angriff des norwegischen Königs Hákon Hákonarson auf Island abgewendet werden konnte, dies unter der Zusage Snorris, in Island für die politischen Interessen des Königs einzutreten (Sturlunga saga 1 (hrsg. von Örnólfur Thorsson), S. 262 f.). Kirsten Hastrup sah eine solche Bedrohung im Ersten Grammatischen Traktat bestätigt: „The writing of such a work as the First Grammatical Treatise is but one sign among others of the social development and scholarly achievements of the old Icelanders. In the second sense, the creation of a particular Icelandic alphabet on the basis of an identification of the phonemes of spoken Icelandic can be read as a metaphor of consciously recognized cultural identity“ (Hastrup 1990, S. 78). In jüngster Zeit sind in der nordistischen Forschung verstärkt Tendenzen fassbar, die Theorien des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930–2002, vgl. Bourdieu 2005) zum ‚kulturellen Kapital‘ auf Snorri Sturluson zu übertragen (vgl. etwa Wanner 2008; Torfi Tulinius 2009, S. 59 f.; Gottskálk Jensson 2010). Bourdieus komplexes Werk kann aber nicht auf ein Schlagwort ‚kulturelles Kapital‘ reduziert werden; solche Einbeziehung sollte mit Bedacht geschehen.
Funktionen der Sprache in Snorris Werk
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Gudmundsson vermutete, Gedichte wie das Háttatal seien gerade in Unruhezeiten von Bedeutung gewesen: Snorri konnte sich nicht mehr auf nahe Verwandte und Freunde verlassen. […] Alles konnte sich in einem einzigen Augenblick in Luft auflösen. Ihm selbst mochte es genauso ergehen – nur in der Schreibarbeit, in der Dichtkunst, vermochte er seine Kraft zu spüren und einen Anteil an der Ewigkeit zu erlangen. Er konnte sich bisweilen sogar mit dem Gedanken trösten, ein Kunstwerk geschaffen zu haben, das die Zeiten überstehen könnte.27
Möglichkeiten mussten gefunden werden, die isländische, aber auch die ganz persönliche Identität zu formen und zu festigen; ein Weg, so zeigt die Überlieferung, lag in besonderer Würdigung von und Beschäftigung mit (mythischen) Erzählungen aus der nordischen Frühzeit:28 „In Krisenzeiten, in denen man Grundwerte bedroht sieht (oder meinte, daß sie bedroht seien), wird […] der Zug zur Bestätigung in der Vergangenheit besonders stark.“29 Doch wird in solcher Tätigkeit auch Snorris Weltanschauung greifbar: Die Fortführung der Skaldenkunst über das siðaskipti hinaus vermochte Kontinuität zwischen paganer und christlicher Zeit zu bezeugen – Sprache wurde auch hier zum Mittler. In der Gylfaginning zitiert Snorri (je nach Version) rund 65 eddische Strophen, sie sind wesentliche Grundlage seiner Prosa-Ausführungen. Die Skaldik gab den Bezug zur Gegenwart und (meist) jüngeren Vergangenheit vor, doch die eddische Dichtung öffnete den Zugang zu einer mythischen Vorzeit, erlaubte es Snorri, seine geschichtliche Betrachtung bis zu den Anfängen der Welt zu spannen. Die Forschung tendiert dazu, Snorris Interesse an Sprache zu beschränken auf seine Abhandlungen zur Dichtkunst, Skáldskaparmál und Háttatal. Seine Meisterschaft in dieser Disziplin, aber auch jahrelange Auseinandersetzung mit der Auslegung des Rechts haben ihm ein Gespür für die Verwendung sprachlicher Mittel, für die Macht des Wortes verliehen. Weshalb hätte diese herausragende Fähigkeit – die doch der wesentliche Grund dafür ist, dass bis zum heutigen Tag so zahlreiche Zugänge zu Snorris Werk bestehen – auf die Skaldik beschränkt bleiben sollen? Auch hinter Snorris Prosadarstellung steht der eloquente Redner. Kenningar, als zentrales Stilmittel der Skaldendichtung, zogen ihren künstlerischen Reiz daraus, dass die vordergründige Aussage eines Wortes oder einer Phrase den intendierten Sinn verbergen konnte – Mehrdeutigkeiten boten je nach Interesse und Befähigung des Publikums bewusst unter-
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Óskar Gudmundsson 2011, S. 261. Vgl. auch Wolf 1993, S. 271 und 273 f. Graus 1987, S. 54.
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Thematisch-methodische Analyse
schiedliche Zugänge.30 Gezielter Spracheinsatz erlaubte Snorri aber auch in prosaischen Texten mehrere Ebenen der Bedeutung umzusetzen: Nur derjenige Rezipient, der die semantische Tiefe einzelner Ausdrücke verfolgte und dahinterstehende Konzepte erkannte, konnte sich Snorris Kernaussagen näheren; auf oberflächlicher Ebene blieb der Unterhaltungswert.31 Fróðleikr ok skemtun erklärt auch der Eptirmáli i in RTW zur Zielsetzung des Werks; dem Streben des Historikers nach methodisch-systematischer Darstellung einer Religionsentwicklung steht der Drang des redegewandten Dichters nach anspruchsvoller Präsentation zur Seite. Torfi Tulinius notierte vor einigen Jahren vergleichbar zu den Isländersagas: This does not mean that the sagas of Icelanders were not intended for purely literal enjoyment, but that they could however also allow for other levels of interpretation. After all, multi-levelled narration which makes demands on the reader’s hermeneutic skills was not uncommon in medieval times, originating partly in biblical exegesis but rapidly influencing lay literature as well.32
Nicht zuletzt auf Erzählebene konnte Sprache thematisiert und funktionalisiert werden, das verdeutlicht der Formáli, der von einer Sprachfindung und Namengebung in vorchristlicher Zeit berichtet: Ok til þess at þeir mætti mvna. þa gafo þeir avllvm hlvtvm nafn með ser ok siþan hevir atrvnaþr breyzt a marga vega sem menn skiptvz. eðr tvngr greindvz en allt skilþo þeir iarþliga þviat eigi hofþv þeir andliga gipt.33 30 31
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Vgl. von See 2011. Klaus von See notierte zu den Vorzeitsagas: „Was sich wie eine Aufforderung zum oberflächlichen Zeitvertreib anhört, ist literaturgeschichtlich nicht uninteressant: Es ist die Entdeckung oder doch zumindest die theoretische Formulierung eines bewußten Vergnügens an literarischen Fiktionen, eines von allen anderen Legitimationen losgelösten Kunstgenusses an sich“ (von See 1981, S. 94). Snorris Anspruch ging über reine Unterhaltung weit hinaus; das Ziel des Lesevergnügens mag in der Gylfaginning aber hervorstechen in kleinen Episoden, etwa zu den Gegenständen in Hels Reich (c. 21) oder den skurrilen Bestandteilen der Fessel Gleipnir (c. 22). Torfi Tulinius 2000, S. 192; zustimmend Gísli Sigurðsson 2004, S. 33. Vgl. auch Vésteinn Ólason 2011, S. 239: „Wenn es jedoch gelingt, gute Argumente für einen Subtext oder eine zweite Ebene zu finden, ist es sehr wichtig, dass diese neue Dimension die primäre Geschichte nicht in irgendeiner Weise degradiert, sondern ihr zu tieferer und vielschichtigerer Bedeutung verhilft.“ ‚Und um es sich merken zu können, gaben sie allen Dingen von sich aus Namen, und danach hat sich dieser Glaube in vieler Weise gewandelt, so, wie Völker sich teilten oder Sprachen verzweigten. Aber alles erkannten sie irdisch [d.i. mit menschlichem Verstand], denn sie besaßen keine göttliche Gabe [d.i. göttliche Erkenntnis]‘ (RTW erweitert um den Zusatz til þess at heldr mætti frá segja (‚damit sie besser davon erzählen könnten‘) und verwendet das Kontrastpaar jarðlig skilning – andlig spekt). Vgl. auch Dronke 1977, S. 162 ff.; Müller 2001, S. 25 ff.
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Von átrúnaðr (m.), ‚Glaube‘, ist hier die Rede: Der Glaube an einen suprahumanen Herrscher führte zur Benennung seiner Schöpfung – und dieser sprachliche Akt beeinflusste in der Folge wiederum den Glauben; mannigfaltige sprachliche Veränderungen bedingten schließlich zahlreiche Glaubensausformungen.34 Dieser Passus ist in allen Haupthandschriften überliefert, das steigert seine Bedeutung ebenso wie die finale Platzierung im Text. Hinter der Vorstellung einer wechselseitigen Abhängigkeit von Sprache und Glaube ist eine Idee zu vermuten, die über den Schaffensrahmen eines einzelnen Bearbeiters hinausgeht.
3.4. Die theologische Dimension von Snorris Werk 3.4.1. Natürliche Religion und Analogie Im Vorausgehenden wurde ein Problem aktueller Forschung bereits angesprochen: die oftmals unreflektierte Übernahme theologisch-religionswissenschaftlicher Terminologie in philologische Diskussion. Diesem Umstand ist im Folgenden zu begegnen einerseits mit differenzierter Ansprache grundlegender Termini in ihrer semantischen Komplexität, andererseits mit zielgerichteter Betrachtung hochmittelalterlicher Diskurse. Vielfältiger Kontakt zu Geistlichen auf Island und in Norwegen ist für Snorri nicht anzuzweifeln, seine politische und gesellschaftliche Stellung brachte dies mit sich; Sturlunga saga und Hákonar saga Hákonarson liefern Beispiele. Bedeutung wird dabei vor allem zwei Persönlichkeiten zuzumessen sein: Styrmir Kárason (ca. 1170–1245), seines Zeichens Priester, Geset-
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Vgl. auch Strerath-Bolz 1998, S. 271: „Religiöse Vorstellungen sind demnach nicht nur abhängig von der Sprache, sie verändern sich auch mit ihr und sind auf sprachlichem Wege manipulierbar. Gerade durch die Parallelität der Aussagen wird klargemacht: Unabhängig vom Inhalt oder der Qualität einer Religion (und dies muß im Mittelalter heißen: unabhängig davon, ob es sich um die christliche Religion handelt oder nicht), ist Religion ohne Sprache nicht denkbar, gründet Religion auf sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten.“ Vgl. auch Clunies Ross 1987, S. 175: „Snorri’s understanding of skaldic diction is closely dependent on his presentation of pre-Christian man’s perception of the accidental forms and underlying realities of the cosmos according to the Prologue. There […] he ennunciates the main themes he goes on to develop in Gylfaginning and Skáldskaparmál: […] the power of language, and specially the process of naming, as a means of systematizing thought and transmitting it to future generation.“ Auch Ulrike Strerath-Bolz nahm an, gerade dieser Bezug zur Sprache würde den Formáli fest einbinden in ein (poetisches) Gesamtwerk ‚Edda‘ (Strerath-Bolz 1991, S. 64).
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zessprecher, Gelehrter und enger Vertrauter Snorris; zum anderen Guttorm, Erzbischof in Nidaros von 1215 bis zu seinem Tod 1224 (s.u.). Für Snorris Kenntnis wichtiger Bibelpassagen sowie davon abhängiger geistlicher Texte wird auch die lexematische Untersuchung argumentieren:35 Sprachlichsemantische Parallelen zwischen Snorris Werk und biblischer Darstellung sind evident. Umfassende Schulung und tief greifende Auseinandersetzung mit theologischer Lehre muss dies nicht implizieren, auch wenn die Frage nach einer priesterlichen Ausbildung Snorris regelmäßig neu gestellt wird.36 Solche Spekulation kann nicht Ausgangspunkt der Betrachtung sein, vielmehr Ideen, die nachweislich in gelehrten Kreisen des hochmittelalterlichen Skandinaviens zirkulierten und einem Mann wie Snorri zum Anstoß eigener Überlegung gereichen konnten. Walter Baetke stellte 1950 die These auf, Snorri habe Óðinn in Gestalt eines Allvaters bewusst über andere Götter erhöht: „Dadurch war gleichsam ein Kompromiss zwischen dem Polytheismus der Mythen und dem Monotheismus der natürlichen Religion geschaffen“.37 Er hielt weiter fest: Es kommt darauf an, die Absicht des Verfassers festzustellen, und diese ging nicht darauf aus, das Bild Odins mit christlichen Farben zu malen, um ihn so dem Christengott anzuähneln, sondern er wollte auf seine Weise das Gottesbild der natürlichen Religion zeichnen. Auch dieses erfand er nicht selbst, sondern entnahm es der Lehre der Kirche.38
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Zu Umfang und Relevanz biblischer Texte in norröner Übertragung vgl. Kirby 1986 und 2000. Im Kontext werden vor allem Snorris Lateinkenntnisse seit langem diskutiert (vgl. Sverrir Tómasson 2005, Gísli Sigurðsson 2004, S. 6 ff.); eine solche Frage wäre doch zu differenzieren in Lese- und Schreibfähigkeit. Äußerst spekulativ ist die jüngst vertretene These, Snorri habe Latein in einer Weise beherrscht, die sein angestrebtes Werk auch in dieser Sprache ermöglicht hätte (Friis-Jensen 2010, S. 95; vgl. auch Holtsmark 1964, S. 15). Deutlich Stellung bezog kürzlich Anthony Faulkes: „There is no trace in Snorri’s work of any knowledge of Latin; he almost never uses Latin words and never quotes Latin works. Where he shows knowledge of Latin concepts or theological ideas that were not already available in Icelandic translations, it is mostly of fairly general nature and could easily have been derived from listening to vernacular preaching in churches or from conversation with clerical friends such as the priest and historian Styrmir Kárason“ (Faulkes 2008, S. 311). Solchem argumentum ex silentio widersprach bereits Ursula Dronke (Dronke 1977), in der Folge Margaret Clunies Ross (Clunies Ross 1987 und 2000). Pro Snorris Kenntnis lateinischer Werke argumentierte jüngst auch Óskar Gudmundsson (Óskar Gudmundsson 2011, S. 28 ff.). Vgl. auch Walter 1976, S. 15 ff. und Heizmann 2012. Baetke 1950, S. 57; vgl. auch Lang 1998. Baetke 1950, S. 53.
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Ein bemerkenswerter Ansatz, der doch ins Negative verkehrt wurde durch die abschließende Herabstufung des paganen Glaubens zu Trug und Irrwahn. Mit dem Terminus ‚Natürliche Religion‘ wurde aber von Baetke ein wirkungsmächtiger Begriff in der Diskussion etabliert, der einer Erklärung bedarf. Die Vorstellung einer dem Menschen im Urzustand gegebenen und von der Offenbarung unabhängigen ‚natürlichen Religion‘ ist selbst theologischer Provenienz. Ihre Geschichte läßt sich über die hochmittelalterliche Scholastik bis hin zu den frühchristlichen Apologeten zurückverfolgen. Die mit dieser Vorstellung verbundene Auffassung von der Möglichkeit einer unmittelbaren Erkenntnis des göttlichen Logos durch die Anschauung der vernünftigen Gesetzlichkeit der Natur ist indessen weit älter und war schon in der Naturlehre der antiken Stoa vertreten worden.39
Von jarðlig skilning (‚irdische Erkenntnis‘) berichtet der Formáli und belegt damit für Snorri und dessen nahes Umfeld eine ganz ähnliche Vorstellung; die dortige mehrfache Ansprache der unbekannten Schöpfermacht nicht im Plural, sondern mit dem Singularpronomen hann rechtfertigt zudem die Annahme, auch Snorri habe das Konzept einer ursprünglich monotheistischen Religion vor Augen gehabt (ohne dass dazu eine ‚Urmonotheismus‘-Debatte des 19./20. Jahrhunderts zu bemühen wäre). Auch Heinrich Beck betonte, die Annahme einer schöpferisch tätigen, lenkenden Gottesmacht bedürfe keiner „theologisierenden Deutung“.40 In der modernen Diskussion impliziert der Terminus ‚Natürliche Religion‘ jedoch eine seit der Aufklärung zunehmend vertiefte religionsphilosophische Auseinandersetzung vor allem um die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Vernunft.41 Auf diesen Umstand berief sich Klaus von See in seiner Argumentation gegen jegliche Relevanz eines solchen Konzepts in der Gylfaginning: Die theologia naturalis sive rationalis, die ‚natürliche oder vernünftige‘ Gotteserkenntnis, die schon dem vorchristlichen Heiden zugänglich gewesen sein soll, ist eine retrospektive Konstruktion vom Standpunkt des Christentums, deren
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Kohl 1998, S. 231; vgl. auch Schwöbel 2005, Sp. 257. Die Existenz von (unvollkommenen) Religionen in vorchristlicher Zeit negiert die Kirche keinesfalls, wenn in den 1960er Jahren auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil festgehalten wurde: multifariam multisque modis Deus locutus est in Prophetis – Gott hat sich viele Male und in unterschiedlicher Weise durch Propheten offenbart (vgl. Vaticanum ii über das Wort Gottes. Die Konstitution ‚Dei Verbum‘ (Einführung und Kommentar, Text und Übersetzung von Otto Semmelroth/Maximilian Zerwick), S. 66). Beck 1994, S. 29. Vgl. auch Dronke 1977, S. 158 ff. Vgl. etwa Kohl 1998; Lang 1998; Byrne/Holmes 2003; Gatzemeier 2004; Schwemmer 2004.
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einziger Sinn es ist, als eine unvollkommene Antizipation der theologia relevata, der ‚offenbarten‘ Religion, zu gelten, – anders ausgedrückt: die ‚natürliche Religion‘ kann nur im Christentum ihre Fortsetzung finden und nicht in irgendeiner polytheistischen Religion, also in einer Glaubensform von theologisch minderem Wert.42
‚Natürliche Religion‘ als neuzeitlicher Diskussion entsprungene Methode zu definieren widerspricht aber dem Faktum, dass die dem Konzept einer religio naturalis zugrunde liegende Idee bis in vorchristliche Zeit zurückverweist. Als Christ des Hochmittelalters, der an gelehrtem Diskurs seiner Zeit partizipierte, ist eine theologisch beeinflusste Annäherung an pagane Vergangenheit für Snorri zudem notwendige Prämisse – den konzeptionellen Niederschlag gilt es in der weiteren Untersuchung zu hinterfragen. In der folgenden Arbeit wird ‚Natürliche Religion‘ begriffen als die grundsätzliche Erkennbarkeit eines Schöpfers durch sinnliche Wahrnehmung und Verstandestätigkeit sowie ein daraus resultierender religiöser Glaube an dieses suprahumane Wesen; damit wird auch die Konzeption des Formáli angemessen berücksichtigt. Anne Holtsmark führte in den 1960er Jahren Baetkes These fort mit ihrem Konzept ‚assosiasjon ved kontrast‘.43 Christliche Verweise in Snorris Werk seien als ironische Brechung zu verstehen, müssten ins Negative verkehrt werden: „Den hedenske lære fremstilles best som det motsatte av den kristne.“44 Dieser Ansatz prägte eine Forschungssicht, die die Debatte um Snorri bis heute beeinflusst. Drei Jahrzehnte nach Baetke griff Gerd Wolfgang Weber das Konzept einer natürlichen Religion wieder auf, zeigte sich aber auch von Holtsmark beeinflusst:45 So erklären sich die zahlreichen und in der Zusammenstellung überzeugenden ‚antithetischen Analogien‘, die A. Holtsmark in der Gylfaginning zur christlichen Lehre sah und weswegen sie die Gylfaginning insgesamt als teuflische ‚Dämonentheologie‘ fassen wollte, an einigen Stellen tatsächlich als ‚Lüge‘; meistens jedoch sind es echte, wenngleich dunkle Analogien des heidnischen Bewußtseins zu philosophisch-theologischen Erklärungen und Spekulationen der mittelalterlichen Neuplatoniker und zu mehr oder weniger orthodoxen Ausdeutungen christlicher Mythographen zur Mythologie und Literatur der klassischen Antike, die Snorri im nordischen Mythos wiedererkennt.46
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Von See 1999b, S. 287 f. Holtsmark 1964, S. 24. Holtsmark 1964, S. 56 (‚die heidnische Lehre wird am besten als Gegensatz zur christlichen dargestellt‘). Weber 1986, S. 396 f. Weber 1986, S. 399.
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Der Begriff ‚Analogie‘ fand sich schon bei Walter Baetke, der 1951 in seinem Aufsatz „Christliches Lehngut in der Sagareligion“ zu den Verfassern der Sagas notierte: Sie standen […] dem Heidentum fern und hatten nur unklare Vorstellungen von ihm. […] Im ganzen war ihre Auffassung von ihr [d.i. die heidnische Religion] bestimmt durch die religiösen Ideen ihrer eigenen Zeit. […] Das heißt aber, daß man sich die heidnische Religion nach dem Bilde der christlichen malte. Manche Erscheinung […] erweist sich im Lichte quellenkritischer Betrachtung zum mindesten mit großer Wahrscheinlichkeit als literarische Analogiebildung der christlichen Erzähler.47
Baetke und Weber gemeinsam war ein diffuser Gebrauch des Terminus ‚Analogie‘, der gerade in Webers Formulierung von ‚echten, aber dunklen Analogien‘ ohne Aussagekraft bliebt.48 Den Analogiebegriff meidend formulierte Anthony Faulkes Mitte der 1980er Jahre vergleichbar: It is clear that any similarities between the account of the pagan religion and Christianity, and any apparent influence of Christianity on the mythology of Gylfaginning, are likely to be the result of a deliberate attempt by the author to explore the common ground between the two religions rather than of unconscious syncretism either in the author or the traditions he inherited. It would not be surprising if he sometimes made the heathen religion more similar to the Christianity he knew than it ever was in fact. Various passages in Gylfaginning are reminiscent of the Christian Credo.49
Von unpräzisem Einsatz der Terminologie distanzierte sich ab den 1990er Jahren Heinrich Beck. In mehreren Arbeiten trat er dafür ein, hinter der Gylfaginning ein Analogiekonzept wirksam zu sehen, das einen bedeutungsvollen Bezug zum Neuen Testament eröffne. Das höchstmögliche Analogon lag seiner Ansicht nach im Rahmenschluss der Gylfaginning (c. 31): ok er æsirnir heyra þetta sagt gafo þeir ser þessi nofn asanna. at þa er langar stvndir liþi efaþiz menn ecki at allir veri einir þeir æsir er nv er fra sagt ok 47 48
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Baetke 1951, S. 24 f. Offensichtlich von Webers Formulierung beeinflusst zeigte sich noch Arnulf Krause im Nachwort seiner Snorra-Edda-Übersetzung von 1997: „Einen durchgehend prägenden Zug in Gylfis Täuschung verursacht eine Vielzahl von Analogien, die schon unter Snorris Zeitgenossen zu Assoziationen und Vergleichen geführt haben dürfte. Eines zeichnet die meisten unter ihnen bevorzugt aus: Sie sind ihrer Analogiehaftigkeit dunkel, auf irgendeine Art und Weise gestört oder sich gar widersprechend“ (Die Edda des Snorri Sturluson (ausgewählt, übers. und kommentiert von Arnulf Krause), S. 264). Zu kurz greift daher Krauses Fazit: „Snorris Analogien erweisen sich danach als eine weitere Distanzierungsmöglichkeit zur heidnischen Mythologie“ (ebd.). Faulkes 1983, S. 305.
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þessir æsir er nv voro.50 Die Formel vera einir verstand Beck als Snorris bewusste Bezugnahme auf biblisches ego et Pater unum sumus:51 „Der Verfasser dieser allen Gylfaginning-Versionen gemeinsamen Identitätsidee beweist einen eindringlichen Blick auf die Grundlagen der neutestamentlichen Botschaft.“52 Erlaubte der unpräzise ‚Analogie‘-Begriff in den Abhandlungen Baetkes und Webers noch den Schluss, Snorri habe sich – im Sinne Holtsmarks – vom nordischen Polytheismus durch Kontrastierung distanzieren wollen, partizipierte nach Becks Ausführungen die pagane Überlieferung in Snorris Darstellung an einer letzten, christlichen Wahrheit:53 Analogie im Sinne einer Seins-Analogie bedeutet allerdings auch, dass hinter und über der Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zweier in Bezug gesetzter Größen (wie der paganen skandinavischen Vorzeit und der christlichen Gegenwart zu Snorris Zeiten) doch eine höhere Einheit walten musste. Diese Konzeption einer letztlich umfassenden Einheit bedeutet auch für die heidnische Vergangenheit Skandinaviens (und ihre erhaltenen Traditionen), dass ihnen ein eigener Wert und eine selbständige Würde zuzubilligen sind!54
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‚Und als die Asen dies sagen hören, gaben sie sich diese Namen der Asen, damit, wenn eine lange Zeit verginge, die Menschen nicht bezweifeln sollen, dass sie alle eins waren, die Asen, von denen nun erzählt worden ist, und die Asen, die nun lebten.‘ Joh 10,30 (‚ich und der Vater sind eins‘ (auch im Folgenden zitiert nach Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem (hrsg. von Robert Weber/Roger Gryson); Übersetzung nach Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers); vgl. dazu auch Kirby 1986, S. 3 ff.). Kontext dieser Aussage ist die Selbstbezeugung Jesu: si tu es Christus dic nobis palam (‚bist du der Christus, so sage es frei heraus‘) – loquor vobis et non creditis opera quae ego facio in nomine Patris mei haec testimonium perhibent de me (‚ich habe es euch gesagt und ihr glaubt nicht. Die Werke, die ich tue in meines Vaters Namen, die zeugen von mir‘). Beck 2007, S. 21 (in Grundzügen bereits Beck 1994). Edith Marold äußerte zwar Bedenken gegen diese These (Marold 1998a, S. 170); ihr Einwand, die asische Namenübertragung sei auf eine ferne Zukunft gerichtet (þá er langar stundir liði), ist grammatikalisch aber ausgeschlossen: liði muss übersetzt werden mit ‚verginge‘, nicht mit ‚vergangen wäre‘ (vgl. Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Jón Sigurðsson), S. 207: ne homines, tempore longius procedente, dubitarent); das übersah auch Klaus von See, der Marold nachdrücklich zustimmen wollte (von See 1999d, S. 279). Marolds Kritik, das Eins-Sein bezöge sich im Neuen Testament nur auf die Jesu und Gott gemeinsame Macht, bedeutet zudem keine Einschränkung einer snorrischen Analogiethese, wie die kraptr-Untersuchung zeigen wird (vgl. Kap. 4.3). Vgl. auch Kap. 3.4.1.2. Beck 2007, S. 25. Bereits Ursula Dronke notierte: „In the human mind itself there is something that allows the inference to God the designer to be realized, and
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Beck rekurrierte in dieser Formulierung explizit auf das Konzept der analogia entis, als eine Spezifizierung des komplexen Analogiebegriffs: Die analogia entis ist, so verstanden, das ‚Formprinzip‘, das Philosophie und Theologie und überhaupt alle disparaten Elemente im Denken und Sein vereint unter gleichzeitiger Wahrung ihrer Unterschiedenheit.55
In der Argumentation für eine solche Analogiethese Snorris lässt sich eines der europaweit wirkungsmächtigsten Ereignisse des frühen 13. Jahrhunderts ins Feld führen: das Vierte Laterankonzil von 1215, das bedeutendste Konzil des Mittelalters. Wegweisend für die Relationsdiskussion bis in heutige Zeit wurde Analogie unter Papst Innozenz III. zum zentralen Lehrsatz erhoben. Theologische Auseinandersetzung mit der Lehre des Joachim von Fiore (um 1130 bis 1202) über das Wesen der Trinität und die grundsätzliche Möglichkeit, Gott zu erkennen, hatte dazu Anlass geboten.56 In dieser Debatte manifestierte das Konzil mit der Formel inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda57 die Bedeutung von Analogie in der Betrachtung von Schöpfer und Geschöpf 58 – und „diese Formel war auch geeignet, in einer Religionsdebatte als Orientierung zu dienen.“59 Zahlreiche isländische Annalen verzeichnen das Vierte Laterankonzil als zentrales Ereignis des Jahres 1215; bereits sie legen nahe, dass die Kenntnis wesentlicher Inhalte den Norden Europas bald erreichte:60
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allows the names to reflect the truth that things are designed“ (Dronke 1977, S. 173); und auch Heinz Klingenberg merkte an, dass „Snorri die Methode des Inbezugsetzens aufgrund verweisfähiger Merkmale anzuwenden wußte“ (Klingenberg 1986, S. 642). Weingartner/Marshall 1998, Sp. 448. Vgl. Conciliorum Oecumenicorum Decreta. Dekrete der ökumenischen Konzilien 2 (hrsg. von Josef Wohlmuth), S. 232. ‚Zwischen Schöpfer und Geschöpf kann keine Ähnlichkeit festgestellt werden, ohne dass nicht auch eine größere Unähnlichkeit zu bemerken ist.‘ Vgl. auch Weingartner/Marshall 1998, Sp. 448: „Ein allgemein gebräuchlicher Ansatz ist, unser Verständnis von geschaffenem Sein für eine Analogie heranzuziehen, die uns befähigen soll, das ungeschaffene Sein Gottes, wenn auch unvollkommen, zu begreifen.“ Diese auf dem Vierten Laterankonzil kanonisierte Auffassung wurde auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren nochmals bestätigt (Vaticanum ii über das Wort Gottes. Die Konstitution ‚Dei Verbum‘ (Einführung und Kommentar, Text und Übersetzung von Otto Semmelroth/Maximilian Zerwick), S. 64 ff.). Beck 2007, S. 22. Wiederkehrende Formulierungen sind: kenni manna fundr i Latran, þing i Latran oder concilium i Latran (Islandske Annaler indtil 1578 (hrsg. von Gustav Storm)).
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Die in den Quellen dokumentierte Anzahl von Reisen und ihr Anstieg im 12. Jahrhundert zeugt nicht zwangsläufig von einer gestiegenen Mobilität der Skandinavier […]. Die Qualität der Reisetätigkeit veränderte sich aber zweifellos. Das zeigt sich an der zunehmenden Institutionalisierung der nordischen Kirchenorganisation und der mit ihr verbundenen Intensivierung der Kontakte.61
Eine signifikante Rolle in solcher Vermittlung wird vor allem dem Erzbischof von Nidaros, Guttorm, zuzuschreiben sein:62 Der Papst hatte ihn zum Laterankonzil geladen und seine Fahrt nach Rom ging wohl einher mit Verleihung des Palliums; den Annalen zufolge kehrte er erst im Jahre 1216 nach Norwegen zurück. Guttorm wird entscheidende Funktion bei der Königslegitimation Hákon Hákonarsons zugeschrieben und auch zu Jarl Skúli hat er in engem Austausch gestanden. In die Jahre 1218 bis 1220 fällt Snorris erster langer Aufenthalt am norwegischen Herrscherhof, 1219 unterbrochen von mehrmonatiger Reise nach Schweden. Es scheint ausgeschlossen, dass Guttorm in diesen Jahren am Königshof nicht mit Snorri zusammengetroffen wäre – von den Ergebnissen des Laterankonzils wusste er dabei aus erster Hand zu berichten. Bemerkenswert, dass Snorri mit der Formel vera einir ein Konzept andeutet, das einen zentralen Punkt der Konzilsdiskussion darstellte – die Frage nach der Wesenseinheit. Zu Snorris Schaffenszeit erfolgte zudem der fünfte Kreuzzug (1217– 1229 (Kreuzzug von Damiette und unter Friedrich II.)); auch er war auf dem Vierten Laterankonzil von Innozenz III. initiiert worden. Die Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam wird in norwegischen Herrscherkreisen ebenfalls diskutiert worden sein; so notieren die isländischen Annalen für das Jahr 1229 Hierusalem upp reist, Jerusalem aufgebaut, und dokumentieren damit Kunde dortiger Ereignisse. Der Handlungsschauplatz dieses Zusammenstoßes scheint Snorri vor allem in seiner Ynglinga saga beeinflusst zu haben; geographische Ferne und nur bedingte Kenntnis des Gebiets erlaubten ihm darstellerische Freiheiten.63 Seine Verknüpfung der Asen mit Asien geht über sprachlichen Anklang weit hinaus, das belegt die Ynglinga saga eindrucksvoll: Nicht nur den Mittelpunkt der Welt verortete
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Waßenhoven 2006, S. 143. Vgl. Norsk biografisk leksikon, s.v. Guttorm. Auch der Verfasser einer Version der Maríu saga, Kygri-Björn Hjaltason, findet im Kontext des Laterankonzils Erwähnung (vgl. Waßenhoven 2006, S. 330). Skandinavier pflegten im Mittelalter Kontakt zum kleinasiatischen Raum u.a. in Form von Handelsbeziehungen und durch das Stellen der kaiserlichen Leibgarde in Byzanz (vgl. etwa Waßenhoven 2006, S. 73 f.). Karten belegen zwar allgemeine Kenntnis von Völkern, Orten und Gebirgen, doch konnten diese in vielen Fällen offensichtlich nicht genauer verortet oder beschrieben werden.
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Snorri im vorderasiatischen Raum, auch den Ursprung von Kultur und Religion vermutete er dort. Mit seinem Werk verfolgte er nicht zuletzt das Ziel, kulturelle Errungenschaften seiner Vorfahren in kontinentalhistorischen Kontext einzubinden, das wird die folgende Untersuchung noch präzisieren.64 Diskursprägende Ereignisse wie das Laterankonzil und die Kreuzzüge konnten Snorri Anhaltspunkte liefern, auf welcher methodischen Grundlage solche Darstellung konzipiert werden konnte. Es muss ihm bewusst gewesen sein, dass die Wertung des nordischen Polytheismus maßgeblich von dessen Relation zum Christentum abhängig war: Eine Würdigung erlaubte nur das Anerkennen grundsätzlicher Analogie zwischen christlichem und vorchristlichem Glauben, die Präsentation des Polytheismus als verweisfähige Vorstufe des Christentums.65 Eine Gleichsetzung strebte Snorri darin nicht an, wohl aber ein über bloße Ähnlichkeit hinausweisendes Inbezugsetzen, das sich doch, wie das Laterankonzil diktierte, letztlich immer durch größere Unähnlichkeit auszeichnete. Eine solche Analogiethese offerierte vielfältige Möglichkeiten in der Darstellung. Die pagane Religion, wie Snorri sie zeichnet, weist fast schon plakative Ähnlichkeiten zum Christentum auf, die in der Forschung seit langem erkannt und wesentlich unbestritten sind. Doch die von Snorri gesehenen analogen Bezüge zwischen Asenglauben und Christentum bewegen sich nicht allein auf solcher Ebene der Äußerlichkeiten – sie greifen weiter. Die lexematischen Untersuchungen werden zeigen: Besonders der Idee einer zeitlos waltenden göttlichen Macht, dem kraptr, kommt zentrale Bedeutung in Snorris Konzeption zu. Hinter der Formulierung vera einir vermutete Heinrich Beck den analogen Anklang an biblisches unum sumus (s.o.): Nach christlicher Vorstellung ist Jesus Christus der Sohn Gottes, von diesem auf die Erde gesandt; Jesus von Nazareth aber war Mensch, der eine göttliche Bestätigung erfuhr. Snorri wiederum berichtet von irdischen Asen und göttlichen: Die menschlichen Asen erklären sich eins mit den göttlichen, werden (möglicherweise analog zur biblischen Darstellung) auch als Repräsentanten der Asengötter legitimiert.66 Doch liegt die Bedeutung dieser Stellvertreterrolle nicht allein im
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Vgl. Kap. 4.2.2. Vgl. auch Kap. 3.4.1.1. Vgl. dazu Beck 2000, S. 67 f.: „Es mag kühn erscheinen, in dieser Hinsicht noch ein weiteres Analogon zu erwägen. In neutestamentlicher Überlieferung bekräftigt nicht nur der irdische Jesus sein Einssein mit dem himmlischen Vater, er erhält auch die Bestätigung aus göttlichem Mund […] – mit der Aufforderung an die Jünger, ihn zu hören […]. Das Analogon könnte im c. 6 des Binnenteils der
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analogen Bezug zur Bibel; sie bedingt innerhalb von Snorris Werk eine weitere Ebene der Analogie: Auch der Bezug zwischen menschlichen und göttlichen Asen, die Snorri durchweg trennt, ist analog – die irdischen Asen vermögen ihre begrenzte Existenz nicht zu überwinden. Es ist offensichtlich, dass Snorri Ideen, die er in der Gylfaginning entwickelt hatte, in die Ynglinga saga übernahm; augenfälliger Beleg sind die Asen. Das rechtfertigt die These, auch eine Analogie zwischen irdischen und göttlichen Asen habe er aufrechterhalten wollen. Konzeptionellen Anschluss vermutete bereits Anne Holtsmark: Snorre har som bekjent ikke skrevet bare mytologi; han var historiker, hans innstilling til mytene er også historisk, idet han vil gi dem en forankring i fortidigt virklighet. I Heimskringla begynner han hvor han slapp i Gylfaginning, æsene fra Asia har slått se ned i Svíþióð.67
Holtsmark irrte aber im letzten Punkt: Die Handlung der Ynglinga saga beginnt keinesfalls in Skandinavien, erst in Kapitel 5 wird das Geschehen dorthin verlagert; bis zu diesem Punkt ist Snorris Erzählung im asiatischen Asenland verortet.68 Kultische Verehrung erfahren die menschlichen Asen bereits in dieser Urheimat (c. 2): þeim skyldi þjónostu veita ok lotning allt fólk.69 Nach Snorris Darstellung beruhte solche Verehrung auf zwei Dingen: den herausragenden Fähigkeiten der Asen (íþróttir70) und ihren göttlichen Namen.71
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Gylfaginning vermutet werden: Nachdem Odin und seinen beiden Brüdern gesagt wurde, daß sie die Lenker Himmels [sic!] und der Erden seien, fährt Hár mit einer Wendung an Gangleri (dem Sinne nach) fort: Odin kennten sie (d.i. die Hár-Trinität) als den bedeutendsten und vornehmsten (der ersten Götter) – und wohl mögt ihr ihn (auch) so heißen lassen! […] Als Einzelbeleg genommen, würde man nicht wagen, ihn in eine solche Analogie zu rücken. In der Reihe solcher Belege erhält er Gewicht.“ Holtsmark 1964, S. 13 (‚Snorri hat bekanntermaßen nicht nur Mythologisches geschrieben; er war Historiker und seine Einstellung gegenüber Mythen ist auch historisch, wenn er sie in vorzeitlicher Wirklichkeit verankern will. In der Heimskringla begann er, wo er in der Gylfaginning endete: Die Asen aus Asien haben sich in Schweden niedergelassen‘). Vgl. Kap. 4.2.2.2. ‚Ihnen sollte das ganze Volk Dienste und Ehre erweisen‘; vgl. Kap. 4.5.3. Vgl. Kap. 4.3.4.2. Anne Holtsmark hielt fest: „Det er en slag ‚nominalisme‘, det er navnet som blir dyrket“ (Holtsmark 1964, S. 12 (‚das ist eine Art Nominalismus, es ist der Name, der verehrt wird‘)). Sie folgerte allerdings: „Det passer også med Snorres idé at ‚Asiamennene‘ tok gudenes navn og lot seg dyrke. Demonlæren får uttrykk i at de fiolkunnige var djevelens utsendinger“ (ebd., S. 13 (‚das passt auch zu Snorris Idee, dass die Asienleute die Namen der Götter annahmen und sich verehren ließen.
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Auch der irdische Jesus wurde angebetet, nachdem er wundersame Taten vollbracht hatte, das belegt die Bibel an zahlreichen Stellen.72 Die besondere Macht der menschlichen Asen kann nur zum Teil auf geographische Nähe zum Weltmittelpunkt zurückgeführt werden. Ihre Fähigkeiten sind in Snorris Konzeption wesentlich geknüpft an die Übertragung göttlicher Namen: „Der Name hatte sehr große, fast magische Wirkungskraft, er war heilig. Er wurde im Laufe der Zeit wichtiger als die wirkliche Identität seines Trägers.“73 Diese doppelte Auszeichnung deutet Snorri bereits zu Beginn der Gylfaginning an, wenn Gylfi die Frage stellt, ob der Erfolg der irdischen Asen mvndi af eþli þeirra vera eða mvndi gvþmavgnin vallda þvi, d.h. ob es allein die asiatische Herkunft sei, die solche Leistung bewirke, oder aber göttliche Macht walten würde.74 Die logischen Anschlüsse beider Werke in genannten Punkten zeugen von durchdachter Fortführung eines Analogiekonzepts auch in der Ynglinga saga. Snorri wollte in seiner Betrachtung aber einen zeitlichen Bogen spannen, musste somit auch die Anfänge des nordischen Asenglaubens bedenken. Das machte es nötig, ansatzweise in eine Zeit davor zurückzublicken. Die Darstellung des Ursprungs einer Religion wird Snorri vor ähnliche Herausforderungen gestellt haben, wie die moderne Forschung; so notierte Walter Baetke in seiner grundlegenden Arbeit zum „Heiligen im Germanischen“: „Der Anfang verliert sich – immer und überall – in unaufhellbares ‚vorgeschichtliches‘ Dunkel. Über ihn läßt sich nur eine mythische, nicht eine wissenschaftliche Aussage machen.“75 Für frühste Zeit, in der weder Asenglaube noch Christentum im Norden existent waren, eine auf menschlicher Einsicht basierende Gottesvorstellung anzusetzen, erscheint als logische Annahme Snorris: Durch Betätigung der menschlichen Sinne kann aus der Schöpfung auf einen Schöpfer geschlossen werden. Im Konzept ist dies ebenso einfach wie eingänglich – natürliche Gotteserkenntnis basiert auf
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Die Dämonenlehre findet ihren Ausdruck darin, dass diese Zauberkundigen vom Teufel gesandt waren‘)). Vgl. auch de Vries 1956, S. 298 ff. Vgl. etwa Mat 8,2; Mat 14,33; Joh 9,38. Kadečková 1989, S. 80. Vgl. auch Beck 2007, S. 27: „Gylfis Reise nach Ásgarðr begründet der Eingangsrahmen damit, dass der weise Gylfi die besonderen Fähigkeiten des Asen erforschen wollte hvart þat mvndi af eþli þeirra vera eða mvndi gvþmavgnin valda þvi […]. Der Verfasser ist wohl des Glaubens, dass aus dem Umgang mit göttlichen Wesen, d.h. mit und im Kult, ein Zuwachs an Fähigkeiten und Fertigkeiten erwächst – und dies gilt für den heidnischen Kult genauso wie für den christlichen. Es ist eine Frage des Standpunktes – christologisch oder religionswissenschaftlich.“ Vgl. auch Kap. 4.5.3. Baetke 1942, S. 28.
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Analogieschlüssen. Die Thematik wurde auf dem Vierten Laterankonzil diskutiert, doch Grundlagen finden sich bereits in der Bibel formuliert, wenn Paulus im Brief an die Römer schreibt: Revelatur enim ira Dei de caelo super omnem impietatem et iniustitiam hominum eorum qui veritatem in iniustitiam detinent. Quia quod notum est Dei manifestum est in illis Deus enim illis manifestavit. Invisibilia enim ipsius a creatura mundi per ea quae facta sunt intellecta conspiciuntur sempiterna quoque eius virtus et divinitas ut sint inexcusabiles. Quia cum cognovissent Deum non sicut Deum glorificaverunt aut gratias egerunt sed evanuerunt in cogitationibus suis et obscuratum est insipiens cor eorum. Dicentes enim se esse sapientes stulti facti sunt et mutaverunt gloriam incorruptibilis Dei in similitudinem imaginis corruptibilis hominis et volucrum et quadrupedum et serpentium.76
Víðar Pálsson bezeichnete diese Bibelstelle kürzlich als „the most important scriptual passage in medieval thought“77 – sie muss aber richtig verstanden werden. Die Snorri-Forschung irrt,78 wenn sie hier eine zeitliche Abfolge von natürlicher Religion und Polytheismus zu erkennen glaubt. Die theoretische Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis räumt Paulus zwar ein, doch vertritt er die Ansicht, die vorchristlichen Menschen verharrten in der Verblendung: Sie waren nicht bereit, den Schöpfer, der in der Schöpfung doch sichtbar wurde, als Gott zu verehren – sie huldigten den nichtigen Geschöpfen: quia cum cognovissent Deum non sicut Deum glorificaverunt aut gratias egerunt. Eine Episode der Apostelgeschichte verweist in gleiche Richtung:79 Abermals ist es Paulus, der sich in Athen über die zahlreichen Götzenbilder empört; auf einem Altar sieht er die Inschrift ignoto deo (‚dem unbekannten Gott‘), spricht daraufhin: quod ergo ignorantes colitis hoc ego adnuntio
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Röm 1,18 ff. (‚denn Gottes Zorn wird vom Himmel her offenbart über alle gottlose Wesen und alle Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten. Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man sie wahrnimmt, sodass sie keine Entschuldigung haben. Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der kriechenden Tiere‘). Víðar Pálsson 2008, S. 142. Vgl. etwa Marold 1998a, S. 150. Apg 17,16 ff.
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vobis,80 und fährt fort, Gott habe den Menschen bewusst Grenzen gesetzt, damit sie nach ihm, der nicht weit entfernt sei, tasten sollten (quaerere Deum si forte adtractent eum aut inveniant quamvis non longe sit ab unoquoque nostrum). Die Idee einer Gotteserkenntnis durch Einsetzen der menschlichen Sinne (adtractare) ist auch hier greifbar, ebenso aber die Gefahr der Idolatrie. Den Stellenwert des Konzepts einer natürlichen Gotteserkenntnis in der Bibel können solche Passagen belegen,81 als Nachweis einer zeitlichen Abfolge vorchristlicher Religionsformen können sie indessen nicht dienen. Rückschlüsse auf Snorris Werk müssen daher mit Bedacht erfolgen, wird doch im Formáli eine abweichende Auffassung vertreten, nach deren Darstellung die menschliche Betrachtung der Schöpfung (jarðlig skilning) die unmittelbare Erschließung eines Schöpfers bedingt: Sa þeir þat at oiafn var gangr himintvngla. Svm gengv lengra en svm. þat grvnaþi þa at nockvrr mvndi þeim styra. ok mvndi sa vera rikr. ok ætloþv hann mvndo verit hava fyrri en himintvnglin. ætloþv hann raþa mvndo skini solar ok dogg iarþar ok vindvm ok stormi. en eigi vissu þeir hverr hann var. en þvi trvþo þeir at hann ræþr ollvm hlvtvm.82
Es wird weiter berichtet von der folgenden Benennung aller Dinge (gafu þeir avllvm hlvtvm nafn með ser), denn das Vergessen des wahren Gottes ging einher mit sprachlichem Verlust: en hverr mvndi þa segia fra gvðs stor merkivm er þeir tyndo gvþs nafni. en þat var viþaz vm verolldina er folkit villtiz.83 Der menschliche Erklärungsbedarf des Weltgeschehens forderte eine Sprache, über die das neue Wissen formuliert und tradiert werden konnten (til þess at þeir mætti mvna). Solche Benennung birgt schon in sich einen Analogieschluss: Throughout the whole course of development the necessity for finding analogical words as a vehicle for the expression of spiritual truth has never been outgrown. The innermost secret of religion is still put into speech by means of the analogy of human fatherhood.84
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Apg 17,23 (‚nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt‘). Vgl. dazu auch Dronke 1977, S. 158 ff. ‚Sie sahen, dass der Lauf der Himmelskörper ungleich war, einige waren länger unterwegs als andere. Sie vermuteten, dass jemand diese lenken würde, und dieser müsste mächtig sein, und sie nahmen an, dass er früher als die Himmelskörper gewesen sein müsste und dass er den Schein der Sonne und den Tau der Erde und Wind und Sturm beherrsche. Sie wussten nicht, wer er war, aber dennoch glaubten sie daran, dass er alle Dinge lenke.‘ ‚Aber wer sollte von Gottes Großtaten erzählen, als sie Gottes Namen vergaßen? Und weit um die Welt geschah es, dass die Menschen vom rechten Weg abkamen.‘ Joyce 1908, S. 417.
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Im Zuge dieser Namengebung wird der ursprünglich unbekannte Gott mit einem spezifischen Wortschatz verknüpft; der Glaube an ihn ist daher im weiteren Verlauf abhängig von Wanderungsbewegungen und sprachlichen Prozessen: siþan hevir atrvnaþr breyzt a marga vega sem menn skiptvz. eðr tvngr greindvz.85 Die Formulierung (svá) sem kann eingedenk der unmittelbar vorausgehenden Ausführungen des Fórmáli nicht den bloßen Vergleich bedeuten – sie impliziert den kausalen Zusammenhang.86 Solche Genese vollzieht sich aber á marga vega, in vieler Weise; aus der christlichen Sicht des Formáliverfassers ein Vorgang, der von monotheistischem Gottesverständnis wegführen konnte, wenn wenig später bereits ein Glaube an die Asen angedeutet wird (hvar sem þeir forv þotti mikils vm þa vert ok likari goþvm en monnvm).87 Auch die Interpolationen in W zur babylonischen Sprachverwirrung mit 72 Sprachen (svá margar túngur hafa síðan dreifzt um veröldina, eptir því sem risarnir skiptust síðan til landa, ok þjóðirnir fjölguðust)88 betonen einerseits unter Verweis auf den Zoroastrismus diese Kopplung von Sprache und Religion; andererseits heben sie vor allem den negativen Aspekt einer solchen Entwicklung hervor. Anne Holtsmark führte aus: Snorre vet fra sin skolelærdom at hedensk vranglære oppstod alt før Noa-floden fordi folk glemte guds navn, de måtte finne på en religion selv; enda værre ble det i sprogforvirringen etter Babels tårn; da ble det 72 sprog og følgelig like mange slags vantro.89
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‚Danach hat sich die Glaube in vieler Weise gewandelt, so, wie Menschen sich teilten und Sprache entwickelte.‘ Vgl. bereits Dronke 1977, S. 155 ff. und 162 ff. Vgl. auch Gylfaginning c. 17: flest heiti hafa verit gefin af þeim atbvrþvm at sva margar ero greinir tvngna i verolldinni. þa þickiaz allir þioþir þvrfa at breyta nafni hans til sinnar tvngo til bæna ferlis sialfvm ser (‚die meisten Namen [d.i. Namen Óðinns] sind gegeben worden durch den Umstand, dass es so viele verzweigte Sprachen auf der Welt gibt; alle Völker scheinen das Bedürfnis zu haben, seinen Namen an ihre Sprache anzupassen, um ihn besser in eigenen Dingen anbeten zu können‘). ‚Dort, wo sie fuhren, schienen sie von großer Bedeutung und eher als Götter denn Menschen.‘ Vgl. auch von See 1988, S. 23; Marold 1998a, S. 149 f.; Beck 1999a, S. 6 f. ‚So viele Sprachen haben sich danach auf der Welt verbreitet, je nachdem, wie sich die Riesen später im Land verteilten und Völker folgten.‘ Holtsmark 1964, S. 57 (‚Snorri weiß durch seine Schulbildung, dass die heidnische Fehllehre vor der Sintflut entstand; da die Menschen Gottes Namen vergaßen, mussten sie selbst eine Religion erfinden; noch schlimmer wurde es durch die Sprachverwirrung nach dem Turmbau zu Babel; da wurden es 72 Sprachen und somit ebenso viele Varianten an Fehlglaube‘). Es muss aber betont werden: Hinter diesen Ergänzungen steht mit größter Wahrscheinlichkeit nicht Snorri, sondern ein späterer Redaktor.
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Es lässt sich festhalten: In der Gylfaginning wollte Snorri die Anfänge des nordischen Polytheismus erklären. Für die Zeit davor eine vernunftbasierte Gotteserkenntnis anzunehmen, konnte Resultat eigener Überlegungen sein, fand sich aber auch in der Bibel und nicht zuletzt der Lateran-Lehre vom Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf angedeutet. Der Historiker Snorri wollte die kulturelle Blütezeit seiner Vorfahren – aus der ein Großteil seines Materials stammte – integrieren in eine Darstellung von früher monotheistischer Religion und späterem Christentum, in solcher Weise, dass der nordische Polytheismus eine eigene Interpretation erfuhr. Das systematische Aufzeigen von Analogien konnte methodisches Fundament einer solchen Darstellung werden. Die Ergebnisse des Vierten Laterankonzils werden Snorri in seiner Beschäftigung inspiriert haben, doch passte er solche Vorgaben an die Bedürfnisse der eigenen Arbeit an. Wenn er dabei Bezug zum Neuen Testament anstrebte, dann musste dies die Verwahrung vor negativem Zugriff bedeuten. 3.4.1.1. Snorris Geschichtsverständnis Im vorausgegangenen Kapitel wurde dafür argumentiert, in Snorris Werk das Konzept der Analogie als methodische Grundlage anzuerkennen; diese Überzeugung erfordert in der Konsequenz den revidierten Blick auf Snorris Geschichtsverständnis. Es lässt sich in Betrachtung der Forschung der letzten zwei Jahrzehnte konstatieren: Vor allem die monographische Arbeit Sverre Bagges zu Gesellschaft und Politik in Snorris Werk hat wesentlichen Einfluss in dieser Beurteilung geübt.90 Eine machtpolitische Idee sei es gewesen, die Snorris historiographische Perspektive prägte: Die geschichtsträchtigen Leistungen einzelner norwegischer Könige hätten im Zentrum seines Interesses gestanden. Solche Einschätzung ist zunächst gerechtfertigt: Politiker und Machtmensch war Snorri selbst, eng verbunden der norwegischen Herrscherelite – seine umfassende Behandlung der Könige Norwegens hat diesem Umstand Rechnung getragen.91 90
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Bagge 1991; vgl. bereits Bagge 1990. Vgl. nachfolgend etwa Whaley 1999; vgl. auch Marold 1998b. Vgl. auch Kreutzer 1994, S. 455: „Ein Schlüssel dazu, wie es zu diesem tragischen, wenn auch vielleicht vorhersehbaren Ende [d.i. die Ermordung Snorris] kommen konnte, liegt in Snorris historischen und literarischen Äußerungen. Sie verraten unter Umständen mehr über die Vorstellungen ihres Autors, als Sturla zu sagen bereit oder in der Lage war. Jedenfalls passt die Haltung der Heimskringla zu Harald [d.i. Haraldr inn hárfagri] sehr gut zu Snorris biographischem Hintergrund und seinen zu erschließenden, wenn auch selten deutlich ausgesprochenen Zielen. Nun kann die grundsätzlich positive Einstellung der Heimskringla zum norwegischen
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Schon einleitend wurde notiert, dass die Ynglinga saga in solcher Betrachtung bisher geringes Interesse erfahren hat; die nachfolgende Untersuchung wird aber zeigen: Diese mythologische Vorgeschichte der Könige ist konzeptionell eng der zeitlich vorausgehenden Gylfaginning verbunden, muss auf deren Grundlage interpretiert werden; sie wird damit aber auch bedeutsam für die Beurteilung von Snorris Geschichtsverständnis, das keinesfalls ein rein profanes gewesen ist.92 Bereits Gerd Wolfgang Weber merkte Mitte der 1990er Jahre zu Bagges These, das Konzept einer theologischen Weltchronologie bliebe in der Heimskringla bedeutungslos, kritisch an: Das ist nicht richtig. Richtig wäre, daß hinter Snorris Darstellung der konkreten Vorgänge die weltgeschichtlichen Bezüge zurücktreten. In der Gesamtstruktur des Werks sind sie jedoch manifest: Was ist die Ynglinga saga samt ihrer Einwanderungssage anderes als weltgeschichtliche Anbindung?93
In Theologie und Religionswissenschaft wird mit dem Begriff ‚Offenbarung‘ die gottgewollte Enthüllung einer vorher verborgenen religiösen Wahrheit bezeichnet.94 Nach christologischer Überzeugung ist Jesus Christus durch das Wirken des Heiligen Geistes als letzte Offenbarung Gottes ausgewiesen; in der Auferstehung des Gekreuzigten liegt die universale Wahrheit, dass allen, die an Christus glauben, nach dem Tod ewiges Leben zuteil wird – auf dieses Versprechen gründet der christliche Glaube.95 Der Autoritätsanspruch der religio revelata ist damit grundsätzlich höher anzu-
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Königtum im Hinblick auf das intendierte Publikum und die generelle Perspektive natürlich nicht überraschen.“ Auch Bagge musste eingestehen, dass Snorris Schilderung in der Heimskringla nicht sämtlich einer profanen Geschichtsschreibung zuzurechnen ist: „Daß Snorri auf diese Weise eine zusammenhängende weltliche Erklärung historischer Ereignisse gibt, bedeutet nicht, daß er ein moderner Rationalist wäre, der den Gedanken, daß Gott in die Geschichte eingreifen kann, von sich weist“ (Bagge 1990, S. 5). Er maß diesem Umstand doch wenig Bedeutung zu, wenn er einleitend notierte: „Die weltliche Erklärung ist meines Erachtens die wichtigere“ (ebd., S. 3). Weber 1994b, S. 124. Vgl. Figl 2003b. Vgl. Schwöbel 2005, Sp. 266. Vgl. auch die Ausführungen in Dei Verbum: tota suiipsius praesentia ac manifestatione, verbis et operibus, signis et miraculis, praesertim autem morte sua et gloriosa ex mortuis resurrectione, misso tandem Spiritu veritatis, revelationem complendo perficit (‚wer ihn sieht, sieht auch den Vater. Er ist es, der durch sein ganzes Dasein und seine ganze Erscheinung, durch Worte und Werke, durch Zeichen und Wunder, vor allem aber durch seinen Tod und seine herrliche Auferstehung von den Toten, schließlich durch die Sendung des Geistes der Wahrheit die Offenbarung erfüllt und abschließt‘ (Vaticanum ii über das Wort Gottes. Die Konstitution ‚Dei Verbum‘ (Einführung und Kommentar, Text und Übersetzung von Otto Semmelroth/Maximilian Zerwick), S. 66)).
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setzen als Gotteserkenntnis allein durch menschliche Einsicht. Dieser christliche Offenbarungsgedanke war bedeutsam auch für die mittelalterliche Historiographie: An den von Gott gewirkten Ereignissen erkennen die Menschen grundsätzlich, was Gott mit ihnen will. Bei solcher Sicht des Alten und natürlich auch des Neuen Testaments ist es aber plausibel und nur konsequent, daß die Offenbarungsgeschichte zum Schlüssel und Muster der Geschichte überhaupt wurde. […] Die gesamte Offenbarungsgeschichte wird zum Typus der insgesamt für das Verhältnis der Menschen zu Gott relevanten Vorgänge. Sie gibt nicht nur das Erklärungsmuster für die allegorische Exegese der Geschichte, sondern ist auch das Grundmuster von Geschichte überhaupt, das zwar in immer neuen und insofern anderen Ereignissen, aber in der Struktur und dem Sinn nach doch gleichartigen Vorgängen wiederholt wird. Dies aufzuspüren und nachzuweisen in den fortschreitenden Ereignissen ist auch eine Aufgabe von Historiographie – und macht sogar einen Teil ihrer Wissenschaftlichkeit und der ihr zugewiesenen Aufgabe aus, Wahres zu erzählen.96
Die Fragestellung des Historikers konnte daher korrespondieren mit der theologischen Frage nach der „Bewährung des Inhalts der religiösen Botschaft der Texte als der alles bestimmenden Wirklichkeit im Horizont der jeweiligen tatsächlichen Erfahrungswelt des Menschen“;97 die Forschung des 20. Jahrhunderts hat für dieses Verständnis den Terminus ‚Geschichtstheologie‘ geprägt.98 Auch Snorri strebte die Darstellung einer Religionsentwicklung an, der christliches Gedankengut als Maßstab diente – in dem Sinne, dass bestimmte Vorgänge innerhalb der betrachteten Religionen in eine verweisfähige Beziehung zueinander gesetzt wurden, Inhalte des nordischen Asenglaubens als analoge Vorausdeutungen auf das kommende Christentum verstanden werden sollten;99 die weitere Untersuchung wird dies ausführen. Die in solchem Verständnis implizierte Vorstellung einer Abfolge religiöser Zeitalter war Diskussionspunkt auch des Vierten Laterankonzils und findet in Gylfaginning und Heimskringla gleichermaßen Ausdruck.100 Damit einher geht Snorris Thematisierung des Wahrheitsgehalts seiner Ausführungen, deren Inhalte wesentlich auf eddischer und skaldischer Überlieferung basieren. Snorris machtpolitischer Geschichtsauffassung muss daher eine nicht minder bedeutsame geschichtstheologische Perspektive an die Seite gestellt 96 97 98 99 100
Schmale 1985, S. 51 f. Pannenberg 1973, S. 382. Vgl. etwa Pannenberg 1973, S. 381 f.; Schmale 1985, S. 38 ff.; Rowland 2000. Vgl. auch Klingenberg 1986, S. 655. Vgl. auch Kap. 4, FN 163.
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werden. Anhand des angesprochenen Terminus der ‚Offenbarung‘ gilt es diese These im folgenden Kapitel zunächst auf die konkrete Überlieferung zu präzisieren. 3.4.1.2. Offenbarungsanalogie – Zur Funktion der sjónhverfingar Seit der Nachkriegszeit hat der Terminus ‚Offenbarung‘ in der Erforschung von Snorris Werk Anwendung gefunden. Dahinter steht die Überzeugung, dass Snorris einzigartige Rahmenkonstruktion in der Gylfaginning einen besonderen Anspruch zum Ausdruck bringen sollte: Die vielstimmige pagane Überlieferung stellte Snorri vor die Herausforderung einer adäquaten Präsentation – dies im Blick sowohl auf die religiöse Aussagekraft solcher Mythen als auch ihre gelehrte Systematisierung. Allein, diese Einsicht hat bisher nicht zur überzeugenden Deutung geführt. Schon Anne Holtsmark gebrauchte in den 1960er Jahren eine Bezeichnung ‚hednisk åpenbaring‘, das negative Abbild der christlichen Offenbarung.101 Rund zwanzig Jahre später interpretierte Heinz Klingenberg Gylfi in Anlehnung an den biblischen Abraham als ‚Offenbarungsempfänger der Asenmythologie‘.102 Klaus von See sprach dann Ende der 1990er Jahre von einer ‚belehrenden Offenbarung‘, gedacht als zauberisches Blendwerk;103 zeitgleich verstand Edith Marold die Gylfaginning als ‚Offenbarung der Asen-Mythologie‘, führte aber Zweifel an, ob „dieser christliche Terminus hier überhaupt angebracht ist.“104 Für einen positiv verstandenen Offenbarungsbegriff – und damit erstmals die Berücksichtigung einer geschichtstheologischen Sicht Snorris – plädierte bereits einige Jahre zuvor Heinrich Beck: Als ein weitreichendes Analogon darf die Idee der Gylfaginning gelten, Gottheiten durch eine Offenbarung aus der Verborgenheit treten und irdische Repräsentanten die Botschaft empfangen und verbreiten zu lassen. […] Diese ‚Mitteilung‘ kann aber einerseits passiver Art sein und in einer Erfahrung transzendenter Notwendigkeit bestehen. Auf dieser Linie bewegt sich die sog. natürliche Theologie […]. Solche Mitteilung kann andererseits aber auch dem willentlichen Akt einer Gottheit entspringen und die Bedingungen der ‚natürlichen Offenbarung‘ weit überholen. Die Snorra-Edda folgt diesem Vorbild und reiht sich damit analogisch in einen Kreis von Religionen ein, unter denen das Christentum ein vornehmes Beispiel darstellt.105
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Holtsmark 1964, S. 12. Klingenberg 1986, S. 632. Von See 1999b, S. 279. Marold 1998a, S. 149. Beck 1994, S. 40 f.
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Im Hinblick auf die Motivik hat die Forschung regelmäßig Parallelen zwischen Johannes-Offenbarung und paganer Götterschau aufgezeigt. So wird etwa in der U-Gylfaginning (c. 31) berichtet: vpp skytr iorþvnni or sænvm. ok er hon græn. ok osanir akrar;106 im Neuen Testament heißt es vergleichbar: et vidi caelum novum et terram novam.107 Im selben Kapitel der Gylfaginning steht weiter: a nastrondvm er mikill salr ok illr. […] en orma havfvð hanga inn vm glvggana. ok blasa þeir eitri. sva at ár falla af. ok vaþa þeir menn þær er ero eiþrofar ok morþvargar;108 die Bibel wiederum berichtet: timidis autem et incredulis et execratis et homicidis et fornicatoribus et veneficis et idolatris et omnibus mendacibus pars illorum erit in stagno ardenti igne et sulphure;109 weiteres ließe sich anführen.110 Zwar beruht die Gylfaginningdarstellung in diesen Passagen wesentlich auf der Vo˛ luspá, deren christliche Beeinflussung wird in der jüngeren Forschung aber ebenfalls selten angezweifelt.111 Doch auch hinsichtlich der Darstellungskonzeption lässt sich eine Orientierung der Gylfaginning an biblischem Offenbarungsgeschehen notieren: In der Offenbarung des Johannes verkünden Engel das weitere Weltgeschehen (et significavit mittens per angelum suum servo suo Iohanni)112 und Paulus leitet seinen Brief an die Galater ein mit den Worten: notum enim vobis facio fratres evangelium quod evangelizatum est a me quia non est secundum hominem neque enim ego ab homine accepi illud neque didici sed per
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‚Die Erde hebt sich aus dem Meer und sie ist grün und die Äcker ungesät.‘ Off 21,1 (‚und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde‘). ‚Am Totenstrand steht ein großer und schlechter Saal. […] Schlangenköpfe hängen hinein durch die Fenster und speien Gift, sodass Flüsse daraus entstehen und durch diese waten diejenigen Menschen, die Eidbrecher sind und Mörder.‘ Off 21,8 (‚die Feigen aber und Ungläubigen und Frevler und Mörder und Unzüchtigen und Zauberer und Götzendiener und alle Lügner, deren Teil wird in dem Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwefel brennt‘). Vgl. auch Gschwantler 1968 und 1988. Vgl. Gísli Sigurðsson 2007. Als „major reason“ für Snorris Rekurs auf die Vo˛ luspá sah Margaret Clunies Ross „the high value medieval writers generally assigned to prophetic and sapiential poetry as a source of religious authority. […] There was a commonly held medieval opinion that those poets who composed poems about gods and represented true happenings in figurative language could be considered theologians“ (Clunies Ross 1992, S. 640). Die Unzuverlässigkeit der anonym überlieferten Eddalieder sah sie von Snorri dadurch umgangen, dass er Zitate als „utterance of supernatural beings or sibyls from an earlier age“ präsentiert habe (ebd.). Vgl. auch The Poetic Edda ii. Mythological Poems (hrsg. von Ursula Dronke), S. 30 ff. Off 1,1 (‚und er hat sie durch seinen Engel gesandt und seinem Knecht Johannes kundgetan‘).
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revelationem Iesu Christi.113 Im Fall des Johannes wird ausdrücklich auf eine Sinnesentrückung verwiesen (et sustulit me in spiritu in montem magnum et altum et ostendit mihi civitatem sanctam Hierusalem descendentem de caelo a Deo).114 Gleiches gilt für den biblischen Daniel (auf den die Johannes-Offenbarung regelmäßig rekurriert): vidi in visione mea cum essem in Susis castro quod est in Aelam civitate vidi autem in visione esse me super portam Ulai.115 In der Bibel wird die Vermittlung religiösen Wissens über Zwischeninstanzen, oft im Rahmen einer Entrückung vollzogen. Die augenfällige Kombination beider Charakteristika in der Gylfaginning lässt vermuten: Snorri ließ sich in seiner Darstellung vom biblischen Vorbild leiten – und dies mit bestimmter Intention. In seiner Präsentation verkündet eine suprahumane Dreiheit den Lauf der Welt bis zu deren Ende (und ansatzweise darüber hinaus), im Rahmen einer entrückenden sjónhverfing (f.): þa sa hann hava holl; Gylvir sa mann i hallar dyrvm er lek at handsavxvm; hann sa þriv hasæti ok hvert vpp af oþro, ok sato þar maðr í hverio.116 Die wiederholte Akzentuierung einer optischen Wahrnehmung (sjá) legt nahe, an eine spezielle Form des Sehens zu denken, wie sie auch in der Offenbarung des Johannes durch zahlreich und systematisch gebrauchtes et vidi, ‚und ich sah‘, fassbar wird; diese einleitenden Worte sind Charakteristikum der Vision:117 Von einer Vision sprechen wir dann, wenn ein Mensch das Erlebnis hat, aus seiner Umwelt auf außernatürliche Weise [d.i. durch den Eingriff einer über-
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Gal 1,11 f. (‚denn ich tue euch kund, liebe Brüder, dass das Evangelium, das von mir gepredigt ist, nicht von menschlicher Art ist. Denn ich habe es nicht von einem Menschen empfangen oder gelernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi‘). Off 21,10 (‚und er führte mich hin im Geist auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem herniederkommen aus dem Himmel von Gott‘). Dan 8,2 (‚ich hatte ein Gesicht und während meines Gesichtes war ich in der Festung Susa im Lande Elam am Fluss Ulai‘). ‚Da sah er eine hohe Halle; Gylfi sah einen Mann in der Hallentür, der mit Handäxten spielte; er sah drei Hochsitze übereinander und in jedem saß ein Mann.‘ Exemplarisch seien genannt Dan 8,3; Dan 10,5: et levavi oculos meos et vidi (‚und ich hob meine Augen auf und sah‘); Amos 7,1 ff.: haec ostendit mihi Dominus Deus (‚Gott der Herr ließ mich schauen‘); Jer 1,11 f.: et factum est verbum Domini ad me dicens quid tu vides Hieremia et dixi virgam vigilantem ego video et dixit Dominus ad me bene vidisti (‚und es geschah des Herrn Wort zu mir: Jeremia, was siehst du? Ich sprach: Ich sehe einen erwachenden Zweig. Und der Herr sprach zu mir: Du hast recht gesehen‘); 1. Kön 22,19: vidi Dominum sedentem super solium suum et omnem exercitum caeli adsistentem ei a dextris et a sinistris (‚ich sah den Herrn sitzen auf seinem Thron und das ganze himmlische Heer neben ihm stehen zu seiner Rechten und Linken‘). Vgl. auch Behrens 2002; Newmann 2005.
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menschlichen Gewalt] in einen anderen Raum versetzt zu werden, er diesen Raum beziehungsweise dessen Inhalte als beschreibbares Bild schaut, diese Versetzung in Ekstase (oder im Schlaf) geschieht, und ihm dadurch bisher Verborgenes offenbar wird. Die Elemente, die dafür konstituierend sind, daß wir von einer ‚Vision‘ sprechen werden, sind also die Eindrücke des Raumwechsels, des Waltens einer übermenschlichen Macht, der bildhaften Beschreibbarkeit, der Ekstase (oder des Traums) sowie der Offenbarung.118
Bezeichnend, in welch hohem Grad die von einer sjónhverfing umspannte Binnenhandlung der Gylfaginning mit diesen Anforderungen korrespondiert. Die Funktion dieser sjónhverfing wurde in der Forschung selten eingehend diskutiert, ihre Übersetzung als negativ konnotierte ‚Sinnestäuschung‘ regelmäßig zur Prämisse einer Gesamtinterpretation erhoben. Die weitere Untersuchung sei daher zunächst der Aufarbeitung dieses offenkundigen Desiderats gewidmet; solche Betrachtung muss auch die Rolle der Dreiheit Hár, Jafnhár und Þriði berücksichtigen, die in bisheriger Forschung ebenfalls nur am Rande bedacht wurde. Einerseits verweisen die Namen dieser Dreiheit auf Óðinn, andererseits wurde die Dreizahl als Pendant zur christlichen Trinität verstanden.119 Im Zuge einer christlich-theologischen Deutungsdominanz der Nachkriegszeit wurden Hár, Jafnhár und Þriði daher kontrastiv als dämonische Helfer der irdischen Asen, als betrügerische Schimären interpretiert, von Snorri konzipiert, um den Asenglauben in seiner Gesamtheit als Täuschung zu präsentieren – eine Sichtweise, die auch in jüngsten Abhandlungen noch Ausdruck findet: Dichtung (mündliche wie schriftliche) beruht im Innersten auf Betrug, wer an sie glaubt, erliegt einer Täuschung […] Literarische Fiktionen, das führen die Geschichten der Prosa-Edda mit bewundernswerter Prägnanz vor, beruhen auf dem Grundprinzip der Täuschung von Sinnen, sind eigentlich Phantasmagorien.120
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Dinzelbacher 1981, S. 29. Vgl. vor allem Klingenberg 1986. Anne Heinrichs verwies auf eine Passage in der Flateyjarbók (Heinrichs 1994 S. 57): þride af þui at þeir auita ordit at sa er einn ok þrir er baztr er ok ho˛ fdu þa spurnn af þrenningunne ok sneru þui j uillu (‚Þriði, weil sie erfuhren, dass derjenige, der der Vortrefflichste ist, einer und drei sei; und sie hatten Kenntnis von der Trinität und wandten sich daher einer Irrlehre zu‘ (Flateyjarbók: En samling af Norske Konge-sagaer (hrsg. von Carl Richard Unger/ Guðbrandur Vigfússon), Bd. 1, S. 564)); der Name Þriði wird hier erklärt als pagane Anlehnung an den Trinitätsgedanken; es handelt sich aber sicherlich um eine späte Ausdeutung. Das Motiv der Dreizahl ist zudem keinesfalls auf eine christliche Trinität beschränkt: Den Quellen nach zu urteilen, sind Triaden seit jeher Element verschiedener Religionen gewesen (vgl. Simek 2003, S. 108 ff.). Glauser 2009, S. 170 f.; identisch Glauser 2011, S. 87 f.
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Solch weitgreifende Interpretation ist indessen zu kritisieren: Snorri verfolgte mit seinem Werk Ziele, die nicht losgelöst von historiographischen, mythographischen und skaldischen Ambitionen zu verstehen sind; nicht zuletzt bewegte er sich damit gar auf politischer Ebene. Warum hätte er sein umfangreiches Werk so konzipieren sollen, dass es das Fundament seiner Beschäftigung als Betrug darstellt? Die Überzeugung, Snorri habe sich vom Inhalt seines Werks distanzieren wollen, scheint in der Forschung dennoch gleichsam kanonisiert. Bereits in den 1960er Jahren bemerkte Jan de Vries in der zweiten Auflage seiner „Altnordischen Literaturgeschichte“: Die Rahmenerzählung hatte den Zweck, die alte Götterwelt als eine Täuschung darzustellen. Es war nicht so ganz ungefährlich, über Odin und Thor als ernst zu nehmende göttliche Mächte zu schreiben.121
In ähnliche Richtung zielte Heinz Klingenberg: Aber wie in der Gylfaginning – gesprochen zum Leser – konnte auch das Rahmenblendwerk der Bragaræður dazu dienen, die allgemeine euhemeristische Grundkonzeption der Snorra-Edda nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, nun bezogen auf den Mittelteil der Snorra-Edda, der mit Darstellung der mythologisch beschwerten Dichtersprache, mit Zitaten alter Dichtung und snorronischen Göttererzählungen immer wieder die heidnischen, vorgeblichen ‚Götter‘ berührte.122
Gleichartige Erklärungsansätze finden sich auch in aktueller Forschung präsent,123 bisweilen noch beeinflusst von der dämonologischen Ausdeutung Anne Holtsmarks. Bemerkenswert: Vereinzelte Gegenstimmen haben ihre Wirkung bis auf den heutigen Tag nur begrenzt entfalten können. So formu-
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de Vries 1999, S. 219. Diese Einschätzung überrascht, hielt de Vries doch einleitend fest: „Auf allen Gebieten der Literatur zeigt sich um die Mitte des zwölften Jahrhunderts ein neuer Geist. Das Christentum ist jetzt fest verwurzelt und wenn auch in den Kreisen der führenden Männer die christliche Gesinnung nicht allzu tief die Seelen umgestaltet hatte, das Heidentum war jedenfalls endgültig überwunden und von ihm drohte keine Gefahr mehr. Das hatte zur Folge, daß man jetzt wieder die heidnische Zeit, in die doch die Gründung des isländischen Staates fiel und die in vieler Hinsicht eine Periode der ruhmreichen Blüte auf politischem und geistigem Gebiet war, mit offenem und unvoreingenommenem Blick betrachten konnte“ (ebd., S. 11 f.). Klingenberg 1986, S. 636. Jüngst etwa Arnulf Krause: „Mit dieser Art Rahmenerzählung entlarvte Snorri die vorchristliche Mythologie als Gaukelei zauberkräftiger Menschen. Aus christlicher Sicht distanziert er sich von ihr, ohne auf ihre im Mittelalter einzigartige Präsentation verzichten zu müssen“ (Krause 2010, s.v. Gylfaginning).
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lierte 1950 schon Walter Baetke gegen die geläufige Interpretation der sjónhverfing: Was da von den Göttern erzählt wird, ist von solcher Art, daß es wohl auch im 13. Jahrhundert keinen Christenmenschen in seinem Glauben beirren konnte. Wenn aber Snorri wirklich hätte fürchten müssen, durch die Wiedergabe der alten Mythen bei der Kirche Anstoß zu erregen, so muß man bezweifeln, daß er glaubte, sich durch die Rahmenerzählung davor schützen zu können.124
Ein Viertel Jahrhundert später notierte auch Ursula Dronke kritisch: It is still commonly said that Snorri ‘apologized’ for his native Norse mythology by presenting it as a devilish illusion. We would like to suggest that, on the contrary, Snorri was convinced that the heathen traditions had a positive intellectual value for a Christian Norseman, and that he could have found confirmation for his conviction in certain Christian writings.125
Deutliche Worte fand kürzlich Víðar Pálsson: Modern scholarship is still quite unwilling to abandon the idea that the knowledge, transmission, and use of mythology by Christian medieval Icelanders must have rested on some sort of ‘justification’. It still finds, to various degrees, pagan mythology in Christian society somewhat out of place, and religiously suspect. […] The sources do, if anything, demonstrate the normality with which Christian medieval Icelanders used mythological material, with no hints of moral problems or religious guilt.126
Die Forschung muss sich trennen von der Vorstellung, gelehrte Beschäftigung mit paganen Mythen sei im hoch- und spätmittelalterlichen Skandinavien noch Anlass für scharfe Kritik gewesen, habe regelmäßiger Rechtfertigung bedurft. Wohl hat Snorri mit seinem Werk einen Entwurf gewagt, der in seiner Zeit einzigartig dastand und Differenzen provozieren konnte. Doch angesichts dessen sprachlicher Gewandtheit oblag es dem Leser, Snorris Ansichten nachzuvollziehen oder nicht; eine Deutung war auf mehreren Ebenen möglich.127 Die sjónhverfingar zur Vorsichtsmaßnahme zu degradieren, greift zu kurz.128
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Baetke 1950, S. 20 f. Dronke 1977, S. 153. Víðar Pálsson 2008, S. 126 f. Vgl. auch Kap. 3.3. Doch auch Andreas Heuslers Versuch, die einleitende sjónhverfing als störendes Relikt älterer Überlieferung zu erklären, ist zu hinterfragen: „Das Blendwerk mit der Burg tut im Eingangskapitel eine malerische Wirkung, ist aber für den Aufbau des ganzen eher verwirrend als notwendig. Denn die mythischen Wundergeschichten […] werden ja nicht etwa zauberisch vor Augen gestellt; sie werden nur durch
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Eine zweite Möglichkeit der Interpretation bietet die sprachliche Annäherung an das Kompositum sjónhverfing. Im Vergleich zu den wenigen außersnorrischen Belegen129 gilt es zum ersten Diskrepanz zu notieren: Mit Snorris aufwendiger sjónhverfing-Konzeption ist keine dieser Nennung zu messen. Zum zweiten muss sich daher die Frage stellen, welchen semantischen Gehalt ein Begriff ‚Sinnestäuschung‘ implizieren kann. Der Titel gylfa ginning, ‚des Gylfi Täuschung‘, scheint zunächst in ähnliche Richtung zu weisen und wurde von der Forschung regelmäßig herangezogen, um einen trügerischen Charakter des Erzählten zu bekräftigen. Bemerkenswert ist dem gegenüber Jan de Vries’ umfassend dargelegte These, ginning, als Deverbativum von ginna, sei ursprünglich allein Bezeichnung magischer Handlungen gewesen, die Bedeutung ‚Täuschung‘ hingegen als sekundäre Ausweitung der Semantik zu verstehen.130 Eine Bezauberung Gylfis, nicht
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Erzählung mitgeteilt, man kann kaum sagen, daß diese Geistestäuschung durch die Augentäuschung verstärkt werde. Die Vermutung liegt nahe, daß das Blendwerk in einer überlieferten Erzählung von Odin und Gylfi eine bessere Begründung hatte“ (Heusler 1908, S. 30 f.). Die Annahme einer unbekannten Erzählung ist allerdings nur eine Umgehung der Problematik; bloße „malerische Wirkung“ fasst den Charakter der sjónhverfing nicht. Vorsicht muss auch walten bei Einbeziehung lateinischer Begrifflichkeiten: praestigiae, illusio, phantasma oder ludificatio bezeichneten im Mittelalter eine ars daemonum, wie Isidor von Sevilla sie nannte (Isidori Hispalensis episcopi. Etymologiarum sive originum. Libri xx. Tomus i (hrsg. und komm. von Wallace Martin Lindsay), Bd. viii, S. 326). Der dänische Geschichtsschreiber Saxo Grammaticus führte um 1200 in seinen Gesta Danorum aus: Olim enim quidam magicę artis imbuti, Thor uidelicet et Othinus aliique complures miranda pręstigiorum machinatione callentes, obtentis simplicium animis diuinitatis sibi fastigium arrogare coeperunt (Saxo Grammaticus: Gesta Danorum (hrsg. von Karsten Friis-Jensen), Bd. 1, S. 380 (‚vor Alters begannen nämlich gewisse, in der Zauberei bewanderte Leute, Thor, Othinus und einige andere, die sich durch ihre wunderbare Fertigkeit in Hexenkünsten auszeichneten, die Gemüter einfältiger Menschen zu bethören [sic!], und sich selbst den Glanz der Göttlichkeit anzumaßen‘ (Übersetzung nach Beck 1994, S. 31))). Beiden Verfassern ist zwar bemerkenswertes historisches Interesse zu eigen, doch schrieben sie als hochrangige Geistliche; ihr Gebrauch der genannten Begriffe implizierte strikte Ablehnung alles Nichtchristlichen. Snorris Darstellung kann mit solch kirchlichem Anspruch nicht unbesehen in Deckung gebracht werden. de Vries 1930, S. 51. Bereits Eugen Mogk tendierte in diese Richtung, konnte in anschließender Interpretation der ginning Gylfa aber nicht überzeugen, wenn er notierte: „Einen beweis dafür, wie in der anschauung der alten nordländer mit ginna das tölpelhafte aufsperren des mundes dessen, welcher getäuscht wird, verbunden ist, gibt uns das bild zur Gylfaginning im codex Upsaliensis der Snorra Edda (gezeichnet um 1300), wo Gylfi, als tölpel gezeichnet, mit geöffnetem munde den reden Hárs zuhört“ (Mogk 1882, S. 157). Nicht nur Mogks frühe Datierung der
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im Sinne einer Betörung, sondern konzipiert als zauberische Entrückung, als Versetzen in einen übernatürlichen, damit aufnahmefähigen Zustand – solches Verständnis würde der aufwendigen Konstruktion Snorris eher Rechnung tragen;131 auch Anatoly Liberman merkte an: „In such a specialized context, ginning and sjónhverfing(ar) become near-synonyms, and Gylfaginning can perhaps be translated ‘Gylfi’s vision’.“132 Der Zustand solcher ‚Sinnesfortwendung‘ wird in der Bibel regelmäßig durch die Ausdrücke in spiritu oder in visione gekennzeichnet.133 Der sjónhverfing der Gylfaginning ist wesentliche Bedeutung bei der Beurteilung von Snorris Darstellung beizumessen, darin stimmt die jüngere Forschung überein. Zu Recht wird zudem konstatiert, dass seine komplexe Darstellung in der norrönen Überlieferung einzigartig dasteht – daher aber
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Abbildungen, sondern vor allem sein Verständnis von ginna als ‚offen machen‘ sind doch in folgender Forschung keinesfalls unbesehen übernommen worden (vgl. etwa de Vries 1930, S. 66; Schier 1963, S. 310). Kritisch ist zu fragen, ob die singulär überlieferte Bezeichnung Gylfaginning überhaupt auf Snorri zurückzuführen ist; den in U zahlreichen Rubriken einzelner Abschnitte fehlt regelmäßig der Bezug zum folgenden Text, teils weisen sie abstruse Fehler auf: her hefr gylva ginning fra þvi er gylfi sotti heim allfauþr a asgarþ með fiolkvngi. ok fra villo asa. ok fra spvrningo Gylva (‚hier beginnt die Täuschung von Gylfi, davon wie Gylfi Allvater in Ásgarðr aufsuchte mit Zauberei, und von der Sinnesverwirrung der Asen und von der Nachforschung Gylfis‘), so lautet die einleitende Rubrik – den Allvater sucht Gylfi aber nicht auf, sondern die irdischen Asen; in Kontakt tritt er schließlich mit einer Dreiheit, die allenfalls über die Óðinnsnamen mit dem Allvater zu verknüpfen ist. Ignoranz zeigt sich etwa in Kapitel 8: her segir er gvþin skopvþo ymi iotvn (‚hier wird berichtet, wie die Götter den Riesen Ymir schufen‘) – im folgenden Text ist von den Göttern keine Rede, sie existieren noch nicht, und schon gar nicht haben sie den Urriesen Ymir erschaffen. Auffällig ist zudem die wahllos anmutende Verteilung der Rubriken, die keinen systematischen Eingriff erkennbar werden lässt. Schon Richard Constant Boer merkte in den 1920er Jahren die „Unzuverlässigkeit der Überschriften in U“ an (Boer 1926, S. 93). Ähnliches notierte Edith Marold: „Der Titel der Gylfaginning könnte ein erster Hinweis sein, denn er bedeutet ‚Betörung oder Überlistung Gylfis‘ und könnte also nahelegen, daß der Schwedenkönig von den drei Asen in diesem Gespräch überlistet und zum Glauben an die Göttlichkeit der Asen überredet wurde. Ein Einwand besteht jedoch gegen dieses Argument: Dieser Titel erscheint nur in einer einzigen der vier Haupthandschriften der Snorra Edda, in der Handschrift U, deren Eigenheit es ist, Überschriften in den Text zu setzen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, daß der Titel ‚Gylfaginning‘ nicht von Snorri selbst stammt, sondern von einem späteren [sic!] gegeben wurde“ (Marold 1998a, S. 135). Vgl. auch McTurk 1994. Libermann 1994, S. 173. Vgl. etwa Off 1,10.
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auch nur mittelbaren Vergleich zu anderweitigen Belegen erlaubt.134 Aussagekräftiger muss der innertextliche Vergleich erscheinen – in bisheriger Forschung wurde möglichen Wechselbeziehungen nur selten Augenmerk gewidmet. U c. 5 U c. 28 U c. 31
Þeir sa ferþ hans ok giorþv i moti sionhverfingar. Sionhverfingar vorv gervar. Nv er gangleri heyrir þetta þa verþr gnyr mikill ok er hann a slettvm velli. ok er æsirnir heyra þetta sagt gafo þeir ser þessi nofn asanna.
‚Sie sahen seine Fahrt und machten Sinnesentrückungen gegen ihn.‘ ‚Es wurden Sinnesentrückungen gemacht.‘ ‚Nun, als Gangleri dies hört, da entsteht ein lautes Getöse und er befindet sich auf einer Ebene. Und als die Asen dies sagen hören, gaben sie sich diese Namen der Asen.‘
In der Ynglinga saga findet sjónhverfing nur einmal Verwendung, ihre Betrachtung sei daher an den Anfang gestellt: mart áttusk þeir Óðinn við ok Gylfi í bro˛ gðum ok sjónhverfingum, ok urðu Æsir jafnan ríkri135 – die Diskrepanz zwischen Gylfaginning-Komposition und diesem Verweis wird noch zu bedenken sein.136 Sjónhverfing steht hier einem Wort bragð an der Seite, das in den Bereich des Zauberischen oder eines Tricks verweist; der genaue Bezug bleibt aber unklar. Die Fähigkeit, eine sjónhverfing zu erschaffen, soll in der Ynglinga saga Überlegenheit der irdischen Asen auszudrücken, darin ist Andreas Heusler zuzustimmen: Man erinnert sich vielmehr an die Geschichten, worin ein menschlicher König durch Odins List und Wissen zu Falle kommt: Heiðrekr-Gestumblindi, Geirrøðr-Grímnir. In diese Linie kann einst Gylfi-Odin gehört haben.137
Handlungsrelevanz fällt dieser Erwähnung indessen nicht zu. Anders in der Gylfaginning: Zweimal wird in U das Substantivum sjónhverfing verwendet, im Rahmenbeginn und bei Þórrs Fahrt zu Útgarðaloki. Bereits hinsichtlich des Schauplatzes weisen beide Textstellen Berührungspunkte auf: In Kapitel 5 wird von einer há ho˛ ll gesprochen, bei der Fahrt zu Útgarðaloki 134
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Ähnliches konstatierte bereits 1937 Alexander Krappe; sein Versuch, keltische Einflüsse auf die sjónhverfingar wahrscheinlich zu machen, trägt allerdings zur Fragestellung nur unwesentlich bei, lag sein Augenmerk doch primär auf der Täuschung Þórrs durch Útgarðaloki (Krappe 1937; vgl. dazu auch Lindow 2000). ‚Heftig gingen sich Óðinn und Gylfi in Listen und Sinnesentrückungen an, doch die Asen wurden stets mächtiger.‘ Vgl. Kap. 4.2.1. Heusler 1908, S. 31.
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(c. 28) ist die Rede von ho˛ ll mikla; Gylfis Wahrnehmung dieser Halle wird in beiden Fällen durch das Verbum sjá ausgedrückt (s.o.). Die Hallen verschwinden nach dem Gespräch spurlos. Beide Protagonisten, Gylfi und Þórr, sind in fremdem Territorium unterwegs: Gylfi reist nach Ásgarðr, Þórr nach Útgarðr 138 – sowohl das Zwiegespräch zwischen Gylfi und Dreiheit, als auch der Wettstreit von Þórr finden in einem Gebiet statt, das eine Reise erfordert, damit aber auch einer gewissen Sicherheit entbehrt, wie Gylfi bereits im Vorfeld bemerkt: þvíat óvíst er at vita, hvar óvinir sitia á fleti fyrir.139
Heinrich Beck thematisierte im Zusammenhang den ‚Wahrheitsbegriff‘ Snorris: Er sah in der Gylfaginning die Bestimmung der sjónhverfingar darin, „Wahres zu verhüllen oder im Verhüllten Wahres zu präsentieren“:140 Der Analogiegedanke besagte für die sjónhverfing und ihre Offenbarung, daß hinter dem Schein eine verborgene Wahrheit liegt, die dem Christen in der Rückschau bereits als verborgenes Wirken des einen Gottes erkennbar wird.141
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In RTW (c. 29) wird zwar nicht erwähnt, wo das Treffen mit Útgarðaloki stattfindet, wenn es heißt: þa sa þeir borg standa avollvm nokqvorvm (‚da sahen sie eine Stadt auf einer Ebene stehen‘), in U hingegen: þeir ganga til miðgarþz. ok sia borg standa a vollvm nockvrrvum (‚sie gehen nach Miðgarðr und sehen eine Burg auf einer Ebene stehen‘). Bemerkenswerterweise erwähnt in allen Fassungen der Riese Skrymir aber zuvor, die Reise gehe nach Útgarðr: þer eigit nv ecki langt til borgar er vtgarþr heitir (‚ihr habt es jetzt nicht mehr weit zur Stadt, die Útgarðr heißt‘) – in U erreichen die Gefährten dann allerdings Miðgarðr, während in RTW unbestimmtes borg folgt. Miðgarðr in U ist wohl zu erklären als fehlerhafte Übernahme der vorausgehenden Aussage, wie sie sich in RTW findet: þoR snyr fram aleið ok þeir felagar ok gengr framan til miðs dags (‚Þórr setzt den Weg fort und auch seine Begleiter und er geht bis zum Mittag‘) – Miðgarðs und miðs dags sind akustisch und orthographisch benachbart. Eine Unstimmigkeit kann aber auch in RT notiert werden: gekk hann vt of Miðgarþ heißt es dort in c. 32 zu Þórr; dieser Miðgarðr wird im vorausgehenden Satz als Þórrs Heimat bezeichnet: ok dvalþiz ecki lengi heima aðr hann bioz sva skyndiliga til ferþariNar (‚und er verweilte nicht lange zu Hause, bevor er sich eilig zur Fahrt rüstete‘). W hingegen schreibt: gekk hann ut um Aasgarð – möglicherweise schien dem W-Redaktor der Verweis auf Þórrs Heimat in Miðgarðr nicht stimmig. ‚Denn es ist ungewiss, ob Feinde sitzen auf der Bank vor einem‘ (Hávamál 1). Beck 1992, S. 614. Beck 1999a, S. 8; vgl. auch ebd., S. 7 und 9: „Im Gegensatz zur historischen Wahrheit des Heimskringla-Prologes geht es Snorri in seiner Edda um die religiöse Wahrheit. Diese Aussage ist allerdings in einem gewissen Sinne auch wieder einzuschränken. Auch hier ist der Historiker am Werk, der die Dimension seiner weltgeschichtlichen Betrachtung bis in die Schöpfungszeit zu erweitern sucht. […] Die
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Die Aussage der Bragaræður, en eigi skvlo kristnir menn trva aheiþin goð ok eigin asaNyndi þesa sagna aNan veg en sva sem her fiNz ivphafi bokar 142 (hier zitiert nach R) interpretierte Beck schlüssig als Verweis auf diese verborgene Wahrheit, die (und darin bestehe die Aufgabe des christlichen Publikums) in analogischem Sinn zu verstehen sei.143 Bereits Heinz Klingenberg stellte in der Diskussion der sjónhverfingar die Frage: Wollte er [d.i. Snorri] seinen Lesern im 13. Jahrhundert verdeutlichen, daß die Mythen und Glaubensinhalte ihrer und seiner heidnischen Vorfahren auf Island und in den nordischen Ländern zwar im ganzen Irrglaube, dennoch nicht ohne Anteil an gültiger christlicher Wahrheit sind oder sein könnten? Auch damit – aber differenzierter – würde unser Mythograph seinen christlichen Standort bei der Rezeption der heidnischen Mythologie im Hochmittelalter bekunden.144
Doch bedürfen die Erwähnungen in U auch der Differenzierung: Útgarðaloki offenbart Þórr zum Schluss eine (diesem vorher verborgene) Wahrheit (nv skal segia þer it sanna); Gylfi, den irdischen Asen und der Dreiheit hingegen bleibt diese Möglichkeit versperrt – die analogen Bezüge der Götterschau reichen über einen paganen Erkenntnishorizont hinaus. Zwar ‚erschaffen‘ die irdischen Asen eine sjónhverfing; doch über die Inhalte, die in dieser Entrückung vermittelt werden, vermögen sie sich nicht zu stellen. Die Dreiheit wiederum, die innerhalb dieser sjónhverfing agiert, verkündet allein
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historische Wahrheit ist für Snorri ein objektiver Tatbestand. Wahr ist, was richtig und verständig beobachtet und getreu tradiert ist. […] Die religiöse Wahrheit ist anderer Art. Sie verlangt keine Entscheidung nach wahr oder falsch. Sie wird erfahren als geglaubt oder nicht geglaubt. Snorri redet von trúa á sannendi, an die Wahrheit glauben. Die Wahrheitssuche in diesem Bereich führt ihn in den Bereich der Mythologie. Als Christ glaubt er, einen Wahrheitsgehalt in den paganen Überlieferungen entdecken zu können (sei es nun nach dem Konzept der natürlichen Gotteserkenntnis oder im Sinne eines mittelalterlichen Analogieverständnisses).“ Vgl. auch von See 1981, S. 94: „Einem Publikum, das an geschichtliche und geistliche Werke und an die ‚klassischen‘ Isländersagas gewohnt war, galt ein Text wohl nur dann als ‚seriös‘, wenn er historisch glaubwürdig war und – auch das mag hineingespielt haben – die geistliche Forderung der ‚Wahrheit‘ erfüllte.“ ‚Aber Christen sollen nicht an die heidnischen Götter oder die Wahrheit dieser Erzählungen auf andere Weise glauben, als hier im Anfang des Buches erörtert ist.‘ Beck 1994, S. 33. U formuliert inhaltlich vergleichbar: en eigi skvlo cristnir men trva ne a sannaz at sva havi verit. Auch Anne Heinrichs interpretierte die Wendung an Skalden und Christen in diese Richtung: „Perhaps Snorri is pointing to a truth more profund than the veiled meanings of artistic kennings“ (Heinrichs 1994, S. 60). Eine verborgene Sinnebene der Mythologie wird bereits im vorausgehenden Gespräch zwischen Bragi und Ægir mit der Formel fela i rúnum (‚verborgen in (geheimer) Schrift‘) angedeutet. Klingenberg 1986, S. 648 f.
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eine pagane Deutung der unverstandenen göttlichen Wahrheit – erst aus christlicher Perspektive kann diese hinsichtlich Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten interpretiert werden. Die Erzählung zu Útgarðaloki offeriert aber einen Deutungsansatz für diejenige sjónhverfing, die die Binnenhandlung umspannt. Drei Prüfungen werden Þórr gestellt: ein Trinkhorn leeren, eine Katze hochheben und eine alte Frau im Ringkampf besiegen – er scheitert in allen Fällen, wurde er doch Opfer von sjónhverfingar. Hinter solch nüchterner Konstatierung steht aber für den christlichen Rezipienten eine Wahrheit, die über Útgarðalokis abschließendes Geständnis hinausführt: Der pagane Gott Þórr ist nicht allmächtig – ein Umstand, den die Dreiheit gerne verschweigen möchte.145 Gylfis hartnäckiges Fragen betont die Relevanz dieser von Snorri wohl selbst kreierten Szene; offensichtlich wollte er einen Anhaltspunkt liefern für das Gesamtverständnis der Gylfaginning: Auch Gylfi wird umfangen von einer sjónhverfing, wird im Geiste entrückt; doch impliziert dies nicht, dass keine tiefere Wahrheit hinter den Inhalten dieser sjónhverfing stehen kann146 – die sjónhverfingar sind funktionelle Fassade. Wie aber ist nun die Dreiheit Hár, Jafnhár und Þriði zu deuten? Walter Baetke vermutete seinerzeit, die Entwicklung der Dreiheit sei aus einer Namensproblematik heraus zu erklären: Schalten wir die sjónhverfing aus und stellen uns vor, Gylfis Besuch bei den Asen hätte sich im Rahmen des Natürlichen, als geschichtliche Begebenheit abgespielt, so hätte der Verfasser statt Hár, Jafnhár und Þriði die Asen, also Odin, Thor und Frey selbst auftreten lassen müssen, um Gylfi zu empfangen. Das aber ging deswegen nicht, weil sie dann dieselben Namen wie die Götter getragen hätten, von denen sie berichteten und deren Namen sie sich dann erst nachträglich aneigneten. Das ist der Grund, warum fingierte Gestalten eingefügt werden mussten […]. Damit war also schon der Gedanke des Blendwerks gegeben; denn solche fiktiven Personen konnten auch nur in einem fiktiven Milieu vorgeführt werden. So ergibt sich auch die sjónhverfing als logische Folge aus dem euhemeristischen Grundgedanken […].147
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Vgl. Kap. 4.4.4.4. Vgl. vorsichtig formulierend bereits Klingenberg 1986, S. 637: „In diesem Sinne könnte auch das Blendwerk des Skrymir-Utgardloki bei überwuchernder Unwahrheit (die dem mythischen Thor zuletzt entdeckt wird) verdeckte Weisheit im irdischen Verständnis und damit ein Körnchen gültiger Wahrheit enthalten. […] In Verbindung mit Snorris Wahrheitsproblematik, die in der Utgard-Episode ‚extrem auffällig in den Vordergrund gerückt‘ wird, ergäbe sich eine zusätzliche Funktion des Blendwerks.“ Baetke 1950, S. 36.
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Ein Problem würde Snorri hier doch nicht gesehen haben: Das Treffen mit Namenlosen wäre leicht zu vermeiden gewesen, hätte er den menschlichen Asen selbst zunächst fiktive Namen gegeben (etwa Hár, Jafnhár und Þriði), die diese im Rahmenschluss dann ablegten. Baetkes These fehlte sowohl im Blick auf RTW als auch auf U die Konsequenz: So basiert der Rahmenschluss im gemeinen Text darauf, dass Gylfi die Erzählungen der Dreiheit im Norden verbreitet und die irdischen Asen dort in der Folge Götterstatus beanspruchen können; solche Identifikation bedingt die Aufgabe einer Trennung von Göttern und Menschen. Wenn aber der Asenglaube auf solchem Trug beruhte, wie Baetke abschließend folgerte, warum präsentierten sich die menschlichen Asen – mittels ihrer besonderen Kräfte – nicht von Beginn an als Götter? Warum erfolgte eine Namensübertragung erst nach Gylfis Abreise? Die Antwort kann nur lauten: Das im Rahmen der Götterschau vermittelte Wissen war unabdingbare Voraussetzung dieser Identifikation. Anders ist auch die abschließende Aussage er æsirnir heyra þetta sagt (c. 31) nicht zu verstehen: Die menschlichen Asen waren passive Zuhörer dieser paganen Offenbarung. W und T tendieren in ihrer Formulierung in ähnliche Richtung: ok mínnaz a þessa frasogn alla er her uar sagt (W) und ok minaz á þessar allar frasagnir er nu var sagt (T).148 R hingegen formuliert weniger eindeutig (ok miNask aþesar frasagnir allar, er honvm voro sagþar)149 – angesichts allgemeiner Bevorzugung dieser Fassung seitens der Forschung ein folgenreicher Umstand. Dabei deutet auch das Verbum minnask in allen Versionen an: Die Asen müssen sich das Gehörte zunächst vergegenwärtigen. Der von Baetke postulierte Namenstrug verliert angesichts dieser Konstellation aber seine Relevanz. Nicht überzeugen kann seine These auch im Blick auf U: Hier kommt Gylfi die Funktion des getäuschten Glaubensvermittlers gar nicht zu;150 vielmehr sind es die irdischen Asen, die diese Rolle übernehmen – und damit von Beginn an als Götter auftreten. Verstanden als asischer Trug bliebe die Dreiheit in diesem Konzept bedeutungslos. Ein interessanter Ansatz hingegen ist Baetkes Vermutung, die Dreiheit hätte für ihren Auftritt einen der Realität entrückten Handlungsraum benötigt:151 Die suggerierte há ho˛ ll ist möglicherweise erst Snorris Idee solcher
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‚Und erinnern sich an die ganze Erzählung, wie hier gesagt war‘ (W); ‚und erinnern sich an all die Erzählungen, wie nun gesagt war‘ (T). ‚Und erinnern sich an all die Erzählungen, die ihm gesagt worden waren.‘ Vgl. Kap. 4.2.1. Þa verþr gnyr mikill (‚da enstand großes Getöse‘), heißt es, bevor Gylfi sich auf freiem Feld wiederfindet. Der Übergang von einer Welt in eine andere wird in Sagas regelmäßig von lauten Knallgeräuschen in der Luft begleitet (vgl. Mundal 2006).
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Botschafter entsprungen, fungiert als notwendiger Handlungsraum „zwischen menschlicher und nichtirdischer, göttlicher Sphäre“152 – die Dreiheit gehört weder einer göttlichen noch der menschlichen Welt an.153 Die irdischen Asen vollziehen gleichsam den ersten Schritt, indem sie solchen Parallelraum erschaffen und damit „eine transzendente Welt zu imaginieren vermögen, die über ihren eigenen Vorstellungs- und Erfahrungshorizont hinausführt.“154 Zwischenwesen als Vermittlern einer Botschaft kommt vor allem in der Bibel tragende Funktion zu; als „Musterbeispiel schlechthin“ bezeichnete Franz Winter den biblischen ‚Boten Gottes‘, wie er gerade im Offenbarungsgeschehen präsent ist.155 Im Vorausgehenden wurde wahrscheinlich gemacht, dass Snorri sich in seiner Konzeption der Gylfaginning von neutestamentlicher Erzählung beeinflussen ließ: Thematisch lag solche Adaption nahe, doch auch unter methodischen Gesichtspunkten konnte Snorri in den theologischen Diskursen seiner Zeit Anregung finden. Wenn er die Binnenhandlung der Gylfaginning in einzigartiger Konstruktion von einer sjónhverfing umspannen ließ, dann sollten damit deren Inhalte eine spezielle Wertigkeit erfahren; gegen die unbesehene Ansprache solcher Präsentation als Betrug wurde argumentiert, dabei auch auf den Zustand der Entrückung im biblischen Kontext verwiesen. Bemerkenswert ist die dortige Funktion des Dialogs: Die Abschlussformulierung der Gattung [d.i. die alttestamentliche Visionsschilderung] ergeht stets im Munde Jahwes oder (in späteren Texten) seiner Boten.
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154 155
„Gränsen mellan det naturliga och det ‚övernaturliga‘ är vikitgare att markera än gränsen mellan det naturliga och det ‚fantastiska‘“, hielt Daniel Sävborg weiterführend fest (Sävborg 2009a, S. 343 f. (‚die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem ‚Übernatürlichen‘ ist wichtiger zu kennzeichnen, als die Grenze zwischen dem Natürlichen und dem ‚Fantastischen‘‘)). Die sjónhverfing der Gylfaginning gehört folgerichtig zur Sphäre des Übernatürlichen, ist keine fantastische Trugwelt. Klingenberg 1986, S. 651. Eine solche Zwischenwelt wurde in bisheriger Forschung am Rande notiert. So machte Heinrich Beck auf die sich schließenden Tür aufmerksam (die nur in RTW erwähnt wird): „In Gylfis Fall markiert die hart zuschlagende Tür einen Übergang von einer Welt in die andere. Gylfi betritt einen Bereich, der Menschen normalerweise verschlossen ist: jenseitig und zur Vorsicht gemahnend“ (Beck 1994, S. 19). Heinz Klingenberg sprach von einer „der realen räumlichen Bestimmung entzogenen Stätte zwischen Himmel und Erde“; unklar blieb, welche Bedeutung dieser Zwischenwelt zukommen sollte (Klingenberg 1986, S. 632 (vgl. auch 640 ff.)). Auch Rory McTurk schloss sich dieser Sicht an: „A realm or dimension that has few or none of attributes of the past or coming state, he [d.i. Gylfi] is betwixt and between all familiar lines of classification“ (McTurk 1994, S. 15). Beck 1994, S. 34. Vgl. Winter 2003, S. 657 f.
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Thematisch-methodische Analyse
Niemals hat der Visionär das letzte Wort. Dies ist so zu verstehen, daß die Textsorte nach hinten hin ‚offen‘ ist. Nach der letzten Äußerung ist der Adressat – zunächst der Prophet, aber mit ihm dann auch der Hörer oder Leser – aufgefordert, sich zu dem Gehörten zu verhalten.156
Gleiches ist abermals für die Gylfaginning zu konstatieren: Die Dreiheit erklärt die Präsentation ihrerseits für beendet; zu den Asen hält Snorri fest: er æsirnir heyra þetta sagt gafo þeir ser þessi nofn asanna. at þa er langar stvndir liþi, efaþiz menn ecki at allir veri einir þeir æsir er nv er fra sagt ok þessir æsir er nv voro.157 In dieser Formulierung wird auch deutlich: Die irdischen Asen ziehen – dem Anspruch des biblischen Mustertypus entsprechend – aus dem Gehörten Konsequenzen; und diese sollten nicht allein im Asenland, sondern in weiten Teilen Europas, vor allem dem Norden, bedeutsam werden. Es lässt sich abschließend folgern: Der bedachtsame Gebrauch eines Terminus ‚Dreiheitsoffenbarung‘, in Analogie zum christlichen Verständnis appliziert auf die Gylfaginning, ist gerechtfertigt. 3.4.2. Snorrischer Euhemerismus? „Gylfaginning und Ynglinga saga geben an sich keinen Anlaß, das Euhemerismus-Konzept zu erörtern.“158 Diese bemerkenswerte Einschätzung Heinrich Becks in einer grundlegenden Arbeit der 1990er Jahre wurde von nachfolgender Forschung durchaus nicht geteilt (s.u.). Doch muss ihr bei sorgfältiger Auseinandersetzung mit Snorris Werk unzweifelhaft der Vorzug gegeben werden. Als ‚Euhemerismus‘ bezeichnet die moderne Religionswissenschaft „die Theorie von der Entstehung des Götterglaubens aus der Verehrung vergöttlichter Menschen.“159 Dieser Erklärungsansatz verweist auf den griechischen Historiker Euhemeros von Messana (ca. 340–260 v. Chr.), der in einem utopischen Reiseroman von einer Insel berichtet, auf der eine Grabstele Uranos, Kronos und Zeus als älteste Menschenkönige identifizierte, die sich aber als Götter hatten verehren lassen. In christlicher Zeit erfuhr dieses Konzept eine Spezifizierung, wurde polemisches Mittel, um den paganen
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158 159
Behrens 2002, S. 378. ‚Als die Asen dies sagen hören, gaben sie sich die Namen dieser Asen, damit, wenn eine lange Zeit verginge, die Menschen nicht zweifeln sollten, dass sie alle eins wären, die Asen, von denen jetzt erzählt ist, und die Asen, die nun waren.‘ Beck 1994, S. 36. Von See 1989, Sp. 86.
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Kult als Idolatrie zu brandmarken.160 Klaus von See betonte die „mannigfachen Formen“ des Euhemerismus im Mittelalter und verstand ihn – in einer historisierenden Form – auch als Möglichkeit der Antiken-Rezeption: Gefördert wurde diese Form des Euhemerismus durch die dem Mittelalter fest eingeprägte Lehre von der translatio artium, der ostwestlichen Kulturwanderung, die für alle ‚Künste‘, vornehmlich die des Quadriviums, aber auch für Staat, Recht und Ritterschaft ehrwürdige, frühzeitliche ‚Erfinder‘ […] voraussetzen möchte. Hinter dem historischen Interesse tritt dabei die ursprüngliche Funktion des Euhemerismus, den Götterglauben aus dem Totenkult zu begründen, gelegentlich etwas zurück oder wirkt nur noch unausgesprochen mit.161
Die kirchliche Auslegung hingegen verdammte „alle paganen Götter als lasterhafte Menschen und deren Kulte von vorneherein als Dämonenbetrug.“162 Im Norden vertrat eine solche Sicht Saxo Grammaticus, dessen Werk regelmäßig mit Snorris Ausführungen verglichen wird.163 Anklänge an ein historisierendes Euhemerismus-Konzept lassen sich in der altnordischen Literatur in Genealogien vermuten, Geschlechterreihen, an deren Anfang Personen der Vorzeit gestellt wurden, die die Namen bekannter Göttern trugen (etwa Háleygjatal, Ynglingatal, Langfeðgatal Skjo˛ ldunga, Ættartala Sturlunga). Ob eine Vermenschlichung dieser Gestalten erst nach Einsetzen in solche Genealogien erfolgte, ist ungewiss. Auch in der Debatte um Snorris Werk hat eine Euhemerismus-These seit langem Einfluss geübt; so argumentierte vor über einhundert Jahren bereits Andreas Heusler: Die Ynglinga saga zeigt in mancher Hinsicht die ausgereiftere Form des Euhemerismus. […] Die Gylfaginning dagegen sollte die bunte Masse der Mythen erzählen: wie hatte man als Euhemerist dies zu bewerkstelligen? […] Sobald die Fabelei der Gylfaginningredner an der Reihe ist, hört der Euhemerismus auf, es herrscht eine Welt ohne Zeitrechnung und Geographie; eine zweite Welt, die des Überwirklichen, ist in den Rahmen der rationalistischen Wanderungsgeschichte eingebettet.164 160
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Wesentlichen Einfluss übte dabei im Mittelalter die Lehre des Kirchenvaters Augustinus (vgl. auch Holtsmark 1964, S. 15); doch urteilte dieser – gerade in seinen späten Retractationes – durchaus differenziert: „Die heidnische Götterverehrung gilt ihm zwar als törichter Aberglaube, aber nicht schon vom Ursprung her als Werk der Dämonen. Vielmehr sind für ihn die Götter […] verdienstvolle, ‚große Menschen‘ gewesen […]. In den Dienst des Teufels geraten solche Kulte erst dadurch, daß die Dämonen – gefallene Engel, die als Götter verehrt werden wollen – sie mit ihren trügerischen Künsten usurpieren und sich an die Stelle der vergöttlichten Toten setzen“ (von See 1989, Sp. 87). Von See 1989, Sp. 87. Von See 1989, Sp. 87. Vgl. jüngst Jørgensen 2010. Heusler 1908, S. 89 f.
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Thematisch-methodische Analyse
Heusler reduzierte das Euhemerismus-Konzept weitgehend auf eine ‚Vermenschlichung‘. Dabei griff seine Betrachtung göttlicher und irdischer Asen aber zu kurz, wenn er voraussetzte, Snorri habe grundsätzlich nur mit letzteren gerechnet, die Göttermythen allein als ‚Fabelei‘ verstanden: Was dem König Gylfi vorgefabelt wurde, war zollfrei. So verdanken wir dem Euhemeristen Snorri eine im ganzen unverfälschte Zusammenordnung der volkstümlichen Göttergeschichten.165
Spätestens seit Walter Baetke ist die Forschung doch recht einig darin, dass in Snorris Darstellung keinesfalls nur volkstümlich Fantastisches fassbar wird. Baetke rekurrierte 1950 dennoch zunächst auf Heuslers ‚Gelehrte Urgeschichte‘: Aber dieser Euhemerismus – das ist das Bemerkenswerte – bildet einen Teil der gelehrten Urgeschichte, er hat keine Beziehung zur Religion oder Mythologie. […] Von einem Anspruch der Asen auf Göttlichkeit ist keine Rede.166
Konstruierter Bezug zwischen ‚Asen‘ und ‚Asia‘ bewirkte laut Baetke, „daß der Euhemerismus, der eigentlich den Götterglauben erklären sollte, hier im Norden sozusagen auf ein anderes Gleis, nämlich auf das geschichtliche, abgeschoben wurde.“167 Das Vorhandensein einer asischen Religion stellte Baetke somit nicht in Frage.168 In Bezug auf die Ynglinga saga folgerte er schließlich aber abweichend von Heusler: „Als Euhemerist verfährt also Snorri hier ganz und gar nicht.“169 Diese Überzeugung, die in Baetkes Begriff des ‚Snorrischen Euhemerismus‘ Ausdruck fand, ist bedenkenswert, wurde von folgender Forschung in dieser Form jedoch nicht rezipiert. Die Euhemerismus-Lehre stellte im Mittelalter einen methodisch bedeutsamen Erklärungsansatz im Umgang mit ‚Heidnischem‘ dar, das ist nicht zu bestreiten. Die These eines Euhemerismus-Konzepts auch in Snorris Werk scheint in aktueller Forschung aber gleichsam kanonischen Anspruch zu erheben. Damit wird Prämisse, was Baetke seinerzeit im Blick auf Snorri noch kritisch hinterfragte: Euhemerismus versucht grundsätzlich, nichtchristliche Religion zu eliminieren. Einfluss üben dabei bis zum heutigen Tag Vertreter eines dämonologisch geprägten Euhemerismus; Anne Holtsmark konstatierte richtig, dass Snorri Götzenstatuen oder Dämonen gar nicht erwähne170 – vertrat aber dennoch die These einer „djevelsk omsnudd165 166 167 168 169 170
Heusler 1908, S. 90. Baetke 1950, S. 23. Baetke 1950, S. 26. Baetke 1950, S. 30 ff. Baetke 1950, S. 28. Holtsmark 1964, S. 57.
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het fra den rette lære.“171 Gerd Wolfgang Weber schloss sich dieser Position an: Der Kirchenlehre zufolge verleiten die Dämonen die Menschen dazu, sich selber als Götter verehren zu lassen […], damit sie nach dem Tod dieser ‚vergötterten‘ Menschen deren Kultus usurpieren und ihn durch dämonisches Scheinleben, das sie durch die Kultbilder hindurch den anbetenden Menschen vorspiegeln, perpetuieren können. Diesen historischen Prozeß der ‚Selbstvergottung‘ der eingewanderten Æsir mit Hilfe der Dämonen schildert die Ynglinga saga Snorris.172
Annette Lassen notierte kürzlich ergänzend, gerade die magischen Fähigkeiten, die Snorri den irdischen Asen zuschreibt, seien vom mittelalterlichen Publikum als teuflisch erkannt worden.173 Ein solches EuhemerismusKonzept ist aber mit Snorris Werk nicht zu vereinen: Nirgends degradiert er die paganen Götter zu Dämonen, und seine Ausführungen zur Magie sind differenzierter zu betrachten.174 In einem jüngsten Aufsatz führte Margaret Clunies Ross aus: There were two main ways by which medieval Christians within Scandinavia accounted for the pagan religion of their ancestors: either by framing their religious belief within a Christian ideology that saw paganism and pagan gods as deceptive manifestations of Satan […] or by adopting a euhemeristic explanation, indicating that pagan Scandinavians mistakenly believed that outstanding men and women of former times were actually deities. […] Both theories undercut the implicit claim of pagan Norse religion to be a religion at all.175
Beispiel einer euhemeristischen (aber nicht dämonologischen) Darstellung par excellence seien laut Clunies Ross der Formáli und die einleitenden Kapitel der Ynglinga saga. Aus der Verehrung herausragender Menschen entwickelte sich in Nordeuropa einst ein asischer Kult – in dieser Aussage ist Snorri unmissverständlich. Doch die von Clunies Ross postulierte, dem Euhemerismus immanente Negation vorchristlicher Religion kann Snorris Werk nicht gerecht werden: Die Ynglinga saga führt Ideen der Gylfaginning fort und muss in Relation zu diesem vorausgehenden Werk verstanden werden. Die Protagonisten der Ynglinga saga sind sterbliche Menschen, keine Götter, aber sie waren Zeugen einer paganen Götterschau und stehen ausdrücklich auch während ihrer Herrscherzeit in Skandinavien im Kontakt zu höheren Mächten176 – das Vorhandensein einer Religion vor dem Christen171 172 173 174 175 176
Holtsmark 1964, S. 55 (‚eine teuflische Umkehrung der rechten Lehre‘). Weber 1986, S. 400. Lassen 2010, S. 210. Vgl. Kap. 4.6. Clunies Ross 2006, S. 412. Vgl. Kap. 4.5.3.
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Thematisch-methodische Analyse
tum zweifelt Snorri nirgends an, das notierte schon Baetke (s.o.). In Snorris Werk fehlt auch der Usurpationsgedanke: Die Apotheose der menschlichen Asen konnte nur erfolgen, weil andere Menschen ein Bedürfnis nach personifizierten Göttern hatten, das die irdischen Asen befriedigen konnten – eine wechselseitige Beziehung, dienen doch die Fähigkeiten der Asen ausdrücklich nicht diesen allein, sondern der nordischen Bevölkerung über räumliche und zeitliche Grenzen hinweg. An der einzigartigen Konzeption von göttlichen Asen und irdischen Repräsentanten, deren Relation zur neutestamentlichen Botschaft im Folgenden noch eingehend zu behandeln sein wird,177 muss jede Euhemerismustheorie scheitern.
3.5. Zusammenfassung In der vorausgegangenen thematisch-methodischen Präzisierung wurde einleitend Snorris Verfasserschaft bedacht: Es wurde dafür plädiert, einerseits den überlieferten Fassungen der auf ihn zurückgeführten Werke eigenständigen Wert in einer Interpretation zuzugestehen; andererseits wurde eine Negation des Autors, damit eine Entkontexualisierung im konkreten Fall kritisch hinterfragt. Nachfolgend galt es, Snorris Zugang zur Sprache zu skizzieren: Bisherige Beschränkung solcher Betrachtung auf die Skaldik erschien nicht gerechtfertigt, vielmehr wurde dafür argumentiert, Snorris Sprachkunst als Prämisse für sein Gesamtwerk zu berücksichtigen. Einen Bezug zwischen Sprache und Religion abstrahieren die Ausführungen des Formáli; für Gylfaginning und Ynglinga saga gilt es dies zu bedenken. Mit ‚Natürliche Religion‘ und ‚Analogie‘ wurden zwei Konzepte erörtert, die den methodischen Zugriff auf Snorris Werk in seinen überlieferten Fassungen ermöglichen. Snorris mehrjähriger Aufenthalt an norwegischen Herrscherhöfen, damit einhergehend die Partizipation an gelehrten Diskursen seiner Zeit, hatte Einfluss auf seine zeitnah konzipierten Werke. Es konnte wahrscheinlich gemacht werden, dass fundamentale Bedeutung vor allem dem Vierte Laterankonzil des Jahres 1215 zugekommen sein wird, auf dem der bis heute gültige Lehrsatz von ‚Analogie‘ formuliert wurde: Ähnlichkeit in der Unähnlichkeit. Von diesem Konzept hat sich Snorri in 177
Vgl. auch Beck 1994, S. 36 f.: „Diese Erklärung der historischen Asen steht aber derart in verbaler Abhängigkeit zum christlichen Vorbild, daß nur zwei Deutungsmöglichkeiten offen sind: Entweder wollte der Autor damit eine totale Verteufelung des göttlichen Erlösungsplanes mit Christus, dem Menschensohn und Gott, zum Ausdruck bringen oder er wollte ein (wenn auch noch so entferntes) Analogon zum christlichen Vorbild zur Erklärung heranziehen.“
Zusammenfassung
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seinen Ausführungen offensichtlich leiten lassen, das wird die weitere Untersuchung präzisieren. Analoge Bezüge konnten aber sowohl auf höchster Ebene, zwischen Christentum und nordischem Polytheismus, als auch innerhalb der nordischen Religion, zwischen göttlichen und irdischen Asen, konstruiert werden. Wichtige Bibelpassagen werden Snorri in solcher Betrachtung als Leitbild beeinflusst haben – er tritt in Erscheinung als aufgeschlossener Vertreter eines geschichtstheologischen Verständnisses. In anschließender Erörterung der sjónhverfingar wurde dieses Bild konkretisiert. Es zeigte sich: Ihre Herabstufung zum bloßen Mittel der Distanzierung wird weder der komplexen Gylfaginning-Konstruktion noch dem hochmittelalterlich-isländischen Umgang mit überlieferten Mythen gerecht. Die überlieferten Textfassungen legen vielmehr nahe, die sjónhverfingar hinsichtlich eines verhüllten Wahrheitsanspruchs der Ausführungen als funktionelle Fassade zu verstehen, orientiert am neutestamentlichen Offenbarungsgeschehens. Im Kontext dieser Untersuchung wurde abschließend hinterfragt, inwieweit mittelalterliche Euhemerismus-Lehre für Snorris Werk als Erklärungsansatz Geltung beanspruchen kann. In jüngerer Forschung wird die Bedeutung eines solchen Konzepts für Snorri mit Nachdruck betont. Die Anerkennung von Analogie aber weist die euhemeristische Deutung zurück; zugunsten einer Analogiethese wird auch die weitere Untersuchung argumentieren.
4. Lexematische Analyse 4.1. Vorbemerkungen Snorre lar Hár fortelle dem [d.i. Mythen] slik han, Snorre, sjelv har hørt dem. Men overallt hvor mytene gjelder troslære, kosmogoni, esjatologi, læren om det hinsides, må vi være på vakt. […] Han vil ikke bare vise den hedenske verdensbillede, men også hvordan dette er en forvrengning av den rette. […] Den hedenske lære fremstilles best som det motsatte av den kristne.1
Wenn Snorri Wörter und Ausdrücke gebrauchte, die in zeitnahen geistlichen Texten Träger wichtiger christlicher Inhalte waren, dann ist dahinter ein Konzept zu vermuten, das über die Betrachtung solcher ‚Schlüsselwörter‘ erschlossen werden kann – mit dieser methodischen Überlegung gab Anne Holtsmark vor einem halben Jahrhundert den Weg einer philologischen Untersuchung von Snorris Werk vor. Diese fundamentale Annahme impliziert bereits ein Analogieverständnis: „Where two things are connected by some relation, the same word may be applied to them both in a related, though not precisely identical, sense.“2 Oskar Bandle merkte zu Holtsmark kritisch an, „daß manches von einer vorgefaßten Meinung aus gedeutet wurde, was bei unvoreingenommener Betrachtung ohne weiteres auch anders aufgefaßt werden kann.“3 Ihre Methode stellte er damit nicht in Frage, vielmehr ihre Prämisse eines kontrastiven Verständnisses. Die folgende Untersuchung wird anhand von Wortschatzuntersuchungen dafür argumentieren, dass Snorri über ein Analogiekonzept vielmehr die Würdigung einer paganen Vorzeit anstrebte. Nach kurzer Einführung in die
1
2 3
Holtsmark 1964, S. 56 (‚Snorri ließ Hár die Mythen so erzählen, wie er, Snorri, sie selbst gehört hatte. Aber überall dort, wo die Mythen sich auf die Glaubenslehre beziehen, auf Kosmogonie, Eschatologie, die Lehre vom Jenseits, müssen wir aufmerksam sein. Er wollte nicht nur das heidnische Weltbild zeigen, sondern auch, inwiefern dieses eine Verzerrung des richtigen ist. Die heidnische Lehre wird am besten als Gegensatz zur christlichen dargestellt‘). Joyce 1908, S. 417. Bandle 1969, S. 452.
Funktionsträger in Snorris Werk
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jeweilige Untersuchungsthematik und die betrachteten Lexeme werden der Analyse synoptisch die schwerpunktmäßig erörterten Textstellen aus Formáli, U-Gylfaginning und Ynglinga saga vorangestellt; die Übersetzungen streben bewusst keine Interpretation, sondern wörtliche Nähe an. Die Berücksichtigung weiterer Belegstellen und der Vergleich mit anderen Haupthandschriften sowie sonstigen Texten erfolgen im Analyseteil. Die jeweilige Untersuchung konzentriert sich zunächst auf die Gylfaginning, entfaltet textliche und konzeptuelle Eigenheiten vor allem der abweichenden Fassung U. In der nachfolgenden Betrachtung der Ynglinga saga wird geprüft, inwieweit interpretative Ansätze der vorausgehenden Untersuchung werkübergreifend nutzbar gemacht werden können. Auf separate Betrachtung wird sinnvoll verzichtet, wenn das untersuchte Lexem primär auf eines der beiden Werke beschränkt bleibt. Weiterführende Erörterungen von Lexemen und Textpassagen, die die Argumentation komplettieren und präzisieren, fügen sich als jeweils abschließendes Unterkapitel an. Zugang zu allen (schwerpunktmäßig) betrachteten Lexemen bietet ein Index im Anhang. Die Untersuchung gliedert sich thematisch in mehrere große Abschnitte. Zunächst gilt der Blick den Funktionsträgern und Handlungsschauplätzen in Snorris Werk; auf die Resultate dieser Betrachtung wird in der weiteren Untersuchung rekurriert. Relevanz in der lexematischen Analyse kommt besonders dem Substantivum kraptr zu, in Snorris Konzeption Ausdruck einer göttlichen Macht; in der Erörterung dieses kraptr wird der Bezugspunkt nachfolgender Lexemuntersuchungen erarbeitet. Die weitere Analyse schreitet vom Glauben an solche Macht voran zur Kontaktaufnahme von menschlicher Seite (vor allem zu deren kultischem Aspekt) und wendet sich abschließend der Behandlung von Magie in Snorris Darstellung zu, als irdische Ausformung des kraptr. Im Schlusskapitel wird anhand der Ergebnisse eine konstruktive Neubetrachtung der Gylfaginning in ihrer Gesamtstruktur angestrebt.
4.2. Funktionsträger in Snorris Werk 4.2.1. Gylfi4 und Ásgarðr Die Figur Gylfi wurde in bisheriger Forschung weitgehend reduziert auf einen naiven Heiden, der sich von erfundenen Erzählungen einer betrügerischen Dreiheit blenden ließ und der Ausbreitung eines asischen Irrglaubens 4
Der Name Gylfi wird auch im Folgenden der Eigenbenennung mit dem Óðinnsnamen Gangleri vorgezogen.
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Lexematische Analyse
somit Vorschub leistete.5 Konträr zu solchem Urteil interpretierte Rory McTurk, der Gylfi als Wegbereiter des christlichen Glaubens verstehen wollte: Gylfi’s message to his people, it may be assumed, is that anyone claiming to be one of the divine Æsir is an impostor, and anyone preaching the religion of these Æsir as the true one is a false prophet. […] Gylfi is, without knowing it, a Christian pilgrim ahead of his time.6
Die planvolle „Allegorisierung und Parallelisierung Gylfis nach Vorbild Abrahams“ vermutete Heinz Klingenberg; seine Ausführungen basierten auf einer Interpretation der Dreiheit als pagane Trinität Óðinns.7 Snorris Entwurf eines dreifachen Verkünders motiviert in jedem Fall weiterführende Fragen, das wurde bereits erörtert. Woher Snorri Idee und Name einer Figur Gylfi bezog, ist unbekannt: In der Bragistrophe zu Gefjon wird dieser Name zwar erwähnt, eine Verbindung mit Schweden ist aber nicht offensichtlich; die nur bei Snorri überlieferte Strophe war ursprünglich wohl Teil eines längeren Schildgedichts.8 In der Flateyjarbók trägt einer der neun Söhne des Königs Hálvdan svarti den Namen Gylfi: þessir .ix. er sagt at allir væri iafngamlir ok vrdu sua agætir at i ollum frædum eru þeirra nofn hofd fyrir tignar naufn ok konunga nofn.9 Unklar bleibt, in welcher Relation diese Nennung zu Snorris Werk steht10 – möglicherweise wurde Gylfi als Königsname erst durch Snorri etabliert: Als einziger der neun genannten Söhne ist Gylfi kein sprechender Name, wurde vielleicht erst später angefügt. Konträr zum Gros bisheriger Forschung wird die weitere Untersuchung wahrscheinlich machen, dass Gylfi keinesfalls als unterlegene Figur konzipiert war, zumal nicht in der Fassung U. Im Gegenteil erfüllt Gylfi in einem Analogiekonzept grundlegende Funktion: Er wird zur kritischen Prüfinstanz des Asenglaubens, wenn Snorri ihn regelmäßig an die Grenzen des paganen
5 6 7 8 9
10
Vgl. etwa von See 1990, S. 116 (auch von See 1999b). McTurk 1994, S. 11 und 17. Klingenberg 1986, 641 ff. Vgl. Zernack 1998, S. 530. Flateyjarbók: En samling af Norske Konge-sagaer (hrsg. von Carl Richard Unger/ Guðbrandur Vigfússon), Bd. 1, S. 25 (‚diese zwölf, so wird gesagt, seien alle gleich alt, und sie wurden so berühmt, dass ihre Namen in der gesamten Überlieferung als Ehrennamen und Königsnamen angesehen werden‘). Vgl. auch Ashman Rowe 2000, S. 451. Anthony Faulkes etwa verstand Snorris Gylfi und den Gylfi der Flateyjarbók als zwei getrennte Gestalten (vgl. Snorri Sturluson: Edda. Skáldskaparmál (hrsg. von Anthony Faulkes), Bd. 2, S. 468).
Funktionsträger in Snorris Werk
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Vorstellungshorizontes stoßen lässt und damit unüberbrückbare Unähnlichkeiten zum christlichen Glauben akzentuiert. Keinesfalls impliziert dies eine Abwertung des nordischen Polytheismus, wie etwa McTurk seinerzeit annahm (s.o.) – vielmehr wird dahinter Snorris würdigende Analogiethese fassbar. Im Folgenden gilt es jedoch zunächst, einige nahezu kanonisierte Thesen zur Figur Gylfis versionsübergreifend am Text zu prüfen. U Rubrik
U c. 5
Yng. c. 5
Her hefr gylva ginning fra þvi er gylfi sotti heim allfauþr a asgarþ með fiolkvngi. ok fra villo asa. ok fra spvrningo Gylva. Gylver var maðr vitr ok hvgsaþi þat er allir lyþir lofvþo þa ok allir hlvtir gengv at vilia þeirra. hvart þat mvndi af eþli þeirra vera eða mvndi gvþmavgnin vallda þvi.
Gerðu þeir Gylfi sætt sína, því at Gylfi þóttisk engi krapt til hafa til mótsto˛ ðu við Ásana. Mart áttusk þeir Óðinn við ok Gylfi i bro˛ gðum oc sjónhverfingum. ok urðu Æsir jafnan ríkri.
‚Hier beginnt die Entrückung des Gylfi, wie Gylfi Allvater in Ásgarðr mit Magie aufsuchte; und von der Verwirrung der Asen und der Nachforschung Gylfis.‘ ‚Gylfi war ein kluger Mann und er dachte darüber nach, wenn alle Leute sie [d.i. die irdischen Asen] priesen und alle Dinge nach ihrem Willen gingen, ob das durch ihre eigene Stärke geschähe oder ob Göttermächte das verursachen würden.‘ ‚Gylfi und die Asen schlossen Frieden, weil Gylfi keine Kraft zu haben schien, den Asen zu widerstehen. Heftig gingen sich Óðinn und Gylfi in Listen und Sinnesentrückungen an, doch die Asen wurden stets mächtiger.‘
Gylfi konvngr reð þar londvm, er nu heitir Sviþioð,11 mit diesen Worten leiten R und T (im Wesentlichen auch W) die Gylfaginning ein – Gylfi wird Funktion und Wirkungsbereich zugeschrieben. Die Formulierung er nu heitir assoziiert eine Vorzeit, in der die genannten Gebiete noch nicht die spätere Bezeichnung trugen; doch ist hinter solch genauerer Bestimmung auch der Anspruch einer historischen Verortung des Geschehens erkennbar. Im weiteren Verlauf wird beschrieben, wie die irdische Asin Gefjon die Insel Seeland erschuf; hier findet sich in der Prosa erneut der Bezug zu Schweden. RTW führen weiter aus: gylfi konvngr var maðr vitr ok fjolkvNigr.12 Der Rahmenschluss des gemeinen Textes (c. 42) fügt sich in dieses
11 12
‚König Gylfi regierte dort die Länder, wo es heute Schweden heißt.‘ ‚König Gylfi war ein kluger und zauberkundiger Mann‘; vgl. Kap. 4.6.2.
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Lexematische Analyse
Konzept: gengr hann þa leið sina bravt ok kemr heim iriki sitt ok segir þav tiþindi er hann hefir sét ok heyrt, ok eptir honvm sagþi hverr maðr avðrvm þessar savgvr.13 Für das Verständnis einer Verbreitung der Asenreligion ist in RTW diese abschließende Aussage von wesentlicher Bedeutung.14 Damit korrespondiert Gylfis Königsstatus in Schweden, der ihn zum adäquaten Botschafter werden lässt. Die U-Gylfaginning weicht von dieser Darstellung signifikant ab: gylver var maðr vitr,15 heißt es einleitend, alle weiteren Informationen und die zitierten Ausführungen des Rahmenschlusses fehlen. Zufällige Kürzung anzunehmen, würde der Konzeption, wie RTW sie vorgeben, nicht gerecht – hier ist vielmehr ein abweichendes Konzept zu vermuten. Gylfi bleibt in U frei von geographischen und funktionalen Attributen; damit ist die U-Gylfaginning zunächst in keinen größeren Kontext zu integrieren, stellt eine in sich weitgehend geschlossene Konstruktion dar. Hann vndraþiz þat mioc, er ásafolk var svá kvNikt, at allir lvtir gengv at vilia þeira; þat hvgsaþi hann hvart þat mvndi vera af eþli sialfra þeira, eða mvndi þvi valda goðmavgn þav, er þeir blotvþv.16
Mit diesen Worten wird in R und T (c. 2) Gylfis Reise zu den menschlichen Asen motiviert, in W fehlt mjo˛ k; hier mag, nach Überlistung durch Gefjon, abermals Anklang an eine so genannte ‚Täuschung‘ vorliegen. U formuliert mit der kurzen Bemerkung ok hvgsaþi þat rational – Gylfi stellt eine Vermutung an, nutzt seinen Verstand. Doch wirft diese Stelle eine weitere Frage auf: Von einer asischen Götterwelt weiß Gylfi vor seiner Reise nichts, der Asenglaube etabliert sich im Norden erst nach der Götterschau. Heinz Klingenberg vertrat daher die These, in Gylfi sei der „Vertreter einer natürlichen Religion aus der Zeit der Noah-Flut“ zu sehen.17 Gylfi setzt aber plurale Göttermächte (guðmo˛ gnin)
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‚Dann geht er seines Weges und kehrt in sein Reich zurück und erzählt die Ereignisse, die er gesehen und gehört hat, und nach ihm erzählte jeder diese Geschichten weiter.‘ Vgl. auch Helgason 2009, S. 116: „Den mest intressante setningen i teksten beskriver hvordan de oppdiktede historiene, som Gylve i sin naivitet svelger med hud og hår, spres utover samfunnet“ (‚der interessanteste Satz im Text beschreibt, wie die erdichteten Geschichten, die Gylfi in seiner Naivität mit Haut und Haar schluckt, über die Gesellschaft ausgebreitet werden‘). ‚Gylfi war ein kluger Mann.‘ ‚Er wunderte sich sehr, dass das Asenvolk so kundig war, dass alle Dinge nach ihrem Willen liefen. Er fragte sich, ob das in ihrer eigenen Natur liegen würde oder ob dies die göttlichen Mächte verursachten, denen sie opferten.‘ Klingenberg 1986, S. 628.
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voraus – zumindest mit dem Formáli-Konzept von natürlicher Gotteserkenntnis, d.h. der Erschließung eines singulären Herrschers, ist dies nicht bruchlos zu vereinen. Das Desinteresse an Gylfis Religion legt aber die Vermutung nahe, dass Snorri diese Figur gar nicht konkret einordnen wollte. Zwar tritt Gylfi in Erscheinung als Mensch (maðr) und eröffnet damit interpretatorisch den Bezug zu Mitmenschen (menn); an späterer Stelle der Gylfaginning wird darauf rekurriert. Der Status vitr sichert ihm aber im Dialog mit der Dreiheit Souveränität in seinen Fragen und der Beurteilung dessen, was er hört – der fróðr-Aspekt ist wesentliches Kriterium in Snorris Darstellung.18 Gylfi und die Dreiheit sind ebenbürtige Protagonisten, betont auch durch den Umstand, dass sie Beinamen von Óðinn tragen (der in nordischen Mythen mehrfach sein überlegenes Wissen erprobt) und damit als Präsentationseinheit zusammenrücken.19 Die Darstellung der Ynglinga saga scheint der Gylfaginning zunächst zu widerstreben: In Kapitel 5 wird berichtet, dass Gefjon20 von Gylfi ein Stück Land geschenkt bekam (þá kom hon til Gylfa, ok gaf hann henni eitt plógsland) und Óðinn daraufhin selbst anreiste, um Gylfis Land zu annektieren (er Óðinn spurði, at góðir landskostir váru austr at Gylfa, fór hann þannok) – solche asischen Eroberungspläne werden in der Gylfaginning nirgends thematisiert, mögen allenfalls in der Gefjon-Episode von RTW anklingen. Gerðu þeir Gylfi sætt sína, því at Gylfi þóttisk engi krapt til hafa til mótsto˛ ðu við Ásana. Mart áttusk þeir Óðinn við ok Gylfi i bro˛ gðum ok
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Vgl. Kap. 4.4.4.2. Vgl. auch Finnur Jónsson 1920, S. 683 f.: „Ganglere indfletter sine spydigheder og gör sådanne spörsmål, som det var vanskelligt eller for en af guderne pinligt at svare på. Det er som om det morer Snorre at bringe Aserne i forlegenhed“ (‚Gangleri flechtet seine Sticheleien ein und stellt solche Fragen, die schwierig oder für einen der Götter peinlich zu beantworten sind. Es ist, als ob es Snorri amüsiert, die Asen in Verlegenheit zu bringen‘). Vgl. auch Marold 1998a, S. 161 f.: „Nicht wenige Fragen Gylfis führen jeweils zum Eingeständnis Hárs, daß die Schöpfung seiner Götter nicht vollkommen und unvergänglich ist.“ Anne Holtsmark erklärte Gylfis Überlegenheit dämonologisch: „Gylve er stadig ironisk i spørsmålene, vi skal forstå at han, selv om han ikke er kristen, dog ikke biter på alle Hárs eventyr og hans djevelske vrangsnuddhet“ (‚Gylfi ist beständig ironisch in seinen Fragen, wir sollen verstehen, dass er, auch wenn er kein Christ ist, doch nicht bei allen von Hárs Märchen und seinen teuflischen Verdrehungen anbeißt‘ (Holtsmark 1964, S. 25)). Anne Heinrichs stellte die Frage, ob nicht „in deep-structural terms Óðinn wants to acquire knowledge of himself through himself“ (Heinrichs 1994, S. 58); sie verwies auf die Selbstopferungsepisode Óðinns in den Hávamál. Vgl. auch Dronke 1977, S. 175. Vgl. Kap. 4.2.1.1.
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sjónhverfingum, ok urðu Æsir jafnan ríkri 21 – in der weiteren Darstellung der Ynglinga saga scheinen die komplexen Inhalte der Gylfaginning reduziert auf ein Kräftemessen zwischen Zauberern (interessant aber die Verwendung des Wortes kraptr).22 Als „Träger eines Versöhnungsdenkens an einem kulturgeschichtlichen Wendepunkt Skandinaviens“23 interpretierte Heinz Klingenberg diesen Gylfi – die These eines Wendepunktes ist bedenkenswert, doch ein Versöhnungsgedanke wird hinter zitierter Formulierung nicht stehen. Die irdischen Asen kommen auch bereits unter den Namen Óðinn, Þórr etc. in den Norden – Namen, die sie gemäß Gylfaginning erst nach dem Gespräch zwischen Gylfi und der Dreiheit übernehmen. Die Ynglinga saga kann in diesem Punkt nicht unbesehen mit der Gylfaginningkonzeption in Deckung gebracht werden. Tabelle 2. Vergleich Gylfaginning, Ynglinga saga, Formáli Gylfaginning
Ynglinga saga
Formáli
Namengebung der irdischen Asen am Ende der Rahmenhandlung
irdische Asen erscheinen unter diesen Namen im Norden
irdische Asen erscheinen unter diesen Namen im Norden
Gefjonepisode in RTW
Gefjonepisode
Gylfi reist nach Ásgarðr
Asen reisen zu Gylfi
Asen reisen zu Gylfi; dieser kommt ihnen entgegen
Gylfi schließt mit Asen Frieden
Gylfi lädt Asen in sein Reich ein; freiweillige Übertragung der Herrschergewalt in RTW
–
Dreiheitspräsentation
–
–
–
Diese scheinbaren Diskrepanzen mögen darauf hindeuten, dass Gylfis Rolle in der Ynglinga saga von einem Redaktor modifiziert worden ist; vergleichbare Überlieferung in mehreren Manuskripten macht dies aber unwahrscheinlich. Denkbar ist, dass (wie Friedrich Müller vermutete (s.o.)) Snorri selbst unterschiedliche Fassung der Gylfaginning kreierte und sich in der Ynglinga saga auf eine Version bezog, die in dieser Form nicht überlie21
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‚Gylfi und die Asen schlossen Frieden, weil Gylfi keine Kraft zu haben schien, den Asen zu widerstehen. Heftig gingen sich Óðinn und Gylfi in Listen und Sinnesentrückungen an, doch die Asen wurden stets mächtiger.‘ Vgl. Kap. 4.3. Klingenberg 1994, S. 38
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fert ist. Einfluss eines außersnorrischen Werks vermutete hingegen Andreas Heusler: Zu der Gylfaginning stimmt diese Anspielung nicht ganz. Um so eher wird man glauben, daß Snorri hier nicht bloß seine frühere Schrift zitiert, sondern eine ältere Sage im Auge hat. […] Es ist verständlich, daß Snorri eine Konzeption dieser Art nicht vollkommen klar durchführen konnte.24
Solche Argumentation basiert doch wesentlich auf Hypothesen; dabei offeriert zumindest die Konzeption der RTW-Gylfaginning den logischen Anschluss an die Passage der Ynglinga saga: Gylfi kehrt nach der Götterschau in sein schwedisches Reich zurück – wenn im weiteren Verlauf die irdischen Asen, nun unter göttlichen Namen, ebenfalls gen Norden aufbrechen, ist es folgerichtig, dass sie dort abermals auf Gylfi treffen. Der knappe Auftritt Gylfis in der Ynglinga saga wäre demnach nie als Rekapitulation der Gylfaginning konzipiert gewesen – dieser Passus würde eine eigenständige Episode der Asengeschichte darstellen. Es stellt sich im Kontext die Frage, wo das Treffen zwischen Gylfi, Dreiheit und irdischen Asen in der Gylfaginning geographisch zu verorten ist. In Kapitel 5 von U wird lapidar notiert: hann for til asgarþz, Gylfi fuhr nach Ásgarðr. RTW (c. 2) formulieren abweichend: hann byriaþi ferþ sina til Asgarþz 25 – der gemeine Text lässt zunächst offen, wie folgende Bemerkung zu verstehen ist: en æsir voro þvi visare at þeir høfþv spadom ok sa þeir ferþ hans, fyR en hann kom, ok gerþv imoti honvm sionhverfingar.26 Die verbreitete Annahme, die irdischen Asen seien bereits nach Schweden vorgedrungen, basiert primär auf der abschließenden Aussage des Formáli (eptir þat for hann [d.i. Óðinn] norðr, þar sem nv heitir Sviþioð).27 Einen Hinweis zum rechten Verständnis liefert erst der weitere Text in RTW: ok er hann [d.i. Gylfi] kom iN iborgina, þa sa hann þar hafa havll 28 – das bestimmte Substantivum borgin kann sich im Kontext nur auf zuvor erwähnten Ásgarðr beziehen.29 Wenn die Binnenhandlung mit einer Aufhebung der
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Heusler 1908, S. 31. ‚Er begann seine Fahrt nach Ásgarðr.‘ ‚Aber die Asen waren klüger, weil sie die Sehergabe besaßen, und sie wurden seiner Fahrt gewahr, bevor er kam, und begegneten ihm mit Sinnesentrückungen.‘ ‚Danach fuhr Óðinn nach Norden, dorthin, wo es heute Schweden heißt.‘ ‚Und als er in die Stadt kam, da sah er eine hohe Halle.‘ Unklar bleibt, ob diese Stadt bereits Teil einer sjónhverfing ist: Gylfis (entrückte) Wahrnehmung (sjá) wird erst im Zusammenhang mit einer há ho˛ ll erwähnt, doch im Rahmenschluss der Gylfaginning wird berichtet, dass Gylfi sich auf freiem Feld wiederfindet: nv er gangleri heyrir þetta þa verþr gnyr mikill ok er hann a slettvm
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sjónhverfing schließt – Gylfi findet sich auf freiem Feld wieder –, dann macht dies zwar wahrscheinlich, dass Gylfi in persona nicht bis zum realen Ásgarðr vordrang; doch gelangt er durch seine Fahrt in den Einflussbereich der irdischen Asen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch auf das vorderasiatische Asenland beschränkt. In der Sinnesbetörung wird er schließlich in einen suprahumanen Ásgarðr entrückt. Snorri schrieb Ásgarðr offensichtlich besondere Bedeutung zu, als er ihn zum Ziel von Gylfis Fahrt erklärte. Die asische Hauptstadt mag ihm als Handlungsort einer Götterschau angemessen erschienen sein. Auffällig, dass in Gylfaginning und Ynglinga saga von Ásgarðr hinn forni gesprochen wird – ein zu erwartender Ásgarðr hinn nýi wird nirgends erwähnt. Das schließt die Möglichkeit aus, Gylfis Reise habe eine in Skandinavien gelegene Neugründung der Asen zum Ziel gehabt; Formáli und Ynglinga saga kennen als asische Stadtgründung im Norden allein Sigtuna.30 Mit dem Adjektivum forn wollte Snorri somit nicht Bezug zu einer anderen, neuen Stadt suchen, sondern Ásgarðr vielmehr einen bestimmten Status verleihen. Man könnte einerseits ein Attribut ‚altehrwürdig‘ vermuten, andererseits aber auch Anklang an den mythologischen Ásgarðr, der in der Binnenhandlung der Gylfaginning beschrieben wird. Die geographische Verortung des irdischen Ásgarðr erfolgt in RTW über Verknüpfung mit Troja (þar næst gerþv þeir ser borg imiþivm heimi, er kallvð er Asgarðr. Þat kavllvm ver troia (c. 6)).31 In der Ynglinga saga stellt Snorri Verbindung mit dem Asenland her: en ho˛ fuðborgin, er var í landinu ko˛ lluðu þeir Ásgarð (c. 2).32 Gylfis Fahrt nach Ásgarðr muss daher als Reise in vorderasiatisches Gebiet verstanden werden; dort partizipiert er an einer paganen Offenbarung. Die Rahmenhandlung der Gylfaginning verlagerte Snorri somit in ein Gebiet, in dem mit Jerusalem ein zentraler Schauplatz der christlichen Religion lag, der aber im Hochmittelalter auch Ort einer vielfältigen Auseinandersetzung mit dem Islam war. Die pagane Götterschau, die Geburt der Asenreligion, wollte er offenbar ins Umfeld dieser Wiege der Religionen rücken. Es fügt sich in solches Verständnis, dass die Bewohner dieses weltmittelpunktsnahen Gebiets besondere Begabungen
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velli (‚nun, als Gangleri dies hört, da entsteht ein lautes Donnern und er befindet sich auf ebenem Feld‘ (nach U, c. 31)). Vgl. auch Kap. 3.4.1.2. Anne Holtsmarks Ansicht, Snorri habe parallel zur in RTW belegten Formel Troja = Ásgarðr (hinn forni) für den Norden Sigtuna als Ásgarðr hinn nýi angesetzt, entbehrt der textlichen Grundlage (Holtsmark 1964, S. 56). ‚Danach errichteten sie die Stadt in der Mitte der Welt, die Ásgarðr heißt. Die nennen wir Troja.‘ ‚Und die Hauptstadt, die es im Land gab, nannten sie Ásgarðr.‘
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besaßen: Dazu mag Snorri die Befähigung gerechnet haben, für göttliche Inspiration besonders empfänglich zu sein. Die von den irdischen Asen über den Namentausch angestrebte Identifikation mit den Göttern erfolgt bereits im Asenland, wenn sie dort Ziel kultischer Verehrung werden.33 Doch Óðinn war fórspár, zukunftskundig, wie Formáli und Ynglinga saga betonen: af þeim visindvm faN hann þat, at nafn hans mvndi vppi vera haft inorðrhalfv heims og tignat vm fram alla konvnga.34 Die Asen begeben sich nach Verlassen ihrer Heimat in den Norden, weil sie wissen, dass ihnen dort besondere Verehrung zuteil werden wird – dies aber ob der göttlichen Namen, die sie sich am Ende der Gylfaginning gaben (stellvertretend ausgedrückt durch Óðinns Namen (nafn hans)). Nach weiterführender Ausgestaltung strebt der W-Formáli: Ok þat finnz skrifat þa er Grikker ok allr styrkr norðr haalfu ok austrhalfu bo˛ rðuz uið Troio menn. þa hefði þeir alldrí sigraðer uorðit. nema Grikker hefði heitið a guðin ok gengu sua fretter at ekkí mannligt eðli mattí þa sigra nema þeir yrðí suikner af sialfs sins monnum sem siðan gerðiz ok af þeira frægð gafu epterkomandi menn ser þeira uirðingar nỏfn ok æínkannlega sua sem Romueriar er agiætazter menn hafa uerit at morgum lutum epter þeira daga ok sua segiz at þa er Roma uar algiỏr at Romueriar uenðuðu sinum siðum ok logmali sem næst mattu þeir komaz epter þi sem Troiu menn hofðu haft forfeðr þeira. ok sua mikill kraptr fylgði þessum monnum at morgum o˛ lldrum siðaRr þa er Pompeius æinn hofðingí Romueria heriaðí i austrhaalfuna flyði utan Oðinn or Asia ok hingat i norðr halfuna ok þa gaf hann ser ok sinum monnum þeira nofn ok kallaði Priamum hafa heitið Oðin enn drottning hans Frigg ok af þi tok rikið siðan nafn ok kallaði Frigia þar sem borgín stoð. ok huárt er Oðinn sagði þat til metnaðar uið sik eða þat hafi sua uerit með skiptí tungnanna þa hafa þo marger frœði menn haft þat firir sannenda sogn.35
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Vgl. Kap. 4.5.3. ‚Durch diese Wissen erkannte er, dass sein Name in der Nordhälfte der Welt hochgehalten und vor allen anderen Königen verehrt werden würde.‘ ‚Und das findet sich geschrieben, dass da, als die Griechen und alle Heere der Nord- und Osthälfte mit den Trojanern kämpften, diese niemals besiegt worden wären, wenn nicht die Griechen ihre Götter angerufen hätten, und so lautete die Auskunft, dass keine menschliche Kraft sie besiegen könnte, außer, sie würden von ihren eigenen Männern verraten, wie es später geschah. Und wegen dieses Ruhms gaben die Nachkommen sich diese Ehrennamen, vor allem die Römer, die nach dieser Zeit in vielen Dingen die hervorragendsten Männer waren, und es wird gesagt, dass, als Rom vollendet war, die Römer ihre Sitten und Gesetze so ausrichteten, dass sie dem nahe kommen sollten, was ihre Vorväter, die Trojaner, gehabt hatten. Und so große Macht folgte diesen Männern, dass viele Generationen später, als Pompeius, ein römischer Herrscher, im Osten heerte, Óðinn aus Asien und hierher in die Nordhälfte floh, und dann gab dieser sich und seinen Männern ihre Namen
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Einen Bezug des Nordens zur Antike versucht der Redaktor von W frühzeitig zu etablieren, weicht darin von den anderen Fassungen ab. Bemerkenswert ist neben der Aussage, die Qualitäten der Römer seien den ruhmreichen Trojanern verdankt (translatio36), vor allem die asische Namensgebung: Anders als in der Gylfaginning streben die irdischen Asen im W-Formáli nach Identifikation mit berühmten antiken Vorbildern (ähnlich dem Eptirmáli ii des gemeine Textes). Im Fall von Frigia (Phrygia) erfolgt solche Verknüpfung über sprachlichen Anklang, während bei Óðinn/Priamos wohl der Aspekt des erfolgreichen Herrschers Vorbild war. Auffallend ist die Unsicherheit des Redaktors, wie diese Umbenennung einst vonstatten ging: Bewusst erfolgten Namentausch (til metnaðar) deutet er wohl unter Rekurs auf den Rahmenschluss der Gylfaginning an, doch räumt er auch die Möglichkeit einer Sprachverzweigung (með skipti tungnanna) ein, die sich am Formáli orientiert. Von solchen Addenda abgesehen, lässt sich das Geschehen in folgender Weise zusammenfassen: 1. Gylfi, konzipiert als kritischer Dialogpartner der Dreiheit, reist gen Ásgarðr ins Asenland; in U haben zu diesem Zeitpunkt weder er noch die irdischen Asen Verbindung zum Norden (Gylfaginning). 2. Die Götterschau im Rahmen einer sjónhverfing ereignet sich nahe des Weltmittelpunkts; Gylfi hat danach seine Funktion erfüllt, verschwindet in U ohne weitere Erwähnung (Gylfaginning). 3. Die in Ásgarðr ansässigen menschlichen Asen, die Zeugen dieser Götterschau wurden, übernehmen die Namen der offenbarten Götter, damit man sie im weiteren zeitlichen Verlauf mit diesen identifizieren soll (Gylfaginning). 4. Die irdischen Asen erfahren daraufhin bereits im Asenland Verehrung, verlassen dieses aber unter äußerem Druck; auf ihrer Reise tragen sie die offenbarten Götternamen und wissen dank ihrer Sehergabe, dass man diese im Norden in besonderem Maße verehren wird; schon auf der Fahrt dorthin erscheinen sie eher als Götter denn als Menschen (Ynglinga saga (und Formáli)). 5. Auch im Norden präsentieren sich die irdischen Asen anderen Menschen kraft ihrer Namen und herausragenden Fähigkeiten als Götter und werden verehrt; nach ihrem Tod nehmen die Skandinavier an, die Asen seien
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und erklärte, dass Priamos Óðinn geheißen habe und seine Frau Frigg, und daher erhielt das Reich später seinen Namen und man nannte es Frigia, dort wo die Stadt war. Und ob Óðinn dies nun zu seiner Ehre sagte oder es durch Sprachteilung so gekommen ist, so haben doch viele Gelehrte diese Geschichten für wahr gehalten.‘ Vgl. Kap. 4.2.2.1.
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in den alten Ásgarðr zurückgekehrt, d.h. ins Asenland, das sich zum göttlichen Ort verklärt hat (Ynglinga saga).
4.2.1.1. Gefjon Der Verweis auf die irdische Asin Gefjon findet sich in der Ynglinga saga ebenso wie in der Gylfaginning von RTW – in U fehlt die Episode, das wurde bereits notiert. Bedeutung hat dieser Umstand für die Frage nach dem Verhältnis von Formáli und Gylfaginning, wird doch die Gefjon-Episode in der Forschung verbreitet als Bindeglied beider Texte verstanden: The first chapter motivates Gylfi’s quest for the secret of the Æsir’s power and knowledge. It allows the subtle and ironical development of the figure of Gylfi as the Æsir’s dupe, a role he plays in both the Gefjon story and in Gylfaginning as a whole. If the Gefjon story were not present there would be no apparent motivation for Gylfi’s quest, for his adoption of a disguise and for his desire to find out why the Æsir were more successful practioners of sorcery, fjo˛ lkyngi, than he was himself.37
Dieser Einschätzung von Margaret Clunies Ross könnte man entgegenhalten, dass das folgende Gespräch zwischen Gylfi und der Dreiheit auch ohne solchen Zusatz völlig verständlich ist, wie die Fassung U belegt. Gylfis Motivation, nach den Kräften der irdischen Asen zu forschen, liegt im Wissensdrang, der ihn als maðr vitr auszeichnet;38 direkter Kontakt zu den Asen ist für solches Streben keine Voraussetzung. Unmotiviert erscheint Gefjons Auftritt in R: Zwar wird im Formáli berichtet, dass Óðinn in den Norden kam – doch wird dort in der Weise vorausgegriffen, dass dessen Sohn Yngvi bereits König von Schweden genannt wird: oþinn hafþi með ser þaN son siN, er Yngvi er nefndr, er konvngr var iSvíþioþu.39 In der Gylfaginning ist es aber Gylfi, der diese Herrschaft innehat: gylfi konvngr reð þar londvm er nu heitir Sviþioð.40 Auch mit den weiteren Aussagen zu den zahlreichen asischen Nachkommen und ihrer sich ausbreitenden Sprache strebt der Formáli einen Gesamtüberblick an, der inhaltlich nur bedingt an die Gylfaginning anschließt – die Gefjonerzählung erfüllt hier keine Funktion als Bindeglied. Überzeugender erscheint die von Friedrich Müller in
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Clunies Ross 1978, S. 151. Vgl. Kap. 4.4.4.2. ‚Óðinn hatte diesen seinen Sohn bei sich, der Yngvi heißt und König in Schweden war.‘ T, W und U ergänzen eptir hann, d.h. Yngvi übernahm die Herrschaft in Schweden nach seinem Vater Óðinn. ‚König Gylfi herrschte dort über die Lande, wo es heute Schweden heißt.‘
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der Diskussion etablierte These, Snorri selbst bzw. jemand, der unter seiner Leitung arbeitete, habe voneinander abweichende Gylfaginningversionen erstellt. Interessant ist das Wort skemtan, es erscheint als Motivation für die Entlohnung Gefjons mit einem Stück Land (fra honym er þat sagt, at han gaf eiNi farandi konv at lavnvm skemtvnar sinnar eitt plogs land iriki sinv).41 Bewusste Tilgung dieser Episode in der Ynglinga saga vermutete Margaret Clunies Ross, die Idee des Geschenks sei für Snorris Ausführungen nicht konstruktiv gewesen.42 Als Signalwort verstand skemtan hingegen Wilhelm Heizmann, in Kombination mit dem Ausdruck farandi kona verweise es in den Bereich des Sexuellen43 – eine These, die schon Anne Holtsmark aufstellte: Gefion er blitt til en farandi kona, en omstreiferske, som på Snorres tid ikke kan ha vært annet enn et løsaktig kvinnfolk, og den gaman Gylve har hatt av henne, har vært av seksuell art.44
Gefjons sexuelle Freizügigkeit prangert auch Loki in der Lokasenna (Strophe 20) an: þegi þú, Gefion! þess mun ec nú geta, er þic glapþi at geði: sveinn inn hvíti, er þér sigli gaf, oc þú lagðir lær yfir.45
Gylfi, zahlungswilliger Empfänger solcher Dienste, wird dem Publikum als Verlierer präsentiert, im materiellen Sinne, vielleicht auch im moralischen. Die Konsequenzen seiner Handlung scheint er schon in dieser einleitenden Episode von RTW nicht zu überblicken, angedeutet ist bereits der nachfolgende Verlust seines ganzen Reiches an die Asen; das wird abschließend nochmals betont, wenn berichtet wird, dass Gylfi durch seine Erzählungen
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‚Von ihm wird erzählt, dass er einer umherziehenden Frau als Lohn für ihre Unterhaltung ein Stück Ackerland in seinem Reich gab.‘ Clunies Ross 1978, S. 152. Heizmann 2002. Holtsmark 1964, S. 69 (‚Gefjon ist zu einer farandi kona geworden, einer Vagabundin, die zu Snorris Zeit nichts anderes als ein Luder gewesen sein kann; und die ‚Freude‘, die Gylfi an ihr gehabt hat, war sexueller Art‘). ‚Schweig, Gefjon! Den werd ich nun erwähnen, der dich zur Liebeslust verführte: der weiße Bursche, der dir Schmuck gab, und du legtest die Schenkel um ihn‘ (Übersetzung auch im Folgenden nach Die Götter- und Heldenlieder der Älteren Edda (übers., kommentiert und hrsg. von Arnulf Krause)).
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dem eigenen Ende als Herrscher Vorschub leistete. Der signifikante Unterschied zur Fassung U wird deutlich: Nirgends wird Gylfi dort identifiziert als naiver Schwedenkönig, der einen Teil seines Reichs für sexuelle Dienste abtritt und maßgeblich dazu beiträgt, dass sich mit den Asen eine neue Herrscherdynastie in seinem ehemaligen Reich etabliert. Die Platzierung der Gefjonepisode zwischen Formáli und Gylfaginning in RTW ist unter Verweis auf die Ynglinga saga zu interpretieren: Auch dort ist die Passage eingebettet zwischen Óðinns Fahrt in den Norden und einem Zusammentreffen mit Gylfi (das in der Gylfaginning allerdings nicht in Schweden stattfindet). Der Abschnitt integriert sich in der Ynglinga saga aber stimmig in den Gesamtkontext: Óðinn durchwandert Gebiete in allen Himmelrichtungen und macht Eroberungen, gelangt schließlich in den Norden, zur Insel Fünen, und sendet von dort Gefjon aus, das nahegelegene Schweden zu erkunden, als weiteres potenzielles Übernahmegebiet. Gefjon erkennt, dass Gylfi leicht zu übertölpeln ist, Óðinn dringt in dessen Reich ein und übernimmt nach kurzer Auseinandersetzung die Herrschaft. Diskrepanzen in der RTW-Kompilation waren damit unausweichlich, waren doch weder diese Episode noch der Formáli ursprünglich für die Gylfaginning entworfen. Bemerkenswert: Die Gefjonepisode überliefert die einzige vollständige Skaldenstrophe der Gylfaginning – Snorri bedient sich hier ansonsten bei der eddischen Dichtung, sie stand seiner Darstellung einer mythischen Vorzeit näher. In der Ynglinga saga hingegen ist der Einsatz dieser skaldischen Strophe unter vielen konsequent. Man könnte gar fragen, ob dieser Einschub in RTW nicht überhaupt erst eine Identifikation Gylfis mit Schweden motivierte; in U wäre sie noch nicht vollzogen. 4.2.2. Die irdischen Asen 4.2.2.1. Das translatio-Konzept Tu rex regum es et Deus caeli regnum fortitudinem et imperium et gloriam dedit tibi et omnia in quibus habitant filii hominum et bestiae agri volucresque caeli dedit in manu tua et sub dicione tua universa constituit tu es ergo caput aureum et post te consurget regnum aliud minus te et regnum tertium aliud aereum quod imperabit universae terrae et regnum quartum erit velut ferrum quomodo ferrum comminuit et domat omnia sic comminuet omnia haec et conteret.46
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Dan 2,37 ff. (‚du, König, bist ein König aller Könige, dem der Gott des Himmels Königreich, Macht, Stärke und Ehre gegeben hat, alles, da Leute wohnen, dazu die Tiere auf dem Felde und die Vögel unter dem Himmel in deine Hände gegeben und
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Mit diesen Worten deutet der biblische Weise Daniel die Träume des Königs Nebukadnezar von einem viergeteilten Standbild. Vier Weltreiche sieht er, denen das ewige Reich Gottes folgt. Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. interpretierte der Kirchenvater Hieronymus diese Reiche als die der Assyrer, Perser, Mazedonier und Römer; eine Ausdeutung, der sich Augustinus anschloss: Quattuor illa regna exposuerunt quidam Assyriorum, Persarum, Macedonum et Romanorum. Quam vero convenienter id fecerint, qui nosse desiderant, legant persbyteri Hieronymi Librum in Danielem satis erudite diligenterque conscriptum.47
Auf diese patristische Interpretation wurde in der mittelalterlichen renovatio-imperii-Idee der deutschen Kaiser rekurriert, Weltgeschichte erklärt als Voranschreiten von Herrschaft aus dem Orient in den Okzident: Alle irdischen Reiche seien zeitlich begrenzt, die von Gott gewährte Macht gehe bei ihrem Untergang in geographisch westlicher Richtung über auf ein Folgereich.48 Die Gelehrtenwelt des Mittelalters prägte für diese Konzeption den Terminus der translatio imperii. Otto von Freising (um 1112–1158), deutscher Bischof und Chronist, etablierte im 12. Jahrhundert daneben das Konzept einer translatio saptientiae: et sicut supra dixi, omnis humana potentia vel sapientia ab oriente ordiens in occidente terminari cepit.49 Nicht nur die humana potentia, sondern auch die sapientia und schließlich die religio sah Otto ursprünglich im Orient beheimatet: […] ut in hoc haut mireris potentiae seu sapientiae ab oriente ad occidentem translationem, cum de religione itidem factum eniteat.50 Wenn Snorri seine Darstellung der nor-
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dir über alles Gewalt verliehen hat. Du bist das goldene Haupt. Nach dir wird ein anderes Königreich aufkommen, geringer denn deins. Darnach das dritte Königreich, das ehern ist, welches wird über alle Lande herrschen. Und das vierte wird hart sein wie Eisen; denn gleichwie Eisen alles zermalmt und zerschlägt, ja, wie Eisen alles zerbricht, so wird es auch diese alle zermalmen und zerbrechen‘). Augustinus, Aurelius. De vera religione (hrsg. von Josef Lössl Paderborn), S. 20 (‚manche haben diese vier Reiche auf die Reiche der Assyrer, Perser, Mazedonier und Römer bezogen. Wer sich davon zu überzeugen wünscht, wie zutreffend das ist, mag das mit viel Gelehrsamkeit und Fleiß geschriebene Buch des Presbyters Hieronymus über Daniel lesen‘). Vgl. Hardt 2007. Ottonis Episcopi Frisingensis: Chronica sive Historia De Duabus Civitatibus (hrsg. von Walter Lammers), Bd. v, S. 372 (‚wie ich schon oben gesagt habe, hat alle menschliche Macht und Weisheit im Orient ihren Anfang genommen, und im Okzident erleben wir nun den Anfang ihres Endes‘). Ottonis Episcopi Frisingensis: Chronica sive Historia De Duabus Civitatibus (hrsg. von Walter Lammers) Buch vii, S. 566 (‚[…] so daß man sich über die Über-
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dischen Dynastien auf dem asiatischen Kontinent einleitete und danach eine etappenweise Asenwanderung in den Norden vertrat, dann muss dahinter eine ähnliche Idee vermutet werden. 4.2.2.2. Die Urheimat51 der Asen Yng. c. 1
En norðan at Svartahafi gengr Svíþjóð in mikla eða in kalda. […] Ór norðri frá fio˛ llum þeim, er fyrir útan eru byggð alla, fellr á um Svíþjóð, sú er at réttu heitir Tanais.
Yng. c. 2
Fyrir austan Tanakvísl í Ásíá var kallat Ásaland eða Ásaheimr. Fjallgarðr mikill gengr af landnorðri til útsuðrs. Sá skilr Svíþjóð ina miklu ok o˛ nnur riki. Fyrir sunnan fjallit er eigi langt til Tyrklands. Þar átti Óðinn eignir stórar.
Yng. c. 5
Yng. c. 5
51
Fór hann fyrst veſtr í Garðaríki ok þá suðr í Saxland.
‚Und nördlich des Schwarzen Meeres verläuft Groß- oder Kaltschweden. […] Aus dem Norden von den Bergen, wo es keinerlei Besiedlung gibt, ergießt sich ein Fluß durch Schweden, der zu Recht Tanais heißt.‘ ‚Östlich der Tanakvísl, in Asien, hieß es Asenland oder Asenheim.‘ ‚Ein großes Gebirge erstreckt sich von Nordosten nach Südwesten. Es trennt Großschweden von anderen Reichen. Südlich des Gebirges ist es nicht weit nach Tyrkland, dort hatte Óðinn große Besitztümer.‘ ‚Er fuhr zunächst nach Westen, nach Garðaríki, und dann nach Süden ins Saxland.‘
tragung der Macht und des Wissens vom Orient auf das Abendland nicht zu wundern braucht, wo ja offensichtlich auf dem Gebiete der Religion dasselbe geschehen ist‘). Vgl. ebd. S. xlii: „Geschichte ist grundsätzlich Heilsgeschichte. Sie ist ein zwischen Schöpfung und Gericht, zwischen Ewigkeit und Ewigkeit eingefügter, zeitlicher, übersehbarer, keineswegs unendlicher Vorgang. Das Zeitbewußtsein ist also begrenzt, der weltgeschichtliche Ablauf endlich, einmalig und unwiederholbar“ (vgl. auch Mildenberger 2000; Kap. 3.4.1.1). Im 19. Jahrhundert wurde im Rahmen einer linguistisch-kulturhistorischen Methode versucht, eine ‚Urheimat der Indogermanen‘ u.a. nördlichen des Schwarzen Meeres zu verorten; der Gedanke einer asiatischen ‚Völkerheimat‘ und einer geschichtlichen Ost-West-Bewegung war dabei bedeutsames Argument (vgl. Beck 2004a, S. 635 f.; Zernack 2004, S. 121 ff.). ‚Urheimat‘ sei in der vorliegenden Arbeit von dieser Diskussion gelöst verstanden als neutrale Umschreibung einer frühen asischen Existenz in Asien.
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In der Ynglinga saga gibt Snorri zahlreiche Hinweise auf ein ursprüngliches Heimatland der Asen. Unzweifelhaft ist, dass das Asenland in Asien liegt; die genauere Verortung ist insofern von Bedeutung, als sie in der Forschung herangezogen wurde, um ein translatio-Konzept Snorris zu widerlegen (s.u.). Zunächst berichtet Snorri von Großschweden, Sviþjóð in mikla, bzw. Kaltschweden, Sviþjóð in kalda. Hier wird sprachlicher Anklang an die Scythia magna vorliegen, die auf der großen Mappa mundi (um 1250) auch als Scithia frigida eingezeichnet ist. Nach Snorris Beschreibung liegt Großschweden nördlich des Schwarzen Meeres, durchschnitten vom Fluss Tanais (d.i. der Don): ór norðri frá fio˛ llum þeim, er fyrir útan eru byggð alla, fellr á um Svíþjóð. Dieses Gebirge scheint auch die nördliche Grenze darzustellen: inn nørðri hlutr Svíþjóðar liggr óbyggðr af frosti ok kulða – Snorri wird hier von der Klimazonen-Theorie beeinflusst gewesen zu sein, wie sie etwa in der um 1250 datierenden Konungs skuggsiá erörtert wird.52 Östlich des Tanais beginnt der asiatische Kontinent und dort liegt das Asenland (s.u.). Das großschwedische Gebiet wird auch von Nordosten nach Südwesten durch ein Gebirge begrenzt (fjallgarðr mikill gengr af landnorðri til útsuðrs), dessen Identifizierung bis heute nicht überzeugend erfolgt ist. Südlich dieses Gebirges liegt Tyrkland, Óðinn hat dort große Besitztümer. Als dieser seine Fahrt beginnt, gelangt er auf seinem Weg nach Westen zunächst nach Garðaríki.53 Sonderliche Wesen leben nach Aussage Snorris in diesem Großschweden: þar eru ok margs konar þjóðir ok margar tungur. Þar eru risar ok þar eru dvergar, þar eru blámenn, ok þar eru margs konar undarligar þjóðir. Þar eru ok dýr ok drekar furðuliga stórir (c. 1).54 Klaus von See folgerte aus dieser Passage, Snorri habe die Urheimat der Asen präsentieren wollen als „Land, von dem keine Kulturtradition auszugehen vermag.“55 Asische
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Vgl. Simek 1990, S. 131 ff. Vgl. Krause 1998, S. 435 und 438: „Der semantische Umfang des Begriffs [d.i. Garðaríki] reicht von der Synonymie mit dem Landesnamen Rußland über die Bezeichnung des Kiewer Reiches (Kiew) bis zur einschränkenderen Benennung besonders der nördlichen Teilreiche um Nowgorod. […] So bleibt das Bild des Kiewer Reiches räumlich wie zeitlich sehr begrenzt, und die Sagaschreiber gehen auch nicht auf detaillierte Schilderungen des Landes und seiner Bewohner ein. Ethnographische Bemerkungen sind fast nie zu finden.“ Arnulf Krause notierte weiter, gerade in der späten norrönen Literatur sei Garðaríki „ein legendenhaftes Land in weiter Ferne“ geworden (ebd.). Snorri liefert ebenfalls keine näheren Angaben. ‚Dort gibt es auch zahlreiche Völker und viele Sprachen; dort sind Riesen und Zwerge, Farbige, und dort sind allerhand wundersame Völker. Dort gibt es auch wilde Tiere und fürchterlich große Drachen.‘ Von See 1999d, S. 349.
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inventio und folgende translatio schloss er damit aus, sah seine These einer ‚nordischen Sonderkultur‘ gestützt.56 Solcher Einschätzung lässt sich doch mehreres entgegenhalten. Von der Antike bis in die Frühe Neuzeit hinein war die Ansicht verbreitet, die Randgebiete der bekannten Welt seien von Wundervölkern besiedelt. Dabei handelte es sich in entsprechenden Werken aber um Topoi, sie sollten Erwartungshaltungen des Publikums befriedigen und Gelehrsamkeit des Verfassers bezeugen. Snorri scheint in seiner Vorstellung der kringla heimsins von solchen früheren Autoren beeinflusst, etwa Isidor von Sevilla: Orbis a rotunditate circuli dictus, quia sicut rota est […]. Vndique enim Oceanus circumfluens eius in circulo ambit fines. Divisus est autem trifarie: e quibus una pars Asia, altera Europa, tertia Africa nuncupatur. Quas tres partes orbis veteres non aequaliter diviserunt. Nam Asia a meridie per orientem usque ad septentrionem pervenit; Europa vero a septentrione usque ad occidentem; atque inde Africa ab occidente usque ad meridiem.57
Snorris Erwähnung wundersamer Wesen wird als Reminiszenz an solche Überlieferung zu deuten sein; Konsequenzen für die weitere Darstellung muss er daraus nicht gezogen haben: Der Grund für die auffällige Anteilnahme an Scythien = Großschweden ist sicherlich die skandinavischen Gelehrten bekannte und von Snorri zwar ausführlich referierte, aber nicht erst erfundene Besiedlung Skandinaviens von Troja aus über Großschweden. Die Ansiedlung der Wundervölker dort ist aber kaum in einer damit verbundenen historischen Absicht zu verstehen.58
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Von See vermutete die Skjo˛ ldunga saga als Quelle von Snorris Konzept Großschwedens (von See 1999d, S. 349.). Sie ist nur in lateinischer Paraphrase überliefert und berichtet u.a., dass Óðinn und die Seinen aus einem Land nördlich des heutigen Asowschen Meeres kamen, das von den Nordleuten Großschweden oder Kaltschweden genannte wurde. Damit ist aber keinesfalls belegt, dass auch Snorri solche Ansicht vertreten hätte. Isidori Hispalensis episcopi. Etymologiarum sive originum. Libri xx (hrsg. und kommentiert von Wallace Martin Lindsay), Bd. xiv, S. 111 (‚der Erdkreis ist von der Rundung des Kreises her benannt, weil er wie ein Rad ist […]. Von allen Seiten nämlich umgibt der Ozean seine Grenzen, wobei er im Kreis fließt. Der Erdkreis ist aber dreifach geteilt, wobei der eine Teil Asien, der andere Europa, der dritte Afrika genannt wird. Diese drei Teile des Erdkreises teilten die Alten aber nicht gleichmäßig auf, denn Asien liegt im Osten und reicht vom Süden bis zum Norden, Europa nimmt den Nordwesten ein und Afrika den Südosten‘ (Übersetzung nach Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla (übers. und mit Anmerkungen versehen von Lenelotte Möller), S. 516)). Vgl. auch Simek 1990, S. 145 ff. Simek 1990, S. 244. Simeks Bemerkung einer „Besiedlung Skandinaviens von Troja aus über Großschweden“ blieb jedoch vage formuliert.
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Snorri lässt in der Ynglinga saga aber auch eine Mittelpunktsideologie anklingen (ähnlich dem Formáli), wenn er Jórsalaland erwähnt. Das Gebiet im Umkreis dieses christlichen Zentrums zeichnete sich durch besondere Kultur aus: svá sem þar er jo˛ rðin fegri ok betri o˛ llum kostum en í o˛ ðrum sto˛ ðum, svá var ok mannfólkit þar mest tígnat af o˛ llum giptunum, spekinni ok aflinu, fegrðinni ok allz konar kunnustu.59 Ein von Drachen und Riesen besiedeltes Großschweden aber widerstrebt einem solchen Konzept hochstehender Kultur. Unsicherheit Snorris bei der geographischen Verortung Großschwedens wird hier die Erklärung liefern, darin ist Rudolf Simek zuzustimmen: Was Snorri hiermit genau meint, ist nicht klar; es scheint, daß er bei Großschweden einerseits an ein Land in Nordwestasien denkt, wenn er es mit Serkland vergleicht, es aber andererseits mit der ganzen Nordhälfte Asiens (und so mit einem Viertel der Ökumene) gleichsetzt.60
Es ist fraglich, ob Snorri Großschweden überhaupt als Urheimat der Asen verstand, stützt doch seine unmittelbare Beschreibung eine solche Annahme nicht. Allein eine spätere Notiz deutet dies an (c. 8): þessa Svíþjóð ko˛ lluðu þeir Mannheima, en ina miklu Svíþjóð ko˛ lluðu þeir Goðheima. Or Goðheimum so˛ gðu þeir mo˛ rg tíðendi.61 Der irdische Óðinn verkündet auf dem Sterbebett, er werde nun nach Götterheim gehen (sagði hann sik mundu fara í Goðheim (c. 9)); hier erscheint Großschweden tatsächlich als Herkunftsgebiet der Asen. Bemerkenswert ist aber die Beschreibung der Fahrt des späteren Herrschers Svegdir (c. 12): hann strengði þess heit at leita Goðheims ok Óðins ins gamla. […] Hann kom út í Tyrkland ok í Svíþjóð ina miklu ok hitti þar marga frændr sína.62 Hier wird Großschweden zwar erneut erwähnt, gleichermaßen doch auch Tyrkland (s.u.); die Formulierung lässt abermals Unsicherheit erkennen. Snorris einleitende Feststellung fyrir austan Tanakvísl í Ásíá var kallat Ásaland wurde in der Forschung unter Verweis auf die Aussage ór norðri […] fellr á um Svíþjóð, sú er at réttu heitir Tanais dahingehend gedeutet, er
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‚[Dort ist auch die Mitte der Welt,] und so, wie dort die Erde schöner und besser ist in allen Bereichen als an anderen Orten, so waren auch die Menschen dort am meisten gesegnet mit allen Gaben, Weisheit und Kraft, Schönheit und allen Arten an Künsten.‘ Simek 1990, S. 190. ‚Dieses Schweden [d.i. das skandinavische] nannten sie Menschenheim, aber das große Schweden nannten sie Götterheim; von Götterheim erzählten sie große Ereignisse.‘ ‚Er legte das Gelübde ab, nach Götterheim und dem alten Óðinn zu suchen. […] Er landete in Tyrkland und Großschweden und fand dort viele seiner Verwandten‘.
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habe das Asenland in Großschweden verortet wollen. Doch liegt hier vielmehr ein Bezug zur unmittelbar vorausgehenden Bemerkung vor: heitir fyrir austan Ásíá, en fyrir vestan Európá.63 Bereits einleitend hielt Snorri fest: af hafinu gengr langr hafsbotn til landnorðrs, er heitir Svartahaf. Sá skilr heimsþriðjungana. Heitir fyrir austan Ásíá, en fyrir vestan kalla sumir Európá, en sumir Eneá64 – abermals wird die Trennung der Kontinente durch eine Wasserscheide betont. In Kapitel 2 (fyrir austan Tanakvísl í Ásíá var kallat Ásaland) ist daher keine unmittelbare Verbindung von Tanais und Asenland anzusetzen – der Fluss markiert vielmehr erneut die Kontinentalgrenze. Sinngemäß könnte man übersetzen: „In Asien, d.h. östlich des Tanais, dort lag das Asenland.“ Großschweden wird im Kontext der Asen gar nicht mehr thematisiert. Fyrir sunnan fjallit er eigi langt til Tyrklands. Þar átti Óðinn eignir stórar (c. 5),65 diese Aussage ist unmissverständlich: In Tyrkland hatte Óðinn große Besitztümer. Eine Verbindung zu Großschweden ist ausgeschlossen, sind beide Gebiete doch ausdrücklich durch ein großes Gebirge (fjallgarðr mikill) getrennt. Der Beginn der asischen Wanderbewegung wird ebenfalls im Zusammenhang mit Óðinns Reich in Tyrkland angesetzt; die Erwähnung der römischen Expansion bliebe zusammenhanglos, wäre sie nicht kausal daran geknüpft.66 Den Startpunkt der Reise identifiziert auch der RTWFormáli als Tyrkland (fystiz hann at byria ferþ sína af Tyrklandi);67 der Redaktor von W notiert weiterführend: […] morgum o˛ lldrum siðaRr þa er Pompeius æinn hofðingi Romuería heriaðí i austrhaalfuna flyði utan Oðinn
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‚Nach Osten heißt es Asien, nach Westen Europa.‘ ‚Vom Meer zieht sich eine lange Bucht nach Norden ins Land, die Schwarzes Meer heißt; es trennt die Weltdrittel: Im Osten heißt es Asien, im Westen nennen es einige Europa, andere Enea.‘ ‚Südlich des Gebirges ist es nicht weit bis Tyrkland. Dort hatte Óðinn große Besitztümer.‘ Abweichend interpretierte Andreas Heusler: „Snorri macht mit den paar Sätzen ein kleines Zugeständnis an die erste Einwanderungsfabel, die von Ari vertretene. Aus Ari hatten die geschichtskundigen Isländer gelernt, daß die Götter einst Türkenkönige gewesen waren. Dies stand nach der Fassung, die Snorri in der Skio˛ ldunga saga vorgefunden und gutgeheißen hatte, einfach in der Luft. Es erhielt wenigstens eine notdürftige Unterlage, wenn Snorri die Bemerkung einschaltete, daß der Oberste dieser Götter im Türkenland große Besitzungen hatte“ (Heusler 1908, S. 53). Bei einer solchen Annahme bliebe aber offen, weshalb sich die Asen auch aus ihrem vermeintlichen Hauptsitz Großschweden zurückzogen – und dabei sogar den Kontinent verließen. ‚Er drängte danach, seine Fahrt von Tyrkland aus zu beginnen.‘
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or Asia ok hingat i norðr halfuna.68 Diese Idee hat Snorri in der Ynglinga saga umgesetzt: Tyrkland, ein kulturell herausragendes Land in Asien, nahe dem Weltmittelpunkt, war einst Hauptwohnsitz der irdischen Asen. 4.2.2.3. Die Wanderung der Asen
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Form. U
Þeir komv i saxland ok eignaþiz oþinn þar viþa landit. […] Þa for oþinn i reiþgota land. […] Ɖaþan for oþinn i sviþioð. […] Siþan for oþinn norþr þar til er sior tok við honvm.
Form. U
Þeir æsirnir toko ser qvanfavng þar innan lanz ok vrþo þær ættir fiolmennar. vm saxland ok vm norþr halfona. þeira tvnga ein geck vm þessi lond. ok þat skilia menn at þeir hava norþr hingat haft tvngvna j noreg ok danmerk sviþioð ok saxland.
Yng. c. 5
Fór hann fyrst vestr í Garðaríki ok þá suþr í Saxland. Hann átti marga sonu. Hann eignaðisk ríki víða um Saxland ok setti þar sonu sína til landsgæzlo. Þá fór hann norðr til sjávar ok tók sér bústað í ey einni. Þar heitir nú Óðinsey í Fjóní. Þá sendi hann Gefiun norðr yfir súndit í landaleitan.
‚Sie kamen ins Saxland und Óðinn vereinnahmte dort weithin das Land. […] Dann fuhr Óðinn nach Reiðgotaland. […] Von dort fuhr Óðinn nach Schweden. […] Danach fuhr Óðinn nach Norden, bis er ans Meer kam.‘ ‚Die Asen heirateten dort im Land und diese Geschlechter wurden zahlreich in Saxland und der Nordhälfte. Ihre Sprache allein breitete sich in diesen Ländern aus und man erkennt, dass sie diese Sprache hier in den Norden nach Norwegen und Dänemark, Schweden und Saxland brachten.‘ ‚Er fuhr zunächst nach Westen, nach Garðaríki, und dann nach Süden ins Saxland. Er hatte viele Söhne und vereinnahmte das Reich weithin in Saxland und setzte seine Söhne als Herrscher ein. Dann fuhr er nach Norden ans Meer und siedelte sich auf einer Insel an, wo es nun Óðinsey auf Fünen heißt. Dann schickte er Gefjon nach Norden über den Sund, zur Landessuche.‘
‚Viele Generationen später, als Pompeius, ein römischer Herrscher, im Osten heerte, floh Óðinn aus Asien und hierher in die Nordhälfte.‘
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Ein Blick auf diese Belege in Formáli und Ynglinga saga illustriert: Der asischen Wanderbewegung wird umfassend erzählerischer Raum zugestanden. In dieser Wanderung wird ein translatio-Konzept manifest, das sich jedoch in beiden Werken voneinander unterscheidet. Die Angaben der verschiedenen Formáli-Versionen decken sich trotz ungleicher Ausführlichkeit; hinter der mehrfachen Betonung des Nordens als Richtung der Wanderung steht im Formáli versionsunabhängig aber eine Idee, die mit der Darstellung der Ynglinga saga (fór hann fyrst vestr í Garðaríki ok þá suþr í Saxland) nicht gleichgesetzt werden kann. Klaus von See verstand die Angabe der Ynglinga saga zur anfänglichen Westfahrt der Asen als Indiz, Snorri habe den Norden als autonomes Gebiet betrachten wollen: Durch diese Richtungsänderung trennt er das Saxland sozusagen von den nordischen Ländern, macht die Eroberung des Saxlandes sozusagen zu einem Abstecher nach Süden hin. [Es ist] umso auffälliger, daß der SnE-Prolog diese Snorrische Konzeption [d.i. die Norðrlo˛nd-Konzeption] völlig ignoriert und die Einbeziehung des Saxlandes in den Herrschafts- und Kulturbereich der ‚Nordhälfte‘ beibehält.69
Trennung des Saxlandes von einem nordischen Kulturkreis ist in der Ynglinga saga textlich aber ebenso wenig fassbar, wie die Aussage des Formáli einen Einschluss in den Norden implizieren muss. Die Wanderbewegung der Asen kann nicht herangezogen werden, um einen eigenständigen nordischen Kulturkreis zu belegen. Die anfängliche Betonung des Westens lässt vielmehr vermuten, Snorri habe das Konzept einer translatio von Ost nach West anklingen lassen wollen: „In kontinentaler abendländischer Weltgeschichtsschreibung geht die Ost-West-Bewegung weltlicher Macht Hand in Hand mit einer translatio sapientiae von Ost nach West.“70 Wissens- und Kulturtransfer wollte Heinz Klingenberg aber weder im Formáli noch in der Ynglinga saga umgesetzt sehen; dort dominiere eine ausgebildete Altisländische Gelehrte Urgeschichte mit einer geographischen Ost-Nord-Bewegung, die die etablierte Ost-West-Richtung der kontinentalen Geschichtsschreibung durchkreuzt, dem Sonderbewußtsein Skandinaviens Rechnung trägt.71
In der Ynglinga saga wird eine solche Nordbewegung – anders als im Formáli – aber nicht bevorzugt. Óðinn verlässt seine Gebiete in Tyrkland, reist nach Garðaríki, erobert Saxland und zieht weiter nach Skandinavien; der Nordwendung kommt insofern Bedeutung zu, als Nordeuropa erklärtes Ziel 69 70 71
Von See 1999d, S. 350. Klingenberg 1994, S. 21. Klingenberg 1994, S. 20.
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der Reise ist. Der Unterschied liegt aber im Beginn dieser Fahrt, wenn Snorri sie in der Ynglinga saga mit den Worten fór hann fyrst vestr einleitete. Mit der folgenden Wendung zunächst nach Süden strebte er weniger geographische Separation an, als vielmehr Expansion des asischen Machtbereichs: Asische Einflüsse sind in allen Himmelsrichtungen fassbar, so mag Snorris Vorstellung gewesen sein. Das Asenland im Osten, nahe dem bedeutsamen Jerusalem, stellte den Ausgangspunkt dar, der Norden bildete das Endziel der asischen Wanderung, und der Westen als erster Schritt war vorgegeben durch das Konzept einer translatio sapientiae et religio – der südliche Abstecher fand seinen Platz dazwischen. Solch umfassenden Einfluss der Asen auf die Geschichte Europas deutet auch der Formáli unter Verweis auf die weit verbreitete asische Sprache an (þeira tvnga ein geck vm þessi lond).72 Die Ynglinga saga aber akzentuiert diesen Umstand in besonderem Maße. Es lässt sich festhalten: Snorri wollte weder eine Trennung von Nordeuropa und Kontinent darstellen, noch die patristische Idee einer Ost-Westtranslatio zugunsten einer Ost-Nord-Wanderung aufgeben. Vielmehr verband er den Norden mit dem Kontinent, indem er die weitgereisten Asen auch für die skandinavischen Länder zu Kulturbringern werden ließ.73
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Vgl. auch Strerath-Bolz 1991, S. 67: „Offenbar ist die Tatsache, daß es sich hierbei um eine importierte Sprache handelt, für Snorri von großer Bedeutung. […] Die Einwanderungslegende gerät zum Beweis dafür, daß die Sprache der Skaldik, die in den folgenden Teilen der Edda beschrieben und analysiert wird, die importierte Sprache der aus Asien eingewanderten Asen ist.“ Vgl. Plassmann 2006, S. 360: „Ein besonders auffälliger Topos bei den Origines ist das Element der Wanderung: Die gens, die im Mittelpunkt der Origo steht, kommt aus einem anderen Land als dem, in dem sie sich schließlich niederläßt und ihre Herrschaft errichtet. […] Sie [scheint] eine bessere Erklärung für die neue Ordnung zu bieten als eine autochtone Herkunft.“ Vgl. auch Beck 2005, S. 132: „Es ist offensichtlich, daß Snorri die Ursprünge des skandinavischen Königtums nicht im Lande selbst suchte. Er verwandte bzw. übernahm vielmehr eine Wanderfabel, die prestigeträchtiger und ‚moderner‘ war als all das, was die eigene Tradition zu bieten vermochte.“ In diesem Kontext wird auch der Antikenexkurs des Formáli zu verstehen sein: Die Formel Evrópa eða Enea schafft Verbindung zum trojanischen Krieg, damit der Flucht des Aeneas, wie Vergil sie in seiner Aeneis erzählt. Aeneas’ Fahrten endeten schließlich in Italien, wo er zum Ahnherrn der Römer und ihres Weltreichs wurde. Auch hier liegt der Grundgedanke der translatio vor, wie sie der Verfasser des Formáli, möglicherweise dem römischen Nationalepos entsprechend, für die asische Kultur konstruieren wollte.
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4.2.3. Allvater – Höchster und ältester aller Götter? Die Gestalt des Allvaters in der Gylfaginning hat bereits die frühe Forschung beschäftigt; wesentlicher Diskussionspunkt bis in jüngste Zeit ist seine Relation zu Óðinn. Doch setzt die Debatte bereits beim Versuch einer relativen Chronologie seiner altnordischen Namen ein.74 Gehaltvoller ist die Suche nach potenziellen Einflüssen: Friedrich Müller nahm seinerzeit im lateinischen regnator omnium ein Vorbild Snorris an, Rudolf Simek vermutete eine Übersetzung des christlichen Gottesnamens omnipater.75 In der Bibel finden sich zahlreiche Belege für einen Deus omnipotens, der vermutlich den Ausdruck allmáttigr guð des Fórmáli beeinflusst hat;76 die norröne Bibelkompilation Stjórn formuliert mehrmals identisch: almattigr guð skapaði himin ok iorð.77 Die mit identischem Präfix gebildete Bezeichnung ‚Allvater‘ wird in dieser Reihe zu verstehen sein und setzt sich damit bereits über den Namen in ein Verhältnis zum christlichen Gott. In Snorris bekannten Quellen findet sich dieser Name in den Grímnismál (Strophe 48), als Beiname von Óðinn; die Vafþrúðnismál nennen zweimal einen Aldaföðr und in den Skáldskaparmál zitiert Snorri eine Strophe des Arnórr jarlaskáld aus dem 11. Jahrhundert, in der dieser die Kenning hrosta brim Allfavðr78 als Umschreibung für den Dichtermet verwendet. Es ist jedoch zu bedenken, dass die Benennung eines obersten Gottes mit ‚Allvater‘ nicht zwingend einer Vorlage bedarf.79 74
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Rudolf Simek vermutete in Alfaðir eine spätere Bildung: „Die Odinsnamen auf -föðr […] sind möglicherweise älter und eher heidnisch als die auf -faðir […], wie die Belege zu zeigen scheinen […]“ (Simek 2006, s.v. Alföðr); er ging jedoch nicht genauer auf diese Belege ein. Hans Kuhn zielte in entgegengesetzte Richtung: „Alfo˛ðr und Sigfo˛ ðr sind aber wohl erst unterm Einfluß der anderen fo˛ ðr-Namen Odins aus den faðir-Formen gebildet worden“ (Kuhn 1942, S. 163). Seiner Ansicht nach hätte Snorri ursprünglich nur die spätere Form Alfo˛ ðr verwendet, eine These, die schon Eugen Mogk vertrat: „Im hinblicke auf diese vergleichung möchte ich stets […] Alfo˛ þr lesen“ (Mogk 1879, S. 491; vgl. aber auch Marold 1998a, S. 143). Müller 1941, S. 50 f.; Simek 2006, s.v. Alföðr. Vgl. auch de Boor 1930, S. 246. Stjórn (hrsg. von Reidar Astås), Bd. 1, S. 7 und 13 (‚der allmächtige Gott schuf Himmel und Erde‘); vgl. Kirby 1986, S. 51 ff.; Simek 1990, S. 249 ff. Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson), S. 88 (‚Allvaters Brandung des Malzes‘). Vgl. auch Beck 1993, S. 52. Vgl. aber de Boor 1930, S. 214: „Die typische, nicht vereinzelte Bezeichnung eines Gottes als ‚Vater‘ wird nicht von ungefähr geschaffen; sie setzt namentlich bei einem Volke voll stärksten Sippenempfindens eine lebendige religiöse Vorstellung voraus, die dahinter steht. […] Die Bildungen Alfo˛ ðr und Aldafo˛ ðr [bezeugen], dass der Geltungsbereich sich geweitet hat und Óðinn zu einem väterlichen Herren über die Menschheit als Ganzes geworden ist.“
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Die folgende Untersuchung wird dafür argumentieren, den Allvater in Snorris Darstellung weder als bloßen Beinamen Óðinns noch als unabhängigen Exkurs zu verstehen. Vielmehr lässt sich eine Relation zum bereits erwähnten kraptr konstatieren: Der Allvater wird zum wichtigen Element in Snorris Konzept einer nordischen Religionsentwicklung. U c. 5
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Her hefr gylva ginning fra þvi er gylfi sotti heim allfauþr a asgarþ með fiolkvngi. ok fra villo asa. ok fra spvrningo Gylva. Sa heitir alfavðr at varo mali. en i asgarþi hefir hann xii navfn. […] Livir hann vm alldr ok stiornar ollv riki sino storvm hlvtvm ok smam. […] Hitt er meira, er hann smiþaþi himin ok iorþ at hann smiþaþi mann ok gaf honvm ond at lifa. Þvi heitir hann alfavþr at hann er faþir allra gvþanna. Oþinn heitir alfaþir.
‚Hier beginnt die Täuschung des Gylfi, wie Gylfi Allvater in Ásgarðr mit Magie aufsuchte; und von der Täuschung der Asen und der Befragung des Gylfi.‘ ‚Er heißt Allvater in unserer Sprache, aber in Ásgarðr hat er zwölf Namen. […] Er lebt für alle Zeit und lenkt sein ganzes Reich, die großen und kleinen Dinge. […] Hinzukommt, dass nachdem er den Himmel und die Erde schuf, er den Menschen schuf und ihm Atem zum Leben gab.‘ ‚Er heißt Allvater, weil er der Vater aller Götter ist.‘ ‚Óðinn heißt Allvater.‘
Erwähnung findet der Allvater zunächst in der einleitenden Rubrik von U – auf die Diskrepanz von Überschrift und Inhalt wurde bereits verwiesen.80 Hverr er eztr eða ellztr með goþvm,81 fragt Gylfi wenig später (c. 6). Hárs Antwort zielt sofort auf den Allvater, den auch Jafnhár, schließlich Þriði kommentieren. Dieser Passus hat die Forschung in besonderem Maße zur Auseinandersetzung motiviert. Die Übereinstimmung der Beschreibung mit christlichen Vorstellungen wurde Walter Baetke zur Grundlage seiner ‚Odinstheologie‘.82 Der pagane Allvater hat gleich dem Christengott Welt und Menschen kreiert und gebietet über diese Schöpfung; beide sind aber nicht identisch, sondern stehen in einem analogen Verhältnis zueinander, das dokumentiert Hárs anschließende Aussage zum Verbleib des Allvaters vor Schaffung der Welt: þa var hann með hrimþvssvm 83 – das ist die Unähnlichkeit in der paganen Vorstellung, die das Analogiekonzept fordert. Der 80 81 82 83
Vgl. Kap. 3, FN 131. ‚Wer ist der höchste oder älteste der Götter?‘ Baetke 1950, S. 42 ff. ‚Da war er bei den Reifriesen.‘
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Verweis livir hann vm alldr indiziert zudem ein zeitliches Ende des Allvaters.84 Anne Holtsmark – und ihr folgend große Teile späterer Forschung – postulierte darin hingegen den Beleg für ein Kontrastkonzept Snorris: Allvater (für Holtsmark identisch mit Óðinn) weilte bei den Dämonen, sei somit selbst zu diesen zu rechnen. Dieses Urteil prägt noch bis heute eine Linie der Forschung.85 Es wäre aber nicht zuletzt unzweckmäßig, würde die Dreiheit – die nach Holtsmarks Interpretation den Verführer zum pervertierten Fehlglauben verkörpert – ihren höchsten Gott Allvater schon zu Beginn des Gesprächs als Dämon entlarven.86 In Abweichung zum Gros bisheriger
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Walter Baetke bemerkte: „Da der Alleswalter schon vor der Welt da war, so lebt er eben ‚durch alle Zeiten‘. Man muß dabei nur nicht an die christliche Ewigkeit denken; o˛ ld ist das Zeitalter […], saeculum, mit den aldir ist also die Weltzeit gemeint“ (Baetke 1950, S. 53). Vgl. auch Beck 2007, S. 24. Vgl. etwa Lassen 2006a, S. 132: „Snorris fremstilling af Odin i den kristne Guds billede er vel at mærke ironisk. Det første Gylfi lærer om Alfo˛ ðr i Gylfaginning er i meget god overensstemmelse med den kristne gud, men til slut får man at vide, at før verdens skabelse var denne Alfo˛ ðr hos rimturserne, en ækvivalent til jætterne, som flere steder repræsenterer de antagonistiske kræfter i mytologien. Denne afsløring viser, at der med Odin er tale om et vrangbillede af den kristne gud“ (‚Snorris Präsentation von Óðinn nach Vorbild des Christengottes ist eindeutig ironisch. Das erste, was Gylfi in der Gylfaginning über den Allvater lernt, stimmt sehr gut überein mit dem christlichen Gott, aber am Ende erfährt man, dass vor Erschaffung der Welt dieser Allvater bei den Reifriesen war, einem Äquivalent zu den Riesen, die mehrfach die antagonistischen Kräfte in der Mythologie repräsentieren. Diese Entlarvung zeigt, dass bei Óðinn die Rede von einem verfälschten Bild des christlichen Gottes die Rede ist‘); ähnlich Lassen 2011, S. 298 (zur grundsätztlichen Kritik an Lassens methodischem Vorgehen vgl. Heide 2011). Vgl. auch Abram 2009, S. 12: „Hár’s answer to Gangleri’s third question […] is crucial: Þá var hann með hrímþursum […]. This statement causes the logic of the Alfo˛ ðr stories to break down: if he was with the frost-giants before heaven an earth was created, he cannot have created the frost-giants when he made everything else in the universe. We do not know where the frost-giants came from, and we do not know where they and Alfo˛ ðr cohabited before his act of creation.“ Abrams These, dieser Passus sei eine deutliche Parallele zur angelsächsischen Missionstaktik des 8. Jahrhunderts ist textferne Spekulation (die jüngst wiederum Lassen aufgriff (Lassen 2010)). Vgl. auch Vésteinn Ólason 2001, S. 63: „Ef Snorri hefði litið á goðin og goðsögunar sem blekkingarmyndir hins illa, mætti líka spyrja hvers vegna í ósköpunum hann hafi dirfst að skrásetja sögurnar án þess að fordæma goðin um leið og vara við dýrkun þeirra á hverri síðu“ (‚wenn Snorri die Götter und Göttersagen als böse Trugbilder gesehen hätte, könnte man auch fragen, warum er sich untersteht, die Geschichten aufzuzeichnen, ohne die Götter überall zu verdammen, bei ihrer Verehrung auf jeder Seite‘). Vgl. bereits Dronke 1977, S. 176.
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Deutungsversuche lässt sich festhalten: Allein die Analogiethese offeriert die schlüssige Erklärung dieser Passage. Woher die Reifriesen stammen, berichtet Þriði: sa het ymir. en hrimþvssar kalla hann avrgelmi ok þaþan ero þeira ættir 87 (c. 8) – mit dem Ursprung von Ymir wiederum führt die Konversation in einen Grenzbereich des paganen Verständnisses. Auf die Frage, wo Allvater und Reifriesen sich vor Erschaffung der Welt aufhielten, ließe sich aus paganer Sicht allein antworten: In Ginnungagap, dem mythischen Urraum, in dem Feuer und Eis durch den lenkenden Einfluss eines kraptr verschmolzen,88 der feste Konsistenz erhielt (fylltiz með þvnga (U c. 8)). In Kapitel 14 wird eine solche Annahme erhärtet, wenn es zu den Wurzeln Yggdrasills heißt: ein er með asvm. onnr með hrimþvssvm. þar sem forþum var ginnvnga gap.89 Der in diesem diffusen Raum verortete Schöpfergott Allvater weckt Assoziationen zu biblischem terra autem erat inanis et vacua et tenebrae super faciem abyssi,90 dem ebenfalls die Schöpfung durch Gott folgt. Gylfis systematische Ergründung des Asenglaubens führt die Dreiheit nicht nur in diesem Punkt, vielmehr regelmäßig an die Grenzen ihres Wissens: Hár, Jafnhár, gar der schweigsame Þriði sprechen – dennoch hakt Gylfi nach: hvat hafþiz hann aþr at en himinn ok iorþ voro skavpvð.91 Für den christlichen Leser verweist Snorri mit dem Allvatergedanken aber über diese pagane Beschränkung hinaus, lässt analogen Bezug zum Christengott erkennen. In der Forschung wurde der Allvater regelmäßig mit Óðinn identifiziert; das Verhältnis beider Gestalten ist aber zu differenzieren. Auskunft erteilt Hár in Kapitel 17: oþinn er æztr ok ellztr asanna. hann ræþr ollvm hlvtvm ok sva sem onnr goþin ero mattvg. þa þiona honvm oll sva sem born favþr.92 Die anfänglich Allvater zugeschriebenen Attribute sind auf Óðinn übergegangen. Holtsmark postulierte in der Kombination von þjóna, barn und faðir mit Óðinn eine ironische Anspielung auf die christliche Vorstel87
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‚Er heißt Ymir, aber die Reifriesen nennen ihn Aurgelmir, und von ihm kommen ihre Geschlechter.‘ Beachtenswert ist Jan de Vries’ These, Ginnungagap sei keinesfalls „ein leeres Nichts, sondern eine schöpferische Kraft, die die Bedingung jedweden Lebens ist“ (de Vries 1930, S. 66). Vgl. dazu Schier 1963, S. 310; Simek 2006, s.v. Ginnungagap. Vgl. auch Kap. 4.3. ‚Eine ist bei den Asen, die andere bei den Reifriesen, dort, wo einst Ginnungagap war.‘ Gen 1,2 (‚und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe‘). ‚Was tat er, bevor Himmel und Erde geschaffen wurden?‘ ‚Óðinn ist der höchste und älteste der Asen. Er lenkt alle Dinge, und so mächtig die anderen Götter auch sind, so dienen sie ihm doch alle wie Kinder dem Vater.‘
Funktionsträger in Snorris Werk
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lung von Gott als ‚Vater‘. Es handelt sich dabei aber vielmehr um eine Vorbemerkung zum folgenden oþinn heitir alfaþir þvi at hann er faþir allra goþanna.93 Óðinn ist der Vater aller Götter, er und seine beiden Brüder waren die ersten – es ist völlig korrekt, wenn nachfolgende Götter als seine Kinder (bo˛ rn) bezeichnet werden. Walter Baetke interpretierte seinerzeit den Allvater als einen (durch sinnliche Wahrnehmung und Verstand) erschlossenen Gott aus der Zeit vor dem Polytheismus (s.o.);94 die Attributsübertragung stützt diese These: Die Dreiheit begibt sich in ihrer Erzählung zunächst auf eine frühe Zeitstufe zurück, in der Reminiszenzen an eine natürliche Gotteserkenntnis (der unbestimmte kraptr) noch fassbar sind. RTW formulieren (c. 6): firir þvi ma hann heita Alfavðr, at hann er faþir allra goþaNa ok manna ok allz þes, er af honvm ok hans krapti var fvllgert 95 – der kraptr stýrandi wird dezidiert Allvater/ Óðinn zugesprochen, erscheint als konsequente Fortführung von Snorris vorausgehender Feststellung zu den Anfängen der Welt. Solche Zuschreibung ist auch in U zu implizieren. Interessant ist Hárs Aussage, ‚Allvater‘ sei allein der Name des höchsten Gottes in seiner Sprache (sa heitir alfavðr at varo mali) – er hätte aber noch zahlreiche andere Namen.96 Der Allvater-Gedanke, die Idee des singulären Herrschers, übersteigt das pagan beschränkte Verständnis; im nordischen Polytheismus ist Allvater daher zum Beinamen geworden, wie er etwa in den Grímnismál auftaucht. Die Aussage oþinn heitir alfaþir þvi at hann er
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‚Óðinn heißt Allvater, weil er der Vater aller Götter ist.‘ Vgl. auch Marold 1998a, S. 145: „Die Funktion der christlichen Attribute am Anfang soll signalisieren, daß der Ausgangspunkt nahe am christlichen Gott liegt, aber von ihm wegführt. Alfo˛ ðr ist jedoch kein Gott der so genannten ‚natürlichen Religion‘, aber für einen nicht theologisch gebildeten Laien des Mittelalters könnte man vermuten, daß er zwischen diesem Gott der natürlichen, philosophischen Erkenntnis und dem christlichen Gott nicht exakt unterschieden hat, vor allem dann nicht, wenn der Ausgangspunkt der natürlichen Theologie in den Texten des Neuen Testamentes (Paulus) gesucht wird.“ Vgl. Kap. 3.4.1. ‚Deshalb darf er Allvater heißen, weil er der Vater aller Götter und Menschen ist und all dessen, was durch ihn und seine Macht geschaffen wurde.‘ Vgl. Beck 1994, S. 39: „Dieser Satz (Óðinn heitir Alfaðir) kann keine Wesenseinheit beinhalten.“ Beck unterschied zwischen der Vaterfunktion Allvaters für Götter und Menschen (R, c. 6) und der Vaterfunktion von Óðinn allein für die Götter (R, c. 11); in U wird eine Vaterfunktion für Menschen aber nicht thematisiert. Rudolf Meissners merkte an: „Sehr beachtenswert ist die Tatsache, daß die Vorstellung ‚Vater der Menschen‘ in den Kenningar so wenig hervortritt. […] Sollte etwa der Anklang an die heidnische [sic!] aldafo˛ ðr und alfo˛ ðr vermieden werden?“ (Meissner 1921, S. 371). Hinter der Vielzahl dieser Óðinnsnamen mag auch der Gedanke liegen, dass viele Namen gesteigerte Macht bedeuten (vgl. M. Schulz 2000, S. 179).
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Lexematische Analyse
faþir allra goþanna (c. 17) verbindet diesen Namen dann mit Óðinn – er wird erklärt aus einem Verwandtschaftsverhältnis heraus (s.o.), es erfolgt eine Übertragung der Attribute. Die einstige Wahrheit über diesen Gott ist in Vergessenheit geraten, wie auch der Formáli andeutet: eigi visso þeir hverr hann var.97 Nur der Glaube, dass dieser Gott der höchste sei, hat sich erhalten – in verschiedenen Ausprägungen; für den vorchristlichen Norden vermutet Snorri eine Identifizierung mit Óðinn.98 Die einleitende Platzierung des Allvaters ist daher keine Inkonsequenz zur nachfolgenden Darstellung, wie bisweilen angenommen wurde. Sie integriert sich als sinnstiftendes Element in das Gesamtkonzept der Gylfaginning: Zu Beginn stützt sich die Dreiheit auf den Allvater, präsentiert ihn als obersten aller Götter, schreibt ihm die Schöpfung zu. Diese Konnotation impliziert schon in der Wortwahl einen (analogen) Bezug zum christlichen Gott. Im Folgenden rückt der Allvater aus der Betrachtung, wenn nach Gylfis anschließender Frage hvat var vpphaf eða hverso hofz hann 99 die Dreiheit mit ihren Ausführungen noch einmal beim Nullpunkt anzusetzen scheint, von der Unordnung am Anfang berichtet, von Ymir und seinen Nachkommen bis hin zur Entstehung der Götter, die aus dem Leib des Urriesen die bewohnbare Welt erschaffen; das ist bereits nordisch-pagane Vorstellung. Allvater selbst, der der älteste aller Götter sein soll, wird nicht mehr genannt, doch die Schöpfung wird ermöglicht durch einen unbestimmten kraptr – in RTW wird dieser im Folgenden explizit dem Allvater zugesprochen. Ab Kapitel 11 ist dieser dann über den Hochsitz Hliðskjálf und die Ehefrau Frigg Fjo˛ rgunsdóttir mit Óðinn identifiziert; diese Identifikation wird im Folgenden vorangetrieben und schließlich zur reinen Verwandtschaftsbezeichnung herabgestuft. Durch die exponierte Stellung zu Beginn des Gesprächs wollte Snorri dem Allvater eine besondere Rolle zukommen lassen, wollte er dokumentieren, dass auch Vorchristen die Vorstellung eines omnipater besaßen. Doch ihre jarðlig skilning bedingte im Norden einen polytheistischen Asenglauben, innerhalb dessen der Allvater schließlich mit dem höchsten Asengott Óðinn identifiziert wurde. Gerade in den einleitenden Ausführungen war seine Präsentation aber substanziell, verwies er doch in eine Zeit vor den nordischen Polytheismus zurück, konnte die Basis der weiteren Erzählung formen, innerhalb derer der kraptr des Allvaters dann eine zentrale Funktion erfüllte. Ein solches Konzept mag auch in der Abwand-
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‚Sie wussten nicht, wer er war.‘ Vgl. auch Kuhn 1942, S. 163 f. ‚Was war der Anfang oder wie entstand er?‘
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lung der Vo˛ luspá (Strophe 3) in Gylfaginning Kapitel 6 impliziert sein:100 Während der Codex Regius der Liederedda schreibt: ár var alda þar er Ymir bygði, zitiert Snorri: ar var allda þar er ecki var.101 Zwar ist nicht gänzlich geklärt, in welchem Abhängigkeitsverhältnis die Strophen zueinander stehen; diese Umformung Snorri zuzuschreiben, ist doch legitim – er wollte weiter zurückblicken als die überlieferte pagane Mythologie reichte.102 4.2.3.1. smíða und skapa Gylfis Frage nach dem höchsten Gott motiviert die Dreiheit, vom Allvater zu berichten: hann smiþaþi himin ok iorþ ok lopt. […] hitt er meira […] at hann smiþaþi mann ok gaf honvm ond at lifa. Anne Holtsmark vermutete, Snorri habe mit dem Verbum smíða einen Kontrast zu christlichem skapa aufbauen wollen (s.u.). Das Verhältnis beider Verba ist in jedem Fall bedenkenswert.103 Betydelsen ‚skapa, creare‘, som är samgermansk, måste tillmätas hög ålder och har tillhört det hedniska ordförrådet. […] Betydelseinnehållet i skapa har dock förändrats av kristendomen, som lärde, att Gud skapade himmel och jord av intet.104
Carl-Eric Thors zählte skapa zu solchen Begriffen, die mit Einführung christlicher Ideen eine Umwertung erfahren hätten, damit aber auch breitere Interpretationsmöglichkeiten offerierten. Jón Hnefill Aðalsteinsson verstand skapa nicht nur als originär vorchristliches Wort, sondern gar als Synonym zu smíða, blieb konkrete Belege aber schuldig: In den ältesten Quellen wird an vielen Stellen deutlich, daß das Verb að smíða (‚schmieden‘) gleichbedeutend mit dem Verb að skapa (‚[er]schaffen‘) ist,
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Vgl. auch Hultgård 2000, S. 245. ‚Einst war die Zeit, als Ymir lebte‘; ‚einst war die Zeit, als nichts war‘. Vgl. auch Schier 1963, S. 309. Klaus von See merkte Ende der 1980er Jahre an, dass sich „Holtsmarks Ansicht, smíða bedeute das Gestalten eines schon vorhandenen Stoffes (= lat. fabricari) und allein skapa können sich auf das Schaffen aus dem Nichts beziehen (= lat. facere), nicht aufrechterhalten läßt“ (von See 1988, S. 19); das hatte bereits Ursula Dronke notiert (Dronke 1977, S. 171 f.). Eine mögliche Zuweisung der Lexeme in paganen oder christlichen Bereich wurde dabei aber nicht thematisiert. Thors 1958, s.v. skapa (‚der Bedeutung ‚schaffen, kreieren‘, die gemeingermanisch ist, muss hohes Alter beigemessen werden, sie hat zum heidnischen Wortschatz gehört. […] Der Bedeutungsinhalt von skapa wurde jedoch durch das Christentum verändert, das lehrte, dass Gott Himmel und Erde aus dem Nichts erschuf‘).
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Lexematische Analyse
und von einem ‚Schmied‘ wird dementsprechend auch als einem ‚Schöpfer‘ gesprochen.105
Johan Fritzner betonte, smíða benötige stets ein Ausgangsmaterial (vor allem Edelmetalle),106 eine These, die auch Holtsmark vertrat:107 Der irdisch werkende Óðinn/Allvater sei von Snorri als Kontrast zum ex nihilo kreierenden christlichen Gott entworfen worden, mit dem Ziel, ihn als Teufel zu entlarven. Nach paganer Vorstellung schuf der Allvater Himmel, Erde und Menschen, ähnlich dem christlichen Gott, aber die vorchristlichen Menschen unterstellten einen irdischen Ausgangsstoff seiner Schöpfung, erkannten nicht die Allmacht des wahren Gottes – ein Analogiekonzept? Form. U
Ok trvþo at allt veri af nockvro efni skapat eðr smiþat.
U c. 5
Hann smiþaþi himin ok iorþ ok lopt. Hitt er meira er hann smiþaþi himin ok iorþ at hann smiþaþi mann ok gaf honvm ond at lifa. Hvat hafþiz hann aþr at en himin ok iorþ voro skavpvð? Ok draga þav kerro solar þeirrar er goþin hafa skapað af þeirri siver flavg or mvspellz heimi. Þar næst smiþoþv þeir hvs er þeir logþo afl í. ok þar til smiþoþo þeir hamar ok tong ok steþia ok þaþan af oll tol onnr. ok því næst smiþopv þeir malm stein ok tre.
U c. 5 U c. 12
U c. 13
‚Und sie glaubten, dass alles aus irgendeinem Material geschaffen oder geschmiedet sei.‘ ‚Er schuf Himmel und Erde und Luft. Hinzukommt, dass nachdem er den Himmel und die Erde schuf, er den Menschen schuf und ihm Atem zum Leben gab.‘ ‚Was tat er, bevor Himmel und Erde geschaffen waren?‘ ‚Und sie ziehen den Sonnenwagen, den die Götter aus dem Funken, der aus Muspellheim flog, geschaffen haben.‘ ‚Danach errichteten sie ein Gebäude, in das sie eine Esse bauten, und dazu schmiedeten sie Hammer und Zange und Amboss und damit alle anderen Werkzeuge. Und danach bearbeiteten sie Erz, Stein und Holz.‘
In der U-Gylfaginning ist das Verbum smíða neunmal und in unterschiedlichem Kontext belegt. Interessant ist zunächst Kapitel 13, wo anschaulich
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Jón Hnefill Aðalsteinsson 2004, S. 194. Ordbog over Det gamle norske Sprog, s.v. smíða. Holtsmark 1964, S. 23 ff.
Funktionsträger in Snorris Werk
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von einer Schmiedetätigkeit der göttlichen Asen berichtet wird; Snorris Quelle wird man in Strophe 7 der Vo˛ luspá vermuten dürfen: hittuz æsir á Iðavelli, þeir er ho˛ rg ok hof há timbroðo; afla lo˛ gðo, auð smíðoðo, tangir scópo oc tól gorðo.108
Bemerkenswert ist die abweichende Formulierung in den einzelnen Gylfaginningversionen; während U durchgängig smíða gebraucht, ersetzt R (c. 7) weitgehend durch gera: þar næst gerþv þeir þat at þeir lavgþv afla ok þar til gerþv þeir hamar ok tavng ok steðia ok þaþan af avavll tol avNvr; ok þvi næst smiþvþv þeir malm ok steín ok tre.109 Auffällig, dass im gemeinen Text smíða allein für eine spätere Verarbeitung von Rohstoffen verwendet wird, während U bereits die Herstellung der benötigten Werkzeuge unter diesem Verbum fasst. Man könnte in RTW stilistische Überarbeitung vermuten, die Wiederholung in der Wortwahl zu vermeiden suchte. Die Vo˛ luspá selbst ist mit den Verba leggja, smíða, skapa und gera noch stärker um Vielfalt in der dichterischen Darstellung bemüht. Auffallend: Keine Gylfaginningversion gebraucht das Verbum skapa. Anne Holtsmark beschränkte sich in ihrer Kontrast-Argumentation auf Kapitel 2 der RTW-Gylfaginning und den Formáli, wenn sie Allvaters Schöpfung (s.o.) einer Aussage almáttigr guð skapaði í uphafi himin ok jo˛ rð ok alla þá hluti, er þeim fylgja, ok síðarst menn tvá110 gegenüberstellte: „Det är nettop hedenskap å tro at allir hlutir væri smiðaðir af nökkuru efni.“111 Sie folgerte weiter: Enn illi Oðinn, svartekunstneren blant æsene, er satt i Guds sted, han har mange navn liksom Gud, men han må smíða istedenfor å skapa, og han kommer fra rimtussene. […] Det blir en bekjennelse till djevelen.112
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‚Die Asen trafen sich auf Iðavo˛ llr, Altar und Tempel bauten sie hoch; Essen errichteten sie, Kostbares schmiedeten sie, Zangen schufen sie und fertigten Werkzeug.‘ ‚Danach taten sie dies, dass sie eine Esse anlegten, und dazu machten sie Hammer und Zange und Amboss und damit alle anderen Werkzeuge, und als nächstes bearbeiteten sie Erz und Stein und Holz.‘ ‚Der allmächtige Gott schuf am Anfang Himmel und Erde und all die Dinge, die ihnen folgen, und zum Schluss zwei Menschen.‘ Holtsmark 1964, S. 23 (‚es ist nur heidnisch, zu glauben, dass ‚alle Dinge aus irgendeinem Stoff geschmiedet wären‘‘). Holtsmark 1964, S. 25 f. (‚‚der böse Óðinn‘, der Schwarzmagier unter den Asen, wird an Gottes Stelle gesetzt, er hat viele Namen, wie Gott, aber er muss ‚schmieden‘ anstelle von ‚schaffen‘, und er kommt von den Reifriesen. […] Das ist ein Bekenntnis zum Teufel‘).
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Lexematische Analyse
Eine Charakterisierung Óðinns als illr ist im Text aber nicht belegt, allein Ymir wird so bezeichnet (s.u.); zudem weist die Fassung U eine Eigenheit auf, die Holtsmarks Interpretation relativiert: hvat hafþiz hann aðr at en himinn ok iorð væri go˛ r, fragt Gylfi in RTW zu Allvater; U aber formuliert: hvat hafþiz hann aþr at en himin ok iorþ voro skavpvð113 – vermeintlich der christlichen Weltschaffung vorbehaltenes skapa wird hier mit dem paganen Schöpfungsgedanken verknüpft. Ähnliches gilt für die Erschaffung der ersten Menschen durch Óðinn und seine Brüder (c. 11): fvndo þeir tre .ij. ok skopoþv af mann.114 Und auch der Formáli in U liefert einen Beleg gegen Holtsmarks These: ok trvþo at allt veri af nockvro efni skapat eðr smiþat,115 heißt es dort zur Idee einer natürlichen Gotteserkenntnis. Die Erwähnung beider Verba spricht einerseits zwar gegen synonymes Verständnis, macht anderseits aber deutlich, dass die Zuweisung allein eines smíða zu no˛ kkurr efni in Snorris Werk keinen Bestand hat.116 Das belegt auch die weitere Verwendung von skapa: In Kapitel 12 der Gylfaginning heißt es etwa: […] ok draga þav kerro solar þeirrar er goþin hafa skapað af þeirri siv er flavg or mvspellz heimi 117 – mit sía ist ein materieller Ausgangsstoff sogar betont. Diese Beobachtung wird durch zeitnahe Texte gestützt: Im Isländischen Homilienbuch findet sich die Aussage: [Guþ] smíþaþe himen oc iorþ,118 übereinstimmend mit der Beschreibung Allvaters (hann smiþaþi himin ok iorþ). In AM 645 weiß Matthäus über den Weg zu Gott zu berichten: þui at nv er gerr støpvll til himna non or steinom sed af crafti christi […], støpull
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‚Was tat er, bevor Himmel und Erde gemacht waren?‘; ‚was tat er, bevor Himmel und Erde erschaffen waren?‘ ‚Sie fanden zwei Hölzer und schufen daraus einen Menschen.‘ ‚Und sie glaubten, dass alles aus irgendeinem Stoff geschaffen oder geschmiedet war.‘ Annette Lassen hingegen sah Holtsmarks These in dieser Parallelnennung bestätigt (Lassen 2011, S. 296 f.): smíða sei im Kontrast zu skapa als Hinweis auf die begrenzte pagane Erkenntnis zu verstehen. Eine solche Zuweisung ist aber gerade an dieser Stelle ausgeschlossen. ‚Und sie ziehen den Wagen der Sonne, die die Götter aus dem Funken geschaffen haben, der aus Muspellheim heranflog.‘ Homiliu-Bók. Isländska Homilier efter en handskrift från tolfte århundradet (hrsg. von Theodor Wisén), S. 187. Das Zitat ist bezogen auf den Handwerker (smiðr) Josef, der mit Gott in Relation gesetzt wird: Joseph smiþr vas ætlaþr faþer iesu crists a iorþo […]. guþ er hiN saNe smiþr (‚der Handwerker Josef wurde für Jesu Vater auf der Erde gehalten. Der wahre Handwerker [aber] ist Gott‘). Auch Holtsmark verwies auf diese Stelle, ihrer Ansicht nach sollte erklärt werden, warum ausgerechnet ein smiðr zum irdischen Vater Jesu erwählt wurde (Holtsmark 1964, S. 85). Die Bedeutung von Gott als smiðr wird dadurch aber betont, nicht relativiert.
Funktionsträger in Snorris Werk
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sá es Guþ smiþaþi 119 – hier wird smíða ein Ausgangsmaterial explizit abgesprochen. In der gleichen Handschrift wird hingegen mit skapa mehrfach festgehalten, der Mensch sei von Gott aus Erde geschaffen;120 auch in der eddischen Dichtung findet sich Belege für solche Verknüpfung von skapa mit einem Ausgangsstoff.121 Es lässt sich abschließend festhalten: Hinter dem Gebrauch von smíða und skapa ist weder in Snorris Werk noch in zeitnahen Texten ein distinktives Konzept (sei es einer Kontrast- oder einer Analogiethese verpflichtet) erkennbar. Im weiteren Sinne ‚materielle‘ Ausgangsstoffe für die Schöpfungstätigkeit des Allvaters ließen sich allenfalls in der Verknüpfung des kraptr mit den Elementen Hitze und Kälte (c. 8) vermuten.122 4.2.3.2. þjóna U c. 23 U c. 23
Henni þiona þær er meyiar andaz. Ok ero þær aþrar er þiona i valhollv. bera dryck ok geta borþbvnaþar ok olgagna.
U c. 28
Ok er hann sa hræzlo þeirra mikla geck af honvm moþrinn. ok tok af bonda born hans þialfa ok ravsko. ok þionvþv þav honvm siþan.
Yng. c. 2
Þat eru díar kallaðir eða dróttnar. Þeim skyldi þjónostu veita ok lotning alt fólk.
‚Ihr dienen die, die als Jungfrau sterben.‘ ‚Und es gibt andere, die in Vallhall dienen; sie tragen Getränke und verschaffen Tischzeug und Biergefäße.‘ ‚Und als er ihre große Furcht sah, da verließ ihn sein Zorn und er nahm vom Bauern dessen Kindern, Þjálfi und Ro˛ skva, und sie dienten ihm seitdem.‘ ‚Sie werden Díar oder Fürsten genannt; ihnen sollte das ganze Volk Dienste und Ehre erweisen.‘
In Kapitel 17 berichtet Hár von Óðinn: oþinn er æztr ok ellztr asanna. hann ræþr ollvm hlvtvm ok sva sem onnr goþin ero mattvg. þa þiona honvm oll 119
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Isländska Handskriften No. 645 4to i (hrsg. von Ludvig Larsson), S. 110 (‚denn nun besteht der Turm zum Himmel nicht aus Stein, sondern aus der Macht Jesu Christi, […] der Turm, den Gott erbaute‘). Z.B. Isländska Handskriften No. 645 4to i (hrsg. von Ludvig Larsson), S. 104 und 112. Z.B. Vafþrúðnismál 21 und Grímnismál 40: ór Ymis holdi var io˛ rð um sco˛ puð (‚aus Ymirs Fleisch wurde die Erde geschaffen‘). Vgl. Kap. 4.3.2.
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Lexematische Analyse
sva sem born favþr 123 – Óðinn/Allvaters Sonderstellung soll erklärt werden. Þjóna, als Verbum des christlichen Kontextes, erschien Anne Holtsmark als Beleg für Snorris Ironiegedanken; Bestätigung glaubte sie in Kapitel 23 zu finden, wenn es zu Gefjon heißt: henni þiona þær er meyiar andaz. Dieses Dienen setzte Holtsmark in Bezug zur Heiligen Maria: Når Snorre sier at Gefion er møy, og at henne tjener alle som dør som møy, vekker han assosiasjon til kontrasten: Den hellige jomfru Maria. Han bruker et ord som ble brukt også om kirketjenste, þióna. Dette ordet […] er vel ikke fra først av kirkelig ord, men [det] blir så meget brukt i geistlig mening at [det] må vekke forestilling om gudtjeneste – og man kan selvsagt þíona en hedensk gud.124
Ein Kontrast wird in dieser Bemerkung aber nicht angelegt sein, die Formulierung deutet vielmehr auf einfachen Zofendienst hin, ebenso die weiteren Belege: Am profanen Charakter solcher Dienste ist weder im Fall der bewirtenden valkyrjur noch in der Vorgeschichte zu Þórrs späteren Begleitern Þjálfi und Ro˛ skva zu zweifeln. In religiösen Bereich verweist þjóna allein in einer Episode der Ynglinga saga (c. 2): þat var þar siðr, at tólf hofgoðar váru œztir; skyldu þeir ráða fyrir blótum ok dómum manna í milli. […] þeim skyldi þjónostu veita ok lotning alt fólk.125 Hier ist Snorris Darstellung des asischen Kults Rechnung zu tragen, dieser erscheint als irdisches Analogon einer göttlichen Ordnung;126 den Bezugspunkt liefert die Gylfaginning, die zu Allvaters stjórnarmenn analog ausführt (c. 13): ok beiddi þa at dæma orlog manna. ok raþa.127 Ernst Walter notierte treffend: Daß þjónusta in der Ynglinga saga (c. 2) mit der Bedeutung ‚göttliche Verehrung, Gottesdienst‘ auftaucht […], zeigt, daß die Verwendung des aus dem Niederdeutschen stammenden Wortes þjónusta vom Wortgebrauch der christlichen
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‚Óðinn ist der höchste und älteste der Asen. Er herrscht über alle Dinge, und obwohl die anderen Götter mächtig sind, so dienen sie ihm [dennoch] wie Kinder dem Vater.‘ Holtsmark 1964, S. 71 (‚wenn Snorri sagt, dass Gefjon Jungfrau ist und dass ihr alle dienen, die als Jungfrau sterben, weckt er eine Assoziation mit Kontrast: die heilige Jungfrau Maria. Er gebraucht ein Wort, dass auch im Kirchendienst verwendet wurde, þjóna. Dieses Wort ist wohl nicht von Beginn an kirchlich, aber es wird so oft in geistlicher Literatur gebraucht, dass es die Vorstellung an den Gottesdienst wecken muss – und natürlich kann man einem heidnischen Gott ‚dienen‘‘). ‚Es war dort Sitte, dass zwölf Opferpriester die Obersten waren; sie sollten über die Opfer bestimmen und die Urteile zwischen den Menschen; […] ihnen sollte das ganze Volk Dienste und Ehre erweisen.‘ Vgl. Kap. 4.5.3. ‚Und er [d.i. Óðinn] forderte sie auf, das Schicksal der Menschen zu entscheiden und zu bestimmen.‘
Göttliche Macht – kraptr
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Kirche bestimmt ist; man schilderte im 13. Jahrhundert mit der interpretatio christiana das Heidentum halt analog.128
4.3. Göttliche Macht – kraptr 4.3.1. Vorbemerkungen Der Glaube an suprahumane Kräfte, die Einfluss nehmen auf das irdische Leben in all seinen Bereichen, hat universalen Charakter, ist Grundlage jeder Religion. Im Christentum wird Schöpfung von und Herrschaft über die Welt einem singulären Gott zugeschrieben, dem Deus omnipotens, wie die Vulgata ihn bezeichnet. Als Christus ausgezeichnet, agiert der Mensch Jesus auf Erden; in ihm wird göttliche Macht wirksam, wenn er Kranke heilt oder Tote erweckt.129 Diese Offenbarung ist wesentlich für das Erkennen des wahren Gottes und findet ihren Abschluss in Jesu Christi Auferstehung, der machtvollen Überwindung des Todes. Aus christlicher Perspektive konnte jedoch auch eine auf menschlicher Erkenntnis basierende Gottesahnung den Glauben an einen singulären (wenn auch unbekannten) Gott bedingen; so präsentiert es etwa der Formáli, der den namenlosen Schöpfer (unter Bezug auf den einleitend genannten allmáttigr Guð) mit hann bezeichnet.130 In einem polytheistischen System hingegen herrschen mehrere Götter, hierarchisch geordnet und unterschiedlichen Lebensbereichen zugewiesen. Die zugrunde liegende Idee einer göttlichen Allmacht ist aber in allen Fällen vergleichbar. Snorris Konzept dieser Macht wird in seinem Werk zur Basis wesentlicher Teile der Darstellung, das wird die folgende Untersuchung präzisieren. Ausdruck solch suprahumaner Kraft ist im Norrönen das Substantivum kraptr (m.), das auch bei Snorri Verwendung findet. Ernst Walter erarbeitete in seinen Untersuchungen zu lexikalischem Lehngut mehrere Bedeutungen; das Gros der Belege ordnet sich in die Bereiche ‚Tugend‘ und ‚übernatürliche (Wunder-)Kraft‘.131 Ein genuin nordisches Wort für ‚Kraft‘ im Allgemeinen – dem in christlicher Zeit eine religiöse Komponente verliehen worden wäre – sah Walter in kraptr nicht, vielmehr die Übertragung
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Walter 1998, S. 290. Etwa Joh 5,21: sicut enim Pater suscitat mortuos et vivificat sic et Filius quos vult vivificat (‚denn wie der Vater die Toten auferweckt und macht sie lebendig, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will‘); vgl. auch Kap. 4.6. Vgl. Kap. 3.4.1. Walter 1976, S. 42.
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Lexematische Analyse
des lateinischen virtus (s.u.).132 Diese These vertrat 1949 bereits Theodor Frings: Der christliche virtus-Begriff zieht kraft entsprechend dessen altem Wirkungsgehalt in den geistigen Bereich: es steht für virtus dei, die in die Welt strahlende und wirkende Kraft, auch für das Wesen Gottes.133
Walter notierte, es sei zudem bemerkenswert, daß kraptr in der gesamten eddischen Poesie fehlt und in der heidnischen Skaldendichtung ebenfalls nicht ein einziges Mal auftaucht, dafür aber in der christlichen Dichtung und Prosa seit der Plácítusdrápa (nach der Mitte des 12. Jahrhunderts) reichlich belegt ist.134
Bezeichnend, dass Snorri in seinem Werk die Vorstellung einer göttlichen Allmacht durch ein Substantivum artikuliert, dass nahezu ausschließlich in geistlichen Texten Verwendung findet. Positive Konnotation von kraptr bezeugen die Belege in den Verzeichnissen von Larsson und Holtsmark: In nur vier Fällen wird kraptr mit dem Teufel verknüpft,135 über vier Dutzend Stellen finden sich hingegen, an denen auf Gottes Macht verwiesen wird.136 132
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Virtus est animi habitus, naturae decus, vitae ratio, morum pietas, cultus divinitatis, honor hominis, aeternae beatitudinis meritum, hielt der angelsächsische Gelehrte Alkuin in seinem Werk De virtutibus et vitiis fest (vgl. auch Simek/Hermann Pálsson 2007, s.v. Alkuin); im norwegischen Homilienbuch (Gammel Norsk Homiliebog (hrsg. von Carl Richard Unger), S. 56) findet sich die Übertragung: craftr er gørfi hugar, pryði øðles, scynsęmi lifs, mildi siða, ofgan guðdóms, vægr mannz, oc værðlæicr æilifrar sælo (‚kraptr ist Gewand der Seele, Glanz des Wesens, Verstand des Lebens, Güte der Sittlichkeit, Ehrbeweis der Göttlichkeit, Ruhm des Menschen und Verdienst der ewigen Seele‘); vgl. auch Salvesen 1968, S. 64 ff. Walters These, Wörter wie magn oder megin seien im christlichen Kontext nicht adäquat gewesen, weshalb ein Lehnwort kraptr notwendig wurde, kritisierte Gerd Wolfgang Weber: „Ein Blick ins Lexicon poeticum belehrt jedoch, daß megin und máttr ganz wie kraptr bei den christlichen Skalden (und somit oft früher als in Walters Material, den geistlichen Übersetzungen) häufig auftreten – und öfter für ‚Gottes Kraft‘, also doch wohl für virtus! […] Die Bedeutung von megin und máttr war also keineswegs einer christlichen Sinngebung zuwider“ (Weber 1981a, S. 490). Frings 1949, S. 25. Walter 1976, S. 41. Gammel Norsk Homiliebog (hrsg. von Carl Richard Unger), S. 64:24 f., 196:6 f., 197:10 ff., 200:9 f. Im Neuisländischen wird kraftur nach Walter teils für ‚Hexerei‘ verwendet, er folgerte aber: „Hier liegt sicher keine altpagane Bedeutung verborgen“ (Walter 1976, S. 43). Zu nennen etwa guðs kraptr/kraptr guðs (‚Gottes Kraft‘), af guðdóms krapti (‚mit der Kraft der Göttlichkeit‘), í krapti fo˛ ður (‚mit der Kraft des Vaters‘), kraptr dróttins (‚Kraft des Herren‘), með krapti heilags anda (‚mit der Kraft des Heiligen Geistes‘) oder með krapti kross ins helga (‚mit der Kraft des heiligen Kreuzes‘).
Göttliche Macht – kraptr
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Anne Holtsmarks Feststellung zu kraptr, „det kan også bli brukt om trolldomsmakt“,137 ist somit nicht falsch, ihre weitreichenden Postulate angesichts dieser Quellenlage aber kritisch zu hinterfragen.138 U c. 8
Ok þa er blærinn hitans mætti hrimino sva at braðnaþi ok dravp af. ok með krapti þeim er styrþi varþ manz likindi a.
U c. 19
Miklir þicki mer þessir fyrir ser æsirnir. ok eigi er vndr at mikill kraptr fylgi yþr er þer skvlot kvnna skyn gvþanna. ok vita hvern biþia skal hvers hlvtar eða hverrar bænar.
Yng. c. 5
Gylfi þóttist engi krapt til hafa til mótsto˛ðu við Ásana. Af þessum kro˛ ptum varð hann mjo˛ k frægr. Óvinir hans óttuðusk hann, en vinir hans treystusk honum, ok trúðu á krapt hans ok á sjálfan hann.
Yng. c. 7
‚Und als der Hauch der Hitze auf den Reif traf, so dass es schmolz und davon tropfte, und durch die Kraft, die lenkte, entstand daraus die Gestalt eines Menschen.‘ ‚Mächtig scheinen mir diese Asen zu sein und es ist nicht verwunderlich, dass euch große Macht begleitet, da ihr Kenntnis haben solltet über die Götter und wissen, an wen man sich in welchen Angelegenheiten und mit welchen Gebeten wenden soll.‘ ‚Gylfi schien keine Kraft zu haben, den Asen zu widerstehen.‘ ‚Durch diese Kräfte wurde er sehr berühmt; seine Feinde fürchteten ihn, aber seine Freunde vertrauten ihm, glaubten an seine Kraft und an ihn selbst.‘
4.3.2. Gylfaginning An zwei Stellen ist in der U-Gylfaginning das Substantivum kraptr belegt: In Kapitel 8 berichtet Hár vom Urriesen Ymir, der durch das Zusammenwirken von Hitze und Kälte entsteht – dieser Schöpfungsprozess wird ermöglicht durch kraptr sá er stýrði,139 eine lenkende Macht, die die konträren Elemente vereint; in dieser Vorstellung mag die seit der Antike bekannte Vier-Elemente-Lehre Einfluss geübt haben.140 RTW (c. 5) formulieren 137 138
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Holtsmark 1964, S. 19 (‚es kann auch für Zauberkraft gebraucht werden‘). Edith Marold notierte: „Die Tatsache, daß Snorri hier christliche Begriffe wie z. B. kraptr gebraucht, wie Holtsmark ausführt, ist wohl kaum als Ironie zu deuten“ (Marold 1998a, S. 166). Ihre Ansicht, es handle sich vielmehr um „einfachen sprachlichen Anachronismus“, wie er in der norrönen Überlieferung auch ansonsten belegt sei, verkannte aber die Bedeutung des kraptr in Snorris Konzeption. Vgl. Kap. 4.3.4.1. Im altnordischen Elucidarius wird die Schaffung des Menschen eingeleitet mit den Worten af andlego oþle oc licamlego (‚wie er geschaffen ward aus geistigem und
128
Lexematische Analyse
abweichend: ok þa er mættiz hrimin ok blær hitans, sva at braþnaði ok dravp, ok af þeim kviqv-dropvm kviknaþi með krapti þes, er til sendi hitann, ok varþ maNz likaNdi.141 Der kraptr ist hier nicht personifiziert, sondern an ein (nicht genanntes) Wesen gebunden; eine Anspielung auf den Feuerriesen Surtr vermutete Klaus von See.142 Tatsächlich aber weist der folgende Text in RTW (c. 6) kraptr dem Allvater zu: firir þvi ma hann heita Alfavðr, at hann er faþir allra goþaNa ok manna ok allz þes, er af honvm ok hans krapti var fvllgert.143 Kraptr erscheint als Reminiszenz an frühe pagane Vorstellungen eines singulären Schöpfergottes. Das notierte bereits Jacob Grimm, ohne dieser Stelle doch weitere Bedeutung beizumessen: „Die belebung wird zurückgeführt auf die kraft dessen, der die hitze zusandte, gleichsam auf einen älteren, ewigen gott, der schon in dem chaos waltete.“144 Von einer „Urkraft, welche die Schöpfung einmal möglich machen wird“, sprach auch Jan de Vries.145 Eine Verknüpfung von Allvater und kraptr wird in U nicht explizit vollzogen, doch gesteht die Formulierung kraptr sá er stýrði dieser Macht universalen Charakter zu, weckt Assoziationen zum Konzept einer natürlichen Gotteserkenntnis. In frühster Vorzeit, in der das pagane Verständnis der Dreiheit sich verliert, regierte eine singuläre Allmacht über die Elemente – aus Snorris Retrospektive als Christengott zu identifizieren. Der Formáli in RTW formuliert zum unerkannten Schöpfergott vergleichbar: þess væntu þeir, ef hann réði fyrir ho˛ fuðskepnunum, at hann myndi ok fyrr verit hafa en
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körperlichem Stoff‘ (zitiert nach Elucidarius in Old Norse translation (hrsg. von Evelyn Scherabon Firchow/Kaaren Grimstad), S. 39)) – auch hier liegt die Kombination irdischer Ausgangsmaterialien (u.a. hita af elde) mit überirdischer Kraft vor. Klaus von See vermutete Rekurs auf Laktanz: „Dort heißt es, daß ‚die Welt letztlich auf zwei entgegengesetzten Prinzipien, auf Wärme und Feuchtigkeit‘, beruhe, und daß nichts entstehen könne, wenn nicht ‚Wärme und Feuer‘, in denen die ‚Kraft Gottes‘ lebt (virtus dei in calore et igni), durch die materia der Kälte und Feuchtigkeit gemäßigt werden. […] Und die Worte von der ‚Kraft Gottes in Wärme und Feuer‘ lassen doch vermuten, daß sie in irgendeiner Weise das Denkmodell geliefert haben für Snorris merkwürdige Formulierung von der ‚Kraft dessen, der die Hitze sandte‘ “ (von See 1988, S. 53 f.). ‚Und als sich Reif und Hauch der Hitze trafen, so dass es schmolz und tropfte, wurde es aus diesen Gischttropfen lebendig durch die Kraft dessen, der die Hitze gesandt hatte, und es entstand die Gestalt eines Menschen. ‘ Von See 1988, S. 54. ‚Deshalb darf er Allvater heißen, weil er der Vater aller Götter und Menschen ist und all dessen, das durch sein Kraft vollbracht wurde.‘ Grimm 1835, S. 466. de Vries 1930, S. 65.
Göttliche Macht – kraptr
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himintunglin.146 Edith Marold verkannte in ihrem Einwand, „dieser erste ungenannte Schöpfergott hätte dann den explizit als ‚böse‘ bezeichneten Urriesen Ymir als erstes Werk seiner Schöpfung entstehen lassen“,147 dass in Snorris Erörterung zwei Konzepte einfließen: Die Attributierung Ymirs als ‚böse‘ basiert auf der mythologischen Überlieferung des Nordens, in der Götter und Riesen als Antagonisten auftreten; in der Idee einer zeitlosen Gottesmacht hingegen existierte kein illr Ymir. Verbindung von einstiger natürlicher Gotteserkenntnis und folgendem Polytheismus strebte Snorri in seiner Darstellung aber bewusst an, das wird auch die weitere Untersuchung belegen. Miklir þicki mer þessir fyrir ser æsirnir. ok eigi er vndr at mikill kraptr fylgi yþr er þer skvlot kvnna skyn gvþanna. ok vita hvern biþia skal hvers hlvtar eða hverrar bænar 148 (c. 19) – Gylfi zeigt sich beeindruckt nach der Präsentation der wichtigsten Asengötter. Das Wissen um die neuen Götter, und die Kenntnis welcher Gott in welcher Situation angebetet werden soll, sichern Menschen den Beistand des göttlichen kraptr. Mit der in geistlichen Texten mehrfach belegten Formel biðja bœnar offeriert Snorri eine weitere Parallele zu christlichen Vorstellungen.149 Gylfi wendet sich mit yþr an seine Gesprächspartner, die Dreiheit; das Pronomen verbindet sich im Kontext mit dem Verbum fylgja, das in seiner Primärbedeutung eine Begleitung impliziert, die ‚(nach)folgt‘.150 Snorris Magnúss saga blinda weist mit der Aussage mikill kraptr fylgir krossinum151
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‚Und sie vermuteten, wenn er über die vier Elemente herrsche, dass er auch früher als die Himmelskörpern existiert haben müsste.‘ Vgl. Weber 1993, S. 233: „Der unbekannte Gott der natürlichen Theologie, der nur aus seinen Werken – also der Schöpfung und Natur – erschlossen werden kann und dessen Namen niemand weiß, ist in Gylfaginning durchaus erwähnt: Denn die chaotische Urmasse in Gestalt des Urriesen Ymir entstand erst, als ‚Hitze‘ zu ‚Kälte‘ kam und deren Eis schmolz […]. Mit dem Ausdruck ‚mit der Kraft dessen, der die Hitze hinzusandte‘ ist der den Juden unnennbare und den Heiden unbekannte Schöpfergott bezeichnet.“ Marold 1998a, S. 154; vgl. auch von See 1999b, S. 300 ‘Mächtig scheinen mir diese Asen zu sein und es ist nicht verwunderlich, dass euch große Macht begleitet, da ihr Kenntnis haben solltet über die Götter und wissen solltet, an wen man sich in welchen Angelegenheiten und mit welchen Gebeten wenden soll. ‘ Auch die Rubrik besagt: hversv biþia skal asinn (‚wie man den Asen bitten soll‘); ähnlich formulieren RTW in Kapitel 19: til akallz ok bæna firir sialfvm ser (‚zur Anrufung und zu Gebeten für sich selbst‘). Vgl. auch Ordbog over det norrøne prosasprog, s.v. biðja. Vgl. Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, s.v. fylgja; Ordbog over Det gamle norske Sprog, s.v. fylgja: ‚være i Følge med en eller noget‘. ‚Große Macht folgt dem Kreuz.‘
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Lexematische Analyse
(c. 11) in solche Richtung, ebenso die Ynglinga saga (c. 7), wenn es zu Óðinns Fähigkeiten heißt: Óðinn kunni þá íþrótt, svá at mestr máttr fylgði.152 In Kapitel 18 der Gylfaginning wird zu Baldr gesagt: sv natvra fylgir honvm at eigi ma halldaz domr hans153 – Anne Holtsmark hielt fest: „Vi er inne på forestillingene om fylgja, f., mannens skjebne som følger ham.“154 Jan de Vries notierte zum Substantivum fylgja: Sie [ist] Ausdruck für eine seelische Kraft, die das Wesen des Mannes bestimmt, und hier kann sich leicht der Gedanke anknüpfen, daß die fylgja nicht nur Projektion des inneren Wesens eines Menschen nach außen, sondern auch ein außerhalb des Menschen für sich bestehendes Wesen ist, das ihn lenkt. […] Der katholische Glaube an Heilige, die als Patrone ihrer Verehrer fungieren, […] ist auch der ähnlichen germanischen Denkweise weitgehend entgegenkommend, und das hat zu einer so innigen Verschmelzung geführt, daß wir Heidnisches und Christliches kaum mehr trennen können.155
Gylfis Feststellung mikill kraptr fylgi yþr ist daher fundamental: Der Dreiheit folgt große Macht nach, sie ist Botschaftsübermittler einer höheren Wesenheit.156 Die offenbarten Asengötter aber verfügen nach paganem Glauben über einen kraptr. Gylfi erkennt in seiner Aussage: Mit der Asenoffenbarung ist ein neues Zeitalter angebrochen, in dem sich die Macht dieses Glaubens entfalten wird. Auf diese Entwicklung wird bereits im einleitenden Kapitel der Gylfaginning verwiesen, wenn es zu Gylfi heißt: ok hvgsaþi þat er allir lyþir lofvþo þa ok allir hlvtir gengv at vilia þeira. hvart þat mvndi af eþli þeirra vera eða mvndi gvþmavgnin vallda þvi157 – hinter den 152 153
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‚Óðinn beherrschte die Kunst, der die größte Macht folgte‘; vgl. Kap. 4.6.4. Die genaue Übersetzung ist umstritten, RT überliefern abweichend: sv natvra fylgir honvm, at engi ma halldaz domr hans. „Varianten eigi/engi kann lett forklares grafisk, eigi ble often skrevet eg˜ og kunne leses som om forkortelsestegnet var nasalstrek“ (Holtsmark 1964, S. 73 (‚die Variante eigi/engi kann leicht orthographisch erklärt werden; eigi wurde oft eg˜ geschrieben und das Abkürzungszeichen konnte als Nasalstrich gelesen werden‘)). Holtsmark 1964, S. 74 (‚wir sehen hier die Vorstellung von fylgja, f., das Schicksal des Menschen, das ihm folgt‘); vgl. auch Röhn 1998. de Vries 1956, S. 228. Zur aktuellen Einschätzung vgl. Röhn 1998. Andreas Heusler merkte an: „Nur an dieser einen Stelle wird der Zweck seiner [d.i. Gylfis] Reise in Erinnerung gebracht und die Antwort auf seine Frage erteilt: das Außerordentliche an den menschlichen Asen beruht darauf, daß sie die anderen, die gefabelten Asen verehren“ (Heusler 1908, S. 30). Bei solcher Einschätzung bliebe doch gänzlich ungeklärt, wie von den irdischen Asen frei erfundene Götter realen Erfolg bringen sollten. ‚Und er dachte darüber nach, wenn alle Leute sie verehrten und alle Dinge nach ihrem Willen liefen, ob das in ihrer eigenen Natur läge oder ob Göttermächte das verursachten.‘
Göttliche Macht – kraptr
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zu diesem Zeitpunkt noch diffusen guðmo˛ gnin steht die gleiche Idee, die im kraptr zum Ausdruck kommt. Beachtenswert ist der Formáli von W: Sua segiz at þa er Roma uar algiỏr at Romueriar uenðuðu sinum siðum ok logmali sem næst mattu þeir komaz epter þi sem Troiu menn hofðu haft forfeðr þeira. ok sua mikill kraptr fylgði þessum monnum at morgum o˛ lldrum siðaRr þa er Pompeius æinn hofðingí Romueria heriaðí i austrhaalfuna flyði utan Oðinn ar Asia ok hingat í norðr halfuna ok þa gaf hann ser ok sinum monnum þeira nofn.158
Mit identischen Worten berichtet der Verfasser vom kraptr der Trojaner, der noch Menschenleben später ihre Nachfahren, die Römer (auf die der kraptr im Rahmen einer translatio übergegangen ist), dazu befähigte, die irdischen Asen zu verdrängen – letztere aber motivierte, sich die Namen dieser großen Trojaner anzueignen, um selbst am kraptr partizipieren zu können. Auch der Redaktor von W verstand den kraptr fylgjandi als Prämisse einer historischen Entwicklung, als zentrales Charakteristikum einer neuen Epoche; wohl im Rekurs auf den Rahmenschluss der Gylfaginning unterstellt er dabei eine kraptr-Übertragung durch Namentausch.159 Für die Vorstellung nachfolgender Macht finden sich auch in zeitnahen geistlichen Texten Belege, wenn etwa Petrus nach einer Heilung spricht: nu scolot ér non þat hyGia at ec mega gera yþr heilso af crapti mínom, und im Gegenteil darauf verweist, dass die Anrufung Gottes ihm solche Macht verliehen habe: þaþan fra fylgþe sva micill Guþs craftr petro postola.160 In der Bibel findet sich die entsprechende Passage in der Apostelgeschichte, wo Petrus nach der Heilung eines Lahmen zum Volk spricht: viri israhelitae 158
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‚Und es wird gesagt, dass, als Rom vollendet war, die Römer ihre Sitten und Gesetze so ausrichteten, dass sie dem am nächsten kommen sollten, was ihre Vorväter, die Trojaner, gehabt hatten. Und so große Macht folgte diesen Männern, dass viele Generationen später, als Pompeius, ein römischer Herrscher, in der Osthälfte heerte, Óðinn aus Asien und hierher in die Nordhälfte floh, und dann gab er sich und seinen Männern ihre Namen.‘ Im Neuen Testament finden sich zahlreiche Belege für eine Verknüpfung von Name und Macht: in qua virtute aut in quo nomine fecistis hoc vos (‚mit welcher Kraft oder in welchem Namen habt ihr das getan?‘ (Apg 4,7)), fragt der Hohepriester Kaiphas Petrus nach einer wundersamen Heilung. An späterer Stelle (Apg 19,17) heißt es nach erfolgter Dämonenaustreibung durch die Erwähnung des Namen Jesu: cecidit timor super omnes illos et magnificabatur nomen Domini Iesu (‚Furcht befiel sie alle und der Name des Herrn Jesus wurde hoch gelobt‘). Vgl. auch Clunies Ross 1998, S. 158 ff.; M. Schulz 2000, S. 179 ff. Isländska Handskriften No. 645 4to i (hrsg. von Ludvig Larsson), S. 57 (‚nun sollt ihr nicht glauben, dass ich euch heilen könnte durch meine eigene Macht‘; ‚[…] und von da an [d.i. seit dem Preisen von Gottes Namen] folgte dem Apostel Petrus so große Macht Gottes‘).
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Lexematische Analyse
quid miramini in hoc aut nos quid intuemini quasi nostra virtute aut pietate fecerimus hunc ambulare.161 Vergleichbares wird zu Jesus selbst geäußert: virtus erat Domini ad sanandum eos – die Kraft des Herrn war mit ihm, sodass er heilen konnte.162 So wie Petrus von der Kraft (virtus) des christlichen Gottes spricht, die ihm nicht selbst innewohnt, die aber durch ihn wirken kann, und wie auch Jesus als Christus zum Verkünder göttlicher Macht wird, so lässt Snorri die Dreiheit von der Macht paganer Götter berichten. Pointiert formuliert: Jesus, Petrus und Gylfi stehen an einem Wendepunkt, nach dem eine neue Religion bestimmend werden sollte – in letzterem Fall die des nordischen Asenglaubens.163 Neben den wiederkehrenden Formel virtus Dei und virtus Spiritus Sancti findet sich virtus in der Bibel bemerkenswerterweise auch als Synonym für Gott: An zentraler Stelle des Neuen Testaments, in Jesu Gespräch mit dem Hohepriester Kaiphas, antwortet Jesus auf die Frage, ob er der Christus sei, mit den Worten: tu dixisti verumtamen dico vobis amodo videbitis Filium hominis sedentem a dextris virtutis.164 Die Formulierung a dextris virtutis
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Apg 3,12 (‚ihr Männer von Israel, was wundert ihr euch darüber oder was seht ihr auf uns, als hätten wir durch eigene Kraft oder Frömmigkeit bewirkt, dass dieser gehen kann?‘). Luk 5,17. Die pagane Zeit ist aber begrenzt, wenn Snorri am Ende der Gylfaginning von langar stundir (‚lange Zeiten‘) spricht, die offenbar als das Zeitalter des nordischen Polytheismus zu verstehen sind; dieser beginnt mit einer paganen Offenbarung und wird überwunden in der christlichen Offenbarung. Im Formáli findet sich zu den irdischen Asen die ähnlich zu deutende Bemerkung: sa timi fylgþi ferþ þeira, at hvar sem þeir dvavlþuz ilavndvm, þa var þar ar ok friþr, ok trvþv allir, at þeir væri þes raþande (‚ihrer Fahrt folgte die Zeit, in der, wo auch immer sie sich im Land aufhielten, gutes Jahr und Frieden herrschten, und alle glaubten, dass sie dafür verantwortlich seien‘). In der Óláfs saga Tryggvasonar (c. 50) berichtet Snorri über den Tod des Ladejarls Hákon: þat bar mest til, er svá varð, at þá var sú tíð komin, at fyrirdœmask skyldi blótskaprinn ok blótmennirnir, en í stað kom heilo˛ g trúa ok réttir siðir (‚das war der wesentliche Grund dafür, dass es so kam, dass die Zeit gekommen war, da das Opferwesen und die Opfernden verurteilt wurden, und an ihre Stelle der heilige Glaube und rechte Sitten traten‘). Der in der Saga überlieferte Þórleifs þáttr jarlsskálds spricht vergleichbar davon, at þá er hedningartíminn er kominn, er eigi hœgt undan at komast (‚dass man dann, wenn die Zeit der Heiden gekommen [d.i. abgelaufen] ist, dem unmöglich entgehen kann‘). Tíðin var komin, die Zeit war erfüllt, ein vergleichbarer Gedanke findet sich auch im Neuen Testament, etwa mit der Formulierung ubi venit plenitudo temporis (Gal 4,4) oder bei der Selbstbezeugung Jesu (vgl. dazu auch Joh 5,30 ff.) – verneint –: quia necdum venerat hora eius, ‚denn seine Stunde war noch nicht gekommen‘ ( Joh 8,20). Mat 26,64 (‚du sagst es. Doch sage ich euch: Von nun an werdet ihr sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft‘).
Göttliche Macht – kraptr
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lässt keinen Zweifel daran, dass hier mit virtus Gott selbst bezeichnet ist. Das erinnert an den personifizierten kraptr in Kapitel 8 der Gylfaginning. Bemerkenswert, dass Snorri für die Beschreibung einer paganen Gottesvorstellung mit kraptr eben jenes Substantivum gebraucht, das zahlreich in zeitnahen geistlichen Texten, in seinem lateinischen Äquivalent aber vor allem in der Bibel Verwendung findet, zur Kennzeichnung der christlichen Gottesmacht. Beachtenswert ist weiter, dass diese Passagen stets grundlegenden biblischen Inhalten gewidmet sind. Doch hat Snorri nicht nur die Idee einer von Gott an außergewöhnliche Menschen verliehenen Macht offensichtlich aus der Bibel entlehnt, sondern sich auch in der Identifikation eines virtus mit Gott beeinflussen lassen, wenn er für pagane Frühzeit von nicht näher bestimmtem kraptr spricht, der aber den christlichen Gott bereits erahnen lässt. Es ist zudem auffällig, dass dieser kraptr verknüpft ist mit dem Allvater, der seinerseits in der Darstellung am Christengott orientiert ist. Das impliziert nicht, Snorri habe tatsächlich daran geglaubt, solche Götter hätten sich einst den Vorchristen offenbart; eine solche Sicht zu vertreten, wäre der Häresie gleichgekommen und mit Snorris christlicher Grundhaltung nicht zu vereinen. Snorri schilderte aber den Asenglauben nicht als identisch mit dem Christentum – er setzte beide in eine analoges Verhältnis zueinander: Bereits vor der christlichen Offenbarung herrschte der einzig wahre Gott, wurde sein kraptr wirksam. Die Vorchristen konnten ihn mit ihrer jarðlig skilning nicht erkennen, wohl aber sein Wirken in ihrem Leben notieren. In seiner Darstellung überwindet Snorri sukzessiv die Idee einer unbestimmten natürlichen Gottesvorstellung und präsentiert die nordischpagane Erkenntnis des kraptr in einer unvollkommenen Asenoffenbarung, die schließlich den zeitlich begrenzten Glauben an ein Götterkollektiv bedingt. Der kraptr hat daher in der zweiten Erwähnung der Gylfaginning eine Aufspaltung erfahren: Die Asengötter teilen sich die Herrschaft. Einen allmáttigr guð gibt es in dieser Vorstellungswelt nicht, der Allvatergedanke wurde im Norden auf Óðinn reduziert.165 Der Blick sei auch auf den weiteren Kontext in U gelenkt: Die Rubriken her segir fra nofnvm oþins ok riki (c. 17) und her segir fra Þor ok riki hans (c. 18) wecken Assoziationen zum Formáli, wo zum Schöpfergott notiert wird: þá vissu þeir eigi, hvar ríki hans var.166 Antworten auf die Frage nach dem Reich der Götter konnte erst der Asenglaube offerieren, der den kraptr nach paganem Vermögen identifizierte. Zu Baldr wird im Folgenden gar betont (c. 18): hann byggvir þann staþ er breiþa blik heitir ok fyrr er nefndr. 165 166
Vgl. Kap. 4.2.3. ‚Hier wird erzählt von den Namen Óðinns und seinem Reich‘; ‚hier wird erzählt von Þórr und seinem Reich‘; ‚da wussten sie nicht, wo sein Reich war‘.
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Lexematische Analyse
hann er a himni.167 Die Übernahme des Asenglaubens ist daher nicht motiviert durch teuflischen Betrug, wie etwa Anne Holtsmark vermutete – sie basiert auf dem Umstand, dass der Polytheismus den Vorchristen eine Möglichkeit bot, trotz beschränkter Erkenntnis in Kontakt zu treten zur vormals unbekannten suprahumanen Macht. Eine solche Vorstellung muss kein Unikum Snorris sein; beim Dritten Vatikanischen Mythographen (10. Jahrhundert) findet sich die Aussage: philosophi […] unum dicunt deum esse […]. Hic tamen ab iisdem […] variis item vocabulis appellatur 168 – hier liegt ein ähnliches Konzept zugrunde; in der Gylfaginning aber hat es meisterliche Ausgestaltung und durch die Analogiethese eine einzigartige Bedeutungserweiterung erfahren. 4.3.3. Ynglinga saga Das Substantivum kraptr findet auch in der Ynglinga saga Verwendung; auf eine Relation dieses Folgewerks zur Gylfaginning wurde bereits verwiesen. Die weitere Betrachtung wird belegen, dass Snorri seine kraptr-Idee fortführte. In der Gylfaginning werden primär die Asengötter thematisiert, in der Ynglinga saga hingegen stehen die irdischen Asen im Fokus; der göttliche kraptr erfährt dabei ein Umwertung zu menschlicher íþrótt, die für die Etablierung des Asenglaubens im Norden aber von wesentlicher Bedeutung ist. In Kapitel 5 der Ynglinga saga wird berichtet, at Gylfi þóttisk engi krapt til hafa til mótsto˛ ðu við Ásana;169 Kontext ist eine Auseinandersetzung zwischen Gylfi und den irdischen Asen. Der zweifache Verweis auf einen zauberischen Aspekt der Konfrontation (sjónhverfing, bragð) weckt Assoziationen zur Darstellung von Magie in der Bibel:170 Politische und religiöse 167
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‚Er bewohnt die Stelle, die Breiðablik heißt und bereits genannt wurde: sie ist im Himmel‘; RTW formuliert weniger betont: hann byr þar sem heitir Breiðablik; þat er ahimni. ‚Die Philosophen sagen, dass es nur einen Gott gibt. Dieser aber wird unter verschiedenen Namen angerufen‘ (zitiert nach von See 1999b, S. 289 f.). Andere Meinung vertrat indessen Klaus von See selbst: „Den Polytheismus auf mehr oder minder gewalttätige Weise unter die Theorie der ‚natürlichen Religion‘ zu zwingen, wäre beim erzählerisch üppigen Gylfaginning-Mythos von vornherein ausgeschlossen gewesen. In Wahrheit findet sich ja auch nirgendwo in der Gylfaginning eine Andeutung, daß Snorri die altnordischen Götter […] für Verkörperungen verschiedener Funktionen eines einzigen Gottes, des Christengottes oder des ‚Lenkergottes‘ der ‚natürlichen Religion‘, gehalten habe“ (ebd.). Diese These ist doch von textlicher Seite nicht haltbar, davon zeugt Snorris Gebrauch sowohl von kraptr als auch stýrandi (vgl. Kap. 4.3.4.1). ‚Gylfi schien keine Kraft zu haben, sich den Asen zu widersetzen.‘ Vgl. Kap. 4.6.
Göttliche Macht – kraptr
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Konflikte werden im Alten Testament oft als Kräftemessen zwischen Zauberkundigen dargestellt – es dominiert diejenige Seite, deren Gott sich als mächtiger erweist.171 Ähnliches Verständnis wird Snorri der Auseinandersetzung Gylfis mit den irdischen Asen zugrunde gelegt haben, wie er sie in der Ynglinga saga schildert: Die Asen repräsentierten den Beginn einer neuen Religion, die sich behaupten konnte dank des kraptr, jener göttlichen Allmacht, die die menschlichen Asen (in paganen Grenzen) besser für sich zu nutzen wussten als andere Menschen. Óðinn vissi um alt jarðfé, hvar fólgit var, ok hann kunni þau ljóð, er upp lauksk fyrir honum jo˛ rðin ok bjo˛ rg ok steinar ok haugarnir, ok batt hann með orðum einum þá, er fyrir bjoggu, ok gekk inn ok tók þar slíkt, er hann vildi. Af þessum kro˛ ptum varð hann mjo˛k frægr. Óvinir hans óttuðusk hann, en vinir hans treystusk honum ok trúðu á krapt hans ok á sjálfan hann.172
In dieser Aussage (c. 7) wird kraptr abermals mit Zauberkraft in Relation gesetzt: Der irdische Óðinn kannte Zaubersprüche, die ihm großen Reichtum einbrachten. Interessant ist die Entwicklung des kraptr-Motivs: Die Fähigkeiten der menschlichen Asen schildert Snorri im Plural (af þessum kro˛ ptum). Der einst singuläre göttliche kraptr, der in paganer Sicht eine Aufspaltung auf den göttlichen Óðinn und die Seinen erfahren hat, tritt auch auf der Erde in pluraler Form in Erscheinung, als menschliche íþróttir:173 allar þessar íþróttir kenndi hann með rúnum ok ljóðum þeim, er galdrar heita.174 Die irdischen Asen besaßen als Repräsentanten ihrer Götter exzeptionelle Begabung (wie etwa Petrus auch mit Hilfe eines göttlichen kraptr wirken konnte (s.o.)) – zu diesen zählte Snorri für vorchristliche Zeit vor allem die Magie –, aber diese Stellvertreterfunktion implizierte keine Gleichsetzung: Der kraptr der göttlichen Asen wird von Snorri konsequent zu irdischen íþróttir umgedeutet. Diese Trennung menschlicher und göttlicher Asen hält er in seinem Werk strikt aufrecht, ihr Verhältnis zueinander ist ebenfalls analog.
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Erinnert sei etwa an die Auseinandersetzung von Moses und Aaron mit dem Pharao und dessen Zauberern (2. Mos 3 ff.). ‚Óðinn wusste von allen Bodenschätzen, wo sie verborgen waren, und er beherrschte Lieder, die ihm die Erde öffneten, Berge und Steine, Hügel, und allein mit Worten bannte er diejenigen, die dort vorher gehaust hatten, ging hinein und nahm alles, was er wollte. Durch diese übernatürlichen Kräfte wurde er sehr berühmt; seine Feinde fürchteten ihn, aber seine Freunde vertrauten auf ihn, glaubten an seine Macht und an ihn selbst.‘ Vgl. Kap. 4.3.4.2. ‚Alle diese Fähigkeiten vollzog er durch geheimes Wissen und solche Lieder, die Zauberlieder heißen.‘
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Lexematische Analyse
Bei der Etablierung des nordischen Polytheismus kam den irdischen Asen aber nach Snorris Konzept entscheidende Bedeutung zu, denn allmählich verschmolzen Asengötter und -menschen im Bewusstsein der Bevölkerung Skandinaviens. Die Beschränkung paganer Erkenntnismöglichkeit führte daher in einem nächsten Schritt dazu, dass asische íþróttir von anderen Menschen als göttliche Macht fehlgedeutet wurden, sva at þeir þottv likari goþvm en monnvm, sodass sie eher Göttern als Menschen glichen, so formuliert auch der Formáli. Im weiteren Verlauf der Erzählung wechselt Snorri daher zurück zum Singular kraptr, der auch die Götterschau der Gylfaginning bestimmte: vinir hans treystusk honum ok trúðu á krapt hans ok á sjálfan hann. Diesen kraptr kombiniert er mit dem bedeutungsstarken Verbum trúa á:175 Óðinns Anhänger glaubten auch an diesen selbst. Die irdischen íþróttir der Asen werden somit nach Snorris Ausführung von den Vorchristen nicht, wie vom christlichen Publikum, als Analogon eines göttlichen kraptr erkannt – sie wurden mit diesem gleichgesetzt: Niemand bezweifelte, was die irdischen Asen einst bezweckten, at allir væri einir. Die Fähigkeiten der Asen werden zum Beweis ihrer Göttlichkeit, die Menschen ko˛ lluðu goð sín ok trúðu á lengi síðan, sie nannten sie Götter und glaubten lange an sie (c. 7) – abermals der Rekurs auf die abschließende Formulierung der Gylfaginning (langar stundir). Solches Verständnis findet sich auch im Neuen Testament formuliert: hoc fecit initium signorum Iesus in Cana Galilaeae et manifestavit gloriam suam et crediderunt in eum discipuli eius176 – Jesu Macht manifestiert sich in Zeichen (in einem ‚Wunder‘177), die für seine Anhänger zum Beweis seiner Göttlichkeit werden: nisi signa et prodigia videritis non creditis,178 spricht Jesus selbst, und Petrus bezeichnet ihn an anderer Stelle mit den Worten: virum adprobatum a Deo in vobis virtutibus et prodigiis et signis quae fecit per illum Deus in medio vestri.179 Charakteristisch ist vor allem letzterer Beleg: virtus ist eine von Gott verliehene Fähigkeit, die aber durch einen besonderen Menschen zum Einsatz kommen kann – die Übereinstimmung mit Snorris kraptrKonzept ist augenfällig.
175 176
177 178
179
Vgl. Kap. 4.4. Joh 2,11 (‚das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn‘). Vgl. auch Kap. 4.6.1. Joh 4,48 (‚wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht‘); vgl. Hooker 2000, Sp. 949. Apg 2,22 (‚Jesus von Nazareth, von Gott unter euch ausgewiesen durch Taten und Wunder und Zeichen, die Gott durch ihn in eurer Mitte getan hat‘).
Göttliche Macht – kraptr
137
Die Identifikation von göttlichem und irdischem Óðinn führt im weiteren Verlauf der Erzählung dazu, dass viele Attribute des Gottes Óðinn auf seinen menschlichen Repräsentanten übergehen: Seine Fähigkeit die Gestalt zu wandeln, die Gespräche mit Mimirs Haupt, die beiden Raben und weiteres mehr. Hier erfolgt wiederum Verflechtung mit mythischer Erzählung, wie im Falle Ymirs.180 Aber, wie nur wenig später (c. 10) berichtet wird: Das Lebensalter des menschlichen Óðinn war nach irdischem Maßstab gesetzt, und er starb nicht im Kampf, sondern an Krankheit im Bett (sóttdauðr); nach damaligem Verständnis ein unrühmlicher Tod,181 ein Kontrast zum Gott Óðinn, der erst in der nordischen Apokalypse, Ragnaro˛ k, kämpfend sein Ende finden wird. Unüberbrückbare Differenzen zwischen irdischen und göttlichen Asen betont Snorri auch in diesem Punkt: Der kraptr des menschlichen Óðinn mag der Macht des Asengottes einst noch so ähnlich erschienen sein – der Mensch muss bald den Weg eines Sterblichen gehen. Der Gott Óðinn hingegen lebt nach paganer Vorstellung Äonen; schon in zeitlicher Hinsicht öffnet sich eine unüberwindbare Kluft. Irdischer und göttlicher Óðinn stehen in einem analogen Verhältnis zueinander, wie auch letzterer nur analog zum Christengott zu verstehen ist; Snorris Analogiekonzept umspannt zwei Ebenen. Der Asenglauben endet aber nach diesem Konzept nicht mit dem Tod des Stifters, im Gegenteil – noch auf dem Totenbett hält der Mensch Óðinn an seiner Repräsentantenrolle fest und verkündet, er würde nun nach goðheim zurückkehren. Die Konsequenz (c. 9): nú hugðu Svíar, at hann væri kominn í inn forna Ásgarð ok mundi þar lifa at eilífu. Hófsk þá at nýju átrúnaðr við Óðin ok áheit.182 Consummatum est,183 sind (nach Johannes) Jesu 180
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183
Annette Lassens Versuch, diese Fähigkeiten Óðinns als reines Teufelswerk zu deuten, kann nicht überzeugen: „Selvom det aldrig bliver sagt direkt må disse egenskaber hos Odin have haft stærke antikristne konnotationer i middelalderen“ (Lassen 2010, S. 228 (‚auch wenn es nie direkt gesagt wird, so werden diese Eigenschaften Óðinns im Mittelalter doch stark antichristlich konnotiert gewesen sein‘)). Der Großteil der geschilderten Fähigkeiten Óðinns ist aber keine Erfindung des Christen Snorri, sondern bereits in eddischer Dichtung, vor allem der Vo˛ luspá, überliefert. Und die von Lassen negativ gedeutete Erweckung von Toten wurde in ähnlicher Form auch Jesus Christus zugesprochen – die Perspektive entscheidet über die Wertung. Snorri selbst führt in Kapitel 21 der Gylfaginning zu Hel aus: hon skylldi skipta vistvm með þeim er til hennar koma. en þat ero sottdavþir menn ok elli davþir (‚sie sollte die Unterkunft teilen mit denen, die zu ihr kommen, aber das sind die an Krankheit und Alter Gestorbenen‘). ‚Nun glaubten die Svíar, dass er in den alten Ásgarðr gekommen sei und dort ewig lebe. Da erhoben sich der Glaube an Óðinn und seine Anrufung erneut.‘ Joh 19,30.
138
Lexematische Analyse
letzten Worte – seine Aufgabe auf Erden ist erfüllt. Auch die irdischen Asen hatten ihre Funktion in Snorris Darstellung erfüllt: Sie waren zum Religionsbringer des vorchristlichen Nordens geworden und für eine lange Zeit zweifelte niemand an ihnen. 4.3.4. Weiterführende Untersuchungen 4.3.4.1. stýra und stýrandi In der Gylfaginning gebraucht Snorri im Rahmen der kraptr-Vorstellung mehrfach das Verbum stýra, bzw. das Deverbativum stýrandi (m.). Bereits in den 1960er Jahren merkte Heinrich Beck an: „Wir können stýra geradezu als terminus technicus für das göttliche Führen und Leiten ansehen.“184 Anne Holtsmark verwies zeitgleich darauf, stýrandi sei in der hochmittelalterlichen geistlichen Literatur gebräuchlich und im Besonderen die PartizipPräsens-Konstruktion zum gelehrten Stil zu rechnen;185 ein almáttegr guþ allrar skepno skapere oc allrar stýraNde ließe sich anführen,186 aber auch die von Snorri in den Skáldskaparmál notierte Christus-Kenning stýrandi heims ok híminrikis.187 Zahlreich Verwendung findet in den nordischen Homilien das zugehörige Verbum stýra: sva stýrer oc o˛ synelegr guþs móttr aollom synelegom hlutom; sva kom cristr […] til heims þessa at stýra heime þessom; ec true þat at hann er i himna dýrþ stýrande skepno siNe meþ guþe almótkom feþr; þa keomr oc ríke goþs til vár es hann stýrer oc ræþr aollom hag órom oc athofnom eftser vilia sínom.188 Die Beispiele sollen genügen. Snorris Verknüpfung von stýra mit kraptr ist angesichts dieser Quellenlage signifikant, muss als weiteres Indiz für sein analogisches Verständnis solch göttlicher Macht gelten.
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Beck 1964, S. 32. Holtsmark 1964, S. 25. Homiliu-Bók. Isländska Homilier efter en handskrift från tolfte århundradet (hrsg. von Theodor Wisén), S. 43 (‚der allmächtige Gott, der Schöpfer und Lenker aller Geschöpfe‘). Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson), S. 158. Homiliu-Bók. Isländska Homilier efter en handskrift från tolfte århundradet (hrsg. von Theodor Wisén), S. 38 (‚so lenkt auch Gottes unsichtbare Macht alle sichtbaren Dinge‘); S. 46 (‚dann kam Christus auf diese Welt, um diese Welt zu regieren‘); S. 146 (‚ich glaube das, dass er in himmlischer Herrlichkeit ist, seine Geschöpfe lenkend mit Gott, dem allmächtigen Vater‘); S. 197 (‚dann kommt Gottes Reich zu uns, wo er alle unsere Angelegenheiten und Vorhaben nach seinem Willen lenkt und regiert‘).
Göttliche Macht – kraptr
Form. U
Sa þeir þat at oiafn var gangr himintvngla. Svm gengv lengra en svm. þat grvnaþi þa at nockvrr mvndi þeim styra. ok mvndi sa vera rikr.
U c. 8
Ok með krapti þeim er styrþi varþ manz likindi a. Ok þat ætlvm ver segir har at sa oþinn ok hans breþr mvno vera styrandi heims ok iarþar.189 Óðinn átti tvá brœðr. Hét annarr Vé, en annarr Vilir. Þeir brœðr hans stýrðu ríkinu, þá er hann var í brottu.
U c. 9
Yng. c. 3
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‚Sie sahen, dass der Lauf der Gestirne unregelmäßig war, einige hatten längere Laufzeiten als andere. Sie vermuteten, das jemand sie lenken würde, und dieser müsste mächtig sein.‘ ‚Und durch die Kraft, die lenkte, entstand eine Menschengestalt.‘ ‚Und das glauben wir, sagt Hár, dass dieser Óðinn und seine Brüder Lenker der Welt und der Erde sein werden.‘ ‚Óðinn hatte zwei Brüder, der eine hieß Vé, der andere Vili; seine Brüder regierten das Reich, wenn er unterwegs war.‘
Mit der Aussage með krapti þeim er styrþi legt Snorri in Kapitel 8 die Grundlage seiner folgenden Ausführungen, das wurde behandelt: Im so genannten ‚Glaubensbekenntnis‘ von Hár (sa oþinn ok hans breþr mvno vera styrandi heims ok iarþar) erscheint der einst unbekannte göttliche kraptr bereits nach nordischem Verständnis geprägt, wenn Óðinn und seine Brüder als Herrscher der Welt (stýrandi) präsentiert werden. Der Benennung des höchsten Herrschers kommt Bedeutung zu: ‚Wer den Namen hat, hat daher auch den Gott‘: Diese Einschätzung bezüglich des griechisch-ägyptischen Offenbarungszaubers zeigt, daß es eigentlich nicht um den offenkundigen, sondern um den ‚wahren‘ Namen Gottes geht; dabei gab es ‚selbst unter diesen echten, authentischen Namen noch Abstufungen ihrer Kraft und Wirksamkeit‘. […] Ein solch göttlicher Name war geheim, ihn offenbarten etwa die Götter und Dämonen ihren Lieblingen in Halluzinationen und Visionen.190
189
190
Im Vergleich zu den anderen Handschriften fällt auf, dass U nicht trúa gebraucht; synonyme Bedeutung von trúa und ætla hat die Forschung nicht angezweifelt (vgl. etwa Marold 1998a, S. 156). Das ist im vorliegenden Kontext plausibel, doch bieten Formáli und Gylfaginning auch Belege für distinktive Nutzung. Abweichend formuliert RTW zudem himins ok iarþar (‚des Himmels und der Erde‘); hier wird in U weniger eine ‚Paganisierung‘ des Textes vorliegen, wie Annette Lassen jüngst vermutete (Lassen 2011, S. 298), vielmehr ein Schreibfehler, bedingt durch orthographische Nähe von heim und himin. Auch im Folgenden scheint diese Stelle in U leicht verderbt. M. Schulz 2000, S. 179 ff.
140
Lexematische Analyse
Auch Gylfi wird der Name des ihm vorher unbekannten Gottes in einer Vision offenbart: Óðinn, so heißt der oberste Herrscher – die Macht dieses Namens erkennen auch die irdischen Asen, die ihn für ihren Führer übernehmen. Schon Hans Kuhn verstand den RTW-Zusatz sva heitir sa maðr, er ver vitvm mestan ok agæztan, ok vel megv þer hann lata sva heita191 als Hinweis auf eine Identifikation Óðinns mit Allvater (den er in enger Relation zum Christengott sah);192 aber auch ein Legitimationgedanke mag anklingen.193 Bemerkenswert an der Formulierung ist der Gebrauch der Singularform stýrandi. Edith Marold vermutete eine Vorlage im lateinischen regnator caeli et terrae: Die Stelle der Gleichsetzung von Óðinn und seinen Brüdern mit dem stýrandi himins ok jarðar ist damit der Punkt, wo der philosophische, allgemeine Gottesbegriff und die Mythologie zusammengefügt werde.194
Der Formáli berichtet: sa þeir þat at oiafn var gangr himintvngla. svm gengv lengra en svm. þat grvnaþi þa at nockvrr mvndi þeim styra. ok mvndi sa vera rikr – vernunftbasierte Gotteserkenntnis erschloss einen singulären Lenker, den Snorri in der Gylfaginning zunächst als Allvater präsentiert. Der Übergang zur Mythologie findet sich in der Schöpfung von Ymir angedeutet (c. 8), schreitet in der Identifikation des stýrandi mit Óðinn und seinen Brüdern voran (c. 9) und mündet schließlich nach Präsentation wichtiger Asengötter in der Zuschreibung des kraptr an dieses Pantheon (c. 19). Die Ynglinga saga führt das Konzept fort, wenn Snorri in Kapitel 3 ausführt: Óðinn átti tvá brœðr. Hét annarr Vé, en annarr Vilir. Þeir brœðr hans stýrðu ríkinu, þá er hann var í brottu – die Reminiszenz an Hárs Aussage oþinn ok hans breþr mvno vera styrandi heims ok iarþar: In der Götterwelt regieren Óðinn und seine Brüder, auf Erden aber haben ihre menschlichen Repräsentanten diese Funktion übernommen, gemäß der Analogie-Formel vera einir. 4.3.4.2. íþrótt Das Substantivum íþrótt (f.), ‚Fähigkeit, Fertigkeit‘, (Kompositum zum Simplex þrótt, ‚Kraft‘)195 findet in der norrönen Überlieferung zahlreich
191
192 193 194 195
‚So heißt der Mann, den wir als den Größten und Berühmtesten kennen, und wohl dürft ihr ihn so heißen lassen.‘ Kuhn 1942, S. 163 f. Vgl. Kap. 4.6.2. Marold 1998a, S. 157. Vgl. aber auch Altnordisches etymologisches Wörterbuch, s.v. íþrótt.
Göttliche Macht – kraptr
141
Verwendung und deckt ein breites semantischen Feld ab, dessen Grenzen nicht scharf zu ziehen sind. Die Konungs skuggsiá leitet ein mit den Worten: eg hug vmm leidda allar jþrottir firi auga hugar og rannsakadi eg med athygli alla sidu huerrar jþrottar 196 – der erfolgreiche Herrscher, so der Gedanke, muss in einer Vielzahl an Künsten bewandert sein. Auch Snorri verband mit íþrótt offensichtlich spezielle, über das normale Maß hinausgehende Fähigkeiten. U c. 28
Viþ hverivm iþrottvm ero þer bvnir felagar. engi mvn sa með oss vera er eigi kvnni nockvrvrar iþrotir.
Yng. c. 6
Er þat sagt með sannendum, at þeir [d.i. die irdischen Asen] hófu ok kendu íþróttir þær, er menn hafa lengi síðan með farit.
‚Zu welchen Kunstfertigkeiten seid ihr bereit, Kameraden? Keinesfalls darf jemand bei uns sein, der nicht irgendwelche Fähigkeiten besitzt.‘ ‚Das wird als wahr erzählt, dass die irdischen Asen die Künste etablierten und verbreiteten, mit denen die Menschen danach lange Zeit umgingen.‘
Die Bedeutung von íþróttir dokumentiert die Gylfaginning, wenn die Fähigkeiten von Þórr und seinen Begleitern obligatorisch für ihr Verweilen unter den stórar menn, den Riesen, sind: engi mvn sa með oss vera er eigi kvnni nockvrvrar iþrotir. In der Ynglinga saga spricht Snorri von den íþróttir des menschlichen Óðinn, irdische Manifestation eines göttlichen kraptr (s.o.). In der Óláfs saga Tryggvasonar bemerkt er im Kapitel frá íþróttum Óláfs konungs (c. 85):197 Óláfr konungr var mestr íþróttamaðr í Nóregi, þeira er menn hafa frá sagt, um alla hluti.198 In der folgenden Saga Óláfs hins helga findet sich nach gleichem Schema frá íþróttum Óláfs (c. 3): Óláfr var íþróttamaðr mikill um marga hluti.199 Die Fähigkeiten des irdischen Óðinn (frá íþróttum Óðins) sind in der Reihe dieser bedeutsamen Regenten zu sehen, als vergleichbare Auszeichnung zu verstehen – doch Óðinn lebte in einer Vorzeit, in der auch die Kunst des fjo˛ lkyngi, die Zauberkunst, noch als hervorragendes Merkmal eines Herrschers gelten konnte.200 Besonders
196
197 198
199 200
Konungs skuggsiá (hrsg. von Ludvig Holm-Olsen), S. 1 (‚ich achtete auf alle Künste vor dem geistigen Auge und erforschte mit Achtsamkeit alle Seiten jeder dieser Künste‘). Die Rubriken sind nicht in allen Handschriftenfassungen überliefert. ‚König Óláfr war in allen Dingen der herausragendste Könner, von denen Männer erzählt haben.‘ ‚Óláfr war ein großer Könner in vielen Dingen.‘ Vgl. Kap. 4.6.2.
142
Lexematische Analyse
für den Norden Europas betont Snorri die Relevanz dieser asischen Künste (Yng. c. 6): Þá er Ása-Óðinn kom á Norðrlo˛ nd ok með honum díar, er þat sagt með sannendum, at þeir hófu ok kendu íþróttir þær, er menn hafa lengi síðan með farit. Óðinn var go˛ fgastr af o˛ llum, ok af honum námu þeir allir íþróttirnar, því at hann kunni fyrst allar ok þó flestar. 201
Snorri konkretisiert diese Fähigkeiten im Folgenden und zögert schließlich nicht, den magischen Künsten auch die von ihm selbst praktizierte Skaldenkunst an die Seite zu stellen: mælti hann [d.i. Óðinn] alt hendingum, svá sem nú er þat kveðit, er skáldskapr heitir. Hann ok hofgoðar hans heita ljóðasmiðir, því at sú íþrótt hófsk af þeim í Norðrlo˛ ndum.202
4.4. Eine Frage des Glaubens – trúa 4.4.1. Vorbemerkungen Der Glaube an den offenbarten Gott ist Grundstein des Christentums; er basiert auf vertrauender Gewissheit, nicht auf sinnlicher Wahrnehmung oder Berechnung: est autem fides sperandorum substantia rerum argumentum non parentum.203 Das Wissen um offenbarte Glaubensinhalte soll zum per201
202
203
‚Als Asenóðinn in den Norden kam und mit ihm die Díar, da wird das als wahr erzählt, dass die irdischen Asen die Künste etablierten und verbreiteten, mit denen die Menschen danach lange Zeit umgingen. Óðinn war der hervorragendste von allen und durch ihn lernten sie alle Künste; denn er konnte als erster alle und außerdem die meisten.‘ Bjarni Aðalbjarnarson merkte an: „Í orðunum ok þó flestar mætti felast, að Óðinn kynni íþróttir, sem hann kenndi engum“ (‚hinter den Worten ok þó flestar könnte stecken, dass Óðinn Künste beherrschte, die er niemanden lehrte‘ (Snorri Sturluson. Heimskringla (hrsg. von Bjarni Aðalbjarnason), Bd. 1, S. 17)). ‚Óðinn sprach alles in Reimen, so, wie nun das gesprochen wird, was Skaldenkunst heißt. Er und seine Opferpriester heißen Liedermacher, weil diese Kunst von ihnen in den Nordlanden etabliert wurde.‘ Klaus von See interpretierte diese Aussage im Rahmen seiner ‚Sonderkultur‘-These dahingehend, Snorri habe die Künste nicht als importiert, sondern als erst im Norden kreiert verstanden (von See 1999d, S. 347). Grundbedeutung von hefja ist ‚heben‘, auch im Sinne von ‚erhöhen‘ oder ‚in eine bessere Stellung bringen‘. Snorris Feststellung ist wohl dahingehend zu verstehen, dass die Asen die Künste im Norden lehrten; das muss indessen nicht implizieren, dass diese erst dort geschaffen wurden (vgl. auch Beck 2005, S. 137). Heb 11,1 (‚es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht‘). Walter Baetke vertrat die These, aus Edda- und Sagaüberlieferung ließe sich ein vergleichbares Bild auch des ‚germanischen Gottglaubens‘ entwickeln: „Sie erweisen ein durchaus persönliches Verhältnis zwischen Gott und Mensch, das durch Vertrauen gekennzeichnet ist. Der
Eine Frage des Glaubens – trúa
143
sönlichen Glaubensakt führen; das Vermitteln solchen Wissens erfolgt auf Grundlage der Bibel. Eine kausale Verbindung von Wissen (fróðleikr (m.)) und Glaube (trúa (f.)) thematisiert Snorri in seinem Werk und gibt damit Auskunft über seine Vorstellung von Glaubenskonstituierung in vorchristlicher Zeit. Die in der Forschung diskutierte Frage nach dem Verhältnis von profanem und religiösem Vertrauen in paganer Zeit stellt sich für Snorri ebenso wenig, wie eine neuzeitliche Problematisierung der Relation von Glaube und Religion zu diskutieren ist.204 Zwar verortete Snorri die Inhalte von Gylfaginning und Ynglinga saga in vorchristlicher Epoche, doch konstruierte er retrospektiv aus dem christlichen Hochmittelalter heraus. Helge Ljundbergs Feststellung zum Substantivum trúa kann daher diesen Umstand nur bekräftigen: Trúa skiftade radikalt karaktär med kristendomens införande. Under förkristen tid stod ordet som term för ett rent jordiskt tillitsförhållande. Efter kristendomens införande blev ordet mer vanligt och användes som centralbegrepp för religion, särskilt kristendomen.205
Trúa war zu Snorris Zeit etablierter Bestandteil christlich-religiösen Wortschatzes, das dokumentieren zahlreiche Belege aus zeitnahen geistlichen Texten: trúa (Substantivum/Verbum) und trú dienen der Kennzeichnung des Glaubens an Gott – das impliziert einen Vertrauensaspekt. Auffällig ist die häufige Kombination mit der Präposition á (s.u.) oder dem Verbum iáta. Wenn Snorri in grundlegenden Abschnitten seines Werks den Glauben an die Asengötter unter eben dieser Terminologie präsentierte, wenn er der Dreiheit gar Reflexion im Bezug auf pagane Glaubensinhalte zuge-
204
205
germanische Machtglaube ist Vertrauen auf die mächtige Hilfe der Gottheit. Das schließt ein, daß die Götter nicht als unpersönliche Kräfte, sondern als Personen gefaßt wurden“ (Baetke 1934, S. 43). Vgl. etwa Deutsches Wörterbuch, s.v. glauben und Glaube; Maier 1998b, S. 186 f. Vgl. auch FN 238. Ljungberg 1947, S. 165 (‚trúa wechselte mit Einführung des Christentums radikal den Charakter. In vorchristlicher Zeit stand das Wort als Terminus für ein rein irdisches Vertrauensverhältnis. Nach Einführung des Christentums wurde das Wort gebräuchlicher und als zentraler Begriff für Religion, besonders das Christentum, verwendet‘). Vgl. auch Meid 1991, S. 504 f.: „Dieses sehr persönliche Verhältnis Gott – Mensch wird verstanden als ein auf Gegenseitigkeit gegründetes Treuebündnis, ganz analog dem von Herrn und Gefolgsmann auf menschlicher Ebene […]. ‚Treu und Glauben‛ ist auch sprachlich der Ausdruck dieses Verhältnisses, insofern als im Altnordischen trúa ‚trauen‘ = ‚das Vertrauen setzen in‘ der Ausdruck dieser sehr persönlichen Beziehung des Menschen zu ‚seinem‘ Gott, den er sich zum Freund und Vertrauten (fulltrúi) erwählt hatte, war.“ Vgl. auch Walter 1976, S. 54.
144
Lexematische Analyse
stand, dann ist dahinter gesuchte Analogie zum christlichen Glauben zu vermuten.206 U c. 8 U c. 8
Trvi þer hann Gvþ vera. Eigi trvvm ver hann guþ illr var hann ok hans ættmenn þat ero hrimþvssar.
U c. 10
Hvat havfþoz þa bvrs synir at er þv trvir Gvð vera.
U c. 17
Hverir ero æsir þeir er monnvm er skyllt at trva á.
Yng. c. 2
Ok svá kom, at hans menn trúðu því, at hann ætti heimilan sigr í hverri orrostu. […] Trúðu þeir, at þá mundi þeim vel farask. En vinir hans treystusk honum ok trúðu á krapt hans ok á sjálfan hann. Oðin ok þá ho˛ fðingja tólf blótuðu menn ok ko˛ lluðu goð sín ok trúðu á lengi síðan.
Yng. c. 7
Yng. c. 7
‚Glaubt ihr, er sei ein Gott?‘ ‚Keinesfalls glauben wir, dass er ein Gott ist. Er war böse und auch seine Nachkommen, das sind die Reifriesen.‘ ‚Was taten da Burs Söhne, von denen du glaubst, dass sie Gott/ Götter sind?‘ ‚Wer sind die Asen, an die die Menschen zu glauben verpflichtet sind?‘ ‚Und so kam es, dass seine Männer glaubten, dass er den sicheren Sieg in jedem Kampf hätte. […] Sie glaubten, dass es ihnen dann gut ergehen würde.‘ ‚Aber seine Freunde vertrauten ihm, glaubten an seine Kraft und an ihn selbst.‘ ‚Óðinn und den zwölf Häuptlingen opferten die Menschen, nannten sie ihre Götter und glaubten lange Zeit an sie.‘
4.4.2. Gylfaginning In Kapitel 8 der U-Gylfaginning fragt Gylfi die Dreiheit, ob sie Ymir für einen Gott halte: trvi þer hann Gvþ vera.207 Anne Holtsmark sah darin ihre These gestützt, der Asenglaube sei ein „bekjennelse til djevelen“,208 ein Bekenntnis zum Teufel: Snorri habe das Verbum trúa kontrastiv gebraucht,
206
207 208
Vgl. auch Ljundberg 1947, S. 165: „Då det [d.i. trúa] förekommer i religiös betydelse är det som uttryck för författarens inställning“ (‚wo trúa in religiöser Bedeutung vorkommt, ist es Ausdruck der Einstellung des Verfassers‘); Maier 1998b, S. 187 f.: „Die große Bedeutung, die einige altnordische Literatur-Werke dem heidnischen ‚Glauben‘ zusprechen, beruht zu einem guten Teil auf der Rückprojektion christlichen Gedankenguts in die vorchristliche Vergangenheit.“ Vgl. Kap. 4.4.4.1. Holtsmark 1964, S. 17.
Eine Frage des Glaubens – trúa
145
könne es als Ausdruck des christlich-religiösen Bereichs doch in nichtchristlichem Umfeld nur ironisch verstanden werden. Dieser These widerspricht indessen schon ein inhaltliches Detail – auf Gylfis Frage, ob Ymir ein Gott sei, antwortet die Dreiheit, gerade dies glaube sie nicht: eigi trvvm ver hann guþ illr var hann ok hans ættmenn þat ero hrimþvssar. Die Platzierung der Wörter eigi und illr im Vorfeld des Satzes bedingt scharfe Distanz zu den Reifriesen: Auch wenn diese älter sein mögen als die nordischen Götter, so sind sie doch böse und sicherlich keine Götter, an die man glauben dürfte! Gylfis Funktion ist auch an dieser Stelle evident: In seinen Fragen schwingt Provokation mit, die Dreiheit gerät in Bedrängnis, ist gezwungen, sich zu rechtfertigten und mit den eigenen Aussagen auseinanderzusetzen: Wer darf nach asischem Verständnis überhaupt als Gott bezeichnet werden und was taten diese angeblichen Götter denn, das sie als solche auszeichnet? Gylfi ist kein ‚Feld-und-Wiesen-Heide‘ der im Streben nach Macht gedankenlos wird; seinen Verstand setzt er ein, beweist sich als fróðr maðr,209 lotet die Grenzen der paganen Erkenntnis aus – und damit Vorzüge und Nachteile des neuen Asenglaubens. Im vorliegenden Fall erklärt dies die energische Antwort der Dreiheit. An diese erste Erwähnung von trúa knüpft folgendes Kapitel 10 konsequent an: hvat havfþoz þa bvrs synir at er þv trvir Gvð vera,210 fragt Gylfi; die AcI-Konstruktion hebt den Bezug zum religiösen Bereich hervor, wie Helge Ljundberg zeigen konnte.211 Gylfis Frage rekurriert auf Hárs Bekenntnis: ok þat ætlvm ver […] at sa oþinn ok hans breþr mvno vera styrandi heims ok iarþar 212 – Óðinn und seine Brüder werden als Lenker der Welt, als stýrandi, identifiziert.213 Doch Gylfi ist weiterhin skeptisch (man beachte das distanzierende Pronomen þú, ähnlich dem er in Kapitel 8), sodass Hár zu Óðinns Taten in fast ehrwürdigem Ton anmerkt: eigi er þat litið.214 Im Vorfeld platziertes eigi lehnte Ymirs Einstufung als Gott strikt ab – die gleiche syntaktische Struktur dient nun dem Zweck, Bedeutung und Umfang der Göttertaten noch zu betonen. Von „en symmetriserende tendens“ in Snorris Werk sprach seinerzeit Hallvard Lie – hier kommt sie in
209 210 211
212
213 214
Vgl. Kap. 4.4.4.2. ‚Was taten da Burs Söhne, von denen du glaubst, dass sie Gott/Götter sind?‘ Vgl. Ljungberg 1947, S. 168 f. Vgl. z.B. auch Isländska Handskriften No. 645 4to i (hrsg. von Ludvig Larsson), S. 128: ef þv truer chriſtum vera ſaNan Guþs son (‚wenn Du glaubst, dass Christus Gottes wahrer Sohn ist‘). ‚Und das glauben wir, dass dieser Óðinn und seine Brüder die Lenker der Welt und der Erde sein werden.‘ Vgl. FN 189. Vgl. Kap. 4.3.4.1. ‚Nicht wenig ist das.‘
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Lexematische Analyse
meisterlicher Form zum Ausdruck.215 Ironie liegt Snorri dabei fern, beide Fragen sind logische Konsequenz der Erzählung von Hár. Im weiteren Gesprächsverlauf will Gylfi mehr über einzelne Götter und ihren kraptr wissen (c. 17): hverir ero æsir þeir er monnvm er skyllt at trva á. Über das Substantivum menn schafft er abermals Distanz – er schließt sich selbst ebenso wenig in diese Bemerkung ein, wie in vorangegangenen Kapiteln (s.o.). Trúa wird hier mit der Präposition á verbunden; in den Bragaræður von RTW findet sich die Aussage: eigi skvlo kristnir menn trva aheiþin goð 216 – trúa á bezieht sich dort auf Christen, die ihren Glauben nicht in pagane Götter setzen sollen. Die Durchsicht der Listen von Larsson und Holtsmark ergibt über 50 Belegstellen, an denen trúa mit der Präposition á verknüpft wird, meist in direkter Verbindung mit Christus oder Gott.217 Mehr noch als trúa mit AcI ist das präpositionale Syntagma trúa á als Ausdruck religiösen Glaubens zu verstehen, gebildet erst in christlicher Zeit.218 Ironischer Kontrast, wie Anne Holtsmark ihn postulierte, wird nirgends greifbar, darauf wurde verwiesen. Auch Gottfried Lorenz’ Annahme, trúa á sei allein „eine Floskel des neuen, modernen Sprachgebrauchs“,219 greift zu kurz. Der vorchristliche Glaube weist Relationen zum christlichen Glauben auf; die Menschen glaubten daran, dass Óðinn und seine Brüder (die Asengötter) die Welt erschaffen hatten – sie wurden als stýrandi identifiziert. Doch auch die Vorchristen kannten nach Snorris Vorstellung Dämonen, deren Verehrung strikt abzulehnen war, setzten sich auseinander mit Glaubensinhalten – denn der Glaube durfte sich nur auf legitime Götter beziehen. Christliche und pagane Vorstellungen sind aber nicht deckungsgleich, der 215 216
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Lie 1937, S. 53 f. In U heißt es abweichend: en eigi skvlo cristnir menn trva ne a sannaz at sva havi verit (‚und Christen sollen nicht glauben oder bewahrheiten, dass es so gewesen ist‘) – diese Formulierung impliziert doch Ähnliches. Der früheste Beleg für trúa á stammt aus der Erfidrápa (ca. 1040): sumir trúðu á guð gumnar (‚einige Männer glaubten an Gott‘ (Strophe 22, zitiert nach Ljundberg 1947, S. 155)); vgl. auch Walter 1976, S. 53. Im Lexicon Poeticum finden sich vier weitere Belege für trúa á: trúa á guð (Geisli 14), á gram trúði (Grípisspá 47), trúði Óttar á ásynior (Hyndluljóð 10) und á sik þau trúðu (Sólarljóð 17); eine Sonderstellung nimmt letztes Beispiel ein, in dem vom ‚Glauben an sich selbst‘ die Rede ist (vgl. Weber 1981a). Helge Ljundbergs These, die Präposition á habe Distanz zwischen Gott und Mensch geschaffen, wie sie im christlichen Glauben angebracht sei, ist spekulativ (Ljundberg 1947, S. 168). Wahrscheinlicher ist ein Vorbild im lateinischen credere in (Walter 1976, S. 54). Snorri Sturluson, Gylfaginning (Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz), S. 287.
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vorchristliche Glaube bleibt mangels der letzten, christlichen Offenbarung unvollkommen. Die Vorstellung von Asengöttern entstammt letztlich temporärer irdischer Fehlinterpretation der wahren Gottesmacht – Snorri baut abermals einen analogen Bezug auf. 4.4.3. Ynglinga saga Der irdische Óðinn wird in der Ynglinga saga umfassend behandelt. Besonderes Gewicht legt Snorri auf die Präsentation der mannigfaltigen Fähigkeiten Óðinns; mit kraptr, fjo˛ lkyngi und íþrótt gebraucht er in der Beschreibung bedeutungsstarke Lexeme. In diesem Kontext ist mehrfach auch das Verbum trúa belegt. Óðinn var hermaðr mikill ok mjo˛ k víðfo˛ rull ok eignaðist mo˛ rg ríki. Hann var svá sigrsæll, at í hverri orrostu fekk hann gagn, ok svá kom, at hans menn trúðu því, at hann ætti heimilan sigr í hverri orrostu. Þat var háttr hans, ef hann sendi menn sína til orrostu, eða aðrar sendifarar, at hann lagði áðr hendr í ho˛ fuð þeim ok gaf þeim bjannak. Trúðu þeir, at þá mundi þeim vel farast. Svá var ok um hans menn, hvar sem þeir urðu í nauðum staddir á sjá eða landi, þá ko˛ lluðu þeir á nafn hans, ok þótti iafnan fá af því fró. Þar þóttust þeir eiga alt traust, er hann var. 220
Hier in Kapitel 2 wird mit trúa der Bereich eines profanen Vertrauensverhältnisses zwischen Herrscher und Gefolgsmann verlassen. Auffällig ist zunächst der Vorgang des Segnens (bjának) durch Auflegen der Hände auf den Kopf einer Person;221 für einen solchen Akt finden sich im Alten wie Neuen Testament zahlreiche Belege.222 Besonderen Status erhält Óðinn 220
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‚Óðinn war ein großer Krieger und sehr weit gereist und eroberte viele Reiche. Er hatte solches Kriegsglück, dass er in jedem Kampf den Sieg davontrug; und so kam es, dass seine Männer glaubten, dass er in jeder Schlacht den sicheren Sieg haben würde. Es war seine Angewohnheit, wenn er Männer in den Kampf oder auf andere Botenfahrten schickte, ihnen vorher die Hände auf den Kopf zu legen und sie zu segnen; sie glaubten, dass es ihnen dann gut ergehen würde. Es war auch üblich unter seinen Männern, wenn sie sich auf See oder an Land in Not befanden, seinen Namen anzurufen, und sie schienen sofort Hilfe dadurch zu erhalten; dort, wo er war, glaubten sie sich in völliger Sicherheit.‘ Das Verbum bjának ist ein Hapax legomenon, gebildet möglicherweise zu lateinischem benedictio (vgl. Helgi Guðmundsson 1997, S. 127 f.); vgl. auch Walter 1998, S. 290: „Die Nachbildung des christlichen Segens, speziell des Reisesegens, dessen Verwendung in der Regula S. Benedicti und in den Decreta pro Ordine S. Benedicti des Lanfranc (Texten, die im Norden bekannt waren) je ein besonderer Abschnitt gewidmet ist, ist deutlich; außerdem hat das dem Keltischen entlehnte Wort bjannak seinen Ursprung wohl in lateinischem benedictio.“ Etwa 1. Mos 48,14: qui extendens manum dextram posuit super caput Ephraim iunioris fratris sinistram autem super caput Manasse (‚aber Israel streckte seine
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auch durch den Umstand, dass Menschen in allen Gefahren seinen Namen anriefen (kalla á); Ernst Walter vermutete ein Vorbild in der alttestamentlichen Formel invocare nomen Domini.223 In Snorris Haralds saga Sigurðarsonar (c. 55) findet sich die vergleichbare Formulierung kalla á guð ok hinn helga Óláf konung.224 Die abschließende Bemerkung, in Óðinns Nähe sei völlige Sicherheit (alt traust) gegeben, reiht sich in diese Charakterisierung ein; ein interessanter Bezug findet sich im norwegischen Homilienbuch, wo es zum Heiligen Óláfr heißt: nu bryniaðe hann sic fyrst með hæilagre tru, en með traousti guðs þa lifði hann ser.225 Signifikante Konzentration christlich konnotierter Lexeme ist in dieser einleitenden Passage zu verzeichnen: Snorri versteht den irdischen Óðinn als bereits in die Nähe eines Gottes gerückt. Abermals wollte er über geistlichen Wortschatz offensichtlich einen Bezug zu christlichen Vorstellung eröffnen: Jesus gab als Christus anderen Menschen seinen Segen und stand ihnen auch in konkreten Notsituationen bei (man denke an die Stillung des Seesturms oder die Rettung des sinkenden Petrus) – nach Snorris Analogiethese konnte aber auch der irdische Óðinn für die Vorchristen eine vergleichbare Rolle einnehmen. Wohlgemerkt ist dieses Geschehen bezogen auf eine Zeit vor der asischen Wanderung in den Norden: Bereits in seiner ursprünglichen Heimat erfüllte Óðinn die Repräsentantenrolle, die er und die anderen menschlichen Asen nach der paganen Offenbarung, d.h. im Rahmenschluss der Gylfaginning, angestrebt hatten. Af þessum kro˛ ptum varð hann mjo˛ k frægr. Óvinir hans óttuðust hann, en vinir hans treystusk honum ok trúðu á krapt hans ok á sjálfan hann. En hann kendi flestar íþróttir sínar blótgoðunum. Váru þeir næst honum um allan fróðleik ok fjo˛ lkynngi. […] En Óðin ok þá ho˛ fðingja tólf blótuðu menn, ok ko˛ lluðu goð sín ok trúðu á lengi síðan.226
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rechte Hand aus und legte sie auf Ephraims, des Jüngeren, Haupt und seine linke auf Manasses Haupt‘); Mark 10,15 f.: quisque non receperit regnum Dei velut parvulus non intrabit in illud et conplexans eos et inponens manus super illos benedicebat eos (‚wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie‘). Walter 1998, S. 291. ‚Sie rufen Gott und den heiligen König Óláfr an.‘ Gammel Norsk Homiliebog (hrsg. von Carl Richard Unger), S. 148 (‚nun wappnete er sich zuerst mit dem heiligen Glauben und verbrachte dann sein Leben in Vertrauen auf Gott‘). ‚Durch diese Kräfte wurde er sehr berühmt; seine Feinde fürchteten ihn, aber seine Freunde vertrauten ihm, glaubten an seine Kraft und an ihn selbst. Und er lehrte die meisten seiner Fähigkeiten an die Opferpriester; sie standen ihm am nächsten
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Eine Konzentration semantisch interessanter Lexeme ist auch in Kapitel 7 (frá íþróttum Óðins) zu notieren: kraptr wurde behandelt,227 das zweifach gebrauchte trúa á verweist wie in der Gylfaginning in den religiösen Bereich. Es schien den Menschen, als offenbare sich in Óðinns Beistand das Walten göttlicher Kraft – deren Träger wurde Ziel eines verehrenden Glaubens: trúðu á krapt hans ok á sjálfan hann. Óðinns Fähigkeiten ließen diesen und die anderen irdischen Asen in den Augen ihrer Anhänger schließlich gar zu Göttern emporsteigen: ko˛ lluðu goð sín ok trúðu á lengi síðan. Verwiesen sei auf den Gebrauch des Verbums treysta: Nicht nur rekurriert es auf vorher Ausgeführtes (alt traust), sondern es bestätigt auch, dass das parallel verwendete trúa in Snorris Darstellung nicht im Sinne profanen ‚Vertrauens‘ verstanden werden kann, sondern darüber hinausführt. Das dokumentiert auch eine spätere Bemerkung zum Tod des irdischen Óðinn (c. 9): nú hugðu Svíar, at hann væri kominn í hinn forna Ásgarð ok mundi þar lifa at eilífu. Hófsk þá at nýju átrúnaðr við Óðin ok áheit.228 Der Glaube an Óðinn hält sich noch lange nach dessen Tod – abermals ein Verweis auf die langar stundir der Gylfaginning. Auch in der Ynglinga saga konstruiert Snorri über das Verbum trúa den analogen Bezug zwischen irdischen und göttlichen Asen; konsequent entfaltet er sein Konzept, in welcher Weise sich der Asenglauben einst im Norden manifestierte. Gerade in der Präsentation des menschlichen Óðinn, irdischer Stellvertreter eines Gottes, daher ausgestattet mit besonderen Fähigkeiten, kann aber zeitgleich Analogie zu neutestamentlicher Erzählung gesehen werden. 4.4.4. Weiterführende Untersuchungen 4.4.4.1. guð und goð Snorri bezeichnet die Asengötter in seiner Darstellung sowohl mit æsir als auch mit guð bzw. goð. In diesem Gebrauch ist jedoch keine konsequente Differenzierung zu belegen, auch nicht zwischen guð und goð; eine Auffälligkeit der Handschrift U ist hingegen zu verzeichnen (s.u.). Allein W
227 228
im Hinblick auf Wissen und Zauberkraft. […] Aber Óðinn und diesen zwölf Oberhäuptern opferten die Menschen, nannten sie ihre Götter und glaubten lange an sie.‘ Vgl. Kap. 4.3. ‚Nun glaubten die Svíar, dass er in den alten Ásgarðr gekommen sei und dort ewig leben würde. Da erhoben sich erneut der Glaube an Óðinn und seine Verehrung.‘
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Lexematische Analyse
verzichtet gänzlich auf goð, in den anderen Handschriften erscheint die Verteilung heterogen: Tabelle 3. Verwendung guð/goð
guð (m./n. sg.) guð (pl.) goð
U
R
T
W
3 34 16
3 19 33
3 60 3
3 49 –
Grammatikalisch sind mehrere Formen zu unterscheiden: guð findet sich als maskulines und neutrales Substantivum; die maskuline Form steht nur im Singular, die neutrale meist im Plural. Neutrales guð und goð bezeichnen ein Götterkollektiv; etymologisch repräsentiert dabei guð gegenüber goð die ältere Stufe: Erst nach seiner endgültigen christianisierung gibt auch der norden das alte neutrale geschlecht des wortes [d.i. guð] in den meisten gebieten auf und bildet in altschwedisch-altnorwegischen guðir einen maskulin plural für die heidnischen götter, doch bewahrt das isländische, unter zusätzlicher inanspruchnahme eines wechsels im stammvokal, in goð, n., für den heidnischen gott neben guð, m., für den christlichen das alte neutrum z. t. noch heute.229
Maskulines guð bezeichnet nach Grimms Einschätzung stets den christlichen Gott: Nur so vermochte es den einen christlichen gott (in der art eines eigennamens […]) zu bezeichnen, und nur so grenzte es ihn von den zunächst weiterhin neutral und vorwiegend pluralisch gebrauchten formen des wortes zur bezeichnung der alten gottheiten eindeutig ab.230
Auffallend ist das versale ‚g‘ in Kapitel 10 der U-Gylfaginning: hvat havfþoz þa bvrs synir at er þv trvir Gvð vera.231 Ungewiss zwar, ob hier maskulines oder neutrales guð vorliegt, doch wird der Versal auf das einleitende allmáttigr Guð des Formáli rekurrieren, das nur in U ebenfalls versales ‚g‘ verzeichnet. Solches Guð in einer fundamentalen Frage Gylfis kann daher in den Komplex von kraptr und stýrandi verweisen.
229
230 231
Deutsches Wörterbuch, s.v. Gott. Vgl. auch Våre arveord. Etymologisk ordbok, s.v. gud. Deutsches Wörterbuch, s.v. Gott. Vgl. auch Baetke 1948. ‚Was taten da Burs Söhne, von denen du glaubst, sie seien Gott/Götter?‘
Eine Frage des Glaubens – trúa
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4.4.4.2. fróðr Á bók þessi lét ek ríta fornar frásagnir um ho˛ fðingja þá, er ríki hafa haft á Norðrlo˛ ndum ok á danska tungu hafa mælt, svá sem ek hefi heyrt fróða menn segja, svá ok no˛ kkurar kynslóðir þeira eptir því, sem mér hefir kent verit, sumt þat, er finnsk í langfeðgatali, þar er konungar eða aðrir stórættaðir menn hafa rakit kyn sitt, en sumt er ritat eptir fornum kvæðum eða so˛ guljóðum, er menn hafa haft til skemmtanar sér. En þótt vér vitim eigi sannendi á því, þá vitum vér dœmi til, at gamlir frœðimenn hafa slíkt fyrir satt haft.232
Mit diesen Worten zu den fróðir menn, den auctoritas, leitet Snorri den Prolog seiner Heimskringla ein. Im Prolog der Selbständigen Óláfs saga erweitert er diesen Anspruch um direkte Zeugenschaft am Geschehen, wenn er mehrfach das Alter seiner Gewährspersonen betont, das bis in die Zeit des jeweiligen Ereignisses zurückreiche (íslenzkir menn, þeir er þessi tíðendi sá eða heyrðu).233 Auffallend ist die wiederkehrende Formel vitr ok gammal: „So wie Klugheit ohne Zeugenschaft Snorris Anforderungen nicht erfüllt, so wenig ist das Alter ohne Klugheit von Wert.“234 Dem Attribut fróðr kommt in Snorris Darstellung wesentliche Bedeutung zu, erhebt es doch einen Wahrheitsanspruch an seine Schilderung. Umso bezeichnender, wenn Snorri auch in der Binnenhandlung der Gylfaginning regelmäßig auf fróðr rekurriert.
232
233 234
‚In diesem Buch ließ ich alte Erzählungen von Häuptlingen aufschreiben, die Reiche in den Nordländern gehabt haben und ‚dänisch‘ sprachen, so, wie ich kluge Männer und einige ihrer Nachkommen habe erzählen hören, nach dem, was mir bekannt geworden ist. Einiges, das sich in einem Ahnenverzeichnis findet, auf das Könige oder andere hochgeborene Männer ihr Geschlecht zurückgeführt haben; einiges ist nach alten Gedichten oder Gesängen geschrieben, die Menschen zu ihrer Unterhaltung kannten. Und obwohl wir deren Wahrheitsgehalt nicht kennen, da haben wir doch Belege dafür, dass alte Gelehrte solches für wahr hielten.‘ ‚Isländer, die diese Begebenheiten sahen oder hörten.‘ Beck 1999a, S. 1; vgl. auch S. 4: „Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang die Lexeme, die bisher zusammenfassend mit ‚Klugheit‘ wiedergegeben wurden. Was verstand Snorri z.B. unter fróðr, und wodurch unterschied sich das Urteil der fróðir menn von dem anderer Augenzeugen? Wenn die bloße Augenzeugenschaft für ein ‚wahres‘ Urteil nicht genügte, mußten sich diese fróðir menn durch eine zusätzliche und sehr wesentliche Qualität auszeichnen. […] Deutlich ist, daß Snorri diese zusätzliche Qualität seiner Gewährspersonen mit einer ganzen Reihe von Adjektiva beschreibt: fróðr, vitr, spakr, minnigr, námgjarn. Die zusammenfassende Wiedergabe mit ‚klug‘ läß sich also offenbar differenzieren. Klugheit umfaßt in dieser Korrespondenz mit Zeugenschaft offenbar Gedächtnisstärke und Wissensdurst, Urteilskraft und sprachliche Meisterschaft.“ Vgl. auch de Boor 1930, S. 263; Schmale 1985, S. 68 ff.
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Lexematische Analyse
U c. 5
U c. 17
Gangleri segir at fyrst vill hann spyria ef nockvrr er froþr maðr inni. hár segir at hann komi eigi heill vt ef hann er froþari.235 Ok þat veit trv min at þat mvn vera mikill froþleikr. sa er kann skyn ok dæmi hverir atbvrþir orþit hafa til hvers þessa nafns.
‚Gangleri sagt, dass er zunächst erfahren will, ob ein kluger Mann drinnen sei. Hár sagt, dass er nicht heil herauskommen würde, wenn er klüger ist.‘ ‚Wahrlich, das muss großes Wissen sein, das derjenige hat, der Kenntnis hat und Beispiele von den Geschehnissen hinter jedem dieser Namen.‘
Bereits im einleitenden Kapitel der U-Gylfaginning (c. 5) findet das Adjektivum fróðr Verwendung, sowohl von Seiten Gylfis als auch der Dreiheit: Gylfis erste Frage (ef nockvrr er froþr maðr inni) ist nicht inhaltlicher Art – Snorri zielt vielmehr darauf ab, auch seinem Publikum zu bestätigen, dass Gylfi sich einem adäquaten Gesprächspartner gegenübersieht. Die Dreiheit ihrerseits stellt an Gylfi (schon einleitend als vitr charakterisiert) die Anforderung, sich im Wissenswettstreit ebenfalls als fróðr zu erweisen; beide Protagonisten kommunizieren von Beginn an auf Augenhöhe miteinander. Die anfängliche Charakterisierung der irdischen Asen durch das Attribut víss 236 komplettiert dieses Konzept: æsirnir voro þvi visari at þeir sa ferþ hans, die klugen Asen hatten Kenntnis von Gylfis Fahrt – auch die Zeugen der paganen Offenbarung, die anschließend den neuen Glauben verbreiten sollten, werden erstens in den Rang einer angemessenen Vermittlerinstanz erhoben, erfüllen zweitens durch ihre Anwesenheit auch Snorris Forderung nach direkter Zeugenschaft. Damit ist der Grundstein der folgenden Präsentation gelegt, innerhalb derer nun explizit fróðir menn interagieren – die Inhalte der Gylfaginning wollte Snorri vor dem Vorwurf der reinen Erfindung bewahren. Als „Argument für die gläubige Übernahme der Mythen“ verstand Edith Marold das Motiv des fróðr maðr: „Gylfis Annahme der Asenreligion vollzieht sich in zwei Schritten, jeweils nach einer Einschüchterung durch den 235
236
Hier liegt in U vermutlich ein Fehler vor; RTW schreiben: hár segir, at hann komi eigi heill vt, nema hann se froþari (‚Hár sagt, dass er nicht heil herauskommen würde, wenn er nicht klüger sei‘). Der Kopf als Pfand im Wissensduell ist ein verbreitetes Motiv. Helmut de Boor betonte den seltenen Gebrauch des Adjektivums in norröner Dichtung, reiche Verwendung hingegen in geistlichen Texten. Seine These, víss sei Ausdruck übermenschlichen, magischen Wissens, deckt sich mit der Tendenz der Gylfaginning; eine dämonische Komponente wird dort indessen nicht fassbar (de Boor 1930, S. 261 f.).
Eine Frage des Glaubens – trúa
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Vorwurf nicht fróðr zu sein.“237 Marold folgerte, Gylfi würde angesichts des überlegenen Wissens der Dreiheit seinen Verstand zunehmend verlieren: Hier könnte sich eine Interpretation der Drohung Hárs, er käme nicht heil heraus, wenn er nicht klüger sei, anschließen: Gylfi geht in der Tat nicht ‚heil‘ aus diesem Wettstreit hervor, denn er hat zwar den Kopf behalten, aber den Verstand verloren, wie der Verlauf des Gesprächs mit den Göttern zeigt.238
Eine solche Interpretation ist textlich aber nicht haltbar, Gylfi tritt keineswegs als Unterlegener in Erscheinung – ein Blick auf einschlägige Textstellen: Gylfis Frage nach dem Weg zum Himmel etwa (c. 12/13) bedenkt Hár zwar zunächst mit den Worten: eigi er nv froþliga spvrt.239 Der Eindruck spöttischer Überlegenheit der Dreiheit wird jedoch unmittelbar relativiert, wenn Hár zur Brücke Bifro˛ st eingestehen muss: hon er með .iij. litvm ok miok sterk. ok ger með mikilli list. meiri en aþrar smiþir. en sva sterk sem hon er. þa mvn hon brotna þa er mvspellz megir fara at riþa hana240 – selbst die kunstvollste Schöpfung der Asengötter, die Brücke nach Ásgarðr, weilt nicht ewig.241 Dementsprechend nüchtern (oder spöttisch?) kommentiert Gylfi: eigi þottv mer goþin gera hana af trvnaþi er hon skal brotna ok megi þav þo gera sem þav vilia.242 Gezielt spricht er vermeintliche Allmacht der paganen Götter an – nur um dann (wiederum mit vorangestelltem eigi) umso deutlicher zu konstatieren, dass diese an ihre Grenzen gestoßen ist. Bemerkenswerterweise ist es die Dreiheit, die sich schließlich nicht mehr zu verteidigen weiß: engi hlvtr er sa i þessvm heimi er ser megi treystaz þa er mvspellz megir heria 243 – die pagane Zeit ist begrenzt (man beachte aber237 238
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Marold 1998a, S. 162 ff. Marold 1998a, S. 167. Bemerkenswerterweise betitelte Marold das entsprechende Kapitel „Glaube gegen die Vernunft“ – hinter dieser Formulierung wird auch die Dichotomie zwischen religio naturalis einerseits, religio revelata andererseits stehen (vgl. Feil 2004, Sp. 265 f.; Gatzemeier 2004); an der Projektion solcher vermehrt seit dem 17./18. Jahrhundert geformten Diskussion auf Snorris Werk wurde bereits Kritik geübt (vgl. Kap. 3.4.1; zur theologia naturalis vgl. weiterführend auch Schwemmer 2004). ‚Das ist nun nicht klug gefragt.‘ ‚Sie hat drei Farben, ist sehr stark und mit großer Kunstfertigkeit gemacht, mehr als andere Bauwerke. Aber so stark sie auch ist, so wird sie zerbrechen, wenn Muspells Söhne über sie reiten werden.‘ Gegenteilig verhält es sich mit dem Weg in den christlichen Himmel: […] nv er gerr støpvll til himna non or steinom sed af crafti christi (Isländska Handskriften No. 645 4to i (hrsg. von Ludvig Larsson), S. 110 (‚nun ist der Turm zum Himmel nicht aus Stein gemacht, sondern durch die Kraft Christi‘)); vgl. Kap. 4.3. ‚Mir scheint, die Götter haben sie nicht mit Zuverlässigkeit gemacht, wenn sie brechen soll, obwohl sie doch machen könnten, was sie wollen.‘ ‚Es gibt nichts auf dieser Welt, das verlässlich wäre, wenn Muspells Söhne heeren.‘
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mals das engi im Vorfeld), darüber hinaus kann Hár nicht blicken. Von einer Einschüchterung Gylfis kann hier ebenso wenig die Rede sein, wie von mangelndem fróðleikr – im Gegenteil: Gylfi erweist sich in gezielten Fragen und pointierten Bemerkungen seinerseits der Dreiheit überlegen. Ähnliches gilt in Kapitel 17, wenn Gylfi nach Auflistung einer Vielzahl an Óðinnsnamen festhält: geysi morg nofn hafi þer gefit honvm. ok þat veit trv min at þat mvn vera mikill froþleikr. sa er kann skyn ok dæmi hverir atbvrþir orþit hafa til hvers þessa nafns 244 – angesichts der vielen Namen sei Gylfi nur noch zu naivem Staunen fähig, so eine Sicht der Forschung. Die Dreiheit aber vermag erneut nicht mehr zu sagen: Mikil skynsemi er at rifia þat vandliga upp enn þo er þat skiotaz at segia at flest heiti hafa verit gefin af þeim atbvrþvm at sva margar ero greinir tvngna i verolldinni. þa þickiaz allir þioþir þvrfa at breyta nafni hans til sinnar tvngo til bæna ferlis sialfvm ser. en sumir atbvrþir til þessa heita hava gerzt i ferþvm hans ok er þat fært í frasagnir. ok mvntv eigi mega froþr maðr heita ef þv skalt eigi kvnna at segia fra þessvm stortiþindvm.245
Offensichtlich ein Rekurs auf den Formáli, der Religionsentwicklung als Konsequenz von Sprachveränderungen erklärt. Bemerkenswert ist vor allem der ähnliche Erklärungsansatz – die Notwendigkeit einer Kontaktaufnahme mit höheren Mächten bedingt eine personifizierende Namengebung: En til þess at heldr mætti frá segja eða í minni festa, þá gáfu þeir nafn með sjálfum sér o˛ llum hlutum. […] þav navfn hafa fylgt þesi tvngv ok þeir æsir hafa haft tvngvna norðr hingat iheim, iNoreg ok iSviþioð, iDanmo˛ rk ok iSaxland.246
In gleiche Richtung zielt auch das folgende Kapitel 18, die Behandlung Þórrs: engi er sva frægr at telia kvnni hans stormerki. en segia kann ek þer
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‚Sehr viele Namen habt ihr ihm gegeben. Und es muss wahrlich große Klugkeit sein, die Kenntnis und Beispiele davon hat, welches Ereignis hinter jedem dieser Namen gestanden hat.‘ Vgl. Kap. 4.4.4.2. ‚Großes Wissen ist nötig, um das vollständig darzulegen. Doch am schnellsten lässt sich sagen, dass die meisten Namen gegeben worden sind durch den Umstand, dass es so viele verzweigte Sprachen auf der Welt gibt; alle Völker scheinen das Bedürfnis zu haben, seinen [d.i. Óðinns] Namen an ihre Sprache anzupassen, um ihn besser in eigenen Dingen anbeten zu können. Aber einige Ereignisse hinter diesen Namen haben sich auf seinen Fahrten ereignet, und davon wird in Erzählungen berichtet; du wirst nicht ein kluger Mann heißen können, wenn du von diesen Großtaten nichts berichten kannst.‘ ‚Und um besser davon erzählen oder es sich merken zu können, da gaben sie allen Dingen von sich aus Namen […]. Diese Namen sind dieser Sprache gefolgt und die Asen haben die Sprache hierher in den Norden in die Welt gebracht, nach Norwegen und Schweden, Dänemark und Saxland.‘
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morg tiþindi at dveliaz mvn dagr aþr en sagt er allt þat er ek veit.247 Wiederum scheint die Dreiheit danach zu streben, Gylfi unzulängliche Kenntnis von den zeitlich und räumlich weitgreifenden Taten der Asengötter nachzuweisen, dabei eigenes Wissen hervorzuheben. Doch erschöpfen sich ihre Antworten auf Gylfis Fragen abermals in bloßen Andeutungen: Bei diesen Geschehnissen handelte es sich um einen zu komplexen und umfassenden Prozess, als dass Snorri der paganen Dreiheit solches Wissen zusprechen oder selbst näher ausführen wollte (skjótast er at segja)248 – „der mikill fróðleikr, den Gylfi so sehr bewundert, ist schließlich im Besitz Snorris.“249 Das Konzept einer die Religion bedingenden Sprachgenese war für die Konstruktion der Gylfaginning, die sich am Vorbild der biblischen Offenbarung orientierte, zudem nicht von primärer Relevanz, anders als im Formáli. Eine Überwindung Gylfis seitens der Dreiheit ist abermals nicht fassbar, zumal er beide Antworten unkommentiert lässt. Diese kurze Durchsicht bestätigt: Gylfis Akzeptanz des neuen Glaubens (æsir þeir er monnvm er skyllt at trva á) ist nicht Konsequenz eines vermeintlichen Vorwurfs, nicht fróðr zu sein – Gylfis Vermögen liegt nicht im Wissen selbst, aber in dessen Erfragen und Hinterfragen; vitr ok spurul, klug und wissbegierig, mit dieser Formel beschreibt Snorri auch die Asin Vo˛ r (c. 23). Regelmäßig deckt Gylfi dabei die Grenzen des paganen Erkenntnishorizonts auf. Glaube und Wissen stehen in Snorris Darstellung dennoch nicht konträr: Zunehmendes Wissen um dessen Vorzüge motiviert Gylfi zur Anerkennung des Asenglaubens; gegenüber christlichem Publikum akzentuierte Snorri durch die Figur Gylfis aber regelmäßig auch die Unzulänglichkeiten der paganen Vorstellungswelt. Gylfis Drang nach Wissenserwerb ist mit seiner menschlichen Erkenntnisfähigkeit (die jarðlig skilning des Formáli) verknüpft, wenn auch einleitend das Verbum hugsa verwendet wird: gylver var maðr vitr ok hvgsaþi þat er allir lyþir lofvþo þa ok allir hlvtir gengv at vilia þeirra. hvart þat mvndi af eþli þeirra vera eða
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‚Aber niemand ist so klug, als dass er [alle] seine Großtaten erzählen könnte. Aber ich kann dir so viele Ereignisse berichten, dass es Tage dauern würde, bevor alles gesagt wäre, was ich weiß.‘ Vgl. auch Gurevič 1992, S. 72 f.: „Schon Snorri [hat] entdeckt, daß die meisten der in den Grímnismál aufgezählten Odinsnamen nicht durch Mythen gestützt werden. Doch die Autorität der Lieder-Edda erlaubte es ihm nicht, ihre Echtheit zu bezweifeln. Folglich führte er diese Namen, da er sich nicht in der Lage sah, sie mit konkreten Mythen zu verbinden, auf die Verschiedenheit der Sprachen zurück.“ Wolf 1977, S. 7.
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mvndi gvþmavgnin vallda þvi 250 – ein Konzept, in dem die Idee einer natürlichen Religion noch anklingen mag. Es ist bezeichnend, dass Snorri an seine eigene Darstellung die gleichen Anforderungen stellte, wie seine Protagonisten auf Erzählebene: fróðr, das muss derjenige sein, der erzählen will und dessen Bericht Glauben geschenkt werden kann. 4.4.4.3. þat veit trú mín Ungewöhnlich erscheint der Gebrauch von trúa in Kapitel 17 der Gylfaginning: ok þat veit trv min at þat mvn vera mikill froþleikr. sa er kan skyn ok dæmi hverir atbvrþir orþit hafa til hvers þessa nafns 251 – Gylfi zeigt sich beeindruckt von der Aufzählung der Óðinnsnamen (s.o.). Die Formel þat veit trú min ähnelt dem Ausdruck þat er mín trúa aus Hárs ‚Glaubensbekenntnis‘, wird aber in Kapitel 22 von U noch einmal verwendet: ok þat veit trva min at iamsatt er þat allt er ek hevi sagt þer. þott þeir se svmir hlvtir er þv mátt eigi reyna; Kontext ist hier das Schmieden der Fessel Gleipnir aus sechs fantastischen Materialien: Hár appelliert an Gylfi, den Wahrheitsgehalt seiner Ausführungen nicht anzuzweifeln, obwohl er nicht alles prüfen könne. Edith Marolds Einschätzung – „Gylfi hat seinen Verstand nun verloren“252 – verkennt den Unterhaltungswert dieser Passage ebenso wie Alois Wolfs Feststellung „Gylfi-Gangleri echot geradezu papageienhaft, exemplifiziert an der trúa-Formel, was der wissende Hár vorspricht. Gylfi ist in den Bann der Drei geraten.“253 Gerade in Gylfis Antwort scheint doch ein humorvoller Ton mitzuschwingen: þetta ma ek at viso sia er nv segir þv fra ok þv hevir nv til dæma tekit.254 Die skurrilen Materialien der Fessel werden eine ebenso kurzweilige, aber bedeutungslose Erfindung Snorris sein, wie etwa die Benennungen der Gegenstände in Hels Reich (c. 21). „Den verschmitzten Erzähler, der hinter Hár und Gylfi alle Fäden in den Hand hält […], der das Buch til fróðleiks ok skemtunar verfaßt hat“,255 gestand dann auch Wolf ein.
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‚Und er dachte darüber nach, wenn alle Leute sie verehrten und alle Dinge nach ihrem Willen liefen, ob das in ihrer eigenen Natur läge oder ob Göttermächte das verursachten.‘ Vgl. FN 259. Marold 1998a, S. 167. Wolf 1977, S. 7. ‚Gewiss kann ich erkennen, wovon du nun sprichst und wofür du nun Beispiele gebracht hast.‘ Wolf 1977, S. 7.
Eine Frage des Glaubens – trúa
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Gottfried Lorenz sah in der ‚modischen‘ Formel þat veit trú min ein allgemeines Bestreben Snorris, der Gylfaginning eine moderne Note zu verleihen,256 während Anne Holtsmark bewusste Mischung aus dem französischen Eid par ma foi (‚bei meinem Glauben‘) und norrönem þat veit guð postulierte: þat veit trú mín stelle einen aus vermeintlicher Gelehrsamkeit („hos folk som ville vise at de kjente den franske mote“)257 gebildeten Ausdruck dar, der von einem Sprachkünstler wie Snorri benutzt worden sei, um deutlich zu machen, dass Gylfi einen sinnfreien (weil paganen) Eid leiste.258 Gylfis Bemerkung zu den vielen Namen Óðinns bietet aber gar keinen Ansatz für ein Verständnis als eidliche Erklärung. Þat veit trú mín wird daher als Interjektion anzusehen sein, deren einzelne Bestandteile ihre ursprüngliche Bedeutung schon zu Snorris Zeiten verloren hatten. Eine befriedigende Übersetzung könnte lauten: „Wahrlich, das muss große Klugheit sein, die Kenntnis hat, welche Ereignisse in Verbindung mit jedem dieser Namen geschehen sind.“259 Es wurde bereits darauf verwiesen, dass auch die Dreiheit über dieses Wissen letztlich nicht verfügt. 4.4.4.4. Þórrs Schwäche Snorri ließ seinen Protagonisten Gylfi gezielte Fragen stellen und ihn mit wachsendem Wissen zunehmend den neuen Asenglauben akzeptieren, das zeigte die vorangehende Untersuchung von trúa. Gylfi erkannte dabei mehrfach aber auch dessen Beschränkungen. Seine vermeintliche Unterlegenheit im Gespräch mit der Dreiheit konnte am Text widerlegt werden, der Kontext einer der geläufigsten Episoden der Gylfaginning dokumentiert aber sogar Überlegenheit. In der Einleitung zur Erzählung von Þórrs Útgarðr-Fahrt (c. 27), fragt Gylfi: hvart hevir Þorr hvergi þar komit at honvm veri ofrefli fyrir fjolkyngi savkvm.260 Auf diese Frage will Hár nicht antworten: þa er eigi skyllt at segja fra.261 Gylfi beruft sich auf die Wettstreitsituation, die zu Anfang des 256
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Snorri Sturluson, Gylfaginning (Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz), S. 304. ‚Bei Leuten, die zeigen wollten, dass sie die französische Mode kannten.‘ Holtsmark 1964, S. 21. Auch Fritzner verstand þat veit trú min als ‚et slags edelig forsikring‘ (Ordbog over Det gamle norske Sprog, s.v. trú); im Norrøn Ordbok findet sich als ähnliche Übersetzung ‚det sver eg på‘ (Norrøn Ordbok, s.v. vita). Hárs oben zitierte Aussage könnte folgend übersetzt werden: ‚Wahrlich, alles was ich Dir erzählt habe, entspricht der Wahrheit, obwohl es einige Dinge geben mag, die du nicht prüfen kannst.‘ ‚Ist es Þórr nie geschehen, dass er übermannt wurde durch Zauberei?‘ ‚Davon muss nichts erzählt werden.‘
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Lexematische Analyse
Gesprächs aufgebaut wurde, und kommentiert provozierend: sva lizt mer at þess hlvtar mvna ek spvrt hava er engi er til or at leysa.262 Er beharrt auf seiner skeptischen Rolle, obwohl Hár kurz zuvor von Þórr berichtet hat: allir [eru] skylldir at trva at hann er matkaztr.263 Doch die Dreiheit appelliert vergeblich an Gylfi, er habe doch schon selbst festgestellt, alle Menschen müssten an die neuen Götter glauben (æsir þeir er monnvm er skyllt at trva á) – und somit müssten auch alle an die Stärke des Gottes Þórr glauben. Angesichts dieser Situation ist Jafnhár gezwungen, einzulenken: heyrt hofvm ver sagt fra þvi er oss þickir otrvligt.264 Gylfis Kommentar bleibt überlegen distanziert: her hlyþi ek svorvm þessa mals.265 In RTW meldet sich daraufhin gar Þriði zu Wort (avðsynt er nv, at hann vill þesi tiþindi vita, þott os þicki eigi fagrt at segia),266 während U in der Rubrik festhält: her þegir þriði – diese Bemerkung mag ein Missverständnis von Þriðis Aussage en þer er at þegia 267 sein, wie sie in RTW vorliegt; Finnur Jónsson vermutete eine Interpolation.268 Dieser letzte Appell der Dreiheit aber ist bezeichnend: Gylfi soll Stillschweigen bewahren über das, was ihm im Folgenden berichtet wird; die Bedrohung, die von ihm ausgeht, wird der Dreiheit zur Gänze bewusst. Trotz seiner Einsicht, der Glaube an die Asengötter sei grundsätzlich gerechtfertigt, bleibt Gylfi selbst weitgehend unbeeinflusst davon: Er ist keinesfalls bereit, Schwächen der neuen Götter zu ignorieren.
4.5. Wege der Kontaktaufnahme – heita á und blóta 4.5.1. Vorbemerkungen Die Attraktivität des Polytheismus lag für die erkenntnisbeschränkten Vorchristen in dem Umstand, dass der ursprünglich diffuse kraptr konkretisiert 262
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‚So scheint es mir, als hätte ich die Sache gefragt, wo niemand zugegen ist, der sie lösen kann.‘ Vgl. auch Snorri Sturluson. Gylfaginning (Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz), S. 429: „Gangleris Antwort pariert Hárs Bemerkungen jedoch so gut, daß von einer Unterlegenheit Gangleris gegenüber dem gönnerhaften Hár – wie dies Holtsmark und Beyschlag, der der Ansicht ist, daß sich Gylfi in seiner Replik ‚völlig betört von der Wahrheit des ihm Berichteten‘ zeige, behaupten – überhaupt keine Rede sein kann.“ ‚Alle sind verpflichtet, zu glauben, dass er der Stärkste ist.‘ ‚Wir haben Erzählungen von dem gehört, das uns unglaubwürdig erscheint.‘ ‚Hier höre ich die Antwort in dieser Angelegenheit‘ (im Sinne von: ‚Ich erwarte nun, eine Antwort auf meine Frage zu erhalten‘). ‚Es ist nun offensichtlich, dass er diese Ereignisse wissen will, obwohl sie uns nicht angenehm zu erzählen scheinen.‘ ‚Du musst schweigen.‘ Edda Snorra Sturlusonar (hrsg. von Finnur Jónsson), S. 49.
Wege der Kontaktaufnahme – heita á und blóta
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und personifiziert wurde, so deutet es der Formáli an. In der Gylfaginning setzt Snorri in diesem Punkt ein ähnliches Konzept um (nicht zwingend aber in Anlehnung an den Formáli): Er beschreibt die pluralen Göttermächte, auf die sich der kraptr nach paganer Vorstellung verteilte und die in allen Lebensbereiche zu verschiedenen Zwecken kontaktiert werden konnten. Solcher Kontakt mit suprahumanen Mächten kann auf unterschiedliche Weise gesucht werden: Im Christentum ist das Gebet die zentrale Form, in vorchristlichen Religionen hingegen sind es verschiedene Formen des Opfers, denen vergleichbarer Stellenwert einzuräumen sein wird269 – Opferkult ist, wie Rudolf Simek formulierte, „das sichtbarste Zeichen jeder Form von Religion.“270 Die hinter solchen Handlungen stehende Idee ist vergleichbar, doch sind sie aus christlicher Sicht gänzlich anders zu werten: Das Gebet war substanzieller Ausdruck des eigenen, christlichen Glaubens, das Opfer hingegen zählte zu den prägnantesten Zeichen eines Irrglaubens. Für seine Gabe erhoffte sich der Opfernde eine Gegengabe, eine Hilfeleistung durch die angerufene Gottheit – das in der Religionswissenschaft so genannte do-ut-desPrinzip.271 Das germanische Verbum ‚opfern‘ steht etymologisch dem lateinischen offerre nahe, möglicherweise auch einem operare; das norröne Substantivum blót (m.), mit zugehörigem Verbum blóta, wurzelt hingegen vermutlich im Gotischen.272 Die anfänglich neutrale Bedeutung ‚(eine Gottheit) verehren‘ erfuhr im Norden Spezifizierung zu ‚durch Opfer verehren‘ und etablierte sich schließlich als pauschaler Ausdruck für ‚opfern‘ – abweichend von einem Verbum sóa, das primär auf das blutige Opfer bezogen wurde.273 Im Zuge der Christianisierung wurde das Opfer auch in Skandinavien bei Strafe verboten, das belegt die schriftliche Überlieferung. Ari inn fróði notiert in seiner Íslendingabók (c. 7): þá vas þat mælt í lo˛ gum, at allir menn 269 270
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Vgl. Näsström 2001, S. 15 f. Simek 2003, S. 42; einen Forschungsüberblick bietet Böldl 2005, S. 188 ff. Zur Terminologie vgl. Hödl 2003. Den eigentlichen Charakter der Opfergabe fasst diese Formel allerdings nicht, wie Anders Hultgård betonte: „In Opferhandlungen ist die Statusdifferenz zwischen Geber und Empfänger ein wesentliches Merkmal. Der Empfänger hat auch das Recht, die Gabe zurückzuweisen, was unter Gleichrangigen nicht möglich wäre. Von der Perspektive der Gabe her ist es prinzipiell falsch, Opferhandlungen als eine technische Manipulation nach dem Grundsatz der Formel do ut des ‚ich gebe, damit du gibst‘ zu interpretieren. Der Sinn des Opfers kann keineswegs auf eine Art geschäftsmäßige Verbindung beschränkt werden“ (Hultgård 2003b, S. 438 f.). Vgl. auch Altnordisches etymologisches Wörterbuch, s.v. blóta. Vgl. Beck 1967, S. 117.
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skyldi kristnir vesa ok skírn taka […] skyldu menn blóta á laun, ef vildu en varða fjo˛ rbaugsgarðr, er váttum of kæmi við.274 Er berichtet in Kapitel 2 auch von den norwegischen Gulaþingslo˛ g, die nach Island kamen;275 dort wird in Kapitel 29 ausgeführt: Blot er oſſ oc kviðiat at vér ſculom eigi blota heiðit guð. ne hauga. ne horga. En ef maðr verðr at þvi kunnr oc ſannr. þa hever hann firigort hverium penningi fiar ſins. han scal ganga til ſkriptu oc bơta við Criſt. En ef hann vill þat eigi. þa ſcal han fara or landeign konungs várs.276
Die Grágás bezieht ähnlich Stellung, wenn es im einleitenden Kristinna laga þáttr (c. 7) heißt: menn scolo trva a einn gvð oc ahelga meN hans. oc blota eigi heiþnar vættir. þa blötar hann heiþnar vættir. ef hann signir fe sitt oþrvm enn gvþi.277 Obwohl, wie Dieter Strauch für die Grágás notierte, „der Buchstabe des Rechts und seine gelebte Wirklichkeit“ auseinanderklaffen,278 so ist die Verurteilung des Opfers doch offensichtlich. Auch wenn 274
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‚Das stand geschrieben in den Gesetzen, dass alle Menschen Christen sein und sich taufen lassen sollten […]. Menschen sollten im Geheimen opfern, wenn sie wollten, aber drei Jahre des Landes verwiesen werden, wenn es Zeugen gäbe.‘ Bemerkenswert ist der Zusatz: en síðarr fám vetrum vas sú heiðni af numin sem o˛ nnur (‚aber wenige Winter später wurde dieser heidnische Brauch abgeschafft wie andere‘). Vgl. Strauch 2011, S. 114 ff. Die ältesten Handschriftenfragmente der Gulaþingslo˛ g datieren um 1200; sie werden aber bereits einige Jahrhunderte früher in ihrer (mündlichen) Ursprungsform entstanden sein. In der Forschung werden sie als christlich geprägt angesehen: „Gulaþingbók enthält keineswegs heidnisch germanisches Recht, sondern spiegelt das Recht eines Staates, der nicht nur oberflächlich christianisiert ist, sondern bereits weitgehend christlich lebt“ (ebd.). Zur Terminologie vgl. ebd., S. 3 f.: „Die heute gängige Unterscheidung zwischen Rechtsbuch (als Privatarbeit ohne öffentlichen Auftrag) und Gesetzbuch (als Aufzeichnung eines Gesetzgebungsaktes) war dem Mittelalter unbekannt, erst das 19. Jahrhundert hat sie an die Quellen herangetragen. Aber sie ist nur bedingt hilfreich und möglicherweise unbedeutend, weil sich häufig beide Typen von Rechtsaufzeichnungen mischen.“ Norges Gamle Love indtil 1387 (hrsg. von Rudolf Keyser/Peter Andreas Munch), Bd. 1, S. 18 (‚auch das Opfer ist uns verboten, sodass wir nicht opfern sollen dem heidnischen Gott, Grabhügeln oder Steinaltären. Und wenn dies von einem Mann bekannt und bekräftigt wird, dann hat er alles Geld seines Besitzes verwirkt. Er soll zur Beichte gehen und vor Christus Buße tun. Aber wenn er das nicht will, dann soll er den Landbesitz unseres Königs verlassen‘). Grágás. Konungsbók (hrsg. von Vilhjálmur Finsen), S. 22 (‚Menschen sollen an einen Gott glauben und seine Heiligen und nicht heidnischen Wesen opfern. Jemand opfert heidnischen Wesen, wenn er seinen Besitz jemand anderem weiht als Gott‘). Vgl. Strauch 2011, S. 234 ff. Strauch 2011, S. 245.
Wege der Kontaktaufnahme – heita á und blóta
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man Bernhard Maiers kritischer Feststellung, pagane Kulte seien in erzählerischen Texten des Hochmittelalters „nach dem Vorbild biblischer und patristischer Darstellungen des zeitgenössischen Heidentums oder einfach nur als negatives Spiegelbild der christlichen Liturgie“279 gezeichnet worden, Einseitigkeit attestieren mag, so dokumentiert die norröne Überlieferung doch die Tendenz, durch gezielten Lexemeinsatz Assoziationen des Publikums zu lenken: Eine Vielzahl an Komposita zum Simplex blót (blótmaðr, blótbiskup, blótskapartími, blótskaparefni, blótvilla) und formelhaften Ausdrücken (blóta heiðin goð, blóta skurðgoð) belegen dabei eine breite Nutzung.280 Im nordischen Hochmittelalter scheint weniger das Opfer in seiner realen Ausführung,281 als vielmehr der spezifische Wortschatz Ausdruck eines abzulehnenden paganen Kults geworden zu sein. Langjährige Tätigkeit als Gesetzessprecher hat Snorri mit solchen Vorschriften in engen Kontakt gebracht. Doch auch unabhängig von diesem politischen Amt musste er sich mit paganem Opferkult beschäftigen: Die Auseinandersetzung mit der Kultur seiner Vorfahren erforderte, im Hinblick auf das blót Stellung zu beziehen. Der Opferkult war aber anders als die Vorstellung eines suprahumanen Herrschers (kraptr, stýrandi) oder eines Glaubens an diesen (trúa) kein Element, das sich über den Wortschatz problemlos mit christlichen Ideen parallelisieren ließ. 4.5.2. heita á Die umrissene Problematik wird für Snorri Grund gewesen sein, in der Gylfaginning nicht von blóta, sondern mit heita á von einer anderen Form der menschlichen Kontaktaufnahme zu sprechen. Letzteres impliziert die verbale Anrufung, man wendet sich an seine Götter nicht mit Gaben, sondern mit Bittgebeten; gebräuchlich ist in zeitnahen geistlichen Texten vor allem die Formel heita á guð. U c. 18
279 280 281
A hann [d.i. Njo˛ rðr] skal heita til sæfara ok veiþa. hann er sva avþigr eða fesæll at hann ma gefa þeim land ok lavsa fe er hann vill. a hann skal til þess heita.
‚Er soll angerufen werden zur Seefahrt und bei der Jagd. Er ist so reich oder mit Besitz gesegnet, dass er Land und Geld geben kann, wem er will. Darum soll er angerufen werden.‘
Maier 2003, S. 108. Vgl. auch Näsström 2001, S. 29. Abwegig wäre es anzunehmen, Snorri habe seine Edda als Missionsschrift gegen ein zu seiner Zeit wieder aufkeimendes Heidentum verfasst, wie Christopher Abram jüngst spekulierte (Abram 2009).
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U c. 19 U c. 19
U c. 20 U c. 23 U c. 23
A hann [d.i. Freyr] er gott at heita til ars ok friþar. Hon [d.i. Freyja] er nakvæmvst monnvm til a heita. […] a hana er gott at heita til asta. A hann [d.i. Týr] er gott at heita hreysti monnvm. A hann [d.i. Úllr] er gott at heita i einvigivm. Hon [Lofn] er gott til a heita.
‚Er ist gut anzurufen um gutes Jahr und Frieden.‘ ‚Sie steht den Menschen zur Anrufung am nächsten […]. Sie ist gut anzurufen in Liebesdingen.‘ ‚Er ist gut anzurufen für tapferen Männer.‘ ‚Er ist gut anzurufen im Zweikampf.‘ ‚Sie ist gut anzurufen.‘
In der U-Gylfaginning findet heita á achtmal Verwendung im Kontext der Präsentation einzelner Götter: Die Dreiheit erklärt Gylfi, welcher Gott zu welchem Zweck anzubeten sei (s.o.). Im Rahmen dieser Götterschau erfolgt in Kapitel 19 Gylfis bereits behandelte Aussage: miklir þicki mer þessir fyrir ser æsirnir. ok eigi er vndr at mikill kraptr fylgi yþr er þer skvlot kvnna skyn gvþanna. ok vita hvern biþia skal hvers hlvtar eða hverrar bænar.282 Interesse unter den weiteren Belegen weckt der Ausdruck heita til árs ok friðar, der dieser Feststellung Gylfis unmittelbar vorausgeht. In der Forschung wird seit Langem diskutiert, inwieweit die Formel ár ok friðr vorchristliche ‚Kultsprache‘ widerspiegeln könnte; Bedeutung hat dies auch für die Interpretation von heita á in der Gylfaginning. Anders Hultgård resümierte: Wie zu erwarten ist, wird die Formel blóta til árs (ok friðar) nur im Zusammenhang mit dem ‚heidnischen‘ Kultus verwendet, während die Formeln mit heita sich sowohl auf den christlichen Kultus als den ‚heidnischen‘ beziehen. In den Formeln blóta til árs wird der göttliche Empfänger der Opferung nicht angegeben. Die Wendungen mit heita erwähnen indessen, wer angefleht wird.283
Hultgård folgerte weiter: Die formelhaften Wendungen heita und blóta til árs, sowie die zusammenfassende Formel ár ok friðr spiegeln aller Wahrscheinlichkeit nach vorchristliche Kultsprache wider und können in dieser Form einst als echte Kultformeln geäußert worden sein.284
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‚Mächtig scheinen mir diese Asen zu sein und es ist nicht verwunderlich, dass euch große Macht begleitet, da ihr Kenntnis haben solltet über die Götter und wissen, an wen man sich in welchen Angelegenheiten und mit welchen Gebeten wenden soll.‘ Hultgård 2003a, S. 298. Hultgård 2003a, S. 301.
Wege der Kontaktaufnahme – heita á und blóta
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Ein solches Urteil würde etwa Hárs Aussage zu Freyr, a hann er gott at heita til ars ok friþar, jede distinktive Funktion gegenüber blóta absprechen; man könnte gar folgern, der Gebrauch von heita á in Snorris Beschreibung sei grundsätzlich nicht anders zu werten als ein Verbum blóta, bedingt allein durch die Göttererwähnungen. Doch Hultgårds weitgreifend formuliertes Fazit ist zu hinterfragen – basierte es doch allein auf den Erwähnungen der Gylfaginning selbst. Klaus Düwel merkte an, sämtliche Belege für heita til árs ok friðar datierten in christliche Zeit, ár ok friðr sei daher nicht nur ein christlicher Ausdruck, sondern blóta til árs auch eine erst sekundäre Bildung unter Einfluss der altnordischen Heiligenliteratur: „Nach den vorgelegten Zeugnissen ist festzuhalten, daß weder ár ok friðr noch blóta til árs altheidnische sakrale Formeln darstellen.“285 Heinz Klingenberg wiederum sah die ár-Idee bereits in lateinischer Literatur präsent – auch Klaus von See vermutete ein Vorbild im lateinischen pax et prosperitas 286 –, deutete allerdings die Verknüpfung von blóta til mit ár ok friðr (in der Ynglinga saga) als Snorris Innovation.287 Die Durchsicht zeitnaher Quellen bestätigt: Der Formel blóta til ist kein hohes Alter beizumessen. Blóta til e-s findet in den Verzeichnissen von Larsson und Holtsmark keinen Beleg, während heita á eine Umwertung von profaner Bitte zum Gebet erfahren zu haben scheint: Das Lexicon Poeticum verzeichnet heita á in der ältesten überlieferten Dichtung sechsmal, nur an zwei Stellen aber den religiösen Bereich berührend.288 Neun Belege für die Formel heita á e-n til e-s finden sich bei Larsson und Holtsmark,289 die um Beistand verschiedener Art (til hjálpa, bjarga, miskunnar, fulltings, heilsubótar)290 Angerufenen sind Gott oder Heilige. Eine Verbindung von heita á mit Gott ist erst in christlicher Zeit anzusetzen. Die signifikante Konzentration von heita á in der Gylfaginning, einhergehend mit konsequenter Abwesenheit eines blóta, macht abermals wahrscheinlich, dass Snorri über gezielten Lexemeinsatz analogen Bezug zu christlichen Vorstellungen suchte: Die Vorchristen glaubten zwar an ein Götterkollektiv, weil ihre jarðlig skilning eine göttliche Allmacht nicht begreifen konnte; doch so, wie Snorri diesen Glauben in Relation zum christlichen 285 286 287 288
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Düwel 1985, S. 69. Von See 1988, S. 87. Klingenberg 1999, S. 134. Á guð skal heita til góþra hluta (‚Gott soll um gute Dinge angerufen werden‘ (Sólarljóð 27)) und heita á Óláf (Geisli 54). Vgl. auch Walter 1976, S. 54. Isländska Handskriften No. 645 4to i (hrsg. von Ludvig Larsson), S. 15:8, 16:10, 17:18, 18:16, 26:2; Homiliu-Bók. Isländska Homilier efter en handskrift från tolfte århundradet (hrsg. von Theodor Wisén), S. 152:8, 163:28, 152:32, 154:1. ‚Hilfe, Rettung, Gnade, Beistand, Heilung‘.
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setzte, so konnte auch die pagane Form der Kontaktaufnahme analog zum christlichen Gebet verstanden werden. Einen Opferkult hingegen hielt er aus der Gylfaginning, wie sie in U überliefert ist, fern. Im Formáli aller Fassungen findet ein blót ebenfalls keinerlei Erwähnung, trotz näherer Behandlung der irdischen Asen. In der RTW-Gylfaginning ist dieses Konzept nicht mit gleicher Konsequenz umgesetzt, wird ein Opferkult der irdischen Asen angedeutet (bleibt aber ohne Relevanz): Gylfi konvngr var maðr vitr ok fiolkvNigr; hann vndraþiz þat mioc, er ásafolk var sva kvNikt at allir lvtir gengv at vilia þeira; þat hvgsaþi hann, hvart þat mvndi vera af eþli sialfra þeira, eða mvndi þvi valda goðmavgn þav, er þeir blotvþv.291
In der Ynglinga saga ist Snorris Konzept von heita á in Ansätzen fassbar, bezeichnenderweise im Kontext von Óðinns Tod (c. 10), ein zentrales Ereignis der asischen Geschichte; mit átrúnaðr und áheit werden hier zwei Wörter kombiniert, die unter Rekurs auf die Gylfaginning wiederum eine Aufwertung paganer Religionspraxis implizieren: Óðinn varð sóttdauðr í Svíþjóð. Ok er hann var at kominn dauða, lét hann marka sik geirsoddi ok eignaði sér alla vápndauða menn. Sagði hann sik mundu fara í Goðheim ok fagna þar vinum sínum. Nú hugðu Svíar, at hann væri kominn í hinn forna Ásgarð ok myndi þar lifa at eilífu.292
4.5.3. Der Kult der Asen – blót Die umfassende Präsentation eines asischen Opferkults (blót (n.)) in der Ynglinga saga mag im Vergleich zur Gylfaginning zunächst als Missverhältnis erscheinen, wenn Snorri etwa in Kapitel 10 zum Menschen Freyr berichtet: ok ko˛ lluðu hann veraldargoð, blótuðu mest til árs ok friðar alla ævi 291
292
‚König Gylfi war ein weiser Mann und zauberkundig. Er wunderte sich sehr, dass das Asenvolk so kundig war, dass alle Dinge nach ihrem Willen verliefen. Er fragte sich, ob dies an ihrem eigenen Wesen liegen würde oder ob es bewirkt sei durch die Göttermächte, denen sie opferten.‘ Solches blóta mit Akkusativ betont weniger die eigentliche Opferung als vielmehr den übergeordneten Kult, d.h. das Verehren und Anbeten der Götter (vgl. etwa Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, s.v. blóta (‚jemanden kultisch (durch Opfer) verehren‘); Norrøn Ordbok, s.v. blóta (‚dyrke med ofring‘)). ‚Óðinn starb an einer Krankheit in Schweden; und als er sterben sollte, ließ er sich mit der Speerspitze zeichnen und band alle im Kampf Gefallenen an sich; er sagte, dass er ins Götterreich fahren und dort seine Freunde treffen würde. Nun glaubten die Schweden, dass er in den alten Ásgarðr gekommen wäre und dort ewig leben würde.‘
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síðan 293 – in der Gylfaginning hieß es abweichend: a hann er gott at heita til ars ok friþar (s.o.). Die Konsequenz, mit der heita in der Gylfaginning, blóta aber in der Ynglinga saga verwendet wird, deutet auch im Folgewerk auf bewusste Wortwahl, keinen planlosen Wechsel. Es ist zu einer darstellungsbedingten Verschiebung der Perspektive Snorris gekommen, nicht aber zum Bruch seines Konzepts: Die Dreiheit bewegt sich mit ihren Ausführungen auf pragmatischer Ebene, wenn sie zu einzelnen Göttern Wissen vermittelt; in solch grundsätzlicher Darstellung paganer Kontaktmöglichkeiten kann Snorri über das Verbum heita á Analogie zu christlicher Praxis aufzeigen (s.o.). In der Ynglinga saga aber agieren nun vorchristliche Menschen, ihre Kommunikation mit den Göttern ist bestimmt durch eine praktische Komponente – die für Snorris Ausführungen bedeutungsvoll war. Yng. c. 2
Þar var blótstaðr mikill. […] Þat var þar siðr, at tólf hofgoðar váru œztir. Skyldu þeir ráða fyrir blótum.
Yng. c. 4
Nio˛ rð oc Frey setti Óðinn blótgoða, ok váru þeir díar með Ásum.
Yng. c. 5
[Oðinn] gerði þar mikit hof ok blót eptir siðvenju Ásanna.
Yng. c. 7
En Óðin ok þá ho˛ fðingja tólf blótuðu menn ok ko˛ lluðu goð sín ok trúðu á lengi síðan.
Yng. c. 8
Um alla Svíþjóð guldu menn Óðni skatt, penning fyrir nef hvert, en hann skyldi verja land þeirra fyrir ófriði ok blóta þeim til árs.
‚Dort war eine große Opferstätte. […] Es war dort Sitte, dass zwölf Tempelpriester die Obersten waren; sie sollten über das Opfer wachen.‘ ‚Njo˛rðr und Freyr bestimmte Óðinn zu Opferpriestern und sie waren Díar zusammen mit den Asen.‘ ‚Óðinn errichtete dort einen großen Tempel und eine Opferstätte nach Sitte der Asen.‘ ‚Óðinn und den zwölf Häuptlingen opferten Menschen, nannten sie ihre Götter und glaubten dann lange an sie.‘ ‚In ganz Schweden bezahlten die Menschen Óðinn eine Abgabe, eine Münze pro Kopf, aber er sollte ihr Land vor Unfrieden bewahren und sie [d.i. die Abgabe] für ein gutes Jahr opfern.‘
Asischer Opferkult ist Snorri in der Ynglinga saga derart wichtig zu betonen, dass er ihn bereits zu Anfang der Darstellung (c. 2) einbindet in weitere
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‚Und sie nannten ihn Weltengott und opferten ihm sehr viel für ein gutes Jahr und Frieden in allen späteren Epochen.‘
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zentrale Informationen: fyrir austan Tanakvísl í Ásíá var kallat Ásaland eða Ásaheimr, en ho˛ fuðborgin, er var í landinu, ko˛ lluðu þeir Ásgarð. En í borginni var ho˛ fðingi sá, er Óðinn var kallaðr. Þar var blótstaðr mikill.294 Asenland, Ásgarðr, Óðinn – grundlegende Auskünfte gibt Snorri dem Publikum. Der blótstaðr mikill muss dazu genauso gerechnet werden, wie die folgende Feststellung þat var þar siðr, at tólf hofgoðar váru œztir. Skyldu þeir ráða fyrir blótum. In den weiteren Kapiteln erwähnt Snorri die Aufnahme von Njo˛ rðr und Freyr in den Kreis der Opferpriester, spricht von der Errichtung einer großen Opferstätte auch im Norden und von der dortigen Verehrung der obersten Asen durch Opfer. Er berichtet auch von Óðinns Gesetzgebung, die einen jahreszeitlichen Kult regelte, Rechte und Pflichten festlegte. Im Verlauf der Ynglinga saga wird auf ein solches blót mehrfach rekurriert, zunächst im Zusammenhang mit Óðinns direkten Nachkommen – weiterhin zur Sicherstellung des guten Jahres –, dann allmählich mit immer weiterer Verbreitung, die schließlich gar das Menschenopfer fordert (s.u.). Die Verehrung der irdischen Asen durch andere Menschen erfolgte bereits in ihrer Urheimat.295 Damit setzt Snorri eine Religion voraus, deren Inhalte, so muss vermutet werden, dem entsprechen, was er in der Binnenhandlung der Gylfaginning systematisch präsentierte. Für diese These spricht auch der Umstand, dass Snorri in der Ynglinga saga einen Kult zunächst ausschließlich im Kontext der menschlichen Asen schildert, die an der Götterschau einst partizipierten; autonomer Kult in Skandinavien wird für vorasische Zeit nicht fassbar. Die Dreiheitsoffenbarung motivierte nach Snorris Darstellung eine irdische Identifikation der Götter, dieses Konzept wird bereits im Rahmenschluss der Gylfaginning geformt. Der Kult, wie er nachfolgend in der Ynglinga saga geschildert wird, hat somit bereits in der asischen Urheimat vergöttlichte Menschen zum Ziel. Solche Vergöttlichung der irdischen Asen aufgrund herausragender Fähigkeiten und göttlicher Namen ist aber kein einseitiger Prozess, das wurde schon notiert: Nachdem Óðinn im Norden seine Herrschaft etabliert hatte, initiierte er ein kultur- und gesetzstiftendes Programm, das ansatzweise wohl bis in Snorris eigene Zeit verweisen sollte.296 Der ordnende Charakter dieser Leistungen forderte zwar Huldigung der asischen Herrschaftsschicht,
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‚Östlich der Tanakvísl, in Asien, hieß es Asenland oder Asenheim. Aber die Hauptstadt im Land nannten sie Ásgarðr. Und in der Stadt war der Herrscher, der Óðinn genannt wurde. Dort war eine große Opferstätte.‘ Vgl. auch Kap. 4.2.2.2. Beachtung verdient im Zusammenhang die Ættartala Sturlunga der Handschrift U, die eine Genealogie von Adam und Eva bis hinein in Snorris Zeit aufbaut (vgl. auch Clunies Ross 1998, S. 158 ff.).
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entzog deren Handeln aber auch einer Willkür. Óðinn regelte das Bestattungswesen, führte jahreszeitlichen Opferkult ein und etablierte eine frühe Form der Steuerabgabe – doch er legte damit einhergehend auch Gegenleistungen fest, die seine Untergebenen erwarten durften: um alla Svíþjóð guldu menn Óðni skatt, penning fyrir nef hvert, en hann skyldi verja land þeirra fyrir ófriði ok blóta þeim til árs.297 Der irdische Óðinn erscheint als Regent, der für Frieden und Wohlstand des Landes Verantwortung übernimmt. Bemerkenswert ist die Formulierung: Zum ersten sollte Óðinn das Land der schwedischen Bevölkerung (land þeirra) vor Kriegen schützen – seine dortige Herrschaft implizierte nach Snorris Aussage keinen Besitzanspruch, sondern einen Regierungsauftrag. Zum zweiten aber war es seine Pflicht, selbst Opferungen durchzuführen: So, wie andere Menschen ihn kultisch verehrten (Oþin oc þa ho˛ fþingia xij. blotaðo menn), so oblag es ihm, für ein gutes Jahr das Geld, das er einzog, zu opfern – auch hier steht kein usurpatorisches Motiv einer vergöttlichten Elite im Vordergrund. Die Empfänger solcher Opfer können aber nur die göttlichen Asen sein. Diese Bemerkung Snorris belegt somit: Die irdischen Asen pflegten auch nach der Götterschau Umgang mit ihren Göttern – wohl um sich den kraptr weiterhin zu sichern. Deren Anrufung vermutete schon Gylfi als wesentliche Voraussetzung göttlichen Beistands (c. 19): eigi er vndr at mikill kraptr fylgi yþr er þer skvlot kvnna skyn gvþanna. ok vita hvern biþia skal hvers hlvtar eða hverrar bænar.298 In Snorris Darstellung impliziert dies auch den erneuten Verweis auf die beschränkte Repräsentantenrolle der menschlichen Asen, die letztlich nicht eins waren mit den Göttern, sondern in einem analogen Verhältnis zu ihnen standen. In Betrachtung der Asenwanderung wurde auf Snorris translatio-Idee verwiesen.299 Im Kontext des blót lässt sich gar ein textlicher Kopiervorgang in der Schilderung der asischen Urheimat und des Nordens wahrscheinlich machen, zumindest doch auffällige Parallelen. Schon für die Zeit im Asenland führt Snorri Künste an, die Óðinn besaß, Kampfkraft (Óðinn var hermaðr mikill und hann var svá sigrsæll, at í hverri orrostu fekk hann
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‚In ganz Schweden bezahlten die Menschen Óðinn eine Abgabe, eine Münze pro Kopf, aber er sollte ihr Land vor Unfrieden bewahren und sie [d.i. die Abgabe] für ein gutes Jahr opfern‘; das Pronomen þeim bezieht sich im Kontext meines Erachtens auf vorher genannten skattr, den der irdische Óðinn seinerseits den Asengöttern weiht (vgl. Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, s.v. blóta). ‚Es ist nicht verwunderlich, dass euch große Macht begleitet, da ihr Kenntnis haben solltet über die Götter und wissen, an wen man sich in welchen Angelegenheiten und mit welchen Gebeten wenden soll.‘ Vgl. Kap. 4.2.2.1 und 4.2.2.3.
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gagn (c. 2))300 und Kenntnisse in der Zauberei (kvað þar yfir galdra (c. 4)).301 Es fügen sich bereits zitierte Bemerkungen über Opferstätte und ‑priester der Asen an. Dieses Darstellungssystem leitet Snorri auch in seiner Schilderung des Nordens: Óðinn tók sér bústað við Lo˛ ginn, þar sem nú eru kallaðar fornu Sigtúnir, ok gerði þar mikit hof ok blót eptir siðvenju Ásanna (c. 5) – kaum hat sich Óðinn in Sigtuna niedergelassen, besteht seine erste Handlung in der Errichtung einer großen Opferstätte.302 Entsprechend seinen Ausführungen zum Asenland spricht Snorri im nächsten Schritt auch für den Norden die Opferpriester an: hann gaf bústaði hofgoðunum (c. 5),303 gefolgt von der erneuten Betonung ihrer Bedeutung: váru þeir næst honum [d.i. Óðinn] um allan fróðleik ok fjo˛ lkynngi (c. 7).304 Hier hat nicht nur eine Übertragung der Inhalte stattgefunden (gekennzeichnet auch durch Ausdrücke wie þat var þar siðr (c. 2) und eptir siðvenju Ásanna (c. 5)),305 sondern auch der Präsentationsstruktur. Der Anspruch, den nordischen Kult als Fortführung vorderasiatischer Tradition zu zeichnen, bedingte schließlich gar einen Fehler: Snorri missachtete, dass er kurz vor seinen neuerlichen Ausführungen zum Asenkult die Reihe der Opferpriester mit Njo˛ rðr und Freyr von zwölf auf vierzehn erweitert hatte – auch für den Norden spricht er weiterhin von ho˛ fþingia xij (c. 7), eine Zahl, die doch nur für asiatische Frühzeit Geltung haben kann.306 Dahinter wird einerseits angestrebter Bezug zur asischen Urheimat stehen, andererseits eine in Snorris Sicht gesteigerte Bedeutung der Zwölfzahl: Bemerkenswerterweise berichtet er auch in der Gylfaginning von zwölf Asengöttern (tolf ero æsir goþkvnnigir (c. 17)), listet im Folgenden aber mit Njo˛ rðr und Freyr wiederum vierzehn auf; der Umstand, dass beide 300
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‚Óðinn war ein großer Krieger; er war so siegessicher, dass er in jedem Kampf die Oberhand behielt.‘ ‚Er sprach darüber [d.i. Mímirs Haupt] Zauberlieder.‘ ‚Óðinn ließ sich dort am Wasser nieder, wo es heute Altsigtuna heißt, und er errichtete dort einen großen Tempel und vollzog Opfer nach Sitte der Asen.‘ ‚Er gab den Opferpriestern Wohnstätten.‘ ‚Sie waren ihm in allem Wissen und Zauberei am nächsten.‘ ‚Das war da Sitte‘; ‚nach Sitte der Asen‘. Die Bezeichnung hofgoðar steht synonym zum Begriff blótgoðar: In Kapitel 2 verbindet Snorri die hofgoðar direkt mit dem Opferkult (skyldu þeir ráða fyrir blótum), in Kapitel 7 bezieht er sich mit der Formulierung þá ho˛ fðingja xij zurück auf die vorhergehende Aussage en hann kenndi flestar íþróttir sínar blótgoðunum (‚aber er lehrte die meisten Künste seinen Opferpriestern‘). Die Benennung als díar charakterisiert ebenfalls diese Gruppe an Opferpriestern (eru díar kallaðir (c. 2)), zu denen Njo˛ rðr und Freyr gezählt werden: Njo˛ rð oc Frey setti Óðinn blótgoða, ok váru þeir díar með Ásum (‚Njo˛ rðr und Freyr ernannte Óðinn zu Opferpriestern und sie waren mit den Asen Díar‘ (c. 4)).
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Götter nach Snorris Aussage von den Vanen abstammen, scheint irrelevant, wenn sie bruchlos in das asische Pantheon integriert werden. Der Formáli wiederum kennt zwölf Könige und Sprachen in Troja und berichtet, dass Óðinn im Norden nach diesem Vorbild zwölf Regenten einsetzte. Zwar ist die Zwölfzahl etwa auch für die griechische Götterwelt belegt, doch mag ein Bezug zu den zwölf Jüngern Jesu näher liegen, denkt man an das Konzept einer missionarischen Wanderung durch die Lande und die damit einhergehende Vergöttlichung der Wandernden seitens anderer Menschen. Die umfassende Thematisierung des blót in der Ynglinga saga lässt sich unter diesen Beobachtungen erklären. Der Opferkult war nicht nur vorchristliche Form einer Anrufung göttlicher Mächte in der Praxis – er war für Snorris Darstellung auch das nutzbarste, weil sichtbarste Element einer asischen Religion und Kultur. Snorri wollte die nordische Vorzeit integrieren in kontinentales Geschichtsdenken, wollte verdeutlichen, dass die Kultur des Nordens ihre Wurzeln nicht allein im eigenen Land, sondern zu beträchtlichem Teil auf dem Kontinent, vor allem dem geschichtsträchtigen Osten, in weltmittelpunktsnahem Gebiet hatte. Nachdem sich in Skandinavien über das blót nach asischer Sitte (eptir siðvenju Ásanna) Kultur und Ordnung etabliert hatten und die irdischen Asen verstorben waren, wurde Snorri im weiteren Verlauf der Ynglinga saga dann kirchlicher Sicht gerecht, wenn er den Opferkult in nachasischer Zeit (d.h. hinführend auf eine historische Epoche, die er bis in jüngste Vergangenheit nachzeichnete) zunehmend negativ konnotierte. Spätestens mit der Verirrung des blót zum mannblót zeigte er ein Ende auf (ab c. 15): Dómaldi tók arf eptir fo˛ ður sinn, Vísbur, ok réð lo˛ ndum. Á hans do˛ gum gerðisk í Svíþjóð sultr ok seyra. Þá efldu Svíar blót stór at Uppso˛ lum. It fyrsta haust blótuðu þeir yxnum, ok batnaði ekki árferð at heldr. En annat haust hófu þeir mannblót, en árferð var so˛ m eða verri. En it þriðja haust kómu Svíar fjo˛ lmennt til Uppsala, þá er blót skyldu vera. Þá áttu höfðingjar ráðagørð sína, ok kom þat ásamt með þeim, at hallærit mundi standa af Dómalda, konungi þeira, ok þat með, at þeir skyldu honum blóta til árs sér, ok veita honum atgo˛ ngu ok drepa hann ok rjóða stalla með blóði hans, ok svá gerðu þeir.307 307
‚Dómaldi nahm das Erbe nach seinem Vater Vísburr und herrschte über die Lande. In seinen Tagen gab es Hunger und Not in Schweden. Da hielten die Schweden ein großes Opfer in Uppsala ab; im ersten Herbst opferten sie Ochsen, aber die Ernte besserte sich nicht. Im nächsten Herbst vollzogen sie Menschenopfer, aber die Ernte wurde gleichschlecht oder schlechter. Aber im dritten Herbst kamen viele Schweden nach Uppsala, als das Opfer stattfinden sollte. Da berieten die Häuptlinge und kamen darin überein, dass das schlechte Jahr ihrem König Dómaldi geschuldet sei, und dass sie ihn für ein gutes Jahr opfern sollten, und ihm dabei helfen
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Der Erfolg, den die frühen asischen Herrscher garantieren konnten, war in dieser späteren Zeit nicht mehr gewährleistet, damit aber auch der ursprünglichen Legitimation des Opfers die Grundlage entzogen; in Snorris weiterer Erörterung wurde es mehr und mehr Zeichen eines Irrglaubens (erinnert sei schließlich an die Erzählung zu Aun (c. 25), der aus egoistischem Motiv seine Söhne opfert: þá gerði hann blót mikit ok blét til langlífis sér ok gaf Óðni son sinn, ok var honum blótinn).308 Mit der einleitenden Darstellung und Funktion des blót sind solche späteren Episoden nicht gleichzusetzen. Auf Snorris zeitliche Begrenzung der paganen Epoche wurde bereits verwiesen:309 Bemerkenswert, dass es gerade der Opferkult ist, der hier Ansprache findet – fyrirdœmast skyldi blótskaprinn ok blótmenninir, en í stað kom heilög trúa ok réttir siðir.310 Durch diese Konstruktion war es Snorri einerseits möglich, der negativen Sicht auf pagane Opferungen und einen spezifischen Wortschatz in seiner eigenen Zeit, dem Hochmittelalter, gerecht zu werden; andererseits aber konnte er für frühe Vorzeit den asischen Kult als substanzielles Element seiner Darstellung einsetzen.
4.6. Magie 4.6.1. Vorbemerkungen „Ordene fjo˛ lkunnigr og fjo˛ lkyngi blir en slags nøkkelord når vi skal finne ut av Snorres innstilling til det mytologiske stoffet.“311 Als nøkkelord, ‚Schlüsselwort‘, verstand Anne Holtsmark das norröne Substantivum fjo˛ lkyngi (‚Zauberkunst‘ (s.u.)), und maß ihm damit signifikante Bedeutung für die Interpretation von Snorris Gesamtwerk bei: „Det er trolldom kontra kristendom […]. Det er under denne synsvinkel Snorre vil at de unge skalder skal forstå hans bok om de gamle guder, og det er slik vi må prøve å forstå den.“312
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und ihn erschlagen und den Opferaltar mit seinem Blut röten sollten. Und so taten sie es.‘ Vgl. auch Lönnroth 1986, S. 83 ff. ‚Da veranstaltete er ein großes Opfer, und er opferte für ein langes Leben und gab Óðinn seinen Sohn, und dieser wurde geopfert.‘ Vgl. FN 163. ‚Das Opferwesen und die Opferer sollten verurteilt werden und an ihre Stelle traten der heilige Glaube und die rechten Sitten.‘ Holtsmark 1964, S. 12 (‚die Wörter fjo˛ lkunnigr und fjo˛ lkyngi sind eine Art Schlüsselwörter, wenn wir etwas herausfinden wollen über Snorris Einstellung gegenüber dem nordischen Stoff‘). Holtsmark 1964, S. 15 (‚Zauberei steht gegen Christentum […]. Unter dieser Perspektive, so will es Snorri, sollen junge Skalden sein Buch über die alten Götter verstehen, und so sollten auch wir versuchen, es zu verstehen‘).
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Diese These ist auch in aktueller Forschung präsent, wenn etwa Annette Lassen jüngst die Holtsmark’schen Ausdeutungen zu Zauberei in Snorris Werk fortführte.313 ‚Zauber‘ und ‚Magie‘ sind indessen keine scharf begrenzbaren Phänomene (s.u.); die einseitige Betrachtung Holtsmarks griff zu kurz. Snorri selbst gibt nirgends eine Definition, was er unter Magie versteht; er thematisiert jedoch unterschiedliche Ausformungen übernatürlicher Praxis, die in seinem Werk spezielle Funktionen erfüllen. Die folgenden Vorbemerkungen dienen daher der thematischen Präzisierung von ‚Magie‘ für die weitere Betrachtung. Unter Magie verstehen wir heute eine Form der menschlichen Naturbeherrschung und Weltaneignung, die sich von naivem Alltagsbewußtsein, der wissenschaftlichen Praxis und der Religion bzw. dem Kult unterscheidet. Von der Religion etwa dadurch, daß sie zu einer unverstellten, ganz unmittelbaren Anschauung von Natur und Welt neigt. Die Religion nimmt dagegen ein mehr oder minder ‚menschartig‘ (anthropomorph) gedachtes übermenschliches Wesen (Numen) an, das durch Gebete und Opfer versöhnt, beeinflußt und verherrlicht werden kann, ein Wesen, dem Willens- und Handlungsfreiheit zugestanden wird. […] Freilich ist die Grenze zur Magie nicht scharf zu ziehen.314
Mit dem Wort μαγεία bezeichneten die Griechen ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. astrologisches und heilskundliches Wissen ausländischer Priester. Solche Praxis erregte offensichtlich schon in früher Zeit Skepsis: „An den Begriff der Magie hefteten sich starke Emotionen, er war schon früh von zahlreichen dunklen Nebenbedeutungen umgeben: Magie war etwas Verdächtiges, etwas Bedrohliches.“315 In solch negativer Bedeutung wurde der Begriff später von christlichen Autoren rezipiert und etabliert. In der Bibel wurde wohl aus diesem Grund terminologische Separation in der Beschreibung übernatürlicher Fähigkeiten angestrebt. Von authorisierten Religionsvertretern (Priestern oder Propheten) angewandt, waren solche Kräfte positiv konnotiert, nicht aber magische Praxis anderer Menschen. Im Alten Testament dient Magie daher auch als Motiv zur Stilisie-
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Lassen 2010. Birkhan 2010, S. 9; vgl. auch Hultgård 2003b, S. 430: „Nach der Definition beinhaltet Religion auch Vorstellungen und Praktiken, die üblicherweise als Magie und Zauber bezeichnet werden, nachdem diese Praktiken normalerweise Hinweise auf suprahumane Wesen enthalten, auch wenn diese Gegenstand direkter Verehrung nicht sind. Die Grenzen zwischen Religion und Magie sind schwer zu ziehen.“ Vgl. weiterführend M. Schulz 2000, S. 53 f. und 372 ff. (bes. Fußnote 1276); Kippenberg 1995, S. 85. Kieckhefer 1995, S. 19.
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rung von Gegensätzen, wie sie im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Herrschermächte aufgebaut werden: Die Partei, die den mächtigeren (weil legitimen) Zauber beherrschte, behielt die Oberhand. Solche Kräfte wurden auf diese Weise zum legitimierenden Charakteristikum der herrschenden Religion; dieses Konzept wird auch für Snorris Darstellung zu bedenken sein. Viele Taten Jesu im Neuen Testament verweisen aber ebenfalls in solche Richtung.316 Wenn Jesus Christus Menschen durch Berührung von Krankheiten heilte, gar aus dem Reich der Toten zurückholte, dann konnte das von nichtchristlicher Seite als dämonische Praxis verurteilt zu werden. Diese Problematik wird auch im Stockholmer Homilienbuch thematisiert: Tóc guþ afþui maNdómiN oc hulþi sva holldi guþdómiN. At bǽþi fiándiN oc hans liþar ætloþo þar maN vera eíN hvern. Þuiat þeir só licamaN þaN er hann bar en eige guþdómiN. Só þeir stórmerki þav oc iartegner er hann gerþi af gudóminom […] oc qvo˛þo hann gera slict af diofols crapti en eige guþdoms.317
Den Juden (gyþingar) fehlte die Erkenntnis der christlichen Offenbarung, den göttlichen kraptr, der durch Jesus wirksam wurde, schrieben sie irrtümlich dem Teufel zu; vergleichbar erklärt der Formáli unter Verwendung der Ausdrücke jarðlig skilning und andlig spekt. Da Jesu Taten eng mit dem christlichen Glauben verknüpft sind (nisi signa et prodigia videritis non creditis),318 bildeten sie aber von Beginn an einen Grundstein der neutestamentlichen Darstellung. Überwindung dieser Problematik wurde in der Bibel durch begriffliche Trennung angestrebt: Übernatürliche Taten, die durch die Kraft des christlichen Gottes geschahen, wurden zum ‚(Wunder-) Zeichen‘ (signum) erklärt, einem dämonischen ‚Zauber‘ (veneficium, magice) entgegengestellt. Mit Erstarken der Kirche, aber auch durch weltliche Herrscher wurde Zauberei schließlich bei Strafe verboten.319 Auch im Norden Europas geschah dies in Folge der Christianisierung. Die Verurteilung magischer Prak-
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Kieckhefer 1995, S. 45 ff.; vgl. auch Beck 2007, S. 26. Homiliu-Bók. Isländska Homilier efter en handskrift från tolfte århundradet (hrsg. von Theodor Wisén), S. 169 (‚Gott nahm daher menschliche Natur an und verbarg so mit Fleisch seine Göttlichkeit, sodass der Feind [d.i. der Teufel] und seine Scharen glaubten, er wäre irgendein Mensch, weil sie den Körper sahen, den er trug, und nicht seine Göttlichkeit. Sie sahen die Großtaten und Wunder, die er vollbrachte, kraft seiner Göttlichkeit […] und sie sagten, dass er solches täte mit der Kraft des Teufels und nicht der Göttlichkeit‘). Joh 4,48 (‚wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht‘). Vgl. im Überblick Kieckhefer 1995, S. 202 ff.
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tiken ist vor allem in Rechtsquellen fassbar; so wird in den Gulaþingslo˛ g (c. 28) notiert: En ſa annarr er ferr með galldra oc gerningar. oc verða at þvi kunnir oc sanner. þeir ſcolo fara or landeign konongs várs. þvi eigu menn eigi at lyða. En ef þeir lyða. þa hava þeir firigort hverium penningi fiár ſins. En þeir ſcolo kost eiga at ganga til ſkripta oc beơta við Krist.320
Entsprechend formuliert auch die Grágás (c. 7): ef maþr ferr með galldra eþa gørningar. eþa fiolkýngi. þa ferr hann með fiolkyngi. ef hann queðr þat eþa kennir. eþa lætr queða, at ser eþa fe sinv. þat varþar honum fiorbaugs Garþ.321 Signifikant ist in beiden Fällen die Ansammlung von Umschreibungen für magische Handlungen, die (für den heutigen Betrachter) semantisch unbestimmt bleiben. Solche terminologische Breite betont einerseits die Bedeutung des Phänomens an sich, weist andererseits aber auf Unsicherheit im Verständnis hin: Deutung und Wertung von Magie sind bestimmt durch die angelegte Perspektive. 4.6.2. fjo˛ lkyngi In der zitierten Grágás-Passage findet sich nicht nur eine Nennung von fjo˛ lkyngi (m.), sondern auch der Ansatz einer Definition (s.o.): þa ferr hann með fiolkyngi. ef hann queðr þat eþa kennir. eþa lætr queða, at ser eþa fe sinv. Diese Aussage sperrt sich zwar klarer Deutung, erlaubt aber einige Annahmen. Bemerkenswert ist zunächst: Der Verfasser sah sich angehalten, eine Erklärung zu fio˛ lkyngi zu geben. Die Notwendigkeit solcher Erläuterung mag darin gelegen haben, dass das Lexem fio˛ lkyngi keine breite Verwendung fand: Die Gulaþingslo˛ g etwa sprechen allein von galdr und gerningar, kennen fjo˛ lkyngi nicht, und auch in anderen zeitnah zu Snorris Schaffenszeit datierenden Werken finden sich fjo˛ lkyngi und fjo˛ lkunnigr über-
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Norges Gamle Love indtil 1387 (hrsg. von Rudolf Keyser/Peter Andreas Munch), Bd.1, S. 17 (‚und derjenige, der mit Zauberliedern und Zauberei umgeht, und von dem dies bekannt und bekräftigt wird, die sollen den Landbesitz unseres Königs verlassen, denn das haben Männer nicht zu befolgen. Aber wenn sie sie [d.i. die Zauberei] befolgen, dann haben sie alles Geld ihres Besitzes verwirkt. Aber sie sollen die Möglichkeit haben, zur Beichte zu gehen und vor Christus Buße zu tun‘). In den folgenden Zeilen werden diese Vorschriften anhand zahlreicher Beispiele vertieft. Grágás. Konungsbók (hrsg. von Vilhjálmur Finsen), S. 22 (‚wenn ein Mann Umgang hat mit Zauberliedern oder Zauberei oder Zauberkunst: Er verwendet Zauberei, wenn er sie spricht oder kennt/lehrt oder sprechen lässt, auf sich bezogen oder seinen Besitz. Er wird dafür bestraft mit der kleinen Acht‘).
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aus selten. Das Grágás-Zitat deutet zudem an, dass fio˛ lkyngi semantisch zu trennen ist von galdr und gerningar, auf die die Verordnung im weiteren Verlauf nicht mehr rekurriert. Diese Separation von anderen Ausdrücken stützt die These, dass fjo˛ lkyngi ein Terminus mit speziellem, mehrwertigem Inhalt ist.322 Wörtlich übersetzt bedeutet das Adjektivum fjo˛ lkunnigr (als Kompositum aus dem Präfix fjo˛ l- und dem Adjektivum kunnigr) ‚sehr reich an Wissen‘ und steht neben entsprechend gebildetem Substantivum fjo˛ lkyngi. FrançoisXavier Dillmann betonte, vor allem dem zugrundeliegenden Wort kunnigr sei maßgebliche Bedeutung beim Verständnis von Magie zugekommen: À côté de fjo˛lkunnigr, de margkunnigr et des autres termes formés sur kunnigr ou dérivés de kunna, le vieux norrois connaît deux grandes familles lexicales qui illustrent la convergence des notions de magie, d’intelligence et de savoir. La première d’entre elles est fondée sur fróðr, dont la signification de base est ‚sage‘, ‚savant‘. Cet adjectif qualifie souvent un homme instruit, érudit, en possession d’un vaste savoir, d’ordre historique notamment. […] L’étude d’autres épisodes de la littérature norroise montre cependant que le terme fróðr a parfois été entendu comme synonyme de fjo˛ lkunnigr.323
Magie war eine Kunstfertigkeit, eine íþrótt, die von gewöhnlichen Menschen nicht ausgeführt werden konnte, sondern umfassendes Spezialwissen erforderte.324 Auch Jan de Vries hielt fest: Das Wort fjo˛ lkunnigr, mit dem in den nordischen Sprachen diejenigen, die sich mit magischer Kunst befassen, genannt werden, bezeichnet diese gar nicht immer als gefährliche, Schaden stiftende Personen. Es bedeutet ja nur ‚vielwissend‘ und das war sicherlich ein Ehrentitel, den man denen beilegte, die über außergewöhnliche Kenntnisse verfügten. Es hat eine Zauberkunst gegeben, die in hoher Achtung stand und eng mit dem Kult verknüpft war; das gilt besonders vom Runenzauber.325
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Vgl. auch Beck 2007, S. 26. Dillmann 2006, S. 201 (‚neben fjo˛ lkunnigr, margkunnigr und anderen Begriffen, die aus kunnigr und Ableitungen von kunna gebildet sind, gibt es im Altnordischen zwei große lexikalische Familien, die die Konvergenz lexikalischer Konzepte der Bezeichnungen für Magie, Intelligenz und Wissen veranschaulichen. Die erste von diesen beruht auf fróðr, dessen Grundbedeutung ‚klug‘, ‚gelehrt‘ ist. Dieses Adjektiv bezeichnet oft einen gelehrten Mann, belesen und im Besitz umfangreicher Kenntnisse, besonders der historischen Weisung. […] Das Studium anderer norröner Texte zeigt jedoch, dass der Terminus fróðr manchmal als Synonym für fjo˛ lkunnigr verstanden wurde‘). Vgl. Kap. 4.3.4.2. de Vries 1956, S. 324. Vgl. auch ebd., S. 335: „Egill [d.i. Egill Skallagrímsson] war fjo˛ lkunnigr im wahren Sinne des Wortes, und seine Kenntnis der verborgenen
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In solcher Weise werden auch die rúnar zu verstehen sein, mit denen Óðinn in der Ynglinga saga umgeht (c. 7): allar þessar íþróttir kendi hann með rúnum.326 Bedeutsam ist vor allem der Bezug solcher Fähigkeiten zum Kult, der wiederum die Verknüpfung mit den Göttern erlaubt: Die íþróttir der irdischen Asen basieren wesentlich auf einem bei der Namensübertragung auf sie übergegangenen göttlichen kraptr. Wenn Snorri in der Ynglinga saga davon spricht, dass auch der menschliche Óðinn im Norden Opfer vollzog (hann skyldi verja land þeira fyrir ófriði ok blóta þeim til árs (c. 8)),327 dann steht dahinter die Vorstellung, dass solche Fähigkeiten regelmäßiger Bestätigung durch höhere Mächte bedurften. Yng. c. 5
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En fyrir því at Óðinn var forspár ok fjo˛ lkunnigr, þá vissi hann, at hans afkvæmi myndi um norðrhálfu heimsins byggva. Váru þeir [d.i. die Opferpriester] næst honum [d.i. Óðinn] um allan fróðleik ok fjo˛ lkynngi. Margir aðrir námu þó mikit af, ok hefir þaðan af dreifzk fjo˛ lkynngin víða ok haldizk lengi.
‚Und weil Óðinn die Sehergabe hatte und zauberkundig war, da wusste er, dass seine Nachkommen in der Nordhälfte der Welt siedeln würden.‘ ‚Sie waren Óðinn am nächsten in allem Wissen und Zauberkunst. Viele andere lernten jedoch sehr davon und danach hat sich die Zauberkunst weit verbreitet und lange gehalten.‘
Fjo˛ lkunnigr oder fjo˛ lkyngi finden in der U-Gylfaginning zunächst keine Nennung: Gylver var maðr vitr, heißt es dort – der RTW-Zusatz ok fjo˛ lkunnigr fehlt.328 Gylfis Klugheit – nicht Zauberkunst – ist es, die für die Gylfaginning die zentrale Rolle spielt:329 Durch das Attribut fróðleikr wird Gylfi einerseits eingebunden in Snorris Anspruch an eine verlässliche Quelle; andererseits ermöglicht es ihm, mit überlegten, teils überlegenen Fragen die Berichte der Dreiheit zu hinterfragen, sie an die Grenzen ihres paganen Wissens zu drängen. Der Blick sei gelenkt auf die Einleitung der Bragaræður:
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Dinge haben seinem Ruf keinen Abbruch getan, sondern ihm Achtung und Ehrfurcht eingetragen.“ ‚Alle diese Fertigkeiten lehrte er durch geheimes Wissen.‘ ‚Er sollte ihr Land vor Unfrieden bewahren und sie [d.i. die Abgabe] für ein gutes Jahr opfern‘; vgl. Kap. 4.5.3. (FN 297). In der ersten Rubrik der Gylfaginning findet sich zwar der Zusatz fra því er gylfi sotti heim alfavþr i asgarþ með fjolkungi (‚davon, wie Gylfi Allvater in Ásgarðr mit Zauberei aufsuchte‘), doch die Unzuverlässigkeit der Überschriften wurde bereits notiert – hier ist nicht Snorris Hand zu sehen. Vgl. Kap. 4.4.4.2.
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Lexematische Analyse
Einn maðr er nefndr Ægir eþa Hler; hann bio iey þeiri, er nv er kollvð Hlesey; hann var mioc fjolkvNigr. Hann gerþi ferþ sina til Asgarþz, en æsir visv ferþ hans ok var honvm fagnat vel ok þo margir lvtir gorvir með sionhverfingvm.330
Mit diesen Worten leitet R ein; T folgt dem Wortlaut, W tauscht sjónhverfing gegen eine weitere Erwähnung von fjo˛ lkyngi. U hingegen formuliert: þesser æsir þago heimboþ at ægi i hles ey. Aþr hafþi oþinn hanum heim boþit 331 – die Diskrepanz beider Fassungen ist augenfällig. Das erneute Fehlen eines fjo˛ lkyngi kann aber auf ein bewusstes Konzept deuten und man könnte fragen, ob nicht im einleitenden Kapitel der U-Gylfaginning weniger eine Kürzung, als in RTW ein Nachtrag vorliegt:332 Die Aussage Gylfi var maðr vitr mag für einen Bearbeiter Anlass zur Ergänzung gewesen sein, scheint es sich doch bei vitr ok fjo˛ lkunnigr um eine stereotype Formel zu handeln.333 Verwendung findet fjo˛ lkyngi allein in Kapitel 26 von U: gott skip er skiþblaþnir. en fiolkyngi mvn við vera havfþ aþr sva veri gert;334 die wundersamen Eigenschaften des Schiffes lassen Gylfi vermuten, große Magie sei im Spiel gewesen. Diese Erwähnung bot Snorri die Möglichkeit, im Folgenden zwar thematisch einen unerwarteten Sprung zum bereits behandelten Þórr zu machen, dieses Mal aber einen anderen Aspekt anzusprechen: hvart hevir þorr hvergi þar komit at honvm veri ofrefli fyrir fiolkyngi savkvm.335 Þórr ist sterkastr asa ok allra gvþanna. ok manna (c. 18),336 das weiß Gylfi bereits; eine Überwindung Þórrs scheint ihm allein durch Fähigkeiten mög330
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‚Ein Mann heißt Ægir oder Hlér; er wohnte auf der Insel, die nun Hlésey heißt; er war sehr zauberkundig. Er machte seine Fahrt nach Ásgarðr, aber die Asen sahen seine Fahrt und er wurde gut aufgenommen, aber viele Dinge mit Sinnesentrückungen gemacht.‘ ‚Diese Asen nahmen eine Einladung bei Ægir auf Hlésey an. Vorher hatte Óðinn ihn zu sich eingeladen.‘ Bestätigt wird nochmals, dass im Codex Upsaliensis mit Gylfaginning, Bragaræður und Skáldskaparmál drei Teile vorliegen, die weitgehend unabhängig voneinander zu betrachten sind: In der Gylfaginning findet eine Entrückung mit einer folgenden paganen Dreiheitoffenbarung statt, die Bragaræður sind ein Gespräch zwischen Ægir und befreundeten Göttern (das Motiv von Ægir als Gastgeber findet sich auch in der Liederedda, etwa der Hymiskviða oder der Lókasenna) und die Skáldskaparmál schließlich sind eine von jeglicher Erzählinstanz oder Rahmenhandlung unabhängige Dichtkunstpräsentation. Vgl. auch Dillmann 2006, S. 145 ff. ‚Skíðblaðnir ist ein gutes Schiff und es muss Zauberei im Spiel gewesen sein, bevor es so gemacht war.‘ ‚Ist es Þórr nie geschehen, dass er übermannt wurde aufgrund von Zauberei?‘ Vgl. Kap. 4.4.4.4. ‚Der stärkste Ase aller Götter und Menschen.‘
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lich, die dessen physische Kraft übersteigen. Fjo˛ lkyngi wurde von Snorri offenbar als solche Fertigkeit verstanden – einige pagane Götter beherrschten solche Kunst zwar ebenfalls, konnten ähnlicher Macht aber auch unterliegen, waren nicht allmächtig. In der Ynglinga saga findet fjo˛ lkyngi mehrfach Verwendung, primär als Attribut des irdischen Óðinn: Er lehrte diese Kunst zunächst an sein engstes Gefolge, später erfuhr sie weite Verbreitung. Bemerkenswert ist abermals die undifferenzierte Semantik: In der Grágás wird zwar der Versuch einer Definition unternommen, aber unpräzise formuliert; die Aussage in Kapitel 5 der Ynglinga saga (en fyrir því at Óðinn var forspár ok fjo˛ lkunnigr, þá vissi hann, at hans afkvæmi myndi um norðrhálfu heimsins byggva)337 lässt ebenfalls offen, was unter fjo˛ lkunnigr zu verstehen ist – im Kontext kommt dem Attribut forspár die tragende Bedeutung zu; ok fjo˛ lkunnigr erscheint wiederum als formelhafte, alliterierende Ergänzung. Eine Auflistung von Fähigkeiten Óðinns, die in ihrer Art geeignet sind, unter einem Begriff ‚Magie‘ gefasst zu werden, findet sich erst in Kapitel 7.338 Interessant: Sowohl in der Rubrik als auch im Text werden sie dort als íþróttir bezeichnet. Solche íþróttir, die með rúnum ok ljóðum operieren, werden als galdrar spezifiziert, während fjo˛ lkyngi nun allein die Praxis des seiðr kennzeichnet – der allerdings auch als íþrótt bezeichnet wird. Im selben Kapitel schließlich wird fjo˛ lkyngi einem wichtigen Wort fróðleikr an die Seite gestellt, abermals aber auch auf íþróttir bezogen: en hann [d.i. Óðinn] kenndi flestar íþróttir sínar blótgoðunum. Váru þeir næst honum um allan fróðleik ok fjo˛ lkynngi.339 Für Snorri war fjo˛ lkyngi offensichtlich ein mehrwertiger Terminus, er gebrauchte andere Begrifflichkeiten teils synonym, teils differenzierend.340 Einen Anhaltspunkt für negatives Verständnis solcher Fähigkeiten bietet der Kontext nicht. Fjo˛ lkyngi wurde von Snorri als Fertigkeit verstanden, die ein überlegenes Volk wie die Asen, das in Kontakt zu seinen Göttern stand und in Asien seinen Ursprung hatte, auszeichnete. Bereits verwiesen wurde auf die enge Relation von fjo˛ lkyngi und kraptr: Der göttliche kraptr, von 337
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‚Und weil Óðinn die Sehergabe besaß und zauberkundig war, wusste er, dass seine Nachkommen in der Nordhälfte der Welt siedeln würden.‘ Vgl. auch Mitchell 2011, S. 79 ff. ‚Aber Óðinn lehrte die meisten Künste seinen Opferpriestern; sie waren ihm in allem Wissen und Zauberkunst am nächsten.‘ Vgl. auch Price 2008, S. 244 f.: „It seems that seiðr – and other named formes of magic such as gandr, galdr, útiseta and so on – formed a kind of collective, a package of techniques and principles for contacting the supernatural powers […]. It can be helpful to view them as tools in a toolkit of magic, to be selected and combined in different ways in order to suit the task at hand.“
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dem die Gylfaginning berichtet, den die Menschen dann später auch in den irdischen Asen sahen, war auf Erden eigentlich Zauberkunst. Dem Phänomen der Magie steht Snorri aber grundsätzlich neutral gegenüber und er zweifelt das Vorhandensein solch übernatürlicher Praxis auch nicht an. Im Gegenteil wird der fjo˛ lkyngi der irdischen Asen zum fundamentalen Element in Snorris Darstellung. Im Formáli wird berichtet von einer natürlichen Religion, in der Gylfaginning von temporärer Aufteilung des singulären kraptr auf konkrete Götter, und in der Ynglinga saga führt Snorri schließlich aus, was er am Ende der Gylfaginning andeutete: Die irdischen Asen haben sich mit den göttlichen identifiziert und etablieren nun schrittweise den Asenglauben. Óðinns Fähigkeit des spádómr (s.u.) offeriert eine Erklärung für die Wanderung gen Norden – Óðinn wusste, dass dort die Zukunft seines Geschlechts liegen würde. Die einleitenden Kapitel der Ynglinga saga erklären dann, wie sich dieser Polytheismus im Norden manifestierte: Die dortigen Menschen waren von den asisch-göttlichen Namen und ihren íþróttir, zu denen vor allem fjo˛ lkyngi zählte, derart beeindruckt, dass sie schließlich glaubten, wahre Götter vor sich zu haben. Bedenkenswert ist im Kontext der Legitimationsgedanke: In Hárs Bekenntnis zu Óðinn als Weltlenker (þat ættlum ver, at hann mvni sva heita. Sva heitir sa maðr, er ver vitvm mestan ok agæztan, ok vel megv þer hann lata sva heita (RTW c. 5))341 scheint das Einverständnis anzuklingen, den höchsten menschlichen Herrscher ebenfalls Óðinn zu nennen.342 Dieser Aufforderung kommen die irdischen Asen im Rahmenschluss nach. Die in der Ynglinga saga präsentierten Fähigkeiten Óðinns können als auf solch legitimer Stellvertreterrolle beruhende Kräfte verstanden werden. Nach Auskunft des Alten Testaments war göttlich legitimierte Magie rechtens; Snorri mag – im Blick auf nordische Vorzeit – vergleichbar gedacht haben. Er musste sich aber bezüglich des fjo˛ lkyngi bewusst sein, dass die Asen nur am Anfang einer Entwicklung stehen konnten; auch die Dichtkunst war ja auf längere Sicht nicht ihnen allein vorbehalten. Mælti hann [d.i. Óðinn] alt hendingum, svá sem nú er þat kveðit, er skáldskapr heitir. Hann ok hof-
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‚Das glauben wir, dass er so heißen wird; so heißt der Mann, den wir als den größten und berühmtesten kennen, und wohl mögen sie ihn so heißen lassen.‘ Ähnlich zu verstehen (emendiertes) U: þar er sá eptir heitinn, er menn vita mestan vara (‚danach ist der benannt, den die Menschen als Größten kennen‘); vgl. Beck 2007, S. 18. Bemerkenswert ist die Formulierung: þeir bezieht Gylfi offensichtlich nicht mit ein, er erscheint abermals als Sonderfigur. Hans Kuhn vermutete hinter hann den Allvater (Kuhn 1942, S. 163 f.); vgl. Kap. 4.3.4.1.
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goðar hans heita ljóðasmiðir, því at sú íþrótt hófsk af þeim í Norðrlo˛ ndum (Yng. c. 6),343 berichtet Snorri zur Skaldik; allar þessar íþróttir kenndi hann með rúnum ok ljóðum, þeim er galdrar heita. Fyrir því eru Æsir kallaðir galdrasmiðir (Yng. c. 7),344 führt er entsprechend zur Zauberei aus. Die Asen sind ljóðasmiðir – damit als Schöpfer und Tradierer der Skaldenkunst in besonderem Maße bedeutsam –, sie sind aber zugleich auch galdrasmiðir, was keine Abwertung implizieren kann. Snorri deutet jedoch an, dass diese in der Frühzeit kulturschaffenden Kräfte der Asen, ähnlich wie ein blót, in späterer Zeit nicht mehr unter gleichen Voraussetzungen zu betrachten sind, sondern zunehmend Ablehnung erfuhren. Beispielhaft erwähnt sei Kapitel 16 der Ynglinga saga: en er seiðr var framiðr, var Vanlandi at Uppso˛ lum. Þá gerði hann fúsan at fara til Finnlands, en vinir hans ok ráðamenn bo˛ nnuðu honum ok so˛ gðu, at vera mundi fjo˛ lkynngi Finna í fýsi hans.345 Anne Holtsmark sah den Bezug zu Finnland in den Zeitumständen Snorris begründet: „Der er det hedninger, på Snorres tid var de aktive dyrkere av hedenske guder“346 – dieser Punkt ist nicht von der Hand zu weisen. Von einer grundsätzlichen Verdammung der Zauberei als (teuflischer) Betrug kann in Snorris Werk aber keine Rede sein; im Gegenteil ist gerade in den einleitenden Kapiteln der Ynglinga saga eine positive Konnotation zu verzeichnen. 4.6.3. spádómr In den Bereich des Übernatürlichen fällt auch die Gabe des spádómr (m.); das Kompositum der Substantiva spá ((f.) ‚Weissagung, Prophezeiung‘) und dómr ((m.) ‚Urteil, Entscheidung, Gericht‘) wird allgemein verstanden als Fähigkeit des Weissagens. Das Lexem ist offensichtlich eine späte Bildung, in den Wortlisten von Larsson und Holtsmark findet sich bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts keine Erwähnung; in geringer Zahl finden sich
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‚Er sprach alles in Reimen, so wie jetzt das gesprochen wird, was Dichtkunst heißt. Er und seine Opferpriester heißen Liederschmiede, weil diese Kunst von ihnen in den Nordländern etabliert wurde.‘ ‚Alle diese Künste lehrte er durch geheimes Wissen und Lieder, die Zauberlieder heißen; deshalb werden die Asen Zauberliedschmiede genannt.‘ ‚Aber als der Zauber vollzogen wurde, weilte Vanlandi in Uppsala; da wurde er begierig darauf, nach Finnland zu fahren, aber seine Freunde und Berater verboten es ihm und sagten, dass finnische Zauberei hinter seinem Verlangen liegen würde.‘ Holtsmark 1964, S. 14 (‚da sind die Heiden, die zu Snorris Zeit aktive Verehrer heidnischer Götter waren‘).
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spá (‚Weissagung‘) sowie die Komposita spákona (‚Seherin‘) und spámaðr (‚Seher‘). Mit dem Übergang von der heidnischen Antike zum Christentum veränderte sich die Haltung gegenüber der Weissagung nicht grundsätzlich. Für die christliche wie für die heidnische Welt kann der Mensch Zugang zur Kenntnis der Zukunft erlangen. Es ändern sich lediglich die Mittel dieses Zugangs sowie ihre Anwendungsbereiche.347
Im Christentum hatte die Zukunftsschau fundamentale Bedeutung, denn, wie Georges Minois weiter bemerkte, Jesus war „der Prophet par excellence, der die Zukunft ebenso gut kennt, wie die Vergangenheit und die Gegenwart.“348 Das Neue Testament rekurriert an zahlreichen Stellen auf das Alte Testament, stellt das Christentum als bereits in vorchristlicher Zeit prophezeit dar, und die christliche Lehre zielt auf die Verkündigung des Herannahens von Gottes Reich. Diese Bedeutung der Prophezeiung für die christliche Religion bedingte abermals eine Trennung von legitimer Weissagung und illegitimer Wahrsagung: Zulässig war allein die von Gott inspirierte Prophetie, während sonstige Zukunftsschau als Aberglaube und Betrug verdammt wurde.349 Bereits Isidor von Sevilla stellte in Band 8 (De ecclesia et sectis) seiner Etymologien im Kapitel De Magis die Verwerflichkeit nichtgöttlicher Wahrsagung fest: In quibus omnibus ars daemonum est ex quadam pestifera societate hominum et angelorum malorum exorta. Vnde cuncta vitanda sunt a Christiano, et omni penitus execratione repudianda atque damnanda. Auguria autem avium Phryges primi invenerunt. Praestigium vero Mercurius primus dicitur invenisse. Dictum autem praestigium, quod praestringat aciem oculorum.350
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Minois 1998, S. 165. Minois 1998, S. 179. Ausnahme ist nach Mat 24,36 allein der genaue Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts. Vgl. Minois 1998, S. 165; Simek 2003, S. 215. Im Katechismus der Katholischen Kirche wird noch für heutige Zeit bestätigt: „Sämtliche Formen der Wahrsagerei sind zu verwerfen“ (Absatz 2116 (zitiert nach Katechismus der Katholischen Kirche, S. 545)). Für ein Wort spá findet sich in den isländischen Homilien ein einzelner positiver Beleg, wenn der Apostel Jakob von sich sagt: ec hafa alla specþ oc spár (‚ich habe alle Weisheit und Sehergabe‘ (Homiliu-Bók. Isländska Homilier efter en handskrift från tolfte århundradet (hrsg. von Theodor Wisén), S. 113)). Isidori Hispalensis episcopi. Etymologiarum sive originum. Libri xx (hrsg. von Wallace Martin Lindsay), Bd. 1, S. 326 f. (‚in all diesen [d.i. mit der Weissagung verbundene Amulette] ist die Kunstfertigkeit der Dämonen einer bestimmten verderbten Verbindung von Menschen und bösen Engeln entsprungen. Daher sind all diese Dinge von Christen zu vermeiden und mit jedem Fluch gänzlich zurückzuweisen und zu verdammen. Die Phrygier waren die Ersten, die die Weissagung
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Im hochmittelalterlichen Norden finden Rechtsquellen in ihren Verordnungen klare Worte gegen unrechtmäßige Formen der Wahrsagung, hier als Beispiel abermals die Gulaþingslo˛ g (c. 28): Ɖat er nu þvi neſt at ver ſcolom eigi lyða ſpám ne golldrum ne gerningum. En ſa er kunnr oc ſannr verðr at þvi. at hann segir ſpar. eða ferr með ſpám. þa er hann maðr utlagr oc uheilgar. oc hverr penningr fiár hans. þat a halft konongr. en halft biſcop. En ſa annarr er ſpám lyðir. oc verðr ſannr at þvi. þa scal ſa beơta […].351
Vom rechtlichen Standpunkt aus war nicht nur das Vollziehen einer Wahrsagung (wiederum aber keine Erwähnung von spádómr) mit strenger Strafe verbunden, sondern auch das Befolgen des Vorhergesagten zog eine Bestrafung nach sich. Galdr und gerningar machen dabei einen Bezug zu verbotener magischer Praxis offensichtlich (s.o.). Keine Klarheit herrscht in der Frage, inwieweit die Sehergabe selbst als magisches Attribut zu verstehen ist: François-Xavier Dillmann sprach im Fall von spádómr und Magie von zwei zu trennenden Bereichen;352 Klaus von See bezog sich gar auf den Formáli (Oþin hafþi spadom ok sva kona hans),353 wenn er festhielt, dass die irdischen Asen dort „über Zauberkräfte gar nicht verfügen“.354 Rudolf Simek hingegen rechnete spá zum Bereich der Magie, betonte jedoch, es müsse genauer unterschieden werden in weiße und schwarze Magie: Wahrsagung einerseits durch Teufelskraft, andererseits mit Hilfe abergläubischer Riten, dem heutigen Werfen von Münzen vergleichbar.355 Das Problem einer Wertung liegt zum ersten in terminologischer Unschärfe begründet: Mit u.a. ‚Weissagung‘, ‚Wahrsagung‘, ‚Divination‘, ‚Pro-
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durch Vögel entdeckten. Aber man sagt, dass Merkur als erster die Blendwerke erfunden hat. Sie heißen Blendwerke, weil sie die Schärfe der Augen trüben‘). Norges Gamle Love indtil 1387 (hrsg. von Rudolf Keyser/Peter Andreas Munch), Bd. 1, S. 17 (‚das ist nun das nächste, dass wir uns weder nach Weissagung noch Zaubergesängen noch Zauberei richten sollen. Aber der, von dem bekannt und bekräftigt wird, dass er weissagt oder mit Weissagung umgeht, der ist dann geächtet und rechtlos und die eine Hälfte seines Geldes fällt dem König zu, die andere dem Bischof. Und derjenige, der sich nach Weissagung richtet und dessen überführt wird, der soll Buße zahlen‘). „Mais spádómr désigne aussi le don de voyance ou de divination, en dehors de toute mention d’une opération de magie“ (‚aber spádómr bezieht sich auch auf die Gabe der Hellseherei oder Wahrsagerei, ohne jegliche Erwähnung einer magischen Handlung‘ (Dillmann 2006, S. 31)). ‚Óðinn besaß die Sehergabe und seine Frau ebenfalls.‘ Von See 1999b, S. 279. Simek 2003, S. 213 ff. Vgl. auch M. Schulz 2000, S. 129 ff.
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phetie‘, ‚Verheißung‘ und ‚Mantik‘ kursieren in der heutigen Forschung zahlreiche teils synonym, teils distinktiv verstandene Begriffe. Zweitens stellte die Umsetzung einer geforderten Trennung in erlaubte und verbotene Zukunftsschau schon die Kirchenväter vor eine Herausforderung: Zwar sind sie sich über die Rechtmäßigkeit und die Möglichkeit einer bestimmten Kenntnis der Zukunft einig, aber da sie es mit einer großen Vielfalt von Mitteln zu tun haben, fällt es ihnen oft schwer, zwischen dem allgemeinen Prinzip und dessen statthaften oder unstatthaften Anwendungen zu entscheiden.356 Form. U U c. 17
Þessi oþinn hafþi mikinn spadom. En Frigg kona hans veit ok orlog manna. þott hon segi engar spar.
U c. 21
Gvþin ravkto til spadoma.
U c. 22
Allar spar savgþo at hann [d.i. der Fenriswolf] mvndi vera lagþr til skaþa þeim. En fyrir því at Óðinn var forspár ok fjo˛lkunnigr, þá vissi hann, at hans afkvæmi mundi um norðrhálfu heimsins byggva.
Yng. c. 5
‚Dieser Óðinn besaß die Sehergabe in großem Maße.‘ ‚Und Frigg, seine Frau, kennt auch das Schicksal der Menschen, obwohl sie keine Weissagungen macht.‘ ‚Die Götter griffen auf Weissagung zurück.‘ ‚Alle Weissagung besagte, dass er ihnen zum Schaden bestimmt sein würde.‘ ‚Und weil Óðinn die Sehergabe besaß und zauberkundig war, da wusste er, dass seine Nachkommen im Nordteil der Welt siedeln würden.‘
In der Einleitung der RTW-Gylfaginning (c. 2) findet sich die Aussage: en æsir voro þvi visare, at þeir ho˛ fþv spadom ok sa þeir ferþ hans fyR en hann kom.357 In der Fassung U wird abweichend formuliert: æsirnir voro þvi visari at þeir sa ferþ hans 358 – den irdischen Asen wird hier eine Sehergabe nicht explizit zugeschrieben. In der U-Gylfaginning wird spádómr ausschließlich erwähnt als Attribut der göttlichen Asen (s.u.); daneben finden sich zwei Erwähnungen von spá. Im Formáli wird berichtet von der spákona Sibil (die berühmte(n) Seherin(nen) der Antike), die Trór zur Frau nahm und die nach Ansicht des Verfassers identisch ist mit der nordischen Sif: j norþr halfo heimsins fann hann spa konv eina er Sibil het. en ver kollvm
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Minois 1998, S. 184. ‚Die Asen waren klüger, weil sie die Sehergabe besaßen, und sie sahen seine Fahrt, bevor er kam.‘ ‚Die Asen waren klüger, weil sie seine Fahrt sahen.‘
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sif.359 Im Folgenden berichtet der Text dann von Óðinns Sehergabe; Klaus von See interpretierte diese Erwähnung dahingehend, der spádómr der Asen solle als vererbt erklärt werden.360 In RTW wird weiter erörtert, welche Funktion die Kunst des Weissagens in der Gesamtdarstellung des Formáli einnimmt: af þeim visindvm faN hann þat, at nafn hans mvndi vppi vera haft inorðrhalfv heims og tignat vm fram alla konvnga.361 Diese Aussage deckt sich mit der Ynglinga saga: en fyrir því at Óðinn var forspár ok fjo˛ lkunnigr, þá vissi hann, at hans afkvæmi mundi um norðrhálfu heimsins byggva.362 Im RTW-Formáli wird spádómr beschrieben als vísindi, in der Ynglinga saga einem fjo˛ lkyngi an die Seite gestellt. Vísindi trägt die Bedeutung ‚Wissen‘ oder ‚Kundschaft‘, kann in Richtung der angesprochenen Verknüpfung von Wissen und Magie deuten (s.o.). Die Formel forspár ok fjo˛ lkunnigr der Ynglinga saga deutet aber an: Snorri verstand die Kunst des Weissagens nicht als Teilbereich der Magie, sondern nur in Relation zu dieser stehend – seine fehlende Definition von fjo˛ lkunnigr erschwert den Vergleich. Mit dem Namentausch am Ende der Gylfaginning geht eine Kräfteübertragung einher, das wurde ausgeführt: Göttlicher kraptr wird zu irdischen íþróttir. Nach RTW aber besaßen die irdischen Asen bereits vor der Götteroffenbarung die Fähigkeit des spádómr; hier mag ihre Herkunft aus dem mittelpunktsnahen Asenland eine Erklärung liefern. Die Formulierung in U, die allein ein Adjektivum víss, nicht aber einen spádómr kennt, erscheint in diesem Punkt konsequenter, bietet Snorris Darstellung in der Gylfaginning doch noch gar keine Notwendigkeit einer Sehergabe der irdischen Asen: Gylfi war maðr vitr, ein kluger Mann, aber die Asen waren in diesem Fall vísari, klüger, denn sie wussten bereits um seine Ankunft – auf welchem Weg sie diese Kunde erhalten, ist für die weitere Handlung ohne Belang. Für Menschen wird die Fähigkeit des spádómr erst in der Ynglinga saga bedeutsam: Der Norden wird von den irdischen Asen als künftige Heimat erkannt; Snorri konnte dadurch den Blick vom Asenland in den Norden wenden. Hier bewegt er sich zeitlich jedoch bereits nach der Götterpräsentation,
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‚In der Nordhälfte der Welt fand er eine Seherin, die Sibil hieß, aber wir nennen sie Sif.‘ Von See 1999b, S. 280. ‚Durch diese Kunde erkannte er, dass sein Name in der Nordhälfte der Welt hochgehalten und vor allen Königen verehrt werden würde.‘ Beachtenswert ist im Zusammenhang, dass der Formáli in U gegenüber RTW dem irdischen Óðinn gar einen mikinn spádómr zuschreibt, die U-Gylfaginning dann jedoch überhaupt keinen spádómr der irdischen Asen kennt.
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Lexematische Analyse
spádómr würde korrekt zu den übernommenen Fähigkeiten der irdischen Asen zählen. Die göttlichen Asen aber besitzen auch in der Gylfaginning die Fähigkeit des spádómr und sind nach Snorris Darstellung imstande, sich menschlichen Zuhörern in einer Götterschau zu offenbaren – innerhalb dieser Offenbarung sehen sie das Ende ihrer eigenen Zeit heraufziehen (c. 21): En er þessi .iij. systkin born loka fæddvz vpp i iotvnheimvm ok gvþin ravkto til spadoma at af þessvm bornvm mvndi þeim mikit vhapp standa. ok þotti ollvm illz af ván fyrst af moþernino en verra af favþrnvm.363
Nur wenige Zeilen später wird nochmals betont: ok allar spar savgþo at hann [d.i. der Fenriswolf] mvndi vera lagþr til skaþa þeim.364 Das Ende der Götter, ragnaro˛ k, war zentrales Motiv der nordischen Mythologie und Religion. Der finale Tod der asischen Götter war wichtiger Baustein in Snorris Darstellung: Die pagane Zeit war begrenzt, die Götter nicht unsterblich. Der in die Zukunft gerichtete Offenbarungscharakter der Götterschau machte den Rückgriff auf spádómr nötig.365 Die Binnenhandlung der Gylfaginning vollzieht in diesem Konzept gleichsam einen zweifachen Blick in die Zukunft: Die Dreiheit vermittelt Wissen über das Schicksal der paganen Götter von deren Anfängen bis zum Untergang – zum Ende hin als Blick in eine noch kommende Zukunft. Doch innerhalb der Dreiheitspräsentation, d.h. auf einer Erzählebene innerhalb der Binnenerzählung, sehen die paganen Götter selbst ihr einstiges Ende voraus. Snorri trennte menschliche Zukunftsschau (Formáli, Ynglinga saga), die dem irdischen Óðinn sein künftiges Herrschergebiet offenbarte, von zweifacher göttlicher Weissagung (Gylfaginning), die das Ende der paganen Welt verkündete; in diesem Konzept liegt eine bemerkenswerte Paralle zur Entwicklung von Weissagungen in historischer Perspektive vor: Die politischen und kriegerischen Ereignisse, das Los der Herrscher und der Reiche, auf die sich die heidnischen Vorhersagen meist bezogen, machen globalen Ankündigungen planetarischen Ausmaßes Platz, die die Menschheit oder gar den Kosmos betreffen.366
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‚Aber als diese drei Geschwister, Kinder Lokis, in Riesenheim aufgezogen wurden, und die Götter in Weissagungen erfuhren, dass ihnen durch diese Kinder großes Unglück entstehen würde, da schien allen etwas Böses zu drohen, zuerst von der mütterlichen Sippe, aber schlimmer vom Vater.‘ ‚Und alle Prophezeiungen sagten, dass er dazu bestimmt sei, ihnen zu schaden.‘ Vgl. auch Kap. 3.4.1.2. Minois 1998, S. 165.
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Durch den spádómr der Götter und die Offenbarung der Dreiheit konnte Snorri das Ende der paganen Zeit betonen, eine Beschränkung des Asenglaubens nochmals hervorheben; das zeitliche Ende des nordischen Polytheismus findet sich in seinem Werk mehrfach angesprochen, das wurde notiert. Gleichzeitig aber konnte Snorri durch den Zukunftscharakter des Erzählten deutlich machen: Vor diesem Ende würde noch eine lange Epoche des Asenglaubens folgen, langar stundir, bis schließlich die Zeit des Christentums kommen sollte. Die menschliche Fähigkeit der Weissagung hingegen bewegt sich in den Bahnen eines translatio-Gedankens, motiviert die Fahrt gen Norden, damit einen Kulturtransfer; die konzeptionelle Nähe zum biblischen Propheten Daniel ist bemerkenswert.367 4.6.4. seiðr Snorri gebraucht in der Ynglinga saga mehrfach das Substantivum seiðr (m.).368 Seine vergleichsweise ausführliche Darstellung dessen, was er unter seiðr verstand (s.u.), hat Snorri in der Forschung zu einer Hauptquelle für Informationen über die Praxis des seiðr werden lassen; doch hat die Formulierung þessi fjo˛ lkynngi, er framið er, fylgir svá mikil ergi, at eigi þótti karlmo˛ nnum skammlaust við at fara 369 (c. 7) auch Anlass geboten, Snorri eine ablehnende Haltung gegenüber Magie im Allgemeinen zu unterstellen.370 Diese Einschätzung wurde bereits hinterfragt; einige Anmerkungen seien ergänzt. Nach Darstellung der Ynglinga saga war seiðr ursprünglich nicht Teil der asischen Zauberei, sondern wurde vermittelt über Kontakt zu den Vanen,371 bei denen seiðr gar als Sitte (tíðr) bezeichnet wird (c. 4): dóttir Njarðar var Freyja. Hon var blótgyðja. Hon kenndi fyrst með Ásum seið, sem Vo˛ num var títt.372 Auffallend, dass seiðr im weiteren Verlauf neben Óðinn (als Gestaltwandler?) ausschließlich den weiblichen Opferpriestern vorbehalten bleibt – von diesen weiß Snorri sonst nichts zu berichten. Der
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Vgl. Kap. 4.2.2.1. Zur Diskussion vgl. Dillmann 2007, S. 858 f. Vgl. auch Grambo 1991. ‚Dieser Zauberkunst, die vorgestellt wurde, folgt so große Schamlosigkeit, dass Männer sie nicht ohne Schande praktizieren können.‘ Bereits Felix Niedner merkte an, dass an dieser Stelle Snorris christliche Grundeinstellung zum Tragen käme (Snorris Königsbuch 1 (übertragen von Felix Niedner), S. 33.) Zum Verhältnis von Asen und Vanen vgl. Simek 2006, s.v. Wanen. ‚Die Tochter von Njo˛ rðr war Freyja, sie war Opferpriesterin und machte als erste die Asen mit dem seiðr bekannt, wie er bei den Vanen Sitte war.‘
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Grund wird in der Praxis des seiðr liegen, die in den Bereich des ergi verwies.373 Ármann Jakobsson resümierte in einem jüngsten Beitrag: Ergi refers to something abnormal, magical, negative and anti-social. […] Its appearance […] in the depiction of Óðinn’s magic, however, does not have to mean that the witch is doing something unmanly in the ritual. It might merely mean that he is being anti-social. Perhaps the real oppositions here are not so much male and female as darkness and light, or front and back: Magic is thus ergi in that it is anti-social and evil, as well as queer.374
In der vorausgegangenen Untersuchung wurde jedoch die semantische Unschärfe des Wortschatzes um Magie notiert. Snorris offensichtlich mehrwertige Vorstellung von fjo˛ lkyngi erschwert sowohl die Deutung des seiðr als auch die genaue Konnotation eines Begriffs ergi im Kontext, doch lässt sich festhalten: Eine Gleichsetzung vollzieht er nirgends, er bezeichnet den seiðr ausdrücklich als nur eine Form von fjo˛ lkyngi (þessi fjo˛ lkyngi, er framið er):375 Óðinn kunni þá íþrótt, svá at mestr máttr fylgði, ok framði sjálfr, er seiðr heitir, en af því mátti hann vita ørlo˛ g manna ok óorðna hluti, svá ok at gera mo˛ nnum bana eða óhamingju eða vanheilindi, svá ok at taka frá mo˛ nnum vit eða afl ok gefa o˛ ðrum.376
Grundsätzliche Ablehnung der Magie kann aus dieser oft zitierten Stelle daher nicht gefolgert werden. Die Praxis des seiðr beschränkt Snorri zudem auf Óðinn und Priesterinnen – immerhin kam der seiðr einst über eine Frau, Freyja, von den Vanen.377
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Vgl. Dillmann 2007, S. 864 f. Ármann Jakobsson 2008, S. 63; vgl. auch Ármann Jakobsson 2011. Einige Handschriften überliefern: þessi fjo˛ lkyngi, ef framið er (‚diese Zauberkunst, wenn sie ausgeführt wird‘); das Pronomen þessi schafft dennoch den Bezug zum unmittelbar Vorausgehenden. ‚Óðinn beherrschte die Kunst, der die größte Macht folgte, und betrieb sie selbst, die seiðr heißt. Dadurch konnte er das Schicksal der Menschen sehen und noch nicht geschehene Dinge; er konnte Menschen auch den Tod bringen oder Unglück oder Krankheit, konnte ihnen den Verstand nehmen oder die Kraft und sie anderen geben.‘ Vgl. auch Dillmann 2006, S. 446 ff. Zur Diskussion vgl. auch Solli 2002, S. 128 ff.
5. Schlussbetrachtung 5.1. Die Struktur der Gylfaginning Die Beobachtungen der vorausgehenden Wortschatzuntersuchungen zu Gylfaginning und Ynglinga saga bedingten in mehreren Punkten eine Neubewertung der snorrischen Darstellung. Dies betraf einerseits die Inhalte, andererseits die Konzeption. Auch die planvolle Verknüpfung beider Werke konnte über lexematische Betrachtung erstmals stichhaltig nachvollzogen werden. Die Gylfaginning stellt aber heutzutage die Grundlage jeglicher Annäherung an Snorris Mythologie- und Religionsverständnis dar, wird zum Ausgangspunkt weiterführender Ansätze – und das auch für die Erforschung der nordischen Mythologie und Religion(en) überhaupt. Die gewonnenen Erkenntnisse fordern daher den revidierten Blick auf die Konzeption der Gylfaginning in ihrer Gesamtstruktur; seit Anne Holtsmark erfolgte eine Beurteilung nicht mehr unter lexematischen Gesichtspunkten. Ziel solcher Gesamtschau kann es nicht sein, von Snorri präsentiertes mythologisches Material sämtlich unter die erarbeiteten Konzepte zu zwingen. Es wurde festgehalten: Trotz zielgerichteter Nutzung der Überlieferung gibt er diese doch – im Vergleich zu seinen bekannten Quellen – oftmals weitgehend unverändert wieder. Sein Konzept basierte weniger auf Modifikation und Vorenthaltung, als vielmehr auf verständiger Strukturierung der überlieferten Mythen und auf kundiger Anwendung eines spezifischen Wortschatzes. Dieser Umstand bedingt, dass Snorri, mythographischem Anspruch folgend, auch solche Überlieferung in die Darstellung aufnahm, deren Bezug zu seinen Deutungskonzepten allenfalls als vage zu bezeichnen ist. Dies betrifft einzelne Elemente der nordischen Kosmologie und Eschatologie ebenso wie etwa die Vanen; hier sind neuerliche Einzelstudien künftiger Forschung gefragt. Zu betonen ist doch, dass solche Überlieferung den im Vorausgehenden wahrscheinlich gemachten Ideen Snorris nirgends widerstrebt; sie erscheint als eigenständiges Material einer Mythographie. Im einleitenden Kapitel der Gylfaginning (die Zählung von U beginnt in der Arnamagnäanischen Ausgabe erst bei c. 5) wird der Protagonist Gylfi
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Schlussbetrachtung
eingeführt, er motiviert durch seine Wissbegier die weitere Handlung. Es zeigte sich: Keinesfalls ist er von Snorri als naiver Heide konzipiert gewesen, dessen Aufgabe darin bestanden hätte, einen betrügerischen Asenglauben zu übernehmen und im Norden zu verbreiten; RTW verweisen zwar in solche Richtung, sind damit aber keinesfalls erschöpfend bedacht. Gylfi erfüllte in Snorris Werk eine komplexere Funktion. Er stand einerseits stellvertretend für den Vorchristen, der aufgrund eines unzureichenden Erkenntnishorizonts, der jarðlig skilning, den Weg von natürlicher Gotteserkenntnis (die noch den singulären Herrschergott erahnte) hin zu einem Polytheismus (der ein konkretes Götterkollektiv kannte) beschritt. Der menschliche Akt einer Sprachschöpfung erlaubte nicht nur das Tradieren von Mythen – er war Voraussetzung für deren Entwicklung; damit endete die Epoche des mythenlosen Gottes einer natürlichen Religion, so berichtet der Formáli. An diesem Punkt setzte Snorri mit der Gylfaginning an, ohne sämtliche Ideen des Formáli zu übernehmen. Aber ihm lagen solche Mythen als Quellen seiner Präsentation vor. Doch Snorri schuf nicht bloße Paraphrase um eddische Zitate, die allein als Hintergrundwissen für die Skaldik gedient hätte – sein Konzept war weitreichender: Er kreierte eine den neuen Götterglauben offenbarende Dreiheit und verfolgte damit eine Form der Präsentation, die sich am biblischen Darstellungskonzept orientierte. Diese Dreiheit täuschte weder Gylfi noch die irdischen Asen bewusst – sie war in Snorris Darstellung selbst der paganen Erkenntnisbeschränkung unterworfen: Aus vorchristlicher Perspektive schilderte sie eine Wahrheit (s.u.), die jedoch vom christlichen Publikum als nur analoge Vorausdeutung auf das folgende Christentum verstanden werden sollte; die asische Offenbarung ist der christlichen in jeder Hinsicht unterlegen, daran lässt Snorri keinen Zweifel. Gylfi war aber andererseits fróðr maðr, ein kluger Mann; durch diese Auszeichnung erhob Snorri einen Wahrheitsanspruch an die folgende Präsentation, auf den er nachfolgend im Eptirmáli i explizit rekurrierte, wenn er vom rechten Verständnis des Berichteten sprach. Dieser Hinweis auf einen richtig zu deutenden Wahrheitsgehalt der paganen Mythen ist charakteristisch für Snorris Umgang mit der vorchristlichen Überlieferung. Das Attribut fróðr erlaubte Snorri jedoch auch, den Asenglauben durch einen kritischen Gylfi stets zu hinterfragen: Er konnte die Dreiheit pagane Vorstellungen darlegen lassen, die zum Christentum in Relation standen – aber er konnte, der Analogieformel folgend, zeitgleich auf Unähnlichkeiten und Beschränkungen dieser vorchristlichen Religion verweisen. Die Untersuchung zeigte, dass vor allem die Fassung U in dieser Darstellung konsequent ist, wenn Gylfi unabhängig von räumlicher und zeitlicher Einordnung agiert: Er tritt in Erscheinung als funktionelle Prüfinstanz der Dreiheitsoffenbarung.
Die Struktur der Gylfaginning
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Die Rolle des Religionsvermittlers übernehmen hingegen die irdischen Asen, nachdem sie der Unterredung zwischen entrücktem Gylfi und offenbarender Dreiheit beigewohnt haben – sie sind Zeugen dieses Ereignisses; auch dies ein Hinweis auf Snorris Anspruch einer verlässlichen Darstellung. Es konnte in der Betrachtung wahrscheinlich gemacht werden, dass dieses bedeutungsvolle Treffen im vorderasiatischen Asenland stattfand. Die dortige Verortung implizierte nicht nur Nähe zum christlichen Zentrum Jerusalem, sie wurde für Snorri auch zur Grundlage eines translatio-Gedankens, der die nordische Kultur in weltgeschichtlichen Kontext integrierte. In den Kapiteln 6 bis 11 der U-Gylfaginning widmet sich Snorri den kosmogonischen Vorstellungen der paganen Welt. Allein in Kapitel 6 liegt dabei der Schwerpunkt auf einem schöpferischen Allvater, der von der Dreiheit als höchster und ältester aller Götter eingeführt wird. Die Untersuchung zeigte: Dieser Allvater ist Snorris Personifikation eines universalen kraptr. Zu Beginn der Gylfaginning erscheint er noch als Reminiszenz an die Gottesidee einer natürlichen Religion, ebenso der lenkende, aber unpersonifizierte kraptr, der den Anstoß zur Schöpfung gibt (s.u.). Hier ist Snorris Idee einer zeitlosen schöpferischen Allmacht evident, die aus christlicher Perspektive bereits auf den Christengott verweist. Die einleitende Positionierung des Allvaters erfüllte daher eine wesentliche Funktion in der Darstellung – Snorri rückte die nachfolgende Erzählung von Ginnungagap, dem Urraum, und dem upphaf, dem Anfang der Welt, stärker an christliche Vorstellungen heran, als dies etwa in der Vo˛ luspá der Fall war. In zeitnah zu Snorri überlieferten geistlichen Texten fand das Lexem kraptr vor allem Verwendung zur Beschreibung der Macht Gottes (z.B. kraptr guðs; kraptr dróttins), des Heiligen Geistes (kraptr heilags anda) oder des Kreuzes (kraptr kross ins helga). In solche Richtung ist auch Snorris kraptr-Konzept zu denken. Doch konnte die christliche Wahrheit, die er in analogen Verweisen der Gylfaginning andeutete, nur aus der Retrospektive erkannt werden – den Protagonisten der Gylfaginning bleibt sie versperrt, die Dreiheit verortet Allvater daher vor der Schöpfung bei den ältesten ihnen bekannten Wesen, den Reifriesen, ohne dass dies Wesensähnlichkeiten implizieren würde. Die auffallende Betonung dieses Umstands deutet vielmehr darauf hin, dass Snorri ganz in Einklang mit der Analogiethese eine wesentliche Unähnlichkeit von paganer Allvater-Idee und Christengott aufzeigen wollte. In Kapitel 7 der Gylfaginning markiert Snorri mit Verweis auf den Feuerriesen Surtr den Übergang zur nordischen Mythologie, und entsprechend ist die nachfolgende Behandlung Ymirs zu verstehen. Dieser wird in der Fassung U nicht, wie in RTW (c. 5), erschaffen með krapti þess, er til sendi hitann, durch eine Kraft, die die Hitze sandte (in der Forschung oft verstanden als Verweis auf Surtr) – in der U-Gylfaginning wird Ymir geschaffen durch
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Schlussbetrachtung
kraptr sá er stýrði, eine lenkende universale Macht. Auch Kapitel 9 der RTW-Fassung legt dann nahe, den unbenannten kraptr dem Allvater zuzuschreiben: firir þvi ma hann heita Alfavðr, at hann er faþir allra goþaNa ok manna ok allz þes, er af honvm ok hans krapti var fvllgert.1 Diese Verknüpfung wird in U nicht explizit vollzogen, erschließt sich aber aus der Darstellung. Die Schöpfung von Ymir motiviert in Kapitel 8 wiederum die Erschaffung der ihn ernährenden Urkuh Auðumla, die allein aus Snorris Darstellung bekannt ist. Bemerkenswert: Auch sie entsteht aus dem schmelzenden Reif (næst var þat er hrim dravp at þar varð af kyrin avþvmla)2 und erscheint damit ebenfalls als Schöpfung des lenkenden kraptr. Wenn sie im Folgenden dem Urahn der späteren Asengötter, Buri, zur Existenz verhilft, dann mag dahinter die Vorstellung Snorris stehen, dass ein göttlicher kraptr auch durch andere Wesen, in diesem Fall Auðumla, wirksam sein und geschichtliche Entwicklung bestimmen konnte;3 für ein solches kraptr-Verständnis in der Ynglinga saga, mit Relation zur biblischen Überlieferung, wurde argumentiert. Über Buris Sohn Bor schreitet die Betrachtung voran zu Óðinn, Vili und Vé, zu denen sich Hár in seinem Glauben bekennt (þat er mín trúa). Als stýrandi, als Lenker, werden Óðinn und seine Brüder bezeichnet, und dieser Singular rekurriert abermals auf den kraptr: Nicht mehr der Allvater oder ein unbekannter Schöpfergott wurden im Norden als Herrscher über die Welt identifiziert: Konkrete Asengötter hatten diese ursprünglich singuläre Funktion übernommen. Damit war der angedeutete Übergang zur nordischen Mythologie vollzogen. Das Substantivum stýrandi verknüpfte Óðinn und seine Brüder mit dem vorausgehenden kraptr-Gedanken, sodass auch diese Asengötter integriert wurden in eine religionsgeschichtliche Entwicklung, die schließlich, wie die Ynglinga saga berichtet, analoge Projektion in den irdischen Asen erfuhr. Diese aus christlicher Sicht temporäre Verirrung des Glaubens erklärt der Formáli durch die jarðlig skilning der Vorchristen, die das Erkennen des wahren kraptr und damit des Christengottes verhinderte; Snorri hat ähnlich gedacht. Diese Konzeption greift weit über die Vorgaben von Snorris mythologischen Quellen hinaus, doch er weiß diese Überlieferung in meisterlicher Form mit eigenen Ideen zu verbinden, wenn er im folgenden Kapitel 10 1
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‚Und deshalb darf er Allvater heißen, weil er der Vater aller Götter und Menschen ist und all dessen, was durch ihn und seine Macht geschaffen wurde.‘ ‚Als danach der Reif tropfte, da entstand daraus die Kuh Auðumla.‘ Otto Höfler merkte seinerzeit an, dass in zahlreichen Mythen „das mythische Tier als eine Inkarnation göttlicher Macht gesehen wurde“, und ordnete darunter auch Auðumla ein (Höfler 1973, S. 28 f.).
Die Struktur der Gylfaginning
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unter Verweis auf Vo˛ luspá und Vafþrúðnismál davon berichtet, wie Óðinn und seine Brüder den Riesen Ymir töteten und aus seinem Körper die Welt von Göttern und Menschen kreierten: Synir bvrs drapo ymi ok hliop or honvm þat bloþ at þeir drekto með þvi allri ætt hrimþvssa. nema einn komz vndan með sino hyski. þann kalla iotnar bergelme. hann for a lvþr sinn ok hellzt þar ok þaþan ero komnar hrimþvssa ættir.4
Ymirs Blut reinigte die Welt von den dämonischen Reifriesen; die EddaLieder wissen davon nichts zu berichten, hier ist Snorris eigene Idee zu vermuten. Durchaus denkbar, dass er dabei von der biblischen Vorstellung einer Sintflut beeinflusst war: Gott reinigte die Welt mit einer Flut (davon berichtet auch der Formáli), ebenso verfuhren nach paganer Vorstellung die Asengötter. Bezug zur christlichen Gottesvorstellung könnte sich auch im signifikanten Umstand äußern, dass im selben Kapitel Gylfis Frage hvat havfþoz þa bvrs synir at er þv trvir Guð vera5 durch ein versales ‚g‘ in guð ausgezeichnet ist – es steht damit einem vorausgehende Singular stýrandi ebenso nahe wie dem allmáttigr Guð zu Beginn des Formáli; Guð ist in beiden Fällen eine Charakteristikum der Handschrift U. In den Kapiteln 8 und 10 wurde Gylfis Skepsis offensichtlich, wenn er sich selbst vom Asenglauben distanzierte (trvi þer hann gvþ vera; er þv trvir Gvð vera).6 Doch niemand sollte am Asenglauben zweifeln, wie die irdischen Asen am Ende der Gylfaginning beschließen (at þa er langar stvndir liþi efaþiz menn ecki)7 – so motiviert Gylfis Zweifel im Folgenden die Behandlung herausragender Leistungen der paganen Götter. Dies ist in Kapitel 11 zunächst die Schöpfung des Menschen, die sowohl bei Allvater als auch bei Óðinn das Verleihen einer o˛ nd impliziert, im Kontext als ‚Seele‘ zu verstehen; hier ist wiederum Analogie zu christlichen Vorstellungen zu vermuten. Contra Anne Holtsmarks These, Snorri stelle die Schöpfung des Menschen als dämonischen Akt dar, formulierte bereits Gottfried Lorenz: Man kann selbstverständlich jeden Schöpfungsakt, jede Handlung heidnischer Götter als trolldom bezeichnen, doch enthält der Text über den Zauberakt selbst 4
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‚Die Söhne Bors erschlugen Ymir, und aus ihm floss das Blut, sodass sie damit das ganze Geschlecht der Reifriesen ertränkten; nur einer entkam mit seinem Hausvolk. Den nennen die Riesen Bergelmir. Er fuhr auf seiner ‚Arche‘ [s.u.] und blieb dadurch unversehrt; und von ihm sind die Geschlechter der Reifriesen gekommen.‘ Die genaue Bedeutung des Substantivums lúðr ist umstritten; gemeint ist wohl ein schwimmfähiger Hohlkörper, ähnlich der biblischen Arche. ‚Was taten dann Bors Söhne, von denen du glaubst, dass sie Gott/Götter sind.‘ ‚Glaubt ihr, dass er ein Gott ist; ,von denen du glaubst, dass sie Gott/Götter sind?‘ ‚Damit, wenn eine lange Zeit verginge, die Menschen nicht zweifeln sollten.‘
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Schlussbetrachtung
nichts, er konstatiert lediglich die Ergebnisse in einer Form, die dem Sachverhalt angemessen ist.8
Das Schaffen und Ordnen der Gestirne folgt in Kapitel 12 als weitere Großtat. In der Genesis wird dieser Schöpfungsakt beschrieben mit den Worten: dixit autem Deus fiant luminaria in firmamento caeli ut dividant diem ac noctem et sint in signa et tempora et dies et annos.9 Vo˛ luspá Strophe 6 orientiert sich möglicherweise an dieser Formulierung: nótt oc niðiom no˛ fn um gáfo, morgin héto oc miðian dag, undorn oc aptan, árom at telia.10
Snorri aber räumt der Erzählung nicht nur größeren Raum ein, er verknüpft sie auch mit einem eindringlichen Blick auf spätere Ereignisse um den Riesenwolf Mánagarmr: hann fylltiz með fiorvi feigra manna ok gleypir tvnglit en stockvir bloþi himinn.11 In der Vo˛ luspá findet sich die entsprechende Episode erst in Strophe 40 im Kontext der Ragnaro˛ k skizziert. Durch den frühen Verweis konnte Snorri in der Gylfaginning aber den fehlenden Bestand der paganen Schöpfung und damit deren zeitliche Beschränkung in unmittelbarem Kontext zu christlichen Vorstellungen betonen; abermals wird die Ähnlichkeit umschlossen von Unähnlichkeit. In gleicher Weise ist die Behandlung von Bifro˛st in Kapitel 13 zu deuten, in deren Verlauf die Dreiheit eingestehen muss, dass auch der Weg ins asische Götterreich zeitlicher Beschränkung unterworfen ist;12 man wird dahinter die Vorstellung vermuten dürfen, dass nach dem Bruch der Brücke das asische Götterreich Bezug und Relevanz für die Welt der Menschen verliert. Selbst der ho˛ fuðstaðr og helgistaðr guðanna,13 der Weltenbaum Yggdrasill, den Snorri in Kapitel 14 und 15 behandelt, bildet keine Ausnahme: þa skelfr askr ygdrasils ok engi hlvtr er þa otta lavss a himni ok a iorþv,14 muss Hár schließlich eingestehen (c. 31). Die Untersuchung machte 8
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Snorri Sturluson, Gylfaginning (Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz), S. 171 f. Gen 1,14 (‚und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre‘). Vo˛ luspá 6 (‚Nacht und Neumond gaben sie Namen, Morgen benannten sie und Mitte des Tages, Nachmittag und Abend, die Zeit zu zählen‘). ‚Er füllt sich an mit dem Leib feiger Menschen, verschlingt den Mond und besudelt den Himmel mit Blut.‘ Vgl. auch Kap. 4.4.4.2. ‚Zentralplatz und heiliger Ort der Götter.‘ ‚Da erbebt die Esche Yggdrasill und nichts am Himmel und auf Erden ist da furchtlos.‘
Die Struktur der Gylfaginning
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deutlich: Gylfi erweist sich in seinen gezielten Fragen regelmäßig als überlegenes Gegenüber der Dreiheit; er erkennt die unüberbrückbaren Grenzen der paganen Glaubenswelt und damit die Ungleichheit zu christlichen Vorstellungen – Snorris Publikum verstand es, diese zu deuten. Gylfis Eigenschaft fróðr war aber ein Signalwort, das der Präsentation Autorität verlieh. Über den in den Himmel ragenden Weltenbaum schreitet die Darstellung im folgenden Kapitel 16 voran zur Erörterung weiterer bedeutsamer Orte der Asengötter. Besondere Stellung nimmt Gimlé ein, sa staðr er allra er fægrstr. ok biartari en solin.15 Auffällig, dass sich an diesem Punkt der Erzählstil wandelt – die Dreiheit wechselt in der Darstellung Gimlés zu epistemischem skulu: hann skal standa þa er himin ok iorþ fyrir faraz. ok byggva þann staþ rettlatir menn vm alldir allda.16 Die Beschreibung hat Snorri aus der Vo˛ luspá übernommen, aber er nutzt sie in anderer Weise: Wo genau dieser paradiesische Ort liegt, an den die Rechtschaffenen nach ihrem Tod gehen werden, das weiß Hár nicht zu sagen, abermals dringt er vor in einen Bereich, der sich dem paganen Wissen entzieht – Überwindung des Todes und ewiges Leben sind erst im christlichen Glauben manifest. Gylfis skeptische Frage: hverr gietir þess staþar þa er svarta logi brennir himin ok iorþ,17 beantwortet Hár daher nur unzureichend: sva er sagt at annarr himinn se svþr ok vpp fra þessvm. ok heitir sa heimr viþblainn. en hinn þriþi se vpp fra þeim ok heitir sa avndlangr. ok a þeim himni hyggio ver þenna stað [d.i. Gimlé] vera.18 Von einem zweiten Himmel Víðbláinn wird gesprochen und einem nochmals höher gelegenen O ˛ ndlangr; der nicht genannte erste Himmel mag der Asenhimmel sein, doch mit der Verortung von Gimlé im dritten Himmel bewegt sich Hár in unbekannten Sphären und kann allein die Vermutung äußern, Gimlé werde dort das Weltende wohl überdauern.19
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‚Die Stadt, die die schönste von allen ist und strahlender als die Sonne.‘ ‚Gimlé soll bestehen, wenn Himmel und Erde untergehen, und diese Stadt bewohnen rechtschaffene Menschen für alle Zeit.‘ ‚Wer behütet diese Stadt, wenn Svartalogi [d.i. Surtrs Feuer] Himmel und Erde verbrennen?‘ ‚Man sagt, ein zweiter Himmel sei südlich und oberhalb von diesem, der heißt Víðbláinn, aber ein dritter sei oberhalb von diesem, und der heißt O ˛ ndlangr, und wir denken, dass Gimlé in diesem Himmel sein wird.‘ Bemerkenswert ist die Vertauschung der Orte im Vergleich zu RTW: Dort wird der höchste Ort als Víðbláinn bezeichnet, der noch über O ˛ ndlangr liegt. Sollte in U der Name O ˛ ndlangr Anlass geboten haben, an einen christlichen Ort der Seelen zu denken, der daher an höchster Stelle steht? Rudolf Simek verstand and zwar als Gradausdruck zum Adjektivum langr, wenn er ‚der ganze Lange, Weite‘ übersetzte, vermutete aber dennoch, dass Snorris Vorlage im Ausdruck coelus spiritualis des Elucidarius zu sehen sei (Simek 2006, s.v. Andlangr).
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Schlussbetrachtung
Interessant ist im Zusammenhang Kapitel 6: hann [d.i. Allvater] smiþaþi mann ok gaf honvm ond at lifa. þo skal likamr fvna. ok skvlo þa allir bva með honvm rettsiþaþir. þar sem heitir gimle 20 – diese Verknüpfung des Allvaters mit Gimlé stützt die Annahme, es handle sich um ein himmlisches Paradies nach christlicher Vorstellung.21 Weder Víðbláinn noch O ˛ ndlangr finden weitere Erwähnung in der Gylfaginning; ihre sprechenden Namen lassen an eine Eigenkreation Snorris denken: Im andligr himinn, dem christlichen Himmel, dort liegt das Paradies auch nach paganer Vorstellung – dieser Ort musste für Vorchristen aber diffus bleiben. Im Vergleich zu RTW fehlen in U die folgenden beiden Kapitel zur Entstehung des Windes und der Jahreszeiten; letzteres fehlt in U gänzlich, der Windabschnitt ist an spätere Stelle (c. 25) verschoben. In der jüngeren Forschung wurde selten angezweifelt, die Fassung des gemeinen Textes sei die ursprüngliche;22 doch erscheint die Platzierung dieser Episoden in keiner Handschrift motiviert. Bevorzugung der RTW-Fassung ist schon insofern zu kritisieren, als die dortige Kapitel-Platzierung die Argumentationsstruktur der Gylfaginning unterbricht – in U hingegen folgt auf die Darstellung 20
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‚Allvater erschuf den Menschen und gab ihm eine Seele zum Leben. Doch der Leib wird verwesen, und dann sollen alle Rechtschaffenen bei ihm wohnen, dort, wo es Gimlé heißt.‘ Vgl. dazu auch Simek 2006, s.v. Gimlé: „Diese Darstellung ist aber zweifellos stark christlich geprägt; darauf deuten nicht nur die drei Himmel, deren oberster von Lichtalben (= Engeln?) bewohnt ist, sondern Snorri hat auch die Ragnarök in der Völuspá als jüngstes Gericht aufgefaßt, das über Verdammnis oder Rettung der Menschen entscheidet.“ François-Xavier Dillmann notierte: „Die konzeptuelle Beziehung, die es in den altnordischen Liedern der vorchristlichen Epoche zwischen Valho˛ ll und Gimlé gab, [ist] in der Snorra-Edda nicht vollständig verschwunden. So war sich der Mythenschreiber hinsichtlich des Themas Víngólfs unsicher, einem Ort, den er bald Gimlé (c. 3), bald Valho˛ ll (c. 20) gleichstellt und dessen Name eine der Hauptbeschäftigungen der in Valho˛ll versammelten Menschen andeutet, nämlich den Genuß von Getränken“ (Dillmann 1998, S. 112). Bemerkenswerterweise erfolgt eine Verbindung von Gimlé und Víngólf aber nur in RTW, nicht in der Fassung U. In allen Versionen findet sich im Kontext der Ragnaro˛ k zwar der unpassend erscheinende Hinweis auf eine Trinkhalle Brimlé (U), bzw. Brimir (RTW): gott er til dryckiar i brimle (‚in Brimlé lässt es sich gut trinken‘) – diesen Saal aber wird von Snorri nicht mit Gimlé gleichgesetzt, sondern erscheint in einer Reihe guter Stellen im paganen Himmel, an die sich ein weiterer Saal namens Sindri anschließt. Schon Finnur Jónsson notierte zur Gleichsetzung von Gimlé und Víngólf in RTW: „Her er vingolf som et andet navn på Gimle sikkert en interpolation“ (Finnur Jónsson 1890, S. 282 (‚hier ist Víngólf als ein anderer Name für Gimlé sicherlich eine Interpolation‘)). Vgl. auch Kaufmann 1892. Vgl. etwa Snorri Sturluson, Gylfaginning (Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz), S. 280 f.
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Gimlés die Erörterung Óðinns und weiterer Asengötter, eingeleitet mit der Rubrik her segir fra nofnvm oþins ok riki;23 es ist (trotz Ungenauigkeit der Überschriften in U) offensichtlich, dass mit dem ríki Óðins Anschluss gesucht wurde an die vorausgehende Erzählung zu den Himmelreichen, wie auch mit der Rubrik her segir fra þor ok riki hans 24 im nachfolgenden Kapitel. Gylfis Feststellung, der Glaube an die Asengötter habe für Menschen tatsächlich Berechtigung (æsir þeir er monnvm er skyllt at trva á (c. 19)),25 fügt sich in diese Darstellung stimmig ein: Zwar stößt er abermals an die Grenzen der paganen Götterwelt, doch er erkennt, dass bereits die Vorchristen eine Ahnung von einem ewigen Himmelreich hatten, sie konkrete Götter im Himmel verorten konnten – wesentliche Prämisse für erfolgreiche Anrufung, wie sie im Kontext dieser Asenpräsentation dann auch thematisiert wird (heita á (s.u.)). In geistlichen Texten zu Snorris Zeit fand das Verbum trúa zahlreich Verwendung, um den Glauben an Gott oder Christus zu kennzeichnen. Auch nach Snorris Konzeption war solcher Gott- bzw. Götterglauben Kernelement einer Religion, das belegte die Untersuchung von trúa. Dieser Glaube implizierte eine starke Vertrauenskomponente, ähnlich dem christlichen Glauben, der wesentlich auf dem göttlich offenbarten Versprechen einer Vergebung der Sünden und Überwindung des Todes beruht. Im vorchristlichen Norden aber war solches Vertrauen gleichermaßen auf den Gott als auch den Menschen Óðinn fixiert – Fähigkeiten und Taten des irdischen Óðinn waren in den Augen der nordische Bevölkerung verschmolzen mit den Mythen des göttlichen (trúðu þeir, at þá myndi vel farask;26 þá ko˛ lluðu þeir á nafn hans, ok þótti jafnan fá af því fró;27 þar þóttusk þeir eiga allt traust, er hann var).28 Dem Gott Óðinn wird an späterer Stelle der Gylfaginning der Beiname Allvater gegeben, doch mit diesem Schöpfergott ist er nicht identisch. In der Betrachtung Óðinns stößt die Dreiheit abermals an die Grenzen ihres Verständnisses; Allvater wie Óðinn tragen zahlreiche Namen, doch die Prozesse, die zu solchen Namensgebungen führten, bedürfen eines Wissens,
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‚Hier wird erzählt von den Namen und dem Reich Óðinns.‘ ‚Hier wird erzählt von Þórr und seinem Reich.‘ ‚Die Asen, an die die Menschen verpflichtet sind zu glauben.‘ ‚Sie glaubten, dass es ihnen dann gut ergehen würde [d.i. wenn Óðinn ihnen beistand].‘ ‚Da [d.i. in Notsituationen] riefen sie seinen Namen an und ihnen schien es, als würden sie dadurch sofort Hilfe erhalten.‘ ‚Es schien ihnen, als hätten sie völlige Sicherheit, dort, wo er war.‘
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Schlussbetrachtung
das ihnen nicht zur Verfügung steht (mikil skynsemi er at rifia þat vandliga vpp 29 (c. 17)). Der Formáli erklärt: Die Ausbreitung der Völker zog Veränderungen in der Sprache nach sich; mannigfaltige Namen erscheinen als Konsequenz solcher Sprachverzweigung. Eine entsprechende Erklärung wird hinter dem Abschnitt der Gylfaginning stehen: Das Konzept eines Allvaters ist nicht auf Skandinavien beschränkt, auf der ganzen Welt gaben Menschen dem Schöpfer Namen in ihrer Sprache, auch Beinamen, die in seinen Taten wurzelten;30 im vorchristlichen Norden verknüpfte man ihn mit dem Asengott Óðinn, er wurde integriert in ein polytheistisches System. Mit Þórr, Baldr, Njo˛ rðr, Freyr und Freyja werden in den Kapiteln 18 und 19 zentrale Gestalten dieses nordischen Pantheons behandelt, vor allem hinsichtlich der Frage, in welchen Belangen sie mit welchen Gebeten angerufen werden können. Bevor die Erzählung zu weiteren Göttern voranschreitet (c. 20–23), äußert sich daher abermals Gylfi: miklir þicki mer þessir fyrir ser æsirnir. ok eigi er vndr at mikill kraptr fylgi yþr er þer skvlot kvnna skyn gvþanna. ok vita hvern biþia skal hvers hlvtar eða hverrar bænar.31 Der einstmals singuläre kraptr wird nun präsentiert als Macht des Götterkollektivs. In der Ynglinga saga findet dieses Konzept seinen Abschluss, wenn zum irdischen Óðinn gesagt wird: af þessum kro˛ ptum varð hann mjo˛ k frægr.32 Der kraptr der Asengötter wandelte sich zu íþróttir der menschlichen Asen in ihrer Funktion als Repräsentanten der Götter; in Analogie zur neutestamentlichen Aussage ego et pater unum sumus identifiziert Snorri irdische mit göttlichen Asen über die Formel vera einir. Die asischen íþróttir motivierten aber andere Menschen zum Glauben an die Träger dieser Kräfte, sie glichen eher Göttern denn Menschen (sva at þeir þottv likari goþvm en monnvm); es konnte wahrscheinlich gemacht werden, dass eine Parallele zu den Wundertaten Jesu und der Apostel vorliegt. In christlichen Bereich verweisen auch die Formel biðja bœnar (‚Gebete sprechen‘) und das mehrfach verwendete Verbum heita á, das in zeitnah zu Snorri überlieferten Texten eine Kontaktaufnahme mit Gott oder Heiligen über das Gebet kennzeichnete. In der folgenden Behandlung des Gottes Loki und seiner monströsen Kinder ab Kapitel 21 findet sich abermals der Verweis auf ein drohendes Ende der nordischen Götterwelt: gvþin ravkto til spadoma at af þessvm 29 30 31
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‚Es bedarf großen Wissens, das vollständig darzustellen.‘ Vgl. auch Beck 2011, S. 300 f. ‚Mächtig scheinen mir diese Asen zu sein und es ist nicht verwunderlich, dass euch große Macht begleitet, da ihr Kenntnis haben solltet über die Götter und wissen, an wen man sich in welchen Angelegenheiten und mit welchen Gebeten wenden soll.‘ ‚Durch diese Kräfte wurde er sehr berühmt.‘
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bornvm mvndi þeim mikit vhapp standa.33 In der U-Gylfaginning steht die Fähigkeit der Weissagung nur den göttlichen Asen zur Verfügung. Nicht allein die Dreiheit berichtet vom Weltgeschehen, auch die Asengötter selbst sehen durch einen spádómr ihr Schicksal heraufziehen; solche Weissagung motivierte den Fortlauf der Handlung auf zwei Erzählebenen. Einstige Gottesahnung äußerte sich zu nordisch-paganer Zeit in einer prophetischen Zukunftsschau, die den Vorchristen doch nur eine unvollständig erkannte Wahrheit offerierte; asische Weissagung und alttestamentliche Prophezeiung sind nicht identisch, vergleichbar aber darin, dass sie beide bereits auf das folgende Christentum verweisen. Geknüpft ist das Ende der Asengötter an den gesondert behandelten Fenrisúlfr (c. 22): allar spar savgþo at hann mvndi vera lagþr til skaþa þeim.34 Gylfi fragt: fyrir hvi drapo æsirnir eigi vlfinn er þeim er illz af honvm van.35 Bemerkenswert ist Hárs Antwort: sva mikils virþo gvþin ve sin ok griþa staþi at eigi villdo þav savrga þa með bloþi vlfsins.36 Gottfried Lorenz merkte an: „Hárs Antwort überzeugt nicht, da von einer Friedensstätte zuvor keine Rede war, zumal der Rechtsgott durchaus zu einem Rechtsbruch fähig war.“37 Das Substantivum griðastaðr findet sich in der eddischen Götterdichtung nur in der Prosaeinleitung zur Lokasenna bezeugt, Snorri aber nutzt es noch ein weiteres Mal im Zusammenhang mit Baldrs Tod (c. 30): nv sa hverr til annars. ok allir með grimmvm hvg til þess er gert hafþi en engi matti þar hefnaí griþa staþnvm.38 Anders als Lorenz vermutete, erfährt in diesen Passagen aber ein zentraler Punkt von Snorris Konzept Bestätigung: Das Ende der Asen ist nicht nur in historischer Sicht, d.h. für den irdischen Óðinn und die Seinen, unausweichlich – auch in einer mythologischen Welt ist die Zeit der göttlichen Asen unabwendbar begrenzt, es liegt nicht in ihrer Macht, Grenzen zu durchbrechen. Trotz Kenntnis durch ihren spádómr waren die Asengötter daher unfähig zu handeln; mit dem Tod Baldrs sollte die Weissagung ihren unaufhaltsamen Anfang nehmen.
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38
‚Die Götter erfuhren in Weissagungen, dass ihnen durch diese Kinder großes Unglück entstehen würde.‘ ‚Alle Weissagung besagte, dass er ihnen zum Schaden sein würde.‘ ‚Warum erschlugen die Asen den Wolf nicht, wenn ihnen von ihm Gefahr drohte?‘ ‚So sehr schätzten die Asen ihr Heiligtum und die Friedensstätte, dass sie sie nicht mit dem Blut des Wolfes beflecken wollten.‘ Snorri Sturluson, Gylfaginning (Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz), S. 431. Vgl. auch Wilken 1896, S. 300 f. ‚Nun sah jeder zum anderen und alle mit grimmigen Gedanken auf den, der es getan hatte [d.i. der die Ermordung Baldrs verursachte (= Loki)]. Aber auf der Friedensstätte konnten sie sich nicht rächen.‘
198
Schlussbetrachtung
In Kapitel 23 schwenkt der Blick zunächst zu den Asengöttinnen, die präsentiert werden nach ihren Aufgaben in der Götter- und der Menschenwelt; hier findet heita á zahlreiche Verwendung. In den folgenden Kapiteln werden bekannte Episoden der nordischen Mythenwelt erzählt, die Werbung Freyrs um Gerðr, die Bewirtung in Valhall und die Erschaffung von Sleipnir. Im Gegensatz zum eschatologisch ausgerichteten Kapitel 22 mutet dieser längere Mytheneinschub profan an; man wird dahinter Snorris mythographisches Interesse sehen dürfen. Handlungsrelevanz hat allein der Umstand, dass Freyr dem werbenden Skírnir sein Schwert mit auf den Weg gibt – im Endkampf gegen Surtr wird er daher unterliegen. In Kapitel 27 kommt das Gespräch zurück auf Þórr: Ob seine gewaltigen Kräfte nie überwunden worden seien, fragt Gylfi; bis ins nächste Kapitel erstreckt sich folgend die Erzählung um Útgarðaloki, der Þórrs physischer Kraft eine noch größere Macht, fjo˛ lkyngi, entgegenzusetzen weiß. In der Untersuchung zeigte sich, dass hier die begrenzte Macht der Asengötter ein weiteres Mal betont, aber auch ein Deutungsansatz zu den sjónhverfingar der Rahmenhandlung gegeben werden sollte: Sie sind Entrückung, ohne dass dies dem Wahrheitsgehalt der Inhalte abträglich wäre. Kapitel 29, mitunter als ‚Thors Fischzug/Fischfang‘ bezeichnet, ist bemerkenswert, deutet es doch in gleiche Richtung wie die angesprochene Erzählung um den Fenrisúlfr: RTW (c. 32) liefern einen entscheidenden Zusatz, wenn Þórrs Hammerwurf nach dem Miðgarðsormr von Hár mit den Worten kommentiert wird: segia menn, at hann lysti af honvm havfuþit við hronnvnvm, en ec hyG hitt vera þer satt at segia, at Miðgarþzormr lifir enn ok liggr ivmsia.39 In U erfolgt überhaupt kein Angriff auf die Schlange. In beiden Fällen liegt Diskrepanz zur eddischen Hymiskviða vor, in der berichtet wird (Strophe 23 und 24), dass Þórr die Schlange mit seinem tödlichen Hammer derart gewaltig am Kopf traf, dass sie in den Fluten versank: Hamri kníði háfiall scarar, ofliótt, ofan úlfs hnitbróður. Hreingálcn hlumðo, enn ho˛ lcn þuto, fór in forna fold o˛ ll saman. Søcþiz síðan sá fiscr í mar.40
39
40
‚Man erzählt, dass er ihm den Kopf auf dem Meeresgrund abschlug, aber ich glaube, es ist dir wahrheitsgemäß zu sagen, dass der Miðgarðsormr noch lebt und im Ozean liegt.‘ ‚Den Hammer schlug er auf den hohen Berg des Haars, den gar furchtbaren, von oben, des festen Bruders des Wolfes. Rentier-Ungeheuer heulten, und der Felsgrund dröhnte, die alte Erde erbebte ganz. Dann versank dieser Fisch im Meer.‘
Die Struktur der Gylfaginning
199
Die Formulierung erinnert an den Kreuzestod Jesu: terra mota est et petrae scissae sunt 41 – die Tragweite des ungeheuren Ereignisses lässt die Erde in ihren Grundfesten erbeben. Die Chronologie der einzelnen Fassungen (auch die Húsdrápa kennt die Episode) ist zwar strittig, doch widerspricht nichts der Annahme, Snorri selbst habe die Erzählung dahingehend geändert, dass der Miðgarðsormr Þórrs Fischzug unbeschadet überdauert – dahinter darf der gleiche Gedanke vermutet werden, der auch die Tötung des Fenrisúlfr unmöglich machte: Das Ende des Miðgarðsormr hätte ein Ungleichgewicht der kosmischen Kräfte zugunsten der Asengötter bedeutet – das durfte es aber nicht geben, wenn sich Götter und Ungeheuer am Ende der paganen Zeit gegenseitig auslöschen sollten.42 In Þórrs Scheitern wird aber erneut auch die fehlende Allmacht der paganen Götter manifest, wie Snorri sie regelmäßig betont.43 Im folgenden Kapitel 30 reiht sich mit dem Tod Baldrs das Ereignis an, das die Ragnaro˛ k einleiten sollte; Baldrs Ende war vorherbestimmt, Loki kannte die Schwachstelle der asischen Eidesversicherung. Doch auch dieser Mord darf nicht unmittelbar vor Ort gerächt werden: engi matti þar hefna i griþa staþnvm (s.o.). Für die Feuerbestattung Baldrs auf See benötigen die Götter die Hilfe der Riesin Hyrrok(k)in; abermals bebt die Erde, als sie Baldrs Schiff zu Wasser lässt, das wissen RTW (c. 33) zu berichten (lavnd avll skvlfv). Þórr erzürnt darüber, will die Riesin erschlagen – en gvþin banna þat, die Götter verbieten dies. Der Fortlauf des Geschehens, den Baldrs Tod einleitete, durfte nicht durch einen weiteren Mord beeinflusst werden. Die Ungeheuerlichkeit des Ereignisses bringt mit sich, dass sogar die Reif- und Bergriesen anwesend sind. Loki ist es auch, der im Folgenden eine Rettung Baldrs aus dem Totenreich verhindert und damit wie seine Kinder, Fenrisúlfr und Miðgarðsormr, zur weiteren Erfüllung des Götterschicksals beiträgt. Bemerkenswerterweise besiegelt er sein eigenes Ende dann ebenfalls im Rahmen einer spá: Er selbst ersinnt mit dem Netz eine Möglichkeit, wie die Asen ihn in Fischgestalt fangen können; er steht in gleicher Reihe mit den anderen Göttern, die ihr Ende vorhersagten, aber unfähig waren zu handeln. Auch durch Gefangennahme und Bestrafung des nun als griðalauss, friedlos, bezeichneten Loki können die Götter ihr Schicksal nicht mehr aufhalten. Die in Kapitel 31 folgende Beschreibung von Orten für rechtschaffene und verdorbene Menschen orientiert sich wiederum an biblischen Vorstellungen, das wurde behandelt. 41 42
43
Mat 27,5 (‚die Erde erbebte und die Felsen zerrissen‘). Vgl. auch Schier 1981, S. 409. Ursula Dronke sah in dieser Passage hingegen Snorris Vorstellung einer Mythenvielfalt bedingt durch mannigfaltige Sprachen bestätigt (Dronke 1977, S. 174). Vgl. auch Clunies Ross 1994, S. 258 ff.
200
Schlussbetrachtung
Die Erzählung der Dreiheit schließt mit dem Ausblick auf eine neu entstehende Welt, die abermals von Asengöttern und Menschen besiedelt sein wird. En nv ef þv kant lengra framm at spyrja, þa veit ec eigi, hvaþan þer kemr þat, firir þvi at ongan mann heyrþa ec lengra segia fram aldar farit,44 mit diesen Worten erklärt die Dreiheit ihr Wissen in RTW für erschöpft – über eine zyklische Weltschau reicht ihr paganes Verständnis nicht hinaus. Das offenbarte Wissen um die Götter sollte aber bewirken, dass sich dieser Asenglaube für eine lange Zeit im Norden manifestierte, wie Snorri dann in der Ynglinga saga ausführte.
5.2. Nachbetrachtung In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Erforschung von Snorri Sturlusons Werk neue Prägung erfahren: Trotz einflussreicher Nachwirkung der Thesen von Walter Baetke und Anne Holtsmark formte sich ein Gegenpol, der Snorri eine positivere Sicht auf Religion und Kultur seiner Vorfahren zugestand. Diese Forschungsrichtung präsentiert sich indessen keinesfalls homogen, hat unterschiedliche Ausprägung durch Vertreter erfahren, die einerseits Euhemerismus, andererseits Analogie vertraten, bisweilen solche Methode der Deutung gänzlich in Frage stellten. Holtsmark gründete ihre Arbeit seinerzeit auf eine Wortschatzanalyse, die doch nur eine stark begrenzte Zahl an Belegstellen in den Blick nahm. Die vorliegende Untersuchung wählte mit der lexematischen Analyse einen ähnlichen methodischen Ansatz, doch unter anderem Vorzeichen: Wo Holtsmark und ihre Anhänger bis in jüngste Zeit Kontrast und Ironie in Snorris Darstellung vermuteten, wurde hier für die würdigende Konstruktion einer paganen Vergangenheit vor dem Hintergrund hochmittelalterlicher Diskurse argumentiert. Es zeigte sich, dass unter momentan Einfluss übenden Erklärungsansätzen der von Heinrich Beck in die Diskussion eingebrachten Analogiethese besondere Bedeutung bei der Strukturierung der Ergebnisse zukommen kann. Die Arbeit setzte dabei mit Handschriftenanalyse, thematisch-methodischer sowie lexematischer Untersuchung drei Schwerpunkte. In der Forschung stellt das Verhältnis von Formáli und Gylfaginning seit langem einen Diskussionspunkt dar. In vorausgehender Untersuchung konnte gezeigt werden: Beide Texte setzen in U in mehreren Punkten ein jeweils eigenes Konzept um; Unstimmigkeiten finden sich aber auch in RTW – eine Verfasserschaft Snorris am Formáli kann zwar nicht definitiv 44
‚Und wenn du jetzt noch weiter nachfragen kannst, dann weiß ich nicht, woher du das hast, denn niemanden hörte ich länger vom Lauf der Zeit berichten.‘
Nachbetrachtung
201
widerlegt werden, ist aber unwahrscheinlich. Es wurde dafür argumentiert, die Entstehung des Formáli unter dem Einfluss der Ynglinga saga zu erklären, die ihrerseits in den einleitenden Kapiteln Ideen der Gylfaginning fortführt; der Formáli selbst ist möglicherweise erst nach dem Tode Snorris in eine bearbeitete Sammlung seiner Texte integriert worden, die dann als ‚Snorra-Edda‘ bekannt wurde. Das schließt nicht aus, dass Ideen des Formáli bereits unter Snorri formuliert wurden. Die Bragaræður sperren sich in U einer Integration in die Skáldskaparmál, doch abermals erweist sich auch die RTW-Überlieferung in diesem Punkt als bearbeitet. Regelmäßige Umarbeitung und separate Überlieferung der Skáldskaparmál im Hohen und Späten Mittelalter betonen den eigenständigen Charakter der Texte. Zwischen Skáldskaparmál und Háttatal eingefügte Grammatische Traktate und Þulur unterstreichen die Zuordnung dieser beiden Abschnitte zur Skaldik, stehen aber in keinem näheren Verhältnis zu Formáli, Gylfaginning und Bragaræður, die auch in der Überlieferung als eigenständiges Werk ‚Edda‘ bezeichnet wurden; originäre Zusammengehörigkeit dieser drei Teile ist damit aber nicht belegt. In Konsequenz dieser Beobachtungen wurde dafür plädiert, die überkommenen Bezeichnungen ‚Snorra-Edda‘ und ‚Snorra-Edda-Prolog‘ künftig bedachtvoller zu verwenden. In Einklang mit der weiterhin aktuellen Forderung der New Philology nach Würdigung hoch- und spätmittelalterlicher Handschriftenvarianz muss sich stärkeres Versionsbewusstsein im Umgang mit Snorris Werk durchsetzen. Die Frage einer Chronologie der Fassungen ist dabei sekundär. Der zweite Untersuchungsschwerpunkt, die thematisch-methodische Analyse, bedachte zunächst die Frage nach Snorris Verfasserschaft. Es wurde seine Relevanz als geistiger Urheber betont, die nicht zugunsten reiner Textkritik ausgeblendet werden darf; an seiner Person ist kritisch ein gelehrtes Umfeld des frühen 13. Jahrhunderts zu diskutieren. Solcher Ausgangspunkt erfordert eingedenk vorangehender Betrachtung keinesfalls die Zurückweisung differenter Überlieferungen. Fehlende Berücksichtigung von Snorris Erkenntnismöglichkeiten und Interessen hingegen bedingt ebenso eine Beschränkung des Forschungszugangs wie die kommentarlose Übernahme theologischer bzw. religionswissenschaftlicher Terminologie. Das folgende Kapitel fokussierte daran anknüpfend den komplexen Gegenstand ‚Sprache‘ auf Snorris Person und Werk. Die Auseinandersetzung mit hochmittelalterlichen Literaturen erfordert die Besinnung auf ein philologisches Instrumentarium, das die Heterogenität der sprachlichen Überlieferung adäquat berücksichtigt. Bisherige Beschränkung solcher Betrachtung im Fall Snorris auf den Bereich der Skaldik ist nicht gerechtfertigt; vielmehr galt es, im Vorfeld der lexematischen Analyse die Relevanz sprachlicher Äußerungen für Snorris Gesamtwerk herauszustellen. Der Formáli entwirft
202
Schlussbetrachtung
dabei folgendes Modell: Die sprachliche Benennung der Schöpfung – als Konsequenz eines Erklärungs- und Tradierungsbedarfs – bedingte, dass Wanderbewegungen, die Sprachverzweigungen nach sich zogen, immer mit Veränderung des Glaubens, átrúnaðr, einhergingen – Religion und Sprache sind nach diesem Konzept rückkoppelnd verbunden. In der Gylfaginning finden sich Anklänge an eine solche Idee, doch suchte Snorri in seiner Darstellung vorrangig analogen Bezug zur christlichen Offenbarungsgeschichte. Das Potenzial eines planvollen Sprachgebrauchs für den Entwurf einer Religionsgeschichte muss ihm dabei bewusst gewesen sein. Nach grundlegender Auseinandersetzung mit Verfasserschaft und Sprache galt es in der folgenden Erörterung den Kontext, d.h. Snorris ideellen und methodischen Hintergrund, in Diskussion ausgewählter hochmittelalterlicher Diskurse zu skizzieren. Bedeutsam erwiesen sich dabei das Konzept einer natürlichen Religion sowie eine Analogiethese Snorris (bestimmt durch die Weisungen des Vierten Laterankonzils), die es ermöglichte, in einzigartiger Weise dem geschichtstheologischen Anspruch von Historiographie gerecht zu werden. Im dritten, umfangreichsten Teil, der lexematischen Analyse, wurden schwerpunktmäßig U-Formáli, U-Gylfaginning und die einleitenden Kapitel der Ynglinga saga betrachtet. Was im Vorfeld gleichsam als Gerüst errichtet worden war, galt es in dieser Untersuchung mit den Resultaten einer Wortschatzanalyse zu füllen, daran aber auch kritisch zu prüfen. Ziel war es, anhand systematischer Lexembetrachtungen die konsequente Umsetzung bestimmter Konzepte werkübergreifend wahrscheinlich zu machen. Bisherige Forschung hat Ansätze formuliert, die im Laufe dieser Arbeit gewürdigt, deren potenzielle Schwachpunkte aber auch herausgearbeitet und überwunden wurden. Viele der untersuchten Lexeme wurden seit Beginn der Forschung in Auswahl herangezogen, um Thesen zu entwerfen, zu untermauern, zu entkräften. Der systematische Blick auf die Gesamtheit dieser Lexeme, auf ihre Bezüge untereinander und ihre Einordnung in einen zeitlichen Kontext blieb jedoch Desiderat. Dies gilt indessen für die Erforschung norröner Überlieferung in ihrer Gesamtheit: Es wäre von künftiger Forschung zu prüfen, inwieweit gezielte Lexemanalysen auch in anderen Zweigen der altwestnordischen Literatur neue Bedeutungsebenen in bekannten Texten erschließen könnten. Im Blick auf Snorris Werk unterstützten die Resultate der Lexemuntersuchung abschließend zwei fundamentale Thesen: 1. Snorri folgte in seinem Werk einem Analogiekonzept, das nordischen Polytheismus und Christentum in Relation zueinander setzte, die eine systematische Aufwertung der vorchristlichen Religion implizierte. Dies belegte nicht allein der Wortschatz, sondern auch die offensichtliche Übernahme und Ausgestaltung biblischer Konzepte.
Nachbetrachtung
203
2. Gylfaginning und Ynglinga saga sind nicht getrennt voneinander zu betrachten. Die Frage, ob Snorri sein Folgewerk bei Abschluss der Gylfaginning bereits andachte, ist nicht zu beantworten; die Ausführungen der Ynglinga saga bedeuten aber die konzeptionelle Fortführung vieler Ideen aus dem vorausgehenden Werk. Um ihren Bedeutungsgehalt zu entfalten, darf eine Interpretation der einleitenden Kapitel der Ynglinga saga ausschließlich unter Berücksichtigung der Gylfaginning erfolgen; dies könnte aber auch die Interpretation der Heimskringla in ihrer Gesamtheit beeinflussen. Snorri stellte es dem Publikum mit seinem Werk bewusst anheim, sich eine eigene Meinung zu bilden: Seine sprachgewaltige Darstellung offerierte einerseits vordergründige Unterhaltung in Form mythologischer Anekdoten, andererseits die Möglichkeit, dem religionsgeschichtlichen Entwurf des Historikers in interpretatorische Tiefe zu folgen. Die intensive Forschungsdebatte der letzten zwei Jahrhunderte, insbesondere aber seit den 1950er Jahren, bezeugt mannigfaltige Zugänge – ebenso die überlieferten Texte, die bereits für Hoch- und Spätmittelalter eine rege Auseinandersetzung belegen. Ein Anliegen wird es Snorri fraglos gewesen sein, die Stellung der Skaldenkunst in Zeiten äußerer Unruhe zu sichern, nicht zuletzt, um den eigenen gesellschaftlichen Status zu manifestieren. Sein Werk allein als Skaldenlehrbuch zu bezeichnen, wie es bis in jüngste Zeit geschieht, ist aber eine zu einseitige Sicht. Ein Lehrbuch stellt es sicherlich dar – ob von Snorri ursprünglich als solches konzipiert oder nicht –, aber ein Lehrbuch, das sich keinesfalls nur der Skaldik verschrieb: Snorri führte seine Auseinandersetzung mit Sprache weiter, unternahm mit Gylfaginning und Ynglinga saga den einzigartigen Versuch, auf Grundlage systematischen Lexemeinsatzes auch eine religionsgeschichtliche Darstellung zu entwerfen. Nicht nur tradierte Dichtung wollte Snorri erhalten – er wollte auch die Zeit, aus der diese vornehmlich stammte, die vorchristliche Epoche, vor negativem Zugriff verwahren; solche Bemühungen müssen nicht zuletzt als Ausdruck einer weltanschaulichen Überzeugung verstanden werden. Snorris Werk ordnete sich einerseits den Geboten hochmittelalterlicher gelehrter Diskurse unter, präsentierte sich andererseits aber als die einzigartige Formung solcher Ideen durch den verständigen Historiker und eloquenten Dichter. Bereits seine zeitgenössischen Rezipienten reizte dieser Mann zur Auseinandersetzung, die Handlanger des norwegischen Königs schließlich gar zum Mord – die künftige Forschung wird Snorri noch lange beschäftigen.
6. Anhang 6.1. Aufbau der Handschrift U
Formáli
theologische Betrachtung; geographisch-historische Skizze (~ Ynglinga saga)
Gylfaginning
mythologisch-religionshistorische Abhandlung
Bragaræður • Þjazi-Mythos • Metholung durch Óðinn • Eptirmáli i • Saga Þórs ok Hrungnis • Frá Geirro˛ð jo˛ tni ok Þór
mythologische Erzählungen; Ergänzungen zur Gylfaginning?
½ Seite leeres Pergament Skáldatal Ættartala Sturlunga Lo˛ gso˛ gumannatal
Texte mit Bezug zu Snorri Sturlusons Errungenschaften
1 ½ Seiten leeres Pergament, mit Abbildungen gefüllt Skáldskaparmál Zweiter Grammatischer Traktat Háttatal
Darlegung der Dichtkunst in verschiedenen Aspekten
205
Verzeichnis der genannten Handschriften
6.2. Verzeichnis der genannten Handschriften 6.2.1. Snorra-Edda
Sigle
Kurzbezeichnung
Datierung
A
AM 748 ib4to
erstes Viertel 14. Jh.
4to
um 1400
B
AM 757 a
C
AM 748 ii
R
Gks 23674to (Codex Regius)
erstes Viertel 14. Jh.
T
MS No 1374 (Codex Trajectinus)
um 1595
U
De la Gardie 11 (Codex Upsaliensis)
um 1300
W
AM 242 fol. (Codex Wormianus)
Mitte 14. Jh.
4to
um 1400
6.2.2. Heimskringla
Sigle
Kurzbezeichnung
Datierung
39
AM 39 fol.
Ende 13., Anfang 14. Jh.
E
AM 47 fol. (Eirspennill)
Anfang 14. Jh.
F
AM 45 fol. (Codex Frisianus)
Anfang 14. Jh.
G
AM 42 fol. (Gullinskinna)
um 1400
J
Holm. perg. 9, ii fol. ( Jo˛ fraskinna)
erstes Viertel 14. Jh.
J1
AM 37 fol.
16. Jh.
J2
AM 38 fol.
Ende 17. Jh.
K
Lbs. fragm. 82 (Kringla)
ca. 1258–1264
206
Anhang
6.3. Verzeichnis der genannten Ausgaben 6.3.1. Snorra-Edda
Jahr
Herausgeber
Titel
Ort
1818
Rasmus Rask
Snorra Edda ásamt Skálda og þarmeð fylgjandi ritgjörðum.
Stockholm
1848–1887
Jón Sigurðsson
Edda Snorra Sturlusonar
Kopenhagen
1900
Finnur Jónsson
Snorri Sturluson. Edda
Kopenhagen
1913
Willem van Eeden
De Codex Trajectinus van de Snorra Edda
Leiden
1924
Finnur Jónsson
Codex Wormianus af Edda Snorra Sturlusonar
Kopenhagen/ Kristiania
1931
Finnur Jónsson
Edda Snorra Sturlusonar
Kopenhagen
1962–1977
Anders Grape
Snorre Sturlasons Edda. Uppsala Handskriften DG 11
Stockholm
1982
Anthony Faulkes
Snorri Sturluson. Edda.
London
1998–2005
Anthony Faulkes
Snorri Sturluson. Edda. Zweite Auflage.
London
6.3.2. Heimskringla
Jahr
Herausgeber
Titel
Ort
1697
Johan Peringskiöld
Heimskringla
Stockholm
1777–1826
Gerhard Schøning
Heimskringla der Noregs Konunga-Sögor
Kopenhagen
1868
Carl Richard Unger
Heimskringla eller Noregs Kongesagaer
Kristiania
1893–1900
Finnur Jónsson
Heimskringla. Nóregs konunga so˛ gur
Kopenhagen
1941–1951
Bjarni Aðalbjarnason
Snorri Sturluson. Heimskringla
Reykjavík
1991
Bergljót Kristjánsdóttir et al.
Snorri Sturluson. Heimskringla.
Reykjavík
7. Literaturverzeichnis 7.1. Quellen Augustinus, Aurelius. De vera religione – Die wahre Religion. Eingeleitet, übers. und hrsg. von Josef Lössl. (Augustinus, Aurelius: Opera – Werke 68.) Paderborn u.a. 2007. Augustinus, Aurelius. Die Retractationen in zwei Büchern. Retractationum libri Duo. Hrsg. und übers. von Carl Johann Perl. Paderborn 1976. Biblia Sacra Iuxta Vulgatam Versionem. Hrsg. von Robert Weber/Roger Gryson. 4. Aufl. Stuttgart 2005. Codex Wormianus af Edda Snorra Sturlusonar. Hrsg. von Finnur Jónsson. Kopenhagen/Kristiania 1924. Conciliorum Oecumenicorum Decreta. Dekrete der ökumenischen Konzilien 2. Konzilien des Mittelalters. Hrsg. von Josef Wohlmuth. 3. Aufl. Paderborn u.a. 2000. De Codex Trajectinus van de Snorra Edda. Hrsg. von Willem van Eeden. Leiden 1913. Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers. Bibeltext in der revidierten Fassung von 1984. Stuttgart 1985. Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla. Übers. und mit Anmerkungen versehen von Lenelotte Möller. Wiesbaden 2008. Die Götter- und Heldenlieder der Älteren Edda. Übers., kommentiert und hrsg. von Arnulf Krause. Stuttgart 2004. Die jüngere Edda mit dem sogenannten ersten grammatischen Traktat. Übertragen von Gustav Neckel und Felix Genzmer. Neuausgabe mit Nachwort von Siegfried Gutenbrunner. Düsseldorf/Köln 1966. Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern. 1. Text. Hrsg. von Gustav Neckel. 5., verbesserte Aufl. Heidelberg 1983. Edda Snorra Sturlusonar. Hrsg. von Jón Sigurðsson. 3 Bde. Kopenhagen 1848–1887. Edda Snorra Sturlusonar. Hrsg. von Finnur Jónsson. Kopenhagen 1931. Eddan Snorre Sturlason. Touch&Turn Virtual Library. CD-ROM. Uppsala 2003.
208
Literaturverzeichnis
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Forschungsliteratur
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Snorre Sturlasons Edda. Uppsala Handskriften DG 11. Hrsg. und kommentiert von Anders Grape. 2 Bde. Stockholm 1962, 1977. Snorri Sturluson. Edda. Hrsg. von Finnur Jónsson. Kopenhagen 1900. Snorri Sturluson. Edda. Prologue and Gylfaginning. Hrsg. von Anthony Faulkes. 2. Aufl. London 2005. Snorri Sturluson. Edda. Skáldskaparmál. 2 Bde. Hrsg. von Anthony Faulkes. 2. Aufl. London 1998. Snorri Sturluson. Edda. Háttatal. Hrsg. von Anthony Faulkes. 2. Aufl. London 1999. Snorri Sturluson. Edda. Gylfaginning og Prosafortellingene av Skáldskaparmál. Hrsg. von Anne Holtsmark/Jón Helgason. (Nordisk filologi A/1.) Kopenhagen 1950. Snorri Sturluson. Gylfaginning: Texte, Übersetzung, Kommentar von Gottfried Lorenz. Darmstadt 1984. Snorri Sturluson. Heimskringla. Hrsg. von Bjarni Aðalbjarnason. 3 Bde. (Íslenzk fornrit 26–28.) Reykjavík 1941–1951. Snorri Sturluson. Heimskringla. Hrsg. von Bergljót Kristjánsdóttir/Bragi Halldórsson/Jón Torfason/Örnólfur Thorsson. 3 Bde. Reykjavík 1991. Snorris Königsbuch (Heimskringla) 1. Übers. von Felix Niedner. (Thule 14.) Jena 1922. St Thomas Aquinas. Summa Theologica 39. Religion and Worship. Hrsg. von Kevin D. O’Rourke. Cambridge 2006. Stjórn. Hrsg. von Reidar Astås. 2 Bde. Oslo 2009. Strengleikar eða Ljóðabók. Hrsg. von Rudolf Keyser/Carl Richard Unger. Kristiania 1850. Sturlúnga-Saga edr Íslendínga-Saga hin mikla. Hrsg. von Bjarni Þorsteinsson. 3 Bde. Kopenhagen 1817–1820. Sturlunga saga. Hrsg. von Örnólfur Thorsson. 3 Bde. Reykjavík 1988. The Poetic Edda ii. Mythological Poems. Edited with Translation, Introduction and Commentary by Ursula Dronke. Oxford 1997. The Poetic Edda iii. Mythological Poems ii. Edited with Translation, Introduction and Commentary by Ursula Dronke. Oxford 2011. Vaticanum ii über das Wort Gottes. Die Konstitution ‚Dei Verbum‘. Einführung und Kommentar, Text und Übersetzung von Otto Semmelroth/ Maximilian Zerwick. (Stuttgarter Bibelstudien 16.) Stuttgart 1966.
7.2. Forschungsliteratur Abram, Christopher. 2009. Gylfaginning and early medieval conversion theory. In: Saga-Book 33, S. 5–24.
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8. Index der schwerpunktmäßig untersuchten Lexeme allmáttigr 113, 121, 125, 133, 138, 150, 191 andligr/o˛ nd 52, 172, 191, 193 f. ár (ok friðr) 39, 132, 162 f., 165, 167, 175 biðja (bœn) 127, 129, 162, 167, 196 blót/blóta 94, 124, 132, 144, 148, 158–170, 175, 177, 179 bragð 38, 78, 93, 95, 134 fjo˛ lkunnigr/fjo˛lkyngi 38, 62, 77, 93, 101, 114, 141, 147 f., 157, 164, 168, 170, 173–179, 182 f., 185 f., 198 fróðr/fróðleikr 45, 52, 95, 143, 145, 148, 151–156, 168, 174 f., 177, 188, 193 fylgja 39, 99, 127, 129, 130–132, 162, 167, 185 f., 196 galdr 135, 168, 173 f., 177, 179, 181 goð/guð/guðmo˛ gnin 33, 63, 65 f., 77, 80, 93 f., 113 f., 116–118, 120–123, 125–131, 133, 136, 138, 144–146, 148–150, 153, 156 f., 160–165, 167, 176, 182, 184, 190 f., 196 f., 199 heita á/áheit 99, 137, 149, 158, 161–165, 195 f., 198
íþrótt 62, 130, 134–136, 140–142, 147–149, 168, 174 f., 177–179, 183, 186, 196 jarðligr 52, 55, 65, 118, 133, 155, 163, 172, 188, 190 kraptr 38, 58, 61, 91, 93, 95 f., 99, 114, 116–118, 122 f., 125–131, 133–141, 144, 146–150, 153, 158 f., 161 f., 167, 172, 175, 177 f., 183, 189 f., 196 seiðr 177, 179, 185 f. sjónhverfing 38, 70, 72 f., 75–81, 83, 89, 93, 96–98, 100, 134, 176, 198 skapa 30, 32, 77, 113, 119–123 smíða/smiðr 114, 119–123, 142, 153, 179, 194 spá/spádómr/fórspár 37 f., 97, 99, 175, 177–185, 196 f., 199 stýra/stýrandi 65, 117, 127 f., 134, 138 f., 145 f., 150, 161, 190 f. traust/treysta 127, 135 f., 144, 147– 149, 153, 195 trú/trúa (á)/átrúnaðr 53, 80, 127, 132, 135–139, 142–149, 156 f.,161, 164 f., 170, 190, 195, 202 vitr/víss/vísindi 37, 39, 93–95, 97, 99, 101, 151 f., 155, 164, 175 f., 183 þjóna 62, 116, 123 f.
English Summary The present study takes into focus the most outstanding medieval treatise on Northern Germanic mythology and religion, the so called Edda, composed about 1220 by the Icelandic historian Snorri Sturluson (1178/79–1241), as well as its sequel, the history of Norwegian kings, Heimskringla, compiled about 1230. Not only is Snorri’s Edda the fundamental documentation of Norse mythology – it is also amongst the most important testimonies of a high medieval discussion of religion, history, and language. Heimskringla, on the other hand, passes down a unique compilation of sagas about Norwegian rulers, starting in a mythical past and progressing up to the 12th century, obviously influenced by both theological perspectives and Snorri’s experiences as a politician. Bearing in mind the broad significance of his work, it is not surprising that Snorri has encouraged researchers from almost all fields of the humanities to approach the preserved manuscripts and texts from very different methodological perspectives. Such discussion has considerably shaped the modern picture of Germanic mythology and religion. However, dealing with recent studies on Norse literature, one has to notice that, even in the 21st century, methodological approaches from the 1950s and ’60s still have an appreciable influence on lines of argumentation, and quite often – though there are certainly exceptions – a reflection on the current capabilities of philological approaches seems to be absent. Hence, the aim of the present thesis is to give a new impulse to future research in the contentious debate on Snorri’s work in particular, and on Nordic studies in the field of medieval literature in general, based on the examination of two centuries of research, as well as on an approach to the object of study that is both aware of the text itself and of its context. Taking into account a traditional inventory of philological methods and potent points of current discussion, the present study nonetheless has to build primarily upon medieval methodology. Although Snorri’s intellectual background has been subject to a number of articles over the last decades, it is striking how often the argumentation is still based rather on a debate of modern theory than on a discussion of high medieval discourse. Hence, one main purpose of the pres-
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English Summary
ent treatise is to discuss the most important concepts of dealing with pagan tradition in learned circles of the high middle ages and to clarify these ideas concerning Snorri’s work in its different versions. The argumentation specially focuses on the 4th Council of Lateran (1215): the theological debate on a possible relation between creator and creation, culminating in the famous formula of analogy, seems to have had a significant influence on Snorri’s way of harmonizing pagan myths and a Christian world view. While a majority of current researchers have argued in favour of so called euhemerism, i.e. the idea that pagan gods were nothing but a deception by powerful humans, the concept of analogy still has very few proponents and so far has mainly been represented by the German scholar Heinrich Beck in a number of essays since the 1990s. However, by proclaiming both similarities and dissimilarities between two entities on an essential level, analogy offers a totally new understanding of important parts of Snorri’s Edda and Heimskringla, namely Gylfaginning and the Ynglinga saga: it permits the conclusion that Snorri sought a deeper insight into pre-Christian religion by conceding a fundamental relation between the two religions’ systems of thought. Heinrich Beck was the first to discover the implication of the last paragraph in Gylfaginning, where Snorri tells how the human Æsir adopted divine names to be identified with their gods: it seems quite evident that Snorri is targeting one central idea in the New Testament, i.e. the relation between Jesus, Christ, and God. In the 1960s, the Norwegian scholar Anne Holtsmark tried to demonstrate how Snorri’s usage of theological vocabulary could be understood as a system of ironical contrast. Holtsmark’s treatise had a considerable influence on a high number of subsequent publications, even though her unyielding position evoked contradiction as well. Nevertheless, one major problem of these later responses was a somewhat strange distance to the sources, i.e. a tendency to build argumentation on earlier theses rather than on the medieval manuscripts themselves. The present study combines the methodological potential of the medieval concept of analogy with a lexematical examination: some three dozen words, mostly known from theological works from Snorri’s era, are analysed within Gylfaginning (in its different versions) and the Ynglinga saga, examining the underlying connotations of these words as well as their relevancy regarding the inner structure and meaning of Snorri’s work. This analysis focuses on the universal idea of a supernatural guiding power (kraptr), mankind’s belief in such divine forces (trúa), as well as modes of communication (blóta, heita á), and the significance of magic (fjo˛ lkyngi) in pre-Christian times as Snorri describes it; other lexemes are studied within these main sections, too.
English Summary
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The oldest known manuscript, the so called Codex Upsaliensis DG 11 (around 1300), is of special interest in this examination: 70 years have gone by since the last substantial study of this manuscript, and a project in Uppsala, Sweden, recently run out, has contributed only little to the subject so far. However, several hitherto unrecognized characteristics of Codex Upsaliensis shed an interesting light on the debate on the purpose of Snorri’s Edda. The results of the present study allowed several significant conclusions: it could be made plausible that Snorri, on the one hand, was highly influenced by the medieval theological concept of analogy, and, on the other hand, acted as a prudent historian and eloquent poet in combining such discourse with pagan tradition. The well-directed usage of theological vocabulary offered two ways of interpretation to the audience: only a recipient both tracking down the semantics of used lexemes and realizing their learned backgrounds was able to advance to a deeper understanding of Snorri’s work, i.e. the unique relation between pagan and Christian religion. For those who did not accomplish this sophisticated task, the superficial entertainment of all these mythological stories remained. Snorri himself gives a clue (among many others) in favour of such an approach, when declaring fróðleikr ok skemtan, knowledge/wisdom and amusement, as the main purpose of Gylfaginning. Putting forward such ideas, the treatise on hand positions itself contrarily to a majority of current research. Hence, it should be read as a stimulus to representatives of philology, history and the history of religions, offering new thoughts in the interdisciplinary field of research on Snorri Sturluson.