Schuldverschreibungsrecht: Kommentar – Handbuch – Vertragsmuster 9783504384425

Die Mischung aus Kommentar, Handbuch und Formularbuch bietet praxisorientierte Kommentierungen der einschlägigen Gesetze

200 110 13MB

German Pages 1888 Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Schuldverschreibungsrecht: Kommentar – Handbuch – Vertragsmuster
 9783504384425

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Hopt/Seibt (Hrsg.) . Schuldverschreibungsrecht Kommentar . Handbuch . Vertragsmuster

Schuldverschreibungsrecht Kommentar . Handbuch . Vertragsmuster herausgegeben von

Professor Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt, M.C.J. (NYU) em. Direktor, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, em. Professor, Universität Hamburg, vormals Richter am OLG Stuttgart

Professor Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Attorney at Law (New York), Hamburg, Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg

2017

Bearbeiter Jochen Artzinger-Bolten, LL.M. (NYU) Rechtsanwalt, Attorney at Law (New York), Solicitor (England and Wales), Frankfurt am Main Dr. Alexander Behrens, LL.M. (UCT) Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Prof. Dr. Jens-Hinrich Binder, LL.M. (London) o. Professor, Universität Tübingen Prof. Dr. Wilfried Braun Bundesbankdirektor a.D., em. Professor an der Hochschule der Deutschen Bundesbank, Hachenburg William R. Burke, J.D. (Columbia Univ.) Attorney at Law (New York), London Dr. Thomas Diehn, LL.M. (Harvard) Notariat Bergstraße, Hamburg Martin Dörscher Direktor, Hamburg Dr. Timo Fest, LL.M. (Pennsylvania) Privatdozent, Universität München Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Klaus J. Hopt, M.C.J. (NYU) em. Direktor, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg, em. Professor, Universität Hamburg, vormals Richter am OLG Stuttgart Prof. Dr. Roger Kiem, LL.M. (London) Rechtanwalt, Frankfurt am Main, Honorarprofessor, Universität Mainz Dr. Marvin Knapp Rechtsanwalt, Hamburg Dr. Tobias Krug, LL.M. (Lund) Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Prof. Dr. Christoph Kumpan, LL.M. (Univ. of Chicago) o. Professor, Universität Halle-Wittenberg, Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht, Attorney at Law (New York) Prof. Dr. Urs B. Lendermann Bundesbankdirektor, Professor an der Hochschule der Deutschen Bundesbank, Hachenburg

Sacha Lürken Rechtsanwalt, München Dr. Mark K. Oulds Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Dr. Leo Plank, LL.M. (Univ. of Connecticut) Rechtsanwalt, München Dr. Christian Ruoff, LL.M. (Duke University) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Attorney at Law (New York), Hamburg Dr. habil. Simon Schwarz, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt, Hamburg und Frankfurt am Main Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Attorney at Law (New York), Hamburg, Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg Dr. Bernd Singhof, LL.M. (Cornell) Rechtsanwalt, Frankfurt am Main Dr. Michael Taufner, LL.M. (Columbia Univ.) Attorney at Law (New York), London Prof. Dr. Christoph Thole, Dipl.-Kfm. o. Professor, Universität zu Köln, Direktor, Institut für Verfahrensrecht sowie Institut für Internationales und Europäisches Insolvenzrecht Cedric Van den Borren, LL.M. (Harvard) Attorney at Law (New York), London François Warken Rechtsanwalt, Luxembourg Dr. Lars Westpfahl Rechtsanwalt, Hamburg Martin Wilhelmi Rechtsanwalt, München Dr. Paul-Joachim v. Wissel Notar a.D., Hamburg Karsten Wöckener, LL.M. (Boston) Rechtsanwalt, Solicitor (England and Wales), Frankfurt am Main

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Hopt/Seibt, Schuldverschreibungsrecht, 2017, § … Rz. … oder Kap. … Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-43009-2

©2017 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Jan P. Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Mit dem Großkommentar „Schuldverschreibungsrecht“, der, wie der Untertitel ausweist, das Recht der Schuldverschreibungen umfassend darstellt, also als Kommentar, als Handbuch und als Angebot von Vertragsmustern, wenden wir uns gleichermaßen an Rechtsprechung, Wissenschaft und Kautelarpraxis, namentlich an Rechtsanwälte, Unternehmensjuristen, Wirtschaftsprüfer, Mitarbeiter von Banken und sonstige Berater von Unternehmen und öffentlichen Emittenten. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass die Begebung von Schuldverschreibungen aus nachvollziehbaren Gründen (Zurückhaltung der stark regulierten Geschäftsbanken bei der Kreditfinanzierung und für die Emittenten attraktive Niedrigzinsperiode) in den letzten Jahren ein zunehmend wichtiger Teil der Finanzierungsstruktur auch deutscher Unternehmen geworden ist (Anstieg des Emissionsvolumens von 2012 bis 2015 um ca. 60 % auf ca. 107 Mrd. Euro). Diese wirtschaftliche Bedeutung wird perspektivisch weiter wachsen, ebenso die bereits heute hohe Internationalität dieses Rechtsfeldes. Eine Darstellung der Konzeption des Buches und seines Inhalts würde dieses Vorwort sprengen und soll deshalb als Einführung unten auf S. 1 die Leser auf das einstimmen, was sie von diesem Buch erwarten dürfen. Dieses Buch ist ein Gemeinschaftswerk, das einzelne so nicht hätten liefern können, dies vor allem mit dem inhaltlichen Anspruch, Großkommentar, Praxishandbuch und Vertragsmustersammlung zu verbinden. Wir möchten deshalb an dieser Stelle einen vielfältig geschuldeten Dank abstatten. Da sind zuerst die Autoren, die allesamt anerkannte Experten im Schuldverschreibungsrecht sind und im Hinblick auf ihre jeweiligen Spezialkenntnisse mitwirken: in- und ausländische Rechtsanwälte (17), Notare (2), Banken- und Unternehmensmitarbeiter (5) und Hochschullehrer (5), jeder mit dem erforderlichen Praxisbezug bei gleichzeitigem Wissenschaftsanspruch. Sie haben bereitwillig Sachverstand, Know-how und langjährige Erfahrungen zur Verfügung gestellt und großartige Arbeit geleistet, und dies in einem ambitionierten Zeitrahmen, in hervorragender Zusammenarbeit mit den Herausgebern und dem Verlag sowie ganz offenbar mit Interesse und Freude an den schwierigen Problemstellungen und der Manuskriptarbeit, die neben vielfältigen anderen wissenschaftlichen und praktischen Verpflichtungen alles andere als ein Spaziergang war. Wir haben es gar nicht gewagt, die hohen Opportunitätskosten auch nur annähernd zu schätzen. Sodann möchten wir uns beim Verlag Dr. Otto Schmidt, und hier besonders bei Frau Dr. Birgitta Peters und Herrn Dr. Bastian Schoppe, für eine erstklassige Betreuung und Beratung bedanken, die in dieser Art heute im deutschen und internationalen Verlagswesen leider nur noch ganz selten anzutreffen ist. Last not least bedanken wir uns bei unseren eigenen Assistentinnen, am Max-Planck-Institut Frau Edda O’Hara und Frau Helga Alambwa und bei Freshfields Bruckhaus Deringer LLP Frau Lisa Baalmann und Frau Hanelore Dietrich. Den Leserinnen und Lesern wünschen wir zuverlässige und aktuelle Information und Anregungen für ihre berufliche Arbeit. Über Rückmeldungen, Hinweise und Wünsche für die zweite Auflage – gerne an den Verlag ([email protected]) – würden wir uns freuen. Hamburg, im November 2016 Klaus J. Hopt

Christoph H. Seibt

VII

Vorwort

Es haben bearbeitet: Artzinger-Bolten/Wöckener

§§ 1–3, 24 SchVG; Anhänge C, D

Behrens

Kapitel 9

Binder

§§ 9–17 SchVG

Braun

Vor §§ 1–3, §§ 1–3 BSchuWG

Burke/Van den Borren/Taufner

Kapitel 15

Dörscher

Kapitel 8

Fest

§ 221 AktG

Hopt/Seibt

Einführung

Kiem

§§ 20, 21 SchVG

Knapp

§ 19 SchVG

Krug

Kapitel 5

Kumpan

Kapitel 6

Lendermann

§ 4 BSchuWG, Vor §§ 4a–4k, §§ 4a–8 BSchuWG

Lürken/Plank

Kapitel 11

Oulds

Kapitel 1, 3

Ruoff

Kapitel 10, 13

Schwarz

Kapitel 14

Seibt

Kapitel 2; Anhänge A, B

Singhof/Wilhelmi

Kapitel 4; Anhang E

Thole

§§ 4–8, 22, 23 SchVG

Warken

Kapitel 7

Westpfahl

Kapitel 12

v. Wissel/Diehn

§ 18 SchVG, Anhang zu § 18 SchVG

VIII

Inhaltsübersicht Seite

Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX

Gesetzestexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XXXI

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Kommentar Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

§ 221 AktG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

Bundesschuldenwesengesetz (BSchuWG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

933

Handbuch Anleihestrukturen, Anleihebedingungen, Rechnungslegung, Aufsichts- und Steuerrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1115

Restrukturierung von Schuldverschreibungen außerhalb des SchVG . . . . . . . . . . .

1467

Internationales Privatrecht und Auslandsanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1553

Vertragsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1697

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1801

IX

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IX

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIX

Gesetzestexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schuldverschreibungsgesetz (deutsche/englische Fassung) II. § 221 AktG (deutsche/englische Fassung) . . . . . . . . . . . III. Bundesschuldenwesengesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

XXXI XXXI XLVIII XLIX

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Teil Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungsgesetz – SchVG) Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Anwendungsbereich (Artzinger-Bolten/Wöckener) . . . . . . . . . . . . . § 2 Anleihebedingungen (Artzinger-Bolten/Wöckener) . . . . . . . . . . . . . § 3 Transparenz des Leistungsversprechens (Artzinger-Bolten/Wöckener) . § 4 Kollektive Bindung (Thole) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

13 13 43 60 97

Abschnitt 2 Beschlüsse der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger (Thole) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Stimmrecht (Thole) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger (Thole) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen (Thole) § 9 Einberufung der Gläubigerversammlung (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 10 Frist, Anmeldung, Nachweis (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 11 Ort der Gläubigerversammlung (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 12 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Tagesordnung (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14 Vertretung (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 Vorsitz, Beschlussfähigkeit (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Bekanntmachung von Beschlüssen (Binder) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Abstimmung ohne Versammlung (v. Wissel/Diehn) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anh. § 18 – Protokollentwurf (v. Wissel/Diehn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19 Insolvenzverfahren (Knapp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20 Anfechtung von Beschlüssen (Kiem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Vollziehung von Beschlüssen (Kiem) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22 Geltung für Mitverpflichtete (Thole) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 113 150 162 187 192 225 240 246 254 268 281 300 334 340 388 396 448 512 521

XI

Inhaltsverzeichnis Seite

Abschnitt 3 Bußgeldvorschriften; Übergangsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . § 23 Bußgeldvorschriften (Thole) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 24 Übergangsbestimmungen (Artzinger-Bolten/Wöckener) . . . . . . . . . . . . . . . .

524 524 526

2. Teil Kommentierung des § 221 AktG § 221 AktG (Fest) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

533

3. Teil Gesetz zur Regelung des Schuldenwesens des Bundes (Bundesschuldenwesengesetz – BSchuWG) Teil 1 Wahrnehmung von Aufgaben des Schuldenwesens des Bundes und parlamentarische Kontrolle (Braun) Vor §§ 1–3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Ermächtigung zur Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens . . . § 2 Aufsicht über die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH § 3 Parlamentarisches Gremium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

933 940 949 951

Teil 2 Kreditaufnahme des Bundes und Bundesschuldbuch (Lendermann) § 4 Kreditaufnahme des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor §§ 4a–4k . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4a Einführung von Umschuldungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4b Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4c Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4d Berechnungsstelle; Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4e Einberufung der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4f Vorsitz; Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4g Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4h Schriftliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4i Anfechtung von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4j Wirksamkeit und Vollziehung von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . § 4k Bekanntmachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Bundesschuldbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Sammelschuldbuchforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 7 Einzelschuldbuchforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 8 Öffentlicher Glaube des Bundesschuldbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 9 aufgehoben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . .

954 977 1012 1030 1059 1076 1082 1085 1087 1090 1091 1096 1097 1097 1102 1109 1111 1113

4. Teil Anleihestrukturen, Anleihebedingungen, Rechnungslegung, Aufsichts- und Steuerrecht Kapitel 1 Marktbedeutung von Schuldverschreibungen (Oulds) . . . . . . . . . . . . Kapitel 2 Strukturierung der Anleihefinanzierung: Geschäftsleiterpflichten, Entscheidungskriterien und Verfahrensablauf (Seibt) . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3 Anleihebedingungen (Oulds) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII

1115 1139 1174

Inhaltsverzeichnis Seite

Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel Kapitel

4 5 6 7 8

Begleitende Rechtsverhältnisse (Singhof/Wilhelmi) . . . . . . . . . . . . . . . Prospektrecht und Börsenzulassung (Krug) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulassungsfolgepflichten (Kumpan) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Börsenzulassung und Zulassungsfolgepflichten in Luxemburg (Warken) Rechnungslegung, Rating, Anleihebewertung (insbesondere in der Krise) (Dörscher) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 9 Bankaufsichtsrecht (Behrens) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 10 Steuerrecht (einschließlich Restrukturierung mit SchVG) (Ruoff) . . . .

1217 1251 1302 1363 1380 1400 1435

5. Teil Restrukturierung von Schuldverschreibungen außerhalb des SchVG Kapitel 11 Außerinsolvenzrechtliche Restrukturierungen außerhalb des SchVG (einschließlich nicht dem deutschen Recht unterliegender Schuldverschreibungen) (Lürken/Plank) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 12 Restrukturierung im Insolvenz- und Insolvenzplanverfahren (Westpfahl) Kapitel 13 Steuerrecht bei Restrukturierung von Schuldverschreibungen außerhalb des SchVG (Ruoff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1467 1509 1546

6. Teil Internationales Privatrecht und Auslandsanleihen Kapitel 14 Internationales Privatrecht (Schwarz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 15 United States and New York State law (Burke/Van den Borren/Taufner)

1553 1645

Anhang: Vertragsmuster mit Erläuterungen A. B. C. D. E.

Hauptversammlungsbeschluss und Bericht des Vorstands (Seibt) Organbeschlüsse des Emittenten (Seibt) . . . . . . . . . . . . . . . . . Musterbedingungen (Artzinger-Bolten/Wöckener) . . . . . . . . . . Mustergarantie (Artzinger-Bolten/Wöckener) . . . . . . . . . . . . . . Übernahmevertrag (Subscription Agreement) (Singhof/Wilhelmi)

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

. . . . .

1697 1711 1730 1756 1760

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1801

XIII

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Ausführliche Schrifttumshinweise finden Sie auch zu Beginn der Bearbeitungen. Ansmann

Schuldverschreibungsgesetz, 1933

Assmann/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Wertpapierhandelsgesetz, 6. Aufl. 2012 Assmann/Schütze (Hrsg.)

Handbuch des Kapitalanlagerechts, 4. Aufl. 2015

Baumbach/Hopt

Handelsgesetzbuch, begr. von Baumbach, bearb. von Hopt, Merkt, Kumpan und Roth, 37. Aufl. 2016

Baumbach/Hueck

GmbH-Gesetz, begr. von Baumbach, fortgeführt von A. Hueck, bearb. von Beurskens, Fastrich, Haas, Noack und Zöllner, 20. Aufl. 2013

Baums/Cahn (Hrsg.)

Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004

Beck’scher Bilanz-Kommentar

10. Aufl. 2016, hrsg. von Grottel, Schmidt, Schubert und Winkeljohann

Beck’sches Handbuch der AG

2. Aufl. 2009, hrsg. von W. Müller und Rödder

Berliner Kommentar Insolvenzrecht Loseblatt, hrsg. von Blersch, Goetsch und Haas Buth/Hermanns (Hrsg.)

Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014

Claussen

Bank- und Börsenrecht, 5. Aufl. 2014

Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn (Hrsg.)

Handelsgesetzbuch, 3. Aufl. 2014 f.

Ekkenga/Schröer (Hrsg.)

Handbuch der AG-Finanzierung, 2014

Erman

Bürgerliches Gesetzbuch, 14. Aufl. 2014, hrsg. von H. P. Westermann, Grunewald und Maier-Reimer

Friedl/Hartwig-Jacob (Hrsg.)

Frankfurter Kommentar zum Schuldverschreibungsgesetz, 2013

Fuchs (Hrsg.)

Wertpapierhandelsgesetz, 2. Aufl. 2016

Göppert/Trendelenburg

Schuldverschreibungsgesetz 1899, 2. Aufl. 1915

Gottwald (Hrsg.)

Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015

Grigoleit (Hrsg.)

Aktiengesetz, 2013

Groß

Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2016

Großkommentar zum AktG

4. Aufl. 1992 ff., hrsg. von Hopt und Wiedemann, 5. Aufl. 2014 ff., hrsg. von Hirte, Mülbert und M. Roth

Großkommentar zum GmbHG

2. Aufl. 2013 ff., hrsg. von Ulmer, Habersack und Löbbe

XV

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Großkommentar zum HGB

4. Aufl. 1983 ff., begr. von Staub, hrsg. von Canaris, Schilling und Ulmer, 5. Aufl. 2008 ff., hrsg. von Canaris, Habersack und C. Schäfer

Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.) Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2. Aufl. 2013 Habersack/Mülbert/Schlitt (Hrsg.) Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 3. Aufl. 2013 Heidel (Hrsg.)

Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014

Henssler/Strohn (Hrsg.)

Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016

Hölters (Hrsg.)

Aktiengesetz, 2. Aufl. 2014

Holzborn (Hrsg.)

Wertpapierprospektgesetz, 2. Aufl. 2014

Hüffer/Koch

Aktiengesetz, 12. Aufl. 2016, begr. von Hüffer, bearb. von J. Koch

Jauernig

BGB, 16. Aufl. 2015, begr. von Jauernig, hrsg. von Stürner

Just/Voß/Ritz/Becker (Hrsg.)

Wertpapierhandelsgesetz, 2015

Just/Voß/Ritz/Zeising (Hrsg.)

Wertpapierprospektgesetz, 2009

Kölner Kommentar zum AktG

2. Aufl. 1986 ff., hrsg. von Zöllner, 3. Aufl. 2004 ff., hrsg. von Zöllner und Noack

Kölner Kommentar zum WpHG

2. Aufl. 2014, hrsg. von Hirte und Möllers

Kümpel/Wittig

Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2011

Langenbucher

Aktien- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2015

Langenbucher/Bliesener/Spindler (Hrsg.)

Bankrechts-Kommentar, 2. Aufl. 2016

Lutter/Hommelhoff

GmbH-Gesetz, 19. Aufl. 2016

Marsch-Barner/Schäfer (Hrsg.)

Handbuch börsennotierte AG, 3. Aufl. 2014

Michalski (Hrsg.)

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 2. Aufl. 2010

Müller, R.

Online-Kommentar zum Wertpapierprospektgesetz, 2012

Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts

Band 3: Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hrsg. von Priester, D. Mayer und Wicke, 4. Aufl. 2012; Band 4: Aktiengesellschaft, hrsg. von HoffmannBecking, 4. Aufl. 2015

Münchener Kommentar zum AktG 3. Aufl. 2008 ff., 4. Aufl. 2014 ff., hrsg. von Goette und Habersack Münchener Kommentar zum BGB 5. Aufl. 2006 ff., hrsg. von Säcker und Rixecker, 6. Aufl. 2012 ff., hrsg. von Säcker, Rixecker und Oetker, 7. Aufl. 2015 ff., hrsg. von Säcker, Rixecker, Oetker und Limperg

XVI

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Münchener Kommentar zum Bilanzrecht

Loseblatt, hrsg. von Hennrichs, Kleindiek und Watrin

Münchener Kommentar zum GmbHG

2. Aufl. 2015 ff., hrsg. von Fleischer und Goette

Münchener Kommentar zum HGB 3. Aufl. 2010 ff., 4. Aufl. 2016 ff., hrsg. von K. Schmidt Münchener Kommentar zur InsO

3. Aufl. 2013 ff., hrsg. von Kirchhof, Stürner und Eidenmüller

Münchener Kommentar zur ZPO

4. Aufl. 2012 ff., 5. Aufl. 2016 f., hrsg. von Krüger und Rauscher

Musielak/Voit (Hrsg.)

Zivilprozessordnung, 13. Aufl. 2016

Oetker (Hrsg.)

Handelsgesetzbuch, 4. Aufl. 2015

Palandt

Bürgerliches Gesetzbuch, 75. Aufl. 2016

Preuße (Hrsg.)

Schuldverschreibungsgesetz, 2011

Raiser/Veil

Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015

Roth/Altmeppen

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 8. Aufl. 2015

Schäfer/Hamann (Hrsg.)

Kapitalmarktgesetze, Loseblatt

Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.) Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011 Schmidt, Andreas (Hrsg.)

Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 5. Aufl. 2015

Schmidt, Andreas (Hrsg.)

Sanierungsrecht, 2016

Schmidt, Karsten (Hrsg.)

Insolvenzordnung, 19. Aufl. 2016

Schmidt, Karsten/Lutter, Marcus (Hrsg.)

Aktiengesetz, 3. Aufl. 2015

Scholz

GmbH-Gesetz, 11. Aufl. 2012 ff.

Schwark/Zimmer (Hrsg.)

Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010

Spindler/Stilz (Hrsg.)

Aktiengesetz, 3. Aufl. 2015

Staudinger

Bürgerliches Gesetzbuch, 2000 ff.

Stein/Jonas

Zivilprozessordnung, 22. Aufl. 2012 ff.

Uhlenbruck

Insolvenzordnung, 14. Aufl. 2015, hrsg. von Uhlenbruck, Hirte und Vallender

Veranneman (Hrsg.)

Schuldverschreibungsgesetz, 2. Aufl. 2016

Wachter (Hrsg.)

Aktiengesetz, 2. Aufl. 2014

Zöller

Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016

XVII

Abkürzungsverzeichnis a.A. AAU abl. ABl. ABS abw. AcP ADR a.E. AEAO AEUV a.F. AFME AG AGB AICPA AktG allg. Alt. Anh. Anm. ANFA AnSVG AO APP aRAP Art. ARUG AStG Aufl. ausf. AuslInvG Az.

anderer Ansicht Agreement Among Underwriters ablehnend Amtsblatt Asset Backed Securities abweichend Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) American Depositary Receipts am Ende Anwendungserlass zur Abgabenordnung Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Association for Financial Markets in Europe Aktiengesellschaft, Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift), Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen American Institute of Certified Public Accountants Aktiengesetz allgemein Alternative Anhang Anmerkung Agreement on Net Financial Assets Anlegerschutzverbesserungsgesetz Abgabenordnung Asset Purchase Programme aktiver Rechnungsabgrenzungsposten Artikel Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Gesetz über die Besteuerung bei Auslandsbeziehungen Auflage ausführlich Auslandinvestmentgesetz Aktenzeichen

BADV BaFin BAFinBefugV

Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Verordnung zur Übertragung von Befugnissen zum Erlass von Rechtsverordnungen auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen Bundesanzeiger Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbankgesetz Bund Bietungs-System Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling Bundesverband der Deutschen Industrie Bundesdatenschutzgesetz bearbeitet Beck’scher Online-Kommentar

BAKred BAnz. BAWe BB BBankG BBS BC BDI BDSG bearb. BeckOK

XIX

Abkürzungsverzeichnis

BeckRS BeckVerw begr. Begr. BeurkG BFH BGB BGBl. BGebG BGH BGHZ BHG BHO BilKoG BilMoG BilReG Bio. BIZ BKR BMF BMJV BNotO BörsG BörsO BörsZulV BR BR-Drucks. BRRD BSchuWG BSchuWV bspw. BStBl. BT BT-Drucks. BuB Buchst. BWpVerwG bzgl. bzw.

Beck online Rechtsprechung Verwaltungsanweisungen-Datenbank beck-online begründet Begründung Beurkundungsgesetz Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgebührengesetz Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Amtliche Sammlung Bundeshaushaltsgesetz Bundeshaushaltsordnung Bilanzkontrollgesetz Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Billion Bank für Internationalen Zahlungsausgleich Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesminister(ium) der Finanzen Bundesminister(ium) der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnotarordnung Börsengesetz Börsenordnung Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrat Bundesrats-Drucksache Bank Recovery and Resolution Directive Bundesschuldenwesengesetz Bundesschuldenwesenverordnung beispielsweise Bundessteuerblatt Bundestag Bundestags-Drucksache Bankrecht und Bankpraxis Buchstabe Bundeswertpapierverwaltungsgesetz bezüglich beziehungsweise

ca. CAC CBF CBL CDO CDS CEBS CESR CF CFB CFL

circa Collective Action Clauses Clearstream Banking Frankfurt Clearstream Banking société anonyme, Luxembourg Collateralized Debt Obligations Credit Default Swaps Committee of European Banking Supervisors Committee of European Securities Regulators Corporate Finance (Zeitschrift) Corporate Finance biz (Zeitschrift) Corporate Finance law (Zeitschrift)

XX

Abkürzungsverzeichnis

CGN cic CLN CMBS CMLJ CoC CoCo COMI CRD IV CRIM-MAD CRR CSD CSES CSSF CTR

Classic Global Notes culpa in contrahendo Credit Linked Notes Commercial Mortgage-Backed Securities Capital Markets Law Journal Change of Control Contingent Convertible Bonds Centre of Main Interest Capital Requirements Directive IV Richtlinie über strafrechtliche Sanktionen für Insiderhandel und Marktmanipulation Capital Requirements Regulation Central Securities Depository Centre for Strategy and Evaluation Services Commission de Surveillance du Secteur Financier (Luxemburg) Common Terms of Reference

DAI DB DCF DCGK DepotG DerivateV d.h. DIP DiskE Diss. DrittelbG DRiZ DRS Drucks. DStR DStZ/A DTC DÜG DZWIR

Deutsches Aktieninstitut Der Betrieb (Zeitschrift) Discounted Cash-Flow Deutscher Corporate Governance Kodex Depotgesetz Derivateverordnung das heißt Debt Issuance Programm Diskussionsentwurf Dissertation Drittelbeteiligungsgesetz Deutsche Richterzeitung Deutsche Rechnungslegungs Standards Drucksache Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerzeitung Ausgabe A Depository Trust Company Diskontsatz-Überleitungs-Gesetz Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

E EBA eBAnz. ebd. EBF EBIT EBITDA EBT Ecofin EFC EFSF e.g. EG EGAktG

Entwurf European Banking Authority elektronischer Bundesanzeiger ebenda European Banking Federation Earnings before Interest and Taxes Earnings before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization Earnings before Taxes Economic and Financial Affairs Council Economic and Financial Committee Europäische Finanzstabilisierungsfazilität exempli gratia Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz

XXI

Abkürzungsverzeichnis

EGESC EGV EIB Einl. EIOPA EK EMMI EMTN endg. EONIA ErbStG ErgLfg. ErwGrd. ESC ESFS ESM ESMA ESME ESMV ESN ESRB EStG ESUG ESZB et al. etc. EU EuGH EUGVÜ EuGVVO

Expert Group of the European Securities Committee Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Investitionsbank Einleitung European Insurance and Occupational Pensions Authority Eigenkapital European Money Markets Institute Euro Medium Term Note endgültige Fassung Euro OverNight Index Average Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Ergänzungslieferung Erwägungsgrund European Securities Council European System of Financial Supervision Europäischer Stabilitätsmechanismus European Securities and Markets Authority European Securities Markets Expert Group Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus European Secured Note European Systemic Risk Board Einkommensteuergesetz Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäisches System der Zentralbanken et alia et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuInsVO Europäische Insolvenzverordnung EuLF The European Legal Forum (Zeitschrift) EU-ProspektVO/ (EU-)Prospektverordnung ProspektVO EuR Europarecht (Zeitschrift) EURIBOR European Interbank Offered Rate EuVTVO Unbestrittene-Forderungen-Vollstreckungstitel-VO EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht e.V. eingetragener Verein EVÜ Europäisches Schuldvertragsübereinkommen EWiR Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) EWR Europäischer Wirtschaftsraum EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht EZB Europäische Zentralbank f./ff. FamFG FB FCA FESCO XXII

folgende/fortfolgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanz-Betrieb (Zeitschrift) Financial Conduct Authority Forum of European Securities Commissions

Abkürzungsverzeichnis

FFG FG FGO FiMaNoG FinFöG FinMin. FMS FMSA FMSANeuOG FMStBG FMStFG FMStFV FMStG Fn. FR FRUG FS FSA FSAP FWB

Finanzmarktförderungsgesetz Finanzgericht Finanzgerichtsordnung Finanzmarktnovellierungsgesetz Finanzmarktförderungsgesetz Finanzminister(ium) Finanzmarktstabilisierungsfonds Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung Gesetz zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (Entwurf) Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz Finanzmarktstabilisierungsfonds-Verordnung Finanzmarktstabilisierungsgesetz Fußnote Finanz-Rundschau (Zeitschrift) Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Financial Services Authority Financial Services Action Plan Frankfurter Wertpapierbörse

G GbR GDR GenG GewArch GewStG GG ggf. ggü. G/H/E/K GmbH GmbHG GPR grds. Großkomm GVBl. GVG GVGA GWpÜ GWR Gz.

Gesetz Gesellschaft bürgerlichen Rechts Global Depositary Receipts Genossenschaftsgesetz Gewerbearchiv (Zeitschrift) Gewerbesteuergesetz Grundgesetz gegebenenfalls gegenüber Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grundsätzlich Großkommentar Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Genfer Wertpapierübereinkommen Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Geschäftszeichen

h.A. HambKomm Hdb. HG HGB h.M.

herrschende Auffassung Hamburger Kommentar Handbuch Haushaltsgesetz Handelsgesetzbuch herrschende Meinung

XXIII

Abkürzungsverzeichnis

HR/HReg Hrsg. HStR

Handelsregister Herausgeber Handbuch des Staatsrechts

IAASB IAS IASB IAS-VO IBA ICA ICMA ICMSA ICSD i.d.F. i.d.R. IDW/IdW i.e. i.E. i.e.S./i.w.S. IFAC IFG IFRIC IFRS IHR IILR IMFC insb./insbes. InsO InvG IOSCO IPO IPR IPRax ISA ISAE i.S.d./i.S.v. ISIN ISR ISRE ISS IStR ITF ITS i.V.m. IWF

International Auditing and Assurance Standards Board International Accounting Standards International Accounting Standards Board IAS-Verordnung International Bar Association Intercreditor Agreement International Capital Market Association International Capital Market Services Association International Central Securities Depository in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer id est im Ergebnis im engeren Sinne/im weiteren Sinne International Federation of Accountants Informationsfreiheitsgesetz International Financial Reporting Interpretation Committee International Financial Reporting Standards Internationales Handelsrecht (Zeitschrift) International Insolvency Law Review (Zeitschrift) International Monetary and Financial Committee insbesondere Insolvenzordnung Investmentgesetz International Organization of Securities Commissions Initial Public Offering Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) International Standards on Auditing International Standard on Assurance Engagements im Sinne des/im Sinne von International Securities Identification Number Internationale Steuer-Rundschau (Zeitschrift) International Standard on Review Engagements Institutional Shareholder Services Internationales Steuerrecht (Zeitschrift) Investitions- und Tilgungsfonds Technische Durchführungsstandards in Verbindung mit Internationaler Währungsfonds

JbFSt JW

Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

KAG KAGB KAGG Kap. KapMuG KfW KG KGaA KGR KID KMU KölnKomm KÖSDI KonTraG KoR KredReorgG krit. KStG KSzW KTS KWG

Kapitalanlagegesellschaft Kapitalanlagegesetzbuch Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften Kapitel Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Kreditanstalt für Wiederaufbau/KfW-Bankengruppe Kommanditgesellschaft, Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien KG-Report Berlin (Zeitschrift) Key Information Document Kleine und mittlere Unternehmen Kölner Kommentar Kölner Steuerdialog (Zeitschrift) Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Zeitschrift für Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung Gesetz zur Reorganisation von Kreditinstituten kritisch Körperschaftsteuergesetz Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für Insolvenzrecht, Konkurs – Treuhand – Sanierung Kreditwesengesetz

LCR LfSt LG LIBA LIBOR Lit. Lit. LMA LoI Ls. LugÜ

Liquidity Coverage Ratio Landesamt für Steuern Landgericht London Investment Banking Association London Interbank Offered Rate Buchstabe Literatur Loan Market Association Letter of Intent Leitsatz Lugano-Übereinkommen (Europäisches Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen)

M&A MAAU m. Anm. MAR m.a.W. MD&A

Mergers and Acquisitions Master Agreement among Underwriters mit Anmerkung Market Abuse Regulation (siehe auch MMVO) mit anderen Worten Management’s Discussion and Analysis of Financial Condition and Results of Operations Mitglied des Bundestages meines Erachtens Markets in Financial Instruments Directive Markets in Financial Instruments Regulation Million Mitbestimmungsgesetz Marktmissbrauchsverordnung (siehe auch MAR)

MdB m.E. MiFID MiFIR Mio. MitbestG MMVO

XXV

Abkürzungsverzeichnis

MoMiG MoU Mrd. MREL MTF MünchKomm MVP m.w.N.

Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Memorandum of Understanding Milliarde Minimum Requirement for own Funds and eligible Liabilities Multilateral Trading Facility Münchener Kommentar Melde- und Veröffentlichungsplattform mit weiteren Nachweisen

n.F. NGN NJ NJOZ NJW NK Nr./Nrn. NSFR NVwZ N.Y.U.L. Rev. NZG NZI

neue Fassung New Global Note Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Nomos Kommentar Nummer(n) Net Stable Funding Ratio Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht New York University Law Review (Zeitschrift) Neue Zeitschrift für Gesellschaftrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht

o.Ä. OECD OFD OFR OGAW OGH OLG OMT OTC OWiG

oder Ähnliches Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Oberfinanzdirektion Operating and Financial Review Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht Outright Monetary Transactions Over the Counter Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PfandBG Pfandbriefgesetz PfandlV Pfandleiherverordnung PIYC Pay if you can PKH Prozesskostenhilfe PM Pressemitteilung pRAP Passiver Rechnungsabgrenzungsposten PRIIP Packaged Retail and Insurance-based Investment Products PRIMA Place of the Relevant Intermediary Approach PRIP Packaged Retail Investment Products ProspektVO/ (EU-)Prospektverordnung EU-ProspektVO PSI Private Sector Involvement PSPP Public Sector Purchase Programme PublG Publizitätsgesetz

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

Q&A QIB

Questions and Answers Qualified Institutional Buyers

RdF RechKredV RefE RegBegr. RegE REIT RGBl. RIW RL RMB RMBS Rspr. RTS RVG Rz.

Recht der Finanzinstrumente (Zeitschrift) Kreditinstituts-Rechnungslegungsverordnung Referentenentwurf Regierungsbegründung Regierungsentwurf Real Estate Investment Trust Reichsgesetzblatt Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Richtlinie Renminbi Residential Mortgage-Backed Securities Rechtsprechung Technische Regulierungsstandards Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Randziffer

S. S&P SAG SAS SchVG SDRM SE SEC SGB SIC SIFMA SME SMP SoA SoFFin sog. SPAC SPV SREP SRF SRM SRP SSM StbJb STEP StGB StPO str. StuB

Seite Standard & Poors Sanierungs- und Abwicklungsgesetz Statements of Auditing Standards Schuldverschreibungsgesetz Sovereign Debt Restructuring Mechanism Societas Europaea Securities and Exchange Commission Sozialgesetzbuch Standing Interpretation Committee Securities Industry and Financial Markets Association Small and Medium-sized Enterprises Securities Markets Programme Scheme of Arrangement Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung sogenannt/e Special Purpose Acquisition Company Special Purpose Vehicle Supervisory Review and Evaluation Process Single Resolution Fund Single Resolution Mechanism Single Resolution Board Single Supervisory Mechanism Steuerberaterjahrbuch Short Term European Paper Strafgesetzbuch Strafprozessordnung streitig Steuern und Bilanzen (Zeitschrift)

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

TARGET TEFRA TMR TSI Tz.

Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System Tax Equity and Fiscal Responsibility Act Temporary Marketing Restrictions True Sale Initiative Textziffer

u.a. u.ä. u.Ä. Ubg u.E. UG UKlaG UmschKl UmwG unstr. Unterabs. URV U.S.C. USD usf. usw. u.U. UWG

unter anderem, und andere und ähnliche und Ähnliches Unternehmensbesteuerung (Zeitschrift) unseres Erachtens Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) Unterlassungsklagengesetz Umschuldungsklauseln Umwandlungsgesetz unstreitig Unterabsatz Unternehmensregisterverordnung United States Code US-Dollar und so fort und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

v. v.a. verb. VermAnlG vGA vgl. VglO VO VwGO VwVfG

vom, von vor allem verbunden Vermögensanlagengesetz verdeckte Gewinnausschüttung vergleiche Vergleichsordnung Verordnung Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

WA WG wistra WiVerw WKN WM WPg WpHG WPO WpPG WpÜG WR WuB

Wertpapieraufsicht Wechselgesetz Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Wertpapierkennnummer Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Wertpapierhandelsgesetz Wirtschaftsprüferordnung Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wertpapierrechnung Entscheidungsanmerkungen zum Wirtschafts- und Bankrecht (Zeitschrift)

XXVIII

Abkürzungsverzeichnis

zB ZBB ZEuS ZfgK ZfhF ZGR ZHR Ziff. ZInsO ZIP ZKA ZKF ZPO z.T. ZVG zzgl.

zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zentraler Kreditausschuss Zeitschrift für Kommunalfinanzen Zivilprozessordnung zum Teil Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zuzüglich

XXIX

Gesetzestexte I. Schuldverschreibungsgesetz (deutsche/englische Fassung) Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen

German Act on Notes from Aggregate Issues

(Schuldverschreibungsgesetz – SchVG)

(German Act on Notes) (English Convenience Translation by Prof. Dr. Christoph H. Seibt)

vom 31. Juli 2009 (BGBl. I S. 2512), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. September 2012 (BGBl. I S. 1914)

as of 31 July 2009 (BGBl. I p. 2512), last amended by the Act of 13 September 2012 (BGBl. I p. 1914)

Inhaltsübersicht

Table of Contents

Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften

Part 1 General Provisions

§ 1 Anwendungsbereich § 2 Anleihebedingungen § 3 Transparenz des Leistungsversprechens § 4 Kollektive Bindung Abschnitt 2 Beschlüsse der Gläubiger § 5 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger § 6 Stimmrecht § 7 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger § 8 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen § 9 Einberufung der Gläubigerversammlung § 10 Frist, Anmeldung, Nachweis § 11 Ort der Gläubigerversammlung § 12 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung § 13 Tagesordnung § 14 Vertretung § 15 Vorsitz, Beschlussfähigkeit § 16 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift § 17 Bekanntmachung von Beschlüssen § 18 Abstimmung ohne Versammlung § 19 Insolvenzverfahren § 20 Anfechtung von Beschlüssen § 21 Vollziehung von Beschlüssen § 22 Geltung für Mitverpflichtete

Sec. 1 Scope of Application Sec. 2 Terms and Conditions of the Notes Sec. 3 Transparency of the Promise to Perform Sec. 4 Collectively Binding Effect Part 2 Noteholder Resolutions Sec. 5 Majority Resolutions of the Noteholders Sec. 6 Voting Right Sec. 7 Joint Representative of the Noteholders Sec. 8 Appointment of the Joint Representative in the Terms and Conditions of the Notes Sec. 9 Convention of a Noteholders’ Meeting Sec. 10 Convening Period; Registration; Evidence Sec. 11 Venue of the Noteholders’ Meeting Sec. 12 Contents of the Convening Notice; Publication Sec. 13 Agenda Sec. 14 Proxy Sec. 15 Chairperson; Quorum Sec. 16 Obligation to Provide Information; Voting; Minutes Sec. 17 Publication of Resolutions Sec. 18 Vote Without Meeting Sec. 19 Insolvency Proceedings Sec. 20 Challenge of Resolutions Sec. 21 Implementation of Resolutions Sec. 22 Applicability to Joint Obligors XXXI

Gesetzestexte

Abschnitt 3 Bußgeldvorschriften; Übergangsbestimmungen § 23 Bußgeldvorschriften § 24 Übergangsbestimmungen

Part 3 Provisions Concerning Administrative Fines; Transitional Provisions Sec. 23 Provisions Concerning Administrative Fines Sec. 24 Transitional Provisions

Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften

Part 1 General Provisions

§1 Anwendungsbereich

Sec. 1 Scope of Application

(1) Dieses Gesetz gilt für nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungen). (2) Dieses Gesetz gilt nicht für die gedeckten Schuldverschreibungen im Sinne des Pfandbriefgesetzes sowie nicht für Schuldverschreibungen, deren Schuldner der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde ist oder für die der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde haftet. Für nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen, deren Schuldner ein anderer Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets ist, gelten die besonderen Vorschriften der §§ 4a bis 4i und 4k des Bundesschuldenwesengesetzes entsprechend.

(1) This Act shall apply to note issues subdivided into individual identical note tranches (Gesamtemissionen, Aggregate Issues) issued under German law (notes). (2) This Act shall not apply to covered notes (gedeckte Schuldverschreibungen) within the meaning of the German Pfandbrief Act (Pfandbriefgesetz – “PfandBG”) or to notes for which the issuer is the German federal government, a special fund of the German federal government (Sondervermögen des Bundes), a German state (Land) or a municipality or for which the German federal government, a special fund of the German federal government (Sondervermögen des Bundes), a German state (Land) or a municipality is liable. Regarding notes issued under German law where the debtor is another Member State of the Euro area, the provisions of Sections 4a to 4i and 4k of the German Federal Government Debt Management Act (Bundesschuldenwesengesetz – “BSchuWG”) shall apply accordingly.

§2 Anleihebedingungen

Sec. 2 Terms and Conditions of the Notes

Die Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger (Anleihebedingungen) müssen sich vorbehaltlich von Satz 2 aus der Urkunde ergeben. Ist die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt, kann in ihr auch auf außerhalb der Urkunde niedergelegte Anleihebedingungen Bezug genommen werden. Änderungen des Inhalts der Urkunde oder der Anleihebedingungen nach Abschnitt 2 dieses Gesetzes werden erst wirksam, wenn sie in der Urkunde oder in den Anleihebedingungen vollzogen worden sind.

Subject to Sentence 2, the terms and conditions describing the promised performance as well as the rights and duties of the issuer and the noteholders (terms and conditions of the notes) must be contained in the certificate. If the certificate is not intended to be circulated, it may refer to terms and conditions that are not contained in the certificate. Any amendments to the contents of the certificate or of the terms and conditions of the notes under Part 2 of this Act shall only take effect after having been implemented in the certificate or the terms and conditions of the notes.

XXXII

Schuldverschreibungsgesetz

§3 Transparenz des Leistungsversprechens

Sec. 3 Transparency of the Promise to Perform

Nach den Anleihebedingungen muss die vom Schuldner versprochene Leistung durch einen Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist, ermittelt werden können.

The terms and condition of the notes must enable an investor who is proficient with respect to the relevant type of notes to identify the performance promised by the issuer.

§4 Kollektive Bindung

Sec. 4 Collectively Binding Effect

Bestimmungen in Anleihebedingungen können während der Laufzeit der Anleihe durch Rechtsgeschäft nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder nach Abschnitt 2 dieses Gesetzes geändert werden (kollektive Bindung). Der Schuldner muss die Gläubiger insoweit gleich behandeln.

The provisions of the terms and conditions of the notes may only be amended during the term of the bond either by means of an agreement (Rechtsgeschäft) through identical contracts with all noteholders or in accordance with Part 2 of this Act (collectively binding effect). The issuer must treat the noteholders equally in this respect.

Abschnitt 2 Beschlüsse der Gläubiger

Part 2 Noteholder Resolutions

§5 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Sec. 5 Majority Resolutions of the Noteholders

(1) Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die Gläubiger derselben Anleihe nach Maßgabe dieses Abschnitts durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen zustimmen und zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen können. Die Anleihebedingungen können dabei von den §§ 5 bis 21 zu Lasten der Gläubiger nur abweichen, soweit es in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Verpflichtung zur Leistung kann für die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss nicht begründet werden. (2) Die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubiger derselben Anleihe gleichermaßen verbindlich. Ein Mehrheitsbeschluss der Gläubiger, der nicht gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht, ist unwirksam, es sei denn, die benachteiligten Gläubiger stimmen ihrer Benachteiligung ausdrücklich zu. (3) Die Gläubiger können durch Mehrheitsbeschluss insbesondere folgenden Maßnahmen zustimmen: 1. der Veränderung der Fälligkeit, der Verringerung oder dem Ausschluss der Zinsen;

(1) Subject to the provision of this Part, the terms and conditions of the notes may provide that the noteholders of the same note issue may, by majority resolution, consent to amendments to the terms and conditions of the notes and appoint a joint representative of all noteholders to exercise their rights. The terms and conditions of the notes may only deviate from Sections 5 to 21 to the detriment of the noteholders to the extent expressly provided in this Act. No performance obligation may be imposed on the noteholders by majority resolution. (2) Majority resolutions passed by the noteholders shall be equally binding on all noteholders of the same note issue. Any majority resolution passed by the noteholders which does not provide for equal conditions for all noteholders shall be invalid, unless the disadvantaged noteholders expressly consent to their disadvantage. (3) The noteholders may consent by majority resolution particularly to the following measures: 1. changes in the due date or reduction or exclusion of interest payments;

XXXIII

Gesetzestexte 2. der Veränderung der Fälligkeit der Hauptforderung; 3. der Verringerung der Hauptforderung; 4. dem Nachrang der Forderungen aus den Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren des Schuldners; 5. der Umwandlung oder dem Umtausch der Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile, andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen; 6. dem Austausch und der Freigabe von Sicherheiten; 7. der Änderung der Währung der Schuldverschreibungen; 8. dem Verzicht auf das Kündigungsrecht der Gläubiger oder dessen Beschränkung; 9. der Schuldnerersetzung; 10. der Änderung oder Aufhebung von Nebenbestimmungen der Schuldverschreibungen. Die Anleihebedingungen können die Möglichkeit von Gläubigerbeschlüssen auf einzeln benannte Maßnahmen beschränken oder einzeln benannte Maßnahmen von dieser Möglichkeit ausnehmen. (4) Die Gläubiger entscheiden mit der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. Beschlüsse, durch welche der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert wird, insbesondere in den Fällen des Absatzes 3 Nummer 1 bis 9, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent der teilnehmenden Stimmrechte (qualifizierte Mehrheit). Die Anleihebedingungen können für einzelne oder alle Maßnahmen eine höhere Mehrheit vorschreiben. (5) Ist in Anleihebedingungen bestimmt, dass die Kündigung von ausstehenden Schuldverschreibungen nur von mehreren Gläubigern und einheitlich erklärt werden kann, darf der für die Kündigung erforderliche Mindestanteil der ausstehenden Schuldverschreibungen nicht mehr als 25 Prozent betragen. Die Wirkung einer solchen Kündigung entfällt, wenn die Gläubiger dies binnen drei Monaten mit Mehrheit beschließen. Für den Beschluss über die Unwirksamkeit der Kündigung genügt die einfache Mehrheit der Stimmrechte, es müssen aber in jedem Fall mehr Gläubiger zustimmen als gekündigt haben. XXXIV

2. changes in the due date of the principal amount; 3. reduction of the principal amount; 4. subordination of the claims under the notes during insolvency proceedings of the issuer; 5. conversion or exchange of the notes into shares, other securities or other promises of performance; 6. substitution or release of securities; 7. changes in the currency of the notes; 8. waiver or restriction of the noteholders’ right of termination; 9. substitution of the issuer; and 10. amendments to or repeal of ancillary conditions of the notes. The terms and conditions of the notes may restrict noteholder resolutions to certain specified measures or exclude certain specified measures. (4) Noteholder resolutions are passed with a simple majority of the votes cast. Resolutions which amend the substance of the terms and conditions of the notes, in particular in the cases set out in Paragraph 3 Nos. 1 to 9, require a majority of at least 75 per cent of the votes cast (qualified majority). The terms and conditions of the notes may require a larger majority for certain or all measures.

(5) If the terms and conditions of the notes provide that outstanding notes may only be terminated by several noteholders acting together, the minimum share of outstanding notes required for termination may not exceed 25 per cent. Any such termination shall become invalid if the noteholders pass a majority resolution to that effect within three months. A simple majority of voting rights shall be sufficient for a resolution on the invalidity of the termination, but, in any event, the number of consenting noteholders must exceed the number of those who have terminated the outstanding notes.

Schuldverschreibungsgesetz (6) Die Gläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung. Die Anleihebedingungen können ausschließlich eine der beiden Möglichkeiten vorsehen.

(6) The noteholders shall pass resolutions either in a noteholders’ meeting or by way of a vote without meeting. The terms and conditions of the notes may provide for exclusively one of the two options.

§6 Stimmrecht

Sec. 6 Voting Right

(1) An Abstimmungen der Gläubiger nimmt jeder Gläubiger nach Maßgabe des Nennwerts oder des rechnerischen Anteils seiner Berechtigung an den ausstehenden Schuldverschreibungen teil. Das Stimmrecht ruht, solange die Anteile dem Schuldner oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen (§ 271 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs) zustehen oder für Rechnung des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens gehalten werden. Der Schuldner darf Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen, einem anderen nicht zu dem Zweck überlassen, die Stimmrechte an seiner Stelle auszuüben; dies gilt auch für ein mit dem Schuldner verbundenes Unternehmen. Niemand darf das Stimmrecht zu dem in Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Zweck ausüben. (2) Niemand darf dafür, dass eine stimmberechtigte Person bei einer Gläubigerversammlung oder einer Abstimmung nicht oder in einem bestimmten Sinne stimme, Vorteile als Gegenleistung anbieten, versprechen oder gewähren. (3) Wer stimmberechtigt ist, darf dafür, dass er bei einer Gläubigerversammlung oder einer Abstimmung nicht oder in einem bestimmten Sinne stimme, keinen Vorteil und keine Gegenleistung fordern, sich versprechen lassen oder annehmen.

(1) Each noteholder shall participate in votes in proportion to the principal amount or arithmetical share of the outstanding notes held by such noteholder. Voting rights are suspended with respect to the shares attributable to the issuer or any of its affiliates (Section 271 Paragraph 2 of the German Commercial Code (Handelsgesetzbuch – “HGB”)) or held for the account of the issuer or any of its affiliates. The issuer may not entrust notes for which the voting rights have been suspended to any third party for the purposes of exercising the voting rights in lieu of the issuer. This shall also apply to any affiliate of the issuer. Exercising voting rights for the purposes specified in the first part of Sentence 3 is prohibited.

§7 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Sec. 7 Joint Representative of the Noteholders

(1) Zum gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger kann jede geschäftsfähige Person oder eine sachkundige juristische Person bestellt werden. Eine Person, welche 1. Mitglied des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs, Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens ist,

(1) Any person with legal capacity or any proficient legal entity may be appointed as joint representative of all noteholders. Any person who 1. is a member of the management board (Vorstand), supervisory board (Aufsichtsrat), administrative board (Verwaltungsrat) or any similar board or who is an employee or is otherwise part of the staff of the issuer or any of its affiliates,

(2) The offer, promise or grant of any benefit to any person entitled to vote in consideration for a commitment to abstain from voting or to vote in a particular way in a noteholders’ meeting or in a vote without meeting is prohibited. (3) No person entitled to vote may demand or accept any benefit or consideration for abstaining from voting or for voting in a particular way in a noteholderss’ meeting or a vote without meeting.

XXXV

Gesetzestexte 2. am Stamm- oder Grundkapital des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens mit mindestens 20 Prozent beteiligt ist, 3. Finanzgläubiger des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens mit einer Forderung in Höhe von mindestens 20 Prozent der ausstehenden Anleihe oder Organmitglied, Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter dieses Finanzgläubigers ist oder 4. auf Grund einer besonderen persönlichen Beziehung zu den in den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Personen unter deren bestimmendem Einfluss steht, muss den Gläubigern vor ihrer Bestellung zum gemeinsamen Vertreter die maßgeblichen Umstände offenlegen. Der gemeinsame Vertreter hat die Gläubiger unverzüglich in geeigneter Form darüber zu unterrichten, wenn in seiner Person solche Umstände nach der Bestellung eintreten. (2) Der gemeinsame Vertreter hat die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm durch Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt wurden. Er hat die Weisungen der Gläubiger zu befolgen. Soweit er zur Geltendmachung von Rechten der Gläubiger ermächtigt ist, sind die einzelnen Gläubiger zur selbständigen Geltendmachung dieser Rechte nicht befugt, es sei denn, der Mehrheitsbeschluss sieht dies ausdrücklich vor. Über seine Tätigkeit hat der gemeinsame Vertreter den Gläubigern zu berichten. (3) Der gemeinsame Vertreter haftet den Gläubigern als Gesamtgläubigern für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben; bei seiner Tätigkeit hat er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Die Haftung des gemeinsamen Vertreters kann durch Beschluss der Gläubiger beschränkt werden. Über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gläubiger gegen den gemeinsamen Vertreter entscheiden die Gläubiger. (4) Der gemeinsame Vertreter kann von den Gläubigern jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen werden. (5) Der gemeinsame Vertreter der Gläubiger kann vom Schuldner verlangen, alle Auskünfte

XXXVI

2. holds a share of at least 20 per cent in the share capital of the issuer or any of its affiliates, 3. is a financial creditor of the issuer or any of its affiliates with a claim amounting to at least 20 per cent of the outstanding note issue, or a member of any board, an employee or who is otherwise part of the staff of such financial creditor or 4. is subject to the control of the persons set out in Nos. 1 to 3 as a result of a special personal relationship must disclose the relevant circumstances to the noteholders before being appointed as joint representative. The joint representative shall inform the noteholders without undue delay (unverzüglich) in an appropriate from if such circumstances arise after having been appointed. (2) The joint representative shall have the duties and rights granted to it by law or by majority resolution of the noteholders. It shall comply with instructions given by the noteholders. To the extent that it has been authorized to assert certain rights of the noteholders, the individual noteholders shall not be entitled to assert such rights on their own, unless expressly permitted under the majority resolution. The joint representative shall report on its activities to the noteholders. (3) The joint representative shall be liable to the noteholders as joint and several creditors for the due performance of its duties. In the performance of its duties, it shall act with the care of a prudent and conscientious business manager (Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters). The joint representative’s liability may be limited by noteholder resolution. Any assertion of compensation claims against the joint representative shall be decided by the noteholders. (4) The joint representative may be dismissed by the noteholders at any time without reason. (5) The joint representative of the noteholders may require the issuer to provide any informa-

Schuldverschreibungsgesetz zu erteilen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. (6) Die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger entstehenden Kosten und Aufwendungen, einschließlich einer angemessenen Vergütung des gemeinsamen Vertreters, trägt der Schuldner.

tion that is necessary for the performance of the duties conferred on it. (6) The costs and expenses incurred by appointing a joint representative of the noteholders, including a reasonable remuneration of the joint representative, shall be borne by the issuer.

§8 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen

Sec. 8 Appointment of the Joint Representative in the Terms and Conditions of the Notes

(1) Ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger kann bereits in den Anleihebedingungen bestellt werden. Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs, Angestellte oder sonstige Mitarbeiter des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens dürfen nicht bereits in den Anleihebedingungen als gemeinsamer Vertreter der Gläubiger bestellt werden. Ihre Bestellung ist nichtig. Dies gilt auch, wenn die in Satz 1 genannten Umstände nachträglich eintreten. Aus den in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 bis 4 genannten Personengruppen kann ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger bestellt werden, sofern in den Emissionsbedingungen die maßgeblichen Umstände offengelegt werden. Wenn solche Umstände nachträglich eintreten, gilt § 7 Absatz 1 Satz 3 entsprechend.

(1) A joint representative of the noteholders may also be appointed in the terms and conditions of the notes. Members of the management board, the supervisory board, the administrative board or any similar board, employees or other staff of the issuer or of any of its affiliates may not be appointed as joint representative of the noteholders in the terms and conditions of the notes. Any such appointment shall be invalid. This shall also apply if the circumstances set out in Sentence 1 arise thereafter. A joint representative of the noteholders may be appointed from the groups of persons set out in Section 7 Paragraph 1 Sentence 2 Nos. 2 to 4 if the relevant circumstances are disclosed in the terms and conditions. If such circumstances arise thereafter, Section 7 Paragraph 1 Sentence 3 shall apply mutatis mutandis. (2) The scope of the joint representative’s rights shall be determined upon appointment. The representative may only be authorized to waive rights of the noteholders, in particular with respect to decisions set out in Section 5 Paragraph 3 Sentence 1 Nos. 1 to 9, only on the basis of the resolution passed at a noteholders’ meeting. Such authorization may only be granted in each case individually. (3) The joint representative’s liability may be limited by the terms and conditions of the notes to the maximum amount of ten times the amount of its annual remuneration, unless the actions of the joint representative are cases of wilful misconduct (Vorsatz) or gross negligence (grobe Fahrlässigkeit). (4) Section 7 Paragraphs 2 to 6 shall apply mutatis mutandis to a joint representative appointed in the terms and conditions of the notes.

(2) Mit der Bestellung ist der Umfang der Befugnisse des gemeinsamen Vertreters zu bestimmen. Zu einem Verzicht auf Rechte der Gläubiger, insbesondere zu den in § 5 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 bis 9 genannten Entscheidungen, kann der Vertreter nur auf Grund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ermächtigt werden. In diesen Fällen kann die Ermächtigung nur im Einzelfall erteilt werden. (3) In den Anleihebedingungen kann die Haftung des gemeinsamen Vertreters auf das Zehnfache seiner jährlichen Vergütung begrenzt werden, es sei denn, dem gemeinsamen Vertreter fällt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last. (4) Für den in den Anleihebedingungen bestellten gemeinsamen Vertreter gilt § 7 Absatz 2 bis 6 entsprechend.

XXXVII

Gesetzestexte

§9 Einberufung der Gläubigerversammlung

Sec. 9 Convocation of a Noteholders’ Meeting

(1) Die Gläubigerversammlung wird vom Schuldner oder von dem gemeinsamen Vertreter der Gläubiger einberufen. Sie ist einzuberufen, wenn Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, dies schriftlich mit der Begründung verlangen, sie wollten einen gemeinsamen Vertreter bestellen oder abberufen, sie wollten nach § 5 Absatz 5 Satz 2 über das Entfallen der Wirkung der Kündigung beschließen oder sie hätten ein sonstiges besonderes Interesse an der Einberufung. Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die Gläubiger auch aus anderen Gründen die Einberufung verlangen können. (2) Gläubiger, deren berechtigtem Verlangen nicht entsprochen worden ist, können bei Gericht beantragen, sie zu ermächtigen, die Gläubigerversammlung einzuberufen. Das Gericht kann zugleich den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen. Auf die Ermächtigung muss in der Bekanntmachung der Einberufung hingewiesen werden. (3) Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Sitz hat oder mangels eines Sitzes im Inland das Amtsgericht Frankfurt am Main. Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die Beschwerde statthaft.

(1) The noteholders’ meeting shall be convened by the issuer or by the joint representative of the noteholders. The noteholders’ meeting shall be convened if noteholders jointly holding 5 per cent of the outstanding notes request such convocation in writing for the reason that they intend to appoint or dismiss a joint representative, pass a resolution in order to render a termination invalid in accordance with Section 5 Paragraph 5 Sentence 2 or that they haveanother particular interest in such convocation. The terms and condition of the notes may provide that the noteholders may also request that a meeting shall be convened for other reasons. (2) Noteholders whose legitimate request has not been complied with may file a motion with a court to seek authorization to convene the noteholders’ meeting. The court may determine the chairperson of the meeting at the same time. The convening notice must advert to such authorization.

(4) Der Schuldner trägt die Kosten der Gläubigerversammlung und, wenn das Gericht dem Antrag nach Absatz 2 stattgegeben hat, auch die Kosten dieses Verfahrens.

(3) The court in the district where the issuer has its registered office or, if the issuer has no registered office in Germany, the local court (Amtsgericht) of Frankfurt am Main shall have jurisdiction. Objections (Beschwerden) against the court’s decision are permitted. (4) The issuer shall bear the costs of the noteholders’ meeting and, if a motion under Paragraph 2 is granted, the costs of such proceedings.

§ 10 Frist, Anmeldung, Nachweis

Sec. 10 Convening Period; Registration; Evidence

(1) Die Gläubigerversammlung ist mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. (2) Sehen die Anleihebedingungen vor, dass die Teilnahme an der Gläubigerversammlung oder die Ausübung der Stimmrechte davon abhängig ist, dass sich die Gläubiger vor der Versammlung anmelden, so tritt für die Berechnung der Einberufungsfrist an die Stelle des Tages der Versammlung der Tag, bis zu dessen Ablauf sich die Gläubiger vor der Versammlung anmelden müssen. Die Anmeldung muss

(1) The noteholders’ meeting shall be called at least 14 days before the date of the meeting. (2) If the terms and conditions of the notes provide that attendance at the noteholders’ meeting or the exercise of voting rights shall be subject to the noteholders’ registration before the meeting, for the purposes of calculating the convening period, the date of the meeting shall be replaced by the date on which the noteholders must register prior the meeting. Registration must be received at the address stated in the convening notice by not later than

XXXVIII

Schuldverschreibungsgesetz unter der in der Bekanntmachung der Einberufung mitgeteilten Adresse spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung zugehen. (3) Die Anleihebedingungen können vorsehen, wie die Berechtigung zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung nachzuweisen ist. Sofern die Anleihebedingungen nichts anderes bestimmen, reicht bei Schuldverschreibungen, die in einer Sammelurkunde verbrieft sind, ein in Textform erstellter besonderer Nachweis des depotführenden Instituts aus.

the third day preceding the noteholders’ meeting.

§ 11 Ort der Gläubigerversammlung

Sec. 11 Venue of the Noteholders’ Meeting

Die Gläubigerversammlung soll bei einem Schuldner mit Sitz im Inland am Sitz des Schuldners stattfinden. Sind die Schuldverschreibungen an einer Wertpapierbörse im Sinne des § 1 Absatz 3e des Kreditwesengesetzes zum Handel zugelassen, deren Sitz innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, so kann die Gläubigerversammlung auch am Sitz dieser Wertpapierbörse stattfinden. § 30a Absatz 2 des Wertpapierhandelsgesetzes bleibt unberührt.

If the issuer has its registered office in Germany, the noteholders’ meeting should be held at the place where the issuer has its registered office. If the notes have been admitted to trading on a stock exchange within the meaning of Section 1 Paragraph 3e of the German Banking Act (Kreditwesengesetz – “KWG”), the registered office of which is located within the member states of the European Union or the other member states of the Convention on the European Economic Area, the noteholders’ meeting may also be held at the place where such stock exchange has its registered office. Section 30a Paragraph 2 of the German Securities Trading Act (Wertpapierhandelsgesetz – “WpHG”) shall remain unaffected.

§ 12 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung

Sec. 12 Contents of the Convening Notice; Publication

(1) In der Einberufung müssen die Firma, der Sitz des Schuldners, die Zeit und der Ort der Gläubigerversammlung sowie die Bedingungen angeben werden, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen. (2) Die Einberufung ist unverzüglich im Bundesanzeiger öffentlich bekannt zu machen. Die Anleihebedingungen können zusätzliche Formen der öffentlichen Bekanntmachung vorsehen. Die Kosten der Bekanntmachung hat der Schuldner zu tragen. (3) Der Schuldner hat die Einberufung und die genauen Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die

(1) The convening notice shall state the name and the registered office of the issuer, the time and venue of the noteholders’ meeting and the conditions for the attendance at the noteholders’ meeting and the exercise of voting rights.

(3) The terms and conditions of the notes may stipulate how the entitlement to participate at the noteholders’ meeting may be substantiated. Unless the terms and conditions of the notes provide otherwise, a confirmation statement (besonderer Nachweis) in writing (Textform) issued by the depositary bank shall be sufficient for notes represented by global note in bearer form.

(2) The convening notice shall be published without undue (unverzüglich) delay in the Federal Gazette (Bundesanzeiger). The terms and conditions of the notes may include additional forms of publication. The costs of publication shall be borne by the issuer. (3) From the date of the convocation of the noteholders’ meeting until the date of the meeting, the issuer shall make available the XXXIX

Gesetzestexte Ausübung des Stimmrechts abhängen, vom Tag der Einberufung an bis zum Tag der Gläubigerversammlung im Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite den Gläubigern zugänglich zu machen.

convening notice and the exact conditions for the attendance at the noteholders’ meeting and for the exercise of voting rights to the noteholders on its website or, if no such website is available, a website specified in the terms and conditions of the notes.

§ 13 Tagesordnung

Sec. 13 Agenda

(1) Zu jedem Gegenstand, über den die Gläubigerversammlung beschließen soll, hat der Einberufende in der Tagesordnung einen Vorschlag zur Beschlussfassung zu machen. (2) Die Tagesordnung der Gläubigerversammlung ist mit der Einberufung bekannt zu machen. § 12 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. Über Gegenstände der Tagesordnung, die nicht in der vorgeschriebenen Weise bekannt gemacht sind, dürfen Beschlüsse nicht gefasst werden. (3) Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, können verlangen, dass neue Gegenstände zur Beschlussfassung bekannt gemacht werden; § 9 Absatz 2 bis 4 gilt entsprechend. Diese neuen Gegenstände müssen spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung bekannt gemacht sein. (4) Gegenanträge, die ein Gläubiger vor der Versammlung angekündigt hat, muss der Schuldner unverzüglich bis zum Tag der Gläubigerversammlung im Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite den Gläubigern zugänglich machen.

(1) The convening party shall include a proposal in the agenda for each agenda item on which the noteholders’ meeting shall pass a resolution. (2) The agenda of the noteholders’ meeting shall be published along with the convening notice. Section 12 Paragraphs 2 and 3 shall apply mutatis mutandis. No resolutions may be passed regarding agenda items that have not been published in the required manner.

§ 14 Vertretung

Sec. 14 Agency

(1) Jeder Gläubiger kann sich in der Gläubigerversammlung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Hierauf ist in der Einberufung der Gläubigerversammlung hinzuweisen. In der Einberufung ist auch anzugeben, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten. (2) Die Vollmacht und Weisungen des Vollmachtgebers an den Vertreter bedürfen der Textform. Wird ein vom Schuldner benannter Stimmrechtsvertreter bevollmächtigt, so ist die

(1) Each noteholder may be represented by an agent at the noteholders’ meeting. This option must be indicated in the convening notice of the noteholders’ meeting. The convening notice must further stipulate the requirements for valid agency.

XL

(3) Noteholders jointly holding 5 per cent of the outstanding notes may request that new agenda items shall be published for the adoption of a resolution. Section 9 Paragraphs 2 to 4 shall apply mutatis mutandis. These new items must be published no later than the third day preceding the noteholders’ meeting. (4) Any countermotions announced by a noteholder prior to the meeting shall be made available without undue delay (unverzüglich) and until the date of the noteholders’ meeting by the issuer on its website or, if no such website is available, a website specified in the terms and conditions of the notes.

(2) A power of attorney and instructions given by the principal to the agent must be made in writing (Textform). If a voting proxy specified by the issuer is granted a power of attorney,

Schuldverschreibungsgesetz Vollmachtserklärung vom Schuldner drei Jahre nachprüfbar festzuhalten.

the power of attorney must be verifiably documented by the issuer for a period of three years.

§ 15 Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Sec. 15 Chairperson; Quorum

(1) Der Einberufende führt den Vorsitz in der Gläubigerversammlung, sofern nicht das Gericht einen anderen Vorsitzenden bestimmt hat. (2) In der Gläubigerversammlung ist durch den Vorsitzenden ein Verzeichnis der erschienenen oder durch Bevollmächtigte vertretenen Gläubiger aufzustellen. Im Verzeichnis sind die Gläubiger unter Angabe ihres Namens, Sitzes oder Wohnorts sowie der Zahl der von jedem vertretenen Stimmrechte aufzuführen. Das Verzeichnis ist vom Vorsitzenden der Versammlung zu unterschreiben und allen Gläubigern unverzüglich zugänglich zu machen. (3) Die Gläubigerversammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden wertmäßig mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Wird in der Gläubigerversammlung die mangelnde Beschlussfähigkeit festgestellt, kann der Vorsitzende eine zweite Versammlung zum Zweck der erneuten Beschlussfassung einberufen. Die zweite Versammlung ist beschlussfähig; für Beschlüsse, zu deren Wirksamkeit eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, müssen die Anwesenden mindestens 25 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen, zählen nicht zu den ausstehenden Schuldverschreibungen. Die Anleihebedingungen können jeweils höhere Anforderungen an die Beschlussfähigkeit stellen.

(1) The convening party shall chair the noteholders’ meeting unless the court has appointed another chairperson. (2) In the noteholders’ meeting, the chairperson shall draw up a register of noteholders present or represented by proxy. Such register shall include the noteholders’ names, their registered offices or places of residence and the number of voting rights they respectively represent. Such register shall be signed by the chairperson of the meeting and shall be made available to all noteholders without undue delay (unverzüglich). (3) The noteholders’ meeting shall have a quorum if at least fifty per cent of value of the outstanding notes are represented. If the noteholders’ meeting establishes the lack of a quorum, the chairperson may convene a second meeting for the purpose of passing the resolution(s) anew. A second meeting requires no quorum. For resolutions which require a qualified majority, all those present must represent at least 25 per cent of the outstanding notes. Notes for which voting rights have been suspended shall not be included in the outstanding notes. The terms and conditions of the notes may respectively provide for stricter requirements regarding the quorum.

§ 16 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Sec. 16 Obligation to Provide Information; Voting; Minutes

(1) Der Schuldner hat jedem Gläubiger auf Verlangen in der Gläubigerversammlung Auskunft zu erteilen, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich ist. (2) Auf die Abgabe und die Auszählung der Stimmen sind die Vorschriften des Aktiengesetzes über die Abstimmung der Aktionäre in der Hauptversammlung entsprechend an-

(1) Upon request, the issuer shall be obliged to provide any noteholder in the noteholders’ meeting with information to the extent that such information is necessary to properly assess an agenda item or a proposed resolution. (2) The provisions of the German Stock Corporation Act (Aktiengesetz – “AktG”) regarding the voting of shareholders in the general meeting shall apply mutatis mutandis to the casting XLI

Gesetzestexte zuwenden, soweit nicht in den Anleihebedingungen etwas anderes vorgesehen ist. (3) Jeder Beschluss der Gläubigerversammlung bedarf zu seiner Gültigkeit der Beurkundung durch eine über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift. Findet die Gläubigerversammlung im Inland statt, so ist die Niederschrift durch einen Notar aufzunehmen; bei einer Gläubigerversammlung im Ausland muss eine Niederschrift gewährleistet sein, die der Niederschrift durch einen Notar gleichwertig ist. § 130 Absatz 2 bis 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. Jeder Gläubiger, der in der Gläubigerversammlung erschienen oder durch Bevollmächtigte vertreten war, kann binnen eines Jahres nach dem Tag der Versammlung von dem Schuldner eine Abschrift der Niederschrift und der Anlagen verlangen.

and counting of the votes, unless otherwise provided in the terms and conditions of the notes. (3) Any resolution passed by the noteholders’ meeting shall only be valid recorded in minutes of the meeting. If the noteholders’ meeting is held in Germany, the minutes shall be recorded by a notary. If the noteholders’ meeting is held abroad, the minutes prepared must be equivalent to minutes recorded by a notary. Section 130 Paragraphs 2 to 4 AktG shall apply mutatis mutandis. Each noteholder, regardless of whether he was present or represented by proxy in the noteholders’ meeting, may request a copy of the minutes and its annexes from the issuer within one year after the date of the meeting.

§ 17 Bekanntmachung von Beschlüssen

Sec. 17 Publication of Resolutions

(1) Der Schuldner hat die Beschlüsse der Gläubiger auf seine Kosten in geeigneter Form öffentlich bekannt zu machen. Hat der Schuldner seinen Sitz im Inland, so sind die Beschlüsse unverzüglich im Bundesanzeiger zu veröffentlichen; die nach § 30e Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes vorgeschriebene Veröffentlichung ist jedoch ausreichend. Die Anleihebedingungen können zusätzliche Formen der öffentlichen Bekanntmachung vorsehen. (2) Außerdem hat der Schuldner die Beschlüsse der Gläubiger sowie, wenn ein Gläubigerbeschluss die Anleihebedingungen ändert, den Wortlaut der ursprünglichen Anleihebedingungen vom Tag nach der Gläubigerversammlung an für die Dauer von mindestens einem Monat im Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

(1) The issuer shall publish the noteholder resolutions in an appropriate form and at its own expense. If the issuer’s registered office is in Germany, the resolutions shall be published without undue delay (unverzüglich) in the Federal Gazette (Bundesanzeiger); Publication as required by Section 30e Paragraph 1 WpHG shall however be sufficient. The terms and conditions of the notes may include additional forms of publication.

§ 18 Abstimmung ohne Versammlung

Sec. 18 Vote Without Meeting

(1) Auf die Abstimmung ohne Versammlung sind die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung

(1) The provisions concerning the convening and holding of the noteholders’ meeting shall apply mutatis mutandis to a vote without meet-

XLII

(2) In addition, for a period of at least one month commending on the day following the noteholders’ meeting, the issuer shall make available to the public on its website or, if no such website is available, a website specified in the terms and conditions of the notes, the resolutions passed by the noteholders and, if the terms and conditions of the notes are amended by a noteholders’ resolution, the wording of the original terms and conditions of the notes.

Schuldverschreibungsgesetz entsprechend anzuwenden, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. (2) Die Abstimmung wird vom Abstimmungsleiter geleitet. Abstimmungsleiter ist ein vom Schuldner beauftragter Notar oder der gemeinsame Vertreter der Gläubiger, wenn er zu der Abstimmung aufgefordert hat, oder eine vom Gericht bestimmte Person. § 9 Absatz 2 Satz 2 ist entsprechend anwendbar. (3) In der Aufforderung zur Stimmabgabe ist der Zeitraum anzugeben, innerhalb dessen die Stimmen abgegeben werden können. Er beträgt mindestens 72 Stunden. Während des Abstimmungszeitraums können die Gläubiger ihre Stimme gegenüber dem Abstimmungsleiter in Textform abgeben. In den Anleihebedingungen können auch andere Formen der Stimmabgabe vorgesehen werden. In der Aufforderung muss im Einzelnen angegeben werden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Stimmen gezählt werden. (4) Der Abstimmungsleiter stellt die Berechtigung zur Stimmabgabe anhand der eingereichten Nachweise fest und erstellt ein Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger. Wird die Beschlussfähigkeit nicht festgestellt, kann der Abstimmungsleiter eine Gläubigerversammlung einberufen; die Versammlung gilt als zweite Versammlung im Sinne des § 15 Absatz 3 Satz 3. Über jeden in der Abstimmung gefassten Beschluss ist eine Niederschrift aufzunehmen; § 16 Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, kann binnen eines Jahres nach Ablauf des Abstimmungszeitraums von dem Schuldner eine Abschrift der Niederschrift nebst Anlagen verlangen. (5) Jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, kann gegen das Ergebnis schriftlich Widerspruch erheben binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung der Beschlüsse. Über den Widerspruch entscheidet der Abstimmungsleiter. Hilft er dem Widerspruch ab, hat er das Ergebnis unverzüglich bekannt zu machen; § 17 gilt entsprechend. Hilft der Abstimmungsleiter dem Widerspruch nicht ab, hat er dies dem widersprechenden Gläubiger unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (6) Der Schuldner hat die Kosten einer Abstimmung ohne Versammlung zu tragen und,

ing, unless otherwise provided in the following paragraphs. (2) The vote shall be conducted by the scrutineer. The scrutineer shall be a notary appointed by the issuer or the joint representative of the noteholders if it has requested such vote or a person appointed by the court. Section 9 Paragraph 2 Sentence 2 shall apply mutatis mutandis. (3) The request for voting shall set out the period during which votes may be cast. Such period shall amount to at least 72 hours. During the voting period, the noteholders may cast their vote to the scrutineer in writing (Textform). The terms and conditions of the notes may also include other forms of casting the votes. The request shall set out in detail the conditions to be met in order for the votes to be valid.

(4) The scrutineer shall ascertain the entitlement to cast a vote by means of the evidence provided and shall draw up a list of noteholders entitled to vote. If no quorum is established, the scrutineer may call a noteholders’ meeting which shall be considered as a second noteholders’ meeting within the meaning of Section 15 Paragraph 3 Sentence 3. Any resolution passed by the vote without meeting shall be recorded in the minutes. Section 16 Paragraph 3 Sentences 2 and 3 shall apply mutatis mutandis. Each noteholder participating in the vote may request a copy of the minutes its annexes from the issuer within one year after the end of the voting period. (5) Each noteholder participating in the vote may object to the result in writing within two weeks after publication of the resolutions. The scrutineer shall decide on any such objection. If remedial action is taken as a result of the objection, the result shall be published without undue delay (unverzüglich). Section 17 shall apply mutatis mutandis. If the scrutineer does not take remedial action as a result of the objection, it shall notify the objecting noteholder without undue delay (unverzüglich) in writing. (6) The issuer shall bear the costs of the vote without meeting and, if a motion under Sec-

XLIII

Gesetzestexte wenn das Gericht einem Antrag nach § 9 Absatz 2 stattgegeben hat, auch die Kosten des Verfahrens.

tion 9 Paragraph 2 was granted, the costs of such proceedings.

§ 19 Insolvenzverfahren

Sec. 19 Insolvency Proceedings

(1) Ist über das Vermögen des Schuldners im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet worden, so unterliegen die Beschlüsse der Gläubiger den Bestimmungen der Insolvenzordnung, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. § 340 der Insolvenzordnung bleibt unberührt.

(1) If insolvency proceedings have been initiated with regard to the assets of the issuer in Germany, the noteholder resolutions shall be subject to the provisions of the German Insolvency Act (Insolvenzordnung – “InsO”), unless otherwise provided in the following paragraphs. Section 340 InsO shall remain unaffected. (2) For the purpose of safeguarding their rights in the insolvency proceedings, the noteholders may appoint a joint representative of all noteholders by majority resolution. The insolvency court shall call a noteholders’ meeting to this effect in accordance with the provisions of this Act if no joint representative of all noteholders has been appointed yet.

(2) Die Gläubiger können durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen. Das Insolvenzgericht hat zu diesem Zweck eine Gläubigerversammlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes einzuberufen, wenn ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger noch nicht bestellt worden ist. (3) Ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger ist allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen; dabei braucht er die Schuldurkunde nicht vorzulegen. (4) In einem Insolvenzplan sind den Gläubigern gleiche Rechte anzubieten. (5) Das Insolvenzgericht hat zu veranlassen, dass die Bekanntmachungen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zusätzlich im Internet unter der durch § 9 der Insolvenzordnung vorgeschriebenen Adresse veröffentlicht werden.

(3) The joint representative of all noteholders alone shall be entitled and obliged to assert the noteholders’ rights in the insolvency proceedings. The submission of the note certificate shall not be required in this context. (4) The noteholders shall be offered equal rights in an insolvency plan. (5) The insolvency court shall induce that publications pursuant to the provisions of this Act shall additionally be published on the website set out in Section 9 InsO.

§ 20 Anfechtung von Beschlüssen

Sec. 20 Challenge of Resolutions

(1) Ein Beschluss der Gläubiger kann wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen durch Klage angefochten werden. Wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen kann ein Beschluss der Gläubiger nur angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Gläubiger die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für sein Abstimmungsverhalten angesehen hätte. Die Anfechtung kann nicht auf die durch eine technische Störung verursachte Verletzung von Rechten, die nach § 18 auf elektronischem Wege wahrgenommen

(1) A noteholder resolution may be challenged for violation of the law or of the terms and conditions of the notes by initiating legal proceedings. A noteholder resolution may only be challenged for inaccurate, incomplete or withheld information if a reasonable noteholder would have considered such information to be material for its voting behaviour. Challenges may not be based on a violation of electronically exercised rights pursuant to Section 18 which was caused by a technical malfunction, unless gross negligence or willful misconduct can be imputed to the issuer.

XLIV

Schuldverschreibungsgesetz worden sind, gestützt werden, es sei denn, dem Schuldner ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen. (2) Zur Anfechtung ist befugt 1. jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen und gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch erklärt hat, sofern er die Schuldverschreibung vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung oder vor der Aufforderung zur Stimmabgabe in einer Abstimmung ohne Versammlung erworben hatte; 2. jeder Gläubiger, der an der Abstimmung nicht teilgenommen hat, wenn er zur Abstimmung zu Unrecht nicht zugelassen worden ist oder wenn die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufen oder zur Stimmabgabe nicht ordnungsgemäß aufgefordert worden ist oder wenn ein Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist. (3) Die Klage ist binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben. Sie ist gegen den Schuldner zu richten. Zuständig für die Klage ist bei einem Schuldner mit Sitz im Inland ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Sitz hat, oder mangels eines Sitzes im Inland das Landgericht Frankfurt am Main; § 246 Absatz 3 Satz 2 bis 6 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. Vor einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts darf der angefochtene Beschluss nicht vollzogen werden, es sei denn, ein Senat des dem nach Satz 3 zuständigen Gericht im zuständigen Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts stellt auf Antrag des Schuldners nach Maßgabe des § 246a des Aktiengesetzes fest, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht; § 246a Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 4 und 6, Absatz 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend.

(2) The following persons shall be entitled to challenge: 1. any noteholder who participated in the vote and objected to the resolution within the required time period, provided that it had acquired the note before the convening notice of the noteholders’ meeting or the request for voting in a vote without meeting was published; or 2. any noteholder who did not participate in the vote if the participation in the vote was wrongfully refused or the meeting had not been duly called or the vote had not been duly requested or the subject of a resolution has not been duly published.

(3) The legal proceedings shall be initiated within one month after publication of the resolution. They shall be taken against the issuer. If the issuer has its registered office in Germany, the regional court (Landgericht) in the district where the issuer has its registered office or, if the issuer has no registered office in Germany, the regional court (Landgericht) of Frankfurt am Main shall have exclusive jurisdiction. Section 246 Paragraph 3 Sentences 2 to 6 AktG shall apply mutatis mutandis. The challenged resolution may not be implemented before the court has issued a final (rechtskräftig) decision, unless a senate of the competent higher regional court (Oberlandesgericht) whose authority is superior to the court having jurisdiction pursuant to Sentence 3 finds, upon motion by the issuer pursuant to Sec. 246a AktG, that the initiation of legal proceedings does not bar the implementation of the challenged resolution. Section 246a Paragraph 1 Sentences 1 and 2, Paragraph 2, Paragraph 3 Sentences 2to 4 and 6, Paragraph 4 AktG shall apply mutatis mutandis.

§ 21 Vollziehung von Beschlüssen

Sec. 21 Implementation of Resolutions

(1) Beschlüsse der Gläubigerversammlung, durch welche der Inhalt der Anleihebedingun-

(1) Noteholders resolutions which amend or supplement the contents of the terms and conXLV

Gesetzestexte gen abgeändert oder ergänzt wird, sind in der Weise zu vollziehen, dass die maßgebliche Sammelurkunde ergänzt oder geändert wird. Im Fall der Verwahrung der Sammelkurkunde durch eine Wertpapiersammelbank hat der Versammlungs- oder Abstimmungsleiter dazu den in der Niederschrift dokumentierten Beschlussinhalt an die Wertpapiersammelbank zu übermitteln mit dem Ersuchen, die eingereichten Dokumente den vorhandenen Dokumenten in geeigneter Form beizufügen. Er hat gegenüber der Wertpapiersammelbank zu versichern, dass der Beschluss vollzogen werden darf. (2) Der gemeinsame Vertreter darf von der ihm durch Beschluss erteilten Vollmacht oder Ermächtigung keinen Gebrauch machen, solange der zugrunde liegende Beschluss noch nicht vollzogen werden darf.

ditions of the notes shall be implemented in such manner that the relevant global note is supplemented or amended. If the global note has been deposited with a bank for central securities deposit, the chairperson or the scrutineer shall forward the contents of the resolution recorded in the minutes to the bank for central securities deposit for this purpose along with the request to add the submitted documents to the existing documents in an appropriate form. The chairperson or the scrutineer shall assure the bank for central securities deposit that the resolution may be implemented.

§ 22 Geltung für Mitverpflichtete

Sec. 22 Applicability to Joint Obligors

Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die §§ 5 bis 21 für Rechtsgeschäfte entsprechend gelten, durch welche andere Personen als der Schuldner für die Verpflichtungen des Schuldners aus der Anleihe Sicherheiten gewährt haben (Mitverpflichtete). In diesem Fall müssen die Anleihebedingungen Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger unter Benennung der Rechtsgeschäfte und der Mitverpflichteten ausdrücklich vorsehen.

The terms and conditions of the notes may provide that Sections 5 to 21 of this Act shall apply mutatis mutandis to legal transactions by which persons other than the issuer have provided security for the liabilities of the issuer under the notes (joint obligors). In this case, the terms and conditions of the notes must expressly provide for majority resolutions of the noteholders, naming the specific legal transactions and joint obligors.

Abschnitt 3 Bußgeldvorschriften; Übergangsbestimmungen

Part 3 Provisions Concerning Administrative Fines; Transitional Provisions

§ 23 Bußgeldvorschriften

Sec. 23 Provisions Concerning Administrative Fines

(1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. entgegen § 6 Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz Schuldverschreibungen überlässt, 2. entgegen § 6 Absatz 1 Satz 4 das Stimmrecht ausübt, 3. entgegen § 6 Absatz 2 einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt oder 4. entgegen § 6 Absatz 3 einen Vorteil oder eine Gegenleistung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. XLVI

(2) The joint representative may not act under any power of attorney or authorization granted to it by resolution whilst the underlying resolution may not be implemented yet.

(1) An administrative offence (Ordnungswidrigkeit) is committed by any person who 1. makes available notes in violation of Section 6 Paragraph 1 first part of Sentence 3, 2. exercise voting rights in violation of Section 6 Paragraph 1 Sentence 4, 3. offers, promises or grants any benefit in violation of Section 6 Paragraph 2 or 4. demands, accepts benefit or consideration in violation of Section 6 Paragraph 3.

Schuldverschreibungsgesetz (2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 7 Absatz 1 Satz 2 einen maßgeblichen Umstand nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig offenlegt.

(3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu hunderttausend Euro geahndet werden.

(2) An administrative offence is committed by any person who, in violation of Section 7 Paragraph 1 Sentence 2, willfully (vorsätzlich) or carelessly (leichtfertig) fails to disclose relevant circumstances or discloses such circumstances in an inaccurate, incomplete or untimely manner. (3) The administrative offence may be punished by an administrative fine (Geldbuße) up to a maximum amount of one hundred thousand euros.

§ 24 Übergangsbestimmungen

Sec. 24 Transitional Provisions

(1) Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Schuldverschreibungen, die vor dem 5. August 2009 ausgegeben wurden. Auf diese Schuldverschreibungen ist das Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4134-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 53 des Gesetzes vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911) geändert worden ist, weiter anzuwenden, soweit sich aus Absatz 2 nichts anderes ergibt. (2) Gläubiger von Schuldverschreibungen, die vor dem 5. August 2009 ausgegeben wurden, können mit Zustimmung des Schuldners eine Änderung der Anleihebedingungen oder den Austausch der Schuldverschreibungen gegen neue Schuldverschreibungen mit geänderten Anleihebedingungen beschließen, um von den in diesem Gesetz gewährten Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen zu können. Für die Beschlussfassung gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend; der Beschluss bedarf der qualifizierten Mehrheit.

(1) This Act shall not apply to notes issued before 5th August 2009. Such notes shall continue to be subject to the German Act on the Joint Rights of Noteholders (Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen) as corrected and published in the Federal Law Gazette (Bundesgesetzblatt – BGBl.) Part III, no. 4134-1, as last amended by Article 53 of the Act of 5 October 1994 (BGBl. I p. 2911), unless otherwise provided in Paragraph 2. (2) Noteholders of notes issued before 5th August 2009 may, subject to the issuer’s consent, resolve that the terms and conditions of the notes shall be amended or that the notes shall be exchanged for new notes with amended terms and conditions in order to be able to benefit from the options granted in this Act. The provisions of this Act shall apply mutatis mutandis regarding such resolution. Such resolution shall require a qualified majority.

XLVII

II. § 221 Aktiengesetz (deutsche/englische Fassung) Aktiengesetz (AktG)

German Stock Corporation Act (English Convenience Translation by Prof. Dr. Christoph H. Seibt)

vom 6. September 1965 (BGBl. I S. 1089), zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Mai 2016 (BGBl. I S. 1142)

as of 6 September 1965 (BGBl. I p. 1089), last amended by the Act of 10 May 2016 (BGBl. I p. 1142)

§ 221 Wandelschuldverschreibungen; Gewinnschuldverschreibungen

Sec. 221 Convertible Notes; Dividend Notes

(1) Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird (Wandelschuldverschreibungen), und Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden (Gewinnschuldverschreibungen), dürfen nur auf Grund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden. Der Beschluß bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt. Die Satzung kann eine andere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. § 182 Abs. 2 gilt. (2) Eine Ermächtigung des Vorstandes zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen kann höchstens für fünf Jahre erteilt werden. Der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats haben den Beschluß über die Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen sowie eine Erklärung über deren Ausgabe beim Handelsregister zu hinterlegen. Ein Hinweis auf den Beschluß und die Erklärung ist in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. (3) Absatz 1 gilt sinngemäß für die Gewährung von Genußrechten.

(1) Notes providing noteholders with a right to obtain shares through a conversion or subscription (convertible notes) and notes in which the rights of the noteholders are connected to dividends paid to shareholders (dividend notes) may only be issued on the basis of a resolution of the general meeting. Such resolution requires a majority of at least three quarters of the registered share capital represented at the adoption of the resolution. The articles of association may stipulate a different capital majority and further requirements. Section 182 Paragraph 2 shall apply.

(4) Auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechte haben die Aktionäre ein Bezugsrecht. Die §§ 186 und 193 Abs. 2 Nr. 4 gelten sinngemäß.

XLVIII

(2) The management board may be authorized to issue convertible notes for a period of not more than five years. The management board and the chairman of the supervisory board shall submit to the commercial register the resolution on the issue of convertible notes and a confirmation of the issue thereof. Notice of the resolution and of the confirmation of issue shall be announced in the company’s designated journals. (3) Paragraph 1 shall apply mutatis mutandis with respect to the granting of jouissance rights. (4) Shareholders shall have subscription rights with respect to convertible notes, dividend notes and jouissance rights. Section 186 and Section 193 Paragraph 2 No. 4 shall apply mutatis mutandis.

III. Bundesschuldenwesengesetz Gesetz zur Regelung des Schuldenwesens des Bundes (Bundesschuldenwesengesetz – BSchuWG) vom 12. Juli 2006 (BGBl. I S. 1466), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. September 2012 (BGBl. I S. 1914) Inhaltsübersicht Teil 1 Wahrnehmung von Aufgaben des Schuldenwesens des Bundes und parlamentarische Kontrolle § 1 Ermächtigung zur Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens § 2 Aufsicht über die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH § 3 Parlamentarisches Gremium Teil 2 Kreditaufnahme des Bundes und Bundesschuldbuch § 4 Kreditaufnahme des Bundes § 4a Einführung von Umschuldungsklauseln § 4b Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger § 4c Stimmrecht § 4d Berechnungsstelle; Bescheinigung § 4e Einberufung der Gläubigerversammlung § 4f Vorsitz; Beschlussfähigkeit § 4g Vertretung § 4h Schriftliche Abstimmung § 4i Anfechtung von Beschlüssen § 4j Wirksamkeit und Vollziehung von Beschlüssen § 4k Bekanntmachungen § 5 Bundesschuldbuch § 6 Sammelschuldbuchforderungen § 7 Einzelschuldbuchforderungen § 8 Öffentlicher Glaube des Bundesschuldbuchs § 9 (aufgehoben) Teil 1 Wahrnehmung von Aufgaben des Schuldenwesens des Bundes und parlamentarische Kontrolle §1 Ermächtigung zur Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens (1) Zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Schuldenwesens des Bundes wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH die folgenden Aufgaben des Schuldenwesens zur Wahrnehmung im Namen des Bundes und seiner Sondervermögen zu übertragen: XLIX

Gesetzestexte

1. Aufnahme von Krediten für den Bund und seine Sondervermögen nach Maßgabe des § 4 sowie Maßnahmen zur Portfoliosteuerung und zur Marktpflege; 2. Verwaltung der Schulden und Finanzierungsinstrumente des Bundes und seiner Sondervermögen sowie der von der Deutschen Ausgleichsbank begebenen Schuldverschreibungen; 3. Führung des Bundesschuldbuchs nach Maßgabe der §§ 5 bis 8; 4. Abschluss von Geschäften zur Steuerung der Liquidität, einschließlich Geschäften zur Geldanlage. Aus den in Satz 1 genannten Rechtsgeschäften werden ausschließlich der Bund oder seine Sondervermögen berechtigt und verpflichtet. Über die Emissionsbedingungen und allgemeinen vertraglichen Bedingungen entscheidet das Bundesministerium der Finanzen. (2) Soweit dies für die Erfüllung der nach Absatz 1 übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH Anordnungen zur Annahme oder Leistung von Zahlungen nach § 70 der Bundeshaushaltsordnung erteilen, die von den Kassen des Bundes ausgeführt werden. Das Bundesministerium der Finanzen kann der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben außerdem die Wahrnehmung des Zahlungsverkehrs als für Zahlungen zuständige Stelle und insoweit als Zahlstelle übertragen. Die Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung und die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen sind insoweit entsprechend anzuwenden. (3) Die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH nimmt die nach Absatz 1 übertragenen Aufgaben als Teil der öffentlichen Schuldenverwaltung des Bundes wahr. (4) Abweichende Regelungen der Zuständigkeit im Schuldenwesen des Bundes durch Gesetz bleiben unberührt. §2 Aufsicht über die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (1) Das Bundesministerium der Finanzen übt die Aufsicht über die recht- und zweckmäßige Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben des Schuldenwesens durch die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH aus. (2) In der Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 kann das Bundesministerium der Finanzen bestimmen, dass es einzelne oder alle übertragenen Aufgaben vorübergehend selbst wahrnehmen oder auf eine Behörde in seinem Geschäftsbereich oder einen Dritten übertragen kann, wenn auf andere Weise die recht- und zweckmäßige Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben nicht sichergestellt werden kann. §3 Parlamentarisches Gremium (1) Der Deutsche Bundestag wählt für die Dauer einer Wahlperiode ein Gremium, das aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages besteht. Der Deutsche Bundestag bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint. Scheidet ein Mitglied aus dem Deutschen Bundestag oder seiner Fraktion aus oder wird ein Mitglied zur Bundesministerin oder zum Bundesminister oder zur Parlamentarischen Staatssekretärin oder zum Parlamentarischen Staatssekretär ernannt, so verliert es seine Mitgliedschaft im Gremium. Für ein ausscheidendes Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen.

L

Bundesschuldenwesengesetz

(2) Das Gremium wird vom Bundesministerium der Finanzen über alle Fragen des Schuldenwesens des Bundes unterrichtet. Das Bundesministerium der Finanzen und der Bundesrechnungshof sind ständig vertreten. Das Gremium beschließt über die Hinzuziehung weiterer Teilnehmer. (3) Die Mitglieder des Gremiums sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Sitzungen. Teil 2 Kreditaufnahme des Bundes und Bundesschuldbuch §4 Kreditaufnahme des Bundes (1) Die Aufnahme von Krediten durch den Bund und seine Sondervermögen erfolgt im Rahmen des jeweiligen Haushaltsgesetzes durch 1. Ausgabe von Schuldverschreibungen, insbesondere durch Begebung von Schuldbuchforderungen, 2. Aufnahme von Darlehen gegen Schuldschein, 3. Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, 4. Bankkredite oder 5. sonstige an den Finanzmärkten übliche Finanzierungsinstrumente. (2) Im Rahmen des jeweiligen Haushaltsgesetzes können an den Finanzmärkten eingeführte derivative Finanzierungsinstrumente eingesetzt werden. § 4a Einführung von Umschuldungsklauseln Die Emissionsbedingungen der vom Bund begebenen Schuldverschreibungen mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr können Klauseln enthalten, die zum Zwecke der Umschuldung eine Änderung der Emissionsbedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger mit Zustimmung des Bundes ermöglichen (Umschuldungsklauseln). Die Umschuldungsklauseln können auch die Möglichkeit zur einheitlichen Beschlussfassung für Schuldverschreibungen verschiedener Anleihen vorsehen (anleiheübergreifende Änderung). Soweit Emissionsbedingungen nichts Abweichendes vorsehen, gelten für die Umschuldungsklauseln die §§ 4b bis 4k. § 4b Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger (1) Die Gläubiger können insbesondere folgende Umschuldungsmaßnahmen beschließen (wesentliche Beschlüsse): 1. die Verringerung der Zinsen, die Veränderung ihrer Fälligkeit, die Verringerung oder die Veränderung des Verfahrens zu ihrer Berechnung; 2. die Verringerung der Hauptforderung, die Veränderung ihrer Fälligkeit oder die Veränderung des Verfahrens zu ihrer Berechnung; 3. die Änderung der Währung der Schuldverschreibungen oder des Zahlungsortes; 4. die sonstige Änderung einer Zahlungsverpflichtung des Bundes;

LI

Gesetzestexte

5. die Freigabe oder die Änderung einer Garantie oder einer sonstigen Sicherheit, sofern die Freigabe oder die Änderung der Bedingungen nicht bereits ausdrücklich vertraglich vorgesehen sind; 6. die Änderung der Umstände, bei deren Vorliegen die Schuldverschreibungen vorzeitig gekündigt werden können; 7. die Änderung der Rangfolge der Forderungen aus den Schuldverschreibungen; 8. die Änderung des anwendbaren Rechts, sofern die Schuldverschreibungen nicht dem deutschen Recht unterliegen; 9. die Änderung des Gerichtsstands, sofern in den Emissionsbedingungen ein ausländischer Gerichtsstand vereinbart wurde. (2) Die Gläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer schriftlichen Abstimmung. (3) Beschlüsse, die in einer Gläubigerversammlung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 50 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen. Wesentliche Beschlüsse, die in einer Gläubigerversammlung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen. Wesentliche Beschlüsse, die in einer Gläubigerversammlung gefasst werden und eine anleiheübergreifende Änderung betreffen, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich aller von der Änderung betroffenen Anleihen sowie einer Mehrheit von mindestens 66 2/3 Prozent des bei der Beschlussfassung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich jeder einzelnen von der Änderung betroffenen Anleihe. (4) Beschlüsse, die im Wege einer schriftlichen Abstimmung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen. Wesentliche Beschlüsse, die im Wege einer schriftlichen Abstimmung gefasst werden, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen. Wesentliche Beschlüsse, die im Wege einer schriftlichen Abstimmung gefasst werden und eine anleiheübergreifende Änderung betreffen, bedürfen einer Mehrheit von mindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich aller von der Änderung betroffenen Anleihen sowie einer Mehrheit von mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen hinsichtlich jeder einzelnen von der Änderung betroffenen Anleihe. (5) Die Gläubiger können den Inhalt wesentlicher Beschlüsse und den für eine Mehrheit erforderlichen Nennwert der ausstehenden Schuldverschreibungen abweichend von den Absätzen 1, 3 und 4 festlegen; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss. (6) Die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubiger derselben Anleihe und bei einer anleiheübergreifenden Änderung für alle Gläubiger der von der Änderung betroffenen Anleihen gleichermaßen verbindlich. Wesentliche Beschlüsse, die eine anleiheübergreifende Änderung betreffen und bei denen die erforderlichen Mehrheiten nur hinsichtlich einiger der von der Änderung betroffenen Anleihen erreicht werden, sind für die Gläubiger dieser Anleihen verbindlich, wenn der Bund die Voraussetzungen, die hierfür gegeben sein müssen, vor einem von ihm bestimmten Termin (Stichtag), der höchstens fünf Geschäftstage vor der Gläubigerversammlung oder dem Beginn der schriftlichen Abstimmung liegen darf, bekannt macht und wenn diese Voraussetzungen auch tatsächlich vorliegen. (7) Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger bedürfen stets der Zustimmung des Bundes. (8) Der Bund hat die Beschlüsse der Gläubiger unverzüglich bekannt zu machen.

LII

Bundesschuldenwesengesetz

§ 4c Stimmrecht (1) An Beschlussfassungen der Gläubiger nimmt jeder Gläubiger nach Maßgabe des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen teil, die er am Stichtag hält. (2) Eine Schuldverschreibung gilt insbesondere dann als nicht ausstehend, wenn sie 1. der Bund hält oder 2. ein vom Bund beherrschter Rechtsträger hält und dieser Rechtsträger bei einer Beschlussfassung nicht frei abstimmen kann. Ein Rechtsträger ist als vom Bund beherrscht anzusehen, wenn der Bund unmittelbar oder mittelbar berechtigt ist, der Geschäftsleitung des Rechtsträgers Weisungen zu erteilen oder wenn der Bund die Mehrheit der Mitglieder eines Aufsichtsrats oder vergleichbaren Aufsichtsorgans des Rechtsträgers wählen oder sonst berufen kann. Ein Gläubiger kann frei abstimmen, wenn er bei der Abstimmung 1. keinen Weisungen des Bundes unterliegt, 2. gemäß einem objektiven Sorgfaltsmaßstab im eigenen Interesse oder dem Interesse seiner Teilhaber handeln muss oder 3. aufgrund einer treuhänderischen oder ähnlichen Pflicht im Interesse einer Person handeln muss, die keine Schuldverschreibungen hält, die als nicht ausstehend anzusehen wären. (3) Die Gläubiger können abweichend von Absatz 2 festlegen, unter welchen Voraussetzungen eine Schuldverschreibung als ausstehend gilt; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss. (4) Der Bund macht vor dem Stichtag eine Liste mit sämtlichen Gläubigern bekannt, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung als vom Bund beherrschte Rechtsträger anzusehen sind und bei denen davon auszugehen ist, dass sie bei einer Beschlussfassung nicht frei abstimmen können. § 4d Berechnungsstelle; Bescheinigung (1) Der Bund benennt eine zuständige Stelle, die feststellt, ob die für die Beschlussfassung der Gläubiger erforderlichen Mehrheiten erreicht sind (Berechnungsstelle). (2) Der Bund übergibt der Berechnungsstelle vor einer Beschlussfassung der Gläubiger eine Bescheinigung, aus der ersichtlich sind: 1. der Nennwert der am Stichtag ausstehenden Schuldverschreibungen, 2. der Nennwert der am Stichtag als nicht ausstehend im Sinne von § 4c Absatz 2 Satz 1 geltenden Schuldverschreibungen und 3. die Gläubiger der am Stichtag als nicht ausstehend im Sinne von § 4c Absatz 2 Satz 1 geltenden Schuldverschreibungen. Der Bund macht die Bescheinigung so rechtzeitig vor einer Beschlussfassung der Gläubiger bekannt, dass ein angemessen verständiger und sachkundiger Gläubiger die Richtigkeit der Angaben bis zur Beschlussfassung prüfen kann. (3) Die Angaben in der Bescheinigung nach Absatz 2 sind für alle Gläubiger und den Bund verbindlich, sofern nicht ein betroffener Gläubiger vor der Beschlussfassung der Gläubiger schriftlich und unter Mitteilung von Gründen der Richtigkeit der Angaben widerspricht und sofern nicht dieser Gläubiger einen Beschluss der Gläubiger, der auf einer unrichtigen Angabe beruht, binnen 15 Tagen nach Bekanntmachung des Beschlusses durch Klage nach Maßgabe des § 4i anficht. LIII

Gesetzestexte

§ 4e Einberufung der Gläubigerversammlung (1) Eine Gläubigerversammlung kann jederzeit durch den Bund einberufen werden. Der Bund hat eine Gläubigerversammlung einzuberufen, sofern ein in den Emissionsbedingungen vorgesehener Fall der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung des Bundes eintritt und Gläubiger von mindestens 10 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen die Einberufung schriftlich verlangen. § 9 Absatz 2 und 4 des Schuldverschreibungsgesetzes ist entsprechend anzuwenden. Zuständig ist das Oberlandesgericht am Sitz der Deutschen Bundesbank. Die Vorschriften des ersten Buches des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist unanfechtbar. (2) Die Gläubigerversammlung ist mindestens 21 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Eine vertagte Gläubigerversammlung ist mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. (3) In der Einberufung sind anzugeben: 1. die Zeit und der Ort der Gläubigerversammlung, 2. die Tagesordnung, die Vorschläge zur Beschlussfassung und die Voraussetzungen der Beschlussfähigkeit, 3. der Stichtag sowie die Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung abhängen, 4. die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten, 5. die Voraussetzungen, von denen die Verbindlichkeit von Gläubigerbeschlüssen bei einer anleiheübergreifenden Änderung abhängt, bei der die erforderlichen Mehrheiten nur hinsichtlich einiger der von der Änderung betroffenen Anleihen erreicht werden, und 6. die Berechnungsstelle. (4) Die Einberufung ist unverzüglich bekannt zu machen. § 4f Vorsitz; Beschlussfähigkeit (1) Der Bund bestimmt den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung. Sofern die vom Bund ernannte Person in der Versammlung nicht erscheint, können Gläubiger, die mehr als 50 Prozent des in der Versammlung vertretenen Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen halten, den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung bestimmen. (2) Die Gläubigerversammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 50 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Sollen wesentliche Beschlüsse gefasst werden, ist die Gläubigerversammlung beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. (3) Der Vorsitzende kann eine Gläubigerversammlung vertagen, wenn sie innerhalb von 30 Minuten nach Sitzungsbeginn nicht beschlussfähig ist. Die vertagte Versammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 25 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Sollen wesentliche Beschlüsse gefasst werden, ist die vertagte Gläubigerversammlung beschlussfähig, wenn die Anwesenden mindestens 66 2/3 Prozent des Nennwertes der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten.

LIV

Bundesschuldenwesengesetz

(4) Die Gläubiger können den für die Beschlussfähigkeit erforderlichen Nennwert der ausstehenden Schuldverschreibungen abweichend von den Absätzen 2 und 3 festlegen; eine Beschlussfassung hierüber gilt als wesentlicher Beschluss. § 4g Vertretung (1) Jeder Gläubiger kann sich in der Gläubigerversammlung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Erteilung der Vollmacht bedarf der Schriftform. Die Bevollmächtigung ist dem Bund spätestens 48 Stunden vor dem Tag der Gläubigerversammlung nachzuweisen. (2) Der Widerruf der Vollmacht ist nur wirksam, wenn er mindestens 48 Stunden vor dem Tag der Gläubigerversammlung gegenüber dem Bund erklärt wird. Gleiches gilt für eine Änderung der Vollmacht. § 4h Schriftliche Abstimmung Auf die schriftliche Abstimmung sind die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung von Gläubigerversammlungen entsprechend anzuwenden. § 4i Anfechtung von Beschlüssen (1) Ein Beschluss der Gläubiger kann wegen Verletzung des Gesetzes oder der Emissionsbedingungen durch Klage angefochten werden. (2) Die Klage ist binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben; § 4d Absatz 3 bleibt unberührt. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland zu richten. Zuständig für die Klage ist das Oberlandesgericht am Sitz der Deutschen Bundesbank. Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden. Im Übrigen sind § 20 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 des Schuldverschreibungsgesetzes sowie § 246 Absatz 3 Satz 4 bis 6 des Aktiengesetzes entsprechend anzuwenden. (3) Vor einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts darf der angefochtene Beschluss nicht vollzogen werden, es sei denn, das nach Absatz 2 Satz 3 zuständige Gericht stellt auf Antrag der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des § 246a des Aktiengesetzes fest, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht; § 246a Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2, 3 Satz 1 bis 4 und 6, Absatz 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. § 4j Wirksamkeit und Vollziehung von Beschlüssen Beschlüsse der Gläubiger, durch welche der Inhalt der Emissionsbedingungen geändert oder ergänzt wird, werden erst wirksam, wenn sie vollzogen worden sind. Sie sind in der Weise zu vollziehen, dass die Emissionsbedingungen in ihrer geänderten oder ergänzten Fassung bekannt gemacht werden.

LV

Gesetzestexte

§ 4k Bekanntmachungen Die Bekanntmachungen nach § 4b Absatz 6 Satz 2 und Absatz 8, § 4c Absatz 4, § 4d Absatz 2 Satz 2, § 4e Absatz 4 und § 4j erfolgen im Bundesanzeiger und im Internet unter der Adresse der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH sowie durch die Deutsche Bundesbank. §5 Bundesschuldbuch (1) Für den Bund und seine Sondervermögen wird ein Bundesschuldbuch geführt, das der Begründung, Dokumentation und Verwaltung von Schuldbuchforderungen sowie der Dokumentation und Verwaltung der sonstigen Verbindlichkeiten gemäß den nachfolgenden Bestimmungen dient. Das Bundesschuldbuch kann auch elektronisch geführt werden. (2) Das Bundesschuldbuch besteht aus Abteilungen. Jeweils in eine Abteilung werden eingetragen: 1. Sammelschuldbuchforderungen nach Maßgabe des § 6, 2. Einzelschuldbuchforderungen nach Maßgabe des § 7, 3. sonstige Verbindlichkeiten im Sinne des § 4, soweit hierfür Abteilungen eingerichtet worden sind; über die Einrichtung dieser Abteilungen entscheidet das Bundesministerium der Finanzen. (3) Eine Schuldbuchforderung wird als Sammelschuldbuchforderung oder Einzelschuldbuchforderung durch die Eintragung in die jeweilige Abteilung begründet; durch die Eintragung in das Bundesschuldbuch gilt eine gesetzlich vorgeschriebene Form als beachtet. §6 Sammelschuldbuchforderungen (1) Der Bund und seine Sondervermögen können Schuldverschreibungen dadurch begeben, dass Schuldbuchforderungen bis zur Höhe des Nennbetrages der jeweiligen Emission auf den Namen einer Wertpapiersammelbank in das Bundesschuldbuch eingetragen werden (Sammelschuldbuchforderung). (2) Die Sammelschuldbuchforderung gilt als Wertpapiersammelbestand. Die Gläubiger der Sammelschuldbuchforderung gelten als Miteigentümer nach Bruchteilen. Der jeweilige Anteil bestimmt sich nach dem Nennbetrag der für den Gläubiger in Sammelverwaltung genommenen Schuldbuchforderung. Die Wertpapiersammelbank verwaltet die Sammelschuldbuchforderung treuhänderisch für die Gläubiger, ohne selbst Berechtigte der Sammelschuldbuchforderung zu sein. Die Wertpapiersammelbank kann die Sammelschuldbuchforderung für die Gläubiger gemeinsam mit ihren eigenen Anteilen verwalten. Die Vorschriften des Depotgesetzes sind entsprechend anzuwenden. (3) Ansprüche auf Ausreichung verbriefter Schuldurkunden sind ausgeschlossen, es sei denn, die Emissionsbedingungen sehen solche Ansprüche ausdrücklich vor. (4) Die Wertpapiersammelbank kann ihr zur Sammelverwahrung anvertraute verbriefte Schuldverschreibungen des Bundes und seiner Sondervermögen jederzeit in eine Sammelschuldbuchforderung umwandeln lassen, sofern die Emissionsbedingungen dies nicht ausdrücklich ausschließen.

LVI

Bundesschuldenwesengesetz

(5) Besteht die Emission des Bundes teils aus einer Sammelschuldbuchforderung und teils aus verbrieften Schuldverschreibungen, so gelten diese Teile als ein einheitlicher Sammelbestand. (6) Der Schuldner der Sammelschuldbuchforderung kann nur solche Einwendungen erheben, die sich aus der Eintragung ergeben, die Gültigkeit der Eintragung betreffen oder ihm unmittelbar gegen den Gläubiger zustehen. (7) Die Wertpapiersammelbank ist berechtigt, vom Schuldner für die auf ihren Namen eingetragenen Sammelschuldbuchforderungen die Zahlung der Zinsen und des Kapitals bei Fälligkeit zu verlangen. Der Schuldner wird durch Zahlung an die Wertpapiersammelbank gegenüber den Gläubigern der Sammelschuldbuchforderung befreit. (8) Befinden sich Emissionen oder Teile davon im Eigenbestand des Bundes oder eines seiner Sondervermögen, können sie im Bundesschuldbuch ganz oder teilweise gelöscht werden, sofern die Emissionsbedingungen dem nicht entgegenstehen. Über die Löschung entscheidet das Bundesministerium der Finanzen. §7 Einzelschuldbuchforderungen (1) Einzelne natürliche oder juristische Personen oder Vermögensmassen, deren Verwaltung gesetzlich geregelt ist oder deren Verwalter ihre Verfügungsbefugnis durch eine gerichtliche oder notarielle Urkunde nachweisen, können während der Laufzeit einer Sammelschuldbuchforderung verlangen, dass ihr Anteil daran durch Eintragung in das Einzelschuldbuch in eine auf ihren Namen lautende Buchforderung (Einzelschuldbuchforderung) umgewandelt wird, sofern nicht in den Emissionsbedingungen die Begründung einer Einzelschuldbuchforderung ausgeschlossen ist. Die Übermittlung des Antrags erfolgt durch die eingetragene Wertpapiersammelbank. Durch die Eintragung wird eine Einzelschuldbuchforderung in Höhe des Anteils begründet. § 6 Abs. 6 gilt entsprechend. (2) Sofern nicht in den Emissionsbedingungen die Begründung einer Einzelschuldbuchforderung ausgeschlossen ist, kann eine Einzelschuldbuchforderung auch dadurch begründet werden, dass 1. für den Gläubiger, der dem Bund den Kaufpreis zur Verfügung stellt, der entsprechende Nennbetrag unmittelbar als Einzelschuldbuchforderung eingetragen wird, 2. für den Gläubiger, der der das Bundesschuldbuch führenden Stelle Bundeswertpapiere zur Umwandlung in eine Buchforderung einliefert, eine Einzelschuldbuchforderung in Höhe des Nennbetrages der eingelieferten Wertpapiere eingetragen wird; hierdurch erlöschen seine Rechte an den eingelieferten Wertpapieren. Das durch das Wertpapier begründete Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und Gläubiger gilt auch für die Einzelschuldbuchforderung. (3) Eine Einzelschuldbuchforderung kann auch zur Erfüllung eines gesetzlich begründeten Leistungsanspruchs als dem Gläubiger zustehende Forderung in das Bundesschuldbuch eingetragen werden, wenn Schuldner der Bund oder eines seiner Sondervermögen ist. (4) Veränderungen in den Einzelschuldbuchforderungen dürfen nur auf Grund eines Antrags des Gläubigers oder einer durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes, Rechtsgeschäfts, gerichtlicher Entscheidung oder vollstreckbaren Verwaltungsakts hierzu berechtigten Person erfolgen. (5) Die das Bundesschuldbuch führende Stelle erteilt nur den in Absatz 4 genannten Personen sowie staatlichen Stellen, die auf Grund eines Gesetzes auskunftsberechtigt sind, Bescheinigungen und Auskünfte über alle Eintragungen und Veränderungen auf dem Schuldbuchkonto.

LVII

Gesetzestexte

(6) Einzelschuldbuchforderungen können, soweit es sich nicht um obligatorische Einzelschuldbuchforderungen handelt, auf Antrag des Berechtigten im Sinne des Absatzes 4 in einen Sammelbestandanteil zur Verwahrung bei einem Kreditinstitut umgewandelt werden. §8 Öffentlicher Glaube des Bundesschuldbuchs (1) Verfügungen über Einzelschuldbuchforderungen bedürfen zu ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Schuldner der Eintragung in das Bundesschuldbuch. (2) Wird eine Einzelschuldbuchforderung auf Grund eines Antrags eines Berechtigten im Sinne von § 7 Abs. 4 auf einen anderen Gläubiger übertragen, so erwirbt dieser sie auch, soweit sie dem bisher eingetragenen Gläubiger nicht zustand. Rechte Dritter an der Forderung sowie Verfügungsbeschränkungen des bisherigen Gläubigers sind dem neuen Gläubiger gegenüber nur wirksam, soweit sie im Bundesschuldbuch eingetragen sind. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn dem neuen Gläubiger zur Zeit des Erwerbs der Schuldbuchforderung bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt war, dass dem bisherigen Gläubiger die Forderung nicht oder nicht in dem Umfang zustand, dass der bisherige Gläubiger einer Verfügungsbeschränkung unterlag oder dass die Forderung mit dem Recht einer dritten Person belastet war. (3) Wer als Inhaber eines durch Rechtsgeschäft begründeten Pfandrechts oder eines Nießbrauchs an einer Einzelschuldbuchforderung eingetragen wird, erwirbt das Recht auch, soweit die Einzelschuldbuchforderung dem eingetragenen Gläubiger nicht zusteht. Absatz 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. (4) Die Eintragungen erfolgen in derselben Reihenfolge, in der die Anträge bei der das Bundesschuldbuch führenden Stelle eingegangen sind. §9 (aufgehoben)

LVIII

Einführung I. Die Konzeption 1. Mit der Reform des Schuldverschreibungsrechts durch das Schuldverschreibungsgesetz vom 31.7.2009 (BGBl. I 2009, 2512) hat für das Schuldverschreibungsrecht eine neue Epoche begonnen. Das alte, noch von 1899 datierende Schuldverschreibungsgesetz (SchVG 1899) hat in den über 100 Jahren seines Bestehens kaum praktische Bedeutung erlangt. Das liegt an zahlreichen Mängeln, die ihren Grund in der zu restriktiven und zwingenden Ausgestaltung des Gesetzes hatten. Dazu gehörten unter anderem: ein sehr eingeschränkter Anwendungsbereich (nur Anleihen inländischer Emittenten und nur im Inland ausgestellte Schuldverschreibungen), Gläubigerbeschlüsse zur Aufgabe oder Beschränkung von Rechten der Gläubiger nur unter sehr engen Kautelen (höchstens für die Dauer von drei Jahren und nur zur Abwendung einer Zahlungseinstellung oder des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners und nur mit Dreiviertelmehrheit der abgegebenen Stimmen) und beschwerliche Verfahrensbestimmungen. Verschlossen waren damit wichtige Sanierungswege wie Herabsetzung der Kapitalforderung oder deren Umwandlung in Eigenkapital oder Genussrechte (Debt-Equityoder Debt-Hybrid-Swaps) oder langfristige Stundung der Zinsforderung, möglicherweise auch Rangrücktritte der Kapital- und Zinsforderungen bei Überschuldung des Emittenten. Nur das kautelarische Geschick der deutschen Anleihebedingungspraxis hat es fertig gebracht, dass sich das deutsche Recht trotz dieser Defizite neben dem englischen und New Yorker Recht durchgesetzt hat und von Finanzinstituten aus Zentral- und Osteuropa nun sogar bevorzugt wird. Ziel des neuen Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG 2009) ist es, die vorinsolvenzrechtliche Sanierung durch die Einführung von alle Gläubiger bindenden Mehrheitsentscheidungen zu erleichtern. Vor allem wurde ein kollektiver Forderungsverzicht ermöglicht, damit die Anleihegläubiger einen „substantiellen Sanierungsbeitrag … zur Rettung des Schuldners“ leisten können. Die Gläubiger sollten die Möglichkeit erhalten, „auf der Grundlage vollständiger und richtiger Informationen sowie in einem geordneten, fairen Verfahren möglichst rasch eine Entscheidung mit u.U. großer finanzieller Trageweite treffen“ zu können. Dabei bedürfen die Gläubiger nach der Gesetzesbegründung „keines übertriebenen Schutzes durch die gesetzliche Einschränkung ihrer Entscheidungsbefugnisse. Inhaltlich sind die Gläubiger in ihrer Entscheidung nach dem neuen Recht deshalb weitgehend frei“. Der Gesetzgeber hielt dafür, dass der Minderheitenschutz bereits durch das informierte und geordnete, an das Aktienrecht angelehnte Abstimmungsverfahren und Rechtsschutzsystem hinreichend gewährleistet wird. Damit sollte ein Schritt in Richtung auf eine „Sanierungskultur“ auch in Deutschland getan werden, der rechtspolitisch schon seit langem gefordert wurde und mit dem eine Umschuldung im Unternehmens- und kollektiven Gläubigerinteresse schon im Vorfeld einer Insolvenz möglich wird. Denn, wie der Gesetzgeber richtig gesehen hat: „Für eine sinnvolle Sanierung des Schuldners … [ist es] … häufig schon zu spät, wenn die Insolvenz unmittelbar bevorsteht“. Damit wird es also möglich, Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger zu ändern, etwa durch die Vereinbarung einer Stundung, eines Forderungsverzichts oder eines Umtausches der Anleihe in Eigenkapital (Debt-Equity-Swap) oder andere Instrumente (Debt-Debt- oder Debt-Hybrid-Swap). Allerdings gilt das SchVG nur für einzelne Schuldverschreibungen und ermöglicht nicht eine emissionsübergreifende Restrukturierung, was zu Recht als gravierender Schwachpunkt kritisiert wird. Mittlerweile gibt es zum SchVG 2009 schon erste, wichtige Gerichtsentscheidungen, unter anderem zum Opt-in unter § 24 Abs. 2 SchVG bei Altschuldverschreibungen, die von § 1 SchVG erfasst sind und vor dem 5.8.2009 ausgegeben worden sind, was der Bundesgerichtshof bekanntlich 2014 entgegen der einschränkenden Auslegung des OLG Frankfurt mit der überwieHopt/Seibt

1

Einführung

genden Meinung in der Literatur zu Recht für möglich gehalten hat – eine Entscheidung, die das auch unter dem neuen SchVG versuchte opportunistische Verhalten einzelner opponierender Anleihegläubiger zurückgedrängt, damit größere Sicherheit bei Anleihe-Restrukturierungen geschaffen und dadurch die „Sanierungskultur“ auch in Deutschland befördert hat (z.B. zuletzt bei Singulus Technologies). Doch harren viele Rechtsprobleme der Klärung, teils solche, die ihren Grund darin haben, dass der Gesetzgeber des SchVG 2009 die Defizite des alten Rechts nicht mutig genug beseitigt hat, teils solche, die sich aus der Systematik und Formulierung des neuen Gesetzes ergeben. Zu nennen sind beispielsweise die Anforderungen an die Durchführung der Gläubigerversammlung bei ihrer konzeptionellen Anlehnung an die Hauptversammlung (insbesondere bei Abstimmungen ohne Versammlungen), das Verhältnis und die Wechselbezüglichkeiten von 1. und 2. Gläubigerversammlung oder die Zulässigkeitsvoraussetzungen von Anfechtungsklagen (zu alledem auch Seibt, ZIP 2016, 996 ff.). Praktisch und wissenschaftlich interessant ist auch, ob und inwieweit sich die Anlehnung des SchVG 2009 an aktienrechtliche Vorbilder bewährt hat. Denn der Gesetzgeber hat sich, was die Gläubigerversammlung, die Beschlussfassung der Gläubiger und die Anfechtung von Beschlüssen angeht, im Wesentlichen an den moderneren Vorschriften des Aktiengesetzes zur Hauptversammlung (§§ 118 ff. AktG) und an der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle orientiert. Tatsächlich stellen sich tatsächlich und rechtlich viele Fragen des Aktionärsschutzes und des Gläubigerschutzes in ähnlicher Weise wie sich auch bei der Aufnahme von Eigenkapital und Fremdkapital in der heutigen internationalen Praxis vielfältige Mischformen herausgebildet haben und sich neben der traditionellen Corporate Governance eine eigenständige Debt Governance mit interessanten Möglichkeiten eines Rechtswettbewerbs entwickelt hat. Die Parallelführung aktien- und schuldverschreibungsrechtlicher Regelungen im Einzelnen ist aber verschiedentlich defizitär, ohne dass es funktional gute Gründe für Abweichungen und erst recht auch umgekehrt solche für eine Gleichbehandlung gibt, obwohl Aktienrecht Verbandsrecht und Schuldverschreibungsrecht Schuldrecht ist. Soweit de lege lata möglich, ist diesen Defiziten durch eine Auslegung des SchVG Rechnung zu tragen, die bestehende Ähnlichkeiten berücksichtigt, aber doch stets an den Besonderheiten der Schuldverschreibungen und des Anleihemarkts orientiert ist. Vor allem aber setzen sich die hinlänglich bekannten, trotz verschiedener Anläufe noch nicht voll beseitigten Unzulänglichkeiten der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle nunmehr auch im Schuldverschreibungsrecht fort, mit der Folge, dass sich zu den „räuberischen Aktionären“ inzwischen auch „räuberische Gläubiger“ gesellt haben, die wie dort die Störung der Gläubigerversammlungen und die Beschlussanfechtung zu einem einbringlichen Geschäftsmodell zu entwickeln versuchen. Schließlich ist aus internationaler Sicht mit einem weiteren Ansteigen der Kapitalmarktfinanzierung durch Verbriefung zu rechnen. Bisher findet in Europa rund 80 % der Fremdfinanzierung von Unternehmen durch Kreditvergabe statt und nur 20 % über die Ausgabe von Anleihen, während die Finanzierung der US-amerikanischen Unternehmen über Anleihen inzwischen fast 90 % ihrer Fremdfinanzierung ausmacht. Hier besteht also ein enormer Nachholbedarf, der mit ein Grund für die Bemühungen der Europäische Union um die Entwicklung einer europäischen Kapitalmarktunion ist, ein Projekt, das bei allen Schwierigkeiten (man denke an die Fragmentierung des Insolvenzrechts und den noch für 2016 angekündigten Vorschlag der Europäischen Kommission für ein vorinsolvenzrechtliches Sanierungsverfahren) zukunftsträchtig ist. All das sprach dafür, den in kurzer Folge nach Erlass des SchVG 2009 auf den Markt gebrachten kleineren Kommentaren einen Großkommentar zur Seite zu stellen, der eine umfassende Aufarbeitung und Kommentierung des Gesetzesrechts der Schuldverschreibungen unternimmt: nämlich nicht nur des SchVG 2009, sondern auch des neuen Bundesschuldwesenge2

Hopt/Seibt

Einführung

setzes (BSchuWG 2006) und, was in einem Großkommentar zum Schuldverschreibungsrecht nicht fehlen darf, des § 221 AktG, in dem der Gesetzgeber wegen ihrer Nähe zum Aktienrecht und zum Schutz der Aktionäre vor Verwässerung ihrer Mitgliedschaftsrechte die Wandelschuldverschreibungen, die Gewinnschuldverschreibungen und die Genussrechte besonders geregelt hat. Für eine solche umfassende Kommentierung in einem Großkommentar ist auch die Zeit reif: Nach sieben Jahren seit dem Erlass des SchVG 2009 und 10 Jahren seit dem des BSchuWG liegen nicht nur, wie geschildert, bereits eine erste wichtige Gerichtspraxis, sondern auch eine stattliche Anzahl von Kommentaren, Monographien, Abhandlungen, Aufsätzen und Stellungnahmen vor, die an geeigneter Stelle im Einzelnen nachgewiesen werden. 2. Ein klassischer Großkommentar würde sich damit begnügen, auch wenn er außer Rechtsprechung und Wissenschaft an einzelnen Stellen die Gestaltungen in der Praxis erwähnt und beschreibt. Unsere Konzeption geht weiter: Das Recht der Schuldverschreibungen ist seit jeher eine besondere Domäne der Praxis gewesen, was, wie erwähnt, nicht zuletzt daran lag, dass das SchVG 1899 so eng und veraltet war. Aber auch das SchVG 2009 begnügt sich im Wesentlichen damit, die vorinsolvenzrechtliche Sanierung zu ermöglichen, ohne dabei den Gläubigerschutz zu kurz kommen zu lassen. Die Kautelarpraxis zu den Schuldverschreibungen und Genussrechten geht darüber jedoch weit hinaus und soll deshalb in diesem Großkommentar zugleich als Handbuch für die Kautelarpraxis nachgewiesen, kommentiert und möglichst mit eigenen Vorschlägen befruchtet werden. Das gilt in dreierlei Hinsicht: Zum einen sollen die Schuldverschreibungen und Genussrechte so, wie sie am Markt vorkommen und Regelungen außerhalb des SchVG, BSchuWG und AktG Rechnung tragen müssen, handbuchartig dargestellt werden. Dazu gehören die Marktbedeutung von Schuldverschreibungen (Kap. 1), die mit ihrer Emission verbundenen Geschäftsleiterpflichten, die Anleihestrukturen und Verfahrensabläufe (Kap. 2), die Anleihebedingungen (Kap. 3), begleitende Rechtsverhältnisse (Kap. 4), das Recht der Prospekte, Börsenzulassung und Zulassungsfolgepflichten (Kap. 5 und 6), die Rechnungslegung, das Rating und die Anleihebewertung (Kap. 8), das Bankenaufsichtsrecht (Kap. 9) und last not least einschlägiges Steuerrecht (Kap. 10). Zum anderen wird die Restrukturierung von Schuldverschreibungen im Handbuch dargestellt, soweit sie nicht auf dem SchVG beruht. Das sind zum einen die außerinsolvenzrechtliche Restrukturierungen ohne Nutzung des SchVG, und zwar nach deutschem und ggf. – nach entsprechenden Strukturierungen – auch ausländischem Recht (insbesondere durch Nutzung von schemes of arrangement nach englischem Recht) (Kap. 11 und Steuerrecht Kap. 13). Zum anderen ist es die Restrukturierung im Insolvenz- und Insolvenzplanverfahren, wozu § 19 SchVG 2009 entgegen dem früheren Recht den Vorrang der InsO vorsieht und wo es weitere schuldverschreibungsrechtliche, nicht im SchVG geregelte Gläubigerversammlungen gibt (Kap. 12). Zum dritten ist zu berücksichtigen, dass Anleihen häufig zwar deutschem Recht unterliegen, die Börsenzulassung aber an der Euro MTF in Luxemburg erfolgt. Daher enthält der Handbuchteil ein eigenes Kapitel zu Fragen der Börsenzulassung und den Zulassungsfolgepflichten in Luxemburg (Kap. 7). Für den internationalen Anleihemarkt ist vor allem das Recht der USA und des Staates New York von Bedeutung, und zwar (i) als auf die Anleihe anwendbares Recht (insbesondere für Hochzinsanleihen, high yield bonds), (ii) für die Vermarktung von Anleihen in den USA zu berücksichtigendes Kapitalmarktrecht und (iii) schließlich als rechtsvergleichende Inspirationsquelle (Kap. 15; englischsprachig). Wegen der hohen Internationalität von Anleiheemissionen haben die Regeln des Internationalen Privatrechts außerordentlich große Bedeutung, allerdings sind hier viele Fragen, die gerade auch bei einer Anleiherestrukturierung von Bedeutung sind, ungeklärt (Kap. 14). 3. Für die Praxis zählen nicht nur Kommentierungen und handbuchartige Darstellungen, so eindringlich, detailliert und weiterführend sie, wie in einem Großkommentar zu erwarten, Hopt/Seibt

3

Einführung

auch sein mögen. Letztlich kommt es auf die konkrete Gestaltung und Ausformulierung an: Hic Rhodus, hic salta. Angeboten wird deshalb eine Sammlung von Vertragsmustern mit Erläuterungen zu fünf Komplexen: Hauptversammlungsbeschluss, Organbeschlüsse des Emittenten, Anleihebedingungen, Garantieerklärung der Muttergesellschaft und Subscription Agreement/Übernahmevertrag. Diese Vertragsmuster sind von der Praxis für die Praxis geschrieben und in dieser oder ähnlicher Form bereits vielfach verwendet worden. Es versteht sich von selbst, dass dem Benutzer damit nur Informationen und Anregungen gegeben werden, nicht aber die eigenverantwortliche Arbeit und Entscheidung am jeweiligen Einzelfall abgenommen werden können.

II. Überblick Das Buch hat den Titel: Schuldverschreibungsrecht. Dieser Titel muss zusammen mit dem Untertitel gelesen werden: Kommentar – Handbuch – Vertragsmuster. Das Buch will, wie gesagt, alle drei Bedürfnisse befriedigen: Das erste nach einer zuverlässigen und umfassenden Erläuterung dreier Gesetze (Schuldverschreibungsgesetz, § 221 AktG und Bundesschuldenwesengesetz), das zweite nach einer systematischen Darstellung der praktischen Probleme von Schuldverschreibungen und der Arbeit mit ihnen und das dritte nach ausformulierten Lösungsvorschlägen anhand von Vertragsmustern. 1. Der Kommentarteil versteht sich als Großkommentar und bringt deshalb die mit umfassendsten Kommentierungen der drei Gesetze, die auf dem Markt sind, also SchVG mit über 500 Seiten, § 221 AktG mit etwa 400 Seiten und BSchuWG mit rund 200 Seiten. Das Kommentatorenteam setzt sich aus einschlägig bekannten Wissenschaftlern und aus Praktikern zusammen, die auf diese Materie spezialisiert sind. a) Zum Schuldverschreibungsgesetz behandeln Artzinger-Bolten und Wöckener den Anwendungsbereich des Gesetzes, die Anleihebedingungen und die Transparenz des Leistungsversprechens. Das SchVG gilt für nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (§ 1 SchVG). Diese Legaldefinition wirft zahlreiche Fragen nach dem sachlichen Anwendungsbereich einschließlich der Anwendungsvoraussetzungen sowie nach dem örtlichen und zeitlichen Anwendungsbereich im Übrigen auf. Der Begriff der Schuldverschreibung wird von dem der Anleihe abgesetzt. Das Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Anleger wird zuvörderst durch die Anleihebedingungen der jeweiligen Schuldverschreibung geregelt. Ein besonders aktuelles Problem ist die Frage, wie ein „negativer Zinssatz“ rechtlich zu verstehen ist. Neben den verschiedenen Rechtsformen der Schuldverschreibung (Inhaber-, Order- und Namensschuldverschreibungen) gibt es zahlreiche verschiedene Arten von Schuldverschreibungen, z.B. klassische (fixed rate notes/plain vanilla bonds), Anleihen mit variablem Zinssatz (floating rate notes), Nullkupon-, Hochzins- und Hybridanleihen (zero bonds, high yield bonds, hybrid bonds), Zertifikate, Optionsscheine, Asset Backed Securities (ABSs), Collateralised Debt Obligations (CDOs), Credit Linked Notes (CLNs) und viele andere mehr. Das SchVG 2009 beschränkt sich nicht mehr wie das alte SchVG 1899 auf Anleiheschuldner mit Sitz in Deutschland, sondern erfasst Inlands- und Auslandsanleihen gleichermaßen, wenn sie nach deutschem Recht begeben sind. Die Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger (Legaldefinition der Anleihebedingungen) richten sich nach einem strikten Verbriefungsprinzip, von dem es nur einige Ausnahmen gibt, etwa für nicht zum Umlauf bestimmte Urkunden wie Sammel- oder Globalurkunden (§ 2 SchVG). Die Transparenz des Leistungsversprechens ist zentral. Nach den Anleihebedingungen muss die vom Schuldner versprochene Leistung durch einen Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist, ermit4

Hopt/Seibt

Einführung

telt werden können (§ 3 SchVG). Dabei stellt sich über die Anforderungen an die Transparenz aus dem SchVG selbst, etwa was ein sachkundiger Anleger ist oder welche Transparenzanforderungen nach dem Prospektregime gelten, die immer noch rechtspolitisch umstrittene Frage nach der Anwendung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Anleihen. Diese seit Anfang der 1990er Jahre (Hopt in FS Steindorff, 1990) vehement diskutierte Problematik, die der Gesetzgeber des SchVG 2009 trotz gegenteiliger Forderungen unter Hinweis auf eine mögliche, allerdings bis heute nicht absehbare Ausnahmeregelung in einer europäischen AGBRichtlinie bewusst nicht entschieden hat. Die höchstrichterrechtliche Rechtsprechung und die überwiegende Literatur bejahen dies mit erheblichen Konsequenzen, nämlich der Überprüfung und möglicherweise Nichtigkeit der verschiedenen Anleihebedingungsklauseln. Immerhin enthält das SchVG ein eigenes Transparenzgebot. All das wird anhand der Rechtsprechung bis hin in die verschiedensten, umstrittenen Einzelheiten dargestellt. Ein Charakteristikum von Schuldverschreibungen ist die kollektive Bindung. Bestimmungen in Anleihebedingungen können während der Laufzeit der Anleihe durch Rechtsgeschäft nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder in einem im SchVG im Einzelnen geregelten Beschlussverfahren geändert werden (§ 4 SchVG). Das Gleichbehandlungsgebot für die Gläubiger ist dabei zentral. Diese kollektive Bindung und die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sowie die Rechte und Pflichten des gemeinsamen Vertreters der Gläubiger (§§ 4–8 SchVG) behandelt Thole. Das Gesetz sieht für die Änderungen von Anleihebeschlüssen ein komplexes Verfahren vor, für das Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger zwar ausreichen, aber zu Lasten der Gläubiger doch nur, soweit das im SchVG ausdrücklich vorgesehen ist (§§ 5 ff. SchVG). Das SchVG enthält dazu eine nicht abschließende Liste von zehn Maßnahmen, für die ein Mehrheitsbeschluss gesetzlich als ausreichend anerkannt wird. Diese werden ausführlich untersucht. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Kündigungsrechten zu. Im Einzelnen geregelt ist das Stimmrecht, bei dem sich Fragen nach der Berechnung des Stimmgewichts und nach Zulässigkeit und Grenzen des Stimmrechtsausschlusses stellen. Die Gläubiger benötigen einen gemeinsamen Vertreter, der Wahlvertreter (§ 7 SchVG) oder Vertragsvertreter, also ein schon in den Anleihebedingungen bestellter gemeinsamer Vertreter (§ 8 SchVG), sein kann. Das Gesetz regelt unter anderem die Anforderungen an den gemeinsamen Vertreter, die Pflicht zur Offenlegung und Unterrichtung, seine Aufgaben und Befugnisse, seine Haftung, Abberufung und Vergütung. Beschlüsse der Gläubiger werden grundsätzlich in einer Gläubigerversammlung gefasst. Diese ist im Gesetz in vielen Einzelheiten geregelt wie Einberufung, Frist, Anmeldung, Ort, Bekanntmachung, Tagesordnung sowie Ablauf der Gläubigerversammlung (§§ 9–17 SchVG) und wird von Binder kommentiert. Diese Regelungen sind für die Praxis besonders wichtig, weil es von ihrer Einhaltung abhängt, ob eine Gläubigermehrheit mit einem Beschluss die Anleihebedingungen auch gegen den Widerspruch einer Minderheit wirksam ändern kann. Das SchVG 2009 sieht diese Möglichkeit, die rechtlich und wirtschaftlich von größter Wichtigkeit ist, vor und hat das deutsche Recht der Schuldverschreibungen im Gegensatz zu dem veralteten und nicht mehr praxisgerechten SchVG 1899 in einer Weise reformiert, die auch international bestehen kann. Praktisch wichtige Fragen sind das Einberufungsverlangen einer qualifizierten Gläubigerminderheit, Vorsitz und Beschlussfähigkeit sowie Auskunftspflicht, Abstimmungsverfahren und Niederschrift. Vieles dazu ist im SchVG 2009 ähnlich wie für die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft geregelt (§§ 118 ff. AktG). Interessant ist es zu sehen, wo und warum das SchVG insoweit vom AktG abweicht. Die Gläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung, wozu die Anleihebedingungen ausschließlich eine der beiden Möglichkeiten vorsehen können (§ 5 Abs. 6 SchVG). Die moderne Option der Abstimmung ohne Versammlung ist in § 18 SchVG geregelt und wird von von Wissel und Diehn im Einzelnen erläutert. Es liegt auf der Hand, dass bei der Abstimmung ohne Versammlung ganz besondere Anforderungen zum

Hopt/Seibt

5

Einführung

ordnungsgemäßen Ablauf und zum Schutz der Gläubiger eingehalten werden müssen, ohne gleichzeitig die Verfahrensdurchführung praktisch unmöglich zu machen. Wenn es zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Inland über das Vermögen des Emittenten kommt, stellt sich die Frage der Konkurrenz zwischen dem SchVG und der Insolvenzordnung. Während nach dem SchVG 1899 das Schuldverschreibungsrecht des Gesetzes weiter Anwendung fand, sieht das SchVG nunmehr den Vorrang der InsO vor: Beschlüsse der Gläubiger unterliegen danach den Bestimmungen der InsO (§ 19 SchVG, kommentiert von Knapp). Allerdings können die Gläubiger auch jetzt noch durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen, wozu das Insolvenzgericht eine Gläubigerversammlung einzuberufen hat. Die Einzelheiten dieser Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 1 und 2 SchVG sowie weiterer schuldverschreibungsrechtlicher Gläubigerversammlungen im Insolvenzverfahren, die Stellung des gemeinsamen Vertreters, die Teilnahme der Gläubiger am Insolvenzverfahren und das Involvenzplanverfahren werden im Einzelnen erläutert. Ein letzter großer Komplex des Schuldverschreibungsrechts ist das Beschlussmängelrecht (§§ 20–21 SchVG), das von Kiem kommentiert wird. Das SchVG regelt hierzu im Einzelnen die Anfechtung von Beschlüssen und die Vollziehung derselben. Der Rechtsschutz des Einzelnen gegen Beschlüsse der Gläubiger, die nach dem Grundsatz des § 4 SchVG kollektiv gebunden und Mehrheitsbeschlüssen ausgesetzt sind, ist schon im Hinblick auf den in Art. 14 Grundgesetz gewährten Eigentumsschutz zentral. Gewährt wird dieser Minderheitenschutz durch eine Kombination von gesetzlichen Präsenz- und Mehrheitserfordernissen mit individuellem Rechtsschutz. § 20 SchVG stellt gegenüber dem SchVG 1899, das weder eine Befristung der Anfechtung noch das Erfordernis einer Anfechtungsbefugnis kannte, einen wichtigen Fortschritt dar. Aber die Möglichkeiten eines Missbrauchs des Klagerechts, die aus dem Aktienrecht bekannt und dort trotz mehrfacher Reformen noch nicht wirklich beseitigt sind, machen die grundsätzliche Regelung parallel zum aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht und mit Verweisungen auf dieses durchaus problematisch. Um so wichtiger ist es, die Regelungen des § 20 SchVG so auszulegen, dass den Besonderheiten des Anleiherechts, des Anleihemarkts und des schuldrechtlichen Charakters der Anleihe im Gegensatz zur mitgliedschaftsrechtlichen Stellung der Aktionäre möglichst Rechnung getragen wird. b) Der Kommentarteil enthält auch eine umfassende Kommentierung des § 221 AktG, in dem die Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte geregelt sind (kommentiert von Fest). § 221 AktG sorgt für den Schutz der derzeitigen Aktionäre vor einer Verwässerung ihrer Mitgliedschaftsrechte durch die Gewährung von Wandelschuldschreibungen, Gewinnschuldverscheibungen und Genussrechten. Der Gesetzgeber hat diesen Schutz durch zwei Regelungen verwirklicht: zum einen die Notwendigkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung, sei es durch Zustimmung zu einer konkreten Kapitalmaßnahme, sei es in Form einer Ermächtigung des Vorstands, jeweils mit dem Erfordernis einer besonderen Kapitalmehrheit, und zum anderen durch die zwingende Gewährung eines Bezugsrechts auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte. Diese drei Instrumente werden so, wie sie in der Praxis benutzt werden und rechtlich geregelt und zu behandeln sind, in allen Einzelheiten dargestellt. Bei den Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 AktG) sind Aktien das Bezugsobjekt des Umtausch- bzw. Bezugsrechts. Probleme wirft dabei der sogenannte Identitätsgrundsatz auf, denn Drittemissionen unterliegen § 221 AktG grundsätzlich nicht. Davon gibt es aber Ausnahmen, insbesondere für sogenannte Konzernanleihen. Denn es wäre wertungswidrig, wenn sich eine Konzernmutter durch Zwischenschaltung einer Konzerntochter der Einräumung eines Bezugsrechts an ihre Aktionäre entziehen könnte. Die Voraussetzungen dieser Ausnahmen sind detailliert und kompliziert. In der Praxis findet sich eine Vielzahl von Formen von Wandelanleihen und verwandten Instrumenten, namentlich vier Gruppen: 6

Hopt/Seibt

Einführung

1. Herkömmliche Wandelanleihen (convertible bonds), 2. Umgekehrte Wandelanleihen (reverse convertible bonds), bei denen das Umtauschrecht entweder dem Emittenten oder sowohl diesem als auch den Inhabern der Wandelanleihe eingeräumt ist, 3. Unbedingte Pflichtanleihen (mandatory convertible bonds), bei denen eine Pflicht zu Ausübung des Wandlungsrechts vereinbart ist, 4. Bedingte Pflichtwandelanleihen (soft mandatory convertible bonds), bei denen bestimmte Auslöseereignisse (trigger events) zum Umtausch führen. Dabei stellen je nachdem ähnliche Grundfragen, z.B.: wirtschaftliche Vorteile der jeweiligen Gestaltung; Rechtsnatur des Umtauschrechts bzw. der unbedingten oder bedingten Wandlungspflicht; Ausgestaltung des Umtauschrechts bzw. der Umtauschpflicht in den Anleihebedingungen und Eingreifen und Voraussetzungen der Kontrolle dieser Bedingungen durch das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen; Mitwirkung der Hauptversammlung; Bezugsrecht der Aktionäre; Umtauscherklärung; Absicherung des Umtauschrechts. Eine besondere Form sind die Optionsanleihen und verwandte Instrumente wie Optionsanleihen (bonds with warrants), isolierte Optionsrechte (naked warrants und covered warrants) und Optionsrechte als Baustein anderer Finanzinstrumente wie Optionsaktien, Going-PublicOptionsanleihen und virtuelle Optionsrechte. Die Gewinnschuldverschreibungen (participating bonds) sind in § 221 Abs. 1 Satz 1 Variante 2 AktG geregelt. Sie unterscheiden sich von den gewöhnlichen Schuldverschreibungen nur dadurch, dass sie anstelle einer in der Regel festen Verzinsung des Nennbetrags variable, an den Gewinnanteilen der Aktionäre orientierte Ausschüttungen vorsehen. Der Anspruch auf diese Ausschüttungen ist zwar rein schuldrechtlicher Art. Aber wegen der Orientierung an den Gewinnanteilen der Aktionäre und der Minderung des Bilanzgewinns ist die Entscheidung über die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen Sache der Hauptversammlung und die Aktionäre haben ein Bezugsrecht. Da bei Gewinnschuldverschreibungen Auszahlungen nur zu tätigen sind, wenn Gewinn anfällt, sind sie als Sanierungsinstrumente geeignet, werden heute aber bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten sowie Versicherungsunternehmen durch Genussrechte verdrängt, die die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an Eigenmittel erfüllen. Die Genussrechte werden in § 221 Abs. 3 AktG nur kurz angesprochen. Genussrechte sind keine aktienrechtlichen Mitgliedschaftsrechte, sondern schuldrechtlicher Natur. Sie können deshalb ohne die Grenzen der aktienrechtlichen Satzungsstrenge sehr flexibel ausgestaltet werden, obwohl sie funktional Eigenkapital, wenngleich ohne mitgliedschaftliche Rechte, darstellen. Sie eignen sich deshalb in besonderer Weise für die Unternehmensfinanzierung und werden heute auch ganz überwiegend zu diesem Zweck eingesetzt. Je nach Ausgestaltung können sie bilanziell Fremd- oder Eigenkapital darstellen. Vor allem aber können sie so strukturiert werden, dass sie bank- und versicherungsaufsichtsrechtlich als Eigenmittel anerkannt werden. Gegenüber stillen Beteiligungen haben sie den Vorteil, dass sie verbrieft werden können und kapitalmarktfähig sind. In der Praxis kommen die verschiedensten Formen von Genussrechten vor, neben Finanzierungsgenussrechten zum Beispiel Sanierungsgenussrechte (dort im Rahmen eines sogenannten Debt-Hybrid-Swap statt eines eine Kapitalerhöhung erfordenden Debt-Equity-Swap), Unterbilanz-Genussrechte statt eines Kapitalschnitts, Obligationen-Genussrechte, bei denen das Genussrecht mit einer Schuldverschreibung verbunden wird, Genussrechte als Gegenleistung etwa als Patent- und Lizenzgenussrechte und Mitarbeitergenussrechte. Bei den aktienrechtlichen Genussrechten werfen die verschiedenen inhaltlichen Ausgestaltungen zahlreiche Rechtsfragen auf. Diese betreffen etwa das Recht am Gewinn (Bemessungsgrundlage, Rang, Aufteilung), das Recht am Liquidationserlös, die Teilnahme am Verlust, eine Nachrangvereinbarung, Mitwirkungs- und Kontrollrechte und anderes mehr. Zahlreiche weitere Einzelheiten der Kommentierung betreffen den Beschluss der Hauptversammlung, das Bezugsrecht der Aktionäre, die Anwendung der Regelungen des § 221 AktG auf Gesellschaften anderer Rechtsformen und die Entstehung und Übertragung der Rechte. Hopt/Seibt

7

Einführung

c) Das deutsche organisierte Staatsschuldwesen ist heute – im Gegensatz zur Reichsschuldenverwaltung im Deutschen Reich und, immerhin mit einer eigenständigen und unabhängigen Reichsbehörde, in der Weimarer Republik – privatisiert. Agent des Bundes ist die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH, die ein in privatrechtlicher Rechtsform organisiertes, aber vom Bund gehaltenes und mit hoheitlichen Aufgaben beliehenes Unternehmen ist. Das Bundesschuldenwesengesetz (BSchuWG) von 2006 regelt in Teil 1 die Wahrnehmung von Aufgaben des Schuldenwesens des Bundes und die parlamentarische Kontrolle (§§ 1–3 BSchuWG, kommentiert von Braun). Praktisch besonders wichtig sind die Kreditaufnahme des Bundes und das Bundesschuldbuch, die in Teil 2 des BSchuWG geregelt sind (§§ 4–8 BSchuWG, kommentiert von Lendermann). Die Kreditaufnahme des Bundes wirft grundlegende Fragen der Staatsverschuldung, der staatlichen Schuldenstrukturpolitik und der Auswirkungen von Unionsrecht auf. National ist auf die Kompetenzverteilung zwischen parlamentarischer Kreditermächtigung und operativer Ausführung durch die Finanzagentur sowie die Maßgeblichkeit der Haushaltsgesetze zu achten. § 4 BSchuWG führt die verschiedenen Finanzierungsinstrumente auf, darunter Schuldverschreibungen und Schuldscheindarlehen. In einer ausführlichen Einleitung zu §§ 4a–4k BSchuWG über Umschuldung des Bundes wird die Problematik von Finanzkrisen souveräner Staaten behandelt. Herkömmliche reaktive Maßnahmen sind einseitige Umschuldungen im Wege der Subordination und konsensuale Lösungen. Dabei stellen sich gesteigerte Kollektivhandlungs- und -repräsentationsprobleme. Statt eines ungeordneten, nur reaktiven Vorgehens sucht man heute möglichst nach einem präventiven institutionellen Ordnungsrahmen für staatliche Umschuldungen. Dazu gibt es zwei Grundmodelle: ein formelles Staatsinsolvenzverfahren mit einer internationalen Konkursinstanz (statutory approach, die auch vom IWF befürwortete „große Lösung“) und ein vertragliches Konzept mittels Umschuldungsklauseln in den Anleihebedingungen (contractual approach, die von den Staats- und Regierungschefs der G 7 und G 10 favorisierte und nunmehr von den Mitgliedstaaten des Euroraums umgesetzte „kleine Lösung“). Dazu gehören die Umschuldungsklauseln aufgrund des Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus, die Musterklauseln des Unterausschusses des Europäischen Wirtschafts- und Finanzausschusses für EU-Staatsschuldenmärkte und eben §§ 4a–4k BSchuWG mit den Umschuldungsklauseln in den Emissionsbedingungen des Bundes. §§ 4a–4k BSchuWG regeln die Einführung von Umschuldungsklauseln (Legaldefinition) und die Möglichkeit einer anleiheübergreifenden Änderung, Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger, das Stimmrecht und die Gläubigerversammlung samt Beschlussanfechtung. Im internationalen Kontext gesehen, ist die allein nationale Entscheidungskompetenz bei der gerichtlichen Überprüfung problematisch, aber politisch kaum zu ändern. Das Bundesschuldbuch, das der Entmaterialisierung der Bundesschulden dient, die Sammel- und die Einzelschuldbuchforderungen sowie der öffentliche Glaube des Bundesschuldbuchs sind in §§ 6–8 BSchuWG geregelt. 2. Der Handbuchteil hat einen Umfang von etwa 600 Seiten und gliedert sich zunächst in drei Bereiche, nämlich (i) allgemeine Fragen der deutschem Recht unterliegenden Schuldverschreibungen, (ii) Fragen der Restrukturierung von Schuldverschreibungen außerhalb des SchVG und (iii) Auslandsanleihen nach dem Recht der USA und des Staates New York sowie Fragen des Internationalen Privatrechts. a) Oulds klassifiziert aus Praktikersicht das Spektrum an Schuldverschreibungen nach Parametern wie Platzierungsmärkten, Höhe des Ausfallrisikos, Ausgestaltung der Verbriefung, Verzinsungs- und/oder Rückzahlungsstruktur, Besicherung sowie Laufzeit, beleuchtet deren jeweilige Marktvolumina sowie die an der Begebung von Schuldverschreibungen beteiligten Marktteilnehmer und stellt die erforderlichen Dokumentationen vor. Für die Emission von 8

Hopt/Seibt

Einführung

Schuldverschreibungen als eine Form der Kapitalmarktfinanzierung streitet insbesondere, dass damit die Gläubigerstruktur diversifiziert und die Abhängigkeit von der Kreditfinanzierung und den stark regulierten Hausbanken verringert werden kann, die Reputation des Emittenten dadurch erhöht und zumeist auch die Fremdkapitalkosten trotz erleichterter Dokumentationserfordernisse und zumeist fehlender Leistungs- oder Folgepflichten (z.B. covenants) herabgesenkt werden kann. Gegenüber Aktienemissionen besteht der Vorteil, dass die Gesellschafterstruktur jedenfalls im Emissionszeitpunkt unverändert bleibt und die Zinszahlungen als Betriebsausgaben steuerlich abzugsfähig sind. Hiernach werden Fragen der Anleihestrukturierung aus Sicht der Geschäftsleitung behandelt, insbesondere die mit der Auswahl von Schuldverschreibungen als Finanzierungsmittel und bei ihrer konkreten Strukturierung einzuhaltenden Geschäftsleiterpflichten, die wesentlichen Entscheidungskriterien und die jeweiligen Verfahrensabläufe (Seibt). Die Anleihebedingungen als Beschreibung der Leistungen sowie der Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger (vgl. § 2 Satz 1 SchVG) sind das vermittelnde Ergebnis der Verhandlungen des Emittenten mit den Anleihegläubigern. Allerdings werden die Anleihebedingungen typischerweise nicht zwischen diesen beiden Parteien ausverhandelt, sondern dies übernehmen für die Anleihegläubiger im in der Praxis häufigsten Fall der Fremdemission die platzierenden Banken; die Anleihegläubiger erwerben dann die in dieser Weise ausgehandelten Schuldverschreibungen. Unter enger Verzahnung mit der Kommentierung von § 3 SchVG einerseits und den Muster-Anleihebedingungen im Vertragsmusterteil stellt Oulds die typischen Regelungsbereiche der Anleihebedingungen und die in der Praxis häufig streitig verhandelten Gestaltungsvarianten detailliert dar. Schwerpunkte der Darstellung bilden insbesondere die Negativverpflichtungen und die sonstigen Verpflichtungen des Emittenten (covenants), die Ausgestaltung der Verzinsungen, Wandlungs- und Optionsrechte bei Wandelschuldverschreibungen, Fälle der Rückzahlung der Schuldverschreibungen, die Schuldnerersetzung und die Begebung weiterer Schuldverschreibungen und/oder die Zulässigkeit eines Rückkaufs. Bei Fremdemissionen von Anleihen sind die Verhandlung und Einigung über die Vertragsverhältnisse zwischen den Emittenten und den die Emission begleitenden Banken (sog. Emissionsverhältnis) sowie die Vertragsverhältnisse unter den Emissionsbanken (sog. Konsortialverhältnis) von erheblicher Wichtigkeit. Singhof/Wilhelmi stellen aus Praktikersicht für das Emissionsverhältnis die typischen Inhalte der Mandatsvereinbarung (engagement letter) und vor allem des Übernahmevertrags (subscription agreement) dar, daneben werden aber auch die Vereinbarungen bei Emissionsprogrammen und die typischen Nebenvereinbarungen (z.B. Zahl- und Wandlungsstellenvereinbarungen; book-entry registration agreement; Sicherheitentreuhandvertrag) behandelt. Bei der Darstellung des Übernahmevertrags findet eine Verkoppelung zum im Vertragsmusterteil vorgestellten und ebenfalls von Singhof/Wilhelmi erläuterten Mustervertrag statt. Im Konsortialverhältnis stehen die Darstellung des Konsortialvertrags (agreement among managers) und dort die rechtliche Qualifikation als Gesellschaft bürgerlichen Rechts und die wesentlichen, durch die Standards der International Capital Markets Association (ICMA) geprägten Inhalte im Vordergrund. Werden Anleihen öffentlich angeboten oder sollen die Schuldverschreibungen an einer Börse zugelassen werden, ist ein Prospekt zu erstellen, der der Billigung einer zuständigen Wertpapieraufsichtsbehörde bedarf. Krug stellt die Voraussetzungen der Prospektpflicht, vor allem aber auch die wichtigen Ausnahmen hiervon, sowie das Billigungsverfahren, den Prospektinhalt (mit typischen Themen bei Anleiheemissionen, insbesondere spezifischen Risikofaktoren), aber auch die Änderung von Emissionsbedingungen, die Prospektierung späterer Aufstockungen oder die Nachtragspflicht vor. In einem zweiten Teil werden die Voraussetzungen der Börsenzulassung und das Zulassungsverfahren beschrieben. Das Kapitel stellt hierbei nicht nur den aktuellen Rechtsstand dar, sondern verweist bereits auf die derzeit zwischen Europäischer Kommission, Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union in DiskusHopt/Seibt

9

Einführung

sion stehenden Entwurf einer Prospektverordnung, deren neue Regelungen Ende 2017/Anfang 2018 zur Anwendung kommen könnten. Werden, wie sehr häufig, Anleihen in den Handel an einer Börse bzw. einem geregelten Markt oder in einem multilateralen Handelssystem aufgenommen, gehen damit besondere Zulassungsfolgepflichten einher. Kumpan analysiert vor allem die Fragen im Zusammenhang mit der Behandlung von Insiderinformationen, also die Insiderverbote, die Ad-hoc-Publizitätspflicht, die Pflicht zur Führung von Insiderlisten und die Directors’ Dealings Meldepflichten und Handelsverbote, auf der Grundlage der seit dem 3.7.2016 geltenden Vorschriften der Marktmissbrauchsverordnung (MAR). Dies ist die erste geschlossene und gleichzeitig detaillierte, spezifische Darstellung der MAR-Regelungen in ihrer Anwendung auf Anleihen. Zudem werden die technischen, aber sanktionsintensiven Regelungen der wertpapierinhaberorientierten Publizität nach §§ 30a ff. WpHG und der Regelpublizität nach §§ 37v ff. WpHG sowie § 325 HGB dargestellt. Das von der Börse Luxemburg seit 2005 betriebene multilaterale Handelssystem Euro MTF hat sich zum deutlich größten Handelsplatz für den Anleihehandel in der EU entwickelt. Aus diesem Grund enthält der Handbuchteil ein aus Praktikersicht verfasstes Sonderkapitel zum Börsenzulassungsverfahren und zu den Zulassungsfolgepflichten in Luxemburg (Warken). Dörscher widmet sich Fragen der Rechnungslegung, insbesondere der in der Praxis wichtigen Folge einer Anleiheemission für die Umstellung des Konzernabschlusses auf IFRS-Rechnungslegungsstandards, des Rating und der Anleihebewertung. Bei den Bewertungsfragen steht die – in der Praxis bislang uneinheitlich vorgenommene – Bewertung von Anleihen in der Unternehmenskrise (insbesondere auch bei der Ermittlung eines Austauschverhältnisses bei einem Debt-Equity-Swap) im Vordergrund. Finanzinstituten, insbesondere Banken, kommt eine zentrale Rolle bei der Anleiheemission zu, zum einen als besonders aktive Emittenten von Schuldverschreibungen, zum anderen als häufige Investoren in Schuldverschreibungen und schließlich als Dienstleister im Zusammenhang mit der Emission von Unternehmensanleihen und deren späterem Handel. Behrens stellt die in diesem Zusammenhang relevante, engmaschige Regulierung der Banken dar, insbesondere das sog. prudentielle Bankaufsichtsrecht (insbesondere Umfang der erlaubnispflichtigen Geschäfte; Erlaubniserlangung; Anforderungen an den laufenden Geschäftsbetrieb vor allem mit Eigenmittel- und Liquiditätsvorgaben) sowie das neue Sanierungs- und Abwicklungsregime. Ein wesentlicher Bestandteil des Handbuchteils ist die Darstellung der steuerrechtlichen Implikationen der Anleiheemission, der laufenden Besteuerung (sowohl bei Emittenten als auch bei den Gläubigern), bei Rückzahlung bzw. Veräußerung von Anleihen sowie bei Restrukturierungsmaßnahmen nach dem SchVG (Ruoff). Gerade die Restrukturierung von Anleihen nach dem SchVG ist ohne intensiv-begleitende steuerrechtliche Strukturierung und Abstimmung mit den zuständigen Finanzbehörden unmöglich zu erreichen. b) Die Restrukturierung von Anleihen zur Bewältigung einer Unternehmenskrise kann außerhalb oder innerhalb eines Insolvenzverfahrens erfolgen. In der vorinsolvenzlichen Phase kann der Emittent einerseits die Maßnahmen des SchVG nutzen (hierzu die Kommentierung von Thole insbesondere zu § 5 SchVG), aber die Restrukturierung kann auch ohne Nutzung des SchVG erfolgen – bislang sogar noch die tatsächlich am meisten genutzte Kategorie. Lürken/ Plank stellen typische Strukturen außerinsolvenzrechtlicher Restrukturierungen (ohne Nutzung des SchVG) dar, insbesondere die Einholung von Zustimmungen der Anleihegläubiger zur Änderung der Anleihebedingungen (consent solicitations), den Anleihenumtausch (exchange office), Anleihenrückkäufe (bond buybacks) sowie Going Concern-Vollstreckungen. Dabei nimmt die Restrukturierungsberatung nicht nur die Möglichkeiten des Rechts in den Blick, das auf die betreffenden Anleihen Anwendung findet, sondern auch Strukturierungs10

Hopt/Seibt

Einführung

maßnahmen, die die Nutzung einer davon abweichenden Rechtsordnung ermöglichen sollen (z.B. Änderung der Rechtswahlklausel; COMI Shift). In der deutschen Restrukturierungspraxis hat vor allem die Nutzung des englischen scheme of arrangement praktische Bedeutung erlangt. Die sich hierbei stellenden Fragen der Voraussetzung für die Zuständigkeit englischer Gerichte und die spätere Anerkennung der Wirkung eines scheme of arrangement werden detailliert dargestellt. Abgeschlossen wird die Darstellung der außerinsolvenzlichen Restrukturierung außerhalb des SchVG mit einem Ausblick auf das von der Europäischen Kommission verfolgte Projekt eines europäischen vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens (Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on preventive restructuring frameworks, second chance and measures to increase the efficiency of restructuring, insolvency and discharge procedures and amending Directive 2012/30/EU, 22.11.2016, COM(2016) 723 final). Die Restrukturierung von Anleihen im Insolvenz- und vor allem im Insolvenzplanverfahren (Praxisfälle z.B.: Pfleiderer AG; IVG Immobilien AG; Q-Cells SE) werden von Westpfahl detailliert dargestellt. Einen Schwerpunkt der Darstellung stellen der Debt-Equity-Swap im Insolvenzplan und die möglichen diversen Regelungsvarianten dort dar. Die wichtigen steuerrechtlichen Fragen der Anleiherestrukturierung im Insolvenzverfahren werden von Ruoff beigesteuert. c) Kapitalmärkte sind international und global, ebenso wie die Finanzierungsbedürfnisse von Unternehmen. Die Praxis des Schuldverschreibungsrechts stellt daher ein geradezu idealtypisches Beispiel des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs dar. Damit einher gehen vielfältige Fragestellungen des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts. Dabei bilden die kollisionsrechtlichen Herausforderungen der grenzüberschreitenden Emissionspraxis eine Querschnittsmaterie aus Fragen des internationalen Wertpapier-, Schuldvertrags-, Sachen-, Gesellschafts-, Delikts- und Insolvenzrechts sowie Problemen der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung ausländischer Verfahren und Entscheidungen. Sämtliche dieser Problemstellungen werden von Schwarz im Detail und mit Praxisbezug behandelt. Für die Praxis besonders relevante Schwerpunktthemen sind etwa die kollisionsrechtliche Behandlung (i) der Reichweite und Grenzen des auf die Anleihebedingungen anwendbaren Rechts (Wertpapierrechtsstatut), (ii) der Restrukturierung von Anleihen nach in- und ausländischen Mechanismen und diesbezüglicher Anerkennungsfragen, (iii) von Verfügungen über Anleihen bzw. diesbezüglicher Depotgutschriften sowie (iv) von Prospekthaftungsansprüchen. Aus dem Kreis der Auslandsanleihen (also Anleihen, die nicht dem deutschen Recht unterliegen) ragen deutlich die Anleihen heraus, die dem Recht der USA und vor allem des Staates New York unterliegen. Daher ist das Recht der USA und des Staates New York eine wichtige rechtsvergleichende Inspirationsquelle, gleichzeitig aber in der Praxis auch wichtige Arbeitsgrundlage für die Anleiheemission und vor allem auch für die Vermarktung von Anleihen, die dem deutschen Recht unterliegen (insbesondere Privatplatzierungen von Anleihen in den USA). Hierzu haben Burke/Van den Borren/Taufner eine in dieser Form einmalige Zusammenfassung der Voraussetzungen für die Emission von Schuldverschreibungen, deren Wiederverkauf, die Anforderungen an die Dokumentation (einschließlich der emissionsbegleitenden Rechtsverhältnisse), die Haftungsverantwortung nach dem US-Kapitalmarktrecht sowie die Anleiherestrukturierung erstellt. 3. Der Vertragsmusterteil umfasst gut 100 Seiten und gliedert sich ebenfalls in drei Teile: In einem ersten Teil finden sich Muster für Vorstandsbeschlüsse (mit Aufschubentscheidung nach Art. 17 Abs. 4 MAR) und Aufsichtsratsbeschlüsse für jede Phase des Emissionsverfahrens sowie einen typischen Hauptversammlungsbeschluss zur Begebung von Wandel- und Optionsanleihen. In einem zweiten Teil werden Muster-Anleihebedingungen aufgeführt und unter

Hopt/Seibt

11

Einführung

Verweis auf die Kommentierung zu § 3 SchVG und die systematische Darstellung im Handbuchteil erläutert. Für den häufigen Fall der Anleihebegebung durch Finanzierungstochtergesellschaften werden die Anleihebedingungen durch eine Garantieerklärung der Muttergesellschaft ergänzt; auch diese wird im zweiten Teil in Musterform dargestellt und erläutert. Im abschließenden dritten Teil wird der Übernahmevertrag (subscription agreement) zwischen Emittent und emissionsbegleitenden Banken in Musterform vorgestellt und unter Verschränkung mit der systematischen Darstellung im Handbuchteil erläutert.

12

Hopt/Seibt

1. Teil Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungsgesetz – SchVG) Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften

§1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz gilt für nach deutschem Recht begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (Schuldverschreibungen). (2) 1Dieses Gesetz gilt nicht für die gedeckten Schuldverschreibungen im Sinne des Pfandbriefgesetzes sowie nicht für Schuldverschreibungen, deren Schuldner der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde ist oder für die der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde haftet. 2Für nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen, deren Schuldner ein anderer Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets ist, gelten die besonderen Vorschriften der §§ 4a bis 4i und 4k des Bundesschuldenwesengesetzes entsprechend. I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachlicher Anwendungsbereich Begriff der Schuldverschreibung . . . . . . Begriff der Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses aus der Schuldverschreibung . . . . . . . . . Negativer Zinssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesamtemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsformen der Schuldverschreibung a) Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Orderschuldverschreibungen . . . . . . c) Namensschuldverschreibungen. . . . . Arten der Schuldverschreibung . . . . . . . a) Klassische Anleihen (fixed rate notes/plain vanilla bonds) . . . . . . . . b) Anleihen mit variablem Zinssatz (floating rate notes) . . . . . . . . . . . . . c) Nullkuponanleihen (zero coupon notes/zero bonds) . . . . . . . . . . . . . . d) Hochzinsanleihen (high yield bonds) e) Hybridanleihen (hybrid bonds) . . . . aa) Regulatorisches Eigenkapital. . . bb) Corporate Hybridanleihen . . . . cc) Genussscheine . . . . . . . . . . . . . . f) Zertifikate (certificates) . . . . . . . . . .

1 4 6 7 10 19 24 27 28 29 30 32

9. III. IV. V.

33 34 35 36 38 39 40 41 43

VI. 1. 2.

3. 4.

g) Optionsscheine (warrants). . . . . . . . 44 h) Aktienanleihen (reverse convertible bonds/equity linked bonds) . . . . . . . 45 i) Wandelanleihen (convertible bonds) 46 j) Pflichtwandelanleihen (Mandatory Convertible Bonds) . . . . . . . . . . . . . 46a k) Umtauschanleihen (exchangeable bonds) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 l) Optionsanleihen (warrant bonds) . . 48 m) Asset Backed Securities (ABSs) . . . . 49 n) Collateralised Debt Obligations (CDOs). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 o) Credit Linked Notes (CLNs) . . . . . . 51 Schuldscheindarlehen. . . . . . . . . . . . . . . 52 Örtlicher Anwendungsbereich . . . . . . . 54 Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . 59 Folgen der Eröffnung des Anwendungsbereichs von § 1 Abs. 1 SchVG . . 60 Ausnahmen nach § 1 Abs. 2 SchVG . . . 61 Pfandbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Andere auf Grundlage der Spezialgesetze begebene gedeckte Schuldverschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Öffentlich-rechtliche Emittenten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG). . . . . . . . . . . . 67 Sondernorm für Anleihen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (§ 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG). . . . . . . . . . . . 71

Artzinger-Bolten/Wöckener 13

§ 1 SchVG Anwendungsbereich 5. Freiwilliger Opt-In für Anleihen i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG . . . . . . . . . . . . .

73

a) Pfandbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anleihen der öffentlichen Hand . . . .

74 75

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des SchVG, ZIP 2014, 845-857; Balz, Reform des SchVG – High Yield Bonds zukünftig nach deutschem Recht?, ZBB 2009, 401-412; Becker, „Negativzinsen“ als Folge von Zinsgleitklauseln bei Inhaberschuldverschreibungen? – zugleich Anmerkung zur Festsetzung des Basiszinssatzes durch die Bundesbank auf -0,38 %, WM 2013, 1736-1742; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, Diss. Hamburg, 2012; Bredow/Vogel, Unternehmenssanierung und Restrukturierung von Anleihen – Welche Verbesserungen bringt das neue Schuldverschreibungsrecht?, ZBB 2008, 221-231; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, Diss. Freiburg, 2012; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften vom August 2008, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/ de/newsroom/id-2008-41; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, WiVerw 2014, 155-163; Florstedt/von Randow, Die Kündigung des Anleiheschuldverhältnisses aus wichtigem Grund, ZBB 2014, 345-356; Habersack, Haftung des Emittenten eines Zertifikates für die Verwirklichung von Risiken in Bezug auf den Basiswert?, ZIP 2014, 1149-1155; Hirte, Genussscheine und Kapitalherabsetzung, ZIP 1991, 1461-1469; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446-453; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12-66; Kahan, Rethinking corporate bonds: the trade-off between individual and collective rights, 77 N.Y.U.L. Rev. 2002, 1040-1089; Keller, Die Übergangsregelungen des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2009, 15-18; Kessler/Rühle, Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten des SchVG 2009, BB 2014, 907-914; Klose, Der gesetzliche Verzugszins und der negative Basiszinssatz, NJ 2014, 13-16; Kusserow, Zur Frage der Anwendbarkeit des SchVG auf Namensschuldverschreibungen, RdF 2012, 4-13; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverscheibungsgesetz, 2012; Lorenz/Pospiech, Das neue Schuldverschreibungsgesetz – eine gesetzliche Grundlage für die Restrukturierung von Genussscheinen?, DB 2009, 2419-2422; Lürken, Geltung des SchVG nur bei uneingeschränkter Anwendbarkeit deutschen Rechts auf die Schuldverschreibungen, GWR 2011, 546; Lürken, Restrukturierung von High Yield Bonds nach dem Schuldverschreibungsgesetz und US-Recht, CFl 2011, 352-358; Maier-Reimer, Rechtsfragen der Restrukturierung, insbesondere der Ersetzung des Schuldners, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129-156; Meiisel/Bokeloh, Handels- und steuerrechtliche Aspekte der indirekten Emission von Wandelanleihen beim Emittenten, CFl 2010, 35-45; Mülbert, Inhaberschuldverschreibungen im Niedrigzinsumfeld, ZHR 179 (2015), 395-404; Nodoushani, Die Restrukturierung von Staatsanleihen im Euroraum, WM 2012, 1798-1807; Oulds, Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz und Bundesschuldenwesengesetz, CFl 2012, 353-363; Paulus, Schuldverschreibungen, Restrukturierungen, Gefährdungen, WM 2012, 1109-1113; Paulus, Überlegungen zu einem Insolvenzverfahren für Staaten, WM 2002, 725-734; Podewils, Neurungen im Schuldverschreibungs- und Anlegerschutzrecht – Das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemission und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, DStR 2009, 1914-1920; Podewils, Transparenzund Inhaltskontrolle von Zertifikatbedingungen – Insbesondere zur Zulässigkeit einseitiger Einwirkungsbefugnisse des Emittenten, ZHR 174 (2010), 192-208; Schäfer, Zulässigkeit und Kündbarkeit von ewig laufenden Anleihen (Perpetuals), in FS Kümpel, 2003, S. 453-462; Scherer (Hrsg.), DepotG, 2012; Schlitt/ Hekmat/Kasten, Aktuelle Entwicklungen bei High-Yield Bonds, AG 2011, 429-444; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, AG 2009, 477-487; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, Diss. Frankfurt/M. 2010; Schmidt/Schräder, Leistungsversprechen und Leistungsbestimmungsrechte in Anleihebedingungen unter Berücksichtigung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2009, 397-404; Schneider, Die Änderung von Anleihebedingungen durch Beschluss der Gläubiger, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69-93; Scholz/Breu, OLG Frankfurt/M., Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes auf Genussscheine mit Verlustbeteiligung, DZWiR 2007, 125-129; Seibt, Wandelschuldverschreibungen: Marktbericht, Dokumentationen und Refinanzierungsoptionen, CFl 2010, 165-176; Seibt/Schwarz, Anleihekündigung in Sanierungssituationen, ZIP 2015, 401-413; Sester, Transparenzkontrolle von Anleihebedingungen nach Einführung des neuen Schuldverschreibungsrechts, AcP 209 (2009), 628-667; Sester, Argentinische Staatsanleihen: Schicksal der „Hold Outs“ nach Wegfall des Staatsnotstands, NJW 2006,

14

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 3 § 1 SchVG

2891-2892; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, Diss. Mainz, 1997; Simon, Restrukturierung von Schuldverschreibungen nach dem neuen SchuldVG, CFl 2010, 159-164; Steffek, Änderungen von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 2597-2619; Than, Rechtsfragen bei der Festlegung von Emissionsbedingungen für Schuldverschreibungen unter besonderer Berücksichtigung der Dematerialisierung und des Depotgesetzes, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 3-24; Trautrims, LG Köln: Kündigung einer Unternehmensanleihe aus wichtigem Grund, BB 2012, 1821-1824; Wittinghofer, Fachbegriffe aus M & A und Corporate Finance – Credit Default Swaps als Instrument zur Absicherung von Kreditrisiken, NJW 2010, 1125-1127; Zahn/Lemke, Anleihen als Instrument der Finanzierung und Risikosteuerung, BKR 2002, 527-535.

I. Überblick § 1 bestimmt sowohl den Anwendungsbereich als auch die Anwendungsvoraussetzungen des Gesetzes über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen vom 31.7.2009 (nachfolgend „SchVG“). Danach ist das SchVG auf alle Schuldverschreibungen anzuwenden, die deutschem Recht unterliegen. Eine Teilrechtswahl zugunsten deutschen Rechts reicht dabei aus, soweit die Anleihebedingungen den wesentlichen, die Substanz der verbrieften Forderung betreffenden Inhalt (siehe dazu Rz. 58) dem deutschen Recht unterstellen, beispielsweise in Form einer Nachrangvereinbarung. Die Schuldverschreibungen müssen des Weiteren inhaltsgleiche Rechte verbriefen und aus einer Gesamtemission stammen. Anwendungsprämisse des Gesetzes ist insoweit die Fungibilität der Schuldverschreibungen sowie ihre Kapitalmarktfähigkeit. Der Sitz des Emittenten ist für die Anwendbarkeit des SchVG im Gegensatz zum Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen vom 4.12.1899 (nachfolgend „SchVG 1899“) irrelevant. Erfasst sind folglich sowohl Anleihen inländischer als auch ausländischer Emittenten, insbesondere also auch die aus praktischer Sicht bedeutsamen Anleihen, die aus steuerlichen oder anderen Gründen über im Ausland ansässige Finanzierungstöchter deutscher Unternehmen begeben werden.

1

Ebenso ist der Anwendungsbereich des SchVG nicht auf eine bestimmte Form von Schuldverschreibungen begrenzt. Sowohl Inhaber-, Namens- und Orderschuldverschreibungen können daher unter das SchVG fallen. Von Bedeutung ist dennoch das Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 SchVG. Gerade für Namens- und Orderschuldverschreibungen ist es deshalb wichtig, ihre Fungibilität zu gewährleisten, um den Anwendungsbereich des SchVG für sie zu eröffnen.1

2

Bestimmte Finanzprodukte sind aus dem Anwendungsbereich des SchVG ausdrücklich ausgenommen. Das sind Pfandbriefe (nur) im Sinne des Pfandbriefgesetzes (PfandBG) sowie Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand, namentlich des Bundes, des Sondervermögens des Bundes, der Länder und Gemeinden. Im Umkehrschluss sind ausländische Staatsanleihen, soweit im Übrigen die Voraussetzungen nach § 1 Abs. 1 SchVG erfüllt sind, nicht vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Für die Anleihen der Staaten des Euroraums ist mit § 1 Abs. 1 Satz 2 SchVG eine Spezialregelung vorhanden, nach der die Vorschriften der §§ 4a bis 4i und 4k des Bundesschuldenwesengesetzes (BSchuWG) entsprechend anzuwenden sind. Durch diese Normen wird die Möglichkeit zur Einführung sog. Umschuldungsklauseln zum Zwecke der Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschlüsse der Anleihegläubiger gewährleistet. Zur Einführung dieser Klauseln haben sich die Teilneh-

3

1 Zur Clearingfähigkeit von Namensschuldverschreibungen siehe Rz. 28.

Artzinger-Bolten/Wöckener 15

§ 1 SchVG Rz. 4 Anwendungsbereich merstaaten der Eurozone mit der Unterzeichnung des ESM-Vertrages2, ab dem 1.1.2013 verpflichtet.3

II. Sachlicher Anwendungsbereich 1. Begriff der Schuldverschreibung 4

§ 1 Abs. 1 SchVG legt als sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes nur die nach deutschem Recht begebenen inhaltsgleichen Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen fest. Der Begriff der Schuldverschreibung selbst wird dabei nicht näher konkretisiert. In diesem Zusammenhang ist somit auf die allgemeinen Vorschriften, insbesondere also die §§ 793 ff. BGB zurückzugreifen.4 Eine (Inhaber-)Schuldverschreibung stellt nach Maßgabe des § 793 Abs. 1 Satz 1 BGB eine Urkunde dar, in welcher der Aussteller dem Inhaber der Urkunde eine Leistung verspricht, die dieser nach Maßgabe des Versprechens verlangen kann. Die Schuldverschreibung bestimmt den Inhalt der Leistungszusage des Schuldners (Emittent) gegenüber dem Gläubiger (Anleger). Sie enthält damit ein einseitiges Leistungsversprechen (siehe dazu sogleich Rz. 7). Sie verbrieft Forderungsrechte und stellt ein Wertpapier dar. Das in der Schuldverschreibung verbriefte Recht kann ohne die Schuldverschreibung selbst deshalb nicht geltend gemacht werden.5 Das Recht aus dem Papier folgt also dem Recht am Papier.

5

Hinsichtlich des weiteren Inhaltes (wirtschaftlicher oder anderer Art) hat der Gesetzgeber weder in den §§ 793 ff. BGB noch im SchVG Vorgaben zur Art der geschuldeten Leistung gemacht. Diese Ausgestaltung obliegt demnach den Parteien (Emittent und Anleger).6 Die Leistungspflicht des Emittenten muss somit nicht unbedingt eine Geldleistung umfassen, wenngleich dies in der Praxis regelmäßig der Fall ist.7 Eine Grenze findet diese Gestaltungsfreiheit aber schließlich darin, dass in Schuldverschreibungen nur schuldrechtliche Forderungsrechte verbrieft werden können, nicht aber Sachenrechte (wie z.B. in Hypothekenoder Grundschuldbriefen) oder Mitgliedschaftsrechte (wie etwa in Aktien).8 2. Begriff der Anleihe

6

Vom sachlichen Anwendungsbereich des SchVG sind Schuldverschreibungen erfasst. Im Referentenentwurf 2008 tauchte als Gegenstand der sachlichen Anwendbarkeit des neuen

2 Vertrag zur Einrichtung des europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). 3 Art. 12 Abs. 3 ESM-Vertrag. 4 Lorenz/Pospiech, DB 2009, 2419 (2421); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 68; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 9; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 6. 5 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 15; Kusserow, RdF 2012, 4 (5); Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, Vorbem. zu §§ 793 ff. BGB Rz. 8. 6 Ebenso BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, NJW 1993, 57 (59) = AG 1993, 125: „Da Begriff und Inhalt des Genußrechtes gesetzlich nicht geregelt sind, ist sein Leistungsinhalt im einzelnen vertraglich festzulegen“; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (406). 7 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 25 f.; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (4); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17); Oulds, CFl 2012, 353 (354); LG Frankfurt v. 23.1.2012 – 3-05 O 142/11, ZIP 2012, 474 (475). 8 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 15; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 68.

16

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 7 § 1 SchVG

Schuldverschreibungsrechts dagegen der Begriff „Anleihe“ auf.9 Während der Terminus „Schuldverschreibung“ nur das einzelne Wertpapier bezeichnet, versteht man unter „Anleihe“ grundsätzlich die Gesamtheit von Schuldverschreibungen einer Emission, die mit gleichen Merkmalen ausgestattet sind.10 In der täglichen Nutzung durch Marktteilnehmer mag diese Abgrenzung heutzutage nicht immer zum Ausdruck kommen; die Grenzen verschwimmen mittlerweile. In diesem Sinne findet sich der Begriff „Anleihe“ erst in § 4 SchVG. Obwohl die Praxis die Begriffe mittlerweile trotzdem synonym verwendet, hat der Gesetzgeber den Begriff „Anleihe“ nicht ohne Grund durch den Begriff der „Schuldverschreibungen“ ersetzt. Denn nach traditionellem Verständnis gehört der wirtschaftliche Vorgang der Fremdkapitalaufnahme zum Begriff der Anleihe.11 Eine Anleihe ist mithin die Aufnahme von Kapital über den Kapitalmarkt mittels einer Emission gleichartiger Schuldverschreibungen, die eine Vielzahl von gleichartigen Gläubigerrechten verbriefen (vor allem Rückzahlung und Verzinsung einer Geldsumme unter bestimmten Bedingungen). Wirtschaftlich – nicht rechtlich (dazu siehe Rz. 7 ff.)- gesehen, stellt die traditionelle Anleihe deshalb die verbriefte und aufgrund ihrer Stückelung umlauffähige Form der Darlehensaufnahme (oder „Anleihe i.e.S.“) dar.12 Der Begriff ist auch im Lichte seiner Zeit und fortschreitendem Wandel zu sehen, da bis zur Einführung von Clearingsystemen und elektronischem Handel die physische Verbriefung durch effektive Stücke bzw. Teilschuldverschreibungen wesenstypisch für eine Anleihe waren. Neben den darlehensnahen Anleihen, die vordergründig der Finanzierung dienen, werden heutzutage aber nicht mehr nur reine Darlehensforderungen verbrieft. Verbrieft werden vielmehr eine unüberschaubare Anzahl verschiedenster Forderungen wie beispielsweise bei der Emission von verbrieften Derivaten, die mit der ursprünglichen, reinen Fremdkapitalaufnahme nichts mehr zu tun haben.13 Typische Formen solcher darlehensferner verbriefter Derivate sind insbesondere Zertifikate und Optionsscheine. In der Gesetzesbegründung wird ausdrücklich auf die Erfassung dieser Finanzprodukte vom Anwendungsbereich des neuen SchVG hingewiesen.14 3. Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses aus der Schuldverschreibung Das Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Anleger wird zuvorderst durch die Anleihebedingungen der jeweiligen Schuldverschreibung geregelt. Es erhält seine spezifische Prägung also gerade durch diese, ins Ermessen der Parteien gestellte, Ausgestaltung. Es stellt sich deshalb die Frage nach der Rechtsnatur dieses der Schuldverschreibung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses. Die Bestimmung dieses Rechtsverhältnisses ist, wie aus der jüngsten Rechtsprechung ersichtlich, u.a. bedeutsam für die Feststellung, aus welchen Normen sich ein eventuelles Kündigungsrecht des Anleihegläubigers ergeben kann. Eine Leihe, wie sie bereits im Wortlaut des Begriffs „Anleihe“ enthalten ist, scheidet offensichtlich aus. Da der An9 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften, http://www.gesmat.bun desgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/16_wp/schuldverschreibungsg/refe.pdf, Begründung zu § 1, S. 23 („Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes wird bestimmt durch den Begriff der Anleihe“); kritisch DAV, Stellungnahme vom August 2008, S. 7. 10 Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 8; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 69; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (5); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17). 11 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (16). 12 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (16); Horn, BKR 2009, 446 (447); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 70. 13 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (16 f.); Horn, BKR 2009, 446 (447); Podewils, DStR 2009, 1914. 14 Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, BT-Drucks. 16/12814, 16.

Artzinger-Bolten/Wöckener 17

7

§ 1 SchVG Rz. 8 Anwendungsbereich leihegläubiger dem Emittenten für eine bestimmte Zeit Gelder zur Verfügung stellt (Kapitalüberlassung), die von diesem am Ende der vereinbarten Zeit (in der Regel mit Zinsen) zurückgezahlt werden müssen, sind Anleihen jedenfalls wirtschaftlich gesehen wie Darlehen zu behandeln15. Hierdurch drängt sich der Gedanke auf, diese wirtschaftliche Gleichbehandlung als Anlass für eine auch rechtliche Gleichbehandlung mit Darlehen zu nehmen. Das Rechtsverhältnis wäre somit nach den gesetzlichen Vorschriften von §§ 488 ff. BGB zu behandeln. Dass aus dem Bedürfnis einer wirtschaftlichen Gleichbehandlung nicht zugleich ein Bedürfnis zur rechtlichen Gleichbehandlung folgt, wird dabei aber häufig verkannt. Ein erster wegweisender Unterschied in rechtlicher Hinsicht besteht aufgrund der Spezialregelung in §§ 793 ff. BGB darin, dass bei einer Schuldverschreibung im Gegensatz zu Darlehensverträgen keine synallagmatische Beziehung zwischen dem Anleihegläubiger und dem Emittenten besteht.16 Das der Schuldverschreibung zugrunde liegende Rechtsverhältnis ist ein einseitig verpflichtendes Schuldverhältnis und stellt ein selbständiges (also abstraktes, d.h. unabhängig von der zugrunde liegenden Forderung) Leistungsversprechen des Emittenten gegenüber dem Anleger i.S.d. § 780 BGB dar.17 8

Als zweiter entscheidender Unterschied ist, im Gegensatz zum Darlehensvertrag, die in der Schuldverschreibung verbriefte Art der Forderung vom Gesetzgeber nicht vorgegeben. Die in der Schuldverschreibung verbriefte Forderung muss deshalb nicht zwangsläufig auf eine Geldforderung gerichtet sein.18 Nach alledem kann schwerlich bestritten werden, dass eine Schuldverschreibung gerade keinen Darlehensanspruch aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB verbrieft.19

9

Erhärtet wird dieser Schluss durch die im Schrifttum verbreitete Ansicht, nach der Schuldverschreibungen keine Dauerschuldverhältnisse begründen.20 Dieser Ansatz wird durch die Voraussetzung eines fortgesetzten Verhaltens im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen 15 Horn, ZHR 183 (2009), 12 (16); Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 2 f. 16 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 104. 17 Wöckener/Langen, Börsenzeitung v. 8.8.2015, S. 9; Becker, WM 2013, 1736 (1739); Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 104; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 13; Maier-Reimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 129 (135); Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (407); OLG München v. 22.1.1997 – 7 U 4544/96, WM 1998, 1716 (1717). 18 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 25 f.; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (4); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17); Oulds, CFl 2012, 353 (354); Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (406); vgl. auch LG Frankfurt v. 23.1.2012 – 3-05 O 142/11, ZIP 2012, 474 (475). 19 Vgl. BGH v. 15.7.2014 – XI ZR 100/13, NZG 2014, 1234 (1236 f.) = AG 2014, 701; BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1501); BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, NJW 2005, 2917; Sester, AcP 209 (2009), 628 (640); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 3 SchVG Rz. 50; Schäfer in FS Kümpel, 2003, S. 453 (461); für den Anspruch aus § 488 BGB LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13, ZIP 2014, 1073 (1074); LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 13/11, 30 O 14/11; für analoge Anwendung LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 63/11, BB 2012, 1821 (1822) m. Anm. Trautrims; kritisch zu der Rechtsprechung Paulus, WM 2012, 1109 (1111 f.); Florstedt/von Randow, ZBB 2014, 345 (349 f.). 20 Wöckener/Langen, Börsenzeitung v. 8.8.2015, S. 9; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 104; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 337 f.; Maier-Reimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts S. 129 (135); Trautrims, BB 2012, 1821 (1824) bejaht das Vorliegen eines Dauerschuldverhältnisses, verneint aber die Anwendbarkeit des § 314 BGB wegen Vermögensverschlechterung des Emittenten; a.A. LG Köln v. 26.1.2002 – 30 O 13/11, 30 O 14/11, 30 O 63/11, BB 2012, 1821 (m. Anm. Trautrims); Horn, BKR 2009, 446 (450); Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (205); Podewils, DStR 2009, 1914 (1916); Florstedt/von Randow, ZBB 2014, 345; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 220 f.

18

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 11 § 1 SchVG

und dem ständigen Entstehen neuer Rechte und Pflichten beider Parteien während der Laufzeit des Vertrags bekräftigt. Demgegenüber handelt es sich bei einer Schuldverschreibung aber gerade um ein einseitig verpflichtendes Schuldverhältnis, woraus nur den Emittent verpflichtet wird.21 Teilt man diese Auffassung, liegt demnach noch ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu einem Darlehensvertrag, der unumstritten die Natur eines Dauerschuldverhältnisses aufweist, vor. Da somit eine wirtschaftliche Gleichbehandlung nicht zwingend mit einer rechtlichen Gleichbehandlung einhergehen muss, ist die gesetzliche Einordnung von (Inhaber-) Schuldverschreibungen in §§ 793 ff. BGB und nicht in §§ 488 ff. BGB nur konsequent.22 Aus systematischen Gründen scheidet die Anwendbarkeit von darlehensrechtlichen Vorschriften auf Anleihen folglich aus.23 Damit sind die §§ 489 oder 490 Abs. 1 BGB, die ein außerordentliches Kündigungsrecht konstituieren, nicht anwendbar, und zwar weder direkt noch analog.24 Im Gegensatz dazu bleibt das außerordentliche Kündigungsrecht des, jedenfalls in seinem Kerngehalt zwingenden, § 314 BGB bestehen.25 4. Negativer Zinssatz Konstituiert eine Schuldverschreibung demzufolge ein selbständiges Leistungsversprechen des Emittenten gegenüber dem Anleihegläubiger, stellt sich wie gegenwärtig in Zeiten extremer Niedrigzinsen bzw. niedriger Leitzinsen nach der jüngsten Finanzmarktkrise die weitergehende Frage, wie es sich verhält, wenn sich nach den einschlägigen Anleihebedingungen einer Schuldverschreibung ein negativer Zinssatz ergibt. Während die ausdrückliche Vorsehung eines negativen Kupons in der Praxis nicht aufzufinden sein wird, ist ein negativer Zinssatz bei einer variablen Ausgestaltung des Zinssatzes in Abhängigkeit von einem institutionell festgestellten Zinssatz, wie z.B. LIBOR oder EURIBOR (die sog. Zinsgleitklausel)26 zumindest rechnerisch denkbar. In dieser Konstellation wäre nicht der Emittent zur Zinszahlung an den Anleihegläubiger verpflichtet, sondern der Anleihegläubiger an den Emittenten. Die wirtschaftliche Ausgangslage und die damit einhergehenden Rollen wären schlechterdings vertauscht. Ob eine solche Zinszahlungspflicht des Anlegers vor diesem Hintergrund tatsächlich besteht, wurde bislang von der Rechtsprechung nicht geklärt.

10

Gegen die Zulassung einer Pflicht zur Zahlung von Negativzinsen spricht vor allem das tradierte Verständnis von „Zins“ als einer positiven Zahl in der deutschen Rechtsordnung.27 Der Zins ist, rein wirtschaftlich gesehen, eine Vergütung für die Überlassung von Kapital28, mithin ist es der Preis, der für die zeitweise Bereitstellung von Liquidität zu zahlen ist.29 Rein wirtschaftlich gesehen wird ein rational handelnder Kapitalgeber nur in besonderen Ausnahmefällen bereit sein, einem Kapitalnehmer kostenlos oder unter der Bedingung der Zahlung weiter Geldmittel, wie es im Fall eines negativen Zinssatzes wäre, Kapital zur Verfügung zu stellen.

11

21 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 64; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 337 ff.; kritisch dazu Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (408 ff.), im Ergebnis wird in § 314 BGB aber kein allgemeines gesetzliches Anleihekündigungsrecht in Sanierungssituationen gesehen. 22 Trautrims, BB 2012, 1821 (1824); OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 (2178) = AG 2015, 87. 23 Schäfer in FS Kümpel, 2003, S. 453 (461); Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (407). 24 Offen gelassen in LG Frankfurt/M. v. 22.1.2014 – 2-17 O 104/13 (nicht veröffentlicht). 25 So auch OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14 – Rz. 36 f., AG 2015, 87. 26 Becker, WM 2013, 1736 (1739). 27 Wöckener/Langen, Börsenzeitung v. 8.8.2015, S. 9. 28 Becker, WM 2013, 1736 (1737). 29 Coen, NJW 2012, 3329 (3330).

Artzinger-Bolten/Wöckener 19

§ 1 SchVG Rz. 12 Anwendungsbereich 12

Eine solche Ausnahmekonstellation liegt jedoch nicht bereits dann vor, wenn eine Anleihe aufgrund hoher Nachfrage mit einem so hohen Aufschlag zum ursprünglichen Emissionswert gehandelt wird, dass die Verzinsung diesen Aufschlag nicht zu kompensieren vermag.30 Hierbei handelt es sich lediglich um eine negative Rendite. Die Verzinsung der Anleihe selbst ist nicht negativ.31 Demgegenüber könnte eine anhaltende Niedrig- oder gar Negativzinspolitik einer Zentralbank, wie gegenwärtig auch seitens der EZB praktiziert, nicht nur zu einem von Banken selbst zu entrichtenden negativen Einlagezins für die Einlage bei der jeweiligen Zentralbank führen, sondern auch zu Weiterreichung eben dieses negativen Einlagezinses in Form einer Einlagegebühr oder „Guthabenkommission“32 oder aber sogar in Gestalt eines negativ verzinsten Darlehens an die Bankkunden.33

13

Auch im rechtlichen Sinne stellt der Begriff „Zins“ dabei einen positiven Betrag dar. Zwar ist der Begriff nicht legal definiert, doch schon das Reichsgericht beschrieb den Zins als „die vom Schuldner fortlaufend zu entrichtende Vergütung für den Gebrauch eines in Geld oder anderen vertretbaren Sachen bestehenden Kapitals, ausgedrückt in einem im Voraus bestimmten Bruchteil der geschuldeten Menge“.34 Diese Definition bezieht sich auf die Vergütung als Entgelt für die erbrachte Leistung in Form der Überlassung des Kapitals. Ist eine Vergütung aber konzeptionell stets ein positiver Betrag, schließt dies einen negativen Zinssatz a priori aus. Dem steht die Regelung des § 488 Abs. 3 Satz 3 BGB nicht entgegen. Sie sieht für Darlehen zwar die Möglichkeit der Kapitalüberlassung ohne Zinsverpflichtung vor. Dem Darlehensgeber wird in diesem Fall aber nur sein „Vergütungsanspruch“ genommen. Er wird nicht automatisch zu weiteren Zahlungen zugunsten des Darlehensnehmers verpflichtet. Aus der gesetzlichen Möglichkeit des zinslosen Darlehens folgt deshalb freilich nicht etwa die Anerkennung einer negativen Zinszahlungspflicht de lege lata. Vielmehr wird durch die ausdrückliche gesetzgeberische Nennung des positivverzinsten und des zinslosen Darlehens im Umkehrschluss suggeriert, der Negativzins sei vom Gesetzgeber nicht in Betracht gezogen worden.

14

Rechtlich betrachtet einziges Argument für eine Pflicht zur Zahlung von Negativzinsen kann die Möglichkeit der Entwicklung des Werts des Basiszinssatzes i.S.v. § 247 BGB unter null sein, was in Konsequenz der Zinspolitik der EZB seit dem 1.1.2013 der Fall ist. Gegen dieses durch den tatsächlichen Eintritt dieses Szenarios freilich schwerwiegende Argument ist jedoch die originär eigenständige Funktion des Basiszinssatzes einzuwenden. Er stellt hauptsächlich die kalkulatorische Ausgangsgröße dar, anhand derer andere gesetzliche Zinsen berechnet werden.35 Der Basiszinssatz kommt dabei stets nur kraft Einzelverweises zur An-

30 Coen, NJW 2012, 3329 (3330); Becker, WM 2013, 1736 (1737). 31 Auf diesen Unterschied ebenfalls hinweisend: ICSDs Guidelines on negative interest rate securities held through Euroclear Bank and Clearstream Banking, August 2015. 32 http://www.faz.net/aktuell/finanzen/geldanlage-trotz-niedrigzinsen/der-preis-des-geldes-die-neuewelt-der-negativzinsen-13429375.html; http://www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/kfw-prueft-nega tivzinsen-bekommen-schuldner-bald-geld-von-der-bank-/11639788.html. 33 http://www.faz.net/aktuell/finanzen/geldanlage-trotz-niedrigzinsen/der-preis-des-geldes-die-neuewelt-der-negativzinsen-13429375.html; http://www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/kfw-prueft-nega tivzinsen-bekommen-schuldner-bald-geld-von-der-bank-/11639788.html. 34 RG v. 24.11.2941 – II 97/41, RGZ 168, 284 (285). 35 Berger in Jauernig, 15. Aufl. 2014, § 247 BGB Rz. 1; Becker, WM 2013, 1736 (1738). Dies gilt für Verzugszinsen auf Entgeltforderungen (§ 288 Abs. 1 und 2 BGB), Verzugszinsen für Immobiliendarlehen von Verbrauchern (§ 503 Abs. 2 BGB), auch für Gesellschaftsrecht (z.B. §§ 305 Abs. 3, 320b Abs. 1 Satz 6 AktG) und Kostenrecht (z.B. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Weitere Beispiele siehe Coen, NJW 2012, 3329 (3331).

20

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 17 § 1 SchVG

wendung, nicht dagegen als Auffangregel.36 Er dient lediglich als Ausgangspunkt für die vorzunehmende Rechenoperation. Obgleich der Basiszinssatz gem. § 247 BGB nur die kalkulatorische Ausgangsgröße zur Berechnung der tatsächlichen Zinsverpflichtung darstellt, ist es nach dem Gesetzeswortlaut theoretisch möglich, dass auch die tatsächliche Zinsverpflichtung bei einem entsprechend stark negativen Basiszinssatz ins Negative fiele. Ein solches Ergebnis widerspricht jedoch sowohl dem Telos der gesetzlichen Zinsansprüche, als auch der historischen Entwicklung des § 247 BGB.

15

Bei gesetzlichen Zinsansprüchen stellt der Gläubiger dem Schuldner „unfreiwillig“ Kapital zur Verfügung (etwa im Schuldnerverzug oder im Fall eines Kostenerstattungsanspruchs). Im Fall eines solchen „Justizkredits“ soll sich das Verhalten des Schuldners daher gerade nicht lohnen dürfen.37 Dies wäre jedoch der Fall, wenn der gesetzliche Zins negativ wäre. Dann müsste der Gläubiger Zahlungen zugunsten des Schuldners leisten, obgleich das Gesetz das Verhalten des Schuldners durch die Zinszahlungspflicht sanktionieren und unterbinden möchte. Negative gesetzliche Zinsen konterkarieren daher den vom Gesetzgeber intendierten Zweck. Der Telos der Normen, die Zinszahlungspflichten vorsehen, spricht deshalb zumindest gegen einen jemals so weit ins Negative fallenden Basiszinssatz, dass es zu einem negativen Gesamtergebnis für den zu zahlenden gesetzlichen Zins kommt.38 Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte des § 247 BGB. Der Basiszinssatz ist gem. § 1 Abs. 1 DÜG der Nachfolger des Diskontsatzes. Das damalige historische Allzeittief des vormals maßgeblichen Diskontsatzes lag bei 2,5 % und im Mittel bei 4,4 %.39 Die Annahme seitens des Gesetzgebers, der nunmehrige Referenzzinssatz gem. § 247 Abs. 1 Satz 3 BGB, also der Zinssatz für die jüngste Hauptrefinanzierungsoperation der EZB40, sänke jemals auf das aktuell niedrige Niveau, kann nur schwerlich für denkbar erachtet werden.

16

Neben gesetzeshistorischen und teleologischen Aspekten sprechen insbesondere eine kapital- 17 marktorientierte Auslegung und letztendlich die damit in Verbindung stehende technische Ablauforganisation des Kapitalmarktes gegen eine Zinszahlungspflicht des Anleihegläubigers. So wird, jedenfalls in seiner Grundform, der Zins eines variabel verzinsten Darlehens durch Addition des Referenzzinssatzes zur Marge der Bank gebildet. Wird in dieser Berechnung der Referenzzinssatz negativ, verringert sich zunächst die Marge der Bank, bis im Endeffekt sogar ein negativer Vertragszins entstehen würde.41 Ebenso wie der historische Gesetzgeber werden auch die Vertragsparteien aber zumindest stillschweigend stets von einem Mindestreferenzzinssatz von 0 % ausgegangen sein. Die Vorstellung, ein Gläubiger sei bereit, womöglich unter altruistischen Gesichtspunkten, eine Fremdkapitalaufnahme (Kern einer jeden Bank- und Anlegertätigkeit) unter Aufgabe der eigenen Marge im Extremfall sogar zu subventionieren, ist schlechterdings unrealistisch. Ein solches Vorgehen ist dem Kapitalmarkt fremd und zwar bei Darlehen und Schuldverschreibungen gleichermaßen. Dies muss bei der Auslegung berücksichtigt werden. Auch der technische Ablauf der Kapitalmärkte, der selbstverständlich auf dem soeben dargestellten Verständnis der Funktionsweise von Fremdkapitalaufnahme aufbaut, lässt eine Zinszahlungspflicht des Anleihegläubigers nicht zu. So sind, bis auf das französische Euro36 37 38 39

Grundmann in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 247 BGB Rz. 3. Klose, NJ 2014, 13 (14). Klose, NJ 2014, 13 (14). Betrachtet am Monatsende, siehe die Statistik der Deutschen Bundesbank, abrufbar unter: www.bun desbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Zeitreihen_Datenbanken/Makrooekonomische_Zeitreihen/ its_details_value_node.html?listId=www_s11b_mb02&tsId=BBK01.SU0112. 40 Die EZB verwendet in Abweichung zum BGB den Begriff „Hauptrefinanzierungsgeschäft“; siehe Dokument EZB/2011/14, ABl. EU Nr. L 331 v. 14.12.2011, S. 1. 41 Wöckener/Langen, Börsenzeitung v. 8.8.2015, S. 9.

Artzinger-Bolten/Wöckener 21

§ 1 SchVG Rz. 18 Anwendungsbereich clear France, sämtliche europaweit zur Abwicklung von Wertpapiertransaktionen eingeschalteten Clearingsysteme technisch nicht auf Zahlungen durch Anleihegläubiger eingestellt.42 Die aktuellen Guidelines der ICSDs stellen diesbezüglich klar, dass Schuldverschreibungen mit festem negativen Zinssatz nicht clearingfähig sind. Ähnliches gilt für variabel verzinsliche Schuldverschreibungen, deren Zinssatz theoretisch negativ werden kann. Diesbezüglich wird davon ausgegangen, dass bedingt durch die Anleihebedingungen eine Zinszahlungspflicht des Anleihegläubigers nicht entsteht. In davon abweichenden Fällen wird allerdings grundsätzlich keine Einziehung des negativen Zinses bei den Anleihegläubigern durchgeführt. Bei inländischen Wertpapieren hingegen, die von lokalen CSDs gehalten werden, werden die ICSDs den Markt weiter beobachten und für Fälle, in denen lokale CSDs tatsächlich Negativzinsen einziehen und ein ICSD diese Wertpapiere im Bestand hat, Einzelfallentscheidungen treffen.43 Darüber hinaus ist es bei kapitalmarktfähigen Anleihen praktisch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden bzw. gar unmöglich diese Anleihegläubiger überhaupt zu identifizieren. 18

Wegen dieser Schwierigkeiten kommen bei tatsächlich gewollter Negativverzinsung in der Praxis als Gestaltungsmöglichkeiten allem voran Ausgabeaufschläge mit geringer Verzinsung oder Rückzahlungsbeträge mit Disagio in Frage.44 Bei einer variablen Verzinsung ohne ausdrückliche Negativzinsabrede stellt sich dagegen, abseits der fehlenden Möglichkeit einer Zahlungspflicht des Gläubigers, die Frage nach der letztlichen Auswirkung des Referenzzinses auf die Zinszahlungspflicht des Schuldners. Hierbei ergibt eine beiderseits interessengerechte Auslegung unter Bezugnahme eines stillschweigend vereinbarten Mindestreferenzzinssatzes, einen Mindestzinssatz in Höhe der Marge der Bank. Soweit Anleihebedingungen keine explizite Regelung vorsehen, ist dagegen regelmäßig von einer Margenreduzierung auszugehen. Aufgrund des zuvor Ausgeführten gilt somit ein Floor von null als vereinbart.45 5. Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen

19

Nach § 1 Abs. 1 SchVG müssen die Schuldverschreibungen zudem inhaltsgleich sein. Inhaltsgleichheit besteht nach der Gesetzesbegründung in dieser Hinsicht dann, wenn Schuldverschreibungen auf denselben Bedingungen beruhen und in den Bedingungen gleiche Rechte für alle Schuldverschreibungen vorgesehen sind.46

20

Der Begriff der Inhaltsgleichheit ist restriktiv auszulegen.47 Dies bedeutet hingegen nicht, die einzelnen Schuldverschreibungen müssten absolut identisch sein. Auch setzt die Anwendbarkeit des Gesetzes nicht dieselbe Verbriefungsform bei allen Schuldverschreibungen voraus, da die Modalitäten der Verbriefung auf die rechtliche Gleichartigkeit der Schuldverschreibungen ohne Einfluss sind.48 Als für die Praxis bedeutsame Folge dieser Irrelevanz der Verbriefung sind auch die sog. Tefra-D-Emissionen von Schuldverschreibungen, bei denen die zunächst ausgestellte vorläufige Globalurkunde gegen eine permanente Globalurkunde ausgetauscht wird, als inhaltsgleich i.S.v. § 1 Abs. 1 SchVG zu behandeln.49

42 ICSDs Guidelines on negative interest rate securities held through Euroclear Bank and Clearstream Banking, August 2015. 43 ICSDs Guidelines on negative interest rate securities held through Euroclear Bank and Clearstream Banking, August 2015. 44 Weitergehend zur Strukturierung von Negativzinsschuldverschreibungen Mülbert, ZHR 179 (2015) 395 (402). 45 Wöckener/Langen, Börsenzeitung v. 8.8.2015, S. 10. 46 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16. 47 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 31. 48 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16. 49 Dazu ausführlich Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 32; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 11.

22

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 23 § 1 SchVG

Ebenso nicht entscheidend für die Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen ist deren 21 Nennwert, sowie Wertpapiernummer oder Stückelung.50 Einer gänzlich willkürlichen Gestaltung von Stückelung und Nennwert stehen allerdings elementare Grundsätze des deutschen Rechts entgegen. Die im englischen Recht gängige sog. 100+1 (früher 50+1) Stückelung, lässt es beispielsweise zu, den Nennwert von Schuldverschreibungen auf 100.000 Euro (Minimum) zzgl. eines ganzzahligen Vielfachen von 1.000 Euro (Aufschlag) festzulegen, wobei die Aufschläge jeweils auf andere Anleihen verschoben werden können. Ein solches Vorgehen wird durch die eindeutige und endgültige Festlegung des Nennwerts im Rahmen der Anleihebedingungen und des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes unter deutschem Recht ausgeschlossen. Nach deutschem Recht wird der Nennwert der Anleihen endgültig in den Anleihebedingungen zwischen dem Emittenten und dem Erstwerber (zu den Emissionsmodalitäten siehe § 2 SchVG Rz. 19) festgelegt. Sie kann nicht durch Übertragung geändert werden. Ebenso muss bei einer Übertragung der Anleihen klar und bestimmt sein, welche Anzahl von Anleihen mit welchem Nennwert übertragen wird. Dies wäre bei einer beliebigen Änderungsmöglichkeit des Nennwertes unmöglich. Auch eine Begebung in mehreren verschiedenen Tranchen, also nicht zum selben Zeitpunkt, wahrt die Inhaltsgleichheit, soweit die Bedingungen der Schuldverschreibungen im Übrigen gleiche Rechte festlegen. Praktisch spielt dies vor allem bei einer der Erhöhung des ursprünglichen Emissionsvolumens einer Schuldverschreibung (Aufstockung) eine entscheidende Rolle. Im Rahmen einer solchen Aufstockung der Schuldverschreibungen ist es darüber hinaus ohne weiteres denkbar, die aufgestockte Tranche mit einem abweichenden Emissionspreis und Verzinsungsbeginn zu versehen, ohne dabei einen Verlust der Inhaltsgleichheit zu bewirken. In einem solchen Fall beruht die Abweichung lediglich auf dem späteren Emissionszeitpunkt. Der abweichende Verzinsungsbeginn stellt dabei nicht lediglich eine „technische“ Folge der späteren Begebung dar, sondern ist gerade Voraussetzung für die Inhaltsgleichheit der Tranchen. Andernfalls ergäbe sich, bedingt durch einen Verzinsungsbeginn vor Emission der Tranche, eine deutlich höhere Verzinsung. Die Inhaltsgleichheit wäre nicht mehr gegeben. Der Emissionspreis dagegen ist ohnehin kein Teil der Anleihebedingungen. In rechtlicher Hinsicht beruhen die ursprüngliche Emission und aufgestockte Tranche also auf derselben Struktur und weisen gleiche Bedingungen auf. Jede durch eine Aufstockung entstandene Tranche wird demnach mit der ursprünglichen Tranche zusammengeführt und bildet mit ihr eine einheitliche, inhaltsgleiche Emission.51

22

Dagegen sehen die einzelnen Tranchen bei Asset-Backed-Securities jeweils unterschiedliche Verzinsungen, Sicherheiten und Forderungsränge in der Insolvenz des Emittenten vor. Diese Ausgestaltung ist der Grundidee von Asset-Backed-Securities, der Gewährleistung einer festen Rangfolge bei der Erfüllung der Verpflichtungen aus den Schuldverschreibungen durch die Tranchierung eben dieser, geschuldet. Die Gläubiger der nachrangigen Tranchen erhalten Rückzahlungen und Zinsen erst dann, wenn die Gläubiger vorrangiger Tranchen vom Emittenten vollständig befriedigt sind. Zweck dieser Tranchierung ist das Ansprechen unterschiedlicher Anlegertypen, mittels der durch die Tranchierung entstehenden unterschiedlichen Risikoprofile der einzelnen Tranchen. Die Gläubiger nachrangiger Tranchen tragen mehr Risiko (bis zu einem Totalverlust). Im Gegenzug erhalten sie dafür höhere Zinsen als die Gläubiger der vorher zu befriedigenden und damit besser abgesicherten Gläubiger der vorrangigen Tranchen. Sie enthalten damit unterschiedliche Anleihebedingungen und mit-

23

50 Kusserow, RdF 2012, 4 (7); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 76. 51 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 118 f.; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 9; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 75; Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 32; Horn, ZHR 173 (2009) 12 (44); Steffek in FS Hopt, Band 2, 2010, 2597 (2602, 2604); a.A. Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 88 Rz. 50.

Artzinger-Bolten/Wöckener 23

§ 1 SchVG Rz. 24 Anwendungsbereich hin unterschiedliche Rechte. Sie sind deshalb auch nicht inhaltsgleich. Die Anwendung des § 1 SchVG in Bezug auf Asset Backed Securities ist deshalb lediglich innerhalb der spezifischen Tranchen möglich, soweit die übrigen Anwendungsvoraussetzungen des § 1 SchVG erfüllt sind.52 6. Gesamtemission 24

Als weitere Voraussetzung der Anwendbarkeit des § 1 SchVG müssen die Schuldverschreibungen aus einer Gesamtemission stammen. Dieser Begriff wird nicht legal definiert, ist aber dem § 151 StGB, der die Strafbarkeit von Geld- und Wertzeichenfälschung vorsieht, sowie den mittlerweile gestrichenen §§ 795 und 808a BGB, angelehnt, die ihrerseits jeweils das Erfordernis staatlicher Genehmigung für die Ausgabe gleichartiger Schuldverschreibungen festlegten. Des Weiteren findet sich der Terminus in den §§ 14 und 22 RechKredV, die die Rechnungslegung von Kreditinstituten regeln.53 Entsprechend dieser Begriffe handelt es sich um eine Gesamtemission, wenn eine große Zahl im Wesentlichen gleichartiger Schuldverschreibungen begeben wird, die in der Stückelung auf bestimmte Nennbeträge als Teilstücke einer Anleihe erscheinen und bei denen die Möglichkeit besteht, diese am Kapitalmarkt zu platzieren.54 Entscheidend sind damit die Kriterien der Austauschbarkeit (Vertretbarkeit oder das Vorliegen der Fungibilität der Papiere, dazu siehe auch Rz. 31) und der Kapitalmarktfähigkeit. Für eine Gesamtemission ist es aus diesem Grund nicht genügend, wenn die Schuldverschreibungen bloß auf gleichen Bedingungen beruhen. Das Gesamtemissionserfordernis geht daher über das Erfordernis der bloßen Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen hinaus.55 Eine Gesamtemission setzt mithin eine Vielzahl inhaltlich gleichartiger und untereinander austauschbarer Schuldverschreibungen voraus, die auf dem Kapitalmarkt handelbar sind.56

25

Die nach dem Leitbild von §§ 793 ff. BGB einzeln verbrieften Forderungen stammen nicht aus einer Gesamtemission, sodass sie vom Geltungsbereich des § 1 SchVG ausgeschlossen sind.57

26

Das Erfordernis einer Gesamtemission gilt auch für den, der Restrukturierung von Anleihen dienenden § 5 SchVG. Einem weiteren Gesetz, welches die Restrukturierung von (Staats-)Anleihen regelt. Dem Bundesschuldenwesengesetz sind derlei Einschränkungen fremd.58 Anders als in diesem Gesetz, hat sich der Gesetzgeber im Rahmen des SchVG bewusst gegen die Zulässigkeit von Aggregationsklauseln entschieden, die eine emissionsübergreifende Restrukturierung mehrerer Anleihen durch Mehrheitsbeschlüsse der Anleihegläubiger ermöglichen.59 Da Sinn und Zweck des neuen SchVG jedoch darin bestehen, das sog. Hold-Out

52 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 14; Sester, AcP 209 (2009), 628 (654); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 78. 53 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 17; Kusserow, RdF 2012, 4 (7); Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397. 54 Kusserow, RdF 2012, 4 (7). 55 Kusserow, RdF 2012, 4 (7 f.); dazu siehe auch Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 74; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 7. 56 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 10; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (398); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 77 f.; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 3 ff. 57 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 4. 58 Siehe § 4a Satz 2 BSchuWG. 59 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18.

24

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 28 § 1 SchVG

Problem zu lösen60, kann dies durchaus kritisch betrachtet werden.61 Die Änderung der Anleihebedingungen soll gerade nicht mehr die Zustimmung aller Anleihegläubiger erfordern. Es soll vielmehr eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung ausreichen, an die die Minderheit gebunden sein wird. So soll auch vermieden werden, dass durch den teilweisen Verzicht eines sanierungsfreundlichen Anleihegläubigers auf seine Forderung gegen den Emittenten zwecks der Ermöglichung der Restrukturierung, ein sanierungsfeindlich eingestellter Anleihegläubiger, in Kenntnis dieses Verzichts profitieren kann, wenn er nicht selbst teilweise auf seine Forderung verzichtet, um gleichsam die Solvenz des Emittenten zu erhöhen.62 Kann in dieser Konstellation der an sich sanierungsfreundliche Anleihegläubiger das Verhalten des sanierungsfeindlichen Anleihegläubigers auch nur erahnen, wird er einer Restrukturierung keinesfalls zustimmen, um den unverdienten Profit anderer Anleihegläubiger auf seine Kosten zu unterbinden.63 Dies wiederum führt zu einem seinerseits irrationalen Verhalten, welches durch das in der Spieltheorie bekannte Gefangendilemma ausführlich beschrieben wird.64 Es entsteht die für das Hold-Out Problem charakteristische Blockadesituation. Ohne Koordination der Anleihegläubiger ist in diesem Fall keine effektive Restrukturierung möglich. Nicht anders verhält es sich aber auch, wenn es nicht um die Restrukturierung innerhalb derselben Anleihe geht, sondern um eine emissionsübergreifende Restrukturierung mehrerer Anleihen desselben Emittenten. Auch in diesem Fall kann es zu einer abwartenden Haltung einzelner Anleihegläubiger kommen, die darauf spekulieren, die Anleihegläubiger anderer Schuldverschreibungen des Emittenten verhielten sich sanierungsfreundlich. Letztendlich könnten sie so selbst eine eventuelle Rechtseinbuße durch die eigene Bereitschaft zur Sanierung umgehen. Die emissionsübergreifende Restrukturierung durch Aggregationsklauseln kann dagegen das Kollektivhandlungsproblem lösen und einer Blockadesituation und der Möglichkeit einiger Anleihegläubiger einer Anleihe auf Kosten anderer Anleihegläubiger einer anderen Anleihe profitieren zu können, Einhalt bieten. Sinnvoll wäre es aus diesem Grund, emissionsübergreifende Restrukturierungen nicht nur auf Staatsanleihen zu beschränken, sondern ihre Zulässigkeit auch für Schuldverschreibungen im Sinne des SchVG festzulegen. Große praktische Bedeutung hätte die Aggregation mehrerer Emissionen außerdem für solche Produkte, wie Derivate, die in der Regel in kleineren Volumina emittiert werden, weil die Herbeiführung einer Beschlussfassung für jede einzelne Emission unverhältnismäßige Kosten und großen technischen Aufwand generieren kann.65 7. Rechtsformen der Schuldverschreibung Das SchVG gilt grundsätzlich für alle Verbriefungsformen von Schuldverschreibungen, d.h. für Inhaber-, Order- und Namensschuldverschreibungen, wobei bei Order- und Namensschuldverschreibungen besonders auf die Gewährleistung einer fungiblen Ausgestaltung zu achten ist.

27

a) Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB) Eine Inhaberschuldverschreibung stellt eine Urkunde dar, in der der Aussteller dem Inhaber der Urkunde, der im Gegensatz zu Order- und Namensschuldverschreibungen nicht na60 Ebenso Baums, ZHR 177 (2013), 807 (811 f.). 61 Ebenso Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (478); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (811 f.); Florstedt, WiVerw 2014, 155 (159 f.); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (847, 852); Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.375. 62 Kahan, 77 N.Y.U.L. Rev. 2002, 1040 (1055 f.). 63 Ebenso Schmidtbleicher in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 12, Rz. 9 f., Fn. 16. 64 Siehe dazu Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 47 ff. 65 Oulds, CFl 2012, 353 (354); Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 25; Horn, BKR 2009, 446 (449).

Artzinger-Bolten/Wöckener 25

28

§ 1 SchVG Rz. 29 Anwendungsbereich mentlich genannt wird, eine Leistung verspricht. Die Art der Leistung wird gesetzlich nicht festgelegt. Daher muss sie nicht zwangsläufig eine Geldleistung sein.66 Es gilt eine (zu widerlegende) Vermutung, dass der jeweilige Inhaber der Urkunde der Berechtigte ist. Die Inhaberpapiere haben somit uneingeschränkte Legitimationsfunktion, weil das Innehaben ausreicht, um das Recht auszuüben.67 Der Inhalt der Leistungszusage wird durch die Urkunde bestimmt. Insofern hat die Urkunde konstitutive Wirkung.68 Allein der Skripturakt, die Erstellung der Urkunde, reicht aber nicht, um die in ihr verbriefte Forderung zur Entstehung zu bringen. Dies setzt u.a. die Übertragung des Eigentums am Papier sowie den Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrages, gerichtet auf die Begebung der Forderung, voraus (siehe dazu § 2 SchVG Rz. 18 ff.). Die Übertragung des verbrieften Rechts erfolgt im Wege der Übertragung des Eigentums an der Urkunde gem. §§ 929 ff. BGB nach sachenrechtlichen Grundsätzen, also wie bei beweglichen Sachen. Das Recht aus dem Papier folgt dabei dem Recht am Papier. b) Orderschuldverschreibungen 29

Orderschuldverschreibungen sind rechtsverbriefende Urkunden, die im Unterschied zu Inhaberschuldverschreibungen den Namen des Berechtigten nennen.69 Die Übertragung erfolgt durch Übergabe und Übereignung nach den §§ 929 ff. BGB sowie zusätzlich durch Indossament. Das Indossament ist ein schriftlicher Übertragungsvermerk auf der Rückseite des Papiers darüber, dass alle Rechte aus diesem Papier auf den Erwerber übertragen werden. Erforderlich ist dabei das Vorliegen einer ununterbrochenen Kette von Indossaments, die den übertragenden Inhaber der Urkunde als Berechtigten ausweist.70 Ohne entsprechendes Indossament ist somit trotz Übergabe des Papiers keine Übertragung der Rechte aus dem Papier möglich. Die Ausgestaltung als Orderpapier bewirkt demnach eine Beschränkung der Verkehrsfähigkeit der Schuldverschreibung durch strenge Übertragungsvorschriften. Zur Verbesserung der Verkehrsfähigkeit solcher Orderschuldverschreibungen besteht aber die Möglichkeit, das Papier mit einem Blankoindossament zu versehen, wodurch ein noch nicht namentlich genannter Inhaber legitimiert wird. Dadurch werden Orderpapiere fungibel und können wie Inhaberpapiere am Kapitalmarkt gehandelt werden.71 Ihre praktische Bedeutung am deutschen Kapitalmarkt ist dennoch sehr gering. c) Namensschuldverschreibungen

30

Bei Namensschuldverschreibungen ist der Berechtigte, wie bei den Orderpapieren, namentlich benannt. Ausschließlich der auf diese Weise Benannte (sowie dessen Rechtsnachfolger) ist zur Geltendmachung der in der Namensschuldverschreibung verbrieften Forderung berechtigt. Die Besonderheit besteht in der Form der Übertragung der Forderung, welche nicht wie bei Inhaberschuldverschreibungen durch Übereignung der Urkunde, sondern im Wege der Abtretung nach § 398 BGB erfolgt. Das Recht am Papier folgt dem Recht aus dem Papier.72 Für die Übertragung der Urkunde selbst gilt daher § 952 BGB. Ein gutgläubiger Er66 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 25 f.; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (4); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (17); Oulds, CFl 2012, 353 (354); LG Frankfurt v. 23.1.2012 – 3-05 O 142/11, ZIP 2012, 474 (475). 67 Scherer in Scherer, § 1 DepotG Rz. 4. 68 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 16. 69 Als Alternative kann der Genannte den (neuen) Berechtigten als Rechtsinhaber bestimmen; vgl. Scherer in Scherer, § 1 DepotG Rz. 5. 70 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 51; Scherer in Scherer, § 1 DepotG Rz. 5. 71 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 69. 72 Scherer in Scherer, § 1 DepotG Rz. 6; Kusserow, RdF 2012, 4 (5).

26

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 33 § 1 SchVG

werb der Namenschuldverschreibungen scheidet damit aus. Die Namensschuldverschreibungen selbst haben aus diesem Grund keine uneingeschränkte Legitimationsfunktion inne. Schließlich kann der Schuldner nach Maßgabe des § 404 BGB alle Einwendungen entgegensetzen, die zur Zeit der Abtretung der Forderung gegen den bisherigen Anleihegläubiger begründet worden waren. Der Einwendungsausschluss nach § 364 Abs. 2 HGB gilt dagegen nicht. Diese rechtlichen Besonderheiten schränken die Austauschbarkeit (Fungibilität) der Namensschuldverschreibungen erheblich ein, weshalb sie nicht die für den Handel am Kapitalmarkt notwendige durchgängige Standardisierung aufweisen und sich daher zum Kapitalmarkthandel nicht ohne weiteres eignen.73 Die somit grundsätzliche Untauglichkeit der Namensschuldverschreibungen für den auf die schnelle und anonyme Abwicklung des Massengeschäfts gerichteten Kapitalmarkt hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 DepotG beseitigt. Nach § 1 DepotG sind als Wertpapiere im Sinne des DepotG nun auch Namensschuldverschreibungen zu betrachten, soweit sie auf den Namen einer Wertpapiersammelbank ausgestellt wurden. Nach der Gesetzesbegründung dient diese Ergänzung als Klarstellung, dass Namensschuldverschreibungen nach deutschem Recht nicht allein im Wege der Abtretung der Forderung übertragen werden können. Sie können genauso in das sachenrechtliche Wertpapiergiro einbezogen werden, soweit sie auf den Namen der Wertpapiersammelbank ausgestellt sind.74 Solche Papiere werden demnach nicht mehr nach zessionsrechtlichen, sondern nach sachenrechtlichen Grundsätzen übertragen. Mit dieser Klarstellung wollte der Gesetzgeber wohl die Möglichkeit des Einwendungsausschluss nach § 364 Abs. 2 HGB sowie des gutgläubigen Erwerbs eröffnen, weil ohne diese Elemente die Fungibilität nach sachenrechtlichen Grundsätzen beschränkt wäre.75 Mithin ist das SchVG auch auf die Namensschuldverschreibungen anzuwenden, soweit sie in die Girosammelverwahrung und den Effektengiroverkehr der Wertpapiersammelbank einbezogen sind. Eine Klarstellung de lege ferenda, dass die Namensschuldverschreibungen, die diesem Merkmal nicht entsprechen, vom SchVG nicht erfasst sind, bleibt angesichts der klaren Gesetzesbegründung im RegE 2008 entbehrlich.76

31

8. Arten der Schuldverschreibung Das in der Schuldverschreibung verbriefte Leistungsversprechen des Emittenten kann, wie erwähnt, in Ermangelung gesetzlicher Einschränkungen unterschiedlich ausgestaltet sein. In der Praxis haben sich daher eine Vielzahl unterschiedlicher Arten von Schuldverschreibungen etabliert, die dem Anwendungsbereich des neuen SchVG unterfallen. Zu nennen sind insbesondere:

32

a) Klassische Anleihen (fixed rate notes/plain vanilla bonds) Die klassische Anleihe besitzt einen festen Zinssatz und eine festgelegte Dauer. Ihre Funktion besteht in der Ermöglichung der (Fremd-)Kapitalaufnahme auf dem Kapitalmarkt und gilt als eine Alternative zu einem Bankkredit. Sie entspricht einer Darlehensaufnahme gegen feste Verzinsung und Rückzahlung des Kapitals am Ende der Laufzeit. Die festen Nominalzinssäte werden üblicherweise alle sechs oder zwölf Monate gezahlt.77

73 74 75 76 77

A.A. Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 60. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 28. Kusserow, RdF 2012, 4 (9). A.A. Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (851). Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 9 f.; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 62.

Artzinger-Bolten/Wöckener 27

33

§ 1 SchVG Rz. 34 Anwendungsbereich b) Anleihen mit variablem Zinssatz (floating rate notes) 34

In Unterschied zu fest verzinslichen Anleihen erfolgt bei Anleihen mit variablem Zinssatz eine regelmäßige (üblicherweise im Abstand von drei, sechs oder 12 Monaten) Anpassung des Zinssatzes an einen Referenzzinssatz (mit einem Zuschlag oder Abschlag, der sog. Marge). Als Referenzzinssatz werden hierfür zumeist die Referenzzinssätze eines Interbankenmarktes wie z.B. LIBOR (London Interbank Offered Rate) oder EURIBOR (European Interbank Offered Rate) verwendet.78 Diese werden jeweils auf Tages-, Wochen-, Monats-, Quartals, Halb-, und Ganzjahresbasis bestimmt. c) Nullkuponanleihen (zero coupon notes/zero bonds)

35

Bei Nullkuponanleihen wird dem Anleger keinerlei laufende Zinszahlung gewährt. Lediglich am Ende der Laufzeit der Anleihe kommt es zur Auszahlung des Kapitals. Die Rendite ergibt sich aus der Differenz zwischen dem Ausgabepreis und dem Rückzahlungsbetrag.79 Dabei wird entweder der Ausgabekurs durch Abzinsung vom Nennwert der Anleihe berechnet (reine Zerobonds) oder der Rückzahlungspreis wird umgekehrt durch Aufzinsung des Ausgabepreises errechnet (Aufzinsungsanleihe). Wirtschaftlich bestehen dabei keine Unterschiede. d) Hochzinsanleihen (high yield bonds)

36

Eine besondere Form der Anleihe stellt die sog. Hochzinsanleihe dar, die ihren Ursprung in den USA gefunden hat, sich heutzutage aber auch in Europa zu einer wirtschaftlich äußerst relevanten Anleiheform entwickelte.80 Hochverzinsliche (Risiko-)Anleihen sind Anleihen von Non-Investment-Grade-Emittenten, d.h. solcher Emittenten, deren Bonität von Ratingagenturen mit BB+ (Fitch und S&P) bzw. Ba1 (Moody’s) oder schlechter eingestuft wird. Diese Produkte zeichnen sich durch ein hohes Ausfallrisiko aus. Der Zinssatz dient als Kompensation und Anreiz für die Übernahme der hohen Bonitätsrisiken.

37

Hochzinsanleihen dienen vor allem der Finanzierung wirtschaftlich schwacher Unternehmen sowie risikobehafteten Geschäften, wie z.B. der Zwischenfinanzierung bei Sanierungen oder Unternehmensübernahmen.81 Die Emission von Hochzinsanleihen erfolgt überwiegend im Rahmen von Privatplatzierungen sowie, bei Einbeziehung eines bestimmten institutionellen Investorenkreises in den USA (qualified institutional buyers), nach Rule 144a des Securities Acts von 1933.82 Insgesamt besteht eine gewisse Ähnlichkeit zu einer anderen Form der Kapitalaufnahme, dem syndizierten Darlehen.83 Zwar enthalten Hochzinsanleihen in der Regel im Gegensatz zu syndizierten Darlehen keine Maintenance Covenants, die wirtschaftliche Entwicklung des Emittenten durch die Pflicht zur Einhaltung bestimmter Finanzkennzahlen regeln.84 Es werden aber in den Anleihebedingungen ebenso Zusicherungen und Verhaltenspflichten (Covenants) des Emittenten vorgeschrieben, die diesen einem strengen Regime von Verhaltensregeln unterwerfen, um die Zahlungsfähigkeit während der

78 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 63. 79 Vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 22. 80 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (18); Lürken, CFl 2011, 352; Hutter in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 18 Rz. 9; Balz, ZBB 2009, 401; Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429. 81 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (19). 82 Bungert/Paschos, DZWiR 1995, 133. 83 Zu Vor- und Nachteilen gegenüber einem syndizierten Darlehen siehe Balz, ZBB 2009, 401 (402 f.). 84 Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429 (431); Balz, ZBB 2009, 401 (404).

28

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 39 § 1 SchVG

Laufzeit der Anleihe sicherzustellen. Solche Verhaltensweisen stellen das Kernstück der Anleihebedingungen dar und grenzen high yield bonds von der traditionellen Anleihe ab.85 e) Hybridanleihen (hybrid bonds) Auch Hybridanleihen sind grundsätzlich als Mittel zur Aufnahme von Fremdkapital ein- 38 zuordnen. Als Charakteristikum enthalten Hybridanleihen aber in den Anleihebedingungen eine Nachrangklausel, nach der Anleihegläubiger der Hybridanleihe im Insolvenzfall erst nach den Gläubigern nicht nachrangiger Forderungen zu befriedigen sind. Ferner sehen ihre Anleihebedingungen besondere Kündigungs- und Laufzeitregelungen vor. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen unbefristeten (sog. ewige Anleihen oder perpetual bonds) und befristeten aber sehr langen (z.B. 99 Jahre) Laufzeiten. Bei perpetual bonds erfolgt keine Rückzahlung des Kapitals, sondern nur Zinszahlungen. Bei befristeten Hybridanleihen sind die Kündigungsrechte der Anleihegläubiger bei gleichzeitigem Beibehalt des Kündigungsrechts des Emittenten (wie etwa im Fall der nachträglichen Unwirtschaftlichkeit der Anleihe) ausgeschlossen. Diese Besonderheiten rechtfertigen es, Hybridanleihen unter gewissen Voraussetzungen in bilanz- und aufsichtsrechtlicher Sicht auch als Eigenkapital einzustufen. Sie weisen mithin Merkmale sowohl des Fremd- als auch des Eigenkapitals auf.86 Diese Mischform, zu der auch stille Beteiligungen und Nachrangdarlehen zu zählen sind, wird in der Praxis zuweilen als Mezzanine-Kapital bezeichnet.87 Die individuelle Ausgestaltung der Anleihebedingungen ist dabei stets abhängig vom Emittenten der Anleihe und dem Emissionszweck. Zu unterscheiden sind insbesondere Anleihen von Finanz- und Versicherungsinstituten einerseits und Nicht-Finanzunternehmen andererseits. aa) Regulatorisches Eigenkapital Traditionell werden Hybridanleihen vor allem von Kredit- und Versicherungsinstituten emittiert, die sich auf diesem Wege regulatorisches Eigenkapital beschaffen können.88 Insbesondere durch die Umsetzung von Basel III und die damit einhergehenden verschärften Eigenkapitalanforderungen haben Hybridanleihen gegenwärtig deutlich an Bedeutung gewonnen. Sie werden in diesem Rahmen als zusätzliches Kernkapital (Additional Tier 1 Capital) eingeordnet. Eine relativ neue Form der Hybridanleihen zum Zweck der Beschaffung regulatorischen Eigenkapitals sind Contingent Convertible Bonds (CoCo Bonds). CoCo Bonds stellen hybride Schuldverschreibungen dar, die im Gegensatz zur klassischen Form der Wandelanleihen nicht nach dem Willen des Anleihegläubigers, sondern automatisch beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses (sog. Trigger), welches häufig im Unterschreiten einer bestimmten Eigenmittelanforderung liegt, von Fremd- in Eigenkapital gewandelt werden. Die Anleger werden im Falle der Wandlung von Anleihegläubigern zu Aktionären des Emittenten. Auf diese Art und Weise ist es möglich, die Eigenkapitalausstattung des Emittenten in ungünstigen Situationen zu verbessern. Statt das eingebrachte Fremdkapital in Eigenkapital zu wandeln, können die Anleihebedingungen von CoCo Bonds auch eine Abschreibung des Kapitals vorsehen. Diese sog. WriteDown CoCo Bonds sind ähnlich wie die „klassischen“ CoCo Bonds konzipiert. Im Gegen85 Balz, ZBB 2009, 401 (405); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 1 SchVG Rz. 67; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (19); Schlitt/Hekmat/Kasten, AG 2011, 429 (430 ff.). 86 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (19 f.); Schäfer in FS Kümpel, 2003, S. 453 (454). 87 Schöning/Dörge, CF 2015, 345. 88 Lawall in Friedl/Hartwig-Jacob, Anh. § 1 SchVG Rz. 26; Gleske in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 16 Rz. 19 ff.

Artzinger-Bolten/Wöckener 29

39

§ 1 SchVG Rz. 40 Anwendungsbereich satz zu klassischen CoCo Bonds, bei denen der Anleihegläubiger durch Eintritt des Triggers zum Aktionär des Emittenten wird, muss bei Write-Down CoCo Bonds das Fremdkapital endgültig abgeschrieben werden.89 Statt einer Wandlung in eine Eigenkapitalbeteiligung verliert der Anleihegläubiger in diesem Fall sein eingesetztes Kapital vollständig. Ist diese Abschreibung endgültig, bezeichnet man die Anleihen auch als Permanent-Write-Down CoCo Bonds. Kann dagegen bei Eintritt eines entgegengesetzten Triggers, also bei erneutem Überschreiten einer bestimmten Eigenmittelanforderung seitens des Finanzinstituts, das abgeschriebene Kapital aus Gewinnen wieder zugeschrieben werden, bezeichnet man die Anleihen als Temporary-Write-Down CoCo Bonds. bb) Corporate Hybridanleihen 40

Corporate Hybridanleihen sind von Unternehmen außerhalb des Banken- und Finanzbereichs emittierte Hybridanleihen, die zuvorderst der Stabilisierung und Absicherung des Credit Ratings, insbesondere nach fremdfinanzierten Akquisitionen und Investitionen, dienen. Stellten Versorgungsunternehmen beim erstmaligen Aufkommen von Corporate Hybridanleihen und in den Folgejahren den Großteil der Platzeure dar, nehmen gegenwärtig immer mehr Industrieunternehmen am Markt teil. Die Anleihebedingungen solcher Corporate Hybridanleihen entsprechen der klassischen Hybridgestaltung (siehe Rz. 38). Sie sind mit einer Nachrangklausel versehen und haben typischerweise eine sehr lange, im Regelfall aber nicht ewige Laufzeit und können ein Aussetzen der Zinszahlungen vorsehen. Im Gegensatz zu CoCo Bonds sehen die Anleihebedingungen von Corporate Hybridanleihen keine Triggerevents vor, deren Eintritt zur Umwandlung des Fremdkapitals in Eigenkapital oder eine Abschreibung auslöst. Charakteristisch für Corporate Hybridanleihen ist zudem, dass sie nach einem bestimmten Zeitpunkt vom Emittenten zu pari zurückerworben werden können. Nach Ablauf einer solchen Rückkaufsoption erhöhen sich die Kuponzahlungen um sog. Step-ups in der Summe üblicherweise um 100 Basispunkte.90 Im Unterschied zu High-Yield Anleihen, bei denen die Preisbildung maßgeblich vom erhöhten Emittentenausfallrisiko geprägt ist, spielt bei Corporate Hybridanleihen die sog. Subordinationsprämie eine entscheidende Rolle. Sie ist die Differenz im Credit-Spread zwischen Hybridanleihen und vergleichbaren Senior-Notes des Emittenten, stellt also eine zusätzliche Verzinsung als Gegenleistung für das erhöhte Risiko dar, welches der Anleger durch die Nachrangabrede zu tragen hat.91 cc) Genussscheine

41

Genussscheine stellen die verbriefte Form des Genussrechts dar. Genussscheine werden in der Praxis überwiegend als Inhaberschulverschreibung i.S.v. § 793 BGB ausgegeben.92 Grundsätzlich ist aber auch eine Ausgestaltung als Namensschuldverschreibung denkbar und bei gewünschter Vinkulierung geboten. Der Begriff des Genussrechts ist nicht legal definiert, findet sich aber u.a. in § 221 Abs. 3 und 4 AktG. Bei den Genussrechten handelt es sich um schuldrechtliche Forderungen gegen das Unternehmen auf Teilhabe am Gewinn oder Liquidationserlös. Dabei wird der Genussscheininhaber nicht zum Gesellschafter.93 Es werden also, anders als bei Aktien, keine Mitgliedschaftsrechte eingeräumt. Genussscheine stellen daher zunächst Fremdkapital dar. Die Genussscheinbedingungen sehen dazu aber regelmäßig eine Nachrangabrede und eine Mindestlaufzeit von 5 Jahren unter Ausschluss des ordentlichen 89 90 91 92 93

30

Bader, AG 2014, 472 (480). Minor, Börsenzeitung v. 22.8.2015, S.13. Minor, Börsenzeitung v. 22.8.2015, S. 14. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 72. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 72; vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, NJW 1993, 57 (58) = AG 1993, 125.

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 42 § 1 SchVG

Kündigungsrechts der Anleihegläubiger vor.94 Zusätzlich werden die Anleihegläubiger an den Verlusten des Emittenten beteiligt. Im Regelfall handelt es sich dabei um eine sog. laufende Verlustteilnahme, bei der spätere Gewinne des Emittenten vorranging zur Wiederauffüllung des Genussscheinkapitals dienen sollen.95 Wie auch bei den übrigen Ausprägungen hybriden Kapitals, rechtfertigt diese Ausgestaltung eine Einordnung des Genussscheinkapitals als bilanzielles Eigenkapital. In steuerlicher Hinsicht hingegen kann der Emittent die Ausschüttungen auf die Genussscheine unter gewissen Voraussetzungen wie Fremdkapital behandeln, sie also bemessungsgrundlagenmindernd als Betriebsausgaben ansetzen. Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG ist dies möglich, wenn die Genussscheine keine Beteiligung sowohl am Gewinn als auch am Liquidationserlös (kumulativ) vorsehen. In der deutschen Praxis hat es sich daher etabliert, die Beteiligung am Liquidationserlös auszuschließen. Beachtenswert ist darüber hinaus neben der Bedeutung des Liquidationserlöses für bilanzielle Fragen, die insolvenzrechtliche Bedeutung des Rangrücktritts, da Forderungen mit Rangrücktritt nicht in der Überschuldungsbilanz passiviert werden müssen. Der BGH96 setzt für eine solche Ausbuchung aus der Überschuldungsbilanz einen qualifizierten Nachrang voraus, bei dem die Forderung des Anlegers im Rang hinter den Gläubigerforderungen des § 39 Abs. 1 Nr. 1-5 InsO zurücktreten und gleichranging mit Gesellschafterforderungen stehen. Bei einem einfachen Nachrang hingegen tritt die Anlegerforderung nur hinter die Forderungen des § 39 Abs. 1 Nr. 1-5 InsO zurück, besteht aber weiter vor Gesellschafterforderungen. Ob dieser einfache Nachrang bei Genussrechten von Anlegern, in Anlehnung an § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO, welcher sich zuvorderst auf die Rückgewähr von Forderungen aus Gesellschafterdarlehen bezieht, genügt, scheint zweifelhaft. Der Nachrang selbst muss nur für den Fall des Insolvenzverfahrens vereinbart sein. Ein Nachrang im Falle der Krise des Emittenten ist nicht erforderlich, hat sich in der Praxis aber als empfehlenswert etabliert. Die Anwendbarkeit des alten SchVG 1899 auf Genussscheine stand lange Zeit in Frage. Die Rechtsprechung verneinte in Anlehnung an die herrschende Lehre die Anwendbarkeit des Gesetzes in Bezug auf Genussscheine, die eine Beteiligung am Verlust der begebenden Gesellschaft vorsehen.97 Ausschlaggebend dafür war der Wortlaut des § 1 Abs. 1 des SchVG 1899, nach dem nur Schuldverschreibungen „mit im Voraus bestimmten Nennwerten“ erfasst waren. Diese Voraussetzung sei bei den Genussscheinen mit Verlustbeteiligung nicht gegeben, weil der Rückzahlungsanspruch bedingt und von Anfang an unbestimmt sei. Die Entstehungsgeschichte und der Regelungszusammenhang des SchVG 1899 sollten dies bestätigen. Die Einschränkung, nach der Schuldverschreibungen „mit im Voraus bestimmten Nennwerten“ ausgestellt sein sollen, findet sich nicht mehr im neuen SchVG. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes werden nach § 1 SchVG ausdrücklich nur Pfandbriefe und Anleihen der öffentlichen Hand ausgenommen. Der Gesetzgeber, dem der Streit in Bezug auf Genussscheine bekannt war, hat § 1 SchVG geändert und explizit in der Gesetzesbegründung auf die Anwendbarkeit des SchVG auf „alle Arten der Schuldverschreibungen“ hingewiesen.98 Auch der Sinn und Zweck des Gesetzes spricht für die Einbeziehung von Genussscheine in den Anwendungsbereich. Das Gesetz sieht eine erhebliche Erweiterung der Gläubigerrechte vor und legt Koordinationsmechanismen bei der Restrukturierung fest, die das gemeinsame Handeln bei der Geltendmachung von Rechte ermöglichen. Dieses Bedürfnis bleibt dabei 94 von Alvensleben in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, 2. Aufl. 2007, Rz. 597. 95 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 35. 96 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BB 2001, 430 (432) = AG 2001, 303. 97 OLG Frankfurt v. 28.4.2006 – 20 W 158/06, WM 2007, 828 (829); a.A. Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 252; Scholz/Breu, DZWiR 2007, 125 (127); für analoge Anwendung Hirte, ZIP 1991, 1461 (1468). 98 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 28; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 73.

Artzinger-Bolten/Wöckener 31

42

§ 1 SchVG Rz. 43 Anwendungsbereich bei den Anleihegläubigern auch weiterhin bestehen, auch wenn sie durch Verlustbeteiligungen die Reduzierung der Hauptforderung akzeptieren müssen, um eine effektive Sanierung des Emittenten zu gewährleisten.99 Das neue SchVG erfasst folglich auch Genussscheine. Dieses Ergebnis wird von der BGH-Rechtsprechung bestätigt.100 f) Zertifikate (certificates) 43

Zertifikate stellen eine typische Form von verbrieften Derivaten dar, die nach der Gesetzesbegründung (ebenso wie Optionen) von der Geltung des SchVG erfasst sind.101 Zertifikate verbriefen Forderungen, deren Umfang von der künftigen Entwicklung eines oder mehrerer Basis- oder Referenzwerte (Underlying), etwa eines Wertpapiers, bestimmter Wirtschaftsgüter, eines Index oder einer Währung abhängt. Sie enthalten somit im Gegensatz zur klassischen Anleihe in der Regel keine feste Verzinsung und sind mit einer speziellen Regelung zur Rückzahlung ausgestattet. Zertifikate werden in der Regel als Inhaberschuldverschreibungen i.S.v. § 793 Abs. 1 Satz 1 BGB begeben.102 g) Optionsscheine (warrants)

44

Optionsscheine beruhen ebenso auf einer derivativen Komponente. Sie verbriefen das Recht eine bestimmte Anzahl eines Basiswertes, oder deren Gegenwert zu einem bestimmten, vorher festgelegten Preis vom Emittenten zu erwerben (Call-Option) oder an ihn zu verkaufen (Put-Option). Optionsscheine werden in der Regel auf den Inhaber ausgegeben und sind demnach Inhaberschuldverschreibungen.103 h) Aktienanleihen (reverse convertible bonds/equity linked bonds)

45

Aktienanleihen gehören zur Gruppe der verbrieften Derivate. Bei den Aktienanleihen handelt es sich um Anleihen, die mit einer hohen Verzinsung (meistens deutlich über dem Marktniveau) ausgestattet sind und deren Kurs an den Preis einer oder mehrerer Aktie(n) als Basiswerte geknüpft ist. Dafür behält sich der Emittent das Wahlrecht vor, am Ende der Laufzeit dem Anleger statt der Rückzahlung des Nennwertes der Anleihe eine bestimmte Anzahl Aktien zu einem vorher festgelegten Kurs zu liefern. Der Anleihegläubiger erkauft sich die hohe Rendite bei einer solchen Anleihe mit dem Risiko zur Abnahme von Aktien verpflichtet zu sein.104 Aktienanleihen haben somit einen erkennbar hybriden Charakter. Begeben werden Aktienanleihen zumeist als Inhaberschuldverschreibungen. Eine Ausgestaltung als Namensschuldverschreibung ist aber möglich.

99 Lorenz/Pospiech, DB 2009, 2419 (2422); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 31; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 73 f. 100 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1878) = AG 2014, 784. 101 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16. 102 Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 14; Podewils, ZHR 174 (2010), 193; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (21); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 69; Habersack, ZIP 2014, 1149 (1150). 103 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (20); Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (530 f.); vgl. den Fall BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500. 104 Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (533); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 12; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (20); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 33; vgl. den Fall BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311.

32

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 48 § 1 SchVG

i) Wandelanleihen (convertible bonds) Die in § 221 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG geregelten Wandelanleihen verbriefen, wie Aktienanleihen, das Recht, Fremdkapitalanteile in Eigenkapital (Aktien) unter Aufgabe der Anleihegläubigerposition umzutauschen. Mit der Ausübung dieses Recht erlischt also die auf die Rückzahlung des Kapitals und Zinsen gerichtete Forderung.105 Als echte Schuldverschreibung, die in der Regel als Inhaberschuldverschreibung begeben wird, begründet die Wandelanleihe bis zum Zeitpunkt der Ausübung des Wandlungsrechts lediglich ein Zahlungsversprechen und vermittelt mithin noch keine Mitgliedschaftsrechte.106 Das Wandlungsrecht steht im Gegensatz zu Aktienanleihe nicht dem Emittenten, sondern dem Anleger zu.

46

j) Pflichtwandelanleihen (Mandatory Convertible Bonds) Pflichtwandelanleihen sind Wandelanleihen, die am Ende ihrer Laufzeit eine Wandlungspflicht vorsehen und eine ordentliche Kündigung ausschließen. Anleihegläubiger sind demnach nicht nur zur Wandlung berechtigt, sondern dazu am Ende der Laufzeit verpflichtet. Rechtlich wird man diesen Teil der Anleihebedingungen als Vorvertrag einzuordnen haben.107 Pflichtwandelanleihen bewirken somit spätestens zum Laufzeitende zwingend, außer im Falle einer außerordentlichen Kündigung, eine Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital. Zwar ist die tatsächliche Schaffung von Eigenkapital damit aufschiebend befristet108. Da die Anleihegläubiger aber, abgesehen von einer außerordentlichen Kündigung, keinen Anspruch auf Barrückzahlung haben, ist die Pflichtwandelanleihe für den Emittenten bereits vom Emissionszeitpunkt an als bilanzielles Eigenkapital einzuordnen. Während vor Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 unklar war, ob Pflichtwandelanleihen auch dann noch unter § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG fallen und dementsprechend ein tauglicher Zweck zur dazu notwendigen bedingten Kapitalerhöhung besteht, wenn sie neben der Umwandlungspflicht kein weitergehendes Umtauschrecht vorsehen, wurde durch die Aktienrechtsnovelle die Zulässigkeit dieser Ausgestaltung der Anleihebedingungen und damit verbunden die Zwecktauglichkeit für eine bedingte Kapitalerhöhung nunmehr gesetzlich klargestellt. Bedingtes Kapital kann demnach auch für Wandelanleihen mit Umtauschrecht der Gesellschaft geschaffen werden, ohne dass damit Aussagen über eine etwaige Zulässigkeit anderer, im Gesetz nicht genannter Gestaltungsformen getroffen werden.

46a

k) Umtauschanleihen (exchangeable bonds) Im Unterschied zu Wandelanleihen gewähren Umtauschanleihen dem Anleger das Recht zum Umtausch der Anleihe in von Aktien einer Drittgesellschaft und nicht des Emittenten selbst. Meistens ist diese Drittgesellschaft eine Tochter-AG des Emittenten.109 Auch Umtauschanleihen sind im Regelfall als Inhaberschuldverschreibungen begeben.

47

l) Optionsanleihen (warrant bonds) Optionsanleihen sind (Inhaber-)Schuldverschreibungen, die Anleihegläubigern neben dem Recht auf Rückzahlung des Anleihenennwerts nach Laufzeitende und laufenden Zinszahlungen die Option (warrant) gewähren, statt der Rückzahlung eine bestimmte Zahl von Aktien 105 Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 11. 106 Meiisel/Bokeloh, CFl 2010, 35. 107 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Rozijn, ZBB 1998, 77 (81). 108 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 11. 109 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 32 f.; Seibt, CFl 2010, 165 (167).

Artzinger-Bolten/Wöckener 33

48

§ 1 SchVG Rz. 49 Anwendungsbereich des Emittenten zu einem festgelegten Preis zu erwerben.110 Optionsanleihen sind mithin Anleihen, die mit einem Bezugsrecht verbunden sind (§ 221 Abs. 1 Satz Alt. 2 AktG).111 Das Bezugsrecht wird dabei häufig eigens in einem Optionsschein verbrieft, sodass es ab einem gewissen Zeitpunkt losgelöst von der Anleihe handelbar ist.112 m) Asset Backed Securities (ABSs) 49

Asset Backed Securities sind Wertpapiere, die Zahlungsansprüche, die durch Vermögenswerte gedeckt (besichert) sind (asset backed), verbriefen. Sie stellen in der Regel das Mittel der Refinanzierung von Banken dar und dienen als Instrument zur Weitergabe von Kreditrisiken, indem Darlehensforderungen in Anleihen verbrieft werden, um sie in dieser Form gesammelt an Anleger zu weiterzuverkaufen, wodurch in der Regel anders als bei Covered Bonds (siehe dazu sogleich Rz. 65) auch die zugrunde liegende Forderung aus der Bilanz der Bank ausgebucht wird.113 Zu diesem Zweck gründen die refinanzierenden Banken Zweckgesellschaften (special purpose vehicle, SPV), auf die die Vermögenswerte, in der Regel Darlehensforderungen, übertragen werden. Dies erfolgt entweder durch einen Verkauf mit bilanzbefreiender Wirkung (true sale) oder einen Verkauf ohne diese Wirkung, bei dem die Vermögenswerte in der Bilanz des Verkäufers verbleiben und lediglich synthetisch nachgebildet werden, sodass de facto nur das Ausfallrisiko auf den Anleihegläubiger übergeht (synthetic sale). Die Zweckgesellschaften refinanzieren sich durch die Emission von Schuldverschreibungen, wobei die Kapitaltilgung und Zinszahlung an die Anleger aus den auf die Vermögenswerte eingehenden Zahlungen geleistet werden.114 n) Collateralised Debt Obligations (CDOs)

50

Bei Collateralised Debt Obligations, einer Unterform von ABS, werden Kreditforderungen in Portfolios zusammengefasst und in unterschiedliche Risikoklassen, sog. Tranchen (Senior Tranche, Mezzanine Tranche und Equity Tranche) mit unterschiedlichen Verlustrangstufen, eingeteilt. Die Zahlungseingänge aus den der Anleihe unterliegenden Kreditforderungen werden nicht gleichermaßen zwischen diesen Tranchen verteilt, sondern entsprechend ihrer Risikoklasse in einer bestimmten Rangfolge. Die Senior Tranche weist den höchsten Rang auf, gefolgt von der Mezzanine und Equity Tranche, gewährt aber entsprechend dem geringeren Risiko die kleinste Rendite. Die zuletzt bedienten Tranchen (Equity Tranchen) weisen die höchste Risikoklasse auf und sehen die höchsten Coupons, um die Übernahme des höheren Risikos auszugleichen.115 o) Credit Linked Notes (CLNs)

51

Credit Linked Notes verbriefen Forderungen auf Kapitaltilgung und Verzinsung in Abhängigkeit von dem Eintritt eines Kreditereignisses bei einem Referenzschuldner. Die Besonderheit dieses Finanzprodukts besteht darin, dass der Anleger bei dem Eintritt des Kreditereignis110 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 31 f. 111 Seibt, CFl 2010, 165 (167); Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (531); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 24. 112 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 6. 113 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (22); Geiger in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 22 Rz. 2 ff. 114 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (22 f.); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 70; Geiger in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 22 Rz. 6. 115 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (23); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 34 f.; Wittinghofer, NJW 2010, 1125 (1126).

34

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 54 § 1 SchVG

ses das doppelte Risiko trägt. Er übernimmt sowohl das Ausfallrisiko des Referenzschuldners als auch des Emittenten. 9. Schuldscheindarlehen Schuldscheindarlehen entsprechen nicht dem Begriff der Schuldverschreibung und sind vom Anwendungsbereich des SchVG nicht erfasst. Das Schuldscheindarlehen stellt ein gegen Ausstellung eines Schuldscheins eingeräumtes Darlehen dar. Wirtschaftlich weist es, ähnlich einer Schuldverschreibung, die Funktion der Kapitalüberlassung auf Zeit auf. In rechtlicher Hinsicht handelt es sich aber bloß um ein Darlehen i.S.v. § 488 BGB. Der Schuldschein dient lediglich als Beweisurkunde (§ 371 BGB). Ihm kommt keine Legitimationsfunktion zu, sodass die Innehabung dieser Urkunde nicht genügt, um das Recht geltend machen zu können. Der Schuldschein ist mithin kein Wertpapier.116 Da Schuldscheine in der Regel unbegrenzt übertragbar sind, nehmen sie de facto eine Stellung zwischen Konsortialkrediten und Anleihen ein und besitzen somit dennoch eine gewisse Kapitalmarktnähe.117 Gerade die wenigen formalen Anforderungen, wie das Fehlen einer Prospektpflicht und sonstiger öffentlich rechtlicher Genehmigungsvorbehalte, machen Schuldscheine für nicht kapitalmarktfähige Unternehmen äußerst interessant.

52

Einen ähnlichen Emittentenkreis sprechen European Private Placements an. Bei dieser Art 53 der Privatplatzierung wird, ähnlich wie bei Schuldscheindarlehen, ein Volumen von 20-250 Mio. Euro pro Transaktion platziert. Der Kreis der Investoren hingegen ist mit 1-3 Investoren pro Platzierung deutlich kleiner. Zur Schaffung weiterer Anreize, den Markt für EU Private Placements zu nutzen wurde von Banken und Asset Managern mit Unterstützung diverser Kanzleien und den niederländischen Aufsichtsbehörden eine Initiative gestartet, die als Hauptziel die Standardisierung der notwendigen Dokumentation hat. Dadurch soll die Akzeptanz bei Investoren und schließlich die Verbreiterung des Marktes gewährleistet werden. Vorbild für diese Initiative ist der amerikanische Private Placement Markt. Eine Institutionalisierung von zugehörigen Ratingsystemen ist dabei allerdings nicht geplant. EU Private Placements benötigen im Gegensatz zum amerikanischen Pendant nämlich gerade kein Rating.

III. Örtlicher Anwendungsbereich Das SchVG gilt für Schuldverschreibungen, die nach deutschem Recht begeben sind. Die Wahl deutschen Rechts ist mithin Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit des SchVG. Der Sitz des Emittenten spielt keine Rolle. Dadurch unterscheidet sich das SchVG vom alten SchVG 1899 ganz entscheidend, da das alte Gesetz seinen Anwendungsbereich in § 1 Abs. 1 ausdrücklich auf Anleiheschuldner mit Sitz in Deutschland beschränkte. Durch diese Regelung erlangte das SchVG 1899 kaum nennenswerte praktische Bedeutung.118 Diese Schwäche hat der Gesetzgeber beseitigt. Nun sieht das neue SchVG keine Beschränkung bezüglich des Sitzes des Emittenten vor und knüpft die Anwendbarkeit des Gesetzes lediglich an die Wahl deutschen Rechts. Somit gilt das SchVG sowohl für Inlandsanleihen als auch für Auslandsanleihen, also Anleihen der Emittenten, die ihren Sitz im Ausland haben.119 Prak116 OLG Stuttgart v. 22.10.2004 – 9 U 127/04, WM 2005, 969 (970); Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (531); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 71. 117 Wehrhahn, BKR 2012, 363 f. 118 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. 119 Horn, BKR 2009, 446 (447); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (479); Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (225).

Artzinger-Bolten/Wöckener 35

54

§ 1 SchVG Rz. 55 Anwendungsbereich tische Bedeutung hat dies freilich zuvorderst für Anleihen, die u.a. aus steuerlichen Gründen über im Ausland ansässige Finanzierungstöchter deutscher Unternehmer begeben werden120 und nach dem eben Gesagten dem SchVG unterfallen. 55

Die Anleihebedingungen müssen dabei keine ausdrückliche Rechtswahlklausel enthalten. Ausreichend ist, wenn die Anleihe nach Auslegung der Anleihebedingungen deutschem Recht untersteht.121

56

Für jede Schuldverschreibung kann es nur ein einziges Wertpapierrechtsstatut geben, nach welchem sich der Inhalt, die Entstehung und der Untergang des verbrieften Rechts richten.122 In der Praxis wird jedoch häufig in spezifischen Klauseln der Anleihebedingungen eine Teilverweisung auf ein anderes Recht vorgenommen. Es liegt also eine Ausnahme zum primär gewählten Wertpapierrechtstatut vor.123 Praktisch relevant ist dies vor allem für den Fall, dass eine ausländische Muttergesellschaft eine Garantie zur Besicherung der Zahlungsansprüche der Anleihegläubiger übernimmt und die Garantie der Rechtsordnung des Sitzes der Muttergesellschaft unterstellt wird. Ebenso erfolgt eine Teilverweisung bei der Bestellung von Realsicherheiten, die dem Recht des Landes unterliegen, in dem sie belegen sind, sowie bei der Vereinbarung von Nachrangklauseln, wenn der Emittent seinen Sitz (und Mittelpunkt seines wirtschaftlichen Interesses) in einer anderen Rechtsordnung als der der Anleihebedingungen hat.124

57

Die Erfassung von Schuldverschreibungen mit entsprechenden Anleihebedingungen unter dem SchVG findet im Wortlaut des § 1 Abs. 1 SchVG keine ausdrückliche Grundlage. Das LG Frankfurt nahm dies als Anlass zur Feststellung der Nicht-Anwendbarkeit des SchVG auf die Anleihebedingungen einer Hybridanleihe, die zwar die Geltung deutschen Rechts vorsahen, die ebenso enthaltene Nachrangklausel aber niederländischem Recht unterstellten. Nach Auffassung des LG Frankfurt dürfen Anleihebedingungen damit ausschließlich deutschem Recht unterliegen, sofern das SchVG Anwendung finden soll.125

58

Entgegen dieser vereinzelt gebliebenen Rechtsprechung ist das SchVG auch in den genannten Fällen anwendbar. Eine Unterwerfung der Anleihebedingungen in Gänze unter das deutsche Recht wird nicht vorausgesetzt.126 Sie würde auch nicht der Systematik des SchVG entsprechen, Einschränkungen des Anwendungsbereichs durch ausdrückliche Kennzeichnung mit Worten wie „nur“ oder „ausschließlich“ darzustellen.127 Für einzelne Bedingungen kann also durchaus die Anwendbarkeit ausländischen Rechts erklärt werden. Für die Geltung des SchVG ist es lediglich (aber dennoch) erforderlich, dass die Anleihebedingungen ihrem wesentlichen Inhalt nach deutsches Recht für anwendbar erklären.128 Eine Teil120 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (479); Podewils, DStR 2009, 1914; Simon, CFl 2010, 165; Keller, BKR 2009, 15 (16); Schmidtbleicher in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 12, Rz. 42. 121 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 7; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 82. 122 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 4, Fn. 3. 123 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 96. 124 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 96. 125 LG Frankfurt/M. v. 27.10.2011 – 3-05 O 60/11, NZG 2012, 23 (24). 126 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (850); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (808 f.). 127 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 98. 128 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 4; vgl. auch Lürken, GWR 2011, 546. So steht der Anwendbarkeit des SchVG 2009 nicht entgegen, dass nach der Rechtswahlklausel die Anleihebedingungen deutschem Recht unterfallen sollen und allein hinsichtlich des insolvenzrechtlichen Status der Forderung das zwingende ausländische Recht für anwendbar erklärt wird (so LG Frankfurt/M. v. 23.1.2012 – 3-05 O 142/11, ZIP 2012,

36

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 61 § 1 SchVG

rechtswahl zugunsten des ausländischen Rechts ist mithin zulässig, soll aber nicht dazu führen, zur Betroffenheit der Substanz129 der verbrieften Forderung, d.h. deren Begründung und Existenz, führen.130

IV. Zeitlicher Anwendungsbereich Den zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes bestimmt § 24 SchVG, nach dem das SchVG Anwendung auf solche Schuldverschreibungen findet, die ab dem Tag des Inkrafttretens, dem 5.8.2009, ausgegeben wurden. Für die Schuldverschreibungen, die vor diesem Datum ausgegeben wurden (die sog. Altanleihen), ist das alte SchVG 1899 anwendbar, soweit die Altanleihen von dessen Anwendungsbereich erfasst sind. Ist dies nicht der Fall, können die Anleihegläubiger durch einen Beschluss, unter Vorbehalt der Zustimmung des Emittenten, das neue SchVG für anwendbar erklären. Ein Opt-in nach Maßgabe des neuen SchVG ist außerdem für ausländische Altanleihen möglich, wie von der Rechtsprechung ausdrücklich bestätigt wurde.131

59

V. Folgen der Eröffnung des Anwendungsbereichs von § 1 Abs. 1 SchVG Ist der Anwendungsbereich des § 1 SchVG eröffnet, finden das zwingende Recht des neuen SchVG, die §§ 2 bis 4, die das Verbriefungserfordernis, die Transparenz von Anleihebedingungen sowie die kollektive Bindung regeln, Anwendung. Die §§ 5 bis 22 SchVG hingegen, welche die Beschlüsse der Anleihegläubiger behandeln, stellen dispositives Recht dar. Sie finden nicht kraft Gesetzes Anwendung, sondern nur, wenn die Anleihebedingungen ihre Geltung ausdrücklich oder konkludent vorsehen.132

60

VI. Ausnahmen nach § 1 Abs. 2 SchVG Nach § 1 Abs. 2 SchVG findet das SchVG auf bestimmte Finanzprodukte keine Anwendung, namentlich auf gedeckte Schuldverschreibungen im Sinne des Pfandbriefgesetzes sowie für Anleihen der öffentlichen Hand.

129 130 131 132

474 (475); a.A. LG Frankfurt/M. v. 27.10.2011 – 3-05 O 60/11, NZG 2012, 23 (24) (Die Anwendbarkeit des Gesetzes setzt „uneingeschränkte Rechtswahl für deutsches Recht voraus“); offen gelassen vom OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, NZG 2012, 593 (596) = AG 2012, 373. Denn das zwingende Recht kann in den Anleihebedingungen nicht ausgeschlossen werden und eine Klausel, die diesbezüglich eine Rechtswahl vorsieht, hat nur deklaratorische Wirkung. Der Gesetzgeber wollte bei der Reform des Schuldverschreibungsrechts auch Anleihen der Emittenten mit Sitz im Ausland der Geltung des SchVG 2009 unterstellen, falls – soweit Rechtswahlfreiheit besteht – deutsches Recht Anwendung findet oder für anwendbar erklärt wird. Eine Teilrechtswahl ist zulässig. Dazu siehe Oulds, CFl 2012, 353 (354); Keller, BKR 2012, 15(16). BGH v. 25.10.2005 – XI ZR 353/04, BGHZ 164, 361 (366); Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (910). BGH v. 25.10.2005 – XI ZR 353/04, BGHZ 164, 361 (366); Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 4, Fn. 3; Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (909 f.). BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, AG 2014, 784 = ZIP 2014, 1876. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 8 f.; Horn, BKR 2009, 446 (448 f.); Schmidtbleicher in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 12, Rz. 41.

Artzinger-Bolten/Wöckener 37

61

§ 1 SchVG Rz. 62 Anwendungsbereich 1. Pfandbriefe 62

Das Pfandbriefgesetz enthält keine Legaldefinition des Pfandbriefbegriffs. Es handelt sich um gedeckte Schuldverschreibungen von Kreditinstituten, die nach § 2 PfandBG eine Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zum Betreiben des Pfandbriefgeschäfts (§ 32 KWG) haben.133 Pfandbriefe werden von diesen Kreditinstituten als Mittel der Refinanzierung von Krediten benutzt, die durch einen besonderen Vermögensfonds von erstklassigen Sicherheiten, wie Grundpfandrechte, Schiffshypotheken, Forderungen gegen staatliche Stellen und Registerpfandrechte über Rechte an Luftfahrzeugen oder ausländischer Flugzeughypotheken (§ 1 PfandBG) gesichert werden.

63

Der Ausschluss von Pfandbriefen aus dem Anwendungsbereich des SchVG fußt auf der Überlegung, Pfandbriefe beruhten auf einem eigenständigen Regelungskonzept und sähen besondere Schutz- und Abwicklungsmechanismen vor. Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass die Gläubigerrechte im Falle der Insolvenz des Emittenten durch die Vermögenswerte ausreichend gesichert seien, weshalb kein Bedürfnis für Mehrheitsentscheidungen der Anleihegläubiger für die Änderung der Anleihebedingungen bestehe. Die Deckungswerte, die eine Sicherungsfunktion erfüllen, fallen nicht in die Insolvenzmasse (insolvenzfreies Vermögen). Außerdem wird zur kommissarischen Verwaltung dieser Deckungsmasse ein von der staatlichen Aufsicht (BaFin) bestellter Sachverwalter (§ 7 PfandBG) eingesetzt.134

64

Sinnvoller scheint es hingegen, Pfandbriefe aus dem Anwendungsbereich des SchVG nicht auszuschließen. Zum einen ist die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Deckungsmasse nicht ausgeschlossen. Dies bestätigt auch die Regelung von § 30 Abs. 6 PfandBG, die für diesen Fall ein gesondertes Insolvenzverfahren vorsieht. Zum anderen scheint die Änderung von Anleihebedingungen nach dem neuen SchVG nicht nur zur Abwendung der Insolvenz des Emittenten dienlich, worauf auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich verweist135. Mehrheitsbeschlüsse zur Änderung von Anleihebedingungen können darüber hinaus auch aus steuerlichen Gründen oder zur Änderung des Fälligkeitsprofils sinnvoll erscheinen.136 Schließlich führt der Ausschluss von Pfandbriefen vom dem Anwendungsbereich des SchVG gleichsam zur Nichtanwendbarkeit der §§ 2 bis 4, die das Skripturprinzip, Transparenzgebot und den Grundsatz der kollektiven Bindung regeln. Aus der Nichtanwendbarkeit dieser Bestimmungen, die essentiell zur rechtlich identischen Ausgestaltung, zur Fungibilität und damit letztlich zur Kapitalmarktfähigkeit der Papiere beitragen, ergeben sich weder für Anleger noch für den Emittenten interessengerechte Resultate. Im Interesse der Ordnung des Kapitalmarktes sollten die Bestimmungen der §§ 2 bis 4 SchVG deshalb auch auf Pfandbriefe Anwendung finden.137

133 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (18); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 78; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 1 SchVG Rz. 41. 134 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16. 135 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, am Anfang (A. Problem und Ziel): „Das kann während der Laufzeit einer Anleihe aus verschiedenen Gründen erforderlich sein, vor allem in der Krise oder in der Insolvenz des Schuldners“; auch Oulds, CFl 2012, 353 (358); Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (223); Leuering, NZI 2009, 638; Schmidt/Schlitt, Der Konzern 2009, 279 (287); Steffek in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 2597 (2600); Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 69 (81). 136 Oulds, CFl 2012, 353 (358); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 79. 137 So auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 59, die insofern von einem technischen Versehen des Gesetzgebers ausgehen.

38

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 67 § 1 SchVG

2. Andere auf Grundlage der Spezialgesetze begebene gedeckte Schuldverschreibungen Werden gedeckte Schuldverschreibungen nicht auf Grundlage des PfandBG, sondern auf Grundlage anderer spezieller Gesetze begeben, ist das neue SchVG anwendbar. Zur Emission solcher gedeckten Schuldverschreibungen berechtigt sind vier Kreditinstitute138: Industriekreditbank AG139, Landwirtschaftliche Rentenbank140, DZ-Bank AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank141 und DSL Bank AG142. In Jurisdiktionen ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung können Pfandbriefe nur synthetisch begeben werden (sog. covered bonds). Hierbei verbrieft der Emittent besicherte Forderungen in Form einer Schuldverschreibung. Die zugrunde liegende Forderung verbleibt aber, anders als bei Asset Backed Securities (Rz. 49) in der Bilanz des Emittenten. Dem Anleihegläubiger dienen somit sowohl der Emittent, als auch die Deckungsmasse der verbrieften Forderungen als Sicherheit. Als gewöhnliche Schuldverschreibungen unterfallen auch covered bonds dem SchVG.

65

Als Grundstein der Schaffung einer Kapitalmarktunion, also eines echten Binnenmarktes 66 für alle 28 EU-Mitgliedstaaten, wurde im Anschluss an die politischen Leitlinien von Kommissionspräsident Juncker und dem als Umsetzung dieser Leitlinien dienenden Grünbuch, am 30.9.2015 ein Aktionsplan von der EU Kommission vorgelegt.143 Dieser Aktionsplan sieht auch grundlegende Neuerungen für gedeckte Schuldverschreibungen vor. So sieht die Kommission einen integrierten europäischen Markt für Covered Bonds vor, der gegenwärtig wegen erheblichen Mängeln an Standardisierung und Transparenz nicht im gewünschten Umfang besteht. Als Vorbild dienen insbesondere Green Bonds, deren starkes Marktwachstum laut EU-Kommission vor allem auf die Standardisierung zurückzuführen ist. Das European Covered Bond Council hat zu diesem Zweck als Antwort auf das Grünbuch der EU Kommission in einem Positionspapier die Einführung einer vereinheitlichten European Secured Note (ESN) vorgeschlagen.144 3. Öffentlich-rechtliche Emittenten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG) Außer Pfandbriefen i.S.d. PfandBG findet das SchVG ferner auch keine Anwendung auf Schuldverschreibungen, deren Schuldner der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde ist oder für die der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde haftet. Gemeint sind damit solche Schuldverschreibungen, die einen Haftungsanspruch gegen die öffentliche Hand gewähren. Ausgenommen sind deshalb 138 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 44. 139 § 1 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Industriekreditbank Aktiengesellschaft in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 7627-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 170 der Verordnung vom 29.10.2001 (BGBl. I 2001, 2785). 140 §§ 3 Abs. 5, 13 des Gesetzes über die Landwirtschaftliche Rentenbank in der Fassung der Bekanntmachung vom 12.12.2013 (BGBl. I 2013, 4120). 141 § 9 des Gesetzes zur Umwandlung der Deutschen Genossenschaftsbank (DG Bank-Umwandlungsgesetz) vom 13.8.1998 (BGBl. I 1998, 2102), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gesetzes vom 22.5.2005 (BGBl. I 2005, 1373). 142 §§ 7, 14 Abs. 2 des Gesetzes über die Umwandlung der Deutschen Siedlungs- und Landesrentenbank in eine Aktiengesellschaft (DSL Bank-Umwandlungsgesetz – DSLBUmwG) 16.12.1999 (BGBl. I 1999, 2441), zuletzt geändert durch Art. 176 der Verordnung vom 31.10.2006 (BGBl. I 2006, 2407). 143 http://ec.europa.eu/finance/capital-markets-union/docs/building-cmu-action-plan_de.pdf. 144 Pressemitteilung des European Covered Bond Council v. 6.5.2015 (abrufbar unter: http://hb.better regulation.com/external/ECBC%20Responds%20to%20Green%20Paper%20on%20Building%20a %20Capital%20Markets%20Union%20(CMU)%2006%20May%2015.pdf.

Artzinger-Bolten/Wöckener 39

67

§ 1 SchVG Rz. 68 Anwendungsbereich nicht nur Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand, sondern auch Schuldverschreibungen anderer Emittenten, für die eine Garantie durch die öffentliche Hand zugesagt wurde.145 Nicht erfasst werden von der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 SchVG Schuldverschreibungen von Emittenten, die nur im Innenverhältnis zur öffentlichen Hand zu einem Verlustausgleichsanspruch führen.146 68

Die Ausnahme des § 1 Abs. 2 SchVG gilt zudem auch nicht für Schuldverschreibungen ausländischer Staaten und Körperschaften, weil sich die Ausnahme nach Abs. 2 ausdrücklich nur auf die deutsche öffentliche Hand bezieht und für die Anwendbarkeit des Gesetzes der Sitz des Emittenten nach § 1 Abs. 1 SchVG, wie erwähnt, keine Rolle spielt.147 In diesem Zusammenhang ist aber die besondere Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG für Schuldverschreibungen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zu beachten (dazu gleich, Rz. 71 f.).

69

Diese Einschränkung war im RefE vom 9.5.2008 noch nicht enthalten. Der Ausnahmebereich beschränkte sich damals nur auf Pfandbriefe. Der RegEvom 20.2.2009 hat die Ausnahmeregelung hinsichtlich des Ausschlusses der Anwendbarkeit des Gesetzes auf Schuldverschreibungen, deren Schuldner oder deren Mitverpflichtete i.S.d. § 22 Satz 1 SchVG der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde ist, erweitert. Die Änderung wurde mit der Notwendigkeit der Klarstellung begründet, dass nicht nur Fälle ausgenommen sind, in denen die öffentliche Hand auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für eine Schuldverschreibung einsteht (wie etwa bei Anleihen, die vom Finanzmarktstabilisierungsfonds148 oder Restrukturierungsfonds149 für Kreditinstitute, die beide Fonds als Sondervermögen des Bundes i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG ausgestaltet sind, garantiert werden), sondern auch dann, wenn die Haftung auf gesetzlicher Grundlage besteht (etwa die Haftung des Bundes für die Schuldverschreibungen des KfW nach § 1a des Gesetzes über die KfW150).151

70

Die Erweiterung des Ausnahmebereichs auf die Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand wurde mit der Insolvenzunfähigkeit deren Emittenten begründet, sodass kein Schutzbedürfnis der Anleihegläubiger bestehe.152 Unabhängig von der Frage, ob Staaten in rechtlicher Hinsicht überhaupt insolvenzfähig sind153, scheint die Argumentation nicht überzeugend zu sein, weil, wie schon erwähnt, das neue SchVG die Restrukturierung der Schuldverschreibungen nicht nur zur Abwendung der Insolvenz des Emittenten ermöglichen soll (siehe dazu Rz. 64, Fn. 135). Auch rein faktisch gesehen, können Emittenten öffentlicher Hand sehr wohl in Zahlungsschwierigkeiten geraten.154 Bereits im Jahr 2003 hat man sich auf EU-Ebene auf die Aufnahme von Klauseln in den Anleihebedingungen der Staatsanleihen, die Mehrheitsentscheidungen der Anleihegläubiger ermöglichen, den sog. Collective Action Clauses 145 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 43. 146 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 36; a.A. Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 147. 147 Vgl. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 81; vgl. auch Horn, BKR 2009, 446 (447); Nodoushani, WM 2012, 1798 (1800). 148 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16; siehe §§ 2 Abs. 2, 6 Abs. 1 des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes vom 17.10.2008 (BGBl. I 2008, 1982), geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 10.12.2014 (BGBl. I 2014, 2091); 149 §§ 1 Abs. 2, 6a Abs. 2 des Restrukturierungsfondsgesetzes vom 9.12.2010 (BGBl. I 2010, 1900, 1921), geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 10.12.2014 (BGBl. I 2014, 2091). 150 Gesetz über die Kreditanstalt für Wiederaufbau vom 5.11.1948 (WoGBl., S. 123), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4.7.2013 (BGBl. I 2013, 2178). 151 BT-Drucks. 16/13672, 5, 21. 152 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16. 153 Dazu siehe Sester, NJW 2006, 2891 (2892); Paulus, WM 2002, 725 ff. 154 Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, S. 139 ff.; Sester, AcP 209 (2009), 628 (630); Nodoushani, WM 2012, 1798 (1799 f.).

40

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anwendungsbereich

Rz. 72 § 1 SchVG

(CACs), geeinigt.155 In Anbetracht der Finanzkrise in Griechenland haben sich Deutschland sowie andere Mitgliedstaaten im ESM-Vertrag im Jahr 2012 darauf verständigt, dass die neuen Anleihen CACs enthalten werden.156 Die Erweiterung der Geltung des Gesetzes nicht nur auf die Pfandbriefe die nach dem PfandBG begeben wurden, sondern auch auf Schuldverschreibungen die von Emittenten der deutschen öffentlichen Hand begeben werden, ist daher als sinnvoll zu erachten.157 4. Sondernorm für Anleihen der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (§ 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG) § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG bestimmt, dass für die nach deutschem Recht begebenen Schuldverschreibungen, deren Schuldner ein anderer Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets ist, die besonderen Vorschriften der §§ 4a bis 4i und 4k des Bundesschuldenwesengesetzes (BSchuWG) entsprechend gelten. Diese Vorschriften sehen die Möglichkeit vor, für Anleihen mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses, CACs) in die Emissionsbedingungen einzuführen. Sie ermöglichen, eine Restrukturierung der Emissionsbedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger (mit Zustimmung des Emittenten) zum Zwecke der Umschuldung.

71

Zur Einführung der Umschuldungsklausel für die ab dem 1.1.2013 begebenen Anleihen haben sich die Staaten der Eurozone mit der Unterzeichnung des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) am 2.12.2012 verpflichtet.158 In diesem Rahmen wurde ein Muster für Umschuldungsklauseln als Standard (Model Collective Action Clause)159 festgelegt. Das Muster wurde vom Sub-Committee on EU Sovereign Debt Markets des Economic and Financial Committee (EFC) erstellt.160 Der Gesetzgeber hat die Umsetzung in nationales Recht durch die Änderung des BSchuWG und SchVG am 13.9.2012 vollzogen.161 Es wurden die (nur) für den Bund geltenden §§ 4a bis 4k BSchuWG sowie § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG eingeführt, die §§ 4a bis 4i und 4k BSchuWG für Schuldtitel anderer Staaten der Euro-Währungsgebiets für entsprechend anwendbar erklären.162 Obwohl in diesem Zusammenhang Art. 12 Abs. 3 des ESM-Vertrages als eine Verpflichtung zur Aufnahme von Umschuldungsklauseln in die Anleihebedingungen seitens der Mitgliedstaaten formuliert ist, sieht das BSchuWG in § 4a lediglich die Möglichkeit, solche Klauseln einzuführen, vor.163

72

155 Siehe die Empfehlung des ECOFIN in Quarterly Note on the Euro-Denominated Bond Markets No. 59, July-September 2003, S. 13 f.; Oulds, CFl 2012, 353 (358); Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 44; Horn, BKR 2009, 446 (447); Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 33. 156 Nodoushani, WM 2012, 1798. 157 Ebenso Oulds, CFl 2012, 353 (358); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 81. 158 Art. 12 Abs. 3 des ESM-Vertrages, BT-Drucks. 17/9045 („Ab 1. Januar 2013 enthalten alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist.“); dazu auch Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes, BT-Drucks. 17/9049, 1. 159 Muster siehe http://europa.eu/efc/sub_committee/pdf/cac_-_text_model_cac.pdf. 160 Oulds, CFl 2012, 353 (358). 161 BGBl. I 2012, 1914. 162 § 4j BSchuWG wurde ausgeklammert, weil andere Mitgliedstaaten keine Schuldbuchforderungen begeben, siehe Oulds, CFl 2012, 353 (359), Fn. 65. 163 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes, BT-Drucks. 17/9049, 1 („Verpflichtung“), 7 („Möglichkeit“); dazu Nodoushani, WM 2012, 1798 (1799 f.).

Artzinger-Bolten/Wöckener 41

§ 1 SchVG Rz. 73 Anwendungsbereich 5. Freiwilliger Opt-In für Anleihen i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG 73

Im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG entsteht die Frage, ob in Bezug auf die aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossenen Pfandbriefe und Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand das Recht zur Wahl der Gestaltung der Gläubigerorganisation nach den Vorschriften des SchVG (Opt-In), also insbesondere auch die Möglichkeit zur Einfügung von Mehrheitsentscheidungen (CACs), zulässig ist. a) Pfandbriefe

74

Bei den Pfandbriefen scheidet diese Möglichkeit wegen zwingender Vorschriften des PfandBG aus, wie z.B. § 4 PfandBG, der den Grundsatz der Deckungskongruenz regelt, oder § 6 PfandBG, der den Inhalt der Pfandbriefe bestimmt. Die zwingenden Vorschriften können durch Mehrheitsbeschlüsse der Anleihegläubiger nicht abbedungen werden.164 b) Anleihen der öffentlichen Hand

75

Dem Gedanken der allgemeinen Vertragsfreiheit folgend, ist ein Opt-In bei Anleihen der öffentlichen Hand in Ermangelung einer entgegenstehenden ausdrücklichen gesetzlichen Regelung generell denkbar. Die Zulässigkeit des Opt-In hängt davon ab, wie der Regelungscharakter des § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG zu verstehen ist. § 1 Abs. 1 SchVG regelt den Anwendungsbereich des SchVG. Im Falle von Schuldverschreibungen, die aus Gesamtemission stammen, inhaltsgleich sind und deutschem Recht unterliegen, ist das SchVG anwendbar. Dies gilt sowohl für die obligatorischen Normen der §§ 2 bis 4 SchVG, sowie der §§ 5 bis 22 SchVG, soweit die Anleihebedingungen ihre Geltung vorsehen (positive Regelung). Liegen die in § 1 Abs. 1 SchVG geregelten Anwendungsvoraussetzungen des SchVG hingegen nicht vor, findet das Gesetz im Umkehrschluss konsequenterweise keine Anwendung (negative Regelung).

76

Denselben Regelungseffekt wie dieser Umkehrschluss hat § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG. Auch diese Norm legt fest, welche Schuldverschreibungen nicht vom Anwendungsbereich des SchVG erfasst sein sollen. In der Konsequenz verbliebe somit auch der Weg zur Einfügung von CACs, zumindest solcher nach §§ 5 bis 22 SchVG, versperrt. Für eine solche Sichtweise könnte bei oberflächlicher Betrachtung zumindest der auch in der Gesetzesbegründung angeführte Umstand der, infolge der Insolvenzunfähigkeit von Emittenten der öffentlichen Hand, fehlenden Schutzbedürftigkeit der Anleihegläubiger sprechen. Nach diesem Gedanken besteht bei Anleihen der öffentlichen Hand kein Bedürfnis für Mehrheitsentscheidungen, weil deren Emittenten schlicht nicht insolvenzfähig sind und damit eine Restrukturierung in keinem denkbaren Fall notwendig ist. Ungeachtet der in Anbetracht der gegenwärtigen Lage äußerst gewagt anmutenden These der Insolvenzunfähigkeit der öffentlichen Hand, ist gerade die Annahme der nicht von der Hand zu weisenden geringeren Schutzbedürftigkeit der Gläubiger solcher Anleihen ein Plädoyer für die Zulässigkeit eines Opt-Ins: CACs können häufig zu einer Beeinträchtigung der Gläubigerrechte der nicht restrukturierungsgewillten Abstimmungsminderheit führen, da diese Minderheit an die von ihnen nicht präferierte Entscheidung zugunsten einer Restrukturierung durch die sanierungsfreundliche Mehrheit gebunden ist. Der verminderten Schutzbedürftigkeit folgend, können sich für Anleihegläubiger von Emittenten der öffentlichen Hand solche Beeinträchtigungen gar nicht ergeben, da eine Restrukturierungssituation ohnehin nicht (jedenfalls aber wesentlich seltener) auftreten kann. Ein Opt-In hätte somit keinerlei negative Folgen für sie. Im Gegensatz dazu müssen Anleihegläubiger von privaten Emittenten de lege lata sowohl das Insolvenzrisiko, als auch zeitgleich das Risiko eines für sie möglicherweise nachteiligen Mehrheitsbeschlusses tragen. Trotz vermeintlich höherer Schutzbedürftigkeit wären sie de facto rechtlich schlechter ge164 Horn, BKR 2009, 446 (448); Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 30.

42

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

§ 2 SchVG

stellt. Einem strikten Verbot des Opt-Ins unter die Rechtsvorschriften des SchVG und der Einfügung von CACs würde es aus diesen Gründen an einer zweckrationalen Legitimation mangeln. Die Verwehrung dieser Ausgestaltungsmöglichkeit der Anleihebedingungen stellte privatwirtschaftliche Emittenten damit willkürlich schlechter. Die Norm wäre rechtswidrig. Dementsprechend ist ein Opt-In und die Einfügung von CACs auch für Anleihen von Emittenten der öffentlichen Hand als zulässig anzusehen. Bei korrekter systematischer Betrachtung hat der Gesetzgeber den generellen Anwendungs- 77 bereich des SchVG jedoch ohnehin gänzlich anders konzipiert. Aus systematischen Gründen müssen die Absätze, obwohl sie beide die Frage der Anwendbarkeit des Gesetzes betreffen, isoliert voneinander betrachtet werden. Sie haben unterschiedlichen Regelungscharakter und -inhalt. Während § 1 Abs. 1 SchVG den Anwendungsbereich des SchVG festlegt, stellt § 1 Abs. 2 SchVG eine Ausnahmeregelung dar, die den Anwendungsbereich nicht von vornherein einengen soll, sondern die vielmehr von den gesetzlichen Vorschriften des SchVG freistellt,165 und es folglich in das Ermessen des Emittenten stellt, Bestimmungen des 2. Abschnitts des SchVG über die Mehrheitsbeschlüsse in die Anleihebedingungen aufzunehmen.166 Die vom Gesetzgeber unterstellte, im Vergleich zu privaten Emittenten stärkere, finanzielle Stabilität und damit erhöhte Sicherheit dieser Anlageform prägt deshalb den Telos des § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG, der somit, wie soeben dargelegt, keine Schlechterstellung, sondern eine Privilegierung von Emittenten der öffentlichen Hand bewirken soll. Diese Privilegierung, und damit auch die gesamte Norm, ist durch den Gedanken der stabileren Finanzlage auch zweckrational legitimiert und rechtmäßig. Bekräftigt wird dieses Ergebnis durch den Umstand, dass sich der Gesetzgeber auf EU-Ebene im Rahmen des ESM-Vertrages bereit erklärt hat, für Staatsanleihen CACs einzuführen, und die nationale Gesetze (§ 4a BSchuWG) entsprechend änderte. Ein Opt-In ist aus systematischen Gründen also zulässig.

§2 Anleihebedingungen 1Die

Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger (Anleihebedingungen) müssen sich vorbehaltlich von Satz 2 aus der Urkunde ergeben. 2Ist die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt, kann in ihr auch auf außerhalb der Urkunde niedergelegte Anleihebedingungen Bezug genommen werden. 3Änderungen des Inhalts der Urkunde oder der Anleihebedingungen nach Abschnitt 2 dieses Gesetzes werden erst wirksam, wenn sie in der Urkunde oder in den Anleihebedingungen vollzogen worden sind. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . III. Definition von Anleihebedingungen (§ 2 Satz 1 SchVG). . . . . . . . . . . . . . . . .

1 4 8

1. Bedingungen zur Beschreibung der Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedingungen zur Ausgestaltung der Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . .

10 13 15

165 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 47. 166 Auch Horn, BKR 2009, 446 (448); Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 33; a.A. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 81; Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 46.

Artzinger-Bolten/Wöckener 43

78

§ 2 SchVG Anleihebedingungen IV. Skripturprinzip (§ 2 Satz 1 SchVG) 1. Strenges Verbriefungserfordernis . . . . . . 2. Verbriefungserfordernis und Auslegung von Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . 3. Entstehung des verbrieften Rechts und Bedeutung der Urkunde. . . . . . . . . . . . . V. Ausnahmen vom Skripturprinzip (§ 2 Satz 2 SchVG). . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nicht zum Umlauf bestimmte Urkunde a) Sammel-/Globalurkunde. . . . . . . . . . b) Globalurkunden (Global Notes) . . . . c) Classic und New Global Notes . . . . .

16 17 18 26 27 30 31

2. Bezugnahme auf außerhalb der Urkunde niedergelegte Bedingungen a) Einbeziehung durch Verweis (incorporation by reference) . . . . . . . b) Einzelne Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . c) Art der Verweisung . . . . . . . . . . . . . . d) Kettenverweisung. . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grenzen der Bezugnahme . . . . . . . . . . . 4. Sprache der Anleihebedingungen. . . . . . VI. Vollzug von Änderungen von Anleihebedingungen (§ 2 Satz 3 SchVG) . . . . .

33 35 36 38 39 40 41

Schrifttum: Assmann, Anleihebedingungen und AGB-Recht, WM 2005, 1053-1068; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, Diss. Hamburg, 2012; Bliesener, Änderung von Anleihebedingungen in der Praxis, in Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth, 2008, Perspektiven des Wirtschaftsrechts, S. 355-369; Bungert, Wertpapierbedingungen und Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz, DZWiR 1996, 185-199; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, Diss. Freiburg 2012; Coen, Der negative Basiszinnsatz nach § 247 BGB, NJW 2012, 3329-3334; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften vom August 2008, abrufbar unter: https://anwaltverein.de/de/newsroom/id-2008-41; Hamann/Schäfer, Kapitalmarktgesetze, Stand Januar 2013; Horn, Änderung von Anleihebedingungen und Skripturakt, in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521-530; Horn, Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse, WM 2002, Sonderbeilage 2, 1-23; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12-66; Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972; Hopt, Änderung von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG, in FS Steindorff, 1990, S. 341-382; Hopt, Neues Schuldverschreibungsrecht – Bemerkungen und Anregungen aus Theorie und Praxis, in FS Schwark, 2009, S. 341-457; Joussen, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen nach dem AGBG, WM 1995, 1861-1869; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen, Diss. Köln 1993; Kusserow, Zur Frage der Anwendbarkeit des SchVG auf Namensschuldverschreibungen, RdF 2012, 4-13; Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen: unter besonderer Berücksichtigung der Frage der Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Emissionsbedingungen, Diss. Rostock 2010; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, Diss. Tübingen 2011; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz: Die Bedeutung des AGB-Gesetzes für Emissionsbedingungen von Anleihen, Diss. Heidelberg 2000/2001; Podewils, Transparenz- und Inhaltskontrolle von Zertifikatbedingungen – Insbesondere zur Zulässigkeit einseitiger Einwirkungsbefugnisse des Emittenten –, ZHR 174 (2010), 192-208; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, AG 2009, 477-487; Schmidt/ Schräder, Leistungsversprechen und Leistungsbestimmungsrechte in Anleihebedingungen unter Berücksichtigung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2009, 397-404; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, Diss. Frankfurt/M. 2010; Schneider, Die Änderung von Anleihebedingungen durch Beschluss der Gläubiger, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69-93; Sester, Transparenzkontrolle von Anleihebedingungen nach Einführung des neuen Schuldverschreibungsrechts, AcP 209 (2009), 628-667; Than, Rechtsfragen bei der Festlegung von Emissionsbedingungen für Schuldverschreibungen unter besonderer Berücksichtigung der Dematerialisierung und des Depotgesetzes, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 3-24; von Randow, Anleihebedingungen und Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes, ZBB 1994, 23-32; Wolf, Anlegerschutz durch Inhaltskontrolle von Emissionsbedingungen bei Kapitalmarkttiteln, in FS Zöllner, Band 1, 1998, S. 651-666; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987.

44

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 3 § 2 SchVG

I. Überblick § 2 SchVG enthält in Satz 1 eine Legaldefinition der Anleihebedingungen, einem der zentralen Begriffe des Schuldverschreibungsrechts. Nach dem Wortlaut der Vorschrift müssen sich die Beschreibung der Leistung, einschließlich der Rechte und Pflichten des Schuldners sowie der Anleihegläubiger, also die Anleihebedingungen, aus der zugehörigen Urkunde selbst ergeben. Damit beschreibt § 2 SchVG das Rechtsverhältnis zwischen dem Emittenten der Schuldverschreibung und den Anleihegläubigern. Gleichzeitig wird damit vom Gesetzgeber in Satz 1 die Geltung des sog. Skripturprinzips, wie es auch in § 793 Abs. 1 Satz 1 und § 796 BGB für Inhaberschuldverschreibungen geregelt ist, verankert. Nach dem Skripturprinzip darf der Inhaber vom Aussteller der Urkunde die Leistung nur nach „Maßgabe des Versprechens“ verlangen.1 Von Bedeutung ist also, welche Eigenschaften der Emittent der Urkunde verleiht.2 Damit knüpft das Skripturprinzip an das traditionelle wertpapierrechtliche Leitbild einer umlauffähigen Urkunde an, aus der sich der Inhalt des verbrieften Rechts ergeben muss.3 Dies schließt es wiederum nicht aus, für die Auslegung des Inhalts des Leistungsversprechens des Emittenten Umstände heranzuziehen, die außerhalb der Urkunde liegen.4 Das in § 2 Satz 1 SchVG geregelte Skripturprinzip besagt folglich nur, wie der Inhalt der Anleihebedingungen und somit des Rechtsverhältnisses zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern zu ermitteln ist. Zu Anforderungen an die inhaltliche Ausgestaltung enthält die Vorschrift dagegen keine Bestimmungen.5

1

Das Skripturprinzip gilt nicht uneingeschränkt. § 2 Satz 2 SchVG enthält eine bedeutsame Ausnahme für den Fall, dass die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt ist. Gemeint sind damit vor allem die praxisrelevante Sammelurkunde i.S.v. § 9a DepotG, deren Verwendung heutzutage der Regelfall ist.6 Ist die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt, kann zulässigerweise auf weitere Anleihebedingungen Bezug genommen werden, auch wenn diese Bedingungen außerhalb der (Sammel-)Urkunde niedergelegt sind. Es bedarf folglich keiner Verkörperung der Bedingungen in der Urkunde selbst.7 Die Ausnahmeregelung von § 2 Satz 2 SchVG verfolgt das Ziel der Deregulierung und soll den Bedürfnissen der heutigen Praxis, der Vereinfachung der Dokumentation und „Entmaterialisierung des Wertpapierumlaufs“8 entgegenkommen.9

2

Schließlich bestimmt § 2 SchVG in Satz 3, wie Anleihebedingungen wirksam geändert werden können. Auch in Satz 3 setzt sich das oben erwähnte Skripturprinzip fort, indem die wirksame Änderung der Anleihebedingungen unter die Voraussetzung des Vollzugs der Änderung auch in der Urkunde gestellt wird. Für Sammelurkunden gilt § 21 Abs. 1 SchVG, der die Wirksamkeit einer Änderung an die Beifügung der Niederschrift des Änderungsbeschlusses knüpft, als lex specialis.

3

1 Assmann, WM 2005, 1053 (1053, 1058); Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 95; Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (362); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 3 f.; Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523). 2 Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398). 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 8; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 2. 4 BGH v. 23.10.1958 – II ZR 4/57, BGHZ 28, 259 (264) (unter der Voraussetzung, dass sie für die allgemeine Verkehrsauffassung von unmittelbarer Bedeutung sind); Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (362); Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 20. 5 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 2. 6 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 23 f. 7 Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 31. 8 Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (522); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 3. 9 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 96.

Artzinger-Bolten/Wöckener 45

§ 2 SchVG Rz. 4 Anleihebedingungen

II. Entstehungsgeschichte 4

Das gemeinsam mit dem BGB in Kraft getretene (alte) Schuldverschreibungsgesetz aus dem Jahre 1899 enthielt keine dem § 2 des neuen SchVG entsprechende Regelung. Nach dem damaligen Usus wurden die Anleihebedingungen auf der Rückseite der Urkunde abgedruckt, oder, in Ermangelung ausreichenden Platzes, in einem separaten Dokument niedergelegt und durch körperliche Verbindung beigefügt. Die Anleihebedingungen wurden somit immer in die Urkunde selbst aufgenommen. Gemäß der §§ 793 Abs. 1 Satz 1, 796 BGB bestimmte sich der Inhalt der Leistung nach Maßgabe des in der Urkunde fixierten Versprechens. Die Normen konstituierten bereits zu diesem Zeitpunkt das Skripturprinzip. Einer eigenständigen Aufnahme des Skripturprinzips in das SchVG bedurfte es aus diesem Grund nicht.10

5

Das praktische Bedürfnis der Auflockerung des strengen Skripturprinzips offenbarte sich auf gesetzgeberischer Ebene erst ein gutes Jahrhundert später, als sich die Erkenntnis durchsetzte, dass der Abdruck der Anleihebedingungen in der Urkunde, wie es §§ 793, 796 BGB vorschreiben, nicht mehr der wirtschaftlichen Praxis gerecht werden konnte. In diesem Zusammenhang entstand auch die Legaldefinition des Begriffs der Anleihebedingung. So enthielt mit § 795 Abs. 1 bereits der unveröffentlichte Diskussionsentwurf des Bundeministeriums der Justiz (BMJ) für das BGB vom April 2003 (BGB-DiskE 2003) einen Passus, nach dem zur näheren Beschreibung der Leistung sowie Rechte und Pflichten des Ausstellers und der Anleihegläubiger auf die Emissionsbedingungen Bezug genommen werden kann. Das Erfordernis der Auflockerung des Skripturprinzips wurde im Folgenden von weiteren, teilweise ebenso unveröffentlichten, Entwürfen übernommen11. Erst der Referentenentwurf des BMJ 2008 schränkte die Möglichkeit der Bezugnahme auf die außerhalb der Urkunde niedergelegten Bedingungen für solche Fälle ein, in denen die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt ist. Diese Einschränkung wurde im Regierungsentwurf 2009 und im Endergebnis im neuen SchVG beibehalten.

6

Verworfen wurde dagegen der seit dem BGB-DiskE 2003 geforderte Vorschlag, den Emittenten mittels ausdrücklicher Regelung im neuen SchVG zu verpflichten, die Anleihebedingungen kostenlos der Öffentlichkeit (wie z.B. auf der Internetseite des Emittenten oder auf andere Weise) zugänglich zu machen.12 Grund für die Annahme eines solchen Erfordernisses war die weit verbreitete Form der Verbriefung in einer Globalurkunde, die der Anleger selbst nie einsehen würde, sodass ihm die Möglichkeit zur Ermittlung des Inhalts des Leistungsversprechens verloren ginge. Dieses Problem der fehlenden Einsehbarkeit der Bedingungen liegt danach auch im Rahmen der Übertragung des Wertpapiers, die in Form der Übertragung des Mitbesitzes an den Sammelbestandteilen lediglich mittels der Änderung des Besitzmittlungswillens und eines entsprechenden Buchungsaktes vollzogen wird, vor.13 Eine physische Übergabe der Schuldverschreibung findet nicht statt, sodass auch in diesem Wege der Anleger die Urkunde nicht zur Gesicht bekommen könne. Dieser Vorschlag wurde im neuen SchVG indes nicht übernommen, weil bereits die Vorschriften des WpPG entsprechende Pflichten des Emittenten regeln. So verpflichtet § 14 Abs. 2 WpPG den Emittenten eines Wertpapiers parallel zur Veröffentlichung des Prospektes gleichzeitig zu seiner Hinterlegung bei der BaFin. § 16 WpPG sieht Nachtragspflichten des Emittenten vor.

7

Schließlich regelt § 6 Abs. 3 WpPG die Veröffentlichung endgültiger Bedingungen, falls sie weder in den Basisprospekt noch in einen Nachtrag aufgenommen werden. Im Rahmen die10 Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 10; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 6. 11 BGB-DiskE vom September und November 2004 (unveröffentlicht), Referentenentwurf 2006 (unveröffentlicht) und 2008 sowie Regierungsentwurf v. 29.4.2009. 12 RefE v. 9.5.2008, Begr. zu § 2 SchVG, S. 24 f. 13 Horn, WM 2002, Sonderbeilage 2, 1 (8); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (34); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 23; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (7).

46

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 10 § 2 SchVG

ser Veröffentlichungspflichten selbst muss streng zwischen dem Wertpapierprospekt und der Urkunde mit den Anleihebedingungen unterschieden werden. Während der Wertpapierprospekt das „regulatorische“ Dokument (Registrierungsdokument) darstellt, ist die Urkunde mit den Anleihebedingungen als wertpapierrechtliches Dokument einzuordnen. Dies ist insbesondere hinsichtlich etwaiger Ansprüche von Relevanz. Fehler oder unwahre Aussagen im gebilligten Wertpapierprospekt eröffnen das Haftungsregime des WpPG. Die allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung ist im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ausgeschlossen. Dies gilt nicht nur für die Regelungen des WpPG, sondern auch für die speziellen Regelungen bei nicht verbrieften Vermögensanlagen gem. §§ 20, 21 VermAnlG und bei Investmentvermögen gem. § 306 Abs. 1 KAGB.14 Fehler und unwahre Aussagen in nicht gebilligten Prospekten hingegen eröffnen lediglich die (teilweise strengere) zivilrechtliche Prospekthaftung. Die Anleihebedingungen sind im Gegensatz dazu Basis für etwaige vertragliche Primär- und Sekundäransprüche.

III. Definition von Anleihebedingungen (§ 2 Satz 1 SchVG) Das Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Anleihegläubigern erfährt seine gesetzliche Regelung in den §§ 793 ff. BGB, soweit es sich um Inhaberschuldverschreibungen handelt. Im Übrigen wird das Rechtsverhältnis aber prima facie durch die jeweiligen Anleihebedingungen ausgestaltet.15

8

Der Begriff der Anleihebedingung wird in § 2 Satz 1 SchVG legal definiert. Er setzt sich aus zwei Elementen, den Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie den Rechten und Pflichten des Schuldners und der Anleihegläubiger, zusammen. Der Gesetzgeber hat sich in § 2 SchVG somit für eine extensive Auslegung des Begriffs entschieden, ohne allerdings eine Aussage über den Inhalt der Bedingungen selbst zu treffen.16 Gleichsam lässt sich eine Differenzierung zwischen der Leistung im engeren Sinne (oder leistungsbeschreibenden Bedingungen), von den weiteren Bedingungen zur Ausgestaltung der beiderseitigen Rechte und etwaigen, in § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG erwähnten, Nebenbestimmungen deutlich erkennen.

9

1. Bedingungen zur Beschreibung der Leistung Zuvorderst erfasst der Begriff der Anleihebedingungen die Bedingungen zur Beschreibung der Leistung.17 Der Inhalt der Leistung ist gesetzlich nicht festgeschrieben und unterliegt vollständig der Ausgestaltung durch die Vertragsparteien. Die Vertragsparteien sind folglich nicht an eine bestimmte Art der Leistung, etwa Geldleistung, wie im Rahmen einer klassischen Anleihe, gebunden.18 Ebenso wenig sind sie in der Möglichkeit eingeschränkt, die versprochene Leistung des Emittenten von einer Bedingung abhängig zu machen oder eine Befristung vorzusehen, wie etwa eine Bindung an die wirtschaftliche Entwicklung des Emit-

14 Hamann in Schäfer/Hamann, §§ 44, 45 BörsG Rz. 42 ff. 15 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 14; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (4). 16 Sester, AcP 209(2009) 628 (635); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 15; Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 2; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 13; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 2. 17 Der Begriff der Leistung ist identisch mit dem Begriff der Leistung i.S.v. § 241 Abs. 1 BGB, dazu Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 14. 18 Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (4); Thomas in Palandt, § 793 BGB Rz. 2; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 14; Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (353 f.).

Artzinger-Bolten/Wöckener 47

10

§ 2 SchVG Rz. 11 Anleihebedingungen tenten.19 Der Vorbehalt späterer Änderungen der Anleihebedingungen durch den Emittenten oder Dritte, soweit dies der Regelung der §§ 315 ff. BGB nicht entgegensteht, kann im Rahmen der Festlegung der Leistung genauso bestimmt werden, wie unterschiedliche Rückzahlungsmodalitäten.20 So kann sich beispielsweise der Emittent einer Aktienanleihe das Recht vorbehalten, anstelle der Rückzahlung des eingesetzten Kapitals zzgl. gegebenenfalls angefallener Zinsen bestimmte Aktien zu liefern.21 11

Die Vertragsparteien sind demnach in der spezifischen Ausgestaltung des Leistungsversprechens nicht eingeschränkt. Den allgemeingültigen Regeln entsprechend müssen jedoch zumindest alle essentialia negotii bzw. leistungsbestimmenden Bedingungen in den Anleihebedingungen fixiert sein. Nach der ständigen Rechtsprechung gehören zu diesen essentialia negotii all diejenigen Bestimmungen, ohne die oder mangels deren eindeutiger Bestimmbarkeit „ein wirksamer Vertrag nicht mehr angenommen werden kann“. Dies sind insbesondere die Bestimmungen über Gegenstand, Art, Umfang, Quantität, Qualität sowie der Vertragszweck.22 Sie beschreiben den Kernbestand der Leistungszusage und sind ihrem Inhalt nach jeglicher rechtlicher Kontrolle entzogen, weil es an geeigneten Kriterien für die Durchführung solcher Kontrolle fehlt und weil sie nur durch eine privatautonome Vereinbarung der Vertragsparteien bestimmt werden können.23 Hinsichtlich Anleihen sind dies die leistungsbeschreibenden Bedingungen, also vor allem solche Bedingungen, deren Gesamtheit das Chance/Risiko-Profil der Anleihe prägen. Sie bestimmen das Wesen des Finanzproduktes sowie seine charakteristische Eigenart mit der Konsequenz, dass eine Änderung der Anleihebedingungen zu einer Änderung des Chance/Risiko-Profils der Kapitalanlage selbst führt.24

12

Allgemein werden als leistungsbestimmend insbesondere Bedingungen qualifiziert, die folgende Punkte regeln25: – Nennbetrag bzw. Rückzahlungsbetrag der Anleihe; – Höhe und Ausgestaltung der Verzinsung; – Abstellen der Leistungspflicht auf bestimmte Bezugsgrößen26 (Gleitklauseln27); 19 Thomas in Palandt, § 793 BGB Rz. 3; Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (353); BGH v. 2.12.2014 – II ZB 2/14, WM 2015, 470 (471). 20 Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (354). 21 Assmann, WM 1995, 1053 (1058). 22 BGH v. 6.2.1985 – VIII ZR 61/84, NJW 1985, 3013; BGH v. 12.3.1987 – VII ZR 37/86, NJW 1987, 1931 (1935); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 188/87, NJW 1989, 222 (223); BGH v. 21.4.1993 – IV ZR 33/92, NJW-RR 1993, 1049 (1050); BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, NJW 2003, 2014 (2015); BGH v. 15.11.2007 – III ZR 247/06, NJW 2008, 360 (362); Grüneberg in Palandt, § 307 BGB Rz. 44; Assmann, WM 1995, 1053 (1058 f.). 23 Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (370); Wolf in FS Zöllner, 1998, 651 (654 f.); Assmann, WM 1995, 1053 (1058 f.). 24 Assmann, WM 1995, 1053 (1059); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 18. 25 Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (12 f.); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 80; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (32); Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 247; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl. 2011, § 307 BGB Rz. 64 ff.; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 18; Wolf in FS Zöllner, 1998, 651 (654); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 3; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 40; Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 60; Assmann, WM 1995, 1053 (1058 f.); BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 26 Z.B. Anpassung der Höhe der Verzinsung bei variabel verzinslichen Schuldverschreibungen (floating rate notes) an Entwicklung eines Marktzinssatzes wie EURIBOR. Solche Klauseln stellen keine einseitigen Leistungsbestimmungen des Emittenten dar. Die Änderung ergibt sich aus einem externen Ereignis. Dazu Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 17; Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 73. 27 Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 17.

48

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 14 § 2 SchVG

– – – – – – –

Laufzeit der Anleihe; Zahlungstermine für Zinsen; Währung; Form der Verbriefung der Anleihe; Sicherheiten; Wandlungs- und Optionsmodalitäten; Ausgestaltung des vorzeitigen Kündigungsrechts seitens des Emittenten und des Anleihegläubigers; – Beschränkungen außerordentlicher Kündigungsrechte hinsichtlich bestimmter Kündigungsgründe28; – Nachrangklauseln; – Verlustbeteiligung. 2. Bedingungen zur Ausgestaltung der Rechte und Pflichten Von den die Hauptleistung beschreibenden Bedingungen sind solche Bedingungen zu unterscheiden, die die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des Emittenten und der Anleihegläubiger betreffen. Charakteristikum solcher Bedingungen ist ihre nicht ausschließlich beschreibende, sondern einschränkende, verändernde, modifizierende, aushöhlende, die Anleihebedingungen näher ausgestaltende Wirkungsweise.29

13

Diese Differenzierung zwischen leistungsbeschreibenden und leistungsbeschränkenden Bedingungen ist im gesamten Vertragsrecht und vor allem im AGB-Recht üblich.30 Auch die in § 2 Satz 1 SchVG fixierte Legaldefinition der Anleihebedingungen folgt der vorstehenden Konzeption. Der Begriff der Anleihebedingungen erfasst dementsprechend beide Elemente, die Bedingungen zur Beschreibung der Hauptleistung sowie die Bedingungen zur weiteren Ausgestaltung der beiderseitigen Rechte. Eine trennscharfe Differenzierung der Begriffe fällt freilich schwer.31 Das von der Rechtsprechung und dem Schrifttum entwickelte Unterscheidungskriterium ist sehr abstrakt und vermag kaum einen Beitrag zur eindeutigen Trennung zwischen diesen Bedingungen zu leisten. So scheint die gerade bei Aktienanleihen essentielle Bedingung hinsichtlich des Wahlrechts des Emittenten zwischen der Rückzahlung in Geldform einerseits oder stattdessen durch Lieferung einer bestimmten Aktie andererseits auf den ersten Blick die Art und Weise der Leistung des Emittenten lediglich zu modifizieren. Nach herrschender Ansicht handelt es sich dabei hingegen nicht um eine bloße Modalität der Ausübung der Hauptleistung des Emittenten, sondern um eine Bedingung, die den Kern des Leistungsversprechens beschreibt und deshalb zu den leistungsbeschreibenden Bedingungen gehört.32 Selbiges gilt für Klauseln, welche die Kündigungsoptionen regeln. Sie stehen im direkten Bezug zu den Preiskonditionen des Produktes (dazu siehe § 3 SchVG Rz. 66) und haben mithin, wenngleich sie als Klauseln zur Regelung der Rechte und Pflichten der Parteien ausgestaltet sind, leistungsbeschreibenden Charakter. Ersichtlicherweise lassen die Besonderheiten des Schuldverschreibungsrechts eine sichere Unterscheidung zwischen leistungsbeschreibenden und leistungsgestaltenden Bedingungen kaum zu. Aus diesem Erwägungsgrund heraus hat der Gesetzgeber sich im Rahmen der gesetzlichen Kodifikation des Be-

14

28 29 30 31

Siehe dazu OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14 – Rz. 37, AG 2015, 87. BGH, v. 12.3.1987 – VII ZR 37/86, BGHZ 100, 157 (173); Assmann, WM 1995, 1053 (1058). Horn, ZHR 173 (2009), 12 (32). Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 20; Schlitt/ Schäfer, AG 2009, 477 (485). 32 Assmann, WM 1995, 1053 (1058).

Artzinger-Bolten/Wöckener 49

§ 2 SchVG Rz. 15 Anleihebedingungen griffs der Anleihebedingungen im SchVG bewusst für eine extensive Ausgestaltung entschieden.33 3. Nebenbestimmungen 15

Die Legaldefinition von Anleihebedingungen in § 2 Satz 1 SchVG ist nicht vollständig. Als weiteren Bestandteil enthalten Anleihebedingungen ferner die sog. Nebenbestimmungen. Sie sind für das Leistungsprofil des Produktes nicht prägend34, was sich ausdrücklich aus § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG ergibt. Unter Nebenbestimmungen versteht man vor allem35: – Gerichtsstandklauseln; – Rechtswahlklauseln; – Erfüllungsortklauseln; – Veröffentlichungen und Benachrichtigungsregeln; – Vorlegungsfristen und Verjährungsklauseln; – Klauseln über die Hinterlegung und den Austausch der Urkunde; – Klauseln über die Nebenverpflichtungen des Emittenten, die seine wirtschaftliche Freiheit einschränken, ohne dabei Zahlungs- und Lieferpflichten zu regeln, wie z.B. Zusicherungen bei High Yield Bonds (die sog. covenants).

IV. Skripturprinzip (§ 2 Satz 1 SchVG) 1. Strenges Verbriefungserfordernis 16

Nach § 2 Satz 1 SchVG müssen sich die Anleihebedingungen – vorbehaltlich der Ausnahme von Satz 2 – unmittelbar und vollständig aus der Urkunde ergeben. Diese Regelung entspricht dem in §§ 793 Abs. 1 Satz 1, 796 BGB für Inhaberpapiere festgelegten wertpapierrechtlichen Skripturprinzip, nach dem der Inhaber vom Aussteller der Urkunde (Emittenten) die Leistung ausschließlich nach Maßgabe des in der Urkunde verbrieften Versprechens verlangen kann.36 Das Gesetz geht vom traditionellen wertpapierrechtlichen Leitbild einer umlauffähigen Urkunde aus.37 Diese Strenge des Verbriefungserfordernisses ist den fehlenden Prüfungsmöglichkeiten des einzelnen Erwerbers im Massengeschäft mit Wertpapieren geschuldet. Die erworbene Urkunde ist der einzige Anknüpfungspunkt zur Bestimmung des Inhalts der Leistungszusage des Emittenten. Aus der Urkunde müssen sich daher Rechte ergeben.38 Dem Erwerber soll mit Hilfe des Verbriefungserfordernisses gewährleistet werden, dass er, wenn er mit dem Erwerb des Papiers, also der Urkunde, das in dieser Urkunde verbriefte Recht erwirbt, sich auf den Inhalt der Urkunde sowie Bestand und Durchsetzbarkeit dieses Rechts verlassen und damit vollen Verkehrsschutz genießen kann.39 Ohne diese Gewährleistung wäre die Umlauffähigkeit oder Fungibilität der Wertpapiere und damit gleich33 Auch Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Sester, AcP 209(2009) 628 (635); Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 13. 34 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 50. 35 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 50, § 5 SchVG Rz. 29; Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 67 (81); Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 17; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (13); Wolf in FS Zöllner, 1998, 651 (654). 36 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523). 37 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 38 Kusserow, RdF 2012, 4 (8). 39 Kusserow, RdF 2012, 4 (5, 8).

50

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 19 § 2 SchVG

zeitig der geordnete Ablauf und die Funktionsfähigkeit des gesamten Kapitalmarktes erheblich beeinträchtigt.40 2. Verbriefungserfordernis und Auslegung von Anleihebedingungen Andererseits bewirkt das Skripturprinzip keine Beschränkung hinsichtlich des Heranziehens außerhalb der Urkunde liegender Umstände zum Zwecke der Auslegung der Anleihebedingungen und des Leistungsversprechens. Die Rechtsprechung verlangt allerdings zusätzlich, dass diese Umstände „für die allgemeine Verkehrsauffassung von unmittelbarer Bedeutung sind“.41 Als Beispiel werden Erklärungen genannt, die der Emittent bei der Ausgabe der Papiere entweder in der Hauptversammlung oder gegenüber der Presse zur näheren oder weiteren Erläuterung der Schuldverschreibungen abgibt, sowie besondere Begleitumstände, Anlass und Zweck für die Ausgabe der Papiere. Maßgeblich ist die Beurteilung, die Papieren der vorliegenden Art im Zeitpunkt ihrer Ausgabe in den beteiligten Wirtschaftskreisen allgemein zuteilwird. Die einzige Einschränkung, die nach der BGH-Rechtsprechung zu beachten ist, und die insbesondere in der letzten Entscheidung im Zusammenhang mit den Anleihebedingungen ausdrücklich hervorgehoben wird, ist die Notwendigkeit einer einheitlichen, kohärenten Auslegung für alle Schuldverschreibungen. Besonderheiten, die sich aus der Person eines einzelnen Inhabers ergeben, müssen bei der Auslegung außer Betracht bleiben.42

17

3. Entstehung des verbrieften Rechts und Bedeutung der Urkunde Bedingt durch das Skripturprinzip kann der Skripturakt allein das verbriefte Recht nicht zur Entstehung bringen. Die Errichtung der Urkunde wirkt für das verbriefte Recht konstitutiv, ist jedoch nicht die einzige Wirksamkeitsvoraussetzung.43 Die Entstehung der Forderung setzt über die Schaffung der Urkunde hinaus, die Übertragung des Eigentums an der Urkunde44 und die Einigung des Emittenten und des Ersterwerbers über die Begründung der verbrieften Forderung in der Form des Abschlusses des Begebungsvertrages voraus.45

18

Im Rahmen einer Eigenemission findet dabei ein Direktvertrieb vom Emittenten an den Anleger statt. Der Begebungsvertrag wird dementsprechend zwischen Emittent und Anleger geschlossen46, sodass diesen unmittelbar die Rechte und Pflichten aus den Anleihebedingungen treffen. Bei einer Fremdemission hingegen fungiert eine Emissionsbank oder ein Bankenkonsortium als Intermediär. Die Emissionsbank übernimmt hierbei zunächst die gesamte, in Teil-

19

40 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 95; Kusserow, RdF 2012, 4 (8); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 4. 41 BGH v. 23.10.1958 – I ZR 4/57, BGHZ 28, 259 (264); BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1501); auch Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (363); Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 4. 42 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, NJW 2005, 2917 (2918); BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1501). 43 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 16. 44 Zu der Übertragung des Eigentums an der Urkunde s. Bliesener in Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth, Perspektiven des Wirtschaftsrechts, S. 355 (363 f.); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 18 f. 45 Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523 f.); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 8; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 1 SchVG Rz. 16; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (11); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 83. 46 Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123); Assmann, WM 2005, 1053 (1055).

Artzinger-Bolten/Wöckener 51

§ 2 SchVG Rz. 20 Anleihebedingungen schuldverschreibungen zu zerlegende, Anleihe vom Emittenten. Durch die Emissionsbank werden die Anleihen sodann an die Anleger vertrieben. Originäre Schuldverhältnisse entstehen dabei nur zwischen den jeweils unmittelbar miteinander beteiligten Parteien. Entsprechend kommt der Begebungsvertrag in dieser mittelbaren Platzierungsvariante zwischen dem Emittenten und der Emissionsbank zustande. Der Anleger erwirbt die Rechte und Pflichten aus den Anleihebedingungen erst nach der wirksamen Abtretung durch die Emissionsbank.47 20

Die Frage nach der Entstehung der verbrieften Forderung war lange Zeit Gegenstand einer intensiven Diskussion. Aufgrund des Wortlauts des § 794 BGB wurde früher die Ansicht (ältere Kreationstheorie) vertreten, die in der Schuldverschreibung verkörperte Forderung entstünde unabhängig vom Begebungsvertrag.48 Maßgeblich soll allein die Schaffung des Wertpapiers durch den Emittenten, also der Skripturakt sein, der als einseitiges, nichtempfangsbedürftiges Rechtsgeschäft angesehen wurde. Weitergehend sollte das Papier einem Dritten übertragen (oder sonst in den Verkehr gebracht) werden, wobei die Eigentumsübertragung nicht als eigentlicher Entstehungstatbestand, sondern als eine Art der Bedingung für die Wirksamkeit der Forderung aufgefasst wurde.49 Die Anwendung der Kreationstheorie führte allerdings zu unbefriedigenden Ergebnissen. So könnte die Urkunde den Emittenten als Aussteller auch in dem Fall verpflichten, wenn sie gänzlich ohne oder gar gegen seinen Willen in den Verkehr gelangte (z.B. beim Verlust oder Diebstahl der Urkunde).50 Die Kreationstheorie wird aus diesem Grund heute nicht mehr vertreten.

21

Die heute herrschende Vertragstheorie51 knüpft an die Systematik der deutschen Rechtsordnung an, der es fremd ist, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen durch einseitige Erklärungen zu begründen. Dies würde dem § 311 Abs. 1 BGB widersprechen, der gerade bestimmt, dass zur rechtsgeschäftlichen Begründung von Schuldverhältnissen ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich ist. Ausnahmen von dieser Regelung sind zulässig, allerdings nur soweit sie gesetzlich normiert sind. Eine solche Ausnahme stellt aber nur die Auslobung i.S.v. § 657 BGB dar.52 Somit ist nicht der Skripturakt, sondern das Bestehen des Begebungsvertrages zwischen Emittent und Anleihegläubiger die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung der Forderung.

22

Der Begebungsvertrag weist einen Doppelcharakter auf. Einerseits stellt er die rechtsgeschäftliche Einigung der Parteien über die Begründung der verbrieften Forderung dar. Er legt den Inhalt der Forderung fest und ist damit ein (häufig nur konkludent geschlossener) schuldrechtlicher Vertrag zwischen dem Emittenten und dem Ersterwerber. Andererseits enthält dieser auch die dingliche Einigung über den Eigentumsübergang an der Urkunde,

47 Zur Einbeziehungsproblematik, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der AGB-Problematik, siehe § 3 SchVG Rz. 28 ff. 48 Kuntze, Die Lehre von den Inhaberpapieren, 1857, S. 329 ff.; Lange, Die Kreationstheorie im heutigen Reichsrechte, 1906, S. 44 f. 49 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 35; Assmann, WM 2005, 1053 (1057); Kallrath, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen, S. 41; Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523). 50 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 34; Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523). 51 Vgl. BGH v. 30.11.1972 – II ZR 70/71, NJW 1973, 282 (283); BGH v. 15.7.2014 – XI ZR 100/13, NZG 2014, 1234 (1236) = AG 2014, 701; Kallrath, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen, S. 41; Bungert, DZWiR, 1996, 185 (186); Joussen, WM 1995, 1861 (1864); Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, Vorbem. zu §§ 793 ff. Rz. 29; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 14; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, S. 39; Thomas in Palandt, § 793 BGB Rz. 8. 52 Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen, S. 172; Assmann, WM 2005, 1053 (1057).

52

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 25 § 2 SchVG

stellt also zugleich einen sachenrechtlichen Vertrag dar.53 Ist der Vertrag unwirksam, kann der Ersterwerber das in der Schuldverschreibung verbriefte Recht nicht erwerben, wohl aber ein gutgläubiger Zweiterwerber. Der Grund für die Haftung des Emittenten gegenüber einem solchen gutgläubigen Zweiterwerber liegt (nach der modifizierten Vertragstheorie in Gestalt der Rechtsscheintheorie) in der zurechenbaren Schaffung des Rechtsscheins einer gültigen Verpflichtung durch die Ausstellung einer umlauffähigen Schuldverschreibungsurkunde durch den Emittenten.54 Bezüglich des schuldrechtlichen Bestandteils des Begebungsvertrages wird im Schrifttum vereinzelt vertreten, die Anleihebedingungen seien nicht zugleich Bestandteil des Begebungsvertrages. Hiernach ergäbe sich der Inhalt der Anleihebedingungen nicht aus dem Begebungsvertrag, sondern allein aus der Urkunde. Die Rechte aus dem Papier sollen sich damit nur nach dem Skripturakt und nicht nach dem Begebungsvertrag richten. Der Begebungsvertrag sei in Bezug auf den Inhalt des Leistungsversprechens abstrakt. Seine Funktion bestehe lediglich darin, festzulegen, dass der Erwerber des Wertpapiers die in diesem Wertpapier verbriefte Rechte haben solle (Verweis-Funktion), und damit die Rechte zur Entstehung zu bringen. Für die Festlegung des konkreten Umfanges dieser Rechte soll wiederum der Inhalt des Wertpapiers (oder das Gesetz) entscheidend sein.55

23

Diese, künstlich zwischen dem Inhalt der Anleihebedingungen und dem Inhalt des Begebungsvertrages trennende Konstruktion ist mit Sinn und Zweck von Anleihebedingungen nicht vereinbar. Sinn und Zweck der Anleihebedingungen besteht namentlich darin, den genauen Rahmen des verbrieften Rechts festzulegen, auf dessen Erwerb der Abschluss des Begebungsvertrages durch den Ersterwerber mit dem Emittenten (auch in konkludenter Form) gerade gerichtet ist. Es würde schlicht nicht der Rechtswirklichkeit entsprechen und jeglicher rationalen Handlungsmaxime widersprechen, einen völlig abstrakten Begebungsvertrag zu schließen, der gerade das Spezifikum einer jeden Anleihe, die essentiellen Rechte und Pflichten von Emittent und Anleihegläubiger, nicht regelt.56

24

Einen ähnlichen, die Bedeutung des Begebungsvertrages reduzierenden Ansatz verfolgt die Theorie vom mehrgliedrigen Geschäft. Der Begebungsvertrag ist danach allein sachenrechtlicher Natur. Die Begründung der wertpapierrechtlichen Verpflichtung erfordere außer dem Skripturakt und Abschluss des Begebungsvertrages das schuldrechtliche Element, nämlich das Versprechen der Leistung i.S.v. § 793 BGB, also einer einseitigen Willenserklärung des Emittenten, und keinen Vertrag.57 Diesem Ansatz steht freilich die systemwidrige, gegen § 311 Abs. 1 BGB verstoßende Konstruktion einer Verpflichtung des Emittenten durch einseitige Willenserklärungen entgegen.

25

53 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 35; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 83 f.; Kallrath, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen, S. 42; Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523); Bungert, DZWiR, 1996, 185 (186); Thomas in Palandt, § 793 BGB Rz. 8; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 39. 54 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 35; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 46; Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523). 55 Assmann, WM 2005, 1053 (1057); Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, S. 39; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (401). 56 Gegen den abstrakten Charakter des Begebungsvertrages ist auch Hartwig-Jacob in Friedl/HartwigJacob, § 2 SchVG Rz. 47; Bungert, DZWiR 1996, 185 (192); Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 42. 57 von Randow, ZBB 1994, 23 (25 f.).

Artzinger-Bolten/Wöckener 53

§ 2 SchVG Rz. 26 Anleihebedingungen

V. Ausnahmen vom Skripturprinzip (§ 2 Satz 2 SchVG) 26

Das Skripturprinzip gilt nicht schrankenlos. § 2 Satz 2 SchVG konstituiert eine Ausnahme für nicht zum Umlauf bestimmte Urkunden. Bei solchen Urkunden kann auch auf außerhalb der Urkunde niedergelegte Anleihebedingungen Bezug genommen werden. Es bedarf keiner unmittelbaren Festlegung aller Bedingungen in der Urkunde selbst. Der Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift besteht vor allem darin, die Dokumentationserfordernisse zu vereinfachen und so den Bedürfnissen der wirtschaftlichen Praxis sowie der Tendenz zur Entmaterialisierung des Wertpapierumlaufs entgegenzukommen.58 1. Nicht zum Umlauf bestimmte Urkunde a) Sammel-/Globalurkunde

27

Die Auflockerung des Skripturprinzips gilt nur für Urkunden, die nicht zum Umlauf bestimmt sind. Wann dies der Fall ist, wird vom Gesetzgeber nicht geregelt. In der Praxis und im Schrifttum herrscht Einigkeit, dass die Urkunde jedenfalls dann nicht zum Umlauf bestimmt ist, wenn der Gesamtnennbetrag des Emissionsvolumens statt in einzelnen Schuldverschreibungen mit einer Stückelung in Teilnennbeträge in einzelnen Urkunden nur in einer einzigen Urkunde über den Gesamtnennbetrag, die sog. Sammelurkunde i.S.v. § 9a DepotG, verbrieft wird.59 In der Praxis wird diese Verbriefungsform als Globalurkunde bezeichnet.60 Gemäß § 9a DepotG stellt eine Sammelurkunde ein Wertpapier dar, das mehrere Rechte verbrieft, die jedes für sich in vertretbaren Wertpapieren einer und derselben Art verbrieft sein könnten. Die Sammel- oder Globalurkunde ermöglicht somit eine zusammengefasste Verbriefung mehrerer Einzelrechte und macht die Erstellung von Einzelurkunden über einzelne Schuldverschreibungen entbehrlich, was erklärt, warum die Verwendung von Sammelurkunden heutzutage den Regelfall darstellt.61 Auch vom Gesetzgeber wurden sie als klassischer Fall der Anwendbarkeit der in § 2 Satz 2 SchVG geregelten Ausnahme angesehen.62

28

Von der Verwendung von Sammelurkunden ist der Fall zu unterscheiden, dass lediglich Einzelurkunden erstellt werden, diese aber in Sammelverwahrung (§ 5 DepotG) gegeben werden (sammelverwahrte Einzelurkunden), sodass dem Anleihegläubiger gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 DepotG ein Herausgabeanspruch zusteht. In diesem Fall sind die Urkunden zum Umlauf bestimmt. Infolgedessen kann die Strenge des Skripturprinzips für solche Urkunden nicht gelockert werden.63 Dem Emittenten steht aber gem. § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 DepotG die Möglichkeit zu, diese Einzelurkunden, soweit sie nicht sonderverwahrt sind, durch eine Sammelurkunde zu ersetzen. Solange er davon keinen Gebrauch macht, bringt er zum Ausdruck, dass er mit dem Umlauf der Einzelurkunden einverstanden ist.64

29

Die Einzelurkunden sind Urkunden, bei denen es an der Bestimmung zum Nicht-Umlauf fehlt, und zwar unabhängig von der Art der Verwahrung. Von der Ausnahme des Skriptur58 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 967; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 3; Horn, ZHR 173 (2009) 12 (33). 59 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 9. 60 Scherer in Scherer, § 1 DepotG Rz. 22, § 9a DepotG Rz. 2. 61 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 5; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 97; Than in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 3 (17); zu den Vorteilen der Verwendung von Sammelurkunden s. Scherer in Scherer, § 9a DepotG Rz. 1. 62 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 63 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 15; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 28 ff.; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 63. 64 Röh/Dörfler in Preuße, § 2 Rz. 30; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 97.

54

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 32 § 2 SchVG

prinzips können sie nicht profitieren, unabhängig davon, ob sie eigenverwahrt, sonderverwahrt (§ 2 DepotG) oder sammelverwahrt (§ 5 DepotG) werden.65 b) Globalurkunden (Global Notes) Zu den nicht zum Umlauf bestimmten Urkunden gehören auch die sog. Globalurkunden (Global Notes). Wie vorstehend dargelegt, handelt es sich dabei Sammelurkunden, die eine Mehrzahl von Einzelrechten verbriefen, die ansonsten selbst jeweils in einer Einzelurkunde verbrieft sein könnten. Die rechtliche Selbständigkeit der einzelnen verbrieften Rechte bleibt dabei bestehen. Globalurkunden dienen vor allem der Vereinfachung des Effektenverkehrs und ermöglichen so Wertpapieremissionen, ohne dass es zuvor einer Herstellung und anschließenden Auslieferung sämtlicher Einzelurkunden an die Anleger bedarf.66 In der Praxis handelt es sich bei Global Notes zumeist um international gehandelte Anleihen, die im Land der Anleihewährung und grenzüberschreitend platziert werden oder um Publikumsanleihen.67 Sie werden nicht bei einer nationalen Wertpapiersammelbank (Central Securities Depository, CSD), sondern bei einem International Central Securities Depository (ICSD) – wie beispielsweise Clearstream International S.A. (Luxemburg) und Euroclear S.A. (Brüssel) – oder bei einer von diesen benannten gemeinsamen Verwahrstelle (Common Safekeeper, CSK) verwahrt.68

30

c) Classic und New Global Notes Die Ausnahme des § 2 Satz 2 SchVG gilt für alle Formen der Globalurkunde. Erfasst sind 31 damit zunächst die lange Zeit praxisdominierenden Classical Global Notes (CGNs). Bei der Verwendung dieser CGNs werden üblicherweise sowohl Clearstream (Brüssel) als auch Euroclear (Luxemburg) gleichzeitig als ICSD eingeschaltet. Zudem wird eine dritte Partei, regelmäßig eine private Bank, als gemeinsame Verwahrstelle eingesetzt. Diese verwahrt die Globalurkunde. Somit hält allein die gemeinsame Verwahrstelle die Globalurkunde für das Clearingsystem, das Clearingsystem für die Depotbanken und die Depotbanken für die jeweiligen Anleihegläubiger (gestuftes Besitzmittlungsverhältnis).69 Die dargestellte Ausgestaltung des Verfahrens wurde zuletzt allerdings von der EZB kritisch 32 bewertet. Die EZB, die satzungsgemäß Darlehen an Marktteilnehmer vergeben kann, solange diese eine ausreichende Sicherheit stellen70, kam bei dieser Reevaluierung zu dem Schluss, dass Schuldtitel, die in Form von klassischen Globalurkunden verwahrt werden, keine ausreichende (marktfähige) Sicherheit mehr darstellen. Grund dafür sei die herkömmliche Vorgehensweise bei der Verwahrung von CGNs, bei der keine der beiden ICSDs selbst die Globalurkunde hält und zudem keinerlei direkte Vertragsbeziehungen zwischen ICSDs und dem Emittenten besteht. Zur Sicherstellung der Notenbankfähigkeit und der Einstufung als marktfähige Sicherheit von Globalurkunden und somit auch zur Gewährleistung der Kapitalmarkttauglichkeit – wurden daraufhin im Januar 2007 die nun im Rahmen des Eurosystems der europäischen Zentralbanken als Sicherheiten genutzten New Global Notes (NGNs) eingeführt.71 Im Unterschied zu CGNs wird bei diesen stets nur eine der beiden ICSDs oder eine zentrale 65 66 67 68 69 70

Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 96 f. Scherer/Martin in Scherer, § 9a DepotG Rz. 1 ff.; Heinsius/Horn/Than, § 9a DepotG Rz. 1. Kualamo in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl. 2013, § 17 Rz. 9. Bliesener in Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth, Perspektiven des Wirtschaftsrechts, S. 355 (367). Scherer/Martin in Scherer, § 9a DepotG Rz. 16. ABl. C 83 v. 30.3.2010, S. 230, abrufbar unter: http://www.ecb.int/ecb/legal/1341/1343/html/index. de.html. 71 Zu den Gründen der Einführung von New Global Notes siehe Scherer/Martin in Scherer, § 9a DepotG Rz. 16; Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 14; Bliesener in Baum/Fleckner/Hellgardt/Roth, Perspektiven des Wirtschaftsrechts, S. 355 (367).

Artzinger-Bolten/Wöckener 55

§ 2 SchVG Rz. 33 Anleihebedingungen Verwahrstelle als gemeinsame Verwahrstelle tätig. Nach dem oben Gesagten unterfallen auch diese der Ausnahmeregelung des § 2 Satz 2 SchVG. 2. Bezugnahme auf außerhalb der Urkunde niedergelegte Bedingungen a) Einbeziehung durch Verweis (incorporation by reference) 33

§ 2 Satz 2 SchVG erlaubt eine Bezugnahme auf außerhalb der nicht zum Umlauf bestimmten Urkunde niedergelegte Bedingungen. Die konkrete Art der „Niederlegung“ dieser Bedingungen wird gesetzlich nicht näher konkretisiert. Der Begriff „niedergelegt“ dient dabei als gesetzgeberische Klarstellung hinsichtlich der Zulässigkeit einer schriftlichen Fixierung der Bedingungen in anderen Dokumenten, auf die aber in der Urkunde Bezug genommen werden muss.72 Eine Verkörperung der gesamten Anleihebedingungen in der Urkunde selbst ist daher nicht erforderlich. Entsprechend des Telos der Norm sind außerhalb der Urkunde niedergelegte Bedingungen diejenigen Bedingungen, die nicht mit der Urkunde selbst verbunden sind. Sie müssen nicht gemeinsam mit der Urkunde verwahrt werden. Die Bedingungen, die zusammen mit der Urkunde verwahrt werden, wären ohnehin Teil der Urkunde selbst.73

34

Eine Bezugnahme auf die Bedingungen ist aus diesem Grund auch dann zulässig, wenn die Anleihebedingungen nicht zusammen mit der Urkunde (als Anhang) zentral verwahrt sind. Eine andere Interpretation würde dem Ausnahmecharakter der Vorschrift widersprechen und die Norm ihres Zweckes entledigen. Zentral verwahrte Sammelurkunden können überdies von Anlegern nie eingesehen werden, sodass die Hinterlegung der Bedingungen mit der Urkunde keinen zusätzlichen Anlegerschutz mit sich bringen würde.74 Schließlich spricht gegen das Erfordernis der Mitverwahrung der Bedingungen auch der Wunsch des Gesetzgebers, den Anforderungen der Marktteilnehmer entgegenzukommen, das deutsche System dem englischen und New Yorker Recht, welche das Prinzip incorporation by reference umfassend anerkennen, gleichzusetzen.75 b) Einzelne Beispiele

35

Als außerhalb der Urkunde niedergelegte Bedingungen, auf die eine Bezugnahme zulässig ist, haben die Praxis und das Schrifttum mehrere Bedingungen qualifiziert76: – im Prospekt abgedruckte Emissionsbedingungen; – Konditionenblatt (Pricing Supplement); – Definition und Beschreibung von Referenzaktiva;

72 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 96; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 3. 73 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 6; DAV, Stellungnahme vom August 2008, S. 8. 74 Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (453); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 67. 75 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 5 f.; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 67; a.A. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 98 f.; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 7, 32 (die Autoren gehen davon aus, dass der Zweck der Vorschrift, insbesondere unter Beachtung der Registerfunktion des § 21 Abs. 1 SchVG, bloß darin bestehe, klarzustellen, dass die bisherige Praxis der Beifügung der Anleihebedingungen zur Sammelurkunde als Anlage (so Begr. RegE, BTDrucks. 16/12814, 17) zulässig sei. 76 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 7; Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (453), Fn. 62; Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 12.

56

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 37 § 2 SchVG

– Bestimmungen von solchen Marktorganisationen wie von der International Swaps and Derivatives Association (ISDA), z.B. ISDA Credit Derivative Definitions und ISDA Equity Derivative Definitions77; – Zinsbestimmungsregeln (wie z.B. LIBOR oder EURIBOR); – Bestimmungen des auf die Emission bezogenen Zahlstellenvertrages (Agency Agreement); – Bestimmungen des Treuhandvertrages (Trust Agreement) und Sicherheitenvertrages; – Indexbeschreibungen. c) Art der Verweisung Man unterscheidet grundsätzlich in zeitlicher Hinsicht zwischen zwei Arten der Verweisung, 36 der dynamischen und der statischen. Bei der statischen Verweisung handelt es sich um die Bezugnahme auf den zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa bei der Veröffentlichung des Prospektes, geltenden Text der Bedingungen.78 Im Unterschied zur statischen erfolgt bei der dynamischen Verweisung die Bezugnahme auf den Text der Bedingungen in seiner jeweils aktuellsten Fassung. Die dynamische Verweisung ermöglicht es, auf das sich während der Laufzeit der Anleihe von Zeit zu Zeit ändernde Dokument Bezug zu nehmen.79 Entgegen dem unproblematischen Fall der statischen Verweisung, stellt sich hinsichtlich der dynamischen Verweisung allerdings die Frage der Zulässigkeit dieser Form der Einbeziehung von Anleihebedingungen. Weder das SchVG noch die Gesetzesbegründung treffen dazu Aussagen. Gegen eine solche Möglichkeit sprechen jedenfalls wortlauttechnisch die Vorschriften des WpPG.80 Insoweit erklärt § 11 Abs. 1 Satz 1 WpPG die Bezugnahme des Prospektes auf andere Dokumente ausschließlich für vor oder gleichzeitig mit dem Prospekt veröffentlichte Dokumente für zulässig. Die Einbeziehung von Bedingungen in Gestalt eines Dokuments in seiner jeweils gültigen Fassung, ein dynamischer Verweis, wäre demnach unzulässig. Praktisch betroffen wären von dieser Beschränkung zuvorderst Bezugnahmen auf Bestimmungen internationaler Regelwerke wie den ISDA Credit Derivative Definitions und ISDA Equity Derivative Definitions, deren Definitionskataloge sich von Zeit zu Zeit ändern.81 Neben diesem Wortlautargument werden zudem dogmatische Bedenken vorgebracht. Die beschriebenen internationalen Regelwerke unterliegen einer kontinuierlichen Änderung. Dabei soll jede dieser Änderungen, wegen Ihrer Auswirkungen auf die Anleihebedingungen, zugleich eine Änderung der Anleihebedingungen selbst darstellen. Eine solche Änderung wäre nach § 21 SchVG aber nicht vollziehbar. Da die Änderung internationaler Regelwerke zudem außerhalb der Kompetenzen der Anleihegläubigerversammlung des Emittenten liegt, kann diese Einwirkungsmöglichkeit auch nicht von den Collective Action Clauses des § 5 Abs. 3 SchVG umfasst sein.82 Die Änderung würde also jeglicher Rechtsgrundlage entbehren. Die Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage bei Änderungen des Regelwerks entfällt jedoch, 37 sofern Änderungen der dynamisch einbezogenen Regelwerke nicht als Änderung der Anleihebedingungen selbst begriffen werden. Tatsächlich ändert sich nämlich der unmittelbare 77 Die Einbeziehung in Form des dynamischen Verweises könnte problematisch sein, dazu Rz. 35. 78 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 8. 79 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 8; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 69. 80 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 69. 81 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 69; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 35; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 2 SchVG Rz. 3; a.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 8; Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 12. 82 Roh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 35.

Artzinger-Bolten/Wöckener 57

§ 2 SchVG Rz. 38 Anleihebedingungen Wortlaut der Anleihebedingungen nicht. Viel mehr ist in diesem Fall endgültig und ohne Beschluss der Anleihegläubigerversammlung nicht änderbar in den Anleihebedingungen festgelegt, dass der jeweils geltende Text des dynamisch einbezogenen Regelwerkes maßgeblich sein soll.83 Eine Änderung der Anleihebedingungen selbst läge damit allenfalls dann vor, wenn der Verweis in den Anleihebedingungen selbst geändert würde. Die letztendliche Wirksamkeitsbeurteilung dieser Verweistechnik obläge in diesem Fall allein dem Transparenzgebot des § 3 SchVG. In Anbetracht des hierbei anzulegenden Maßstabs, namentlich der Person eines sachkundigen Anlegers, scheint die Zulässigkeit dynamischer Verweise umso angebrachter. Während ein rigoroses, abstrakt jeglicher Einzelfallbetrachtung geltendes Verweisverbot eine erhebliche Beschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten bedeuten würde, kann eine transparenzbezogene Einzelfallbetrachtung die Besonderheiten individueller Anleihebedingungen besser würdigen und dennoch einen hohen Transparenzmaßstab gewährleisten. Stellt der Emittent die jederzeitige Einsehbarkeit des einbezogenen Regelwerks sicher und genügt sowohl der einbezogene Text für sich selbst sowie im Zusammenhang mit dem übrigen Text der Anleihebedingungen dem Transparenzmaßstab (was durchaus eine Bezugnahme auf konkrete Klauseln erfordern kann84), so wäre ein pauschales Verbot dieses Vorgehens als unzulässiger Schutz des verständigen Anlegers vor sich selbst nicht zwecklegitimiert und folglich rechtswidrig. Dynamische Verweise sind daher generell, unter dem Vorbehalt der Wirksamkeit im Übrigen, zulässig. Keinesfalls ausgeschlossen wird freilich die Möglichkeit, derlei Bestimmungen im Rahmen der Auslegung der Anleihebedingungen nach Maßgabe der allgemeinen Regeln heranzuziehen.85 d) Kettenverweisung 38

Ebenso bestehen im Hinblick auf Kettenverweisungen, also Verweise in Anleihebedingungen auf ein Dokument, welches seinerseits wiederum auf andere Dokumente verweist, Bedenken hinsichtlich ihrer Zulässigkeit.86 Wie auch bei dynamischen Verweisen bezieht sich die Kritik an der Zulässigkeit dieser Klauseln prima facie auf Transparenz- und Bestimmtheitsgesichtspunkte. So führt eine Verweiskette zur Notwendigkeit der inhaltlichen Überprüfung des Inhaltes gleich mehrerer (mindestens dreier) Dokumente. Dem Anleger wird damit ein erhöhter Aufwand und damit verbunden eine potentielle Gefährdung der Transparenz und Verständlichkeit der Bedingungen aufgebürdet, um sich Kenntnis über den Inhalt der Anleihebedingungen zu verschaffen. Indes existieren keinerlei kapitalmarktrechtliche Normen, die diese Form der Bezugnahme auf außerhalb der Urkunden niederlegte Bedingungen ausdrücklich untersagen. Ebenso wenig wie dynamische Verweise können Kettenverweisungen deshalb jedenfalls nicht als pauschal unzulässig betrachtet werden. Wegen der dennoch nicht von der Hand zu weisenden Verständlichkeitsbedenken, muss die Zulässigkeit solcher Verweise stets den Anforderungen der Transparenz und Bestimmtheit i.S.d. § 3 SchVG genügen. Sofern der Emittent daher durch genaue Bezeichnung und möglichst noch durch Zurverfügungstellung der relevanten Regelwerke die Unverwechselbarkeit und ständige Einsehbarkeit des einbezogenen Regelwerkes gewährleistet, bestehen jenseits der auch für alle anderen Klauseln geltenden Transparenzanforderungen keine weitergehenden Bedenken gegen Kettenverweisungen.

83 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 8. 84 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 10. 85 Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 36. 86 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 2 SchVG Rz. 70; Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 33.

58

Artzinger-Bolten/Wöckener

Anleihebedingungen

Rz. 42 § 2 SchVG

3. Grenzen der Bezugnahme Die Einbeziehung außerhalb der Urkunde niedergelegter Bedingungen unterliegt demnach den Grenzen des Transparenzgebots von § 3 SchVG. Nach dieser Vorschrift soll der Anleger in der Lage sein, den Inhalt der versprochenen Leistung anhand der Anleihebedingungen ermitteln zu können. Anleihebedingungen sind deshalb nur dann wirksam, wenn eine hinreichende Zugänglichkeit des Dokuments, auf das Bezug genommen wird, für Anleger gewährleistet ist. Dies kann beispielsweise durch Veröffentlichung der Texte auf seiner Internetseite erreicht werden.87

39

4. Sprache der Anleihebedingungen Die Sprache der Anleihebedingungen in der Urkunde selbst, sowie in etwaigen Referenzdokumenten, ist gesetzlich nicht geregelt. Weder müssen die Anleihebedingungen deshalb zwingend in deutscher Sprache verfasst sein, noch besteht ein generelles Erfordernis der Spracheinheit in allen Dokumenten.88 In der kapitalmarktrechtlichen Praxis hat es sich allerdings etabliert, deutschrechtliche Anleihebedingungen in deutscher Sprache zu verfassen und zudem eine nicht bindende englische Übersetzung beizufügen. Beschränkungen ergeben sich im Übrigen allein aus dem Transparenzgebot des § 3 SchVG (siehe dazu auch § 3 SchVG Rz. 21).

40

VI. Vollzug von Änderungen von Anleihebedingungen (§ 2 Satz 3 SchVG) Gemäß § 2 Satz 3 SchVG werden Änderungen des Inhalts der Urkunde oder der Anleihebedingungen nach Abschnitt 2 des SchVG erst dann wirksam, wenn diese Änderungen auch in der Urkunde oder in den Anleihebedingungen vollzogen wurden. Die Norm bestätigt in diesem Zusammenhang also das allgemeine Skripturprinzip.89 Nach dem Wortlaut von § 2 Satz 3 SchVG müssen Änderungen kumulativ sowohl in der Urkunde als auch in den Anleihebedingungen selbst nachvollzogen werden. Handelt es sich hingegen um eine Sammelurkunde, ist eine umfassende Vollziehung entgegen des Wortlauts der Vorschrift entbehrlich. Denn nach § 21 Abs. 1 SchVG, der die Vollziehung von Änderungen der Anleihebedingungen konkretisiert, ist die Beifügung der Niederschrift über den die Anleihebedingungen ändernden Beschluss zur bei Wertpapiersammelbank verwahrten Sammelurkunde in diesem Fall ausreichend. Ein Austausch der alten Urkunden gegen neue Urkunden ist daher nicht erforderlich.90 Es bedarf keines Vollzugs „in“ der Urkunde. Die Begriffe „Urkunde“ und „Anleihebedingungen“ werden in diesem Zusammenhang synonym verstanden.91

41

Handelt es sich dagegen um Einzelurkunden, also Urkunden, denen die Bestimmung zum Nicht-Umlauf fehlt, bleibt die Anwendbarkeit von § 2 Satz 2 SchVG, der die Strenge des Skripturprinzips durch Bezugnahme auf die außerhalb der Urkunde niedergelegten Bedingungen lockert, sowie die Anwendbarkeit von § 21 Abs. 1 SchVG, der die Vollziehung der Änderungen von Anleihebedingungen erleichtert, gesperrt. In dieser Konsequenz ist der Vollzug der Änderung der Anleihebedingungen „in“ der Urkunde notwendig. Da es insofern der Mitwirkung jedes einzelnen Inhabers der Schuldverschreibung bedarf, ist dieses Prozedere in der

42

87 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 99. 88 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 10; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 2 SchVG Rz. 4; Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (453). 89 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 3. 90 Röh/Dörfler in Preuße, § 2 SchVG Rz. 38. 91 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 2 SchVG Rz. 11.

Artzinger-Bolten/Wöckener 59

§ 3 SchVG Transparenz des Leistungsversprechens wirtschaftlichen Praxis kaum durchführbar.92 Dem Emittenten steht aber die Möglichkeit zu, gem. § 9a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 DepotG einzelne Wertpapiere eines Sammelbestands, soweit sie nicht sonderverwahrt sind, durch eine Sammelurkunde zu ersetzen, um von der Erleichterung von § 2 Satz 2 und § 21 Abs. 1 SchVG profitieren zu können.93

§3 Transparenz des Leistungsversprechens Nach den Anleihebedingungen muss die vom Schuldner versprochene Leistung durch einen Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist, ermittelt werden können. I. II. III. 1. 2.

3. 4.

5.

6. IV.

1. 2. 3. 4.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . Transparenzgebot Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßstab für Transparenz a) Sachkundiger Anleger . . . . . . . . . . . . b) Objektiv-abstrakte Sichtweise . . . . . . Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transparenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . a) Gebot der Klarheit und Verständlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmtheitsgebot. . . . . . . . . . . . . . c) Transparenzanforderungen des Prospektregimes . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen bei Verstoß gegen § 3 SchVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadensersatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 SchVG und § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB AGB-Recht und Anleihebedingungen aus Sicht der Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur Anleihebedingungen als AGB. . . . . . . . . Keine Einbeziehungskontrolle nach § 305 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Bereichsausnahme, § 310 Abs. 4 BGB analog. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 305c BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kontrollfreie Klauseln, § 307 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nicht kontrollfreie Klauseln

1 2 6 8 10 14 16 16 17 20 21 22 23 24 25 29

V. 1. 2. 3.

30 36 41 45 46 50

4. VI.

aa) § 309 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 308 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einzelne Klauseln aa) Änderungsvorbehalte . . . . . . . . . bb) Berichtigungsvorbehalte . . . . . . . cc) Bestimmungsvorbehalte . . . . . . . dd) Gleitklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verlustbeteiligung bei Genussscheinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Kündigungsrechte. . . . . . . . . . . . gg) Salvatorische Klauseln . . . . . . . . e) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gegenansicht der Mindermeinung: Anleihebedingungen sind keine AGB Begründetheit der Rechtsprechung . . . . Möglicher Konflikt mit EU-Recht . . . . . Prüfung einzelner Merkmale der AGB . . a) Eigenemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fremdemission aa) Vorrang der Individualabrede, § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB . . . . . . . bb) Korrekturversuche (1) Analoge Anwendung des AGB-Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Teleologische Reduktion . . . . . . . (3) Umgehungsverbot von § 306a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Richtlinienkonforme Auslegung. c) Problem der unterschiedlichen Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maßgeblichkeit des Schutzzwecks des AGB-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vermittelnde Gegenansicht: AGB, aber keine Inhaltskontrolle . . . . . . . . .

54 55 57 60 61 63 64 65 70 71

72 77 85 86 88 94 96 98 101 103 104 108

92 Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 20. 93 Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 20; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 97.

60

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

§ 3 SchVG

Schrifttum: Adams, Ökonomische Begründung des AGB-Rechts, BB 1989, 781-788; Akerlof, The Market for „Lemons“: Quality Uncertainty and the Market Mechanism, Quarterly Journal of Economics 1970, 488-500; Allen, More than a matter of trust: German Debt Securities Act 2009 in international perspective, Capital Markets Law Journal, Vol. 7, No. 1, 55-85; Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des SchVG, ZIP 2014, 845-857; Assmann, Anleihebedingungen und AGB-Recht, WM 2005, 1053-1068; Baum, SchVG, Anleihebedingungen und AGB-Recht: Nach der Reform ist vor der Reform, in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 1595-1614; Baums, Weitere Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZHR 177 (2013), 807-818; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, Diss. Hamburg, 2012; Bungert, Wertpapierbedingungen und Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz, DZWiR 1996, 185-199; Burn, Bond issues under U.K. law: how the proposed German legislation compares, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 219-242; Deutsches Aktieninstitut e.V., Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines Bundesschuldenwesengesetzes: Änderung des Schuldverschreibungsgesetzes, abrufbar unter http://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/positionspapiere/2012-05-16-DAI% 20Stellungnahme%20Bundesschuldenwesengesetz.pdf; Deutscher Anwaltverein, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften vom August 2008, abrufbar unter: http://anwaltverein.de/downloads/Stellungnahmen-08/SN41.pdf; Ekkenga, WertpapierBedingungen als Gegenstand richterlicher AGB-Kontrolle?, ZHR 160 (1996), 59-74; Gottschalk, Emissionsbedingungen und AGB-Recht, ZIP 2006, 1121-1127; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, Diss. Köln, 1999; Hopt, Änderung von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 BGB und AGBG, in FS Steindorff, 1990, S. 341-382; Hopt, Neues Schuldverschreibungsrecht – Bemerkungen und Anregungen aus Theorie und Praxis, in FS Schwark, 2009, S. 341-457; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446-453; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12-66; Joussen, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen nach dem AGBG, WM 1995, 1861-1869; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen, 1994; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, Diss. Tübingen, 2011; Lenenbach, Aktienanleihen: Ihre Behandlung im Zivil- und Börsenterminrecht und nach dem AGBG – Zugleich Besprechung des Urteils des LG Frankfurt, NZG 2000, 793, NZG 2001, 481-493; Leuering/Zetzsche, Die Reform des Schuldverschreibungs- und Anlageberatungsrechts – (Mehr) Verbraucherschutz im Finanzmarktrecht?, NJW 2009, 2856-2861; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz; Die Bedeutung des AGB-Gesetzes für Emissionsbedingungen von Anleihen, Diss. Heidelberg, 2000/2001; Oulds, Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz und Bundesschuldenwesengesetz, CFl 2012, 353-363; Podewils, Transparenz- und Inhaltskontrolle von Zertifikatbedingungen – Insbesondere zur Zulässigkeit einseitiger Einwirkungsbefugnisse des Emittenten –, ZHR 174 (2010), 192-208; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, AG 2009, 477-487; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, Diss. Frankfurt/M., 2010; Schmidt/Schräder, Leistungsversprechen und Leistungsbestimmungsrechte in Anleihebedingungen unter Berücksichtigung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2009, 397-404; Seibt/Schwarz, Anleihekündigung in Sanierungssituationen, ZIP 2015, 401-413; Sester, Transparenzkontrolle von Anleihebedingungen nach Einführung des neuen Schuldverschreibungsrechts, AcP 209 (2009), 628-667; Siebel, Buchbesprechung Jürgen Kallrath – Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen, WM 1994, 1781-1783; Stoffels, Grundsatzfragen der AGB-Kontrolle, in Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig (Hrsg.), Anlegerschutz im Wertpapiergeschäft – AGB in der Kreditwirtschaft, 2011, S. 89 (94); Veil, Der Schutz des verständigen Anlegers durch Publizität und Haftung im europäischen und nationalen Kapitalmarktrecht, ZBB 2006, 162-171; von Randow, Anleihebedingungen und Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes, ZBB 1994, 23-32; von Randow, Die Inhaltskontrolle von Emissionsbedingungen: Abschied vom AGB-Recht, in Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 25-68; Wolf, Anlegerschutz durch Inhaltskontrolle von Emissionsbedingungen bei Kapitalmarkttiteln, in FS Zöllner, Band 1, 1998, S. 651-666.

Artzinger-Bolten/Wöckener 61

§ 3 SchVG Rz. 1 Transparenz des Leistungsversprechens

I. Überblick 1

In § 3 SchVG findet die Transparenzkontrolle für Anleihebedingungen ihre gesetzliche Grundlage. Maßstabsperson ist ein hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundiger Anleger. Entscheidendes Kriterium ist demnach die Sachkunde des Anlegers. Als Konsequenz der Finanzmarktkrise 2008, die einen weitgehenden Verständnismangel der Anleger hinsichtlich der mit Anlageprodukten verbundenen Risiken offenbarte, konstituierte der Gesetzgeber mit § 3 SchVG eine spezielle Regelung und einen neuen Kontrollmaßstab für die Beurteilung der Transparenz von Anleihebedingungen. Entscheidend ist nach § 3 SchVG demnach nicht, ob Anleihebedingungen kompliziert formuliert sind oder nicht. Selbst sehr komplizierte Bedingungen können als transparent angesehen werden, wenn sie aus der Sicht eines Anlegers, der über Fachkenntnisse bezüglich des relevanten Anleihetypus verfügt, also in der Regel eines sachkundigen Anlegers, verständlich sind. Das Kriterium der Sachkunde unterscheidet einen solchen Anleger i.S.d. § 3 SchVG vom bloßen durchschnittlichen Kunden im Sinne des AGB-Rechts. Als Spezialregelung verdrängt § 3 SchVG die Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Ob diese Spezialregelung dabei das AGBRecht in seiner Gesamtheit und somit auch die Inhaltskontrolle i.S.v. §§ 305 ff. BGB verdrängt, ist gesetzlich nicht festgelegt. Auch die Gesetzesbegründung schweigt hierzu1. In Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bleibt der AGB-Charakter von Anleihebedingungen daher trotz der vom BGH vorgenommenen Einordnung als AGB im Jahre 20052 weiterhin unklar und sehr umstritten (unten Rz. 30 ff.). Eine nicht unerhebliche Anzahl von Stimmen im Schrifttum verneint weiterhin, entgegen der BGH-Entscheidung, die Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen.

II. Entstehungsgeschichte 2

Die Entstehung des speziellen Transparenzgebots des § 3 SchVG ist sehr eng mit der Thematik der Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen verflochten. Die lange Auseinandersetzung mit der Frage der AGB-Inhaltskontrolle mündete letztlich im Erlass einer speziellen Vorschrift zur Ausgestaltung von Anleihebedingungen. Dem Willen des Gesetzgebers entsprach es dabei, den Finanzplatz Deutschland durch Fortentwicklung und Modernisierung rechtlicher Vorschriften und ihrer Anpassung an sich ändernde Rahmenbedingungen zu stärken.3 Unter anderem sollte in diesem Kontext nach dem Diskussionsentwurf des BMJ vom April 20034 das Schuldverschreibungsrecht dereguliert werden. Zur Gewährleistung eines größeren Gestaltungsspielraums für Emittenten von Finanzprodukten war ursprünglich die Einfügung eines Satzes in § 795 Abs. 2 BGB vorgesehen, nach dem eine AGBKontrolle von Anleihebedingungen nach § 305 ff. BGB nicht stattfinden sollte.5 Laut der Begründung des Entwurfes sei diese Art der Inhaltskontrolle im Wesentlichen auf Warenlieferungs- und Dienstleistungsvorschriften zugeschnitten und passe nicht auf die Emissionsbedingungen. Der Ausschluss der AGB-Kontrolle sollte sodann nach dem Entwurf durch eine allgemeine Kontrolle nach Treu und Glauben kompensiert werden.6

3

Der Ausschluss des AGB-Rechts findet sich ferner im Diskussionsentwurf vom November 20047 in dessen § 2. Weitergehend sollte § 2 SchVG durch eine neue Regelung ergänzt wer1 2 3 4 5 6 7

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (314). Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/8017, 1. Nicht veröffentlicht. Sester, AcP 209 (2009), 628 (633). Sester, AcP 209 (2009), 628 (633). Nicht veröffentlicht.

62

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 5 § 3 SchVG

den, kraft derer eine Kontrolle des Inhalts sowie die Auslegung der Anleihebedingungen dem Sinn und Zweck der Bestimmungen Geltung verschaffen und insbesondere die in den Anleihebedingungen vorgesehene Verteilung der Risiken zwischen dem Emittenten und den Anleihegläubigern gewahrt werden sollte.8 Auf die Notwendigkeit einer solchen Ergänzung in § 3 SchVG zwecks der gesetzlichen Klärung des Verhältnisses zum AGB-Rechts und der Festlegung eines an einer Gesamtbetrachtung orientierten und nicht auf einen „selektiven“ ex post Maßstab fixierten Kontrollmaßstabes wird verbreitet auch heute noch hingewiesen.9 Die Deregulierung in Gestalt eines ausdrücklichen Ausschlusses des AGB-Rechts blieb auch 4 im unveröffentlichten Entwurf des BMJ aus dem Jahr 2006 verankert, obwohl der BGH zu diesem Zeitpunkt bereits Anleihebedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen einordnete, die lediglich keiner Einbeziehungskontrolle unterliegen.10 Auf diesen Umstand wurde erst im Referentenentwurf vom Mai 2008 hingewiesen.11 Von der Schaffung einer besonderen Regelung zur AGB-Kontrolle von Anleihebedingungen wurde aber im Entwurf 2008 abgesehen. Der Grund dafür lag nach der Argumentation des Entwurfs im Fehlen einer verbindlichen Klärung der weiteren Frage, ob eine AGB-Kontrolle von Anleihebedingungen durch die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen12 geboten sei oder auf sie gar keine Anwendung finde. Es wurde lediglich auf die Bemühungen der Bundesregierung hingewiesen, im Zuge der damals anstehenden Beratung hinsichtlich der Richtlinie über Rechte der Verbraucher auf eine genauere Bestimmung des Anwendungsbereichs der Richtlinie, insbesondere auch mit Blick auf Anleihebedingungen, hinzuwirken.13 Mögliche Konflikte mit dem EU-Recht wurden in den letzten Entwürfen vom Februar14 und April 200915 erneut angesprochen. Der Gesetzgeber hat sich dennoch nicht entschieden, eine Regelung zum Status von Anleihebedingungen als AGB und zu der Anwendbarkeit der AGB-Kontrolle festzulegen. Von einer solchen Regelung hat er nach der Gesetzesbegründung bewusst abgesehen.16 Nichtsdestotrotz wurde ausdrücklich auf das spezielle Transparenzgebot in Gestalt des § 3 SchVG 2009 hingewiesen, das auf einen ganz neuen Kontrollmaßstab, den Maßstab eines professionellen Anlegers mit Sachkunde, abstellt und das gewährleisten soll, dass der Anleger den Inhalt der versprochenen Leistung ermitteln kann. Die Klarstellung durch die Bundesregierung bezüglich der Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13/EWG auf Anleihebedingungen erfolgte hingegen nicht. Die Absicht der Integration dieser Richtlinie in die Richtlinie über Rechte der Verbraucher wurde aufgegeben.17

8 Siehe dazu Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 19 Fn. 52. 9 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (849); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (810). 10 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311. 11 S. 21 des RefE, abrufbar unter: http://www.gesmat.bundesgerichtshof.de/gesetzesmaterialien/16_ wp/schuldverschreibungsg/refe.pdf. 12 ABl. Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29. 13 Siehe dazu S. 21 des RefE. 14 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, BR-Drucks. 180/09 v. 20.2.2009, S. 19. 15 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. 16 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. 17 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845; Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809).

Artzinger-Bolten/Wöckener 63

5

§ 3 SchVG Rz. 6 Transparenz des Leistungsversprechens

III. Transparenzgebot 1. Normzweck 6

§ 3 konstituiert für Anleihebedingungen das grundlegende Erfordernis der Möglichkeit der Ermittlung des Inhaltes des in den Anleihebedingungen enthaltenen Leistungsversprechens des Emittenten durch einen jeweils sachkundigen Anleger. Die Gesetzesbegründung bezeichnet § 3 SchVG als spezialgesetzliches Transparenzgebot für Anleihebedingungen, insbesondere im Hinblick auf die hochkomplexen Bedingungen von sog. strukturierten Produkten.18 Zweck der Norm ist die Gewährleistung einer erhöhten Transparenz von Finanzprodukten durch die Sicherstellung klarer und eindeutig abgefasster Anleihebedingungen. Aus ökonomischer Perspektive besteht die Funktion des Transparenzgebots in der Verminderung des mit der Kenntnisnahme und dem Verständnis der Anleihebedingungen verbundenen Aufwandes des Anlegers. § 3 SchVG zielt mithin auf die Senkung der Informationskosten des Anlegers und den Abbau der Informationsasymmetrie ab.19 Der Gesetzgeber handelt damit entsprechend seiner verhaltensleitenden Grundmaxime, nach der während der Finanzmarktkrise 2008 selbst den professionellen Anlegern die Risiken aus den Produkten nicht hinreichend verständlich waren und sie nicht nachvollziehen konnten, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang sich das Leistungsversprechen des Emittenten vermindert.20

7

Das Transparenzgebot bezweckt den Schutz der Anleger vor nicht hinreichend verständlichen Anleihebedingungen. Es stellt auf das Erfordernis der Eindeutigkeit der Anleihebedingungen ab, enthält mithin nur eine Vorschrift hinsichtlich deren formeller Darstellung. Hinsichtlich einer etwaigen inhaltlichen Ausgestaltung der Anleihebedingungen trifft das Transparenzgebot des § 3 SchVG dagegen keine Aussage.21 2. Maßstab für Transparenz a) Sachkundiger Anleger

8

§ 3 SchVG bestimmt des Weiteren, an welchem Maßstab die Eindeutigkeit der Anleihebedingungen zu messen ist. Die Maßstabsperson ist ein Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist. Eine Legaldefinition für den Begriff des sachkundigen Anlegers findet sich zwar nicht. Der Gesetzesbegründung lässt sich aber entnehmen, dass ein solcher sachkundiger Anleger über entsprechende fachliche Kenntnisse verfügen soll, die sich vom entsprechenden Adressatenkreis des jeweiligen Finanzprodukts erwarten lassen. So können auch komplexe Anleihebedingungen als transparent angesehen werden, wenn sie sich an einen Anleger richten, der sich auf diese Art der Schuldverschreibung spezialisiert hat.22 Der sachkundige Anleger i.S.v. § 3 SchVG ist mithin ein Anleger mit Sachverstand.23 Es handelt sich in der Regel um einen sachkundigen, hinsichtlich des relevanten Anleihetypus erfahrenen Investor.24 In Konsequenz dieser anlegerkreisorientierten Sichtweise können, wie bereits angedeutet, auch äußerst kompliziert formulierte Anleihebedingungen als transparent und rechtlich zulässig betrachtet werden, wenn die Emission 18 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13, 17; es wird ausdrücklich auf solche Produkte verwiesen wie Kettenverbriefungen und Basket-Zertifikate. 19 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 93, 95. 20 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13, 17. 21 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 2. 22 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 23 Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398). 24 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 6.

64

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 10 § 3 SchVG

sich nur erkennbar auf Anleger mit entsprechenden Kenntnissen richtet und diese den gerechtfertigten Erwartungen gemäß in der Lage sind, die Ermittlung des Inhalts der Leistungszusage des Emittenten vorzunehmen.25 Der sachkundige Anleger ist deshalb nicht mit dem Verbraucher i.S.d. § 13 BGB identisch. Er ist erfahrener als ein solcher Verbraucher.26 Nicht identisch ist der sachkundige Anleger außerdem mit dem durchschnittlichen Anleger.27 Zwar kann auch dem Durchschnittskunden nach der BGH-Rechtsprechung nicht jedes eigene Nachdenken erspart werden28, auch die an ihn gestellten Anforderungen sind also in gewisser Weise an seinem Verkehrskreis zu messen. Es wird allerdings nicht erwartet, dass er über spezielle (Fach- oder Rechts-) Kenntnisse verfügt.29 Der Verbraucher sowie der Durchschnittsanleger verfügen somit im Unterschied zu dem sachkundigen Anleger nicht über besondere persönliche Erfahrungen mit der relevanten Art des Finanzprodukts und können nicht als Maßstab für die Transparenz herangezogen werden.30

9

b) Objektiv-abstrakte Sichtweise Das Transparenzgebot des § 3 SchVG beruht auf einem objektiv-abstrakten Maßstab. Dies 10 setzt voraus, dass für sämtliche Anleihegläubiger der betreffenden Anleihe ein gleichermaßen geltender Maßstab angelegt werden muss.31 Ausschlaggebend ist daher nicht die Person des konkreten Anlegers oder die hiermit verbunden Umstände.32 Entscheidend ist allein das Profil der Zielgruppe des in Rede stehenden Produktes.33 Die Gesetzesbegründung weist nach ihrem missverständlichen Wortlaut eine erhebliche Diskrepanz hierzu auf.34 Der Regierungsentwurf vom 29.4.2009 spricht von den „jeweiligen Adressaten eines bestimmten Produktes“ sowie „deren durchschnittlichem Verständnishorizont“35 und stellt mithin im Gegensatz zum Wortlaut des § 3 SchVG auf konkret personalisierte Anleger ab. Auf diesen Umstand wurde allerdings im Rahmen der Beratung im Bundestag36 hingewiesen und klargestellt, dass § 3 SchVG nicht in dieser Weise zu verstehen ist und stattdessen der objektive Kontrollmaßstab Anwendung finden soll.37

25 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 26 Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398); Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 11; Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 7. 27 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 11; Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398); Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 7; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 125, 131; Horn, BKR 2009, 446 (453); Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 13; vgl. OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 (2179) = AG 2015, 87. 28 BGH v. 10.7.1990 – XI ZR 275/89, NJW 1990, 2383 (2384). 29 Vgl. BGH v. 15.10.1991 – XI ZR 192/90, BGHZ 116, 1 (4); BGH v. 23.6.1993 – IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83 (85); BGH v. 9.7.2003 – IV ZR 74/02, NJW-RR 2003, 1247. 30 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 7. 31 Sester, AcP 209 (2009), 628 (648). 32 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 14. 33 Vgl. Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (195). 34 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 8; in diese Richtung auch Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 98. 35 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 36 Plenarprotokoll v. 3.7.2009, 16/231, S. 26226 (A). 37 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 6; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 135.

Artzinger-Bolten/Wöckener 65

§ 3 SchVG Rz. 11 Transparenz des Leistungsversprechens 11

Der Wortlaut des § 3 SchVG verweist nicht nur auf den objektiven Anlegerkreis. Er stellt außerdem auf die jeweilige „Art der Schuldverschreibung“ ab. Der objektive Maßstab orientiert sich deshalb nicht an den Anforderungen an das Fachwissen in Bezug auf die konkrete Schuldverschreibung selbst, sondern lediglich auf den Typus und die gewöhnlich vorkommenden Bedingungen.38

12

Die inhaltliche Bestimmung der Sachkunde soll schließlich abstrakt erfolgen. In diesem Sinne hat es keine Bedeutung, ob die konkrete Möglichkeit für Anleger besteht, sich entsprechende Fachkenntnisse zu verschaffen. Das Vorhandensein der Sachkunde wird nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes schlicht vorausgesetzt, und zwar sowohl bei auf dem Markt etablierten, weit verbreiteten Finanzprodukten als auch bei neuen, weniger verbreiteten Produkten mit innovativem Charakter.39 Ein solcher abstrakt-objektiver Maßstab ist erforderlich, um eine einheitliche Auslegung von Schuldverschreibungen gewährleisten zu können, ohne welche die Fungibilität und mithin auch die Kapitalmarktfähigkeit der Wertpapiere nicht gewährleistet ist.40

13

Das Transparenzgebot gewährt mithin keinen vollkommen individualisierten Anlegerschutz. Dies wurde vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt und durch die Rechtsprechung bestätigt.41 Insofern könnte dieses Vorgehen als eine Art Abschwächung des Schutzniveaus für Anleger eingeordnet werden.42 Indes wird das Schutzniveau nur auf den ersten Blick reduziert. Den vom SchVG nicht gewährleisteten individuellen Schutz gewähren die Vorschriften des Prospektrechts, welche die Publizitäts- und Aufklärungspflichten festlegen.43 So konstituiert § 3 WpPG die Pflicht, einen Prospekt für die zum Handel an einem organisierten Markt zugelassenen oder öffentlich angebotenen Wertpapiere zu veröffentlichen. § 5 WpPG bestimmt dabei, dass der Prospekt in leicht analysierbarer und verständlicher Form sämtliche Angaben enthalten muss, die im Hinblick auf den Emittenten und die betroffenen Wertpapiere ein zutreffendes Urteil ermöglichen. Zudem muss der Prospekt gem. § 5 Abs. 2 WpPG eine Zusammenfassung enthalten, in der die Schlüsselinformationen betreffend der Schuldverschreibung dargestellt sind, die dem Anleger Art und Risiken des Emittenten und der konkreten Schuldverschreibung aufzeigen und damit seine Investitionsentscheidung maßgeblich beeinflussen. Den genauen Inhalt konkretisiert dabei § 5 Abs. 2a WpPG. Darüber hinaus muss nach Art. 24 Abs. 3 der EU-Prospektverordnung neben einer Zusammenfassung für den Basisprospekt eine emissionsspezifische Zusammenfassung beigefügt werden, die sowohl die zentralen Angaben des Basisprospekts als auch die der endgültigen Bedingungen der jeweiligen Emission (Final Terms) enthält. Auch § 31 WpHG, der Wertpapierdienstleistungsunternehmen verpflichtet, ihre Leistungen mit der erforderlichen Sachkenntnis, 38 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 6. 39 Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398); Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 13. 40 Sester, AcP 209 (2009), 628 (648); Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (398); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 6 f.; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 99; ebenso Assmann, WM 2005, 1053 (1065); in diese Richtung auch BGH v. 23.10.1958 – I ZR 4/57, BGHZ 28, 259 (264). 41 BGH v. 23.10.1958 – I ZR 4/57, BGHZ 28, 259 (264); BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1501). Nach BGH erfolgt die Auslegung für alle Schuldverschreibungen einheitlich, sodass die Besonderheiten, die sich aus der Person eines einzelnen Anlegers ergeben, bei der Auslegung außer Betracht bleiben. 42 Vgl. Horn in FS Graf v. Westphalen, S. 353 (364); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (485 f.); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 125 f. 43 Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (399); ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 7; Sester, AcP 209 (2009), 628 (647); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (485); Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (195).

66

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 15 § 3 SchVG

Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse ihrer Kunden zu erbringen, kann zu diesen Schutzvorschriften gezählt werden. Im Kapitalmarktrecht hat sich somit das reduzierte Schutzniveau des „verständigen“ also nicht sachkundigen, aber auch nicht bloß durchschnittlichen Anlegers durchgesetzt.44 3. Reichweite Der Geltungsbereich des Transparenzgebots bezieht sich auf Anleihebedingungen. § 2 Satz 1 SchVG enthält eine Legaldefinition des Begriffs der Anleihebedingungen. Darunter versteht der Gesetzgeber die Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Emittenten und der Anleihegläubiger. Obwohl dies sich nicht aus § 2 SchVG ergibt, erfasst der Begriff der Anleihebedingungen auch die in § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG erwähnten Nebenbestimmungen. Die Anleihebedingungen regeln nicht nur die Hauptleistungspflicht des Emittenten. Sie enthalten auch Bedingungen, welche die beiderseitigen Rechte und Pflichten des Emittenten und der Anleihegläubiger lediglich weiter ausgestalten und sie modifizieren. Das Transparenzgebot unterscheidet somit nicht zwischen Bedingungen, welche die Leistung beschreiben, und bloßen Nebenbestimmungen. Das Gebot gilt umfassend für die Bestimmungen der Anleihebedingungen in Gänze.45 Gegen eine solch weite Auslegung spricht auch nicht der Wortlaut des § 3 SchVG, der lediglich die Transparenz der vom Schuldner versprochenen Leistung (und nicht auch der Nebenbestimmungen) nennt. Der Wortlaut deckt sich mit dem des § 793 Abs. 1 Satz 1 BGB. Dieser verweist mit der Leistungsbeschreibung in der Urkunde auf alle verbrieften Bedingungen, und somit auf alle Bestimmungen der Anleihebedingungen. Auch der Sinn und Zweck des § 3 SchVG, die Verringerung der Informationskosten des Anlegers durch transparentere Produkte, spricht dafür, nicht bloß einzelne, sondern die gesamten Bedingungen der jeweiligen Schuldverschreibung zu erfassen.46

14

Die Geltung des Transparenzgebots ist indes nicht nur auf Anleihebedingungen beschränkt, die sich unmittelbar aus der Urkunde ergeben und in der Urkunde unmittelbar verkörpert sind.47 § 2 Satz 2 SchVG sieht eine Auflockerung des Skripturprinzips für nicht zum Umlauf bestimmte Urkunden vor und erlaubt die Einbeziehung von Bedingungen, die außerhalb der Urkunde niedergelegt sind, also in anderen Dokumenten fixierte Bedingungen, auf welche die Urkunde durch Verweis Bezug nimmt. Üblicherweise beziehen sich die Verweise in den Anleihebedingungen auf die Bestimmungen von Handelsorganisationen wie Definitionen der International Swaps and Derivatives Association (ISDA) oder verweisen auf die institutionell festgelegten Referenzzinssätze am Interbankenmarkt wie LIBOR oder EURIBOR. Die Einbeziehung der Bedingungen in solcher und in ähnlicher Form verstößt noch nicht pauschal gegen das Transparenzgebot, muss dessen Anforderungen aber dennoch in jedem Fall genügen. Um dem Anleger die Ermittlung des Leistungsversprechens des Emittenten zu ermöglichen und damit die rechtliche Wirksamkeit i.S.d. § 3 SchVG entfalten zu können, müssen aber die einbezogenen Bedingungen selbst sowie die Verweisungsklauseln eindeutig und präzise formuliert werden.

15

44 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (40); Horn, BKR 2009, 446 (453). Im Prospektrecht gilt der Maßstab des verständigen Anlegers, vgl. Edelmann in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalmarktrechts, 4. Aufl. 2015, § 2 Rz. 1 ff.; Veil, ZBB 2006, 162 (167); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 164 f.; Heidelbach/Doleczik in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 5 WpPG Rz. 3. 45 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 8; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 5; a.A. Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (195). 46 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 96 f. 47 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 3.

Artzinger-Bolten/Wöckener 67

§ 3 SchVG Rz. 16 Transparenz des Leistungsversprechens 4. Transparenzkriterien a) Gebot der Klarheit und Verständlichkeit 16

§ 3 SchVG bestimmt, welche Bedingungen einer Verständlichkeitsprüfung unterliegen und nach welchem Maßstab diese Prüfung vorgenommen werden soll. Dabei werden die spezifischen Kriterien zur Konkretisierung des Maßstabs der Transparenzkotrolle nicht bestimmt. Auch die Gesetzesbegründung bietet in diesem Zusammenhang keine greifbare Hilfestellung. Möglich bleibt freilich die Übertragung der von Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf das AGB-rechtliche Transparenzgebot entwickelten Kriterien auf Anleihebedingungen.48 Zu nennen ist in erster Linie das Gebot der Klarheit und Verständlichkeit, welches die Einsicht des Verwendungsgegners, also des sachkundigen Anlegers, in den Sinn und die Tragweite der Regelungen samt deren Folgen gewährleisten soll.49 Seine Rechtsposition soll eindeutig geregelt werden. Ebenso muss die Klauselfassung der Gefahr etwaiger Behinderungen oder Erschwerungen bei der Durchsetzung bestehender Rechte vorbeugen.50 b) Bestimmtheitsgebot

17

In Bezug auf Anleihebedingungen scheint darüber hinaus insbesondere der Rückgriff auf das sog. Bestimmtheitsgebot sinnvoll.51 Gesetzliche Anwendungsfälle dieses Gebots sind in §§ 308 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 sowie in § 309 Nr. 10 lit. a BGB enthalten. Im Übrigen ist das Bestimmtheitsgebot aus der Generalklausel des § 307 BGB abzuleiten.52 Dem Bestimmtheitsgebot entsprechend, ist der Verwender (Emittent) angehalten, die tatbestandlichen Voraussetzungen sowie die Rechtsfolgen in den Anleihebedingungen hinreichend bestimmt abzufassen. Dies gilt prima facie für Änderungs- und Anpassungsrechte. Dem Verwender ist es deshalb nicht gestattet, sich durch Festlegung eines ungenauen Tatbestandes oder ungenauer Rechtsfolgen ungerechtfertigte Beurteilungs- und Ermessensspielräume zu verschaffen, die einem Bestimmungsrecht gleichkommen können.53 Ein vollkommener Ausschluss jeglichen Bestimmungsrechtes würde hingegen die Möglichkeit der Strukturierung von Produkten mit unterschiedlichen Chance-/Risikoprofilen unnötig erschweren. Das Transparenz- und Bestimmungsgebot steht einseitigen Bestimmungsrechten daher nicht entgegen, sofern dadurch die gesetzlichen und höchstrichterlichen Zielsetzungen und Voraussetzungen nicht konterkariert werden.54

18

Bestimmungsrechte treten häufig in Form von Bestimmungs- oder Änderungsvorbehalten auf. Praktisch handelt es sich zumeist um Veränderungen der zuvor bei der Zeichnung der 48 Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 146 ff.; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 102 f.; a.A. Sester, AcP 209 (2009), 628 (655). 49 Pfeiffer in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 307 BGB Rz. 253; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 146. 50 Vgl. BGH v. 10.12.1980 – VIII ZR 295/79, NJW 1981, 1867 (1868); BGH v. 23.3.1988 – VIII ZR 58/87, NJW 1988, 1726; BGH v. 27.9.2000 – VIII ZR 155/99, WM 2001, 31 (36 f.); BGH v. 5.10.2005 – VIII ZR 382/04, NJW 2006, 211 (213). 51 Sester, AcP 209 (2009), 628 (656). 52 Pfeiffer in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 307 BGB Rz. 253; vgl. BGH v. 5.10.2005 – VIII ZR 382/04, NJW 2006, 211 (213). 53 Pfeiffer in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 307 BGB Rz. 258; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 146 f.; BGH v. 5.11.2003 – VIII ZR 10/03, NJW 2004, 1598 (1600); BGH v. 9.6.2011 – III ZR 157/10, NJW-RR 2011, 1618 (1621). 54 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 72 ff.; Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 22.

68

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 20 § 3 SchVG

Schuldverschreibungen festgelegten Parameter zur Berechnung des Rückzahlungsbetrages.55 Insbesondere gehören dazu der Austausch von Basiswerten oder die Festlegung von Schwellenwerten.56 Transparent und bestimmt sind solche Klauseln nur, wenn neben dem Änderungsvorbehalt die konkreten Voraussetzungen für die Ausübung des Änderungsrechts niedergelegt sind oder zumindest der anzulegende Maßstab genau bezeichnet wird. Auch wenn die Emissionspraxis heute eine Ausübung der Bestimmungsrechte durch den Emittenten nach freiem Ermessen vorsieht57, genügt ein schlichter Verweis auf billiges Ermessen allein den Anforderungen nicht.58 Vielmehr muss eine präzise Basis für die Abwägung der Interessen an einer Änderungsmöglichkeit einerseits und der Unveränderlichkeit der Bedingungen andererseits gegeben sein. Die Gründe, Voraussetzungen und Rechtsfolgen von Änderungsund Bestimmungsvorbehalten müssen dem Anleger also die Kalkulierbarkeit der Leistungsänderung gewährleisten59 und es ihm damit ermöglichen, das Chance-/Risikoprofil des Finanzinstruments einzuschätzen. Ist eine solche Einschätzung für den Anleger demnach möglich und besteht ein anerkennenswertes Interesse an einer formularmäßigen Vereinbarung solcher Bestimmungsrechte, ist dem Transparenzgebot Genüge getan. Praktisch können Anleihebedingungen danach nur schwer argumentierbar als transparent betrachtet werden, wenn sie dem Emittenten das Recht einräumen, Basiswerte nach freiem Ermessen zu bestimmen oder auszutauschen.60 In diesem Fall ist der Leistungsinhalt unbestimmt. Der Anleger kann seine Rechtsposition nicht hinreichend ermitteln. Gewährleistet ist die Transparenz jedoch, wenn das Wahlrecht auf die Geschäftspolitik des Emittenten abstellt, z.B. in Abhängigkeit von der Auszahlung der Dividende.61 Ebenso kann mit dem Erfordernis der Transparenz i.S.v. § 3 SchVG nicht bezweckt sein, ein Erfordernis des Feststehens sämtlicher, die Leistungszusage beschreibender, Bestimmungen bereits im Zeitpunkt der Ausgabe der Schuldverschreibung festzuschreiben. Andernfalls wären jegliche Finanzprodukte, wie z.B. verbriefte Derivate, die auf bestimmten Referenzwerten (Underlyings) beruhen, intransparent. Dem Bestimmtheitsgebot wird bereits entsprochen, wenn sie lediglich bestimmbar und somit ermittelbar sind, z.B. durch Bereitstellung einer algebraischen Formel zur Berechnung des Leistungsinhalts.62 Ist diese Formel formal korrekt, widerspruchsfrei und entsprechend der marktüblichen Technik dargestellt, kann sie nicht angegriffen werden.63

19

c) Transparenzanforderungen des Prospektregimes Bei der Bestimmung der Transparenzkriterien darf andererseits nicht außer Acht gelassen werden, dass § 3 SchVG, anders als die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht, nicht zwischen den Bedingungen zur Beschreibung der Hauptleistung und den Nebenbestimmungen unterscheidet. Erst in ihrer Gesamtheit kreieren diese das spezifische Finanzprodukt mit seinem ganz eigenen Chance/Risiko-Profil.64 Der Gesetzgeber selbst bezeichnet § 3 SchVG als spezial-

55 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 72 ff.; Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 23. 56 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 69. 57 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 90. 58 So auch Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (199). 59 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1502); BGH v. 15.11.2007 – III ZR 247/06, WM 2008, 308; Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 27. 60 Sester, AcP 209 (2009), 628 (657). 61 Sester, AcP 209 (2009), 628 (657). 62 Sester, AcP 209 (2009), 628 (656); ebenso hinsichtlich der Formeln Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 9. 63 Sester, AcP 209 (2009), 628 (656). 64 Sester, AcP 209 (2009), 628 (655).

Artzinger-Bolten/Wöckener 69

20

§ 3 SchVG Rz. 21 Transparenz des Leistungsversprechens gesetzliches Transparenzgebot.65 Insofern scheint eine Orientierung an speziellen Vorschriften, vor allem an den Transparenzvorschriften des Wertpapierprospektrechts, notwendig.66 Der Rückgriff allein auf allgemeine Transparenzkriterien kann daher nicht ausreichend sein. § 5 Abs. 1 WpPG weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Prospekt in leicht analysierbarer Form alle notwenigen Angaben enthalten soll, die eine bewusste Kaufentscheidung ermöglichen.67 Ein weiteres Transparenzkriterium findet sich in § 5 Abs. 2b Nr. 4 WpPG.68 Diese Vorschrift untersagt im Rahmen der Zusammenfassung des Wertpapierprospekts die Angabe irreführender, unrichtiger oder widersprüchlicher Informationen. Eine ähnliche Regelung findet sich für Produktinformationsblätter in § 31 Abs. 3a WpHG. Danach müssen Wertpapierdienstleistungsunternehmen vor Abschluss eines Geschäfts im Rahmen der Anlageberatung für jedes zum Kauf empfohlene Finanzinstrument ein Produktinformationsblatt zur Verfügung stellen. Das Produktinformationsblatt muss für den Kunden dabei leicht verständlich und inhaltlich richtig sein.69 Die Normen konkretisieren somit ein weiteres allgemeines Transparenzkriterium des AGB-Rechts, das Richtigkeitsgebot (bzw. Täuschungsverbot). In seiner allgemeinen Ausprägung untersagt das Richtigkeitsgebot die unrichtige oder irreführende Gestaltung von Klauseln sowie die unzutreffende Darstellung der Rechtslage zur Behinderung des Verwendungsgegners bei der Wahrnehmung seiner Rechte oder zum Abverlangen unberechtigter Pflichten.70 d) Sprache 21

Die Sprachanforderungen richten sich lediglich nach dem jeweiligen Anlegertypus, was nicht ausschließt, dass die Anleihebedingungen in einer, wie § 19 Abs. 4 WpPG bestimmt, „in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache“, z.B. in englischer Sprache, formuliert werden.71 Auch ein Erfordernis der durchgängigen Abfassung der Anleihebedingungen oder der durch Verweis einbezogene Definitionen (z.B. Definitionskataloge der ISDA) in deutscher Sprache ist keine Voraussetzung der Transparenz. Zielt die Emission dabei auf den deutschen Retailmarkt ab, empfiehlt sich dennoch wohl die Verwendung der deutschen Sprache. 5. Rechtsfolgen bei Verstoß gegen § 3 SchVG

22

Das SchVG enthält keine Hinweise hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 3 SchVG. Aus dem Regierungsentwurf vom 29.4.2009 geht allerdings deutlich hervor, dass die Rechtsfolgen sich nach den allgemeinen Vorschriften richten und daher je nach konkreter Schwere des Verstoßes sowohl eine Auslegung der Anleihebedingungen, ein Anspruch aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB oder gar eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB in Betracht kommen.72

65 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13, 17. 66 Sester, AcP 209 (2009), 628 (656); a.A. Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 125, 151. 67 Sester, AcP 209 (2009), 628 (656). 68 Sester, AcP 209 (2009), 628 (656). 69 Eingehend dazu BaFin-Rundschreiben zu den Anforderungen an Informationen über Finanzinstrumente, Stand 3.2.2014. 70 Pfeiffer in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 307 BGB Rz. 267. 71 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 10; DAV, Stellungnahme vom August 2008, S. 8. 72 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17.

70

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 26 § 3 SchVG

a) Auslegung Gegen die Auslegung als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot spricht be- 23 reits der ursprüngliche Zweck der Auslegung als Mittel zur Ermittlung des Inhalts der Leistungszusage des Emittenten. Ist die Klausel der Anleihebedingungen mehrdeutig, muss im Wege der Auslegung der wirtschaftlichen Gesamtkonzeption der Anleihe und des Marktstandards der jeweiligen Anleiheklasse ein entsprechender Regelungscharakter der strittigen Klausel ermittelt werden.73 Ist auf diese Weise ein eindeutiger Inhalt der Klausel bestimmbar und ermittelbar, ist die Klausel isoliert betrachtet bereits begriffsnotwendig nicht intransparent. Nur, wenn eine Auslegung nicht möglich ist, müssen die Klauseln als intransparent behandelt werden. Das Ergebnis der Auslegung zeigt somit, ob überhaupt ein Verstoß gegen § 3 SchVG vorliegt. Die Auslegung an sich stellt entgegen der Gesetzesbegründung keine Rechtsfolge des Transparenzverstoßes dar.74 b) Schadensersatz Sind die Anleihebedingungen intransparent i.S.d. § 3 SchVG kommt als Rechtsfolge ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) in Betracht. Der Schadensersatz ist auf das negative Interesse, insbesondere auf die Rückabwicklung, gerichtet.75

24

c) Nichtigkeit Die Nichtigkeitslösung verursacht viele Schwierigkeiten und wird in der Literatur zu Recht kritisiert. Haupteinwand ist die ungerechtfertigte Einordnung des § 3 SchVG als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB.76 Als Verbotsgesetz müsste § 3 SchVG eine intransparente Gestaltung der Anleihebedingungen untersagen. Telos des § 3 SchVG ist hingegen die Gewährleistung einer optimalen anlegerseitigen Möglichkeit zur Ermittlung des Inhalts der Leistungszusage des Emittenten. § 3 SchVG regelt mithin nur die formale Darstellung der Anleihebedingungen und nicht deren materielle Gestaltung oder deren Inhalt.77

25

Aber auch bei hypothetischer Einstufung des § 3 SchVG als Verbotsnorm i.S.d. § 134 BGB wäre die Nichtigkeit der Klausel als Rechtsfolge dennoch unpassend. Die intransparenten Anleihebedingungen stellen einen Verstoß allein seitens des Emittenten dar.78 Nach ständiger BGH-Rechtsprechung soll das Rechtsgeschäft keine rechtliche Wirkung entfalten, wenn alle Beteiligten des Geschäfts Adressaten des Verbots sind. Richtet sich das Verbot dagegen nur gegen eine Partei, bleibt das Rechtsgeschäft wirksam. Die Nichtigkeitsfolge kommt bei solchen einseitigen verbotswidrigen Geschäften nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich wenn „dem Verbot ein Zweck zugrunde liegt, der gleichwohl die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert“.79 Bezogen auf Anleihebedingungen ist ein solcher Zweck nicht ersichtlich. Vielmehr erweist sich die Nichtigkeitsfolge insgesamt als zweckwidrig. Sie eröffnet dem Emittenten, nachdem der Anleihegläubiger seine Geldleistung mit dem Kauf des Finanzproduk-

26

73 Vgl. Sester, AcP 209 (2009), 628 (665). 74 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 12. 75 Sester, AcP 209 (2009), 628 (665); Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2857); Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 30; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 15. 76 A.A. Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 158. 77 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 16a. 78 Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2857). 79 BGH v. 14.12.1999 – X ZR 34/98, WM 2000, 839 (841).

Artzinger-Bolten/Wöckener 71

§ 3 SchVG Rz. 27 Transparenz des Leistungsversprechens tes vollständig erbracht hat, die Möglichkeit, nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln und sich auf eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB zu berufen.80 Aus der Sicht des Anlegers würde dies zu unbilligen Ergebnissen führen. 27

Weitere Schwierigkeiten der Nichtigkeitslösung bestehen in der problematischen Abgrenzung zwischen den Bedingungen zur Beschreibung der Hauptleistung und bloßen Nebenbedingungen. Das charakteristische Merkmal der Anleihebedingungen ist das sich aus der Gesamtheit der essentialia negotii ergebende Chance/Risiko-Profil der Anleihe.81 Innerhalb dieses, das Chance-/Risikoprofil prägenden Leistungsbereichs gibt es kein lückenfüllendes dispositives Recht. In Ermangelung verfügbarer rechtlicher Maßstäbe besteht dafür auch kein Raum.82 Betrifft die intransparente Klausel daher diesen essentiellen Leistungsbereich, müsste die Nichtigkeitsfolge zum Wegfall des ganzen Vertrages und nicht bloß zum Wegfall dieser intransparenten Klausel führen.83 Dasselbe Problem wurde schon in Bezug auf die Anwendung des AGB-Rechts erkannt84, da das Transparenzgebot des AGB-Rechts ebenso wenig zwischen Hauptleistungsbestimmungen und Nebenabreden unterscheidet. Es verlangt die transparente Gestaltung aller Klauseln, was auch durch § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB bestätigt wird.85 Die Nichtigkeitslösung, mit dem ersatzlosen Wegfall der intransparenten Klausel, passt als sachgerechte Lösung in Bezug auf Anleihebedingungen, genauso wie in Bezug auf die Transparenzkontrolle nach AGB-Recht, dementsprechend nur dann, wenn die Klausel lediglich einen Nebenabredecharakter aufweist.86 Der Wegfall der intransparenten Klausel wirkt sich dann allein zu Lasten des Verwenders (Emittenten) aus. Betrifft die Intransparenz hingegen den Hauptleistungsbereich, müsste die Unwirksamkeit des ganzen Vertrages angenommen werden. Dies könnte vor allem für den Anleger, auf dessen Schutz § 3 SchVG gerichtet ist, nachteilige Folgen haben (siehe oben Rz. 26). Die Nichtigkeitslösung mit dem ersatzlosen Wegfall der Klausel ist daher bereits dem Zweck der Norm entsprechend abzulehnen. Dem Anleger steht nur ein Schadensersatzanspruch aus c.i.c. zu, der, wie schon erwähnt, nur auf das negative Interesse gerichtet ist.87

28

Soll dennoch, entgegen aller Bedenken, an der Nichtigkeitslösung festgehalten werden, ist § 4 SchVG zwingend zu beachten. § 4 SchVG fixiert den Grundsatz der kollektiven Bindung und verpflichtet zur Gleichbehandlung aller Anleihegläubiger (§ 4 Satz 2 SchVG). Dies bedeutet vor allem, dass die Anleihebedingungen für alle gleich ausgestaltet werden sollen. Stellt ein Gericht somit in seinem Urteil die Nichtigkeit einer intransparenten Klausel fest, erstreckt sich das Urteil zwar in seiner Wirkung zunächst nur inter partes auf die am Prozess Beteiligten. Wegen der Verpflichtung des Emittenten zur Gleichbehandlung aller Gläubiger gem. § 4 Abs. 2 SchVG ist der Emittent allerdings zur Anwendung eines rechtskräftigen Urteils zugunsten eines Gläubigers sodann auch zugunsten der übrigen Gläubiger verpflichtet.88

80 Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2858); Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 22; Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 30. 81 Vgl. Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (401); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (485). 82 Vgl. Sester, AcP 209 (2009), 628 (659). 83 Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 30. 84 Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 368. 85 Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 324; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (200). 86 Sester, AcP 209 (2009), 628 (659). 87 Sester, AcP 209 (2009), 628 (659 f.); Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 369 f.; Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 31; Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2858). 88 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 18; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 49 f.

72

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 30 § 3 SchVG

6. § 3 SchVG und § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB Das AGB-Recht enthält, wie § 3 SchVG, ein Transparenzgebot, das in § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB geregelt ist. Obwohl die Inhaltskontrolle nach dem AGB-Recht nur auf die sog. Nebenabreden beschränkt ist, unterliegen der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB alle Klauseln, und somit auch die Klauseln, welche die Hauptleistung beschreiben.89 In diesem Sinne besteht kein Unterschied zwischen der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und der nach § 3 SchVG. Auch nach § 3 SchVG gilt das Transparenzgebot für alle Anleihebedingungen.90 Einzig die angelegten Transparenzmaßstäbe unterscheiden sich. Im AGB-Recht gilt der Maßstab eines durchschnittlichen Kunden, für § 3 SchVG der weniger strenge Maßstab eines sachkundigen Anlegers. Bei einer Einordnung von Anleihebedingungen als AGB und der damit einhergehenden Eröffnung der Möglichkeit einer AGB-Kontrolle, ist § 3 SchVG lex specialis gegenüber § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB.91 In dieser Konsequenz verdrängt das Transparenzgebot des § 3 SchVG aber ausschließlich das entsprechende Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die weitergehende Inhaltskontrolle ist von diesem Anwendungsvorrang nicht betroffen. Hierfür spricht der systematische Vorrang der Spezialregelung des § 3 SchVG, die an die Stelle einer allgemeinen AGB-rechtlichen Transparenzvorschrift tritt92 sowie die Gesetzeshistorie. Der Gesetzgeber wies dabei ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Schaffung eines spezialgesetzlichen Transparenzgebots hin, unabhängig von der Frage, ob Anleihebedingungen überhaupt einer AGB-Kontrolle unterliegen.93

29

IV. AGB-Recht und Anleihebedingungen aus Sicht der Rechtsprechung und der überwiegenden Literatur 1. Anleihebedingungen als AGB Das Thema „Anleihebedingungen und AGB-Kontrolle“ stellt einen der größten und komplexesten Teile des Anleiherechts dar.94 Der BGH bezog in seiner Entscheidung vom 28.6.200595 Stellung zu der Frage, ob Anleihebedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen. Der BGH bejahte den AGB-Charakter von Anleihebedingungen, wenn auch nur mit der wenig tiefgreifenden Begründung, dass dies ohnehin herrschende Meinung sei.96 89 Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 324. 90 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 8; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 5; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 96 f.; a.A. Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (195). 91 Ebenso Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856 (2858); Horn, BKR 2009, 446 (453); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 f.; Baums, ZHR 209 (2009) 807 (810); Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 20; Dippel/ Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 23; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (200); Oulds, CFl 2012, 353 (359); Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (404). 92 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 20; Horn, BKR 2009, 446 (453). 93 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. 94 Vgl. auch Allen, Capital Markets Law Journal, Vol. 7, No. 1, 55 (61 f.). 95 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311; bestätigt durch BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500; BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 = ZIP 2014, 1166. 96 Als erste Entscheidung des BGH über die Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen kann man sogar schon die Entscheidung vom 5.10.1992 – II ZR 172/91, AG 1993, 125 m. Anm. Claussen) betrachten, in der der BGH festgestellt hat, dass Genussscheinbedingungen AGB sind und einer AGB-Kontrolle unterliegen. Die Besonderheit besteht darin, dass Genussscheine mit Verlustbeteiligung vom SchVG 1899 nach der alten Rechtsprechung nicht erfasst worden waren, weil der Nennwert bei solchen Produkten nicht im Voraus bestimmt war, was das SchVG 1899 gerade

Artzinger-Bolten/Wöckener 73

30

§ 3 SchVG Rz. 31 Transparenz des Leistungsversprechens 31

Im neuen Schrifttum wird die entgegenstehende Auffassung, nach der die Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Anleihebedingen nicht gerechtfertigt ist, weil die AGB-Kontrolle der Bedingungen der Finanzprodukte nicht in der Lage ist, den Besonderheiten des Anleiherechts ausreichend Rechnung zu tragen, auch weiterhin vertreten (dazu ausführlich siehe Rz. 72 ff.).97 In der Praxis ist der AGB-Charakter von Anleihebedingungen, entgegen dieser Kritik, der Rechtsprechung des BGH folgend, anerkannt.

32

Ungeklärt blieb in der besagten Entscheidung des BGH, ob Anleihebedingungen auch im Fall der sog. Fremdemission AGB sind, wenn also der Emittent die Finanzprodukte nicht direkt an Anleger, sondern im Wege der Einschaltung eines Bankenkonsortiums platziert. Dem zur Entscheidung vorgelegten Sachverhalt lag lediglich eine Eigenemission zugrunde. Dennoch kamen in diesem Rahmen unterschiedliche Emissionsformen zur Nennung98, gefolgt von der Feststellung hinsichtlich des AGB-Charakters von Anleihebedingungen. Im Umkehrschluss, schließlich wurde trotz vorheriger Nennung diverser Anleihetypen unter dem entscheidenden Gesichtspunkt keine Differenzierung vorgenommen, liegt daher nahe, dass der BGH den AGB-Charakter der Anleihebedingungen unabhängig von der Form der Emission, also Eigen- oder Fremdemission als gegeben sieht.

33

Im Sinne dieser Annahme bejahte das OLG München in seinem Urteil vom 21.11.201399 die Anwendbarkeit des AGB-Rechts (jedenfalls entsprechend) auch im Fall der Fremdemission.100 Gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB hat dieser Umstand zwar grundsätzlich zur Folge, dass Wertpapierbedingungen nicht als AGB betrachtet werden können, auch wenn das Wertpapier im Folgenden an einen Anleger weiter verkauft wird. Nach der Argumentation des OLG München sind die ausgehandelten Anleihebedingungen allerdings aus der Sicht des Anlegers, der auf sie „keinerlei Einfluss“ hat und „sie so, wie sie bestehen, akzeptieren muss“, einseitig gestellte Vertragsbedingungen, die die Anwendbarkeit des AGB-Rechts rechtfertigen.101 Das Gericht qualifiziert den Anleger als Person mit ungleicher Verhandlungsposition und damit als schutzbedürftig i.S.d. AGB-Rechts, obwohl er in keinem direkten Vertragsverhältnis mit dem Emittenten steht, sondern lediglich eine Forderung mit derivativem Charakter erwirbt.

34

Eine ähnliche Argumentation findet sich in einer Entscheidung des BGH vom 19.11.2009.102 Basis des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts war der in einem Emissionsprospekt abgedruckte Vertrag über die Kontrolle der zweckgerechten Verwendung der

101 102

verlangte (dazu siehe § 1 SchVG Rz. 41 f.). Diese Einschränkung wurde vom neuen SchVG 2009 nicht übernommen, mit der Konsequenz, dass Genussscheinbedingungen, auch diejenigen, die Verlustbeteiligung vorsehen, Anleihebedingungen i.S.d. SchVG sind. Nach der neuen Rechtsprechung sind Genussscheine vom SchVG 2009 erfasst (BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, AG 2014, 784 = ZIP 2014, 1876). Siehe z.B. Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 ff.; Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809 f.); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 29; Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (400 f.); Ekkenga in Claussen, Bankund Börsenrecht, § 7 Rz. 31; von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (40); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1126); Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 47; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 87; Oulds, CFl 2012, 359 f.; Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen, S. 226 f.; DAI, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines BSchWG v. 16.5.2012, S. 6 f.; Baum in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 1595 (1613 f.); Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.335; DAV, Stellungnahme vom August 2008, S. 5. BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (316). OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 = NZG 2014, 146. In einem anderen Urteil vom OLG München (v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, WM 2012, 603 [606] = AG 2012, 339) wurde diese Frage ausdrücklich angesprochen, aber offen gelassen. OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, NZG 2014, 146 (148) = AG 2014, 164. BGH v. 19.11.2009 – III ZR 108/08, NJW 2010, 1277.

74

Artzinger-Bolten/Wöckener

97

98 99 100

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 37 § 3 SchVG

Gesellschaftereinlage, der zwischen einer Fondgesellschaft und einem Wirtschaftsprüfer geschlossen wurde. Streitpunkt war dabei eine Haftungsbeschränkungsklausel des Wirtschaftsprüfers gegenüber den Anlegern. Obwohl der Vertrag dabei im Einzelnen individuell ausgehandelt und als Vertrag zugunsten Dritter (der Anleger) ausgestaltet war, klassifizierte der BGH die ausgehandelten Vertragsbestimmungen dennoch als, aus Sicht der Anleger, von vornherein für eine Vielzahl von vertraglichen Verhältnissen vorformuliert und bei Abschluss der Verträge zwischen der Fondgesellschaft und den Anlegern gegenüber diesen einseitig gestellt. Der BGH sah den Inhalt des Vertrages im Verhältnis zu den Anlegern als vorgegeben103, und hat in dieser Konsequenz die Anleger als schutzbedürftig betrachtet, sodass die Klausel des ausgehandelten Vertrages über die Beschränkung der Haftung des Wirtschaftsprüfers der Inhaltskontrolle unterfiel. Die spezifische Besonderheit dieses Falles bestand allerdings in der Gestaltung des Vertrages, welcher zugunsten Dritter abgeschlossen wurde und es den Anlegern ermöglichte, eigene Rechte gegenüber dem Wirtschaftsprüfer geltend zu machen. Es fehlt an einem derivativen, also abgeleiteten Erwerb der Forderung, wie dies bei Fremdemissionen die Regel ist. Insofern ist der vorliegende Fall mit einer reinen Fremdemission, bei der ein derivativer Erwerb vorliegt, in keiner Weise vergleichbar. Die Rechtsprechung des BGH kann zur Klärung der Frage nach dem AGB Charakter von Anleihebedingungen bei Fremdemissionen daher nichts beitragen. Wegen der gefestigten Rechtsprechung des BGH erfolgen die nachstehenden Erläuterungen 35 unter Zugrundelegung ebendieser Annahme des AGB-Charakters von Anleihebedingungen, unabhängig der Emissionsmodalitäten. Lediglich in Abschnitt V. 3. (siehe Rz. 85 ff.) wird diese Frage differenzierter behandelt und die Geltung des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen ausführlich erörtert. 2. Keine Einbeziehungskontrolle nach § 305 Abs. 2 BGB Wiederum nach Rechtsprechung des BGH, die in der Literatur auf weitgehende Zustimmung gestoßen ist104, unterliegen Anleihebedingungen, trotz der Annahme des AGB-Charakters, keiner Einbeziehungskontrolle nach § 305 Abs. 2 BGB.105

36

Dieser Annahme liegt der Gedanke einer funktionalen Reduktion des § 305 Abs. 2 BGB zu- 37 grunde.106 Der Gesetzgeber hat mit dem Ziel, Schuldverschreibungen als fungible Wertpapiere auszugestalten107, schon bei der Verabschiedung des AGBG darauf hingewiesen, dass die strenge Einbeziehungskontrolle des § 305 Abs. 2 BGB nicht das Ziel verfolgt, den Rechtsverkehr insbesondere bei Massengeschäften unnötig zu behindern.108 Würden Anleihebedingungen nun einer Einbeziehungskontrolle unterliegen, könnte keiner der (häufig zahlreichen) Anleger auf den Bestand dieser Bedingungen vertrauen. Die immanente Gefahr einer, die Anleihebedingungen beseitigenden, im Ausgang negativen Einbeziehungskontrolle würde zu massiver Rechtsunsicherheit führen. Erwirbt der Anleger darüber hinaus das Wertpapier dabei nicht direkt beim Emittenten, kann er als Rechtsnachfolger noch weniger erkennen, ob die Anleihebedingungen wirksam in den Vertrag (zwischen dem Emittenten und dem Erstkäufer) einbezogen sind und ob sie dementsprechend Vertragsbestandteil geworden sind. Diese Ungewissheit wird durch die in der Praxis unterschiedlich gestalteten Emissions103 BGH v. 19.11.2009 – III ZR 108/08, NJW 2010, 1277 (1278). 104 Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1126); Assmann, WM 2005, 1053 (1060); Bungert, DZWiR 1996, 185 (192 f.); Stoffels in Habersack/Mülbert/Nobbe/Wittig (Hrsg.), Anlegerschutz im Wertpapiergeschäft – AGB in der Kreditwirtschaft, 2011, S. 89 (94); Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (444). 105 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (314 ff.). 106 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (315). 107 Vgl. §§ 793 Abs. 1 Satz 1, 796 BGB. 108 Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB-Gesetz), BT-Drucks. 7/3919 v. 6.8.1975, S. 13.

Artzinger-Bolten/Wöckener 75

§ 3 SchVG Rz. 38 Transparenz des Leistungsversprechens formen noch verstärkt. Im Rahmen der Fremdemission werden Anleihebedingungen Bestandteil des zwischen dem Emittenten und einem Bankenkonsortium abgeschlossenen Übernahmevertrags. Auf diesen findet § 305 Abs. 2 BGB gem. § 310 Abs. 1 BGB keine Anwendung. Ebenso scheidet die Anwendbarkeit des § 305 Abs. 2 BGB aus, wenn Wertpapiere im Wege der Eigenemission direkt an Unternehmer verkauft werden. Bei Anwendung des § 305 Abs. 2 BGB allein auf Eigenemissionen gegenüber solchen Anlegern mit Verbrauchereigenschaft, würden sich diese an Verbraucher ausgegebenen Schuldverschreibungen von solchen Schuldverschreibungen, die nicht an Verbraucher ausgegeben wurden, wesentlich inhaltlich unterscheiden. Sie wären nicht mehr austauschbar und handelbar. Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes, der auf schnelle und anonyme Abwicklung des Massengeschäfts ausgerichtet ist, wäre dadurch gefährdet. Das konsequente Ausbleiben einer Einbeziehungskontrolle für sämtliche Anleihebedingungen verhindert dieses Dilemma. Hierfür spricht weiter auch die einheitliche Auslegung der Anleihebedingungen ohne Rücksicht auf Besonderheiten in der Person des einzelnen Inhabers.109 38

Schließlich verweist der BGH auf den Schutzzweck des § 305 Abs. 2 BGB, namentlich die Offenlegung der Anleihebedingungen gegenüber Anlegern, was durch kapitalmarktrechtliche Prospektpflichten gewährleistet werden soll.110 Ein möglicher Konflikt mit dem EURecht, insbesondere mit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates der EG vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherbverträgen liegt hierbei nicht vor.111

39

Auch wenn die Entscheidung des BGH hinsichtlich der Einbeziehungskontrolle damit im Ergebnis überzeugt, führt die Unanwendbarkeit der Inhaltskontrolle nach § 305 Abs. 2 BGB nicht zum gänzlichen Entfall des Einbeziehungsbedürfnisses an sich. Wirksamkeitsvoraussetzung der Anleihebedingungen ist in jedem Fall eine wirksame Einbeziehung. Anstelle von § 305 Abs. 2 BGB, vollzieht sich diese aber nach den §§ 145 ff. BGB. Entsprechend der allgemeinen Regeln genügt demnach schon eine konkludente Einbeziehungsvereinbarung.112 Eine solche konkludente Vereinbarung liegt insbesondere vor, wenn der Käufer nicht das erste Mal das Finanzprodukt erwirbt und weiß, dass dessen inhaltliche Ausgestaltung sich nur aus den Anleihebedingungen ergeben kann.

40

Obwohl die vertragliche Einbeziehung von Anleihebedingungen somit im Ergebnis erheblich erleichtert wird, trägt der Emittent weiter die Beweislast für das Vorliegen einer zumindest konkludenten Einbeziehungsvereinbarung. Im vom BGH erörterten Fall erwarb der Anleger unstreitig zum wiederholten Male Finanzprodukte bei demselben Emittenten. Hätte aber dieser Anleger bei dem Emittenten erstmals ein Finanzprodukt erworben, und wären dem Emittenten die diesbezüglichen Erfahrungen des Anlegers unbekannt oder könnte er diese Erfahrenheit nicht beweisen, wäre die Einbeziehung der Anleihebedingungen unwirksam.113 Insofern kann die Gefahr einer, den allgemeinen Vorschriften geschuldeten, Unwirksamkeit der Einbeziehung der Anleihebedingungen nicht ausgeschlossen werden, obwohl sie keiner Einbeziehungskontrolle nach § 305 Abs. 2 BGB unterliegen. Folglich ist eine Garantie der Inhaltsgleichheit und Kapitalmarktfähigkeit nicht gewährleistet. 3. Keine Bereichsausnahme, § 310 Abs. 4 BGB analog

41

Nach der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB finden §§ 305 bis 309 BGB keine Anwendung auf Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts. Zwar wird in diesem Rahmen

109 110 111 112 113

Vgl. BGH v. 23.10.1958 – I ZR 4/57, BGHZ 28, 259 (264 f.). BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (318). BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (318). BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (318 f.). Vgl. auch OLG Frankfurt v. 5.6.2008 – 16 U 205/07, WM 2008, 1917 (1918).

76

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 45 § 3 SchVG

teils auch eine entsprechende Anwendung des § 310 Abs. 4 BGB, in Analogie zum Aktienrecht114, auf Anleihebedingungen angenommen.115 Bei Ausnahmevorschriften wie § 310 Abs. 4 BGB verbietet sich eine analoge Anwendung je- 42 doch. Die Norm würde stattdessen ins Gegenteil, also in eine Grundsatznorm verkehrt. Trotz des demnach unbedingt beizubehaltenden Ausnahmecharakters ist die Aufzählung der Ausnahmen nicht abschließend.116 Genau wie das Aktienrecht wurde das Schuldverschreibungsrecht aus dem BGB herausgelöst und eigenständig kodifiziert.117 Diese, ebenso unter dem Analogiegedanken angesprochene Ähnlichkeit des Rechts der Schuldverschreibungen mit dem Aktienrecht, legt es freilich nahe, Schuldverschreibungen ebenso vom Geltungsbereich des AGB-Rechts auszunehmen. Bekräftigt wird dies weiter durch den Zweck des SchVG, die Schaffung fungibler Wertpapiere und die Koordination der Willensbildungsvorgänge einer großen Masse von Investoren.118 Trotz dieser partiell erheblichen Ähnlichkeiten steht den Parteien bei der Formulierung von 43 Anleihebedingungen, im Gegensatz zur festgelegten Rechtslage bei Aktien, eine weitgehende Gestaltungsautonomie zu. Während dieses strikte Regime des Aktienrechts daher eine Bereichsausnahme durchaus rechtfertigt, besteht im Recht der Schuldverschreibungen keine vergleichbare, den durch die Bereichsausnahme gewährten Freiraum kompensierende, Regelungsstruktur.119 Auch eine bewusste Regelungslücke scheidet vor dem Hintergrund der bewussten Nichtkodifizierung des Verhältnisses zwischen SchVG und AGB-Recht durch den Gesetzgeber trotz vollstem Bewusstsein des Problemfeldes der AGB-Kontrolle bei Anleihebedingungen aus (dazu siehe Rz. 75). Folgerichtig geht auch die Rechtsprechung nicht von einer Anwendbarkeit der Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 BGB auf Anleihebedingungen aus.120

44

4. Inhaltskontrolle Anleihebedingungen unterliegen als AGB einer Inhaltskontrolle gemäß der §§ 307-309 BGB. 45 Im Gegensatz zur Feststellung des AGB-Charakters von Anleihebedingungen hat der BGH in seiner vielbeachteten Entscheidung vom 28.6.2005 keinerlei Aussagen hinsichtlich einer etwaigen Inhaltskontrolle der Anleihebedingungen nach dem AGB-Recht gemacht.121 Wurde dies in der Gesetzesbegründung zum Entwurf zum neuen SchVG vom 29.4.2009 noch als völlige Enthaltung zur Inhaltskontrollproblematik gewertet122, wurde selbiges Stillschweigen des BGH in der Gesetzesbegründung zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes, in Konsequenz der Einordnung der Anleihebedingungen als AGB, als Eröffnung der Möglich-

114 Sester, AcP 209 (2009), 628 (640). 115 Sester, AcP 209 (2009), 628 (638 ff.). 116 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (315); Masuch, Anleihebedingungen und AGBGesetz, S. 59. 117 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 34. 118 Sester, AcP 209 (2009), 628 (639, 641). 119 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 34. Abgelehnt auch von Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 105; von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (34 f.). 120 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (318). 121 Ebenso Sester, AcP 209 (2009), 628 (638); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 72. 122 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13 („Zu der Frage, ob Anleihebedingungen auch der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterliegen hat sich der BGH in seiner Entscheidung nicht geäußert“).

Artzinger-Bolten/Wöckener 77

§ 3 SchVG Rz. 46 Transparenz des Leistungsversprechens keit der Inhaltskontrolle angesehen.123 Bestätigt wurde dies, ungeachtet der eingeschränkten Einbeziehungskontrolle, vom BGH ausdrücklich erst mit dem Urteil vom 30.6.2009124. Eine Auseinandersetzung mit der Problematik der AGB-Kontrolle von Anleihebedingungen erfolgt jedoch auch in diesem Urteil nicht. Die Möglichkeit der Inhaltskontrolle von Anleihebedingungen hat sich in der Rechtsprechung freilich trotzdem durchgesetzt.125 a) § 305c BGB 46

Die Einordnung als AGB zieht zugleich die Anwendbarkeit der Einbeziehungskontrolle gem. § 305c BGB nach sich.126 Gemäß dieser Vorschrift werden Klauseln, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil (überraschende Klauseln). Zweifel bei der Auslegung der Klauseln gehen nach der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.

47

Der Inhalt Anleihebedingungen weist zumeist einen standardisierten Charakter auf, weshalb die Durchführung der Einbeziehungskontrolle i.S.v. § 305c BGB häufig in den Hintergrund rückt. Wegen der erheblichen Folgen einer Nicht-Einbeziehung hat dieser Aspekt, wie die letzte Rechtsprechung zeigt, jedoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Auch die Frage nach der Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB war bereits vermehrt Gegenstand gerichtlicher Urteile.127

48

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung, nach der § 305c BGB auch dann (jedenfalls entsprechende) Anwendung findet, wenn man Anleihebedingungen im Fall der Fremdemission nicht als Allgemeine Geschäftsbedingungen einordnet, weil sie (zwischen dem Emittenten und den Emissionsbanken) ausgehandelt sind.128 Die Anwendbarkeit trotz des fehlenden AGB-Charakters ist nach der Argumentation der Gerichte im Interesse der Funktionsfähigkeit des Wertpapierhandels und des Anlegerschutzes geboten: Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 3 SchVG das Ziel verfolgt, die Transparenz der Anleihebedingungen sicherzustellen.

49

Im Rahmen des § 305c Abs. 2 BGB ist zu beachten, dass der Auslegung der Klausel auch die anlegerfeindlichste Auslegung zugrunde gelegt werden kann, wenn diese zur Unwirksamkeit der Klausel führt und damit für den Anleger im Ergebnis am günstigsten ist. Erst wenn 123 Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesschuldenwesengesetzes, BTDrucks. 17/9049, 7 („Nachdem im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 119, 305, 312) davon auszugehen ist, dass Emissionsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen und daher einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen können, sollen wesentliche Grundgedanken der auf europäischer Ebene vereinbarten Umschuldungsklauseln mit diesem Änderungsgesetz im Sinne eines Leitbildes verankert werden“). 124 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500. Als erste BGH-Entscheidung zur AGB-Kontrolle von Anleihebedingungen kann man schon das Urteil vom 5.10.1992 (II ZR 172/91, AG 1993, 125 m. Anm. Claussen = NJW 1993, 57) betrachten; siehe dazu Rz. 30, Fn. 88. 125 Vgl. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 = ZIP 2014, 1166; OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, AG 2015, 87 = ZIP 2014, 2176; vgl. auch OLG Frankfurt v. 1.11.2006 – 23 U 141/05; OLG Frankfurt v. 28.11.2008 – 8 U 244/07. 126 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 39; Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 56; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 58; Baums, ZHR 177 (2013), 807 (810); Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (198 f.). 127 Vgl. OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 = WM 2012, 603; OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, AG 2015, 87 = ZIP 2014, 2176; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 = NZG 2014, 146. 128 OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11 – Rz. 81 ff., AG 2012, 339 = WM 2012, 603; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, NZG 2014, 146 (147) = AG 2014, 164.

78

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 52 § 3 SchVG

sich die Klausel nach jeder in Betracht kommenden Auslegung als wirksam erweist, kommt die dem Anleger günstigste Auslegung zum Tragen.129 b) Kontrollfreie Klauseln, § 307 Abs. 3 BGB Ist die Klausel i.S.d. § 305c BGB wirksam einbezogen, unterliegt sie weiter einer Inhaltskontrolle nach Maßgabe der §§ 307 bis 309 BGB.

50

Gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB unterliegen dieser Kontrolle jedoch nur solche Klauseln, die 51 von allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen oder diese ergänzende Regelungen enthalten. Geben Klauseln lediglich klarstellend den Inhalt des Gesetzes wieder (die sog. deklaratorischen Klauseln), findet keine Kontrolle statt. Die Inhaltskontrolle von Gesetzen ist nicht Aufgabe des AGB-Rechts. Demgemäß haben, wie die Gesetzesbegründung zur Vorgangsregelung (§§ 7 bis 9 AGBG) ausführt, spezialgesetzliche Vorschriften, die für bestimmte Arten von Verträgen Regelungen treffen, welche nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam wären, für ihren Anwendungsbereich Vorrang vor §§ 305 ff. BGB.130 Anleihebedingungen, die dem gesetzlichen Leitbild der Regelungen des SchVG, den §§ 5 bis 21 SchVG, nachgezeichnete Klauseln enthalten, sind demnach der Inhaltskontrolle entzogen.131 Ebenso scheidet die richterliche Kontrolle aus, wenn die Klausel auf gesetzlichen Regelungen mit dispositivem Charakter beruht.132 So können die Anleihebedingungen entsprechend § 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG durch Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger in Bezug auf bestimmte Maßnahmen geändert werden. Dies betrifft vor allem die Möglichkeit, die Hauptforderung zu verringern (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SchVG) oder andere Fälligkeitstermine zu bestimmen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchVG), den Schuldner zu ersetzen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG), die Schuldverschreibungen in andere Leistungsversprechen umzutauschen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG) sowie den Verzicht auf das Kündigungsrecht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG). Auch die Gesetzesbegründung zum SchVG 2009 weist darauf hin, „dass entsprechende vertragliche Klauseln nicht zu beanstanden sind“. Die Klarstellung auf gesetzlicher Ebene erfolgte entsprechend „den Bedürfnissen der internationalen Kapitalmarktrechte nach Rechtssicherheit“.133 Die zweite Restriktion der AGB-Kontrolle betrifft Klauseln, die die Hauptleistungspflichten regeln. Diese Klauseln sind ebenso wie Klauseln, welche den Inhalt des Gesetzes wiedergeben, nicht kontrollfähig.134 Diese Einschränkung folgt nicht bereits aus dem Wortlaut des § 307 BGB. Zweck der AGB-Kontrolle ist es allerdings anerkanntermaßen nicht, die Beschreibung des Leistungsgegenstandes inhaltlich zu kontrollieren. Einer solchen Kontrolle mangelt es bereits an geeigneten Prüfungskriterien135 und vor allem an einem Kontrollbedürfnis. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung unterliegt allein der Privatautonomie.136 Zu den 129 OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, WM 2012, 603 (607) = AG 2012, 339; BGH v. 29.4.2008 – KZR 2/07, WM 2008, 1465 (1467); BGH v. 28.10.2009 – VIII ZR 320/07, WM 2010, 228 (230). 130 BT-Drucks. 7/3919 v. 6.8.1975, 22. 131 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 59; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 70. 132 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 59; Horn, BKR 2009, 446 (453). 133 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13 f. 134 BT-Drucks. 7/3919 v. 6.8.1975, 22. 135 Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 77; Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 60; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 40; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 57; BGH v. 6.2.1985 – VIII ZR 61/84, NJW 1985, 3013; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Assmann, WM 2005, 1053 (1053). 136 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 60; Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 77; Wolf in FS Zöll-

Artzinger-Bolten/Wöckener 79

52

§ 3 SchVG Rz. 53 Transparenz des Leistungsversprechens somit kontrollfreien, den Leistungsgegenstand regelnden Bestimmungen, gehören solche, die „den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung“137, deren Art, Umfang, Güte138 und Vertragszweck regeln139. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen lediglich einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind dagegen der Inhaltskontrolle nicht entzogen. Übertragen auf Schuldverschreibungen sind folglich die Bestimmungen der Anleihebedingungen, die die Zinskonditionen, das Abstellen der Leistungspflichten auf bestimmte Bezugsgrößen (die sog. Gleitklauseln140) sowie die Kapitalrückzahlung, insbesondere das Recht des Emittenten, die Anleihesumme bei der Fälligkeit durch Lieferung bestimmter Aktien zurückzuzahlen, festlegen, nicht kontrollfähig.141 In gleicher Weise nicht kontrollfähig sind Nachrangklauseln sowie die Festlegung von Kündigungsoptionen.142 53

Schließlich werden von der Leistungsbeschreibung die Bestimmungen über etwaige Verlustbeteiligungen erfasst.143 Laut BGH unterfallen auch Klauseln in Genussscheinbedingungen, denen zufolge sich der Rückzahlungsanspruch jedes Genussscheininhabers mindert, soweit ein Bilanzverlust ausgewiesen oder das Grundkapital herabgesetzt wird, keiner Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB, weil diese Vereinbarung zur Beschreibung des Hauptleistungsinhalts gehört.144 Die Vertragsparteien legen mit einer solchen Vereinbarung lediglich fest, ob und in welchem Umfang das Genusskapital wie Eigenkapital als Haftungsmasse zur Verfügung gestellt wird. Die Art und Weise, in der das Genusskapital herabgesetzt wird, muss dagegen im Rahmen der Inhaltskontrolle überprüft werden. Solche Klauseln gehören jedenfalls nach der Argumentation des BGH nicht mehr zu dem einer AGB-Kontrolle entzogenen Hauptleistungsinhalt.145 Die Teilhabe des Genussscheininhabers am Bilanzverlust und nicht am Jahresfehlbetrag gehört wiederum zum Hauptleistungsinhalt und nicht zur Regelung der Art und Weise der Herabsetzung. Die genaue Bestimmung der Regelung, wie der Bilanzverlust festzustellen ist und nach welchem Maßstab sich der Rückzahlungsanspruch mindert, sind ebenfalls nicht kontrollfähig.146 c) Nicht kontrollfreie Klauseln aa) § 309 BGB

54

Die Bedeutung des § 309 BGB für Anleihebedingungen ist weitgehend gering. Auch die Rechtsprechung hat bislang keine Verstöße gegen § 309 BGB feststellen können. Relevanz

145 146

ner, 1998, 651 (654 f.); BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. BGH v. 6.2.1985 – VIII ZR 61/84, NJW 1985, 3013; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. BGH v. 12.3.1987 – VII ZR 37/86, NJW 1987, 1931 (1935); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 188/87, NJW 1989, 222 (223); BGH v. 21.4.1993 – IV ZR 33/92, NJW-RR 1993, 1049 (1050); BGH v. 24.10.2002 – I ZR 3/00, NJW 2003, 2014 (2015). Assmann, WM 1995, 1053 (1058). Dazu siehe Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 24. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 40, 44; Assmann, WM 1995, 1053 (1058 f.); Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 60; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (200); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 80. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 40. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 (1169) = AG 2014, 705. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 (1169) = AG 2014, 705; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 (1169) = AG 2014, 705.

80

Artzinger-Bolten/Wöckener

137 138 139 140 141

142 143 144

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 58 § 3 SchVG

kann der Vorschrift aber im Zusammenhang mit der Frage nach der Beweislast zu Lasten des Anlegers, der Festlegung einer Vertragsstrafe sowie der Einschränkung der Haftung für grobes Verschulden zukommen.147 bb) § 308 BGB Größere Bedeutung für die Ausgestaltung von Anleihebedingungen kommt § 308 BGB, insbesondere dessen Nr. 4, die den Änderungsvorbehalt regelt, zu. Nach dieser Vorschrift ist die Vereinbarung eines Rechts des Verwenders zur Änderung der versprochenen Leistung oder zur Abweichung von selbiger, unwirksam, wenn das Änderungsrecht unter Berücksichtigung der Interessen des Verwenders für den Gegner des Verwenders unzumutbar ist. Ob eine Änderung zumutbar ist, soll im Wege der Abwägung zwischen den Interessen des Klauselverwenders an der Möglichkeit einer Änderung seiner Leistung und denen des anderen Vertragsteils an der Unveränderlichkeit der vereinbarten Leistung beurteilt werden. Außerdem darf die Änderung der Leistung nicht ohne sachlichen Grund erfolgen.148

55

Eine Klausel, die dem Emittenten ein Änderungsrecht insoweit zugesteht, als ihm (dem Emittenten) dies angemessen und erforderlich erscheint, um dem wirtschaftlichen Zweck der Bedingungen gerecht zu werden, falls die Änderung dazu dienen soll, einen offensichtlichen Irrtum zu berichtigen, wird in der Rechtsprechung als gem. § 308 Nr. 4 BGB unwirksam angesehen.149 Sie kann dem Anleger kein ausreichendes Maß an Kalkulierbarkeit der möglichen Leistungsänderung gewährleisten. Ein rechtfertigender Grund für eine solche Klausel fehlt, wenn der Emittent bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung dem Anleger bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung in der geänderten Form hätte versprechen können.150 Demnach soll im Zusammenhang mit dem Änderungsvorbehalt vor allem geprüft werden, ob die Leistungsänderung auf einem sachlichen Grund beruht, schon vor der Emission berücksichtigt werden konnte und ob der Fehler aus der Sphäre des Emittenten stammt.151

56

d) Einzelne Klauseln aa) Änderungsvorbehalte Der BGH hat zudem bestimmte Kriterien zur Beurteilung der Zulässigkeit von Änderungsvorbehalten festgelegt. Ein Änderungsvorbehalt, der sich nicht nur auf die Umstände der Leistungserbringung oder auf Nebenpflichten bezieht, sondern auch Inhalt und Umfang der Hauptleistung betrifft, ist danach als besonders nachteilig für Anleger anzusehen.152 Insbesondere eine Änderung des Äquivalenzverhältnisses zwischen den beiderseitigen Leistungen soll nach der Rechtsprechung des BGH ein Indiz der Unzumutbarkeit in sich tragen. Dass Schuldverschreibungen ein einseitiges abstraktes Verhältnis ohne beiderseitige Pflichten begründen, bezog der BGH in diese Wertung allerdings nicht ein.

57

Änderungsvorbehalten, die es dem Emittenten ermöglichen, die Hauptleistung oder bloße Leistungsmodalitäten nachträglich zu ändern, z.B. Basiswerte auszutauschen, sind nach dem

58

147 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 61. 148 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1502); BGH v. 15.11.2007 – III ZR 247/06, NJW 2008, 360 (362). 149 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500. 150 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1502). 151 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 47; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (201). 152 BGH v. 15.11.2007 – III ZR 247/06, NJW 2008, 360 (362); BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1502).

Artzinger-Bolten/Wöckener 81

§ 3 SchVG Rz. 59 Transparenz des Leistungsversprechens oben Gesagten (siehe Rz. 55 f.), gem. § 308 Nr. 4 BGB unwirksam, sofern keine Rechtfertigung eingreift.153 Im Vertragsrecht gilt der Rechtsgrundsatz der Bindung beider Vertragspartner an die von ihnen getroffene Vereinbarung. Von ihr darf ohne sachlichen Grund nicht abgewichen werden. Jegliche Änderung der ursprünglichen Vereinbarung enthält deshalb eine Vermutung der Unwirksamkeit. Diese muss der Emittent durch die Darlegung und gegebenenfalls den Nachweis der Zumutbarkeit des Änderungsvorbehalts für den Anleger entkräften.154 59

Änderungsvorbehalte sind darüber hinaus nicht nur an der Inhaltskontrolle des AGB-Rechts zu messen, sondern auch am Transparenzgebot des § 3 SchVG. Dieses wiederum verlangt, dass dem Anleger ermöglicht werden muss, den Inhalt der Leistungspflicht des Emittenten ermitteln zu können. Insbesondere die rechtfertigenden Gründe für die Möglichkeit der Änderung der Leistung seitens des Emittenten muss demnach ermittelbar sein.155 Maßstab ist hierbei, da § 3 SchVG das allgemeine Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verdrängt, die Sicht eines hinsichtlich des relevanten Anleihetypus sachkundigen Anlegers und nicht die Perspektive eines Durchschnittsanlegers, der über keine fachlichen Kenntnisse verfügt. bb) Berichtigungsvorbehalte

60

Vorbehalte des Emittenten zur Berichtigung offensichtlicher Unrichtigkeiten, als Unterfall der Änderungsvorbehalte, können nach Rechtsprechung des BGH gem. § 308 Nr. 4 BGB unwirksam sein, wenn sie die Kalkulierbarkeit der Leistungsänderung aus der Sicht des Anlegers nicht ermöglichen und wenn die Berichtigung schon vor der Emission hätte erfolgen können (siehe Rz. 56).156 cc) Bestimmungsvorbehalte

61

Bestimmungsvorbehalte ziehen keine Änderung des Inhalts der Leistung nach sich, sondern konkretisieren den Inhalt der Leistung157 und unterscheiden sich somit von Änderungsvorbehalten. Sie bestimmen die Parameter für die Festlegung der Leistung des Emittenten. Dem Transparenzgebot des § 3 SchVG folgend müssen diese Parameter, deren Voraussetzungen und Umfang klar und eindeutig bestimmt sein. Beispiele solcher Bestimmungsvorbehalte sind Klauseln zur Bestimmung der Höhe der Leistungspflichten in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen, wie etwa Verwässerungsschutzbestimmungen bei Wandelanleihen oder Klauseln, die dem Emittenten ermöglichen, Schwellenwerte innerhalb eines bestimmten Korridors zu fixieren, wie z.B. bei Capped-Reverse-Bonus-Zertifikaten.158

62

Die speziellen Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB enthalten keine Einschränkungen für Bestimmungsklauseln.159 Die Wirksamkeit solcher Klauseln beurteilt sich nach § 315 BGB. Hiernach ist eine Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen. Aus der Natur dieser Regelung (lediglich) als Zweifelsregel, folgt allerdings die Zulässigkeit der Vereinbarung ande-

153 154 155 156

Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (201); Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 23. BGH v. 15.11.2007 – III ZR 247/06, NJW 2008, 360 (362). Vgl. Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (203). BGH v. 15.11.2007 – III ZR 247/06, NJW 2008, 360 (362); BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, WM 2009, 1500 (1502). 157 Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (197). 158 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 23; Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 69; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 79. 159 Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 70; Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (199).

82

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 66 § 3 SchVG

rer Bestimmungsmaßstäbe, soweit sie sich nicht als unbillig erweisen und dem Emittenten kein freies Ermessen einräumen.160 dd) Gleitklauseln Von den einseitigen Änderungs- und Bestimmungsvorbehalten des Emittenten sind die sog. Gleitklauseln zu unterscheiden. Diese Klauseln knüpfen die Leistung an bestimmte Bezugsgrößen, wie etwa die Entwicklung der Zinssätze im Interbankenmarkt wie LIBOR oder EURIBOR im Rahmen der Bestimmung der Höhe der Verzinsung bei variabel verzinslichen Anleihen.161 Die Entwicklung der Bezugsgröße stellt einen externen Faktor dar, auf den der Emittent keinen Einfluss hat. Eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB scheidet aus, weil solche Klauseln der Beschreibung der Hauptleistung dienen. Die Transparenzkontrolle nach § 3 SchVG findet aber weiter Anwendung.

63

ee) Verlustbeteiligung bei Genussscheinen Nach der BGH-Rechtsprechung unterliegen Klauseln in Genussscheinbedingungen, nach denen der Rückzahlungsanspruch des Genussscheininhabers sich mindert, soweit ein Bilanzverlust ausgewiesen oder das Grundkapital herabgesetzt wird, keiner Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB, weil sie den Hauptleistungsinhalt beschreiben. Die Art und Weise, in der das Genusskapital herabgesetzt wird, ist dagegen kontrollfähig (Rz. 53).162

64

ff) Kündigungsrechte Etwaige Kündigungsrechte können nicht auf die Vorschriften des Darlehensrechts, die §§ 489, 490 BGB, gestützt werden. Dies gilt sowohl für die direkte, als auch für eine analoge Anwendung. Obwohl die Rechtsverhältnisse aus einer Schuldverschreibung einerseits und einem Darlehen andererseits sich sehr ähneln, stellen Schuldverschreibungen eben nur wirtschaftlich gesehen darlehensähnliche Konstruktionen dar. In rechtlicher Hinsicht sind Schuldverschreibungen abstrakte Schuldverhältnisse i.S.d. § 780 BGB, durch die nur der Emittent einseitig verpflichtet wird (dazu siehe § 1 SchVG Rz. 8).

65

Die Kündigungsrechte richten sich nach den Anleihebedingungen und unterliegen keiner 66 AGB-Kontrolle nach §§ 307 ff. BGB, weil sie die Hauptleistung beschreiben.163 Sie stehen im direkten Verhältnis zu den Preiskonditionen der Anleihe. Werden den Anleihegläubigern Kündigungsrechte eingeräumt, führt dies zur Verteuerung des Produktes und geringeren Renditen. Behält sich der Emittent Kündigungsrechte vor, führt dies wegen dem höheren Risiko für Anleger zu einer umgekehrten Renditewirkung.164 Klauseln zur näheren Ausgestaltung des Kündigungsrechts, namentlich zu seiner Beschränkung oder sogar seinem Ausschluss, sind, wie sich aus § 5 Abs. 3 SchVG ergibt, „nicht zu“, was auch der Gesetzesbegründung zum neuen SchVG 2009 ausdrücklich zu entnehmen ist.165

160 161 162 163

Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (200); Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 71. Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 24. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 50. 164 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 110; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, S. 291. 165 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13 f.; Bosch in BuB, Band 5, Rz. 10/178.

Artzinger-Bolten/Wöckener 83

§ 3 SchVG Rz. 67 Transparenz des Leistungsversprechens 67

Obwohl die Einräumung eines Kündigungsrechts damit keiner AGB-Kontrolle unterliegt, ist, wie sich aus dem oben zu Genussscheinen Gesagten ergibt, die Art und Weise166 der Ausübung dieses Rechts wohl einer richterlichen Inhaltskontrolle zugänglich. Insbesondere sollen Bestimmungen der Anleihebedingungen das Transparenzgebot des § 3 SchVG beachten.

68

Hinsichtlich des außerordentlichen Kündigungsrechts aus wichtigem Grund i.S.d. § 314 BGB ist umstritten, ob diese Vorschrift auf Anleihen überhaupt anwendbar ist (siehe § 1 SchVG Rz. 10). Bejahendenfalls wäre der Ausschluss des Kündigungsrechts des Anlegers wegen unangemessener Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.

69

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist das außerordentliche Recht allerdings nicht schrankenlos. Lediglich die Anknüpfung an Voraussetzungen, die geeignet sein können, den Anleger von der Ausübung des außerordentlichen Kündigungsrechts abzuhalten, wäre unzulässig, weil dies ebenfalls zu einer unangemessenen Benachteiligung des Anlegers und damit zur Unwirksamkeit der Klausel nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB führt.167 gg) Salvatorische Klauseln

70

Bei salvatorischen Klauseln, die dazu dienen, den Vertrag bei Unwirksamkeit einzelner Klauseln im Wege deren Ersetzung durch wirksame Klauseln aufrechtzuerhalten, muss das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion von AGB beachtet werden.168 e) Rechtsfolgen

71

Verstoßen die Anleihebedingungen gegen das AGB-Recht, sind sie unwirksam und werden nicht Bestandteil des Vertragsverhältnisses zwischen dem Emittenten und dem Anleger. An die Stelle der entstandenen Lücke treten nach § 306 Abs. 2 BGB die gesetzlichen Vorschriften. Schwierigkeiten ergeben sich in diesem Rahmen jedoch durch die fehlende Regelung des Inhalts der Schuldverschreibungen und des Leistungsversprechen des Emittenten durch den Gesetzgeber. Vielmehr steht es den Parteien frei, das Vertragsverhältnis näher auszugestalten.169 Fehlen für die Vertragsergänzung geeignete Vorschriften und erweist sich die ersatzlose Streichung der unwirksamen Klausel nicht als interessengerechte Lösung, muss diese Lücke im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden.170 Dabei muss freilich beachtet werden, dass dies immer unter „Wahrung der Fungibilität der Schuldverschreibungen und damit der Funktionsfähigkeit des Wertpapierhandelns“ zu erfolgen hat.171

166 Vgl. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (315) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, ZIP 2014, 1166 (1169) = AG 2014, 705. 167 BGH v. 8.2.2012 – XII ZR 42/10, NJW 2012, 1431 (1433); OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, ZIP 2014, 2176 (2177) = AG 2015, 87. 168 Ebenso Podewils, ZHR 174 (2010), 192 (207); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 49. 169 Ebenso BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, NJW 1993, 57 (59) „Da Begriff und Inhalt des Genussrechts gesetzlich nicht geregelt sind, ist sein Leistungsinhalt im einzelnen vertraglich festzulegen“; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, NZG 2014, 146 (148) = AG 2014, 164. 170 Grüneberg in Palandt, § 306 BGB Rz. 12 f.; Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 66. 171 Vgl. BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (317); ebenso Dippel/Preuße in Preuße, § 3 SchVG Rz. 66; Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 360.

84

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 75 § 3 SchVG

V. Gegenansicht der Mindermeinung: Anleihebedingungen sind keine AGB 1. Begründetheit der Rechtsprechung Die durch den BGH vorgenommene Einordnung von Anleihebedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB172 kann nicht überzeugen. Auch im Schrifttum findet diese, den AGB-Charakter der Anleihebedingungen verneinende Auffassung breiten Zuspruch173, wobei zum Teil vermittelnd zwar der AGB-Charakter bejaht, die Inhaltskontrolle aber abgelehnt wird (auch Rz. 108).174 Angesichts dieser divergierenden Ergebnisse ist eine nähere Auseinandersetzung, insbesondere mit der vom BGH vollzogenen Argumentation, unbedingt notwendig.

72

Das BGH-Urteil selbst weist trotz der dogmatisch schwierigen Einordnung von Anleihebedingungen in das Regime der Allgemeinen Geschäftsbedingungen keinen besonderen Argumentationsaufwand auf. Als „Leitargument“ verweist der BGH in seiner Entscheidung schlicht auf die zu diesem Zeitpunkt herrschende Auffassung, nach der Anleihebedingungen AGB sind.175 Heute, 10 Jahre nach besagtem Urteil, trägt dieses Argument, angesichts der erheblichen Anzahl von Gegnern der AGB-Kontrolle bei Anleihebedingungen, nicht mehr.

73

Weitergehend verwies der BGH in seiner Argumentation auf die Gesetzesbegründung zum AGBG, spezifisch auf die Begründung des Regierungsentwurfs vom 6.8.1975176. Der Entwurf enthält den Hinweis, auf eine sich bei der Veräußerung von Inhaberschuldverschreibungen ergebende Besonderheit, nach der „sich die Rechte der jeweiligen Inhaber gegen den Aussteller, nachdem sie durch die erste Begebung geschaffen sind, ohne weiteres nach den Anleihebedingungen bestimmen, ohne dass es insoweit der Wahrung der in § 2 (AGBG) genannten Voraussetzungen bedarf“. Der Gesetzgeber hat mit diesem Satz die Notwendigkeit der Einbeziehung der Anleihebedingungen im Rahmen einer Weiterveräußerung von Schuldverschreibungen verneint. Diese Frage der Einbeziehung kann allerdings erst (und nur) dann relevant sein, wenn es sich prima facie um AGB handelt. Der zitierte Passus wurde dementsprechend als gesetzgeberische Entscheidung hinsichtlich der Einordnung von Anleihebedingungen als AGB aufgefasst, ohne dass der Gesetzgeber dies freilich ausdrücklich festgestellt hatte.177

74

Die Annahme einer solchen konkludenten Feststellung und damit auch die Annahme eines eindeutigen gesetzgeberischen Willens zur Einordnung von Anleihebedingungen als AGB im Regierungsentwurf stößt allerdings auf Bedenken. So muss berücksichtigt werden, dass der Regierungsentwurf zu einer Zeit entstand, in der die aus heutiger Sicht entscheidenden

75

172 BGH v. 28.5.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311. 173 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 29, 43; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (406); Assmann, WM 2005, 1053 (1058 ff.); Schmidt/ Schräder, BKR 2009, 397 (400 f.); Ekkenga, ZHR 1996, 59 (71 ff.). Differenzierend: von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (40); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1126); Dippel/Preuße, in Preuße, § 3 SchVG Rz. 47; Joussen, WM 1995, 1861 (1864 ff.); Siebel, WM 1994, 1781 (1782); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (851 f.); Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 87; Oulds, CFl 2012, 353 (359 f.); Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen, S. 226 f.; DAI, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines BSchWG vom 16.5.2012, S. 6 f.; Baum in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 1595 (1613 f.); Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.335. 174 Baums, ZHR 177 (2013), 807 (810). 175 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (314). 176 BT-Drucks. 7/3919, 18. 177 Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1122); Bosch, BuB, Band 5, Rz. 10/160; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 60; kritisch dazu Assmann, WM 2005, 1053 (1055).

Artzinger-Bolten/Wöckener 85

§ 3 SchVG Rz. 76 Transparenz des Leistungsversprechens Punkte gegen die Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen noch gar nicht erkannt wurden und die Problematik der AGB-Kontrolle speziell für Finanzprodukte noch nicht bekannt war. Andernfalls ist jedenfalls zu bedenken, dass der Hinweis auf den gesetzgeberischen Willen heutzutage der Beantwortung der Frage nach der Einordnung der Anleihebedingungen nicht mehr zuträglich ist, da der Gesetzgeber zu dieser Problematik im Entwurf zum neuen SchVG 2009 erneut Stellung genommen hat. Trotz der vorangegangenen Bejahung des AGB-Charakters von Anleihebedingungen und im Wissen der Problematik dieses Themenkomplexes sah der Gesetzgeber dabei von der Regelung der Frage nach der Zulässigkeit einer AGB-Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB auf gesetzgeberischer Ebene ab.178 In diesem Rahmen findet sich zudem ein Hinweis auf die bewusste Überlassung der Klärung der Frage, ob Anleihebedingungen einseitig „mit gerichtlicher Hilfe“ geändert werden können, an die Rechtswissenschaft und die Gerichte.179 Der Gesetzgeber hat damit bewusst auf eine Stellungnahme zur AGB-Kontrolle verzichtet.180 Mit dem Hinweis im Regierungsentwurf hat er weder die Anwendbarkeit von §§ 305 ff. BGB bejaht, noch den Ausschluss des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen festgelegt.181 76

Der konkludente Wille des Gesetzgebers als Argumentationsbasis zur Einordung der Anleihebedingungen als AGB trägt damit nicht mehr. Aus heutiger Sicht ist das BGH-Urteil vom 28.6.2005182 bezüglich der Einordnung der Anleihebedingungen als AGB unbegründet183, wenngleich die aktuelle Rechtsprechung und auch die Handhabung in der Praxis dieses Argument nicht berücksichtigen und sich insoweit der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH unterordnen. 2. Möglicher Konflikt mit EU-Recht

77

Der deutsche Gesetzgeber hat auf die Regelung der AGB-Kontrollproblematik bei Anleihebedingungen verzichtet, weil, worauf die Gesetzesbegründung ausdrücklich verweist, die Anwendbarkeit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen184 auf Anleihebedingungen von Schuldverschreibungen zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens noch nicht verbindlich geklärt war.185

78

Unmittelbarer Anwendungsbereich der Richtlinie sind Verträge über den Verkauf von Waren und Dienstleistungen. Wertpapiere werden dabei nicht ausdrücklich genannt. Im Schrifttum wurde eine Subsumtion von Wertpapieren unter die Begriffe „Ware“ oder „Dienstleistung“ angedacht. Das allgemeine Verständnis dieser Begriffe spricht generell gegen eine solche Möglichkeit.186 Entscheidender als diese reine Wortlautbetrachtung einzelner Begriffe wiegt hingegen die im Anhang der Richtlinie angeordnete Nichtanwendung einzelner Klauseln, die

178 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. 179 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 180 Ebenso Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 106; Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (406). 181 Als kritisch zu betrachten ist die Auffassung von Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 53, der einen bewussten Nichtausschluss des AGB-Rechts bejaht. 182 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311. 183 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 29. 184 ABl. Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29. 185 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13 (17); a.A. Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809), Fn. 11. 186 Burn in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (223); Beyer, Das Transparenzgebot und die rechtlichen Grenzen der Anpassung von Emissionsbedingungen bei Schuldverschreibungen, S. 111.

86

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 81 § 3 SchVG

nach der Richtlinie als unwirksam behandelt werden können, auf Geschäfte mit Wertpapieren.187 Damit ist die Richtlinie auf Finanzprodukte grundsätzlich anwendbar.188 Wiederum finden sich in den Erwägungsgründen und im Text der Richtlinie einige wesent- 79 liche Punkte, welche die Anwendbarkeit der Richtlinie auf Anleihebedingungen in Frage stellen oder zumindest den nationalen Gesetzgeber an einem Ausschluss des AGB-Rechts nicht hindern können. So sieht die Richtlinie, die auf den umfassenden Schutz des Verbrauchers gerichtet ist, die Möglichkeit vor, bestimmte Rechtsgebiete aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. „Insbesondere Arbeitsverträge sowie Verträge auf dem Gebiet des Erb-, Familien- und Gesellschaftsrechts“ sind von der Geltung der Richtlinie freigestellt.189 Der EU-Gesetzgeber hat dabei ganz bewusst eine sog. „graue“, also unverbindliche, Liste mit unwirksamen Klauseln formuliert. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens wurde vom EU-Parlament vorgeschlagen, die Liste im Anhang als bindend („schwarze“ Liste) festzulegen. Auch die Kommission hat in ihrem Vorschlag vom 5.3.1992, im Gegensatz zu dem ursprünglichen Vorschlag vom 24.7.1990, der den Status der Liste nicht regelte, den bindenden Charakter der Liste klargestellt. Der Rat ist diesem Vorschlag aber nicht gefolgt. In Art. 3 Abs. 3 legt die Richtlinie daher nunmehr fest, dass ihre Liste mit den Klauseln nur als Hinweis dient.190 Erwägungsgrund Nr. 18 ermöglicht es den Mitgliedgliedstaaten in diesem Kontext vor allem, die Liste „im Rahmen ihrer einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, insbesondere hinsichtlich des Geltungsbereichs dieser Klauseln, restriktiver“ zu formulieren. Der deutsche Gesetzgeber war und ist deshalb nicht daran gehindert, die Anleihebedingungen aus dem Anwendungsbereich des AGB-Rechts auszuschließen, ohne in einen Konflikt mit dem EU-Recht zu geraten. Zweifel bezüglich der Anwendbarkeit der Richtlinie auf Anleihebedingungen trotz des Hinweises im Anhang Nr. 2 lit. c können weiter wegen des Anwendungsbereichs der Richtlinie, der auf Verträge mit Verbrauchern beschränkt ist, aufkommen. Eine Kontrolle von Verträgen zwischen Unternehmern ist nicht vorgesehen. Daraus resultiert allerdings eine unterschiedliche Behandlung der Anleihebedingungen derselben Schuldverschreibung in Abhängigkeit davon, ob der Anleger als Verbraucher oder als Unternehmer einzuordnen ist. Unter solchen Voraussetzungen könnte die Fungibilität und Kapitalmarktfähigkeit der Wertpapiere nicht mehr gewährleistet werden. Dies kann schwerlich die gesetzgeberische Intention gewesen sein.

80

Schließlich behandelt die Richtlinie Verträge, die mit Verbrauchern abgeschlossen wurden. 81 Im Rahmen der Fremdemission wird der Verbraucher am Vertrag mit dem Emittenten jedoch nicht beteiligt (dazu siehe Rz. 90). Der Vertrag, in den die Anleihebedingungen einbezogen werden, wird vielmehr zwischen dem Emittenten und dem Bankenkonsortium abgeschlossen, sodass eine Kontrolle nach der Richtlinie ausscheiden würde. Zudem werden Anleihebedingungen in diesem Verhältnis, also zwischen Emittent und Konsortialbanken, ausgehandelt. Ausgehandelte Klauseln werden von der Inhaltskontrolle nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie freigestellt.191 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang vertreten, eine Beteiligung des Verbrauchers schon bei der Einbeziehung der Anleihebedingungen in den Vertrag sei nicht erforderlich. Es reiche aus, den Verbraucher später in das Vertragsverhält187 Siehe Nr. 2 lit. c: „Die Buchstaben g), j) und l) finden keine Anwendung auf Geschäfte mit Wertpapieren, Finanzpapieren und anderen Erzeugnissen oder Dienstleistungen, bei denen der Preis von den Veränderungen einer Notierung oder eines Börsenindex oder von Kursschwankungen auf dem Kapitalmarkt abhängt, auf die der Gewerbetreibende keinen Einfluss hat“. 188 Pfeiffer in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, 7. Teil. Richtlinie 93/13/EWG, Anhang, Rz. 200 ff.; Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809), Fn. 11; Wolf in FS Zöllner, S. 651 (656). 189 Siehe Erwägungsgrund Nr. 10. 190 Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 27.4.2000, KOM (2000) 248, S. 18. 191 Ebenso Erwägungsgrund Nr. 13.

Artzinger-Bolten/Wöckener 87

§ 3 SchVG Rz. 82 Transparenz des Leistungsversprechens nis, als Folge des Erwerbs einer Schuldverschreibung, einzubeziehen und die Geltung der Anleihebedingungen für den Verbraucher ab diesem Zeitpunkt anzunehmen. Dementsprechend fände auch im Rahmen der Fremdemission eine Inhaltskontrolle statt, da der Verbraucher erst recht als schutzwürdig anzusehen ist, wenn er, wie bei den zwischen dem Emittenten und den Konsortialbanken verhandelten Bedingungen, keinen Einfluss auf den Inhalt der Anleihebedingungen hat.192 82

Gegen diese Auffassung der fehlenden Erforderlichkeit einer Beteiligung des Verbrauchers am Zustandekommen des Vertragsverhältnisses sprechen aber gleich mehrere Punkte. So definiert Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie nicht ausgehandelte Klauseln als Klauseln, auf deren Inhalt der Verbraucher keinen Einfluss hat. Ein Aushandlungsprozess wird somit ausdrücklich vorausgesetzt. Daher muss der Verbraucher aber freilich auch am Vertragsverhältnis mit dem Verwender der Klauseln beteiligt sein.193 Hiervon geht auch die Kommission in ihrem Bericht vom 27.4.2000 aus, nach dem „die im Einzelnen vom Verbraucher ausgehandelten Klauseln nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinie fallen“.194 Die Einordnung des Verbrauchers als essentieller Vertragspartner des Emittenten seitens des EU-Gesetzgebers zeigt überdies auch die Entstehungsgeschichte der Richtlinie.195 Unter anderem wurde im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses ausdrücklich vorgeschlagen, „missbräuchliche Klauseln in allen Verträgen zu verbieten, egal ob sie von Verbrauchern abgeschlossen werden oder nicht“.196 Dieser Punkt wurde aber im Weiteren nicht diskutiert und übernommen. Keiner der nachfolgenden Entwürfe zur Richtlinie geht erneut ausdrücklich auf diese Problematik ein.

83

Zumindest im Fall der Fremdemission ist die Richtlinie auf Anleihebedingungen deshalb nicht anwendbar. Der Gesetzgeber war außerdem nicht daran gehindert, die Inhaltskontrolle in Bezug auf Anleihebedingungen ganz auszuschließen. Dieser Schritt wurde vom Gesetzgeber allerdings nicht unternommen. Stattdessen verwies er die anstehenden Bemühungen der Bundesregierung im Zuge der Beratungen zu dem von der EU-Kommission am 8.10.2008 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie über Rechte der Verbraucher auf eine genauere Bestimmung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 93/13/EWG, insbesondere auch mit Blick auf Anleihebedingungen, hinzuwirken.197 Diese Klarstellung erfolgte indes nicht. Die Absicht, die Richtlinie 93/13/EWG in die Richtlinie über Rechte der Verbraucher zu integrieren, wurde stattdessen aufgegeben.198

192 193 194 195

Wolf in FS Zöllner, S. 651 (656 f.). A.A. Wolf in FS Zöllner, S. 651 (656). KOM (2000) 248, S. 15. Siehe z.B. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 3.9.1990, KOM(90) 322, S. 7 „Obwohl viele Einzelheiten – z.B. Preis, Lieferfrist und Warenbeschreibung – im typischen Verbrauchervertrag von Vertrag zu Vertrag unterschiedlich sind, ist der grundlegende Rechtsrahmen, nämlich die Standardgeschäftsbedingungen des Lieferanten, derselbe, und gerade die Anwendung dieser Bedingungen auf den eigenen Vertrag kann für den Verbraucher schwere Nachteile haben“); dazu auch die Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 17.6.1991, ABl. C 159, S. 36, Nr. 2.5.1 „Um Ungleichgewichte in Verbraucherverträgen zu vermeiden, ist es jedoch wichtig, dass der Verbraucher in die Lage versetzt wird, sich mit den im Vertrag enthaltenen Bedingungen vertraut zu machen (z.B. durch die Aushändigung eines Vertragsformulars, durch einen Aushang im Geschäft usw.), und dass es ihm in zumutbarer Weise ermöglicht wird, sie zu verstehen“. 196 ABl. C 159 v. 17.6.1991, S. 36, Nr. 2.3.3. 197 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 13. 198 Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809); die Richtlinie über Rechte der Verbraucher stellt lediglich eingeschränkte und subsidiäre Anwendbarkeit der Richtlinie auf Verbraucherverträge, dazu Sester, AcP 209 (2009), 628 (643).

88

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 87 § 3 SchVG

Im Gegensatz zur damit in Deutschland nicht gesetzlich geregelten Rechtslage, schließt der in England geltende Unfair Contract Terms Act 1977 die Anwendbarkeit auf Anleihebedingungen aus.199 Die Umsetzung der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln hatte auf das Gesetz keinen Einfluss und führte nicht zur Erweiterung seines Anwendungsbereichs zum Zwecke der Ermöglichung der Inhaltskontrolle der Anleihebedingungen.

84

3. Prüfung einzelner Merkmale der AGB Da somit, wie ersichtlich, weder die Rechtsprechung noch die Gesetzesbegründung hinsichtlich der Anwendbarkeit des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen Argumente liefern können, scheint es zur Widerlegung der pauschalen Vermutung des AGB-Charakters sämtlicher Anleihebedingungen allein zielführend, die Voraussetzungen des § 305 BGB im Einzelnen genauer zu untersuchen. Dabei ist notwendigerweise zwischen zwei Arten der Emission, der Eigenemission und der Fremdemission, zu unterscheiden.

85

a) Eigenemission Im Rahmen der Eigenemission werden Anleihen vom Emittenten direkt und ohne fremde 86 Hilfe an die Anleger vertrieben. Der Emittent wendet sich also selbst unmittelbar an die Investoren.200 Das Anleiheschuldverhältnis entsteht dementsprechend unmittelbar zwischen dem Emittenten und dem Anleger. Der Anleger ist der Ersterwerber des Finanzproduktes. Kreditinstitute können sich an diesem Rechtsverhältnis beteiligen, allerdings nur in der Rolle eines offenen Stellvertreters eines Boten.201 Diese Art der Emission wird vor allem von Banken bei der Begebung eigener Anleihen gewählt.202 Bei dem direkten Verkauf an die Anleger scheint die Prüfung der einzelnen Voraussetzungen der AGB nach § 305 Abs. 1 BGB unproblematisch. Die Anleihebedingungen werden mit der Absicht der Mehrfachverwendung vorformuliert und vom Emittenten dem Anleger, der meistens über keine Verhandlungsmacht verfügt, bei dem Abschluss des Begebungsvertrages einseitig gestellt.

199 Schedule 1, Section 1 (e): „Sections 2 to 4 of this Act do not extend to any contract so far as it relates to the creation or transfer of securities or of any right or interest in securities“; bestätigt durch Law Commission Report, S. 38, Nr. 3.77: „The UTCCR do not expressly exclude any types of contract. In contrast, consumer contracts of insurance and any contract so far as it relates to the creation, transfer or termination of interests in land or the creation or transfer of securities or any rights or interests in securities are excluded from UCTA in English and Scots law.“, abrufbar unter http://www.lawcom.gov.uk/wp-content/uploads/2015/03/lc292_Unfair_Terms_In_Contracts.pdf; siehe auch Baums, ZHR 177 (2013), 807 (809), Fn. 11; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 19, Fn. 54; Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (400), Fn. 40; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (485); Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (364), Fn. 94; DAV, Stellungnahme vom August 2008, S. 4. 200 Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123); Assmann, WM 2005, 1053 (1055); Bungert, DZWiR 1996, 185 (186); Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 39. 201 von Randow, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (39 f.); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123); Wolf in FS Zöllner, S. 651 (652). 202 Joussen, WM 1995, 1861 (1862); Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 39; Bungert, DZWiR 1996, 185 (186); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123); von Randow, ZBB 1994, 23 (25) (Fn. 13).

Artzinger-Bolten/Wöckener 89

87

§ 3 SchVG Rz. 88 Transparenz des Leistungsversprechens b) Fremdemission aa) Vorrang der Individualabrede, § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB 88

Im Fall der Fremdemission bedient sich der Emittent bei der Platzierung der Anleihen einer Emissionsbank oder eines Bankenkonsortiums (die sog. Intermediäre).203 Es wird dabei entweder die Festübernahme mit der Übernahme des Platzierungsrisikos oder eine „best efforts“-Absatzvermittlung als eine beschränkte Garantieübernahme vereinbart.204 Die Platzierung erfolgt in mehreren Absatzstufen.205 Die Emissionsbank übernimmt zunächst die gesamte, in Teilschuldverschreibungen zu zerlegende Anleihe des Emittenten und verkauft sie im eigenen Namen weiter an die Anleger. Falls ein Bankenkonsortium zwischengeschaltet ist, verteilt die konsortialführende Bank nach der Übernahme der Schuldverschreibungen vom Emittenten diese Produkte an weitere Institute, mit denen zusammen sie ein Konsortium bildet. Erst dann werden die Papiere durch die jeweilige Bank an institutionelle und private Investoren veräußert.

89

Das Verhältnis bei der Übertragung der Papiere innerhalb des Bankenkonsortiums kann dabei außer Acht bleiben. Es stellt lediglich einen Zwischenschritt bei der Anleihevermarktung dar und ist für die Frage der Einordnung der Anleihebedingungen als AGB irrelevant.206 Es bleiben somit grundsätzlich nur zwei relevante Rechtsverhältnisse, einerseits zwischen dem Emittenten und der Bank sowie andererseits zwischen der Bank und dem Anleger.

90

Die Besonderheit der Fremdemission besteht im Fehlen eines direkten Vertrages zwischen dem Emittenten und dem Anleger, wie er bei der Eigenemission besteht.207 Die Bank und nicht der Anleger selbst tritt in der Rolle des Ersterwerbers auf. Die Bank schließt mit dem Emittenten den Begebungsvertrag ab, um dann als Rechtsinhaberin der Schuldverschreibungen eben diese Schuldverschreibungen an die Anleger weiter zu veräußern.208 Der Anleger ist folglich der Zweiterwerber und erlangt eine Forderung gegen den Emittenten mit derivativem Charakter, also abgeleitet von der Forderung der Bank gegen den Emittenten und nicht originär vom Emittenten.209 Die Anleihebedingungen werden vom Emittenten im Verhältnis zum Anleger somit nicht einseitig i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB gestellt. Der Emittent steht dem Anleger nicht als Verwender gegenüber.210

91

Da der Zweiterwerber nicht mehr Rechte erwerben kann, als der Ersterwerber erworben hatte211, kann das Vorliegen von AGB im Verhältnis zum Anleger nur dann bejaht werden, wenn Anleihebedingungen im Verhältnis zwischen dem Emittenten und der Bank als AGB qualifiziert werden können. Da in diesem Verhältnis die Anleihebedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB ausgehandelt werden, scheidet diese Annahme des AGB-Charakter jedoch aus.212 203 Assmann, WM 2005, 1053 (1055); Wolf in FS Zöllner, S. 651 (653); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123); von Randow, ZBB 1994, 23 (25); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 15; Joussen, WM 1995, 1861 (1865); Bungert, DZWiR 1996, 185 (187). 204 von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (36 f.); Assmann, WM 2005, 1053 (1055); Grüning/Hirschberg in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl. 2013, § 16 Rz. 6. 205 von Randow, ZBB 1994, 23 (25); von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (36). 206 von Randow, ZBB 1994, 23 (26); Bungert, DZWir 1996, 185 (187). 207 Vgl. von Randow, ZBB 1994, 23 (25 f.). 208 Wolf in FS Zöllner, S. 651 (653). 209 Vgl. von Randow, ZBB 1994, 23 (26); Joussen, WM 1995, 1861 (1865). 210 von Randow, ZBB 1994, 23 (26). 211 Bungert, DZWiR 1996, 185 (193). 212 Zu dem Merkmal „Vielzahl von Verträgen“ s. Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1124); a.A. Assmann, WM 2005, 1053 (1063); Joussen, WM 1995, 1861 (1865); vgl. auch Kallrath, Die Inhaltskontrolle

90

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 94 § 3 SchVG

Der Ausschlussgrund des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB kommt zur Anwendung, wenn beiden 92 Vertragsparteien bei der Verhandlung der Vertragsgestaltung eine gleichwertige Gestaltungsmacht zur Wahrung eigener Interessen zukommt und die Bedingungen demzufolge beiderseitig inhaltlich ernsthaft zur Verhandlungsdisposition gestellt sind. Ein bloßes Verhandeln ohne tatsächliche Bereitschaft zur Änderung einer vorher gewünschten Klausel reicht nicht aus.213 Entscheidend ist die reale Möglichkeit der Inanspruchnahme der Gestaltungsfreiheit in der Bereitschaft zur Verhandlung und Abänderung der Vertragsbedingungen. Ein solcher ernsthafter Gestaltungswille ist bei der Übernahme von Anleihen weder dem Emittenten noch der ersterwerbenden Bank selbst entzogen. Beide Vertragsparteien besitzen gleichwertige Gestaltungsfreiheit und Verhandlungsmacht.214 In der Praxis ist gar eine Stellung der Anleihebedingungen durch die Emissionsbanken nicht unüblich. In diesem Fall kann der Emittent allerdings, unabhängig von dem Ausschlussgrund des § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB, nicht mehr als Verwender nach § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB betrachtet werden.215 In einer solchen Konstellation scheidet der AGB-Charakter der Anleihebedingungen bei der Fremdemission mangels der Verwendereigenschaft des Emittenten oder wegen des Vorranges der Individualabrede aus. Wenn im Ausgangsverhältnis die Anleihebedingungen nun aber keine AGB sind, können die Anleihebedingungen als Konsequenz, auch nach dem derivativen Erwerb durch den Anleger, also den Zweiterwerber, nicht mehr zu AGB werden.216 Anleihebedingungen können deshalb nur im Rahmen einer Eigenemission, nicht dagegen bei einer Fremdemission als AGB qualifiziert werden. Ein solches Ergebnis wird im Schrifttum als unbefriedigend empfunden, weshalb es an unterschiedlichsten Korrekturvorschlägen nicht mangelt.217

93

bb) Korrekturversuche (1) Analoge Anwendung des AGB-Rechts Ein erster Lösungsansatz beruht auf der Idee einer analogen Anwendung des AGB-Rechts. Der Anleger sei nach diesem Ansatz im Rahmen der Fremdemission wie auch bei der Eigenemission mit denselben Emissionsbedingungen konfrontiert. Er sei deshalb auch in gleichem Maße schutzbedürftig, da es der Schutzzweck des AGB-Rechts gebiete, den Anleger auch beim Zweiterwerb wie eine Vertragspartei beim eigentlichen AGB-Vertrag zu behandeln.218 Dieselben Argumente verwendet auch das OLG München in seinem Urteil vom 21.11.2013.219 Die Anwendbarkeit von §§ 305 ff. BGB wird vom Gericht in diesem Urteil ohne Umweg durch analoge Anwendung bejaht.

213 214

215 216 217 218 219

der Wertpapierbedingungen, S. 44 ff.; ähnlich Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 124. Kritisch zu dem Merkmal „Vertragsbedingungen“ s. Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (401); Assmann, WM 2005, 1053 (1057 f.). Grüneberg in Palandt, § 305 BGB Rz. 19 f. von Randow, ZBB 1994, 23 (26); von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (37 f.); Joussen, WM 1995, 1861 (1866); Assmann, WM 2005, 1053 (1064); Bungert, DZWiR 1996, 185 (188); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 3 SchVG Rz. 24; Siebel, WM 1994, 1781 (1782). Joussen, WM 1995, 1861 (1865 f.); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1124); Bungert, DZWiR 1996, 185 (188); Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, S. 127; Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 24. Joussen, WM 1995, 1861 (1865). Die Übersicht aller Vorschläge siehe bei Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1124 f.); Bungert, DZWiR 1996, 185 (188 ff.); Assmann, WM 2005, 1053 (1063 ff.). Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 60 f. OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, NZG 2014, 146 (148) = AG 2014, 164.

Artzinger-Bolten/Wöckener 91

94

§ 3 SchVG Rz. 95 Transparenz des Leistungsversprechens 95

Die Annahme einer, eine Analogie nach sich ziehenden, Regelungslücke, ist indessen sachlich verfehlt. Das AGB-Recht stellt nur eine Teilkodifikation der Inhaltkontrolle der Vertragsklauseln dar. Es soll überhaupt nicht auf alle Verträge Anwendung finden (vgl. z.B. § 310 Abs. 4 BGB). Als Teilkodifikation soll das AGB-Recht die Wiederherstellung der gestörten Vertragsparität gewährleisten. Der Schutzzweck betrifft mithin allein den Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien. Wo ein eben solcher Vertragsschluss zwischen den Parteien, wie im Fall der Fremdemission im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Anleger, fehlt, ist auch kein Interessenausgleich notwendig. Daher wird bereits der Zweck einer Kontrolle am Maßstab des AGB-Rechts verfehlt. Ein Drittschutz über die analoge Anwendung von AGB-Recht findet nicht statt, möglich scheint aber jedenfalls eine Kontrolle nach § 242 BGB.220 (2) Teleologische Reduktion

96

Einem zweiten Lösungsansatz liegt der Gedanke einer teleologischen Reduktion des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB bezüglich des Tatbestandsmerkmals „Vertragsbedingungen“ zugrunde, da der Anleger am Begebungsvertrag zwar nicht beteiligt ist, die Interessenlage es aber dennoch gebiete, ihm als „real Betroffenen“ Schutz zu gewähren.221 Statt des Vertragsabschlusses soll allein das zwischen dem Emittenten und dem Anleger bestehende Vertragsverhältnis maßgeblich sein.222 Es sei ausreichend, dass der Anleger am Ende des Absatzweges durch den Erwerb der Anleihe in die verbriefte Rechtsbeziehung mit dem Emittenten eintrete.223

97

Eine teleologische Reduktion wäre aber nur dann zulässig, wenn die Regelung sachlich zu weit gehen würde und es dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers, unter der Voraussetzung der Kenntnis der Problematik, entspräche, diese Einschränkung vorzunehmen.224 Der beschriebene Ansatz geht aber nicht den Weg der Einschränkung des Wortsinns der Regelung des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Vielmehr handelt es sich um eine deutliche Erweiterung der Norm auf Fälle, in denen gar kein Vertrag zwischen den Parteien vorliegt.225 Es handelt sich bei diesem Ansatz, entgegen seiner Beschreibung, also um eine Analogie. Wie zur Analogie aber bereits ausgeführt, ist ein Drittschutz vom Normzweck des § 305 BGB nicht erfasst, sodass allein eine Kontrolle am Maßstab des § 242 BGB in Frage kommt. (3) Umgehungsverbot von § 306a BGB

98

Ein dritter Lösungsansatz ordnet den Absatzweg im Rahmen der Fremdemission als einen Fall der verbotenen Umgehung nach § 306a BGB ein.226 Bei der Begebung der Anleihen sei demnach ein Erwerb durch den Anleger von vornherein beabsichtigt, sodass letztlich auf seine Sicht abzustellen sei. Hätte der Anleger die Anleihen direkt erworben, wäre der AGBCharakter von Anleihebedingungen unproblematisch zu bejahen. An diesem Ergebnis solle nichts geändert werden, wenn ein Intermediär lediglich als Zwischenstation einbezogen werde.

220 Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen, S. 61 ff. (stattdessen wird eine Kontrolle nach § 242 BGB vorgeschlagen). 221 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Recht, S. 154 f. 222 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Recht, S. 155; Ulmer/Habersack in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 305 BGB Rz. 72. 223 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Recht, S. 156. 224 Sprau in Palandt, Einleitung, Rz. 49. 225 Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen, S. 192. 226 von Randow, ZBB 1994, 23 (27 ff.); Lenenbach, NZG 2001, 481 (485 f.); Wolf in FS Zöllner, S. 651 (660 ff.).

92

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 103 § 3 SchVG

In diesem Zusammenhang stellt sich zuvorderst die Frage, ob, wenn bereits gar keine AGB vorliegen, überhaupt von einer „Umgehung“ der Vorschriften des AGB-Rechts die Rede sein kann. Die Gesetzesmaterialien zum AGBG zeigen allerdings, dass eine solche eingeschränkte Geltung der Schutznorm von § 306a BGB vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt wurde.227 Der Gegenstand der Regelung bezieht sich zwar prima facie auf die nach §§ 308 ff. BGB unwirksamen Klauseln. Dies hat aber keine Unanwendbarkeit des § 306a BGB auf den allgemeinen Teil des AGB-Rechts (§§ 305-306 BGB) zur Folge.228 Mit anderen Worten greift das Umgehungsverbot auch dann ein, wenn versucht wird, die Qualifizierung der Bedingungen als AGB zu umgehen. § 306a BGB ist auch im Bereich des § 305 BGB anzuwenden.229

99

Dennoch ist bei einer mittelbaren Platzierung der Anleihen keine Umgehung ersichtlich.230 Dafür spricht vor allem der historische Aspekt. Die Begebung von Anleihen mittels Fremdemission entstand noch vor der Schaffung des AGBG.231 Ohne die vorherige Regelung einer AGB-Kontrolle, gab es schlichtweg keine zu umgehende Regelung. Das Aufkommen der Fremdemissionen kann deshalb nicht als Umgehungsversuch bewertet werden. Auch die Rechtsprechung betrachtet die Beteiligung der Konsortialbanken als gängige Praxis und Notwendigkeit bei der Emission von Anleihen.232

100

(4) Richtlinienkonforme Auslegung Ein letzter Lösungsvorschlag beruht auf der richtlinienkonformen Interpretation des AGBRechts i.S.d. EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.233 Hiernach soll Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie ausdrücklich keinen Vertragsschluss zwischen dem Verwender und dem Verbraucher verlangen und das Merkmal des „Stellens“ gegenüber der anderen Partei beim Vertragsschluss für eine AGB-Kontrolle wie bei § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorausgesetzt sein.234 Wie schon erwähnt, entspricht dieses Verständnis nicht der Entstehungsgeschichte sowie dem Text der Richtlinie im Übrigen (siehe dazu Rz. 81 f.).

101

Sämtliche genannten Korrekturversuche können den AGB-Charakter der Anleihebedingungen bei der Fremdemission somit im Ergebnis nicht begründen. Lediglich bei der Eigenemission liegen AGB unter Umständen vor. In allen übrigen Fällen muss auf § 242 BGB zurückgegriffen werden.

102

c) Problem der unterschiedlichen Behandlung Eine unterschiedliche Behandlung der Eigen- (als AGB) und Fremdemission (nicht als AGB) ist allerdings unzulässig. Ein solches Vorgehen führt zu Unsicherheiten auf dem Kapitalmarkt. Der Emittent kann bei der Begebung derselben Anleihen eine Kombination aus beiden Formen der Emission verwenden.235 Aus der Sicht des Anlegers wird dabei freilich schwer erkennbar sein, in welchem Absatzweg gerade seine Schuldverschreibung platziert wurde. Schwierigkeiten bei der Einordnung entstehen weiter auch dann, wenn der Emittent eigene 227 228 229 230 231 232 233 234 235

BT-Drucks. 7/3919, 48 f. Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1125). BGH v. 8.3.2005 – XI ZR 154/04, NJW 2005, 1645. Ausführlich dazu (mit weiteren Nachweisen) s. Assmann, WM 2005, 1053 (1064); Bungert, DZWiR 1996, 185 (189 f.); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1125 f.). Assmann, WM 2005, 1053 (1064); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1126). OLG Frankfurt v. 21.10.1993 – 16 U 198/2; OLG Frankfurt v. 21.10.1993 – 16 U 198/92, WM 1993, 2089; vgl. auch Bungert, DZWiR 1996, 185 (189). ABl. Nr. L 95 v. 21.4.1993, S. 29. Wolf in FS Zöllner, S. 656. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 31.

Artzinger-Bolten/Wöckener 93

103

§ 3 SchVG Rz. 104 Transparenz des Leistungsversprechens Produkte zurückkauft, um sie später zu veräußern, oder wenn er als Teil des Konsortiums im Rahmen der Fremdemission eigene Anleihen platziert.236 Unabhängig davon bleibt für den Anleger als Rechtsnachfolger „der Ersterwerber nicht sicher erkennbar“.237 Demnach besteht keinerlei praktisch umsetzbare und verlässliche Möglichkeit zur Bestimmung des Vorliegens von AGB seitens des Anlegers. Die Anwendbarkeit des AGB-Rechts darf jedoch von der Person des Erstkäufers und der Emissionstechnik nicht abhängen.238 Die Frage, ob Anleihebedingungen AGB sind, muss einheitlich beantwortet werden, damit die Einheitlichkeit der Wertpapiere und somit die Fungibilität der Papiere und das Funktionieren des Kapitalmarktes gewahrt bleibt. Wie nachstehend erläutert, unterfallen Anleihebedingungen vor allem nicht dem Schutzzweck des AGB-Rechts. Außerdem scheint die Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB nicht in der Lage, den Besonderheiten des Anleiherechts Rechnung zu tragen, weil sie auf andere Bedingungen zugeschnitten ist. 4. Maßgeblichkeit des Schutzzwecks des AGB-Rechts 104

Die Funktion des AGB-Rechts besteht darin, die Informationsasymmetrie zwischen dem Verwender der AGB und seinem Verhandlungsgegner, also der anderen Vertragspartei, auszugleichen, um der Bildung eines sog. „Market for Lemons“, wie ihn Nobelpreisträger George A. Akerlof noch im Jahr 1970 beschrieb, vorzubeugen.239 Die Gesetzesbegründung zum AGBG führt in diesem Zusammenhang aus, dass „Regelungsvorschläge des Gesetzesentwurfs von der Überlegung ausgehen, dass derjenige Vertragsteil, der seine eigenen AGB in das einzelne Rechtsgeschäft einbringt, gegenüber dem anderen Vertragsteil stets einen organisatorischen Vorsprung hat insofern, als das eingebrachte Klauselwerk das in sich abgeschlossene Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der wirtschaftlichen Geschäftsrisiken ist, deren mögliche rechtliche Konsequenzen durch die in den AGB getroffenen Bestimmungen bereits im Voraus juristisch bewältigt und – soweit nachteilig – in aller Regel von dem Verwender abgewendet werden. Bereits dieser organisatorische Vorsprung der vorgefertigten Vertragsgestaltung, deren rechtliche Tragweite der mit ihr konfrontierte andere Vertragsteil zumeist nicht voll zu überblicken vermag, schafft Überlegenheit; nicht selten wird sie noch dadurch verstärkt, dass der Vertragspartner, der sich den AGB unterwerfen soll, wirtschaftlich schwächer oder intellektuell unterlegen ist“.240

105

Ob diese Überlegungen zur Unterlegenheit des Gegners des Verwenders der AGB-Klauseln und zum Wissensvorsprung bezüglich der Geschäftsrisiken auf die Anleihebedingungen und das Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Anleger übertragen werden kann, ist zumindest fraglich. Die Vorstellung eines, dem Emittenten gegenüberstehenden, schwachen Anlegers teilt der Gesetzgeber gerade nicht. Vielmehr hat er durch die Kodifizierung des Transparenzgebotes in§ 3 SchVG 2009 für den Anleihegläubiger des Emittenten den Maßstab eines Anlegers mit Sachkunde, also eines sachkundigen Anlegers mit Fachkenntnissen und Erfahrung bezüglich des jeweils relevanten Anleihetyps. Im AGB-Recht gilt dagegen der Maßstab eines, mit deutlich geringerer Expertise ausgestatteten, Durchschnittskunden241 ohne (!) Fach-

236 Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen, S. 211; Bungert, DZWiR 1996, 185 (192); Siebel, WM, 1994, 1782 (1782). 237 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (316); ebenso Bungert, DZWiR 1996, 185 (192). 238 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (317); ebenso von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (43); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 31. 239 Akerlof, Quarterly Journal of Economics 1970, 488 ff.; Adams, BB 1989, 781 (784); Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 68 ff. 240 BT-Drucks. 7/3919 v. 6.8.1975, 13. 241 Vgl. VG Frankfurt/M. v. 26.11.2013 – 9 L 2958/13.F, ZIP 2015, 367 (368).

94

Artzinger-Bolten/Wöckener

Transparenz des Leistungsversprechens

Rz. 108 § 3 SchVG

kenntnisse (dazu siehe Rz. 8 f.). § 3 SchVG kann insofern als eine Absage an die Idee der Schutzwürdigkeit des Gegners des Verwenders betrachtet werden. Hinsichtlich des weiterhin relevanten Wissensvorsprungs des Verwenders ist es im AGB-Recht nicht entscheidend, ob der Vertragspartner des Verwenders die Bedingungen überhaupt gelesen hat. Für die Einbeziehung der AGB nach § 305 Abs. 2 BGB ist bereits die Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreichend. Unterschreibt der Kunde den Vertrag, obwohl er die Bedingungen nicht gelesen hat, kann sich dies nach den Vorstellungen des Gesetzgebers jedenfalls dann nicht zu seinen Lasten auswirken, wenn er deren Sinn mangels fachlicher und rechtlicher Kenntnisse ohnehin nicht verstehen konnte. Eine Inhaltskontrolle findet demnach trotzdem statt. In Bezug auf Anleihebedingungen sind hingegen spezielle kapitalmarktrechtliche Vorschriften zu beachten. So verpflichtet § 5 WpPG die Emittenten zur Erstellung und zur Veröffentlichung von Prospekten, die über alle Risiken informieren und Angaben über das Produkt enthalten müssen, die eine bewusste Entscheidung hinsichtlich einer Investition in das Finanzprodukt ermöglichen. Der Sinn einer solchen Prospektpflicht kann deshalb, obwohl der Gesetzgeber die Frage der Zulässigkeit der gerichtlichen Kontrolle der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung überlassen hat242, nur in der bei Finanzprodukten, welche Kurs- und Wertschwankungen unterliegen, vorliegenden Notwendigkeit zu sehen sein, das Problem des Wissensvorsprungs nicht erst im Nachhinein entsprechend dem AGB-Recht, sondern bereits im Vorfeld der Kaufentscheidung zu lösen, sodass eine Rückabwicklung und etwaige Schäden von Beginn an minimiert werden. Erst wenn wegen einer falschen oder unzureichenden Darstellung der Risiken des Produkts durch den Emittent der Käufer zu einer für ihn nachteiligen Kaufentscheidung bewogen wurde, soll ihm die Möglichkeit einer Kompensation zukommen. Der Gesetzgeber hat damit einen speziellen Schutzmechanismus für den Kapitalmarkt geschaffen, der den Schutzmechanismus der AGB-Kontrolle verdrängt. Selbst die Rechtsprechung hält es für notwendig, bestimmte Vorschriften des AGB-Rechts, wie z.B. § 305 Abs. 2 BGB, der die strenge Einbeziehungskontrolle regelt, nicht anzuwenden, weil sie den Besonderheiten des Anleihe- und Kapitalmarktrechts wenig Rechnung tragen und weil spezielle kapitalmarktrechtliche Vorschriften existieren, die die Schutzfunktion des AGB-Rechts übernehmen können.243

106

Die Aspekte des Wissensvorsprungs und der Unterlegenheit, die im allgemeinen Zivilrecht, in dem der Maßstabshorizont einer Durchschnittsperson gilt, durchaus eine Daseinsberechtigung haben, können wegen der gänzlich anderen Schutzrichtung und eines abweichenden Maßstabshorizonts des Rechts der Schuldverschreibungen auf Anleihebedingungen nicht übertragen werden. Insofern scheidet die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB aus.244

107

VI. Vermittelnde Gegenansicht: AGB, aber keine Inhaltskontrolle Betrachtet man die Anleihebedingungen dagegen als AGB, soll dennoch zumindest eine Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB ausscheiden.245 Da bei Anleihebedingungen die Klauseln, 242 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. 243 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (318). 244 Gegen AGB-Charakter der Anleihebedingungen sind auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 29; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (406); Assmann, WM 2005, 1053 (1058 ff.); Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (400 f.); Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 31. Differenzierend: von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (40); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1126); Dippel/Preuße, in Preuße, § 3 SchVG Rz. 47; Joussen, WM 1995, 1861 (1864 ff.); Siebel, WM 1994, 1781 (1782). 245 Baums, ZHR 177 (2013), 807 (810); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (851 f.); Assmann, WM 2005, 1053 (1058 ff.); Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (401); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 42; Le-

Artzinger-Bolten/Wöckener 95

108

§ 3 SchVG Rz. 109 Transparenz des Leistungsversprechens die die Hauptleistung beschreiben, sowie Nebenbestimmungen eine Einheit bilden, die insgesamt das Chance/Risiko-Profil des Finanzproduktes prägen und mithin die Leistungsbeschreibung bestimmen246, kann eine Inhaltskontrolle, die sich lediglich auf Abwicklungsmodalitäten und Leistungsstörungen bezieht, keinen Ansatzpunkt finden. Schließt man einen Vertrag über den Kauf eines Fahrzeugs unter Einbeziehung von AGB ab, bleibt auch ohne die AGB, welche die essentialia negotii völlig unberührt lassen, das Fahrzeug weiterhin Kaufgegenstand. Reduzierte man das im Rahmen einer Anleiheemission vorliegende Vertragsverhältnis auf die Bestandteile, die ohne die Anleihebedingungen vorlägen, bliebe kein Regelungsinhalt übrig. Das Finanzprodukt selbst in seiner wesentlichen Prägung entfiele.247 Die Anleihebedingungen lassen sich folglich (im Gegensatz zum klassischen „Kleingedruckten“) vom Produkt selbst nicht trennen.248 Sie legen die Hauptleistung fest, bestimmen also die essentialia negotii und sind einer Kontrolle i.S.d. AGB-Rechts deshalb konsequent entzogen. 109

Fände dagegen eine richterliche Inhaltskontrolle statt und würden einzelne Klauseln der Bedingungen für unwirksam erklärt, würde dies faktisch zur Kreation eines neuen Produkts führen. Mit der selektiven Kontrolle durch den Richter änderte sich die Risikoverteilung zwischen dem Emittenten und dem Anleger.249 In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Gesetzesbegründung zum AGBG zu beachten. Werden demnach nach dem Wortlaut dieser Begründung „in sachlicher Hinsicht Verträge auf bestimmten Rechtsgebieten (Arbeits-, Erb-, Familien- und Gesellschaftsrecht) vom Anwendungsbereich des Gesetzes global ausgenommen“,250 was heute der Regelung des § 310 Abs. 4 BGB entspricht, wird damit klargestellt, dass das AGB-Recht nicht ohne Grenzen gilt und keine absolute Geltung aufweist, obwohl die Vertragsparität gestört sein kann. Auch die Rechtsprechung bestätigt dieses Ergebnis.251 Auffallend ist dabei die Argumentation des Gesetzgebers. Die Ausnahmen für bestimmte Rechtsgebiete sind vorgesehen, weil „dort der Schutz des Gesetzes nicht erforderlich, angemessen oder systemgerecht erscheint“.252 Bei Anleihebedingungen scheint gerade diese Angemessenheit der Inhaltskontrolle nicht gegeben zu sein.

110

Dies wird umso mehr bestätigt, wenn die AGB-Kontrolle zwischen Verbrauchern und Unternehmern differenziert. Wie bereits erwähnt (siehe Rz. 103), gefährdet jede Art der Differenzierung die Wahrung der Fungibilität und die Kapitalmarktfähigkeit der Wertpapiere. Dies kann schlicht nicht akzeptiert werden.

111

Im Endergebnis ist eine AGB-Kontrolle von Anleihebedingungen nicht gerechtfertigt. Stattdessen soll der Schutz der Anleger durch spezielle kapitalmarktrechtliche Vorschriften, die den Vertrieb der Finanzprodukte, Aufklärungs- und Informationspflichten regeln, durchge-

250 251 252

ber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 87; Oulds, CFl 2012, 359 f.; Krug, Anlegerschutz bei der Emission von Schuldverschreibungen, S. 226 f.; DAI, Stellungnahme zum Regierungsentwurf eines BSchWG vom 16.5.2012, S. 6 f.; Baum in FS Hopt, Band 2, 2010, S. 1595 (1613 f.); Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.335; DAV, Stellungnahme vom August 2008, S. 5; Schlitt/Kammerlohr, in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung, 3. Aufl. 2013, § 113 Rz. 43. Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 3 SchVG Rz. 43; Assmann, WM 2005, 1053 (1058 ff.); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (851 f.); Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1127); Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem SchVG, S. 74 f.; Schmidt/Schräder, BKR 2009, 397 (401). Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem SchVG, S. 74. Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1127). Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (846, 851); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (810). BT-Drucks. 7/3919 v. 6.8.1975, 14. BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311 (315). BT-Drucks. 7/3919 v. 6.8.1975, 14.

96

Artzinger-Bolten/Wöckener

246

247 248 249

Kollektive Bindung

§ 4 SchVG

führt werden, weil nur sie in der Lage sind, den Besonderheiten des Anleiherechts Rechnung zu tragen.253 Dem Gesetzgeber sei daher geraten, den Ausschluss des AGB-Rechts in § 310 Abs. 4 BGB oder im SchVG zu regeln.254

§4 Kollektive Bindung 1Bestimmungen

in Anleihebedingungen können während der Laufzeit der Anleihe durch Rechtsgeschäft nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder nach Abschnitt 2 dieses Gesetzes geändert werden (kollektive Bindung). 2Der Schuldner muss die Gläubiger insoweit gleich behandeln. I. Normzweck und Systematik. . . . . . . . . II. Kollektive Bindung an die Anleihebedingungen 1. Wesen der Kollektivierung und der Gesamtheit der Gläubiger . . . . . . . . . . . a) Keine BGB-Gesellschaft . . . . . . . . . . . b) Keine Rechtsgemeinschaft . . . . . . . . . c) Sonderverbindung sui generis? . . . . . d) Teilgläubigerschaft? . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmungen in Anleihebedingungen 3. Keine Aggregation von Anleihen . . . . . . 4. Einseitige Leistungsbestimmungsund Änderungsrechte. . . . . . . . . . . . . . . 5. Garantien und Sicherheiten (Fall des § 22 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zeitliche Dauer der kollektiven Bindung 7. Offensichtliche Fehler in den Anleihebedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

5 6 7 8 12 14 15 16 17 21

III. Änderung der Anleihebedingungen (§ 4 Satz 1 SchVG) 1. Gleichlautender Vertrag . . . . . . . . . . . . . 2. Änderungen im Verfahren nach §§ 5-21 SchVG a) Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. . . b) Zustimmung des Emittenten. . . . . . . 3. Gerichtlich herbeigeführte Änderungen der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . IV. Gleichbehandlungsgebot (§ 4 Satz 2 SchVG) 1. Gleichbehandlung im Rahmen der kollektiven Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rückkauf von Schuldverschreibungen . . V. Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .

23

26 27 29

33 39 41

22

Schrifttum: Heldt, Die „kollektive Bindung“ im Entwurf des Schuldverschreibungsgesetzes, in FS Teubner, 2009, S. 315; Hopt, Neues Schuldverschreibungsrecht – Bemerkungen und Anregungen aus Theorie und Praxis, in FS Schwark, 2009, S. 441; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, 2016; Podewils, Neuerungen im Schuldverschreibungs- und Anlegerschutzrecht – Das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, DStR 2009, 1914; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010; Simon, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und Treuepflichten im Anleiherecht als Bausteine eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens, 2012; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999; Vogel, Restrukturierung von Anleihen nach dem SchVG – Neues Restrukturierungskonzept und offene Fragen, ZBB 2010, 211.

253 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (852). 254 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (852); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (810).

Thole 97

§ 4 SchVG Rz. 1 Kollektive Bindung

I. Normzweck und Systematik 1

§ 4 SchVG ist eine zentrale, nicht dispositive1 Norm des Schuldverschreibungsrechts nach dem SchVG. Sie legt in Satz 1 ein grundlegendes Prinzip des Schuldverschreibungsrechts fest, nämlich die kollektive Bindung der Gläubiger der jeweiligen Schuldverschreibung an die Anleihebedingungen. § 4 Satz 2 SchVG enthält eine damit inhaltlich verknüpfte und auf § 4 Satz 1 SchVG abgestimmte („insoweit“) Pflicht des Emittenten zur Gleichbehandlung der Gläubiger. Es soll die Entstehung von Anleihen2 mit jeweils unterschiedlichen Anleihebedingungen verhindert werden, und damit die Umlauffähigkeit der Anleihe gewährleistet und gesichert werden3. § 4 SchVG knüpft folglich an die Inhaltsgleichheit der Bedingungen an, die nach der in § 1 SchVG aufgestellten Definition ein Wesensmerkmal der Schuldverschreibung im Sinne des SchVG darstellt. Die Regelung des § 4 SchVG adressiert daher von vorneherein nur die Anleihebedingungen; individuelle Vereinbarungen, die nicht die Anleihebedingungen betreffen, bleiben möglich (dazu unten Rz. 36 f.).

2

Die Anleihebedingungen können nach Satz 1 nur auf zwei Wegen geändert werden, entweder durch gleichlautenden rechtsgeschäftlichen Vertrag mit sämtlichen (und nicht nur einigen) Gläubigern oder durch einen Mehrheitsbeschluss auf der Grundlage der §§ 5 ff. SchVG (wenn die nach § 5 Abs. 1 SchVG erforderliche Ermächtigung vorliegt). Bei Beteiligung eines gemeinsamen Vertreters ist der systematische Zusammenhang zu § 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG zu beachten. Danach kann ein gemeinsamer Vertragsvertreter nur durch Beschluss im Einzelfall zur Zustimmung zu Änderungen der Anleihebedingungen ermächtigt werden. Beim Wahlvertreter des § 7 Abs. 2 SchVG wird der Änderungsmodus des Mehrheitsbeschlusses gleichfalls durchgehalten, weil eine Mandatierung des Vertreters zur Zustimmung zu einer Maßnahme gleichfalls mit der nach § 5 Abs. 4 SchVG erforderlichen Mehrheit erfolgen muss4.

3

Mit dem Begriff der kollektiven Bindung wird zum Ausdruck gebracht, dass die individuelle Rechtsmacht des Emittenten einerseits und der einzelnen Gläubiger andererseits eingeschränkt wird. Die Bindung der Gläubiger wird über § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG abgesichert. Danach sind auch die nicht abstimmenden oder dissentierenden Gläubiger an den Mehrheitswillen bei einer Beschlussfassung der Gläubiger gebunden.

4

Das Prinzip der kollektiven Bindung wird in § 4 SchVG umfassend verstanden, soweit es um die Anleihebedingungen geht. Die noch im RefE (§ 3 Abs. 2 und 3 SchVG-RefE) vorgesehene Beschränkung der kollektiven Bindung, nach der die kollektive Bindung nur soweit reichen sollte, wie es deren Zweck gebietet, wurde mit Recht wegen der damit drohenden Abgrenzungsschwierigkeiten nicht in das Gesetz eingefügt. Auch der in § 3 Abs. 3 SchVG-RefE vorgesehene Katalog von Regelbeispielen wurde nicht übernommen. Vor diesem Hintergrund und zur Sicherung der Fungibilität der Anleihe ist von einem weiten Verständnis der Bindung auszugehen, allerdings mit der Maßgabe, dass § 4 SchVG eben allein die Änderung der Anleihebedingungen erfasst. Die Begründung des RegE spricht davon, „im Regelfall“ sei von der kollektiven Bindung auszugehen5. Tatsächlich ist stets von dieser Bindung auszugehen; zu fragen ist allein, was noch Teil der „Anleihebedingungen“ ist, deren Einheitlichkeit sicherzustellen ist (vgl. dazu die Erläuterungen bei § 2 SchVG Rz. 8 ff.). Sämtliche Bestimmungen der Anleihebedingungen sind von Satz 1 erfasst6.

1 2 3 4 5 6

Horn, BKR 2009, 446 (448). Zum Begriff der Anleihen § 1 SchVG Rz. 6. Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 6. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19; Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 45. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 10.

98

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 6 § 4 SchVG

II. Kollektive Bindung an die Anleihebedingungen 1. Wesen der Kollektivierung und der Gesamtheit der Gläubiger Die Zusammenfassung der Gläubiger in Gestalt ihrer Bindung an die Anleihebedingungen 5 und deren allein durch kollektives Handeln mögliche Änderung führen auf die Grundfrage zurück, welche Rechtsnatur die Gesamtheit der Gläubiger der jeweiligen Schuldverschreibung aufweist. Diese Frage ist keineswegs nur ein dogmatisches Glasperlenspiel, sondern ihrer Beantwortung kommt insbesondere Bedeutung bei der Frage zu, ob der Gläubigerverband als solcher rechtsfähig ist und deshalb selbst Vertragspartei, etwa gegenüber dem gemeinsamen Vertreter, sein kann (dazu auch § 7 SchVG Rz. 23). a) Keine BGB-Gesellschaft Richtigerweise handelt es sich bei der Gesamtheit der Schuldverschreibungsgläubiger nicht um eine BGB-Gesellschaft i.S.d. § 705 BGB (ebenso wenig wie bei den Gläubigern in einem Insolvenzverfahren)7. Dafür fehlt es an einer rechtsgeschäftlichen Abrede zwischen den Gläubigern darüber, einen gemeinsamen Zweck zu fördern. Die Gläubiger sind in aller Regel zufällig „zusammengewürfelt“. Sie verfolgen einen individuellen Zweck, nämlich die Rückzahlung und Verzinsung ihres eigenen Investments8. Demgegenüber wird vertreten, bereits § 4 SchVG lasse bereits die Kennzeichnung zu, dass die Gläubiger eine Rechtsgemeinschaft bilden, indem sie nämlich mit der kollektiven Bindung, welche ihre Rechte in gewisser Weise einschränkt, zugleich die Option zu einer gesetzlich vorgezeichneten Gläubigerorganisation erhalten haben und sie damit zusätzlich zu ihren Individualrechten ein gemeinsames Recht i.S. einer Rechtsgemeinschaft innehalten9. Die Gläubiger würden zu einer BGB-Gesellschaft, wenn sie sich entschließen, ihre Rechte in einer Beschlussfassung geltend zu machen. Demnach liege quasi der gemeinsamen Zweck in der Beschlussfassung10. Mit diesem Argument könnte freilich jegliches Handeln, das aufeinander abgestimmt ist, stets einen gemeinsamen Zweck i.S.d. § 705 BGB begründen; dieser Zweck muss dem Handeln – hier der Beschlussfassung – aber gerade vorausgehen bzw. ihm zugrundelegen. Zwar mag man einen solchen gemeinsamen Zweck ggf. dann bejahen können, wenn sich eine Minderheit der Gläubiger, etwa in einem Fall des § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG zu einer Interessengemeinschaft zusammenfindet11. Mit der kollektiven Bindung kraft § 4 SchVG und mit der Gesamtheit aller Anleihegläubiger hat dies aber nichts gemein. Eine eigene Rechtsfähigkeit kommt der Gesamtheit der Schuldverschreibungsgläubiger daher im Ergebnis nicht zu; gerade deshalb ist die Gläubigerschaft als solche nicht parteifähig12. Ein personalistisches Element nach dem Vorbild der Personengesellschaften ist kaum erkennbar, ein Mitgliedschaftsbezug fehlt und manche Regelungen über die BGB-Gesellschaften wie § 708 BGB passen nicht13.

7 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 15; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915); Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 127. 8 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 15; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915); Göppert/Trendelenburg, Vor § 1 SchVG 1899, S. 17. 9 Horn, BKR 2009, 446 (450); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (46 ff.); vgl. auch Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315 ff., die wohl eine über die Gesamtgläubigerschaft hinausgehende Gemeinschaft ablehnt. 10 Horn, BKR 2009, 446 (450). 11 So wohl auch Horn, ZHR 173 (2009), 12 (48 f.). 12 Zur fehlenden Prozessfähigkeit Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. 13 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 16.

Thole 99

6

§ 4 SchVG Rz. 7 Kollektive Bindung b) Keine Rechtsgemeinschaft 7

Auch von einer Rechtsgemeinschaft i.S.d. § 741 BGB ist nicht auszugehen, weil das Recht, das Leistungsversprechen gegenüber dem Emittenten geltend zu machen, nicht im eigentlichen Sinne in Rechtsgemeinschaft steht14. Außerdem passen die Beschlussmechanismen nach §§ 743 ff. BGB ebenso wenig wie die Aufhebungsvorschriften in §§ 752, 753 BGB15, so dass mit dieser dogmatischen Einordnung wenig gewonnen wäre16. Auch eine Notgeschäftsführung wäre mit dem Bestreben, einen praktikablen Kollektivhandlungsmechanismus vorzuhalten, kaum vereinbar17. c) Sonderverbindung sui generis?

8

Wenn stattdessen von einer „Sonderverbindung sui generis“ oder einer gesellschaftsähnlichen Gemeinschaft die Rede ist18, wird damit nur übertüncht, dass es eben doch an einem rechtsgeschäftlichen Zusammenschluss und/oder einer qualifizierten Nähebeziehung zwischen den Gläubigern fehlt. In der Sache steht dabei offenbar auch das Bestreben im Vordergrund, Treue- und Kooperationspflichten zwischen den Gläubigern begründen zu können19, wie dies in der aktuellen Literatur zum Schuldverschreibungsrecht bekräftigt worden ist20. Der BGH hat in anderem Zusammenhang eine Treuepflicht zwischen Gläubigern mit Recht abgelehnt21. Für das SchVG kann nichts anderes gelten. Kein Gläubiger ist gezwungen, seine Zustimmung zu einem Mehrheitsbeschluss nach § 5 SchVG zu geben und folglich einer Änderung der Anleihebedingungen zuzustimmen. Darin liegt der entscheidende Unterschied zum Eigenkapitalgeber bzw. Gesellschafter, der über die gesellschaftsrechtlichen Instrumente zumindest rudimentär einen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben kann und den dann nach Grundsätzen von Herrschaft und Haftung eine korrespondierende rechtliche Verantwortung für diese Geschicke trifft22.

9

Schmidtbleicher23 geht von einem Innenverhältnis der Gläubiger i.S.d. §§ 741 ff. BGB aus, das sich von einer schlichten Interessengemeinschaft und dem Modell wechselseitiger Kooperationspflichten unterscheide, und meint, die „unteilbaren Gestaltungsrechte“ stünden den Anleihegläubigern gemeinsam zu. Damit wird aber ebenfalls nur der Grundsatz abgebildet, dass eine individuelle Abänderung der Anleihebedingungen nicht möglich ist. Da § 4 Satz 1 SchVG zudem gerade den Vertrag zum Mittel und zugleich zum Prototyp einer Änderung der Anleihebedingungen erklärt, erscheint es schon im Ansatz verfehlt, den Gläubigern ein „Gestaltungsrecht“ zuzuweisen. Eine echte rechtsgestaltende Macht kommt den Gläubigern schon deshalb nicht zu, weil die Beschlussfassung nach § 5 davon abhängt, welche Maßnahmen der Emittent anbietet und welchen er zustimmt (zum Zustimmungserfordernis § 5 SchVG Rz. 40). Insoweit geht es bei §§ 4 ff. SchVG allein darum, das Problem zu 14 Ebenso Horn, ZHR 173 (2009), 12 (48); a.A. Schönhaar, Die kollektive Wahrnehmung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2011, S. 70. 15 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 23. 16 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 17. 17 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 18; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 52. 18 Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 608. 19 Vgl. auch Bitter, ZGR 2010, 147 (167). Zurückhaltend mit Recht für das SchVG Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2607). 20 Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (379); Simon, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und Treuepflichten im Anleiherecht, S. 141 ff.; zweifelnd Baums in FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 3 (22). 21 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 (321). 22 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 43. 23 Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 354 ff.

100

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 11 § 4 SchVG

überwinden, dass nicht in allen Fällen eine Zustimmung aller Gläubiger erreichbar ist und dass es zugleich stets die Merkmale der Schuldverschreibung i.S.d. SchVG – Inhaltsgleichheit – zu wahren gilt. Daher bleibt es dabei, dass die Kollektivierung und das in § 4 SchVG verankerte Prinzip allenfalls Ausdruck einer gesetzlichen Pflichtenbindung ist und das SchVG die individuelle Rechtsverfolgung und Rechtsmacht des einzelnen Gläubigers im Verhältnis zum Schuldner einschränkt, ohne dass daraus innere Bindungen gegenüber den konkurrierenden anderen Gläubigern erwachsen24. Letztlich kann auch der jüngst von Liebenow vorgestellte Ansatz nicht überzeugen. Danach 10 sind die Anleihegläubiger „eine gesellschaftsrechtliche Personenvereinigung, ein Innenverband, der so weit körperschaftlich strukturiert und der Aktiengesellschaft angenähert ist, dass er als „Innen-AG“ charakterisiert werden kann“25. Das SchVG sei „Anleiheorganisationsrecht“. Die Anleihegläubiger sollen also Personengesellschaft, zugleich aber einer Aktiengesellschaft angenähert sein. Die Formulierung zeigt bereits, dass mit diesem Ansatz keine echte Einordnung in die gesellschaftsrechtliche oder zivilrechtliche Systematik verbunden ist, sondern eher eine Nicht-Einordnung, mit der sich jeweils jede Ableitung und Rechtsfolge begründen lässt. Es ist zwar nicht zu bestreiten, dass man Parallelen zum Aktienrecht ziehen kann, wie § 20 SchVG beim Rechtsschutz selbst bestätigt, aber das macht aus den Anleihegläubigern noch keine Gesellschafter, die sich in ein irgendwie geartetes System einer wechselseitigen Treuebindung pressen lassen wollen. Wieder wird nur mühsam überdeckt, dass die gesellschaftsrechtliche Einpassung nicht oder nicht vollständig passt oder das Aktien-/Gesellschaftsrecht nur bestimmte Parallelen und Regelungsmuster erlaubt. Ohnedies kann die verbandsrechtliche Einordnung nur überzeugen auf der Grundlage einer Gleichsetzung von Eigen- und Fremdkapital und/oder eine Überwindung der Dichotomie von Gläubigern und Obligationäre zugunsten eines ganzheitlichen Ansatzes der Unternehmensfinanzierung. Obwohl unbestritten ist, dass die Grenzen zunehmend fließender ist, kann jedenfalls der schlichte Hinweis auf die Einbeziehung von Anteilseignern und Gesellschaftern in das Insolvenzplanverfahren (§ 225a InsO) nicht genügen, um die Unterschiede zwischen Gläubigerstellung und Anteilseignerstellung einzuebnen26. § 225a InsO hatte eine ganz andere, spezifische Motivation, nämlich die Überwindung des Obstruktionspotentials der Gesellschafters, das sich nämlich gerade daraus ergibt, dass die gesellschaftsrechtliche Sphäre (Notwendigkeit von Kapitalschnitt und entsprechenden Beschlüssen etc.) von jener der Masseabwicklung im Insolvenzverfahren getrennt ist. Ist damit einer genuin gesellschaftsrechtlichen Einordnung eine Absage erteilt, so ist noch zu bemerken, dass im Übrigen allgemeine Grundsätze des Schuldrechts anwendbar bleiben. Insoweit sieht die Begründung des RegE die Gläubiger weder als Teil- (§ 420 Alt. 2 BGB) noch vollumfänglich als Gesamtgläubiger i.S.d. § 428 BGB27. Diese für das dogmatische Verständnis keineswegs verbindliche28 Äußerung ist ohne weiteres richtig für die Absage an eine Einordnung als Gesamtgläubiger, die sich nämlich schon daran beißt, dass ein einzelner Anleihegläubiger ja gerade nicht Leistung an alle Gläubiger verlangen kann. Auch eine Gläubigerschaft i.S.d. § 432 BGB, bei der eine unteilbare Leistung vorliegen müsste, ist gerade nicht gegeben, weil das individuelle Leistungsbegehren teilbar ist. Jeder Gläubiger verlangt Rückzahlung entsprechend seinem Anteil an der Schuldverschreibung bzw. nach Maßgabe seiner Teilschuldverschreibung.

24 Ähnlich Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 24. 25 Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 298 ff. 26 So aber Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, S. 79. 27 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. Dem folgend Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 19. 28 Insoweit richtig Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 18.

Thole 101

11

§ 4 SchVG Rz. 12 Kollektive Bindung d) Teilgläubigerschaft? 12

Das wirft nun die Frage auf, ob die Inhaber der jeweiligen Schuldverschreibungen als Teilgläubiger i.S.d. § 420 2. Alt BGB anzusehen sind. Dies wird von der überwiegenden Auffassung, u.a. mit dem Argument verneint, eine isolierte Geltendmachung des Kündigungsrechts sei nach allgemeinen Regeln bei einer Teilgläubigerschaft nicht zulässig29.

13

Tatsächlich bedarf die Frage einer stärkeren Differenzierung. Es ist richtig, dass bei einer Teilgläubigerschaft Kündigungs- und Rücktrittsrechte grundsätzlich unteilbar sind30, und insbesondere die Einrede des nicht erfüllten Vertrags aus § 320 BGB Gesamtwirkung entfaltet, § 320 Abs. 1 Satz 2 BGB. Das passt sicher nicht zur der Rechtslage bei Schuldverschreibungen, weil der Gesetzgeber des SchVG bei § 5 Abs. 5 SchVG dem Konzept einer Gesamtwirkung ausdrücklich eine Absage erteilt hat (§ 5 SchVG Rz. 105). Freilich ist die Unteilbarkeit der Gestaltungsrechte auch sonst dispositiv, wie von den Anhängern der Lehre von der Teilgläubigerschaft mit Recht hervorgehoben wird31. In der Tat liegt die Annahme einer Teilgläubigerschaft insofern nahe, als die jeweiligen Anleihegläubiger jeweils am Gesamtvolumen der Emission bzw. am Gesamtnennbetrag beteiligt sind, aber nur entsprechend ihrer Teilschuldverschreibung Leistung verlangen können. Umgekehrt zeigt der Hinweis auf die Disponibilität der bei einer Teilgläubigerschaft typischen Rechtsfolgen gerade, dass die Annahme, die Anleihegläubiger seien Teilgläubiger im herkömmlichen Verständnis, ebenfalls nicht voll trägt. Zweifel an dieser Annahme begründet auch darin, dass es sich (trotz einer für § 1 SchVG indes nicht erforderlichen Gesamtverbriefung) weiter um selbständige Rechtsverhältnisse handelt, die Forderungen also nebeneinander stehen32, selbst wenn sie aus Sicht des Emittenten oder der Gläubiger als Einheit verstanden werden33. Letztlich bleibt zudem – von dem Erkenntnisfortschritt in wissenschaftlicher Hinsicht abgesehen – fraglich, welchen praktischen Mehrwert die Zuordnung zu § 420 BGB generieren könnte. Anders formuliert mag man die Gläubiger der Anleihe zwar als Teilgläubiger ansehen, wenn man den Begriff der geschuldeten „Leistung“ i.S.d. § 420 nicht auf die individuelle Rückzahlungsverpflichtung, sondern auf das Gesamtemissionsvolumen bezieht. Doch gewonnen ist damit nichts, weil stets dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass die Gläubiger weder untereinander in einem Rechtsverhältnis stehen noch die gesetzlichen Vorgaben des SchVG unberücksichtigt bleiben dürfen. Die durch einen Mehrheitsbeschluss nach § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG eintretende Bindungswirkung ergibt sich aus dem Gesetz und folgt nicht einem rechtsgeschäftlichen Handeln in Gestalt eines freiwilligen Zusammenschlusses der Gläubiger. Es handelt sich daher bei dem Gläubigerverband allenfalls um eine Teilgläubigerschaft sui generis34, die gesetzlich ausgeformt ist. Daraus folgt weiter, dass es einzelnen Gläubiger anders als bei einer actio pro socio nicht gestattet ist, Rechte für das Kollektiv bzw. andere Gläubiger in Bezug auf die Anleihebedingungen wahrzunehmen35. Dies bleibt einem gemeinsamen Vertreter vorbehalten. 2. Bestimmungen in Anleihebedingungen

14

Die kollektive Bindung gilt nur, soweit es um „Bestimmungen in Anleihebedingungen“ geht. Freilich sind damit sämtliche Anleihebedingungen gemeint, wie dies § 2 SchVG legalde29 Oulds in Preuße, § 4 SchVG Rz. 42; anders aber Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 329 ff. 30 Grüneberg in Palandt, § 420 BGB Rz. 4. 31 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 18. 32 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (46). 33 Insoweit bedenkenswert Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 323 f. 34 Ebenso Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 47; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 127 f., Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 13; in diesem Sinne auch Göppert/Trendelenburg, Vor § 1 SchVG 1899, S. 18. 35 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 47.

102

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 16 § 4 SchVG

finiert. Es handelt sich um die Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie der Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger. 3. Keine Aggregation von Anleihen Die kollektive Bindung ist bezogen auf die jeweilige Schuldverschreibung i.S.d. § 1 SchVG. Eine anleihenübergreifende Bindung gibt es nicht. Sie kann zwar in den Anleihebedingungen in dem Sinne hergestellt werden, dass sich die Gläubiger der jeweiligen Anleihe auch an Beschlüsse der Gläubiger anderer Schuldverschreibungen binden. Insoweit sind aber Wirksamkeitsgrenzen zu beachten (§ 3 SchVG). Aus allem folgt, dass es zunächst von § 1 SchVG und dem dort angelegten Kriterium der Inhaltsgleichheit abhängt, inwieweit noch von einer einzigen Schuldverschreibung gesprochen werden kann. Tranchen einer einheitlichen Anleihe gehören typischerweise zur selben Anleihe, wenn der Rückzahlungstermin und die jeweiligen Bedingungen für alle Inhaber identisch sind, also nur die Laufzeit unterschiedlich einsetzt und es sich mithin um reine Aufstockungen handelt36. Bei Asset-Backed-Securities sind mit den nach dem Wasserfall-Prinzip emittierten Tranchen (junior, senior etc.) jeweils unterschiedliche Risikoerwartungen verbunden, so dass es sich jeweils um eigene Schuldverschreibungen i.S.d. § 1 SchVG handelt37. Es wird auf die nähere Darstellung bei § 1 SchVG Rz. 32 ff., 49 verwiesen.

15

4. Einseitige Leistungsbestimmungs- und Änderungsrechte Eine von der Aggregation von Anleihen zu unterscheidende, nicht immer hinreichend sauber abgegrenzte Frage ist, ob innerhalb der jeweiligen Schuldverschreibungen eine Bindung an die Vorgaben des § 4 SchVG besteht, wenn es um in den Anleihebedingungen festgelegte einseitige Leistungsbestimmungs- und Änderungsrechte des Emittenten geht38. Mit diesen Bestimmungsrechten wird dem Emittenten eine gewisse Flexibilität belassen, indem ihm die Möglichkeit eingeräumt wird, das Rechtsverhältnis in einer bestimmten Weise nachträglich auszugestalten, etwa durch Anpassungen des Zinssatzes, Tausch des underlyings bei Zertifikaten oder Bestimmungen zum Schutz vor Verwässerungen im Zusammenhang mit etwaigen Kapitalerhöhungen, die auf das Wandlungsverhältnis bei Wandelanleihen Einfluss haben39. Wieder anders gelagert sind Gleitklauseln, bei denen eine entsprechende Änderung, bzw. des Zinssatzes, automatisch wegen der Änderung einer Bezugsgröße eintritt (bei variabler Verzinsung); sie sind von vornherein unproblematisch, weil es gar nicht um eine Änderung geht, sondern das „Gleitende“ bereits Teil der Bedingung ist. Aber auch im ersten Fall handelt es sich nicht um Änderungen der Anleihebedingungen, die den Regeln des § 4 Satz 1 und Satz 2 SchVG unterfielen. Es bedarf auch keiner teleologischen Reduktion des § 4 SchVG40. Diese Vorschrift soll lediglich eine ggf. nicht vom Willen aller Anleihegläubiger getragene nachträgliche Änderung entstandener vertraglicher Rechte und Ansprüche verwehren, nicht hingegen den Emittenten daran hindern, den Anleihegläubigern von vornherein 36 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 32; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013, S. 75 f.; Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 9; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 10; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 116, 119 ff.; Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, 36. Lfg. Sept. 2010, § 4 SchVG Rz. 8; Lürken in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2. Aufl. 2013, Kap. 5 Rz. 31. 37 A.A. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (44), allerdings noch zum RefSchVG, das in dem (später nicht ins Gesetz aufgenommenen) § 3 Abs. 3 Nr. 5 die unterschiedliche Risikotragung als zulässige Gestaltung vorsah; dem unreflektiert folgend für das SchVG 2009 Podewils, DStR 2009, 1914 (1915). 38 Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (402). 39 Podewils, DStR 2009, 1914 (1915 f.); Oulds in Veranneman, § 3 SchVG Rz. 16. 40 So aber Podewils, DStR 2009, 1914 (1915 f.).

Thole 103

16

§ 4 SchVG Rz. 17 Kollektive Bindung nur bestimmte Rechte anzubieten bzw. sich selbst Rechte vorzubehalten41. In den genannten Fällen von Änderungs- und Gleitklauseln wird von den Anleihebedingungen gerade so Gebrauch gemacht, wie es ihr Inhalt vorsieht. Die dort dem Emittenten belassenen Rechte werden lediglich konkretisiert oder ausgeübt. Einseitige Leistungsbestimmungsrechte sind daher ggf. am Transparenzgebot des § 3 SchVG und an allgemeinen Schranken für Rechtsgeschäfte zu messen, nicht aber an § 4 SchVG, und zwar auch nicht an Satz 2, der seinerseits an Satz 1 anknüpft. Freilich ist selbstverständlich, dass die Ausübung solcher Bestimmungsrechte nicht zu einer Begünstigung bzw. Benachteiligung individiueller Gläubiger führen darf, wenn dies – was rechtlich aber problematisch wäre – nicht bereits in den Anleihebedingungen festgelegt ist und diese Differenzierungsmöglichkeit nicht schon Bestandteil der Anleihe ist. Aber auch dies ist keine Folge des § 4 SchVG, sondern ergibt sich daraus, dass die Inhaltsgleichheit der Anleihe als Schranke für die Anwendbarkeit des SchVG insgesamt und folglich auch für die Rechtsbeständigkeit des Bestimmungsrechts gelten muss. 5. Garantien und Sicherheiten (Fall des § 22 SchVG) 17

In einem Fall des § 22 SchVG, d.h. wenn die Anleihebedingungen vorsehen, dass die §§ 5-21 SchVG für Rechtsgeschäfte entsprechend für Mitverpflichtete gelten, kommt § 4 SchVG gleichfalls zum Tragen, obwohl die mit den Mitverpflichteten getroffenen Sicherungsabreden gerade nicht Bestandteil der Anleihebedingungen werden42. Konkret gemeint ist ein Fall des § 22 SchVG, in dem folglich die Anleihebedingungen unter Benennung des Rechtsgeschäfts und des Mitverpflichteten auf die §§ 5-21 SchVG verweisen. Daraus ergibt sich, was im Schrifttum nicht hinreichend deutlich gemacht wird, für die Anwendung des § 4 SchVG Folgendes43:

18

Die Änderung der Klausel, nach der die Anleihebedingungen die Geltung der §§ 5-21 SchVG für die Sicherungsgeschäfte vorsehen, ist selbstverständlich, wie auch sonst, Gegenstand der kollektiven Bindung, weil diese Geltungsaussage Teil der Anleihebedingungen ist.

19

§ 4 SchVG gilt aber naturgemäß nicht unmittelbar in Bezug auf das Sicherungsgeschäft selbst. Meist handelt es sich, etwa bei einer gegenüber dem Emittenten abgegebenen Garantie, um einen Vertrag zugunsten der Gläubiger. Ist nach dem Willen der Beteiligten diese Garantie nicht ohne Zustimmung der Gläubiger abänderbar, bedeutet die Anwendung der kollektiven Bindung und der Gleichbehandlungsgebots insoweit, dass der Emittent einen Mehrheitsbeschluss herbeiführen muss und dass er nicht durch Abrede mit dem Sicherungsgeber für einzelne Gläubiger eine unterschiedliche Reichweite der Besicherung herbeiführen kann, indem er beispielsweise den Sicherungsgeber aus der Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern entlässt. In diesem Fall kann folglich erst durch Mehrheitsbeschluss oder durch gleichlautenden Vertrag mit den Gläubigern auf die Sicherungsabrede Einfluss genommen werden44.

20

Unterliegt die Sicherungsabrede und die gestellte Sicherheit, i.d.R. eine Garantie, für sich genommen ausländischem Recht, kann sie durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger nach § 5 SchVG nur dann geändert werden, wenn das anwendbare ausländische Recht einen solchen Mehrheitsbeschluss für genügend erachtet, um das etwaige, nach dem ausländischen Recht vorgesehene Erfordernis der Zustimmung der Gläubiger zu erfüllen45.

41 Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (402). 42 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 57. 43 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 34; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 58. 44 Schlitt/Schäfer AG 2009, 477 (480). 45 Vgl. auch Hofmeister in Veranneman, § 22 SchVG Rz. 5.

104

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 22 § 4 SchVG

6. Zeitliche Dauer der kollektiven Bindung Nach dem Wortlaut des § 4 Satz 1 SchVG besteht die kollektive Bindung (und sodann über 21 Satz 2 das Gleichbehandlungsgebot) nur während der Laufzeit der Anleihe, womit der Zeitpunkt von der Emission bis zu dem in den Anleihebedingungen vorgesehenen Laufzeitende gemeint ist. Dies beschreibt allein den Standardfall einer nach Laufzeitende ordnungsgemäß getilgten Anleihe46, schließt die kollektive Bindung aber nicht aus, wenn die Anleihe auch nach dem vorgesehenen Rückzahlungstermin noch nicht vollständig bedient ist und die Schuldverschreibungen damit noch ausstehen47. Änderungsbeschlüsse sind dann freilich ohnehin selten48. Eindeutig ist jedenfalls, dass die (außerordentliche) Kündigung einzelner Gläubiger auch vor Laufzeitende (dazu § 5 SchVG Rz. 105) nichts an der Bindung nach § 4 SchVG ändert49. Die Kündigung bewirkt zwar die Fälligkeit des individuellen Rückzahlungsanspruchs. Dennoch dürfen die Anleihebedingungen auch nach Kündigung noch geändert werden. Fraglich ist dann aber, ob der individuelle Rückzahlungsanspruch ohne individuelle Zustimmung des betroffenen Gläubigers durch Mehrheitsbeschluss tangiert werden kann, was im Ausgangspunkt zu verneinen ist, weil andernfalls § 5 Abs. 5 SchVG und die dort eingezogenen Grenzen ihres Sinns entleert wären50. Allerdings ist auch insoweit zu differenzieren; dazu § 5 SchVG Rz. 105. Die Anleihebedingungen im Übrigen können aber im Verfahren nach §§ 5 ff. SchVG geändert werden. Das gilt auch nach Laufzeitende. 7. Offensichtliche Fehler in den Anleihebedingungen Eine Korrektur offensichtlicher Fehler in Anleihebedingungen kann der Emittent einseitig vornehmen51, muss dies aber analog § 17 SchVG bekanntmachen52. Im Einzelnen ist näher abzugrenzen. Wenn dem Emittenten im Schrifttum empfohlen wird, bereits in den Anleihebedingungen die Richtlinien und Grenzen für deren Änderung zu definieren53, so ist zu berücksichtigen, dass damit ggf. ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht geschaffen würde, das den bei § 3 SchVG Rz. 57 ff. erläuterten Grenzen standhalten muss. Entscheidend ist nämlich, ob jeweils noch von einer (unproblematischen) Korrektur offensichtlicher Fehler die Rede sein kann oder ob die Anleihebedingungen auch in ihrer Substanz geändert würden. Letzteres ist bei Fehlen eines einseitigen Leistungsbestimmungsrechts nur über § 4 SchVG statthaft. Von einem ohne weiteres korrigierbaren Fehler kann in Anlehnung an die Diskussion zu § 319 ZPO54 nur dann die Rede sein, wenn ein bloßer Verlautbarungsfehler vorliegt, d.h. der zum Zeitpunkt der Emission feststehende Willen des Emittenten nur falsch wiedergegeben ist. Das kann (insofern ggf. enger als bei einem Urteil) nur dann der Fall sein, wenn es sich um Tippfehler oder z.B. die Angabe einer falschen Postleitzahl, erkennbare Zahlendreher oder falsche Kommata handelt. Stets ist erforderlich, dass der Fehler nicht allein in 46 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 10. 47 Horn, BKR 2009, 446 (448); Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 37; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 10; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 60; Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, 36. Lfg. Sept. 2010, § 4 SchVG Rz. 9. Für Geltung der allgemeinen Grundsätze nach Laufzeitende der Anleihe aber Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 34; Eisele, LMK 2014, 363946. 48 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 34. 49 BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14, AG 2016, 244 = ZIP 2016, 308. 50 Im Ergebnis auch BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14 – Rz. 19, AG 2016, 244 = ZIP 2016, 308. 51 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 36; Balz, ZBB 2009, 401 (408). 52 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 36; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 55. 53 Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (403); Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 57; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 36. 54 Dazu Thole in Prütting/Gehrlein, 8. Aufl. 2016, § 319 ZPO Rz. 3.

Thole 105

22

§ 4 SchVG Rz. 23 Kollektive Bindung der emittenteninternen, der Emission vorgelagerten Sphäre angesiedelt ist, sondern sich in den Anleihebedingungen selbst zeigt. Der Emittent kann sich beispielsweise – und selbstverständlich – nicht darauf berufen, dass er eigentlich nur eine 5 %-Anleihe ausgeben wollte, aber nunmehr „versehentlich“ 6 % angegeben sind. Anders wäre dies, wenn die Anleihe durchweg als „Fünf-Prozent-Anleihe“ bezeichnet wird, sich dann aber bei in den Anleihebedingungen an einer Stelle die Angabe „50,0 %“ für den Zinssatz findet. Angaben von Referenzwerten zur Zinsberechnung können grundsätzlich nicht in offensichtlicher Weise fehlerhaft sein, weil der Fehler für den Gläubiger nicht ohne weiteres erkennbar ist.

III. Änderung der Anleihebedingungen (§ 4 Satz 1 SchVG) 1. Gleichlautender Vertrag 23

§ 4 Satz 1 SchVG sieht vor, dass die Anleihebedingungen (i.S.d. § 2 SchVG) der jeweiligen Schuldverschreibung (i.S.d. § 1 SchVG) nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder durch Mehrheitsbeschluss nach §§ 5-21 SchVG geändert werden können.

24

Für einen gleichlautenden Vertrag muss jeweils eine gleichlautende rechtsgeschäftliche Vereinbarung mit den einzelnen Gläubigern individualvertraglich herbeigeführt werden. Gemeint sind die im jeweiligen Zeitpunkt aktuellen Gläubiger. Spätere Gläubiger sind, wenn sie Rechtsnachfolger des ursprünglichen Gläubigers werden, an die geänderten Bedingungen ohne weiteres gebunden. Eine praktisch relevante Alternative ist das Verfahren über eine Vereinbarung nur bei einer geringen Zahl von Gläubigern der jeweiligen Schuldverschreibung, was bei Namensschuldverschreibungen der Fall sein kann55. Der Vertrag setzt notwendigerweise die rechtsgeschäftliche Zustimmung des jeweiligen Gläubigers (der geschäftsfähig i.S.d. §§ 104 ff. BGB sein muss) sowie des Emittenten voraus. Aus diesem Umstand kann man schließen, dass es auch bei einem Mehrheitsbeschluss nach der 2. Alt. von § 4 Satz 1 SchVG auf die Zustimmung des Emittenten ankommt (dazu sogleich unten Rz. 27).

25

Ein gleichlautender Vertrag setzt nicht voraus, dass der Vertrag in einer Urkunde abgefasst sein muss oder sonst zusammengefasst sein muss56. Entscheidend ist allein, dass eine inhaltliche Identität in Bezug auf die angestrebte Änderung der Anleihebedingungen besteht. Daher ist es auch nicht geschlossen, dass neben dieser gleichlautenden Änderungsvereinbarung noch jeweils individuelle, unterschiedliche zusätzliche Vereinbarungen in den Vertrag aufgenommen werden, solange die gerade auf die Änderung der Anleihebedingung bezogene Klausel jeweils identisch ist. Besondere Wirksamkeits-, insbesondere Formerfordernisse stellt das Gesetz nicht auf57, so dass auch mündlich abgeschlossene Verträge theoretisch genügen. Auf die Änderung der Urkunde bei Globalverbriefung kommt es für die Wirksamkeit der Änderung nicht an. 2. Änderungen im Verfahren nach §§ 5-21 SchVG a) Mehrheitsbeschluss der Gläubiger

26

Die praktisch relevantere Vorgehensweise ist der Mehrheitsbeschluss nach § 5 SchVG und dem Abschnitt 2 des SchVG. Er kommt nur dann zum Tragen, wenn gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG in den Anleihebedingungen ein Opt-In erklärt wird und von der Ermächtigungslösung Gebrauch gemacht wird (§ 5 SchVG Rz. 6). Fehlt es daran, bleibt allein der Weg über die individualvertragliche Abänderung nach Alt. 1 möglich. Der Emittent kann dann auch 55 Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (454). 56 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 28; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 40. 57 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 28.

106

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 28 § 4 SchVG

nicht nachträglich ohne Zustimmung eines jeden einzelnen Gläubigers eine entsprechende Ermächtigung in die Anleihebedingungen einfügen. b) Zustimmung des Emittenten Der so eröffnete Weg über einen Mehrheitsbeschluss ersetzt nicht die Zustimmung des Emittenten zu der konkret beschlossenen Änderung der Anleihebedingungen58. Das ergibt sich aus §§ 4 f. SchVG zwar nicht ausdrücklich, wohl aber aus dem Zusammenhang mit § 4 Satz 1 Alt. 1 SchVG. Der Mehrheitsbeschluss soll lediglich auf Gläubigerseite davon befreien, dass ein Vertrag mit jedem einzelnen Gläubiger abgeschlossen wird und folglich jeder Gläubiger eine zustimmende Willenserklärung abgeben muss. Der Mehrheitsbeschluss ist Surrogat für die Zustimmung der einzelnen Gläubiger, nicht des Emittenten (vgl. auch den Wortlaut des § 5 Abs. 3 SchVG).

27

Die nicht formbedürftige Zustimmung des Emittenten ist rechtsgeschäftlicher Natur. Als Willenserklärung ist sie grundsätzlich empfangsbedürftig und an den Vertragspartner, d.h. die Gläubiger zu richten; indessen ist nach dem Umständen ein Zugang der Annahmeerklärung bei jedem einzelnen Gläubiger nicht geboten, so dass der Zugang entbehrlich ist (§ 151 Satz 1 BGB)59. Die Zustimmung kann u.U. im Innenverhältnis der Gesellschaft des Emittenten von bestimmten Voraussetzungen abhängig sein. Bei einer AG bedarf die (neue) Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen, wie sie im Rahmen eines Debt-Equity-Swap erfolgen kann (§ 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG), der Zustimmung der Hauptversammlung, zudem sind ggf. allgemeine Grundsätze beachtlich (Holzmüller/Gelatine-Doktrin)60. Die Nichteinholung eines solchen Beschlusses mag Haftungsfolgen für die Geschäftsleitung und den Vorstand haben, ändert aber nichts an der Wirksamkeit der vom Emittenten erteilten Zustimmung im Außenverhältnis zu den Gläubigern61. Die Zustimmung kann sowohl als Einwilligung vor Beschlussfassung als auch als nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) erklärt werden. Bei der Einwilligung wäre auch eine (an bestimmte Bedingungen geknüpfte) Pauschaleinwilligung in den Anleihebedingungen denkbar62, wenn auch meist nicht opportun. Darüber hinaus kann die Einwilligung mit der Einladung zur Gläubigerversammlung erklärt werden. Macht der Emittent einen Beschlussvorschlag, liegt darin die Einwilligung, wenn der Vorschlag in dieser Form beschlossen wird und sich der Emittent nichts anderes vorbehält63. Fehlt es an einer Einwilligung, so ist die Änderung der Anleihebedingungen schwebend unwirksam, bis die Genehmigung erteilt wird. Mit deren Erteilung wird die Änderung grundsätzlich schuldrechtlich wirksam, ohne dass es auf die Änderung der Verbriefung ankommt (§ 21 SchVG). Die Beschlussanfechtung nach § 20 SchVG und deren aufschiebende Wirkung sind ebenso wie die Bekanntmachung nach § 17 SchVG von der Genehmigung unabhängig, da sie allein den Beschluss der Gläubiger und damit die Zustimmung der Gläubiger betreffen. Freilich entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage, wenn die Genehmigung versagt wird. In einem solchen Fall bleibt der Beschluss wirkungslos. Die Versagung der Genehmigung kann vom Emittenten auch nicht nachträglich ohne erneuten Gläubigerbeschluss zu einer Zustimmung bestimmt bzw. umgedeutet werden64.

28

58 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 32; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 3; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 42. 59 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 44. 60 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (131) = AG 1982, 158; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, ZIP 2004, 993 (997) = AG 2004, 384; BGH v. 8.10.2013 – II ZB 26/12 – Frosta, AG 2013, 877 = ZIP 2013, 2254. 61 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 35. 62 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 43. 63 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 43; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 4. 64 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 46.

Thole 107

§ 4 SchVG Rz. 29 Kollektive Bindung 3. Gerichtlich herbeigeführte Änderungen der Anleihebedingungen 29

Der Gesetzgeber hat sich einer Aussage dazu enthalten, ob „ob auch mit gerichtlicher Hilfe einseitig herbeigeführte Inhaltsänderungen ausgeschlossen sind oder wie sich ihre Wirkungen ggf. verallgemeinern lassen“65. Dies bleibe der zukünftigen Klärung durch die Rechtswissenschaft und die Gerichte überlassen66. Einen Grund für diese Zurückhaltung sah der Gesetzgeber in der noch nicht abschließend geklärten Frage, inwieweit die (nunmehr in die Verbraucherrechte-Richtlinie67 und die Unterlassungsklagen-Richtlinie68 überführten) Regelungen zur Kontrolle von Anleihebedingungen überhaupt anwendbar sind (dazu § 3 SchVG Rz. 2 ff.).

30

Im Schrifttum wird auf dieser Grundlage die Frage gestellt, ob die Wirkungen einer rechtskräftigen Entscheidung über die Unwirksamkeit einer Bestimmung in Anleihebedingungen auch auf andere Gläubiger zu erstrecken sind69. Dabei wird allerdings nicht hinreichend genau differenziert. Im Falle einer Anfechtungsklage nach § 20 SchVG ist Gegenstand der Prüfung allein der Beschluss der Gläubiger, nicht die Anleihebedingung selbst, die allenfalls Vorfrage sein kann. Wird der Beschluss angefochten, so stellt sich die Frage, ob das stattgebende Urteil entsprechend §§ 248, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG gestaltende Wirkung für und gegen alle Gläubiger hat. Es fehlt an einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, weshalb die Frage umstritten ist70. Für eine allseitige Wirkung sprechen die enge Anlehnung des § 20 an das aktienrechtliche Vorbild, die praktische Einfachheit, die vergleichbare Situation beim Beschluss über einen Insolvenzplan (auch dort fehlt bei § 253 InsO eine ausdrückliche Klarstellung) ebenso wie das Freigabeverfahren, das wenig Sinn hätte, wenn seine Aufgabe darauf beschränkt wäre, allein im Verhältnis zum Antragsteller die freigebende Wirkung herbeizuführen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, allseitige Wirkungen über das Gleichbehandlungsgebot des § 4 Satz 2 SchVG schuldrechtlich (und nicht schon prozessual) herbeizuführen, indem der Emittent verpflichtet würde, die Wirkungen der Einzelentscheidung auf die übrigen Gläubiger zu erstrecken71. Dieser Begründungsansatz hinkt freilich insofern, als dann der Emittent im Falle eines solchen kassatorischen Urteils verpflichtet wäre, gerade bei der (vom Gericht ausgesprochenen) Nicht-Änderung der Anleihe die Gläubiger gleich zu behandeln. Das lässt sich begründen, bereitet aber umso mehr Unbehagen, nicht von einer Gestaltungswirkung auszugehen. Freilich ist nicht zu bestreiten, dass die subjektive Reichweite der Rechtskraft im deutschen Prozessrecht (mit Recht) eng vermessen wird72. Um eine Rechtskraftwirkung begründen zu können, müsste man daher annehmen, dass ein Redaktionsversehen und eine unbewusste Lücke im Gesetz vorliegen, die entsprechend § 248 AktG zu schließen ist. Dafür spricht immerhin, dass der Gesetzgeber bewusst Anleihen an das AktG genommen hat, die Frage der Rechtskraftbindung aber offenbar übersehen hat. Will man demgegenüber § 248 AktG nicht analog anwenden, ließe sich die Rechtskraftwirkung noch am ehesten mit den Grundsätzen der gewillkürten Prozessstandschaft begründen und der Annahme, dass der anfechtende Gläubiger auch für die Rechte der anderen Gläubiger tätig wird, was nach allgemeinen prozessualen Regeln eine Rechtskraftwirkung für und gegen den Rechteinhaber zur Folge hätte73. Letztlich wird insoweit allerdings nur behauptet, dass der Anfechtende auch für die anderen tätig wird; dies ist aber gerade die Frage und tendenziell zu verneinen, wenn man Gläubigergesamtheit keinen korporationsähnlichen Charakter zu65 66 67 68 69 70 71

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17. RL 2011/83/EU, ABl. EU Nr. L 304 v. 22.11.2011, 64. RL 2009/22/EG, ABl. EU Nr. L 110 v. 1.5.2009, 30. Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 47. Für relative Rechtskraft Vogel, ZBB 2010, 211 (217); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 3. So Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 53; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 50; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 27. 72 Allgemein statt aller Gottwald in MünchKomm/ZPO, Bd. 1, 4. Aufl. 2013, § 325 ZPO Rz. 1. 73 Gottwald in MünchKomm/ZPO, Bd. 1, 4. Aufl. 2013, § 325 ZPO Rz. 57.

108

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 32 § 4 SchVG

schreibt (dazu oben Rz. 10). Daher ist die Begründung einer Gestaltungswirkung über eine Analogie zu § 248 AktG vorzugswürdig. Das bedeutet indessen nichts für andere Gerichtsentscheidungen als ein kassatorisches Urteil 31 nach erfolgter Anfechtungsklage. Ist das UKlaG anwendbar, hilft § 11 UKlaG (mit ihrerseits dogmatisch umstrittener Einordnung der Urteilswirkung74). Wird über die Unwirksamkeit einer Anleihebedingungen nur als Vorfrage entschieden, z.B. bei einer Kündigungsbeschränkung in den Anleihebedingungen im Rahmen der Rückzahlungsklage, so erwachsen die gerichtlichen Ausführungen zur Unwirksamkeit ohnehin nicht in Rechtskraft und sie können folglich auch nicht prozessrechtlich auf Dritte erstreckt werden. Aber auch bei einem Zwischenfeststellungsantrag oder einer eigenständigen Feststellungsklage (für die es neben § 20 SchVG an einem Feststellungsinteresse fehlen kann) ist für eine Rechtskrafterstreckung kein Raum. Auch bei einer Feststellungsklage lässt sich zwar eine Rechtskraftbindung zugunsten und zu Lasten des Zessionars der Anleihenforderung über § 325 Abs. 1 ZPO herstellen, nicht aber gegenüber allen übrigen Gläubigern. Daraus folgt, dass sich nur in diesen verbleibenden Fällen die Frage stellt, wie sich die kollektive Bindung zu einer solchen Gerichtsentscheidung verhält. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um eine prozessrechtliche Erstreckung von Urteilswirkungen, sondern allein um die materiell-rechtliche Frage, ob das Urteil gleichsam „zu kollektivieren“ ist, also entweder automatisch oder durch eine Handlung des Emittenten auf die anderen Gläubiger zu erstrecken ist. Dies hätte zur Folge, dass die unwirksame Anleihebedingung auch anderen Gläubigern gegenüber als unwirksam zu behandeln wäre oder als unwirksam gilt. Bei der Beantwortung dieser Frage ist wiederum genau zu differenzieren. Bei einer Leistungsklage des einzelnen Gläubigers bedarf es einer solchen Erstreckung auf die anderen Gläubiger nicht. Sie wäre vom Emittenten auch leicht zu umgehen. Sobald absehbar würde, dass das Gericht die Unwirksamkeit der jeweiligen Bedingung annehmen will, könnte sich der Emittent in ein Versäumnisurteil flüchten, das keine Begründung enthält. Dann kann eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Anleihebedingung selbst schon deshalb nicht in Betracht kommen. Eine Gleichbehandlungspflicht hinsichtlich der ausgesprochenen Rechtsfolgen (im Beispiel also die Rückzahlung) beträfe aber richtigerweise schon nicht die Anleihebedingungen, also das Leistungsversprechen, sondern die Leistung selbst und ist über § 4 daher nicht zu begründen. Daher kann es richtigerweise stets nur um solche Fälle gehen, in denen etwa aufgrund eines Feststellungsantrags tatsächlich über die Anleihebedingung selbst entschieden worden ist. In diesem Fall ist, sofern § 11 UKlaG nicht greift, über eine entsprechende Gleichbehandlungspflicht des Emittenten nachzudenken. Sie folgt aber nicht aus einer irgendwie gearteten Treuepflicht des Emittenten75. Eine automatische Anpassung der Anleihebedingung ist ebenfalls nicht anzunehmen, wenn und weil es an einer Rechtskrafterstreckung fehlt. Wohl aber lässt sich § 4 Satz 2 SchVG im Wege der Auslegung eine Verpflichtung des Emittenten zur Gleichbehandlung entnehmen, obwohl § 4 Satz 2 SchVG grundsätzlich nur in Fällen des Satz 1 gilt76. Es bedarf also keines Mehrheitsbeschluss der Gläubiger nach Satz 1, um das Urteil „allgemeinverbindlich“ zu erklären. Für die Geltung des Gleichbehandlungsgebots (dazu näher gleich Rz. 33 ff.) in dem genannten Fall spricht, dass dieses Gebot die Fungibilität der Anleihe sicherstellen will und dieser Zweck auch hier beachtlich ist. § 4 SchVG ist Ausdruck des materiellen Leistungsversprechens des Emittenten, der gerade wegen der zu sichern74 Vgl. Micklitz in MünchKomm/ZPO, Bd. 3, 4. Aufl. 2013, § 11 UKlaG Rz. 1 ff.; Witt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 11 UKlaG Rz. 10 f.; Schlosser in Staudinger, 2013, § 11 UKlaG Rz. 1. 75 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 53; Sester, AcP 209, 628 (640 f.). Anders (subsidiär) Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 27; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 50. 76 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 27; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 52 f.

Thole 109

32

§ 4 SchVG Rz. 33 Kollektive Bindung den Fungibilität und wegen des Wesens der Schuldverschreibung Gleichbehandlung verspricht; diesem Versprechen würde es zuwiderlaufen, wenn rechtskräftige Entscheidungen, die mit Rechtskraft (das ist entscheidend!) die Unwirksamkeit einer Anleihebedingung feststellen, vom Emittenten nur so behandelt würden, wie es die subjektive Rechtskraft und das Prozessrecht verlangen. Folglich ist es zwar nicht die Rechtskraft, die für eine Erstreckung des Urteils auf Dritte sorgt, wohl aber – über § 4 Satz 2 SchVG – das materielle Versprechen des Emittenten, das ihn insoweit zur Gleichbehandlung verpflichtet77.

IV. Gleichbehandlungsgebot (§ 4 Satz 2 SchVG) 1. Gleichbehandlung im Rahmen der kollektiven Bindung 33

Nach § 4 Satz 2 SchVG ist der Emittent verpflichtet, die Gläubiger „insoweit“, d.h. im Zusammenhang mit der in Satz 1 beschriebenen Änderung der Anleihebedingungen und dem Prinzip der kollektiven Bindung gleich zu behandeln (zur ausnahmsweisen Geltung auch bei gerichtlichen Entscheidungen soeben Rz. 32). Dieses Gebot wird über § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG abgesichert, der die Unwirksamkeit des Mehrheitsbeschlusses vorsieht, sofern nicht die benachteiligten Gläubiger ihrer Ungleichbehandlung zustimmen. Den Hintergrund beschreibt stets § 1 SchVG. Die Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibung muss grundsätzlich gewahrt bleiben; Ungleichbehandlungen bei den Anleihebedingungen führen stets zur Inhaltsdivergenz, so dass unterschiedliche Anleihen entstehen.

33a

Das Gleichbehandlungsgebot sichert die kollektive Bindung nach Satz 1 ab und gilt folglich solange, wie die kollektive Bindung besteht, d.h. mindestens während der gesamten Laufzeit der Anleihe und ggf. darüber hinaus (oben Rz. 21)78. Zugleich gilt es, wie die Regel des Satz 1, nur bezogen auf die jeweilige Anleihe. Der Emittent kann sich zwar in den Anleihebedingungen verpflichten, auch anleihenübergreifend gleich zu behandeln. Fehlt es daran, ergibt sich eine solche Verpflichtung aber nicht aus dem SchVG, weil das Gesetz eine rechtliche Aggregation einzelner Anleihen i.S.d. § 1 SchVG nicht vorsieht.

34

Das Gleichbehandlungsgebot sichert – was wegen der sonst drohenden praktischen Probleme der Rechtsnachfolge nicht zu unterschätzen ist – die Fungibilität der Anleihe, ohne eine notwendige Besserstellung einzelner Gläubiger im Zuge von Restrukturierungsbemühungen gänzlich zu verwehren. Die am Gleichbehandlungsgebot geübte Kritik erscheint überzogen79. Denn mit Zustimmung aller Gläubiger kann die Hürde des § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG bei einer Beschlussfassung überwunden werden80. Zudem können die Anleihebedingungen schon ex ante eine unterschiedliche Behandlung vorsehen.

35

Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit im Fall des § 4 Satz 1 Alt. 1 SchVG, d.h. bei einem gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern, die Benachteiligung einzelner Gläubiger (mit deren Zustimmung) gestattet sind81. Gemeint ist damit eine Situation, in der eine allseitige Änderungsvereinbarung in Bezug auf die Anleihebedingungen abgeschlossen wird, die auf eine Ungleichbehandlung hinausläuft. In einem solchen Fall ist der Vertrag „gleichlautend“, weil die angestrebte Änderung der Anleihebedingung einheitlich gilt, nur eben in-

77 Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (401); Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 49. 78 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 62. 79 Anders aber Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 152; wie hier Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 55. 80 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 50. 81 Bejahend Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 58; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 26; a.A. Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 53.

110

Thole

Kollektive Bindung

Rz. 39 § 4 SchVG

haltlich einzelne Gläubiger benachteiligt. Gegen eine solche allseitige Änderungsvereinbarung bestehen keine Bedenken. Nicht gestattet ist dagegen eine bloß mit einem einzelnen Gläubiger abgeschlossene bilaterale Änderungsvereinbarung, soweit dadurch die für alle Gläubiger geltenden Anleihebedingungen geändert werden, also die Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibung i.S.d. § 1 SchVG tangiert ist. Das schließt allerdings nicht aus, dass schuldrechtliche Vereinbarungen zwischen dem Emittenten und einzelnen Gläubigern getroffen werden, die nicht die Anleihebedingungen ändern sollen, sondern sich beispielsweise auf die Ausübung von Stimmrechten oder Kündigungsrechten des Gläubigers beziehen82.

36

Bilaterale Vereinbarungen, die ausschließlich den Emittenten begünstigen (und nicht den jeweiligen einzelnen Gläubiger), sind mit einer im Schrifttum vertretenen Auffassung dann zulässig, wenn man davon ausgeht, dass § 4 SchVG nur eine Begünstigung eines Anleihegläubigers gegenüber einem anderen verhindern möchte83. Auf dieser Grundlage wird dann weiter angenommen, dass eine solche Vereinbarung allerdings nicht gegenüber dem Rechtsnachfolger des Gläubigers wirke, da sie sich gem. § 796 BGB nicht aus der Urkunde selbst ergibt. Tatsächlich wäre das letztgenannte Problem überwindbar, weil der BGH neuerdings auch die Übertragung der Schuldverschreibung durch Abtretung der zugrunde liegenden Forderung (und nicht durch Übereignung des Papiers) zulässt84, so dass § 404 BGB ohne weiteres einschlägig ist. Dennoch ist auch ungeachtet der zusätzlichen Facette der Rechtsnachfolge zweifelhaft, ob man eine Unterscheidung nach dem Ziel der Ungleichbehandlung (Begünstigung des Emittenten oder der einzelnen Gläubigers) einziehen sollte. Im Ergebnis ist richtigerweise allein entscheidend, ob die Anleihebedingungen und die kollektive Bindung berührt werden, also die Anleihen infolge der Änderung nicht mehr inhaltsgleich wären, etwa bei der Stellung von Sicherheiten zugunsten einzelner Gläubiger ohne Zustimmung der anderen85. Die Tilgung einer Rückzahlungsforderung eines einzelnen Gläubigers, z.B. nach berechtigter Kündigung gem. § 314 BGB86, ist aber keine unzulässige Ungleichbehandlung, weil sich dadurch die Anleihebedingungen nicht ändern, sondern nur die Zahl der Gläubiger und der ausstehenden Schuldverschreibungen87.

37

Eine explizite Rechtsfolge bei Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot sieht § 4 SchVG 38 nicht vor. Es ist davon auszugehen, dass § 4 SchVG ein gesetzliches Verbot, das eine Ungleichbehandlung für unwirksam erklärt (§ 134 BGB). Die Anleihebedingungen werden insoweit nicht beeinträchtigt. Ob im bilateralen Verhältnis die unwirksame Abrede schuldrechtliche Folgen haben kann, ist eine Frage der (ergänzenden) Auslegung der Abrede und allein im Innenverhältnis zu klären. 2. Rückkauf von Schuldverschreibungen Mit gleicher Begründung ist es kein Fall des § 4 Satz 2 SchVG, wenn der Emittent einen Rückkauf von Teilen oder von der gesamten Schuldverschreibung anstrebt88, wie dies meist 82 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 28. 83 So Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 38; Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (454); Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (481). 84 BGH v. 14.5.2013 – XI ZR 160/12 – Rz. 14 ff., ZIP 2013, 1270 (1271). 85 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 27. 86 Dazu bei § 5 SchVG Rz. 100. 87 A.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 27. 88 Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 52; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 39; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 65.

Thole 111

39

§ 4 SchVG Rz. 40 Kollektive Bindung über die Börse im Wege sog. negotiated repurchases oder über öffentliche Rückerwerbsangebote erfolgt. Darin kann ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot erst recht dann nicht liegen, wenn der Rückkauf in den Anleihebedingungen vorgesehen ist. Aber auch davon unabhängig geht es gerade nicht um eine Änderung der Anleihe, sondern lediglich um den Wechsel des Inhabers der Forderung. Der Emittent wird Inhaber der Forderung, die folglich aufgrund Konfusion erlischt89. Für das Erlöschen der Forderung bedarf es nicht einer Einziehung der Urkunde und deren Beseitigung. 40

Allgemeine kapitalmarktrechtliche Anforderungen an den Rückerwerb sind einzuhalten. Namentlich ist das Gleichbehandlungsgebot des § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG zu beachten, das aber keine vergleichbaren strengen Anforderungen kennt90. Das WpÜG ist nicht auf den Rückerwerb von Anteilen bei Identität von Bieter und Zielgesellschaft anwendbar91.

V. Insolvenzverfahren 41

In der Insolvenz des Emittenten ist der Vorrang des Insolvenzrechts gem. § 19 Abs. 1 SchVG zu beachten. Allerdings bleiben das Gleichbehandlungsgebot und die kollektive Bindung grundsätzlich unberührt. Der Insolvenzverwalter, der für den Emittenten die Zustimmung zu einer Änderung der Anleihebedingungen zu erteilen hat (keine Kompetenz des Vorstands oder der Geschäftsführung mehr!92) darf theoretisch durch gleichlautenden Vertrag mit den Anleihegläubigern oder durch Herbeiführung eines Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger die Anleihebedingungen ändern93. Für eine solche Änderung besteht aber meist gar kein Anlass, weil die Forderungen der Anleihengläubiger regelmäßig als Insolvenzforderungen nach § 41 InsO als fällig gelten und schlicht zur Tabelle angemeldet werden müssen. Außerdem ist zu beachten, dass Beschlüsse der Schuldverschreibungsgläubiger nach § 5 SchVG im laufenden Insolvenzverfahren nur interne Wirkung haben, also die Masse, den Verwalter und die anderen Gläubigergruppen keineswegs binden94. Die Schuldverschreibungsgläubiger können folglich der Masse nicht ihre Vorstellungen von der Restrukturierung aufzwingen. Das gilt auch dann nicht, wenn der Emittent seine Zustimmung zu solchen Beschlüssen vorab und/oder pauschal erteilt hat. Vielmehr ist der Vorrang des Planverfahrens zu beachten. Im Plan können die Anleihebedingungen als Teil der Restrukturierung der Passivseite mit den Mehrheiten nach § 244 InsO und unter Mitwirkung aller Gläubigergruppen geändert werden. § 5 Abs. 3 SchVG setzt insofern keine Grenzen, sondern allein das Insolvenzrecht. §§ 4, 5 SchVG sind insofern auch im Rahmen eines Minderheitenschutzantrags nach § 251 InsO nicht zu berücksichtigen, weil dort der Vergleichsmaßstab die Regelinsolvenz ist, in der der Vorrang der InsO nach § 19 Abs. 1 gleichermaßen gilt. Allerdings müssen nach § 19 Abs. 4 SchVG und ggf. § 226 InsO (bei Bildung einer eigenen Gruppe) den Schuldverschreibungsgläubigern im Plan gleiche Rechte angeboten werden. Näher § 19 SchVG Rz. 130.

89 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 40; a.A. Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 66. 90 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 65; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477, 487. 91 Vgl. Pluskat, NZG 2006, 731 (732) m.w.N. 92 Vgl. Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015, Rz. 89 ff. 93 Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, 36. Lfg. Sept. 2010, § 4 SchVG Rz. 10; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 62. 94 Näher Thole, ZIP 2014, 293 ff.

112

Thole

Abschnitt 2 Beschlüsse der Gläubiger

§5 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger (1) 1Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die Gläubiger derselben Anleihe nach Maßgabe dieses Abschnitts durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen zustimmen und zur Wahrnehmung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen können. 2Die Anleihebedingungen können dabei von den §§ 5 bis 21 zu Lasten der Gläubiger nur abweichen, soweit es in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Eine Verpflichtung zur Leistung kann für die Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss nicht begründet werden. (2) 1Die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubiger derselben Anleihe gleichermaßen verbindlich. 2Ein Mehrheitsbeschluss der Gläubiger, der nicht gleiche Bedingungen für alle Gläubiger vorsieht, ist unwirksam, es sei denn, die benachteiligten Gläubiger stimmen ihrer Benachteiligung ausdrücklich zu. (3) 1Die Gläubiger können durch Mehrheitsbeschluss insbesondere folgenden Maßnahmen zustimmen: 1. der Veränderung der Fälligkeit, der Verringerung oder dem Ausschluss der Zinsen; 2. der Veränderung der Fälligkeit der Hauptforderung; 3. der Verringerung der Hauptforderung; 4. dem Nachrang der Forderungen aus den Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren des Schuldners; 5. der Umwandlung oder dem Umtausch der Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile, andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen; 6. dem Austausch und der Freigabe von Sicherheiten; 7. der Änderung der Währung der Schuldverschreibungen; 8. dem Verzicht auf das Kündigungsrecht der Gläubiger oder dessen Beschränkung; 9. der Schuldnerersetzung; 10. der Änderung oder Aufhebung von Nebenbestimmungen der Schuldverschreibungen. 2Die Anleihebedingungen können die Möglichkeit von Gläubigerbeschlüssen auf einzeln benannte Maßnahmen beschränken oder einzeln benannte Maßnahmen von dieser Möglichkeit ausnehmen. (4) 1Die Gläubiger entscheiden mit der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. 2Beschlüsse, durch welche der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert wird, insbesondere in den Fällen des Absatzes 3 Nummer 1 bis 9, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit einer Mehrheit von mindestens 75 Prozent der teilnehmenden Stimmrechte (qualifizierte Mehrheit). 3Die Anleihebedingungen können für einzelne oder alle Maßnahmen eine höhere Mehrheit vorschreiben. (5) 1Ist in Anleihebedingungen bestimmt, dass die Kündigung von ausstehenden Schuldverschreibungen nur von mehreren Gläubigern und einheitlich erklärt werden kann, darf der für die Kündigung erforderliche Mindestanteil der ausstehenden Schuldverschreibungen nicht mehr als 25 Prozent betragen. 2Die Wirkung einer solchen Kündigung entfällt, wenn die Gläubiger dies binnen drei Monaten mit Mehrheit beschließen. 3Für den BeThole 113

§ 5 SchVG Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger schluss über die Unwirksamkeit der Kündigung genügt die einfache Mehrheit der Stimmrechte, es müssen aber in jedem Fall mehr Gläubiger zustimmen als gekündigt haben. (6) 1Die Gläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung. 2Die Anleihebedingungen können ausschließlich eine der beiden Möglichkeiten vorsehen. I. Normzweck und Systematik . . . . . . II. Ermächtigung zu Mehrheitsbeschlüssen (§ 5 Abs. 1 SchVG) 1. Ermächtigung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) . . 2. Gläubiger derselben Anleihe . . . . . . . 3. Abweichungsverbot (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässige Abweichungen . . . . . . . b) Automatische Anpassungen der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . c) Abweichungsverbot zu Lasten der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schuldverschreibungen nach SchVG 1899 und Opt-In . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Verpflichtung zur Leistung (§ 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . 6. Sonstige Voraussetzungen . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen des Mehrheitsbeschlusses (§ 5 Abs. 2 SchVG) 1. Zwangswirkung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichbehandlungsgebot (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen auf Dritte . . . . . . . . . IV. Einzelne Maßnahmen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fälligkeit, Verringerung oder Ausschluss der Zinsen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchVG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fälligkeit der Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchVG) . . . . 3. Verringerung der Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG) . . . . 4. Nachrang (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Umwandlung oder Umtausch (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG) . . . . a) Debt-Equity-Swap (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 SchVG) . . . . . . aa) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen zwangsweisen Umtausch. . . . . . . . . . cc) Beispiel für das Erwerbsrechte-Modell . . . . . . . . . . . .

114

Thole

1

6 17 20 22 23 24

6.

28 29 31

7. 8. 9.

32

10.

33 38

11.

39

42 43 44

V. 1. 2. VI. 1. 2.

46 52 53 56

3. 4. 5. 6. VII.

57 60

VIII.

dd) Gesellschaftsrechtliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . ee) Insolvenzverfahren . . . . . . . . ff) Forderungsbewertung und Differenzhaftung . . . . . . . . . . b) Umwandlung in andere Wertpapiere (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 2 SchVG) aa) Rechtliche Einordnung . . . . . bb) Prospektpflicht . . . . . . . . . . . c) Umwandlung in andere Leistungsversprechen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 3 SchVG) . . . . . . . . . . . Austausch und Freigabe von Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Änderung der Währung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 SchVG). . . . . . . . . . . . . . Kündigungsrecht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersetzung des Schuldners (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG). . . . . . . . . . . . . . Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG). . . . . . . . . . . . . Abweichende Regelung (§ 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendige Mehrheiten (§ 5 Abs. 4 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualifizierte Mehrheit. . . . . . . . . . . . Einfache Mehrheit. . . . . . . . . . . . . . . Kündigung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 und Abs. 5 SchVG) . . . . . . . . . Beschränkung durch Beschluss (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG) . . . . Anfängliche Beschränkung gesetzlicher Kündigungsrechte in Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen der Kündigung. . . . . . . Schwellenwert (§ 5 Abs. 5 SchVG) . . Rücknahme der Kündigung (§ 5 Abs. 5 Satz 2 und 3 SchVG) . . . . . . . Leistungsverweigerungsrecht . . . . . . Ort und Modus der Beschlussfassung (§ 5 Abs. 6 SchVG) . . . . . . . Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . .

61 64 65

71 72 76

77 80 81 82 85 87 88 94 96 97 98

100 105 107 112 114 116 117

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 3 § 5 SchVG

Schrifttum: Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Working Paper Series No. 145, 2015, Frankfurt a.M.; Bredow/Vogel, Restrukturierung von Anleihen – Der aktuelle Regierungsentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZBB 2009, 153; Drouven, Neue Wege: „Reverse Debt-to-EquitySwap“, ZIP 2009, 1052; Friedl, Der Tausch von Anleihen in Aktien, BB 2012, 1102; Hartwig-Jacob, Neue rechtliche Mechanismen zur Lösung internationaler Schuldenkrisen, in FS Horn, 2006, S. 717; Hofmann/Keller, Collective Action Clauses, ZHR 175 (2011), 684; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Kessler/Rühle, Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten des SchVG 2009, BB 2014, 907; Maier-Reimer, Zwangswandlung von Schuldverschreibungen in deutsche Aktien, in FS Goette, 2011, S. 299; Seibt/Schwarz, Anleihekündigung in Sanierungssituationen, ZIP 2015, 401; Simon, Der Debt Equity Swap nach dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG), CFL 2010, 448; Steffek, Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, in FS Hopt, 2010, S. 2597; Thole, Anwendbares Recht und verfahrensrechtliche Anerkennung bei der Restrukturierung von Auslandsanleihen deutscher Emittenten, in FS Schütze, 2014, S. 603; Thole, Der Debt Equity Swap bei der Restrukturierung von Anleihen, ZIP 2014, 2365; Thole, Fünf akutuelle Probleme des Nachrangs (§ 39 InsO), in FS Kübler, 2015, S. 681; Westpfahl, Debt Equity Swap von Schuldverschreibungen in der Insolvenz, in FS Kübler, 2015, S. 775.

I. Normzweck und Systematik Die Vorschrift ist die Eingangsvorschrift des Abschnitts 2 über Beschlüsse der Gläubiger und von zentraler Bedeutung im Gefüge des SchVG. Sie knüpft an den in § 4 SchVG verankerten Grundsatz der kollektiven Bindung an. Dieser Grundsatz erfordert es, Änderungen der Anleihebedingungen entweder durch Vertrag mit dem jeweiligen Gläubiger unter Wahrung des Gleichbehandlungsgebots zu erzielen (§ 4 Satz 1 Alt. 2 SchVG) oder durch das im Abschnitt 2 geregelte Verfahren, das Mehrheitsbeschlüsse ermöglicht. Da eine Einigung mit sämtlichen Gläubigern über eine Änderung der Anleihebedingungen schon aus logistischen Gründen selten zu erzielen sein wird, bietet das Verfahren nach dem Abschnitt 2 meist die einzige Möglichkeit, um die Anleihebedingungen an veränderte Gegebenheiten anpassen zu können. Dabei kann ggf. auch eine unterschiedliche Behandlung der Gläubiger erfolgen (dazu unten Rz. 33 ff.)1. Das Verfahren nach § 5 SchVG erweitert die Befugnisse der Gläubigermehrheit deutlich gegenüber dem Rechtszustand nach dem SchVG 1899. Danach kamen gem. §§ 11 Abs. 1, 12 Abs. 3 SchVG 1899 Restrukturierungsmaßnahmen, die mit einer Änderung des Nennwerts der Forderung verbunden waren, nur bei Einstimmigkeit in Betracht, was die Anpassungsmöglichkeiten faktisch stark eingeschränkt hat. Außerdem war erforderlich, dass die Maßnahmen der Abwendung eines Insolvenzverfahrens oder eine Zahlungseinstellung dienen. Diese Engführung wurde stark kritisiert, weil sie Sanierungsmöglichkeiten zu sehr begrenzte und damit eine Restrukturierung nur im Insolvenz(plan)verfahren unter gerichtlicher Aufsicht zuließ2.

1

Da § 5 SchVG von den Änderungen der Anleihebedingungen spricht und systematisch an das Prinzip der kollektiven Bindung des § 4 SchVG anknüpft, wie § 5 Abs. 2 SchVG nochmals bestätigt, verhält sich § 5 SchVG nicht zu vertraglichen Absprachen, die das Prinzip der kollektiven Bindung nicht berühren. Dies ist bei § 4 SchVG Rz. 37 erläutert. Daher kann durch Mehrheitsbeschluss nicht auf bilaterale Vereinbarungen zwischen Emittent und einzelnen Gläubigern eingewirkt werden, die außerhalb der Anleihebedingungen erfolgen und insoweit mit dem Gleichbehandlungsgebot nicht in Konflikt geraten.

2

§ 5 SchVG hat vor diesem Hintergrund die Aufgabe, erstens das Ermächtigungsprinzip festzuschreiben und zweitens, noch gewichtiger, in den § 5 Abs. 3-6 SchVG sich zu den Modali-

3

1 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 24. 2 Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, 36. Lfg. Sept. 2010, § 5 SchVG Rz. 3; Podewils, DStR 2009, 1914; Leuering NZI 2009, 638 (639); Leuering/Zetzsche, NJW 2009, 2856. Zum vergleichbaren Rechtszustand in den USA Thole in FS Schütze, 2014, S. 601 (603).

Thole 115

§ 5 SchVG Rz. 4 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger täten einer Änderung der Anleihebedingungen zu verhalten. § 5 Abs. 3 SchVG hebt einige Beispiele von Maßnahmen hervor, die einer qualifizierten Mehrheit bedürfen, wie sodann § 5 Abs. 4 SchVG näher beschreibt. 4

Die Vorschrift ist zugleich vor dem Hintergrund der Einführung und wachsenden Bedeutung von Collective Action Clauses zu sehen3. Die wachsende Aufmerksamkeit für diese sog. CAC verdankt sich den vom Anwendungsbereich des SchVG ausgenommenen Schuldverschreibungen von Staaten. Nach einem Bericht der G10-Länder und verschiedenen Empfehlungen sowohl von ECOFIN als auch von der International Capital Markets Association sowie nunmehr vorgesehen im Euroraum4 werden bei Staatsanleihen regelmäßig Collective Action Clauses eingeführt5. Das SchVG stellt auch für Schuldverschreibungen privater Emittenten den Anschluss an diesen Rechtszustand her, indem er über § 5 SchVG eine Collective Action ermöglicht. Ihr zentrales Moment ist die Bindung der bei der Abstimmung unterlegenen Gläubiger. Diese, in § 5 Abs. 2 SchVG ausgesprochene Bindung aller Anleger an die geänderten Anleihebedingungen, ist im deutschen Recht die einzige Möglichkeit, außerhalb des Insolvenzrechts durch Mehrheitsbeschluss Gläubiger zwangsweise zu binden. Im Allgemeinen haben Gläubiger nach Auffassung des BGH keine Treuepflicht, einem außergerichtlichen Vergleich zuzustimmen6.

5

Die Möglichkeit einer Collective Action wird allerdings nicht vollumfänglich durchgehalten. So wird zwar in § 5 SchVG das Mehrheitsprinzip vorgesehen und in § 5 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. mit § 4 Satz 2 SchVG das Gleichbehandlungsgebot verankert (sog. Teilungsklausel7), nicht aber die Möglichkeit einer Aggregationsklausel. Der Emittent kann nicht in den Anleihebedingungen vorsehen, dass gemeinsame Beschlussfassungsbefugnisse von mehreren Anleihen bestehen sollen und dass die jeweilige Anleihe als gemeinsame Anleihe mit einer anderen gelten soll. § 5 SchVG geht stets von dem bereits in § 1 SchVG normierten Prinzip aus, das über die Abgrenzung die Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen entscheidet. Das SchVG folgt der Einzelbetrachtungsweise. § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG spricht deshalb ausdrücklich von den Gläubigern derselben Anleihe. Eine Aggregationsklausel dergestalt, dass eine anleihenübergreifende Abstimmung über einen Gesamtplan ermöglicht wird, der für alle Anleihen verbindlich wird, wenn die Mehrheit der Gläubiger der Anleihen in ihrer Gesamtheit zustimmen, ist daher de lege lata nicht zulässig8. Damit würde das grundsätzliche Abweichungsverbot des § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG verletzt. Auch im Übrigen sind Aggregationsklauseln sachlich problematisch, wenn und weil sie das Potential beinhalten, dass divergierende Interessen der unterschiedlichen Gläubigergruppen gegeneinander ausgespielt werden und die Gläubiger einer Anleihe unangemessen benachteiligt werden.

3 Hofmann/Keller, ZHR 175(2011), 684 (689). 4 Zum sog. „Euro area Model CAC 2012“ vgl. die Materialien bei http://europa.eu/efc/sub_commit tee/cac/cac_2012/index_en.htm. 5 Vgl. Oulds in Veranneman, Vorb. § 5 SchVG Rz. 28; Hartwig-Jacob in FS Horn, 2006, S. 717 ff. 6 BGH v. 12.12.1991 – IX ZR 178/91, BGHZ 116, 319 (321 ff.). 7 Oulds in Veranneman, Vorb. § 5 SchVG Rz. 40. 8 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013, S. 183 f. Kritisch Oulds in Veranneman, Vorb § 5 SchVG Rz. 44; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 13; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 35; Baums, ZHR 177 (2013), 807 (811 f.); a.A. Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 7. Vgl. zum Ziel der Aggregierung und zur Parallele zum Insolvenzplan Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (167).

116

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 9 § 5 SchVG

II. Ermächtigung zu Mehrheitsbeschlüssen (§ 5 Abs. 1 SchVG) 1. Ermächtigung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) Die Ermächtigung muss bereits in den Anleihebedingungen enthalten sein. Eine Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen nach § 5 SchVG besteht also nicht schon ex lege, sondern nur dann, wenn die Anleihebedingungen dies vorsehen (§ 5 Abs. 1 Satz 1, Halbs. 1 SchVG). Es gilt die sog. Ermächtigungslösung oder auch Opt-In-Lösung, die nicht mit dem Opt-In nach § 24 Abs. 2 SchVG zu verwechseln ist. Man kann dies als Ausdruck eines privatrechtlichen Organisationsrechts deuten9. Der Emittent kann mithin ex ante wählen, ob er das Verfahren nach §§ 5-21 SchVG den Gläubigern eröffnen will. Die Wahlfreiheit erstreckt sich aber grundsätzlich nicht, soweit nicht die §§ 5-21 SchVG eine abweichende Regelungen in den Anleihebedingungen vorsehen (z.B. § 10 Abs. 3 SchVG), auf die jeweiligen Verfahrensvorschriften. Ein cherry-picking ist insoweit nicht zulässig. Die Vorgaben an den Minderheitenschutz, die Beschlussfassung etc. sind einzuhalten. Es ist auch möglich, eine Ermächtigung zu allen rechtlich zulässigen Gegenständen vorzusehen10.

6

Diese Ermächtigungslösung erfasst auch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters. Er kann daher durch Mehrheitsbeschluss nur bestellt werden, wenn die Anleihebedingungen dies (konkret oder allgemein) vorsehen. Es genügt eine allgemeine Regelung, nach der Mehrheitsbeschlüsse möglich sein sollen. Auch ein pauschaler Verweis auf §§ 5-21 SchVG wäre genügend. Werden dagegen nur einzelne Maßnahmen einem Mehrheitsbeschluss zugänglich gemacht, wird die Auslegung der Anleihebedingungen im Zweifel dazu führen, dass andere Maßnahmen und damit auch die Bestellung des gemeinsamen Vertreters nicht gestattet sind. Der Emittent kann also die Änderungsbefugnis auf bestimmte Maßnahmen beschränken oder auch auf bestimmte Ereignisse11. Die in § 11 Abs. 1 SchVG 1899 vorgesehene Beschränkung auf die Abwendung eines Insolvenzverfahrens oder einer Zahlungseinstellung findet sich nicht wieder.

7

Es besteht somit eine Wahlfreiheit in dreierlei Hinsicht. Der Emittent kann wählen, ob er überhaupt die Änderungen der Anleihebedingungen und die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch Mehrheitsbeschluss ermöglichen will, zweitens, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Situationen eine solche Änderung möglich sein soll und drittens, welche konkreten Maßnahmen, insbesondere aus dem Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG, der Emittent einer Änderung zugänglich machen will.

8

Dabei hat der Emittent die freie Wahl, welche Maßnahmen er für zulässig erachten möchte. 9 Die Ermächtigungslösung, die eine der Grundfragen des Gesetzgebungsprozesses darstellte12, war im RefE (§ 4 SchVG-RefE) noch nicht vorgesehen. Zunächst war angestrebt, dass eine Mehrheitsentscheidung stets und kraft Gesetzes möglich sei. Daran wurde Kritik geübt, weil dies der Vielgestaltigkeit von Anleihen und damit den an Flexibilisierung gelegenen Interessen des Emittenten kaum gerecht werde13. Es erscheint insbesondere bei Zertifikaten und Derivaten und kurzlaufenden Schuldverschreibungen unter Umständen verfehlt, Mehrheitsbeschlüsse automatisch und ipso iure anzubieten14. Auch bei strukturierten Papieren wie Asset Backed Securities und High Yield Anleihen kann es ein Bedürfnis für eine flexible Lösung geben. Freilich hätte auch ein zwingendes Prinzip nichts daran geändert, dass die je9 Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2603). 10 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 20. 11 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 7. 12 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 8. 13 Vgl. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (46); Cranshaw, BKR 2008, 504 (507). 14 Horn, BKR 2009, 446 (449); Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 10; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18.

Thole 117

§ 5 SchVG Rz. 10 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger weilige Maßnahme (mit Ausnahme der Bestellung des gemeinsamen Vertreters) der Zustimmung des Emittenten bedurft hätte. Diese Zustimmung kann aber theoretisch auch schon ex ante in den Anleihebedingungen oder pauschal erfolgen. 10

Trotz der grundsätzlichen Möglichkeit zum Herausgreifen einzelner Restrukturierungsmaßnahmen im Rahmen der Ermächtigung ist strittig, ob die Anleihebedingungen auch nur zu Mehrheitsbeschlüssen oder nur zur Bestellung eines Wahlvertreters ermächtigen können15. Richtigerweise wäre es nicht ausgeschlossen, auch nur zur Bestellung eines Wahlvertreters zu ermächtigen, doch sinnvoll ist das in der Regel nicht, weil dessen Handlungsbefugnisse dann nicht weiterreichen können als diejenigen der Gläubiger; der gemeinsame Vertreter wäre dann nur zur Wahrnehmung der nicht änderbaren Rechte bestellt. Der Ausschluss der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters durch Ermächtigung nur zu Mehrheitsbeschlüssen ist ebenfalls möglich, weil auch diese Figur des gemeinsamen Vertreters kein vorgegebenes Recht bzw. Vertretungsorgan der Gläubiger darstellt.

11

Hat der Emittent zunächst in den Anleihebedingungen von der Ermächtigungslösung keinen Gebrauch gemacht, kann er die Ermächtigung nicht nachträglich einfügen; er bedürfte dafür die Zustimmung aller Gläubiger (§ 4 Satz 1 Alt. 1 SchVG). Fehlt es auch daran, ist sowohl eine Änderung der Anleihebedingungen als auch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nach den §§ 5-21 SchVG ausgeschlossen (zum Insolvenzverfahren aber sogleich Rz. 12 ff.).

12

Die Ermächtigung nach § 5 Abs. 1 SchVG hat auch Auswirkungen auf die Pflicht des Insolvenzgerichts, nach § 19 Abs. 2 SchVG zwecks Bestellung eines gemeinsamen Vertreters eine Versammlung der Anleihegläubiger einzuberufen. Insoweit sind drei Situationen zu unterscheiden:

13

Ist die Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen vorgesehen, kommt unproblematisch auch die Bestellung im Fall des Insolvenzverfahrens nach § 19 Abs. 2 SchVG in Betracht. Gleiches gilt im Fall von Alt-Schuldverschreibungen nach dem SchVG 1899 im Zusammenhang mit einem Opt-In gem. § 24 Abs. 2 SchVG in das neue Recht. Da unter dem alten Recht das Ermächtigungsprinzip nicht galt, sondern die Änderung der Anleihebedingungen in engem Rahmen und die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters per se möglich waren, kann durch ein Opt-In in das neue Recht richtigerweise auch das Verfahren nach §§ 5-21 SchVG eröffnet werden, auch wenn in den (alten) Anleihebedingungen Mehrheitsbeschlüsse nicht explizit gestattet werden (weil dafür unter dem altem Recht auch kein Raum und Bedarf war). Erfolgt mithin ein Opt-In-Beschluss, ist damit auch eine Änderung im Verfahren nach §§ 5 ff. SchVG ermöglicht16. Daher ist bei § 19 Abs. 2 SchVG zu unterscheiden. Wird ein Opt-In-Beschluss angestrebt, kann damit auch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters erfolgen, für den – bei erfolgreichem OptIn – die Regeln in § 7 SchVG gelten. Wird kein Opt-In-Beschluss angestrebt, ist nach § 18 Abs. 2 SchVG 1899 für die Alt-Schuldverschreibung gleichwohl eine Anleihegläubigerversammlung einzuberufen, in der ein gemeinsamer Vertreter nach den Regeln des SchVG 1899 gewählt werden kann.

14

Fraglich bleibt damit nur die dritte Frage, nämlich, ob das Verfahren nach § 19 Abs. 2 SchVG auch dann einzuleiten ist, wenn in den Anleihebedingungen einer nach dem SchVG 2009 ausgegebenen Schuldverschreibung gerade nicht von der Ermächtigung Gebrauch gemacht wurde und die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nicht vorgesehen ist. Diese Frage ist bisher, soweit ersichtlich, noch gar nicht erkannt worden. Denn in der Logik des 15 Bejahend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 55, § 7 SchVG Rz. 10; verneinend Horn, BKR 2009, 446 (452); Nesselrodt in Preuße, § 8 SchVG Rz. 5. 16 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 10, BGHZ 202, 7 = AG 2014, 784 = ZIP 2014, 1876.

118

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 17 § 5 SchVG

Ermächtigungslösung nach § 5 Abs. 1 SchVG läge es, die Bestellung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren nur dann vorzusehen, wenn auch schon außerinsolvenzlich eine solche Bestellung möglich war und generell Mehrheitsbeschlüsse im Verfahren nach § 5 ff. SchVG möglich sind. Auch § 19 Abs. 2 Satz 2, Halbs. 2 SchVG knüpft an die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters vor Insolvenzeröffnung an. Zudem ist die Möglichkeit, einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen, die einzige den Gläubigern verbliebene Beschlussfassung; Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG unterliegen dem Vorrang des Insolvenzrechts. Diese Reduktion auf die Vertreterbestellung setzt aber gedanklich voraus, dass die Vertreterbestellung schon vor Eröffnung möglich war. Dennoch ist dieses Ergebnis nicht gesichert. Die Begründung des Gesetzentwurfs verweist gerade auf die weitgehende Fortführung der Maßgabe des § 18 SchVG 189917, der ja gerade unabhängig von der Ermächtigung die Bestellung des Vertreters ermöglichte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die Rückwirkungen der Ermächtigungslösung auf die Regelung zum Insolvenzverfahren nicht bedacht hat. Immerhin wird die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in der Regel für wünschenswert gehalten, um das Insolvenzverfahren und die Forderungsanmeldung zu fördern18. Daher spricht viel dafür, dass die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters auch dann in Betracht kommt, wenn die Ermächtigung nach § 5 Abs. 1 SchVG fehlt. Das AG Hamburg hat die Frage allerdings mit Beschluss vom 1.9.2016 verneint19. Fehlt die Ermächtigung, kann das Mehrheitsprinzip nur mit individuellem Änderungsvertrag mit jedem einzelnen Gläubiger eingeführt werden. Soweit sie in die Bedingungen aufgenommen wird, muss sie ihrerseits dem Transparenzgebot des § 3 SchVG und den Vorgaben der AGB-Kontrolle Genüge tun, weil dieses Gebot umfassend für die Anleihebedingungen gilt, die nämlich in ihrer Gesamtheit das Leistungsversprechen des Emittenten ausfüllen. Das Transparenzgebot macht wenig Schwierigkeiten, wenn nur pauschal auf die §§ 5-21 SchVG verwiesen wird. Wird dagegen nach einzelnen Beschlussgegenständen oder auch nach einzelnen Situationen, in denen ein Beschluss möglich sein soll, unterschieden und werden einzelne Beschlussgegenstände von dem Mehrheitsbeschluss ausgenommen, muss dies so bestimmt sein, dass hinreichend klar erkennbar wird, welche Beschlüsse dem Mehrheitsprinzip zugänglich gemacht werden sollen. Daher ist bei einer konkretisierenden Aufzählung der Grad der Information für die Gläubiger höher, aber es besteht zugleich ein größerer Bedarf, hinreichend präzise zu formulieren. Es kann in einem solchem Fall empfehlenswert sein, die gesetzlichen Formulierungen z.B. bei einzelnen Beschlussgegenständen nach § 5 Abs. 3 SchVG aufzugreifen20.

15

Von der Ermächtigung zu unterscheiden sind Abweichungen von den dadurch erst eröffneten Möglichkeiten und insbesondere von den Vorgehensweisen nach den §§ 5-21 SchVG. Dies ist in § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG näher erläutert (unten Rz. 20).

16

2. Gläubiger derselben Anleihe Dem Grundansatz des § 1 SchVG folgend gilt die Ermächtigungslösung stets nur für die Gläubiger derselben Anleihe. Was dieselbe Anleihe ist, entscheidet sich anhand des Kriteriums der Inhaltsgleichheit in § 1 SchVG. Selbst bei gleichgerichteten Interessen können Gläubiger von verschiedenen und folglich nicht inhaltsgleichen Anleihen keinen gemeinsamen Beschluss fassen. Zulässig ist insoweit aber die räumlich-zeitlich zusammengelegte Versammlung mit einer dann rechtlich getrennten Beschlussfassung. Die unterschiedlichen Verfahren können daher aufeinander abgestimmt werden. Ein emissionsübergreifender Mehrheitsbeschluss ist aber nicht gestattet. Denkbar ist nur eine weiche Koordinierung etwa durch Abstimmung 17 18 19 20

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. AG Hamburg v. 1.9.2016 – 67 g IN 266/16, ZIP 2016, 2030 (2033). Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 10.

Thole 119

17

§ 5 SchVG Rz. 18 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger unter den gemeinsamen Vertretern oder auch durch die Wahl desselben Vertreters, der freilich gegen Interessen einer Gläubigergruppe verstoßen könnte, wenn er deren Interessen zugunsten einer anderen opfert. Das schließt nicht aus, dass die Gläubiger einer Anleihe einen Beschluss fassen, dass eine Restrukturierung ihrer Anleihe genauso aussehen soll wie bei einer anderen Anleihe21. Entscheidend ist allein, dass die beschlossene Maßnahme allein von den Gläubigern ebendieser Anleihe beschlossen wird und sie sich allein auf diese Anleihe bezieht und das Gleichbehandlungsgebot in Bezug auf diese Gläubiger gewahrt wird. Ein Gleichbehandlungsgebot gegenüber sämtlichen Gläubigern auch unterschiedlicher Anleihen besteht für den Emittenten außerhalb des Insolvenzverfahrens gerade nicht; eine Ungleichbehandlung mag hier nur die Akzeptanz vorgeschlagener Sanierungsmaßnahmen verringern. 18

Fraglich und, soweit ersichtlich, nicht rechtlich untersucht, ist, inwieweit über in die Beschlussfassung aufgenommene Bedingungen eine Quasi-Aggregation erreicht werden kann. Das beträfe etwa Fälle, in denen die Gläubiger der Anleihe X beschließen, dass ihre Anleihe nur restrukturiert werden soll, wenn die Gläubiger der Anleihe Y in einer bestimmten oder in vergleichbarer Weise einen Beschluss fassen. Eine solche Beschlussfassung ist richtigerweise zulässig, wenn die Bedingung als aufschiebende Bedingung ausgestaltet ist, weil der Beschluss dann alleine die Änderung der Anleihebedingungen der Anleihe X betrifft. Allerdings tritt diese Änderung erst dann ein, wenn die Gläubiger der Anleihe Y ihren Beschluss wirksam gefasst haben.

19

Verschiedene Aufstockungstranchen einer Anleihe sind dann derselben Anleihe zugehörig, wenn lediglich der Ausgabetag unterschiedlich ist. Das gilt auch bei unterschiedlichen Globalurkunden (siehe § 1 SchVG Rz. 20). Anders ist dies insbesondere bei Asset-Backed-Securities, wenn mit den unterschiedlichen Tranchen auch unterschiedliche Bedingungen, Rechte und Risikoklassen verbunden sind (§ 1 SchVG Rz. 49). 3. Abweichungsverbot (§ 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG)

20

Die Ermächtigung kann sich auf die Beschlussfassung über die Zustimmung zur Änderung der Anleihebedingungen (i.S.d. § 2 SchVG) oder auf die Bestellung eines gemeinsamen (Wahl-)Vertreters beziehen. In inhaltlicher Hinsicht ist bei der Verwendung der Ermächtigung eine weitgehende Flexibilität gewährt.

21

Die Anleihebedingungen dürfen zu Lasten der Gläubiger, soweit nicht im Gesetz ausdrücklich vorgesehen, nicht von den §§ 5-21 SchVG abweichen. Das betrifft vor allem die formalen Anforderungen an den Mehrheitsbeschluss und das Verfahren (dazu Rz. 27). Gemeint ist beispielsweise, dass das Stimmrecht nicht anders berechnet werden darf als nach § 6 SchVG vorgesehen, dass auf das Minderheitenrecht nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG nicht verzichtet werden kann usw. Es ist nicht allein eine Frage der Ermächtigung, sondern auch des Beschlussinhalts22. Wird schon in den Anleihebedingungen, wenn zu Mehrheitsbeschlüssen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG ermächtigt wird, konkret vorgesehen, dass auf bestimmte Regelungen der §§ 5-21 SchVG verzichtet wird, ist die Ermächtigung unwirksam23. Ist die Ermächtigung aber unverdächtig, ist gerade nur der Beschluss, der die formalen Anforderungen der §§ 5 ff. SchVG, z.B. der Beschlussfähigkeit (§ 15 SchVG), nicht einhält oder von den materiellen Vorgaben abweicht, etwa von dem Nachschussverbot nach § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG, anfechtbar. Die §§ 5-21 SchVG stellen insofern sekundär zwingendes Recht dar, das zwingend wird, soweit das Opt-In in dieses Recht erklärt wird.

21 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013, S. 182 f. m.w.N. 22 So wohl Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 8. 23 Horn, BKR 2009, 446 (449).

120

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 26 § 5 SchVG

a) Zulässige Abweichungen Ausnahmen bestehen nur dann, wenn die §§ 5-21 SchVG selbst eine Abweichung vorsehen, also in den jeweiligen Vorschriften vorgesehen wird, dass Wahlrechte oder Spielräume bestehen. Das gilt etwa bei der Frage, ob eine Versammlung mit physischer Präsenz oder eine Abstimmung ohne Versammlung (§ 18 SchVG) herbeigeführt werden soll, § 5 Abs. 6 SchVG. Insoweit besagt § 5 Abs. 1 Satz 2, letzter Halbsatz SchVG gerade, dass Abweichungen gestattet sind, „soweit es in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist“. Andere Fälle sind z.B. § 9 Abs. 1 Satz 3, § 10 Abs. 2 und 3, § 12 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 2, § 17 Abs. 2 Satz 3 SchVG. Der Emittent darf also beispielsweise einen Mehrheitsbeschluss vorsehen, bei dem nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG die zusätzliche Form der öffentlichen Bekanntmachung bei der Einberufung der Gläubigerversammlung gilt.

22

b) Automatische Anpassungen der Anleihebedingungen Die Änderungen, die in § 5 Abs. 3 SchVG genannt sind, müssen nicht durch Beschluss der 23 Gläubigerversammlung geregelt werden, sondern können auch schon in den Anleihebedingungen selbst herbeigeführt werden, etwa dass zu einem bestimmten Ereignis eine Schuldnerersetzung eintritt24. In diesen Fällen muss der Eintritt dieser Folgen nicht (erneut) durch einen Mehrheitsbeschluss abgesegnet werden. Problematisch kann in diesen Fällen freilich die Transparenz der Anleihebedingungen nach § 3 SchVG sein, wenn für eine Reihe von möglichen und ungewissen Ereignissen Änderungen der Anleihebedingungen vorgesehen sind. Außerdem beraubt sich der Emittent naturgemäß der Flexibilität im späteren Sanierungsszenario, weil er die jeweiligen Situationen schon und hinreichend bestimmt und präzise voraussehen muss. Soll nämlich von dem vorgesehenen Änderungen abgewichen werden, muss stets ein Beschluss herbeigeführt werden. c) Abweichungsverbot zu Lasten der Gläubiger Das Abweichungsverbot nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG gilt nur zu Lasten der Gläubiger. Das wirft die Frage auf, wann eine solche den Gläubigern nachteilige Abweichung von den §§ 5-21 SchVG gegeben ist, denn Abweichungen zugunsten der Gläubiger sind zulässig. Entscheidend ist dabei nicht eine wirtschaftliche, sondern eine rechtliche Betrachtung dahingehend, ob eine Abweichung von der jeweiligen Norm vorliegt. Allgemeine Erwägungen dergestalt, die Restrukturierung bzw. die Schaffung flexibler Änderungsmöglichkeiten komme jeweils auch den Gläubigern zugute, tragen nicht. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob die jeweilige Norm dem Schutz der Gläubigern dient, wie z.B. bei der Mindesteinberufungsfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG oder den Anforderungen an die Tagesordnung.

24

Streitig ist, ob eine Einschränkung der in § 5 Abs. 3 SchVG genannten Beschlussgegenstände eine Begünstigung für die Gläubiger darstellt25. Das könnte man deshalb bejahen, weil der einzelne Gläubiger dann insoweit nicht der Kollektivhandlungsmacht unterliegt; umgekehrt wird allerdings die Gläubigergesamtheit geschwächt. Auf diese Frage kommt es indessen im Ergebnis schon deshalb nicht an, da § 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG es ausdrücklich zulässt, einzelne in § 5 Abs. 3 SchVG genannte Beschlussgegenstände auszuschließen.

25

Wird gegen das Abweichungsverbot verstoßen, gilt der betreffende Beschluss als unwirksam26. Das entspricht der im Urteil des BGH vom 18.7.2014 angenommenen Nichtigkeits-

26

24 Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (155); Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 9. 25 So wohl Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 17; ablehnend Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 25. 26 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 24; Horn, BKR 2009, 446 (449); Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 17.

Thole 121

§ 5 SchVG Rz. 27 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger folge bei Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot nach § 4 Abs. 2 und § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG27. Allerdings wird im Schrifttum angenommen, eine Ermächtigung entgegen der Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG könne im Wege der geltungserhaltenden Reduktion auf das gesetzlich zulässige Maß reduziert werden28. Die Gegenauffassung meint, damit würde entweder das Transparenzgebot des § 3 SchVG verletzt oder das bei AGB geltende Verbot der geltungserhaltenden Reduktion29. 27

Richtigerweise ist zu differenzieren. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG stellt Anforderungen in zweierlei Hinsicht. Zum einen dürfen die geänderten Anleihebedingungen nicht zu Lasten der Gläubiger von den §§ 5-21 SchVG abweichen, zum anderen muss schon die Ermächtigung sich insoweit beschränken, denn § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG nimmt mit dem Wort „dabei“ auf die nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG geregelte Ermächtigung Bezug. Geht die Ermächtigung über die §§ 5-21 SchVG hinaus, sollte daraus nicht folgen, dass Änderungen der Anleihebedingungen generell nicht möglich sind. Unwirksam ist insoweit nur die jeweilige Ermächtigung in Bezug auf die konkrete Vorgehensweise. Wird beispielsweise zu Änderungen der Anleihebedingungen durch Beschluss ermächtigt und dafür in den Bedingungen die Einberufungsfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG auf 10 Tage verkürzt, wäre das ein Verstoß gegen das Abweichungsverbot. Es wäre sachlich nicht gerechtfertigt, dann gar keine Änderung mehr zuzulassen, denn es kann durchaus sein, dass bei der Ausübung der Ermächtigung von der verkürzten Frist gar kein Gebrauch gemacht wurde. Auch Transparenzprobleme dürften nicht bestehen, wenn lediglich die formalen Voraussetzungen der Beschlussfassung betroffen sind. Im Ergebnis wird regelmäßig zu prüfen sein, ob die Ermächtigung in dem gesetzlich ermöglichten Rahmen selbständig weiter Bestand haben kann und der Fehler funktionell abtrennbar von einem zulässigen Inhalt ist. Davon zu unterscheiden ist dann in einem zweiten Schritt die Frage nach der Wirksamkeit des in Ausübung der Ermächtigung erfolgten Änderungsbeschlusses. Das ist zuvörderst eine Frage des § 20 SchVG (siehe dort aber zum Problem der Nichtigkeit § 20 SchVG Rz. 28 ff., 35). Aus der Unwirksamkeit der Ermächtigung folgt dann in aller Regel die Unwirksamkeit des Beschlusses. 4. Schuldverschreibungen nach SchVG 1899 und Opt-In

28

Von den Möglichkeiten einer Änderung der Anleihebedingungen kann nach einem Urteil des II. Zivilsenats des BGH30 auch dann Gebrauch gemacht werden, wenn es sich um eine Alt-Schuldverschreibung handelt, die vor dem 5.8.2009 ausgegeben worden ist. Das gilt selbst dann, wenn in den Anleihebedingungen keine Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen waren. Es kommt nach Auffassung des BGH nicht darauf an, ob das SchVG 1899 anwendbar ist; der Gesetzgeber habe das Schuldverschreibungsrecht gerade auch für z.B. ausländische Emittenten öffnen wollen31. Das Problem ist bei § 24 SchVG Rz. 8 ff. behandelt. Ist danach auch bei Alt-Schuldverschreibungen die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen gegeben, können die Gläubiger insoweit unmittelbar, nachdem das Opt-In des § 24 Abs. 2 SchVG in das neue Recht beschlossen wurde, über den die Anleihebedingungen ändernden Beschluss entscheiden. Der Einführung einer Ermächtigung nach § 5 Abs. 1 SchVG als Zwischenschritt bedarf es in diesem Fall richtigerweise selbst dann nicht, wenn Mehrheitsbeschlüsse in den Anleihebedingungen bisher generell nicht vorgesehen waren. Eine solche Ermächtigung wäre ein reiner Formalismus; § 24 Abs. 2 SchVG öffnet nicht generell den Zugang zum neuen Recht (so dass es nach § 5 Abs. 1 SchVG auf die Ermächtigung ankäme), sondern befugt expressis verbis unmittelbar zur Änderung der Anleihebedingungen. Dadurch erleidet der 27 28 29 30 31

BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 19 ff., AG 2014, 784 = NZG 2014, 1102. Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 8. Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 26. BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 8 ff., AG 2014, 784 = NZG 2014, 1102. BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 9 f., AG 2014, 784 = NZG 2014, 1102.

122

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 30 § 5 SchVG

Emittent keine Nachteile, da es ohnehin auf seine Zustimmung ankommt (Rz. 40). Es kann freilich auch ohne eine solche Verpflichtung Sinn haben, in dem Beschluss zugleich auch pro futuro eine Ermächtigung vorzusehen, damit in allen künftigen Fällen Klarheit darüber besteht, dass auch weitere Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind. 5. Keine Verpflichtung zur Leistung (§ 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG) Ferner dürfen gem. § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG durch Mehrheitsbeschluss keine Nachschuss- 29 und Leistungspflichten begründet werden. Dafür bedarf es eines gleichlautenden Vertrags mit den einzelnen Gläubigern (§ 4 Satz 1 Alt. 1 SchVG). Damit wird das umgesetzt, was schon in § 1 Abs. 3 SchVG 1899 vorgesehen war. Das Nachschussverbot wurde dort weit verstanden32. Zu den relevanten Maßnahmen gehörten alle Maßnahmen, bei denen für den einzelnen Gläubiger ein Kostenaufwand entsteht, sowie Fälle, in denen Ansprüche gegen die Gläubigergemeinschaft entstehen33. Dieses weite Verständnis trägt zwar auch für geltendes Recht noch34, muss aber präziser beschrieben werden. Es genügt selbstverständlich nicht, dass die Rückzahlung der Anleihe nur mittelbar gefährdet wird, also die Gefahr von Verlusten für die Gläubiger besteht und die Gläubiger als Kollektiv beeinträchtigt werden. Vielmehr muss positiv eine Leistungspflicht begründet werden. Ansprüche gegen die Gläubigergemeinschaft entstehen ohnehin nicht. Gemeint sind daher richtigerweise einseitige Leistungsverpflichtungen der einzelnen Gläubiger35. Fraglich ist, wie es um die Vergütung eines gemeinsamen Vertreters und die Kosten von Gläubigerversammlungen bestellt ist. Hier ist zunächst ersichtlich, dass eine Leistungspflicht begründet würde, wenn der Gläubiger zur Tragung von Kosten oder Vergütung in dem Maße herangezogen würde, die der Emittent bereits über §§ 8 Abs. 4, 7 Abs. 6 SchVG zu tragen hat. Darin läge nämlich bereits eine Abweichung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG. Die Kostentragungspflicht ist bereits gesetzlicher Inhalt des Leistungsversprechens des Emittenten, so dass eine Überwälzung nicht ohne Zustimmung des Gläubigers möglich wäre. Allerdings wurde es bereits im Gesetzgebungsprozess für möglich erachtet, dass die Schuldverschreibungsgläubiger ihrem gemeinsamen Vertreter eine Vergütung zusagen, die das nach § 7 Abs. 6 SchVG angemessene Maß übersteigt, oder aber beispielsweise mehrere gemeinsame Vertreter bestellen, obwohl der Emittent nur zur Tragung des Aufwands für einen Vertreter verpflichtet ist (zu diesen Fragen mit weiterer Differenzierung § 7 SchVG Rz. 67). Das könnte dafür sprechen, in einem entsprechenden, internen Mehrheitsbeschluss, der folglich sämtliche Gläubiger binden würde, keine Begründung einer Nachschusspflicht zu sehen36. Letztlich ist hier indes schon fraglich, ob die kollektive Bindung insoweit überhaupt gerechtfertigt und betroffen ist. Eine Zusage einer Vergütung, die außerhalb der Anleihebedingungen besteht, mag schon kein Fall des § 4 SchVG und dann auch nicht des § 5 SchVG sein, so dass sie sich von vornherein in der persönlichen Vermögenssphäre des Gläubigers abspielt. Soll aber die Leistungspflicht Bestandteil der Anleihebedingungen werden, würde im genannten Fall den einzelnen Gläubigern ein über das Risiko eines Kapitalverlusts hinausgehendes Risiko zugewiesen. Vgl. auch § 7 SchVG Rz. 39. Im Ergebnis ist § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG dahingehend auszulegen, dass der Schuldverschrei- 30 bungsgläubiger nicht über sein Kapital und die Anleiheforderung hinaus belastet werden darf. Das wird er, sofern einseitige finanzielle Verpflichtungen vorgesehen werden, die aus dem Beschluss folgen. Nicht erfasst sind folglich Verpflichtungen, die sich aus dem Gesetz ergeben. So wird etwa die bei einem Debt-Equity-Swap nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG 32 33 34 35

Göppert/Trendelenburg, § 1 SchVG 1899, Anm. 8, S. 35. Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 20. A.A. Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 20. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 45; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 12. 36 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 56.

Thole 123

§ 5 SchVG Rz. 31 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger bestehende Gefahr einer Differenzhaftung bei der Sacheinlage nicht erfasst. Denn sonst hätte es keinen Sinn, dass der Gesetzgeber diesen Beschlussgegenstand einem Mehrheitsbeschluss zugänglich macht. Die Haftung knüpft nicht unmittelbar an den Beschluss an, sondern ist eine Folge, die das Gesetz an die Stellung als Aktionär bzw. Gesellschafter anbindet. Folgerichtig ist die Pflicht, an einer Maßnahme wie dem Debt-Equity-Swap mitzuwirken und die Beteiligung zu erwerben bzw. die Forderung an eine Abwicklungsstelle zu übertragen, ebenfalls keine Leistung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG37. Damit wird lediglich auf die Anleiheforderung in ihrer Substanz eingewirkt, aber keine darüber hinausgehende Verpflichtung begründet. 6. Sonstige Voraussetzungen 31

Mehrheitsbeschlüsse bedürfen darüber hinaus grundsätzlich keiner eigenständigen sachlichen Rechtfertigung38. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung findet richtigerweise nicht statt39, erst recht nicht eine Prüfung auf das Vorliegen eines gemeinsamen Interesses der Gläubiger entsprechend § 1 Abs. 1 SchVG 1899, weil die Gläubiger gerade keine gemeinsamen Interessen verfolgen und der Minderheitenschutz bereits über § 5 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und § 4 Satz 2 SchVG verwirklicht ist. Allerdings wird das allgemeine Missbrauchsverbot zu beachten sein (näher zur Problematik § 20 SchVG Rz. 84).

III. Rechtsfolgen des Mehrheitsbeschlusses (§ 5 Abs. 2 SchVG) 1. Zwangswirkung (§ 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG) 32

Die Regelung in § 5 Abs. 2 SchVG verhält sich zu den Rechtsfolgen bei einem Mehrheitsbeschluss. Er sichert das Prinzip der kollektiven Bindung und das Gleichbehandlungsgebot ab. Aus § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG ergibt sich die Zwangswirkung des Mehrheitsbeschlusses und die Bindung des Beschlusses auch zu Lasten der bei der Abstimmung unterlegenen Gläubiger und solcher Gläubiger, die gar nicht an der Abstimmung teilgenommen haben. Das dient der Sicherstellung der Fungibilität der Anleihe, die unterschiedliche Bedingungen des Leistungsversprechens für verschiedene Gläubiger nicht erlaubt. Im Grunde ist die Regelung in § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG deklaratorisch, da sich die Verbindlichkeit für sämtliche Gläubiger schon aus dem Wesen des Mehrheitsprinzips und folglich aus § 5 Abs. 1 SchVG ergibt. Wie sich aus § 20 Abs. 4 Satz 3 SchVG ergibt, kann der Beschluss nur dann verbindlich sein, wenn er nicht mit aufschiebender Wirkung angefochten ist40. 2. Gleichbehandlungsgebot (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG)

33

Außerdem muss der Mehrheitsbeschluss nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG gleiche Bedingungen für alle Gläubiger dieser Anleihe vorsehen und darf folglich einzelne Gläubiger nicht gegen ihren Willen benachteiligen. Diese Regelung erweitert § 4 Satz 2 SchVG. Danach muss der Emittent alle Gläubiger der jeweiligen Anleihe gleich behandeln. Über § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG wird nun angeordnet, dass ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot durch einen Mehrheitsbeschluss, d.h. einen Beschluss, der nicht gleiche Bedingungen für die Gläubiger vorsieht, die Nichtigkeit dieses Beschlusses herbeiführt. Zu beachten ist, dass die Regelung des § 5 Abs. 2 SchVG stets – der Systematik des SchVG und § 1 SchVG entsprechend – 37 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 12; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 22. 38 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 13. 39 Simon, CFL 2010, 159 (161); Podewils, DStR 2009, 1914 (1918) (jedenfalls restriktiv); a.A. Baums, ZBB 2009, 1 (6); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (62). Dazu auch Thole, ZIP 2014, 2365 (2366 f.). 40 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18.

124

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 36 § 5 SchVG

nur die Gläubiger derselben Anleihe i.S.d. § 1 SchVG bindet. Ein anleiheübergreifendes Mehrheitsprinzip kennt das SchVG nicht (oben Rz. 5). Zugleich ist § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG aber auch eine Erweiterung und Begrenzung des Gleichbehandlungsgebots, weil nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 SchVG die Ungleichbehandlung dann zulässig ist, wenn die benachteiligten Gläubiger ihr zustimmen. Folglich kann durch den Beschluss mit entsprechender Zustimmung eine Änderung der Anleihebedingungen herbeigeführt werden, die nur einen Teil der Gläubiger (die zustimmenden Gläubiger) betrifft. Damit wird die Einheitlichkeit der Anleihebedingungen im Ergebnis durchbrochen41. Dies führt zu dem Problem, dass die Fungibilität der Anleihe nicht mehr gewährleistet ist und ggf. unterschiedliche WKN-Nummern ausgegeben werden müssen42. Anders formuliert führt ein solcher Mehrheitsbeschluss, der mit Zustimmung der Gläubiger ungleiche Bedingungen vorsieht, dazu, dass gar nicht mehr dieselbe Anleihe vorliegt43. Mit der Herbeiführung ungleicher Bedingungen ist die erforderliche Inhaltsgleichheit nicht mehr gegeben. Die Anleihe zerfällt in unterschiedliche Schuldverschreibungen i.S.d. § 1 SchVG; auf die WKN-Nummer kommt es nicht an. Das wirft eine Reihe von Folgefragen auf, etwa mit Blick auf die Stellung des gemeinsamen Vertreters. Dieser gilt dann richtigerweise auch bei der abgespaltenen Anleihe als bestellt, kann aber – wie auch sonst – nach § 7 Abs. 4 SchVG abgewählt werden. Für den weiteren Fortgang ist nunmehr allein die jeweilige Anleihe relevant.

34

Die Zustimmung der benachteiligten Gläubiger kann zwar richtigerweise auch konkludent 35 erfolgen44, allerdings muss dann der Erklärungswert als Zustimmung eindeutig feststehen. Daher wird im Zweifel nur eine ausdrückliche Zustimmung ausreichen. Schweigen genügt in keinem Fall. Die Zustimmung muss gegenüber dem Emittenten erklärt werden. Sie kann auch nach dem Beschluss in Form einer Genehmigung erfolgen. Bis zur Genehmigung ist der Beschluss schwebend unwirksam45. Es ist davon auszugehen, dass der Emittent die benachteiligten Gläubiger zur Genehmigung auffordern darf; es bietet sich eine analoge Anwendung von §§ 177 Abs. 2, 108 Abs. 2 BGB an. Wird die Genehmigung nicht bis zum Ablauf einer Frist von zwei Wochen nach der Aufforderung erklärt, gilt sie als verweigert. Bilaterale Vereinbarungen erfasst § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG nicht, da sich die Regel allein zu Mehrheitsbeschlüssen verhält. Derartige Vereinbarungen sind zulässig und nicht Gegenstand der Beschlusskontrolle nach § 20 SchVG, da sie nicht auf einem Mehrheitsbeschluss beruhen. Das ist bei § 4 SchVG Rz. 37 ausgeführt. Fraglich ist aber, ob eine solche Sonderabrede, die sodann ursächlich für den Beschluss geworden ist, zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führt46. Tatsächlich kommt es allein auf den Beschluss selbst an. Dass er seine Ursache in einer Abrede zwischen dem Emittenten und einem einzelnen Gläubiger hat, macht ihn nicht angreifbar, solange der Beschluss selbst das Gleichbehandlungsgebot einhält. Liegt ein Stimmenkauf vor, ist dies ein Fall des § 6 Abs. 2 und 3 SchVG. Beinhaltet der Mehrheitsbeschluss in Wahrheit eine versteckte Begünstigung einzelner Gläubiger bzw. eine Benachteiligung anderer Gläubiger, kann je nach Sachlage das Gleichbehandlungsgebot verletzt und damit der Beschluss aus diesem Grund angreifbar sein. Die Sonderabrede für sich genommen begründet die Anfechtbarkeit des Beschlusses aber nicht.

41 Kritisch Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 16. 42 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 16; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 31. 43 Dies erkennt zutreffend aber Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 5 SchVG Rz. 51. 44 A.A. Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 25; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 32. 45 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 32. 46 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 26.

Thole 125

36

§ 5 SchVG Rz. 37 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger 37

Soweit § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG gleiche Bedingungen in dem Mehrheitsbeschluss verlangt, kann im Einzelfall fraglich sein, was Gleichheit konkret bedeutet. Änderungen der Anleihebedingungen müssen stets alle Gläubiger gleichermaßen betreffen. Der BGH hat dieses Gebot in seiner Entscheidung vom 18.7.2014 erneut betont, als er einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger wegen der Verletzung des Gleichbehandlungsgebots für nichtig erklärte47. Im konkreten Fall war die Laufzeit der Anleihe zwar mit Wirkung für alle Anleihegläubiger verlängert worden, den Gläubigern, die für den Beschlussvorschlag gestimmt hatten, aber vorbehalten worden, dass sie von der Gesellschaft schon vor dem Ende der verlängerten Laufzeit den Rückkauf ihrer Wandelgenussscheine zum Nennwert verlangen können, wenn sie auf ihr Wandlungsrecht verzichten. Damit wurde es nach Auffassung des BGH den zustimmenden Gläubigern ermöglicht, ihren Rückzahlungsanspruch vor Ablauf der verlängerten Laufzeit und sogar sofort geltend zu machen. Der II. Senat meinte, diese Gläubiger würden gegenüber den Gläubigern, die ebenfalls vom Wandlungsrecht keinen Gebrauch machen wollen, aber gegen den Beschluss stimmen, begünstigt48. Entscheidend ist damit, dass das Leistungsversprechen des Emittenten mit identischen Haupt- und Nebenbestimmungen geregelt ist. 3. Auswirkungen auf Dritte

38

§ 22 SchVG regelt die in der Praxis übliche Situation, dass ein Dritter (Mitverpflichteter) als Garantie- oder Sicherungsgeber zugunsten der Gläubiger eine Sicherheit gewährt. In diesem Fall gehen § 22 und § 5 SchVG davon aus, dass Beschlüsse der Gläubiger nicht automatisch auch die Sicherheiten betreffen, und umgekehrt, dass eine entsprechende Vereinbarung zwischen Emittent und Sicherungsgeber mangels Beteiligung der Gläubiger an den Anleihebedingungen nichts ändert. Um eine Flexibilität auch über die in § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG bereits vorgesehene Freigabe und den Austausch von Sicherheiten hinaus zu gewähren, können daher die Anleihebedingungen vorsehen, dass die §§ 5-21 SchVG entsprechend für die Sicherungsbestellung durch die Mitverpflichten gelten. Auf diese Weise wird ermöglicht, dass mit Mehrheitsbeschluss auch die Bedingungen der Sicherheit geändert werden können. Allerdings ist es eine zwingende Voraussetzung, dass die Anleihebedingungen diese Möglichkeit vorsehen und die Rechtsgeschäfte und die Mitverpflichteten ausdrücklich benennen, § 22 Satz 2 SchVG. Diese Wahlmöglichkeit muss dann die §§ 5-21 SchVG im Ganzen umfassen (§ 22 SchVG Rz. 6)49.

IV. Einzelne Maßnahmen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG) 39

§ 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG knüpft an die Ermächtigung nach § 5 Abs. 1 SchVG an und sieht vor, dass die Gläubiger – wenn und soweit die Ermächtigung vorliegt50 – zu den in § 5 Abs. 3 SchVG enumierten Beschlussgegenständen ihre Zustimmung erteilen können. Einer Ermächtigung bedarf es lediglich nicht in den Fällen, in denen das Gesetz bereits Mehrheitsbeschlüsse vorsieht, so in den Fällen des § 5 Abs. 5 Satz 2 und 3 SchVG sowie ferner bei Beschlüssen betreffend den gemeinsamen Vertreter (§ 8 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 6 und bei § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG).

47 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 16 ff., ZIP 2014, 1876 (1878) = AG 2014, 784. 48 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 25, ZIP 2014, 1876 (1879) = AG 2014, 784. 49 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 14. 50 Klarstellend Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 34; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 18.

126

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 43 § 5 SchVG

Unberührt bleibt bei § 5 Abs. 3 SchVG, dass für die Maßnahmen nach dieser Vorschrift die 40 Zustimmung des Emittenten erforderlich ist. Der Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG ist nicht abschließend. Damit wollte der Gesetzgeber in bewusster Abkehr von der restriktiven Regelung des SchVG 1899 (§§ 11, 12 SchVG 1899) eine flexible Sanierung fördern. Der Minderheitenschutz ist nach Auffassung der Gesetzesverfasser gewährleistet, solange die Gläubiger in zumutbarer Weise an den Abstimmungen teilnehmen und auf wohl informierter Grundlage abstimmen können51. In dem Katalog werden Regelbeispiele („insbesondere“)52 benannt, die – anders als ein Mehrheitsbeschluss im Allgemeinen (§ 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG) – einer qualifizierten Mehrheit bedürfen, wie sich aus § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG ergibt. Die Katalogbeispiele bezeichnen also Beschlüsse über die Änderung des wesentlichen Inhalts der Anleihebedingungen. Eine Ausnahme bildet allein § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG (Änderung von Nebenbestimmungen). Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG kann ein gemeinsamer Vertreter als Vertragsvertreter, der in den Anleihebedingungen bestellt wird, nur auf Grund eines entsprechenden Beschlusses zu einem Verzicht auf Rechte der Gläubiger und insbesondere zur Zustimmung zu Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SchVG ermächtigt werden. Dem Emittenten steht es frei, das Mehrheitsprinzip auf einzelne Maßnahmen des § 5 Abs. 3 SchVG zu beschränken, wie sich aus § 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG ergibt. Umgekehrt ist es dem Emittenten nicht verwehrt, auch über den Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG hinaus einen Mehrheitsbeschluss vorzusehen, der nicht ausdrücklich im Katalog enthalten ist. Handelt es sich insoweit um einen Beschluss betreffend den wesentlichen Inhalt der Anleihebedingungen, gilt gleichermaßen das Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG. Gleichfalls denkbar ist eine Kompetenz-Kompetenz der Gläubigerversammlung in dem Sinne, dass die Versammlung ermächtigt wird, den Katalog der denkbaren Gegenstände zu erweitern53.

41

1. Fälligkeit, Verringerung oder Ausschluss der Zinsen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchVG) Bei § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SchVG geht es um Nebenforderungen. Die Zinslast kann verringert oder auch ganz ausgeschlossen werden, indem der Zinssatz ermäßigt oder die Zinsforderung betragsmäßig reduziert wird. Die Fälligkeit kann abweichend nach vorne und – praktisch relevanter – nach hinten geschoben werden, indem folglich die Zinsen gestundet werden. Eine zeitliche Höchstgrenze für die Stundung gibt es nicht.

42

2. Fälligkeit der Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchVG) Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchVG kann die Hauptforderung in ihrer Fälligkeit verändert werden und der Forderung folglich ihre Durchsetzbarkeit zeitweise genommen werden. Das geht auch dann, wenn Fälligkeit bereits eingetreten war. Dadurch kann auch eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden54 (zum Vorrang nach Insolvenzverfahren vgl. aber § 19 SchVG). Die unter dem SchVG 1899 beachtliche Befristung auf drei Jahre (§ 11 Abs. 1 SchVG) findet sich im SchVG 2009 nicht mehr. Folglich können auch insoweit flexible Lösungen angestrebt werden, etwa Stundungen bis zu einem bestimmten Termin oder bis zum Eintritt eines bestimmten Ereignisses oder abhängig von bestimmten Kennzahlen. Denkbar ist gar Begründung einer unbefristeten Forderung, was (ohne korrespondierende Kündigungsrechte) faktisch auf einen Verzicht hinausläuft. Allerdings kann analog §§ 315, 316 BGB55, 51 52 53 54 55

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18. Vgl. auch Steffek in FS Hopt, S. 2597 (2605). Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 20. Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 31. BGH v. 24.10.1990 – VIII ZR 305/89, NJW-RR 1991, 822; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/HartwigJacob, § 5 SchVG Rz. 38.

Thole 127

43

§ 5 SchVG Rz. 44 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger jedenfalls aber kraft ergänzender Auslegung und Treu und Glauben eine neue Leistungszeit festgesetzt werden, so dass die Gläubiger an die Stundung, etwa bei einer nachhaltigen Verbesserung der finanzwirtschaftlichen Situation des Emittenten, nicht mehr gebunden sind. Wurde bei der Stundung auch ohne ausdrückliche Aufnahme in den Beschluss zugrunde gelegt, dass die Stundung der Überwindung einer Krise oder eines finanziellen Engpasses dienen soll, ergibt die ergänzende Vertragsauslegung, dass die Stundung nach dessen Überwindung hinfällig ist. Jedenfalls kann gem. §§ 313, 314 BGB die Aufhebung der Stundungsabrede verlangt werden56. 3. Verringerung der Hauptforderung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG) 44

Ferner kann die Hauptforderung herabgesetzt werden. Das war nach dem SchVG 1899 nur durch einstimmigen Beschluss möglich. Ein gänzlicher Verzicht auf die Hauptforderung wird allerdings weiterhin für unzulässig erachtet57. Dennoch kann die Hauptforderung auf nahezu Null verringert werden58. Insoweit ist aber ein Missbrauchsverbot zu beachten bzw. § 138 BGB59. Eine durch die Sachlage und die bereits eingetretene Entwertung der Rückzahlungserwartung nicht gedeckte Herabsetzung der Hauptforderung kann sich als willkürlich und missbräuchlich erweisen. Die Frage der Beschlusskontrolle ist bei § 20 SchVG Rz. 84 zu erörtern. Einen darüber hinausgehenden Schutz entsprechend den Regelungen des Insolvenzverfahrens, z.B. keine Herabsetzung auf weniger als eine hypothetische Liquidationsquote, gibt es außerhalb des Insolvenzverfahrens aber nicht.

45

Es besteht keine Verpflichtung, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zunächst eine Stundung zu versuchen oder als Gegenleistung einen Besserungsschein mit Blick auf die zukünftige Entwicklung anzubieten. Freilich kann dies aus Gläubigersicht ein vorzugswürdiger Ansatz sein60. 4. Nachrang (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG)

46

§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG sieht vor, dass die Gläubiger mit Mehrheitsbeschluss dem Nachrang der Forderungen aus den Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren des Schuldners zustimmen können. Es handelt sich folglich um eine einfache Rangvereinbarung i.S.d. § 39 Abs. 2 InsO, die allerdings mit einer Stundung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SchVG auch schon für das Stadium vor Verfahrenseröffnung verbunden sein kann. Um einen Forderungserlass handelt es sich nicht. Mittels des Rangrücktritts erklären die Gläubiger, dass sie im Insolvenzverfahren erst nach den gewöhnlichen Insolvenzgläubigern und nach den nachrangigen Insolvenzgläubigern des § 39 Abs. 1 InsO befriedigt werden. Dies führt im Falle des Insolvenzverfahrens in aller Regel dazu, dass keine Befriedigung zu erwarten ist, da nachrangige Forderungen nur auf Aufforderung anzumelden sind (§ 174 Abs. 3 InsO) und sie auch im Insolvenzplanverfahren grundsätzlich als erlassen gelten (§ 225 Abs. 1 InsO).

56 Vgl. zur Rechtsprechung und Unklarheit, ob ergänzende Vertragsauslegung oder § 313 BGB Krüger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 271 BGB Rz. 23 f. 57 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2026); Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, 36. Lfg. Sept. 2010, § 15 SchVG Rz. 10. 58 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 32; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 40. 59 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 40. 60 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 40; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 32.

128

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 52 § 5 SchVG

Die entscheidenden Vorteile werden in der Beseitigung einer Überschuldung gesehen61, doch dies ist nicht gesichert. Denn § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO besagt lediglich, dass Gesellschafterforderungen, für die ein Nachrang vereinbart worden ist, nicht zu passivieren sind, und selbst insoweit ist unklar, ob ein einfacher, nur auf das Insolvenzverfahren bezogener Rangrücktritt genügt. Aus § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO könnte man den Umkehrschluss ziehen, dass bei den sonstigen Forderungen ein Rangrücktritt nach § 39 Abs. 2 InsO eben nicht genügt, weil für die Überschuldung sämtliche bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen sind. Es wird – und auch vom BGH – mehrheitlich davon ausgegangen, dass nur ein qualifizierter Rangrücktritt, also ein Rangrücktritt, der auch schon vor der Verfahrenseröffnung Wirkungen entfalten soll und mit einem pactum de non petendo verbunden ist, genügt, um die Forderung von einer Passivierung in der Überschuldungsprüfung auszunehmen62.

47

Bei der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO sind ohnehin nur die fälligen Verbindlichkeiten anzusetzen, bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO die im Prognosezeitraum fällig werdenden, aber bereits bestehenden Verbindlichkeiten63. Der Nachrang spielt dann eine Rolle, wenn er bei einer fälligen Verbindlichkeit das „ernstliche Einfordern“ der Verbindlichkeit beseitigt, wie es der BGH als Voraussetzung anlegt64. Unter dieser Prämisse kann ein lediglich für das eröffnete Verfahren vorgesehener Nachrang das ernstliche Einfordern nicht ohne weiteres beseitigen65.

48

Die Vereinbarung eines Nachrangs erfasst nicht solche Schadenersatzansprüche, die sich auf Umstände stützen, welche erst zum Abschluss des Vertrages und zur Nachrangvereinbarung geführt haben66. Entsprechendes gilt erst recht bei § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG.

49

Der Beschluss nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG kann theoretisch auch noch während des Insolvenzverfahrens erfolgen, hat dann aber nur Sinn, wenn damit die Überschuldung beseitigt wird und folglich ein Grund für die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 212 InsO geschaffen wird. Im Übrigen können die Anleihegläubiger aber nicht mit einem Beschluss nach § 5 SchVG auf das Insolvenzverfahren unmittelbar einwirken (näher mit teils a.A. § 19 SchVG Rz. 64).

50

Fällt der Emittent nicht in Deutschland in Insolvenz, sondern in einem anderen europäischen Mitgliedstaat, ändert dies an der Anwendbarkeit des SchVG nichts, wenn die Anleihe nach deutschem Recht begeben ist. In einem solchen Fall ist zu unterscheiden zwischen dem Nachrangbeschluss, der sich nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG bemisst, und der weiteren Frage, welche Auswirkungen der Nachrang in dem jeweiligen Mitgliedstaat hat. Die Wirksamkeit und Wirkung des Nachrangs ist gem. Art. 4 Abs. 2 Satz 2 lit. i) EuInsVO (Art. 7 Abs. 2 Satz 2 lit. i) EuInsVO n.F.) nach dem jeweiligen Insolvenzstatut bemessen. Für Verfahren in einem Nicht-EU-Staat oder Dänemark gilt Entsprechendes über § 335 InsO.

51

5. Umwandlung oder Umtausch (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG) Eine praktisch höchst relevante Maßnahme zur Änderung der Anleihebedingungen ist der Umtausch oder die Umwandlung in Anteile an dem Emittenten, in andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen. Damit wird in § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 SchVG insbeson61 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 33; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 41. 62 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14 – Rz. 16, NJW 2015, 1672 = GmbHR 2015, 472; ebenso K. Schmidt, § 19 InsO Rz. 35. 63 Näher K. Schmidt, § 18 InsO Rz. 14 m.w.N. 64 BGH v. 19.7.2007 – IX ZB 36/07 – Rz. 15, BGHZ 173, 286 = ZIP 2007, 1666; BGH v. 6.12.2012 – IX ZR 3/12 – Rz. 26, ZIP 2013, 228; st. Rspr., vgl. Thole in FS Kübler, 2015, S. 681 (685) m.N. 65 Thole in FS Kübler, 2015, S. 681 (685). 66 OLG Bamberg v. 8.6.2005 – 8 U 75/04, WM 2006, 2093.

Thole 129

52

§ 5 SchVG Rz. 53 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger dere der sog. Debt-Equity-Swap vorgesehen sowie ferner in den § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 2 und 3 SchVG eine sonstige Novation der Anleiheforderung durch Umtausch in andere Papiere, insbesondere durch Umtausch in eine andere Anleihe. a) Debt-Equity-Swap (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 SchVG) 53

Die Norm sieht den Debt-Equity-Swap vor, der ein einfaches Mittel zur Beseitigung einer (drohenden) Überschuldung darstellen kann. Beim Debt-Equity-Swap wird die Anleiheforderung getauscht in (je nach Rechtsform) Gesellschaftsanteile bzw. Aktien des Emittenten. Damit wird Fremdkapital in Eigenkapital gewandelt und durch den Mehrheitsbeschluss ein Ergebnis erzielt, wie es sich bei Pflichtwandelanleihen (§ 1 SchVG Rz. 47) schon kraft des Wandelereignisses ergibt. Ein typischer Debt-Equity-Swap hat folgende grobe Struktur:

54

Die (Anleihe)Gläubiger bringen ihre Forderungen als Sacheinlage in die Gesellschaft, die zu diesem Zweck eine Kapitalerhöhung beschließt. Für die Forderungen werden entsprechende junge Anteile ausgegeben. Mit der Einbringung der Forderung erlöschen diese Forderungen durch Konfusion. Damit ist die Gesellschaft substantiell entschuldet. In Höhe ihrer Beteiligung sind die bisherigen Gläubiger nunmehr Eigenkapitalgeber.

55

Denkbar ist auch ein Reverse Debt-Equity-Swap67. Dort wandert das Unternehmen zum Gläubiger, indem die Forderungen in eine andere neu gegründete Gesellschaft eingebracht werden (damit zunächst bestehen bleiben), und sodann der Schuldner seinen Geschäftsbetrieb samt Verbindlichkeiten in die neue Gesellschaft einbringt. aa) Ausgestaltung

56

Bei einem Debt-Equity-Swap im Rahmen der Anleihenrestrukturierung gibt es typischerweise zwei Ausgestaltungsmöglichkeiten. Das gesetzliche Leitbild des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 SchVG ist ein zwangsweiser und automatischer Debt-Equity-Swap, bei dem sämtliche Gläubiger mit Vollzug des Beschlusses zu Anteilseignern werden. Der Swap kann aber auch im Erwerbsrechte-Modell mit freiwilligem Tausch erfolgen68. Im freiwilligen Modell wird zwar auch eine Zwangswirkung gem. § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG erzielt, allerdings nur bezogen darauf, dass die Gläubiger ihre Forderungen in Erwerbsrechte tauschen (müssen), nicht bezogen auf den eigentlichen Tausch in Anteile oder Aktien. Den Gläubigern steht es also frei, ob sie ihre Erwerbsrechte ausüben wollen: Die nicht ausgeübten Rechte können durch einen Barausgleich abgefunden werden, der in der Regel aus dem Handel mit diesen Rechten bzw. der Übernahme durch Dritte finanziert werden kann69. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, dass nur die tatsächlich zum Wechsel in das Eigenkapital bereiten Gläubiger in die Aktionärs- bzw. Gesellschafterstellung einrücken und die Gläubiger folglich eine Wahlmöglichkeit haben. Die nicht tauschwilligen Gläubiger können ohne Belastung mit eigener Liquidität abgefunden werden70. Etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen zwangsweise erfolgenden Tausch (Rz. 57) wird damit Rechnung getragen; die (mögliche, dazu unten Rz. 72 ff.) Prospektpflicht auf einen späteren Zeitpunkt verlagert. bb) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen einen zwangsweisen Umtausch

57

Gegen einen zwangsweisen Debt-Equity-Swap, der folglich auch die überstimmten und nicht an der Abstimmung teilnehmenden Gläubiger bindet, werden seit längerem verfas67 68 69 70

Drouven, ZIP 2009, 1052. Thole, ZIP 2014, 2365 (2366). Vgl. auch Westphal in FS Kübler, 2015, S. 775 (777). Thole, ZIP 2014, 2365 (2366). Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (912).

130

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 59 § 5 SchVG

sungsrechtliche Bedenken geltend gemacht71. Sie sind sogar verstärkt worden, seit der Gesetzgeber des ESUG bei der Reform der InsO in §§ 225a Abs. 2 Satz 2, 230 Abs. 2 InsO eine Regelung aufgenommen hat, die eine Umwandlung in Anteile gegen den Willen eines jeden einzelnen Gläubigers verbietet; Entsprechendes ist in § 9 Abs. 1 Satz 2 KredReorgG vorgesehen. Die Kritik stützt sich insbesondere auf die negative Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 GG72. Zwingt das Gesetz bzw. der Beschluss den Gläubiger dazu, Mitglied bzw. Anteilseigner mit allen Rechten und Pflichten zu werden, könnte diese Zwangsvergesellschaftung73 den Gehalt dieses Rechts verletzen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist nach den einschlägigen Ausführungen des Bundesverfasssungsgerichts aber eher fraglich74. Das gilt jedenfalls für solche Fälle, in denen die erworbene Beteiligung frei veräußerlich ist und – wie bei der AG – mitgliedschaftliche Pflichten (anders als bei der GmbH) nicht gegeben sind, weil keine Nachschusspflicht besteht und das personale Element zurückgedrängt ist. Es darf auch nicht übersehen werden, dass der Schuldverschreibungsgläubiger sich dem Mehrheitsprinzip unterworfen hat, was seinen Schutzanspruch jedenfalls tendenziell verringert. Das BVerfG hat Aktien eher dem Vermögensrecht gleichgestellt75, was zwar für Art. 9 Abs. 1 GG nichts Zwingendes zu bedeuten hat76, aber doch signalisiert, dass der Anspruch auf Individualschutz vor einem Eintritt in das Eigenkapital geringer ausgeprägt ist, zumal die Schuldverschreibung selbst (etwa bei Genussrechten) ja auch schon a priori eigenkapitalähnlich sein kann. Bei Wandelschuldverschreibungen scheidet ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 GG von vorneherein aus77.

58

Aus §§ 225a Abs. 2 Satz 2, 230 InsO lässt sich richtigerweise wenig herleiten. Der Umstand, dass § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO im späteren Insolvenzverfahren einen Debt-Equity-Swap nur bei Zustimmung der einzelnen Gläubiger zulässt, lässt keine Rückschlüsse auf eine Unzulässigkeit eines vorinsolvenzlichen Debt-Equity-Swaps zu78, weil § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO eine allgemeine Regelung darstellt, die nicht auf die durch die kollektive Bindung und die Collective Action Clause geprägte Situation der Schuldverschreibungsgläubiger zugeschnitten ist79. Dementsprechend geht die Begründung des Regierungsentwurfs zum ESUG davon aus, dass es bei der Vorlage eines Insolvenzplans genügt, wenn bezogen auf die Schuldverschreibungsgläubiger ein Mehrheitsbeschluss nach SchVG vorgelegt wird80. Der Gesetzgeber wollte daher offenbar den kollektivierten Willen der Gläubiger genügen lassen. Aus § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO ergibt sich zwar der scheinbare Widerspruch, dass die Eingriffsmöglichkeit in die Rechte eines Gläubigers vor der Insolvenz größer ist als im Insolvenzverfahren81, doch damit werden Dinge verglichen, die sich so nicht vergleichen lassen, denn das Insolvenzrecht

59

71 Kritisch insbesondere Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 44 ff.; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010, S. 203 f.; differenzierend Friedl, BB 2012, 1102 (1103); zurückhaltend gegenüber der verfassungsrechtlichen Argumentation Maier-Reimer, Gesellschaftsrecht in der Diskussion, 2011, 2012, S. 107 (117); Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 (303). 72 Wie vor (Fn. 71). 73 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 47. 74 Vgl. BVerfG v. 20.7.1954 – 1 BvR 459/52 u.a., BVerfGE 4, 7 (26); BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 566 (zu Art. 14 GG); BVerfG v. 10.6.2009 – 1 BvR 825/08, 1 BvR 831/08 – Rz. 31, 38 f., VersR 2009, 1057; Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541 (547); Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 (303). 75 Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 (303). 76 Insoweit richtig Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 51. 77 Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 (302). 78 In diese Richtung Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 44. 79 Thole, ZIP 2014, 2365 f. (auch zum Folgenden). 80 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/5712, 31; vgl. auch Lürken in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2. Aufl. 2013, Kap. 5 Rz. 128. 81 In diesem Sinne Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 51.

Thole 131

§ 5 SchVG Rz. 60 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger muss eben auch die übrigen Gläubigergruppen im Blick haben, die sich – anders als die Anleihegläubiger – nicht ex ante einer kollektiven Bindung unterwerfen. Die Mehrheitsregelung muss ja in den Anleihebedingungen vorgesehen sein. cc) Beispiel für das Erwerbsrechte-Modell 60

Ein aktuelles Beispiel für das Vorgehen im Erwerbsrechte-Modell liefert der Fall Solarworld, der typische Grundstrukturen der Anleihenrestrukturierung im Wege des Debt-Equity-Swap aufzeigt82. Danach beschließen die Anleihegläubiger gem. § 5 SchVG über die Übertragung ihrer Anleiheforderungen auf eine Abwicklungsstelle gegen Erhalt von Erwerbsrechten an den neuen Aktien. Den eigentlichen Tausch in die Aktien nimmt sodann die Abwicklungsstelle vor, die im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung die Anteile übernimmt und diejenigen Gläubiger bedient, die ihre Erwerbsrechte ausüben. Diejenigen Gläubiger, die von ihrem Erwerbsrecht keinen Gebrauch machen wollten, erhalten einen Barausgleich, der aus dem Handel der nicht abgenommenen Teile finanziert wird. Dieses Grundgerüst wird garniert mit einem vollständigen Bezugsrechtsausschluss der Altaktionäre, der im Fall Solarworld allerdings mittelbar aufgeweicht wurde, weil dem bisherigen Hauptgesellschafter die Möglichkeit belassen blieb, die nicht ausgeübten Erwerbsrechte bzw. Aktien zu übernehmen83. dd) Gesellschaftsrechtliche Erfordernisse

61

Es liegt in der Konsequenz des so beschriebenen Modells, dass das Regime des SchVG mit den Regeln des Gesellschaftsrechts verzahnt werden muss, weil die Hauptversammlung über den Kapitalschnitt und folglich die Kapitalerhöhung gegen Sacheinlagen und den Bezugsrechtsausschluss befinden muss. Daher bedarf es für einen Debt-Equity-Swap korrespondierender gesellschaftsrechtlicher Beschlüsse, die sich nicht nach dem SchVG richten, sondern ausschließlich nach den Regeln des Gesellschaftsrechts (§§ 55 f. GmbHG, §§ 182 ff. AktG). In der Aktiengesellschaft besteht jedenfalls keine Pflicht der bisherigen Aktionäre, einen solchen Beschluss zu fassen; bei einer Beschlussfassung können aber auch hier – wie bei der GmbH – Treuepflichten bestehen84. Problematisch ist zudem die Verknüpfung der beiden Beschlüsse, die im Insolvenzplan über eine Planbedingung (§ 249 InsO) recht einfach gelänge85, aber außerhalb der Insolvenz schwieriger ist86. Es dürfte freilich nichts dagegen sprechen, die Versammlungen zeitnah nacheinander oder auch parallel laufen zu lassen87. Denkbar ist es auch, aufschiebende Bedingungen in den Beschlussinhalt des Kapitalerhöhungsbeschlusses aufzunehmen88.

62

Notwendig ist zudem regelmäßig ein Ausschluss des Bezugsrechts gem. § 186 Abs. 3 und/ oder Abs. 5 AktG, wenn die Sacheinlage nur von den Anleihegläubigern oder der Abwicklungsstelle erbracht werden soll89. Nach allgemeinen Regeln ist ein solcher Ausschluss zulässig, wenn er den Interessen der Gesellschaft dient und zur Erreichung des Zwecks geeignet, erfor-

82 Informationen sind unter http://www.solarworld.de/konzern/investorrelations/finanzrestrukturie rung/finanzrestrukturierung/öffentlich zugänglich. Vgl. ferner Florstedt, ZIP 2014, 1513 (1514). 83 Dazu schon Thole, ZIP 2014, 2365 (2366). 84 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 (143 ff.) = AG 1995, 368; vgl. auch Bitter, ZGR 2010, 147 (189 ff.); Maier-Reimer in FS Goette, S. 299 (300). 85 Vgl. Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (913). 86 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 37. 87 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 37. 88 Holzborn in Spindler/Stilz, § 179 AktG Rz. 158. 89 Friedl, BB 2012, 1102 (1103).

132

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 66 § 5 SchVG

derlich sowie verhältnismäßig ist90. Davon kann jedenfalls in Sanierungskonstellationen ausgegangen werden. Eine davon zu unterscheidende Situation ist jene, bei der mittels Beschluss nach § 5 SchVG bei einer Wandelanleihe die Modalitäten der Wandlung geändert werden sollen, und dies abweichend von einer gesellschaftsrechtlichen Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 AktG) erfolgt. In einem solchen Fall kommt die Änderung durch Zustimmung des Vorstands zum Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger zustande; der Vorstand kann lediglich im Innenverhältnis haftbar sein, wenn er die gesellschaftsrechtliche Ermächtigung überschreitet91.

63

ee) Insolvenzverfahren Ein Debt-Equity-Swap kann auch während des laufenden Insolvenzverfahrens und insbesondere auch in einem Insolvenzplanverfahren durchgeführt werden. Dazu wird auf die Kommentierung bei § 19 SchVG verwiesen (§ 19 SchVG Rz. 130). Insoweit wird es regelmäßig um ein Erwerbsrechte-Modell gehen. Dabei sind zwei Varianten denkbar. Die Anleihegläubiger können neben dem Planverfahren einen Beschluss nach § 5 SchVG über den (aufschiebend auf die Planbestätigung bedingten) Tausch in Erwerbsrechte treffen mit der Folge, dass sämtliche Anleihegläubiger daran (wegen § 19 Abs. 1 SchVG und des Vorrangs des Insolvenzrechts zunächst für das Innenverhältnis92) gebunden sind, oder aber der Insolvenzplan bietet den Anleihegläubigern als Gruppe oder aber gar sämtlichen (Insolvenz-)Gläubigern das Erwerbsrecht an, was dann einen Beschluss nach § 5 SchVG entbehrlich macht, weil bei Annahme des Plans ohnehin jede Gruppe daran gebunden ist; § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO steht im Erwerbsrechte-Modell nicht entgegen.

64

ff) Forderungsbewertung und Differenzhaftung Generell stellen sich bei einem Debt-Equity-Swap noch ungeklärte Rechtsfragen. Die erste betrifft die Frage der Forderungsbewertung. Der reale Wert der Forderung ist gegenüber dem Registergericht nachzuweisen (§§ 183 Abs. 3, 33 Abs. 3 bis 5, 34, 35 AktG), was allerdings verzichtbar ist, wenn die betroffenen Anleihen – was keineswegs immer der Fall ist – unter §§ 183a, 33a Abs. 1 Nr. 1 AktG fallen und an einem organisierten Markt gehandelt werden. Eine Notierung im Freiverkehr genügt aber nicht, was insbesondere auch für die Mittelstandsanleihen zutrifft93. Im Fall des § 183a AktG greift eine vierwöchige Registersperre.

65

Nach einer Auffassung ist die Forderung zum Nennwert einzubringen94. Dann – darin liegt auch der angestrebte Vorteil in praktischer Hinsicht – erübrigt sich eine Werthaltigkeitsprüfung95. Eine entsprechende Klarstellung de lege ferenda wird gerade für das SchVG im Schrifttum vorgeschlagen96. Für die Maßgeblichkeit des Nennwerts werden folgende Argu-

66

90 BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, ZIP 1982, 689 (690 – re. Sp.) = AG 1982, 252; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 35; Löbbe in Liber amicorum Martin Winter, 2011, 425 (433, 445) (dort auch zu einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten). Decher/Voland, ZIP 2013, 103 (105). 91 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 51; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 7. 92 Im Einzelnen dazu Thole, ZIP 2014, 2365 ff. und die Kommentierung bei § 19 SchVG Rz. 64. 93 Friedl, BB 2012, 1102 (1105 mit Fn. 63). 94 Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238; Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629 (1631 f.); Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2012, 501 ff.; Maier-Reimer, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 107 (113 ff.); Spliedt, GmbHR 2012, 462 (464); Spliedt in K. Schmidt, § 225a InsO Rz. 23 (der aber meint, in der Praxis müsse man sich vorsorglich an der Gegenauffassung orientieren); Hölzle in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, § 31 Rz. 47 ff. 95 Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, WM 2014, 1309 (1310). 96 Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, WM 2014, 1309 (1310).

Thole 133

§ 5 SchVG Rz. 67 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger mente geltend gemacht97: Es handele sich anders als bei gewöhnlichen Sachkapitalerhöhungen um einen bilanziellen Passivtausch. Die Gläubiger hätten kein schutzwürdiges Vertrauen in die reale Kapitalaufbringung, weil bekannt sei, dass die Insolvenzforderung eingebracht werde. Die nicht tauschbereiten Gläubiger stünden sogar besser, weil sie die Einbringenden als konkurrierende Gläubiger verlieren, und ihnen gegenüber nunmehr den Vorrang genießen98. Es sei zu berücksichtigen, dass die Forderungen der anderer Gläubiger durch den Swap wieder werthaltig würden99. Schließlich stelle auch § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG bei Wandelanleihen auf den Nominalwert ab bzw. die Regelung unterwirft den Tausch nicht den Regeln für Sacheinlagen100. Die Gegenauffassung geht demgegenüber davon aus, dass der Verkehrswert der einzubringenden Forderung zu ermitteln ist101, wobei offen bleibt, ob dieser Verkehrswert durch den Zerschlagungswert102, den Liquidationswert103, oder aber den Fortführungswert104 bestimmt wird, also die Perspektive der Sanierung einbezogen wird. Speziell für das SchVG wird auf den Zeitwert als realen Wert abgestellt, der von der Solvenz des Anleiheschuldners abhängt105. 67

Richtigerweise ist auf den Verkehrswert abzustellen, um das Prinzip der realen Kapitalaufbringung nicht vollständig zu entwerten. Im Krisenstadium und erst recht in der Insolvenz wäre kein außenstehender Dritter bereit, die Forderung zum vollen Nennwert abzukaufen. Auf umständliche Erwägungen zum Erkennen müssen oder Erkennen können durch die Gläubiger sollte man sich nicht einlassen106. Auch sonst kann der Rechtsverkehr ggf. erkennen, dass z.B. ein Mindestkapital vielleicht bereits durch Verluste aufgezehrt ist. Trotzdem würde man deshalb auf die reale Kapitalaufbringung nicht verzichten. Auch die Fortführungsperspektive sollte nicht einbezogen werden, weil dies ja gedanklich voraussetzt, dass der Swap bereits vollzogen worden ist.

68

Mit der eben behandelten Frage ist die Frage der Differenzhaftung (vgl. § 9 GmbHG) verbunden. Da das SchVG keine Befreiung entsprechend § 254 Abs. 4 InsO kennt, ist die Haftung nicht gesperrt. Darin liegt keine Leistungspflicht i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG (oben Rz. 29)107.

69

In einem Insolvenzverfahren, der den Swap zum Gegenstand eines Plans macht, liegen die Dinge anders108. Der Inferent ist von der Haftung befreit. Dies betrifft nur den Einleger, also z.B. die Abwicklungsstelle (Zweckgesellschaft), wenn nur sie Anteilseigner werden und die ihr abgetretenen Forderungen einbringen soll. Die Schuldverschreibungsgläubiger trifft dann keine Haftung, obwohl es sich zunächst um ihre Forderungen handelte109. Die Haftung ist nicht 97 Zum Folgenden Thole, Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen in der Insolvenz, 2. Aufl. 2015, Rz. 327 ff. 98 Hölzle in Kübler, Handbuch Restrukturierung in der Insolvenz, § 31 Rz. 52. 99 Maier-Reimer, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 107 (112 ff.). 100 Spliedt, GmbHR 2012, 462 (463). 101 Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121 (123); K. Schmidt, BB 2011, 1603 (1609); K. Schmidt, ZIP 2012, 2085 (2087); Altmeppen in FS Hommelhoff, 2012, S. 1 (13 f.); Arnold in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 29 (42); Kanzler/Maden, GmbHR 2012, 992 (993); H.F. Müller, KTS 2012, 419 (445); Kleindiek in FS Hommelhoff, 2012, S. 543 (553 ff.); Urlaub, ZIP 2011, 1040 (1044). 102 Altmeppen in FS Hommelhoff, 2012, S. 1 (15); Hirte/Knof/Mock, DB 2011, 632 (642); Simon/Merkelbach, NZG 2012, 121 (124). 103 Kleindiek in FS Hommelhoff, 2012, S. 543 (553 f.). 104 K. Schmidt, BB 2011, 1603 (1609); K. Schmidt, ZIP 2012, 2085 (2087). 105 Friedl, BB 2012, 1102 (1105) unter Berufung auf BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, AG 1990, 298. 106 Mit Recht Altmeppen in FS Hommelhoff, 2012, S. 1 (14) gegen Cahn/Simon/Theiselmann, DB 2010, 1629 ff. 107 A.A. Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 (306). 108 Vgl. dies für einen Vorteil erachtend Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (913). 109 A.A. Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 626.

134

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 73 § 5 SchVG

ausgeschlossen, wenn die jungen Aktien aus bedingtem Kapital nach § 194 AktG bedient werden, weil § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht anwendbar ist, wenn die Wandlungspflicht und -fähigkeit erst nach Ausgabe der einzutauschenden Schuldverschreibungen begründet wird110. Kapitalmarktrechtliche Pflichten zur Abgabe eines Pflichtangebots gem. §§ 35, 29 WpÜG hat die Umwandlung allenfalls dann, wenn ein Gläubiger infolge des Swap mindestens 30 % der Stimmrechte erlangt; es kommt aber eine Befreiung nach § 37 WpÜG i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 WpÜG-AV in Betracht.

70

b) Umwandlung in andere Wertpapiere (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 2 SchVG) aa) Rechtliche Einordnung Bei der 2. Variante des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG geht es um den Tausch in andere Wertpapiere, die folglich nicht zwingend der Eigenkapital-Seite zuzuordnen sein müssen. Rechtstechnisch handelt es sich regelmäßig um eine Novation mit der Folge einer Aufhebung der bisherigen Schuldverschreibung zugunsten eines neuen wertpapierrechtlichen Schuldverhältnisses111, nicht um einen Tausch i.S.d. § 515 BGB (der ja nur schuldrechtliche Verpflichtungen zum Tausch begründen würde)112. Stets stellt sich die Frage nach einer Prospektpflicht, was jedenfalls nicht von der rechtstechnischen Einordnung abhängen kann113. Ob wegen Art. 14 GG börsennotierte Anleihen nur in andere kapitalmarktnotierte Wertpapiere getauscht werden können114, ist eher fraglich und zu verneinen115. Umtausch und Umwandlung als genannte Formen gehen ineinander über, wobei die Umwandlung möglicherweise eher die Umgestaltung „von innen“, also die Änderung der Anleihebedingungen dergestalt meint, dass die Schuldverschreibung eine (i.S.d. § 1 SchVG) eigenständige neue Form annimmt. Dennoch kann auch dann eine Prospektpflicht in Betracht kommen (dazu sogleich Rz. 72).

71

bb) Prospektpflicht Ein nach wie vor ungeklärtes und allgemeines Problem ist die Frage, ob der Debt-EquitySwap eine Prospektpflicht gem. § 3 Abs. 1 WpPG auslöst. Sofern keine Ausnahme nach § 3 Abs. 2 WpPG vorliegt, scheitert die Pflicht nicht schon daran, dass nur die Abwicklungsstelle Aktien übernimmt, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 3 Abs. 3 WpPG entnehmen lässt.

72

Im Schrifttum wird teilweise eine Prospektpflicht verneint, wofür mehrere Gründe herangezogen werden, nämlich die fehlende Publikumswirkung, die Begrenztheit der Gläubiger als Adressatenkreis, das Fehlen einer individuellen Anlageentscheidung und das Fehlen des Informationsbedürfnisses116. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf den Debt-Equi-

73

110 Friedl, BB 2012, 1102 (1106); Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 7; Fuchs in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 8; a.A. Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 (307). 111 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 34. 112 So aber Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 56. 113 Nicht ganz klar Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 57, die meinen, eine Prospektpflicht nach dem WpPG scheidet aus, wenn die bestehenden Schuldverschreibungen in andere Wertpapiere umgewandelt würden, anders als bei einem Umtausch. 114 Otto, DNotZ 2012, 809, 812; a.A. Lürken in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2. Aufl. 2013, Kap. 5 Rz. 82. 115 BVerfG v. 11.7.2012 – 1 BvR 3142/07, 1 BvR 1569/08, BVerfGE 132, 99 (118 ff.) = NZG 2012, 826 (828 ff.) = AG 2012, 557. 116 Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, WM 2014, 1309 (1313); Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 26; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 25; Westphal in FS Kübler, 2015, S. 793 (780 f.);

Thole 135

§ 5 SchVG Rz. 74 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger ty-Swap außerhalb des Insolvenzverfahrens, der Swap während des Verfahrens wird, soweit ersichtlich, nicht diskutiert117. Die Gegenauffassung bejaht die Prospektpflicht und empfiehlt auch aus diesem Grund das Erwerbsrechte-Modell, da zwar auch in einem solchen Fall ein Prospekt zu erstellen sei, aber der Prospekt erst dann zu veröffentlichen sei, wenn die Ausübungsfrist für den Umtausch zu laufen beginne118. Kulminationspunkt der Diskussion ist daher zunächst die Frage, ob es sich um ein öffentliches Angebot i.S.d. § 2 Nr. 4 WpPG handelt, wenn neue Geschäftsanteile bzw. neue Wertpapiere angeboten werden und sie an einem organisierten Markt in Deutschland zugelassen werden sollen. Die BaFin hatte bisher bei Angeboten an Altaktionäre keine Prospektpflicht angenommen119; das ist freilich seit 1.7.2012 überholt120. 74

Die gebräuchlichen Argumente sind teils eher blass121. Eine individuelle Anlageentscheidung erfolgt jedenfalls im Erwerbsrechte-Modell ohne weiteres, und auch das Informationsbedürfnis lässt sich jedenfalls für die Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens nicht leugnen. Der Öffentlichkeitsbegriff und die Publikumswirkung lassen sich in jede Richtung dehnen und die Berufung auf diese Merkmale ist stets dem Zirkelschluss nahe, weil Publikum und Öffentlichkeit interdependente Begriffe sind und der Begriff des Publikums bereits ein Vorverständnis voraussetzt. Das Angebot ist (nicht) öffentlich, weil es (nicht) einem Publikum zugänglich ist, und einem Publikum ist es (nicht) zugänglich, weil es (nicht) öffentlich ist. Richtig ist freilich, dass die Zahl derer, die sich an dem Umtausch beteiligen können, begrenzt ist und sich auf die jeweiligen Anleihegläubiger beschränkt, die immerhin – aber das sind Altaktionäre in vergleichbaren Fällen erst recht – in einer gewissen, wenn auch nicht rechtlichen Interessengemeinschaft verbunden sind und (jedenfalls theoretisch) ex ante bestimmbar sind. Es handelt sich also um einen bestimmten, abgrenzbaren Personenkreis. Selbst wenn nur 15 Personen Anleihen hielten, müsste nach der überwiegenden Auffassung ein (mangels Gattungsgleichheit von Anleihen und Aktien noch nicht einmal nach Art. 26a Abs. 1 Prospekt-VO verkürzter) Prospekt erstellt werden, was jedenfalls in praktischer Hinsicht fragwürdig ist. Dennoch hilft für Fälle außerhalb des Insolvenzverfahrens nur eine gesetzliche Klarstellung, um die Unsicherheiten in der Praxis zu beseitigen.

75

Jedenfalls dann, wenn der Swap in einem laufenden Insolvenzplanverfahren erfolgen soll, ist aber bereits de lege lata eine Prospektpflicht abzulehnen. Die Übertragung der Anteile im Insolvenzverfahren unterscheidet sich von üblichen Marktbedingungen, sie dient gleichermaßen der Befriedigung der Gläubiger in einem staatlichen Verfahren und eine Prospektpflicht könnte dem zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens abträglich sein. Vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, jedenfalls einen im Insolvenzverfahren vollzogenen, zum Planinhalt gemachten Debt-Equity-Swap als nicht prospektpflichtig anzusehen122. Das sollte gleichermaßen gelten, wenn der Beschluss über eine Planbedingung im gemischten Modell jedenfalls indirekt zum Planinhalt gemacht wird. Ganz in diesem Sinne hat der EuGH in einer Entscheidung vom 17.9.2014 zur Prospektrichtlinie123 entschieden, dass Zwangsversteigerungen von Wertpapieren nicht von der Richtlinie erfasst sind, weil es sich um eine besondere Situation handele und die Pflicht zur Veröffentlichung eines Prospekts vor einer

117 118 119 120 121 122 123

136

für eine Pflicht Becker/Pospiech, NJW-Spezial 2014, 591; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/HartwigJacob, § 5 SchVG Rz. 58 ff. Für problematisch halten die mögliche Prospektpflicht im Insolvenzverfahren Bauer/Dimmling, NZI 2011, 517 (519 Fn. 26). Becker/Pospiech, NJW-Spezial 2014, 591 (592). Vgl. Vaupel/Reers, AG 2010, 93 (104). Müller, Online-Kommentar WpPG, 2012, § 2 WpPG Rz. 7. Kritisch Leuering/Stein, GWR 2012, 591. Zum Folgenden bereits Thole, ZIP 2014, 2365 (2372 ff.). Thole, ZIP 2014, 2365 (2373). EuGH v. 17.9.2014 – Rs. C-441/12 – Rz. 35 ff., AG 2015, 496.

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 79 § 5 SchVG

Zwangsversteigerung von Wertpapieren die Ziele des Zwangsvollstreckungsverfahrens beeinträchtigen könnte, zu denen eine rasche und wirksame Befriedigung des Gläubigers gehört124. c) Umwandlung in andere Leistungsversprechen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 3 SchVG) Nach der 3. Variante von § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG kann auch ein Umtausch oder Umwandlung in andere Leistungsversprechen erfolgen. Damit wird eine umfassende Flexibilität hergestellt; selbst das Versprechen von Naturalleistungen wäre denkbar. Die Umwandlung stößt freilich aus praktischen Gründen an Grenzen. Ist nach dieser Umwandlung eine Schuldverschreibung i.S.d. § 1 SchVG nicht mehr gegeben, findet das SchVG keine Anwendung mehr. Daher kann mit der Umwandlung auch aus einer handelbaren Schuldverschreibung ein nur noch begrenzt fungibles Leistungsversprechen gemacht werden125.

76

6. Austausch und Freigabe von Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG) Die Vorschrift behandelt Mehrheitsbeschlüsse über Sicherheiten. Das werden häufig Garantien anderer Konzerngesellschaften sein, insbesondere der Muttergesellschaft des Emittenten. Als Sicherheiten in einem weiteren Sinne werden teilweise auch Negativerklärungen, Drittverzugsklauseln (Cross Default Clauses) oder sonstige financial covenants eingeordnet126, wie sie insbesondere bei High Yield Bonds gebräuchlich sind. Negativerklärungen sind Zusicherungen des Emittenten, anderen Gläubiger keine Sicherheiten zur Verfügung zu stellen oder den begünstigen Anleihegläubigern jedenfalls gleichwertige Sicherheiten anzubieten. Dabei handelt es sich indessen nicht um Sicherheiten in einem eigenständigen Sinne, sondern lediglich um bloße schuldrechtliche Sicherungsabreden bzw. Ausgestaltungen und Bestimmungen der Leistungsversprechungen bzw. der Anleihebedingungen. Daher geht es im Zweifel um Nebenbestimmungen i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG, die allerdings auch zum wesentlichen Inhalt der Anleihebedingungen i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG gehören können, so dass es zu ihrer Änderung einer Drei-Viertel-Mehrheit der Stimmen bedarf. Üblich sind aber auch Realsicherheiten wie Grundpfandrechte (Hypothek, Grundschuld) oder Pfandrechte, was in der Regel mit der Bestellung eines Sicherheitentreuhänders einhergeht127.

77

Anders als bei § 22 SchVG (dazu § 22 SchVG Rz. 5) ist es zunächst entscheidend, dass die Sicherheit bereits Gegenstand der Anleihebedingungen ist, denn sonst würden die §§ 5 ff. SchVG nur greifen, wenn dies in den Anleihebedingungen auch bezogen auf die Mitverpflichteten vorgesehen ist (§ 22 SchVG).

78

§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG erfasst nur den Austausch und die Freigabe der Sicherheiten. Im Schrifttum wird allerdings angenommen, dass a maiore ad minus auch die Abänderung einzelner Bedingungen bzw. ein Beschluss über für die Anleihegläubiger weniger einschneidende Maßnahmen zulässig ist128. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass es auch insoweit im Fall einer Drittsicherheit der Zustimmung des Sicherungsgebers bedarf, da nicht Emittent und Anleihegläubiger einseitig (auch bei § 22 SchVG nicht) über den Inhalt der gegebenen Sicherheit disponieren können. Der Sicherungsgeber muss sich nicht darauf einlassen, eine geänderte Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Erst recht bedarf es selbstverständlich seiner

79

124 EuGH v. 17.9.2014 – Rs. C-441/12 – Rz. 40, AG 2015, 496. 125 Kritisch Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 66. 126 Vogel in Preuße § 5 SchVG Rz. 38; Kaulamo in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 17 Rz. 63 ff. 127 Vgl. Horn, BKR 2009, 446 (449). 128 Vogel, in Preuße, § 5 SchVG Rz. 38; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 67.

Thole 137

§ 5 SchVG Rz. 80 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger Zustimmung, wenn mit Blick auf einen Austausch der Sicherheiten derselbe Sicherungsgeber eine andere Art der Sicherheiten gewähren soll. Damit ist umgekehrt zugleich gesagt, dass § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG grundsätzlich sowohl bei den vom Emittenten selbst als auch von einem Dritten gewährten Sicherheiten greift. 7. Änderung der Währung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 SchVG) 80

Eine Änderung der Denomination des Leistungsversprechens kann insbesondere auch im Zusammenhang mit einem Umtausch der Anteile bzw. Wertpapiere in Betracht kommen, um die Akzeptanz der neuen Wertpapiere zu fördern. Davon unabhängig ermöglicht § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 SchVG aber auch eine eigenständige und isolierte Änderung der Währung. Das entspricht der Praxis bei internationalen „Globalanleihen“129 und zeugt von dem Bestreben des Gesetzgebers, das SchVG dem internationalen Standard anzupassen. Als (alleiniges) Sanierungsinstrument taugt die Änderung der Währung kaum. 8. Kündigungsrecht (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG)

81

Fragen der Kündigung sind ausführlich unten Rz. 97 ff. behandelt. 9. Ersetzung des Schuldners (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG)

82

Eine Ersetzung des Schuldners meint den Fall, dass eine andere Person als der Emittent zum Schuldner des Leistungsversprechens wird und der bisherige Emittent ausscheidet. Eine Ersetzung ist allerdings nicht der Fall einer Gesamtrechtsnachfolge nach Maßgabe des UmwG. In diesen Fällen ist der neue Schuldner rechtlich gesehen der alte; der Gläubigerschutz wird durch §§ 22, 125 UmwG bewerkstelligt, die für die hier genannten Ersetzungsfälle aber nicht analog in Betracht kommen. Eine Ersetzung kann schon aus praktischen Gründen nur bei globalverbrieften Schuldverschreibungen in Betracht kommen, weil bei körperlichen Urkunden eine Änderung der Urkunde schwierig ist, aber erforderlich wäre130. Eine Ersetzung kann aus vielfältigen Gründen auch unabhängig von einer konkreten Sanierungssituation sinnvoll sein. Das gilt etwa bei einer Umgestaltung der Konzernstruktur auf Emittentenseite sowie aufgrund steuerlicher Änderungen, wenn die Zahlungen auf die Anleihe einem Quellensteuerabzug unterworfen werden, der vermieden werden soll, oder dann, wenn die Anleihe über die Finanzierungstochter begeben wurde und von der Mutter besichert wurde, und wenn sodann die zwischen Tochter und Mutter im Innenverhältnis erfolgenden Zahlungen steuerlichen Änderungen unterliegen131. Dann kann ggf. ein Eintritt der Sicherungsgeberin als schuldübernehmende Gesellschaft sinnvoll sein.

83

Technisch führt der Mehrheitsbeschluss i.d.R. zur Zustimmung der Gläubiger zu einer Schuldübernahme des neuen Schuldners gegenüber dem Emittenten (§ 415 BGB). Dem Vorgehen kann auch ein Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger i.S.d. § 7 Abs. 2 SchVG zugrunde liegen, der den gemeinsamen Vertreter ermächtigt, die Zustimmung zu einer (ggf. noch erfolgenden) Schuldübernahme zu erteilen132. In diesem Fall liegt der Mehrheitsbe129 Kaulamo in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 17 Rz. 9; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 39; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 70. 130 Vgl. Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 275; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 46. 131 Maier-Reimer, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129 (145 f.). 132 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 279; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 43.

138

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 85 § 5 SchVG

schluss gewissermaßen allein in der Hand des gemeinsamen Vertreters, bzw. genauer: der gemeinsame Vertreter stimmt für alle Gläubiger zu, wozu er eben wegen des Weisungsbeschlusses befugt und ermächtigt ist. Sachliche Anforderungen an eine Beschlussfassung stellt das Gesetz nicht. Demgegenüber war im Vorfeld der Reform des SchVG 2009 diskutiert worden, unter welchen Voraussetzungen der Schuldner sich in den Anleihebedingungen die Möglichkeit eines Schuldnerwechsels ohne Beschlussfassung der Gläubiger vorbehalten können sollte133. Diese Frage ist auch heute noch aktuell, allerdings berührt sie gerade nicht den Fall des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG. Die gesetzlich geregelte Situation betrifft allein die Zustimmungserteilung durch Beschluss in der Gläubigerversammlung. Insoweit bedarf es keines zusätzlichen Gläubigerschutzes, da das Mehrheitserfordernis bereits hinreichend die Gesamtinteressen der Gläubiger wahrt. Schwieriger ist der Fall, dass sich der Emittent in den Anleihebedingungen das Recht vorbehält, den Schuldner ohne weitere Zustimmung der Gläubiger zu ersetzen. Damit ist dann insbesondere die Gefahr verbunden, dass etwa ein SPV ohne hinreichende Kapital- und Vermögensausstattung zum Schuldner wird. Dennoch wird es gemeinhin im Grundsatz für zulässig erachtet, dass sich der Schuldner dieses Recht vorbehält bzw. umgekehrt die Gläubiger kein Mitwirkungsrecht erhalten134. Dies wird, soweit ersichtlich, auch nicht mit Blick auf § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG in Frage gestellt, obwohl man durchaus argumentieren könnte, § 5 SchVG mit der Opt-In-Lösung enthalte einen Vorrang des Gläubigerbeschlusses. Tatsächlich lässt aber § 4 SchVG weiterhin einseitige Leistungsbestimmungsrechte zu (§ 4 SchVG Rz. 16). Das gilt dann konsequenterweise auch für die Schuldnerersetzung. Das hier entstehende Rechtsproblem ist letztlich eines des § 3 SchVG und des materiellen Gestaltungsspielraums der Anleihebedingungen, nicht des Mehrheitsprinzips. In den Vorentwürfen zum SchVG waren eigene Vorschriften vorgesehen, die im Ergebnis erreichen sollten, dass den Gläubiger nach der Ersetzung ein mit Blick auf ihre Haftungserwartung gleichwertiger Schuldner zur Verfügung steht (§ 23 SchVG-RefE). Im Schrifttum ist verlangt worden, dass sich „die wirtschaftlichen Grundlagen“ nicht ändern dürfen, womit vor allem die Frage verbunden wird, ob sich das Risiko für die Gläubiger signifikant erhöht135. Das Problem bei diesem Kriterium besteht darin, dass es kaum handhabbar ist, weil sich das Risiko mit jedem Schuldnerwechsel ändert. Ob es sich erhöht oder vermindert hat, weiß man meist erst hinterher. Dennoch wird man annehmen können, dass eine einseitige Schuldnerersetzung, die in den Anleihebedingungen ohne nähere Voraussetzungen ermöglicht wird, eher als intransparent zu bewerten ist (vgl. aber § 3 SchVG Rz. 51).

84

10. Nebenbestimmungen (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG) Nebenbestimmungen, wie sie insbesondere bei Hochzinsanleihen in Gestalt von Negativerklärungen, Informationspflichten136 und financial covenants, aber auch bei Mittelstandsanleihen üblich sind, betreffen Handlungs- und Unterlassungspflichten, die zwar das eigentliche Hauptleistungsversprechen des Emittenten, die Zahlungspflicht, konturieren, aber damit nicht identisch sind137. Es geht also um (Wohl-)Verhaltenspflichten, die mittelbar die Haftungserwartung der Gläubiger ausfüllen. Das kann zu Überschneidungen mit den Kündigungsrechten führen, die in den Anleihebedingungen niedergelegt sind, wenn entsprechende

133 Dazu Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 44. 134 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 43; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 274; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 28. 135 Maier-Reimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 147 ff. 136 Balz, ZBB 2009, 401 (405 ff.). 137 Vgl. Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69 (81 f.).

Thole 139

85

§ 5 SchVG Rz. 86 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger Verhaltenspflichten im Verletzungsfall ein Kündigungsrecht gewähren138. Allerdings beschränken sich Nebenbestimmungen darauf nicht. Auch Rechtswahlklauseln, Gerichtsstandklauseln, Regelungen der Zahlungsmodalitäten und sonstige Regularien, die keinen Pflichtencharakter haben, sind erfasst139. Was Rechtswahlklauseln angeht, so ist allerdings fraglich, ob das Wertpapierrechtsstatut durch (qualifizierten) Mehrheitsbeschluss geändert werden kann, weil dies faktisch darauf hinausläuft, dass die Geltung des SchVG beseitigt wird und die Schuldverschreibung einem anderen Recht unterstellt wird. 86

Nebenbestimmungen können entweder geändert oder aufgehoben werden. Die genannten Covenants sind keine Sicherheiten i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SchVG140, so dass an der für das Mehrheitserfordernis nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG relevanten Abgrenzungsfrage, ob die Covenants wesentlicher Natur sind, nicht vorbeizukommen ist (dazu unten Rz. 95). 11. Abweichende Regelung (§ 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG)

87

Die Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG setzt das Opt-In-Prinzip des § 5 SchVG um (dazu oben Rz. 6). Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung, die i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG eine Abweichung von den §§ 5-21 SchVG ausdrücklich erlaubt. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 SchVG können die Anleihebedingungen die Möglichkeit von Gläubigerbeschlüssen beschränken, indem entweder einzelne der im Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG benannten Maßnahmen positiv herausgegriffen und daraus gleichsam eine Positivliste141 erstellt wird oder umgekehrt negativ einzelne Maßnahmen des Katalogs von der Möglichkeit einer Änderung ausgeschlossen werden. Wegen des Transparenzerfordernisses ist mit einer solchen Positivliste regelmäßig auch ohne ausdrückliche Klarstellung verbunden, dass weitere und anderen Maßnahmen nicht dem Gläubigervotum unterliegen. Denkbar ist allerdings auch die Aufnahme von Öffnungsklauseln, nach denen der Emittent und/oder ein Beschluss der Gläubiger den Gegenstand weiterer Gläubigerbeschlüsse festlegen können. Das Gesetz ermöglicht damit weitgehende Flexibilität. Allerdings ist wie stets auf die Grenzen des § 5 Abs. 1 Satz 2, 3 und Abs. 2 SchVG zu achten. Zudem handelt es sich bei einer solchen Erweiterung stets ihrerseits um eine wesentliche Änderung der Anleihebedingungen i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG.

V. Notwendige Mehrheiten (§ 5 Abs. 4 SchVG) 88

Als gesetzliche Grundregel legt das Gesetz das Erfordernis einer einfachen Mehrheit bei der Beschlussfassung fest. Maßstab der Mehrheit sind die Stimmrechte, die nach § 6 SchVG ermittelt werden. Ein Erfordernis einer Kopfmehrheit kennt das SchVG nicht. In einem Insolvenzverfahren gilt allerdings der Vorrang nach § 19 Abs. 1 SchVG (dazu § 19 SchVG Rz. 64), bezüglich des Stimmgewichts kann aber auch insoweit bei der Wahl des gemeinsamen Vertreters auf das nach § 6 SchVG (ggf. i.V.m. § 18 Abs. 1 SchVG) ermittelte Stimmgewicht und die dortige Maßgeblichkeit des Nennbetrags zurückgegriffen werden. Eine entsprechende Anwendung des § 77 InsO verlangte sonst in diesem frühen Stadium die Berücksichtigung der angemeldeten (auch Neben-)Forderungen, ebendiese Anmeldung soll aber erst vom gemeinsamen Vertreter vorgenommen werden. 138 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 30. 139 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 30. 140 A.A. Kaulamo in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 17 Rz. 58; Brandt/Müller/Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.362. 141 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 31; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 78.

140

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 95 § 5 SchVG

In der Praxis dürfte der vermeintliche Ausnahmefall des § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG überwiegen. Danach bedürfen Beschlüsse, mit denen der „wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen“ geändert wird, einer 3/4-Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte (dazu unten Rz. 94).

89

Die Anleihebedingungen können auch entweder für sämtliche oder auch für einzelne Maß- 90 nahmen eine höhere Mehrheit vorsehen, nicht aber eine niedrigere Mehrheit. Letzteres wäre ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG. Außerdem ist eine Abweichung von dem Berechnungsmodus des § 6 Abs. 1 SchVG hinsichtlich des Stimmgewichts nicht zulässig, da das Gesetz insoweit keine Abweichung gestattet142. § 5 Abs. 4 SchVG verhält sich nicht zur Beschlussfähigkeit. Dafür gilt außerhalb eines Insolvenzverfahrens das Erfordernis aus § 15 Abs. 3 SchVG. Bei der Wahl des gemeinsamen Vertreters nach § 19 Abs. 2 SchVG gilt § 76 InsO analog.

91

Verbunden mit einer niedrigen Präsenz auf der Gläubigerversammlung kann u.U. schon mit einer niedrigen Zustimmungsquote eine Veränderung der Anleihebedingungen erreicht werden. Ist auf der ersten Versammlung die nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG erforderliche Präsenz von 50 % der Stimmrechte nicht erreicht, genügen gem. § 15 Abs. 3 Satz 2 SchVG auf der zweiten Versammlung 25 %, um die Beschlussfähigkeit herzustellen. Daher kann u.U. in diesem Fall eine qualifizierte Mehrheit bereits bei 18,75 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erzielt sein.

92

Die Mehrheit errechnet sich nach den „teilnehmenden Stimmrechten“: Gemeint sind damit nicht die in der Gläubigerversammlung vertretenen, sondern allein die abgegebenen Stimmen. Stimmenthaltungen zählen nicht als abgegeben.

93

1. Qualifizierte Mehrheit Einer qualifizierten Mehrheit bedürfen bereits nach der gesetzlichen Anordnung in § 5 Abs. 4 SchVG Änderungen, die eine Maßnahme nach dem Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG betreffen. Eine Ausnahme gilt für die Änderungen von Nebenbestimmungen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG, soweit diese Änderung nicht ihrerseits als eine wesentliche Änderung anzusehen ist (Rz. 95). Soweit dem gemeinsamen Vertreter (insbesondere im Falle des § 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG) ein Mandat erteilt werden soll, das ihn ermächtigt, für die Gläubiger einer Maßnahme i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SchVG zuzustimmen, bedarf bereits der ermächtigende Beschluss der qualifizierten Mehrheit143. Die Bestellung des gemeinsamen Vertreters für sich genommen kann mit einfacher Mehrheit gefasst werden.

94

Im Übrigen kommt es für das jeweilige Mehrheitserfordernis darauf an, ob eine wesentliche Änderung der Anleihebedingung vorgenommen wird. Dieser Begriff ist wenig trennscharf und deshalb rechtspolitisch der Kritik unterworfen144. Über die Einordnung als wesentlich soll insbesondere der Katalog der Regelbeispiele des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1-9 SchVG eine Hilfestellung geben145, was allerdings das Problem nur eingrenzt, aber nicht beseitigt. Das gilt insbesondere für die Prüfung, ob die Änderung der Nebenbestimmungen i.S.d. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 10 SchVG eine wesentliche Änderung darstellt. Im Ergebnis bedarf es stets

95

142 Vgl. auch Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 35. 143 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19 ff.; Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 45. 144 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 Rz. 85; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010, S. 188; Podewils, DStR 2009, 1914 (1917); Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (227); Baums, ZBB 2009, 1 (6). Kritisch zum begrenzten Minderheitenschutz im SchVG Florstedt, RIW 2013, 583 (rechtsvergleichend). 145 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 29.

Thole 141

§ 5 SchVG Rz. 96 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger einer Einzelfallprüfung146. Sie hat sich daran zu orientieren, ob die Rückzahlungserwartung und die Zinszahlungserwartung der Gläubiger durch die angestrebte Änderung nicht nur abstrakt, sondern konkret beeinträchtigt werden kann, wobei diese Beeinträchtigung aber potentiell bleiben darf und noch nicht eingetreten sein muss. Das Chance/Risikoprofil der Anleihe muss geändert werden147. Als Testfrage bietet sich die Frage, ob ein vernünftiger Anleger sich bei seiner Erwerbsentscheidung vernünftigerweise zumindest auch, und sei es auch nur in einem untergeordneten Sinne, von der jeweiligen Bestimmung beeinflussen lassen würde. Bei der Aufhebung von Covenants wird dies im Zweifel ebenso zu bejahen sein wie bei der Änderung von „vertragswesentlichen“ Nebenbestimmungen, namentlich der Rechtswahlklausel (wenn man dies dem Mehrheitsbeschluss unterstellt; s. die Zweifel oben Rz. 85). 2. Einfache Mehrheit 96

Mit einfacher Mehrheit sind, obwohl eigentlich gesetzliche Grundregel, nur wenige Beschlüsse zu fassen. Das gilt etwa für die Bestellung des gemeinsamen Vertreters als solche (ohne Weisungen, oben Rz. 94). Ferner bedarf die Änderung von Nebenbestimmungen, die keine wesentliche Änderung bedeuten, nur der einfachen Mehrheit. Insoweit stellt sich aber die bereits angesprochene Abgrenzungsfrage (Rz. 95). Im Ergebnis kann nur dann eine unwesentliche Änderung vorliegen, wenn die Rückzahlungserwartung nicht konkret beeinträchtigt wird bzw. beeinträchtigt zu werden droht. Das wird im Zweifel nur bei einer formalen Änderung der Fall sein148. Ebenfalls eine einfache Mehrheit genügt für den Beschluss nach § 5 Abs. 5 Satz 3 SchVG.

VI. Kündigung (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 und Abs. 5 SchVG) 97

§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG geht von dem Grundsatz aus, dass im Bereich des SchVG ein Einzelkündigungsrecht des einzelnen Teilschuldverschreibungsgläubigers bestehen kann149. Ein Gesamtkündigungsrecht ist nicht vorgesehen; es wäre auch kaum praktikabel. 1. Beschränkung durch Beschluss (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG)

98

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG können die Gläubiger durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss auf das Kündigungsrecht verzichten oder es gegenständlich beschränken. Eine solche Beschränkung läge etwa darin, dass das Kündigungsrecht auf das Vorliegen bestimmter Umstände beschränkt wird. Die Befugnis gilt folglich sowohl generell als auch fallbezogen150, aber naturgemäß wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG stets mit Wirkung für und gegen alle Schuldverschreibungsgläubiger. Es wird gemeinhin formuliert, dass sich § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG nur zu den in den Anleihebedingungen gewährten Kündigungsrechten verhält151. Tatsächlich ist der Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG nicht auf die vertraglich, bereits in den Anleihebedingungen gewährten Kündigungsrechte beschränkt. Daher können im Ausgangspunkt auch gesetzliche Kündigungsrechte nachträglich eingeschränkt

146 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 58. Nicht differenzierend Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2606). 147 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 38. 148 Kritisch und fragend auch Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 91. 149 Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Working Paper Series No. 145, S. 3. 150 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 29; Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 88 Rz. 63. 151 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 29; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 72.

142

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 100 § 5 SchVG

werden, soweit sie für sich genommen dispositiv sind152. Da indessen nach deutschem Recht kraft Gesetzes nur die außerordentlichen Kündigungsrechte in Betracht kommen, verengt sich das Problem auf die Frage, ob die außerordentlichen Kündigungsrechte, namentlich § 314 BGB oder ggf. § 490 BGB, durch einen solchen Beschluss nachträglich ausgeschlossen oder beschränkt werden können. Die Frage wird man differenziert beurteilen müssen: § 314 BGB ist anwendbar, obwohl man an der Einordnung als Dauerschuldverhältnis zweifeln mag153. Bei § 314 BGB ist ein gänzlicher Ausschluss durch Beschluss mangels Dispositivität nicht denkbar154; für Beschlussfassungen gelten die Maßgaben des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 SchVG und des § 5 Abs. 5 SchVG. Denkbar sind allerdings Modifikationen, etwa die Übertragung der exklusiven Ausübung des Kündigungsrechts auf den gemeinsamen Vertreter155. Im Übrigen steht das Kündigungsrecht aber als individuelles Schutzrecht zugunsten des Gläubigers nicht der Mehrheitsentscheidung durch die Gläubigergesamtheit offen. Zu Modifikationen in den Anleihebedingungen unten Rz. 100. § 490 BGB greift ohnehin nicht156, weil es sich bei der Anleiheforderung als abstraktem Schuldversprechen nicht um ein Darlehen handelt157, und bei einem Erwerb auf dem Sekundärmarkt der Anleiheninhaber die „Darlehensvaluta“ gerade nicht an den Emittenten ausreicht. Dazu gleich Rz. 103.

99

2. Anfängliche Beschränkung gesetzlicher Kündigungsrechte in Anleihebedingungen Damit verbunden, aber dennoch zu trennen ist die Frage, ob gesetzliche Kündigungsrechte und insbesondere § 314 BGB, d.h. das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, anfänglich, bereits in den Anleihebedingungen ausgeschlossen werden kann. Das wird in der Rechtsprechung zum Teil bejaht (OLG Frankfurt)158, zum Teil aber auch verneint (LG Köln und Bonn)159. Im Ergebnis muss es aber auch insoweit einen Gleichlauf geben: Was nachträglich nicht eingeschränkt werden kann, darf auch anfänglich nicht schon vom Emittenten beschränkt werden. Aus § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 und Abs. 5 SchVG kann man zwar ableiten, dass es zunächst auf die Regelung der Anleihebedingungen ankommt. Dennoch ist wegen § 5 Abs. 5 SchVG und des Fehlens der noch im RefE vorgesehenen Sonderregelung (§ 22 Abs. 1 und 2 SchVG-RefE) davon auszugehen, dass das Recht nicht vollständig ausgeschlossen werden darf160. Die Modifizierung in § 5 Abs. 5 SchVG durch Einführung eines Quorums bildet

152 So auch Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Working Paper Series No. 145, S. 17. 153 BGH v. 31.5.2016 – XI ZR 370/15 – Rz. 33, AG 2016, 660 = NZI 2016, 709. Ablehnend insoweit, aber m.E. zu weitreichend Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 393; Maier-Reimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129 (136). 154 Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Working Paper Series No. 145, S. 18; Florstedt/von Randow, ZBB 2014, 345 (348). 155 Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Working Paper Series No. 145, S. 16. 156 BGH v. 31.5.2016 – XI ZR 370/15 – Rz. 30, AG 2016, 660 = NZI 2016, 709; Maier-Reimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129 (136); Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 280; Seibt/ Schwarz, ZIP 2015, 401 (407); LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 63/11, BB 2012, 1821 (1824) mit Anm. Trautrims. 157 Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010, S. 13 (337, 338); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 84. 158 OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, AG 2015, 87 = GWR 2014, 505 mit Anm. Lürken ebenda. 159 LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13, ZIP 2014, 1073; LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 13/11, 30 O 14/11 – juris; LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 63/11, BB 2012, 1821 mit Anm. Trautrims. 160 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 30.

Thole 143

100

§ 5 SchVG Rz. 101 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger folglich eine Grenze161. Mit diesem Quorum wird freilich nur die Ausübung des Rechts betroffen, nicht das Recht selbst162. 101

Das Recht des § 314 BGB kann wiederum modifiziert werden durch vorgesehene Übertragung auf den gemeinsamen Vertreter, einen Schwellenwert i.S.d. § 5 Abs. 5 SchVG und auch durch eine entsprechende Regelung von vertraglichen Kündigungsrechten. Denn mit der Festlegung vertraglicher Rechte verändern sich zugleich die Anforderungen an die Unzumutbarkeit der vertraglichen Bindung163. Risiken werden bereits vertraglich verteilt.

102

Vor diesem Hintergrund hat es die Rechtsprechung zwar vereinzelt zugelassen, dass sich ein Gläubiger bei unmittelbar drohender Insolvenz des Emittenten nach § 314 BGB fristlos kündigt164. Für den Emittenten liegt das Problem dann darin, dass damit wegen der Fälligstellung der Forderung die Zahlungsunfähigkeit verbunden sein kann.

103

Eine andere Frage ist aber nach dem eben Gesagten, ob § 314 BGB tatbestandlich für einen Fall erfüllt ist, in dem der Emittent eine Anleihegläubigerversammlung einberuft, auf die drohende Zahlungsunfähigkeit hinweist und nunmehr Änderungen der Anleihebedingungen anstrebt. Ob § 490 BGB Vorrang genießt, ist zwar zu diskutieren und hängt davon ab, ob man das Darlehensrecht anwendet165, ändert aber nichts daran, dass es auf die Ausfüllung des Begriffs des wichtigen Grunds ankommt. Insoweit lässt sich die Frage im Hinblick auf die vorzunehmende Gesamtbetrachtung durchaus annehmen, dass der einzelne Gläubiger keine Möglichkeit haben sollte, die in der einberufenden Versammlung erst zu diskutierenden Sanierungsschritte zu konterkarieren. So hat das OLG Köln und sodann auch der BGH entschieden166. Das gilt jedenfalls für solche Fälle, in denen ersichtlich ist, dass eine Kündigung durch eine Mehrzahl der Gläubiger der betroffenen Schuldverschreibung zu einer Zahlungsunfähigkeit führen könnte, so dass das Insolvenzverfahren zu beantragen ist167. Denn dann würde die Kündigung (samt der Kündigung anderer Gläubiger in derselben Situation) die außergerichtliche Sanierung unmöglich machen und einen Sanierungsversuch im Insolvenzverfahren erzwingen. Anders muss die Beurteilung ausfallen, wenn ohnehin Mehrheitsbeschlüsse mangels Opt-In nicht vorgesehen sind. Dann darf der Gläubiger in der Situation der drohenden Zahlungsunfähigkeit eher kündigen.

104

Richtig entschieden ist dagegen der Fall einer vertraglichen Kündigungsmöglichkeit: Ist in Anleihebedingungen ein Kündigungsrecht der Anleihegläubiger für den Fall vorgesehen, dass der Emittent „eine allgemeine Schuldenregelung zugunsten ihrer Gläubiger anbietet“, ist bei der gebotenen Auslegung im Zweifel zu Lasten des Emittenten eine Kündigung gerechtfertigt, wenn die bisherige Rechtsposition der Anleger im Verfahren nach den §§ 5 ff. SchVG zu ihren Lasten geändert werden soll. Das hat das OLG Frankfurt mit Urteil vom 17.9.2014 entschieden168, insoweit hat es der BGH auch nicht in Frage gestellt, freilich dann

161 Horn, BKR 2009, 446 (450). 162 Für diese Unterscheidung vgl. auch Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 56. 163 In diesem Sinne OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, AG 2015, 87 = GWR 2014, 505. Vgl. auch Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Working Paper Series No. 145, S. 19; Seibt/ Schwarz, ZIP 2015, 401 (410). 164 LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 13/11 – juris; LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 63/11, BB 2012, 1821 (1822). 165 LG Köln v. 26.1.2012 – 30 O 63/11, BB 2012, 1821 (1823 f.) mit Anm. Trautrims. 166 BGH v. 31.5.2016 – XI ZR 370/15 – Rz. 34 ff., AG 2016, 660 = NZI 2016, 709; OLG Köln v. 9.7.2015 – 3 U 58/12, ZIP 2015, 1924. 167 Im Ergebnis insoweit richtig Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (410); vgl. auch kritisch Paulus, WM 2012, 1109. 168 OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, AG 2015, 87 = GWR 2014, 505 mit Anm. Lürken.

144

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 107 § 5 SchVG

die Wirkung des späteren Mehrheitsbeschlusses auch zu Lasten desjenigen Gläubigers bejaht, der gekündigt hat, was die Kündigungen gegenstandslos macht169. 3. Rechtsfolgen der Kündigung Mit der wirksamen Einzelkündigung und ungeachtet der Fälle des § 5 Abs. 5 SchVG schei- 105 det die gekündigte Teilschuldverschreibung nicht aus der kollektiven Bindung aus170; allerdings wird der jeweilige Rückzahlungsanspruch fällig. Das erscheint zunächst widersprüchlich, weil dann prima facie der kündigende Gläubiger weiter an Restrukturierungsbeschlüsse gebunden bleibt bzw. umgekehrt die Fälligkeit dem Gläubiger nichts bringt, wenn er doch noch an die Beschlüsse gebunden bleibt. Tatsächlich ist wohl zu differenzieren: Da die kollektive Bindung fortbesteht, muss auch die Bindung an derartige Beschlüsse für sich genommen fortbestehen171. Da aber nach Fälligkeit des individuellen Rückzahlungsanspruchs zu der kollektiven Sphäre sozusagen eine individuelle Sphäre hinzutritt, muss man davon ausgehen, dass ein nachfolgender Restrukturierungsbeschluss zwar die Schuldverschreibung des einzelnen Gläubigers gleichermaßen verändert, sich der Emittent aber nach § 242 BGB gegenüber dem individuellen Rückzahlungsanspruch darauf nicht berufen kann (vgl. auch § 4 SchVG Rz. 21). Der BGH ist aber anderer Auffassung, was immerhin den Vorteil hat, dass Sanierungsbeschlüsse erleichtert werden172. Freilich bedeutet Fälligkeit gerade, dass Zahlung verlangt werden kann; es wäre seltsam, wenn die Gläubigermehrheit (außerhalb der Schwellenwert-Fälle des § 5 Abs. 5 SchVG) beschließen dürfte, dass Fälligkeit im individuellen Verhältnis nicht besteht. Der Gesetzgeber hat das Problem der Unterteilung in fällige und nicht fällige Anleihen nicht bereinigt. Letztlich ist das Problem m.E. eher schon auf der Ebene der Tatbestandsvoraussetzungen der Kündigungsrechte zu lösen; im Zweifel wird gerade kein Kündigungsrecht bestehen, wie eben zu § 314 BGB beschrieben. Soweit ein solches Recht allerdings in den Anleihebedingungen vorgesehen ist, muss der Emittent es auch hinnehmen, dass der einzelne Gläubiger kündigt und dann Rückzahlung verlangt. Denn ex ante hat der Gläubiger die Schuldverschreibung ja gerade in der Erwartung erworben, sich unter den angegebenen Umständen lösen zu können, dann darf diese Erwartung nicht ex post enttäuscht werden, weil die Kündigung nicht opportun erscheint. Jedenfalls könnte – wenn man dem LG Bonn folgt – mit einer nachträglichen Restrukturierung ein Schadenersatzanspruch entstehen173, der – wenn man Schwierigkeiten bei der Bemessung des Schadens einmal außen vor lässt – ggf. in voller Nominalhöhe der ursprünglichen Anleihensforderung bestehen könnte und dann wohl bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit gleichwohl zu berücksichtigen wäre.

106

4. Schwellenwert (§ 5 Abs. 5 SchVG) § 5 Abs. 5 SchVG ermöglicht dem Emittenten die Einführung einer Wesentlichkeitsschwelle für die Ausübung des Kündigungsrechts, setzt insoweit aber zugleich eine Grenze174. Nach § 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG kann zwar in den Anleihebestimmungen festgelegt werden, dass die Kündigung nur von mehreren Gläubigern und einheitlich als Gesamtkündigung erklärt werden darf, allerdings darf diese Schwelle nicht mehr als 25 % der ausstehenden Schuldverschreibungen betragen. Das Gesetz lehnt sich hier an die Praxis internationaler Anleihen 169 BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14 – Rz. 28, ZIP 2016, 308 = AG 2016, 244. 170 So auch LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13, ZIP 2014, 1073 (1076); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 398; Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401, 411 f. 171 So auch BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14 – Rz. 19, ZIP 2016, 308 = AG 2016, 244. 172 BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14 – Rz. 19 ff., ZIP 2016, 308 = AG 2016, 244. 173 So LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13, ZIP 2014, 1073 (1076). 174 Keller/Hoffmann, ZHR 175 (2011), 684 (702).

Thole 145

107

§ 5 SchVG Rz. 108 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger an. Gemeint ist insofern nicht die Zahl der Gläubiger, sondern der Nennbetrag der ausstehenden, also noch im Umlauf befindlichen Schuldverschreibungen. Das schließt die ruhenden Stimmrechte (§ 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG) mit ein175. Diese (beschränkte) Gestaltungsmöglichkeit des Emittenten hat ihren Grund in dem Umstand, dass eine Kündigung zu einem erheblichen Liquiditätsabfluss führen und zugleich den Sanierungsprozess stören kann176. 108

Ist eine entsprechende Schwelle eingefügt, entfaltet die Kündigung bezogen auf einen einzelnen Gläubiger nur dann rechtliche Wirkung, wenn der Schwellenwert erreicht ist. Es bedarf allerdings keines (feststellenden) Beschlusses der Anleihegläubiger, sondern die materiellen Wirkungen der Kündigung treten unmittelbar ein, sobald der Schwellenwert erreicht oder überschritten ist, soweit dies nicht näher in den Bedingungen konkretisiert ist. Dies kann je nach Situation zu gewissen Unsicherheiten ob des Erreichens des Schwellenwerts führen. Unproblematisch liegen die Dinge insoweit nur, wenn ein gemeinsamer Wahl- oder Vertragsvertreter (§ 7 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1, § 8 Abs. 2 Satz 1 SchVG) die Kündigung nach Aufforderung durch die Gläubiger erklärt.

109

§ 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG sieht zwar vor, dass ein Schwellenwert festgelegt werden kann, aber auch, dass die Kündigung „einheitlich“ erklärt werden kann. Das wird man aber nicht dahin verstehen können, dass der einzelne Gläubiger zunächst andere kündigungsbereite Gläubiger ausfindig machen muss und dann in einer einheitlichen Erklärung gekündigt werden muss177. Damit würde eine Kündigung erheblich erschwert. Dennoch bleibt fraglich, was dann mit dem Begriff „einheitlich“ gemeint sein soll178, wenn schon durch das Merkmal „von mehreren Gläubigern“ deutlich wird, dass eine einzelne Kündigung nicht genügt. Es wird vertreten, dass die Kündigenden ihre Kündigung auf dieselben Kündigungsgründe stützen müssten179. Das ist deshalb fragwürdig, weil es jedenfalls bei einem einfachen Kündigungsrecht keine Begründungsanforderungen gibt. Daher wird man dahin präziseren müssen, dass es nicht auf dieselbe Norm ankommt, sondern auf denselben Lebenssachverhalt auch in zeitlicher Hinsicht, etwa dass die Kündigung erfolgt, nachdem eine Krisensituation vermeldet worden ist. Dabei darf die Wirksamkeit einer Kündigung nicht ad infinitum in der Schwebe bleiben, so dass Einzelkündigungen während der Laufzeit der Anleihe „auf Halde gelegt“ sind, bis irgendwann der Schwellenwert erreicht ist. Letztlich verbleiben aber dennoch Abgrenzungsschwierigkeiten.

110

Ein in den Anleihebedingungen festgelegter Schwellenwert beseitigt nicht das Kündigungsrecht, sondern beschränkt lediglich dessen Ausübung. Der Schwellenwert kann konsequenterweise für sämtliche Kündigungsrechte gelten, die auch anfänglich in den Anleihebedingungen geregelt werden könnten (s. oben Rz. 98). Zu prüfen bleibt dann die eben beschriebene Frage der Einheitlichkeit bei gleichem Lebenssachverhalt in zeitlich-räumlicher Hinsicht.

111

Die Gesamtkündigung i.S.d. § 5 Abs. 5 SchVG ist keine echte Gesamtkündigung180, weil sie lediglich für diejenigen Gläubiger eine Wirkung entfaltet, die auch tatsächlich gekündigt haben, nicht auch für die anderen181. Folglich wird dadurch allein der Rückzahlungsanspruch 175 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 95; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 37. 176 Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 36. 177 So aber Keller/Hoffmann, ZHR 175 (2011), 684 (702). 178 Vgl. auch Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 284. 179 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012, S. 284. 180 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 100; Podewils, DStR 2009, 1914 (1916); Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 57. 181 Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (486 f.); Simon, CFL 2010, 159 (160); Cranshaw, BKR 2008, 504 (508) (vorbehaltlich eines Gläubigerbeschlusses).

146

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 113 § 5 SchVG

der kündigenden Gläubiger fällig, nicht auch die Anleihe insgesamt. Im Ergebnis führt dies zu einer fragwürdigen Einzelbetrachtung und Aufteilung der Anleihe in fällige und nicht fällige Forderungen, die beispielsweise bei der Girosammelverwahrung zu unlösbaren Schwierigkeiten führen kann182. Freilich wird in der Literatur auch die Gegenauffassung vertreten, nach der die Kündigung die gesamte Anleihe erfasse183. Das Argument lautet, dass andernfalls die Rücknahmebefugnis durch Beschluss nach § 5 Abs. 5 Satz 2 und 3 SchVG keinen Sinn ergebe, weil die Rücknahme nicht greifen könne, wenn bei einer Einzelkündigung und deren Wirkung mit der Erklärung der Kündigung der Vorgang abgeschlossen sei; der Rücknahmebeschluss sei gesamtbezogen184. Das unterstellt freilich, dass es bei § 5 Abs. 5 SchVG einen zwingenden Gleichlauf zwischen der Rücknahmebefugnis und der Wirkung der nicht zurückgenommenen Kündigung gibt, was so zwingend nicht ist. Ob die kollektive Bindung noch nach Fälligstellung greift, ist unklar (dazu Rz. 105)185. Auch das Abschlussargument überzeugt nicht, weil das Anleiheverhältnis allein mit Fälligstellung der Forderung noch nicht beendet ist. Schließlich wäre es fragwürdig, wenn die Minderheit über die Anleihe sämtlicher Gläubiger disponieren könnte, die Mehrheit dies zwar durch Rücknahme verhindern könnte, aber damit in eine Initiativlast gedrängt würde. Der Gesetzgeber wollte offenbar von dem Einzelgrundsatz ausgehen, was jedenfalls dann konsequent ist, wenn bestimmte Kündigungsrechte wie jenes nach § 314 BGB nicht generell ausgeschlossen werden können und damit als individuelles Kündigungsrecht von den Anleihebedingungen ohnehin unangetastet bleiben. 5. Rücknahme der Kündigung (§ 5 Abs. 5 Satz 2 und 3 SchVG) Nach § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG entfällt die Wirkung einer solchen Kündigung, d.h. einer 112 Kündigung, die nach § 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG den Schwellenwert erreicht hat, wenn die Gläubiger dies binnen drei Monaten beschließen. Damit soll ein Liquiditätsabfluss verhindert werden. Auch für diesen Beschluss, der die kollektive Bindung aufrechterhält, bedürfen die Gläubiger der Zustimmung des Emittenten (§ 4 SchVG Rz. 27). Das setzt voraus, dass die Anleihebedingungen überhaupt einen Schwellenwert normiert haben, weil sonst keine „solche“ Kündigung i.S.d. § 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG vorliegen kann. Bei § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG ist eine Beschlussfassung der Gläubiger nach den allgemeinen Regeln herbeizuführen. Fraglich ist allerdings, wie der Drei-Monats-Zeitraum zu bemessen ist, wenn man davon ausgeht, dass bei § 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG die Einheitlichkeit der Kündigung das Prinzip der Einzelkündigung keineswegs vollständig aushebt, ein Kündigungsbeschluss nicht erforderlich ist und die Kündigungen nur im Zusammenhang stehen müssen, aber nicht zeitgleich und durch eine Erklärung erfolgen müssen. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Frist ab dem Erreichen des Schwellenwerts greift, was aber – wenn nicht ein Fiscal Agent oder der gemeinsame Vertreter die Kündigung erklärt – wiederum zu Unsicherheiten führt, weil dann nicht ohne weiteres ersichtlich ist, ob und wann der Schwellenwert erreicht ist. Die Beschlussfassung benötigt nach § 5 Abs. 5 Satz 3 SchVG lediglich eine einfache Mehrheit der Stimmrechte. Gemeint sind – wie auch sonst – nicht die insgesamt bei den ausstehenden Schuldverschreibungen denkbaren Stimmrechte i.S.d. § 6 SchVG, sondern allein die 182 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 65; Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69 (90 Fn. 35). 183 Hoffmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (702); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 73. 184 In diesem Sinne Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 75. 185 Vgl. zur Geltung der allgemeinen Grundsätze nach Laufzeitende der Anleihe Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 34; Eisele, LMK 2014, 363946; für die Geltung der kollektiven Bindung auch nach Laufzeitende Horn, BKR 2009, 446 (448). Zum Problem § 4 SchVG Rz. 21.

Thole 147

113

§ 5 SchVG Rz. 114 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger abgegebenen Stimmen mit dem ihnen nach § 6 SchVG zukommenden Gewicht186. Zwar verwendet § 5 Abs. 5 SchVG nicht die Worte „an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte“187 und bei § 5 Abs. 5 Satz 1 SchVG kommt es nur auf den Anteil an den ausstehenden Schuldverschreibungen an. Dennoch wäre es nicht konsequent, darauf abzustellen, welche Stimmrechte „prinzipiell an der Abstimmung teilnehmen können“, ohne dass sie teilgenommen haben, so dass nur ruhende Stimmrechte außen vor blieben188. Das wäre zwar insoweit einfacher, als dann 50 % aller denkbaren Stimmrechte dem Schwellenwert von 25 % (bzw. niedriger) gegenüberstehen. Dennoch: Das Mehrheitsinteresse an der Rücknahme der Kündigung muss sich auch entsprechend manifestieren, und insoweit gibt es keinen Grund, an der grundlegenden Regel etwas zu ändern, dass es bei der Mehrheitsfindung – wie auch bei den qualifizierten Mehrheiten in Fällen der § 5 Abs. 3, 4 SchVG – auf die abgegebenen Stimmen ankommt. Eine Erhöhung des Mehrheitserfordernisses für die Rücknahme in den Anleihebedingungen ist nicht statthaft, weil es an einer gesetzlichen Anordnung wie bei § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG fehlt189. Für die Rücknahme ist nach § 5 Abs. 5 Satz 3, Halbs. 2 SchVG zudem erforderlich, dass mindestens mehr Gläubiger zustimmen als gekündigt haben. Es ist ungeklärt, wie dies zu verstehen ist. Von der überwiegenden Auffassung wird angenommen, damit werde vor dem Hintergrund des § 6 SchVG lediglich verlangt, dass die dem Rücknahmebeschluss zustimmenden Gläubiger nach dem Nominalwert ihrer Schuldverschreibungen mehr Stimmrechte auf sich vereinen als die kündigenden Gläubiger190; andere gehen hier von einer Kopfmehrheit aus191. Tatsächlich dürfte hiermit ein Kopfmehrheitserfordernis eingezogen worden sein, wie es auch dem Wortlaut entspricht, und in Abstimmungen nicht ganz unüblich ist (vgl. § 244 InsO). Das Stimmgewicht gemessen am Nominalwert der jeweiligen Anleihe wird bereits bei der Berechnung nach § 5 Abs. 5 Satz 3, Halbs. 1 SchVG berücksichtigt. Auch im Übrigen geht das SchVG, wenn es auf Stimmgewichte ankommt, ausweislich § 5 Abs. 4 SchVG deutlich von der Mehrheit der Stimmrechte aus. Insofern erscheint es erklärungsbedürftig, wenn § 5 Abs. 5 Satz 3, Halbs. 2 SchVG, der schlicht von „mehr“ Gläubigern spricht, trotzdem als Regelung einer Summenmehrheit verstanden werden sollte. 6. Leistungsverweigerungsrecht 114

Der Rücknahmebeschluss hat die Wirkung, dass die Kündigung endgültig unwirksam wird. Dies setzt freilich die Bestandskraft bzw. Freigabe des Beschlusses voraus. Fraglich ist, wie die Kündigung bis zum Ablauf der dreimonatigen Frist zu behandeln ist. Es liegt nahe, die Kündigung als schwebend unwirksam zu betrachten. Das bedeutet freilich in der Konsequenz, dass zunächst gar keine Fälligkeit eintritt, was aus dem Blickwinkel des Insolvenzrechts nicht überzeugt, weil die Gläubigergefährdung, die mit den Insolvenzgründen ja angegangen wird, in dieser Phase imminent ist. Der Wortlaut von § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG („die Wirkung entfällt“) spricht eher dafür, von einer schwebenden Wirksamkeit auszugehen.

115

Nach Auffassung in der Begründung des Regierungsentwurfs hat der Emittent bis zum Ablauf der Drei-Monats-Frist ein Leistungsverweigerungsrecht192. Dessen bedarf es denklo186 187 188 189 190

Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 98. Dies betonend Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 39. Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 39. Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 39; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 53. Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 40; Podewils, DStR 2009, 1914 (1916); Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 98; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 72. 191 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 54. 192 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19.

148

Thole

Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger

Rz. 117 § 5 SchVG

gisch nur dann, wenn die Kündigung zunächst als wirksam zu behandeln ist. Freilich ist umstritten, ob tatsächlich ein Leistungsverweigerungsrecht besteht193. Man könnte in § 5 Abs. 5 SchVG eine Art gesetzliche Stundung erkennen oder aber mit der dolo agit-Einrede argumentieren, denn ggf. ließe sich das Rückzahlungsverlangen als treuwidrig einstufen, wenn der Gläubiger Rückzahlung verlangt und erhält, obwohl er bei einem Beschluss nach § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG jedenfalls nach Bereicherungsrecht (wohl § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB) den Nominalbetrag, den er erst nach wirksamer Kündigung verlangen dürfte, zurückführen müsste. Das Problem bei dieser Argumentation besteht allerdings darin, dass gerade unsicher ist, ob ein solcher Beschluss zustande kommt, so dass ein wahrhaft treuwidriges Verhalten dem Gläubiger nicht vorzuwerfen ist. Daher ist davon auszugehen, dass ein Leistungsverweigerungsrecht nicht schon per se besteht. Es dürfte aber unbedenklich sein, wenn in den Anleihebedingungen die Modalitäten nach Kündigung für den Drei-MonatsZeitraum geregelt werden. Das Kündigungsrecht, das als solches unberührt bleiben muss (oben Rz. 112), würde nicht entwertet, wenn beispielsweise eine Hinterlegungs- bzw. Treuhandlösung für den Zeitraum vorgesehen würde194.

VII. Ort und Modus der Beschlussfassung (§ 5 Abs. 6 SchVG) Das SchVG kennt zwei grundsätzliche Wege, eine Beschlussfassung der Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung (§ 18 SchVG). Eine andere Art der Beschlussfassung ist nicht vorgesehen und kann wegen § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG auch nicht über die Anleihebedingungen kreiert werden. § 5 Abs. 6 Satz 1 SchVG eröffnet insoweit die beiden Möglichkeiten, die in §§ 9 ff. bzw. § 18 SchVG näher ausgestaltet sind. Nach § 5 Abs. 6 Satz 2 SchVG ist es aber auch zulässig, die Beschlussfassung auf einen Modus zu beschränken. Es besteht keine Verpflichtung, dieses Wahlrecht auszuüben195. Wird bei der Wahl nach § 5 Abs. 6 Satz 2 SchVG der Weg über eine Abstimmung ohne Versammlung gewählt, bleibt es dabei, dass gem. § 18 Abs. 4 Satz 2 SchVG bei fehlender Beschlussfähigkeit bei der Abstimmung ohne Versammlung eine „echte“ Gläubigerversammlung als zweite Versammlung einberufen werden kann.

116

VIII. Insolvenzverfahren Wird nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Gläubigerversammlung i.S.d. § 19 Abs. 2 SchVG einberufen, gelten für die Wahl des gemeinsamen Vertreters vorrangig die Regeln der InsO (§ 19 Abs. 1 SchVG i.V.m. §§ 76 ff. InsO entsprechend). Dies ist bei § 19 SchVG Rz. 64 (mit teils a.A.) näher ausgeführt. Für die Restrukturierung in einem Planverfahren gelten insoweit – unter Einbeziehung sämtlicher Gläubigergruppen – ausschließlich die Regeln der §§ 217 ff. SchVG. Der Vorrang des Insolvenzrechts schließt es allerdings nicht aus, dass die Schuldverschreibungsgläubiger einen Beschluss mit Wirkungen für das Innenverhältnis schließen196. § 19 Abs. 1 SchVG geht zwar davon aus, dass den Beschlüssen der Schuldverschreibungsgläubiger im Verhältnis der Schuldverschreibungsgläubiger zum Insolvenzverfahren und zu anderen Gläubigergruppen keine gestaltende, bindende Kraft mehr zukommen kann. Die Schuldverschreibungsgläubiger können also dem Insolvenzverfahren 193 Bejahend Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 57; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 41. 194 Im Ergebnis auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 77. 195 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 102. 196 Friedl, in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 30; Fürmaier in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 12; Thole, ZIP 2014, 293 (297); im Ergebnis auch OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, ZInsO 2013, 2119 (2120). Ähnlich schon Schanz, CFL 2012, 26 (29).

Thole 149

117

§ 5 SchVG Rz. 118 Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger beispielsweise keinen Debt-Equity-Swap oder eine sonstige Maßnahmen aufzwingen, was sich schon daraus ergibt, dass die Beschlüsse nach § 5 SchVG der Zustimmung des Emittenten bedürfen. Dieses Recht übt wegen der Masserelevanz der Verwalter aus. Wohl aber ist es denkbar, dass die Schuldverschreibungsgläubiger eine interne Wirkung herstellen und beispielsweise den gemeinsamen Vertreter anweisen, im Insolvenzverfahren (freiwillig) auf einen Teil der Forderung zu verzichten. Zu beachten ist aber, dass keine unmittelbare gestaltende Wirkung für das Insolvenzverfahren hergestellt wird, weil diese Gestaltungsmacht allein im Insolvenzverfahren nach den dort geltenden Regeln, d.h. insbesondere nach den Regeln des Insolvenzplans, liegt. Näheres ist in dieser Kommentierung bei § 19 SchVG ausgeführt197. 118

Dass ein Opt-In in das SchVG 2009 bei einer Schuldverschreibung, die nach dem SchVG 1899 ausgegeben wurde, nach Insolvenzeröffnung noch möglich ist, wird vom OLG Dresden bestritten198. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht die grundsätzliche Beschlusskompetenz fehlt, sondern es nur inhaltliche Schranken für die dann folgenden Beschlüsse i.S.d. § 5 SchVG gibt (s. soeben Rz. 117). Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch unter dem SchVG 1899 über die Wahl eines gemeinsamen Vertreters abzustimmen war. Daher kann die Unwirksamkeit dieser Wahl nicht mit der Unwirksamkeit des Opt-In in das SchVG 2009 begründet werden.

§6 Stimmrecht (1) 1An Abstimmungen der Gläubiger nimmt jeder Gläubiger nach Maßgabe des Nennwerts oder des rechnerischen Anteils seiner Berechtigung an den ausstehenden Schuldverschreibungen teil. 2Das Stimmrecht ruht, solange die Anteile dem Schuldner oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen (§ 271 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs) zustehen oder für Rechnung des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens gehalten werden. 3Der Schuldner darf Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen, einem anderen nicht zu dem Zweck überlassen, die Stimmrechte an seiner Stelle auszuüben; dies gilt auch für ein mit dem Schuldner verbundenes Unternehmen. 4Niemand darf das Stimmrecht zu dem in Satz 3 erster Halbsatz bezeichneten Zweck ausüben. (2) Niemand darf dafür, dass eine stimmberechtigte Person bei einer Gläubigerversammlung oder einer Abstimmung nicht oder in einem bestimmten Sinne stimme, Vorteile als Gegenleistung anbieten, versprechen oder gewähren. (3) Wer stimmberechtigt ist, darf dafür, dass er bei einer Gläubigerversammlung oder einer Abstimmung nicht oder in einem bestimmten Sinne stimme, keinen Vorteil und keine Gegenleistung fordern, sich versprechen lassen oder annehmen. I. Normzweck und Systematik. . . . . . . . . II. Berechnung des Stimmgewichts (§ 6 Abs. 1 SchVG) 1. Nennwert oder rechnerischer Anteil . . . 2. Kein Mindestnennwert. . . . . . . . . . . . . . 3. Konkrete Berechnung. . . . . . . . . . . . . . .

1

4 6 8

4. Stimmrecht bei Fehlen einer einheitlichen Stückelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stimmrechtsausschluss 1. Schuldner oder verbundene Unternehmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausländische Emittenten . . . . . . . . . . . .

197 Vgl. auch Thole, ZIP 2014, 293 ff. 198 OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, ZIP 2016, 87 (88).

150

Thole

11

14 17

Stimmrecht 3. Für Rechnung des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens . . 4. Maßgeblicher Zeitpunkt. . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolge des § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG a) Ausübungsverbot (§ 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nichtigkeit der Stimmabgabe . . . . . . 6. Bankenstimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Stimmrecht bei Sicherheiten an der Schuldverschreibung . . . . . . . . . . . . . . .

18 20 22 23 28 29

Rz. 3 § 6 SchVG

8. Garantien und Sicherheiten (Fall des § 22 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Sonstige einzelfallbezogene Stimmverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. „Stimmenkauf“ und Vorteilsannahme (§ 6 Abs. 2 und 3 SchVG) . . . . . . . . . . . VI. Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . .

38 39 42 45

30

Schrifttum: Schnorbus/Ganzer, Einflussmöglichkeiten auf die Gläubigerversammlung im Zusammenhang mit der Änderung von Anleihebedingungen, WM 2014, 155; Thole, Stimmverbote wegen Interessenkonflikten in der Gläbigerversammlung, in FS Vallender, 2015, S. 679. Siehe ferner das Schrifttum zu § 4.

I. Normzweck und Systematik § 6 SchVG regelt – als zwingendes Recht1 – das den Gläubigern zustehende Stimmrecht und bestimmt das zugehörige Stimmgewicht. Außerdem wird in § 6 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SchVG das Stimmverbot geregelt. § 6 Abs. 2 und 3 SchVG enthalten das sanktionsbewehrte Verbot, für die Stimmabgabe einen Vorteil zu gewähren bzw. zu fordern. Die Regelung in § 6 Abs. 1 SchVG steht in Zusammenhang mit § 10 SchVG, der die formalen Anforderungen an die Stimmberechtigung normiert, ferner im Zusammenhang mit § 14 SchVG. So kann sich ein Stimmrechtsträger durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Das noch in § 10 Abs. 2 SchVG 1899 vorausgesetzte Hinterlegungserfordernis, das in Zeiten von Sammelurkunden nicht mehr zeitgemäß ist und wegen seiner obligatorischen Natur auch schon unter dem SchVG 1899 nicht zeitgemäß war, findet sich im SchVG 2009 nicht mehr. Es ist durch das Anmeldeverfahren ersetzt (näher § 10 SchVG Rz. 1).

1

Dogmatisch gesehen ist die Regelung über das Stimmrecht nach § 6 Abs. 1 SchVG deshalb erforderlich, weil das Stimmrecht und Stimmgewicht nicht schon wesensgemäß aus der Natur des „Gläubigerverbands“ folgt. Wie bei § 4 SchVG Rz. 6 dargelegt, handelt es sich bei der Gesamtheit der Schuldverschreibungsgläubiger nicht um ein korporationenrechtliches Gebilde, das als Teilhaberecht zwingend das Stimmrecht beinhaltet2. Das in § 6 SchVG normierte Stimmrecht dient dem eher technischen Ziel, die Mehrheits- und Willensbildung in der Gläubigerschaft zu organisieren, ist aber nicht Ausdruck einer irgendwie gearteten Herrschaftsbeziehung zum Unternehmen, wie dies bei einer Mitgliedschaft und Anteilsinhaberschaft der Fall wäre. § 6 SchVG gilt auch dann, wenn in einem Fall des § 19 Abs. 2 SchVG über die Bestellung des gemeinsamen Vertreters abgestimmt wird, weil die im Übrigen richtige Anwendung des § 76 InsO (i.V.m. § 19 Abs. 1 SchVG) mangels angemeldeter Forderungen in diesem Stadium nicht greifen kann (näher unten Rz. 45).

2

Vor diesem Hintergrund besagen § 6 Abs. 1 Satz 3 und 4 SchVG eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn man stärker, als es im Schrifttum bisher geschieht, zwischen dem mit der Forderung verbundenen Stimmrecht einerseits und der Ausübung des Stimmrechts andererseits unterscheidet3. Ruht nämlich das Stimmrecht, kann eine bloße Übertragung der Ausübungsbefugnis – darum geht es bei § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG – daran naturgemäß nichts ändern.

3

1 Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 10. 2 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 2; Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 1. 3 Dazu schon Thole in FS Vallender, 2015, S. 679 (692 f.).

Thole 151

§ 6 SchVG Rz. 4 Stimmrecht

II. Berechnung des Stimmgewichts (§ 6 Abs. 1 SchVG) 1. Nennwert oder rechnerischer Anteil 4

§ 6 Abs. 1 SchVG kennt zwei Arten, wie das Stimmrecht zu bemessen ist, und zwar entweder nach dem Nennwert oder dem rechnerischen Anteil der Berechtigung an den ausstehenden Schuldverschreibungen. Die Berechnung anhand des Nennwerts gilt dabei für alle Fälle, in denen die „Gesamtemission“ i.S.d. § 1 SchVG auf einen Gesamtnennbetrag lautet4. Die Berechnung anhand des rechnerischen Anteils der ausstehenden Schuldverschreibungen gilt für den Fall, dass eine nennwertlose Anleihe aufgelegt worden ist, es also an einem Gesamtnennbetrag fehlt.

5

In beiden Fällen wird im Ergebnis das Stimmgewicht nach dem finanziellen Risiko und Engagement vis à vis anderen Gläubigern berechnet5. Es wäre allerdings verfehlt, wenn man die tatsächliche Stimmmacht des Gläubigers aus § 6 SchVG ablesen wollte. Wie einflussreich der jeweilige Gläubiger tatsächlich ist, hängt entscheidend davon ab, wer auf der Gläubigerversammlung präsent ist und welche etwaigen Stimmverbote noch bestehen. 2. Kein Mindestnennwert

6

Einen Mindestnennwert kennt das Gesetz nicht. Folglich reicht es, wenn der Gläubiger die jeweils kleinste Stückelung der Emission besitzt. Das Gesetz geht von der Annahme aus, dass die kleinste Stückelung jeweils eine Stimme gewährt6.

7

Ein Mindestwert kann auch nicht durch die Anleihebedingungen oder durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger eingeführt werden, weil darin eine den Gläubiger nachteilige Abweichung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 läge, die in § 6 SchVG nicht gestattet wird. Die in § 134 Abs. 1 Satz 2 AktG im Aktienrecht vorgesehene Möglichkeit, das Stimmrecht durch Festsetzung eines Höchstbetrags oder durch Abstufungen zu beschränken, wird nicht in das SchVG gespiegelt und kann gleichfalls weder über die Anleihebedingungen noch durch einen Mehrheitsbeschluss eingeführt werden. Das gilt ganz generell, und auch dann, wenn etwa die Beschlussfassung über einen Debt-Equity-Swap unter Wandlung in Aktien nach § 5 Abs. 3 Nr. 8 SchVG erfolgen soll. Daher ist stets nur nach § 6 Abs. 1 SchVG vorzugehen. 3. Konkrete Berechnung

8

Die Berechnung nach dem Nennwert ist im Grundsatz einfach. (Aufgelaufene) Nebenforderungen bleiben außer Betracht. Es kommt auch nicht darauf an, ob die Schuldverschreibung bereits voll bezahlt worden ist7. Zu beachten ist, dass stets auf den Gesamtnennbetrag der jeweiligen Anleihe abzustellen ist. Eine Aggregation mit anderen Anleihen kann nicht erfolgen. Das ist insbesondere dann zu beachten, wenn die Gläubigerversammlungen zusammen durchgeführt werden. In diesem Fall müssen die Abstimmungen getrennt und folglich auch das Stimmgewicht getrennt beurteilt werden. Für die Frage, was die jeweilige Schuldverschreibung ist, gelten die Kriterien des § 1 SchVG.

9

Jede Schuldverschreibung der kleinsten Stückelung gewährt im Grundsatz eine Stimme. Ist folglich eine 1 Mio. Euro-Anleihe in 1 000 Euro gestückelt, hat jeder Gläubiger mit 1 000 Euro eine Stimme und es gibt maximal 1 000 Stimmen. Bei unterschiedlicher Stückelung ist die Berechnung der Stimmenzahl zu modifizieren (unten Rz. 11 ff.). 4 5 6 7

Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 3. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 3. Veranneman in Veranneman, § 6 SchVG Rz. 5. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 8; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 6 SchVG Rz. 4.

152

Thole

Stimmrecht

Rz. 13 § 6 SchVG

Handelt es sich um eine Schuldverschreibung ohne Gesamtnennbetrag, ist gemäß § 6 10 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SchVG nach dem rechnerischen Anteil an den ausstehenden Schuldverschreibungen zu fragen. Ausstehend sind alle Schuldverschreibungen, die noch nicht erfüllt sind8. Allerdings wird aus dem Gesetzeswortlaut nicht deutlich, dass § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SchVG nur dann in Betracht kommt, wenn eine Schuldverschreibung ohne Gesamtnennbetrag vorliegt. Dies ergibt sich aber aus der Gesetzesbegründung9. Zudem macht die Berechnung ohnehin keinen Unterschied. Ist nämlich ein Gesamtnennbetrag gegeben, verändert sich dieser nicht, wenn einzelne Schuldverschreibungen getilgt wurden, so dass die getilgten Schuldverschreibungen stimmrechtslos bleiben (Bsp.: 1 Mio. Euro-Anleihe in 1 000 Euro Stückelung bei Tilgung von 100 000 Euro; ein Gläubiger mit einen Nennwert von 50 000 hat dann gemessen am Gesamtnennbetrag ein 5 %-Stimmgewicht an den maximal 1 000 Stimmrechten, von denen aber maximal 900 (= 900 000 Euro in Stimmgewicht) ausgeübt werden können. Kommt es – wenn es am Gesamtnennbetrag fehlt – auf die ausstehenden Schuldverschreibungen an, hat der Gläubiger ein Gewicht von 50 000 von 900 000 = 5,55 %. In beiden Fällen sind aber maximal 900 Stimmrechte vertreten, so dass das Ergebnis identisch ist. 4. Stimmrecht bei Fehlen einer einheitlichen Stückelung Es wird diskutiert, wie zu verfahren ist, wenn die Anleihe – entgegen der aktuellen Praxis bei Sammelurkunden – nicht einheitlich gestückelt ist und der Nennbetrag nicht exakt dem Nennbetrag des geringsten Nennwerts entspricht, also etwa wenn der Nennbetrag der größeren Stückelung das 2,5-fache der geringsten Stückelung entspricht. Die Frage ist dann, wie gebrochene Stimmrechte vermieden werden können, weil es der Logik dessen, dass das niedrigste Stimmrechte eine einzige Stimme gewährt, entsprechen würde, der höheren Stückelung dann 2,5 Stimmrechte zu geben.

11

Es wird vertreten, dass dann, wenn ein Gläubiger Inhaber von Schuldverschreibungen mit verschiedenen Stückelungen ist, die Zahl der Stimmrechte dem in der höheren Stückelung insgesamt enthaltenen Mehrfachen der niedrigsten Stückelung entspricht und sich ergebende „freie Spitzen“ unberücksichtigt bleiben10.

12

Letztlich ist dies ein Scheinproblem. In einem Beispiel mit 2,5 lassen sich der geringsten 13 Stückelung zwei Stimmen zuweisen, der 2,5-fachen Notierung fünf Stimmen. Damit wird das prozentuale Verhältnis zueinander – nur darauf kommt es an – gewahrt11. Eine freie Spitze gibt es nicht. Auch in anderen Fällen lässt sich rasch umrechnen, indem der größte gemeinsame Teiler ermittelt wird12. Das führt freilich in einigen Fällen zu einer erheblichen Vervielfachung der Stimmrechte. Beispiel: Niedrigste Stückelung 700, größte Stückelung 2 500, also das 3,5714285714-fache. Dann muss man für die niedrigste Stückelung 7 Stimmrechte, für die größte 25 geben. Wer 80 Stücke der niedrigsten Stückelung hält, hat also bereits 560 Stimmen. Damit wird zwar das Postulat aufgegeben, dass die geringste Stückelung nur eine Stimme gewährt, aber das ist allemal verkraftbar, weil dieses Postulat im Gesetz nicht zum Ausdruck kommt und es entscheidend ist, das relative Stimmgewicht zu ermitteln.

8 9 10 11 12

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19 linke Spalte. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 6 SchVG Rz. 5. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 6. So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 6 mit Fn. 15.

Thole 153

§ 6 SchVG Rz. 14 Stimmrecht

III. Stimmrechtsausschluss 1. Schuldner oder verbundene Unternehmen 14

§ 6 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SchVG regeln nur einen Teilausschnitt aus der Frage, wie sich das Stimmrecht bei Interessenkonflikten gestaltet. Eine unverfälschte Willensbildung soll gewährleistet werden. Es geht in § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG allein um einen institutionalisierten Stimmrechtsausschluss in Gestalt eines Ruhens des Stimmrechts. Die Vorschrift bestimmt also ein Ausübungsverbot, vernichtet das Stimmrecht aber nicht als solches. Demnach lebt es auch wieder auf, wenn der Tatbestand der § 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SchVG nicht mehr erfüllt ist13. Insbesondere wird das nominelle Stimmgewicht der anderen Gläubiger durch das Ruhen des Stimmrechts nicht angetastet. Die Regelung entspricht § 71b AktG.

15

Das Stimmrecht ruht, wenn die Schuldverschreibung dem Schuldner oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen zusteht. Dem Schuldner können die Schuldverschreibungen eigentlich nur dann zustehen, wenn mit dem Erwerb noch keine Konfusion eingetreten ist, also die Schuldverschreibung damit nicht eingelöst wurde14. Dennoch stellt § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG insgesamt klar, dass die Stimmrechte stets ruhen. Das macht eine nähere Prüfung, ob Konfusion eingetreten ist, entbehrlich.

16

Die Definition des verbundenen Unternehmens wird aus § 271 Abs. 2 HGB entlehnt. Auf den Konzernbegriff bzw. den Begriff des verbundenen Unternehmens des § 15 AktG kommt es nicht an15. Diese Definition verweist ihrerseits auf § 290 HGB. Auch die Fälle der §§ 291, 292 und § 296 HGB, in denen die Pflicht zur Aufstellung eines Konzernabschlusses dispensiert ist, ändern an der Unternehmensverbindung i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG nichts. 2. Ausländische Emittenten

17

Problematisch ist dieser Verweis mit Blick auf ausländische Emittenten, die nicht nach HGB bilanzieren, und folglich auch nicht von dem in § 271 Abs. 2 HGB in Bezug genommenen § 290 HGB erfasst sind. Dennoch verlangt der Verweis von § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG auf § 271 HGB nicht, dass das HGB als solches anwendbar ist. Selbst wenn ein ausländischer Emittent, der nicht nach HGB bilanziert, die Schuldverschreibungen begeben hat, ist die Definition des § 271 HGB zu prüfen. Richtigerweise kann dies aber nur durch eine Substitution dergestalt erfolgen, dass analog § 271 Abs. 2 HGB, § 290 HGB darauf abgestellt wird, ob der Emittent unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf das die Schuldverschreibungen haltende Unternehmen ausüben kann. Insofern bedarf es auch keines aus allgemeinen Grundsätzen entwickelten Stimmverbots für ausländische Emittenten16. 3. Für Rechnung des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens

18

Es genügt, wenn die jeweiligen Schuldverschreibungen für Rechnung des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens gehalten werden. Demnach ist auch der Fall erfasst, in dem ein Dritter in eigenem Namen Schuldverschreibungen erwirbt, aber als mittelbarer Stellvertreter handelt und dieser Erwerb wirtschaftlich dem Schuldner bzw. dem verbundenen Unternehmen zuzurechnen ist17.

13 14 15 16 17

Siehe auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19. Veranneman in Veranneman, § 6 SchVG Rz. 6. Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 20. A.A. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 28. Vgl. Veranneman in Veranneman, § 6 SchVG Rz. 6.

154

Thole

Stimmrecht

Rz. 22 § 6 SchVG

Das „für Rechnung halten“ kann anhand der Wertung des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG konkretisiert werden18.

19

4. Maßgeblicher Zeitpunkt Die in § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG genannten Umstände sind dann maßgeblich, wenn sie im Zeitpunkt der Abstimmung erfüllt sind, da § 6 SchVG keinen Stichtag (record date) setzt, wie dies § 123 Abs. 3 Satz 3 AktG kennt. Das bedeutet, dass ein Ruhen des Stimmrechts zu bejahen ist, wenn im Zeitpunkt der Abstimmung die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG gegeben sind. Umgekehrt: Sind die Voraussetzungen in diesem Zeitpunkt nicht mehr gegeben, ruht das Stimmrecht nicht mehr, auch wenn die Voraussetzungen etwa noch während des Anmeldeverfahrens bzw. im Vorfeld der Versammlung gegeben waren. Davon abweichende Regelungen in Anleihebedingungen sieht § 6 SchVG nicht vor, so dass eine solche Gestaltung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG unzulässig wäre, weil sie sich zum Nachteil der Gläubiger auswirken kann, wenn einem Gläubiger das Stimmrecht zugebilligt wird, obwohl er bei der Abstimmung eigentlich wegen § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG ausgeschlossen wäre, während umgekehrt auch die Nichtgewährung des Stimmrechts bezogen auf die zu einem früheren Zeitpunkt erfüllten Voraussetzungen die Willensbildung verfälschte und daher als Benachteiligung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG angesehen werden kann.

20

Davon zu unterscheiden ist die Situation bei § 10 SchVG, die nur die Anmeldung für die 21 Gläubigerversammlung und die Legitimation durch Nachweis der Gläubigerstellung betrifft. Die Frage, wie und bezogen auf welchen Zeitpunkt die Gläubigerstellung nachzuweisen ist, kann nach § 10 Abs. 3 SchVG in den Anleihebedingungen geregelt werden19. Es kann folglich bestimmt werden, dass es reicht, wenn die Gläubigerstellung einige Tage vor der Abstimmung nachgewiesen wird. In diesem Fall bleibt es gleichwohl bei der Maßgeblichkeit des Abstimmungstermins für die Stimmverbote. Hat ein unabhängiger Dritter sich auf den früheren Tag legitimiert, die Forderung aber danach (was § 10 SchVG nicht ausschließt, weil er eine Depotsperre nicht voraussetzt) auf ein mit dem Schuldner verbundenes Unternehmen übertragen, kann der Zessionar schon seine Gläubigerstellung nicht hinreichend und in Übereinstimmung mit den Anleihebedingungen nachweisen. Demnach dürfte nur der Dritte weiter abstimmen und er wäre vom Ruhen des Stimmrechts nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG nicht betroffen. Die Frage ist aber, ob es – wenn und weil § 6 SchVG auf den Zeitpunkt der Abstimmung abstellt – aus Sicht des verbundenen Unternehmens als Zessionarin ein Fall des § 6 Abs. 1 Satz 3, Halbs. 2 SchVG ist, weil das verbundene Unternehmen sein Stimmrecht dem Zedenten, der kein eigenes Interesse an der Forderung mehr hat, zur Ausübung überlässt. Dem ist indessen nicht so, denn dem verbundenen Unternehmen steht i.S.d. § 10 SchVG eben von vornherein kein Stimmrecht zu bzw. es ist nicht nachgewiesen, so dass es auch nicht i.S.d. § 6 SchVG zur Ausübung überlassen werden bzw. ruhen kann. Das klingt formalistisch, trägt aber dem Umstand Rechnung, dass man rein interne Bindungen und Gefahren (Abstimmung durch Zedenten im Interesse des Zessionars) als bloß tatsächliche Gefahren nicht in jeder Hinsicht rechtlich auffangen kann. Im Fall, dass im record date die Voraussetzungen des § 6 SchVG gegeben waren, im Abstimmungstermin aber nicht mehr, kommt § 6 SchVG nicht zum Tragen. 5. Rechtsfolge des § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG Die Stimmrechte, bei denen der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG erfüllt ist, ruhen. 22 Demnach sind sie nicht endgültig beseitigt, sondern können nicht wahrgenommen werden. Sie werden nach § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG bei der Berechnung der Beschlussfähigkeit der 18 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 24. 19 Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (481); Backmann in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 9.

Thole 155

§ 6 SchVG Rz. 23 Stimmrecht Gläubigerversammlung nicht mitgezählt. Folgerichtig wird das Ruhen ohne Übergang beendet, wenn die Voraussetzungen im Zeitpunkt der Abstimmung nicht bzw. nicht mehr vorliegen. a) Ausübungsverbot (§ 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG) 23

§ 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG beschreibt als Rechtsfolge des Ruhens das damit verbundene Verbot der Überlassung zur Ausübung zu dem Zweck, das Stimmrecht anstelle des Schuldners bzw. verbundenen Unternehmens auszuüben. Diese Regelung dient einem Umgehungsschutz. Es geht nicht, jedenfalls nicht allein um die Gefahr einer Abstimmung im Sinne des Emittenten bzw. verbundenen Unternehmens20, sondern eher generell darum zu gewährleisten, dass ruhende Stimmrechte nicht ausgeübt werden können. Es ist als persönliches Verbot an den Stimmrechtsträger, d.h. den Schuldner oder das verbundene Unternehmen gerichtet. Es geht nur um die Ausübung des Stimmrechts, nicht um die Überlassung der Schuldverschreibung21. Entgegen dem Wortlaut ist die Überlassung des Stimmrechts gemeint22. Mit dieser Überlassung kann nur der Fall der Legitimationsübertragung gemeint sein, d.h. ein Fall entsprechend § 185 BGB, bei dem der Abstimmende im eigenen Namen das weiterhin fremde Stimmrecht ausübt. Eine solche Ausübungsüberlassung ist grundsätzlich zulässig, wie schon unter dem SchVG 189923. Demgegenüber ist die bloße Bevollmächtigung und Vertretung schon kein Problem der § 6 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SchVG, weil dann das Stimmrecht nicht an Stelle des Vertretenen ausgeübt wird, sondern der Vertretene selbst das Stimmrecht ausübt, wenn auch durch seinen Vertreter. Nicht erfasst von § 6 Abs. 1 Satz 3 und 4 SchVG ist schließlich der Fall der Übertragung der Schuldverschreibung und damit der Forderung selbst, denn dann entsteht ein eigenes Stimmrecht in der Person des neuen Gläubigers.

24

Ist also nur die Ausübungsermächtigung gemeint, so besagen § 6 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SchVG vor diesem Hintergrund eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn man stärker, als es im Schrifttum bisher geschieht, zwischen dem mit der Forderung verbundenen Stimmrecht einerseits und der Ausübung des Stimmrechts andererseits unterscheidet24. Ruht nämlich das Stimmrecht, kann eine bloße Übertragung der Ausübungsbefugnis naturgemäß an dem Ruhen des Stimmrechts nichts ändern, weil dieses Ruhen des Stimmrechts mit der Forderung, deren Rechtszuständigkeit unverändert bleibt, verbunden bleibt. Es ist ohne weiteres einleuchtend, dass der Ermächtigte das fremde Recht nicht in weitergehendem Umfang ausüben kann als der Rechtsinhaber selbst.

25

Seltsamerweise erfasst § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG nicht den Fall, dass die Ausübung jemanden vom demjenigen überlassen wird, der die Schuldverschreibungen für Rechnung des Schuldners oder eines verbundenen Unternehmens hält. Eine Auffassung im Schrifttum will es dabei belassen25. Das könnte zwar Sinn haben vor dem Hintergrund, dass eine Sanktionierung nach § 23 SchVG ausgeschlossen ist, da das strafrechtliche Analogieverbot und Bestimmtheitsgebot im Wege steht. Dennoch bleibt die Frage, ob der bezweckte Umgehungsschutz es nicht gebietet, die Regelung in § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG jedenfalls zivilrechtlich, d.h. für die Wirksamkeit der Stimmabgabe und für Zwecke des Zusammenspiels mit § 6 Abs. 1 Satz 4 SchVG, auch auf die Fälle des „Für Rechnung Haltens“ zu erstrecken. Das ist nach dem Vorgesagten eine notwendige Konsequenz, weil das ruhende Stimmrecht nicht wieder lebendig gemacht werden kann, solange die Voraussetzungen des Ruhens nicht weg-

20 21 22 23 24 25

Unklar Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 27. Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 21. Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 21. Ansmann, § 10 SchVG 1899 Anm. 11; Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 16. Vgl. Thole in FS Vallender, 2015, S. 679 (692 f.). Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 27 und 31.

156

Thole

Stimmrecht

Rz. 30 § 6 SchVG

gefallen sind, und das kann durch eine bloße Ermächtigung nicht geschehen. Das Stimmrecht ruht also weiterhin. Nach § 6 Abs. 1 Satz 4 SchVG darf niemand das Stimmrecht zu dem in § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG bezeichneten Zweck ausüben. Das Verbot ist damit auch an den Ermächtigten gerichtet und trifft nicht allein den Stimmrechtsträger. Es ist nach § 23 Abs. 1 Nr. 2 SchVG abgesichert.

26

Aus dem Vorgesagten folgt, dass die auf den ersten Blick als subjektive Merkmale anmuten- 27 den Voraussetzungen der Zwecksetzung („zu dem Zweck“) in § 6 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SchVG tatsächlich keine eigenständige Bedeutung haben, jedenfalls aber nicht als kognitive und voluntative Elemente zu verstehen sind. Die Überlassung zur Ausübung beinhaltet es vielmehr bereits wesensmäßig, dass der Ermächtigte das Stimmrecht an Stelle des Stimmrechtsträgers wahrnimmt. b) Nichtigkeit der Stimmabgabe Nicht eindeutig geht aus § 6 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SchVG hervor, wie eine entgegen dem Verbot abgegebene Stimme zu behandeln ist. Insoweit wird in Anlehnung an aktienrechtliche Stimmverbote angenommen, dass die Stimme nichtig ist und bei der Abstimmung nicht mitgezählt werden darf, da das Verbot als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB zu behandeln sei26. Tatsächlich sollte die Frage unabhängig von § 134 BGB beantwortet werden, weil diese Regelung nur für Rechtsgeschäfte gilt. Eindeutig ist, dass eine Beachtung des ruhenden Stimmrechts eine Verletzung des Gesetzes i.S.d. § 20 Abs. 1 SchVG darstellt. Ob die Beachtung darüber hinaus zur Nichtigkeit des Beschlusses führt, ist eine Wertungsfrage. Insoweit kann man sagen, dass der gesetzgeberische Versuch, Interessenkonflikte von der Abstimmung fernzuhalten, von so elementarer Bedeutung ist, dass bei Nichtbeachtung des Stimmenverbots die Nichtigkeit des Beschlusses begründet sein muss. Dies kann allerdings nur dann richtig sein, wenn die Mitwirkung des ruhenden Stimmrechts abstimmungsrelevant war, also das Ergebnis sonst anders ausgefallen wäre.

28

6. Bankenstimmrecht Eine dem § 135 AktG vergleichbare Regelung eines Banken/Depotstimmrechts kennt das SchVG nicht. Dennoch wird zum Teil angenommen, dass Banken analog § 135 AktG ein solches Recht ausüben können27. Richtigerweise bedarf es der Analogie nicht und sie wäre auch verfehlt, weil eine Regelungslücke kaum erkennbar ist. Ein in den 1930er Jahren vorgelegter Vorschlag wurde nicht umgesetzt28. Eine Stimmrechtsausübung durch die Kreditinstitute ist als Vollmachtslösung denkbar29 und dann an den allgemeinen Regeln für Interessenkonflikte (dazu noch unten Rz. 39) zu messen.

29

7. Stimmrecht bei Sicherheiten an der Schuldverschreibung Ist die Schuldverschreibung zur Sicherheit an einen Sicherungsnehmer übertragen worden, so ist die dingliche Rechtsstellung dem Sicherungsnehmer zugeordnet. Eine sich aus der Sicherungsabrede oder sonst aus internen Abreden zum Sicherungsgeber ergebende Stimm-

26 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 26. 27 Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 17. 28 Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 167 f. 29 So auch Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 18.

Thole 157

30

§ 6 SchVG Rz. 31 Stimmrecht bindung bleibt im Außenverhältnis für Zwecke der Gläubigerversammlung außer Betracht (dazu unten Rz. 34). 31

Ist die Schuldverschreibung verpfändet oder Gegenstand einer Pfändung geworden, so wird im Schrifttum meist unreflektiert davon ausgegangen, dass der Eigentümer weiterhin Eigentümer der Schuldverschreibung und folglich des Stimmrechts bleibe; die Zustimmung des Pfandgläubigers sei nur nach § 1276 BGB einzuholen, wenn der Eigentümer und Schuldverschreibungsgläubiger die gepfändete Schuldverschreibung durch seine Stimmabgaben aufhebt oder (dinglich) ändert; ein Verstoß führe aber – wie auch sonst bei § 1276 BGB – nur zur relativen Unwirksamkeit30. Tatsächlich ist die Prämisse, dass der Eigentümer und Schuldverschreibungsgläubiger weiterhin zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt ist, wackelig. Er ist zwar weiterhin Inhaber des Stimmrechts, aber die hier zu lösende Frage ist jene nach der (davon zu trennenden, siehe oben Rz. 23) Ausübung des Stimmrechts. Einen aktienrechtlichen Grundsatz „kein Stimmrecht ohne Aktie“ kennt das SchVG nicht. Dieser Grundsatz ist mitgliedschaftsrechtlich begründet, was für das SchVG nicht gelten kann. Im Übrigen ist auch zu bezweifeln, ob § 1276 BGB direkt eingreifen kann, da die Stimmabgabe gerade kein von dieser Vorschrift verlangtes Rechtsgeschäft darstellt.

32

Daher dürfte es näher liegen, §§ 1293, 1273, 1258 BGB anzuwenden und die Situation einer Bruchteilsgemeinschaft gleichzustellen mit der Folge, dass der Pfandgläubiger die Stimmrechte in Verwaltungsangelegenheiten ausüben darf31. So hatte es die Reichstagskommission gesehen32, insoweit aber offenbar weiter danach unterschieden, ob der jeweilige Beschluss ein Beschluss i.S.d. § 11 SchVG 1899, d.h. vergleichbar § 5 SchVG ist, der das Recht (dinglich) beeinträchtigt. Insofern sei § 1276 BGB anwendbar, der Gläubiger selbst übe das Stimmrecht aus und sei auf die Zustimmung des Pfandgläubigers angewiesen.

33

Diese Differenzierung ist schon deshalb fragwürdig, weil sie vor praktische Probleme stellt. Fraglich ist allerdings in der Tat, ob ein Stimmrecht des Pfandgläubigers mit dem Gedanken des § 1273 Abs. 2 i.V.m. § 1213 Abs. 2 BGB vereinbar ist, denn Pfandrechte an Rechte sind grundsätzlich keine Nutzungspfandrechte. Daher wäre es seltsam, wenn der Pfandgläubiger über, beispielsweise, die aus der Schuldverschreibung resultierenden Zinsforderungen mitstimmen dürfte, obwohl er gerade kein Recht auf Auskehr der Zinsen hat. Der Pfandgläubiger hat insofern nur das Recht, sich aus dem Pfand zu befriedigen, indem er das Verfahren nach § 1277 BGB einleitet und die Zwangsversteigerung der Schuldverschreibung einleitet.

34

Insgesamt empfiehlt sich daher folgende Lösung: Im Fall einer Verpfändung allein der Schuldverschreibung bleibt der Gläubiger Inhaber des Stimmrechts und zugleich allein zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt. Insofern bestehen auch keine internen Bindungen bei der Stimmabgabe; der Pfandgläubiger kann jederzeit das Verwertungsverfahren einleiten und er kann das Pfandrecht wirtschaftlich eben nur so verwerten, wie es besteht, d.h. mit der Bindung an etwaige Mehrheitsbeschlüsse33. Anders ist es, wenn kraft vertraglicher Abrede auch das Stimmrecht, also das Verwaltungsrecht, mitverpfändet wurde. Das ist möglich. Der Pfandgläubiger darf dann das Ausübungsrecht wahrnehmen. Insofern hat er regelmäßig eine interne Pflicht aus der Sicherungsabrede gegenüber seinem Schuldner, d.h. dem Schuldverschreibungsgläubiger, auf dessen Belange Rücksicht zu nehmen.

35

Eine entsprechende Lösung gilt auch für die Pfändung im Wege der Zwangsvollstreckung. Eine Pfändung der Schuldverschreibung begründet für sich genommen nur das Einzie-

30 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 13. 31 Göppert/Trendelenburg, § 1 II a S. 31. 32 Bericht der X. Reichstagskommission, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 10. Legislaturperiode, I. Session 1898-1900, Anlagenband 3, Aktenstück 362, S. 2352 f. 33 So wohl auch Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 9.

158

Thole

Stimmrecht

Rz. 39 § 6 SchVG

hungsrecht (§§ 835, 836 ZPO), nicht aber das Stimmrecht. Es kann aber das Stimmrecht mitgepfändet werden. Eine andere Konstellation ist jene des § 10 Abs. 4 Satz 2 SchVG 1899. Hat der Emittent ein 36 Pfandrecht oder Zurückbehaltungsrecht an Schuldverschreibungen von Gläubigern erlangt, ändert dies nichts daran, dass der Gläubiger sein Stimmrecht ausüben kann, weil er die Hinterlegung der Papiere verlangen konnte. Obwohl diese Vorschrift nicht in das SchVG 2009 überführt wurde, dürfte sie weiterhin beachtlich sein in dem Sinne, dass in solchen Fällen das Stimmrecht unangetastet bleibt34. Beim Nießbrauch war die Frage unter dem SchVG 1899 umstritten35. Teils wurde das Stimmrecht dem Gläubiger zugewiesen, teils analog § 1066 BGB dem Nießbraucher. Soweit sich Stellungnahmen zum SchVG 2009 finden, wird auf §§ 1083, 1071 BGB hingewiesen und angenommen, dass das Stimmrecht dem Grunde nach dem Gläubiger zustehe, aber dessen Ausübung an die Zustimmung des Nießbrauchers gebunden sei36, was freilich nur relative Wirkungen habe und nicht zur absoluten Unwirksamkeit der Stimmabgabe führe. Richtigerweise könnte § 1071 BGB ohnehin nur auf die Zustimmung zu der Stimmabgabe zu einem Beschluss und nicht auf den Beschluss selbst angewendet werden. Auch im Übrigen spricht mehr dafür, § 1071 BGB nicht auf die Stimmabgabe anzuwenden, weil diese dem ändernden Rechtsgeschäft vorgelagert ist. Man muss wohl eine Differenzierung einziehen, wie sie das BGB kennt. Bei verzinslichen Forderungen gilt nicht das alleinige Einziehungsrecht des § 1074 BGB, sondern es besteht eine Gemeinschaft zwischen Nießbraucher und Gläubiger nach §§ 1076 bis 1079 BGB, mit der Folge, dass sie gemeinschaftlich das Stimmrecht ausüben (das natürlich in seinem Gewicht nicht verdoppelt wird). Allerdings kann nach § 1077 Abs. 1 Satz 2 BGB auch jeder selbständig für beide auftreten. Daraus folgt, dass es für die Wirksamkeit der Stimmabgabe unerheblich ist, ob die Zustimmung des jeweils anderen vorliegt. Dies betrifft nur das Innenverhältnis. Beteiligen sich jedoch beide an der Abstimmung und stimmen sie gegensätzlich, muss dies allerdings als Stimmenthaltung gewertet werden. Entsprechendes gilt im Übrigen im Parallelfall des § 244 Abs. 2 Satz 2 InsO für das Insolvenzplanverfahren.

37

8. Garantien und Sicherheiten (Fall des § 22 SchVG) Im Fall des § 22 SchVG gilt § 6 SchVG auch für mitverpflichtete Unternehmen. Soweit sich Änderungsbeschlüsse der Gläubiger auf die danach erfassten Sicherungsgeschäfte erstrecken, ist das Stimmverbot auch ausgelöst, wenn die Mitverpflichteten oder mit ihnen verbundene Unternehmen Schuldverschreibungen halten37.

38

IV. Sonstige einzelfallbezogene Stimmverbote In § 6 SchVG nicht geregelt wird, ob es über das genannte Stimmverbot hinaus einzelfallbezogen wegen der Gefahr von Interessenkonflikten ein Stimmverbot geben kann. Im Verbandsrecht ist Entsprechendes (partiell) geregelt (vgl. § 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG; § 136 Abs. 1, § 142 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG sowie ferner § 25 Abs. 5 WEG). Auch im Insolvenzverfahren wird angenommen, das Stimmrecht sei bei einem schwerwiegenden Interessenkonflikt in Gesamtanalogie zum Verbands- und zum Wohnungseigentumsrecht (§ 34 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 25 Abs. 5 WEG, § 43 Abs. 6 GenG; § 136 Abs. 1, § 142 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG) ausgeschlossen, und zwar insbesondere dann, wenn entweder ein In34 35 36 37

Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 8. Dazu Ansmann, § 10 SchVG 1899 Anm. 16. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 12. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 25.

Thole 159

39

§ 6 SchVG Rz. 40 Stimmrecht sichgeschäft vorliege oder ein Richten in eigener Sache38. In der Literatur zum Insolvenzrecht ist ganz überwiegend anerkannt, dass das Insolvenzgericht einen Gläubiger für die jeweilige Beschlussfassung (nicht zwingend für die gesamte Versammlung!) ausschließen darf, wenn schwerwiegende Interessenkollisionen zu befürchten sind39. Genannt werden insbesondere zwei Fallgruppen, das Insichgeschäft bei betroffenen eigenen Rechtsgeschäften oder Rechtsstreitigkeiten und das Verbot des Richtens in eigener Sache40. 40

Das Reichsgericht hat unter dem SchVG 1899 allerdings eine über die gesetzliche Anordnung hinausgehende Stimmrechtsbeschränkung abgelehnt und insbesondere auch eine Heranziehung der aktienrechtlichen Vorgaben verneint41.

41

Dennoch lassen sich hierin durchaus allgemeine Wertungen erkennen, wie etwa § 181 BGB, der zwar nur Rechtsgeschäfte erfasst42, aber dennoch auf die Beschlüsse, die zu solchen Rechtsgeschäften führen, erstreckt werden könnte. Daher ist – wie im Insolvenzverfahren, das wegen § 19 Abs. 1 SchVG Bezugspunkte zum hiesigen Verfahren aufweist – ein allgemeines Stimmverbot nicht von vornherein abzulehnen43. Allerdings müssen seine Voraussetzungen streng gehandhabt werden. Allgemeine, eher abstrakte Gefahren von Interessenkollisionen genügen nicht, um ein Stimmverbot auszulösen, weil sonst jeder Gläubiger betroffen wäre. Auch die Doppelstellung als Schuldverschreibungsgläubiger und sonstiger Gläubiger oder als Gesellschafter (hier außerhalb § 6 Abs. 1 SchVG) schadet für sich genommen noch nicht. Ein Insichgeschäft (und in der Auffangfunktion44 das Richten in eigener Sache) ist zu bejahen, wenn der Beschluss der Willensbildung zu einem Drittgeschäft mit dem Stimmrechtsträger dient, nicht aber schon dann, wenn es um die Wahrnehmung verfahrensrechtlicher Teilhaberechte geht und der jeweilige Gläubiger nur als Teil der Gruppe betroffen ist. Bei den typischen Restrukturierungsbeschlüssen dürften die Voraussetzungen kaum vorliegen, weil diese Maßnahmen keine Rechtsgeschäfte mit einer Gegenseite betreffen, sondern stets nur die allein im Verhältnis zum Emittenten beachtlichen Anleihebedingungen (anders ggf. bei der Schuldnerersetzung oder dem Austausch von Sicherheiten).

V. „Stimmenkauf“ und Vorteilsannahme (§ 6 Abs. 2 und 3 SchVG) 42

§ 6 Abs. 2 und 3 SchVG enthalten dem § 405 Abs. 3 Nr. 6 und 7 AktG nachempfundene Verbotsnormen. Sie statuieren ein Verbot des „Stimmenkaufs“ und der Vorteilsannahme. § 6 Abs. 2 SchVG adressiert den „Bestechenden“, § 6 Abs. 3 SchVG den Bestochenen, d.h. den stimmberechtigten Empfänger der Leistung. Die Regelungen verbieten es, dass einer stimmberechtigten Person bei der Abstimmung dafür, dass sie in einer bestimmten Sinne abstimme, einen Vorteil als Gegenleistung anzubieten, zu versprechen oder zu gewähren und umgekehrt einen solchen Vorteil zu fordern, sich versprechen zu lassen oder anzunehmen.

38 AG Itzehoe v. 22.7.2014 – 28 IE 1/14, ZIP 2014, 1545 (1546). 39 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote im neuen Insolvenzverfahren, 1999, S. 104 ff.; Pape, ZIP 1991, 837 (845) (der mit Recht darauf hinweist, dass es hier gar nicht um eine echte Stimmrechtsfestsetzung geht); Bernsen/Bernsen in FS Görg, 2010, 27 (34 ff.); Frind, ZInsO 2011, 1728 (1727); Knof in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 77 InsO Rz. 10; Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 77 InsO Rz. 35; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, 44. Lfg. 5/11, § 77 InsO Rz. 21a. 40 Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote im neuen Insolvenzverfahren, 1999, S. 105 ff. Zum Ganzen Thole in FS Vallender, S. 679 ff. 41 RG v. 30.4.1901 – VII 75/01, RGZ 148, 3 (14 ff.); RG v. 6.11.1936 – II 69/36, RGZ 153, 52 (54 ff.). 42 Dies nicht hinreichend würdigend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 32. 43 So auch Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 24. 44 Thole in FS Vallender, 2015, S. 679 (691).

160

Thole

Stimmrecht

Rz. 45 § 6 SchVG

Die Normen sind die über § 23 Abs. 1 SchVG sanktionsbewehrt. Außerdem ist das Rechtsgeschäft zwischen den beteiligten Personen nach § 134 BGB nichtig45; es greift für den Bereicherungsausgleich ggf. die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB.

43

Ungeklärt ist noch, wann von einem Vorteil in diesem Sinne auszugehen ist. Der allgemeine Vorteil, der aus dem Beschluss selbst erzielt wird, genügt nicht. Auch Wandlungsincentives bei einem Debt-Equity-Swap begünstigen nicht gleichheitswidrig46. Nicht entschieden und in einer Entscheidung vom BGH vom 18.7.2014 ausdrücklich offengelassen ist damit die zunehmend diskutierte Frage, ob die Gewährung finanzieller Anreize für die dem Beschluss zustimmenden Gläubiger einen Stimmenkauf i.S.d. § 6 Abs. 2 und 3 SchVG darstellt47. Das ist jedenfalls für solchen Prämien anzunehmen, die den Gläubigern, die für den Beschlussvorschlag des Emittenten stimmen, gezielt einen Vorteil versprechen, während die anderen Anleihegläubiger leer ausgehen48. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, mit dem Beschluss werde die Änderung der Anleihebedingungen einheitlich beschlossen49; Stimmenkauf und Gleichbehandlung sind insofern trotz allfälliger Abgrenzungsschwierigkeiten richtigerweise zu unterscheiden. § 6 Abs. 2 und 3 SchVG meint nur den Vorteil, der unmittelbar die Stimmabgabe selbst betrifft, nicht aber den Vorteil, den ein Gläubiger daraus erzielt, dass dann die Anleihebedingungen geändert sind und der sich also erst daraus ergibt, dass insgesamt mit der erforderlichen Mehrheit abgestimmt worden ist. Sicherlich mag beides ineinander übergehen50. Dennoch sollte die Einheitlichkeit der Anleihebedingungen als solche die alleinige Domäne des Gleichbehandlungsgebots bleiben. Anders formuliert: Stimmenkauf kann nur die Bestechung mit außerhalb der Anleihebedingungen und des Beschlusses selbst liegenden Anreizen und Vorteilen sein. Wenn das aber so ist, kann man einen Stimmenkauf nicht deshalb verneinen, weil die beschlossene Änderung ja einheitlich wirke51.

44

VI. Insolvenzverfahren Im Insolvenzverfahren wäre bei der Wahl des gemeinsamen Vertreters nach § 19 Abs. 2 SchVG wegen des Vorrangs der insolvenzrechtlichen Regelungen eigentlich § 76 Abs. 2 InsO i.V.m. § 77 Abs. 1 InsO für das Stimmgewicht anzuwenden. Danach richtet sich die Stimmmacht nach den „Forderungsbeträgen“, d.h. den angemeldeten Forderungen samt Nebenforderungen. Ebendiese Anmeldung soll aber i.d.R. erst der gemeinsame Vertreter vornehmen. Daher erscheint es sachgerecht, wenn für die Berechnung auch in einem solchen Fall § 6 SchVG gilt, unabhängig von der grundsätzlichen Frage, inwieweit bei § 19 Abs. 2 SchVG noch die Einberufungsregeln des SchVG greifen (nämlich richtigerweise entgegen dem Wortlaut des § 19 Abs. 2 SchVG nicht).

45 46 47 48 49 50 51

Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 6 SchVG Rz. 34. Thole, ZIP 2014, 2365 (2367 f.), auch zum Folgenden. BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 25, ZIP 2014, 1876, 1879 = AG 2014, 784. Thole, ZIP 2014, 2365 (2367 f.). Schnorbus/Ganzer, WM 2014, 155 (158). Thole, ZIP 2014, 2365 (2367). Thole, ZIP 2014, 2365 (2367).

Thole 161

45

§ 7 SchVG Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

§7 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger (1) 1Zum gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger kann jede geschäftsfähige Person oder eine sachkundige juristische Person bestellt werden. 2Eine Person, welche 1. Mitglied des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs, Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens ist, 2. am Stamm- oder Grundkapital des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens mit mindestens 20 Prozent beteiligt ist, 3. Finanzgläubiger des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens mit einer Forderung in Höhe von mindestens 20 Prozent der ausstehenden Anleihe oder Organmitglied, Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter dieses Finanzgläubigers ist oder 4. auf Grund einer besonderen persönlichen Beziehung zu den in den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Personen unter deren bestimmendem Einfluss steht, muss den Gläubigern vor ihrer Bestellung zum gemeinsamen Vertreter die maßgeblichen Umstände offenlegen. 3Der gemeinsame Vertreter hat die Gläubiger unverzüglich in geeigneter Form darüber zu unterrichten, wenn in seiner Person solche Umstände nach der Bestellung eintreten. (2) 1Der gemeinsame Vertreter hat die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm durch Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt wurden. 2Er hat die Weisungen der Gläubiger zu befolgen. 3Soweit er zur Geltendmachung von Rechten der Gläubiger ermächtigt ist, sind die einzelnen Gläubiger zur selbständigen Geltendmachung dieser Rechte nicht befugt, es sei denn, der Mehrheitsbeschluss sieht dies ausdrücklich vor. 4Über seine Tätigkeit hat der gemeinsame Vertreter den Gläubigern zu berichten. (3) 1Der gemeinsame Vertreter haftet den Gläubigern als Gesamtgläubigern für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben; bei seiner Tätigkeit hat er die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. 2Die Haftung des gemeinsamen Vertreters kann durch Beschluss der Gläubiger beschränkt werden. 3Über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gläubiger gegen den gemeinsamen Vertreter entscheiden die Gläubiger. (4) Der gemeinsame Vertreter kann von den Gläubigern jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen werden. (5) Der gemeinsame Vertreter der Gläubiger kann vom Schuldner verlangen, alle Auskünfte zu erteilen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. (6) Die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger entstehenden Kosten und Aufwendungen, einschließlich einer angemessenen Vergütung des gemeinsamen Vertreters, trägt der Schuldner. I. Normzweck und Systematik . . . . . . . . 1 II. Anforderungen an den gemeinsamen Vertreter (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG) . . 4 III. Pflicht zur Offenlegung und Unterrichtung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1. Organmitgliedschaft und Mitarbeiterstellung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchVG) 10

162

Thole

2. Kapitalbeteiligung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellung als Finanzgläubiger (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SchVG). . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abhängigkeitsbeziehung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SchVG). . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 12 13 14

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger 6. Unterrichtungspflicht bei nachträglich eintretenden Umständen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Akt der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . V. Das zugrunde liegende Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mehrere Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Aufgaben und Befugnisse (§ 7 Abs. 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Prozessführung des gemeinsamen Vertreters. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erweiterung und Beschränkung . . . . . . 3. Weisungsrecht (§ 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verdrängendes Mandat (§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Delegation durch den gemeinsamen Vertreter; Einsatz von Hilfspersonen . .

15 17 22 32 33 35 38 40 41 42

Rz. 1 § 7 SchVG

6. Berichtspflicht (§ 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Haftung (§ 7 Abs. 3 SchVG) 1. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . 2. Haftungsbegrenzung (§ 7 Abs. 3 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zu ersetzender Schaden . . . . . . . . . . . . 4. Geltendmachung des Anspruchs. . . . . . IX. Abberufung des gemeinsamen Vertreters (§ 7 Abs. 4 SchVG) . . . . . . . X. Auskunftsanspruch (§ 7 Abs. 5 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Vergütung (§ 7 Abs. 6 SchVG). . . . . . . 1. Fehlende Bindungswirkung von Gläubigerbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufwendungen und Kosten. . . . . . . . . . 3. Angemessenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

43 45 51 53 55 59 63 64 65 68 69 77

I. Normzweck und Systematik § 7 SchVG regelt im Zusammenspiel mit § 8 SchVG die zentralen Vorgaben für das Amt des gemeinsamen Vertreters der Gläubiger. Der gemeinsame Vertreter kann entweder als sog. Wahlvertreter (§ 7 SchVG) oder als Vertragsvertreter (§ 8 SchVG) bestellt werden. Das Gesetz führt damit die bisher in § 14 ff. SchVG 1899 enthaltenen Regelungen fort und erweitert sie insbesondere im Hinblick auf den Vertragsvertreter (dazu ausführlich bei § 8 SchVG Rz. 1). Die Funktion des gemeinsamen Vertreters ist eine mehrfache. Er ist einerseits Sprachrohr der Gläubiger, so dass er die Kommunikation zwischen Emittenten und Gläubigern kanalisiert, wie sich auch an § 7 Abs. 5 SchVG zeigt, der den gemeinsamen Vertreter mit Auskunftsansprüchen ausstattet. Diese Kommunikation kann im Interesse beider Seiten sein, weil auch dem Emittenten ein Ansprechpartner und zugleich Verhandlungspartner insbesondere im Restrukturierungsszenario zur Verfügung steht. Außerdem wird dem gemeinsamen Vertreter eine Kontroll- und Überwachungsfunktion zugeschrieben1. Das ist freilich nur in einem pauschalen Sinne richtig, weil der Gläubigervertreter keine genuinen Befugnisse hat, in das Managementverhalten hineinzuregieren und Fehlentwicklungen und geschäftliche Entscheidungen zu überprüfen. Jedenfalls fehlt ihm insoweit schon rein praktisch die notwendige Handhabe, da er seinerseits auf Informationen durch den Emittenten angewiesen ist und folglich allfällige Probleme der Informationsasymmetrie auftreten, die eine effektive Kontrolle erschweren. Wichtiger ist im Ergebnis die institutionelle Bedeutung des gemeinsamen Vertreters. Er löst das Kollektivhandlungsproblem, das naturgemäß auftreten muss, wenn Gläubiger unterschiedlicher Interessen konkurrieren und ihre Willensbildung dem Emittenten gegenüber organisiert und kommuniziert werden muss. Das Fehlen einer Koordinationsfigur2 könnte Reibungsverluste erzeugen und im Ergebnis dazu führen, dass Strategien verfolgt werden, die sich letztlich für alle Gläubiger nachteiliger auswirken. Insoweit steht § 7 SchVG auch im Zusammenhang mit dem Mehrheitsprinzip als solchem, weil § 5 Abs. 1 SchVG überhaupt erst die Möglichkeit eröffnet, Mehrheitsbeschlüsse zu fassen und einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen. 1 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 2; a.A. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 6. 2 Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315 (326) spricht vom Koordinationszentrum.

Thole 163

1

§ 7 SchVG Rz. 2 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger 2

Der gemeinsame Vertreter ist weder organschaftlicher Vertreter noch gesetzlicher Vertreter der Gläubiger, sondern ein rechtsgeschäftlicher Vertreter3, dessen Vertretungsmacht freilich gesetzlich überlagert ist. Ein Organ ist der gemeinsame Vertreter schon deshalb nicht, weil der Gläubigerverband keine eigenständige Rechtsnatur hat4. Es finden folglich dort, wo der gemeinsame Vertreter Rechtsgeschäfte vornimmt oder seine Zustimmung dazu gegenüber dem Emittenten abgibt, die Regeln der § 164 ff. BGB im Ausgangspunkt Anwendung. Allerdings ist sein Handeln nicht auf Willenserklärungen beschränkt; zudem sind die Stellvertretungsregeln gesetzlich durch das SchVG überlagert. Der gemeinsame Vertreter ist nicht im eigentlichen Sinne „Vertreter des Wertpapiers“ oder „Vertreter der Globalurkunde“. Die gemeinsame Vertretung ändert nichts daran, dass sich aus der Gesamtemission individuelle Forderungen der Anleihegläubiger gegen den Emittenten ergeben. Folglich können naturgemäß – auch bei börsennotierten Anleihen trotz der Schwierigkeiten einer Zuordnung – individuelle Einwendungen im Verhältnis zwischen Anleihegläubiger und Emittenten bestehen, an die auch der gemeinsame Vertreter gebunden ist.

3

Klagt der gemeinsame Vertreter für die Gesamtheit der Gläubiger, so ist er nicht Partei kraft Amtes5, sondern Vertreter der einzelnen Gläubiger. Das war in § 14 Abs. 4 Satz 1 SchVG 1899 ausdrücklich vorgesehen6 und es gibt keinen Grund, von diesem Verständnis für das SchVG 2009 abzuweichen. Zu den damit verbundenen prozessualen Konsequenzen unten Rz. 35 ff. Die Systematik des § 7 SchVG zeigt, dass dessen Abs. 1 die Anforderungen an die Person des gemeinsamen Vertreters regelt, § 7 Abs. 2 SchVG die Aufgaben und Befugnisse ebenso wie § 7 Abs. 5 SchVG, der einen originären Anspruch des Vertreters gegenüber dem Emittenten begründet. § 7 Abs. 3 SchVG regelt die Haftung, § 7 Abs. 4 SchVG die Beendigung des Amts, und § 7 Abs. 6 SchVG die Kostentragung7.

II. Anforderungen an den gemeinsamen Vertreter (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG) 4

§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG gibt vor, dass zum gemeinsamen Vertreter jede geschäftsfähige Person oder eine sachkundige juristische Person gewählt werden. Zum Wahlvertreter § 8 SchVG. Es ist bei der Bestellung deutlich zu machen, wer gemeinsamer Vertreter ist, etwa eine GmbH oder ihr Geschäftsführer als solcher, denn davon hängen die Vergütung und auch die Haftung ab. Wird der Geschäftsführer als solcher zum gemeinsamen Vertreter gewählt, ist er selbst einstandspflichtig, zugleich aber auch berechtigt, die Vergütung zu verlangen (so dass es beispielsweise auf seine persönliche Umsatzsteuerpflicht ankommt). Stirbt die natürliche Person, tritt der Sozius seiner Kanzlei nicht an seine Stelle; demgegenüber wäre es unschädlich, wenn der Geschäftsführer der bestellten GmbH wegfällt, solange dann noch bei der GmbH die Sachkunde anderweitig gegeben ist.

5

Zu den juristischen Personen gehören nicht die Personengesellschaften oder Partnerschaftsgesellschaften oder Gesellschaften bürgerlichen Rechts. Insoweit ist jedoch wegen der (Teil-)Rechtsfähigkeit kein Grund erkennbar, warum diese Gesellschaften nicht auch analog zu den juristischen Personen behandelt werden können. Sie können auch nach allgemeinen

3 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 26; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19 f.; a.A. Ansmann, § 14 Anm. 8; wohl auch Göppert/Trendelenburg, § 13 SchVG 1899 a.E., S. 85. 4 Anders Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 26, der auf das Prinzip der Selbstorganschaft abstellt. 5 Richtig: OLG Dresden v. 22.4.2016 – 13 W 69/16, ZIP 2016, 939, 6 Vgl. Ansmann, § 14 Anm. 9. 7 Vgl. die rechtsvergleichenden Hinweis zum trustee bei Schmolke, ZBB 2009, 8 (10).

164

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 8 § 7 SchVG

bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen Vertreter sein und auch nach dem SchVG 1899 konnten sie bereits bestellt werden8. Dahinter wollte der Gesetzgeber wohl nicht zurückfallen. Das Erfordernis der Sachkunde muss im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorliegen. Es gilt 6 nur für die juristischen Personen, nicht aber für natürliche Personen9, so dass im Falle einer Anfechtung des Bestellungsbeschlusses vom Gericht nur im ersten Fall überprüft werden kann, ob eine hinreichende Sachkunde besteht. Das mag man bedauern10, dürfte aber auch keinen maßgeblichen Unterschied machen, weil selbst dann, wenn das Gericht unter den Begriff der Sachkunde auch bei natürlichen Personen subsumieren könnte, das Gericht einen Spielraum der Gläubiger anerkennen müsste und allenfalls prüfen dürfte, ob ein Mindestmaß an Sackkunde gewährleistet ist. Das Gericht darf kein „second guessing“ der Bestellung vornehmen. Entscheidend für die Sachkunde sind nicht die Anforderungen des § 3 SchVG11, sondern allein, dass die juristische Person mit ihren organschaftlichen Vertretern und Mitarbeitern in der Lage ist, alle im Rahmen der Vertretung anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe zu verstehen und sachgerecht beurteilen zu können12. Es werden daher einerseits Kenntnisse rechtlicher Natur erforderlich sein, zugleich aber auch tatsächliche Anforderungen andererseits, nach denen ein Mindestmaß an Organisation dergestalt vorhanden sein muss, dass eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung sichergestellt ist. Bei einem Emittenten mit 10 000 Anleihegläubigern kann eine Ein-Mann-GmbH ohne Personal und „back office“ kaum sinnvoll die sich stellenden Aufgaben übernehmen. Die bei natürlichen Personen verlangte Geschäftsfähigkeit richtet sich nach §§ 104 f. BGB. Fallen die Voraussetzungen nachträglich weg, so bleibt der Vertreter grundsätzlich im Amt13. Er kann – wie auch sonst – jederzeit abberufen werden (§ 7 Abs. 4 SchVG). Allerdings kann arg. e. § 165 BGB und nach allgemeinen Regeln des BGB für die Stellvertretung eine dauernde Geschäftsunfähigkeit zum Erlöschen der Vertretungsmacht führen14, nicht aber des Geschäftsbesorgungsvertrags, dessen Ausführung freilich dem Beauftragten dann unmöglich wird15. Eine Informationspflicht des geschäftsunfähig gewordenen Vertreters über ebendiesen Umstand gibt es nicht16, wohl aber eine analog § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG zu begründende Nebenpflicht des gemeinsamer Vertreters, wenn es eine juristische Person ist, über die bei ihr weggefallene Sachkunde zu informieren.

7

III. Pflicht zur Offenlegung und Unterrichtung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG) Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG hat der zur Wahl stehende gemeinsame Vertreter über die in § 7 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 bis 4 SchVG genannten Fälle von Interessenkonflikten zu informieren. Verletzt er diese Pflicht, begeht er nach § 23 SchVG eine Ordnungswidrigkeit. Der Katalog der Umstände ist abschließend, weil der Gesetzgeber insoweit eine Wertung 8 Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 191 f.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 11. 9 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 14; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 6 f. 10 Kritisch Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 7. 11 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 10; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 6. 12 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293 (295 f.) = AG 1983, 133; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 10; Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 11. 13 Differenzierend aber Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 9. 14 Staudinger/Schilken, Neub. 2014, § 168 BGB Rz. 21. 15 Anders Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 9. 16 A.A. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 12.

Thole 165

8

§ 7 SchVG Rz. 9 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger vorgenommen hat, in welchen Situationen er unwiderleglich einen Interessenkonflikt vermutet. Weitergehende Anforderungen an die Person des Vertreters stellt das Gesetz nicht, anders noch als § 14a SchVG 1899. Das ist folgerichtig, weil auch das Vertretungsrecht weitergehende Inkompatibilitätsregeln nicht kennt. Das Informationsmodell tritt an diese Stelle. Es hat wie jedes Informationsmodell seine Schwächen, insbesondere weil es bei entsprechender Verteilung des Stimmgewichts der Gläubiger nicht verhindern kann, dass gemeinsame Vertreter bestellt werden, die möglicherweise zu schuldnernah agieren. Dies kann sogar der Schuldner selbst sein17, was – obwohl dies nicht wünschenswert ist – in rechtlicher Hinsicht konsequent ist, wenn es nicht primär um Überwachung des Schuldners geht18 (Rz. 1). Mit dem Informationsmodell wird erneut betont, dass letztlich die Gläubiger in ihrer Gesamtheit dafür verantwortlich sind, ob und wie sie ihre Vertretung organisieren wollen. 9

Die Offenlegungspflicht gegenüber den Gläubigern tritt „vor der Bestellung“ ein. Mit Bestellung ist die Beschlussfassung der Gläubigerversammlung gemeint, nicht die Annahme durch den Vertreter (dazu, ob überhaupt erforderlich, noch unten Rz. 17). 1. Organmitgliedschaft und Mitarbeiterstellung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchVG)

10

Eine Offenlegungspflicht besteht, wenn der gemeinsame Vertreter Mitglied des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs, Angestellter oder sonstiger Mitarbeiter des Schuldners oder eines mit diesem verbundenen Unternehmens ist. Der Begriff des verbundenen Unternehmens ist nicht auf solche des § 15 AktG beschränkt19, sondern kann § 271 HGB entlehnt werden (arg. e. § 6 Abs. 1 SchVG), was aber kaum einen Unterschied machen dürfte. Auch selbständige Handelsvertreter und freie Mitarbeiter sind erfasst20, nicht aber rein wissenschaftlich in einem Beirat beratende Personen ohne kontrollierenden Einfluss21. Fraglich ist, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchVG auch dann greift, wenn das Organmitglied bzw. der Mitarbeiter des Schuldners auch Mitarbeiter oder Gesellschafter der juristischen Person ist, die als gemeinsamer Vertreter gewählt werden soll, also das Organmitglied – anders als in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchVG vorausgesetzt – nicht selbst gemeinsamer Vertreter werden soll. Der genannte Fall ist indessen nicht unter § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchVG zu subsumieren, wenn man die Ausgangsprämisse ernst nimmt, dass die genannten Fälle abschließend geregelt sind. Anders dürfte es bei Personengesellschaften sein, die letztlich trotz ihrer Teilrechtsfähigkeit einen Zusammenschluss natürlicher Personen darstellen und bei denen folglich die natürliche Person stärkeres Gewicht hat. Ist die Organstellung beendet, so greift § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchVG richtigerweise nicht. 2. Kapitalbeteiligung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SchVG)

11

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SchVG betrifft Kapitalbeteiligungen am Stamm- oder Grundkapital des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens mit mindestens 20 %. Maßgeblich ist nicht das Stimmrecht, sondern allein die nominelle Beteiligung. Beteiligungen an mit dem Schuldner verbundenen Unternehmen genügen ebenfalls. Nicht ausreichend ist eine Beteiligung am Schuldner unterhalb der 20 %-Schwelle am Schuldner und eine weitere 17 Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010, S. 212 f.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 14. 18 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 20. 19 A.A. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 16; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 11. 20 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 20; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 11. 21 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 16; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 11.

166

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 14 § 7 SchVG

Beteiligung unterhalb der Schwelle am verbundenen Unternehmen, selbst wenn kumuliert mehr als 20 % gehalten werden. Es genügt auch nicht, dass ein mit dem gemeinsamen Vertreter verbundenes Unternehmen zusätzliche Anteile hält, so dass sie zusammen mit denen vom Vertreter gehaltenen Anteilen die Schwelle erreichen. 3. Stellung als Finanzgläubiger (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SchVG) In Erweiterung zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SchVG genügt auch die Stellung als Fremdkapitalgeber in der Form eines Finanzgläubigers gegenüber dem Schuldner und dem verbundenen Unternehmen i.H.v. mindestens 20 % der ausstehenden Anleihe. Die Regel des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SchVG ist missverständlich formuliert. Der Vertreter muss Finanzgläubiger sein, nicht aber gerade Gläubiger der betreffenden Anleihe. Sonst hätte die Einbeziehung des verbundenen Unternehmens auch keinen Sinn, weil die Anleiheforderung nur den Emittenten bindet. Nach gängigem Verständnis sind Finanzgläubiger insbesondere Darlehensgläubiger, allerdings nicht etwaige Warenlieferanten etc. bzw. solche, die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen haben, selbst wenn die Zahlungen kreditiert werden. Die überwiegende Auffassung will allerdings § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SchVG auf jeden Fremdkapitalgeber anwenden22. Die 20 %-Schwelle gilt auch für Organmitglieder, Angestellte und Mitarbeiter des jeweiligen Gläubigers.

12

4. Abhängigkeitsbeziehung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SchVG) § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SchVG will die Vorschriften der § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SchVG 13 gegen Umgehungen schützen und die rein formale Betrachtung partiell überwinden, indem auch solche Vertreter offenlegungspflichtig sind, die unter dem bestimmenden Einfluss der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 bis 3 SchVG genannten Personen stehen. Die Regel betrifft also Fälle, in denen nicht die in § 7 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 bis 3 SchVG genannten Personen Vertreter werden sollen, sondern eine von diesen Personen auf Grund einer besonderen persönlichen Beziehung beeinflusste oder beeinflussbare Person. Persönliche Beziehungen müssen folglich eine besondere Qualität oder ein besonderes Gewicht haben, wie es bei familiären Verbindungen der Fall ist, aber auch bei gesellschaftsrechtlichen Verbindungen bzw. faktischen Einflussnahmemöglichkeiten. Letztlich ist entscheidend, dass gerade wegen dieser persönlichen Verbindung von der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 bis 3 SchVG genannten Person ein bestimmender Einfluss auf die Person ausgeübt werden kann, die zum Vertreter gewählt werden kann. Ratio der Norm ist, dass in einem solchen Fall im Ergebnis die in § 7 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 bis 3 SchVG genannten Personen „Schattenvertreter“ wären oder dies zu befürchten sein könnte. Der bestimmende Einfluss lässt sich nicht allgemein definieren. Die gesamten rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten sind zu berücksichtigen. Entscheidend ist, dass aufgrund der persönlichen Beziehung eine Einflussnahme im Hinblick auf die Ausübung des Amts des gemeinsamen Vertreters denkbar ist. 5. Rechtsfolge § 7 Abs. 1 Satz 2 SchVG knüpft an die jeweiligen Umstände eine Offenlegungspflicht gegenüber den Gläubigern. Die Offenlegung kann nur dadurch geschehen, dass den Gläubigern in ihrer Gesamtheit Mitteilung gemacht wird. Eine Kundgabe an einzelne Gläubiger genügt nicht. Daher kann sinnvollerweise eine Offenlegung nur in der Gläubigerversammlung erfolgen oder bei vorbereitenden Ausführungen, beispielsweise in der Einladung zur Versammlung. Eine Verletzung der Pflicht ist nach § 23 Abs. 2 SchVG bußgeldbewehrt. 22 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 22; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 13; Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 13.

Thole 167

14

§ 7 SchVG Rz. 15 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger 6. Unterrichtungspflicht bei nachträglich eintretenden Umständen (§ 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG) 15

Davon zu unterscheiden ist nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG eine Unterrichtungspflicht, die den gemeinsamen Vertreter nach seiner Bestellung trifft, wenn in seiner Person die in § 7 Abs. 1 Satz 2 SchVG genannten Umstände eintreten. Dann muss er die Gläubiger unverzüglich in geeigneter Form unterrichten. Dies kann durch Rundschreiben erfolgen, vor allem aber durch Angabe im Bundesanzeiger23, weniger durch Internet-Veröffentlichungen, weil nicht damit zu rechnen ist, dass die überwiegende Zahl der Gläubiger die Information zur Kenntnis nehmen kann und könnte (was freilich beim Bundesanzeiger gleichermaßen gilt, aber eben ein offizielles Verlautbarungsinstrument ist). Indessen ist eine (ggf. ergänzende) Information im Internet auch nicht untersagt, sondern kann jedenfalls im Zusammenwirken mit anderen Formen geeignet sein. Von der Unterrichtungspflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG ist die Berichtspflicht zu unterscheiden (unten Rz. 43).

16

Für die Unterrichtungspflicht gilt der Stichtag nach der Bestellung. Bestellung in diesem Sinne ist die tatsächliche Beschlussfassung. Es ist unerheblich, ob der Beschluss noch anfechtbar ist24. Auch während des Laufs der Anfechtungsfrist (§ 20 SchVG) eintretende Umstände sind nach der Bestellung eingetreten, selbst wenn der Anfechtung aufschiebende Wirkung zukommt. Denn entscheidend ist nach der ratio des § 7 Abs. 1 SchVG, dass die Gläubiger bei ihrer Überlegung, wen und ob sie einen gemeinsamen Vertreter wählen wollen, die jeweiligen Umstände einer möglichen Interessenkollision vor Augen haben.

IV. Akt der Bestellung 17

Die im Gesetz bezeichnete Bestellung des Wahlvertreters meint in erster Linie, da es um einen (wenn auch gesetzlich überlagerten) rechtsgeschäftlichen Akt geht, die Erteilung der Vollmacht an den Vertreter25 in Gestalt eine einseitigen Rechtsgeschäfts, das mit dem Zugang an den Vertreter wirksam wird. Einer Annahmeerklärung bedarf es streng genommen nicht26. Allerdings ist die Bestellung nicht auf die Bevollmächtigung beschränkt27, da der gemeinsame Vertreter nicht allein zur Abgabe und – als Empfangsvertreter – zur Entgegennahme von Willenserklärungen befugt sein soll, sondern umfassend die Interessen der Gläubiger zu wahren hat. Daher verbirgt sich hinter der Bestellung auch die rein faktische Einsetzung des gemeinsamen Vertreters als Hilfsperson der Gläubiger mit den Aufgaben nach § 7 Abs. 2 SchVG.

18

Dennoch ist von der Bevollmächtigung als solcher das Innenverhältnis gegenüber den Gläubiger (zum Rechtsverhältnis unten Rz. 22 ff.) zu unterscheiden. Der abstrakten Vollmacht liegt nach dem Verständnis der h.M. ein Grundverhältnis in Form eines Geschäftsbesorgungsvertrags zugrunde (dazu gleich Rz. 23). Innerhalb dieses Vertragsverhältnisses, das selbstverständlich nur zustande kommt, wenn der Vertreter seine Zustimmung dazu erklärt, werden auch die Fragen der Bindung an Weisungen, Haftung und Vergütung relevant. Ob die Zustimmung zu diesem Vertrag gegenüber dem Vorstand des Emittenten erteilt werden

23 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 24; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 18. 24 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 17; a.A. Ansmann, § 14a SchVG 1899 Anm. 5. 25 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob § 7 SchVG Rz. 21. 26 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 25; a.A. Veranneman in Veranneman, § 7 SchVG Rz. 22. 27 Anders aber wohl Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 21.

168

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 22 § 7 SchVG

darf oder expressis verbis auch gegenüber den Gläubigern erteilt werden muss28, hängt davon ab, wie man die Vertragsverhältnisse konstruiert (dazu sogleich Rz. 22 ff.). Die Bestellung erfolgt durch einen Mehrheitsbeschluss. Ein Mehrheitsquorum ist dafür nicht vorgesehen. Nach der Grundregel des § 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG genügt daher die einfache Stimmenmehrheit (zum Stimmrecht § 6 SchVG Rz. 4 ff.). In den Anleihebedingungen kann aber eine höhere Mehrheit vorgesehen werden (§ 5 Abs. 4 Satz 3 SchVG). Allgemein wird angenommen, dass es der qualifizierten Mehrheit von Stimmen i.H.v. mindestens 75 % aber dann bedarf, wenn der gemeinsame Vertreter die Rechtsmacht haben soll, einer wesentlichen Änderung der Anleihebedingungen, wie im Katalog des § 5 Abs. 3 SchVG beschrieben, zuzustimmen29. Das dürfte im Ergebnis richtig sein, weil dann zwar technisch gesehen kein Beschluss i.S.d. § 5 Abs. 3 SchVG vorliegt und durch die Bestellung noch nicht der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert wird, es aber sachlich gerechtfertigt erscheint, an den Beschluss, der dem Vertreter die Rechts- und Vertretungsmacht einräumt, einer solchen Änderung zuzustimmen, keine geringeren Anforderungen zu stellen. Anders ist das bei § 19 Abs. 2 SchVG. Der Mehrheitsbeschluss bedarf dort stets nur der einfachen Mehrheit. Die eigentlichen Restrukturierungsmaßnahmen unterstehen dann ohnehin dem Vorrang des Insolvenzrechts, so dass insbesondere das Planverfahren mit eigenen Mehrheitsanforderungen beachtlich sein kann.

19

Die Bestellung als solche bedarf nicht der Zustimmung des Emittenten (zum Vertragsverhältnis siehe sogleich Rz. 22 ff.)30, der sich gerade nicht die Rechtsmacht erhalten können soll, einen ihm nicht genehmen Vertreter zu verhindern. Freilich kann der Emittent eine Bestellung vermeiden, wenn er generell auf die Option in die §§ 5-21 SchVG verzichtet, wie es das Optionsmodell des § 5 Abs. 1 SchVG ihm ermöglicht. Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob der Emittent bei der Wahl nach § 5 SchVG die Änderung der Anleihebedingungen ermöglichen kann, ohne die Wahl eines gemeinsamen Vertreters zuzulassen, und umgekehrt, oder ob er die §§ 5 ff. SchVG nur einheitlich wählen kann31. Das Problem ist bei § 5 SchVG Rz. 10 behandelt.

20

Da § 5 Abs. 1 SchVG zwischen der Änderung der Anleihebedingungen und der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters unterscheidet, ist der Bestellungsbeschluss kein Fall des § 21 Abs. 1 SchVG. Allerdings darf der gemeinsame Vertreter von der ihm erteilten Vollmacht oder Ermächtigung keinen Gebrauch machen, solange ein Vollzugshindernis besteht (§ 21 Abs. 2 SchVG).

21

V. Das zugrunde liegende Rechtsverhältnis Von der etwaigen Vollmacht, die mit dem Bestellungsbeschluss dem gemeinsamen Vertreter gegeben wird, ist das vertragliche Grundverhältnis zu unterscheiden, das u.a. die Grundlage für die Vergütungsansprüche des gemeinsamen Vertreters ist. Die Frage ist nicht rein dogmatischer Natur, sondern hat beispielsweise Auswirkungen auf die Frage, wie die Vertragsbeziehungen im Insolvenzverfahren fortwirken32. 28 So Veranneman in Veranneman, § 7 SchVG Rz. 22. 29 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 8; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 23; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 21; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19. 30 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 11. 31 So Horn, BKR 2009, 446 (452); Nesselrodt in Preuße, § 8 SchVG Rz. 5; a.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 10. 32 Dazu Horn, BKR 2014, 449 (452); Thole, ZIP 2014, 293 (297).

Thole 169

22

§ 7 SchVG Rz. 23 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger 23

In der Kommentarliteratur und im Schrifttum wird meist davon ausgegangen, dass mit der Bestellung des gemeinsamen Vertreters ein entgeltlicher Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der „Gesamtheit der Anleihegläubiger“ und dem Vertreter zustande komme, der den Vertreter zu Wahrnehmung der gemeinsamen Gläubigerinteressen nach Maßgabe des Gesetzes und des Beschlusses verpflichte33. Diese Auffassung geht offenbar zurück auf eine Entscheidung des RG vom 11.5.1917, in der das Gericht Folgendes ausgeführt hat34: „Dass durch die Bestellung eines Vertreters durch die Gläubigerversammlung auf Grund des Gesetzes vom 4. Dezember 1899, …, und durch die Annahme seitens des Bestellten diesem nicht nur eine nach außen wirkende Vertretungsmacht übertragen, sondern regelmäßig zugleich ein ihn verpflichtendes Vertragsverhältnis zwischen ihm und den Gläubigern begründet wird, bestreitet die Revision nicht; dies kann auch keinem Zweifel unterliegen.“

24

Tatsächlich lässt sich aus dem Urteil jedoch nicht entnehmen, dass gerade ein Vertrag zwischen dem Gläubigerverband und dem Vertreter entsteht. Ein solcher Vertrag wäre mit den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre nicht vereinbar. Denn der Gläubigerverband ist gerade nicht rechtsfähig. Er hat daher nicht die Fähigkeit, Träger der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag zu sein. Insbesondere handelt es sich bei der Gesamtheit der Schuldverschreibungsgläubiger nicht um eine BGB-Gesellschaft i.S.d. § 705 BGB35. Dafür fehlt es an einer rechtsgeschäftlichen Abrede zwischen den Gläubigern darüber, einen gemeinsamen Zweck zu fördern. Die Gläubiger sind in aller Regel zufällig „zusammengewürfelt“. Sie verfolgen einen individuellen Zweck, nämlich die Rückzahlung und Verzinsung ihres eigenen Investments36.

25

Folglich kann allenfalls ein Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen dem Vertreter und dem einzelnen Gläubiger zustande kommen. Davon scheint auch die Begründung des Regierungsentwurfs zum SchVG 2009 und ein Teil des Schrifttums auszugehen37. Dort heißt es38, „Zwar bestehen grundsätzlich gleichlautende Auftragsverhältnisse zwischen jedem Gläubiger und dem gemeinsamen Vertreter. Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger ändern nichts daran, dass die Rechtsverhältnisse zwischen dem jeweiligen Gläubiger und dem Schuldner bezüglich der Schuldverschreibungen individuell sind. In Bezug auf ihre gemeinsame Vertretung müssen sich die Gläubiger jedoch – auch im Innenverhältnis – als Gesamtheit behandeln lassen“.

26

Diese Auffassung geht davon aus, dass der gemeinsame Vertreter mit jedem einzelnen Gläubiger individuell kraft eines Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnisses (mit entsprechenden Modifikationen, z.B. Nichtgeltung des § 665 BGB39) verbunden ist, dieses Auftragsverhältnis aber jeweils so ausgestaltet ist, dass die Gläubiger gegenüber dem gemeinsamen Vertreter als Gesamtheit (vermittelt durch Mehrheitsbeschluss) auftreten und auftreten müssen. Rechtstechnisch soll dieser Vertrag dann dadurch zustande kommen, dass die nicht an der Bestellung teilnehmenden Gläubiger über einen Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB berechtigt werden40. 33 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 25; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 190. 34 RGZ 90, 211 (214). 35 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 15; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915); Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 127. 36 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 15; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915). 37 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 5 f.; Schmolke, ZBB 2009, 8 (9); für Dienstvertrag Ansmann, § 14 Anm. 21. 38 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. 39 Dazu Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19; Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 50; für Dienstvertrag Ansmann, § 14 Anm. 21. 40 So jedenfalls Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 6.

170

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 28 § 7 SchVG

In dogmatischer Hinsicht kann die letztgenannte Herleitung nicht überzeugen, denn es bliebe unklar, wie dieser Vertrag zugunsten Dritter zu verstehen ist. Es wäre seltsam, wenn man annehmen wollte, nur die abstimmenden Gläubiger mandatierten den Vertreter und die nicht teilnehmenden Gläubiger seien nur begünstigte Dritte, weil es dann an gleichlautenden Vertragsverhältnissen gerade fehlt. Auch das Problem der Willensmängel ist kaum in den Griff zu bekommen41. Wenn man also den Weg über individuelle Vertragsverhältnisse gehen möchte, kann dies nur unter der Prämisse erfolgen, dass jeder Gläubiger Auftraggeber ist. Dies lässt sich begründen, wenn man das Mehrheitsprinzip als apriorisch gegeben ansieht und damit zugleich verbindet, dass die jeweils anderen Gläubiger bzw. – untechnisch – die Mehrheit bevollmächtigt ist, auch für den abwesenden Gläubiger den Vertrag zu schließen bzw. das Vertragsangebot des Vertreters anzunehmen. Auf eine irgendwie geartete Vertreterkonstruktion kann man bei einem rechtsgeschäftlichen Verständnis kaum verzichten42, wenn man davon ausgeht, dass die Bindung an die Mehrheit eine interne Bindung der Gläubiger untereinander ist. Unter diesem Blickwinkel bleibt nur fraglich, ob das SchVG die Frage des vertraglichen Grundverhältnisses (anders als die Vollmacht und das Verhältnis zum Emittenten) wirklich regeln will; dafür sprechen allerdings die Haftungsregeln und die Kostentragung nach § 7 Abs. 3 und 6 SchVG. Nach dem eben genannten Verständnis eines eigenen entgeltlichen Vertrags mit den Gläubigern müsste man § 7 Abs. 6 SchVG allerdings als bloße Kostentragungsregel verstehen, was deshalb problematisch ist, weil er nach dem Verständnis in den Materialien keine Rückgriffsnorm sein soll. Der einzelne Gläubiger soll nicht vorleisten müssen43. Im Ergebnis hat die Annahme eines Vertrags zwischen dem gemeinsamen Vertreter und den einzelnen Gläubigern das Problem, dass den Gläubigern eine Willenserklärung untergeschoben wird, die ihrem Willen kaum entsprechen dürfte. Probleme bereiten auch unterschiedliche Vertragsinhalte. Ergänzen einzelne Gläubiger gegenüber dem Vertreter ihr vermeintliches Vertragsangebot, indem sie z.B. eine über § 7 Abs. 6 SchVG hinausgehende Vergütung anbieten oder aber die Kündigungsrechte nach § 7 Abs. 4 SchVG einschränken wollen, dann wäre nicht erklärlich, wie damit bezogen auf die Gesamtheit der Gläubigers auszugehen wäre. Rein rechtsgeschäftlich lässt sich das Grundverhältnis und dessen Begründung daher kaum erklären.

27

Daher mag, auch wenn allseits befriedigende Lösungen nicht zu haben sind, viel für ein Rechtsverhältnis zwischen Vertreter und Emittenten sprechen. Dieses Modell ginge davon aus, dass auch bei einem gewählten Vertreter (Wahlvertreter) ein Vertrag mit dem Emittenten zustande kommt, der jedoch zugunsten der Gläubiger wirkt und zum Inhalt hat, dass der gemeinsame Vertreter die Interessen der Gläubiger wahrzunehmen hat. Für diese Konstruktion könnte insbesondere sprechen, dass das SchVG in § 8 SchVG nunmehr (anders als unter dem SchVG 1899) die Bestellung eines Vertragsvertreters ermöglicht, der in den Anleihebedingungen vorgesehen und vom Emittenten ausgesucht wird. Für diesen Fall ist davon auszugehen, dass ein Vertrag mit dem Emittenten zustande kommt (dazu noch § 8 SchVG Rz. 5 ff.)44. Da das SchVG Wahl- und Vertragsvertreter aber im Ausgangspunkt gleichbehandelt, spricht insofern einiges dafür, auch beim Wahlvertreter einen dem Emittenten aufgezwungenen Vertrag anzunehmen, der dann als Vertrag i.S.d. § 328 BGB zugunsten der Gläubiger wirkt. Konstruktiv hätte ein solcher Begründungsansatz einige Vorteile. Ein Einverständnis des Emittenten ist schon darin zu sehen, dass er die Möglichkeit zur Wahl des gemeinsamen Vertreters nach § 5 SchVG eröffnet. Der Inhalt des Vertrags ist gesetzlich de-

28

41 Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315 (327). 42 A.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 7 Fn. 9. 43 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19. 44 So Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 8 SchVG Rz. 4.

Thole 171

§ 7 SchVG Rz. 29 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger terminiert, was die Kostentragung nach § 7 Abs. 6 SchVG angeht, und man würde den individuellen Gläubigern nicht einzeln einen Vertragswillen unterstellen. Der Einwand einer Fiktion eines Vertragswillen trifft dann zwar gleichermaßen auf einen Vertragsschluss mit dem Emittenten zu. Dennoch wirkt ein solcher Vertrag nicht so gekünstelt, weil die Annahme eines gesetzlich überformten Vertrags (Kontrahierungszwang) der Rechtsordnung nicht unbekannt ist und beim Vertragsvertreter gleichermaßen ein Vertrag mit dem Emittenten für möglich erachtet wird. Der Einwand, es könne ja nicht sein, dass der Gläubigervertreter gegenüber dem Emittenten verpflichtet sei, weil dann ein Konflikt zu den Verpflichtungen gegenüber den Gläubigern bestehe,45 überzeugt nur bedingt, weil der Vertrag seiner Art nach ausschließlich auf die fremdnützige Tätigkeit zugunsten der Gläubiger gerichtet ist und seinem Zweck nach der Emittent daher keine Weisungen erteilen darf und erst recht nicht den Vertrag einseitig aufheben darf46. 29

Schließlich bleibt noch eine weitere Variante zu diskutieren. Man kann nämlich durchaus fragen, ob es tatsächlich der Einordnung in die Vertragstypik des BGB bedarf. Eine Einordnung als Vertragsverhältnis steht vor der Schwierigkeit, dass die anerkannten Vertragstypen ohnehin modifiziert werden. Bei einem Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen den Gläubigern und dem Vertreter würde beispielsweise § 665 BGB nicht greifen können, weil der gemeinsame Vertreter an die Weisungen gebunden bleibt47. Außerdem ist die Haftung in § 7 Abs. 3 SchVG gesetzlich geregelt, ebenso wie die Vergütungsfrage in § 7 Abs. 6 SchVG. In § 7 Abs. 4 SchVG wird die Abberufungsmöglichkeit geregelt, die sonst nach § 671 BGB bzw. § 674 i.V.m. § 626 BGB zu bemessen wäre. Der Wegfall der Rechtszuständigkeit beim einzelnen Gläubiger nach § 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG passt nicht zum Auftrag. Die Berichtspflicht des § 7 Abs. 4 Satz 4 SchVG entspricht § 666 BGB. Wenn man sich vor Augen führt, dass der in § 7 SchVG angesprochene Bestellungsakt im Grunde die Rechtsmacht einräumt, gegenüber dem Emittenten mit einer Stimme zu sprechen, so geht es hier primär um das Außenverhältnis. Das gesetzliche Mehrheitsprinzip verschafft dem Vertreter durch einen rechtsgeschäftlichen Akt, die Beschlussfassung, die Vollmacht und die Befugnis, für alle aufzutreten. Das gleichzeitig entstehende Grundverhältnis ist indes eines von gesetzlicher Natur, das nur seiner Typik nach mit einem Geschäftsbesorgungsvertrag vergleichbar ist, indessen gerade nicht zwingend auf einem rechtsgeschäftlichen Verhalten beruht. Daher mag die Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses naheliegen. Nur mit dieser Maßgabe lässt sich annehmen, dass ein Schuldverhältnis gegenüber jedem einzelnen Gläubiger zustande kommt; ein Schuldverhältnis gegenüber dem Emittenten besteht dann allein im Hinblick auf die Kostentragung. Nach diesem Verständnis wäre zwar der Bestellungsakt rechtsgeschäftlicher Natur, nicht aber die Bindung der anderen Gläubiger an die Mehrheitsentscheidung und nicht die damit ausgelöste schuldrechtliche Bindung im Grundverhältnis. Letztere wäre allein gesetzlicher Natur.

30

Auch dieses Verständnis kann freilich nicht alle Zweifel beseitigen, weil beispielsweise unklar bleibt, unter welchen Voraussetzungen der gemeinsame Vertreter seine Tätigkeit beenden kann; § 7 Abs. 4 SchVG regelt diese Frage gerade nicht, während die Frage bei einem Auftrag oder Geschäftsbesorgungsverhältnis über § 671 Abs. 1 oder §§ 675, 627 BGB zu lösen wäre.

31

Im Ergebnis muss man sich daher zu einem Verständnis durchringen. Für die Praxis mag weiterhin das Urteil des Reichsgerichts beachtlich sein, das von Vertragsverhältnissen zwischen dem gemeinsamen Vertreter und den einzelnen Gläubigern ausgeht. Dogmatisch scheint die Annahme eines drittbegünstigenden Vertrags zum Emittenten näherliegend 45 Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 190. 46 Auch das ist allgemein bei § 328 BGB denkbar, siehe nur BGH v. 15.1.1986 – IVa ZR 46/84, NJW 1986, 1165 (1166). 47 Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 50.

172

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 34 § 7 SchVG

mit der Maßgabe, dass der wesentliche Inhalt ohnehin gesetzlich determiniert ist und folglich allenfalls zur Lückenfüllung auf die privatrechtlichen Vorgaben zurückzugreifen ist. Es handelt sich daher um ein im wesentlichen Umfang gesetzlich überlagertes Vertragsverhältnis. Zur unangemessenen Vergütung unten Rz. 67.

VI. Mehrere Vertreter Unsicherheit besteht darüber, ob mehrere gemeinsame Vertreter bestellt werden dürfen. § 14 32 Abs. 5 SchVG 1899 enthielt eine Regelung, die dies grundsätzlich zuließ, aber vermutete, dass mehrere Vertreter nur gemeinschaftlich vertretungsbefugt sind. Im Schrifttum wird aus dem Schweigen des Gesetzes offenbar abgeleitet, dass nur die Bestellung eines einzigen Vertreters denkbar ist48. Daran ist richtig, dass der Emittent nach § 7 Abs. 6 SchVG nicht verpflichtet sein kann, mehrere oder eine beliebig große Anzahl von gemeinsamen Vertretern zu vergüten. Geschuldet ist stets nur die angemessene Vergütung für einen Vertreter. Auch im Übrigen mag es oft nicht sinnvoll sein, mehrere Vertreter zu haben, weil der Konzentrationseffekt dann wieder beseitigt wird. Dennoch wird in der Kommentarliteratur die Bestellung mehrerer Vertreter für möglich erachtet49. Das wird man billigen können, wenngleich mit der Maßgabe, dass auch ohne die geschriebene Regelung des § 14 Abs. 5 SchVG 1899 eine Vermutung dahingehend besteht, dass jeder Vertreter nur in Gemeinschaft zur Ausübung der Rechte berechtigt ist. Das ist auch zum Schutze des Emittenten essentiell, der sonst mit der Gefahr leben müsste, dass ein Vertreter die Handlungen des jeweils anderen im Streitfall zurücknimmt oder widerruft und dadurch erhebliche Unsicherheit eintritt.

VII. Aufgaben und Befugnisse (§ 7 Abs. 2 SchVG) Nach § 7 Abs. 2 SchVG hat der gemeinsame Vertreter die Aufgaben und Befugnisse, welche 33 ihm durch Gesetz oder durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubiger eingeräumt wurden. Diese Befugnisse sind nicht auf rechtsgeschäftliche Handlungen und die Abgabe von Willenserklärungen im Namen der Gläubiger beschränkt, so dass es nicht allein um die Vertretungsmacht geht (oben Rz. 2)50, sondern naturgemäß auch um tatsächliche Handlungen. Die Aufgaben und Befugnisse sind im SchVG nicht zusammenhängend geregelt worden. Einige Rechte sind jedoch im Gesetz genannt. Sie werden auch – missverständlich – als „Mindestaufgaben und -befugnisse“ bezeichnet51. Der gemeinsame Vertreter hat den Auskunftsanspruch nach § 7 Abs. 5 SchVG (unten 34 Rz. 63); er ist berechtigt, die Gläubigerversammlung einzuberufen (§ 9 Abs. 1 SchVG) und insoweit grundsätzlich auch den Vorsitz zu führen (§ 15 Abs. 1 SchVG); bzw. eine Abstimmung ohne Versammlung zu leiten (§ 18 Abs. 1, 2 SchVG)52. Im Insolvenzverfahren ist der gemeinsame Vertreter allein berechtigt, die Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger wahrzunehmen (§ 19 Abs. 2 und 3 SchVG). Insoweit ist er alleinvertretungsberechtigt53. Im Insolvenzverfahren gehört zu den Pflichten des gemeinsamen Vertreters vor allem die Kommunikation zu den Anleihegläubigern, was den Insolvenzverwalter entlasten soll. Die Forderungsanmeldung nimmt der gemeinsame Vertreter vor. Er übt das Stimmrecht aus. Die Tätigkeit im Gläubigerausschuss ist keine genuine Tätigkeit als gemeinsamer Vertre48 49 50 51 52 53

Nicht ganz deutlich Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (157). Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 23. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 33. Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 45. Für einen Überblick Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2395). Leuering, NZI 2009, 638 (640).

Thole 173

§ 7 SchVG Rz. 35 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger ter, sondern zunächst Erfüllung der mit dem Amt übernommenen Pflichten als Ausschussmitglied. Daher darf insoweit auch nicht doppelt abgerechnet werden. Zu den Aufgaben gehört auch die Erfüllung der Berichtspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG (dazu unten Rz. 43). Näher zum Insolvenzverfahren auch noch § 19 SchVG Rz. 70 ff. 1. Prozessführung des gemeinsamen Vertreters 35

Es kann zu den Aufgaben des gemeinsamen Vertreters gehören, im Streitfall Klagen gegen den Emittenten zu erheben; dabei hat der gemeinsame Vertreter die Stellung eines gesetzlichen Vertreters (wie unter § 14 Abs. 4 Satz 1 SchVG 1899 ausdrücklich angeordnet). Daher klagt er nicht im eigenen Namen oder als Partei kraft Amtes54, sondern in fremden Namen in Vertretung der Gläubiger, die allerdings schon aus pragmatischen Gründen nicht im Rubrum genannt werden müssen55. Ist die Befugnis zur selbständigen Geltendmachung von Rechten durch Beschluss oder gesetzlich ausgeschlossen (§ 19 Abs. 3 SchVG), fehlt den einzelnen Gläubigern insoweit streng genommen die Postulationsfähigkeit, nicht die Prozessführungsbefugnis. Soweit Anwaltszwang besteht, dürfte dies auch für den gemeinsamen Vertreter gelten. PKH kann der gemeinsame Vertreter jedenfalls nicht für die Eintreibung seines eigenen Vergütungsanspruchs verlangen, wenn seine eigenen, persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse die PKH nicht rechtfertigen56. Soweit eine einzelne Prozessführung durch einzelne Gläubiger möglich ist, kann dem ggf. die Einrede der Rechtshängigkeit entgegenstehen, wenn der gemeinsame Vertreter bereits Klage erhoben hat, umgekehrt gilt das in den Grenzen des Streitgegenstands auch57. Im Insolvenzverfahren darf der gemeinsame Vertreter die Forderungen global anmelden58, was aber nichts daran ändert, dass gegen einzelne Forderungen Einwendungen bestehen können.

36

Aufwendungen für die Prozessführung sind auch Aufwendungen i.S.d. § 7 Abs. 6 SchVG. Die vom Gericht im Streitfall vorzunehmende Kostenverteilung nach § 91 ZPO wird nicht tangiert. Beides gilt auch dann, wenn der gemeinsame Vertreter den Prozess verliert. Allerdings kann eine Prozessführung bei erkennbarer Aussichtslosigkeit auch nicht erforderlich i.S.d. § 7 Abs. 6 SchVG sein. Zudem bleibt es – wie unter § 14 Abs. 4 SchVG 189959 – dem Emittenten unbenommen, wenn er obsiegt, einen Regressanspruch wegen der Prozesskosten gegen die Gläubiger geltend zu machen, indem er Auszahlungen quotal herabsetzt.

37

Fraglich ist, ob es Klagen des gemeinsamen Vertreters in Verfolgung des Interesses eines einzelnen Gläubigers geben kann. Dies erscheint im Falle eines Feststellungsstreits im Insolvenzverfahren nach § 179 Abs. 1 InsO problematisch, wenn ein Teil der vom gemeinsamen Vertreter angemeldeten (Gesamt-)Forderung aus der Anleihe im Prüfungstermin bestritten wurde, etwa weil Anleihen von Gesellschaftern gehalten werden (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) oder persönliche Einwendungen gegen Anleihegläubiger bestehen. Daran kann man deshalb zweifeln, weil die Frage, ob eine einzelne Insolvenzforderung aus der Schuldverschreibung besteht bzw. durchsetzbar ist, im Grunde schon die Frage berührt, ob der jeweilige Gläubiger überhaupt Schuldverschreibungsgläubiger und damit Teil des vom gemeinsamen Vertreter vertretenen Kollektivs ist. Damit ist die individuelle Sphäre des einzelnen Gläubigers berührt. Mit der Forderungsfeststellung wäre eine Vertretung einzelner Gläubiger verbunden, obwohl der gemeinsame Vertreter grundsätzlich nur für die Gesamtheit der Schuldverschrei54 OLG Dresden v. 22.4.2016 – 13 W 69/16, ZIP 2016, 939. A.A. noch OLG Dresden v. 22.7.2015 – 13 W 623/15, ZIP 2015, 1650. 55 Vgl. RG JW 1906, 199 (200). 56 OLG Dresden v. 22.7.2015 – 13 W 623/15, ZIP 2015, 1650. Im Übrigen kommt es auf die vertretenen Gläubiger an, OLG Dresden v. 22.4.2016 – 13 W 69/16, ZIP 2016, 939. 57 A.A. Ansmann, § 14 SchVG 1899 Anm. 13. 58 Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397). 59 Ansmann, § 14 SchVG 1899 Anm. 14.

174

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 39 § 7 SchVG

bungsgläubiger handelt, also stets für das Kollektiv und die gemeinsamen Interessen handelt. Gerade ein solches gemeinsames Interesse liegt bei der Forderungsfeststellung aber eigentlich nicht vor. Dennoch dürfte eine entsprechende Befugnis des gemeinsamen Vertreters, die Feststellung der Forderung durch Klage zu betreiben, zu bejahen sein. Es wäre ein seltsames Ergebnis, wenn der gemeinsame Vertreter zwar exklusiv berechtigt wäre, die Forderung anzumelden, dann aber bei Bestreiten und Widerspruch doch dem einzelnen Gläubiger die Feststellung überlassen müsste. Schon unter dem SchVG 1899, das noch eine parallele Befugnis zur Forderungsanmeldung für Gläubiger und gemeinsamen Vertreter vorsah, wurde angenommen, dass der gemeinsame Vertreter auch eine Feststellungsklage erheben darf60, und es kann sinnvollerweise nicht darauf ankommen, ob alle Forderungen aus Anleihen bestritten sind (dann Klage für die Gesamtheit der Gläubiger) oder ob einzelne Anleiheforderungen anerkannt wurden. Dies führte zu Zufälligkeiten. Eine Pflicht zur Klageerhebung besteht in diesen Fällen – wie auch im Allgemeinen – nicht; es gilt der Maßstab der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns, § 7 Abs. 3 SchVG. Indessen muss dann richtigerweise auch eine Haftung gegenüber dem einzelnen betroffenen Gläubiger bestehen, Rz. 54. 2. Erweiterung und Beschränkung Die Gläubigerversammlung kann den gemeinsamen Vertreter über das gesetzliche Maß hinaus mit weiteren Befugnissen ausstatten. Diese Befugnisse leiten sich von den Befugnissen der Gläubigerversammlung ab. Naturgemäß geht eine Ermächtigung zur Zustimmung zu einer der in § 5 Abs. 3 SchVG genannten Maßnahmen ins Leere, wenn die Gläubigerversammlung ihrerseits schon nicht zum Mehrheitsbeschluss ermächtigt ist, etwa dann, wenn die Änderung von Anleihebedingungen vom Emittenten selektiv auf einzelne Maßnahmen des § 5 Abs. 3 SchVG beschränkt ist. Dann kann der gemeinsame Vertreter naturgemäß auch nur insoweit aktiv werden61. Praktisch ist das nicht relevant, weil der Emittent zu der Maßnahme ohnehin seine Zustimmung geben müsste.

38

Im Übrigen kann innerhalb der Rechtsmacht der Gläubigerschaft der Umfang der Aufgaben 39 beim Wahlvertreter beliebig erweitert werden62, um der Autonomie der Gläubiger und den Erfordernissen der Flexibilität Rechnung zu tragen. Freilich bedarf es zu einer Aufgabenerweiterung der Zustimmung des gemeinsamen Vertreters, der nicht gezwungen werden kann, weitergehende Aufgaben zu erfüllen63. Die Erweiterung kann für bestimmte Fälle oder auch generell ausgesprochen werden; etwa Kündigungen, die Geltendmachung von Zinsund Zahlungsansprüchen etc.64. Ebenfalls zulässig ist es, keine Mandatserweiterung vorzunehmen und es bei den „Mindestbefugnissen“ zu belassen. Ob auch die Mindestbefugnisse durch Beschluss beschränkt werden können, ist fragwürdig und wird teilweise verneint65. § 20 SchVG 1899 hielt eine Verkürzung der Rechte in der Tat nicht für statthaft. Man kann fragen, ob das Abweichungsverbot des § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG eine solche Einschränkung verbietet66. Das ist schon deshalb nicht der Fall, weil die Befugnisse nicht die Anleihebedingungen betreffen und daher mit der Frage der Benachteiligung nichts zu tun haben67. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Von den gesetzlichen Rechten und Befugnissen, etwa gemäß § 9 Abs. 1 SchVG, kann man eben nicht durch Beschluss der Gläubiger als solchen abwei60 61 62 63 64 65 66 67

Seuffert, ZZP 27 (1900), 101 (120); Göppert/Trendelenburg, § 17 SchVG 1899, S. 121. Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 53. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19 f. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 28. Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 56. Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 197; Veranneman in Verannman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 45. Erwägend, aber ablehnend Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 37. So aber Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 37.

Thole 175

§ 7 SchVG Rz. 40 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger chen, sondern nur durch eine Änderung der Anleihebedingungen. Diese Änderung liegt aber nicht in dem näher ausgeformten Beschluss zur Bestellung des gemeinsamen Vertreters. 3. Weisungsrecht (§ 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG) 40

Bei der Aufgabenwahrnehmung und Wahrnehmung seiner Befugnisse hat der gemeinsame Vertreter die Weisungen der Gläubiger zu befolgen. Gemeint sind die Weisungen der Gläubiger in ihrer Gesamtheit, die durch einen Beschluss in der Gläubigerversammlung festgelegt werden, nicht aber Weisungen einzelner Gläubiger. Letztere binden nicht68. Der gemeinsame Vertreter darf von einer Weisung auch dann nicht abweichen, wenn er davon ausgeht oder ausgehen darf, die Gläubiger würden eine Abweichung bei Kenntnis der Sachlage billigen. § 665 BGB gilt nicht69. Ist die Weisung im Beschluss unklar geblieben, ist es eine Tatfrage, ob sie noch hinreichend bestimmt ist. Lässt sich nicht sinnvoll bestimmen, was gewollt war, muss der gemeinsame Vertreter ggf. im Rahmen einer erneuten Gläubigerversammlung Rücksprache halten. Kann allerdings durch Auslegung sicher ermittelt werden, was von der Gläubigerversammlung gewollt war, kann der Vertreter die Weisung auch so umsetzen. Das ist keine Abweichung von der Weisung, sondern gerade die Umsetzung ihres so ermittelten Inhalts70. Gesetzeswidrige Weisungen und solche, die über die Rechtsmacht der Gläubiger insgesamt hinausgehen, muss der gemeinsame Vertreter nicht beachten. 4. Verdrängendes Mandat (§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG)

41

§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG enthält Regelungen über das verdrängende Mandat. Der gemeinsame Vertreter kann dazu ermächtigt werden, die Rechte der Gläubiger geltend zu machen, z.B. auf Zahlung zu klagen, Kündigungen einzureichen etc.71. Vor allem aber ist mit diesen Rechten das Recht gemeint, die Stimme zu einem Beschluss nach § 5 SchVG über die Änderung der Anleihebedingungen abzugeben72. Es geht also um ein Vorgehen aus der Anleihe. Soweit ein gemeinsamer Vertreter ermächtigt ist, anstelle der Gläubiger zu treten, sind die einzelnen Gläubiger zur selbständigen Geltendmachung dieser Rechte nicht befugt. Es handelt sich also um ein verdrängendes Mandat. Allerdings kann der Mehrheitsbeschluss es ausdrücklich vorsehen, dass die einzelnen Gläubiger weiterhin zur Geltendmachung der Rechte befugt bleiben. Fraglich ist, ob dann einigen einzelnen Gläubigern73 oder allen dieses Recht belassen werden muss. Der Wortlaut ist nicht eindeutig, immerhin spricht er aber davon, dass „die einzelnen Gläubiger“ befugt sind (nicht „einzelne Gläubiger“). Im Übrigen meint der Gesetzgeber mit „die Gläubiger“ bei § 7 SchVG sonst immer die Gläubiger in ihrer Gesamtheit. Auch § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG spricht dafür, dass die Abweichung von § 7 Abs. 2 SchVG nur bei einer konkurrierenden Befugnis für alle einzelnen Gläubiger möglich ist, soweit nicht alle Gläubiger zustimmen. 5. Delegation durch den gemeinsamen Vertreter; Einsatz von Hilfspersonen

42

Das Gesetz gibt nicht im Einzelnen vor, wie der gemeinsame Vertreter seine Arbeit zu organisieren hat. Fraglich ist insoweit beispielsweise, inwieweit ein als natürliche Person bestell68 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 29; Calgalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013, S. 311; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Schneider, Bankrechts-Kommentar, § 19 SchVG Rz. 25. 69 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 58. 70 Dies vermischt Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 51. 71 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 57. 72 Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 54. 73 So Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 56, 58.

176

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 44 § 7 SchVG

ter gemeinsamer Vertreter Aufgaben delegieren darf. Das Amt ist kein höchstpersönliches Amt. Auch aus dem dienstvertraglichen Charakter des (möglichen74) Geschäftsbesorgungsverhältnisses und folglich aus §§ 675, 613 BGB folgt nicht ohne weiteres, dass der gemeinsame Vertreter Tätigkeiten nicht delegieren dürfte. Daher darf er auch externe Dienstleister mit bestimmten Tätigkeiten beauftragen. Freilich wird man Grenzen setzen müssen, die sich aus dem Zweck des Mandats ergeben. Der gemeinsame Vertreter wird mit dem Vertrauen der Gläubiger ausgestattet, ihre Interessen zu vertreten. Daraus wird man ableiten können, dass die wesentlichen Handlungen vom gemeinsamen Vertreter selbst vorzunehmen sind. Er hat die Verhandlungen mit dem Emittenten verantwortlich zu führen, er leitet die Gläubigerversammlung (§ 9 Abs. 1 SchVG) in Person und er gibt den Bericht nach § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG ab, was sämtlich nicht ausschließt, dass er dabei Unterstützung von Mitarbeitern und Assistenten erhält, die aber stets nur unterstützender Natur ist. Vertretungsmacht gegenüber dem Emittenten hat nur der gemeinsame Vertreter. Er kann zwar ggf. Untervollmachten erteilen. Verletzt der gemeinsame Vertreter diese Pflichten, stellt sich dies als eine nicht ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben dar, die nach § 7 Abs. 3 Satz 1 SchVG zur Haftung führen kann. Eine davon zu unterscheidende Frage ist die Frage nach der Vergütung von Mitarbeitern und Assistenten, beispielsweise wenn nach Stundensätzen abgerechnet wird (dazu unten Rz. 64 ff.). 6. Berichtspflicht (§ 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG) Nach § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG hat der gemeinsame Vertreter über seine Tätigkeit zu berichten. Die Begründung des Regierungsentwurfs versteht das als deklaratorische Wiedergabe der Auskunfts- und Rechenschaftspflicht des § 666 BGB. Davon unabhängig können die Maßstäbe des § 666 BGB Hilfestellungen geben. Die Pflicht zum Bericht tritt ohne Aufforderung ein. Sie ist gegenüber der Gläubigergesamtheit zu erfüllen75 und daher in der Gläubigerversammlung, wenn nicht der Bericht an alle Gläubiger versandt wird. Es wird allerdings angenommen, dass auch eine Erfüllung der Berichtspflicht über das Internet möglich ist76; das erscheint – tendenziell anders als bei den sensiblen Informationen nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG – deshalb sinnvoll, weil es die Notwendigkeit einer weiteren Gläubigerversammlung mit weiteren Kosten entbehrlich machen kann; zudem erkennt § 12 Abs. 3 SchVG das Internet grundsätzlich als (ergänzendes) Informationsmedium an. Denkbar erscheint auch die Sicherung durch Passwort. Naheliegend erscheint es, dass der gemeinsame Vertreter durch Gläubigerbeschluss ermächtigt wird, seiner Berichtspflicht durch das Internet nachkommen zu können.

43

Welche Informationen zu geben sind, richtet sich nach den Umständen. Maßstab ist die Erforderlichkeit. Die Gläubiger müssen in die Lage versetzt werden, prüfen zu können, ob und wie ihre Rechte durchgesetzt werden, ob der gemeinsame Vertreter seine Pflichten erfüllt (auch der Bericht über eigene Pflichtverletzung kann geschuldet sein77), ob die Interessen gewahrt werden. Sie müssen in die Lage gebracht werden, über ihr Stimmverhalten und etwaige Weisungen entscheiden zu können. Hat der gemeinsame Vertreter über die Auskunftspflicht des Emittenten nach § 7 Abs. 5 SchVG Auskünfte erlangt, so ist die Antwort in den Bericht einzubinden. Überhaupt kann der gemeinsame Vertreter auch verpflichtet sein, über Vorgänge aus dem Bereich des Emittenten zu berichten, die er beiläufig erfahren hat, wenn und soweit dies die Anleihegläubiger betrifft78. Über die Tätigkeit im Gläubigeraus-

44

74 75 76 77

Zu dem Problem oben Rz. 22 ff. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 42; Blaufuß/Braun, NZI 2016, 5 (6). Blaufuß/Braun, NZI 2016, 5 (8); Rubner/Leuering, NJW-Spezial 2014, 15. Wie bei § 666 BGB, vgl. BGH v. 30.11.1989 – III ZR 112/88, BGHZ 109, 260 (268); Seiler in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 666 BGB Rz. 9. 78 Vgl. auch Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 43.

Thole 177

§ 7 SchVG Rz. 45 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger schuss im Insolvenzverfahren hat der gemeinsame Vertreter nicht zu berichten, wenn und soweit dies mit seinen Vertraulichkeitspflichten nicht vereinbar ist.

VIII. Haftung (§ 7 Abs. 3 SchVG) 1. Haftungsvoraussetzungen 45

§ 7 Abs. 3 SchVG enthält eine eigene Haftungsregelung. Die gesetzliche Regelung betrifft nur die Haftung auf den Gesamtschaden. Das dürfte es freilich nicht ausschließen, eine Haftung gegenüber einzelnen Gläubigern auch für Einzelschäden nach allgemeinen Regeln (§ 280 BGB) zu begründen; freilich dürfte dies nur dort in Betracht kommen, wo die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters ausnahmsweise auch eine Verfolgung von Einzelinteressen gebietet, insbesondere bei der Forderungsfeststellung im Insolvenzverfahren (oben Rz. 37).

46

Bei § 7 Abs. 3 SchVG geht um eine Verschuldenshaftung. Sie ist, selbst wenn man von einer vertraglichen Beziehung zwischen dem gemeinsamen Wahlvertreter und den einzelnen Gläubigern ausgeht, nicht nur deklaratorisch, indem sie die sich bereits aus § 280 BGB ergebende Haftung wiederholt. Die Rechtsfolge, nämlich Ersatz des daraus entstehenden Schadens, wird in § 7 Abs. 3 SchVG nicht angeordnet, sondern sie ergibt sich aus § 280 BGB. Es wird in § 7 Abs. 3 SchVG insbesondere gesetzlich normiert, dass die Gläubiger ihren Schaden als Gesamtgläubiger geltend machen müssen. Das ließe sich noch aus allgemeinen Regeln ableiten, nicht aber die Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 SchVG. Danach ist die Rechtsfolge des § 428 BGB, dass jeder Gläubiger Leistung an alle Gläubiger verlangen kann, dispensiert. Vielmehr müssen die Gläubiger, d.h. die Gläubigergemeinschaft, über die Geltendmachung des Anspruchs beschließen. Diese Einschränkung ist nach dem Willen der Gesetzesverfasser gerechtfertigt, weil sich die Gläubiger in Bezug auf ihre gemeinsame Vertretung auch im Innenverhältnis gegenüber dem gemeinsamen Vertreter als Gesamtheit behandeln lassen müssen79. Für einen Beschluss, der die Geltendmachung beschließt, genügt die einfache Mehrheit i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG. Ohne eine solche Entscheidung fehlt dem einzelnen Gläubiger die Prozessführungsbefugnis (dazu noch gleich Rz. 55 f.).

47

Der gemeinsame Vertreter haftet für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben und folglich sowohl für die Nicht- als auch für die Schlechterfüllung. Der Sorgfaltsmaßstab ist derjenige eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Das ist auch § 93 Abs. 1 AktG und § 43 GmbHG entlehnt. Der gemeinsame Vertreter wird einem Geschäftsleiter gleichgestellt, was fragwürdig ist, da der gemeinsame Vertreter meist keinen so großen Spielraum wie der Vorstand hat und zudem an Weisungen strikt gebunden ist (was sonst nur beim GmbH-Geschäftsführer der Fall ist)80.

48

Einige Fragen sind noch ungeklärt. Offen ist, wen die Beweislast trifft. Für die Pflichtverletzung, d.h. eine objektive nicht ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben, sind die Gläubiger beweispflichtig. Dagegen muss sich der gemeinsame Vertreter entlasten, wenn es um das Verschulden bzw. Vertreten müssen (§ 276 BGB) bezogen auf diese Pflichtverletzung geht. Das ergibt sich schon aus § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Vor diesem Hintergrund bedarf es auch nicht einer Beantwortung der Frage, ob die Regel des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, nach der den Vorstand die Beweislast bezüglich der Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters trifft, in das SchVG zu übertragen ist81.

79 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. 80 Anders Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 71. 81 Unklar Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 73 ff.; ablehnend Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 63.

178

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 52 § 7 SchVG

Zu entscheiden ist allerdings die Frage, ob sich der gemeinsame Vertreter auf die Business Judgment Rule entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG berufen kann82: Dies wird in der Begründung des Regierungsentwurfs bejaht83. Dies berührt nicht erst das Verschulden, sondern schon die Frage der Pflichtverletzung. Danach wäre eine Pflichtverletzung nicht gegeben, wenn der gemeinsame Vertreter bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Anleihegläubiger (in ihrer Gesamtheit) zu handeln.

49

Tatsächlich steht eine analoge Anwendung dieser Regelung vor dem Problem, dass der ge- 50 meinsame Vertreter nach seiner gesamten Stellung und mangels originärer Eigenverantwortlichkeit und einer Organstellung kaum einem Vorstand gleichgestellt werden kann. Daher ist eine solche Analogie aus dogmatischen Gründen mit Zurückhaltung zu sehen84. Das bedeutet aber gerade nicht, dass man nicht durchaus anerkennen kann, dass es bestimmte Situationen gibt, in denen nicht schon per se eine Pflichtverletzung angenommen werden kann. Insoweit bedarf es nicht des Rückgriffs auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, um schon bei der Frage, was an ordnungsgemäßer Pflichterfüllung geschuldet ist, die jeweilige Entscheidungssituation zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich zwangslos, dass es an einer unternehmerischen Entscheidung fehlt, wenn der gemeinsame Vertreter eine Weisung schlicht umzusetzen hat. Tut er dies nicht, handelt er pflichtwidrig. Ein Spielraum kann aber in mehrerer Hinsicht bestehen. So wird es häufig von prognostischen Einschätzungen über die zukünftige Entwicklung des Emittenten und/oder des wirtschaftlichen Umfelds abhängen, wie eine bestimmte Maßnahme, etwa ein vom Emittenten angestrebter Debt-Equity-Swap, zu bewerten ist. Hier kann vom gemeinsamen Vertreter, der den Gläubigern berichtet und ggf. ihre Zustimmung erfragt, naturgemäß nur eine Prognose im jeweiligen Zeitpunkt erwartet werden. Bewertungen sind stets mit Unsicherheit belastet. Insoweit kann von dem gemeinsamem Vertreter nicht mehr erwartet werden, als die verfügbaren (oder über § 7 Abs. 5 SchVG noch einzuholenden) Informationen auszuwerten und auf dieser Grundlage zu einer sachgerechten Einschätzung zu kommen, selbst wenn sich ex post herausstellt, dass die Maßnahme für die Gläubiger nicht so günstig oder ungünstiger ist als ursprünglich gedacht. Insbesondere dann, wenn der gemeinsame Vertreter ermächtigt ist, Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG zuzustimmen, muss er sich nach diesen Maßstäben eine sachgerechte Auffassung bilden. Es besteht in einem solchen Fall auch keine Pflicht, zuvor noch eine Gläubigerversammlung abzuhalten, um das eigene Haftungsrisiko zu minimieren. Im Ergebnis ist daher schon nach allgemeinen Regeln eine Pflichtverletzung bei prognostischen Einschätzungen, die sich ex post als falsch herausstellen, aber ex ante sachgerecht getroffen wurden, zu verneinen. 2. Haftungsbegrenzung (§ 7 Abs. 3 Satz 2 SchVG) Die Haftung bei Gesamtschäden (zum Einzelschaden unten Rz. 54) kann durch Beschluss der Gläubiger beschränkt werden (§ 7 Abs. 3 Satz 2 SchVG). Erforderlich ist dafür eine einfache Stimmenmehrheit nach § 5 Abs. 4 SchVG. Das gilt auch dann, wenn es um die Haftung für die vermeintliche fehlerhafte Zustimmung zu einer Maßnahme nach § 5 Abs. 3 SchVG geht, zu der der gemeinsame Vertreter mit einem Beschluss mit qualifizierter Mehrheit ermächtigt worden war.

51

Fraglich ist, welche Anforderungen an die Haftungsbeschränkung zu stellen sind, da der Verweis auf § 8 Abs. 3 SchVG fehlt. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird darauf

52

82 So wohl Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 73. 83 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. 84 So wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 45; a.A. Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 62; Tetzlaff in Bankrechts-Handbuch, § 88 Rz. 99; Schmolke, ZBB 2009, 9 (18).

Thole 179

§ 7 SchVG Rz. 53 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger hingewiesen, dass die Haftung „beschränkt bzw. ausgeschlossen“ werden kann85. Dennoch ist nicht einzusehen, warum eine vollständige Haftungsfreistellung gerechtfertigt sein könnte86. Das Gesetz kennt insoweit allgemeine Grenzen, wie sie in § 276 Abs. 3 BGB zum Ausdruck kommen und auch im AGB-Recht (§ 309 Nr. 7 und 8 BGB) eine Rolle spielen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber dies überspielen wollte und damit, einen Beschluss der Gläubiger vorausgesetzt, dem gemeinsamen Vertreter einen Freibrief verschaffen wollte. Natürlich obliegt es sodann den Gläubigern, über die Geltendmachung des Anspruchs zu befinden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 SchVG). Doch die Geltendmachung des Anspruchs und dessen Entstehung sind unterschiedliche Dinge. Es ist deshalb davon auszugehen, dass sich die Haftungsbegrenzung an der allgemeinen Schranke des § 276 Abs. 3 BGB bewähren muss. Das bedeutet, dass die Haftung für vorsätzliches Fehlverhalten nicht im Voraus ausgeschlossen werden darf. Der gemeinsame Vertreter kann nur von der Fahrlässigkeitshaftung befreit werden. 3. Zu ersetzender Schaden 53

Nicht ganz klar ist, ob § 7 Abs. 3 SchVG auch Aussagen zu dem zu ersetzenden Schaden macht. Wenn man nämlich davon ausgeht, dass jeder Gläubiger Vertragspartner ist, können die Schadensposten unterschiedlich ausfallen, wie das auch im Insolvenzrecht bei der Insolvenzverwalterhaftung mit der Differenzierung zwischen Einzel- und Gesamtschaden der Fall ist87. So mag ein Gläubiger gerade deshalb, weil der gemeinsame Vertreter fehlerhaft einer ungünstigen Maßnahme zugestimmt hat, einen Folgeschaden erleiden, weil ihm nunmehr ein geringerer Betrag aus der Rückzahlung der Anleihe zur Verfügung steht88. Das Problem besteht deshalb, weil anders als bei § 93 Abs. 2 AktG, der hier offenbar Pate stand, als Anspruchssteller nicht die eigenständige Gesellschaft auftritt, sondern der einzelne Gläubiger. Dennoch erhellt aus dem Kontext des § 7 Abs. 3 SchVG, dass sich § 7 Abs. 3 SchVG nur zu der Haftung für den bei dem Gläubiger eingetretenen Gesamtschaden verhält, also zu dem Schaden, der den Gläubigern in ihrer Gesamtheit entsteht, z.B. die durch Verhalten des gemeinsamen Vertreters (und nicht schon zuvor!) eingetretene Entwertung der Rückzahlungsforderung gegen den Emittenten. Ein Gesamtschaden kann allerdings auch in der Verfolgung des Interesses und der Begünstigung einzelner Gläubiger liegen.

54

Der darüber hinausgehende Individualschaden einzelner Gläubiger ist richtigerweise schon gar nicht vom Schutzzweck der Haftung nach § 280 BGB umfasst. Der gemeinsame Vertreter soll allein im Rahmen der kollektiven Bindung handeln. Der Einzelschaden ist insofern ein Reflexschaden, der vom Schutzzweck der Norm und der Haftung aus dem Schuldverhältnis nicht umfasst ist, weil die Tätigkeit des Vertreters nur auf die Wahrung der Interessen der Gläubiger, d.h. der Gemeinschaft ausgerichtet ist. Einzelschäden, die nicht Gesamtschäden sind, können allein nach § 826 BGB geltend gemacht werden, m.E. insoweit ohne die Begrenzung durch § 7 Abs. 3 SchVG. Das setzt aber voraus, dass der Schaden vorsätzlich und sittenwidrig vom gemeinsamen Vertreter herbeigeführt wurde. 4. Geltendmachung des Anspruchs

55

Die Geltendmachung des entstandenen Anspruchs gegenüber dem gemeinsamen Vertreter ist deshalb schwierig, weil es „die“ Gläubiger nicht gibt und die Gläubigerschaft nicht rechtsfähig und folglich auch nicht (aktiv) prozessfähig ist (§ 4 SchVG Rz. 6 ff., 13). Es wird deshalb allseits davon ausgegangen, dass sich die Gläubiger darüber in dem Beschluss zu 85 86 87 88

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. So aber Blaufuß/Braun, NZI 2016, 1 (11). Vgl. § 92 InsO. Kausalitätsfragen tauchen hier auf, wenn die Anleihe sonst ohnehin nicht getilgt worden wäre.

180

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 59 § 7 SchVG

verständigen hätten, wer die Ansprüche gegen den Vertreter geltend macht89, so dass dieser Gläubiger dann auf Leistung an alle und für alle klagen kann. Dabei bleibt unklar, ob der ausgewählte Gläubiger als Vertreter klagt90, was u.a. voraussetzen würde, dass er sämtliche Parteien im Prozess bezeichnet. Richtigerweise ist der Beschluss, der einzelne Gläubiger als Kläger bestimmt, indessen keine 56 Wirksamkeitsvoraussetzung für die Prozessführungsbefugnis, weil aus dem Gesetz nicht deutlich genug hervortritt, dass die Regel des § 428 BGB auch insoweit gesperrt sein soll. Es bleibt bei der Grundregel des § 428 BGB, die in § 7 Abs. 3 Satz 3 SchVG nur insoweit aus den Angeln gehoben wird, als § 428 BGB nicht automatisch greift, sondern erst dann, wenn ein Beschluss über die Geltendmachung des Anspruchs vorliegt (oben Rz. 55). Auch ohne eine Festlegung im Beschluss ist, wenn diese Hürde genommen ist, der einzelne Gläubiger berechtigt, gegen den gemeinsamen Vertreter Klage zu erheben, wohlgemerkt bezogen auf den Gesamtschaden und ausschließlich auf Leistung an alle91. Das Problem daran ist freilich, dass wegen § 429 Abs. 3 i.V.m. § 425 Abs. 2 BGB keine Rechtskrafterstreckung eintritt und die einzelnen Gläubiger auch keine notwendigen Streitgenossen sind, so dass die einzelnen Gläubiger bei einzelner Prozessführung gewissermaßen mehrere Chancen hätten. Dieses Problem stellt sich allerdings auch bei einem Beschluss über die Auswahl eines Gläubigers, wenn der ausgewählte Gläubiger nicht alle vertritt und folglich nur er Partei ist. Dann kann man zwar in dem Beschluss zugleich das Verbot an andere Gläubiger erkennen, selbst aktiv zu werden, was aber die Gläubiger nicht daran hindern würde, durch einen erneuten Beschluss einen anderen Gläubiger zu bestimmen, der nochmals das Glück versucht. Trotz der faktischen Indizwirkung des ersten abweisenden Urteils wäre eine Rechtskraftbindung nicht gegeben92; es handelt sich hier letztlich um ein allgemeines Problem der Gesamtgläubigerschaft. Die Kosten bei Abweisung der Klage trägt der Gläubiger selbst, nicht der Emittent. Dem Gläubiger kann freilich von der Gläubigergemeinschaft Kostenersatz im Innenverhältnis zugesagt werden. Wird der gemeinsame Vertreter verurteilt, kann er nach der Grundregel des § 428 BGB an einen beliebigen Anleihegläubiger leisten. Das ist misslich, weil dann nicht sichergestellt ist, dass jeder einzelne Anleihegläubiger den ihm zustehenden pro rata-Anteil erhält und weil dann jeder Gläubiger das Insolvenzrisiko des anderen (vom Schuldner auszusuchenden) Empfängers trägt. Dieses Risiko lässt sich nicht ausschließen, aber rein faktisch vermindern, wenn die Gläubiger den mit der Prozessführung betrauten Gläubiger zugleich mit der materiellen Empfangszuständigkeit ausstatten, so dass Leistung an ihn wahrscheinlich ist (selbst wenn der gemeinsame Vertreter dazu nicht verpflichtet wäre). Es empfiehlt sich, bereits bei der Ausgestaltung des Auftrags des gemeinsamen Vertreters vor seiner Wahl Regelungen für die Abwicklung der Haftung zu entwerfen.

57

Die örtliche Zuständigkeit kann sich aus § 12, 13, 17 ZPO, aber auch aus § 29 ZPO ergeben; Erfüllungsort ist wohl der Sitz des Emittenten, nicht ohne weiteres der Sitz des gemeinsamen Vertreters.

58

IX. Abberufung des gemeinsamen Vertreters (§ 7 Abs. 4 SchVG) Nach § 7 Abs. 4 SchVG kann der gemeinsame Vertreter von den Gläubigern jederzeit und ohne Angabe von Gründen abberufen werden. Damit wird die Kündigungsregel des § 671 Abs. 1 BGB in das SchVG übertragen; sie wäre bei einem entgeltlichen Geschäftsbesorgungs89 90 91 92

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. So wohl Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 66. Letzteres betrifft freilich allein die Begründetheit der Klage. Looschelders in Staudinger, Neub. 2012, § 428 BGB Rz. 126.

Thole 181

59

§ 7 SchVG Rz. 60 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger verhältnis nicht anwendbar, da § 675 BGB nicht auf § 671 BGB verweist. Allerdings ist gem. §§ 675, 627 Abs. 1 BGB die Kündigung auch sonst fristlos möglich. Die Abberufung erfolgt durch Beschluss. 60

Nicht geregelt ist die Frage, ob der gemeinsame Vertreter kündigen darf. Nach der Regel des § 671 Abs. 2 BGB, aber auch des §§ 675, 627 Abs. 2 BGB darf der Beauftragte nur so kündigen, dass der Auftraggeber für die Besorgung des Geschäfts anderweit Fürsorge treffen kann, es sei denn, dass ein wichtiger Grund für die unzeitige Kündigung vorliegt. Die Kündigung kann in der Gläubigerversammlung erklärt werden. Dazu muss die Kündigung nicht auf der Tagesordnung erscheinen93. Auch eine öffentliche Bekanntmachung ist dann nicht zwingend erforderlich. Auch hier beweist sich, dass die Annahme eines drittbegünstigenden Vertrags mit dem Emittenten Vorteile hätte, weil es dann genügte, dass die Kündigung gegenüber dem Emittenten erfolgte. Kündigt der Vertreter ohne wichtigen Grund zur Unzeit, so hat er dem Auftraggeber den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Diese Regeln sind entsprechend auch dann anzuwenden, wenn man von einem gesetzlichen Schuldverhältnis ausgeht (zum Problem oben Rz. 30 f.).

61

Die Kündigungsmöglichkeit ist dispositiv für die Kündigungsrechte des gemeinsamen Vertreters. Sie können gelockert oder eingeschränkt werden94. Demgegenüber können die Gläubiger auf ihr jederzeitiges Abberufungsrecht nicht ex ante verzichten, weil die Interessenwahrnehmung durch den Vertreter allein in ihrem Interesse erfolgt und die Gläubiger jederzeit in der Lage bleiben müssen, einen Vertreter abzuberufen, dem sie nicht mehr vertrauen.

62

In beiden Fällen kann die Beendigung des Amts nur einheitlich und mit Wirkung für und gegen alle Gläubiger erfolgen. Insbesondere darf der gemeinsame Vertreter nicht in der Art kündigen, dass er nunmehr nur noch manche der Gläubiger vertreten wolle. Das ergibt sich nicht daraus, dass sich die Gläubiger als Gesamtheit behandeln lassen müssen im Innenverhältnis95, weil es ja um die Rechtsmacht des Vertreters geht. Es ergibt sich aber aus dem Wesen des Amts, das darin besteht, sämtliche Gläubiger „gemeinsam“ zu vertreten. Davon bleibt unberührt, dass der gemeinsame Vertreter nach Ende des Amts einzelne Gläubiger als Bevollmächtigter vertritt.

X. Auskunftsanspruch (§ 7 Abs. 5 SchVG) 63

§ 7 Abs. 5 SchVG normiert einen Auskunftsanspruch des gemeinsamen Vertreters gegenüber dem Emittenten. Er kann vom Schuldner verlangen, alle Auskünfte zu erteilen, die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlich sind. Dieser Anspruch wird im eigenen Namen geltend gemacht, er steht nur dem gemeinsamen Vertreter zu96. Er ist nach § 888 ZPO zu vollstrecken. Man wird freilich den gemeinsamen Vertreter nicht ohne weiteres für verpflichtet halten (vorbehaltlich einer Weisung), einen Auskunftsanspruch gerichtlich durchzusetzen, wenn sich der Emittent weigert. In jedem Fall ist den Gläubigern zu berichten, § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG. Der Anspruch ist allein auf Erteilung einer Auskunft gerichtet. Es besteht kein Einsichtnahmerecht in Akten oder Geschäftsunterlagen97. Das Auskunftsrecht findet seine Grenzen allgemein in berechtigten Interessen des Emittenten. Hier können die Maß93 A.A. Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 7; Ansmann, § 14 Anm. 22. 94 Zur Praxis Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 40. 95 So aber Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 13. 96 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 38. 97 Vgl. Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (484 Fn. 89).

182

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 67 § 7 SchVG

stäbe des § 131 Abs. 3 AktG übertragen werden98. Das erscheint schon deshalb sachgerecht, weil eine Auskunftserteilung, die sich zu Lasten des Emittenten auswirkt, im Ergebnis auch die Rückzahlungserwartung der Anleihegläubiger belastet.

XI. Vergütung (§ 7 Abs. 6 SchVG) Nach § 7 Abs. 6 SchVG hat der Schuldner – wie schon nach § 14a Abs. 3 SchVG 1899 – die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters entstehenden Kosten und Aufwendungen, einschließlich einer angemessenen Vergütung des Vertreters, zu tragen. In dieser im SchVG vorgesehenen Kostentragungspflicht des Anleiheschuldners wird eine Art Zwangsvertrag zu Lasten des Emittenten erkannt99. Es entspricht dem allgemeinen Verständnis, dass sich aus § 7 Abs. 6 SchVG ein unmittelbarer Anspruch des Vertreters gegen den Emittenten ergibt100. Dazu führt die Begründung des Regierungsentwurfs aus101: „Nach Absatz 6 hat der Schuldner die Kosten und Aufwendungen (vgl. § 670 BGB) zu tragen, die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters entstehen, einschließlich einer angemessenen Vergütung des gemeinsamen Vertreters. Die Gläubiger sollen nicht mit Kosten belastet werden, da sie nicht über gemeinsame Mittel verfügen. Die Ansprüche des gemeinsamen Vertreters richten sich demzufolge direkt gegen den Schuldner.“

64

1. Fehlende Bindungswirkung von Gläubigerbeschlüssen Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in § 7 Abs. 6 SchVG keine Regressnorm dergestalt einführen wollte, dass die Gläubiger zunächst den gemeinsamen Vertreter vergüten und sich dann beim Schuldner erholen können, sondern dass er die einzelnen Gläubiger von einer Kostentragungspflicht ganz frei stellen wollte.

65

Allerdings besteht die Kostentragungspflicht des Emittenten nur im Rahmen der Angemessenheit (dazu gleich Rz. 69). Der Emittent ist insoweit nicht an einen Beschluss der Gläubigerversammlung über die Vergütung gebunden. Auch ein Beschluss, nach dem die Gläubigerversammlung eine Vergütung in einer bestimmten Höhe für angemessen erachtet, ist in keiner Weise bindend.

66

Das wirft die Frage auf, wer das Risiko trägt, dass sich die Vergütung als nicht angemessen 67 erweist und/oder dem gemeinsamen Vertreter von den Gläubigern eine Vergütung zugesagt wird, die sich nicht als angemessen erweist. Im Ausgangspunkt ist davon auszugehen, dass der gemeinsame Vertreter das Risiko trägt, dass seine Vergütung unangemessen ist. Die Frage bleibt, ob das auch in einem Fall gilt, in dem ihm von der Versammlung eine Vergütung zugesagt worden war, die sich im Verhältnis gemeinsamer Vertreter und Emittent als nicht angemessen herausstellt, so dass der Emittent nicht zahlen muss. Im Schrifttum wird angenommen, in einem solchen Fall einer dem Vertreter zugesagten Vergütung gehe die Gläubigerversammlung das Risiko ein, dass sie aufgrund der (gleichlautenden) Geschäftsbesorgungsverträge aus eigenem Vermögen den überschießenden Teil selbst bezahlen muss102, wobei sich dann die Anschlussfrage stellt, wie der Anspruch mangels Prozessfähigkeit der Gläubiger als Verband prozessual durchzusetzen wäre; insoweit wird von einer pro rata Haf98 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 39. 99 Wöckener, in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 56. 100 Anders letztlich im Kontext des Insolvenzverfahrens Antoniadis, NZI 2014, 785 (787 f.); zur Insolvenz noch unten Rz. 77. 101 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. 102 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 77; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 56. Nuanciert anders Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2399).

Thole 183

§ 7 SchVG Rz. 68 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger tung der einzelnen Gläubiger ausgegangen103. Für letzteres gibt es Vorbilder im Wohnungseigentumsrecht und im Gesellschaftsrecht104. Tatsächlich bedarf es hier noch einer deutlicheren Unterscheidung. Mit einem Beschluss, der auch eine Aussage über die Vergütung enthält, muss nicht zwingend eine Kostenübernahme durch die Gläubiger aus eigenem Vermögen verbunden sein. Denn regelmäßig werden die einzelnen Gläubiger kein Interesse daran haben, 1. dem gemeinsamen Vertreter eine unangemessen hohe Vergütung zuzusagen, und 2. diese aus eigenem Vermögen zu tragen. Das kann auch der gemeinsame Vertreter üblicherweise nicht so verstehen. Folgerichtig wird je nach konkretem Inhalt des Beschlusses der Inhalt ggf. nur unverbindlich und als eine Meinungsäußerung zu verstehen sein, dass die Gläubigerversammlung die Vergütung in der genannten Höhe für angemessen erachtet. Bindende Wirkung gegenüber dem Emittenten hat das natürlich nicht, m.a.W. die Nennung einer Vergütung wird regelmäßig auf der Einschätzung der Gläubiger beruhen, dass dies die angemessene Vergütung ist. Daraus folgt aber eben nicht, dass die Gläubiger auch bereit sind, den von einem Gericht im Verhältnis gemeinsamer Vertreter/Emittent als nicht angemessen erachteten Betrag selbst zu übernehmen, und je nach Situation darf der gemeinsame Vertreter dies auch nicht so verstehen. Anders mag dies aber dann sein, wenn sich dem Beschluss entnehmen lässt, dass die Gläubiger ohne weiteres auch für den überschießenden Teil geradestehen wollen, sie ihm also bewusst eine unangemessen hohe Vergütung zusichern wollen; dies kann die Auslegung insbesondere dann ergeben, wenn mit der Vergütungszusage die Schwierigkeiten überwunden werden sollen, einen gemeinsamen Vertreter zu finden (wobei dann wohl schon die angemessene Vergütung höher ist als sonst). Die eben beschriebenen Probleme lassen sich theoretisch dadurch lösen, wenn der Emittent bereit ist, dem gemeinsamen Vertreter die gesamte, ihm von der Gläubigerversammlung zugesagte Vergütung zu tragen mit der Maßgabe, dass er den nicht angemessenen Teil der Vergütung von der Rückzahlung der Anleihe abzieht. 2. Aufwendungen und Kosten 68

Vom Emittenten zu tragen sind angemessene Aufwendungen und Kosten, wobei § 7 Abs. 6 SchVG zu den Kosten auch die Vergütung zählt. Aufwendungen meint gewöhnlich freiwillige Vermögensopfer zur Erreichung eines bestimmten Zwecks105. Zu denken ist an Auslagen für Kopien, die Verbreitung der Berichte, Rundschreiben, Telefon etc. Aufwendungen für die Abhaltung der Gläubigerversammlung trägt nach § 9 Abs. 4 SchVG ohnehin der Emittent. Kosten für Gläubigerversammlungen, die ausschließlich zu dem Zweck einberufen werden, dass der gemeinsame Vertreter seine Haftungsgefahr minimieren will, sind davon aber richtigerweise auszunehmen. Der Begriff der Kosten, der im SchVG 1899 noch nicht enthalten war, hat wenig eigenständige Bedeutung, kann aber insbesondere auch die Vergütung umfassen und ggf. auch Nachteile beim gemeinsamen Vertreter, die im allgemeinen Sprachgebrauch eher als Kosten denn als spezifische Aufwendungen angesehen werden wie z.B. Bürokosten, Reisekosten, Kosten für Erfüllungsgehilfen etc.106. Zu den vom Schuldner zu tragenden Positionen gehört insbesondere die angemessene Vergütung des gemeinsamen Vertreters. In allen Fällen gilt die Grenze der Angemessenheit (dazu gleich näher Rz. 69). 3. Angemessenheit

69

Was angemessen ist, lässt sich nicht exakt vorab definieren. Beschlüsse der Gläubigerversammlung haben keine bindende Wirkung, auch kein rechtlich erhebliche Beweis- oder In103 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 56. 104 BGH v. 8.2.2011 – II ZR 263/09 – Rz. 23 ff., NJW 2011, 2040; BGH v. 8.2.2011 – II ZR 243/09 – Rz. 14 ff., NJW 2011, 2045 für das Gesellschaftsrecht und § 10 Abs. 8 WEG. 105 BGH v. 4.2.1999 – III ZR 268/97, NJW 1999, 1464 (1466). 106 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 79.

184

Thole

Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger

Rz. 73 § 7 SchVG

dizwirkung. Auch die ohnehin nicht erforderliche Zustimmung des Emittenten zur Wahl des gemeinsamen Vertreters oder gar sein Vorschlag zu dieser Person bedeutet nicht, dass der Emittenten an etwaige Vergütungsvorschläge gebunden würde (vorbehaltlich einer echten Vereinbarung mit dem gemeinsamen Vertreter, dazu gleich Rz. 71). Die Prüfung der Angemessenheit ist am Zweck der Tätigkeit zu orientieren. Es ist also zu fra- 70 gen, was der gemeinsame Vertreter für erforderlich halten durfte, um seine Tätigkeit zu erfüllen. Bei der Vergütung ist die angemessene Vergütung nicht ohne weiteres die marktübliche Vergütung. Wenn ein Stundensatz von 500 Euro für einen gemeinsamen Vertreter marktüblich ist oder es insoweit Parallelfälle gibt, bedeutet dies nicht, dass auch in einem konkreten Fall ein solcher Satz angemessen ist. Natürlich muss in die Ermittlung der Angemessenheit einfließen, wie eine entsprechend qualifizierte und erfahrene Person üblicherweise vergütet wird, aber dennoch bedarf es sodann der Unterscheidung anhand der konkreten Situation. Entscheidend sind die konkret übernommenen Aufgaben und Befugnisse und deren tatsächliche Wahrnehmung und insgesamt auch die Komplexität der Aufgabe, beispielsweise die Frage, ob 10 Gläubiger zu koordinieren sind oder 10 000. Soll der gemeinsame Vertreter im Wesentlichen nur Sprachrohr und Empfangsvertreter mit den gesetzlichen Mindestbefugnissen sein, muss seine Vergütung geringer ausfallen, als wenn er insbesondere die Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG mit dem Emittenten aushandelt und ermächtigt ist, für die Anleihegläubiger die Zustimmung zu erteilen. Im Insolvenzverfahren (§ 19 Abs. 2 SchVG) sind die Aufgaben im Abwicklungsregelverfahren ggf. geringer als außerhalb des Verfahrens, weil der gemeinsame Vertreter im Wesentlichen nur die Forderungen, und zwar in einer bloßen Sammelanmeldung, möglicherweise ohne Namen (aber wohl dennoch individualisiert107), anzumelden hat (§ 19 Abs. 3 SchVG). In einem Insolvenzplanverfahren sieht das schon anders aus. Näher unten Rz. 77. Für die Vergütung kommen verschiedene Modelle in Betracht. Wenig problematisch ist es insoweit, wenn der gemeinsame Vertreter vor Antritt seiner Tätigkeit mit dem Emittenten eine vertragliche Vereinbarung über die nach § 7 Abs. 6 SchVG geschuldete Vergütung trifft. Dann ist der Emittent daran gebunden. In einem solchen Fall kann beispielsweise auch ein monatlicher Pauschalbetrag vereinbart werden, was aus Sicht des Emittenten aber problematisch ist, wenn sich die Aufgaben des Vertreters verringern.

71

Will der gemeinsame Vertreter dagegen ohne vorhergehende Vereinbarung mit dem gemein- 72 samen Vertreter abrechnen, so hängt der Erfolg im Bestreitensfall davon ab, wie der gemeinsame Vertreter seine Leistungen darlegt. Erforderlich wird sein, dass transparent nachvollzogen werden kann, welche Tätigkeiten der gemeinsame Vertreter erbracht hat und erbringen durfte, um seine konkrete Aufgabe (und eben nicht die ihm nicht zugewiesenen Aufgaben!) zu erfüllen. Das kann erfolgen durch Stundenaufstellung, aber auch durch, beispielsweise am RVG orientierte, Pauschbeträge. Im Insolvenzverfahren mag VV 3320, 3317 einen Ansatz liefern, der ggf. konkretisiert werden kann (ggf. z.B. Erhöhungsfaktoren analog VV 1008). Eine Vergütung oberhalb des RVG kann regelmäßig bei Fehlen einer Vereinbarung nicht als angemessen erachtet werden, denn zu entscheiden ist nicht, was die Arbeit des gemeinsamen Vertreters wert ist oder was marktüblich ist, sondern maßgeblich ist, in welcher Höhe dem Emittenten der Kostenersatz zugemutet werden kann. Dafür sind die gesetzlichen Regelungen hinreichende Vorbilder. Zu beachten ist auch der Gebührenrahmen beim gemeinsamen Vertreter nach SpruchG als mögliches Referenzmodell. Zu beachten ist auch, dass das RVG auch dann nicht direkt gilt, wenn der gemeinsame Vertreter Rechtsanwalt ist. Discretionary fees sind denkbar, wenn die Gebühr in das Ermessen des Vorstands gestellt wird; denn der Vorstand kann genauso gut eine Vergütungsvereinbarung schließen. Allerdings darf es – aus unternehmensinterner Sicht des Emittenten und aufgrund der gesell107 So Blaufuß/Braun, NZI 2016, 5 (10).

Thole 185

73

§ 7 SchVG Rz. 74 Gemeinsamer Vertreter der Gläubiger schaftsrechtlichen Rahmenbedingungen – keine Freigiebigkeit des Vorstands gegenüber dem gemeinsamen Vertreter geben. 74

Eine Vergütung, die sich an einer Prozentzahl der Emissionssumme orientiert, ist im Zweifel nicht angemessen bzw. kann unsachgerecht sein, weil die Emissionssumme über den Umfang der Tätigkeit und ihre Komplexität wenig aussagt.

75

Der Bezug zur geschuldeten Tätigkeit ist stets zu wahren. Insbesondere muss verhindert werden, dass der gemeinsame Vertreter durch den unnötigen Einsatz von Hilfskräften und Mitarbeitern abrechenbare Stunden generiert, die eigentlich nicht erforderlich waren. Gerade bei wenig komplexen Fällen wird ein Auftreten mit einer Armada von Rechtsanwälten, die den gemeinsamen Vertreter beraten, kaum erforderlich sein. Die Maßstäbe unterscheiden sich nicht danach, ob eine juristische Person oder eine natürliche Person Vertreter ist. Bei einer juristischen Person als gemeinsamem Vertreter ist zunächst zu fragen, mit welchen Tätigkeiten und welchem Aufwand eine natürliche Person die Aufgabe bewältigen könnte. Nur dann, wenn eine natürliche Person Mitarbeiter und Assistenten oder Rechtsrat hinzuziehen dürfte, weil dies die Aufgabe erfordert, können dann entsprechend bei der juristischen Person anteilige Vergütungen der Mitarbeiter abgerechnet werden.

76

Sind mehrere gemeinsame Vertreter eingesetzt, hat der Emittent nur die Aufwendungen und Kosten für einen gemeinsamen Vertreter zu tragen108. Zum Verhältnis zum Verbot der Nachschusspflicht bei Zusage einer unangemessenen Vergütung § 5 SchVG Rz. 29.

XII. Insolvenzverfahren 77

Die Funktionen des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren sind bei § 19 SchVG beschrieben (siehe § 19 SchVG Rz. 70 ff.). Wegen des Vorrangs des Insolvenzrechts werden die Aufgaben des gemeinsamen Vertreters nach § 7 Abs. 2 SchVG insoweit überlagert. Gläubigerversammlungen der Anleihegläubiger sind zwar ggf. noch statthaft, haben aber nur interne Wirkungen und binden die Insolvenzmasse nicht unmittelbar. Insgesamt sind die Aufgaben des gemeinsamen Vertreters gesetzlich auf die Geltendmachung der Rechte der Anleihegläubiger im Insolvenzverfahren beschränkt (§ 19 Abs. 3 SchVG). Im Regelinsolvenzverfahren ist dies meist wenig kompliziert. Eine Sammelanmeldung der Forderung genügt (§ 19 SchVG Rz. 100); zu Feststellungsklagen nach Widerspruch (§ 179 InsO) oben Rz. 35. Die Vergütungsfrage ist ebenfalls bei § 19 SchVG Rz. 83 ff. beschrieben. Ergänzend ist zu bemerken, dass die Vergütung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren geringer sein kann. Freilich ist die Kommunikationslast bei einer Vielzahl von Gläubigern und gerade wegen der Krisensituation hoch. Daraus folgt für die Vergütung nach § 7 Abs. 6 SchVG, dass die Angemessenheit an den neuen Umständen zu orientieren ist109. Möglicherweise anders ist es, wenn eine Sanierung und ein Insolvenzplan ausgearbeitet werden, weil zwar die Anleihegläubiger insoweit nur als eine Gruppe von Gläubiger ebenso wie z.B. Lieferanten oder andere Finanzgläubiger am Insolvenzverfahren teilnehmen, aber dann die Komplexität und die Koordinationsaufgabe größer wird. Im Einzelnen ist zu differenzieren: Bestand zuvor eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Emittenten und dem gemeinsamen Vertreter über die Höhe der Vergütung, so kann der Insolvenzverwalter diesen Vertrag entweder kündigen oder nach § 103 InsO das Wahlrecht ausüben oder der Vertrag über die Vergütung gilt als Vertrag nach § 116 Abs. 1 Satz 1, 2 i.V.m. § 115 InsO, so dass er erlischt.

78

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob das Grundverhältnis (Geschäftsbesorgungsvertrag oder gesetzliches Schuldverhältnis) im Allgemeinen (also nicht nur ein zusätzlicher Vertrag 108 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20. 109 Vgl. auch Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2400).

186

Thole

Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen

§ 8 SchVG

über die Vergütung mit dem Emittenten) erlischt. Das hängt davon ab, ob der Vertrag mit den Gläubigern zustande kommt oder dem Emittenten (dazu oben Rz. 22 ff.). Bejaht man einen Vertrag mit den Gläubigern, wird er durch die Insolvenz des Emittenten naturgemäß nicht berührt. Wiederum anders gelagert ist die Frage nach der Vergütung nach § 7 Abs. 6 SchVG. Der gemeinsame Vertreter kann auch nach Insolvenzeröffnung (ob nach § 19 Abs. 2 SchVG neu bestellt oder bei fortbestehender Tätigkeit) seine (ggf. anzupassende, Rz. 78) Vergütung verlangen. Fraglich ist aber, welche Qualität diese Forderung im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten hat. Diese Frage ist umstritten (dazu § 19 SchVG Rz. 89). Dogmatisch hängt sie ebenfalls davon ab, mit wem eigentlich der Vertrag zustande kommt110. Im Ergebnis handelt es sich für die Zeit nach Insolvenzeröffnung richtigerweise um eine Masseverbindlichkeit111. Eine eigenständige Vergütungsabrede zwischen Emittent und Vertreter ist richtigerweise nicht insolvenzfest und kann zumindest über § 103 InsO vom Verwalter beseitigt werden, wenn man nicht schon §§ 116, 115 InsO anwenden möchte. In diesem Fall ist die Vergütungsabrede beseitigt, nicht aber das Grundverhältnis im Übrigen, erst recht nicht, wenn man davon ausgeht, dass es allein zu den Gläubigern besteht. Fehlt es an einer Vergütungsabrede, bleibt es bei der Pflicht zur Tragung angemessener Kosten und Aufwendungen nach § 7 Abs. 6 SchVG, die aber eben nicht per se mit dem übereinstimmt, was vorinsolvenzlich vereinbart oder gezahlt wurde.

§8 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen (1) 1Ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger kann bereits in den Anleihebedingungen bestellt werden. 2Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs, Angestellte oder sonstige Mitarbeiter des Schuldners oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens dürfen nicht bereits in den Anleihebedingungen als gemeinsamer Vertreter der Gläubiger bestellt werden. 3Ihre Bestellung ist nichtig. 4Dies gilt auch, wenn die in Satz 1 genannten Umstände nachträglich eintreten. 5Aus den in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 bis 4 genannten Personengruppen kann ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger bestellt werden, sofern in den Emissionsbedingungen die maßgeblichen Umstände offengelegt werden. 6Wenn solche Umstände nachträglich eintreten, gilt § 7 Absatz 1 Satz 3 entsprechend. (2) 1Mit der Bestellung ist der Umfang der Befugnisse des gemeinsamen Vertreters zu bestimmen. 2Zu einem Verzicht auf Rechte der Gläubiger, insbesondere zu den in § 5 Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 bis 9 genannten Entscheidungen, kann der Vertreter nur auf Grund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ermächtigt werden. 3In diesen Fällen kann die Ermächtigung nur im Einzelfall erteilt werden. (3) In den Anleihebedingungen kann die Haftung des gemeinsamen Vertreters auf das Zehnfache seiner jährlichen Vergütung begrenzt werden, es sei denn, dem gemeinsamen Vertreter fällt Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last.

110 Horn, BKR 2014, 449 (452). 111 Thole, ZIP 2014, 293 (297 f.). A.A. LG Düsseldorf v. 11.5.2016 – 23 O 97/15, ZIP 2016, 1036; vgl. auch LG Saarbrücken v. 3.9.2015 – 4 O 221/14, ZIP 2016, 1038.

Thole 187

79

§ 8 SchVG Rz. 1 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen (4) Für den in den Anleihebedingungen bestellten gemeinsamen Vertreter gilt § 7 Absatz 2 bis 6 entsprechend. I. Normzweck und Systematik . . . . . . . . . II. Anforderungen an die Person des Vertragsvertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Akt der Bestellung und zugrunde liegendes Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . IV. Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . . .

1 2

V. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Entsprechende Anwendung der § 7 Abs. 2 bis 6 SchVG . . . . . . . . . . . . . . VII. Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . .

10 11 12

5 8

I. Normzweck und Systematik 1

Die Vorschrift regelt das Institut des sog. Vertragsvertreters, der bereits in den Anleihebedingungen, d.h. auf Betreiben des Emittenten und ohne Wahlmöglichkeit der Gläubiger, bestellt werden kann. Diese Figur war vom SchVG 1899 bereits in § 16 SchVG 1899 anerkannt. Der RefE sah keine eigenen Regelungen vor1, im RegE ist dies dann in eine eigenständige Vorschrift überführt worden, die aber zum Teil auf die Regelungen für den Wahlvertreter in § 7 SchVG verweist, § 8 Abs. 4 SchVG. Ist ein Vertragsvertreter bestellt, kann ein zusätzlicher Wahlvertreter zwar ebenso bestellt werden, wie zwei oder mehrere gemeinsame Wahlvertreter bestellt werden können (§ 7 SchVG Rz. 32). Der Emittent ist aber nur zur Tragung der Kosten für einen gemeinsamen Vertreter verpflichtet (§ 7 SchVG Rz. 64). Unberührt bleibt, dass der Vertragsvertreter von den Gläubiger jederzeit ohne Angabe von Gründen durch Mehrheitsbeschluss abberufen werden kann und durch einen Wahlvertreter ersetzt werden kann, § 8 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 4 SchVG.

II. Anforderungen an die Person des Vertragsvertreters 2

Aus § 8 Abs. 1 Satz 2 SchVG folgt, dass Mitglieder des Vorstands, des Aufsichtsrats, des Verwaltungsrats oder eines ähnlichen Organs, Angestellte oder sonstige Mitarbeiter des Schuldners oder eines ihm verbundenen Unternehmens nicht als Vertragsvertreter bestellt werden dürfen. Der Begriff des ähnlichen Organs ist zweifelhaft2. Ob dies auch Organe anderer Konzerngesellschaften sein können, ist eher fraglich3, weil sich die damit verbundenen Gefahren von Interessenkonflikten bereits über die Variante des „verbundenen Unternehmens“ lösen. Die Bestellung von den ausgeschlossenen Personen ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 SchVG nichtig. Diese Inkompatibilitätsregeln haben ihre Parallele in § 7 Abs. 1 Nr. 1 SchVG. Im Fall des Vertragsvertreters und § 8 SchVG wird aber nicht lediglich eine Pflicht zur Offenlegung des Umstands normiert, sondern die Bestellung für nichtig erklärt. Dies gilt aber allein für die Fälle, die in § 7 Abs. 1 Nr. 1 SchVG normiert sind. Bei Umständen i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SchVG gilt § 8 Abs. 1 Satz 5 SchVG und das damit verbundene Offenlegungsprinzip. Ob darüber hinaus die Anforderungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG, nach dem eine uneingeschränkt geschäftsfähige natürliche Person oder eine sachkundige juristische Person zu bestellen ist, auch bei § 8 Abs. 1 SchVG gelten, ist zu bejahen4, weil nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber diese ganz rudimentären Anforderungen bei einem Vertragsvertreter aufgeben wollte. Ebenso wie unter diesen Prämissen der Beschluss zur Bestellung eines Wahlvertreters anfechtbar wäre (§ 7 SchVG Rz. 6), muss dann (mangels Beschlusses) ent1 2 3 4

Dazu Schmolke, ZBB 2009, 8 (9). Nesselrodt in Preuße, § 8 SchVG Rz. 7. So aber Nesselrodt in Preuße, § 8 SchVG Rz. 7. Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (157); Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 30.

188

Thole

Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen

Rz. 5 § 8 SchVG

sprechend § 8 Abs. 1 Satz 3 SchVG von der Nichtigkeit des Bestellung ausgegangen werden5. Fällt die Sachkunde nachträglich weg, wird man den Vertreter entsprechend § 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG wie beim Wahlvertreter zur Offenlegung dieses Umstands verpflichtet halten, damit die Gläubiger entscheiden können, ob sie an ihm als Vertreter festhalten wollen. Im Fall einer Inkompatibilität nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SchVG ist die Bestellung nichtig, wie § 8 Abs. 1 Satz 3 SchVG anordnet. Das bedeutet, dass der Vertragsvertreter, soweit er rechtsgeschäftliche Erklärungen für die Gläubiger abgegeben hat, ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Etwaige Erklärungen sind nach § 177 Abs. 1 BGB schwebend unwirksam6. Zudem muss angenommen werden, dass auch das Grundverhältnis (dazu unten Rz. 5 ff.) zum Emittenten und/oder zu den Gläubigern nicht wirksam ist, so dass ggf. das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag zur Anwendung kommt7. Das gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 4 SchVG auch dann, wenn die Umstände erst nachträglich eintreten, d.h. nach der Bestellung. Gemeint ist insoweit, dass die Bestellung ex nunc unwirksam wird8. Gegen die Annahme einer ex tunc-Nichtigkeit spricht vor allem die Rechtssicherheit9. Die bis zu diesem Zeitpunkt getätigten Rechtshandlungen bleiben folglich wirksam und binden die Gläubiger. Nach Eintritt der Unwirksamkeit gilt dasselbe wie bei anfänglicher Nichtigkeit.

3

In Fällen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 SchVG tritt keine Nichtigkeit der Bestellung ein, sondern in den Emissionsbedingungen muss – ähnlich § 7 Abs. 1 SchVG – lediglich offengelegt werden, dass die Umstände vorliegen. Infolgedessen wissen die Gläubiger oder können wissen, dass an der Wahrung ihrer Interessen durch den Vertragsvertreter zumindest Zweifel gehegt werden können. Bei nachträglichem Eintritt gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 6 SchVG die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG entsprechend. Die Umstände sind dann zu veröffentlichen, und zwar im Zweifel so, wie die Anleihebedingungen derartige Verlautbarungen vorsehen, z.B. im Bundesanzeiger10, sonst über die Clearing-Systeme oder die Wertpapiermitteilungen11. Insoweit gilt hier nichts anderes als beim Wahlvertreter. Auf die Erläuterungen zu § 7 SchVG Rz. 8 ff. wird verwiesen. Allerdings fehlt es an einer Bußgeldbewehrung, da § 23 SchVG den Fall nicht erfasst.

4

III. Akt der Bestellung und zugrunde liegendes Rechtsverhältnis Die Bestellung erfolgt in den Anleihebedingungen. Auch dies ist ein rechtsgeschäftlicher 5 Akt12. Mit der Bestellung erwirbt der gemeinsame Vertreter die (im Einzelnen näher ausgestaltete und unter der maßgeblichen Grenze des § 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG stehende) Vertretungsmacht (Vollmacht), für die Gläubiger rechtsgeschäftliche Erklärungen abzugeben oder in Empfang zu nehmen. Ferner kann er in tatsächlicher Hinsicht für die Gläubiger tätig werden. Zugleich entsteht das zugrunde liegende Grundverhältnis. Ebenso wie beim Wahlvertreter ist aber auch beim Vertragsvertreter ungesichert, mit wem und auf welche Weise und ob überhaupt ein privatrechtliches Rechtsverhältnis zustande kommt.

5 6 7 8 9 10 11 12

Veranneman in Veranneman, § 7, 8 SchVG Rz. 30. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 8 f. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 9 f. So auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 8 SchVG Rz. 10. So aber Nesselrodt in Preuße, § 8 SchVG Rz. 8. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 11. Nesselrodt in Preuße, § 8 SchVG Rz. 18. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 12; Ansmann, § 16 Anm. 11.

Thole 189

§ 8 SchVG Rz. 6 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen 6

Es stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Nach einer Auffassung kommt ein Vertrag nur mit den Gläubigern zustande13. Der Emittent schließe als Vertreter der Gläubiger ohne Vertretungsmacht mit dem Vertreter einen sodann schwebend unwirksamen Vertrag, den die Gläubiger mit dem Erwerb der Teilschuldverschreibung genehmigen (§§ 177, 182 BGB)14. Bei Annahme eines direkten Vertragsverhältnisses zum Emittenten sei der Verweis in § 8 Abs. 4 SchVG auf § 7 Abs. 6 SchVG überflüssig, weil der Emittent dann ohnehin zur Zahlung der Vergütung und zum Aufwendungsersatz verpflichtet sei.

7

Demgegenüber geht die Gegenauffassung davon aus, dass der Emittent Vertragspartner wird und er mit dem Vertreter einen echten Vertrag zugunsten Dritter schließt15. Die erste Lösung hat das konstruktive Problem, dass der Emittent lediglich als Vertreter der Gläubiger angesehen wird, obwohl die Bestellung eines Vertragsvertreters in einem beachtlichen Maße auch in seinem Interesse erfolgt16. Die zweite Lösung hat zwar das Problem einer Doppelung des § 7 Abs. 6 SchVG, das aber nicht unüberwindbar erscheint, weil eine etwaige Vergütungsabrede dann freiwillig vom Emittenten eingegangen wird; problematisch erweist sich beim Vertrag mit einem Vertragsvertreter eher die Frage, ob der Emittent das Verhältnis von sich aus kündigen darf, was er entsprechend den Grundsätzen zum Vertrag zugunsten Dritter und wegen der besonderen Zweckbindung bzw. Begünstigung der Gläubiger wohl nur mit Zustimmung der Gläubiger dürfte17 (während die Dritten, d.h. die Gläubiger, den Vertreter nach § 7 Abs. 4 SchVG jederzeit abberufen können). Wie beim Wahlvertreter stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob im Ausgangspunkt von einem gesetzlichen Schuldverhältnis zu den Gläubigern auszugehen ist, das freilich durch die Bestellung in den Anleihebedingungen auf rechtsgeschäftlichem Weg „aktiviert“ werden müsste. Dann bleibt das Problem, dass die Kündigungsmöglichkeiten und Beendigungsmöglichkeiten in § 7 Abs. 4 i.V.m. § 8 Abs. 4 SchVG nur partiell geregelt sind und dass der rechtsgeschäftliche Charakter geleugnet würde. Jedenfalls beim Vertragsvertreter (zum Wahlvertreter siehe § 7 SchVG Rz. 22) erscheint es insgesamt vorzugswürdig, von einem Vertrag mit dem Emittenten auszugehen, der zugunsten der Gläubiger wirkt und durch die Regelungen in § 8 SchVG und insbesondere durch in § 8 Abs. 4 SchVG in Bezug genommenen Regelungen gesetzlich partiell ausgeformt wird.

IV. Aufgaben und Befugnisse 8

Für die Befugnisse des gemeinsamen Vertreters gelten über die Verweisung in § 8 Abs. 4 SchVG die Regelungen in § 7 Abs. 2 SchVG. Auf die Erläuterungen zu dieser Norm wird verwiesen (§ 7 SchVG Rz. 33 ff.). Zugleich wird in § 8 Abs. 2 SchVG angeordnet, dass die Befugnisse des gemeinsamen Vertreters bereits bei der Bestellung, d.h. in den Anleihebedingungen zu bestimmen sind. Es handelt sich also um eine Pflicht des gemeinsamen Vertreters. Es wird im Gesetz (anders als z.B. bei § 8 Abs. 1 Satz 3 SchVG) nicht ausdrücklich angeordnet, welche Folgen eintreten, wenn eine Festlegung der Befugnisse unterbleibt. Teil13 Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 41 f.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 14. 14 Ansmann, § 16 SchVG 1899 Anm. 11; Quassowski/Schmölder, Verordnung über die Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger, 1932, S. 43. 15 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 8 SchVG Rz. 4; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 43 hält dies nach Auslegung jedenfalls nicht für ausgeschlossen; wohl auch Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 191. 16 Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 214. 17 Allgemein zur Kündigung und Rücktritt beim Vertrag zugunsten Dritter und zur Zustimmungsbedürftigkeit des Dritten RGZ 101, 275, 276 f.; Grüneberg in Palandt, § 328 BGB Rz. 6.

190

Thole

Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen

Rz. 10 § 8 SchVG

weise wird geschlossen, dass dann keine Vertretungsmacht für den gemeinsamen Vertreter entstehe18. Näher liegen dürfte, dass der gemeinsame Vertreter in diesen Fällen auf die gesetzlichen Mindestbefugnisse in § 7 Abs. 2 SchVG (über § 8 Abs. 4 SchVG) beschränkt ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn man die Prämisse teilt, dass die gesetzlichen Befugnisse nicht eingeschränkt werden dürfen19. Das Problem ist bei § 7 SchVG Rz. 38 behandelt. § 8 Abs. 2 Satz 2 SchVG enthält eine Besonderheit und eine spezifische Schranke bei der Festlegung der Befugnisse insbesondere mit Blick auf eine Globalermächtigung. Zu einem Verzicht auf Rechte der Gläubiger, insbesondere zu den in § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SchVG genannten Entscheidungen kann der Vertreter nur auf Grund eines Beschlusses der Gläubigerversammlung ermächtigt werden20. Die dahinter stehende Logik ist, dass in einem solchen Fall (anders als bei der Änderungen von Nebenbestimmungen i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 10 SchVG) eine qualifizierte Mehrheit für einen Gläubigerbeschluss erforderlich und es deshalb nicht sachgerecht wäre, wenn der Vertragsvertreter bereits ex ante ermächtigt würde, wesentlichen Änderungen der Anleihebedingungen zuzustimmen. Ebenso wenig kann bereits in den Anleihebedingungen ein verdrängendes Mandat nach dem Vorbild des § 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG geschaffen werden. Mit dem § 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG, wonach die Ermächtigung nur im Einzelfall erteilt werden kann, soll verhindert werden, dass frühzeitig der nach § 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG erforderliche Gläubigerbeschluss eingeholt wird und dieser Beschluss den Vertragsvertreter pauschal zu einem Verzicht auf Gläubigerrechte ermächtigt. Folglich darf der Beschluss nur die Maßnahmen im Einzelfall betreffen (anders als beim Wahlvertreter, siehe § 7 SchVG Rz. 39).

9

V. Haftung Nach § 8 Abs. 3 SchVG kann die Haftung des Vertragsvertreters für Gesamtschäden bereits 10 in den Anleihebedingungen auf das Zehnfache der jährlichen Vergütung des Vertragsvertreters beschränkt werden, nicht aber im Fall der Haftung für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Wohlgemerkt gilt dies für eine Haftungsbeschränkung, die bereits in die Anleihebedingungen und damit in die ursprüngliche Bestellung aufgenommen wird. Nicht ganz deutlich wird, ob eine Abweichung von diesen Vorgaben durch Gläubigerbeschluss möglich ist. Teilweise wird angenommen, eine weitergehende Haftungsbegrenzung sei mit dem Verschlechterungsverbot des § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG nicht vereinbar21. Indessen gilt über § 8 Abs. 4 SchVG auch § 7 Abs. 3 SchVG. Für den Wahlvertreter ist aber nach den Maßstäben bei § 7 SchVG Rz. 51 anerkannt, dass die Haftung für grobe Fahrlässigkeit auch gänzlich ausgeschlossen werden kann (für Vorsatz wegen § 276 Abs. 3 BGB nach hier vertretener Ansicht nicht, § 7 SchVG Rz. 52). Daher kann der Gläubigerbeschluss die Haftung in weitergehendem Maße einschränken. § 8 Abs. 3 SchVG will nur verhindern, dass bereits in den Anleihebedingungen und damit vom Emittenten eine weitgehende Haftungsfreistellung vorgesehen wird. Folgerichtig gilt über § 8 Abs. 4 SchVG auch § 7 Abs. 3 SchVG im Übrigen. Demnach müssen die Gläubiger über die Geltendmachung der Haftung beschließen, § 7 Abs. 3 Satz 3 SchVG. Zu Einzelschäden § 7 SchVG Rz. 54.

18 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 14. 19 Anders aber Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 8 SchVG Rz. 15. 20 Zur Terminologie Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 8 SchVG Rz. 17, Simon, CFL 2010, 159 (163). 21 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 8 SchVG Rz. 19.

Thole 191

§ 8 SchVG Rz. 11 Bestellung des gemeinsamen Vertreters in den Anleihebedingungen

VI. Entsprechende Anwendung der § 7 Abs. 2 bis 6 SchVG 11

§ 8 Abs. 4 SchVG verweist auch im Übrigen auf die Regeln für den Wahlvertreter. Das betrifft neben der Haftung (soeben Rz. 10) insbesondere auch die Vergütung nach § 7 Abs. 6 SchVG und die Frage der jederzeitigen Abberufungsmöglichkeit nach § 7 Abs. 4 SchVG (zur Kündigung durch den Vertreter siehe § 7 SchVG Rz. 60).

VII. Insolvenzverfahren 12

Für das Insolvenzverfahren ergeben sich aus § 19 Abs. 1 und 2 SchVG keine Besonderheiten. Ebenso wie bei einem gewählten Vertreter bleibt auch der Vertragsvertreter zunächst im Amt, so dass in einem solchen Fall nach § 19 Abs. 2, Halbs. 2 SchVG keine Versammlung zwecks Wahl eines Vertreters einberufen werden muss. Geht man von einem Vertrag zwischen dem Emittenten und dem Vertragsvertreter aus, liegt es nahe, seinen Vergütungsansprüchen den Charakter einer Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO zuzuweisen22; die Frage ist ebenso wie beim Wahlvertreter ungeklärt (siehe § 19 SchVG Rz. 89). Zur Insolvenzfestigkeit eigenständiger Vergütungsabreden und zur möglichen Reduzierung oder Anpassung der Vergütung siehe § 7 SchVG Rz. 77.

§9 Einberufung der Gläubigerversammlung (1) 1Die Gläubigerversammlung wird vom Schuldner oder von dem gemeinsamen Vertreter der Gläubiger einberufen. 2Sie ist einzuberufen, wenn Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, dies schriftlich mit der Begründung verlangen, sie wollten einen gemeinsamen Vertreter bestellen oder abberufen, sie wollten nach § 5 Absatz 5 Satz 2 über das Entfallen der Wirkung der Kündigung beschließen oder sie hätten ein sonstiges besonderes Interesse an der Einberufung. 3Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die Gläubiger auch aus anderen Gründen die Einberufung verlangen können. (2) 1Gläubiger, deren berechtigtem Verlangen nicht entsprochen worden ist, können bei Gericht beantragen, sie zu ermächtigen, die Gläubigerversammlung einzuberufen. 2Das Gericht kann zugleich den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen. 3Auf die Ermächtigung muss in der Bekanntmachung der Einberufung hingewiesen werden. (3) 1Zuständig ist das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Sitz hat oder mangels eines Sitzes im Inland das Amtsgericht Frankfurt am Main. 2Gegen die Entscheidung des Gerichts ist die Beschwerde statthaft. (4) Der Schuldner trägt die Kosten der Gläubigerversammlung und, wenn das Gericht dem Antrag nach Absatz 2 stattgegeben hat, auch die Kosten dieses Verfahrens. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . .

22 Thole, ZIP 2014, 293 (297).

192

Binder

1

II. Funktion und technische Ausgestaltung der Gläubigerversammlung im Spiegel der Vorschriften über die Hauptversammlung der AG

Einberufung der Gläubigerversammlung 1. Grundlagen a) Grundentscheidung für die Anlehnung an das Recht der Hauptversammlung und Folgerungen für die Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzverfahrensrecht als alternatives Konstruktionsmodell? . . . . . . 2. Einzelheiten a) Allgemeine Grundsätze für die Auslegung; Überblick . . . . . . . . . . . . b) Funktionen der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Anklänge an das Recht der Hauptversammlung der AG im Überblick aa) Einberufung und Vorbereitung der Gläubigerversammlung . . . . bb) Ablauf und Dokumentation der Gläubigerversammlung . . . . . . . d) Beteiligungsrechte in der Gläubigerversammlung; Schranken der Rechtsausübung aa) Beteiligungsrechte. . . . . . . . . . . . bb) Schranken der Rechtsausübung (1) Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine „vertikalen“ Treuepflichten gegenüber der Emittentin. . . (3) Horizontale Bindungen der Anleihegläubiger untereinander . . . III. Einberufungszuständigkeit (§ 9 Abs. 1 SchVG) 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsamer Vertreter . . . . . . . . . . . . . IV. Einberufungsverlangen einer qualifizierten Gläubigerminderheit; Verfahren (§ 9 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 2 und 3 SchVG)

3 4

5 6

9 10

11 12 13 14

17 18 19

§ 9 SchVG

1. Grundlagen, Überblick. . . . . . . . . . . . . . 2. Qualifizierte Minderheit, Quorum (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG) a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schuldverschreibungen mit ruhenden Stimmrechten . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitliche Dimension . . . . . . . . . . . . . 3. Zulässige Einberufungsgründe a) Gesetzlich vorgesehene Einberufungsgründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erweiterung in den Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ungeschriebene Zulässigkeitsschranken 5. Einberufungsverlangen (noch § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG) a) Rechtsnatur und Form . . . . . . . . . . . b) Adressat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolge (noch § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Gerichtliche Ermächtigung (§ 9 Abs. 2 und 3 SchVG) a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Rechtsschutzbedürfnis. . . . . . . . . . . . g) Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Rechtsmittel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Durchführung der gerichtlichen Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kosten (§ 9 Abs. 4 SchVG) . . . . . . . . . .

20

21 22 23

27 28 29

30 31 32 33 34

35 36 37 38 39 40 41 42 43 44

Schrifttum: Binder, Regulierungsinstrumente und Regulierungsstrategien im Kapitalgesellschaftsrecht, 2012; Butzke, Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, 5. Aufl. 2011; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013; Eidenmüller, Die Banken im Gefangenendilemma: Kooperationspflichten und Akkordstörungsverbote im Sanierungsrecht, ZHR 160 (1996), 343; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999; Fama/Jensen, Agency Problems and Residual Claims, 26 Journal of Law, Economics and Organization 327 (1983); Florstedt, Die Schranken der Majorisierung von Gläubigern, RIW 2013, 583; Florstedt, „Korporatives Denken“ im Schuldverschreibungsrecht – ein Holzweg?, ZIP 2012, 2286; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, WiVerw 2014, 155; Halberkamp/Gierke, Das Recht der Aktionäre auf Einberufung einer Hauptversammlung, NZG 2004, 494; Heldt, Die „kollektive Bindung“ im Entwurf des Schuldverschreibungsgesetzes, in FS Teubner, 2009, S. 315; Heldt, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, in Grieser/Heemann (Hrsg.), Bankaufsichtsrecht – Entwicklungen und Perspektiven, 2009, S. 833; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 7. Aufl. 2012; Hofmann/Keller, Collective Action Clauses, ZHR 175 (2011), 684; Hopt, Neues Schuldverschreibungsrecht – Bemerkungen und Anregungen aus Theorie und Praxis, in FS Schwark, 2009, S. 441; Hopt, 50 Jahre Anlegerschutz und Kapitalmarktrecht: Rückblick und Ausblick, WM 2009, 1873; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173

Binder 193

§ 9 SchVG Rz. 1 Einberufung der Gläubigerversammlung (2009), 12; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Jensen/ Meckling, Theory of the Firm: Managerial Behavior, Agency Costs and Ownership Structure, 3 Journal of Financial Economics 305 (1976); Kalss, Anlegerinteressen. Der Anleger im Handlungsdreieck von Vertrag, Verband und Markt, 2001; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012; Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, 2016; Merkt, Kapitalmarktrecht, in FS Hopt, 2010, S. 2207; Mertens, Das Minderheitsrecht nach § 122 Abs. 2 AktG und seine Grenzen, AG 1997, 481; Paulus, Schuldverschreibungen, Restrukturierungen, Gefährdungen, WM 2012, 1109; Paulus, Internationales Restrukturierungsrecht, RIW 2013, 577; Podewils, Neuerungen im Schuldverschreibungs- und Anlegerschutzrecht – Das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung, DStR 2009, 1914; Reps, Rechtswettbewerb und Debt Governance bei Anleihen, 2014; Ruffner, Die ökonomischen Grundlagen eines Rechts der Publikumsgesellschaft, 2000; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010; H. Schneider, Ist das SchVG noch zu retten?, in Baums (Hrsg.), Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleihenrestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016, 997; Simon, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und Treuepflichten im Anleiherecht als Bausteine eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens, 2012; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999; Vogel, Der Rechtsschutz des Schuldverschreibungsgläubigers, in Baums (Hrsg.), Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39; Vogel, Restrukturierung von Anleihen nach dem SchVG – Neues Restrukturierungskonzept und offene Fragen, ZBB 2010, 211; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I: Grundlagen, 1980; Williamson, Corporate Finance and Corporate Governance, 43 Journal of Financial Economics 567 (1988).

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang 1

Die Vorschrift normiert mit der Einberufungszuständigkeit (§ 9 Abs. 1 SchVG), mit dem Verfahren der Einberufung durch eine qualifizierte, gerichtlich ermächtigte Gläubigerminderheit (§ 9 Abs. 2 und 3 SchVG) sowie mit der Kostentragungsregelung in § 9 Abs. 4 SchVG wesentliche Grundlagen des Rechts der Gläubigerversammlung, auf denen die weiteren Vorschriften der §§ 10-17 SchVG konzeptionell aufbauen. Die Abs. 1 und 4 sind eine Weiterentwicklung der Vorgängervorschrift in § 3 SchVG 1899.1 § 9 Abs. 1 Satz 1 SchVG weist die Einberufungszuständigkeit zunächst der Emittentin selbst und dem gemeinsamen Vertreter (§§ 7, 8 SchVG) zu (dazu Rz. 17 ff.). Ersteres entspricht der früheren Rechtslage (§ 3 Abs. 1 SchVG 1899), letzteres ist neu. Ergänzend wird – im Kern wie im früheren Recht (§ 3 Abs. 2 SchVG 1899) – qualifizierten Gläubigerminderheiten ein Initiativrecht eingeräumt (§ 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG) (Rz. 20 ff.). Das Verfahren zur Einberufung durch eine gerichtlich ermächtigte Gläubigerminderheit (§ 9 Abs. 2 bis 4 SchVG, Rz. 35 ff.) ist angelehnt an die Vorgängerregelungen in § 4 SchVG 1899. Die Vorgaben zum Einberufungsverlangen durch eine qualifizierte Minderheit stehen in engem sachlichem Zusammenhang mit der Regelung in § 13 Abs. 3 SchVG zum Recht einer qualifizierten Minderheit, die Ergänzung der Tagesordnung zu verlangen (siehe dazu § 13 SchVG Rz. 9 ff.); anders als im Aktienrecht, wo das Ergänzungsverlangen systematisch in derselben Vorschrift als Minus zum Einberufungsverlangen ausgestaltet ist (§ 122 Abs. 1 und 2 AktG), sind beide Regelungskomplexe im SchVG getrennt worden.

2

Die Regelung zielt mit alledem auf eine Stärkung der Gläubigerrechte ab und dient insbesondere dem Minderheitenschutz,2 der im Wesentlichen prozedural – mit gläubigerschützenden Verfahrensvorschriften – und nicht materiell ausgestaltet wird.3 Der Gläubiger1 Ungenau Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21 („redaktionell neu gefasst“). 2 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 2. 3 Liebenow, S. 53 f.; allgemein zu prozeduralen Regulierungsstrategien Binder, S. 336 ff.

194

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 3 § 9 SchVG

versammlung werden damit zwei miteinander funktional verschränkte, aber dennoch zu unterscheidende Funktionen zugewiesen. Sie bildet einerseits einen organisatorischen Rahmen für die Herbeiführung von Mehrheitsbeschlüssen der Gläubiger über die Änderung von Anleihebedingungen nach Maßgabe der §§ 5 und 6 SchVG. Andererseits dient sie, wie der Katalog der möglichen Einberufungsgründe nach Abs. 1 Satz 2 zeigt (Einzelheiten: Rz. 27 f.), aber auch der Rechtsausübung durch die Anleihegläubiger im Allgemeinen. Die Gläubigerversammlung ist zwar neben der in § 18 SchVG geregelten Abstimmung ohne Versammlung nur eines von zwei Organisationsmodellen, die das neue Schuldverschreibungsrecht für die Entscheidungsfindung zur Verfügung stellt. Sie setzt jedoch auch für diese Alternative den Rahmen und bildet den Maßstab, an dem sich auch die Abstimmung ohne Versammlung orientieren muss, wie sich aus der Verweisung auf die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung in § 18 Abs. 1 SchVG eindeutig ergibt. § 9 SchVG ist damit insgesamt Basis und systematischer Ausgangspunkt für die weitere Ausgestaltung der Gläubigerversammlung als Kernbestandteil des mit dem neuen Schuldverschreibungsrecht geschaffenen „Gläubigerorganisationsrechts“.4 Die Norm ist zugleich insofern typisch für den gesetzlichen Rahmen für die Gläubigerversammlung insgesamt, als sie teilweise, nämlich im Hinblick auf das Verfahren für die gerichtliche Ermächtigung einer qualifizierten Gläubigerminderheit, Parallelen zum Recht der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft aufweist. Damit zeigt sich bereits hier das Grundkonzept einer weitestmöglichen Annäherung an aktienrechtliche Regelungsvorbilder, das für das neue Schuldverschreibungsrecht charakteristisch ist und die Grundlage für die Auslegung und weitere Ausdifferenzierung der §§ 9-17 SchVG einerseits sowie der Regelungen zum Anfechtungsrecht in § 20 SchVG andererseits bildet und durch eine differenzierte Heranziehung der zum aktienrechtlichen Rahmen entwickelten Auslegungsgrundsätze und -ergebnisse konkretisiert und fortgebildet werden muss (dazu Rz. 3 ff.).

II. Funktion und technische Ausgestaltung der Gläubigerversammlung im Spiegel der Vorschriften über die Hauptversammlung der AG 1. Grundlagen a) Grundentscheidung für die Anlehnung an das Recht der Hauptversammlung und Folgerungen für die Rechtsanwendung Die Vorschriften des reformierten SchVG über die Gläubigerversammlung weisen zahlreiche 3 Parallelen zum Recht der Hauptversammlung in der (börsennotierten) AG auf. Dies äußert sich nicht nur in der teilweise wörtlichen Übernahme einzelner aktienrechtlicher Regelungsmuster, sondern auch in mehrfachen Verweisen auf aktienrechtliche Vorschriften. Beides beruht auf der ausdrücklichen Grundentscheidung des Gesetzgebers, das Recht der Gläubigerversammlung „an das moderne und bewährte Recht der Hauptversammlung bei der Aktiengesellschaft [anzulehnen]“.5 Schon mit Blick auf die eindeutige Motivlage, aber auch angesichts der eindeutigen Nähe zu den aktienrechtlichen Regelungsmustern ist die in der Literatur vereinzelt vertretene These nicht haltbar, das Recht der Gläubigerversammlung sei aus dem insolvenzrechtlichen Rechtsrahmen für die Gläubigerversammlung entwickelt worden, auch wenn zu Einzelheiten auf Aktienrecht zurückgegriffen worden sei.6 Die konzeptionelle Ausrichtung auf aktienrechtliche Regelungsmuster war und ist rechtspolitisch vor 4 Vgl. bereits Horn, ZHR 173 (2009), 12 (25, 64) und Horn, BKR 2009, 441 (449) („Gläubigerorganisationsrecht“); entsprechend Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2603); vgl. auch – mit kritischer Würdigung – Florstedt, WiVerw 2014, 155 f. („Organisationsverfassungsrecht“); ähnlich Liebenow, S. 38 und passim („Anleiheorganisationsrecht“). 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, Titelblatt, sub B. 6 So Simon, S. 118 ff., zusf. S. 127.

Binder 195

§ 9 SchVG Rz. 4 Einberufung der Gläubigerversammlung allem im Hinblick auf Minderheitenschutz und die Ausgestaltung des Rechtsschutzes nicht unumstritten.7 Sie lässt sich jedoch nicht nur deshalb rechtfertigen, weil die traditionelle dichotomische Unterscheidung von Eigen- und Fremdkapitalgebern angesichts der gemeinsamen Interessen beider Anlegerklassen in modernen Kapitalmärkten nicht mehr überzeugt. Grundsätzlich ähnlich ausgerichtete Bedürfnisse nach Anlegerschutz begründen vielfach Interessengleichlauf zwischen Anleihegläubigern und Aktionären in Publikumsgesellschaften (s. noch Rz. 6).8 In jedem Fall steht mit dem Recht der Hauptversammlung in der Tat ein belastbarer Rechtsrahmen für die kollektive Entscheidungsfindung zur Verfügung, der über den Gesetzeswortlaut hinaus Anhaltspunkte für eine systematisch stimmige, interessengerechte praktische Ausgestaltung bietet.9 Insofern ist die Adaption aktienrechtlicher Regelungsvorbilder für die Ausgestaltung des Rechtsrahmens für Einberufung und Abwicklung der Gläubigerversammlung ungleich weniger kontrovers als die Ausgestaltung des schuldverschreibungsrechtlichen Rechtsschutzsystems unter – eingeschränkter – Übernahme des aktienrechtlichen Beschlussmängelregimes, für die einerseits das Fehlen eines dem Insolvenzrecht äquivalenten Minderheitenschutzes,10 andererseits der „Import“ der Schwächen des aktienrechtlichen Anfechtungsregimes beklagt wird11 (vgl. näher § 20 SchVG Rz. 11 ff.). Im Übrigen führt die Anlehnung an die Organisationsverfassung der Hauptverwaltung der AG ein bereits für das SchVG 1899 charakteristisches Regelungskonzept fort,12 auch wenn das neue Recht die Parallelen erheblich deutlicher und konsequenter akzentuiert. b) Insolvenzverfahrensrecht als alternatives Konstruktionsmodell? 4

Die auf den ersten Blick vielleicht sogar näher liegende Alternative einer strukturellen Annäherung an das Recht der Gläubigerversammlung im Insolvenzverfahren als Verfahrensrahmen für die kollektive Entscheidungsfindung wäre keineswegs überzeugender gewesen. Zwar ist die funktionale Nähe des Schuldverschreibungsrechts, das ja auf die Erleichterung der Änderung von Anleihebedingungen nicht zuletzt in der wirtschaftlichen Krise der Emittentin abzielt, zum Insolvenzrecht kaum bestreitbar und liegt geradezu auf der Hand.13 Auch ist die insolvenzverfahrensrechtliche Gläubigerversammlung (vgl. §§ 74 ff. InsO) in der Tat als Organ der (begrenzten) Gläubigerselbstverwaltung14 bzw. Wahrerin der Gläubigerinteressen im Insolvenzverfahren15 mit im Ausgangspunkt ähnlichen Funktionen ausgestattet 7 Dezidiert kritisch insb. Florstedt, RIW 2013, 583 (589 ff.); Florstedt, ZIP 2014, 1513 (1513); Florstedt, WiVerw 2014, 155 (156 ff., 160 f.); vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 ff., 47 (speziell zum Rechtsschutz); Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 404; H. Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1, 18 ff.; Vogel in Baums, Schuldverschreibungsrecht, S. 39, 40; vgl. auch Vogel, ZBB 2010, 211 (216 ff.). 8 Zutr. Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (455); Seibt, ZIP 2016, 997 (1001); eingehend monographisch jüngst Liebenow, S. 49 ff., 63 ff., 68 ff., 93 ff. und passim; vgl. allgemein zur zunehmenden Auflösung beider Kategorien auch Binder, S. 5 ff. 9 Vgl. dazu näher die ebenso gründliche wie überzeugende Analyse bei Liebenow, S. 108 ff. 10 Vgl. besonders Florstedt, RIW 2013, 583 (589 ff.); Florstedt, WiVerw 2014, 155 (156 ff., 160 f.). 11 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 ff., 47; Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 404; H. Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1, 18 ff.; Vogel in Baums, Schuldverschreibungsrecht, S. 39, 40. Siehe demgegenüber aber auch die grundsätzlich positive Bewertung bei Liebenow, S. 140 ff. (Beschlussverfahren), 193 ff. (Rechtsschutzsystem), mit Optimierungsvorschlägen de lege ferenda S. 225 ff. 12 Zum Vorläuferregime unter diesem Blickwinkel stellvertretend Liebenow, S. 50; Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 163 und 165, jeweils m.w.N. 13 In diese Richtung besonders Simon, S. 118 ff.; vgl. auch Paulus, WM 2012, 1109; Paulus, RIW 2013, 577 und 580; kritische Bestandsaufnahme bei Liebenow, S. 62 f. 14 Z.B. Bork in Kübler/Prütting, § 74 InsO Rz. 3; Ehricke in MünchKomm/InsO, § 74 InsO Rz. 2; Schmitt in FK-InsO, § 74 InsO Rz. 3; Uhlenbruck in Uhlenbruck, § 74 InsO Rz. 5. 15 Vgl. stellvertretend Ehricke in MünchKomm/InsO, § 74 InsO Rz. 2 m.w.N.

196

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 5 § 9 SchVG

wie ihr schuldverschreibungsrechtliches Pendant. Gegen die Übernahme des insolvenzrechtlichen Regelungsansatzes als Alternative sprach und spricht jedoch grundsätzlich bereits der im Vergleich zum Insolvenzverfahren gänzlich andere, nämlich von der autonomen Entscheidungsfindung geprägte Charakter der Gläubigergemeinschaft. Im Insolvenzverfahrensrecht handelt es sich bei der Gläubigerversammlung um ein gerichtlich einberufenes (§ 74 Abs. 1 Satz 1 InsO) und geleitetes (§ 76 Abs. 1 InsO) Organ des insgesamt hoheitlich geprägten Insolvenzverfahrens, das dem umfassenden Interessenausgleich zwischen Gemeinschuldner und Gläubigern dient; die Gläubiger sind hier auf eine bloße Verfahrensbeteiligung bzw. Mitbestimmung beschränkt. Im Schuldverschreibungsrecht ist die Gläubigerversammlung dagegen wirklich autonom; eine staatliche Verfahrensleitung findet nicht statt.16 Auch aufgrund der gegenüber den Funktionen und technischen Problemen des Insolvenzverfahrens ungleich geringeren Komplexität der Entscheidungsfindung im Gläubigerkollektiv bedarf es einer solchen nicht.17 2. Einzelheiten a) Allgemeine Grundsätze für die Auslegung; Überblick Aus der bewussten gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten einer weitgehenden Anlehnung an die Hauptversammlung der AG folgt, dass das Recht der Gläubigerversammlung de lege lata insbesondere dort in Übernahme der einschlägigen aktienrechtlichen Regelungen und Anwendungsgrundsätze (weiter-)entwickelt werden muss, wo die Regelungen der §§ 9-17 SchVG Lücken lassen. Ein rechtssicher handhabbarer prozeduraler Rahmen für die kollektive Entscheidungsfindung kann aufgrund der gesetzgeberischen Grundentscheidung und ihrer technischen Ausgestaltung im Schuldverschreibungsrecht nur im Wege einer an die Organisationsverfassung der Hauptversammlung der AG angelehnten und aus ihr heraus weiterentwickelten Dogmatik gefunden werden.18 In methodischer Hinsicht geht es dabei in erster Linie um einen Gleichlauf im Hinblick auf die Auslegung des Pflichtenprogramms, soweit jeweils gleiche oder zumindest im Wesentlichen gleiche Regelungen wie im Aktienrecht getroffen werden. Problematisch ist dagegen die Begründung von Analogien, soweit das SchVG stellenweise auf die Adaption von aktienrechtlichen Gestaltungsmustern verzichtet hat. Diese scheitern nach richtiger Ansicht regelmäßig daran, dass die dafür erforderliche Voraussetzung einer planwidrigen Regelungslücke nicht gegeben ist.19 Nicht überzeugend ist insbesondere der in der Literatur vereinzelt vertretene Versuch, in Anlehnung zu kapitalgesellschaftsrechtlichen Regelungen über die Universal- oder Vollversammlung (§ 121 Abs. 6 AktG oder § 51 Abs. 3 GmbHG) auch für das Schuldverschreibungsrecht Ausnahmen von den Einberufungsvorschriften der §§ 9 bis 14 Abs. 1 SchVG zu konstruieren.20 Ohne 16 Eingehend und überzeugend m.w.N. Liebenow, S. 64 f.; im Grundsatz übereinstimmend, wenn auch – etwas widersprüchlich – die Nähe zum Insolvenzrecht überbetonend Simon, S. 118 ff. 17 Vgl. Liebenow, S. 89 f.; Simon, S. 121 f. 18 In diese Richtung jetzt auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 1. 19 Vgl. im Einzelnen unten Rz. 23 (keine Analogie zu § 122 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG im Hinblick auf das Vorbesitzerfordernis als Voraussetzung für rechtmäßige Minderheitsverlangen); § 10 SchVG Rz. 5 (keine Analogie zu § 123 Abs. 5 bzw. § 121 Abs. 7 AktG im Hinblick auf die Fristenberechnung); § 10 SchVG Rz. 24 (keine Analogie zu § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG für die Festlegung eines Record Date für die Anmeldung zur Gläubigerversammlung); § 13 SchVG Rz. 4 (keine Analogie zu § 124 Abs. 3 Satz 3 AktG für den Adressaten der Pflicht zur Veröffentlichung von Beschlussvorschlägen); § 13 SchVG Rz. 10 und 12 (keine Analogie zu § 122 Abs. 1 und 2 AktG hinsichtlich der Form von Ergänzungsverlangen); § 14 SchVG Rz. 9 f. und 18 (keine Analogie zu § 135 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 3 AktG hinsichtlich der Stimmrechtsvertretung); § 16 SchVG Rz. 13 ff. (keine analoge Heranziehung der Schranken für das Auskunfts- und Rederecht aus § 131 Abs. 2 und 3 AktG). 20 Mit großem Aufwand Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 49 ff.

Binder 197

5

§ 9 SchVG Rz. 6 Einberufung der Gläubigerversammlung klare Grundlage im Gesetz würde dies nur ein nicht hinnehmbares Ausmaß an Rechtsunsicherheit auslösen. Die Adaption aktienrechtlicher Auslegungsgrundsätze und -ergebnisse für die praktische Umsetzung der §§ 9-17 SchVG muss bei alledem berücksichtigen, dass Gläubigerversammlungen bisweilen ein größeres Maß an Flexibilität verlangen werden, als es das auf das Leitbild der Publikumsgesellschaft bezogene aktienrechtliche Regime erlauben mag. Doch gewährleistet die Übernahme aktienrechtlicher Regelungsmuster bei sachgerechter, für die Besonderheiten des Schuldverschreibungsrechts sensibler Handhabung insgesamt ein Maß an Rechtssicherheit und prozeduralem Schutz, das mit einem grundlegend neu und unabhängig gestalteten prozeduralen Rahmen schon deshalb nicht zu erreichen gewesen wäre, weil die für die notwendige Konkretisierung erforderliche Kasuistik sich nur über längere Zeiträume hinweg einstellen kann. Unterschiede zum, aber auch erhebliche Überschneidungen mit dem Aktienrecht ergeben sich im Hinblick auf die Funktion der Gläubigerversammlung im Vergleich mit der Hauptversammlung (Rz. 6). Dies lässt, wenn auch teilweise in modifizierter Form, die Anlehnung an aktienrechtliche Regelungsmuster und Auslegungsergebnisse selbst dort sinnvoll erscheinen, wo die aktienrechtlichen Grundsätze unmittelbar aus der Mitgliedschaftsposition der Aktionäre abgeleitet werden und sich damit prima facie eine Übertragung auf die Anleihegläubiger von vornherein verbieten müsste (vgl. noch Rz. 11). Besonders deutlich wird dies bei der Entwicklung von Schranken des Auskunftsrechts der Gläubiger nach § 16 Abs. 1 SchVG (dazu § 16 SchVG Rz. 13 ff.). Im Hinblick auf Vorbereitung und Ablauf der Gläubigerversammlung lassen sich die Ansatzpunkte für die Integration aktienrechtlicher Vorgaben und Auslegungsergebnisse, die dem Rechtsverkehr in zahlreichen Rechtsfragen verlässliche Leitlinien bieten können, in der Regel mit hinreichender Deutlichkeit aus den Einzelbestimmungen der §§ 9-17 SchVG ableiten (Rz. 9 f.). Autonom und abweichend vom Aktienrecht begründet werden müssen allerdings die verfahrensbezogenen Beteiligungsrechte der Anleihegläubiger und ihre Schranken (Rz. 11 ff.). b) Funktionen der Gläubigerversammlung 6

Die §§ 9-17 SchVG sind Bestandteil der Regelungen des 2. Abschnitts über „Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger“; die Gläubigerversammlung bietet ein Forum für die kollektive Willensbildung in diesem Zusammenhang (siehe auch Rz. 1 f.). Das Regelungskonzept zielt auf ein „geordnete[s], faire[s] Verfahren“ ab, das eine möglichst schnelle Entscheidungsfindung ermöglichen soll, ohne das Entscheidungsergebnis materiell zu beeinflussen.21 Insbesondere die Notwendigkeit, in der finanziellen Krise der Emittentin rasch einvernehmliche Restrukturierungslösungen zu ermöglichen, bedingt dabei – zuvörderst im Hinblick auf die Fristen für die Einberufung (§ 10 Abs. 1 SchVG, vgl. § 10 SchVG Rz. 3 f.) – eine deutliche Verfahrensbeschleunigung im Vergleich mit der Hauptversammlung der AG. Auch ergeben sich (erhebliche) funktionale Unterschiede aufgrund des unterschiedlichen Aufgabenkreises; im Vergleich mit der Hauptversammlung der AG ist der Kreis möglicher Befassungsgegenstände von vornherein strukturell enger gefasst (siehe aber noch § 16 Rz. 4 ff.). Der Minderheitenschutz wird im Unterschied zum Insolvenzverfahrensrecht rein prozedural ausgestaltet. Vor allem sollen ein ungehinderter Zugang aller Gläubiger zu den relevanten Informationen und die Transparenz des Verfahrens gewährleistet werden. Wesentliche Gesichtspunkte sind die möglichst frühzeitige Benachrichtigung der Gläubiger, damit diese an der Versammlung mitwirken und ihre Rechte ausüben können, daneben gesetzliche Mehrheitserfordernisse sowie schließlich individuelle Rechtsschutzmöglichkeiten.22 Mit der Betonung einer diskriminierungsfreien Information der Gläubiger und mit einem auf die prozedurale Erleichterung einer informierten Gläubigerentscheidung abzielenden Verfahrensrahmen ist auch und gerade das Recht der Gläubigerversammlung unschwer als Ausdruck eines einheitlichen Kapi21 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14. 22 Vgl. zum Ganzen Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14.

198

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 8 § 9 SchVG

talanlegerschutzkonzeptes erkennbar, das an die Eigenschaft der Wertpapierinhaber als Anleger und nicht an Unterschiede zwischen der verbandsrechtlichen Stellung von Eigenkapitalgebern einerseits und der schuldrechtlichen Rechtsposition von Fremdkapitalgebern andererseits anknüpft.23 Insgesamt tragen die ungeachtet der zunehmenden Verschleifung ökonomischer Unterschie- 7 de zwischen Aktionärs- und Gläubigerposition bei kapitalmarktorientierten Unternehmen bestehenden Abweichungen in der Rechtsnatur von Mitgliedschafts- und Gläubigerrechten keine grundsätzlich anders ausgerichtete Definition der prozedural zu bewältigenden Koordinationsaufgabe. Unbestreitbar handelt es sich bei Aktien (als verbrieften Bündeln von Mitgliedschaftsrechten) einerseits und Anleihen (als Verbriefung einer schuldrechtlichen Forderung) andererseits24 nach wie vor um anders gestaltete Rechtspositionen. Dahinter stehen fundamentale Unterschiede zwischen Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung in ökonomischer Hinsicht. Der Eigenkapitalgeber übernimmt gegen die Bereitstellung von Finanzmitteln die anteilige, aber im Übrigen prinzipiell unbeschränkte Teilnahme an den Gewinnchancen eines Unternehmens sowie, damit korrespondierend, verbandsrechtliche Mitwirkungs- und Kontrollrechte über die Geschäftsleitung; er trägt dafür aber auch das Risiko eines vollständigen Verlusts des eingesetzten Betrags und der Rendite im Falle eines Scheiterns.25 Der Fremdkapitalgeber gewährt dagegen Finanzmittel gegen eine fest oder variabel garantierte Verzinsung; er wird im Insolvenzfall vor den Kapitaleignern befriedigt.26 Insofern überzeugen Zweifel an der Gleichstellung von Anleihegläubigern und Aktionären im Hinblick auf die Organisationsverfassung der Gläubigerversammlung und das Rechtsschutzsystem des SchVG an sich intuitiv. Vor diesem Hintergrund ist das Regelungskonzept des SchVG sicherlich begründungsbedürftig. Zumal bei Kleinanlegern bzw. hinreichend diversifizierten Großanlegern verlieren die Unterschiede indessen von vornherein an Bedeutung. Derartig positionierte Aktionäre sind im Ergebnis kaum anders als Anleger in Anleihen vor allem an der Erzielung von Renditen und allenfalls beschränkt an der Wahrnehmung der mitgliedschaftlichen Kontrollrechte interessiert. Beide sind gleichermaßen Kapitalanleger, denen es neben der Rendite vor allem auf die mit der Börsennotierung verbundene Möglichkeit der jederzeitigen Desinvestition ankommt.27 Eine einseitige Betonung der unterschiedlichen Gegenstände und Reichweite von Aktionärsbeschlüssen einerseits und Gläubigerbeschlüssen andererseits als dogmatisches Gegenargument gegen eine verfahrensrechtliche Gleichbehandlung beider Investorengruppen28 verkennt zudem, dass die Einzelaspekte der zu lösenden Koordinationsaufgabe ungeachtet aller 23 Vgl. bereits Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (455 f.); insoweit übereinstimmend auch Vogel, ZBB 2010, 211 (216); eingehend auch Liebenow, S. 100 ff.; allgemein kritisch demgegenüber etwa Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 417 und passim; zugespitzt Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1, 18. 24 Vgl. allgemein zum Mitgliedschaftsrecht stellvertretend etwa K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, §§ 19-21; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, § 4; zur Anleihefinanzierung jüngst zusf. Liebenow, S. 8 ff., speziell zu funktionalen Parallelen im Hinblick auf die Ausgestaltung der Rechtsposition von Anleihegläubigern im SchVG ebd. S. 75 ff.; eingehend zur historischen Entwicklung bereits Vogel, Vergemeinschaftung, S. 32 ff. 25 Grundlegend aus der ökonomischen Literatur Fama/Jensen, 26 Journal of Law, Economics & Organization 327 (1983); Jensen/Meckling, 3 Journal of Financial Economics 305, 314 ff. (1976); Williamson, 43 Journal of Financial Economics 567, 579 ff. (1988). 26 Vgl. Williamson, 43 Journal of Financial Economics 567, 579 ff. (1988); zur Rezeption für das Gesellschaftsrecht stellvertretend Binder, S. 5 ff. m.w.N. 27 Vgl. bereits Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (455 f.); im Anschluss daran auch Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2599); eingehend zuletzt Liebenow, S. 77 ff., 100 ff.; s. auch Binder, S. 5 ff. 28 Vgl. unter Hinweis auf die Unterschiede in der Rechtsposition insbesondere Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 208, 318, 405, 418 und passim; ähnlich im Ausgangspunkt auch Cagalj, S. 106; Vogel, ZBB 2011, 235 (238 f.).

Binder 199

8

§ 9 SchVG Rz. 8 Einberufung der Gläubigerversammlung Unterschiede in den Interessen der beiden Gruppen im Kern weitgehend deckungsgleich sind. In beiden Fällen geht es um die prozedurale Bewältigung von Kollektivhandlungsproblemen innerhalb der jeweiligen Akteure (Aktionäre, Anleihegläubiger). Diese beruhen zunächst auf Schwierigkeiten der Koordination und Kommunikation als Voraussetzungen für eine effiziente Entscheidungsfindung, welche hier wie dort eine natürliche Neigung zur Passivität ungeachtet bestehender Möglichkeiten zur Rechtsausübung und -verfolgung begünstigen (siehe auch noch Rz. 11).29 Spezifisch im restrukturierungsrechtlichen Kontext muss dem sog. Akkordstörerproblem begegnet werden: dem Problem, dass ein Mitglied der zur Entscheidung in Restrukturierungssituationen berufenen Gruppe sich durch die Blockade einer im Interesse der Gruppengesamtheit stehenden Sanierungslösung eigennützige Sondervorteile (insbesondere in Gestalt der vollständigen Befriedigung der eigenen Forderung zu Lasten der Gesamtheit) verschaffen könnte.30 Auch gemessen an diesem Maßstab ergeben sich keine strukturellen Probleme, die eine unterschiedliche Ausgestaltung des prozeduralen Rahmens für die Entscheidungsfindung von Aktionären einerseits und Anleihegläubigern andererseits erzwängen. Das Problem der Aktivierung kollektiver Entscheidungen stellt sich für beide Gruppen. Angesichts der vergleichsweise homogen strukturierten Interessen31 ist die Bewältigung für Anleihegläubiger tendenziell eher einfacher als für Aktionäre, zumal hier eine Investition in der Absicht der indirekten Mitwirkung an unternehmerischen Entscheidungen von vornherein ausscheidet. Gerade in der Krise der Emittentin nehmen die durch die ökonomische Ausgangslage determinierten funktionalen Unterschiede zwischen den zu treffenden Entscheidungen weiter ab. Die Entscheidung der Anleihegläubiger über die Zustimmung zu einer Restrukturierung ist letztlich zwangsläufig ebenso wie eine Aktionärsentscheidung über eine etwaige Rekapitalisierung in gleicher Lage von unternehmerischen Erwägungen geprägt, was wiederum für eine Gleichbehandlung spricht.32 Der Schlüssel für die Bewältigung von Akkordstörerproblemen liegt dabei nicht im Verfahrensrecht der Gläubigerversammlung, sondern im Prinzip der Mehrheitsentscheidung, in der Festsetzung der maßgeblichen Mehrheitserfordernisse sowie in der Ausgestaltung des Rechtsschutzsystems. Insgesamt entfällt auch insoweit die Notwendigkeit zur Ergänzung der verfahrensrechtlichen Einbettung durch institutionelle oder materielle Schutzbestimmungen – etwa in Gestalt einer gerichtlichen Verfahrensleitung, wie sie für das Insolvenzverfahren typisch ist – schon wegen der ungleich weniger komplexen Interessenlage.33 Die Anlehnung an das Recht der Hauptversammlung der AG ist vor diesem Hintergrund auch aus funktionaler Perspektive als folgerichtig und sinnvoll zu bewerten, zumal die prozeduralen Parallelen in keiner Weise eine rechtliche Gleichstellung von Eigen- und Fremdkapitalgebern präjudizieren.34 Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die verfahrensbezogenen Pflichten der Anleihegläubiger

29 Eingehend zunächst Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 1 ff., 42 ff., insb. 59 ff.; daran anknüpfend Cagalj, S. 145 ff.; in jüngerer Zeit Liebenow, S. 19 ff., 35 ff., 110 ff.; Reps, S. 185 ff., insb. 191 ff.; vgl. ferner Simon, S. 128 f.; Vogel, Vergemeinschaftung, S. 62 f.; Seibt, ZIP 2016, 997 (1001); dazu aus der gesellschaftsrechtlichen Literatur zu vergleichbaren Problemen für die Rechtsausübung von Aktionären und Fremdkapitalinvestoren stellvertretend bspw. Kalss, S. 348 ff., 353 ff., 363; Ruffner, S. 175; zusf. Binder, S. 238, 348 f. 30 Dazu Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 1 ff., 42 ff., 47 ff.; daran anknüpfend wiederum Cagalj, S. 145 ff.; eingehend zuletzt Liebenow, S. 21 ff.; Reps, S. 185 ff., insb. 193 ff.; aus der insolvenzrechtlichen Literatur besonders Eidenmüller, Unternehmenssanierung, S. 126 f., 345 ff.; Eidenmüller, ZHR 160 (1996), 343 (350 ff.). 31 Vgl. zum früheren Recht bereits Vogel, Vergemeinschaftung, S. 25; sodann etwa Cagalj, S. 346; Horn, ZHR 173 (2009), 12, 46; Liebenow, S. 88; Simon, S. 216, 221; a.A. insoweit etwa Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (719 f.). 32 Vgl. Liebenow, S. 104 ff., 118 ff. 33 Eingehend und überzeugend Liebenow, S. 89 unter Hinweis auf die Vielfalt der für die insolvenzförmige Restrukturierung typischen unterschiedlichen Arten der beteiligten Interessen. 34 Richtig wiederum Liebenow, S. 97 f.

200

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 10 § 9 SchVG

untereinander keineswegs zwingend aus dem verbandsrechtlichen Pflichtenprogramm abzuleiten sind, sondern vielmehr autonom bestimmt werden müssen (dazu Rz. 11 ff.). c) Inhaltliche Anklänge an das Recht der Hauptversammlung der AG im Überblick aa) Einberufung und Vorbereitung der Gläubigerversammlung Die strukturelle Nähe der Vorschriften über die Gläubigerversammlung zur Hauptversamm- 9 lung in der AG zeigt sich bereits bei den Vorschriften zur Einberufung der Gläubigerversammlung durch eine gerichtlich ermächtigte Minderheit in § 9 Abs. 2 bis 4 SchVG, die Parallelen zu den Vorschriften in § 122 AktG aufweist (Rz. 35 ff.). § 10 SchVG, der Einzelheiten zur Einberufungsfrist sowie zur Anmeldung für die Gläubigerversammlung regelt, ist an die Regelung in § 123 AktG angenähert (§ 10 SchVG Rz. 2), gibt allerdings die Berechnung der Anmeldefrist gerade nicht im Wege einer Adaption des – sachlich vorzugswürdigen – aktienrechtlichen Regelungsmodells der §§ 123 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 7 AktG vor (vgl. § 10 SchVG Rz. 5). Die Sollvorschrift zum Ort der Gläubigerversammlung in § 11 SchVG entspricht inhaltlich der Parallelvorschrift des § 121 Abs. 5 AktG (§ 11 SchVG Rz. 3). Die Vorschriften des § 12 SchVG zum Inhalt und zur Publizität der Einberufung weisen ihrerseits Parallelen zu § 121 Abs. 3 und 4 AktG auf (§ 12 SchVG Rz. 2 f., 8). Die gegenüber dem SchVG 1899 neu gefassten Anforderungen an die Tagesordnung in § 13 SchVG wiederum sind an die Vorschriften der §§ 121 Abs. 3 Satz 2, 122 Abs. 2, 124 Abs. 1 und 4 AktG angenähert (§ 13 SchVG Rz. 1 f., 4 f., 7, 9 ff.). bb) Ablauf und Dokumentation der Gläubigerversammlung Organisation und Ablauf der Gläubigerversammlung als solche werden im Gesetz – insoweit 10 ebenso wie für die Hauptversammlung der AG – im Aktienrecht nur rudimentär vorgegeben; auch insoweit beschränken sich das SchVG auf wesentliche prozedurale Vorgaben. Die Regelungen zur Vertretung von Gläubigern in der Versammlung sind angenähert an diejenigen in § 134 Abs. 3 und 4 AktG sowie an § 125 Abs. 1 Satz 4 AktG, fallen allerdings ungleich weniger komplex aus als das aktienrechtliche Regime, nachdem die Neufassung der aktienrechtlichen Bestimmungen in Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben bislang nicht im SchVG nicht nachvollzogen wurde (§ 14 SchVG Rz. 3). Einen Sonderfall bildet insoweit das Depotstimmrecht, das im Aktienrecht mit Rücksicht auf die bestehenden Interessenkonflikte auf Seiten von Depotbanken in § 135 AktG eingeschränkt wird, im SchVG dagegen keine Sonderregelung erfahren hat (§ 14 SchVG Rz. 10). Entsprechend den Besonderheiten des Schuldverschreibungsrechts abweichend vom Aktienrecht geregelt ist demgegenüber in § 15 Abs. 1 SchVG der Vorsitz der Gläubigerversammlung, während die Kompetenzen des Versammlungsleiters umfassend unter Aufnahme aktienrechtlicher Auslegungsgrundsätze entwickelt werden können (§ 15 SchVG Rz. 3 ff.). Entsprechend § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG ausgestaltet sind die Anforderungen an das Teilnehmerverzeichnis (§ 15 Abs. 2 SchVG, siehe § 15 SchVG Rz. 19). Während das Auskunftsrecht der Gläubiger gerade nicht umfassend die aktienrechtlichen Regelungen in § 131 AktG übernimmt, was eine Konkretisierung vor allem mit Blick auf die Besonderheiten der Rechtsbeziehung zwischen Emittentin und Anlagegläubigern erschwert (§ 16 SchVG Rz. 3 ff., 13 ff.), wird hinsichtlich des Abstimmungsverfahrens (§ 16 Abs. 2 SchVG) und der Niederschrift (§ 16 Abs. 3 SchVG) unmittelbar auf die Rechtslage für die Hauptversammlung der AG verwiesen (§ 16 SchVG Rz. 26 ff. bzw. Rz. 35 ff.). Weitgehend eigenständig und ohne Rückgriff auf aktienrechtliche Regelungsvorbilder geregelt sind lediglich die Einzelheiten der Beschlusspublizität in § 17 SchVG.

Binder 201

§ 9 SchVG Rz. 11 Einberufung der Gläubigerversammlung d) Beteiligungsrechte in der Gläubigerversammlung; Schranken der Rechtsausübung aa) Beteiligungsrechte 11

Die Mitwirkungsrechte der Anleihegläubiger in der Gläubigerversammlung sind im Gesetz nur in geringem Umfang ausdrücklich geregelt. Dies betrifft zum einen den diskriminierungsfreien Zugang zu den für die Rechtsausübung relevanten Informationen, der im Auskunftsrecht (§ 16 Abs. 1 SchVG) ebenso verkörpert ist wie in den bereits im Vorlauf auf die Gläubigerversammlung eingreifenden Informations- und Transparenzpflichten der § 10 SchVG (Einberufungsfrist), § 12 SchVG (Inhalt der Einberufung und Bekanntmachung) und § 13 SchVG (Tagesordnung). Ausdrücklich, wenn auch nur rudimentär erfasst ist daneben die Stimmabgabe (§ 16 Abs. 2 SchVG), die in Verbindung mit den allgemeinen Vorgaben für das Stimmrecht der Gläubiger in § 6 steht. Schon das Teilnahmerecht der Anleihegläubiger als Grundlage für die weitere Ausdifferenzierung des Beteiligungsrechts mit dem Rederecht und dem Recht, Anträge zu stellen, wird allerdings nicht ausdrücklich anerkannt, sondern lediglich vorausgesetzt (§ 10 SchVG Rz. 1). Insoweit zeigt sich trotz der schwach ausgeprägten Ausdifferenzierung im Gesetz selbst einmal mehr, dass die Gleichsetzung der kollektiven Willensbildung durch die Anleihegläubiger mit den hauptversammlungsbezogenen Teilnahmerechten ungeachtet der grundsätzlichen Unterschiede zwischen den jeweiligen Rechtspositionen überzeugt. Zwar lässt sich das Teilhaberecht der Aktionäre an der Hauptversammlung mit den genannten Ausprägungen unmittelbar aus der verbandsrechtlichen Mitgliedschaft ableiten,35 die zur Begründung der korrespondierenden Rechte der Anleihegläubiger in der Gläubigerversammlung gerade nicht herangezogen werden kann. Anders als bei der Mitwirkung der Aktionäre in der Hauptversammlung geht es bei der Entscheidung der Anleihegläubiger nicht um die (beschränkte) Mitverwaltung im Verband, sondern von vornherein lediglich um Mitwirkung an der Änderung bestehender Rechtsbeziehungen zwischen dem Verband und verbandsexternen Vertragspartnern. Im konstruktiven Ausgangspunkt ergeben sich entsprechende Rechtspositionen allerdings auch hier zwingend aus der Funktion der Versammlung als prozeduraler Rahmen für die kollektive Willensbildung (Rz. 6 ff.): Ebenso wie eine kollektive Willensbildung der Gesamtheit der Verbandsmitglieder in der Hauptversammlung denklogisch voraussetzt, dass die einzelnen Mitglieder teilnehmen, Redebeiträge zur Meinungsbildung erbringen und Anträge stellen können, erfordert auch die kollektive Entscheidungsfindung über Beschlüsse im Rahmen der §§ 5 ff. SchVG Teilhaberechte in entsprechendem Umfang. Mit anderen Worten: Dogmatischer Anknüpfungspunkt für die Herleitung dieser Rechtspositionen ist im Aktienrecht zwar in der Tat die Mitgliedschaftsposition; als zentraler Begründungsgesichtspunkt für die Ausgestaltung von Beteiligungsrechten tritt aber der Diskurscharakter der Entscheidungsbildung hinzu. Dieser letztgenannte Aspekt gilt für die Gläubigerversammlung entsprechend. Insofern wird klar, dass und weshalb die kollektive Realisierung von Mitgliedschaftsrechten als Anknüpfungspunkt für die Ableitung konkreter Rechte und Verhaltensschranken durch einen anderen, vergleichbaren Zweck – hier: die kollektive Realisierung von Gläubigerrechten – im Grundsatz ohne weiteres substituierbar ist und sich die für die Aktionäre auf das Mitgliedschaftsrecht gestützten Teilrechte bei anders verfassten Akteursgruppen ohne weiteres stattdessen aus dem für diese geltenden übergelagerten Zweck ableiten lassen.36 Im Ergebnis können die für das Aktienrecht entwickelten Grundsätze über das Teilnahmerecht und seine Ausprägungen auch auf die Organisation der Anleihegläubigergesamtheit in der Gläubiger-

35 Vgl. dazu näher etwa Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 208 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 1 (S. 604 f.); Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 3 III 1 (S. 176 ff.); knapper auch Hoffmann in Spindler/Stilz, § 118 AktG Rz. 11 f.; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 118 AktG Rz. 53; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 29. 36 Vgl. mit ähnlichen Überlegungen zu den Parallelen von Aktionärs- und Anlegerorganisation nochmals auch Liebenow, S. 100 ff.

202

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 13 § 9 SchVG

versammlung übertragen werden.37 Das Teilnahmerecht ist unmittelbar auf den Umstand zurückführen, dass sich der Gesetzgeber zu einer prozeduralen Organisation der Anleihegläubigergesamtheit und ihrer Unterwerfung unter das Prinzip der kollektiven Bindung und das Mehrheitsprinzip entschlossen hat. Inhaltlich bestehen – unbeschadet von Abweichungen, die sich aus der unterschiedlichen Ausgestaltung im positiven Recht und dem unterschiedlichen systematischen Zusammenhang ableiten lassen (vgl. exemplarisch § 16 SchVG Rz. 13 ff. zu den Schranken des Auskunftsrecht nach § 16 Abs. 1 SchVG) – keine strukturellen Diskrepanzen zum Teilnahmerecht des Aktionärs in der Hauptversammlung der AG. bb) Schranken der Rechtsausübung (1) Grundlagen Mit dem für das Verständnis der Rechtsposition der Anleihegläubiger in der Gläubigerver- 12 sammlung zentralen Teilnahmerecht müssen indessen auch Schranken einhergehen. Im Aktienrecht sind sie vor allem im Hinblick auf Beschränkungen des Frage- und Rederechts positiv kodifiziert worden (vgl. § 131 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 AktG), während es im Recht der Gläubigerversammlung an einer entsprechenden Konkretisierung fehlt. Der Geltungsgrund derartiger und weiterer, ungeschriebener Schranken wird im Aktienrecht üblicherweise – spiegelbildlich zur Begründung des Teilnahmerechts – unmittelbar auf die Mitgliedschaft des Aktionärs im Verband zurückgeführt.38 Auch insoweit stellt sich die Frage nach einer Übertragbarkeit ungeachtet der grundsätzlichen Unterschiede zwischen den Rechtspositionen von Aktionären einerseits und Anleihegläubigern andererseits. Eine schlichte Adaption der zum Aktienrecht entwickelten Grundsätze verbietet sich. (2) Keine „vertikalen“ Treuepflichten gegenüber der Emittentin Insbesondere ist kein Äquivalent zu vertikalen Treuepflichten in Gestalt von Pflichten der 13 Anleihegläubiger gegenüber der Emittentin und umfassender Rücksichtnahmepflichten dieser gegenüber bei der Ausübung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung anzuerkennen (vgl. auch § 16 SchVG Rz. 9). Zwar erfüllt die Vertragsbeziehung im Verhältnis zwischen Emittentin und Anleihegläubigern den Tatbestand einer rechtlichen Sonderverbindung als Mindestvoraussetzung für die Anerkennung derartiger Pflichten. Doch ergeben weder die divergierenden Interessen noch die Verfassung der Gläubigerversammlung in der Ausgestaltung durch die §§ 9-17 SchVG Anhaltspunkte für ein auch nur annähernd hinreichendes Näheverhältnis, das eine derartige Bindung rechtfertigen oder gar erzwingen könnte.39 Nachdem das Rechtsverhältnis zwischen Anleihegläubigern und Emittentin schuldrechtlicher Natur ist und es somit an dem für die Verbandsmitgliedschaft charakteristischen hierarchischen Element fehlt, wäre die Annahme einer vertikalen Pflichtenbindung der Gläubiger im Übrigen schon terminologisch verfehlt. Das gesamte Konzept des geltenden Schuldverschreibungsrechts stellt die Anleihegläubiger der Emittentin – im Ausgangspunkt – gleichberechtigt gegenüber und erkennt damit die strukturelle Interessendivergenz zwischen beiden ausdrücklich an.40 Diese Erwägungen schließen in Ausnahmefällen Schranken für die Rechtsausübung unter dem Gesichtspunkt eines Rechtsmissbrauchs nicht aus. Mit Blick auf die Bedeutung der Gläubigerversammlung für die Rechtsausübung ist der Emitten37 Im Ergebnis ebenso, aber ohne vertiefte Begründung auch bereits Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 5. 38 Besonders deutlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 3 (S. 613 ff.). 39 Eingehend und überzeugend hierzu Simon, S. 285 ff.; knapp auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 28 (im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht der Anleihegläubiger); vgl. auch Liebenow, S. 41 f. 40 Richtig Liebenow, S. 41.

Binder 203

§ 9 SchVG Rz. 14 Einberufung der Gläubigerversammlung tin grundsätzlich allerdings jede Art der Rechtsausübung zumutbar und von ihr zu dulden. Der Schutz der Gläubiger kommt mittelbar auch der Emittentin zugute, weil das Schutzregime die Investitionsbereitschaft steigert und damit die Fremdkapitalaufnahme erleichtert. Schranken für die Rechtsausübung sind deshalb nur anzuerkennen, wenn die beabsichtigte Form der Rechtsausübung für die Emittentin mit erheblichen Nachteilen verbunden wäre und diese durch ein alternatives Verhalten des jeweiligen Gläubigers ohne für ihn negative Auswirkungen vermieden werden könnte. Als (kaum häufig zu erwartender) praktischer Anwendungsfall könnten sich kollidierende Minderheitsverlangen auf Einberufung der Gläubigerversammlung erweisen (vgl. dazu Rz. 31). (3) Horizontale Bindungen der Anleihegläubiger untereinander 14

Bedeutsamer für die Bestimmung der Schranken zulässiger Rechtsausübung durch die Anleihegläubiger ist die ausgesprochen kontrovers beurteilte Begründung und Reichweite einer horizontalen Bindung im Verhältnis der Anleihegläubiger untereinander. Ihre Relevanz ist nicht auf die Ausübung des Teilnahmerechts und seiner Ausprägungen beschränkt. Sie erstreckt sich vielmehr auch und besonders auf die Frage, ob die in der Gläubigerversammlung oder in einer Abstimmung ohne Versammlung (§ 18 SchVG) getroffenen Beschlüsse im Interesse des Minderheitenschutzes materiellen Schranken und infolgedessen einer hierauf bezogenen materiellen Beschlusskontrolle zu unterwerfen sind. Die damit angesprochenen Aspekte betreffen nicht die prozeduralen Vorgaben für die Einberufung und den Ablauf der Gläubigerversammlung in den §§ 9-17 SchVG, sondern das Beschlussmängelregime (§ 20 SchVG) und sind hier deshalb nicht voll zu entfalten (eingehend dazu § 20 SchVG Rz. 64 ff.). Wenn und soweit für das Verhältnis der Anleihegläubiger untereinander Treuepflichten anzuerkennen wären, würde dies indessen auch die Begründung von Schranken für die Ausübung von Gläubigerrechten erkennbar erleichtern. Richtigerweise ist die Frage nach dem Bestehen einer derartigen Treuebindung von der Folgefrage zu trennen, welche konkreten Konsequenzen daraus abgeleitet werden sollen. Die Anerkennung einer horizontalen Treuebindung präjudiziert keineswegs eo ipso bestimmte Konsequenzen, insbesondere nicht die – hier nicht zu erörternde – Notwendigkeit einer materiellen Beschlusskontrolle (dazu § 20 SchVG Rz. 71 ff.).41

15

Die Begründung einer horizontalen Bindung kann dabei nicht an dem abstrakten Befund ansetzen, dass der prozedurale Rahmen für die kollektive Willensbildung vom Gesetzgeber in enger Annäherung an das Recht der Hauptversammlung der AG ausgestaltet worden ist. Allein aus den erheblichen Überschneidungen zwischen den Funktionen von Haupt- und Gläubigerversammlung (Rz. 6 ff.) lassen sich keine Rückschlüsse auf das Rechtsverhältnis der Anleihegläubiger untereinander ableiten, das eben gerade nicht von einer gemeinsamen Verbandsmitgliedschaft geprägt wird.42 Vielmehr ist – in autonomer, d.h. nicht aus dem Aktienrecht abgeleiteter Auslegung – auf die konkrete Ausgestaltung der Gläubigerrechte abzustellen, wie sie insbesondere in den Regelungen des 2. Abschnitts realisiert sind. Die Eckdaten hierfür im positiven Recht liefern außerhalb der Vorgaben für die Organisationsverfassung der Gläubigerversammlung in den §§ 9-17 SchVG insbesondere das Prinzip der kollektiven Bindung (§ 4 SchVG) und das Mehrheitsprinzip (§ 5 SchVG). In einer Zusammenschau dieser Elemente ist kaum zu verkennen, dass das Gesetz die Anleihegläubiger und ihre Willensbildung in einer Weise organisiert hat, die zwar mit der verbandsrechtlichen Mitgliedschaft der Aktionäre in der AG nicht vergleichbar ist, aber deutliche Züge einer Rechts-

41 Insoweit übereinstimmend Kiem, § 20 SchVG Rz. 76. 42 Insofern zweifelhaft der detaillierte Versuch einer Herleitung aus gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen bei Simon, S. 160 ff.

204

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 16 § 9 SchVG

gemeinschaft und personengesellschaftsrechtliche Elemente aufweist.43 Demgegenüber ist vielfach eingewendet worden, es fehle den Anleihegläubigern an einer durch einen gemeinsamen Zweck vermittelten Nähebeziehung; vielmehr verfolge jeder Gläubiger nur einen individuellen Zweck.44 Die Gegenansicht lokalisiert eben diesen gemeinsamen Zweck in der durch den prozeduralen Rahmen ermöglichten „Verbesserung der Befriedigungsaussichten der Obligationäre durch kollektives anleiheorganisationsrechtliches Handeln auf der Basis und im Rahmen der Beschlussfassung nach §§ 5 ff. SchVG 2009“45 und beruft sich darauf, dass die Rechtsausübung in diesem Zusammenhang von vornherein nur im Wege kollektiven Handelns möglich ist.46 Dieser letztgenannte Aspekt ist für die Begründung einer konkreten, rechtsbeschränkenden horizontalen Bindung im Hinblick auf die Ausübung von Verfahrensrechten entscheidend, ohne dass die Kontroverse um die Rechtsnatur der Gläubigerversammlung hier ausgeleuchtet werden könnte oder müsste (s. dazu auch § 4 SchVG Rz. 5 ff.). Indem jedem Anleihegläubiger das Stimmrecht nach Maßgabe der §§ 4 ff. SchVG und in dem prozedural durch die §§ 9 ff. SchVG ausgestalteten Rahmen zugewiesen wird, wird die individuelle, schuldrechtlich durch §§ 793 ff. BGB fixierte Rechtsbeziehung zwischen Anleihegläubigern und Emittentin um ein Rechtsausübungs- und Rechtsschutzsystem ergänzt und erweitert, das mit beträchtlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsposition der übrigen Gläubiger verbunden ist.47 Die Rechte der Anleihegläubiger können in diesem Rahmen von vornherein nur im Kollektiv ausgeübt werden und sind damit zwingend auf eine (begrenzte) Rücksichtnahme auf die übrigen Mitglieder des Kollektivs angewiesen. Schon die organisationsrechtliche „Verklammerung“48 zu einer durch die §§ 4 ff., 9 ff. SchVG verfassten Gruppe von Fremdkapitalgebern als solche verlangt und rechtfertigt infolgedessen Schranken für die Rechtsausübung durch jedes einzelne Gruppenmitglied ganz unabhängig von der Frage der dogmatischen Einordnung des so verfassten Kollektivs.49 Im Ergebnis stützt dies jedenfalls grundsätzlich die Annahme horizontaler Treuepflichten im Verhältnis der Anleihegläubiger untereinander aufgrund kollektiver Verfasstheit, die allerdings der Konkretisierung mit Blick auf das besondere, wiederum durch das Gesetz selbst geprägte Rechtsverhältnis zwischen den Gläubigern bedürfen. Umstritten, aber hier nicht zu vertiefen ist die Frage, ob sich aus der damit umrissenen Bindung materielle Stimmrechtsschranken (s. wiederum § 20 SchVG Rz. 73 ff. im Zusammenhang mit der Frage einer materiellen Beschlusskontrolle) oder gar positive Koordinationspflichten ergeben, wie sie allgemein für die Gläubiger in Restrukturierungssachverhalten 43 So ausdrücklich Horn, ZHR 173 (2009), 12 (48 f.); in diese Richtung auch Horn, BKR 2009, 446 (450); ähnlich Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 19; Hopt, WM 2009, 1873 (1875); Merkt in FS Hopt, 2010, S. 2207 (2221); Simon, S. 21, 221 f. („gesellschaftsähnliche Interessengemeinschaft“); vage Heldt in Grieser/Heemann, Bankaufsichtsrecht, S. 833, 839; Heldt in FS Teubner, 2009, S. 315 ff. (netzvertragliche Organisation „zwischen Vertrags- und Gesellschaftsrecht“); konsequent, wenn auch in den Folgerungen sehr weit gehend weiterentwickelt zu einem verbandsrechtlichen Funktionsverständnis der Anleihegläubigergemeinschaft als „Anleihegesellschaft“ bei Liebenow, S. 263 ff., insb. 266 ff. Für die Annahme einer gesellschaftsähnlichen Ausgestaltung bereits nach dem SchVG 1899 etwa Koenige, SchVG Einleitung S. 25; Eidenmüller, S. 647; zum Streitstand insgesamt Vogel, Vergemeinschaftung, S. 127 m.w.N. 44 Z.B. Cagalj, S. 104 ff., 346; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 15 ff., 21; Leber, S. 254; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 17; Reps, S. 37; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 45; Podewils, DStR 2009, 1914 (1915, 1918); Vogel, ZBB 2010, 211 (219); eingehende Auseinandersetzung bei Simon, S. 208 ff.; zum früheren Recht Vogel, Vergemeinschaftung, S. 127. 45 So ausdrücklich Liebenow, S. 271. 46 Liebenow, S. 272. 47 Dazu besonders Simon, S. 224. 48 Treffend Reps, S. 36. 49 Vgl. mit ähnlichen, aber nicht konsequent entwickelten Erwägungen bereits Simon, S. 193 f.; im Ergebnis wohl übereinstimmend, aber mit ungenauer Begründung Leber, S. 255 f.

Binder 205

16

§ 9 SchVG Rz. 17 Einberufung der Gläubigerversammlung postuliert worden sind.50 Entscheidend für die Auslegung der §§ 9-17 SchVG ist demgegenüber allein, dass sich aus dem Gesagten einige konkrete prozedurale, d.h. nicht auf das materielle Stimmverhalten bezogene Folgerungen für den Inhalt von Rücksichtnahmepflichten im Zusammenhang mit der Rechtsausübung in der Gläubigerversammlung ableiten lassen. Diese gelten unabhängig von etwaigen materiellen Implikationen und sind hier zunächst nur anzudeuten und im jeweiligen konkreten Sachzusammenhang näher auszuleuchten. Aus dem Geltungsgrund der Rücksichtnahmepflicht, die gesetzlich verfasste kollektive Willensbildung abzusichern (Rz. 15), folgt das allgemeine Prinzip, dass die Ausübung des Teilnahmerechts nur soweit gehen kann, wie sie die kollektive Willensbildung nicht gefährdet. Dies zwingt im Ergebnis zu praktischer Konkordanz zwischen den Interessen einzelner Versammlungsteilnehmer, wo diese Interessen miteinander konfligieren. Eine an sich gesetzlich abgesicherte Ausübung des Teilnahmerechts kann im Einzelfall unzulässig sein, wenn sie die Rechte der übrigen Versammlungsteilnehmer zur Mitwirkung an der Entscheidungsbildung unangemessen beeinträchtigt. Dies liefert insbesondere die Begründung für Rechtsbeschränkungen im Interesse der Absicherung eines ungestörten, sachgerechten Verlaufs der Gläubigerversammlung. Konkrete Anwendungsbeispiele betreffen: Redezeitbeschränkungen (§ 15 SchVG Rz. 9 ff.), das Recht des Versammlungsleiters, Fragen der Anleihegläubiger nach Erledigung des jeweiligen Beratungsgegenstands im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen (dazu § 16 SchVG Rz. 6), quantitative Schranken des Auskunftsrechts zur Vermeidung ausufernder Versammlungszeiten (§ 16 SchVG Rz. 11, 13, 16 ff.) sowie allgemein die Aufgabe und Befugnis des Versammlungsleiters, im Rahmen von Ordnungsmaßnahmen Störungen des Versammlungsverlaufs abzuwehren (§ 15 SchVG Rz. 15).

III. Einberufungszuständigkeit (§ 9 Abs. 1 SchVG) 1. Grundlagen 17

§ 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchVG weist dem Schuldner (Emittentin) (Rz. 18) und dem gemeinsamen Vertreter (Rz. 19) ein selbständiges („originäres“) Recht zur Einberufung der Gläubigerversammlung zu, dessen Ausübung nicht an besondere Bedingungen oder Voraussetzungen geknüpft, sondern in das Ermessen des Schuldners bzw. des gemeinsamen Vertreters gestellt ist.51 Die Gläubigerversammlung kann damit nicht nur – wie regelmäßig – zum Zweck der Herbeiführung von Beschlüssen über die Änderung der Anleihebedingungen einberufen werden. Vielmehr sind auch – etwa zur Einholung eines Meinungsbildes – Erörterungen ohne Beschlussfassung zulässig, solange die behandelten Themen insgesamt in die Zuständigkeit der Gläubigerversammlung fallen.52 Empfehlenswert dürften derartige rein informatorische Versammlungen allerdings mit Blick auf den damit verbundenen Aufwand nur selten sein, zumal als fruchtlos aufgefasste Versammlungen bei späteren weiteren Einberufungen möglicherweise die Bereitschaft einer hinreichenden Zahl an Gläubigern zur Mitwirkung schwächen könnte. Kein Ermessen hinsichtlich der Einberufungsentscheidung besteht nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG, wenn eine qualifizierte Minderheit die Einberufung verlangt. In diesem Fall ändert sich nichts an der alleinigen Einberufungszuständigkeit, doch sind sowohl die Emittentin als auch der gemeinsame Vertreter verpflichtet, die Einberufung vorzunehmen (Rz. 20 ff.). Ebenso wie im Aktienrecht nicht ausdrücklich geregelt, aber hier wie dort53 50 Grundlegend Eidenmüller, S. 608 ff. 51 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 5; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 3; Seibt, ZIP 2016, 997 (1001). 52 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 3. 53 Vgl. für das Aktienrecht RG v. 20.1.1941 – II 96/40, RGZ 166, 129 (133); OLG Frankfurt v. 18.3.2014 – 5 U 65/13, AG 2015, 445 (447); Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 37; Herrler in Grigoleit, § 121 AktG Rz. 30; Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 18; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013,

206

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 19 § 9 SchVG

anzuerkennen ist, dass eine wirksame Absage der Versammlung bis zu deren Eröffnung nur durch den Einberufenden vorgenommen werden kann (näher § 10 SchVG Rz. 26). Dass die Einberufung der Gläubigerversammlung durch den Einberufungszuständigen erfolgt, ist Grundvoraussetzung für wirksame Beschlüsse in der Gläubigerversammlung. Bei fehlender Einberufungszuständigkeit sind die von der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse nach richtiger, aber nicht unbestrittener Ansicht nicht lediglich anfechtbar, sondern nichtig. Dies lässt sich zwar nicht aus dem Gesetz selbst ableiten, ist aber mit Blick auf den grundlegenden Charakter des Mangels geboten (dazu § 20 SchVG Rz. 31). 2. Schuldner Die Einberufung durch den Schuldner selbst aus eigenem Entschluss (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 18 SchVG) ist bislang der in der Praxis häufigste Fall, nachdem der Wunsch nach einer Änderung der Anleihebedingungen zu Restrukturierungszwecken im Interesse einer finanziellen Gesundung der Emittentin regelmäßig den Anlass für die Abhaltung einer Gläubigerversammlung bildet. „Schuldner“ ist ausschließlich die Emittentin selbst, nicht dagegen, wer die Emission garantiert.54 Ihre Einberufungszuständigkeit entspricht der Rechtslage nach § 3 Abs. 1 SchVG 1899. Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, wer bei juristischen Personen zur Vertretung der Emittentin berechtigt ist. Überwiegend wird ausschließlich der jeweilige organschaftliche Vertreter als vertretungsberechtigt angesehen,55 nach anderer Ansicht soll es sich um eine Frage des allgemeinen Stellvertretungsrechts handeln mit der Folge, dass auch rechtsgeschäftlich Bevollmächtigte wirksam die Einberufungszuständigkeit für die Emittentin sollen ausüben können.56 Auch wenn dies im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt wurde, sprechen bessere Gründe für eine Beschränkung auf den organschaftlichen Vertreter. Diese dient nicht nur der Rechtssicherheit, sondern trägt auch dem Umstand Rechnung, dass die Gläubigerversammlung mit der Neugestaltung der Fremdkapitalfinanzierung in jedem Fall in Leitungsaufgaben eingreift.57 Insofern liegen die Dinge nicht anders als bei der Frage, inwieweit die Aufgabe des Versammlungsvorsitzes vom jeweiligen Leitungsorgan an Dritte delegiert werden kann (dazu § 15 SchVG Rz. 18). Bei ausländischen Gesellschaften kommt es darauf an, wer nach dem jeweiligen Gesellschaftsstatut als vertretungsberechtigtes Organ einzustufen ist.58 3. Gemeinsamer Vertreter Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SchVG ist neben dem Schuldner auch dem gemeinsamen Vertreter die selbständige Einberufungszuständigkeit zugewiesen. Das Gesetz erweitert damit im Vergleich zum früheren Recht die Handlungsmöglichkeiten des gemeinsamen Vertreters, der zuvor lediglich das Recht hatte, gegenüber der Emittentin die Einberufung zu verlangen (vgl. § 3 Abs. 2 Alt. 2 SchVG 1899). Diese Beschränkung hatte Schädigungen der Emittentin durch missbräuchliche Einberufungen verhindern sollen.59 Jedenfalls nach neuem Recht

54 55 56 57 58 59

§ 121 AktG Rz. 102; Müller in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 121 AktG Rz. 32; Noack/ Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 117; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 121 AktG Rz. 69; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 107. Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 2. So Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 5; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 5; Seibt, ZIP 2016, 997 (1001). So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 6. Vgl. exemplarisch für die AG etwa Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 16 f.; Hoffmann in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 1, 12. Insoweit übereinstimmend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 7. Ansmann, § 3 SchVG § 1899 Anm. 4; s. auch Vogel, Vergemeinschaftung, S. 157.

Binder 207

19

§ 9 SchVG Rz. 20 Einberufung der Gläubigerversammlung lässt sich diesem Schutzinteresse indessen schon mit Blick auf eine drohende Haftung des gemeinsamen Vertreters gegenüber der Emittentin sowie gem. § 7 Abs. 3 Satz 1 SchVG auch ggf. gegenüber den Gläubigern Rechnung tragen, so dass es einer entsprechenden Einschränkung nicht bedurfte.60

IV. Einberufungsverlangen einer qualifizierten Gläubigerminderheit; Verfahren (§ 9 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 2 und 3 SchVG) 1. Grundlagen, Überblick 20

Den Gläubigern selbst wird – wie bereits nach früherem Recht – keine selbständige Einberufungszuständigkeit eingeräumt. Eine qualifizierte Minderheit von 5 % des Nennbetrags der ausstehenden Schuldverschreibungen (Rz. 21) hat jedoch das Recht, die Einberufung der Gläubigerversammlung zu verlangen. Das Quorum ist dispositiv; niedrigere Quoren können, da mit § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG vereinbar, in den Anleihebedingungen vorgesehen werden.61 Ist einer der gesetzlich vorgesehenen bzw. in den Anleihebedingungen definierten Einberufungsgründe gegeben (Rz. 27 f.) und liegt ein formell wirksames Einberufungsverlangen vor (Rz. 30 ff.), trifft – je nachdem, an welchen Adressaten sich das Verlangen richtet – die Emittentin oder den gemeinsamen Vertreter eine Pflicht zur Einberufung (Rz. 34). Der Regelungszweck der Vorschriften liegt in einem auf Differenzierung bedachten Ausgleich zwischen den Interessen der Emittentin, der Gesamtheit der Anleihegläubiger und dem Ziel des Minderheitenschutzes. Ohne dass dies in den Gesetzesmaterialien begründet würde, lässt sich die Beschränkung des Minderheitenrechts zunächst mit dem Schutz berechtigter Interessen der Emittentin vor missbräuchlichen Einberufungen rechtfertigen. Daneben hat aber auch die Gesamtheit der Anleihegläubiger ein Interesse daran, dass eine Einberufung nur in Fällen erfolgt, in denen eine Befassung der Gläubigerversammlung mit Gegenständen in ihrem Zuständigkeitsbereich wirklich gerechtfertigt ist. Dem Regelungszweck dienen nicht nur die Zuweisung der Einberufungszuständigkeit, sondern auch das gesetzliche Quorum und die Beschränkung auf bestimmte zulässige Einberufungsgründe für Minderheitsverlangen. Damit ist das Problemfeld indessen noch nicht abschließend abgesteckt. In Anlehnung an die zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift entwickelten Grundsätze sind vielmehr weitere ungeschriebene Schranken für das Einberufungsverlangen anzuerkennen, die aus dem Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens abgeleitet werden können (Rz. 27). Die Einberufung folgt hier im Übrigen grundsätzlich den gleichen Regeln wie die originäre Einberufung durch die Emittentin oder den gemeinsamen Vertreter; allerdings ist, wenn in der daraufhin einberufenen Gläubigerversammlung das erforderliche Quorum nicht erreicht wird, die Minderheit nicht berechtigt, eine zweite Versammlung i.S.d. § 15 Abs. 3 Satz 2 SchVG zu verlangen (dazu § 15 SchVG Rz. 27). Wird einem berechtigten Einberufungsverlangen nicht entsprochen, eröffnet Abs. 2 der qualifizierten Minderheit die Möglichkeit, eine gerichtliche Ermächtigung zur Eröffnung der Gläubigerversammlung zu erwirken; Abs. 3 regelt Einzelheiten des Verfahrens hierzu (Rz. 35 ff.). Abs. 2 entspricht inhaltlich der korrespondierenden Regelung für die Hauptversammlung der AG in § 122 Abs. 3 AktG; auch die übrigen Einzelheiten in Abs. 3 und 4 weisen Parallelen zum Aktienrecht auf (vgl. § 122 Abs. 3 und 4 AktG).

60 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 9; im Ergebnis übereinstimmend Wasmann/ Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 4. 61 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 7.

208

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 22 § 9 SchVG

2. Qualifizierte Minderheit, Quorum (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG) a) Grundsatz Sehen die Anleihebedingungen keine niedrigere Schwelle ausdrücklich vor (Rz. 20), ist gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG erforderlich, dass die Schuldverschreibungen der Minderheit mindestens 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen. Schon aus dem Wortlaut erkennbar ist, dass nicht ein Gläubiger allein das nötige Quorum erreichen muss, sondern mehrere zusammenwirken können. Nicht ausreichend sind – wie im Aktienrecht62 – allerdings bloße „Zufallsquoren“, d.h. das zufällige Zusammentreffen von Einberufungsverlangen mehrerer, für sich genommen unterhalb der 5 %-Schwelle bleibender Gläubiger.63 Berechnungsgrundlage ist nach dem Gesetzeswortlaut das ausstehende Emissionsvolumen. Dabei kommt es auf die Gläubigerstellung – bei strenger Wortlautauslegung also das Eigentum an den betreffenden Schuldverschreibungen – an. Dieser Wortlaut ist jedoch wertungsmäßig zu eng gefasst. Ebenso wie im Aktienrecht64 muss für das Antragsrecht, um dem Regelungszweck gerecht zu werden, vielmehr darauf abgestellt werden, wer das Stimmrecht aus den betreffenden Schuldverschreibungen in der Gläubigerversammlung geltend machen könnte.65 Antragsbefugt sind damit auch Stellvertreter des Gläubigers, soweit ihre Vertretungsmacht auch die Geltendmachung des Antragsrechts umfasst,66 sowie Legitimationsschuldverschreibungsgläubiger (vgl. § 14 SchVG Rz. 18).67 Kein Antragsrecht haben demgegenüber Nießbraucher, soweit ihnen nicht alle Rechte aus den Schuldverschreibungen übertragen wurden,68 sowie Personen, zu deren Gunsten vertragliche Pfandrechte oder Vollstreckungspfandrechte an den Wertpapieren bestehen.69

21

b) Schuldverschreibungen mit ruhenden Stimmrechten Vom Emissionsvolumen sollen nach herrschender Meinung – im Unterschied zur Rechtslage nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG,70 aber im Einklang mit der überwiegenden Ansicht zur Pa62 Dazu Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 12; vgl. auch Herrler in Grigoleit, § 122 AktG Rz. 3; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 24; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 15 (entsprechender Nachweis erforderlich). 63 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 4. 64 Vgl. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 5. 65 Ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 19; a.A. für das SchVG 1899 noch Ansmann, § 3 SchVG 1899 Anm. 2. 66 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 19; vgl. für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 AktG ebenso Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 2; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 5; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 50; Reger in Bürgers/Körber, § 122 AktG Rz. 3; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 7; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 7. 67 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 20; für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 AktG ebenso Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 5; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 122 AktG Rz. 7; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 7. 68 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 21; vgl. für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 AktG ebenso Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 Rz. 23; abweichend (stets der Aktionär berechtigt) Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 3; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 6. 69 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 22; vgl. für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 AktG ebenso Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 3; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 23; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 6; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 8. 70 Von der Gesellschaft gehaltene eigene Aktien sind bei der Berechnung des Quorums dort unstr. nicht abzuziehen; vgl. etwa Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 4; Herrler in Grigoleit, § 122 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 3; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG

Binder 209

22

§ 9 SchVG Rz. 22 Einberufung der Gläubigerversammlung rallelvorschrift in § 50 GmbHG71 – diejenigen Schuldverschreibungen abzuziehen sein, deren Stimmrechte nach § 6 Abs. 1 SchVG ruhen, weil sie von der Emittentin selbst oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen gehalten werden.72 Zur Begründung wird auf die Parallelregelung des § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG verwiesen, wonach Schuldverschreibungen, deren Rechte ruhen, ausdrücklich nicht als ausstehende Schuldverschreibungen gelten.73 Diese Parallele bestand im früheren Recht nicht, weshalb Hinweise auf die abweichende Auslegung des § 3 Abs. 2 SchVG 1899 von vornherein nicht verfangen.74 Zutreffend ist allerdings darauf hingewiesen worden, dass der damit unterstellte Gleichlauf mit § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG in systematischer Hinsicht zweifelhaft ist. Gegen eine Verallgemeinerung und Erstreckung des in § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG formulierten Grundsatzes auch auf die Berechnung des Quorums nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG spricht zum einen, dass kein Grund ersichtlich ist, warum dieser Grundsatz – Verallgemeinerungsfähigkeit unterstellt – nicht bereits in § 9 Abs. 1 SchVG aufgenommen worden ist. Schon der systematische Standort der Regelung in § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG als solcher streitet in der Tat für die Auslegung als nicht verallgemeinerungsfähige Sondervorschrift. Auch sind die unterschiedlichen Regelungszwecke zu berücksichtigen; anders als in § 9 Abs. 1 SchVG geht es in § 15 Abs. 3 SchVG um die Beschlussfähigkeit der Gläubigerversammlung, nicht um die Einberufung derselben.75 Für die Nichtberücksichtigung der von der Emittentin und ihr verbundener Unternehmen gehaltenen Schuldverschreibungen bei der Berechnung auch des Quorums nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG lässt sich allerdings anführen, dass der gesetzlich beabsichtigte Minderheitenschutz drastisch entwertet würde, wenn das Initiativrecht der Minderheit letztlich vom Ausmaß des Rückerwerbs von Schuldverschreibungen durch die Emittentin abhinge.76 Diese Gefahr droht im Schuldverschreibungsrecht in der Tat umso stärker, als der Rückerwerb von Schuldverschreibungen im Unterschied zum Rückerwerb eigener Aktien (vgl. §§ 71 ff. AktG) keinerlei Beschränkungen unterliegt.77 Im Ergebnis sprechen gleichwohl die besseren Gründe dafür, de lege lata – entsprechend der zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift anerkannten Rechtslage – an der Anknüpfung allein an den Nennbetrag der ausstehenden Schuldverschreibungen festzuhalten, ohne Schuldverschreibungen mit ruhenden Stimmrechten abzuziehen. Dies wird nicht nur dem Gesetzeswortlaut und den genannten systematischen Bedenken eher gerecht, sondern gewährleistet auch ein höheres Maß an Rechtssicherheit, weil nur so jedem Anleihegläubiger jederzeit die Feststellung möglich ist, ob der von ihm gehaltene Anteil das Quorum erreicht oder nicht.78 De lege ferenda schließt dies eine gesetzliche Klarstellung durch einen Verweis auf § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG im Inte-

71

72 73 74 75 76

77 78

Rz. 6; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 26; Werner in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 7. Vgl. etwa Roth in Roth/Altmeppen, § 50 GmbHG Rz. 3; Hüffer/Schürnbrand in Großkomm/ GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 50 GmbHG Rz. 8; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 50 GmbHG Rz. 16; Ziemons in BeckOK/GmbHG, § 50 GmbHG Rz. 13.1; Zöllner in Baumbach/Hueck, § 50 GmbHG Rz. 23; a.A. Römermann in Michalski, § 50 GmbHG Rz. 37; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 50 GmbHG Rz. 9. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 7; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 4; im Ergebnis übereinstimmend wohl auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 17 f. Zutr. Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 4. Insofern nicht überzeugend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 17 f. Vgl. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 17. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 18; vgl. auch die eingehende Begründung für die ungeschriebene Ausnahme im GmbH-Recht bei Ziemons in BeckOK/GmbHG, § 50 GmbHG Rz. 13.1; ferner Hüffer/Schürnbrand in Großkomm/GmbHG, 2. Aufl. 2014, § 50 GmbHG Rz. 8; Liebscher in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 50 GmbHG Rz. 16. Insofern zutr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 18. Vgl. zu § 50 GmbHG entsprechend Römermann in Michalski, § 50 GmbHG Rz. 37; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 50 GmbHG Rz. 9; nicht überzeugend demgegenüber Liebscher in MünchKomm/

210

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 24 § 9 SchVG

resse eines gesteigerten Minderheitenschutzes nicht aus. Dieser wäre materiell gut begründbar,79 aber nur um den Preis von Erschwernissen bei der Feststellung der Berechtigung auf Seiten der betroffenen Minderheitsgläubiger zu erreichen. c) Zeitliche Dimension Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG lässt offen, wann das 5 %-Quorum erreicht sein muss. Ein Vorbesitz binnen einer bestimmten Frist, wie ihn § 122 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F. forderte und wie er nunmehr in § 122 Abs. 1 Satz 3 und 4 i.d.F. der Aktienrechtsnovelle 201680 neu geregelt wurde, ist ausdrücklich nicht vorgeschrieben. Für eine analoge Anwendung hierzu fehlt es an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.81 Nicht überzeugend wäre es, Minderheitsverlangen als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen, weil ein Gläubiger zuvor seinen bisherigen, das Quorum verfehlenden Anteil mit dem alleinigen Ziel aufgestockt hat, die 5 %-Schwelle zu erreichen.82 Wenn es nicht im Anschluss zur gerichtlichen Entscheidung nach Abs. 2 und 3 kommt (hier ist deren Zeitpunkt maßgeblich; siehe dazu Rz. 36), ist mindestens zu verlangen, dass das Quorum im Zeitpunkt des Minderheitsverlangens erreicht wird.83 Die ganz herrschende Ansicht belässt es dabei und verlangt insbesondere nicht, dass das Quorum noch bei der Entscheidung der Emittentin bzw. des gemeinsamen Vertreters über den Antrag oder gar im Zeitpunkt der Gläubigerversammlung vorliegt. Derartige Anforderungen ließen sich dem Wortlaut der Bestimmung nicht entnehmen84 und seien zudem nicht praktikabel handhabbar.85

23

Zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 AktG ist dies indessen umstritten. Überwiegend wird vertreten, dass die den Antrag stellende Minderheit ihre Aktien bis zur Entscheidung über die Einberufung der Hauptversammlung halten muss (sog. Haltefrist);86 nach anderer Ansicht muss das Quorum noch im Zeitpunkt der Hauptversammlung selbst eingehalten werden.87 Nur ein kleinerer Teil des Schrifttums hält es für ausreichend, dass die Aktien lediglich bis zur Stellung des Antrags gehalten werden.88 Der aktienrechtliche Gesetzeswortlaut ist insoweit nicht eindeutig. Zwar verlangt § 122 Abs. 1 Satz 3 AktG auf § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG, dass die Antragsteller nachweisen müssen, dass sie „die Aktien bis zur

24

79 80 81 82 83 84 85 86

87 88

GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 50 GmbHG Rz. 16; Ziemons in BeckOK/GmbHG, § 50 GmbHG Rz. 13.1 (lediglich Frage des Berechnungsmodus). Vgl. nochmals insb. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 18. Gesetz zur Änderung des Aktienrechts (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565. Ebenso Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 9. Richtig Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 5 gegen Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 9 SchVG Rz. 10; wie hier jetzt auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 9. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 12; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 26; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 9. Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 12; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 5; insoweit a.A. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 26. Vgl. insoweit und im Ergebnis mit der h.M. auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 26. So Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 3a; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 30; Reger in Bürgers/Körber, § 122 AktG Rz. 5; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 13; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 12; Halberkamp/Gierke NZG 2004, 494 (495); ähnlich Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 7, der auf den Zugang des Antrags beim Vorstand abstellt; insoweit übereinstimmend für § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 12. So Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 10. So z.B. Butzke, Hauptversammlung, Rz. B. 105; Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 5.

Binder 211

§ 9 SchVG Rz. 25 Einberufung der Gläubigerversammlung Entscheidung über den Antrag halten“ (insoweit ebenso vorher § 122 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 142 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die Vorschrift bezieht sich allerdings ausdrücklich auf die gerichtliche Entscheidung über das Minderheitsverlangen und erfasst damit nicht unmittelbar die Entscheidung der Gesellschaft selbst über den Antrag, so dass eine Haltefrist bis zur Entscheidung der Gesellschaft daraus nur im Wege eines Erst-recht-Schlusses abgeleitet werden kann.89 Forderungen nach einer Haltefrist wollen das Minderheitenrecht ausschließlich auf diejenigen Wertpapierinhaber beschränken, welche die materielle Schwelle möglichst noch in der Versammlung tatsächlich erreichen. Sachgerecht erscheint dies grundsätzlich auch im Hinblick auf die widerstreitenden Interessen von Emittentin, Anleihegläubigermehrheit und -minderheit im Schuldverschreibungsrecht (Rz. 20). Es ist nicht einsichtig, warum das Minderheitsverlangen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG auch in Fällen zulässig sein sollte, in denen bereits im Zeitpunkt der Entscheidung darüber die materiellen Voraussetzungen gar nicht mehr gegeben sind. 25

Praktisch durchführbar sind entsprechende Beschränkungen allerdings – im Kern nicht anders als im Aktienrecht – nur unter zwei Voraussetzungen: Zum einen darf den zur Entscheidung über den Antrag berufenen Akteuren (hier: Emittentin bzw. gemeinsamer Vertreter) keine Prüfungslast aufgebürdet werden, der diese nicht ohne weitere Nachforschungen gerecht werden können. Zum zweiten darf der Zeitraum von der Entscheidung an bis zur Gläubigerversammlung nicht mit der Unsicherheit belastet werden, dass diese ggf. kurzfristig abgesagt werden muss, weil das ursprünglich erreichte Quorum nunmehr verfehlt wird.90 Dies schließt die Annahme einer Haltefrist bis zur Gläubigerversammlung aus. Grundsätzlich denkbar ist aber, in Anlehnung an die zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift überwiegend vertretene Ansicht zusammen mit dem Minderheitsverlangen zum Nachweis der andauernden Berechtigung eine Depotbescheinigung mit Sperrvermerk zu verlangen, ggf. ergänzt um eine Verpflichtungserklärung des depotführenden Instituts zur Mitteilung über nachfolgende Veränderungen im Depotbestand.91 Dabei könnte im Interesse der Rechtssicherheit in zeitlicher Hinsicht auf den Zugang des Minderheitsverlangens bei der Emittentin bzw. dem gemeinsamen Vertreter verbunden mit einem pauschalen Zuschlag für die Entscheidungsfindung (zur Prüfungsfrist für den Adressaten Rz. 34) abgestellt werden. Damit ließen sich zumindest Haltefristen von der Antragstellung an bis zur Entscheidung über den Antrag in der Tat auch im Schuldverschreibungsrecht hinreichend sicher kontrollieren.92

26

Nachdem der Gesetzgeber für den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG auf eine Konkretisierung wie in § 122 Abs. 1 Satz 3 AktG verzichtet hat, sprechen indessen de lege lata nicht nur Praktikabilitätsgesichtspunkte, sondern auch ein systematischer Vergleich letztlich gegen eine solche Lösung, auch wenn diese de lege ferenda einiges für sich hätte. Im Ergebnis sollte es daher im Regelfall dabei bleiben, dass sich Emittentin bzw. gemeinsamer Vertreter bei der Entscheidung über den Antrag auf einen einfachen Depotauszug verlassen können und nicht zur Nachforschung verpflichtet sind.93 Erlangen sie davon Kenntnis, dass das ursprünglich erreichte Quorum infolge von Veränderungen im Kreis der antragstellenden Minderheit oder infolge von Veräußerungen von Wertpapieren durch diese nunmehr verfehlt wird, ist dies allerdings zu berücksichtigen.

89 Insofern in jedem Fall zutr. Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 76. 90 Vgl. für das Aktienrecht insoweit auch Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (495). 91 Vgl. zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift insoweit besonders Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 15. 92 Vgl. – zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift – auch Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (495); insoweit unzutr. dagegen der Hinweis auf praktische Probleme der Feststellung bei Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 9 SchVG Rz. 9. 93 Insoweit übereinstimmend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 26.

212

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 27 § 9 SchVG

3. Zulässige Einberufungsgründe a) Gesetzlich vorgesehene Einberufungsgründe Zur Wahrung der Interessen der Emittentin, aber auch der übrigen Anleihegläubiger 27 (Rz. 20) kann das Minderheitsverlangen nach dem – dispositiven, in den Anleihebedingungen konkretisier- und erweiterbaren (Rz. 28) – Katalog gesetzlicher Regelbeispiele nur auf bestimmte Einberufungsgründe gestützt werden. Auch insofern weicht die Regelung von der Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 2 AktG ab. Für Minderheitsverlangen zur Einberufung der Hauptversammlung der AG sind zwar ungeschriebene Schranken anerkannt, darunter insbesondere das Verbot von nicht in die Kompetenz der Hauptversammlung fallenden Beschlussvorschlägen sowie das Verbot des Rechtsmissbrauchs.94 Der Kreis zulässiger Einberufungsgründe ist jedoch nicht gesetzlich konkretisiert worden. Für das Minderheitsverlangen zur Einberufung der Gläubigerversammlung sind zwei konkrete Einberufungszwecke als Regelbeispiele für das Vorliegen eines besonderen Interesses formuliert worden:95 Die Einberufung kann insbesondere zum Zweck der Bestellung oder Abberufung eines gemeinsamen Vertreters (Alt. 1) sowie mit dem Ziel einer Beschlussfassung über das Entfallen der Wirkung einer Kündigung nach § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG (Alt. 2) verlangt werden. Jedenfalls in diesen Fällen ist ein weiterer Nachweis eines besonderen Interesses nicht zu verlangen.96 Unterschiedlich beurteilt wird, ob beide Regelbeispiele zugleich einen verallgemeinerungsfähigen Maßstab setzen, an dem sich sonstige, auf andere Erscheinungsformen eines „besonderen Interesses“ gestützte Einberufungsverlangen messen lassen müssen. Überwiegend wird gefordert, ein derartiges Interesse sei prinzipiell nur dann anzuerkennen, wenn die antragstellende Minderheit eine Beschlussfassung anstrebt, die in vergleichbarer Weise in die Gläubigerrechte eingreift wie die ausdrücklich erfassten Fälle.97 Nach anderer Ansicht soll es hingegen ausreichen, dass sich die angestrebten Beschlüsse auf irgendeine Maßnahme nach § 5 Abs. 3 SchVG beziehen, wobei sowohl eine erstmalige Beschlussfassung als auch die Änderung bereits gefasster Beschlüsse angestrebt werden könnten.98 Für die Abwägung zwischen beiden Positionen ist zunächst zu berücksichtigen, dass bereits der Wortlaut („besonderes Interesse“) auf eine spürbare Beschränkung abzielt. Erst recht ergibt sich dies aus dem Umstand, dass das Gesetz die Zulassung weiterer Einberufungsgründe – und mithin eine Absenkung der Hürden – in den Anleihebedingungen ausdrücklich anerkennt, aber eben in das Ermessen der Emittentin stellt (Rz. 28). Dies spricht grundsätzlich für eine restriktive Auslegung der gesetzlich vorgesehenen Einberufungsgründe, auch wenn man dies rechtspolitisch bedauern mag.99 Im Ergebnis ist daher konzeptionell der überwiegenden Auffassung beizupflichten. Der praktische Unterschied zur Gegenauffassung dürfte allerdings gering ausfallen. Insbesondere dann, wenn die antragstellende Minderheit eine Änderung von Maßnahmen in den in § 5 Abs. 3 SchVG genannten Fällen anstrebt, wird man ihr angesichts der damit verbundenen Auswirkungen auf ihre finanzielle und rechtliche Position im Ver-

94 Näher z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 15 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 50 ff.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 21 ff.; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 21; eingehend Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (497 ff.) (Einzelheiten str.). 95 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21; s. auch Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 7. 96 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 9. 97 Eingehend Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 13; siehe auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 11; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 7. 98 So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 32. 99 Vgl. mit beachtlichen Gründen unter Hinweis auf die internationale Praxis insoweit Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 33.

Binder 213

§ 9 SchVG Rz. 28 Einberufung der Gläubigerversammlung hältnis zur Emittentin kaum ein „besonderes Interesse“ absprechen können.100 In jedem Falle unzulässig sind jedoch in der Tat Einberufungsverlangen, die lediglich auf die Unterrichtung der Gläubiger oder Diskussionen ohne Beschlussfassung abzielen.101 b) Erweiterung in den Anleihebedingungen 28

Die Anleihebedingungen können weitere zulässige Einberufungsgründe vorsehen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 SchVG) und damit die Schwelle für Einberufungsverlangen absenken. Nachdem ein „besonderes Interesse“ i.S.d. Abs. 1 Satz 2 regelmäßig anzunehmen sein wird, wenn Änderungen von Beschlüssen nach § 5 Abs. 3 SchVG angestrebt werden (Rz. 27), dürfte ein praktisches Bedürfnis für entsprechende Regelungen vor allem in der Klarstellung für konkrete Beschlussgegenstände zur Herstellung von Rechtssicherheit zu suchen sein. Je detaillierter die zulässigen Gründe definiert werden, desto seltener dürfte die Gefahr einer Inanspruchnahme des gerichtlichen Verfahrens nach § 9 Abs. 2 SchVG bestehen.102 Insbesondere zur Annäherung an international übliche Gestaltungsstandards wird sogar ein – unproblematisch zulässiger103 – umfassender Verzicht auf den Nachweis eines „besonderen Interesses“ empfohlen,104 was dann freilich auch bloße Erörterungsversammlungen ermöglichen und eine Überprüfung auf Fälle des Rechtsmissbrauchs (dazu Rz. 29) von vornherein unmöglich machen würde. 4. Ungeschriebene Zulässigkeitsschranken

29

Grundvoraussetzung für die Zulässigkeit des Minderheitsverlangens ist – wie im Aktienrecht105 – stets, dass die vorgebrachten Einberufungsgründe überhaupt mit Gegenständen zusammenhängen, die in die Kompetenz der Gläubigerversammlung fallen.106 Ist dies nicht der Fall, handelt es sich letztlich um einen besonderen Fall des Rechtsmissbrauchs, denn die Einberufung einer Gläubigerversammung zu kompetenzwidrigen Zwecken würde eine nicht gerechtfertigte Belastung für die Emittentin, ggf. den gemeinsamen Vertreter, aber auch die Anleihegläubigermehrheit bedeuten. Auch im Übrigen können Einberufungsverlangen im Einzelfall mit Blick auf den damit verbundenen Aufwand einerseits und ein als gering zu bewertendes Interesse der Minderheit daran andererseits als Rechtsmissbrauch zurückzuweisen sein. Angesichts der damit verbundenen Einschränkung des gesetzlichen Minderheitenschutzes ist der Rechtsmissbrauchseinwand allerdings richtigerweise wie im Aktienrecht107 100 Ausdrücklich a.A. insoweit, aber ohne Begründung Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 9 SchVG Rz. 12; siehe aber nunmehr Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 13. 101 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 7; insoweit wohl übereinstimmend Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 32; zumindest missverständlich Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 11, nach denen es darauf ankommt, „ob das Interesse so gewichtig ist, dass vom Regelfall der Einberufung durch den Schuldner oder den gemeinsamen Vertreter abgewichen werden muss“. Dies verkennt, dass das Minderheitsverlangen als solches zunächst keine eigenständige Einberufungszuständigkeit schafft, sondern die Zuständigkeit von Emittentin und gemeinsamem Vertreter unberührt lässt. 102 Vgl. zu diesem Gesichtspunkt (wenn auch mit anderer Akzentsetzung) auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 11. 103 Ebenso Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 7; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 14. 104 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 33. 105 Vgl. zur Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 AktG Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 15; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 60; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 18; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (497). 106 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 7. 107 Vgl. etwa KG v. 25.8.2011 – 25 W 63/11, AG 2012, 256; OLG Düsseldorf v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264; OLG Frankfurt v. 15.2.2005 – 20 W 1/05, AG 2005, 442; OLG Hamburg v. 6.11.2002 – 11 W 91/01, AG 2003, 643; OLG Karlsruhe v. 16.6.2014 – 11 Wx 49/14, ZIP 2015, 125 (126);

214

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 30 § 9 SchVG

sehr restriktiv zu handhaben.108 Dabei lassen sich aufgrund der vergleichbaren Interessenlage die zur Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 2 AktG entwickelten Auslegungsgrundsätze zur Konkretisierung heranziehen.109 Diese werden zwar im Aktienrecht üblicherweise mit einer – hier nicht gegebenen (Rz. 13) – vertikalen Treuepflicht der Aktionäre gegenüber der Gesellschaft begründet, doch ergeben sich für das Interessendreieck zwischen Emittentin, Anleihegläubigerminderheit und -mehrheit keine abweichenden Wertungskriterien. Ausgeschlossen ist der Missbrauchseinwand, wenn der Adressat des Minderheitsverlangens – Emittentin oder gemeinsamer Vertreter – lediglich die Einschätzung der Minderheit über Anlass oder Inhalt der begehrten Beschlussfassung110 oder über die zu erwartenden Mehrheitsverhältnisse111 nicht teilt. Eine Ablehnung des Antrags ist dagegen zulässig, wenn eine Gläubigerversammlung ohnehin bevorsteht und das Warten darauf zumutbar ist112 oder wenn der von der Minderheit verfolgte Beschlussvorschlag in einer vorangegangenen Versammlung mehrheitlich abgelehnt wurde.113 5. Einberufungsverlangen (noch § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG) a) Rechtsnatur und Form Das Einberufungsverlangen ist als rechtsgeschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, auf welche die §§ 104 ff. BGB analog anwendbar sind.114 Das Gesetz schreibt ausdrücklich Schriftlichkeit des Verlangens vor. In jedem Fall formwahrend ist damit die Schriftform (§ 126 BGB), so dass nach allgemeinen Regeln (vgl. § 126 Abs. 3 BGB) grundsätzlich auch die elektronische Form (§ 126a BGB) gewählt werden kann, nicht aber die Textform (§ 126b BGB). Ebenso wie im Aktienrecht115 soll das Formerfordernis dem zur Entscheidung berufenen Akteur – hier: Emittentin bzw. gemeinsamer Vertreter – eine hinreichende Gewissheit über die Urheberschaft vermitteln. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf den für die

108 109 110

111 112

113

114 115

OLG München v. 9.11.2009 – 31 Wx 134/09, AG 2010, 84 (85); OLG Stuttgart v. 25.11.2008 – 8 W 370/08, AG 2009, 169 (170); Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 14; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 6; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 66; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 122 AktG Rz. 23; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 21; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (497). Ebenso Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 11. Ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 25. Überzeugend Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 21; a.A. insoweit allerdings – mit Blick auf den damit verbundenen Eingriff in das Minderheitenrecht bedenklich – Butzke, Hauptversammlung, Rz. B. I 08; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 21; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 68. Insoweit übereinstimmend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 26; Noack/ Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 70; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 21. Vgl. zum Aktienrecht etwa OLG Frankfurt v. 15.2.2005 – 20 W 1/05, AG 2005, 442 (443); OLG Stuttgart v. 25.11.2008 – 8 W 370/08 AG 2009, 169 (170); Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 6; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 19; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 67; Reger in Bürgers/Körber, § 122 AktG Rz. 11; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 21; a.A. OLG Düsseldorf v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264; Müller in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 122 AktG Rz. 20. Vgl. für das Aktienrecht etwa KG v. 25.8.2011 – 25 W 63/11, AG 2012, 256; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 6; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 20; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 122 AktG Rz. 24; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 33; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 21. Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 8; für die aktienrechtliche Rechtslage entsprechend OLG Düsseldorf v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264 (266); Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 10; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 16. Vgl. Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 47.

Binder 215

30

§ 9 SchVG Rz. 31 Einberufung der Gläubigerversammlung Einberufungssituation typischen Zeitdruck ist für die aktienrechtliche Parallelvorschrift gefordert worden, neben der Schrift- und der elektronischen Form auch die Textform und hier insbesondere auch die Übermittlung per Telefax ausreichen zu lassen.116 Für eine derartige erweiternde Auslegung sprechen auch im hiesigen Zusammenhang gewichtige Praktikabilitätsgesichtspunkte. Im Interesse der Rechtssicherheit und Vermeidung von Streitigkeiten ist ohne eine gesetzliche Klarstellung bzw. eine (zulässige117) entsprechende Ergänzung in den Anleihebedingungen aber auch im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG der Praxis zu empfehlen, sich am Gesetzeswortlaut zu orientieren und entweder die Schriftform oder die elektronische Form einzuhalten.118 Wird das Minderheitsverlangen von mehreren Gläubigern getragen, ist nicht erforderlich, dass alle auf derselben Urkunde unterzeichnen. Ausreichend sind vielmehr auch eigenständige Schriftstücke, sofern diese für sich genommen die formellen Anforderungen erfüllen; inhaltlich müssen sie aufeinander Bezug nehmen und das Begehren somit materiell als einheitlichen Antrag erkennbar machen.119 Wird der Antrag zulässigerweise durch einen Stellvertreter gestellt, ist der Nachweis der Vollmacht grundsätzlich nicht erforderlich, doch sollte zur Vermeidung der Gefahr einer Zurückweisung analog § 174 Satz 1 BGB stets eine Vollmachtsurkunde vorgelegt werden.120 b) Adressat 31

Das Einberufungsverlangen kann entweder an die Emittentin oder an den gemeinsamen Vertreter gerichtet werden. Dies ist im Gesetz zwar nicht ausdrücklich festgelegt, ergibt sich aber zwingend aus der Konstruktion des Einberufungsverlangens, das – vorbehaltlich einer gerichtlichen Ermächtigung der Minderheit im Verfahren nach § 9 Abs. 2 und 3 SchVG (Rz. 35 ff.) – an der Einberufungszuständigkeit selbst (Rz. 17 ff.) nichts ändert. Zwischen beiden Alternativen besteht in Ermangelung einer gesetzlich festgelegten Reihenfolge Wahlfreiheit.121 Dies kann Koordinationsprobleme verursachen, wenn zwei einander überschneidende Anträge vorliegen oder ein und derselbe Antrag – ggf. in Erwartung einer rascheren Entscheidung – an beide möglichen Adressaten gerichtet wird. Für den Fall, dass das Einberufungsverlangen an den gemeinsamen Vertreter gerichtet wird und dieser die Einberufung ablehnt, ist gefordert worden, dass die antragstellende Minderheit vor der Einleitung des gerichtlichen Verfahrens zunächst die Emittentin informieren müsse, um dieser die Gelegenheit zu geben, selbst einzuberufen und damit die sie nach § 9 Abs. 4 SchVG treffende Kostenlast für das Gerichtsverfahren zu vermeiden.122 Der Grundgedanke ist verallgemeinerungsfähig und dahingehend zu erweitern, dass die antragstellende Minderheit stets den jeweils anderen denkbaren Adressaten eines Minderheitsverlangens über die Antragstellung informieren sollte, um eine Koordination zu ermöglichen. Dies rechtfertigt indessen nicht die Annahme einer (klagbaren) Rechtspflicht. Sachgerecht ist vielmehr die Berücksichtigung im Rahmen 116 Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 12; Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 47. 117 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 30. 118 Ebenso für die aktienrechtliche Parallelvorschrift Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 4. 119 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 31; vgl. entsprechend für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 18; Herrler in Grigoleit, § 122 AktG Rz. 3, 6; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 12; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 24; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 15; a.A. insoweit Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 9; Reger in Bürgers/Körber § 122 Rz. 6. 120 Vgl. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 30. 121 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 8. 122 Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 9 SchVG Rz. 11; im Ergebnis ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 29; a.A., aber mit unklaren Implikationen insoweit Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 17.

216

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 33 § 9 SchVG

der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses für einen nachfolgenden Antrag auf gerichtliche Ermächtigung (Rz. 40). c) Inhalt Konkrete Anforderungen an den Inhalt des Einberufungsverlangens werden im Gesetz nicht formuliert. Ebenso wie im Aktienrecht123 muss der Antrag unmissverständlich als Verlangen nach einer Einberufung der Gläubigerversammlung erkennbar sein, also den darauf bezogenen Willen zum Ausdruck bringen.124 Darüber hinaus muss der Antrag den Grund für die begehrte Einberufung bezeichnen.125 Dies ergibt sich im Unterschied zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift (vgl. § 122 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AktG) zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut, folgt jedoch aus der gesetzlichen Beschränkung auf bestimmte Einberufungsgründe (Rz. 27 ff.). Nur wenn dem Adressaten deren Vorliegen nachgewiesen wird, kann er das Bestehen oder Nichtbestehen der Einberufungspflicht (Rz. 34) einschätzen. Selbst dann, wenn die Anleihebedingungen vom Nachweis eines besonderen Interesses dispensieren (vgl. Rz. 28), sollte an dem Begründungserfordernis festgehalten werden, da das Einberufungsverlangen auch in diesen Fällen nur zulässig ist, wenn der angestrebte Gegenstand der Beratungen überhaupt in die Kompetenz der Gläubigerversammlung fällt (Rz. 29). Beizufügen ist schließlich ein Nachweis des Quorums.126 Auch dies ist nicht ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, ergibt sich aber – insoweit wie im Aktienrecht127 – wiederum aus der Notwendigkeit, dem Adressaten des Antrags die Bewertung der Einberufungspflicht zu ermöglichen.128 Hinsichtlich der Art und Weise des Nachweises sind gleiche Maßstäbe wie für das Ergänzungsverlangen nach § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG anzulegen (dort Rz. 21) mit der Folge, dass als Nachweis ein in Textform erstellter Auszug des depotführenden Instituts vorgelegt wird.129

32

d) Rücknahme Die Rücknahme des Einberufungsverlangens ist gesetzlich nicht geregelt. Ebenso wie im Ak- 33 tienrecht130 ist sie allerdings jederzeit möglich, wobei aus Gründen der Rechtssicherheit wiederum die formellen Anforderungen an das Minderheitsverlangen eingehalten werden müssen.131 Mit der Rücknahme wird das Einberufungsverlangen gegenstandslos, was zur Absage einer bereits einberufenen Gläubigerversammlung berechtigt, aber die Wirksamkeit der 123 Dazu Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 11; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 4; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 13; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 19; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 17. 124 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 8. 125 Im Ergebnis übereinstimmend auch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 9 SchVG Rz. 12; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 13; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 8. 126 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 13; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 6. 127 Vgl. zur Nachweispflicht im Rahmen des § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG allgemein Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 32 ff.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 19; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 11; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 24 ff.; abweichend (Nachweis lediglich empfehlenswert) Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 9. 128 Gleichsinnig Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 28. 129 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 13; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 28. 130 Vgl. etwa Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 4; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 14; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 52; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 122 AktG Rz. 20; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 41. 131 Ebenso Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 10.

Binder 217

§ 9 SchVG Rz. 34 Einberufung der Gläubigerversammlung Einberufung als solche unberührt lässt.132 Wurde das Minderheitsverlangen von mehreren Gläubigern getragen, können auch einzelne Gläubiger wirksam die Rücknahme erklären, sofern infolge ihres Verzichts das Quorum nicht mehr erreicht wird.133 6. Rechtsfolge (noch § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG) 34

Die Entscheidung über das Minderheitsverlangen ist sowohl für die Emittentin als auch für den gemeinsamen Vertreter eine gesetzliche gebundene; sind die formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt, besteht kein Ermessen, sondern eine Pflicht zur Einberufung.134 Vor der Entscheidung über die Einberufung ist der jeweilige Adressat in jedem Fall zur Prüfung der Voraussetzungen verpflichtet. Dies ist ebenso wenig ausdrücklich vorgeschrieben wie die Anforderungen an das Prüfungsverfahren. Wie im Aktienrecht135 ergibt sich eine Prüfungspflicht indessen daraus, dass eine grundlose Einberufung angesichts des damit verbundenen Aufwands und möglicher Reputationsschäden weder für die Geschäftsleitung der Emittentin selbst noch für den gemeinsamen Vertreter pflichtgemäß wäre. Im Interesse eines wirksamen Minderheitenschutzes dürfen die Anforderungen insoweit allerdings auch nicht überspannt werden. Insbesondere kann sich der Adressat des Verlangens grundsätzlich auf die ihm vorgelegten Nachweise über die Gläubigerstellung verlassen (vgl. Rz. 25). Nicht geregelt ist, innerhalb welcher Frist über den Antrag zu entscheiden ist. Richtig, aber ohne weitere Konkretisierung nicht operationalisierbar ist die nicht selten vertretene Aussage, die Versammlung sei im Falle eines formell und materiell wirksamen Antrags „unverzüglich“, also ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), einzuberufen.136 Wenig aussagekräftig ist allerdings auch die gelegentlich erwogene analoge Heranziehung des § 147 Abs. 2 BGB in dem Sinne, dass die Prüfung nur denjenigen Zeitraum beanspruchen darf, in dem ihr Abschluss berechtigterweise erwartet werden darf.137 Ebenso wie im Aktienrecht wird man sich in der Praxis mit einer Angemessenheitsvermutung behelfen müssen, wonach ein zweiwöchiger Prüfungszeitraum regelmäßig ausgenutzt werden darf.138 Im Einzelfall kann bei erkennbarer besonderer Dringlichkeit des Begehrens indessen allein eine kürzere Frist angemessen sein; eine Woche (fünf Werktage) wird man in der Regel aber auch 132 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 10; vgl. für das Aktienrecht ebenso Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 4; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 14; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 53; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 20; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 41; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 30. 133 Vgl. zum Aktienrecht, aber übertragbar Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 14; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 53; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 122 AktG Rz. 20; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 41. 134 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 6; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 12; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 13, 15. Entsprechendes gilt für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 1 Satz 1 AktG, vgl. stellvertretend OLG Düsseldorf v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264 (266); Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 7; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 73. 135 Vgl. eingehend etwa Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 37; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 74; knapp auch Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 29; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (499). 136 So Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 12; zum Aktienrecht entsprechend etwa Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 7; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 36; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 122 AktG Rz. 26; zu Recht kritisch insoweit für § 9 SchVG Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 34, sowie zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 74. 137 In diesem Sinne Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 34. 138 Vgl. dazu etwa Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 74; ebenso Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 29.

218

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 35 § 9 SchVG

in eiligen Fällen gewähren müssen, um dem für die Prüfung und Entscheidungsfindung unerlässlichen Aufwand Rechnung zu tragen.139 Nicht überzeugend ist eine Differenzierung bei der Bemessung der Prüfungsfrist je nachdem, ob das Verlangen an die Emittentin oder an den gemeinsamen Vertreter gerichtet ist.140 Schon die zugrunde liegende Prämisse, dass bei der Emittentin regelmäßig die nächste ordentliche Sitzung der Geschäftsleitung für die Prüfung abgewartet werden könne, während der gemeinsame Vertreter sofort handlungsfähig sei, ist angreifbar. Rechtssicher handhabbar ist in jedem Falle nur eine einheitliche Auslegung. 7. Gerichtliche Ermächtigung (§ 9 Abs. 2 und 3 SchVG) a) Grundlagen Grundvoraussetzung für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens nach § 9 Abs. 2 und 35 3 SchVG ist, dass dem „berechtigten Verlangen“ nach einer Einberufung „nicht entsprochen wurde“. Dies entspricht der Formulierung in der Parallelvorschrift des § 122 Abs. 3 Satz 1 AktG. Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn es trotz Vorliegens der formellen und materiellen Anforderungen an das Minderheitsverlangen nicht zur begehrten Einberufung der Gläubigerversammlung kommt, wobei es nicht darauf ankommt, ob eine ablehnende Entscheidung ergeht oder ob der Adressat innerhalb der ihm zustehenden Prüfungsfrist (Rz. 34) untätig geblieben ist.141 Das in § 9 Abs. 2 und 3 SchVG geregelte Verfahren der gerichtlichen Ermächtigung sichert das materielle Recht der qualifizierten Minderheit nach Abs. 1 Satz 2 im Sinne einer sich an das Minderheitenverlangen anschließenden zweiten Stufe der Rechtsausübung142 ab. Das Verfahren ist darauf gerichtet, der betroffenen Minderheit selbst die Einberufungsbefugnis zu verschaffen, was weitere Verzögerungen nach der gerichtlichen Entscheidung, etwa durch anderenfalls notwendige Maßnahmen der Zwangsvollstreckung, ausschließt. Dies entspricht der bereits in § 4 SchVG 1899 gewählten Konstruktion. Ebenso wie im Aktienrecht143 ist dieser Weg als einzige Rechtsschutzmöglichkeit anzusehen; andere Rechtsbehelfe, insb. eine Leistungsklage auf Vornahme der Einberufung, bestehen nicht.144 Das Verfahren richtet sich gem. §§ 1, 375 Nr. 16 FamFG nach den Vorschriften über die freiwillige Gerichtsbarkeit. Soweit nicht in § 9 Abs. 2-4 SchVG abweichend geregelt, gelten die allgemeinen Grundsätze, darunter insb. der Amtsermittlunsgrundsatz (§ 26 FamFG) im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG.145 Eine Rücknahme des Antrags ist nach Maßgabe von § 22 FamFG möglich. Einstweiliger Rechtsschutz kann (nur) nach Maßgabe der §§ 49 ff. FamFG erlangt werden. Verfahrensbeteiligt sind kraft Gesetzes zunächst die qualifizierte Minderheit als Antragsteller (§ 7 Abs. 1 FamFG) und sodann die Emittentin, die im Hinblick auf die Kostenfolge des § 9 Abs. 4 SchVG gem.

139 Vgl. für das Aktienrecht entsprechend Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 7; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 26; deutlich zu kurz insoweit Reger in Bürgers/Körber, § 122 AktG Rz. 12 im Anschluss an Mertens, AG 1997, 481 (486) (1-2 Werktage). 140 So aber Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 34. 141 Prägnant für das Aktienrecht Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 85; gleichsinnig Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 13; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 15. 142 Anschaulich Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 14, 35. 143 Vgl. Herrler in Grigoleit, § 122 AktG Rz. 14; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 43; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 84; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 48; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 53. 144 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 13. 145 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 41.

Binder 219

§ 9 SchVG Rz. 36 Einberufung der Gläubigerversammlung § 7 Abs. 3 FamFG hinzuzuziehen ist. Nicht hinzuzuziehen, da nicht in seinen eigenen Rechten betroffen ist demgegenüber der gemeinsame Vertreter.146 b) Antragsteller 36

Der erforderliche Antrag (§ 23 Abs. 1 FamFG) muss, wie sich aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG zwingend ergibt, aus dem Kreis derjenigen Gläubiger gestellt werden, deren Minderheitsverlangen nach Abs. 1 Satz 2 nicht entsprochen wurde.147 Wurde das Minderheitsverlangen von mehreren Gläubigern getragen, reicht es aus, wenn der Antrag auf gerichtliche Ermächtigung lediglich von so vielen ursprünglich mitwirkenden Gläubigern gestellt wird, dass diese mit den von ihnen gehaltenen Schuldverschreibungen das erforderliche Quorum weiterhin erreichen.148 Dies entspricht auch der zur Parallelvorschrift des § 122 Abs. 3 AktG einhellig vertretenen Auslegung149 und berücksichtigt, dass eine gerichtliche Absicherung eines in materieller Hinsicht zwischenzeitlich weggefallenen Minderheitenrechts nicht gerechtfertigt wäre. Wenn einzelne Gläubiger nicht mehr an der Rechtsverfolgung mitwirken, ist dies bei Wahrung des Quorums mithin grundsätzlich unschädlich. Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn das Quorum nach dem Ausscheiden eines Teils der ursprünglich antragstellenden Minderheit durch später beitretende Gläubiger quasi „aufgefüllt“ wird.150 Eine abweichende Behandlung ergibt sich nicht bereits aus dem Umstand, dass es sich im Unterschied zum Aktienrecht nicht um Verbandsmitglieder handelt und dass nach dem Beitritt der neu hinzugekommenen Gläubiger weiterhin eine qualifizierte, nur eben anders zusammengesetzte Minderheit nach wie vor die Einberufung begehrt.151 Entscheidend gegen eine derartige Auslegung spricht vielmehr, dass mit einem Wechsel der Zusammensetzung der antragstellenden Minderheit Verschiebungen in der Motivlage einhergehen könnten, angesichts derer der jeweilige Adressat (Emittentin bzw. gemeinsamer Vertreter) nunmehr anders reagieren und der Einberufung zustimmen könnte. Zwar wäre an sich denkbar, dem neu zusammengesetzten Kreis der Antragsteller bei nunmehr erteilter Zustimmung zum Antrag die Kostentragung aufzuerlegen; rechtssicher mit dem System der in § 9 Abs. 4 SchVG geregelten Kostenverteilung (dazu Rz. 44) vereinbar wäre dies jedoch nicht. Das Festhalten am Prinzip der „Quorumskontinuität“152 ist mithin, anders als die Gegenauffassung impliziert, keineswegs bloßer Formalismus. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, bei Änderungen in der Zusammensetzung der Minderheit ebenso wie im Aktienrecht ein erneutes Minderheitsverlangen vorauszusetzen, bevor das gerichtliche Verfahren nach § 9 Abs. 2 und 3

146 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 16; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 40. 147 Ebenso im Rahmen der aktienrechtlichen Parallelvorschrift, vgl. Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 87. 148 Müller in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 9 SchVG Rz. 4; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 15; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 27; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 17. 149 Z.B. OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-3 Wx 290/03, AG 2004, 211; Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 22; Herrler in Grigoleit, § 122 AktG Rz. 14; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 10; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 45; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 87 ff.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 50; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 115; insoweit übereinstimmend auch Reger in Bürgers/Körber, § 122 AktG Rz. 18; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 55. 150 A.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 18. 151 So aber wohl Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 18. 152 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 15.

220

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 38 § 9 SchVG

SchVG eingeleitet werden kann. Eine Ausnahme ist wie im Aktienrecht,153 wo die Haltefrist bis zur gerichtlichen Entscheidung inzwischen in § 123 Abs. 3 Satz 5 AktG i.d.F. der Aktienrechtsnovelle 2016154 ausdrücklich klargestellt wurde, lediglich im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge zu machen, nicht aber bei lediglich rechtsgeschäftlicher Rechtsnachfolge.155 c) Antragsinhalt Der Antrag muss dem erfolglosen Minderheitsverlangen inhaltlich entsprechen, also neben der Einhaltung des Quorums (Rz. 21 ff.) insbesondere das Vorliegen eines zulässigen Einberufungsgrundes (Rz. 27 ff.) darlegen, und sich auf die Ermächtigung zur Einberufung der Gläubigerversammlung richten.156 Abweichungen, die über eine bloße Präzisierung des ursprünglichen Antrags hinausgehen, sind zum Schutze der Emittentin im Hinblick auf die Kostenlast des § 9 Abs. 4 SchVG nicht zulässig, ohne dass ihr zuvor mit einem erneuten Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG die Gelegenheit zur Überprüfung der ablehnenden Entscheidung und zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung gegeben worden wäre.157

37

d) Zuständigkeit Sachlich zuständig für den Antrag ist das Amtsgericht (§ 23a Abs. 1 Nr. 2 GVG i.V.m. § 23a Abs. 2 Nr. 4 GVG, § 375 Nr. 16 GVG). Die örtliche Zuständigkeit stellt (deklaratorisch158) § 9 Abs. 3 Satz 1 SchVG klar, der nur die sich ohnehin aus § 377 Abs. 1 FamFG ergebende Regelung wiederholt. Hat die Emittentin ihren Sitz im Inland (§ 9 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SchVG), ist danach das Amtsgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk sich der Sitz befindet; für inländische Kapitalgesellschaften kommt es damit auf den Satzungssitz an (vgl. u.a. § 5 AktG, § 278 AktG, § 4a GmbHG). Dabei greift gem. § 376 Abs. 1 i.V.m. §§ 377 Abs. 1, 375 Nr. 16 FamFG und § 9 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SchVG eine Zuständigkeitskonzentration ein, wonach das Amtsgericht, in dessen Bezirk ein Landgericht liegt, für den gesamten Bezirk dieses Landgerichts örtlich zuständig ist. Abweichungen hierzu können die Landesregierungen gem. § 376 Abs. 2 FamFG durch Rechtsverordnung vorsehen. Für Emittenten mit Sitz im Ausland ordnet § 9 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SchVG demgegenüber die ausschließliche159 örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Frankfurt am Main an.

153 Vgl. für die Parallelvorschrift in § 122 Abs. 3 AktG etwa OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-3 Wx 290/03, AG 2004, 211; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 10; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 41; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 88; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 50; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 53; a.A. insoweit Müller in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 122 AktG Rz. 28; Reger in Bürgers/Körber, § 122 AktG Rz. 18. 154 Gesetz zur Änderung des Aktienrechts (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565. 155 Richtig Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 27. 156 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 38; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 18; vgl. für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 3 AktG gleichsinnig etwa Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 47; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 43. 157 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 19; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 38; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 18. 158 Im Hinblick auf den Gleichlauf mit § 377 Abs. 1 FamFG, vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21. 159 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 21; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 37; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 20; wohl auch Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 14.

Binder 221

38

§ 9 SchVG Rz. 39 Einberufung der Gläubigerversammlung e) Frist 39

Eine Frist ist für die Antragstellung nach § 9 Abs. 2 SchVG ebenso wenig vorgesehen wie in der Parallelvorschrift des § 122 Abs. 3 AktG. Wie im Aktienrecht160 ist allerdings zu berücksichtigen, dass eine Sachentscheidung nur dann gefällt werden kann, wenn sich die Sach- und Rechtslage gegenüber dem ursprünglichen Minderheitsverlangen nicht geändert hat. Dies lässt auch hier die Zulässigkeit nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist entfallen und macht ein neues Minderheitsverlangen gegenüber Emittentin bzw. gemeinsamem Vertreter nötig.161 Deutlich mehr als zwei Wochen wird man dafür nicht veranschlagen müssen.162 f) Rechtsschutzbedürfnis

40

Nach allgemeinen Grundsätzen kann die Zulässigkeit des Antrags mangels Rechtsschutzbedürfnisses entfallen. Denkbar ist – wie im Aktienrecht163 – zunächst, dass das Ziel des Verlangens wegen Zeitablaufs nicht mehr erreicht werden kann, insbesondere weil zwischenzeitlich die Gläubigerversammlung aus anderen Gründen einberufen oder ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Emittentin eröffnet worden ist. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt aber auch, wenn die Minderheit den Antrag vor der Einleitung des Verfahrens nur an einen der beiden originär einberufungszuständigen Akteure (Emittentin oder gemeinsamer Vertreter) gerichtet hat und daher zunächst nur auf einen Antrag gegenüber dem jeweils anderen Adressaten verwiesen werden kann (vgl. Rz. 31).164 g) Entscheidung

41

Das Gericht entscheidet durch einen zu begründenden Beschluss (Einzelheiten: § 38 FamFG). Liegen die Voraussetzungen für ein berechtigtes Minderheitsverlangen vor, hat das Gericht die Ermächtigung zur Einberufung auszusprechen. Es kann und sollte hierfür eine Frist, darf aber keinen konkreten Zeitpunkt oder Ort festlegen.165 Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG (entsprechend § 122 Abs. 3 Satz 2 AktG) kann das Gericht insbesondere auch den Vorsitzenden der Versammlung bestimmen. Im Unterschied zur Rechtslage im Aktienrecht166 ist dies zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit immer dann sinnvoll, wenn eine Mehrheit von Gläubigern den Antrag gestellt hat, da hier gem. § 15 Abs. 1 SchVG die Be160 Dazu im Wesentlichen übereinstimmend Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 22; Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 10; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 49; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 86; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 53; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 55; Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (500). 161 Ähnlich Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 16. 162 Überzeugend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 86. 163 Vgl. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 49. 164 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 22; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 39; grundsätzlich a.A. Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 17; Müller in Heidel, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 9 SchVG Rz. 9; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 21. 165 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 23; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 18; vgl. auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 41; für die Parallelvorschrift in § 122 Abs. 3 AktG entsprechend Herrler in Grigoleit, § 122 AktG Rz. 15; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 43, 58; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 95, 97; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 55; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 61; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 56 f. 166 Dazu stellvertretend z.B. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 58 m.w.N.

222

Binder

Einberufung der Gläubigerversammlung

Rz. 43 § 9 SchVG

stimmung des Versammlungsleiters grundsätzlich allein von der Person des Einberufenden abhängt und eine Personenmehrheit den Vorsitz nicht sinnvoll ausüben kann (vgl. § 15 SchVG Rz. 17).167 h) Rechtsmittel Gegen die gerichtliche Entscheidung ist gem. § 9 Abs. 3 Satz 2 SchVG die Beschwerde statthaft. Die Regelung wiederholt lediglich die allgemeine Regel des § 58 Abs. 1 FamFG. Beschwerdeberechtigt ist gem. § 59 Abs. 1 FamFG, wer in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Dies ist bei einer ablehnenden Entscheidung die antragstellende Minderheit, bei stattgebendem Beschluss mit Blick auf die Kostenlast die Emittentin.168 Beschwerdegericht ist gem. § 72 Abs. 1 GVG das Landgericht; die Beschwerde ist gem. § 63 FamFG binnen einer Monatsfrist einzulegen. Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann sodann binnen einer Monatsfrist nach Bekanntgabe des Beschlusses Rechtsbeschwerde eingelegt werden, soweit sie nach § 70 Abs. 1 FamFG im Beschluss zugelassen wurde. Eine Zulassungspflicht besteht, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Beschwerdegerichts (BGH, vgl. § 133 GVG) erfordern (vgl. §§ 70 ff. GVG).

42

8. Durchführung der gerichtlichen Ermächtigung Die gerichtliche Ermächtigung ermöglicht die Einberufung durch die antragstellende Min- 43 derheit, verpflichtet diese aber nicht hierzu.169 Wie nach richtiger, aber umstrittener Ansicht im Aktienrecht170 ist auch hier zu verlangen, dass die Einberufenden im Zeitpunkt der Einberufung noch das ursprünglich erforderliche Quorum erreichen,171 da sie anderenfalls eine Rechtsposition ausüben würden, deren materielle Basis an sich entfallen ist. Die gerichtliche Ermächtigung überlagert die originäre Einberufungszuständigkeit der Emittentin und des gemeinsamen Vertreters und verschafft der Minderheit das Recht, die Versammlung im eigenen Namen einzuberufen und nach Maßgabe der Verfahrensvorschriften der §§ 10 ff. SchVG eigenverantwortlich zu organisieren.172 Hat das Gericht keine Frist für die Einberufung festgelegt, ist die Gläubigerversammlung innerhalb einer angemessenen Frist abzuhalten, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalls – insbesondere ggf. eine besondere Dringlichkeit in einer finanziellen Krise der Emittentin – zu berücksichtigen sind.173 In der Einberufung ist gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 SchVG in jedem Fall auf die gerichtliche Ermächtigung hinzuweisen. 167 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 23; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 44; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 23 ; a.A. Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 18, der auf die aktienrechtliche Rechtslage verweist, aber den fundamentalen Unterschied hierzu übersieht (dagegen zu Recht Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 44 mit Fn. 40). 168 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 24; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 19. 169 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 45. 170 Vgl. etwa Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 109; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 62; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 68; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 59; a.A. Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 12; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 67. 171 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 25; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 27; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 9, 17, 26. 172 Vgl. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 48. 173 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 25; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 47; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 26.

Binder 223

§ 9 SchVG Rz. 44 Einberufung der Gläubigerversammlung Eine Mitwirkungspflicht der Emittentin insoweit besteht nur im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben (vgl. insb. § 12 Abs. 3 SchVG und § 13 Abs. 4 SchVG).

V. Kosten (§ 9 Abs. 4 SchVG) 44

Nach § 9 Abs. 4 SchVG trägt die Emittentin in jedem Fall die Kosten der Gläubigerversammlung, d.h. nicht nur die Kosten für die Bekanntmachung der Einberufung und der Tagesordnung (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 3 SchVG, dazu § 12 SchVG Rz. 12), sondern auch Sachkosten wie Raummieten, notwendige Personalkosten etc.,174 nicht dagegen Spesen der Versammlungsteilnehmer oder ihre Aufwendungen für die Vorbereitung (etwa Rechtsberatungskosten).175 Ebenfalls von der Emittentin zu tragen sind die Kosten des gerichtlichen Verfahrens, wenn das Gericht dem Antrag nach § 9 Abs. 2 SchVG stattgegeben hat. Der erste Halbsatz entspricht der Regelung in § 3 Abs. 3 SchVG 1899, während der zweite von der flexibleren Regelung in § 4 Abs. 3 Satz 2 SchVG 1899 abweicht, welche die Kostenentscheidung dem Gericht zugewiesen hatte.176 Letzteres entspräche der allgemeinen Regelung über Kostenentscheidung durch das Gericht nach billigem Ermessen (§ 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG), die jedoch durch § 9 Abs. 4 SchVG gerade verdrängt wird und nur dann eingreift, wenn die Gläubiger mit ihrem Antrag nicht obsiegen.177 Die Regelung des § 9 Abs. 4 SchVG beruht auf der – zwar nicht in jeder Konsequenz rechtspolitisch überzeugenden, aber letztlich hinzunehmenden – Wertung, dass die Gläubigerversammlung in erster Linie den Interessen des Schuldners diene.178 Soweit die Kosten nicht unmittelbar bei der Emittentin selbst anfallen, insbesondere wenn diese nicht die Gläubigerversammlung selbst einberuft, folgt aus der Regelung ein Freistellungs- oder Kostenerstattungsanspruch der Minderheit bzw. des gemeinsamen Vertreters gegen die Emittentin.179 Auch dies entspricht strukturell der Rechtslage bei der Parallelvorschrift des § 122 Abs. 3 AktG.180 Außergerichtliche Kosten, die nicht Gerichtskosten und Kosten für die Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung sind, haben die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich selbst zu tragen, sofern nicht das Gericht nach § 81 Abs. 1 FamFG eine abweichende Billigkeitsentscheidung trifft.181

174 Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 21; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 60; vgl. für das Aktienrecht eingehend etwa Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 73; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 126. 175 Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 29; vgl. für das Aktienrecht eingehend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 127. 176 Insofern ungenau Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21. 177 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 26; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 62; Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 30. 178 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21. 179 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 60 f.; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 21 f. 180 Vgl. dazu Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 13; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 73; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 128; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 69; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 63. 181 Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 9 SchVG Rz. 23; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 26; Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 23; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 62; a.A. nunmehr Wasmann/Steber in Veranneman, § 9 SchVG Rz. 30.

224

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

§ 10 SchVG

§ 10 Frist, Anmeldung, Nachweis (1) Die Gläubigerversammlung ist mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. (2) 1Sehen die Anleihebedingungen vor, dass die Teilnahme an der Gläubigerversammlung oder die Ausübung der Stimmrechte davon abhängig ist, dass sich die Gläubiger vor der Versammlung anmelden, so tritt für die Berechnung der Einberufungsfrist an die Stelle des Tages der Versammlung der Tag, bis zu dessen Ablauf sich die Gläubiger vor der Versammlung anmelden müssen. 2Die Anmeldung muss unter der in der Bekanntmachung der Einberufung mitgeteilten Adresse spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung zugehen. (3) 1Die Anleihebedingungen können vorsehen, wie die Berechtigung zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung nachzuweisen ist. 2Sofern die Anleihebedingungen nichts anderes bestimmen, reicht bei Schuldverschreibungen, die in einer Sammelurkunde verbrieft sind, ein in Textform erstellter besonderer Nachweis des depotführenden Instituts aus. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Einberufungsfrist (§ 10 Abs. 1 SchVG) 1. Mindestfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristberechnung a) Maßgebliche Rechtsgrundlage. . . . . . b) Einzelheiten der Fristberechnung . . . 3. Folgen von Verfahrensfehlern. . . . . . . . . III. Anmeldung zur Gläubigerversammlung (§ 10 Abs. 2 SchVG) 1. Dispositives Gesetzesrecht und Gestaltungsfreiheit für Anleihebedingungen . . 2. Anmeldung und Legitimation . . . . . . . . 3. Anforderungen an die Anmeldung a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form und Inhalt der Anmeldung . . .

1 3 5 6 7

4. IV. 1. 2.

8 9 10 11

3. 4. V.

c) Anmeldungsadresse . . . . . . . . . . . . . . d) Anmeldefrist und Implikationen für die Einberufungsfrist . . . . . . . . . . . . . e) Wirksamwerden. . . . . . . . . . . . . . . . . Nichteinhaltung der Anmeldeobliegenheit; Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . Legitimationsnachweis (§ 10 Abs. 3 SchVG) Gesetzlicher Ausgangspunkt. . . . . . . . . . Gestaltung des Legitimationsnachweises in den Anleihebedingungen . . . . . . . . . . Zeitpunkt der Legitimation; Record Date . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Legitimationsfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . Absage, Verlegung, Änderungen . . . . .

14 15 17 18

21 22 23 25 26

Schrifttum: Baums, Der Eintragungsstopp bei Namensaktien, in FS Hüffer, 2010, S. 15; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Ihrig/Wagner, Rechtsfragen bei der Vorbereitung von Hauptversammlungen börsennotierter Gesellschaften, in FS Spiegelberger, 2009, S. 722; Noack/Zetzsche, Die Legitimation der Aktionäre bei Globalaktien und Depotverbuchung, AG 2002, 651; Pletsch, Die Berechnung von Rückwärtsfristen am Beispiel der Kündigungsfrist des § 19 Nr. 4 VGB 88, VersR 2006, 483; Repgen, Der Sonntag und die Berechnung rückwärtslaufender Fristen im Aktienrecht, ZGR 2006, 121; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, AG 2009, 477; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleiherestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016. 997; von Nussbaum, Zu Nachweisstichtag (record date) und Eintragungssperre bei Namensaktien, NZG 2009, 456.

Binder 225

§ 10 SchVG Rz. 1 Frist, Anmeldung, Nachweis

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang 1

Die Vorschrift regelt in Ergänzung des § 9 SchVG Einzelheiten des Verfahrens der Einberufung der Gläubigerversammlung. Entsprechend dem Grundkonzept des Gesetzes kombiniert sie Mindestvorgaben, welche den Interessenkonflikt zwischen Emittentin und der Gemeinschaft der Anleihegläubiger in einen angemessenen Ausgleich bringen sollen,1 mit der Einräumung von Gestaltungsfreiheit für die Anleihebedingungen. In Weiterentwicklung der Verfahrensvorschrift des früheren § 6 SchVG 1899 gibt § 10 Abs. 1 SchVG nunmehr ausdrücklich eine Mindest-Einberufungsfrist für die Gläubigerversammlung vor (Rz. 3 ff.). § 10 Abs. 2 SchVG ermöglicht die Festlegung eines Anmeldeerfordernisses in den Anleihebedingungen und regelt das Verfahren in diesem Fall, einschließlich der daraus resultierenden Implikationen für die Fristberechnung (Rz. 8 ff.). § 10 Abs. 3 SchVG gestattet Regelungen in den Anleihebedingungen zum Legitimationsnachweis und ordnet hierzu eine hilfsweise für den Fall des Verzichts auf eine eigenständige Regelung eingreifende Lösung an (Rz. 21 ff.). Das auf dieser Grundlage ggf. einzuschränkende Teilnahmerecht der Gläubiger an der Gläubigerversammlung begründet § 10 SchVG bei alledem nicht selbst, sondern setzt es – wie § 118 AktG für die Hauptversammlung der AG2 – voraus.

2

Strukturell und inhaltlich ist die Regelung an die Verfahrensvorschriften zur Einberufung der Hauptversammlung der AG in § 123 AktG angenähert3 und spiegelt damit insgesamt die Parallelen zwischen dem Recht der Hauptversammlung in der AG und der Verfassung der Anleihegläubigermehrheit nach dem SchVG wider (dazu näher § 9 SchVG Rz. 3 ff.). § 123 Abs. 1 AktG regelt ebenfalls eine Mindestfrist für die Einberufung der Hauptversammlung, § 123 Abs. 2 AktG die Möglichkeit eines statutarischen Anmeldeerfordernisses und § 123 Abs. 3 und 4 AktG n.F.4 Fragen des Legitimationsnachweises. Dies wirft die kontrovers beurteilte Frage nach der Analogiefähigkeit der aktienrechtlichen Bestimmungen – neben § 123 AktG ggf. insbesondere § 127 Abs. 7 AktG – für die Berechnung der Frist nach § 10 Abs. 1 SchVG auf (Rz. 5). Für die Behandlung von Anmeldeerfordernissen nach § 10 Abs. 2 SchVG (Rz. 8 ff.) können die aktienrechtlichen Grundsätze angesichts der vergleichbaren Interessenlage ebenso herangezogen werden wie für Einzelfragen des Legitimationsnachweises nach § 10 Abs. 3 SchVG (Rz. 20 ff.). Für die gesetzlich auch im Aktienrecht nicht ausdrücklich geregelten Fälle der Absage oder Verlegung der Versammlung sowie für sonstige Änderungen der Teilnahmemodalitäten kann auf die im Aktienrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden (Rz. 26).

II. Einberufungsfrist (§ 10 Abs. 1 SchVG) 1. Mindestfrist 3

Nach § 10 Abs. 1 SchVG ist die Gläubigerversammlung mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Die Mindestfrist schützt nicht allein die Gläubiger, die sich

1 Vgl. – für die Frist nach § 10 Abs. 1 SchVG – entspr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 2. 2 Für diese stellvertretend Hoffmann in Spindler/Stilz, § 118 AktG Rz. 11 ff.; Hüffer/Koch, § 118 AktG Rz. 20 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 118 Rz. 32 ff., 53 ff.; Mülbert in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1999 § 118 AktG Rz. 47 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 25 ff. 3 Vgl. dazu Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14 (allgemein zu §§ 9 ff. SchVG) und 21 f. (speziell zu § 10 SchVG). 4 I.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Aktienrechts (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015, BGBl. I 2015, 2565.

226

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 4 § 10 SchVG

sachgerecht auf die Versammlung vorbereiten können müssen.5 Sie soll vielmehr auch die Interessen der Emittentin absichern, der in einer akuten finanziellen Krise auch noch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) bzw. Überschuldung (§ 19 InsO) eine einvernehmliche Restrukturierung der erfassten Schuldverschreibungen ermöglicht werden soll, ohne dass die dreiwöchige Insolvenzantragspflicht nach § 15a Abs. 1 InsO dies verhinderte.6 In dieser Hinsicht sind die Interessen anders gelagert als bei der Hauptversammlung der AG, für die der Schutz der Dispositionsfreiheit der Aktionäre ganz im Vordergrund steht7 und die längere Frist nach § 123 AktG rechtfertigt.8 Nicht nur aus dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 SchVG („mindestens“), sondern auch aus der damit skizzierten Ratio der Regelung folgt, dass die freiwillige Einhaltung einer längeren Frist ohne weiteres möglich ist, ohne dass dies in den Anleihebedingungen vorgesehen werden müsste.9 Ebenso unproblematisch mit der Norm vereinbar ist auch die ausdrückliche Bestimmung einer längeren Frist in den Anleihebedingungen.10 Damit würde zwar der Emittentin u.U. die vom Gesetzgeber angestrebte Flexibilität in der finanziellen Krise genommen. Der Fall, dass nach Vorliegen eines Insolvenzgrunds nach §§ 17, 19 InsO die finanzielle Krise überhaupt erst erkannt und erst dann eine einvernehmliche Restrukturierung im Rahmen einer Gläubigerversammlung in Betracht gezogen wird und noch möglich ist, dürfte aber schon mit Blick auf den erforderlichen Vorbereitungsaufwand für eine Gläubigerversammlung eher selten vorkommen.11 In der Praxis wird die Anleiherestrukturierung üblicherweise innerhalb deutlich längerer Zeiträume vorbereitet werden (müssen).12 Die rechtliche Bewertung einer Fristverlängerung in den Anleihebedingungen sollte sich deshalb nicht daran orientieren. Mit dem Schutz der Anleihegläubiger ist eine entsprechende Regelung in den Anleihebedingungen ohnehin vereinbar. Ihnen entstünden keine Nachteile, sondern lediglich der Vorteil einer längeren Vorbereitungszeit. Auf die Fortsetzung einer vertagten Gläubigerversammlung ist § 10 Abs. 1 SchVG nach seinem Sinn und Zweck unanwendbar.13 Die Neuregelung in § 10 Abs. 1 SchVG entspricht im Ergebnis, nicht aber in der Konstruktion der Rechtslage nach früherem Recht.14 Dieses sah zwar keine Einberufungsfrist vor. § 6 Abs. 3 SchVG 1899 verlangte aber, dass zwischen der letzten Veröffentlichung (von insgesamt zwei vorgeschriebenen Bekanntmachungen, vgl. § 6 Abs. 1 SchVG 1899) der Einberufung und dem Tag der Einberufung mindestens zwei Wochen für die früher nach § 10 Abs. 2 SchVG 1899 erforderliche Hinterlegung der erfassten Schuldverschreibungen verbleiben mussten. Damit war auch nach früherem Recht bereits eine hinreichende Vorbereitungszeit gesichert, auch wenn dafür ursprünglich nicht die heute maßgeblichen Schutzzweckerwägungen (Rz. 1) maßgeblich waren. Die Hinterlegung der Schuldverschreibungen als Teilnahmevoraussetzung war hier ebenso wie im Aktienrecht im Zusammenhang mit der 5 So aber Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 2. 6 Wie hier Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 1; s. auch bereits Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 21. 7 Dazu Hüffer/Koch, § 123 AktG Rz. 2; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 2; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 2; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 1; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 2. 8 In der Sache wie hier, aber mit irrigem Hinweis auf § 121 AktG insoweit auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 2. 9 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 1; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 10 SchVG Rz. 1; a.A. (längere Frist nur bei entsprechender Regelung in den Anleihebedingungen) wohl Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 2. 10 Richtig Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 2. 11 Skeptisch auch Horn, BKR 2009, 446 (451 mit Fn. 40). 12 Vgl. eingehend Seibt, ZIP 2016, 997 (999 ff.). 13 Entsprechend für die Fortsetzung der vertagten Hauptversammlung der AG sub specie des § 123 Abs. 1 AktG überzeugend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 51. 14 Dazu und zum Folgenden bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, S. 21.

Binder 227

4

§ 10 SchVG Rz. 5 Frist, Anmeldung, Nachweis Teilnahme an der Hauptversammlung (vgl. § 123 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 AktG a.F.) schon mit Blick auf den weitgehenden Verzicht auf die Einzelverbriefung in der Praxis nicht mehr praktikabel.15 2. Fristberechnung a) Maßgebliche Rechtsgrundlage 5

Im Unterschied zur Rechtslage für die Hauptversammlung der AG (§§ 123 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 7 AktG) sieht § 10 Abs. 1 SchVG für die Fristenberechnung weder eine Sonderregelung vor, noch äußert er sich zur Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln der §§ 186 ff. BGB. Die – vom Gesetzgeber ausdrücklich beabsichtigte – strukturelle Nähe der Vorschriften über die Gläubigerversammlung zu den aktienrechtlichen Regelungen über die Hauptversammlung (siehe nochmals § 9 SchVG Rz. 3 ff.) hat die Frage aufgeworfen, ob die genannten aktienrechtlichen Bestimmungen analog in Ergänzung des § 10 Abs. 1 SchVG angewendet werden können und sollten.16 Die praktische Bedeutung der Frage liegt in der Anwendbarkeit der erheblichen Vereinfachungen bei der Fristberechnung für die Einberufung der Hauptversammlung nach § 121 Abs. 7 AktG, die mit dem UMAG17 und zuletzt dem ARUG18 im Vergleich mit den allgemeinen Regeln der §§ 186 ff. BGB eingeführt worden sind.19 Eine Analogie zum Aktienrecht ist allerdings mit der herrschenden Meinung mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke abzulehnen. Dass allein eine dem Aktienrecht entsprechende Regelung anstelle der allgemeinen Regeln der §§ 186 ff. BGB dem Willen des Gesetzgebers entsprochen hätte, ist schon mit Blick auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Reform der aktienrechtlichen Fristen durch das ARUG einerseits und der Reform des Schuldverschreibungsrechts andererseits nicht begründbar.20 Im Ergebnis bleibt es damit für den Geltungsbereich des § 10 SchVG bei den allgemeinen Fristenregelungen der §§ 186 ff. BGB. Diese sind allerdings auf die hier angeordneten Fristen als rückwärtslaufende, nämlich vom Versammlungstag zurück zu berechnende Fristen nicht unmittelbar anwendbar. Es ist jedoch – wie zur Rechtslage im Aktienrecht vor den genannten Reformen21 – allgemein anerkannt, dass die §§ 186 ff. BGB und insbesondere die hier maßgeblichen §§ 187, 188 BGB zur Berechnung analog heranzuziehen sind.22 Im praktischen Ergebnis bedeutet dies zwar

15 Vgl. für das Aktienrecht entsprechend Hüffer/Koch, § 123 AktG Rz. 6; Noack/Zetzsche, AG 2002, 651 (653 ff.). 16 Dafür Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 10 SchVG Rz. 2; Cagalj, S. 252 f.; vgl. de lege ferenda, aber gerade nicht für die lex lata befürwortend auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 2; für das geltende Recht a.A. jetzt auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 2. 17 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802. 18 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 19 Vgl. dazu exemplarisch die Darstellungen bei Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 1, 3 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 220 ff. und § 123 AktG Rz. 6 f., 30 ff. 20 De lege lata auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 2; im Ergebnis ebenso Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 10 SchVG Rz. 1; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 3; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 Rz. 3; Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 2; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002). 21 Dazu statt vieler Repgen, ZGR 2006, 121 ff.; s. auch Ihrig/Wagner inFS Spiegelberger, 2009, S. 722 (723 f.). 22 Stellvertretend Grothe in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 187 Rz. 4; Ellenberger in Palandt, § 187 BGB Rz. 4; Fervers in BeckOK/BGB, § 187 BGB Rz. 29; Repgen in Staudinger, 2014, § 186 BGB Rz. 10; vgl. exemplarisch auch Pletsch, VersR 2006, 483 ff.

228

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 7 § 10 SchVG

keinen Unterschied (zur Berechnung im Einzelnen sogleich Rz. 6).23 Dies ändert allerdings nichts daran, dass schon mit Blick auf die deutlich leichter zugänglichen Regelungsstrukturen der §§ 123 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 7 AktG de lege ferenda eine Übernahme dieses Modells auch für die Einberufung der Gläubigerversammlung nach dem SchVG uneingeschränkt wünschenswert wäre.24 b) Einzelheiten der Fristberechnung Nach allgemein anerkannten Grundsätzen ist bei der analogen Anwendung der §§ 187, 188 6 BGB auf die rückwärtslaufende Frist der Tag der Versammlung als fristauslösendes Ereignis analog § 187 BGB ebenso wenig mitzurechnen wie der Tag der öffentlichen Bekanntmachung der Einberufung. Damit ist Fristbeginn der Kalendertag vor der geplanten Gläubigerversammlung (24:00 Uhr) und Fristende um 0:00 Uhr des letzten Tages der Frist.25 Die Einberufung der Gläubigerversammlung muss damit unter Einhaltung der Anforderungen nach § 12 SchVG spätestens am letzten Tag vor dieser Frist vorgenommen werden. Im Ergebnis kann die Gläubigerversammlung damit im Falle der 14-tägigen Mindestfrist spätestens am 15. Tag vor dem geplanten Versammlungstermin einberufen werden.26 Da § 12 Abs. 2 SchVG (mindestens) die Veröffentlichung im Bundesanzeiger fordert und dieser nur an Werktagen von Montag bis Freitag erscheint,27 ist überdies eine fristwahrende Einberufung nur dann möglich, wenn der letzte Tag vor der Frist auf einen Wochentag fällt und dieser kein Feiertag ist.28 Die Gläubigerversammlung selbst kann somit grundsätzlich auch an einem Sonntag oder Feiertag stattfinden, was bei der Terminierung zu beachten ist.29 Abweichungen ergeben sich zum einen bei Festlegung eines Anmeldeerfordernisses nach § 10 Abs. 2 SchVG (vgl. Rz. 16), zum anderen, wenn die Anleihebedingungen – nach § 12 Abs. 2 SchVG zulässig – weitere Formen der öffentlichen Bekanntmachung vorsehen (siehe § 12 SchVG Rz. 11). Im letztgenannten Fall kommt es für die Fristwahrung darauf an, dass die jeweils letzte Bekanntmachung noch innerhalb der Frist nach § 10 Abs. 1 SchVG erscheint, da erst mit ihr die Einberufung ordnungsgemäß vorgenommen ist.30 3. Folgen von Verfahrensfehlern Wird die Gläubigerversammlung unter Verletzung der Mindestfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG einberufen, sind die ggf. getroffenen Beschlüsse nach Maßgabe des § 20 SchVG wegen Gesetzesverstoßes anfechtbar (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG). Ebenso anfechtbar sind Beschlüsse 23 Entspr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 3; vgl. allgemein auch Fervers in BeckOK/BGB, § 187 BGB Rz. 39 (zur Fristberechnung nach § 121 Abs. 7 AktG). 24 Zutr. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 2. 25 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 2; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 3; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 3; Wasmann/Steber in Veranneman § 10 SchVG Rz. 2; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002); allgemein eingehend Fervers in BeckOK/BGB, § 187 BGB Rz. 33 f.; Repgen in Staudinger, 2014, § 187 BGB Rz. 7. 26 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 2; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002). 27 Nr. 5 Buchst. a der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die entgeltliche Einreichung und Publikation im Bundesanzeiger (abrufbar unter https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexsservlet? page.navid=to_agb). 28 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 3; vgl. auch (im Kern ebenso, aber etwas unpräzise) Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 2; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002). 29 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 3; im Ergebnis ebenso, aber einschränkend für den Sonntag Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 2. 30 Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 3; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002).

Binder 229

7

§ 10 SchVG Rz. 8 Frist, Anmeldung, Nachweis von Gläubigerversammlungen, die unter Verstoß gegen eine ggf. in den Anleihebedingungen festgelegte längere Einberufungsfrist zustande gekommen sind (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 SchVG, vgl. zum Ganzen § 20 SchVG Rz. 55 f.).

III. Anmeldung zur Gläubigerversammlung (§ 10 Abs. 2 SchVG) 1. Dispositives Gesetzesrecht und Gestaltungsfreiheit für Anleihebedingungen 8

Eine verpflichtende Anmeldung zur Gläubigerversammlung als Ausdruck des Willens zur Teilnahme31 ist im Gesetz – im Unterschied zum Legitimationsnachweis als Voraussetzung für die Teilnahme (vgl. Rz. 21 ff.) – nicht vorgesehen. Gesetzlicher Regelfall ist damit die Teilnahme an der Gläubigerversammlung ohne vorherige Anmeldung; die Legitimation der Gläubiger regelt dann allein § 10 Abs. 3 SchVG. Die in § 10 Abs. 2 SchVG ausdrücklich zugelassene Festlegung einer Anmeldeobliegenheit in den Anleihebedingungen kann die Vorbereitung der Gläubigerversammlung in logistischer Hinsicht erleichtern, indem sie der Emittentin einen Überblick über den maximal zu erwartenden Teilnehmerkreis verschafft.32 Die Reichweite der damit eingeräumten Gestaltungsfreiheit ergibt sich aus dem Gesetzeswortlaut indessen nicht eindeutig. Dieser legt an sich die Auslegung nahe, dass sich das Anmeldeerfordernis alternativ entweder auf die Teilnahme an der Gläubigerversammlung als solche oder die Stimmrechtsausübung beziehen müsse. Diese Auslegung entspräche in der Tat einer zur Parallelregelung in § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG für die Teilnahme an der Hauptversammlung in der AG vertretenen, umstrittenen Ansicht, wonach allerdings Beschränkungen für die Teilnahme zugleich solche für die Ausübung des Stimmrechts als Minus einschließen sollen.33 Hier wie dort liegt mit Blick auf Sinn und Zweck des Anmeldeerfordernisses, die Vorbereitung der Versammlung und des Abstimmungsverfahrens zu erleichtern, eine Auslegung näher, wonach das Anmeldeerfordernis sowohl für die Teilnahme an der Gläubigerversammlung insgesamt – unter Einschluss der Stimmrechtsausübung (insbesondere bei Präsenzversammlungen sinnvoll) – als auch lediglich für die Ausübung des Stimmrechts vorgeschrieben werden kann.34 2. Anmeldung und Legitimation

9

Ebenso wie die Anmeldung zur Hauptversammlung der AG nach § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG35 dient die Anmeldung nicht selbst der Legitimation des Gläubigers.36 Der Anmeldestichtag 31 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 4; vgl. entsprechend für die Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 98. 32 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 5; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 4; vgl. für die Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG entsprechend OLG Stuttgart v. 3.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204 (211); Drinhausen in Hölters, § 123 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 123 AktG Rz. 6; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 9; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 8. 33 In diesem Sinne etwa Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 62; ähnlich auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 5; a.A. Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 91. 34 Zutr. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 5; entsprechend für die Rechtslage nach § 123 Abs. 2 Satz 1 AktG Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 91; zumindest im Ergebnis übereinstimmend wohl auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 9. 35 Siehe nochmals OLG Stuttgart v. 3.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204 (211); Drinhausen in Hölters, § 123 Rz. 5; Hüffer/Koch, § 123 AktG Rz. 6; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 9; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 8. 36 Vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 4.

230

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 10 § 10 SchVG

fungiert insbesondere nicht als maßgeblicher Record Date (siehe auch Rz. 24). Auch für die erfassten Schuldverschreibungen bewirkt die Anmeldung keine Verfügungssperre.37 Veräußert ein Anleihegläubiger nach der Anmeldung seine Anleihen, verliert er damit ungeachtet der wirksamen Anmeldung sein Teilnahmerecht.38 In der Regel dürfte – und sollte – ein Anmeldeerfordernis in Verbindung mit Regelungen zum Legitimationsnachweis nach § 10 Abs. 3 SchVG (dazu Rz. 20) vorgesehen werden.39 Die Anmeldung hindert auch nicht den Erwerb weiterer Stücke während der Anmeldefrist (siehe auch noch Rz. 12).40 3. Anforderungen an die Anmeldung a) Überblick Einzelheiten der verfahrensmäßigen Ausgestaltung des Anmeldeerfordernisses, insbesondere 10 Fragen der Form und des Inhalts der Anmeldung (Rz. 11 ff.) oder Anforderungen an die Anmeldeadresse (Rz. 14), sind im Gesetz nicht vorgegeben und unterliegen damit der Gestaltungsfreiheit der Emittentin.41 Die mindestens einzuhaltende Anmeldefrist ergibt sich aus § 10 Abs. 2 Satz 2 SchVG (Rz. 15). Ergänzend kann auf die zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 AktG entwickelten Auslegungsgrundsätze zurückgegriffen werden. Dies gilt grundsätzlich auch für die Rechtsnatur der Anmeldung. Ebenso wie die Anmeldung zur Hauptversammlung der AG42 soll sie als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Wertpapierinhabers zu qualifizieren sein, auf welche die allgemeinen Regeln insbesondere der §§ 130 ff. BGB, aber auch des Stellvertretungsrechts anwendbar sind.43 Plausibler wäre die Einstufung als rechtsgeschäftsähnliche Handlung, weil die Rechtsfolge – der Anspruch auf Teilnahme an der Versammlung44 – nicht selbst durch die Erklärung des Wertpapierinhabers, sondern durch das Anmeldeerfordernis als Teilnahmebedingung ausgelöst wird. Inhaltlich ändert dies aber nichts daran, dass auch nach dieser Interpretation die allgemeinen Regeln über Rechtsgeschäfte und insbesondere über das Wirksamwerden zur Anwendung kämen.45 Für die konkrete Ausgestaltung zu beachten ist § 12 Abs. 1 SchVG, wonach die Bedingungen für die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts in der Einberufung anzugeben sind (vgl. dazu § 12 SchVG Rz. 7 f.).

37 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 11; vgl. für das Aktienrecht Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 9. 38 Vgl. entsprechend für das Aktienrecht Hüffer/Koch, § 123 AktG Rz. 6; Baums in FS Hüffer 2010, S. 15 (16 ff.); a.A., aber mit Sinn und Zweck des § 123 Abs. 2 AktG nicht vereinbar insoweit von Nussbaum, NZG 2009, 456 (457). 39 Vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 4. 40 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 6. 41 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 4. 42 Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 98; offener bspw. Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 57 („Erklärung an die Gesellschaft“). 43 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 6; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 5. 44 Dazu Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 6; vgl. für die Parallelvorschrift in § 123 Abs. 2 AktG ebenso Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 121. 45 Zur Anwendbarkeit auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen allgemein statt vieler Schmitt in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, Vor §§ 104 ff. BGB Rz. 1.

Binder 231

§ 10 SchVG Rz. 11 Frist, Anmeldung, Nachweis b) Form und Inhalt der Anmeldung 11

Die Anmeldung ist mangels abweichender Festlegungen in den Anleihebedingungen formfrei.46 Auch hier kann die Übersendung eines Legitimationsnachweises in der nach § 10 Abs. 3 SchVG vorgegebenen Weise ggf. zugleich als konkludente Anmeldung ausgelegt werden.47 Entsprechend der Rechtslage für die Anmeldung zur Hauptversammlung der AG48 kann die Emittentin in den Anleihebedingungen aber eine bestimmte Form bzw. das Korrespondenzmedium festlegen. Für die Anmeldung zur Hauptversammlung der AG soll lediglich die notarielle Form ausgeschlossen sein. Dahinter steht der Grundgedanke, dass die Teilnahme des Aktionärs an der Hauptversammlung als zentrales Mitgliedschaftsrecht nicht übermäßig erschwert werden darf.49 Diese Erwägung lässt sich zwar auf die Mitwirkung des Anleihegläubigers an der Gläubigerversammlung nicht ohne Modifikationen übertragen. Dennoch spricht nicht nur die Interessenabwägung, sondern auch das Interesse an Rechtssicherheit dafür, die aktienrechtlichen Grundsätze zu übertragen und in den Anleihebedingungen nicht jede beliebige Formvorgabe, sondern maximal die Schriftform zuzulassen. Diesseits dieser Grenze besteht aber auch insoweit Gestaltungsfreiheit, so dass neben der Anmeldung per Brief ebenso oder stattdessen auch die Anmeldung per E-Mail, Fax, Internetdialog o.Ä. zulässigerweise vorgegeben werden kann.50

12

Inhaltlich dürfen insbesondere Angaben zur Person des Anleihegläubigers gefordert werden, welche zur Vorbereitung des nach § 15 Abs. 2 SchVG erforderlichen Teilnehmerverzeichnisses herangezogen werden können. Ebenso dürfen Angaben zur Anzahl der gehaltenen Stücke verlangt werden.51 Dabei können wie bei der Anmeldung zur Hauptversammlung nach § 123 Abs. 2 AktG auch hier Formulare verwendet werden. Ist deren Verwendung in den Anleihebedingungen vorgesehen, mit der Gestaltung der Formulare keine effektive Einschränkung des Teilnahmerechts verbunden und wird den Anforderungen aus § 12 Abs. 1 SchVG genügt (vgl. § 12 SchVG Rz. 7 f.), wird auch eine Verpflichtung der Anleihegläubiger zur Verwendung der von der Emittentin bereitgestellten Formulare zugelassen werden müssen.52 Die Anmeldung muss nicht zwingend durch den Anleihegläubiger selbst erklärt werden. Vielmehr ist Stellvertretung zulässig. Dies ist zwar nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt, ergibt sich aber zum einen aus der Anwendbarkeit der allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäfts-

46 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 9; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 5; für die Parallelvorschrift im Aktienrecht ebenso OLG Stuttgart v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204 (211); Drinhausen in Hölters, § 123 AktG Rz. 8; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 11; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 9; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 57; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 17. 47 Zum Aktienrecht entsprechend Drinhausen in Hölters, § 123 AktG Rz. 8; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 11; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 185; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 9; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 24. 48 Für diese Drinhausen in Hölters, § 123 AktG Rz. 8; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 89; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 26. 49 Vgl. Drinhausen in Hölters, § 123 AktG Rz. 8; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 9; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 26; noch enger Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 52 (generell keine strengere Form als Schriftform zulässig). 50 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 AktG entsprechend Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 Rz. 89. 51 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 6; vgl. für die Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG ebenso auch Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 Rz. 11; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 57. 52 Abweichend für das Aktienrecht Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 100 (statutarische Festlegung auf die bereitgestellten Formulare unzulässig).

232

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 14 § 10 SchVG

lehre und folgt zum anderen im Erst-recht-Schluss aus der Möglichkeit der Stellvertretung bei der Teilnahme an der Gläubigerversammlung nach § 14 SchVG.53 Verändert sich der Bestand der vom Anleihegläubiger gehaltenen Stücke nach dessen wirksamer Anmeldung, wird – wie zur Parallelregelung in § 123 Abs. 2 AktG – durch das Gesetz nicht eindeutig geklärt, inwiefern damit Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Anmeldung verbunden sind. Nachdem das Gesetz selbst ausdrücklich zwischen Anmeldung einerseits und Legitimation andererseits unterscheidet und die Anmeldung selbst gerade nicht der Legitimation, sondern der Erleichterung der Versammlungsvorbereitung dient (vgl. Rz. 8 f.), sprechen auch hier die besseren Gründe für eine personenbezogene, nicht wertpapierbezogene Anmeldung. Danach lassen Veränderungen im Bestand der gehaltenen Wertpapiere und insbesondere der Erwerb weiterer Stücke die Wirksamkeit der Anmeldung und damit das Teilnahmerecht als solches unberührt.54

13

c) Anmeldungsadresse Gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 SchVG ist die Adresse, unter welcher die Anmeldung zugehen muss, in der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung anzugeben. Die Regelung konkretisiert insoweit § 12 Abs. 1 SchVG, der Angaben zu den Bedingungen für die Teilnahme an der Gläubigerversammlung (und damit an sich auch zur Anmeldeobliegenheit, vgl. auch § 12 SchVG Rz. 7) ohnehin zwingend vorschreibt. Im Einklang mit der (beschränkten) Gestaltungsfreiheit für die Form der Anmeldung (vgl. Rz. 11) kann nicht nur eine Postadresse angegeben werden. Ebenso zulässig ist die Benennung einer Telefaxoder elektronischen Anschrift.55 Nicht erforderlich ist die Benennung einer intern zuständigen Empfangsperson.56 Zudem darf die Emittentin als Adressaten auch einen externen Gehilfen benennen, der als Empfangsvertreter fungiert.57 Nicht erforderlich ist Identität zwischen Anmeldendem und Versammlungsteilnehmer, so dass die Vertretung nur in einem dieser Zusammenhänge ebenso zulässig ist wie die Vertretung durch unterschiedliche Personen.58

53 Im Ergebnis wie hier wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 11. Für das Aktienrecht ist die Möglichkeit der Stellvertretung bei der Anmeldung zur Hauptversammlung nach § 123 Abs. 2 AktG allgemein anerkannt, vgl. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 10; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 99; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 10; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 59; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 20. 54 Im Ergebnis entsprechend für § 123 Abs. 2 AktG Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 23; Baums in FS Hüffer, 2010, S. 15 (26); a.A. (Anmeldung aktienbezogen) Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 101 f.; wohl auch Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 57. 55 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 8; ebenso für die Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 105; a.A. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 26 (stets jedenfalls auch postalische Adresse anzugeben). 56 Ebenso für die Parallelvorschrift des § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG OLG Frankfurt v. 6.4.2009 – 5 W 8/09, AG 2010, 39 (41); Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 105. 57 Vgl. für das Aktienrecht OLG Frankfurt v. 20.10.2009 – 5 U 22/09 (Juris) – Rz. 69; OLG Frankfurt v. 1.9.2009 – 5 U 6/09 (Juris) – Rz. 38 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 107. 58 Vgl. für das Aktienrecht Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 10; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 10; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 123 AktG Rz. 60; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 20.

Binder 233

14

§ 10 SchVG Rz. 15 Frist, Anmeldung, Nachweis d) Anmeldefrist und Implikationen für die Einberufungsfrist 15

Die Anmeldefrist, innerhalb welcher die Anmeldung unter der angegebenen Adresse zugehen muss, wird als solche im Gesetz nicht geregelt, sondern ist (spätestens) mit der Einberufung festzulegen und mit ihr bekanntzumachen (vgl. auch § 12 Abs. 1 SchVG). Die Vorgabe in § 10 Abs. 2 Satz 2 SchVG, dass die Anmeldung spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung zugehen muss, beschränkt die Frist jedoch auf maximal drei Tage. Zwischen dem Zugang der Anmeldung und dem Versammlungstag dürfen nicht mehr als drei Tage liegen.59 Für die Fristberechnung gelten die in Rz. 5 f. wiedergegebenen allgemeinen Grundsätze. Danach ist, wie hier auch der Wortlaut des § 10 Abs. 2 Satz 2 SchVG klarstellt,60 der Tag des Zugangs, nicht aber der Versammlungstag mitzurechnen.61 § 10 Abs. 2 Satz 2 SchVG entspricht strukturell den aktienrechtlichen Vorgaben für die Einberufung der Hauptversammlung der AG, die eine sechstägige Maximalfrist vorsehen (vgl. § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG). Die kürzere Anmeldefrist für die Anmeldung zur Gläubigerversammlung erklärt sich daraus, dass auch bei Festlegung eines Anmeldeerfordernisses die Versammlung noch innerhalb der dreiwöchigen Frist zur Stellung eines Insolvenzantrags stattfinden können soll.62 Dies entspricht der Ratio für die Mindesteinberufungsfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG (vgl. Rz. 3). Die aktienrechtliche Parallelvorschrift lässt seit dem ARUG im Unterschied zu § 10 Abs. 2 SchVG ausdrücklich eine Verkürzung der Frist in der Satzung zu (vgl. § 123 Abs. 2 Satz 3 AktG), nachdem zuvor die instanzgerichtliche Rechtsprechung eine solche Möglichkeit verneint hatte.63 Obwohl das SchVG keine derartige Klarstellung vorgenommen hat, ist allerdings auch hier eine Fristverkürzung zuzulassen, soweit diese in den Anleihebedingungen vorgesehen ist.64 Für die Gläubiger ist die verkürzte Frist nur positiv, da mit höherer zeitlicher Flexibilität verbunden. Der Emittentin kann es nicht verwehrt sein, auf die mit der gesetzlichen Regelung verbundene Absicherung ihrer Vorbereitungen für die Gläubigerversammlung (teilweise) zu verzichten, zumal sie ja zur Festlegung eines Anmeldeerfordernisses gar nicht verpflichtet ist.

16

Sehen die Anleihebedingungen ein Anmeldeerfordernis vor, so löst dies nach § 10 Abs. 2 Satz 1 SchVG zugleich eine Fristverlängerung für die Einberufungsfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG aus. Für deren Berechnung tritt danach der Tag, bis zu dessen Ablauf sich die Gläubiger anmelden müssen, an die Stelle des Versammlungstages. Wird die gesetzlich als maximale Frist vorgesehene Anmeldefrist von drei Tagen zugrunde gelegt, muss damit die Einberufung spätestens am 18. Tag vor dem geplanten Termin der Gläubigerversammlung bekannt gemacht werden (vgl. Rz. 6).

59 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 7; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 6; vgl. auch bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21. 60 Im Unterschied zur aktienrechtlichen Parallelregelung des § 123 Abs. 2 Satz 2 AktG; vgl. dazu etwa Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 12; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 21, 29 f. 61 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 7; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 6. 62 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21; auch insoweit wiederum kritisch Horn, BKR 2009, 446 (451 mit Fn. 40). 63 LG München v. 30.8.2007 – 5 HKO 2797/07, WM 2007, 2111 (2113); OLG München v. 26.3.2008 – 7 U 4782/07, AG 2008, 460 (461); s. dazu Ihrig/Wagner in FS Spiegelberger, 2009, S. 722 (738 f.). 64 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 7; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 6; vgl. auch bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21.

234

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 18 § 10 SchVG

e) Wirksamwerden Die wirksame Anmeldung setzt gem. §§ 130 ff. BGB in direkter oder jedenfalls analoger An- 17 wendung (vgl. Rz. 10) den Zugang unter der in der Einberufung angegebenen Adresse (vgl. Rz. 14) innerhalb der Anmeldefrist (vgl. Rz. 15) voraus. Zugang ist nach allgemeinen Regeln eingetreten, wenn die Erklärung so in den Machtbereich der Emittentin oder eines von ihr benannten Empfangsvertreters gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit ihrer Kenntnisnahme gerechnet werden kann.65 Ebenso wie bei der Anmeldung zur Hauptversammlung der AG66 wird man allerdings mit Blick auf Sinn und Zweck des Anmeldeerfordernisses und die Notwendigkeit des Ausgleichs zwischen den Interessen der Wertpapierinhaber und jenen der Emittentin auch hier nicht auf den Zeitpunkt der erwartbaren Möglichkeit der Kenntnisnahme abstellen können. Maßgeblich muss vielmehr der Eintritt in den Machtbereich des Empfängers sein (Einwurf in den Briefkasten, Eingang der Anmeldung auf elektronischem Wege). Dies erlaubt dem Anleihegläubiger die volle Ausnutzung des jeweils letzten Fristtages (siehe Rz. 16), ohne dass das durch das Anmeldeerfordernis geschützte Interesse der Emittentin an einer Aufklärung des zu erwartenden Personenkreises (vgl. Rz. 8) beeinträchtigt würde. Diese würde ja ohnehin erst an dem auf das Ende der Anmeldungsfrist folgenden Geschäftstag auf der Grundlage der bis dahin gesammelten Anmeldungen mit den abschließenden logistischen Vorbereitungen beginnen können. Die zitierte allgemeine Zugangsregel ist jedoch insofern von Bedeutung, als sich daraus ableiten lässt, dass ein wirksamer Zugang auch hier davon abhängt, ob der durch die Emittentin zulässigerweise festgelegte Kommunikationsweg (vgl. Rz. 11) eingehalten ist. Auf anderem Wege muss die Emittentin nicht mit dem Zugang von Anmeldungen rechnen. Ebenso wenig kann ein Anleihegläubiger, der einen anderen Kommunikationsweg wählt, nicht auf die Kenntnisnahme vertrauen. Die freiwillige Kenntnisnahme der auf anderem Weg zugegangenen Anmeldungen schließt dies allerdings nicht aus.67 Die Beweislast für den Zugang trägt der jeweilige Anleihegläubiger.68 4. Nichteinhaltung der Anmeldeobliegenheit; Verfahrensfehler Die gesetzliche Regelung in § 10 Abs. 2 SchVG ist auf ein zwingendes Anmeldeerfordernis zugeschnitten, bei dem die wirksame, d.h. fristgerecht an der richtigen Adresse zugegangene Anmeldung Teilnahmevoraussetzung für die Gläubigerversammlung ist („Teilnahme … davon abhängig“). Insofern entsprechen die Ausgestaltung als Obliegenheit und damit die Beschränkung des Kreises der Teilnehmer bzw. der stimmberechtigten Teilnehmer (im Fall des Anmeldeerfordernisses lediglich für die Stimmrechtsausübung) auf ordnungsgemäß angemeldete Gläubiger oder deren Vertreter (vgl. Rz. 11 f. und § 14 SchVG) dem gesetzlichen Regelfall.69 Die Beschränkung des Teilnehmerkreises ist nach § 12 Abs. 1 SchVG in der Einberufung deutlich zu machen (siehe auch § 12 SchVG Rz. 7). Ist das Anmeldeerfordernis in dieser Form wirksam und bekannt gemacht, kann der Einberufende, der nach § 15 Abs. 1 SchVG die Versammlung leitet, nicht oder nicht ordnungsgemäß angemeldeten Anleihegläubigern die Teilnahme bzw. die Mitwirkung an der Abstimmung verweigern (lassen). Dies be65 Statt vieler Ellenberger in Palandt, § 130 BGB Rz. 5 m.w.N. 66 Für diese überzeugend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 109. 67 Vgl. für die Parallelvorschrift im Aktienrecht ebenso Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 104, insoweit leicht widersprüchlich ebd. Rz. 100, wonach eine Verpflichtung zur Nutzung des zur Verfügung gestellten Anmeldeformulars nicht besteht. 68 Zur Parallelvorschrift im Aktienrecht Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 98; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 28; Ihrig/Wagner in FS Spiegelberger, 2009, S. 722 (738). 69 Etwas missverständlich insoweit Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 10, welche diese Variante mit freiwilligen Anmeldeverfahren gleichstellen; ähnlich insoweit wohl auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 4.

Binder 235

18

§ 10 SchVG Rz. 19 Frist, Anmeldung, Nachweis deutet allerdings nicht, dass eine Spätzulassung nicht ordnungsgemäß angemeldeter Anleihegläubiger unwirksam wäre. Nicht anders als im Aktienrecht70 unterliegt das Anmeldeerfordernis der Disposition des Einberufenden, zu dessen Schutz es besteht, weshalb dieser auch noch am Versammlungstag selbst auf die Einhaltung verzichten kann.71 Ein Anspruch der ordnungsgemäß angemeldeten Anleihegläubiger auf Abweisung der nicht oder nicht ordnungsgemäß angemeldeten Gläubiger besteht damit nicht.72 Eine Ungleichbehandlung der nicht oder nicht ordnungsgemäß angemeldeten Gläubiger ist allerdings mit dem Gleichbehandlungsgebot nach § 4 Satz 2 SchVG unvereinbar.73 Wird nur ein Teil der nicht ordnungsgemäß angemeldeten Teilnehmer zugelassen, sind entsprechende Beschlüsse der Gläubigerversammlung wegen Verletzung der Anleihebedingungen anfechtbar (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 SchVG). 19

Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass lediglich ein freiwilliges Anmeldeverfahren vorgesehen ist, das zwar – wie ein zwingendes Anmeldeerfordernis – ebenfalls die logistische Vorbereitung der Gläubigerversammlung erleichtern, aber nicht den Zugang zu der Versammlung bzw. zum Abstimmungsverfahren einschränken soll. Auch eine solche Gestaltung ist als Konsequenz aus der Dispositionsfreiheit des Einberufenden wirksam möglich.74 Da auf ein freiwilliges Anmeldeverfahren die gesetzliche Regelung in § 10 Abs. 2 SchVG nicht anwendbar ist, wird man sie auch ohne ausdrückliche Festlegung in den Anleihebedingungen für zulässig halten müssen. Zur Abgrenzung gegenüber dem gesetzlichen Regelfall und im Interesse der Vermeidung überflüssiger Rechtsunsicherheit sollte dabei (in erweiternder Auslegung des § 12 Abs. 1 SchVG) in der Einberufung ausdrücklich auf den freiwilligen Charakter aufmerksam gemacht werden.

20

Verfahrensfehler bei der Festlegung und Ausgestaltung des Anmeldeerfordernisses durch den Einberufenden führen zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse der gleichwohl zusammengetretenen Gläubigerversammlung. Wird eine unzulässige Anmeldefrist festgelegt, handelt es sich um einen Gesetzesverstoß und ergibt sich die Anfechtbarkeit aus § 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG. Wird gegen die in den Anleihebedingungen festgelegten Modalitäten verstoßen, liegt dagegen ein Fall der Alt. 2 SchVG dieser Bestimmung vor.

IV. Legitimationsnachweis (§ 10 Abs. 3 SchVG) 1. Gesetzlicher Ausgangspunkt 21

§ 10 Abs. 3 SchVG regelt die Pflicht zur Legitimation als Voraussetzung für die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Mitwirkung an der Abstimmung nicht selbst, sondern setzt sie voraus. Satz 2 der Bestimmung schreibt für den Fall abweichender Festlegun70 Vgl. zur Parallelregelung des § 123 Abs. 2 AktG Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 125. 71 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 10 und noch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 10 SchVG Rz. 5; zumindest ungenau dagegen Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 7; unklar auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 4 (einerseits keine Verpflichtung zur Zugangsgewährung, andererseits aber drohende Anfechtungsklagen für den Fall der Zulassung); ausdrücklich a.A. Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 10 SchVG Rz. 2. 72 Plastisch für das Aktienrecht, aber übertragbar Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 125. 73 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 12; ebenso für die aktienrechtliche Parallelvorschrift mit Blick auf das Gleichbehandlungsgebot des § 53a AktG auch Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 125. 74 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 10.

236

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 22 § 10 SchVG

gen in den Anleihebedingungen lediglich einen Mindeststandard für die Art und Weise der Legitimation vor. Die Regelung bezieht sich dabei auf § 10 Abs. 3 Satz 1 SchVG, der die Zulässigkeit entsprechender Vorgaben in den Anleihebedingungen regelt. Dem Wortlaut nach betrifft dies missverständlich und zu eng ausschließlich die Legitimation für die Teilnahme an der Gläubigerversammlung, nicht aber auch auf die Ausübung des Stimmrechts. Das Legitimationserfordernis gilt jedoch für beide gleichermaßen75 und ergibt sich aus dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht ausüben will, sich legitimieren muss, soweit nicht sein Gegenüber die Berechtigung kennt, kennen muss oder auf einen Nachweis verzichtet.76 Insoweit gilt nichts anderes als für das Legitimationserfordernis bei Inhaberaktien als Voraussetzung für die Teilnahme an der Hauptversammlung in der nicht börsennotierten AG nach § 123 Abs. 3 AktG.77 Ebenso wie für diese78 muss sich die Legitimation sowohl auf die Person als auch auf den Umfang der Stimmrechtsmacht beziehen.79 Die Legitimationsprüfung, die eine Plausibilitätskontrolle im Hinblick auf die vorgelegten Nachweise einschließt, aber ohne konkrete Anzeichen von Fehlern keine Detailprüfung in jedem Einzelfall erfordert,80 soll sicherstellen, dass nur die berechtigten Wertpapierinhaber teilnehmen bzw. abstimmen können.81 In Ermangelung anderer Festlegungen in den Anleihebedingungen kann die Identität des Anleihegläubigers (zur Legitimationskontrolle bei Stellvertretung siehe § 14 SchVG Rz. 13 ff.) nicht nur durch Vorlage eines amtlichen Ausweises, sondern ggf. auch durch Zeugen oder die Vorlage einer Eintrittskarte nachgewiesen werden.82 Im Hinblick auf den Umfang der Stimmrechtsmacht genügt § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG bei global verbrieften und sammelverwahrten Urkunden und mithin im Regelfall hilfsweise ein in Textform (vgl. § 126b BGB) erstellter besonderer Nachweis (Depotauszug). Die Regelung ist deckungsgleich mit § 123 Abs. 3 Satz 2 AktG für den Legitimationsnachweis bei börsennotierten Inhaberaktien. 2. Gestaltung des Legitimationsnachweises in den Anleihebedingungen § 10 Abs. 3 Satz 1 SchVG ermöglicht Festlegungen zum Legitimationsnachweis in den Anleihebedingungen, ohne die damit im Interesse möglichst praktikabler, sach- und interessengerechter Lösungen83 eingeräumte Gestaltungsfreiheit ausdrücklich einzuschränken oder anderweitig inhaltlich zu konturieren. Die Norm entspricht strukturell der Regelung in § 123 75 Besonders deutlich Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 13; entspr. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 9; gleichsinnig auch bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21. 76 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 6; ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 9; Cagalj, S. 258. 77 Dazu Hüffer/Koch, § 123 AktG Rz. 3; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 17; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 58; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 19. 78 Dazu Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 17. 79 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 13. 80 Vgl. zur Parallelvorschrift des § 123 Abs. 3 AktG Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 72; Rieckers in Spindler/Stilz, § 123 AktG Rz. 40 m.w.N.; ähnlich mit weiteren Differenzierungen Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 51 f.; vgl. für die Legitimationsprüfung bei Inhaberaktien auch BGH v. 20.9.2004 – II ZR 288/02, BGHZ 160, 253 (258) = AG 2004, 673. 81 Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 9 f.; vgl. auch Schmidtbleicher in Friedl/HartwigJacob, § 10 SchVG Rz. 6. 82 Vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 14; für die Parallelvorschrift in § 123 Abs. 3 AktG entspr. Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 65. 83 Deutlich Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21: „Form und Inhalt des Nachweises bleiben frei, so dass die Praxis hier einen möglichst einfachen Weg finden kann.“

Binder 237

22

§ 10 SchVG Rz. 23 Frist, Anmeldung, Nachweis Abs. 3 Satz 1 AktG zum Legitimationsnachweis als Teilnahmevoraussetzung für die Hauptversammlung der AG bei Inhaberaktien. Bei der Ausgestaltung der Anforderungen sind die Interessen des Anleihegläubigers und der Emittentin gegeneinander abzuwägen. Die Emittentin hat ein berechtigtes Interesse an der Vermeidung von Beschlussmängeln und der Anfechtbarkeit der Beschlüsse ebenso wie daran, die Legitimationsprüfung im Rahmen der Eingangskontrolle bzw. Stimmrechtsprüfung möglichst reibungslos gestalten zu können.84 Dieses Interesse bestimmt, welche Informationen und Nachweise legitimer- und zulässigerweise verlangt werden können.85 Möglich und ratsam ist insbesondere die Festlegung auf bestimmte taugliche Identitätsausweise (Personalausweis, Reisepass). Weitergehende Einschränkungen des Teilnahme- bzw. Stimmrechts, die nicht durch die legitimen Interessen der Emittentin gerechtfertigt sind, z.B. unnötig komplizierte Vorgaben hinsichtlich der Form und der Sprache der geforderten Nachweise, sind dagegen unzulässig.86 3. Zeitpunkt der Legitimation; Record Date 23

Der für die Erbringung des Legitimationsnachweises maßgebliche Zeitpunkt wird im Gesetz selbst nicht ausdrücklich festgelegt. Indem die Legitimationsregelung aber auf die Teilnahme an der Gläubigerversammlung bzw. (bei richtiger Auslegung, vgl. Rz. 20) auf die Stimmrechtsausübung bezogen ist, geht das Gesetz vom Regelfall der Legitimation unmittelbar zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung bzw. der Abstimmung aus.87 Wenn ein derartiger Nachweis nicht taggenau durch einen entsprechenden Depotauszug erbracht werden kann, kann und sollte ein zusätzlicher Nachweis – etwa in Gestalt einer Bescheinigung der depotführenden Bank über einen Sperrvermerk – verlangt werden, dass dem Betreffenden die maßgeblichen Rechte (noch) zustehen.88

24

§ 10 Abs. 3 SchVG sieht damit im Unterschied zu den aktienrechtlichen Vorschriften über den Legitimationsnachweis für die Teilnahme an der Hauptversammlung der börsennotierten AG (vgl. § 123 Abs. 3 Satz 3 und 4 AktG a.F., nunmehr gesetzlich vorgegeben in § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG) keinen vom Tag der Gläubigerversammlung bzw. Abstimmung abweichenden, vorgelagerten Stichtag (sog. Record Date) vor. Im Aktienrecht wird damit im Interesse eindeutiger Verfahrensabläufe die Feststellung der Legitimation vorgezogen. Dies führt bei einer Veräußerung der betreffenden Inhaberaktien89 dazu, dass allein der gegenüber der Gesellschaft legitimierte Veräußerer, aber nicht der materiell berechtigte Erwerber im Verhältnis zur Gesellschaft als teilnahme- und/oder stimmberechtigt zu behandeln ist.90 Ungeachtet des Fehlens einer entsprechenden gesetzlichen Regelung im SchVG können allerdings die Anleihebedingungen nach richtiger Ansicht einen für die Erbringung des Legitimations84 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 14; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 6. 85 Entsprechend bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21; unter Berufung darauf auch Wasmann/ Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 10; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 9. 86 Vgl. wiederum Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 6. 87 Wie hier Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 16; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 10, jeweils unter Berufung auf Begr. RegE, BTDrucks. 16/12814, 21. 88 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 16; Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 11; strenger (Sperrvermerk zwingend vorzusehen) Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 10 SchVG Rz. 3. 89 Für Namensaktien ergibt sich aus der Legitimation nach § 67 Abs. 2 AktG eine entsprechende Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunkts; s. dazu nur Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 34. 90 Näher stellvertretend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 34 m.w.N.; deutliche Vorbehalte gegenüber der gesetzlichen Lösung bei Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 123 AktG Rz. 3 f.

238

Binder

Frist, Anmeldung, Nachweis

Rz. 25 § 10 SchVG

nachweises maßgeblichen Record Date festlegen.91 Die Begründung dafür lässt sich nicht aus einer analogen Anwendung des § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG n.F. gewinnen. Insoweit gelten vielmehr die gleichen Bedenken wie hinsichtlich der Analogiefähigkeit der aktienrechtlichen Regelungen zur Berechnung für die Einberufungsfrist (Rz. 5).92 Richtigerweise wird man allerdings die Festlegung eines Record Date als Ausprägung der durch § 10 Abs. 3 Satz 1 SchVG eingeräumten Gestaltungsfreiheit für die Anleihebedingungen ansehen müssen.93 Daraus und aus § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG folgt zugleich, dass auch hierbei die legitimen Interessen der Emittentin gegen den gesetzlichen Schutz des Teilnahme- und Stimmrechts der Anleihegläubiger abzuwägen sind. Dies verbietet willkürlich früh angesetzte Stichtage ebenso wie die schematische Übernahme der 21-Tages-Frist aus § 123 Abs. 4 Satz 2 AktG n.F. (§ 123 Abs. 3 Satz 3 AktG a.F.). Zu berücksichtigen ist vielmehr die im Vergleich mit den aktienrechtlichen Einberufungs- und Anmeldefristen deutlich kürzere Fristdauer nach § 10 Abs. 1 und 2 SchVG (vgl. Rz. 3 und 14). Interessengerecht erscheint jedenfalls die von Schmidtbleicher vorgeschlagene Festlegung des Stichtags auf das Ende der Anmeldefrist nach § 10 Abs. 2 SchVG.94 Im Falle des Erwerbs nach dem Stichtag und damit nach Registrierung und Erbringung des Legitimationsnachweises durch den Veräußerer bleibt dieser – wie im Aktienrecht95 – im Verhältnis zur Emittentin teilnahme- und stimmberechtigt.96 Die Auswirkungen auf die Rechtsposition des Berechtigten sind – wie im Aktienrecht97 – durch die Parteien der Veräußerung zu regeln. Denkbar sind sowohl Absprachen zwischen Veräußerer und Erwerber hinsichtlich des Stimmverhaltens als auch die Bevollmächtigung des Erwerbers durch den Veräußerer nach § 14 SchVG. Wollte man demgegenüber auch in diesem Fall einen Sperrvermerk fordern,98 würde dies ein sachlich nicht gerechtfertigtes faktisches Veräußerungsverbot für die Dauer des Zeitraums zwischen Record Date und Gläubigerversammlung auslösen, was mit dem Sinn des Legitimationsnachweises nicht vereinbar wäre. 4. Legitimationsfehler Sowohl die unberechtigte Abweisung ordnungsgemäß legitimierter Anleihegläubiger als auch die unberechtigte Zulassung nicht legitimierter Personen zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung bzw. Abstimmung sind Verstöße gegen § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG und damit gegen das Gesetz. Als solche machen sie die getroffenen Beschlüsse anfechtbar (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG), wenn die weiteren Voraussetzungen nach § 20 SchVG erfüllt sind.

91 Grundsätzlich übereinstimmend insoweit Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 16; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 8 ff.; Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 10; Schlitt/Schäfer AG 2009, 477 (481); Cagalj, S. 159, und noch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 10 SchVG Rz. 9; a.A. Wasmann/Steber in Veranneman, § 10 SchVG Rz. 12; Vogel in Preuße, § 6 SchVG Rz. 12. 92 Siehe auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 8; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (481), jeweils unter Hinweis auf die Regelungsgeschichte. 93 Entsprechend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 10; wohl auch Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (481). 94 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 10. 95 Vgl. z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 SchVG Rz. 38; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 198 f., 254 f. 96 Richtig Schindele in Preuße, § 10 SchVG Rz. 10; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 11. 97 Siehe nochmals stellvertretend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 123 AktG Rz. 34; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 123 AktG Rz. 254 f. 98 So Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 10 SchVG Rz. 16; wohl auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 11 SchVG Rz. 3.

Binder 239

25

§ 10 SchVG Rz. 26 Frist, Anmeldung, Nachweis

V. Absage, Verlegung, Änderungen 26

Die Absage einer ordnungsgemäßen Einberufung sowie die Änderung der Einberufung sind gesetzlich nicht geregelt. Mit Blick auf die vergleichbare Interessenlage können aber die zur Hauptversammlung der AG entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden. Danach ist derjenige, der die Versammlung einberufen hat, bis zum Beginn der Versammlung zur Rücknahme der Einberufung befugt, ohne an eine bestimmte Form gebunden zu sein.99 Gründe für eine abweichende Behandlung der Gläubigerversammlung sind nicht erkennbar. Änderungen der Einberufung sind grundsätzlich wie eine erneute Einberufung zu behandeln und den gleichen Anforderungen zu unterwerfen, wenn nicht lediglich auf ein anderes, für die Versammlungsteilnehmer ebenso erreichbares Versammlungslokal am selben Ort ausgewichen werden soll oder muss.100 Die Absetzung von Tagesordnungspunkten soll nach teilweise vertretener Auffassung derjenige, der den betreffenden Punkt auf die Tagesordnung hat setzen lassen, vor Versammlungsbeginn selbst frei beantragen können.101 Dagegen spricht indessen, dass sich die übrigen Versammlungsteilnehmer ihrerseits auf den betreffenden Punkt eingestellt und u.U. gar von einem Ergänzungsverlangen (vgl. § 13 Abs. 3 SchVG) abgesehen haben, das bei einem Wegfall nicht mehr nachgeholt werden könnte.

§ 11 Ort der Gläubigerversammlung 1Die

Gläubigerversammlung soll bei einem Schuldner mit Sitz im Inland am Sitz des Schuldners stattfinden. 2Sind die Schuldverschreibungen an einer Wertpapierbörse im Sinne des § 1 Absatz 3e des Kreditwesengesetzes zum Handel zugelassen, deren Sitz innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder der anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, so kann die Gläubigerversammlung auch am Sitz dieser Wertpapierbörse stattfinden. 3§ 30a Absatz 2 des Wertpapierhandelsgesetzes bleibt unberührt. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Schuldner mit Sitz im Inland 1. Regelfall: Satzungssitz. . . . . . . . . . . . . . . 2. Alternative Versammlungsorte

1 2

a) Sitz der Börse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Versammlungsort nach § 30a Abs. 2 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schuldner mit Sitz im Ausland. . . . . . . IV. Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . .

4 6 7 8

99 Vgl. für das Aktienrecht RG v. 20.1.1941 – II 96/40, RGZ 166, 129 (133); OLG Frankfurt v. 18.3.2014 – 5 U 65/13, AG 2015, 445 (447); Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 37; Herrler in Grigoleit, § 121 AktG Rz. 30; Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 18; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 102; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 121 AktG Rz. 32; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 117; Werner in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 69; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 107. 100 Z.B. Herrler in Grigoleit, § 121 AktG Rz. 30; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 104; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 106. 101 Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 83; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 110; a.A. wohl Herrler in Grigoleit, § 121 AktG Rz. 12; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 45; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 118; Reger in Bürgers/Körber, § 121 AktG Rz. 12.

240

Binder

Ort der Gläubigerversammlung

Rz. 2 § 11 SchVG

Schrifttum: Bredow/Vogel, Unternehmenssanierung und Restrukturierung von Anleihen – Welche Verbesserungen bringt das neue Schuldverschreibungsrecht?, ZBB 2008, 221; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang Die Vorschrift regelt, an welchem geographischen Ort die Gläubigerversammlung abzuhalten ist, und stellt dafür verschiedene Alternativen zur Verfügung. Nicht geregelt wird die Auswahl des konkreten Versammlungslokals (dazu § 12 SchVG Rz. 6). Regelungszweck ist die rechtssichere Festlegung möglicher Versammlungsorte und die Klärung des Verhältnisses zu § 30a Abs. 2 WpHG, der in Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie Regelungen zur Gläubigerversammlung für die davon erfassten Schuldtitel eingeführt hat.1 Der Versammlungsort soll damit der Disposition des Einberufenden weitgehend entzogen werden, um Streitigkeiten darüber zu vermeiden, ob die Wahl des Versammlungssitzes die Gläubiger benachteiligt.2 Die Gläubiger können damit verlässlich vorhersehen, mit welchem Reiseaufwand ggf. die Wahrnehmung ihrer Rechte in der Gläubigerversammlung verbunden sein wird.3 Die Norm ist ohne Regelungsvorbilder im SchVG 1899, das auf entsprechende Vorgaben verzichtet hat. Als gesetzlicher Regelfall ist bei inländischen Schuldnern die Versammlung am Satzungssitz vorgesehen (§ 11 Satz 1 SchVG, dazu Rz. 2 f.). Bei börsennotierten Schuldverschreibungen kommt in den Fällen des § 11 Satz 2 SchVG alternativ der Sitz der betreffenden Wertpapierbörse in Betracht (dazu Rz. 4 f.). Unberührt bleibt die Regelung des § 30a Abs. 2 WpHG (dazu Rz. 6). Für ausländische Schuldner, deren Schuldverschreibungen gem. § 1 Abs. 1 SchVG kraft Rechtswahl in den Anwendungsbereich des SchVG einbezogen sind, trifft § 11 SchVG keine eindeutige Regelung; auch hier sollte allerdings § 11 Satz 2 SchVG beachtet werden, sofern nicht § 30a Abs. 2 WpHG eingreift (dazu Rz. 7). Die Vorschrift weist strukturelle Parallelen zur aktienrechtlichen Regelung des § 121 Abs. 5 AktG auf, weicht aber inhaltlich von diesem ab. Die zu dieser Regelung entwickelten Auslegungsgrundsätze lassen sich gleichwohl begrenzt auf die Rechtslage nach § 11 SchVG übertragen.4 Soweit Wahlmöglichkeiten bestehen, sollte der Einberufende im Regelfall schon mit Blick auf das hohe Quorum nach § 15 Abs. 3 SchVG (dort Rz. 23 ff.) denjenigen Versammlungsort wählen, der eine möglichst hohe Präsenz erlaubt.5

1

II. Schuldner mit Sitz im Inland 1. Regelfall: Satzungssitz Für einen Schuldner mit Sitz im Inland soll die Gläubigerversammlung nach § 11 Satz 1 SchVG am Sitz des Schuldners stattfinden. Dies entspricht der gesetzlichen Wertung, dass

1 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22. 3 Vgl. für die Parallelvorschrift in § 121 Abs. 5 AktG entsprechend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 176. 4 Richtig Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 1; ungenau Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 1. 5 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 1; vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 6.

Binder 241

2

§ 11 SchVG Rz. 3 Ort der Gläubigerversammlung dieser den zweckmäßigsten Versammlungsort darstellt.6 Die Regelung knüpft an den Satzungssitz der Emittentin (§ 5 AktG, § 4a GmbHG) an; bei Personengesellschaften ist nach h.M. – entsprechend den allgemeinen handelsrechtlichen Grundsätzen für die Ermittlung des Gesellschaftssitzes7 – auf den tatsächlichen Sitz abzustellen.8 3

§ 11 Satz 1 SchVG ist – wie die Regelung des § 121 Abs. 5 AktG für den Versammlungsort der Hauptversammlung der AG – ausdrücklich als Sollvorschrift formuliert und lässt damit abweichende Bestimmungen durchaus zu.9 Diese können allerdings schon mit Blick auf den Regelungszweck, diesen im Interesse der Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten der Parteidisposition weitgehend zu entziehen (Rz. 1), nicht willkürlich definiert werden. Vielmehr sind sie nur ausnahmsweise und nur dann zulässig, wenn sachliche Gründe eine Abkehr vom gesetzlichen Regelfall erfordern.10 Das entspricht den zur Parallelvorschrift des § 121 Abs. 5 AktG anerkannten Auslegungsgrundsätzen. Diese gestatten in Ermangelung einer Satzungsregelung Abweichungen vom gesetzlichen Regelfall des § 125 Abs. 5 Satz 1 AktG nur, wenn vorliegende Sachgründe die der Regelung zugrunde liegende Wertung im Einzelfall entfallen lassen.11 Exemplarisch ist dies bei Fehlen eines geeigneten Versammlungslokals am Gesellschaftssitz bejaht worden12 (siehe auch noch Rz. 5). Nicht geklärt ist allerdings, ob Abweichungen in den Anleihebedingungen vorgesehen sein müssen, oder ob sie auch13 oder ausschließlich ad hoc durch den jeweils Einberufenden nach § 9 Abs. 1 SchVG festgelegt werden können.14 Der Vergleich mit den Regelungen des § 10 SchVG, die jeweils ausdrücklich Gestaltungsfreiheit für die Anleihebedingungen einräumen, legt zumindest nahe, dass die Festlegung des Versammlungssitzes nicht dort getroffen werden muss, klärt aber noch nicht, ob dies überhaupt zulässig wäre. Überzeugend erscheint, dass grundsätzlich sowohl die Anleihebedingungen als auch der Einberufende selbst entsprechende Vorgaben machen können. Dafür sprechen nicht allein die funktionalen Parallelen zu § 121 Abs. 5 AktG, der ebenfalls als Sollvorschrift gefasst ist, zudem aber – innerhalb entsprechender Schranken15 – ausdrücklich Festlegungen zum Versammlungssitz in der Satzung zulässt (§ 125 Abs. 5 Satz 1 6 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 11 SchVG Rz. 1; vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift in § 121 Abs. 5 AktG entsprechend Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 12; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 50. 7 Vgl. stellvertretend – insb. zu den kollisionsrechtlichen Implikationen – Baumbach/Hopt, § 106 HGB Rz. 8. 8 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 1; entsprechend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 2; Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 3. 9 Grundsätzlich a.A. nunmehr Wasmann/Steber in Veranneman, § 11 SchVG Rz. 1; wie hier dagegen noch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 11 SchVG Rz. 1. 10 So auch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 11 SchVG Rz. 1; Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 2; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 3; Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 5; weiter Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 11 SchVG Rz. 2 (irgendeine „sachliche Rechtfertigung“ ausreichend). 11 Vgl. OLG Bremen v. 19.4.2013 – 2 U 103/11 (Juris) (GmbH); OLG Dresden v. 13.6.2001 – 13 U 2639/00, AG 2001, 489; Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 40; Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 12; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 86; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 70; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 91; vgl. zu den entsprechend gelagerten Schranken für Satzungsgestaltungen auch BGH v. 21.10.2014 – II ZR 330/13 – Rz. 15, BGHZ 203, 68 = AG 2015, 82 (83). 12 OLG Dresden v. 13.6.2001 – 13 U 2639/00, AG 2001, 489. 13 So wohl Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 2. 14 Für letzteres wohl Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 11 SchVG Rz. 1; Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 3. 15 Vgl. nochmals BGH v. 21.10.2014 – II ZR 330/13 – Rz. 15, BGHZ 203, 68 = AG 2015, 82 (83) m.w.N. zum Streitstand.

242

Binder

Ort der Gläubigerversammlung

Rz. 5 § 11 SchVG

AktG). Vielmehr überzeugt dies auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Vorschrift: Wenn einerseits aus Rechtssicherheitsgründen eine möglichst strikte Festlegung des Versammlungsorts vorgegeben, diese andererseits im Interesse hinreichender Flexibilität für besonders gelagerte Sachverhalte mit einer Öffnungsklausel versehen werden soll, können sowohl Festlegungen in den Anleihebedingungen als auch Entscheidungen des Einberufenden sachund interessengerechte Lösungen formulieren, wenn und soweit sie sich innerhalb der genannten, engen materiellen Schranken bewegen. Schon mit Blick auf das nach § 15 Abs. 3 SchVG erforderliche hohe Quorum, dessen Erreichung im Interesse der Emittentin liegt, dürfte das Missbrauchsrisiko bei alledem insgesamt eher gering einzuschätzen sein.16 2. Alternative Versammlungsorte a) Sitz der Börse Als Alternative zum Sitz der Emittentin ermöglicht § 11 Satz 2 SchVG die Gläubigerversammlung am Sitz einer Wertpapierbörse (§ 1 Abs. 3e KWG) innerhalb der EU bzw. eines EWR-Staates, wenn die Schuldverschreibungen dort zum Handel zugelassen sind. Dies entspricht konzeptionell der Parallelvorschrift in § 121 Abs. 5 Satz 2 AktG, die allerdings auf deutsche Börsen und, noch weitergehend, auf Notierungen im regulierten Markt beschränkt ist. Im Rahmen des § 11 Satz 2 SchVG dagegen sind aufgrund der Verweisung in das KWG alle Wertpapiermärkte erfasst, „die von den zuständigen staatlichen Stellen geregelt und überwacht werden, regelmäßig stattfinden und für das Publikum unmittelbar oder mittelbar zugänglich sind, einschließlich 1. ihrer Betreiber, wenn deren Haupttätigkeit im Betreiben von Wertpapier- oder Terminmärkten besteht, und 2. ihrer Systeme zur Sicherung der Erfüllung der Geschäfte an diesen Märkten (Clearingstellen), die von den zuständigen staatlichen Stellen geregelt und überwacht werden.“ Aus dieser weiten Definition wird teilweise darauf geschlossen, dass die Gläubigerversammlung auch am Sitz des Börsenbetreibers und der Clearingstellen, nicht nur am Sitz der Börse selbst soll stattfinden können.17 Dies überzeugt jedoch nicht. Die Erweiterung der in Betracht kommenden Versammlungsorte um den Börsenplatz beruht – wie im Aktienrecht – ersichtlich auf dem Sachzusammenhang zwischen der Rechtsausübung durch die Wertpapierinhaber und dem jeweiligen Handelsplatz. An diesem für die Anleihegläubiger erkennbaren Sachzusammenhang fehlt es jedoch beim ggf. davon abweichenden Sitz des Börsenbetreibers und der Clearingstelle. Zulässig als Alternative zum Sitz der Emittentin kann damit allein der Sitz der jeweiligen Börse sein.

4

Zwischen dem Sitz der Emittentin nach § 11 Satz 1 SchVG und dem Börsensitz nach § 11 Satz 2 SchVG besteht ein Wahlrecht des Einberufenden.18 Dies zeigt bereits der Wortlaut der Vorschrift („kann … auch am Sitz dieser Wertpapierbörse stattfinden“). Dem Regelungszweck ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen; sowohl der (Satzungs-) Sitz der Emittentin als auch der Börsensitz sind für die Anleihegläubiger gleichermaßen vorhersehbar und frei von unzumutbaren Härten. Dies entspricht auch der anerkannten, überzeugenden Auslegung der insoweit entsprechenden Regelung in § 121 Abs. 5 Satz 2 AktG.19 Die damit eröffnete Wahlmöglichkeit schränkt den Spielraum für abweichende Bestimmungen nach § 11 Satz 1 SchVG weiter ein. Die Wahl eines weiteren Ortes neben dem Sitz der Emittentin und

5

16 Richtig Cagalj, S. 256. 17 So Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 11 SchVG Rz. 3; Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 5; a.A. dagegen jetzt wohl Wasmann/Steber in Veranneman, § 11 SchVG Rz. 2. 18 Wie hier wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 3; a.A. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 5 (Vorrang des Satzungssitzes für Inlandsemittenten). 19 Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 90; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 178; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 71.

Binder 243

§ 11 SchVG Rz. 6 Ort der Gläubigerversammlung dem Börsensitz kommt damit nur in Betracht, wenn beide als Versammlungsort aus sachlichen Gründen ausscheiden (vgl. Rz. 4);20 dies wird kaum jemals der Fall sein. b) Versammlungsort nach § 30a Abs. 2 WpHG 6

Nach § 11 Satz 3 SchVG bleibt die Regelung des § 30a Abs. 2 WpHG von den Vorschriften des § 11 SchVG über den Versammlungsort unberührt. § 30a Abs. 2 WpHG räumt den Emittenten unter bestimmten Voraussetzungen Wahlfreiheit für die Bestimmung des Orts der Gläubigerversammlung innerhalb der EU und der Vertragsstaaten des EWR ein, die neben die Möglichkeiten nach § 11 Satz 1 und 2 SchVG tritt.21 Die Regelung beruht auf dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz von 200722 und geht zurück auf Art. 18 Abs. 3 der Transparenzrichtlinie von 2004,23 der die Erleichterung der Rechtsausübung und Verbesserung der Informationsbasis für Inhaber in der EU bzw. im EWR emittierter Schuldverschreibungen anstrebte. Voraussetzung für die Wahlfreiheit ist nach § 30a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 6 sowie i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG zunächst, dass es sich um zugelassene Schuldtitel mit einer Mindeststückelung im Wert von 100 000 Euro oder dem am Ausgabetag entsprechenden Gegenwert in einer anderen Währung handelt, für deren Emittentin Deutschland der Herkunftsstaat ist (§ 30a Abs. 2 Satz 1 WpHG). Weiter ist erforderlich, „dass in dem für den Versammlungsort gewählten Mitgliedstaat alle für die Ausübung der Rechte erforderlichen Einrichtungen und Informationen für die Schuldtitelinhaber verfügbar sind“. Nach dem Wortlaut dürfen zudem zur Gläubigerversammlung in diesen Fällen ausschließlich Inhaber von folgenden Schuldtiteln eingeladen werden: „1. Schuldtitel mit einer Mindeststückelung von 100 000 Euro oder dem am Ausgabetag entsprechenden Gegenwert in einer anderen Währung oder 2. noch ausstehende Schuldtitel mit einer Mindeststückelung von 50 000 Euro oder dem am Ausgabetag entsprechenden Gegenwert in einer anderen Währung, wenn die Schuldtitel bereits vor dem 31.12.2010 zum Handel an einem organisierten Markt im Inland oder in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zugelassen worden sind.“ (zu beiden Voraussetzungen § 30a Abs. 2 Satz 2 WpHG). Die Regelung greift damit nur ein, wenn entweder bereits die betroffenen Schuldverschreibungen von vornherein mit

20 Vgl. für das Aktienrecht ebenso Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 90; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 71. 21 Insoweit übereinstimmend auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 8; praktisch spielen angesichts der nach § 30a Abs. 2 WpHG eröffneten Wahlfreiheit die Restriktionen nach § 11 Satz 1 und 2 SchVG keine Rolle. Siehe dazu auch Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (228 f.). 22 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I 2007, 10. 23 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. EU Nr. L 390/38. Zur Änderung der maßgeblichen Schwellenwerte s. Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, ABl. EU Nr. L 327/1, Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und dazu Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes v. 26.6.2012, BGBl. I 2012, 1375, Art. 2 Nr. 5.

244

Binder

Ort der Gläubigerversammlung

Rz. 8 § 11 SchVG

einer entsprechenden Mindeststückelung begeben wurden oder wenn sämtliche Gläubiger mindestens in dieser Größenordnung Schuldtitel erworben haben.24

III. Schuldner mit Sitz im Ausland Auf Schuldner mit Sitz im Ausland ist § 11 Satz 1 SchVG dem eindeutigen Wortlaut nach nicht anwendbar. Unabhängig vom Sitz der Emittentin gilt unstreitig § 30a Abs. 2 WpHG unter den dort genannten Voraussetzungen (vgl. Rz. 6). Ob ggf. daneben oder stattdessen § 11 Satz 2 SchVG anwendbar ist, der die Versammlung „auch“ am Sitz der maßgeblichen Wertpapierbörse ermöglicht (vgl. Rz. 4), wird unterschiedlich beurteilt.25 Dagegen spricht zwar der Wortlaut der Vorschrift, der erkennbar als Alternative zur Regelung des § 11 Satz 1 SchVG formuliert ist. Für die Anwendbarkeit des § 11 Satz 2 SchVG streitet jedoch, dass damit eine gesetzgeberische Grundentscheidung für die Sachgerechtigkeit des Börsensitzes als Versammlungsort getroffen wurde, deren Ratio keineswegs auf Schuldner mit Inlandssitz beschränkt ist (vgl. Rz. 4). Will man dem mit der Gegenauffassung nicht folgen, muss man die Festlegung des Versammlungsorts mit Blick auf die Interessenlage und den Schutzzweck des § 11 SchVG (dazu Rz. 1) einer Angemessenheitskontrolle unterwerfen, um die willkürliche Festlegung eines Versammlungsorts auszuschließen, der die Rechtsausübung für die Anleihegläubiger unangemessen erschweren würde.26 Auch damit lässt sich mithin ein Schutz der Anleihegläubiger gewährleisten, doch ist dies mit nicht unerheblicher Rechtsunsicherheit verbunden, die an sich durch § 11 SchVG gerade ausgeschlossen werden sollte.27 Angesichts der damit verbundenen Rechtsunsicherheit ist Emittenten mit Sitz im Ausland die Wahl des Börsensitzes jedenfalls zu empfehlen. Insbesondere in den Fällen von Schuldnern mit Sitz im Ausland stellt sich die Frage, ob als Versammlungssprache auch die jeweilige Landessprache gewählt werden kann. Dies wird gesetzlich nicht vorgeprägt, sollte aber schon aus Praktikabilitätsgründen ohne weiteres möglich sein.

7

IV. Verfahrensfehler Die Folgen der Festlegung eines unzulässigen Versammlungsorts sind in § 11 SchVG nicht geregelt. Als Verstoß gegen das Gesetz (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG) sind die Beschlüsse einer an einem unzulässigen Ort abgehaltenen Versammlung ggf. anfechtbar.28 Dies entspricht der Rechtslage im Aktienrecht für Verstöße gegen die Regelung des § 121 Abs. 5 AktG.29

24 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 30a WpHG Rz. 46; s. auch Stoll in KölnKomm/WpHG, § 30a WpHG Rz. 51. 25 Dafür Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 11 SchVG Rz. 3; Cagalj, S. 257; wohl auch, aber etwas unklar Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 11 SchVG Rz. 5; dagegen Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 6; Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 8; wohl auch Horn, ZHR 173 (2009), 12 (57). 26 So Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 8; ähnlich Horn, ZHR 173 (2009), 12 (57); etwas großzügiger Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 6; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 11 SchVG Rz. 4 (kein sachlicher Grund für Ortswahl erforderlich, aber ggf. Korrektur wegen Rechtsmissbrauchs). 27 Siehe nochmals Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22. 28 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 11 SchVG Rz. 5 (ohne Begründung lediglich für Schuldner mit Inlandssitz); Schindele in Preuße, § 11 SchVG Rz. 9; Wasmann/Steber in Veranneman, SchVG, § 11 Rz. 4. 29 Vgl. RG v. 12.5.1899 – II 17/99, RGZ 44, 8 (9 f.); Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 12; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 94; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 195; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 107; für die GmbH entsprechend

Binder 245

8

§ 12 SchVG Rz. 1 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung

§ 12 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung (1) In der Einberufung müssen die Firma, der Sitz des Schuldners, die Zeit und der Ort der Gläubigerversammlung sowie die Bedingungen angegeben werden, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen. (2) 1Die Einberufung ist unverzüglich im Bundesanzeiger öffentlich bekannt zu machen. 2Die Anleihebedingungen können zusätzliche Formen der öffentlichen Bekanntmachung vorsehen. 3Die Kosten der Bekanntmachung hat der Schuldner zu tragen. (3) Der Schuldner hat die Einberufung und die genauen Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen, vom Tag der Einberufung an bis zum Tag der Gläubigerversammlung im Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite den Gläubigern zugänglich zu machen. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Inhalt der Einberufung (§ 12 Abs. 1 SchVG) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Emittentenbezogene Angaben . . . . . . . . 3. Wertpapierbezogene Angaben . . . . . . . . 4. Versammlungsbezogene Angaben a) Zeit und Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedingungen für die Teilnahme bzw. die Abstimmung . . . . . . . . . . . .

1

2 3 4 5

c) Einberufender . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Publizität der Einberufung (§ 12 Abs. 2 und 3 SchVG) 1. Bekanntmachung der Einberufung a) Bekanntmachung im Bundesanzeiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusätzliche Publikationsformen . . . . c) Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergänzende Publizität im Internet . . . . . IV. Fehler bei der Einberufung. . . . . . . . . .

9

10 11 12 13 14

7

Schrifttum: Bredow/Vogel, Unternehmenssanierung und Restrukturierung von Anleihen – Welche Verbesserungen bringt das neue Schuldverschreibungsrecht?, ZBB 2008, 221; Happ/Freitag, Die Mitternachtsstund’ als Nichtigkeitsgrund?, AG 1998, 493; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Steffek, Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, in FS Hopt 2010, S. 2597.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang 1

Die Vorschrift legt zum Schutz der Anleihegläubiger die Anforderungen an den Inhalt sowie an die Publizität der Einberufung fest. Sie steht damit im engen systematischen Zusammenhang mit den Regelungen der §§ 9 und 10 SchVG über Einberufungsvoraussetzungen und Modalitäten der Einberufung sowie der §§ 13 und 14 SchVG, welche die Anforderungen an die Tagesordnung und die Vertretung der Anleihegläubiger regeln und dabei erneut auf die Einberufung Bezug nehmen. Regelungsvorläufer war § 6 SchVG 1899, der allerdings gänzlich andere Einberufungsmodalitäten (mindestens zweimalige öffentliche Bekanntmachung) vorsah. Regelungszweck ist nach wie vor die Information der – der Emittentin in der Regel

BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, AG 1985, 188 (189); OLG Celle v. 21.5.1997 – 9 U 204/96, NJW-RR 1998, 970.

246

Binder

Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung

Rz. 3 § 12 SchVG

nicht namentlich bekannten und deshalb nicht persönlich einzuladenden1 – Anleihegläubiger über die Möglichkeit der Rechtsausübung in der Gläubigerversammlung und die Voraussetzungen hierfür.2 Diese Funktion erklärt die inhaltlichen Anforderungen an die Einberufung nach § 12 Abs. 1 SchVG (Rz. 2 ff.) ebenso wie die Vorgaben für die Form der Publizität nach § 12 Abs. 2 und 3 SchVG (Rz. 10 ff.) und ist als maßstabsgebendes Kriterium zur Auslegung von Zweifelsfragen heranzuziehen. Auch § 12 SchVG weist Parallelen zu den aktienrechtlichen Bestimmungen für die Einberufung der Hauptversammlung auf (vgl. § 121 Abs. 3 und 4 AktG), so dass teilweise auf die in diesem Zusammenhang entwickelten Auslegungsgrundsätze zurückgegriffen werden kann.3 Teilweise deckungsgleiche Veröffentlichungspflichten enthält § 30b Abs. 2 WpHG, die unberührt bleiben (siehe auch Rz. 10).4

II. Inhalt der Einberufung (§ 12 Abs. 1 SchVG) 1. Überblick Die Einberufung soll die Anleihegläubiger umfassend über die Möglichkeit der Rechtsausübung in der Gläubigerversammlung und die Voraussetzungen dafür informieren (Rz. 1). Erforderlich ist daher eine Reihe emittentenbezogener (Rz. 3), wertpapierbezogener (Rz. 4) und versammlungsbezogener Angaben (Rz. 5 ff.), die in § 12 Abs. 1 SchVG teilweise ausdrücklich verlangt werden, teilweise aus dem Regelungszweck abzuleiten sind. Wie zur Parallelvorschrift in § 121 Abs. 3 AktG5 müssen die Angaben richtig, vollständig und verständlich sein, um den Regelungszweck erfüllen zu können. Die Angaben nach § 12 Abs. 1 SchVG, die nach Maßgabe der § 13 Abs. 2 und § 14 Abs. 1 Satz 2 SchVG ergänzt werden, setzen einen Mindeststandard; Adressat ist insoweit der Einberufende (vgl. § 9 Abs. 1 SchVG). Ergänzende Informationen können nach Maßgabe der Anleihebedingungen6 oder auch ad hoc aufgenommen werden, soweit dies nicht die Verständlichkeit der Ausführungen im Übrigen beeinträchtigt7 oder sonst zu Lasten der Anleihegläubiger ausfällt (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG, siehe auch noch Rz. 8).8

2

2. Emittentenbezogene Angaben § 12 Abs. 1 SchVG verlangt die Angabe der Firma und des Sitzes des Schuldners und entspricht insoweit § 121 Abs. 3 Satz 1 AktG. Auch hier erfüllt die Angabe der Firma (§ 17 Abs. 1 HGB) eine Signalfunktion: Mit der Nennung soll die Aufmerksamkeit der Anleihegläubiger dafür geweckt werden, dass die Bekanntmachung der Einberufung „ihren“ Schuldner und damit ihre Rechte betrifft.9 Daraus folgt wie im Aktienrecht, dass die Firma grundsätzlich – mit Rechtsformzusatz (z.B. nach § 4 AktG) – so anzugeben ist, wie dies dem Handelsregisterein1 Vgl. etwa Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 4; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (57); Steffek in FS Hopt 2010, S. 2597 (2610). 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22. 3 Ebenso Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 1. 4 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 1. 5 Hierzu Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 62; s. auch Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 44 ff. 6 So Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 1. 7 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 121 Abs. 3 AktG entsprechend Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 19; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 62; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 121 AktG Rz. 26. 8 Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 1 f. 9 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 121 Abs. 3 AktG entsprechend Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 20; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 32.

Binder 247

3

§ 12 SchVG Rz. 4 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung trag entspricht, kleinere Abweichungen aber nicht schaden, solange die Emittentin eindeutig identifizierbar ist.10 Auch der (Satzungs-) Sitz der Gesellschaft ist grundsätzlich so anzugeben, wie er im Handelsregister eingetragen ist.11 Bei einem Doppelsitz sind beide Sitze anzugeben.12 Auch insoweit müssen kleinere Ungenauigkeiten außer Betracht bleiben, soweit die Emittentin zweifelsfrei identifizierbar bleibt.13 3. Wertpapierbezogene Angaben 4

§ 12 Abs. 1 SchVG verlangt nicht ausdrücklich Angaben zu den betroffenen Schuldverschreibungen. Deren Aufnahme gebietet allerdings der Regelungszweck (vgl. dazu Rz. 1); nur bei Bezeichnung der Schuldverschreibungen in der Einberufung können die Gläubiger ihre Betroffenheit eindeutig ermitteln.14 Die Angabe kann durch Wiedergabe der auf der Sammelurkunde oder in den Anleihebedingungen enthaltenen oder sonst marktüblichen Bezeichnung bzw. unter Nennung der Wertpapierkennnummer (ISIN/WKN) erfolgen.15 4. Versammlungsbezogene Angaben a) Zeit und Ort

5

Im Hinblick auf die geplante Gläubigerversammlung selbst verlangt § 12 Abs. 1 SchVG ausdrücklich zunächst die Angabe von Zeit und Ort. Die Angabe der Zeit schließt – selbstverständlich – das kalendarische, nicht lediglich das volkstümliche oder mit der Bezeichnung eines Feiertages bestimmte Datum und die Uhrzeit des Beginns der Versammlung ein.16 Nicht gesetzlich geregelt ist, ob daneben auch die voraussichtliche Dauer der Versammlung 10 Dazu Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 20; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 63 f.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 20; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 24.4.1997 – 6 U 20/96, ZIP 1997, 1153 (1160); OLG Hamburg v. 19.9.1980 – 11 U 42/80, AG 1981, 193 (195); enger (keine Abweichungen mit Ausnahme abgekürzter Rechtsformzusätze zulässig) Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 32; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 27 (aber relativierend Rz. 29); für strenge Auslegung auch im Rahmen des § 12 SchVG im Anschluss hieran, aber ohne vertiefte Auseinandersetzung mit der Ratio der Bestimmung auch Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 2. 11 Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 2; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 21; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 25. 12 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 3; Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 1; vgl. für die Parallelvorschrift im Aktienrecht Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 9; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 33; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 66; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 21; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 44; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 25. 13 Vgl. für das Aktienrecht, aber übertragbar OLG Düsseldorf v. 24.4.1997 – 6 U 20/96, ZIP 1997, 1153 (1160); Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 33; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 66. 14 Wie hier im Ergebnis auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 12 SchVG Rz. 7. 15 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 7; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 12 SchVG Rz. 2. 16 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 5; Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 3; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 3; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 1; vgl. für die Parallelvorschrift in § 121 Abs. 3 AktG entsprechend OLG Koblenz v. 26.4.2001 – 6 U 746/95, ZIP 2001, 1093; LG Mainz v. 14.4.2005 – 12 HK O 82/04, AG 2005, 894 (895); Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 21; Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 9; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 34; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 67; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 30.

248

Binder

Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung

Rz. 5 § 12 SchVG

angegeben werden muss. Dies wirkt sich vor allem dann aus, wenn die Gläubigerversammlung um Mitternacht des Einberufungstages noch nicht beendet ist und damit in den Folgetag hinein fortgeführt wird, für den sie nicht einberufen wurde.17 Eine Verpflichtung zur Angabe der voraussichtlichen Dauer wird bislang – in der Regel unter Hinweis auf die (nur vermeintlich klare) Rechtslage sub specie der Parallelvorschrift des § 121 Abs. 3 AktG – für § 12 Abs. 1 SchVG einhellig abgelehnt.18 Im Aktienrecht gilt grundsätzlich Entsprechendes; allerdings ist hier anerkannt, dass die Dauer der Hauptversammlung den Aktionären zumutbar sein und eine Erstreckung auf mehr als einen Tag, soweit vorab absehbar, bereits in der Einberufung angekündigt werden muss.19 Teilweise wird eine derartige Verlängerung der Hauptversammlung ohne vorherige Ankündigung schlechterdings für unzulässig und werden gleichwohl getroffene Beschlüsse für nichtig nach § 241 Nr. 1 AktG gehalten.20 Mit Blick auf Sinn und Zweck der Einberufung (dazu Rz. 1) sollte auch für die Pflichtangaben nach § 12 Abs. 1 SchVG verlangt werden, dass die betroffenen Wertpapierinhaber aus der Einberufung ablesen können, mit welchem zeitlichen und damit ggf. auch logistischen (Notwendigkeit zur Übernachtung etc.) Aufwand sie im Falle der Teilnahme und Ausübung ihrer Rechte zu rechnen haben.21 Dies schließt eine Verpflichtung zu einem entsprechenden Hinweis ein, wenn absehbar ist, dass die geplante Versammlung nicht um Mitternacht beendet werden könnte.22 Auch hier sollte die Terminierung den Anleihegläubigern zumutbar sein, was in der Regel, aber nicht notwendig in jedem Fall die Erstreckung in die Nachtstunden ausschließen sollte.23 Da der Einberufende selbst schon mit Blick auf das nach § 15 Abs. 3 SchVG erforderliche hohe Quorum (dort Rz. 23 ff.) ein großes Interesse an einer möglichst hohen Präsenz haben wird24 und die Interessen insoweit anders gelagert sind als im Aktienrecht, dürfte die praktische Bedeutung dieser Aspekte eher gering bleiben. Dennoch ist den Einberufenden zur Vermeidung von Anfechtungsklagen zu raten, die Versammlungszeit so zu legen, dass eine Ausdehnung in die Nachtzeit vermeidbar ist, und auf erwartbare Verzögerungen ggf. bereits in der Einberufung hinzuweisen. Insofern bietet sich trotz abweichender Interessenlage die bei Hauptversammlungen übliche Praxis eines Beginns um 10:00 Uhr oder 11:00 Uhr als Vorbild an, die in der Regel die An- und Abreise am selben Tag ermöglicht und

17 Vgl. OLG Koblenz v. 26.4.2001 – 6 U 746/95, ZIP 2001, 1093. 18 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 5; Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 3; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 1; wohl auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 3. 19 Vgl. OLG Koblenz v. 26.4.2001 – 6 U 746/95, ZIP 2001, 1093; LG Mainz v. 14.4.2005 – 12 HK O 82/04, AG 2005, 894 (895); Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 9; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 35 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 70; eingehend Happ/Freitag, AG 1998, 493 (495 ff.); vgl. auch Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 30, 33 ff. 20 Vgl. einerseits (Nichtigkeit bejahend) Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 35; andererseits (ablehnend und nach Zumutbarkeit der Verlängerung differenzierend) Noack/ Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 70; nochmals anders (pauschal für Anfechtbarkeit der Beschlüsse) Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 108; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 121 AktG Rz. 35; wohl auch LG Mainz v. 14.4.2005 – 12 HK O 82/04, AG 2005, 894 f.; Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 21; zum Streitstand eingehend Happ/Freitag, AG 1998, 493 (495 ff.). 21 Insoweit ebenso zutreffend wie verallgemeinerungsfähig Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 35. 22 In diese Richtung für § 12 Abs. 1 SchVG auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 5. 23 Insoweit überzeugend wiederum Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 70. 24 Vgl. allgemein Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (228); Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2611).

Binder 249

§ 12 SchVG Rz. 6 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung damit unerwartete und ggf. als unzumutbar einzustufende Ausdehnungen auf den Folgetag vermeiden hilft.25 6

Der Ort der Versammlung ist unter Wiedergabe der vollständigen postalischen Anschrift und ggf. der Bezeichnung des Versammlungsraumes anzugeben.26 Maßgeblich ist mit Blick auf Sinn und Zweck der Einberufung (Rz. 1) – insofern nicht anders als im Aktienrecht27 – auch hier, ob ein vernünftiger Wertpapierinhaber den Versammlungsort aufgrund der bekannt gemachten Angaben ohne Mühe finden kann; dazu reicht in der Regel die Bezeichnung nur mit dem Namen des Versammlungslokals (Messehalle o.Ä.) nicht aus. Wird zulässigerweise ein anderer geographischer Ort als der Satzungssitz der Emittentin gewählt, empfiehlt sich zur Vermeidung von Missverständnissen angesichts der damit verbundenen Abweichung vom gesetzlichen Regelfall ein entsprechender Hinweis in der Einberufung.28 Schon im eigenen Interesse des Einberufenden sollte eine hinreichend große, angemessen ausgestattete Lokalität gewählt werden.29 Der Wechsel des Versammlungsraums nach Einberufung ist (nur) unschädlich, wenn sichergestellt ist, dass die Teilnehmer den neuen Raum unproblematisch nach entsprechenden Hinweisen auffinden und erreichen können; dies wird stets bei einem entsprechend angekündigten Wechsel in einen anderen Raum desselben Gebäudes der Fall sein.30 b) Bedingungen für die Teilnahme bzw. die Abstimmung

7

Ebenfalls ausdrücklich vorgegeben ist in § 12 Abs. 1 SchVG die Angabe der „Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen“. Darunter fallen alle Bedingungen, die zulässigerweise getroffen werden dürfen. § 12 Abs. 1 SchVG statuiert damit keine eigenständige Ermächtigung zur Setzung von Teilnahmebedingungen, sondern bezieht sich auf andernorts geregelte Bedingungen. Konkret anzugeben sind insbesondere eine nach Maßgabe des § 10 Abs. 2 SchVG in den Anleihebedingungen vorgesehene Anmeldeobliegenheit und die in diesem Zusammenhang festgelegten Anmeldemodalitäten (Einzelheiten: § 10 SchVG Rz. 8 ff.) sowie die nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 SchVG festgelegten Legitimationsanforderungen (Einzelheiten: § 10 SchVG Rz. 21 ff.). In diesem Zusammenhang ist ggf. insbesondere auch auf einen festgelegten Record Date (dazu § 10 SchVG Rz. 24) hinzuweisen. Sehen die Anleihebedingungen nach § 16 Abs. 2 SchVG vor, dass auch eine postalische oder elektronische Abstimmung möglich ist, ist darauf ebenfalls hinzuweisen.31 Weitere Pflichtangaben in diesem Zusam25 Vgl. dazu Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 34. 26 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 4; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 1. 27 Zu den dort anerkannten Anforderungen Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 23; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 39; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 75; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 45; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 36 f. 28 Überzeugend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 4. 29 Entsprechend für die Rechtslage nach § 121 Abs. 3 AktG Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 40; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 23; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 45; eingehend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 191. 30 Vgl. entsprechend für die Parallelvorschrift in § 121 Abs. 3 AktG Drinhausen in Hölters, § 121 AktG Rz. 23; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 41; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 45; enger wohl Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 193 (Wechsel nur bei unvorhergesehenen Gründen unzulässig, die eine Nutzung des angekündigten Raums unmöglich machen). 31 Ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 5.

250

Binder

Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung

Rz. 9 § 12 SchVG

menhang folgen aus § 13 Abs. 2 Satz 1 SchVG (Pflicht zur Bekanntmachung der Tagesordnung mit Beschlussvorschlägen zusammen mit der Einberufung, siehe § 13 SchVG Rz. 4 ff.) sowie aus § 14 Abs. 1 SchVG (Vertretungsmöglichkeit und Voraussetzungen für die wirksame Vertretung, siehe § 14 SchVG Rz. 4 ff. bzw. Rz. 12 ff.). § 12 Abs. 1 SchVG ist jedoch dem Wortlaut nach nicht auf in den Anleihebedingungen geregelten Bedingungen beschränkt, sondern bezieht sich auch auf gesetzliche Bedingungen.32 Damit ist auch dann auf das in § 10 Abs. 3 SchVG vorausgesetzte Legitimationserfordernis (§ 10 SchVG Rz. 21) hinzuweisen, wenn die Anleihebedingungen keine abweichenden Regelungen hierzu vorsehen.33 Auch insoweit entspricht die Rechtslage den Anforderungen an die Einberufung der Hauptversammlung bei börsennotierten Gesellschaften nach § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 AktG.34 Inhalt und Qualität der Ausführungen zu den Bedingungen für die Teilnahme und die Ab- 8 stimmung müssen sich am Sinn und Zweck des § 12 SchVG messen lassen, die Anleihegläubiger umfassend über die Möglichkeit der Rechtsausübung und die dafür einzuhaltenden Voraussetzungen zu informieren (siehe Rz. 1 f.). Daraus folgt – nicht anders als zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift für die Einberufung der Hauptversammlung bei börsennotierten Gesellschaften (§ 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 AktG)35 – zunächst, dass die diesbezüglichen Ausführungen die Bedingungen nicht im Wortlaut, sondern inhaltlich zutreffend wiedergeben müssen;36 zur Vermeidung von Rechtsunsicherheit kann gleichwohl die wörtliche Wiedergabe empfehlenswert sein.37 Wie im Aktienrecht für Bedingungen in Satzungsregelungen,38 erfüllen auch hier bloße Verweisungen auf die Anleihebedingungen den Regelungszweck nicht. Mit dem Regelungszweck ohne weiteres vereinbar und sinnvoll sind dagegen Erläuterungen in der Einberufung auch zu solchen Verfahrensmodalitäten, die nicht im strengen Sinne als Bedingung für die Teilnahme bzw. die Abstimmung ausgestaltet sind. Besteht die Gefahr, dass derartige Modalitäten irrig als echte Bedingungen interpretiert werden könnten, ist mit Rücksicht auf den Zweck der Einberufung ein ausdrücklicher Hinweis zu fordern (Beispiel: ein freiwilliges Anmeldeverfahren, dessen Missachtung entgegen dem gesetzlichen Regelfall des § 10 Abs. 2 SchVG aber nicht den Verlust des Teilnahmerechts nach sich ziehen soll, siehe § 10 SchVG Rz. 19). c) Einberufender Nicht ausdrücklich in § 12 Abs. 2 SchVG gefordert sind Angaben zur Person des Einberufenden. Nach § 9 Abs. 3 Satz 3 SchVG wird allerdings vorgeschrieben, dass im Falle der Einberufung durch einen gerichtlich hierzu ermächtigten Gläubiger (Einzelheiten: § 9 SchVG Rz. 30 ff., 35 ff.) in der Einberufung auf die Ermächtigung hinzuweisen ist. Mit Blick auf den Zweck der Einberufung (dazu Rz. 1) ist allerdings auch im Übrigen zu fordern, dass der

32 Richtig Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 6. 33 Wiederum zutr. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 6; ungenau insofern Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 6, der lediglich „sicherheitshalber“ darauf bezogene Angaben empfiehlt. 34 Dazu und zum Hintergrund der Verschärfung der Anforderungen gegenüber dem früheren Recht stellvertretend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 61. 35 Hierzu OLG Stuttgart v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204 (210); Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 10; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 62; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 37; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 58. 36 Wie hier Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 4. 37 Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 37. 38 Dazu Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 10; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 62; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 37; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 58.

Binder 251

9

§ 12 SchVG Rz. 10 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung Einberufende aus der Einberufung ersichtlich ist. Nur dann ist es den Anleihegläubigern möglich festzustellen, ob die einberufende Person die erforderliche Berechtigung hat.39

III. Publizität der Einberufung (§ 12 Abs. 2 und 3 SchVG) 1. Bekanntmachung der Einberufung a) Bekanntmachung im Bundesanzeiger 10

Im Kern wie bereits § 6 SchVG 1899 verzichtet § 12 Abs. 2 SchVG auf eine persönliche Einladung der Anleihegläubiger, die angesichts der Anonymität der Wertpapierinhaber (oben Rz. 1) ohnehin nicht praktikabel wäre,40 und sieht stattdessen in § 12 Satz 1 SchVG die öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger als Regelfall vor. Aufgrund derselben werden die Anleihegläubiger im Regelfall zeitnah durch die Depotbank informiert werden.41 Mit der Bekanntmachung wird die Einberufung erst wirksam, wie sich auch aus den Vorgaben des § 10 Abs. 1 SchVG über die Einberufungsfrist ergibt (vgl. auch § 10 SchVG Rz. 6). Vor diesem Hintergrund geht die in § 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG betonte Notwendigkeit einer unverzüglichen Bekanntmachung ins Leere.42 Nicht überzeugend ist die vereinzelt vertretene These, die Norm verlange damit einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Entschluss zur Einberufung der Gläubigerversammlung und der Bekanntmachung,43 die offenlässt, worin der Sinn einer solchen – zumal sanktionslosen – Vorgabe liegen sollte. Die Bekanntmachungspflicht nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG ist inhaltlich deckungsgleich mit § 30b Abs. 2 Nr. 1 WpHG. Eine doppelte Veröffentlichung ist daher nicht erforderlich.44 Die Vorschrift bezieht sich auf zugelassene Schuldtitel i.S.d. § 30a Abs. 1 Nr. 6 WpHG (Einzelheiten: § 11 SchVG Rz. 6, Kap. 6 Rz. 6.101 ff.) und greift damit unabhängig von der Geltung des SchVG. Sie ordnet die „unverzügliche“ Bekanntmachung von Ort, Zeitpunkt und Tagesordnung der Gläubigerversammlung und „Mitteilungen über das Recht der Schuldtitelinhaber zur Teilnahme daran“ und mithin der auch nach § 12 Abs. 1 SchVG geforderten Informationen an.45 b) Zusätzliche Publikationsformen

11

Neben der Bekanntmachung im Bundesanzeiger können nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG zusätzliche Formen der öffentlichen Bekanntmachung in den Anleihebedingungen vorgesehen werden. Denkbar ist etwa die Übernahme zusätzlicher Publikationspflichten in internationalen Medien, um einem internationalen Anlegerpublikum eine möglichst gute Informations-

39 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 8; Schindele in Preuße, § 12 Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 7. 40 Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 16/18214, 22. 41 Vgl. Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 12 SchVG Rz. 3; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 9; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (57); zur Benachrichtigungspflicht der Depotbanken Nr. 16 der Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte (Fassung vom Juli 2012) und dazu Binder in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, DepotR Rz. 78. 42 Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 12 SchVG Rz. 4; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 11; Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 11. 43 So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 11. 44 So auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 12; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 4. 45 A.A. insoweit Mülbert in Assmann/Uwe H. Schneider, § 30b WpHG Rz. 14, der die nach § 30b Abs. 2 Nr. 1 WpHG erfassten Informationen als inhaltlich weiter gefasst sieht.

252

Binder

Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung

Rz. 13 § 12 SchVG

basis bieten zu können.46 Auch ohne eine derartige Regelung kann die Einberufung allerdings ergänzend zur Publikation im Bundesanzeiger in anderen Medien bekannt gemacht werden.47 Inhaltlich ist dabei den Anforderungen Rechnung zu tragen, die auch an die Pflichtbekanntmachung im Bundesanzeiger gestellt werden.48 Um Anfechtungsrisiken zu entgehen, sind Widersprüche zwischen den einzelnen Bekanntmachungen zu vermeiden.49 c) Kosten Die Kosten aller Bekanntmachungen trägt die Emittentin. Dies gilt auch dann, wenn die 12 Einberufung durch den gemeinsamen Vertreter (vgl. § 9 SchVG Rz. 19) oder durch einen gerichtlich ermächtigten Gläubiger (vgl. § 9 SchVG Rz. 20 ff., 35 ff.) vorgenommen wird. Die Erstattungspflicht der Emittentin in diesen Fällen muss allerdings auf die Kosten für die Veröffentlichung im Bundesanzeiger und für die ggf. nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG in den Anleihebedingungen vorgesehenen zusätzlichen Publikationsmittel beschränkt sein. Ein Erstattungsanspruch für darüber hinausgehende, freiwillige Publizitätswege kommt nicht in Betracht, da die Emittentin nicht durch nicht zwingend veranlasste Publizitätsmaßnahmen belastet werden kann.50 2. Ergänzende Publizität im Internet In Ergänzung zur Bekanntmachungspflicht nach § 12 Abs. 2 SchVG verpflichtet Abs. 3 der Bestimmung die Emittentin zur Veröffentlichung von Einberufung und Teilnahmebedingungen im Internet. Erfasst sind alle nach § 12 Abs. 1 SchVG erforderlichen Informationen und nach § 13 Abs. 2 Satz 2 SchVG überdies die Tagesordnung.51 Die Informationen sind vom Tag der Einberufung an bis zum Tag der Gläubigerversammlung bereitzustellen. Sollte die Emittentin nicht über eine eigene Internetseite verfügen, müssen die Anleihebedingungen eine Internetseite festlegen, auf welcher die Informationen bereitgestellt werden; diese Auffangregelung soll einen entsprechenden Zugang vor allem bei der Emission über Finanzierungsgesellschaften ohne eigene Internetpräsenz sicherstellen.52 Die Regelung greift unabhängig davon ein, ob die Einberufung auf die Emittentin zurückgeht. Diese muss die geforderten Informationen also auch dann im Internet bereitstellen, wenn der gemeinsame Vertreter oder ein gerichtlich ermächtigter Gläubiger die Versammlung einberufen hat.53 § 12 Abs. 3 SchVG überträgt das mit dem ARUG54 in Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie von 200755 eingeführte Modell der verpflichtenden Veröffentlichung wesentlicher Unternehmensdaten im 46 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 13; skeptisch hinsichtlich des Sinns derartiger ergänzender Publikationsformen Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 5. 47 Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 7; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 12; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 5. 48 Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 7; vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 13. 49 Vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 13. 50 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 15. 51 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 13. 52 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses zu § 12 Abs. 3, § 13 Abs. 4 und § 17 Abs. 2 SchVG-E, BTDrucks. 16/13672, 21. 53 Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 14; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 10. 54 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 55 Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. EU Nr. L 184/17, insb. Art. 5 Abs. 3 Buchst. b sowie Abs. 4.

Binder 253

13

§ 12 SchVG Rz. 14 Inhalt der Einberufung, Bekanntmachung Allgemeinen und hauptversammlungsbezogener Informationen im Besonderen (vgl. § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 i.V.m. § 124a AktG) auf das Schuldverschreibungsrecht.56 Die Veröffentlichungspflicht stellt keine öffentliche Bekanntmachung dar und ersetzt diese nicht, sondern soll – ebenso wie §§ 13 Abs. 4, 17 Abs. 2, 19 Abs. 5 SchVG – lediglich den vorhandenen Anleihegläubigern einen erleichterten Zugang zu den Informationen eröffnen.57 Die Internetseite muss deshalb nicht frei zugänglich sein, sondern kann auch in einer Weise verschlüsselt werden, dass nur den Anleihegläubigern der Zugriff ermöglicht wird.58

IV. Fehler bei der Einberufung 14

Verstöße gegen die Anforderungen nach § 12 Abs. 1 SchVG an die inhaltliche Ausgestaltung der Einberufung stellen ebenso wie Verstöße gegen die Publizitätspflichten nach § 12 Abs. 2 und 3 SchVG Anfechtungsgründe i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG dar (siehe § 20 SchVG Rz. 56).

§ 13 Tagesordnung (1) Zu jedem Gegenstand, über den die Gläubigerversammlung beschließen soll, hat der Einberufende in der Tagesordnung einen Vorschlag zur Beschlussfassung zu machen. (2) 1Die Tagesordnung der Gläubigerversammlung ist mit der Einberufung bekannt zu machen. 2§ 12 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend. 3Über Gegenstände der Tagesordnung, die nicht in der vorgeschriebenen Weise bekannt gemacht sind, dürfen Beschlüsse nicht gefasst werden. (3) 1Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, können verlangen, dass neue Gegenstände zur Beschlussfassung bekannt gemacht werden; § 9 Absatz 2 bis 4 gilt entsprechend. 2Diese neuen Gegenstände müssen spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung bekannt gemacht sein. (4) Gegenanträge, die ein Gläubiger vor der Versammlung angekündigt hat, muss der Schuldner unverzüglich bis zum Tag der Gläubigerversammlung im Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite den Gläubigern zugänglich machen. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Tagesordnung mit Beschlussvorschlägen (§ 13 Abs. 1 und 2 SchVG) 1. Verantwortlichkeit und inhaltliche Gestaltung a) Tagesordnung

1

aa) Pflicht zur Aufstellung, Inhalt . . bb) Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . b) Beschlussvorschläge aa) Pflicht zur Aufstellung, Inhalt . . bb) Eventual- und Alternativvorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Keine Bindungswirkung . . . . . . .

2 3 4 5 6

56 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22. 57 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 15; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 7. 58 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 15; Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 8; Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 7.

254

Binder

Tagesordnung 2. Bekanntmachung der Tagesordnung . . . 7 III. Ergänzungsverlangen von Gläubigern und Bekanntmachung (§ 13 Abs. 3 SchVG) 1. Recht einer qualifizierten Minderheit auf Ergänzung der Tagesordnung a) Regelungsgegenstand. . . . . . . . . . . . . 9 b) Rechtsnatur und Form . . . . . . . . . . . 10 c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 d) Verfahren und Bekanntmachung; Rücknahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Rz. 1 § 13 SchVG

e) Pflicht zur Aufnahme auf die Tagesordnung und Schranken aa) Rechtspflicht des Einberufenden bb) Insbesondere: Rechtsmissbrauch cc) Prüfungsbefugnis des Einberufenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gerichtliche Durchsetzung. . . . . . . . . . . IV. Gegenanträge von Gläubigern (§ 13 Abs. 4 SchVG). . . . . . . . . . . . . . . . V. Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 15 16 17 19 20

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845; Arnold/Carl/Götze, Aktuelle Fragen bei der Durchführung der Hauptversammlung, AG 2001, 349; Bertelmann/Schönen, Gläubigerrechte und Emittentenpflichten bei der Abstimmung ohne Versammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 353; Halberkamp/Gierke, Das Recht der Aktionäre auf Einberufung einer Hauptversammlung, NZG 2004, 494; Horn, Änderungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung nach dem Referentenentwurf zum ARUG, ZIP 2008, 1558; Kocher, Zur Bedeutung von Beschlussvorschlägen der Verwaltung für die Fassung und Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, AG 2013, 406; Mertens, Das Minderheitsrecht nach § 122 Abs. 2 AktG und seine Grenzen, AG 1997, 481; Paschos/Goslar, Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG), AG 2009, 14; Reger, Keine Pflicht des Vorstands zur Ablehnung rechtsmissbräuchlicher Einberufungsverlangen, NZG 2013, 536; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleihenrestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016, 997; Steffek, Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, in FS Hopt 2010, S. 2597; von Nussbaum, Neue Wege zur Online-Hauptversammlung durch das ARUG, GWR 2009, 215; Wieneke, Beschlussfassung der Hauptversammlung in Abweichung von den Vorschlägen der Verwaltung, in FS Schwark 2009, S. 305.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang Die Vorschrift regelt Anforderungen an die Tagesordnung als Grundlage für die Beschluss- 1 fassung in der Gläubigerversammlung sowie die Voraussetzungen für eine Änderung der Tagesordnung auf Antrag von Gläubigern. Regelungsvorläufer ist § 7 SchVG 1899, der insbesondere die Ankündigung des „Zwecks“ der Gläubigerversammlung mit der Einberufung verlangte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG 1899) und anordnete, dass Beschlüsse nur über zuvor angekündigte Gegenstände gefasst werden durften (§ 7 Abs. 2 SchVG 1899). § 13 SchVG entwickelt diese Regelungen fort, ist dabei aber – entsprechend der allgemeinen Tendenz zur Annäherung der Vorschriften über die Gläubigerversammlung an die Organisationsverfassung der Hauptversammlung in der AG (dazu § 9 SchVG Rz. 3 ff.) – stark an die Vorschriften der §§ 121 Abs. 3 Satz 2, 122 Abs. 2, 124 Abs. 1 und Abs. 4 AktG angenähert, so dass teilweise auf die hierzu entwickelten Auslegungsgrundsätze zurückgegriffen werden kann.1 Wie im Aktienrecht2 richtet sich der Regelungszweck auf die rechtzeitige Information der Wertpapierinhaber über den voraussichtlichen Ablauf der Versammlung und die dort zu verhandelnden Ge1 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 1; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 1; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 1; insoweit zu pauschal Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 3, wonach die „weiteren Kriterien des Aktienrechts für Beschlussgegenstand und Beschlussvorschlag“ aufgrund des anders gelagerten Sachzusammenhangs nicht übertragbar seien. 2 Vgl. zu § 124 AktG Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 1; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG Rz. 1; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 124 AktG Rz. 2; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 1; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 1.

Binder 255

§ 13 SchVG Rz. 2 Tagesordnung genstände, damit diese sich rechtzeitig und sachgerecht auf die Versammlung und die Ausübung ihrer Rechte vorbereiten können.3 Wiederum wie in § 124 AktG unterscheidet das Gesetz systematisch zwischen der Tagesordnung als solcher, welche die Beschlussgegenstände festlegt, und den Beschlussvorschlägen. § 13 Abs. 1 SchVG verpflichtet den Einberufenden, zu jedem Beschlussgegenstand in der Tagesordnung einen Beschlussvorschlag zu machen (Rz. 2 ff.). § 13 Abs. 2 SchVG verlangt sodann die Bekanntmachung der Tagesordnung mit der Einberufung (Rz. 7 f.). § 13 Abs. 3 SchVG regelt die Aufnahme weiterer Beschlussgegenstände auf Antrag von Gläubigern (Rz. 9 ff.). § 13 Abs. 4 SchVG schließlich statuiert zusätzliche Bekanntmachungspflichten der Emittentin bei Gegenanträgen von Gläubigern (Rz. 19). Die Vorschrift ergänzt damit die Pflichten nach §§ 10 und 12 SchVG und komplettiert die dort vorgesehenen Anforderungen an die Information der Gläubiger im Vorfeld der Gläubigerversammlung.

II. Tagesordnung mit Beschlussvorschlägen (§ 13 Abs. 1 und 2 SchVG) 1. Verantwortlichkeit und inhaltliche Gestaltung a) Tagesordnung aa) Pflicht zur Aufstellung, Inhalt 2

Die Erstellung der Tagesordnung ist, auch wenn sich § 13 Abs. 1 SchVG dem Wortlaut nach nur auf die Vorlage von Beschlussvorschlägen bezieht, Aufgabe des Einberufenden und damit je nach Sachverhaltskonstellation (vgl. § 9 SchVG Rz. 17 ff.) der Emittentin, des gemeinsamen Vertreters oder gerichtlich ermächtigter Gläubiger.4 Inhaltliche Anforderungen an die Gestaltung der Tagesordnung legt das Gesetz selbst nicht fest. Sie lassen sich jedoch – insoweit wie bei der Parallelvorschrift des § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG für die Einberufung der Hauptversammlung der AG5 – aus der Informationsfunktion (Rz. 1) ableiten:6 Die Tagesordnung muss danach zumindest die Beschlussgegenstände in einer Weise identifizieren, dass bereits mit der Einberufung erkennbar wird, worüber genau verhandelt und beschlossen werden soll.7 Ebenso wie bei der Einberufung der Hauptversammlung der AG wird den Wertpapierinhabern damit erst die Informationsbasis verschafft, welche eine sachgerechte Entscheidung über die Teilnahme und die voraussichtliche Art und Weise der Stimmrechtsausübung im Vorfeld der Entscheidung erlaubt. Daraus folgt auch hier, dass die Tagesordnung die Beratungs- und Beschlussgegenstände zumindest schlagwortartig konkret kennzeichnen und die beabsichtigte Reihenfolge ihrer Behandlung angeben muss.8 Nicht ausreichend ist lediglich ein Hinweis auf eine geplante „Änderung der Anleihebedingungen“ oder einen 3 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 1; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 1; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 1; entsprechend bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22. 4 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 2; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 1. 5 Vgl. etwa Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 46; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 121 AktG Rz. 41. 6 Insofern unpräzise Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 3. 7 Zutr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 2; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002 f.). 8 Vgl. für § 123 Abs. 3 Satz 2 AktG Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 77, 79; s. auch OLG Stuttgart v. 23.1.1995 – 5 U 117/94, AG 1995, 283 (284); für § 13 SchVG insoweit übereinstimmend auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 2; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 1; vgl. auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 13 SchVG Rz. 2.

256

Binder

Tagesordnung

Rz. 3 § 13 SchVG

„Sanierungsbeitrag der Anleihegläubiger“, da daraus nicht zu entnehmen ist, wie und in welchem Ausmaß in Rechte der Gläubiger eingegriffen werden soll.9 Eine hinreichende Konkretisierung kann sich allerdings auch aus der Verbindung des Tagungsordnungspunkts mit dem im Zusammenhang damit bekannt gemachten Beschlussvorschlag (dazu Rz. 3) ergeben.10 Eine Begründungspflicht für die Aufnahme oder Nichtaufnahme von Tagesordnungspunkten ist nicht vorgesehen und lässt sich auch aus dem Regelungszweck nicht ableiten; sie besteht auch dann nicht, wenn Tagesordnungspunkte auf Verlangen einer qualifizierten Minderheit von Gläubigern aufgenommen wurden.11 bb) Bindungswirkung Die Tagesordnung löst nach § 13 Abs. 2 Satz 3 SchVG insofern negative Bindungswirkung12 3 aus, als in der Gläubigerversammlung nur Beschlüsse über die ordnungsgemäß bekannt gemachten Gegenstände gefasst werden dürfen13 (zu den Rechtsfolgen von Fehlern insoweit Rz. 20). Dies soll nach vereinzelt vertretener Auffassung allerdings dann nicht gelten, wenn der Einberufende unbeabsichtigt einen für das Gläubigerinteresse wesentlichen Beschlussgegenstand nicht auf die Tagesordnung genommen hat und dessen Aufnahme auch nicht von einer qualifizierten Minderheit nach Maßgabe des § 13 Abs. 3 SchVG gefordert worden ist. Für derartige Fälle wird vorgeschlagen, es dem Einberufenden in teleologischer Reduktion des § 13 Abs. 2 Satz 3 SchVG freizustellen, innerhalb des Zeitraums des § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG die Möglichkeit zu einem entsprechenden Nachtrag zu geben. Dieser müsse mit einem Beschlussvorschlag gekoppelt werden, um die Notwendigkeit einer neuen Einberufung der Gläubigerversammlung zu vermeiden.14 Ob ein praktisches Bedürfnis hieran wirklich besteht, erscheint allerdings zweifelhaft. Zudem würde damit die an sich eindeutige Gesetzeslage durchbrochen, die Rechtssicherheit für alle zur Einberufung berechtigten Akteure ebenso wie für die (übrigen) Anleihegläubiger schafft. Schon deshalb ist ein derartiges „Nachreichen“ von Tagesordnungspunkten und Beschlussanträgen nicht empfehlenswert und den Einberufenden zur sorgfältigen Vorbereitung der Einberufung und Tagesordnung zu raten. Wie im Aktienrecht15 ist zugleich von positiver Bindungswirkung auszugehen, so dass jeder angekündigte Tagesordnungspunkt in der Gläubigerversammlung auch tatsächlich behandelt werden muss.16 Eine darüber hinausgehende Bindungswirkung besteht jedoch nicht. Inhaltlich bezieht sich die negative Bindungswirkung ausschließlich auf die in der Tagesordnung bekannt gemachten Beschlussgegenstände, nicht auf die in Verbindung damit unterbreiteten Beschlussvorschläge (Rz. 6). Unproblematisch sind Abweichungen von der in der Tagesordnung festgelegten Reihenfolge der Beschlussgegenstände – nicht anders als bei der Hauptversammlung der AG17 – zulässig, so dass der Versammlungsleiter sachgerecht auf den dynamischen Versammlungsablauf reagieren kann (siehe auch § 15 SchVG Rz. 7). Anträge zur 9 Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 13 SchVG Rz. 3; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 2. 10 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 2. 11 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 2; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002); für die Tagesordnung der Hauptversammlung der AG ebenso Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 124 AktG Rz. 17; für die Gesellschafterversammlung bei der GmbH BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, BB 1962, 110. 12 Vgl. für das Aktienrecht Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 45; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 82. 13 Wie hier Seibt, ZIP 2016, 997 (1005). 14 So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 8. 15 Vgl. Kubis MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 45; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 107; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 82; Rieckers in Spindler/Stilz, § 121 AktG Rz. 26. 16 Seibt, ZIP 2016, 997 (1005). 17 Vgl. OLG Frankfurt v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, AG 2011, 36 (41); Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 23; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 137; Mülbert in Großkomm/AktG,

Binder 257

§ 13 SchVG Rz. 4 Tagesordnung Geschäftsordnung sind ebenfalls nicht von der negativen Bindungswirkung erfasst und unabhängig von einer vorherigen Bekanntmachung zulässig.18 Ebenso bekanntmachungsfrei müssen Anträge zu Gegenständen sein, die ohne Beschlussfassung nur verhandelt werden sollen.19 Die Aufnahme derartiger reiner Beratungsgegenstände wird durch Wortlaut und Systematik des § 13 Abs. 1 SchVG nicht ausgeschlossen oder eingeschränkt. Sie kann nicht zuletzt dann sinnvoll sein, wenn von vornherein eine Fortsetzung der Gläubigerversammlung zu einem späteren Termin ins Auge gefasst wird, bis zu dem die Entscheidungsgrundlagen für die einzelnen Beschlüsse weiter aufgeklärt werden sollen. Die Zulässigkeit derartiger Beratungsgegenstände muss sich allerdings am Zweck der Gläubigerversammlung messen lassen, die Beschlussfassung über Änderungen der Anleihebedingungen vorzubereiten (vgl. § 9 SchVG Rz. 1, 6 ff.). Dies schließt eine allgemeine Aussprache über die wirtschaftliche Situation der Emittentin ebenso aus wie die Beratung über etwaige Haftungssanktionen gegen Geschäftsleitungs- oder Aufsichtsorgane oder Gesellschafter der Emittentin, die dieser selbst und nicht der Gläubigergesamtheit zustehen, von den dazu berufenen Organen der Emittentin geltend zu machen sind und von vornherein nicht in die Kompetenz der Anleihegläubiger fallen. b) Beschlussvorschläge aa) Pflicht zur Aufstellung, Inhalt 4

Die vorgeschriebene Angabe der Beschlussvorschläge bereitet die Abstimmung (vgl. § 16 Abs. 1 und 2 SchVG) inhaltlich vor. Nach § 13 Abs. 1 SchVG ist für jeden Beschlussgegenstand verpflichtend ein Beschlussvorschlag zu unterbreiten. Dieser ist – entsprechend der Rechtslage für die Parallelvorschrift in § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG für die Einberufung der Hauptversammlung der AG – in der Tagesordnung zu formulieren und damit rechtlich Bestandteil derselben.20 Adressat der Pflicht ist ausdrücklich der Einberufende. Sie gilt dem Wortlaut nach auch dann, wenn der Beschlussgegenstand auf Verlangen einer Gläubigermehrheit bekannt gemacht wird (§ 13 Abs. 3 SchVG, vgl. Rz. 9 ff.); eine dem § 124 Abs. 3 Satz 3, Alt. 2 AktG entsprechende Ausnahme sieht § 13 SchVG nicht vor. Für eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Regelung bzw. eine teleologische Reduktion des § 13 Abs. 1 SchVG ist mangels Planwidrigkeit der Abweichung kein Raum.21 Die vorgeschriebenen Beschlussvorschläge sind keine Beschlussanträge, die erst in der Gläubigerversammlung selbst gestellt werden können.22 Beschlussvorschläge müssen gleichwohl bereits eine konkrete Empfehlung in Gestalt eines – mit Ja oder Nein abstimmungsfähigen – Beschlussantrags formulieren.23 Dies folgt aus Wortlaut und Regelungszweck. Von einem „konkreten“ Vorschlag, der eine sachgerechte Vorbereitung der Teilnahme an der Gläubigerversammlung

18 19

20 21 22 23

4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 108; Wicke in Spindler/Stilz, § 119 AktG Anh. Rz. 7; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 70; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (528 f.). Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 6; vgl. entsprechend für die Hauptversammlung der AG Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 124 AktG Rz. 84. Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 6; vgl. für die Hauptversammlung der AG entsprechend Hüffer/ Koch, § 124 AktG Rz. 29; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 124 AktG Rz. 112; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 87; vgl. auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG Rz. 64. Vgl. für die Rechtslage im Aktienrecht Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 16; a.A insoweit Drinhausen in Hölters, § 124 AktG Rz. 15. Überzeugend Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 13 SchVG Rz. 5; im Ergebnis übereinstimmend Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 3. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob SchVG § 13 SchVG Rz. 2. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 2; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 2; Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 13 SchVG Rz. 4; für die Parallelvorschrift des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG entspr. Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 17.

258

Binder

Tagesordnung

Rz. 5 § 13 SchVG

und der Abstimmung selbst ermöglicht, kann nur gesprochen werden, wenn sich die Anleihegläubiger auf den Wortlaut der Beschlussanträge und damit die vorgesehenen Eingriffe in die Gläubigerrechte vorab verlässlich einstellen können (siehe bereits Rz. 1). Nur dann sind ihnen überdies, wenn sie nicht selbst teilnehmen können oder wollen, feste Weisungen an einen Stimmrechtsvertreter (vgl. § 14 SchVG) möglich.24 Dies setzt voraus, dass der Beschlussvorschlag den angestrebten neuen Wortlaut der Anleihebedingungen wiedergibt.25 Keine Verpflichtung besteht dagegen zum Abdruck des dadurch zu ändernden bisherigen Wortlauts der Anleihebedingungen, auch wenn dies im Interesse der Übersichtlichkeit oft sinnvoll sein wird.26 Ebenso wenig ist eine Verpflichtung zur Begründung der Beschlussvorschläge vorgesehen, die ebenfalls häufig – z.B. in Gestalt von Erläuterungen zur wirtschaftlichen Situation der Emittentin oder der verbrieften Risikopositionen – sinnvoll sein wird.27 Während sich die Emittentin in den Anleihebedingungen verpflichten kann, etwaige künftige Beschlussvorschläge nach § 13 Abs. 1 SchVG zu begründen, wäre eine derartige Festlegung zu Lasten des gemeinsamen Vertreters oder einer qualifizierten Gläubigermehrheit als Verschlechterung gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Rechtslage wegen § 5 Abs. 2 Satz 1 SchVG unzulässig.28 bb) Eventual- und Alternativvorschläge Nicht anders als nach der Parallelvorschrift in § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG sind sowohl bedingte oder Eventualvorschläge als auch Alternativvorschläge zulässig.29 Eventualvorschläge werden für den Fall unterbreitet, dass ein anderer Beschlussantrag die erforderliche Mehrheit gefunden oder nicht gefunden hat oder dass sich die für die Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage bis zum Versammlungstag geändert hat; sie sind – unproblematisch – zulässig, weil auch hier eine hinreichende Vorbereitung ohne weiteres möglich ist.30 Alternativvorschläge dagegen legen gleichrangige Beschlussalternativen vor. Auch auf sie können sich die Anleihegläubiger angemessen einstellen, weshalb sie ebenfalls mit Sinn und Zweck der Regelung vereinbar sind.31 24 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG OLG Frankfurt v. 24.6.2009 – 23 U 90/07, AG 2009, 542 (546); Drinhausen in Hölters, § 124 AktG Rz. 14; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG Rz. 35; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 26; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 17; abw., aber nicht überzeugend OLG München v. 12.11.2008 – 7 W 1775/08, AG 2009, 589 (591). 25 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 2. 26 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 3; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 3. 27 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 3; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 4; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 3. 28 Backmann in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 4; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 5. 29 Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 13 SchVG Rz. 4; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 3. 30 Vgl. Drinhausen in Hölters, § 124 AktG Rz. 14; Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 17; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG Rz. 36; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 124 AktG Rz. 76; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 37; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 18; wohl auch Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 124 AktG Rz. 61. 31 Vgl. für das Aktienrecht entsprechend OLG Frankfurt v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, AG 2011, 36 (41); Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 17; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG Rz. 36; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 124 AktG Rz. 61; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 124 AktG Rz. 37; a.A. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 19; dem zust. Herrler in Grigoleit, § 124 AktG Rz. 11; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 124 AktG Rz. 19.

Binder 259

5

§ 13 SchVG Rz. 6 Tagesordnung cc) Keine Bindungswirkung 6

Im Unterschied zur Tagesordnung (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 3 SchVG und dazu Rz. 3) sieht das Gesetz für die Beschlussvorschläge keine Bindungswirkung vor. Der Einberufende ist daher dem Wortlaut nach nicht gehindert, die in der Tagesordnung unterbreiteten Beschlussvorschläge fallenzulassen, abzuändern oder durch neue Vorschläge zu ersetzen.32 Ungeschriebene Schranken der Dispositionsfreiheit des Einberufenden ergeben sich jedoch aus dem Informationszweck des § 13 SchVG sowie dem allgemeinen Verbot rechtsmissbräuchlichen Verhaltens. Danach steht dem Einberufenden zwar der Verzicht auf einen ursprünglich angekündigten und bekannt gemachten Beschlussantrag uneingeschränkt frei. Inhaltliche Abweichungen von den veröffentlichten Beschlussvorschlägen im Übrigen sind dagegen mit der h.M. – ungeachtet der im Aktienrecht zunehmend umstrittenen Rechtslage33 – nur bei Vorliegen eines zwischenzeitlich eingetretenen sachlichen Grundes zuzulassen.34 Anderenfalls würde der Informationszweck der Vorschrift konterkariert, weil damit der Wert der Bekanntmachung als Basis für die informierte Entscheidungsvorbereitung der Anleihegläubiger beeinträchtigt würde und Irrtümer über die bekannt gemachten Beschlussgegenstände begünstigt würden. 2. Bekanntmachung der Tagesordnung

7

Nach § 13 Abs. 2 SchVG ist die Tagesordnung mit der Einberufung der Gläubigerversammlung bekannt zu machen. Insofern weicht die Rechtslage von der aktienrechtlichen Parallelvorschrift in § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG ab, welche die Einbeziehung der Tagesordnung als Pflichtbestandteil der Einberufung vorschreibt.35 Die Tagesordnung für die Gläubigerversammlung ist damit nicht im Rechtssinne Bestandteil der Einberufung und daher nicht zwingend mit ihr in einem einheitlichen Dokument zusammenzufassen. Sie muss aber zeitlich und inhaltlich – etwa durch eine Verweisung in der Einberufung auf die Tagesordnung – jedenfalls mit ihr verknüpft werden.36 Adressat auch der Pflicht zur Bekanntmachung ist der Einberufende, nicht der Schuldner.37 Die Bekanntmachungspflicht komplettiert die Informationsfunktion der Tagesordnung und die Pflicht zur Unterbreitung von Beschlussvorschlägen nach § 13 Abs. 1 SchVG (vgl. Rz. 1 f.).38 Erst mit der Bekanntmachung werden den Anleihegläubigern die für ihre Entscheidung über die Teilnahme und die Vorbereitung der 32 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 4; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 5; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 3 und 6. 33 Entsprechend wie hier für § 124 AktG Drinhausen in Hölters, § 124 AktG Rz. 11; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG AktG Rz. 45; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 78 f.; Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349 (355); a.A. insoweit allerdings etwa OLG Hamm v. 28.2.2005 – 8 W 6/05, AG 2005, 361 (363); Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 17; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 124 AktG Rz. 62; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 26; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 124 AktG Rz. 80 f.; Kocher, AG 2013, 406 (410); Wieneke in FS Schwark 2009, S. 305 (312 f.). 34 Wie hier Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 4; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 5; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 3; a.A. nunmehr Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 5. 35 Vgl. für § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 43; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 121 AktG Rz. 77. 36 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 4. 37 Richtig Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 6; Wasmann/Steber, § 13 SchVG Rz. 6; a.A. noch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 13 SchVG Rz. 2. 38 Vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 6.

260

Binder

Tagesordnung

Rz. 9 § 13 SchVG

Versammlung benötigten Informationen zur Verfügung gestellt.39 Die (negative) Bindungswirkung der Tagesordnung hinsichtlich der veröffentlichten Beschlussgegenstände nach § 13 Abs. 2 Satz 3 SchVG (s. Rz. 3 und 6) knüpft daher folgerichtig an die Bekanntmachung und nicht die Einberufung als solche an. Zugleich schafft erst die Bekanntmachung die Voraussetzungen für die Einreichung eigener Beschlussvorschläge der Gläubiger nach § 13 Abs. 3 SchVG sowie die Ankündigung von Gegenanträgen nach § 13 Abs. 4 SchVG.40 Zu den Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern siehe Rz. 20. Für die Form der Bekanntmachung gelten kraft der Verweisung in § 13 Abs. 2 Satz 2 SchVG 8 die Vorgaben aus § 12 Abs. 2 und 3 SchVG entsprechend. Damit ist die Tagesordnung mit der Einberufung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG, siehe § 12 SchVG Rz. 10). Die Anleihebedingungen können auch insoweit weitere Veröffentlichungsformen vorsehen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG, siehe § 12 SchVG Rz. 11). Die Kosten der Bekanntmachung sind in jedem Fall von der Emittentin zu tragen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG, siehe § 12 SchVG Rz. 12). Ergänzend muss die Emittentin die Tagesordnung einschließlich der Beschlussvorschläge vom Tag der Einberufung an bis zum Tag der Gläubigerversammlung unter ihrer Adresse bzw. hilfsweise unter der in den Anleihebedingungen angegebenen Adresse im Internet bereitstellen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 2 Satz 3 SchVG, siehe § 12 SchVG Rz. 13).

III. Ergänzungsverlangen von Gläubigern und Bekanntmachung (§ 13 Abs. 3 SchVG) 1. Recht einer qualifizierten Minderheit auf Ergänzung der Tagesordnung a) Regelungsgegenstand § 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG entwickelt das bereits in § 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 SchVG 1899 vorgesehene Recht einer qualifizierten Minderheit fort, die Erweiterung der Tagesordnung um neue Beschlussgegenstände zu verlangen. Berechtigt hierzu ist wie nach früherem Recht eine Minderheit, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen ausmachen (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG). Neu sind die Beschlussgegenstände, wenn sie in der Tagesordnung nicht berücksichtigt wurden.41 Die Regelung entspricht strukturell jener des § 122 Abs. 2 AktG für die Hauptversammlung der AG, weicht aber inhaltlich nicht unwesentlich davon ab. Wie die aktienrechtliche Parallelvorschrift ergänzt sie das Recht einer qualifizierten Minderheit, die Einberufung der Versammlung zu veranlassen (hier: § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG, vgl. § 122 Abs. 1 AktG), um das Recht, nach Einberufung eine Erweiterung der Tagesordnung herbeizuführen. Nicht anders als § 9 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2-4 SchVG (siehe § 9 SchVG Rz. 20 ff.) gewährleistet die Vorschrift damit innerhalb der tatbestandlich gezogenen Grenzen eine Art „Waffengleichheit“ zwischen dem Einberufenden und einer qualifizierten Gläubigermehrheit.

39 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 4. 40 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 6; Wasmann/Steber, § 13 SchVG Rz. 7. 41 Ungenau Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7 („wenn eine Berücksichtigung … in der Tagesordnung nicht mehr möglich war“).

Binder 261

9

§ 13 SchVG Rz. 10 Tagesordnung b) Rechtsnatur und Form 10

Wie zur Parallelvorschrift des § 122 Abs. 2 AktG42 ist das Ergänzungsverlangen als rechtsgeschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, auf welche die Regeln über die Willenserklärung entsprechende Anwendung finden. Im Unterschied zur aktienrechtlichen Rechtslage, für die sich das Schriftformerfordernis aus der Verweisung auf § 122 Abs. 1 AktG ergibt,43 ist für das Ergänzungsverlangen nach § 13 Abs. 3 SchVG keine Form vorgeschrieben. Dies wird teilweise als redaktionelles Versehen eingestuft, wofür immerhin spricht, dass die Gesetzesbegründung ausdrücklich sowohl die Parallele zu § 122 AktG betont als auch auf § 7 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 SchVG 1899 hinweist, die ebenfalls Schriftform vorsahen.44 Ob deshalb – etwa im Wege der Analogie zu § 122 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AktG – auch für das Ergänzungsverlangen nach § 13 Abs. 3 SchVG Schriftform verlangt werden sollte, erscheint gleichwohl nicht zwingend, zumal die Vorschrift auch im Übrigen keineswegs vollständig deckungsgleich mit der aktienrechtlichen Regelung ausgestaltet ist. In der Praxis werden Ergänzungsverlangen allerdings schon aus Dokumentationsgründen ohnehin sinnvollerweise stets schriftlich bzw. per Telefax oder E-Mail eingereicht werden.45 Nachdem es an einer klaren gesetzlichen Regelung jedenfalls fehlt, müssen – vorbehaltlich einer künftigen gesetzlichen Klarstellung46 – sämtliche dieser Alternativen ausreichen; insbesondere mit Blick auf die engen Fristen (Rz. 13) muss die elektronische Übermittlung genügen.47 c) Inhalt

11

Inhaltlich muss das Ergänzungsverlangen die erforderliche Mehrheit ebenso wie im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG nachweisen48 und zum Ausdruck bringen, welche neuen Beschlussgegenstände die qualifizierte Minderheit in die Tagesordnung aufnehmen lassen will.49 Im Unterschied zu § 122 Abs. 2 AktG verlangt § 13 Abs. 3 SchVG weder die weitere Konkretisierung des Ergänzungsverlangens durch eine Begründung noch die Unterbreitung eines eigenen, darauf bezogenen Beschlussvorschlags. Eine derartige Pflicht kann wegen § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG auch in den Anleihebedingungen nicht wirksam vorgesehen werden.50 Gleichwohl sind sowohl eine Begründung als auch ein Beschlussvorschlag für den neuen Be-

42 Dafür OLG Düsseldorf v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264 (265); die dort genannten Literaturfundstellen beziehen sich sämtlich nicht auf das Ergänzungsverlangen. 43 Vgl. Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 18 i.V.m. Rz. 9; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 30; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 40; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 36; weniger streng Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 47 (auch Telefax oder E-Mail ausreichend). 44 So Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 9, und noch Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 13 SchVG Rz. 3; a.A. Schindele in Preuße SchVG § 13 SchVG Rz. 7; jetzt auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 8. 45 Schindele in Preuße SchVG § 13 Rz. 7; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 9; im Ergebnis wie hier auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 8 vgl. auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 13 SchVG Rz. 3. 46 Diese fordernd Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (847). 47 Ebenso Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 13 SchVG Rz. 3: Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (354). 48 Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 13 SchVG Rz. 3; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 6; Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (355). 49 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7. 50 Backmann in Veranneman, 1. Aufl., § 13 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 10.

262

Binder

Tagesordnung

Rz. 12 § 13 SchVG

schlussgegenstand sinnvoll, um den Anleihegläubigern im Vorfeld die zu ihrer Entscheidungsfindung erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen.51 Im Unterschied zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift des § 122 Abs. 2 AktG (i.d.F. des ARUG52) bezieht sich § 13 Abs. 3 SchVG ausdrücklich ausschließlich auf die Aufnahme neuer Beschlussgegenstände. Dem Wortlaut nach kann damit anders als im Aktienrecht53 nicht die Aufnahme beschlussloser Beratungsgegenstände verlangt werden. Die Zulässigkeit derartiger Begehren ist bislang für die Gläubigerversammlung – ob in erweiternder Auslegung des § 13 Abs. 3 SchVG oder in Analogie zu § 122 Abs. 2 AktG – nicht diskutiert worden. Für sie spricht zwar, dass der Einberufende selbst auch hier nicht gehindert ist, bloße Beratungsgegenstände auf die Tagesordnung zu setzen (dazu Rz. 3). Vor diesem Hintergrund trüge die Zulassung darauf gerichteter Erweiterungsbegehren letztlich dem Gebot der „Waffengleichheit“ zwischen Einberufendem und qualifizierter Minderheit Rechnung, welches sowohl die Möglichkeit des Einberufungsverlangens nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG und dessen Absicherung in § 9 Abs. 2 und 3 SchVG (dazu § 9 SchVG Rz. 20 ff., 35 ff.) als auch die damit korrespondierende Möglichkeit des Ergänzungsverlangens nach § 13 Abs. 3 SchVG (Rz. 9) umsetzen sollen. Gegen diese Erwägungen streiten aber nicht nur der eindeutige, von § 122 Abs. 2 AktG abweichende Gesetzeswortlaut, sondern auch Systematik und Telos. Die Erweiterung der aktienrechtlichen Regelung, die vor dem ARUG ebenfalls ausschließlich auf Beschlussgegenstände bezogene Minderheitenverlangen zugelassen hatte, beruhte auf Art. 6 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 Satz 1 der EU-Aktionärsrechterichtlinie von 2007, der diese Erweiterung ausdrücklich vorschreibt.54 Sie erklärt sich damit aus dem unionsrechtlichen Bestreben, die Beteiligungsmöglichkeiten der Aktionäre an der Hauptversammlung zu ergänzen und zu verbessern, um die Kontrolle der Verwaltung durch die Gesamtheit der Aktionäre im Interesse einer besseren internen Corporate Governance in der AG zu effektuieren.55 Auch der Spielraum für Ergänzungsverlangen nach dieser aktienrechtlichen Regelung ist allerdings nicht unbeschränkt; vielmehr kann zulässigerweise nur die Aufnahme solcher Beratungsgegenstände begehrt werden, die überhaupt in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen.56 Vergleicht man die Regelung des § 13 Abs. 3 SchVG mit diesem Regelungsvorbild, ist vor allem die gegenüber der Hauptversammlung andere Funktion der Gläubigerversammlung zu berücksichtigen. Sie dient nicht der Kontrolle der Verwaltung der Emittentin, sondern der Beratung und Beschlussfassung über Änderungen der Anleihebedingungen, wie sich aus der Gesamtschau der §§ 5, 9 und 13 SchVG ergibt (vgl. § 9 SchVG Rz. 1, 6 ff.). Damit ist die Kompetenz der Gläubigerversammlung von vornherein auf die Behandlung entsprechender Änderungsvorschläge beschränkt. Die hierauf bezogenen Mitwirkungsrechte (vgl. § 9 SchVG Rz. 11, § 16 SchVG Rz. 3 ff.) stellen ebenso wie die in § 13 Abs. 3 und 4 SchVG geregelten Vorgaben sicher, dass die Gläubiger in diesem Zusammen51 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 10. 52 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 53 Vgl. für § 122 Abs. 2 AktG stellvertretend Drinhausen in Hölters, § 122 AktG Rz. 18; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 31; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 63; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 31; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 44. 54 Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. EU Nr. L 184/17, insb. Art. 5 Abs. 3 Buchst. b sowie Abs. 4; siehe zur deutschen Umsetzung insoweit Begr. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, 29. 55 Vgl. Richtlinie 2007/36/EG, Erwägungsgründe 3 und 7; s. dazu auch Horn, ZIP 2008, 1558 (1561). 56 Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 31; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 64; Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 35; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 44; Horn, ZIP 2008, 1558 (1561).

Binder 263

12

§ 13 SchVG Rz. 13 Tagesordnung hang ihre Rechte umfassend und effektiv wahrnehmen können. An einer Erweiterung um ein auch auf bloße Beratungsgegenstände bezogenes Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Minderheit besteht damit kein Bedarf.57 d) Verfahren und Bekanntmachung; Rücknahme 13

Das Ergänzungsverlangen muss sich an den Einberufenden richten, auf den die Tagesordnung zurückgeht.58 Anforderungen an das dabei zu beachtende Verfahren, insbesondere die zu beachtende Frist, stellt die Vorschrift nicht. Nachdem gem. § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG die um die neuen Beschlussgegenstände erweiterte Tagesordnung spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung bekannt gemacht werden muss, muss das Ergänzungsverlangen dem Einberufenden rechtzeitig genug zugegangen sein, so dass dieser die Bekanntmachung noch innerhalb dieser Frist veranlassen kann.59 Dabei muss auch eine Mindestfrist zur Prüfung des Ergänzungsverlangens durch den Einberufenden (dazu Rz. 14) eingeräumt werden. Deren Dauer ist für die Parallelvorschrift in § 122 Abs. 2 AktG umstritten; in der Literatur werden zwischen einem und vier Werktagen für angemessen erachtet.60 Auch und gerade angesichts der im Vergleich zur Frist für die Einberufung der Hauptversammlung der AG ohnehin kurzen Einberufungsfrist für die Gläubigerversammlung nach § 10 Abs. 1 SchVG (dort Rz. 3) verbietet sich hier eine allzu großzügige Ausdehnung der Prüfungsfrist für den Einberufenden, die das Recht der Gläubigerminderheit aus § 13 Abs. 3 SchVG unbillig beschneiden würde. Sach- und interessengerecht erscheint daher allein eine Prüfungsfrist von maximal einem weiteren Werktag. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Publikation im Bundesanzeiger nach der Einreichung bis 14 Uhr an einem Werktag nur bis zum übernächsten Publikationstag sicher gewährleistet ist.61 Diese Frist ist zur Bekanntmachungsfrist des § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG hinzu zu addieren, so dass der Zugang beim Einberufenden mindestens vier Werktage vor diesem Tag erfolgen sollte. Für die Bekanntmachung selbst ist aus dem Regelungszusammenhang abzuleiten, dass diese in der gleichen Weise vorgenommen werden muss wie die Bekanntmachung der Tagesordnung nach § 13 Abs. 1 SchVG (dazu Rz. 7 f.).62 Entsprechend der Rechtslage im Aktienrecht63 wird man der die Erweiterung beantragenden Gläubigerminderheit die Möglichkeit der Rücknahme einräumen müssen, 57 Schon für das Aktienrecht angesichts der Beschränkung auf den Kompetenzbereich der Hauptversammlung zweifelnd Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 35; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 44; Horn, ZIP 2008, 1558 (1561). 58 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 6; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 8. 59 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 12; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 9. 60 Für knappe Frist: Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 38 (nur der auf den Zugang folgende Werktag); Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 45 (ein bis zwei Werktage); für längere Frist: von Nussbaum, GWR 2009, 215 (217) (zwei bis drei Tage); Paschos/Goslar, AG 2009, 14 (18) („ca. drei Tage“); Rieckers in Spindler/Stilz, § 122 AktG Rz. 46 (drei bis vier Werktage); unbestimmt Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 74 („wenige Tage“); Mertens, AG 1997, 481 (486) („mehrere Tage“). 61 Nr. 5 Buchst. b der Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die entgeltliche Einreichung und Publikation im Bundesanzeiger (abrufbar unter https://www.bundesanzeiger.de/ebanzwww/wexs servlet?page.navid=to_agb). 62 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 12. 63 Vgl. zur Parallelvorschrift des § 122 Abs. 2 AktG Hüffer/Koch, § 122 AktG Rz. 9a; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 30 mit Rz. 14; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 Rz. 52; abw. (Rücknahme jederzeit möglich, keine zwingende Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung) Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 52.

264

Binder

Tagesordnung

Rz. 15 § 13 SchVG

wobei auch hier nach bereits vorgenommener Bekanntmachung der geänderten Tagesordnung nur mehr die Gläubigerversammlung und nicht der Einberufende selbst das Recht zur Absetzung des betreffenden Tagesordnungspunktes hat.64 e) Pflicht zur Aufnahme auf die Tagesordnung und Schranken aa) Rechtspflicht des Einberufenden Zulässigen Ergänzungsverlangen muss der Einberufende Rechnung tragen und die begehrte Ergänzung der Tagesordnung tatsächlich vornehmen. Das Recht der qualifizierten Gläubigerminderheit erschöpft sich daher nicht in der Möglichkeit, dem Verlangen nach einer Erweiterung lediglich Ausdruck zu verleihen. Vielmehr besteht ein Anspruch auf Ergänzung der Tagesordnung im beantragten Sinne. Dies ergibt sich bereits aus der Möglichkeit der gerichtlichen Ermächtigung zur Bekanntmachung der Ergänzung nach § 13 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 bis 4 SchVG (dazu § 9 SchVG Rz. 20 ff.). Sind die Voraussetzungen nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG erfüllt, steht die Aufnahme mithin nicht im Ermessen des Einberufenden. Dieser ist – nicht anders als der Vorstand der AG bei Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 AktG65 – insbesondere nicht befugt, die Erweiterung der Tagesordnung aufgrund tatsächlich oder vermeintlich fehlender Erfolgsaussichten oder sonstiger Opportunitätserwägungen abzulehnen.

14

bb) Insbesondere: Rechtsmissbrauch Auch formal an sich zulässige Ergänzungsverlangen können grundsätzlich wegen Rechtsmissbrauchs unzulässig sein.66 Insofern gilt nichts anderes als für die Parallelvorschrift des § 122 Abs. 2 AktG67 und für die Einberufung nach § 9 Abs. 1 SchVG (§ 9 SchVG Rz. 12 ff.). Ebenso wie im Zusammenhang mit der Einberufung der Hauptversammlung der AG ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Aufnahme weiterer Beschlussgegenstände im Unterschied zur missbräuchlichen (Veranlassung der) Einberufung der Gläubigerversammlung keinen wesentlichen Mehraufwand in zeitlicher und finanzieller Hinsicht verursacht, so dass der Missbrauchseinwand nur in seltenen, besonders gelagerten Ausnahmekonstellationen gerechtfertigt sein kann.68 Noch stärker als hinsichtlich der Einschränkung des Einberufungsverlangens69 würde eine großzügige Handhabung des Rechtsmissbrauchseinwands die Minderheitsrechte aus § 13 Abs. 3 SchVG unbillig beschneiden.

64 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7. 65 Vgl. dazu Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 73; eingehend Mertens, AG 1997, 481 (487 ff.); vgl. auch Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (499). 66 Schindele in Preuße SchVG § 13 SchVG Rz. 7; wohl auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 11. 67 Für diese Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 65 ff.; Halberkamp/ Gierke, NZG 2004, 494 (497); Mertens, AG 1997, 481 (489); vgl. aus der Judikatur für Ergänzungsverlangen nach § 122 Abs. 2 AktG exemplarisch KG v. 3.12.2003 – 1 W 363/02, AG 2003, 500 (502 f.); LG Frankfurt/M. v. 10.12.2009 – 16 T 17/03, AG 2004, 218, sowie (sämtlich für Einberufungsverlangen nach § 122 Abs. 1 AktG, aber im Ausgangspunkt übertragbar) OLG Karlsruhe v. 16.6.2014 – 11 Wx 49/14, ZIP 2015, 125 (126); OLG München v. 9.11.2009 – 31 Wx 134/09, AG 2010, 84 (85); OLG Stuttgart v. 25.2.2008 – 8 W 370/08, AG 2009, 169 (170); OLG Frankfurt v. 15.2.2005 – 20 W 1/05, AG 2005, 442; OLG Hamburg v. 6.11.2002 – 11 W 91/01, AG 2003, 643. 68 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7; vgl. für das Aktienrecht LG Frankfurt/M. v. 10.12.2003 – 3-16 T 17/03, AG 2004, 218; vgl. auch Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 67. 69 Vgl. für dieses nochmals OLG Karlsruhe v. 16.6.2014 – 11 Wx 49/14, ZIP 2015, 125 (126).

Binder 265

15

§ 13 SchVG Rz. 16 Tagesordnung cc) Prüfungsbefugnis des Einberufenden 16

Ebenso wie bei der Parallelvorschrift in § 122 Abs. 2 AktG70 ist grundsätzlich eine Prüfungsbefugnis des Einberufenden zu bejahen. Der Einberufende darf die begehrte Erweiterung der Tagesordnung nur dann vornehmen und bekannt machen, wenn ihm das erforderliche Quorum nachgewiesen und die Beschlussgegenstände in einer Weise formuliert sind, die den Anforderungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG genügen (dazu Rz. 11). Offensichtlich sachfremde oder aus anderen Gründen rechtswidrige Ergänzungsverlangen darf der Einberufende zurückweisen.71 Ob daraus – weiter gehend – eine positive Pflicht zur umfassenden inhaltlichen Prüfung abzuleiten ist,72 ist indes zweifelhaft. Diese wäre jedenfalls schon aufgrund der zur Verfügung stehenden kurzen Prüfungsfrist (Rz. 13) allenfalls im Sinne einer summarischen Kontrolle zu verstehen und könnte allenfalls bei begründeten Zweifeln eingreifen.73 Ob mit einer derart eingeschränkten, so verstandenen Pflichtkontrolle viel gewonnen wäre, bleibt fraglich. 2. Gerichtliche Durchsetzung

17

Entspricht der Einberufende dem Ergänzungsverlangen nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG nicht, kann die qualifizierte Mehrheit die neuen Beschlussgegenstände gerichtlich durchsetzen. Für das Verfahren gelten nach der in § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG ausgesprochenen Verweisung § 9 Abs. 2 bis 4 SchVG entsprechend. Durchgesetzt im eigentlichen Sinn wird damit nicht die Verpflichtung des Einberufenden, die begehrte Erweiterung der Tagesordnung vorzunehmen. Vielmehr wird die qualifizierte Minderheit ermächtigt, die Änderung selbst vorzunehmen und bekannt zu machen. Die Kosten eines erfolgreich durchgeführten Verfahrens und der Bekanntmachung sind auch hier in jedem Fall, d.h. auch bei Einberufung durch den gemeinsamen Vertreter, von der Emittentin zu tragen (§ 13 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 4 SchVG), weshalb die ermächtigten Gläubiger einen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch gegen die Emittentin haben (Einzelheiten: § 9 SchVG Rz. 44).74 Die Regelung lehnt sich auch insoweit konzeptionell an die aktienrechtliche Parallelvorschrift des § 122 AktG an, der entsprechende Vorgaben für das Einberufungs- und Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Aktionärsminderheit nach § 122 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AktG vorsieht. Die praktische Bedeutung der gerichtlichen Durchsetzung wird hier allerdings durch die vorgegebenen kurzen Fristen erheblich eingeschränkt. Nachdem das Ergänzungsverlangen voraussetzt, dass die Gläubigerversammlung bereits einberufen wurde, muss das Verfahren so rasch eingeleitet und abgeschlossen werden, dass die in § 13 Abs. 3 Satz 3 SchVG vorgesehene, wegen § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG zwingend zu beachtende Bekanntmachungsfrist (Rz. 13) noch eingehalten werden kann.75 Erfolgte die Einberufung innerhalb der 14tägigen Mindestfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG und berücksichtigt man die Mindestfrist für die Prüfung des Ergän70 Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 37; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 73 ff.; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 122 AktG Rz. 48; Halberkamp/ Gierke, NZG 2004, 494 (499). 71 Insoweit zutr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 11 (allerdings unter unrichtiger Berufung auf Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7). 72 In diese Richtung – zweifelhaft – Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 11. 73 Aufschlussreich vage insoweit für die Parallelvorschrift in § 122 Abs. 2 AktG Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 122 AktG Rz. 37 („Recht und – im Zweifelsfall – auch … Pflicht zur Prüfung“); ebenso wohl auch Halberkamp/Gierke, NZG 2004, 494 (499); grundsätzlich a.A. (keinerlei Ablehnungspflicht) OLG Düsseldorf v. 5.7.2012 – I-6 U 69/11, AG 2013, 264 (266); Reger, NZG 2013, 536 f. 74 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 7; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7 mit § 9 SchVG Rz. 22 f.; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 15; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 9. 75 Vgl. entsprechend auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 14.

266

Binder

Tagesordnung

Rz. 19 § 13 SchVG

zungsverlangens durch den Einberufenden (Rz. 13), stehen für Vorbereitung und Abschluss des gerichtlichen Verfahrens weniger als zehn Tage zur Verfügung. Der damit bestehende, sehr hohe Zeitdruck wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass der Beschluss auch insoweit – ebenso wie im Rahmen der Parallelvorschrift des § 122 Abs. 3 AktG76 – die Hauptsache betrifft und damit die Beweiserleichterungen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht greifen. Bloße Glaubhaftmachung genügt daher nicht. Nach § 13 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 SchVG ist die Ermächtigung im Verfahren nach dem FamFG zu beantragen (näher zum Verfahren § 9 SchVG Rz. 35 ff.). Verfahrensbeteiligt ist bzw. sind zunächst diejenigen Minderheitsgläubiger, welche die Ergänzung der Tagesordnung begehren (vgl. § 7 Abs. 1 FamFG). Hinzuzuziehen ist in jedem Fall die Emittentin als Betroffene (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG), und zwar schon mit Blick auf die Kostenlast (Rz. 17), aber, sofern sie selbst die Gläubigerversammlung einberufen hat, auch mit Blick auf die Gestaltung der Tagesordnung.77 Ist die Versammlung von einem ermächtigten Gläubiger oder vom gemeinsamen Vertreter einberufen worden, sind auch diese als Betroffene hinzuzuziehen.78 Der Prüfungsmaßstab ist der gleiche wie für den Einberufenden (Rz. 16).79

18

IV. Gegenanträge von Gläubigern (§ 13 Abs. 4 SchVG) Jeder Anleihegläubiger hat das Recht, in der Gläubigerversammlung Gegenanträge zu den Beschlussgegenständen zu stellen, d.h., eigene Beschlussanträge zu formulieren. Dieses Recht wird in § 13 Abs. 4 SchVG nicht geregelt, sondern vorausgesetzt. Wie im Aktienrecht (vgl. § 124 Abs. 4 AktG) besteht keine Verpflichtung, derartige Anträge vor der Versammlung als Beschlussvorschläge anzukündigen und bekannt zu machen. § 13 Abs. 4 SchVG verpflichtet zur Vermeidung von Informationsasymmetrien zwischen den Gläubigern zur Bekanntmachung lediglich derjenigen Beschlussvorschläge, die vor der Versammlung tatsächlich angekündigt worden sind.80 Die Regelung ist damit jener in § 126 Abs. 1 AktG vergleichbar, aber weniger stark ausdifferenziert. Adressat ist die Emittentin, welche den angekündigten Gegenantrag unverzüglich im Internet unter ihrer Adresse bzw. hilfsweise unter der in den Anleihebedingungen genannten Adresse veröffentlichen muss. Insofern entspricht die Norm dem in § 12 Abs. 3 SchVG vorgesehenen Mechanismus.81 Die angekündigten Gegenanträge müssen dabei in der Form eines Beschlussvorschlags gefasst sein, eine Begründungspflicht besteht – im Unterschied zu § 126 Abs. 1 Satz 1 AktG – ebenso wenig wie ein Formerfordernis.82

76 Vgl. zu dieser Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 94; s. auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 122 AktG Rz. 55. 77 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 13. 78 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 13. 79 Vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift in § 122 Abs. 3 AktG Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 122 AktG Rz. 59. 80 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 8; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 11; Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2611); etwas missverständlich Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 16, s. aber dort Rz. 19. 81 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 11; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 16. 82 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 10; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 17 f.; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 13; a.A. insoweit Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (357) (Textform).

Binder 267

19

§ 13 SchVG Rz. 20 Tagesordnung

V. Verfahrensfehler 20

Verstöße gegen die Anforderungen an die ordnungsgemäße Bekanntmachung von Tagesordnung und Beschlussvorschlägen führen zur Anfechtbarkeit der gleichwohl getroffenen Beschlüsse (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 i.V.m. § 13 Abs. 2 S. 2 SchVG; siehe auch § 20 SchVG Rz. 56).83 Nichts anderes gilt für die nach § 13 Abs. 3 SchVG bekannt zu machenden Ergänzungsverlangen einer qualifizierten Minderheit84 und auch für die Informationspflicht nach § 13 Abs. 4 SchVG.

§ 14 Vertretung (1) 1Jeder Gläubiger kann sich in der Gläubigerversammlung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. 2Hierauf ist in der Einberufung der Gläubigerversammlung hinzuweisen. 3In der Einberufung ist auch anzugeben, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten. (2) 1Die Vollmacht und Weisungen des Vollmachtgebers an den Vertreter bedürfen der Textform. 2Wird ein vom Schuldner benannter Stimmrechtsvertreter bevollmächtigt, so ist die Vollmachtserklärung vom Schuldner drei Jahre nachprüfbar festzuhalten. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Zulässigkeit, Reichweite und Voraussetzungen der Stimmrechtsvertretung 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. In Betracht kommende Stimmrechtsvertreter a) Vom Anleihegläubiger ausgewählte und bevollmächtigte Vertreter aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mehrere Bevollmächtigte . . . . . . b) Von der Emittentin benannte Stimmrechtsvertreter. . . . . . . . . . . . . c) Depotstimmrecht . . . . . . . . . . . . . . .

1

4

6 7 9 10

3. Reichweite der Vollmacht bei Veräußerung der Schuldverschreibungen . . . . . . III. Durchführung und Legitimation 1. Hinweis in der Einberufung . . . . . . . . . . 2. Legitimationsnachweis a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verwendung von Formularen . . . . . . c) Aufbewahrungspflicht bei Stimmrechtsvertretung durch von der Emittentin benannte Stimmrechtsvertreter 3. Nicht geregelte Sonderfälle a) Gesetzliche und organschaftliche Vertreter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimationszession . . . . . . . . . . . . . c) Stimmbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11 12 13 14 16

17 18 19

Schrifttum: Bachmann, Verwaltungsvollmacht und „Aktionärsdemokratie“: Selbstregulative Ansätze für die Hauptversammlung, AG 2001, 635; Habersack, Aktienrecht und Internet, ZHR 165 (2001), 172; Hanloser, Proxy-Voting, Remote-Voting und Online-HV: § 134 III 3 AktG nach dem NaStraG, NZG 2001, 355; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Hüther, Namensaktien, Internet und die Zukunft der Stimmrechtsvertretung, AG 2001, 68; Noack, Stimmrechtsvertretung in der Hauptversammlung nach NaStraG, ZIP 2001, 57; Reichert/Harbarth, Stimmrechtsvollmacht, Legitimationszession und Stimmrechtsausschluss in der AG, AG 2001, 447; van Laak/Ulbrich, Entsendung mehrerer Stimmrechtsvertreter in die Hauptversammlung?, AG 2006, 660; Riegger, Hauptver83 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 8; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 6; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 5. 84 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 13 SchVG Rz. 8.

268

Binder

Vertretung

Rz. 2 § 14 SchVG

sammlung und Internet, ZHR 165 (2001), 204; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999; Wiebe, Vorstandsmacht statt Bankenmacht?, ZHR 166 (2002), 182; Zetzsche, NaStraG – ein erster Schritt in Richtung Virtuelle Hauptversammlung für Namens- und Inhaberaktien, ZIP 2001, 682.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang Die Vorschrift regelt die gewillkürte Stimmrechtsvertretung in der Gläubigerversammlung. 1 Inhaltlich legt sie insbesondere die Pflicht zur Bekanntmachung der Möglichkeit zur Vertretung (§ 14 Abs. 1 SchVG, Rz. 12) sowie Anforderungen an die Form und den Nachweis der Vollmacht in diesem Zusammenhang (§ 14 Abs. 2 SchVG, Rz. 13 f.) fest; weitere Fragen sind nicht ausdrücklich erfasst. § 14 SchVG betrifft alle Fälle, in denen die Anleihegläubiger ihre Rechte in der Versammlung selbständig geltend machen können. Er greift damit nicht ein, wenn und soweit ein gemeinsamer Vertreter zur Geltendmachung befugt ist (§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG, siehe § 7 SchVG Rz. 41). Die Vorschrift ist ohne Vorbild im SchVG 1899, das die Möglichkeit der Stellvertretung nicht selbst regelte, sondern von ihr ausging (vgl. § 8 Satz 1 SchVG 1899).1 Von vornherein außerhalb des Anwendungsbereichs angesiedelt sind Fälle der gesetzlichen bzw. organschaftlichen Stellvertretung. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 SchVG („… kann sich … durch Bevollmächtigten vertreten lassen“) (zur Legitimation in diesen Fällen: Rz. 17). Ebenso wenig in den Anwendungsbereich fällt die Legitimationszession, also die nach § 185 BGB eingeräumte Befugnis, fremde Stimmrechte in eigenem Namen geltend zu machen (Rz. 18). § 14 Abs. 1 SchVG stellt nach richtigem Verständnis lediglich klar, dass sich die Gläubiger in 2 der Versammlung vertreten lassen können, ohne dass dies aus der Vorschrift selbst abzuleiten wäre. Die Möglichkeit hierzu ergibt sich vielmehr bereits aus allgemeinen Regeln; die Ausübung des Stimmrechts und der damit im Zusammenhang stehenden Rechte ist nicht höchstpersönlicher Natur.2 § 14 SchVG modifiziert die Regelungen der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre (§§ 164 ff. BGB), um durch einfache Ausgestaltung die gewillkürte Stimmrechtsausübung durch Dritte im Interesse der zahlreichen Teilnahme an der Gläubigerversammlung möglichst zu erleichtern.3 Zugleich sollen Missbrauchsrisiken eingedämmt und soll sichergestellt werden, dass nur tatsächlich durch die Gläubiger bevollmächtigte Dritte an der Abstimmung mitwirken können.4 Insofern sichert die Vorschrift die kollektive Rechtsausübung der Anleihegläubiger und die materielle Rechtmäßigkeit der Beschlüsse der Gläubigerversammlung ab. Im System der §§ 9-17 SchVG ist die Regelung die erste, die das Verfahren unmittelbar in der Gläubigerversammlung betrifft; §§ 9-13 SchVG regeln demgegenüber Fragen der Vorbereitung und Einberufung, während die §§ 15-17 SchVG weitere verfahrensrechtliche Bestimmungen enthalten. § 14 SchVG zeigt damit zugleich besonders deutlich, dass Verfassung und Verfahren der Gläubigerversammlung im Gesetz insgesamt nur bruchstückhaft vorgegeben werden. Insbesondere regelt die Norm – wie die übrigen genannten Vorschriften (vgl. auch § 10 SchVG Rz. 1) – das Teilnahmerecht an der Gläubigerversammlung nicht selbst, sondern setzt es voraus (zur Begründung siehe § 9 SchVG Rz. 11).5 1 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 2; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 1. 2 Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 14 SchVG Rz. 2; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 1 f.; wie hier wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 1; ungenau Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 1 (aber zutr. ebd. Rz. 5). 3 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 1; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 4; s. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 22 f. 4 Vgl. BT-Drucks. 16/12814, 23; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 5. 5 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 5.

Binder 269

§ 14 SchVG Rz. 3 Vertretung 3

Die Vorschrift weist Parallelen zum Aktienrecht auf: Regelungen zur Stimmrechtsvertretung in der Hauptversammlung der AG finden sich einerseits in § 134 Abs. 3 und 4 AktG, die allerdings deutlich detailliertere Vorgaben enthalten, und andererseits in § 125 Abs. 1 Satz 4 AktG, aus dem sich die Verpflichtung zum Hinweis auf die Möglichkeit der Stimmrechtsausübung mit der Einberufung zur Hauptversammlung ergibt. Richtigerweise können daher auch zur Konkretisierung des § 14 SchVG grundsätzlich die zum Aktienrecht entwickelten Auslegungsgrundsätze herangezogen werden.6 Dabei sind allerdings die wesentlichen Unterschiede im jeweiligen Regelungszusammenhang angemessen zu berücksichtigen: Im Unterschied zur Rechtsposition der Anleihegläubiger ist die Möglichkeit der Stimmrechtsvertretung für die Aktionäre der AG von vornherein nicht gänzlich unbedenklich. Sie ist zwar seit jeher im Kern unstreitig auch dort zulässig, kann aber nur innerhalb der durch das verbandsrechtliche Abspaltungsverbot gesetzten Grenzen gewährt werden, das die Trennung von Stimmrecht und Mitgliedschaft und damit insbesondere eine unwiderrufliche Vollmacht zugunsten des Stimmrechtsvertreters untersagt.7 Eine derartig enge Verbindung mit der Inhaberschaft an der Schuldverschreibung lässt sich für das gegenständlich ungleich enger beschränkte, nämlich ausschließlich auf die Beschlussfindung über Änderungen der Anleihebedingungen bezogene Stimmrecht der Anleihegläubiger im Rahmen der kollektiven Bindung nach §§ 4, 5 SchVG nicht begründen. Daran ändert die Annäherung des Rechts der Gläubigerversammlung an eine korporationsrechtliche Verfassung (§ 9 SchVG Rz. 3 ff.) nichts. Inhaltlich hat die Regelung in § 14 SchVG die Erweiterung und Ausdifferenzierung des § 134 Abs. 3 AktG durch das ARUG von 20098 nicht nachvollzogen. Die damit eingeführten Gestaltungsschranken sind daher nur insofern auf die Rechtslage nach § 14 SchVG übertragbar, als sie am bereits zuvor anerkannten Rechtszustand substantiell nichts geändert haben.

II. Zulässigkeit, Reichweite und Voraussetzungen der Stimmrechtsvertretung 1. Grundlagen 4

Die Zulässigkeit der Stellvertretung ergibt sich aus allgemeinen Grundsätzen der Rechtsgeschäftslehre, § 14 Abs. 1 Satz 1 SchVG ist insofern lediglich deklaratorischer Natur (Rz. 1). Die Reichweite der Stellvertretung erstreckt sich ausdrücklich auf die Rechteausübung „in der Gläubigerversammlung“ und damit nicht nur auf die Mitwirkung an den Beschlüssen, sondern auch auf das Rede- und Fragerecht.9 Ebenso wie im Aktienrecht10 ist daraus auch ein Teilnahmerecht des Bevollmächtigten abzuleiten.11 Die weiteren Voraussetzungen für eine wirksame Stellvertretung regelt § 14 SchVG nicht selbst. Sie ergeben sich vielmehr grundsätzlich aus den allgemeinen Regeln der §§ 164 ff. BGB. Damit bedarf es insbesondere der wirksamen Vollmachterteilung (§ 167 Abs. 1 BGB). § 14 Abs. 2 Satz 1 SchVG sieht allerdings vor, dass Vollmacht und Weisungen an den Vertreter in Textform erteilt (und nachgewiesen) 6 Zutr. Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 2. 7 Vgl. stellvertretend BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354 (357); Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 134 AktG Rz. 99; Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 36; Hüffer/ Koch, § 134 AktG Rz. 21; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 60; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 40; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4; Reichert/Harbarth, AG 2001, 447 (448 ff.). 8 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 9 Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 1. 10 Dazu Hoffmann in Spindler/Stilz, § 118 AktG Rz. 13; Hüffer/Koch, § 118 AktG Rz. 36; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 118 AktG Rz. 60; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 30. 11 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 7.

270

Binder

Vertretung

Rz. 5 § 14 SchVG

werden müssen. Dies setzt gem. § 126b BGB die Abgabe als lesbare Erklärung unter Angabe der Person des Erklärenden auf einem „dauerhaften Datenträger“ voraus, der die Speicherung ermöglicht; damit ist auch die Erteilung durch Telefax, E-Mail o.Ä. zulässig.12 Darin liegt zwar eine Erschwernis gegenüber dem allgemeinen Grundsatz der Formfreiheit der Vollmacht (§ 167 Abs. 2 BGB). Die Textform muss allerdings konsequenterweise auch für den Legitimationsnachweis (hier: gegenüber dem Vorsitzenden der Versammlung) genügen (siehe auch Rz. 12). Für das Erlöschen der Vollmacht gelten die allgemeinen Regeln (§§ 168-173 BGB). Nach § 168 Satz 1 BGB bestimmt sich das Erlöschen der Vollmacht nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Nach Satz 1 der Vorschrift ist ein Widerruf jederzeit möglich. Die Vollmacht kann allerdings nach allgemeinen Regeln unbefristet und sogar unwiderruflich erteilt werden. Da das Stimmrecht sowie die damit zusammenhängenden weiteren Rechte des Anleihegläubigers nicht in der Mitgliedschaft wurzeln, steht – im Unterschied zur Stimmrechtsvertretung in der Hauptversammlung – das verbandsrechtliche Abspaltungsverbot nicht entgegen (vgl. Rz. 3). Nicht eindeutig geregelt ist, ob und inwieweit die Anleihebedingungen zusätzliche, von diesen Regelungen abweichende Wirksamkeitsvoraussetzungen festlegen können. Die Gesetzesmaterialien selbst gehen von einer beschränkten Gestaltungsbefugnis aus. Danach sollen die Anleihebedingungen „allgemeine Vorgaben“ zu den Voraussetzungen für die Stimmrechtsvertretung regeln können. Zulässig seien allerdings „in Bezug auf den Vertreter“ nur solche Vorgaben, „welche zur Feststellung der Identität und der Berechtigung unerlässlich sind“.13 Normativ ließe sich eine derartige Berechtigung in § 14 Abs. 1 Satz 3 SchVG verankern, der zur Mitteilung der Voraussetzungen für eine wirksame Stellvertretung in der Einberufung verpflichtet (siehe dazu Rz. 12).14 Jedenfalls kann auf die Regelung in § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG zurückgegriffen werden, die eine beschränkte Gestaltungsbefugnis einräumt (§ 5 SchVG Rz. 20 ff.). Mit Blick auf die letztgenannte Vorschrift ist allerdings eine restriktive Auslegung geboten, da jede Verschärfung der in § 14 SchVG geregelten Voraussetzungen das in § 14 Abs. 1 Satz 1 SchVG ausdrücklich anerkannte Recht einschränken würde, sich vertreten zu lassen. Mit Sinn und Zweck des § 14 SchVG – Erleichterung der Stimmrechtsvertretung und Verhinderung der Teilnahme materiell Unberechtigter an der Gläubigerversammlung (Rz. 2) – vereinbar sind nur solche Regelungen, welche das Verfahren der Stimmrechtsvertretung betreffen, ohne die Anleihegläubiger zu belasten.15 Zur Frage, ob die Anleihebedingungen das Recht der Anleihegläubiger zur Bevollmächtigung mehrerer Personen beschränken können: siehe Rz. 7. Damit beschränkt sich die Gestaltungsbefugnis in der Tat auf Regelungen zur Abwicklung der Identitätsfeststellung und des Legitimationsnachweises (dazu Rz. 13 ff.). Ebenso anzuerkennen ist ein begrenzter Gestaltungsspielraum für Einschränkungen des Rechts zur Bevollmächtigung mehrerer Personen (dazu Rz. 7).16 Ein Schriftformerfordernis für die Vollmacht, d.h. die Verschärfung des Formerfordernisses nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SchVG, kann demgegenüber ebenso wenig vorgesehen werden wie ein eigenständiges, über § 10 Abs. 2 SchVG hinausgehendes Anmeldeverfahren für Stimmrechtsvertreter.17 Im Ergebnis besteht damit kein größerer Gestaltungsspielraum als nach der – insoweit klarer formulierten – aktienrechtlichen Parallelvorschrift des § 134 AktG für 12 Vgl. Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 13; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 3; allgemein stellvertretend Ellenberger in Palandt, § 126b BGB Rz. 3 ff. 13 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. 14 So wohl auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 9. 15 Zutr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 5. 16 Insofern zu eng Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 5. 17 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 4 f.; vgl. auch bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; wohl auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 9.

Binder 271

5

§ 14 SchVG Rz. 6 Vertretung börsennotierte Gesellschaften, welche in § 134 Abs. 3 AktG die Voraussetzungen für die Stimmrechtsvertretung regelt und nur Erleichterungen zugunsten der Aktionäre durch die Satzung der Gesellschaft zulässt.18 2. In Betracht kommende Stimmrechtsvertreter a) Vom Anleihegläubiger ausgewählte und bevollmächtigte Vertreter aa) Grundsatz 6

Außerhalb der in §§ 7 und 8 SchVG geregelten Fälle der Vertretung durch einen gemeinsamen Vertreter (§ 7 Abs. 2 SchVG, siehe Rz. 1) sind die Anleihegläubiger frei, einen Vertreter auszuwählen und zu bevollmächtigen. Als Vertreter kann jede natürliche und juristische Person ausgewählt werden; es besteht Wahlfreiheit.19 Die Vertretung durch einen beschränkt Geschäftsfähigen (§ 165 BGB) ist ebenso unbedenklich wie die Vertretung durch einen anderen Anleihegläubiger, der zugleich das Stimmrecht für die von ihm selbst gehaltenen Anleihen ausüben kann, ohne durch § 181 BGB gehindert zu sein. Insoweit lassen sich die für die Parallelvorschrift des § 134 Abs. 3 AktG entwickelten Grundsätze20 uneingeschränkt übertragen. In Ermangelung eines Treueverhältnisses zwischen Anleihegläubigern und Emittentin (vgl. § 9 SchVG Rz. 13), das dem Verhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft entspräche, können die daraus für die Auswahl von Stimmrechtsvertretern durch Aktionäre in der Hauptversammlung abgeleiteten qualitativen Schranken21 dagegen nicht für § 14 SchVG herangezogen werden.22 Ebenso besteht – im Unterschied zum Aktienrecht23 – kein Grund, die Bevollmächtigung von Organen der Emittentin auszuschließen. Einschränkungen der Wahlfreiheit in den Anleihebedingungen sind nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG unzulässig (vgl. Rz. 5). Nicht erforderlich ist, dass die Vollmacht speziell für die Stimmrechtsausübung erteilt wird. Nicht anders als im Rahmen des § 134 Abs. 3 AktG24 können vielmehr auch weiter gefasste Vollmachten zur Stimmrechtsausübung ermächtigen. Für die Generalvollmacht und die Prokura25 ist dies wie im Aktienrecht stets anzunehmen, für die Handlungsvollmacht (§§ 54 f. HGB) und andere Gattungsvollmachten nur dann, wenn diese die Stimmrechtsvertretung ausdrücklich abdecken. Eine Vertretung einzelner

18 Vgl. dazu stellvertretend Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 22 f.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 45. 19 Zu eng insoweit (ohne Begründung) Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 3 (nur natürliche Personen). 20 Zu dieser Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 48; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 25; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 50; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 36; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 57. 21 Vgl. für § 134 AktG Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 134 AktG Rz. 105, 122; Hirschmann in Hölters, § 134 Rz. 48; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 25; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 50; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 36; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 57: Auswahl von Konkurrenten der Gesellschaft, Wirtschaftskriminellen oder anderen der Gesellschaft nicht zumutbaren Personen aufgrund Verstoßes gegen Treuepflicht unzulässig. 22 Wie hier Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 6. 23 Vgl. für § 134 AktG (arg. § 136 Abs. 2 AktG) stellvertretend etwa Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 50; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 37; großzügiger Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 134 AktG Rz. 122. 24 Für diesen etwa Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 134 AktG Rz. 108; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 22; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 67; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 59. 25 Für die Prokura sub specie des § 134 AktG einschränkend allerdings Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 22; Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 41.

272

Binder

Vertretung

Rz. 7 § 14 SchVG

Anleihegläubiger durch einen bereits bestellten gemeinsamen Vertreter aufgrund individuell erteilter Vollmachten wäre mit dessen Amt nicht vereinbar und ist abzulehnen.26 bb) Mehrere Bevollmächtigte Die Wahlfreiheit des Anleihegläubigers (Rz. 6) muss auch das Recht einschließen, mehrere 7 Personen zur Wahrnehmung seiner Rechte in der Gläubigerversammlung zu bevollmächtigen.27 Auch insoweit gilt nichts anderes als im Aktienrecht, wo die Änderung des § 134 Abs. 3 Satz 2 AktG durch das ARUG (Rz. 3) lediglich die bereits zuvor anerkannte Rechtslage bestätigt hat.28 Fraglich, aber bislang für das Schuldverschreibungsrecht nur ansatzweise erörtert ist allerdings, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen das Recht zur Bevollmächtigung mehrerer Personen eingeschränkt werden kann. Für das Aktienrecht ist eine derartige Befugnis der Gesellschaft in § 134 Abs. 3 Satz 2 AktG mit dem ARUG ausdrücklich gesetzlich verankert worden, was Praktikabilitätserwägungen Rechnung tragen und eine flexible Reaktion auf Probleme bei Mehrfachbevollmächtigungen ermöglichen soll.29 Damit hat der Gesetzgeber für die Hauptversammlung der AG eine Frage entschieden, die für Inhaber mehrerer Aktien zuvor umstritten gewesen war (anders als für Inhaber lediglich einer Aktie, für welche die Möglichkeit der Zurückweisung auch zuvor bereits anerkannt war).30 Zulässig, aber nicht erforderlich sind (nach wie vor) auch Satzungsregelungen, die das damit eröffnete Ermessen des Vorsitzenden der Versammlung konkretisieren.31 Vergleicht man diese Rechtslage mit der durch § 14 SchVG geregelten Sachverhalts- und Interessenkonstellation, sind zwar deutliche Unterschiede erkennbar, aber gleichwohl vergleichbare Lösungen sinnvoll: Zwar ist die Stimmrechtsvertretung für Anleihegläubiger insofern anders gelagert als für Aktionäre, als es hier sowohl an der engen Verbindung zwischen Mitgliedschaft und Stimmrecht (dazu Rz. 3) als auch an einer Treuebindung zur Gesellschaft fehlt (dazu Rz. 6), die als Korrektiv wirken könnte.32 Der Grundkonflikt zwischen dem Bedürfnis des Rechteinhabers einerseits, sich zur Wahrung seiner Rechte möglichst effektiv und damit ggf. auch durch mehrere Bevollmächtigte vertreten zu lassen, und andererseits dem Interesse der Emittentin an einer Einschränkung der Teilnehmerzahl im Sinne einer erleichterten logistischen Vorbereitung der Hauptversammlung33 ist allerdings vergleichbar. Dies spricht dafür, auch im Hinblick auf die Gläubigerversammlung eine jedenfalls begrenzte Gestaltungsbefugnis für die Anleihebedingungen anzuerkennen. Diese können demnach eine Höchstzahl für die maximal pro Anleihegläubiger zuzulassenden Stimmrechtsvertreter festlegen. Dabei wird gerade in der Gläubigerversammlung eine effektive Rechtewahrnehmung nicht selten die Hinzuziehung sowohl rechtlichen als auch betriebswirtschaftlichen Sachverstands sinnvoll erscheinen lassen (Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer), so dass eine allzu restriktive Fest26 Überzeugend Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 14 SchVG Rz. 2; wohl ebenso auch (allerdings beschränkt auf den – nicht konkretisierten – Regelfall) Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 3; differenzierend Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 6. 27 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 10; Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 14 SchVG Rz. 3. 28 Vgl. statt vieler Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 27 m.w.N.; im hiesigen Zusammenhang auch Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 10. 29 Begr. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, 32. 30 Zum Streitstand vor dem ARUG stellvertretend Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 27; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 59; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 44. 31 Holzborn in Bürgers/Körber, § 134 AktG Rz. 17a; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 27; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 44; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 64; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 59; ebenso auch Begr. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, 32. 32 Für das Aktienrecht speziell hierzu eingehend van Laak/Ulbrich, AG 2006, 660 (662 ff.). 33 Vgl. mit eingehender Analyse wiederum van Laak/Ulbrich, AG 2006, 660 (662 ff.).

Binder 273

§ 14 SchVG Rz. 8 Vertretung legung zu schematisch wäre und die Interessen der Anleihegläubiger unbillig zu beeinträchtigen drohte.34 8

Darüber hinaus wird vereinzelt auch das Recht des Vorsitzenden der Gläubigerversammlung postuliert, im Einzelfall auch ohne eine derartige Ermächtigung aus Praktikabilitätsgründen die Zulassung von mehr als einem Vertreter zu verweigern.35 Dies entspricht im Ausgangspunkt der – wenn auch im Einzelnen vor der Änderung des § 134 Abs. 3 Satz 2 AktG nicht unumstrittenen – Rechtslage im Aktienrecht.36 Auch im Schuldverschreibungsgesetz sprechen dafür gewichtige Praktikabilitätserwägungen. Die unbeschränkte Zulassung einer Vielzahl von Stimmrechtsvertretern könnte den Ablauf der Versammlung belasten, ohne dass dies durch ein berechtigtes Interesse der Anleihegläubiger gedeckt wäre. Wenn man derartige Einschränkungen ad hoc zulässt, darf den Anleihegläubigern indessen ihr Recht zur effektiven Vertretung nicht unbillig beschnitten werden, was wiederum vielfach die Zulassung von zumindest zwei Vertretern aus unterschiedlichen relevanten Disziplinen erfordern kann. Auch insofern kann nichts anderes gelten als zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift.37 b) Von der Emittentin benannte Stimmrechtsvertreter

9

§ 14 Abs. 2 Satz 2 SchVG erwähnt ausdrücklich die Bevollmächtigung eines von der Emittentin benannten Stimmrechtsvertreters und schreibt für diesen Fall eine besondere Aufbewahrungsfrist für die Vollmacht vor (Rz. 16). Die Regelung lehnt sich damit an § 134 Abs. 3 Satz 5 AktG i.d.F. des NaStraG38 an, mit dem das – zuvor angesichts der damit eröffneten Einflussnahme der Verwaltung auf ihre eigene Überwachung mit Blick auf § 136 Abs. 2 AktG umstrittene – sog. Proxy Voting seit 2001 gesetzlich ausdrücklich anerkannt worden ist.39 Die Rezeption des im Aktienrecht etablierten, ursprünglich der US-amerikanischen Gesellschaftsrechtspraxis entlehnten Instituts im Schuldverschreibungsrecht ist gewollt, ohne dass der praktische Nutzen einerseits und die damit einhergehenden Probleme andererseits näher diskutiert worden wären.40 Dies wirft die Frage auf, ob und in welchem Umfang die im Aktienrecht überwiegend anerkannten Auslegungsgrundsätze und Gestaltungsschranken auch im hiesigen Zusammenhang gelten sollten. Mit Blick auf die damit einhergehenden Interessenkonflikte für die Verwaltung der Gesellschaft wird die gesetzliche Anerkennung des Instituts im Aktienrecht (nach wie vor) rechtspolitisch bezweifelt.41 In Analogie zu § 135 Abs. 1 Satz 242 bzw. § 135 Abs. 3 Satz 3 AktG43 bzw. in teleologischer Re-

34 Vgl. für das Aktienrecht Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 27; van Laak/Ulbrich, AG 2006, 660 (664). 35 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 10. 36 Vgl. nochmals Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 27; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 59; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 44. 37 Tendenziell zu einseitig die Interessen der Emittenten bzw. des Einberufenden betonend daher Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 10. 38 Gesetz zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung (Namensaktiengesetz – NaStraG) v. 18.1.2001, BGBl. I 2001, 123. 39 Vgl. zum Hintergrund bereits den Bericht des Rechtsausschusses zum NaStraG, BT-Drucks. 14/4618, 14; dazu näher Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 50; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26a f.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 53; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 38; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 62 f. 40 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. 41 Vgl. besonders Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26a f.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 53; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 62 f.; Hüther, AG 2001, 68 (72 f.). 42 So z.B. Noack, ZIP 2001, 57 (62); Zetzsche, ZIP 2001, 682 (684). 43 So z.B. Pluta in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 134 AktG Rz. 32; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 39 f.; einschränkend auch Habersack, ZHR 173 (2001),

274

Binder

Vertretung

Rz. 10 § 14 SchVG

duktion des § 134 Abs. 3 Satz 5 AktG44 wird die Stimmrechtsvertretung durch von der Gesellschaft benannte Vertreter nach überwiegender, aber nicht unbestrittener45 Ansicht überdies nur dann für zulässig gehalten, wenn der Aktionär dem Vertreter ausdrückliche Weisungen zur Abstimmung erteilt. Das darin zum Ausdruck kommende Unbehagen gegenüber der Ausübung von Mitgliedschaftsrechten durch von der Verwaltung der Gesellschaft benannte und beeinflusste Stimmrechtsvertreter lässt sich auch und erst recht auf die Interessenlage in der Gläubigerversammlung übertragen. In der dafür typischen Krisensituation, in der regelmäßig über Einschnitte in Gläubigerrechte mit dem Ziel der Restrukturierung der Anleihen und damit u.U. über Gelingen oder Scheitern der Sanierung der Emittentin zu entscheiden ist, manifestiert sich der Interessenkonflikt eher noch stärker als im normalen Geschäftsbetrieb der AG, in dem das Proxy Voting Auswirkungen auf die effektive Überwachung der Geschäftsleitung haben könnte.46 Daraus lassen sich aufgrund der eindeutigen Anerkennung in § 14 Abs. 2 Satz 2 SchVG zwar keine Gründe gegen die Zulässigkeit ableiten. Wohl aber sprechen die genannten Überlegungen tendenziell gegen die Wahl dieser Form der Stimmrechtsvertretung, wenn und soweit die Emittentin Vertreter benennt. Eine angesichts der aktienrechtlichen Diskussion immerhin erwägenswerte Beschränkung des zulässigen Proxy Votings auf Fälle, in denen der von der Emittentin benannte Stimmrechtsvertreter aufgrund ausdrücklicher Weisungen der Anleihegläubiger agiert, ist jedoch zweifelhaft. Nachdem bei Einführung des § 14 Abs. 2 Satz 2 SchVG die aktienrechtliche Diskussion bekannt gewesen sein musste, ist für eine Heranziehung der aktienrechtlichen Grundsätze, sei es im Wege der teleologischen Reduktion der Vorschrift oder in (doppelter) Analogie zu § 135 Abs. 3 Satz 3 AktG, kein Raum. Zudem ist der verbandsrechtliche Hintergrund der von der überwiegenden Ansicht im Aktienrecht befürworteten Restriktionen – die Vermeidung einer Selbstkontrolle durch die Verwaltung – für die Transplantation in das Schuldverschreibungsrecht, in dem es um die Änderung der schuldrechtlichen Beziehung zwischen Gläubigern und Emittentin geht, nicht geeignet.47 Im Falle des ihren Interessen zuwider laufenden Abstimmungsverhaltens der von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter sind die Anleihegläubiger damit auf allgemeine zivilrechtliche Sanktionen, insb. eine mögliche Schadensersatzhaftung gegen die handelnden Akteure verwiesen, die auf § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Auftrags- bzw. Geschäftsbesorgungsverhältnis und ggf. auf § 179 Abs. 1 BGB analog zu stützen wäre.48 Die im Aktienrecht etablierten Schranken für die Stimmrechtsausübung durch einen Gesellschaftsvertreter gelten dagegen nicht, was an der rechtspolitischen Fragwürdigkeit des Instituts im hiesigen Zusammenhang nichts ändert. c) Depotstimmrecht Das Schuldverschreibungsrecht sieht – im Unterschied zum Aktienrecht, wo § 135 AktG im Interesse der Vermeidung von Interessenkonflikten auf Seiten der Depotbank Einschränkungen für die Stimmrechtsausübung festlegt49 – keine speziellen Regelungen für die Stimm-

44 45 46 47 48 49

172 (187 f.); in diese Richtung auch Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 63; wohl auch Hüther, AG 2001, 68 (71 ff.). So Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26b. A.A. z.B. Holzborn in Hölters, § 134 AktG Rz. 22; Herrler in Grigoleit, § 134 AktG Rz. 34; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 55; Bachmann, AG 2001, 635 (638 f.); Hanloser, NZG 2001, 355; Riegger, ZHR 165 (2001), 204 (214 f.); Wiebe, ZHR 166 (2002), 182 (190 ff.). Ähnlich wohl auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 10; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (58). Im Ergebnis übereinstimmend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 10. Zu den Rechtsgrundlagen insoweit – für das Aktienrecht, aber übertragbar – eingehend Wiebe, ZHR 166 (2002), 182 (194 f.). Zur Ratio stellvertretend Hüffer/Koch, § 135 AktG Rz. 1 ff.; eingehend z.B. Schröer in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 135 AktG Rz. 5 ff.

Binder 275

10

§ 14 SchVG Rz. 11 Vertretung rechtsausübung durch Depotbanken vor. Die Stimmrechtsvertretung durch Depotbanken ist damit indessen keineswegs ausgeschlossen, sondern vielmehr – insoweit unstreitig – von der allgemeinen Wahlfreiheit der Anleihegläubiger bezüglich der Person des Vertreters (Rz. 6) gedeckt.50 Unterschiedlich beurteilt wird lediglich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die Vorgaben aus § 135 AktG, insb. die Einschränkungen für das Stimmverhalten der Depotbank (§ 135 Abs. 1 und 3 AktG), im Wege der Analogie auch auf die Stimmrechtsvertretung durch Depotbanken im Rahmen des § 14 SchVG angewendet werden sollten.51 Zwar sind auch hier Interessenkonflikte zu befürchten, wenn die Depotbank selbst Gläubigerin der Emittentin ist. Gegen eine Analogie spricht allerdings, dass der Verzicht auf eine dem § 135 AktG funktional entsprechende Regelung im SchVG angesichts der Regelungsgeschichte kaum als planwidrig eingestuft werden kann.52 Die praktische Bedeutung der Streitfrage dürfte gering zu veranschlagen sein, nachdem sich die Stimmrechtsvertretung durch Depotbanken bislang nicht durchgesetzt hat.53 Eine Pflicht der Depotbank zur Annahme eines entsprechenden Mandats, wie sie früher § 135 Abs. 10 AktG a.F. vorgesehen hatte, ist in keinem Fall begründbar. 3. Reichweite der Vollmacht bei Veräußerung der Schuldverschreibungen 11

Sinn und Zweck des § 14 SchVG sind die Erleichterung der Rechtewahrnehmung durch die Anleihegläubiger und die Sicherstellung, dass nur berechtigte Personen an der Gläubigerversammlung und Abstimmung teilnehmen (Rz. 2). Damit vereinbar ist die Stimmrechtsvertretung nur dann, wenn der bevollmächtigende Anleihegläubiger zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung noch Inhaber der Schuldverschreibung(en) ist.54 Im Kern ebenso wie die Legitimation der teilnahmewilligen Anleihegläubiger am Tag der Gläubigerversammlung kann allerdings auch die taggleiche Legitimation der Stimmrechtsvertreter die Versammlungsleitung vor logistische Probleme stellen.55 Zur Lösung sollte zunächst auf die für die Legitimation der Anleihegläubiger entwickelten Grundsätze (dazu § 10 SchVG Rz. 23) zurückgegriffen werden. Danach erscheint es sinnvoll, von den teilnahmewilligen Stimmrechtsvertretern mit der Vorlage ihres eigenen Legitimationsnachweises (Rz. 13 ff.) zugleich einen Nachweis der Berechtigung des bevollmächtigenden Anleihegläubigers zu verlangen. Ist zulässigerweise innerhalb der dafür einzuhaltenden engen zeitlichen Schranken ein Stichtag für die Anmeldung festgelegt worden (dazu § 10 SchVG Rz. 24), sollte im Interesse einer einheitlichen Behandlung auf diesen Zeitpunkt abgestellt werden. Dass dann Teilnahme und Stimmrechtsausübung und materielle Berechtigung auseinanderfallen können, ist hinzunehmen; insoweit sind die Interessen nicht anders gelagert als bei der Teilnahme durch den (früheren) Anleihegläubiger in eigener Person.56

50 Insoweit Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 11; Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 7; ebenso auch Thole, § 6 SchVG Rz. 29. 51 Dafür noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 14 SchVG Rz. 6; dagegen Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 6; nunmehr auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 7. 52 Überzeugend Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 6. 53 Vgl. für das SchVG 1899 Vogel, S. 166; für das geltende Recht ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 11; optimistischere Prognose allerdings bei Horn, ZHR 173 (2009), 12 (58). 54 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 16; vgl. auch bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 21 (zu § 10 SchVG-E) und S. 23 (zu § 14 SchVG-E). 55 Im Ausgangspunkt ebenso Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 16. 56 Abw. Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 16.

276

Binder

Vertretung

Rz. 13 § 14 SchVG

III. Durchführung und Legitimation 1. Hinweis in der Einberufung Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SchVG muss auf die Möglichkeit der Vertretung der Anleihegläubiger durch Bevollmächtigte in der Einberufung hingewiesen werden. Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SchVG sind dabei auch die Voraussetzungen anzugeben, die in diesem Zusammenhang erfüllt sein müssen. Diese Vorgaben haben neben § 12 Abs. 1 SchVG lediglich klarstellende Bedeutung.57 Adressat der Hinweispflicht ist – nicht anders als bei § 12 Abs. 1 SchVG (dort Rz. 2) der Einberufende (vgl. § 9 Abs. 1 SchVG). Der Hinweis muss aber in jedem Fall auch von der Emittentin bei der nach § 12 Abs. 3 SchVG erforderlichen Veröffentlichung im Internet (dazu § 12 SchVG Rz. 13) berücksichtigt werden.58 Der Hinweis soll den Anleihegläubigern die Möglichkeit der Stimmrechtsvertretung in Erinnerung rufen und sie zugleich auf die Notwendigkeit der Textform nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SchVG hinweisen. Für den Einberufenden selbst dient er insbesondere dazu, die Modalitäten für die Legitimation (dazu Rz. 13 ff.) zu kommunizieren.59 Sollen Formulare für den Legitimationsnachweis verwendet werden (dazu Rz. 14 f.), ist auf die damit verbundenen Modalitäten hinzuweisen.60 Sind in den Anleihebedingungen zulässigerweise (vgl. Rz. 7) Beschränkungen für die Zulassung mehrerer Vertreter pro Anleihegläubiger getroffen worden, ist auch darauf hinzuweisen. Ein Unterlassen des Hinweises oder Fehler bei seiner Gestaltung führt zur Anfechtbarkeit der in der Gläubigerversammlung getroffenen Beschlüsse.

12

2. Legitimationsnachweis a) Grundlagen Nicht anders als im Rahmen der Parallelvorschrift des § 134 Abs. 3 AktG61 muss der Stimmrechtsvertreter, der die Teilnahme an der Versammlung und die Stimmrechtsausübung begehrt, die Berechtigung hierzu nachweisen.62 Dies folgt auch hier aus dem allgemeinem Grundsatz, dass derjenige, der ein Recht geltend zu machen beansprucht, die Berechtigung hierzu nachweisen muss (dazu § 10 SchVG Rz. 21). Ebenso wie dem nicht hinreichend legitimierten Anleihegläubiger können auch einem nicht hinreichend legitimierten Vertreter die Zulassung zur Versammlung und die Mitwirkung an der Abstimmung verweigert werden.63 Die Zuständigkeit hierfür liegt beim Vorsitzenden der Versammlung (vgl. § 15 SchVG Rz. 4 ff.). § 14 Abs. 2 SchVG regelt dem Wortlaut nach nicht die Modalitäten des Legitimationsnachweises gegenüber dem Vorsitzenden der Versammlung, sondern die notwendige Form der Vollmachterteilung (§ 14 Abs. 2 Satz 1 SchVG, siehe Rz. 4) und besondere Aufbewahrungspflichten für den Fall der Stimmrechtsvertretung durch einen von der Emittentin benannten Vertreter (§ 14 Abs. 1 Satz 2 SchVG, siehe Rz. 16). Nachdem die Vollmachterteilung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SchVG (nur) die Textform (§ 126b BGB) einhalten muss, ist damit – auch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot in § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG (§ 5 57 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 17. 58 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 11. 59 Entsprechend Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 17; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 8. 60 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 17. 61 Vgl. für diese exemplarisch Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 24; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 72; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 51. 62 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 15. 63 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 15; vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift des § 134 Abs. 3 AktG Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 76; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 77.

Binder 277

13

§ 14 SchVG Rz. 14 Vertretung SchVG Rz. 20 ff.) – allerdings zugleich geklärt, dass grundsätzlich weder die Anleihebedingungen noch der Einberufende ad hoc verschärfte Anforderungen an den Legitimationsnachweis stellen dürfen. Insbesondere darf damit abweichend von § 174 Abs. 1 BGB keine schriftliche Vollmachtsurkunde gefordert werden.64 Neben dem Legitimationsnachweis ist jedenfalls ein zum Identitätsnachweis geeignetes Dokument (Personalausweis o.Ä.) zu verlangen; insoweit gelten die für die Legitimation der Anleihegläubiger entwickelten Grundsätze (dazu § 10 SchVG Rz. 22) entsprechend.65 Die Nichtzulassung eines ordnungsgemäß legitimierten Stimmrechtsvertreters kann zur Anfechtbarkeit der Beschlüsse führen.66 b) Verwendung von Formularen 14

Die in Rz. 13 angesprochenen Gestaltungsschranken gelten insbesondere auch dann, wenn zur Vereinfachung der Registrierung und des Legitimationsnachweises Formulare Verwendung finden sollen, wie dies im Aktienrecht verbreitet ist.67 Einen derartigen Nachweis sieht § 14 SchVG selbst nicht vor, schließt ihn aber auch nicht aus.68 Gänzlich unproblematisch ist die Bereitstellung von Formularen durch den Einberufenden in welcher Form auch immer, wenn daneben der Legitimationsnachweis in der von § 14 Abs. 2 Satz 1 SchVG vorgegebenen Textform weiterhin möglich bleibt. Wird ausschließlich die Verwendung eines bereitgestellten Vollmachtsformulars zugelassen, stößt dies mit Blick auf das Verschlechterungsverbot nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG deshalb auf Bedenken, weil damit ein bestimmter Inhalt vorgegeben und die Teilnahme etwa aufgrund einer Generalvollmacht (Rz. 6) nicht zugelassen wird.69 Daher sollte auch hier die Übermittlung auch anders gelagerter Vollmachten zugelassen und darauf in den nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SchVG erforderlichen Hinweisen aufmerksam gemacht werden.

15

Besonderheiten gelten insoweit in den Fällen des § 30a Abs. 1 Nr. 6 WpHG. Die Vorschrift beruht auf dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz von 200770 und setzt Art. 18 Abs. 2 Buchst. b der Transparenzrichtlinie von 2004 um.71 Für die erfassten Schuldverschreibungen wird vorgeschrieben, dass jeder stimmberechtigten Person und mithin jedem Anleihegläubi64 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 3; Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 9. 65 Ebenso wohl auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 9. 66 Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 8. 67 Vgl. zur Praxis bei der Stimmrechtsvertretung in der Hauptversammlung der AG etwa Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 42 f. 68 Vgl. Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 17. 69 Vgl. für die gleichgelagerte Problematik sub specie des § 134 Abs. 3 AktG Spindler in K. Schmidt/ Lutter, § 14 AktG Rz. 43. 70 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG) v. 5.1.2007, BGBl. I 2007, 10. 71 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG, ABl. EU Nr. L 390/38. Zur Änderung der maßgeblichen Schwellenwerte s. Richtlinie 2010/73/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 24.11.2010 zur Änderung der Richtlinie 2003/71/EG betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist, und der Richtlinie 2004/109/EG zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, ABl. EU Nr. L 327/1, Art. 3 Abs. 1 Unterabs.1 und dazu Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2010/73/EU und zur Änderung des Börsengesetzes v. 26.6.2012, BGBl. I 2012, 1375, Art. 2 Nr. 5.

278

Binder

Vertretung

Rz. 16 § 14 SchVG

ger zusammen mit der Einladung zur Gläubigerversammlung (Einberufung) oder nach deren Anberaumung auf Verlangen rechtzeitig in Textform ein Vollmachtsformular übermittelt wird. Der Anwendungsbereich der Regelung ist eröffnet, wenn die Bundesrepublik Deutschland Herkunftsstaat der Emittentin i.S.d. § 2 Nr. 6 WpHG ist und die Schuldverschreibungen als an einem organisierten Markt zugelassene Schuldtitel i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WpHG zu qualifizieren sind und nicht zugleich von § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpHG (Derivate) erfasst werden oder zumindest ein bedingtes Recht auf den Erwerb von Wertpapieren nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 (Aktien) oder Nr. 2 WpHG (Aktien vertretende Zertifikate) begründen. Rechtzeitigkeit i.S.d. Vorschrift ist gegeben, wenn unter Zugrundelegung üblicher Postlaufzeiten die Vollmacht so zurückgesandt werden kann, dass sie in der Gläubigerversammlung berücksichtigt werden muss.72 Ein „Übermitteln“ ist nicht gegeben, wenn das Formular lediglich auf einer Internetseite zum Herunterladen bereitgestellt wird.73 § 30a Abs. 1 ist dem Wortlaut nach als Pflicht der Emittentin formuliert. Daraus wird zum Teil gefolgert, dass die Regelung im Falle der Einberufung durch einen gemeinsamen Vertreter (vgl. § 9 SchVG Rz. 19) oder durch gerichtlich ermächtigte Gläubiger (vgl. § 9 SchVG Rz. 20 ff., 35 ff.) nicht eingreifen soll.74 Nach anderer Ansicht muss die Emittentin auch in diesen Fällen den Anleihegläubigern auf Verlangen ein für die Versammlung passendes Vollmachtsformular übersenden.75 Nachdem die Regelung auf unionsrechtliche Vorgaben zurückgeht, die keine Differenzierungen vorsehen, erscheint eine Beschränkung des Anwendungsbereichs in der Tat nicht zweifelsfrei, auch wenn die Pflicht der Emittentin in diesen Fällen leerlaufen könnte, wenn zuvor bereits der oder die Einberufende(n) entsprechende Formulare bereitgestellt oder übersandt hat bzw. haben. Ist dies nicht der Fall, sollte die Emittentin auf Verlangen sicherheitshalber ein Vollmachtsformular bereitstellen und übersenden. c) Aufbewahrungspflicht bei Stimmrechtsvertretung durch von der Emittentin benannte Stimmrechtsvertreter § 14 Abs. 2 Satz 2 SchVG verpflichtet die Emittentin im Falle der Bevollmächtigung eines 16 von ihr selbst benannten Stimmrechtsvertreters dazu, die Vollmachtserklärung drei Jahre „nachprüfbar“ festzuhalten. Die Regelung entspricht § 134 Abs. 3 Satz 3 AktG und soll sicherstellen, dass die Vollmacht innerhalb der Verjährungsfrist für etwaige Schadensersatzansprüche gegen den Vertreter verfügbar bleibt.76 Dies setzt nicht zwingend eine Archivierung im Original voraus; ausreichend ist vielmehr auch die Speicherung in anderer Form.77 Die Fristberechnung richtet sich wie im Aktienrecht nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB; Fristbeginn ist der Tag der Gläubigerversammlung, für welche die Vollmacht erteilt wurde.78

72 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 30a WpHG Rz. 45. 73 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 9; wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 12; vgl. auch bereits Begr. RegE TUG, BT-Drucks. 16/2498, 40; a.A. insoweit wohl Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 17. 74 So Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 17 und auch noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 14 SchVG Rz. 5; a.A. jetzt Wasmann/Steber in Veranneman, § 14 SchVG Rz. 10. 75 So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 9. 76 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. 77 Vgl. für die Parallelvorschrift im Aktienrecht Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26c; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 134 AktG Rz. 60; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 66. 78 Vgl. wiederum für § 134 Abs. 3 AktG Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 52; Holzborn in Bürgers/Körber, § 134 AktG Rz. 22; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 26c; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 60; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 66.

Binder 279

§ 14 SchVG Rz. 17 Vertretung 3. Nicht geregelte Sonderfälle a) Gesetzliche und organschaftliche Vertreter 17

Für die Legitimation gesetzlicher und organschaftlicher Vertreter, auf die § 14 SchVG nicht anwendbar ist (Rz. 1), kann aufgrund der gesetzlich eindeutig zugewiesenen Vertretungsmacht kein Nachweis einer Vollmacht verlangt werden. Die Eltern (§§ 1626, 1629 Abs. 1 BGB), der Vormund (§ 1793 BGB) oder der Pfleger (§§ 1909 ff. BGB) müssen zum Nachweis der Vertretungsmacht vielmehr die maßgeblichen Personenstandsunterlagen bzw. Bestellungsurkunden vorlegen.79 Entsprechend der Rechtslage für die Hauptversammlung der AG80 sind dabei bei minderjährigen Anleihegläubigern, die – wie im Regelfall (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB) – durch beide Eltern vertreten werden, sowohl die Mutter als auch der Vater zur Gläubigerversammlung zuzulassen, wobei das Stimmrecht nur gemeinschaftlich ausgeübt werden kann. Entsprechendes gilt auch für organschaftliche Vertreter, so dass ggf. alle Organmitglieder zur Teilnahme und Abstimmung zuzulassen sind, wenn diese nicht untereinander Vollmacht erteilt haben.81 Auch Amtswalter (Testamentsvollstrecker, Vergleichsverwalter, Insolvenzverwalter, Nachlassverwalter o.Ä.) können für die von ihnen verwalteten Anleihen das Stimmrecht ausüben und sind damit zur Teilnahme und Abstimmung gegen Nachweis ihrer Bestellung zuzulassen.82 b) Legitimationszession

18

Die ebenfalls nicht von § 14 SchVG erfasste (Rz. 1) Legitimationszession (auch: Legitimationsübertragung, Stimmrechtsermächtigung) war bereits unter der Geltung des SchVG 1899 allgemein anerkannt83 und ist nach wie vor zulässig. Hierbei ermächtigt der Anleihegläubiger, der anonym bleiben möchte, einen Dritten zur Geltendmachung der Teilnahme- und Stimmrechte im eigenen Namen entsprechend § 185 BGB und überträgt ihm zu Legitimationszwecken den Besitz an den Wertpapieren.84 Das aktienrechtliche Verbot für Kreditinstitute und andere geschäftsmäßig handelnde Stimmrechtsvertreter, Stimmrechte aus Inhaberaktien in anderer Form als aufgrund einer Vollmacht geltend zu machen (§ 135 Abs. 1,

79 Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 14 SchVG Rz. 9; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 8; für das Aktienrecht entsprechend Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 59; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 29; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 43; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 74. 80 Für diese Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 134 AktG Rz. 91; Rieckers in Spindler/ Stilz, § 134 AktG Rz. 43. 81 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 2; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 9; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 6; für die Parallelvorschrift des § 134 Abs. 3 AktG Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 29 f.; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 43; Schröer MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 74; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 67. 82 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 134 Abs. 3 AktG Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 134 AktG Rz. 90; Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 60; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 31; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 43; Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 69. 83 Ansmann, SchVG [1899] § 10 Anm. 11; Koenige, SchVG [1899], § 10 Anm. 12; zusf. Vogel, S. 166. 84 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 14 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 7; vgl. für die Parallelvorschrift des § 134 Abs. 3 AktG entsprechend Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 61; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 32; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 65; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 69; Reichert/Harbarth, AG 2001, 447 (452 f.).

280

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

§ 15 SchVG

Abs. 8 AktG), das der Legitimationszession entgegensteht,85 ist mangels planwidriger Regelungslücke nicht analog auf das Schuldverschreibungsrecht übertragbar. c) Stimmbote Nicht ausdrücklich geregelt ist ferner die Frage, ob Anleihegläubiger ihr Stimmrecht durch Boten ausüben können. Bote ist, wer keine eigene Willenserklärung abgibt, sondern lediglich eine fremde übermittelt. Ebenso wie das Stimmrecht des Aktionärs im Aktienrecht86 ist die Ausübung der Rechte durch den Anleihegläubiger im Rahmen der §§ 9 ff. SchVG auf die Gläubigerversammlung selbst bezogen; Stimmen, die durch Boten lediglich übermittelt werden, können als außerhalb der Versammlung abgegebene Erklärungen bei der Abstimmung nicht berücksichtigt werden.

§ 15 Vorsitz, Beschlussfähigkeit (1) Der Einberufende führt den Vorsitz in der Gläubigerversammlung, sofern nicht das Gericht einen anderen Vorsitzenden bestimmt hat. (2) 1In der Gläubigerversammlung ist durch den Vorsitzenden ein Verzeichnis der erschienenen oder durch Bevollmächtigte vertretenen Gläubiger aufzustellen. 2Im Verzeichnis sind die Gläubiger unter Angabe ihres Namens, Sitzes oder Wohnorts sowie der Zahl der von jedem vertretenen Stimmrechte aufzuführen. 3Das Verzeichnis ist vom Vorsitzenden der Versammlung zu unterschreiben und allen Gläubigern unverzüglich zugänglich zu machen. (3) 1Die Gläubigerversammlung ist beschlussfähig, wenn die Anwesenden wertmäßig mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. 2Wird in der Gläubigerversammlung die mangelnde Beschlussfähigkeit festgestellt, kann der Vorsitzende eine zweite Versammlung zum Zweck der erneuten Beschlussfassung einberufen. 3Die zweite Versammlung ist beschlussfähig; für Beschlüsse, zu deren Wirksamkeit eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, müssen die Anwesenden mindestens 25 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. 4Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen, zählen nicht zu den ausstehenden Schuldverschreibungen. 5Die Anleihebedingungen können jeweils höhere Anforderungen an die Beschlussfähigkeit stellen. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Vorsitzender der Gläubigerversammlung (§ 15 Abs. 1 SchVG) 1. Aufgaben, Rechtsstellung und Kompetenzen a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelheiten aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

3 4

bb) Aufgaben vor Eröffnung der Gläubigerversammlung . . . . . . . cc) Eröffnung und Eintritt in die Tagesordnung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Erledigung der Tagesordnung (1) Bindungswirkung der Tagesordnung; Verhandlungssprache . . . . (2) Wortmeldungen . . . . . . . . . . . . . (3) Steuerung der Redezeit . . . . . . . .

5 6 7 8 9

85 Vgl. Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 32; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 67; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 69. 86 Vgl. Hirschmann in Hölters, § 134 AktG Rz. 62; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 33; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 47; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 70; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 69.

Binder 281

19

§ 15 SchVG Rz. 1 Vorsitz, Beschlussfähigkeit (4) Wiederaufnahme beendeter Tagesordnungspunkte. . . . . . . . . (5) Überwachung der Rechtmäßigkeit der Antragstellung . . . . . . . . ee) Unterbrechung, Abbruch, Vertagung, ordentliche Beendigung ff) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung des Vorsitzenden a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insbesondere: Vertretung der Emittentin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Teilnehmerverzeichnis (§ 15 Abs. 2 SchVG) 1. Pflicht zur Aufstellung und Inhalt . . . . .

12 13 14 15 16 17 18

19

2. 3. 4. IV.

Modalitäten der Aufstellung. . . . . . . . . . Publizität des Teilnehmerverzeichnisses Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschlussfähigkeit und zweite Versammlung (§ 15 Abs. 3 SchVG) 1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindestquorum nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zweite Gläubigerversammlung (§ 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG) a) Ratio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren und Kompetenz zur Einberufung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Mindestanwesenheitsschwelle . . . . . .

20 21 22

23 24

25 26 28

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845; Arnold/Carl/Götze, Aktuelle Fragen bei der Durchführung der Hauptversammlung, AG 2011, 349; Bachmann, Die Geschäftsordnung der Hauptversammlung, AG 1999, 210; Bachmann, Anm. zu LG München v. 14.10.1999, EWiR 2000, 157; Fleischer, Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, NJW 2005, 3525; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, WiVerw 2014, 155; Kessler/Rühle, Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten des SchVG 2009, BB 2014, 907; Kremer, Zur Praxis der Hauptversammlungsleitung, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 697; Lürken, „Opt In“ auch bei nicht dem Schuldverschreibungsgesetz von 2009 unterfallenden Anleihen, GWR 2014, 87; Marsch-Barner, Zu den Rechtsfolgen von Fehlern bei der Leitung der Hauptversammlung, in FS Brambring, 2011, S. 267; Max, Die Leitung der Hauptversammlung, AG 1991, 77; Poelzig, Die Haftung des Leiters der Hauptversammlung, AG 2015, 476; Schatz, Beschlussvereitelung durch den Versammlungsleiter und Reaktionsmöglichkeiten der Aktionäre, AG 2015, 696; Schürnbrand, Rechtsstellung und Verantwortlichkeit des Leiters der Hauptversammlung, NZG 2014, 1211; Schütz, UMTS Reloaded – Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) vom 17.11.2004, NZG 2005, 5; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleihenrestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016, 997; Stützle/Walgenbach, Leitung der Hauptversammlung und Mitspracherechte der Aktionäre in Fragen der Versammlungsleitung, ZHR 155 (1991), 516; von der Linden, Haftung für Fehler bei der Leitung von Hauptversammlungen, NZG 2013, 208; v. Falkenhausen, Die nächste Hauptversammlung, AG 1966, 343; Wasmann/Steber, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 2005.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang 1

Die Vorschrift regelt mit dem Vorsitz (§ 15 Abs. 1 SchVG), der Pflicht zur Aufstellung eines Teilnehmerverzeichnisses (§ 15 Abs. 2 SchVG) sowie den Anforderungen an die Beschlussfähigkeit (§ 15 Abs. 3 SchVG) wichtige organisationsrechtliche Fragen der Gläubigerversammlung. Sie legt zusammen mit § 14 SchVG einerseits und § 16 SchVG andererseits die Grundlagen für die Verfassung der Gläubigerversammlung, ohne diese abschließend auszugestalten. Regelungsvorläufer im SchVG 1899 existieren nur für die Pflicht zur Aufstellung eines Teilnehmerverzeichnisses (§ 8 SchVG 1899). Im Aktienrecht findet sich für die Hauptversammlung der AG lediglich für § 15 Abs. 2 SchVG eine Entsprechung (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG). Regelungszweck ist zunächst die Festlegung der Verantwortlichkeit des Versammlungsleiters für die ordnungsgemäße Durchführung der Gläubigerversammlung (Rz. 3 ff.), sodann die Sicherstellung einer angemessenen Dokumentation der Anwesenheit in Gestalt des Teilnehmerverzeichnisses im Interesse sowohl des Versammlungsleiters als auch der Gläubiger (Rz. 19 ff.) und schließlich die Absicherung eines Mindestquorums im 282

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 3 § 15 SchVG

Interesse des Minderheitenschutzes (Rz. 24). Insgesamt werden damit prozedurale Mindeststandards für das Zustandekommen von Beschlüssen formuliert, welche keine materielle Richtigkeitsgewähr bieten, aber zum Schutz der Gläubigergesamtheit und insbesondere etwaiger Minderheiten vor willkürlichen Eingriffen in ihre Rechtsposition beitragen sollen (vgl. § 9 SchVG Rz. 1, 6 ff.). Der Ablauf der Gläubigerversammlung im Übrigen ist weder in § 15 SchVG noch in § 16 SchVG abschließend geregelt.1 Im Ausgangspunkt nicht anders als das Aktienrecht ist das Schuldverschreibungsrecht insoweit von großer gesetzgeberischer Zurückhaltung geprägt. Im Unterschied zum Recht der Hauptversammlung der AG (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG) findet sich noch nicht einmal die ausdrückliche Anerkennung der Selbstorganisation der Versammlung durcheine Geschäftsordnung. Damit besteht erheblicher Gestaltungsspielraum für die Praxis, der durch die Anleihebedingungen, aber nicht zuletzt auch ad hoc durch den Versammlungsleiter genutzt werden kann. Weil und soweit die Gestaltung des Ablaufs indessen Rückwirkungen auf die Rechtsposition der Anleihegläubiger entfalten kann, ist um so stärker darauf zu achten, den Ablauf transparent und diskriminierungsfrei zu gestalten. Dabei können die etablierten Grundsätze über die Ausgestaltung der Hauptversammlung der AG Anhaltspunkte bieten. Auch insoweit ist vor einer Adaption jedoch stets genau zu prüfen, ob diese angesichts der funktionalen Unterschiede zwischen Haupt- und Gläubigerversammlung einerseits und, damit korrespondierend, der unterschiedlichen normativen Einbettung andererseits angemessene Lösungen ermöglicht (vgl. auch § 9 SchVG Rz. 5).

2

II. Vorsitzender der Gläubigerversammlung (§ 15 Abs. 1 SchVG) 1. Aufgaben, Rechtsstellung und Kompetenzen a) Grundlagen Die Aufgaben des Vorsitzenden der Gläubigerversammlung werden im Gesetz selbst nicht näher bestimmt, das nur die Person des Vorsitzenden festlegt (Rz. 17). Insofern ist die Ausgangslage ähnlich wie im Recht der Hauptversammlung in der AG, für welche nicht einmal die Notwendigkeit der Bestellung eines Vorsitzenden als solche ausdrücklich gesetzlich geregelt ist, wobei allerdings einzelne Regelungen durchaus auf das Amt Bezug nehmen.2 Ähnlich wie im Aktienrecht ist damit auch die Rechtsstellung des Vorsitzenden nicht eindeutig vorgegeben. Im Aktienrecht ist umstritten, ob der Versammlungsleiter selbst als (nicht ständiges) Organ der Gesellschaft3 oder lediglich als „Funktionshelfer“ der Hauptversammlung einzuordnen ist, die ihrerseits Organ ist,4 ohne dass freilich der damit jeweils verbundene Erkenntniswert im Hinblick auf die konkreten Implikationen bislang deutlich zutage getreten 1 Ungenau Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 1. 2 Die Notwendigkeit zur Bestellung eines Versammlungsleiters ergibt sich allerdings zwingend aus § 129 Abs. 4 Satz 2 AktG (Unterzeichnung des Teilnehmerverzeichnisses) sowie § 130 Abs. 2 AktG (Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung in der Niederschrift), ferner aus §§ 118 Abs. 4, 122 Abs. 3 Satz 2 AktG; vgl. Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 18; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 73; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 48; Stützle/ Walgenbach ZHR 155 (1991), 516 (519). 3 So Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 86; übereinstimmend, wenn auch hinsichtlich der Aussagekraft relativierend ebenso Poelzig AG 2015, 476 (478); Schürnbrand, NZG 2014, 1211 m.w.N. 4 So ausdrücklich Bachmann, AG 1999, 210 (211 mit Fn. 24); gleichsinnig für den Versammlungsleiter der Gesellschafterversammlung der GmbH etwa Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2013, § 48 GmbHG Rz. 32; eigene Organqualität ablehnend auch Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 119-132 AktG Rz. 17 mit Fn. 50; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 121; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 62.

Binder 283

3

§ 15 SchVG Rz. 3 Vorsitz, Beschlussfähigkeit wäre.5 Auf die Gläubigerversammlung ist schon deshalb weder die eine noch die andere Interpretation übertragbar, weil die Verfassung der Gläubigerversammlung in ihrer gesetzlich vorgegebenen Gestalt zwar an korporative Strukturen angenähert, aber nicht in die Organisationsverfassung der Emittentin eingebunden ist (vgl. § 9 SchVG Rz. 3 ff.). Anders als im Aktienrecht trägt damit der Organgedanke unter keinen Umständen zur Klärung der Rechtsstellung des Versammlungsleiters bei – weder unmittelbar (als Basis originärer organschaftlicher Kompetenzen des Versammlungsleiters) noch mittelbar (als Grundlage für derivativ aus der Organqualität der Hauptversammlung begründete Befugnisse). Jedenfalls6 für die Gläubigerversammlung kann die Aufgabe des Versammlungsvorsitzenden und können seine Kompetenzen damit allein aus der Funktion der Versammlung einerseits und den gesetzlichen Vorgaben zu konkreten Aufgaben des Versammlungsleiters andererseits abgeleitet werden. Dies bedeutet keineswegs, dass dabei nicht die für die Leitung der Hauptversammlung entwickelten Grundsätze zumindest teilweise entsprechend herangezogen werden könnten. Dafür sprechen nicht nur die allgemeine Annäherung des Rechts der Gläubigerversammlung an das Recht der Hauptversammlung der AG, sondern auch der Umstand, dass dem Vorsitzenden der Gläubigerversammlung zum Teil die gleichen Aufgaben wie dem Versammlungsleiter der Hauptversammlung zugewiesen werden, wie sich aus der Verweisung in § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG auf die Regelung des § 130 Abs. 2 bis 4 AktG ergibt (siehe dazu § 16 SchVG Rz. 39 ff.). Die Rechtsstellung des Versammlungsleiters ist damit zusammenfassend letztlich nur als Amt sui generis erfassbar, das mit Kompetenzen ausgestattet ist, die aus der Funktion der Gläubigerversammlung resultieren.7 Dies wird vielfach mit der (Leer-)Formel umschrieben, der Vorsitzende habe diejenigen Kompetenzen, ohne die er seine Leitungsaufgabe nicht ausüben könnte.8 Insofern bestehen erhebliche Überschneidungen mit den konkreten Auslegungsgrundsätzen für das Amt des Leiters der Hauptversammlung, die über die unterschiedlichen dogmatischen Lager hinweg im Ergebnis heute als weitgehend konsentiert gelten können. Nicht anders als der Leiter der Hauptversammlung der AG9 handelt der Vorsitzende der Gläubigerversammlung damit aus eigenem, gesetzlich unmittelbar, nämlich durch konkrete Aufgabenzuweisungen, und mittelbar, nämlich durch die Funktion der Gläubigerversammlung, definiertem Recht.10 Unabhängig davon, ob die Versammlungsleitung bei der Emittentin, beim gemeinsamen Vertreter oder bei einer gerichtlich bestellten Person liegt, kann der Vorsitzende daher nicht als Interessenvertreter qualifiziert werden und darf sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben weder an den Interessen der Gläubiger noch an jenen der Emittentin orientieren. Vielmehr ist er – nicht anders als der Leiter der Hauptversammlung der AG11 – zur neutralen Amtsführung verpflichtet und darf insbesondere keinen Einfluss auf Inhalt und Verfahren der Abstimmung nehmen, soweit dies nicht zur Si5 Berechtigte Distanzierung gegenüber den vertretenen Klassifizierungsversuchen insoweit bei Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 121. 6 Vgl. für die Hauptversammlung der AG mit ähnlichem Grundansatz wiederum Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 121. 7 Ebenso Seibt, ZIP 2016, 997 (1005). 8 So etwa Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; für den Leiter der Hauptversammlung der AG entsprechend etwa BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 (248); OLG Frankfurt v. 8.2.2006 – 12 W 185/05, AG 2006, 249 (251 f.); Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 87, 137; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; ähnlich Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 62. 9 Vgl. für diesen bereits BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 (251); v. Falkenhausen, BB 1966, 337 (343); zusf. Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 22; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 124; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (520). 10 Im Ergebnis übereinstimmend auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 10. 11 Für diesen Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 96; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 63; Marsch-Barner in FS Brambring, 2011, S. 267 (276 ff.).

284

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 5 § 15 SchVG

cherstellung rechtmäßiger Beschlüsse geboten ist.12 Von der durch § 6 SchVG vorgegebenen Stimmrechtsgewichtung abgesehen, muss auch hier das Gebot der Gleichbehandlung der Anleihegläubiger nach Köpfen – und nicht nach Maßgabe der jeweiligen Stimmanteile – gelten.13 b) Einzelheiten aa) Überblick Kernaufgabe des Vorsitzenden der Gläubigerversammlung ist es – insoweit entsprechend der 4 Aufgabe des Leiters der Hauptversammlung –, die rechtmäßige Abwicklung der Gläubigerversammlung unter sachgerechter Erledigung der Tagesordnung (§ 13 SchVG) sicherzustellen; dies schließt hier wie dort vor allem eine erschöpfende Beratung sowie die abschließende Beschlussfassung ein.14 Die für die Konkretisierung des Aufgabenprofils zentralen Vorschriften sind dabei § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG, wonach der Vorsitzende das Ergebnis der Beschlussfassung festzustellen hat. Diese Feststellung ist Grundlage für die Niederschrift (§ 16 Abs. 3 SchVG, vgl. dazu § 16 SchVG Rz. 39 ff.). Mit ihr wird der Vorsitzende der Versammlung für die Sicherung rechtmäßiger Beschlüsse der Gläubigerversammlung in die Pflicht genommen, welche insbesondere den Anforderungen der §§ 5 und 6 SchVG sowie der §§ 9 ff. SchVG sowie – im damit gesetzten Rahmen – der Anleihebedingungen genügen müssen.15 Im Kern ebenso wie bei der Hauptversammlung der AG schließt dies bereits Aufgaben vor der Eröffnung der Gläubigerversammlung (Rz. 5), sodann die Eröffnung selbst (Rz. 6) und schließlich Aufgaben im Zusammenhang mit der Leitung der Versammlung (Rz. 7 ff.) ein. Auch hier lassen sich – ebenso wie bei der Hauptversammlung der AG16 – die Aufgaben und Kompetenzen in Leitungsaufgaben und damit korrespondierende Ordnungsbefugnisse unterteilen. bb) Aufgaben vor Eröffnung der Gläubigerversammlung Die Sicherstellung rechtmäßiger Beschlüsse der Gläubigerversammlung verlangt bereits vor 5 deren Eröffnung die Kontrolle und Erfassung der teilnahmewilligen Personen. Der Vorsitzende der Gläubigerversammlung muss gewährleisten, dass grundsätzlich nur stimmberechtigte Personen (Gläubiger und Vertreter) und ggf. notwendige Begleiter (z.B. Begleitpersonen bei 12 Ebenso Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 4; Seibt, ZIP 2016, 997 (1005). 13 Vgl. für das Aktienrecht z.B. BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 (255); BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08 – Rz. 16, BGHZ 184, 239 (246) = AG 2010, 292; Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 22; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 122; Mülbert in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 95, 141; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 63; Zöllner in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1988, § 119 AktG Rz. 91. 14 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 5; Seibt, ZIP 2016, 997 (1005); für das Recht der Hauptversammlung der AG entsprechend Hüffer/ Koch, § 129 AktG Rz. 22; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 122; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 87 ff.; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 1, 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 62; knapp auch bereits BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 (248); ebenso OLG Frankfurt v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, AG 2011, 36 (41). 15 Vgl. im Ergebnis gleichsinnig Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2006). 16 Vgl. für diese z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 128; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 87; Hoffmann-Becking in MünchHdb/AG, 4. Aufl. 2015, § 36 Rz. 42 ff.; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 129 AktG Rz. 62.

Binder 285

§ 15 SchVG Rz. 6 Vorsitz, Beschlussfähigkeit behinderten Personen)17 an der Versammlung teilnehmen und zur Abstimmung zugelassen werden (vgl. zur Teilnahme mehrerer Stimmrechtsvertreter pro Gläubiger § 14 SchVG Rz. 7), und muss diesen das Zugangsrecht sichern.18 Die Pflicht zur sachgerechten Abwicklung der Versammlung erfordert dabei auch, auf etwa bestehende Zugangshindernisse angemessen zu reagieren und ggf. den Beginn der Versammlung hinauszuschieben, bis diese beseitigt sind und allen teilnahmewilligen und -berechtigten Gläubigern der Zutritt möglich war.19 Soweit das Hausrecht räumlich reicht, müssen Störungen abgewehrt werden (siehe auch noch Rz. 15).20 Ebenso wie der Leiter der Hauptversammlung der AG trägt der Vorsitzende der Gläubigerversammlung damit auch die Verantwortung für die Einlasskontrolle,21 wobei er Hilfspersonen einsetzen kann.22 Der Vorsitzende ist deshalb Adressat des Legitimationsnachweises (vgl. schon § 14 SchVG Rz. 13 ff.). Er muss die ihm vorgelegten Legitimationsnachweise prüfen und nicht ordnungsgemäß legitimierten Personen den Zugang zur Gläubigerversammlung verweigern. Richtigerweise muss allerdings auch hier gelten, dass eine Zurückweisung nur bei offenkundigen Mängeln gefordert werden kann und keine Pflicht zur Nachforschung besteht.23 Ebenso wie im Aktienrecht müssen ggf. auch Sicherheitskontrollen, z.B. in Gestalt von Röntgenschranken für mitgeführte Taschen, möglich sein.24 Hier wie dort müssen sich die damit verbundenen Einschränkungen der Rechte der Teilnehmer allerdings am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen und sind nur insoweit zulässig, als sie zur Abwendung von Sicherheitsrisiken tatsächlich erforderlich sind.25 cc) Eröffnung und Eintritt in die Tagesordnung 6

Die Eröffnung der Gläubigerversammlung ist Sache des Vorsitzenden; sie darf frühestens zu dem in der Einberufung angegebenen Zeitpunkt und muss am in der Einberufung angegebenen Ort stattfinden (vgl. § 12 SchVG Rz. 5).26 Mit der Eröffnung hat die Versammlung

17 Vgl. für die Hauptversammlung der AG, aber übertragbar z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 118 AktG Rz. 69; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 35. 18 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 12; Seibt, ZIP 2016, 997 (1005); vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6; für die Hauptversammlung der AG entsprechend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 129; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; Max, AG 1991, 79 (80). 19 Wie hier Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 12; für das Aktienrecht Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 129; Max, AG 1991, 79 (80). 20 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 12. 21 Ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 11; der dortige Hinweis auf eine enge Abstimmung zwischen Versammlungsleiter und Einberufendem führt allerdings in die Irre, da § 15 Abs. 1 SchVG gerade Personenidentität voraussetzt. 22 Für das Aktienrecht (heute ganz h.M.) Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 22; Mülbert in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 94, 100 f.; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (525); vgl. knapp auch Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129-132 AktG Rz. 23; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 67. 23 Vgl. für die Hauptversammlung der AG Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 100 f. 24 Ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 13. 25 Vgl. – mit sehr strengen Maßstäben insoweit – OLG Frankfurt v. 16.2.2007 – 5 W 43/06, AG 2007, 357 f.; dagegen krit. Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 22; Arnold/Carl/Götze, AG 2011, 349 (352); zutr. differenzierend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 129 AktG Rz. 132; Wicke in Spindler/ Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 6; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 68. 26 Vgl. für die Hauptversammlung der AG entsprechend LG München I v. 20.1.2011 – 5 HK O 18800/09, AG 2011, 211 (217); Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 133; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 98.

286

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 7 § 15 SchVG

förmlich begonnen und sich als solche konstituiert.27 Unmittelbar nach der Eröffnung sollten zweckmäßigerweise die wesentlichen Akteure – der Einberufende/Vorsitzende und, soweit damit nicht identisch, der Vertreter der Emittentin, der beurkundende Notar sowie ggf. der gemeinsame Vertreter – vorgestellt werden.28 Vor dem Eintritt in die Tagesordnung sollte geprüft und ausdrücklich festgestellt werden, dass die Versammlung ordnungsgemäß einberufen wurde, wobei sich die Prüfung auf offensichtliche Einberufungsmängel beschränken kann und wird.29 Ebenfalls festzustellen ist die Beschlussfähigkeit (Rz. 23).30 Schließlich sollte – wiederum wie in der Hauptversammlung der AG31 – darüber aufgeklärt werden, wo der sog. Präsenzbereich endet, innerhalb dessen die Versammlung stattfindet.32 Innerhalb dieses Bereichs sollte eine Übertragung der Verhandlungen sichergestellt werden, auch wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung im Aktienrecht Abweichungen insoweit nicht beanstandet hat.33 Erst mit dem Aufruf eines Tagesordnungspunktes wird der Eintritt in die Tagesordnung vollzogen, ab dem die Kernaufgabe des Vorsitzenden eingreift, für eine sachgerechte Erledigung derselben (Rz. 4) zu sorgen.34 dd) Erledigung der Tagesordnung (1) Bindungswirkung der Tagesordnung; Verhandlungssprache Der Vorsitzende der Gläubigerversammlung ist in doppelter Weise an die bekannt gemachte Tagesordnung gebunden: Zum einen darf nur über solche Punkte abgestimmt werden, die auf der Tagesordnung angekündigt worden sind (sog. negative Bindungswirkung); zum anderen muss jeder ordnungsgemäß angekündigte Tagesordnungspunkt in der Versammlung auch tatsächlich behandelt werden (sog. positive Bindungswirkung; zu beidem näher § 13 SchVG Rz. 3). Im Übrigen besteht zwar die Pflicht zur sachgerechten Erledigung der Tagesordnung, aber gerade keine Bindung an die in der Tagesordnung vorgesehene Reihenfolge der Beratungs- und Beschlussgegenstände. Der Vorsitzende kann daher – nicht anders als der Leiter der Hauptversammlung der AG35 – hiervon abweichen, wenn dies ihm sachgerecht erscheint.36 Im Unterschied zur Hauptversammlung der AG, die nach allgemeiner Auffassung stets in deutscher Sprache abzuhalten ist,37 muss die Verhandlungssprache – insbesondere bei ausländischen Emittenten – nicht Deutsch sein; eine effektive Wahrnehmung der Gläu-

27 Vgl. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 14; für die Hauptversammlung der AG Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 133. 28 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 14. 29 Vgl. für die Hauptversammlung der AG entsprechend Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 99; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 7; abgeschwächt (keine Rechtspflicht) Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 134. 30 Ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 16, 22. 31 Vgl. dazu Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 69. 32 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 15. 33 Vgl. für die Hauptversammlung der AG BGH v. 8.10.2013 – II ZR 329/12, AG 2013, 880; a.A. LG München I v. 1.4.2010 – 5 HKO 12554/09, AG 2011, 263; deutlich strenger auch Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 69. 34 Vgl. für die Hauptversammlung der AG Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 106. 35 Vgl. OLG Frankfurt v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, AG 2011, 36 (41); Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 23; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 137; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 108; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 7; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 70; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (528 f.). 36 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 17. 37 Z.B. Reger in Bürgers/Körber, § 129 AktG Rz. 39.

Binder 287

7

§ 15 SchVG Rz. 8 Vorsitz, Beschlussfähigkeit bigerrechte wird allerdings bei entsprechend strukturiertem Gläubigerkreis voraussetzen, dass die Möglichkeit der Simultanübersetzung geboten wird.38 (2) Wortmeldungen 8

Im Hinblick auf die Zulassung von Wortmeldungen und die Koordination der Antworten auf gestellte Fragen ist der Vorsitzende an den Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 3) gebunden, kann im Übrigen aber die Zusammenfassung einzelner Aspekte in einer Generaldebatte und die Reihung der Wortbeiträge nach pflichtgemäßem Ermessen und in Anwendung sachgerechter Kriterien festlegen.39 Auch hier ist darauf zu achten, dass die Reihung nicht willkürlich ausfällt oder einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen benachteiligt werden.40 Damit ist es ohne weiteres vereinbar, wenn Redebeiträge von Gläubigervereinigungen oder Personen, die eine größere Zahl von Stimmrechten vertreten, am Anfang der Aussprache eingereiht werden, da diese vielfach Themen von allgemeinem Interesse ansprechen und damit die Aussprache sinnvoll strukturieren werden.41 Unzulässig wäre es dagegen, Gläubiger, die voraussichtlich kritische Redebeiträge leisten oder Gegenanträge stellen bzw. begründen werden, gezielt an das Ende der Aussprache zu legen.42 (3) Steuerung der Redezeit

9

Eine sachgerechte Erledigung der Tagesordnung wird vielfach ohne Steuerung und ggf. Begrenzung der Redezeit nicht möglich sein. Auch sie gehört daher zu den Aufgaben des Vorsitzenden.43 Dieser ist damit zugleich für die prozedurale Umsetzung der aus der organisationsrechtlichen Verfassung der Anleihegläubigergesamtheit folgenden Rücksichtnahmepflichten (dazu § 9 SchVG Rz. 15 f.) verantwortlich. Dies entsprach im Ergebnis schon für das SchVG 1899 der ganz herrschenden Meinung44 und gilt ebenso wie für die Hauptversammlung der AG, für welche die Möglichkeit der Redezeitbeschränkung bereits vor der gesetzlichen Regelung der Gestaltungsbefugnis in der Satzung mit der Einführung des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG45 ebenfalls allgemein anerkannt war und – auch unabhängig von einer

38 Überzeugend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 16. 39 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 18 ff.; vgl. für die Hauptversammlung der AG entsprechend OLG München v. 28.9.2011 – 7 U 711/11, AG 2011, 840 (843); Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 119-132 AktG Rz. 32; Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 22 f.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 144; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 71; Kremer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 697 (699); Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (527 f.). 40 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 20; vgl. für die Hauptversammlung der AG entsprechend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 21; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 110; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 71; Kremer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 697 (699). 41 Ebenso Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 20; vgl. für die Hauptversammlung der AG entsprechend Hoffmann-Becking in MünchHdbAG, 4. Aufl. 2015, § 36 Rz. 57; Kremer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 697 (699); Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (528). 42 Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (528). 43 Wie hier Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 5; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5 und § 16 Rz. 30; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 18 ff., § 16 SchVG Rz. 19; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 15; Seibt, ZIP 2016, 997 (1005 f.). 44 Vgl. Ansmann, § 8 SchVG 1899 Rz. 6; Könige, SchVG 1899, § 8 Rz. 2. 45 Eingeführt durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Aktienrechts (UMAG) v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802; s. dazu stellvertretend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 98 m.w.N.

288

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 10 § 15 SchVG

darauf bezogenen Satzungsregelung – nach wie vor ist.46 Für die Gläubigerversammlung lassen sich derartige Beschränkungen unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchseinwands begründen (dazu näher § 16 SchVG Rz. 16).47 Unstreitig müssen sich die damit verbundenen Einschränkungen – wie jeder Eingriff in die Rechte der Versammlungsteilnehmer – am Maßstab der Verhältnismäßigkeit messen und rechtfertigen lassen, wobei das Interesse des Einberufenden an einer Abwicklung der Gläubigerversammlung innerhalb eines angemessenen, den Teilnehmern zumutbaren Zeitraums (vgl. dazu § 12 SchVG Rz. 5) gegen das Recht der Gläubiger abzuwägen ist, ihre Interessen effektiv geltend machen und vertreten zu können.48 Zwar geht es für die Versammlungsteilnehmer damit nicht um den Schutz von Mitgliedschaftsrechten, doch sind die Interessen insoweit angesichts der Bedeutung der Gläubigerversammlung für die kollektive Willensbildung zur Änderung der Anleihebedingungen (§§ 5 und 6 SchVG) kaum anders zu gewichten. Grundsätzlich ist zu unterscheiden zwischen generellen Redezeitbeschränkungen, die im Interesse der Abwicklung der Versammlung innerhalb eines zumutbaren Zeitraums (§ 12 SchVG Rz. 5) mit gleicher Wirkung für alle Teilnehmer gelten (Rz. 10), und individuellen Beschränkungen, die als Ordnungsmaßnahme für einzelne Redner angeordnet werden (Rz. 11).49 Die Einzelheiten sind in der aktienrechtlichen Diskussion sehr umstritten, die daher für die Adaption im Schuldverschreibungsrecht keine feste Orientierung, wohl aber Anhaltspunkte bieten kann.50 Als generelle Maßnahmen zur Steuerung des Rederechts kommen zunächst allgemein geltende Obergrenzen für die pro Redner zur Verfügung stehende Zeit in Betracht, die nach richtiger Ansicht mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nur im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Bedeutung des Beratungsgegenstands und der konkret hierzu vorliegenden Wortmeldungen festgelegt werden können.51 Schematisch ohne Rücksicht

46 Vgl. etwa Drinhausen in Hölters, § 131 AktG Rz. 28; Herrler in Grigoleit, § 131 AktG Rz. 36; Hüffer/ Koch, § 129 AktG Rz. 24; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 165 ff. und § 131 AktG Rz. 98; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 68; Fleischer, NJW 2005, 3525 (3530); Schütz, NZG 2005, 5, 11; a.A. Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 284 f.; s. aus der Zeit vor Einführung des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG repräsentativ etwa BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 (247 f.); BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 (245 f.) = AG 2010, 292; OLG Frankfurt v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, AG 2011, 36 (41); OLG Stuttgart v. 15.2.1995 – 3 U 118/94, AG 1995, 234 f.; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 138; Stützle/Walgenbach, 155 (1991), 516 (540 f.), jeweils m.w.N. 47 A.A. insoweit Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 15, die das Recht zur Beschränkung des Frage- und Rederechts aus der Pflicht des Vorsitzenden zur Gewährleistung einer „geordneten“ Meinungsbildung ableiten wollen. 48 Vgl. allgemein etwa Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; für die Hauptversammlung der AG Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 122; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 95, 140 ff.; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 2, 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 63, 84; Zöllner in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1988, § 119 AktG Rz. 91. 49 Zur Einteilung z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 161. 50 Im Ergebnis übereinstimmend insoweit wohl auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 15. 51 Insoweit übereinstimmend auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 22; vgl. für die Hauptversammlung der AG LG München I v. 11.12.2008 – 5 HKO 15201/08, AG 2009, 382 f.; vgl. auch OLG Frankfurt v. 12.2.2008 – 5 U 8/07, AG 2008, 592 (593); Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 163; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 152 f.; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 9 ff.; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 84; Kremer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 697 (705 ff.).

Binder 289

10

§ 15 SchVG Rz. 11 Vorsitz, Beschlussfähigkeit darauf festgelegte Obergrenzen52 sind dagegen problematisch.53 Die aktienrechtliche Rechtsprechung hat dabei auch die Anpassung der Redezeitbeschränkungen im Verlauf der und in Reaktion auf die Debatte zugelassen.54 Diese Grundsätze sind interessengerecht und können ohne weiteres auch für die Gläubigerversammlung herangezogen werden. Zweifelhaft und wohl kaum praktikabel ist dagegen eine Abgrenzung nach der Stoßrichtung der Redebeiträge, etwa in dem Sinne, dass nur mehr Beiträge zugelassen werden, welche nicht die bis dahin vertretene Mehrheitsmeinung stützen.55 Weitere generelle Maßnahmen zur Steuerung der Redezeit sind die Schließung der Rednerliste sowie die Beendigung der Aussprache.56 Da es sich um die denkbar schärfsten Einschnitte in die Teilnehmerrechte handelt, ist für das Aktienrecht überwiegend anerkannt, dass derartige Maßnahmen nur nach vorheriger Ankündigung57 als ultima ratio und nur dann getroffen werden dürfen, wenn ohne sie die Abwicklung der Hauptversammlung nicht mehr innerhalb des Tages möglich wäre, für den sie einberufen wurde.58 Nichts anderes kann für die Gläubigerversammlung gelten. 11

Individuelle Beschränkungen des Rederechts kommen als Bestandteile der Ordnungsbefugnisse des Versammlungsleiters in Betracht, wenn Beiträge einzelner Versammlungsteilnehmer, z.B. aufgrund ihres beleidigenden Inhalts, die sachgerechte Erledigung der Tagesordnung gefährden. Beschränkungen dieser Art greifen insofern besonders stark in die Teilnehmerrechte ein, als Konflikte mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Versammlungsteilnehmer (Rz. 3) darin geradezu angelegt sind. Bei ihrer Anwendung ist dabei stets darauf zu achten, dass gleich gelagerte Fälle gleich behandelt werden.59 Auch insoweit gilt im Übrigen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Rz. 9), weshalb nach allgemeiner Ansicht im Aktienrecht entsprechende Maßnahmen nur nach vorheriger Abmahnung und Androhung und nur abgestuft (individuelle Redezeitbegrenzung, sodann ggf. Wortentzug, Entfernung vom Rednerpult, schließlich – vorübergehender – Verweis aus dem Versammlungsraum in andere Bereiche der Präsenzzone etc. getroffen werden dürfen.60 Auch diese Grundsätze sind uneingeschränkt auf die Gläubigerversammlung übertragbar.

52 Angeregt etwa bei Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; für das Aktienrecht entsprechend Hüffer/ Koch, § 129 AktG Rz. 29 (maximal 15 Minuten); ähnlich auch Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 153 und bereits Max, AG 1991, 77 (91). 53 Zutr. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 84. 54 OLG Frankfurt v. 8.6.2009 – 23 W 3/09, AG 2009, 549 (550); OLG München v. 28.9.2011 – 7 U 711/11, AG 2011, 840 (843); LG München I v. 20.1.2011 – 5 HKO 18800/09, AG 2011, 211 (217). 55 So aber Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 22. 56 Vgl. für die Hauptversammlung der AG Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 12; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 85. 57 Vgl. OLG Frankfurt v. 8.2.2006 – 12 W 185/05, AG 2006, 249 (252); Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 85; für die Schließung der Rednerliste a.A. insoweit Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 168; wohl auch Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 12. 58 Näher dazu Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129-132 AktG Rz. 54; Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 30; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 168 f.; Hoffmann-Becking in MünchHdb/AG, 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 64 ff.; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 85; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (540); strenger Mülbert in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 156. 59 Zutr. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 89; vgl. auch Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 28; Kremer in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 697 (705 ff.). 60 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 6; vgl. für die Hauptversammlung der AG Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, Vor §§ 129-132 AktG Rz. 60 ff.; Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 3; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 129 AktG Rz. 172 ff.; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 13; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 88; exemplarisch auch LG München v. 2.9.2010 – 5 HK O 6069/10, AG 2011, 763 f. (Redeverbot); vgl. auch bereits BGH v. 11.11.1965 – II ZR 122/63, BGHZ 44, 245 (251) (Saalverbot als ultima ratio).

290

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 14 § 15 SchVG

(4) Wiederaufnahme beendeter Tagesordnungspunkte Eine Wiederaufnahme bereits durch Beschluss beendeter Tagesordnungspunkte sollte zur 12 Vermeidung einer unsicheren Beschlusslage möglichst unterbleiben, wenngleich im Einzelfall ein Bedürfnis nach nochmaliger Behandlung durchaus legitim sein kann. Im Aktienrecht soll sie nur zuzulassen sein (tw. str.), wenn dies durch neue, zuvor nicht thematisierte Tatsachen veranlasst61 und von der Hauptversammlung ausdrücklich beschlossen wird.62 Überdies dürfen keine Interessen von Versammlungsteilnehmern entgegenstehen, was insbesondere dann der Fall sein soll, wenn einzelne Teilnehmer die Versammlung nach der ersten Abstimmung bereits verlassen haben.63 Für die Gläubigerversammlung besteht kein Grund, andere Maßstäbe anzulegen. Sofern lediglich die Aussprache zu einem Punkt wieder aufgegriffen werden soll, zu dem kein Beschluss gefasst wurde, muss dies ohne weiteres möglich sein.64 (5) Überwachung der Rechtmäßigkeit der Antragstellung Zur Erledigung der Tagesordnung zählt die ordnungsgemäße Beschlussfassung. In diesem Zusammenhang hat der Vorsitzende auf die ordnungsgemäße Stellung von Anträgen hinzuwirken und ist zur Aufklärung bzw. Präzisierung verpflichtet, wenn das Vorbringen von Gläubigern unklar oder unvollständig ausfällt.65

13

ee) Unterbrechung, Abbruch, Vertagung, ordentliche Beendigung Ebenso wie die Eröffnung der Gläubigerversammlung fallen auch die Unterbrechnung und die Beendigung in den Aufgabenkreis des Vorsitzenden.66 Wie bei der Hauptversammlung der AG67 kommt eine Unterbrechung, deren Anordnung im Ermessen des Vorsitzenden liegt, in Betracht, wenn Störungen (z.B. technischer Art) beseitigt werden müssen oder bei längerer Dauer der Versammlung das Bedürfnis nach einer Erfrischungspause besteht.68 Die ordentliche Beendigung setzt grundsätzlich voraus, dass alle Tagesordnungspunkte sachgerecht behandelt worden sind und zu sämtlichen ordnungsgemäß gestellten Beschlussanträgen Be-

61 Drinhausen in Hölters, Anh. § 129 AktG Rz. 11; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 66; Zöllner in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1988, § 119 AktG Rz. 55; a.A. insoweit Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 139; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 128. 62 Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 8; auch insoweit a.A. Drinhausen in Hölters, Anh. § 129 AktG Rz. 11; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 139; unklar Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 128. 63 Vgl. Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 66. 64 Insoweit übereinstimmend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 139; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 127; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 66. 65 Ebenso Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 15 SchVG Rz. 3; für den Leiter der Hauptversammlung der AG Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 150; differenzierend Schatz, AG 2015, 696 (697 ff.). 66 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 29. 67 Für diese z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 140; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 129; Hoffmann-Becking in MünchHdb/AG, 4. Aufl. 2015, § 37 Rz. 47, 59; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 8; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (540); Max, AG 1991, 77 (90). 68 Knapp unter Verweis auf die Praxis der AG ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4.

Binder 291

14

§ 15 SchVG Rz. 15 Vorsitz, Beschlussfähigkeit schlüsse herbeigeführt wurden.69 Ausnahmsweise wird man – ebenso wie in der Hauptversammlung der AG70 – dem Vorsitzenden die Kompetenz zuweisen müssen, einen außerordentlichen Abbruch der Versammlung anzuordnen, so insbesondere, wenn es aufgrund von Einberufungsmängeln von vornherein nicht zu einer wirksamen Beschlussfassung kommen kann.71 Eine Vertagung steht aufgrund des damit verbundenen Eingriffs in die Gläubigerrechte und des Konflikts mit der durch die Tagesordnung begründeten berechtigten Erwartungen der Gläubiger dagegen auch hier nicht im Ermessen des Versammlungsleiters. Sie setzt vielmehr einen Beschluss der Gläubigerversammlung voraus, der auch hier vor der Beschlussfassung über Sachanträge herbeigeführt werden sollte.72 ff) Sonstiges 15

Im Rahmen seines Hausrechts hat der Vorsitzende auch über die Steuerung der Redezeit (Rz. 9 ff.) hinaus das Recht und die Pflicht, Störungen von der Gläubigerversammlung abzuwehren.73 Ebenso wie der Leiter der Hauptversammlung der AG kann er dazu auch externe Kräfte, z.B. Sicherheitspersonal oder die Polizei, zu Hilfe rufen; dabei sind die auf den Kreis der teilnahmeberechtigten Gläubiger und ihrer Vertreter bezogenen Schranken aus dem Gleichbehandlungs- und Verhältnismäßigkeitsgebot nicht anwendbar.74 gg) Verfahrensfehler

16

Verfahrensfehler des Vorsitzenden bei der Ausübung seiner Leitungs- und Ordnungsaufgaben können die Anfechtbarkeit von Beschlüssen begründen, wenn sie einen Einfluss auf das Beschlussergebnis gehabt haben. In diesem Zusammenhang kann sich – wie im Aktienrecht75 – auch die Frage einer Haftung des Versammlungsleiters für die finanziellen Folgen von Verfahrensfehlern stellen. Eine solche Haftung kann für den Vorsitzenden der Gläubigerversammlung zwar nicht auf seine Organ- bzw. anderweitige korporationsrechtliche Stellung gestützt werden.76 Als Anspruchsgrundlage kommt jedoch, insofern strukturell ver69 Ebenso Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; im Ausgangspunkt auch Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 29; für die Hauptversammlung der AG entsprechend Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 160; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 8. 70 Für diese etwa Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 8. 71 So auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 29. 72 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 13; für die Hauptversammlung der AG entsprechend etwa Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 23; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 152; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 15; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 8; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 73. 73 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 10. 74 Für diesen näher Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 176; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 170; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 15. 75 Vgl. dazu z.B. einerseits (ablehnend) LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1, AG 2014, 910 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 184; andererseits (befürwortend) Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 16; Marsch-Barner in FS Bambring, 2011, S. 267 (281); Poelzig, AG 2015, 476 (479 ff.); Schürnbrand, NZG 2014, 1211 (1212 f.); von der Linden, NZG 2013, 208 (210). 76 So die Begründungsansätze für das Aktienrecht, vgl. nochmals insb. Marsch-Barner in FS Bambring 2011, S. 267 (281); Poelzig, AG 2015, 476 (479 ff.); Schürnbrand, NZG 2014, 1211 (1212 f.); von der Linden, NZG 2013, 208 (210).

292

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 18 § 15 SchVG

gleichbar, auch hier § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. der gesetzlichen Aufgabenzuweisung und somit § 15 SchVG in Betracht. Ebenso wie im Aktienrecht ist allerdings den Besonderheiten der dynamischen Entscheidungssituation hinreichend Rechnung zu tragen. Dies muss Haftungserleichterungen im Falle von Entscheidungen einschließen, die zwar aus der Perspektive ex post nicht als rechtsirrtumsfrei, aber ex ante als vertretbar zu bewerten sind.77 2. Bestimmung des Vorsitzenden a) Grundlagen § 15 Abs. 1 SchVG legt fest, dass der Einberufende selbst den Versammlungsvorsitz führt, sofern nicht das Gericht einen anderen Vorsitzenden bestimmt hat. Damit sieht das Gesetz – im Unterschied zum Aktienrecht, wo der Versammlungsleiter für die Hauptversammlung mangels gesetzlicher Festlegung alternativ in der Satzung, der Geschäftsordnung oder ad hoc in der Hauptversammlung bestimmt werden kann78 – ausdrücklich keine Gestaltungsfreiheit vor. Als Versammlungsleiter in Betracht kommen nach der gesetzlichen Grundkonzeption der Schuldner (§ 9 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG), der gemeinsame Vertreter (§ 9 Abs. 1 Satz 1, Alt. 2 SchVG) oder – im Falle der Einberufung durch eine gerichtlich ermächtigte qualifizierte Gläubigerminderheit (vgl. § 9 Abs. 2 SchVG) – die betreffenden Gläubiger selbst bzw. eine vom Gericht festgelegte Person (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG, vgl. § 9 SchVG Rz. 41). Wenn mehrere Gläubiger den Antrag auf gerichtliche Ermächtigung gestellt haben, ermöglicht letztlich nur eine Festlegung des Gerichts praktikable Ergebnisse und sollte daher unbedingt herbeigeführt werden. Weder die Aufgabenwahrnehmung durch die einberufende Gläubigerminderheit insgesamt noch die Wahl eines Vorsitzenden durch die (als solche noch gar nicht konstituierte, vgl. Rz. 6) Gläubigerversammlung ist praktisch realisierbar.79

17

b) Insbesondere: Vertretung der Emittentin Hat, wie regelmäßig (vgl. § 9 SchVG Rz. 18), die Emittentin selbst die Versammlung ein- 18 berufen, kann sie naturgemäß durch den jeweiligen organschaftlichen Vertreter vertreten werden.80 Nicht überzeugend ist dagegen eine gelegentlich vertretene Auffassung, wonach dieser wegen des Konflikts der Gläubigerinteressen mit den Interessen der Emittentin gerade vom Vorsitz ausgeschlossen sein soll.81 Neben der Vertretung durch organschaftliche Vertreter soll auch der Vorsitz durch „sonstige Vertreter“ der Emittentin möglich sein,82 eine Vertretung durch den Aufsichtsrat entsprechend der üblichen Praxis in der Hauptversammlung

77 Dazu besonders Poelzig, AG 2015, 476 (484 ff.); Schürnbrand, NZG 2014, 1211 (1212). 78 Vgl. dazu etwa Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 18; Wicke in Spindler/Stilz, Anh. § 119 AktG Rz. 2 ff.; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 75 ff.; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 129 AktG Rz. 48. 79 Überzeugend Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 1; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005; a.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 2; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 4, Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 15 SchVG Rz. 1, die von einem Wahlrecht der Gläubigerversammlung ausgehen; ebenso auch noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 15 SchVG Rz. 2. 80 Insoweit übereinstimmend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 15 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 2. 81 So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 6; dagegen überzeugend Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2006). 82 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber, § 15 SchVG Rz. 3; wohl auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 15 SchVG Rz. 1; de lege ferenda auch Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845 (847).

Binder 293

§ 15 SchVG Rz. 18 Vorsitz, Beschlussfähigkeit der AG dagegen ausscheiden.83 Derartige Konkretisierungen sind jedenfalls nicht prima facie zwingend und loten in jedem Fall das Problem nicht vollständig aus. Sie sind auch nicht widerspruchsfrei: Geht man davon aus, dass der Vorstand berechtigt ist, andere Personen mit der Leitung zu beauftragen und sie hierzu zu bevollmächtigen, ist zweifelhaft, weshalb nicht auch Mitglieder des Aufsichtsrats als Vertreter in Betracht kommen sollten. Klärungsbedürftig ist damit vorrangig, ob überhaupt anstelle des organschaftlichen Vertreters eine andere Person als der Vorstand durch diesen rechtsgeschäftlich bevollmächtigt werden kann, die Leitung der Gläubigerversammlung auszuüben. Damit kommt es darauf an, ob aus § 15 Abs. 1 SchVG eine spezielle Vertretungsregelung abgeleitet werden kann, die als lex specialis Vorrang vor den für die jeweilige Rechtsform geltenden Vertretungsregelungen (z.B. §§ 35 GmbHG, 78 AktG) beanspruchen würde. Wortlaut und Entstehungsgeschichte sind insofern nicht eindeutig; der Gesetzgeber hat das Problem offenbar nicht bedacht.84 Unterstellt man, dass es sich überhaupt um einen Fall der Stellvertretung handelt, besteht an sich prima facie kein Grund, von den allgemeinen kapitalgesellschaftsrechtlichen Regelungen abzuweichen. Diese sichern – außerhalb gesetzlich ausdrücklich erfasster Sonderfälle, die hier nicht einschlägig sind (z.B. §§ 50 Abs. 1, 53 Abs. 1, 179a AktG) – in der AG dem Vorstand umfassende, nicht durch obligatorische Mitwirkung anderer Organe beschränkte Vertretungsmacht und ermöglichen dabei nach herrschender, aber nicht unbestrittener Ansicht auch die weit gehende Delegation von Vertretungsmacht im Rahmen einer (widerruflichen) Generalvollmacht ermöglichen.85 Für die Anwendbarkeit dieser Grundsätze im Hinblick auf die Vertretung der Emittentin bei der Leitung der Gläubigerversammlung spricht an sich auch, dass die Versammlung ja der kollektiven Beschlussfassung über Änderungen der Anleihebedingungen (§ 9 SchVG Rz. 1, 6 ff.) und damit über die Gestaltung der Fremdkapitalfinanzierung dient, die an sich als Maßnahme der Geschäftsführung Sache des Leitungsorgans ist.86 Dennoch überwiegen die Zweifel und streiten die besseren Gründe für eine Beschränkung des für die Vertretung in Betracht kommenden Personenkreises auf die organschaftlichen Vertreter selbst. Ganz grundsätzlich handelt es sich beim Vorsitz der Gläubigerversammlung jedenfalls nicht primär um die Vornahme von Rechtsgeschäften, auf welche das Stellvertretungsrecht an sich zugeschnitten ist. Vielmehr nimmt der Vorsitzende ein Bündel von Aufgaben nicht nur rechtsgeschäftlicher, sondern auch rechtsgeschäftsähnlicher und tatsächlicher Art wahr, das allein als Abgabe (eines Bündels) rechtserheblicher Erklärungen nicht zutreffend erfasst werden kann (Rz. 3 ff.). Der Vorsitzende repräsentiert dabei den Schuldner vielmehr in einem weiter gefassten Sinne. Vor diesem Hintergrund sollte der Vorsitz der Gläubigerversammlung als Aufgabe sui generis qualifiziert werden, die, wenn die Emittentin keine natürliche Person ist, von den organschaftlichen Vertretern höchstpersönlich wahrgenommen werden muss.87 Dies schließt jedoch eine Delegation innerhalb der Geschäftsleitung des Vorsitzenden, also die Wahrnehmung der Aufgaben durch lediglich einen von mehreren organschaftlichen Vertreter nicht aus.88

83 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 2; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 15 SchVG Rz. 1; Seibt, ZIP 2016, 997 (1005); ebenso noch Gärtner in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 1. 84 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. 85 Vgl. für die AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 78 AktG Rz. 52; Habersack/Foerster in Großkomm/ AktG, 5. Aufl. 2015, § 80 AktG Rz. 81; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 78; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 78 AktG Rz. 39, 41; a.A. für die GmbH BGH v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, NJW 1966, 292 (295). 86 Vgl. exemplarisch für die AG etwa Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 16 f.; Hoffmann in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 1, 12. 87 A.A. insoweit Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2006). 88 Insoweit ebenso Seibt, ZIP 2016, 997 (1005); Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2006).

294

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 20 § 15 SchVG

III. Teilnehmerverzeichnis (§ 15 Abs. 2 SchVG) 1. Pflicht zur Aufstellung und Inhalt Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 SchVG muss der Vorsitzende in der Gläubigerversammlung ein Verzeichnis der erschienenen und der durch Bevollmächtigte vertretenen Gläubiger aufstellen. Nicht anders als in der Hauptversammlung der AG, für die § 129 Abs. 1 Satz 2 AktG eine entsprechende Pflicht der Gesellschaft (nicht des Versammlungsleiters89) regelt, soll das Verzeichnis zunächst das ordnungsgemäße Zustandekommen der Beschlüsse dokumentieren und so ex post überprüfbar machen; es schützt damit die Gläubiger.90 Wiederum wie im Aktienrecht91 dient das Verzeichnis zugleich der einfacheren Feststellung der Beschlussfähigkeit nach § 15 Abs. 3 SchVG und kann, als Präsenzliste geführt, die Durchführung der Abstimmung und Feststellung der Beschlussergebnisse erleichtern.92 Der Inhalt des Teilnehmerverzeichnisses wird durch § 15 Abs. 2 Satz 2 SchVG vorgegeben. Aufzunehmen sind danach – für jeden einzelnen Gläubiger und ggf. ihre Vertreter93 – der Name (ggf. die Firma, § 17 Abs. 1 HGB), der Sitz bzw. Wohnort sowie die Zahl der vertretenen Stimmen (zur Berechnung der Stimmen siehe § 6 SchVG Rz. 4 ff.). Die Funktionen des Teilnehmerverzeichnisses können nur erfüllt werden, wenn das Verzeichnis während der Gläubigerversammlung laufend aktualisiert wird. Daher ist das verspätete Erscheinen von Gläubigern während der Versammlung ebenso zu erfassen wie das vorzeitige Verlassen, da nur so die Beschlussfähigkeit zu jedem Zeitpunkt festgestellt werden kann.94

19

2. Modalitäten der Aufstellung Die Modalitäten der Aufstellung überlässt das Gesetz an sich dem Gestaltungsermessen des Vorsitzenden der Gläubigerversammlung. Aus der Pflicht zur laufenden Aktualisierung (Rz. 19) folgt jedoch die Notwendigkeit hinreichender organisatorischer Vorkehrungen, um sicherzustellen, dass die jeweilige Zusammensetzung des Teilnehmerkreises laufend sicher erfasst werden kann. Daher sollte die Erfassung von An- und Abwesenheit der Teilnehmer sinnvollerweise mit der Einlasskontrolle zur Versammlung kombiniert werden; gerade in diesem Zusammenhang ist die Festlegung eines Anmeldeerfordernisses und standardisierter Modalitäten für den Legitimationsnachweis sinnvoll (dazu § 10 SchVG Rz. 8 ff.).95 Die Form der Aufstellung ist wie im Aktienrecht gesetzlich nicht vorgegeben; auch hier kann das Verzeichnis alternativ in Papierform oder elektronisch geführt werden; entscheidend ist, dass sich 89 So die überwiegende Ansicht, vgl. etwa Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 129 AktG Rz. 81; Wicke in Spindler/Stilz, § 129 AktG Rz. 20; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 18; a.A. (Pflicht des Vorstands) Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 129 AktG Rz. 16; differenzierend Hüffer/Koch, AktG, § 129 AktG Rz. 6 f. 90 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6; für das Aktienrecht gleichsinnig etwa Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 129 AktG Rz. 1; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 17. 91 Vgl. Hüffer/Koch, § 129 AktG Rz. 1; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 129 AktG Rz. 1; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 129 AktG Rz. 32, 34; Wicke in Spindler/Stilz, § 129 AktG Rz. 16; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 17. 92 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 5; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6. 93 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 30; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6. 94 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 6; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 2, 10. 95 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 31; vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 6; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 10; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6.

Binder 295

20

§ 15 SchVG Rz. 21 Vorsitz, Beschlussfähigkeit daraus der gesetzlich vorgegebene Inhalt übersichtlich (idealerweise in tabellarischer Form) entnehmen lässt.96 Dafür wird die elektronische Erfassung in der Regel sinnvoller sein; empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang die Vorbereitung durch einen Vorentwurf auf der Grundlage der vorliegenden Anmeldungen.97 3. Publizität des Teilnehmerverzeichnisses 21

Das Teilnehmerverzeichnis ist nach § 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG vom Vorsitzenden der Gläubigerversammlung zu unterschreiben und allen Gläubigern unverzüglich zugänglich zu machen. Nimmt zulässigerweise (Rz. 18) ein Mitglied eines Kollektivorgans (etwa der Emittentin) die Aufgabe des Vorsitzenden wahr, kann es sich zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten empfehlen, dass vorsorglich alle für die Vertretung erforderlichen Organmitglieder und nicht nur der Vorsitzende selbst das Verzeichnis unterzeichnen.98 Die Regelung entspricht funktional der Vorgängervorschrift in § 8 SchVG 1899 und der Parallelvorschrift in § 129 Abs. 4 Satz 1 AktG, weicht aber inhaltlich davon erheblich ab. Nach § 129 Abs. 4 Satz 1 AktG ist das Verzeichnis den Teilnehmern der Hauptversammlung vor der ersten Abstimmung zur Verfügung zu stellen. Eine „unverzügliche“ Bereitstellung i.S.d. § 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG erfordert dagegen nach allgemeiner Ansicht keine Bereitstellung noch während der Versammlung selbst. Vielmehr soll es ausreichen, wenn das Verzeichnis innerhalb der Monatsfrist zur Erhebung der Anfechtungsklage nach § 20 Abs. 3 SchVG bereitgestellt wird.99 Präziser wäre zu formulieren, dass den Gläubigern innerhalb dieser Frist anhand des Verzeichnisses die Prüfung der Beschlussfähigkeit möglich sein muss.100 Legt man diese Ratio zugrunde, darf die Monatsfrist nicht ausgeschöpft werden. Vielmehr muss jeweils im Einzelfall geprüft werden, wann die Veröffentlichung frühestens möglich war und ob der verbleibende Zeitraum angemessenen Raum für eine Überprüfung zulässt. Ersteres wird in der Regel in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zur Versammlung, spätestens innerhalb von einem bis zwei Geschäftstagen möglich sein, letzteres in der Regel wohl bis zu einer Woche in Anspruch nehmen können. Nur unter Beachtung dieser Grundsätze ist sichergestellt, dass die Gläubiger ihre Rechte ebenso effektiv wahrnehmen können wie die Aktionäre nach der Hauptversammlung der AG.101 Insofern ist der Hinweis auf die Monatsfrist zumindest missverständlich. Die Bereitstellung kann dabei auch über die Internetseite des Schuldners erfolgen.102 Dabei kann und sollte das Dokument zwar zum Schutz der enthaltenen Daten verschlüsselt werden,103 muss jedoch leicht auffindbar sein.104

96 Vgl. für das Aktienrecht, aber übertragbar Drinhausen in Hölters, § 129 AktG Rz. 19; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 129 AktG Rz. 41; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 129 AktG Rz. 21. 97 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 10; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2007). 98 Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 7; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2007). 99 So Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 33. 100 Vgl. schon Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; ebenso und unter Berufung darauf Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 11; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 6, 22. 101 Insoweit ungenau Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 2. 102 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; ebenso Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 11; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 34; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 9. 103 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 11; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 34; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 9. 104 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 11.

296

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 23 § 15 SchVG

4. Verfahrensfehler Werden die Anforderungen aus § 15 Abs. 2 SchVG nicht eingehalten, begründet dies einen Gesetzesverstoß, der potentiell zur Anfechtung berechtigt (§ 20 Abs. 1 Satz 1, Alt. 1 SchVG). Da die getroffenen Beschlüsse indessen in der Regel nicht auf diesem Fehler beruhen werden, wird eine darauf gestützte Anfechtung in der Regel ins Leere gehen.105

22

IV. Beschlussfähigkeit und zweite Versammlung (§ 15 Abs. 3 SchVG) 1. Grundlagen § 15 Abs. 3 SchVG gibt Mindestquoren für die Beschlussfähigkeit der regulären Gläubigerversammlung (Rz. 24) und damit quantitative Mindestvoraussetzungen für das Zustandekommen wirksamer Beschlüsse vor. Erleichterte Voraussetzungen gelten für eine zweite Gläubigerversammlung, wenn in der ersten Versammlung das Quorum verfehlt worden ist (Rz. 25). Für die Berechnung des Quorums wird in beiden Fällen einheitlich auf die ausstehenden Schuldverschreibungen abgestellt. Entscheidend ist damit der Nennbetrag des zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung aggregierten und valutierten Emissionsvolumens,106 das grundsätzlich mindestens zur Hälfte (§ 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG), im Falle der zweiten Versammlung mindestens zu 25 % vertreten sein muss. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG sind dabei diejenigen Schuldverschreibungen nicht mitzurechnen, deren Stimmrechte ruhen. Dies ist der Fall, wenn und solange die Anteile der Emittentin selbst oder einem ihr verbundenen Unternehmen (vgl. § 271 Abs. 2 HGB) zustehen oder für Rechnung der Emittentin oder eines ihr verbundenen Unternehmens gehalten werden (§ 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG, siehe § 6 SchVG Rz. 18). Die Beschlussfähigkeit und damit die Einhaltung dieser Anforderungen ist durch den Vorsitzenden zweckmäßigerweise bereits vor dem Eintritt in die Tagesordnung zu prüfen, jedoch nicht zwingend förmlich festzustellen,107 und jedenfalls anhand des Teilnehmerverzeichnisses vor den einzelnen Beschlussfassungen nochmals zu verifizieren, um die Anfechtbarkeit der Beschlüsse zu vermeiden.108 Wird Beschlussunfähigkeit festgestellt, dürfen keine Beschlüsse gefasst werden, was eine Generaldebatte und die Zulassung von Fragen nicht ausschließt, die jedoch keine Bindungswirkung für eine nachfolgende zweite Gläubigerversammlung auslösen.109 Die Prüfung der Beschlussfähigkeit ist damit Bestandteil der Verantwortung des Vorsitzenden für die Sicherstellung rechtmäßiger Beschlüsse (Rz. 3 f.). Die Beschlussfähigkeit ist zu unterscheiden von den für eine Änderung der Anleihebedingungen erforderlichen Mehrheitsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 4 SchVG (dazu § 5 SchVG Rz. 88 ff.), welche Beschlussfähigkeit voraussetzen.110 Die Anforderungen nach § 15 Abs. 3 Satz 1 und 2 SchVG sind insofern dispositiv, als die Anleihebedingungen jeweils auch strengere Anforderungen vorsehen dürfen.

105 Vgl. entsprechend Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 12. 106 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 14. 107 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 12; Seibt, ZIP 2016, 997 (1005); strenger (Feststellung erforderlich) Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 37; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 22; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2011); vgl. auch bereits Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 23. 108 Ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 22. 109 Überzeugend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 37 f. 110 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 8; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 14.

Binder 297

23

§ 15 SchVG Rz. 24 Vorsitz, Beschlussfähigkeit 2. Mindestquorum nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG 24

Als reguläres Mindestquorum setzt die Beschlussfähigkeit nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG grundsätzlich voraus, dass mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen in der Versammlung vertreten ist (zur Berechnung Rz. 23). Die Regelung dient dem Schutz der Anleihegläubigergesamtheit vor Überrumpelung durch zufällig zustande gekommene Mehrheiten.111 Sie ist ohne Parallele im Recht der Hauptversammlung der AG, für die kein allgemeines gesetzliches Mindestquorum vorgesehen ist. Im Schuldverschreibungsrecht trägt es der für die Finanzierungsbeziehung zwischen Emittentin und Gläubigern charakteristischen Interessenlage Rechnung. In die Anleihebedingungen als Rechtsgrundlage für die Bereitstellung von Fremdkapital soll zwar im Interesse der Ermöglichung einer Sanierungslösung aufgrund einer Mehrheitsentscheidung eingegriffen werden können, dies jedoch grundsätzlich nur, wenn der Eingriff durch eine hinreichend hohe Zustimmung legitimiert ist.112 Andererseits soll eine möglichst große Flexibilität zugunsten von Sanierungslösungen gesichert werden. Der Schutz der Anleihegläubiger geht vor diesem Hintergrund über den Minderheitenschutz im Aktienrecht hinaus, wo nur ausnahmsweise neben der einfachen Stimmenmehrheit auch eine Kapitalmehrheit gesetzlich vorgeschrieben ist.113 Dieser Schutz findet seine Rechtfertigung darin, dass es den Schuldverschreibungsgläubigern an den für die Verbandsmitgliedschaft wesentlichen Kontroll- und Mitwirkungsrechten fehlt und sich die Möglichkeiten zur Interessenwahrnehmung auf die Mitwirkung an der Abstimmung beschränken.114 Gleichwohl reicht der Schutz deutlich weniger weit als nach dem SchVG 1899 und besteht im Vergleich damit eine deutlich höhere Flexibilität. Nach § 11 Abs. 2 SchVG 1899 bedurften Einschränkungen von Gläubigerrechten zunächst einer 75 %-Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 SchVG 1899); diese mussten überdies nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SchVG 1899 grundsätzlich mindestens die Hälfte des Nennwerts der ausstehenden Schuldverschreibungen repräsentieren. Damit konnten Einschränkungen nicht gegen die Mehrheit der Gläubiger durchgesetzt werden. Nach neuem Recht ermöglichen § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG i.V.m. dem 75 %-Erfordernis nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG rechnerisch erhebliche Eingriffe in Gläubigerrechte aufgrund von Mehrheiten von lediglich 37,5 % der Stimmen in der Versammlung.115 3. Zweite Gläubigerversammlung (§ 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG) a) Ratio

25

Wird das Quorum nach § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG in der regulären Gläubigerversammlung verfehlt, erlaubt das Gesetz in § 15 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG die Einberufung einer zweiten Versammlung, welche unter erleichterten Voraussetzungen die zuvor nicht möglichen Beschlüsse herbeiführen kann. Die Regelung beruht im Wesentlichen auf § 11 Abs. 5 SchVG 1899, der den Schuldner für den Fall der Nichterreichung des in § 11 Abs. 2 Satz 2 SchVG 1899 geregelten Mehrheitserfordernisses zur Einberufung einer zweiten Versammlung verpflichtete. Sie soll einer im Vergleich mit der regulären Gläubigerversammlung veränderten Interessenlage gerecht werden: Nachdem die Gläubigergesamtheit in der ordnungsgemäß 111 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 11; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 3. 112 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 11; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 15. 113 Vgl. im Überblick stellvertretend Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 13 f. 114 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18 f.; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 11; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 15. 115 Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 15; vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 11; rechtspolitische Kritik insoweit bei Florstedt, WiVerw 2014, 155 (161).

298

Binder

Vorsitz, Beschlussfähigkeit

Rz. 27 § 15 SchVG

einberufenen regulären Versammlung die Möglichkeit hatte, ihre Rechte auszuüben, und nicht ausreichend viele Gläubiger Interesse an einer einvernehmlichen Mitwirkung gezeigt hatten, gewichtet die zweite Versammlung – wie aus dem ungleich niedrigeren Quorum (Rz. 28) erkennbar – das Interesse der Emittentin stärker, eine Sanierungslösung ohne Blockade durch desinteressierte Gläubiger realisieren zu können.116 b) Verfahren und Kompetenz zur Einberufung Das Verfahren der Einberufung regelt die Bestimmung nicht. Insoweit ist umstritten, ob nochmals die Vorgaben aus §§ 10 ff. SchVG in vollem Umfang erfüllt werden müssen117 oder Erleichterungen gelten.118 Der strengeren Alternative entsprach bereits die im Schrifttum zu § 11 Abs. 5 SchVG 1899 vertretene Ansicht.119 Für die uneingeschränkte Anwendbarkeit der §§ 10, 12 und 13 SchVG spricht auf den ersten Blick der Wortlaut des Gesetzes, der eben keine Einschränkungen vorsieht. Gegen diese Lesart lässt sich allerdings der Zweck der zweiten Versammlung anführen, die in § 15 Abs. 3 SchVG eben nicht als eigenständige Versammlung, sondern als Reaktion auf die Unterschreitung des Quorums in der regulären Gläubigerversammlung konzipiert ist, auf welche die §§ 10 ff. SchVG zugeschnitten sind. Akzeptiert man dies und berücksichtigt das gegenüber der regulären Gläubigerversammlung stärker zu gewichtende Interesse an einer Realisierung von Sanierungsbeiträgen ohne Blockade durch desinteressierte Gläubiger (Rz. 25), sprechen gute Gründe dagegen, die Einberufung der zweiten Versammlung dem gesamten für die reguläre Gläubigerversammlung geltenden Anforderungsprofil zu unterwerfen. Überzeugend erscheint daher eine im Schrifttum vertretene differenzierende Lösung:120 Danach ist im Interesse des Gläubigerschutzes zwar die gesetzliche Einberufungsfrist (§ 10 Abs. 1 SchVG) und ggf. die Verlängerung durch das Anmeldeerfordernis (§ 10 Abs. 2 SchVG) einzuhalten. Jedoch sollten Tagesordnungsergänzungsverlangen (§ 13 Abs. 3 SchVG) und die Ankündigung von Gegenanträgen (§ 13 Abs. 4 SchVG) in diesem Stadium nicht mehr als zulässig gelten können, weil diese bereits auf die Einberufung zur ersten, regulären Versammlung hin möglich gewesen wären.121 Nur wenn der Einberufende selbst neue Gegenstände zulassen will, sollten die für die reguläre Gläubigerversammlung geltenden Vorschriften in vollem Umfang zur Anwendung kommen.

26

Ebenso umstritten ist die Frage der Einberufungskompetenz für die zweite Versammlung. Hier ist teilweise vertreten worden, auch insoweit sei der gesetzliche Rahmen für die Einberufung der regulären Versammlung voll anwendbar mit der Folge, dass nicht nur die Emittentin, sondern auch der gemeinsame Vertreter sowie eine gerichtlich ermächtigte Gläubigerminderheit zur Einberufung einer zweiten Versammlung berechtigt seien (vgl. § 9 Abs. 1 und 2 SchVG).122 Dagegen spricht bereits der eindeutige Wortlaut des § 15 Abs. 3 SchVG, der ausdrücklich dem Vorsitzenden der (scil. regulären) Gläubigerversammlung die Kompetenz zur

27

116 Vgl. BGH v. 2.12.2014 – II ZB 2/14 – Rz. 39, WM 2015, 470 (473); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 13; Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 38; Seibt, ZIP 2016, 997 (1006). 117 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 13; Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 17; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 25. 118 Dafür Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 41; offen gelassen, aber wohl dahin tendierend auch BGH v. 2.12.2014 – II ZB 2/14, WM 2015, 470 (473 f.). 119 Z.B. Ansmann, § 11 SchVG 1899 Anm. 23; Quassowski/Schmölder, VO SchVG 1899, S. 31 f. 120 Zum Folgenden Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 41. 121 Ähnlich Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 25. 122 So Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (911); Kusserow, WuB I G 7 – 1.14; Lürken, GWR 2014, 87; wohl auch Kirchner in Preuße, § 15 SchVG Rz. 17; a.A. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 41; Schmidtbleicher in Ekkenga/Schröer, Hdb. AG-Finanzierung, Kap. 12 Rz. 188; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 23.

Binder 299

§ 15 SchVG Rz. 28 Vorsitz, Beschlussfähigkeit Einberufung zuweist und keinen Raum für die Annahme einer Regelungslücke als Voraussetzung für die analoge Heranziehung des § 9 Abs. 1 und 2 SchVG lässt.123 Mit Blick auf die Ratio der Regelung ist im Übrigen auch nicht von einer mit der Einberufung der regulären Versammlung vergleichbaren Interessenlage auszugehen.124 Allerdings steht es den übrigen nach § 9 SchVG einberufungsberechtigten Akteuren selbstverständlich frei, unter Einhaltung der allgemeinen Regelungen (erneut) die Einberufung einer regulären Gläubigerversammlung zu betreiben.125 Für die Kosten der Einberufung und der zweiten Gläubigerversammlung Versammlung selbst wird man in jedem Fall dem Versammlungsleiter einen Ersatzbzw. Freistellungsanspruch gegen die Emittentin analog § 9 Abs. 4 SchVG und § 12 Abs. 2 Satz 3 SchVG zusprechen müssen.126 c) Mindestanwesenheitsschwelle 28

In Konsequenz des Regelungszwecks (Rz. 25) sieht das Gesetz vor, dass die Versammlung ohne Einhaltung eines Mindestquorums beschlussfähig ist (§ 15 Abs. 3 Satz 3, Halbs. 1 SchVG), so dass die Nichtteilnahme von Gläubigern nicht mehr zur Obstruktion der Beschlussfindung führen kann. Auch hier wird allerdings ein Mindestschutz vor der Überrumpelung durch eine Minderheit gewährleistet, indem Beschlüsse, für die eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, nur wirksam gefasst werden können, wenn die Anwesenden mindestens 25 % der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten (§ 15 Abs. 3 Satz 3, Halbs. 2 SchVG). Dies betrifft die in § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG geregelten Fälle von Eingriffen in Gläubigerrechte. Für die Berechnung dieses eingeschränkten Quorums gilt unmittelbar § 15 Abs. 3 Satz 5 SchVG, der nicht zwischen regulärer und zweiter Versammlung unterscheidet (siehe bereits Rz. 23).

§ 16 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift (1) Der Schuldner hat jedem Gläubiger auf Verlangen in der Gläubigerversammlung Auskunft zu erteilen, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich ist. (2) Auf die Abgabe und die Auszählung der Stimmen sind die Vorschriften des Aktiengesetzes über die Abstimmung der Aktionäre in der Hauptversammlung entsprechend anzuwenden, soweit nicht in den Anleihebedingungen etwas anderes vorgesehen ist. (3) 1Jeder Beschluss der Gläubigerversammlung bedarf zu seiner Gültigkeit der Beurkundung durch eine über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift. 2Findet die Gläubigerversammlung im Inland statt, so ist die Niederschrift durch einen Notar aufzunehmen; bei einer Gläubigerversammlung im Ausland muss eine Niederschrift gewähr-

123 Zutr. BGH v. 2.12.2014 – II ZB 2/14, WM 2015, 470 (472) mit zust. Anm. Just/Maiwald, EWiR 2015, 239 f.; Klockenbrink/Keßler, DB 2015, 728 f.; Moser, BB 2015, 723; ebenso nunmehr auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 6; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 23. 124 Wiederum richtig BGH v. 2.12.2014 – II ZB 2/14, WM 2015, 470 (472 f.). 125 Richtig Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 23. 126 Überzeugend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 15 SchVG Rz. 42; Wasmann/Steber in Veranneman, § 15 SchVG Rz. 25.

300

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

§ 16 SchVG

leistet sein, die der Niederschrift durch einen Notar gleichwertig ist. 3§ 130 Absatz 2 bis 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. 4Jeder Gläubiger, der in der Gläubigerversammlung erschienen oder durch Bevollmächtigte vertreten war, kann binnen eines Jahres nach dem Tag der Versammlung von dem Schuldner eine Abschrift der Niederschrift und der Anlagen verlangen. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Auskunftspflicht (§ 16 Abs. 1 SchVG) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichweite a) Zeitliche und örtliche Reichweite . . . b) Sachliche Reichweite aa) Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bezug zu Tagesordnungspunkt bzw. Beschlussvorschlag . . . . . . . cc) Erforderlichkeitsprüfung (1) Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schranken, insbesondere Auskunftsverweigerungsrechte und zeitliche Beschränkungen für Auskunftsverlangen a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Analogie zu § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG? c) Analogie zu § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG? d) Rechtsmissbrauch als Schranke: Einzelfälle aa) Quantitative Schranken des Auskunftsrechts . . . . . . . . . . . . . bb) Qualitative Schranken (1) Drohende Schädigung der Emittentin oder ihr verbundener Unternehmen . . . . . . . . . . (2) Steuerrechtliche und bilanzbezogene Fragen . . . . . . . . . . . . . (3) Strafbarkeit der Auskunftserteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Bereits zuvor veröffentlichte Informationen . . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelne Auskunftsgegenstände . . . . . . . 5. Auskunftsanspruch a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 4 5 6 8 9

13 14 15

16

17 18 19 20 21 22 23 24

d) Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Abstimmungsverfahren (§ 16 Abs. 2 SchVG) 1. Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungen in den Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelheiten und aktienrechtliche Vorbilder a) Stimmabgabe aa) Willenserklärung. . . . . . . . . . . . . bb) Abgabemodalitäten. . . . . . . . . . . cc) Sonderfall: „Briefwahl“ . . . . . . . . dd) Online-Gläubigerversammlung b) Auszählung aa) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . bb) Additionsverfahren . . . . . . . . . . . cc) Subtraktionsverfahren . . . . . . . . IV. Niederschrift und Beurkundung (§ 16 Abs. 3 SchVG) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Versammlungen im Inland. . . . . . . . . . . 3. Versammlungen im Ausland . . . . . . . . . 4. Inhalt und Verfahren a) Inhalt der Niederschrift aa) Grundlagen der Beurkundungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausdrücklich vorgeschriebene Pflichtinhalte (1) Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ungeschriebene Pflichtinhalte . . dd) Fakultative Angaben . . . . . . . . . . ee) Anlagen zur Niederschrift. . . . . . b) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Anspruch auf Überlassung einer Abschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern . . . .

25

26 27

28 29 30 31 32 33 34

35 36 37

38 39 41 42 43 44 45 46 47

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845; Baums, Weitere Reform des Schuldverschreibungsrechts!, ZHR 177 (2013), 807; Bertelmann/Schönen, Gläubigerrechte und Emittentenpflichten bei der Abstimmung ohne Versammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 353; Ebenroth, Das Auskunftsrecht des Aktionärs und seine Durchsetzung im Prozess, 1970; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, WiVerw 2014, 155; Lamers, Die Beurkundung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, DNotZ 1962, 287; Max, Die Leitung der Hauptversammlung, AG 1991, 77; Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, 2016; Meilicke/Heidel, Das Auskunftsrecht des Aktionärs in der Hauptversammlung – Teil II, DStR 1992, 113; Otto, Gläubigerversammlungen nach dem SchVG – Ein neues Tätigkeitsgebiet für Notare, DNotZ 2012, 809; Priester,

Binder 301

§ 16 SchVG Rz. 1 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift Aufgaben und Funktionen des Notars in der Hauptversammlung, DNotZ 2001, 661; Reuter, Das Auskunftsrecht des Aktionärs – neuere Rechtsprechung zu § 131 AktG, DB 1988, 2615; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010; Uwe H. Schneider, Geheime Abstimmung in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, in FS Peltzer, 2001, S. 425; Schulte, Die Niederschrift über die Verhandlung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, AG 1985, 33; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleihenrestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016, 997; Stützle/Walgenbach, Leitung der Hauptversammlung und Mitspracherechte der Aktionäre in Fragen der Versammlungsleitung, ZHR 155 (1991), 516; Trouet, Die Hauptversammlung – Organ der Aktiengesellschaft oder Forum der Aktionäre?, NJW 1986, 1302; v. Falkenhausen, Die nächste Hauptversammlung, BB 1966, 337; Wasmann/Steber, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 2005; Werner, Zur Treupflicht des Kleinaktionärs, in FS Semler, 1993, S. 419; Wilhelm, Inkompetenz des Aktionärs und Auskunfts- und Klagerecht, DB 2001, 520; Wilhelmi, Der Notar in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft, BB 1987, 1331.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang 1

Die Vorschrift ergänzt die §§ 14 und 15 SchVG um weitere zentrale Vorgaben für den Ablauf der Gläubigerversammlung. Auch sie betrifft indessen nur Einzelaspekte; eine umfassende gesetzliche Regelung der Verfassung der Gläubigerversammlung ist nicht getroffen worden (vgl. schon § 15 SchVG Rz. 1). Der Regelungszweck liegt – im Grundsatz wie bei §§ 14 und 15 SchVG – in der prozeduralen Absicherung einer effektiven Interessenvertretung der Gläubiger in der Gläubigerversammlung. Die Vorschrift ist mit Ausnahme des § 16 Abs. 3 SchVG ohne Vorbilder im SchVG 1899;1 § 16 Abs. 3 SchVG entwickelt die Regelung des § 9 SchVG 1899 weiter. Zentral für die Wahrnehmung der Gläubigerrechte ist vor allem das in § 16 Abs. 1 SchVG geregelte Auskunftsrecht (Rz. 3 ff.). Im Hinblick auf die in § 16 Abs. 2 SchVG erfassten Modalitäten des Abstimmungsverfahrens hat sich der Gesetzgeber für eine Kombination aus Gestaltungsfreiheit für die Anleihebedingungen und dynamischer Verweisung auf die funktional entsprechenden Regelungen über die Abstimmung in der Hauptversammlung der AG entschieden (Rz. 26 ff.). § 16 Abs. 3 SchVG schließlich enthält Anforderungen an die Beschlussdokumentation und damit korrespondierende Gläubigerrechte (Rz. 35 ff.).

2

Parallelen zur Rechtslage für die Hauptversammlung der AG sind nicht nur im Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 SchVG unverkennbar. Funktional findet das in § 16 Abs. 1 SchVG geregelte Auskunftsrecht seine Entsprechung in § 131 AktG, während sich die Anforderungen des § 16 Abs. 3 SchVG an § 130 AktG orientieren. Damit stellt sich auch im Rahmen des § 16 SchVG (vgl. allgemein § 9 SchVG Rz. 3 ff.) die Frage, inwieweit bei der Auslegung und zur Schließung von Regelungslücken auf die Vorschriften des Aktiengesetzes und auf die zu seiner Auslegung in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden kann. Berücksichtigt man den unterschiedlich gelagerten Regelungskontext, sind insbesondere im Hinblick auf die sachliche Reichweite des Auskunftsrechts Einschränkungen geboten (dazu Rz. 5); hinsichtlich der von § 16 Abs. 3 SchVG geforderten Niederschrift dagegen sind die aktienrechtlichen Grundsätze in weitem Umfang auch über die von § 16 Abs. 3 Satz 2 SchVG angeordnete entsprechende Geltung aktienrechtlicher Grundsätze hinaus heranzuziehen.

1 Unklar Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 1 („gewisse Tradition“).

302

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 4 § 16 SchVG

II. Auskunftspflicht (§ 16 Abs. 1 SchVG) 1. Überblick Nach § 16 Abs. 1 SchVG hat die Emittentin jedem Gläubiger auf Verlangen Auskunft zu er- 3 teilen. Im Ansatz dem Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 AktG vergleichbar,2 trägt die Regelung dem Umstand Rechnung, dass den Versammlungsteilnehmern eine sachgerechte Wahrnehmung ihrer Rechte nur auf der Grundlage angemessener Informationen möglich ist. Die Regelung gestaltet das allgemeine Teilnahmrecht der Anleihegläubiger aus (vgl. § 9 SchVG Rz. 11). Nur unter der Voraussetzung und auf der Basis angemessener Information werden sich die Anleihegläubiger regelmäßig bereit finden, Restrukturierungspläne unter (Teil-)Verzicht auf eigene Rechte zu unterstützen. Die Bereitstellung von Informationen liegt daher insbesondere auch im Interesse der Emittentin, jedenfalls dann, wenn diese selbst die Versammlung einberufen hat.3 Der damit hergestellte Bezug erklärt aber zugleich auch die beschränkte Reichweite der Auskunftspflicht. Diese wird nicht nur in zeitlicher Hinsicht („in der Gläubigerversammlung“, Rz. 4), sondern auch sachlich eingeschränkt; Auskünfte sind nur zu erteilen, „soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich“ sind (Rz. 5 ff.). Einschränkungen des Auskunftsrechts in den Anleihebedingungen über das in § 16 Abs. 1 SchVG vorgesehene Maß sind grundsätzlich wegen § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG unzulässig und damit unwirksam.4 Auch vor diesem Hintergrund sind die Begründung von Auskunftsverweigerungsrechten und insbesondere die analoge Anwendbarkeit der Schranken des Auskunftsrechts aus § 131 Abs. 3 AktG umstritten (Rz. 13 ff.). Sind die Anforderungen erfüllt, begründet die Regelung einen Auskunftsanspruch der Gläubiger, der sich gegen den Schuldner richtet (Rz. 22). Keine ausdrücklichen Vorgaben macht das Gesetz für dessen Durchsetzung (Rz. 24). 2. Reichweite a) Zeitliche und örtliche Reichweite Das Auskunftsrecht ist in zeitlicher Hinsicht – im Grundsatz wie das Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG – auf die Dauer der Gläubigerversammlung beschränkt. Für die Abstimmung ohne Versammlung (§ 18 SchVG) ist eine vergleichbare Auskunftspflicht nicht ausdrücklich vorgesehen (vgl. näher § 18 SchVG Rz. 170 ff.). Auch im Hinblick darauf wird man den Wortlaut („auf Verlangen in der Gläubigerversammlung“) wie im Aktienrecht so auslegen müssen, dass nicht nur die Auskunft selbst allein während der Gläubigerversammlung erteilt werden kann und muss, sondern dass bereits das Auskunftsverlangen selbst nur dort wirksam gestellt werden kann (siehe auch Rz. 23).5 Sind bereits im Vorfeld der Gläubigerversammlung Auskunftsverlangen gestellt bzw. angekündigt 2 Für dieses z.B. Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 1; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 6. 3 Vgl. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 9; eingehend zur Bedeutung der Informationsbasis für die Erfolgsaussichten von Restrukturierungsbemühungen bereits Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 130 ff. 4 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 20. 5 Ebenso im Ergebnis Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 15; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 5; für die Parallelvorschrift in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG etwa Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 105; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 480; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 18; im Ergebnis übereinstimmend, jedoch auf der Basis eines enger gefassten Verständnisses des Gesetzeswortlauts LG Köln v. 2.4.1990 – 91 O 132/89, AG 1991, 38; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 25; Spindler in K. Schmidt/Lutter AktG § 131 AktG Rz. 21.

Binder 303

4

§ 16 SchVG Rz. 5 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift worden, müssen diese in der Gläubigerversammlung mündlich wiederholt werden.6 Eine Ankündigung von Fragen gegenüber dem Versammlungsleiter vor der Gläubigerversammlung kann zweckmäßig sein, ist aber – wie im Aktienrecht7 – nicht verpflichtend (siehe auch Rz. 25). Wenn Auskunftsbegehren wirksam nur während der Gläubigerversammlung geäußert werden können, bedeutet dies – nicht anders als im Aktienrecht8 – in örtlicher Hinsicht zugleich, dass der Fragesteller persönlich anwesend bzw. in der Versammlung selbst wirksam vertreten sein muss. b) Sachliche Reichweite aa) Grundlagen 5

In sachlicher Hinsicht wird die Reichweite schon dem Wortlaut nach insofern eingeschränkt, als Auskunft nur verlangt werden kann, „soweit sie zur sachgemäßen Behandlung eines Gegenstands der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich ist“. Diese Einschränkung entspricht, allerdings um den Bezug auf Beschlussvorschläge als zweite Alternative erweitert, auf den ersten Blick dem Wortlaut des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG. Eine uneingeschränkte Übertragung der zu dieser Parallelvorschrift entwickelten Grundsätze verbietet sich jedoch mit Blick auf Abweichungen im Wortlaut, aber auch aufgrund des anders gelagerten Regelungszusammenhangs.9 Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist grundsätzlich Auskunft „über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben“. Erst auf einer zweiten Prüfungsstufe greift die Einschränkung ein, wonach ein Bezug zu einem Gegenstand der Tagesordnung vorliegen muss, was wiederum in einen nicht wertenden Teil (Bezug zu Tagesordnungspunkt) und einen wertenden Teil (Erforderlichkeit zur sachgemäßen Beurteilung desselben) zerfällt. Der damit auf der ersten Prüfungsstufe zunächst weit gesteckte Rahmen10 reflektiert den Umstand, dass das Auskunftsrecht des Aktionärs Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts ist.11 Die Regelung in § 16 Abs. 1 SchVG unterscheidet sich hiervon bereits in formaler Hinsicht. Anders als im Rahmen der aktienrechtlichen Parallelvorschrift wird hier jedenfalls dem Wortlaut nach nicht der sachliche Anwendungsbereich auf einer ersten Prüfungsstufe zunächst weit gefasst und erst dann eingeschränkt. Vielmehr entfällt die Festlegung auf „Angelegenheiten der Gesellschaft“ als mögliche Gegenstände des Auskunftsrechts und ist von vornherein lediglich zu prüfen, ob (a) ein Bezug zu einem Tagesordnungspunkt oder Beschlussvorschlag und (b) Erforderlichkeit zur sachgemäßen Beurteilung vorliegt. Der damit angelegte formale Unterschied im Tatbestandsaufbau ist allerdings nicht der zentrale Grund, 6 Ebenso für die aktienrechtliche Parallelvorschrift in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG Decher in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 105; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 481; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 23; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 21; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 21. 7 Z.B. Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 8; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 31; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 21; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 26. 8 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 484. 9 Richtig Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 20; insoweit übereinstimmend auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 4; ungenau aus aktienrechtlicher Perspektive Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 Rz. 52. 10 „Angelegenheiten der Gesellschaft“ i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG sind alle Tatsachen, die sich auf die AG und ihre Tätigkeit beziehen, vgl. stellvertretend Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 114; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 11; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 91; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 35 ff.; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 23; Spindler in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 28. 11 Vgl. näher z.B. Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 5 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 2; grundlegend Ebenroth, Auskunftsrecht, S. 9 ff.; vgl. insoweit für das Schuldverschreibungsrecht auch Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009).

304

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 6 § 16 SchVG

der gegen eine uneingeschränkte Rezeption der aktienrechtlichen Grundsätze streitet. Denn mit der ersten Prüfungsstufe des § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG („Angelegenheiten der Gesellschaft“) ist eine trennscharfe Abgrenzung möglicher Gegenstände ohnehin nicht verbunden;12 auch für die aktienrechtliche Regelung kommt es für die Bestimmung der Reichweite vor allem auf die Prüfung der weiteren Tatbestandsmerkmale an. Der praktische Unterschied zur Ausgestaltung in § 16 SchVG ist daher insoweit zu vernachlässigen.13 Im Übrigen werden sich auch die Informationen, die ein Anleihegläubiger im Rahmen des Auskunftsrechts aus § 16 Abs. 1 SchVG berechtigterweise verlangen kann, stets auf „Angelegenheiten der Gesellschaft“ beziehen. Da das Auskunftsrecht der Anleihegläubiger nicht auf der Mitgliedschaft beruht, sondern ausschließlich durch den Inhalt der Tagesordnung bzw. der Beschlussvorschläge vorgegeben wird, bestehen auf materieller Ebene jedoch Unterschiede (dazu Rz. 6 f.). Im Wesentlichen übertragbar sind demgegenüber die in der aktienrechtlichen Rechtsprechung zum Erforderlichkeitskriterium aufgestellten Grundsätze (dazu Rz. 8 ff.). bb) Bezug zu Tagesordnungspunkt bzw. Beschlussvorschlag Das Auskunftsverlangen muss sich dem Wortlaut nach auf einen Tagesordnungspunkt oder 6 auf einen Beschlussvorschlag beziehen. Insofern weicht der Wortlaut von der Parallelregelung in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht unwesentlich ab. Anders als dort wird nicht ein spezifischer Gegenstand der Tagesordnung in Bezug genommen.14 Vielmehr verlangt § 16 Abs. 1 SchVG Erforderlichkeit zur Beurteilung eines Gegenstands oder eines Beschlussvorschlags. Dies ist insofern von Bedeutung, als aus der Formulierung der aktienrechtlichen Vorschrift eine wichtige Einschränkung in zeitlicher Hinsicht abgeleitet und gefolgert wird, dass das betreffende Auskunftsverlangen nicht zu einem beliebigen Zeitpunkt in der Hauptversammlung, sondern im Zusammenhang mit dem konkreten Tagesordnungspunkt geltend gemacht oder zumindest wiederholt werden muss, auf den es sich bezieht.15 Der abweichende Wortlaut des § 16 Abs. 1 SchVG legt an sich eine weniger strikte Handhabung nahe. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Informationsinteresse der Anleihegläubiger insoweit gegen das Interesse nicht nur des Einberufenden, sondern auch der übrigen Gläubiger an einem möglichst effizienten, sachgerecht strukturierten Ablauf der Gläubigerversammlung abgewogen werden muss. Damit ist vereinbar, dass Fragen bis zur Behandlung des Tagesordnungspunktes bzw. Beschlussvorschlags, auf den sie sich beziehen, frei gestellt werden können, doch muss man dem Versammlungsleiter das Recht zubilligen, die Beantwortung der Fragen erst im Zusammenhang mit dem jeweiligen Tagesordnungspunkt oder Beschlussvorschlag vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. Werden Fragen erst nachträglich, d.h. nach Behandlung des betreffenden Tagesordnungspunkts oder Beschlussvorschlags gestellt, ohne dass dafür ein rechtfertigender Grund erkennbar wäre (z.B. weil die Behandlung weiterer Gegenstände ein neues Licht auf die früheren geworfen hätte), wird man dem Versammlungsleiter das Recht zubilligen müssen, die neu gestellten Fragen als rechtsmissbräuchlich zurückzuweisen.16 Da dies eine in 12 Treffend Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 11 („klingt nach tatbestandlicher Einschränkung des Auskunftsrechts, enthält sie aber nicht in nennenswertem Umfang“); ebenso z.B. Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 94. 13 Ebenso Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 9. 14 Vgl. § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG: „soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist“ (Hervorhebung hinzugefügt). 15 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1 (13 ff.); OLG Karlsruhe v. 13.11.1998 – 14 U 24/98, AG 1999, 470 (471); Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 107; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 39; a.A. insoweit Meilicke/Heidel, DStR 1992, 113 (115); differenzierend Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 28. 16 In diese Richtung, aber allein auf der Grundlage der zu § 131 Abs. 1 AktG vertretenen h.M. und ohne Auseinandersetzung mit dem unterschiedlichen Wortlaut insoweit auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 22.

Binder 305

§ 16 SchVG Rz. 7 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift § 16 Abs. 1 SchVG nicht ausdrücklich vorgesehene, sondern lediglich im Wege der teleologischen Auslegung gewonnene Einschränkung des Auskunftsrechts bedeutet, die auf allgemeine Rücksichtnahmepflichten der Anleihegläubiger zurückführt (dazu § 9 SchVG Rz. 15 f.), sollte in der Praxis von vornherein darauf hingewirkt werden, dass Fragen idealiter entweder im Rahmen einer Generaldebatte (sofern vorgesehen) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Behandlung des betreffenden Gegenstands gestellt bzw. wiederholt werden sollten, um eine sachgerechte Behandlung zu ermöglichen. Dabei sollte auch auf die anderenfalls ggf. bestehende Möglichkeit der Zurückweisung als rechtsmissbräuchlich hingewiesen werden. Derartige Klarstellungen liegen in der Verantwortung des Versammlungsleiters, der für die sachgerechte Abhandlung der Tagesordnung zuständig ist (§ 15 SchVG Rz. 4). 7

Inhaltlich ist insoweit lediglich zu fordern, dass überhaupt ein thematischer Zusammenhang mit dem jeweiligen Tagesordnungspunkt bzw. einem Beschlussvorschlag gegeben ist. Damit wird das Auskunftsrecht inhaltlich durch die Funktion der Gläubigerversammlung vorgeprägt, einen prozeduralen Rahmen für eine kollektive Willensbildung über die Änderung der Anleihebedingungen zu bieten (§ 9 SchVG Rz. 1, 6 ff.). Tauglicher Gegenstand eines Auskunftsverlangens kann damit von vornherein nur sein, was einen Bezug zu dafür relevanten Sachverhalten aufweist. Dies bedeutet indessen nicht, dass sich damit im Vergleich mit dem Auskunftsrecht der Aktionäre nach § 131 Abs. 1 AktG ein grundlegend anderer, stets engerer Kreis möglicher Auskunftsgegenstände ergäbe (siehe schon Rz. 5).17 Geht es um die Restrukturierung der Anleihebedingungen in Reaktion auf eine finanzielle Krise der Emittentin, ist nicht allein an Informationen zu denken, die unmittelbare Aussagekraft über deren Bonität haben. Vielmehr muss grundsätzlich auch die Information über solche Sachverhaltsaspekte verlangt werden, die mittelbar für eine Beurteilung der geschäftlichen Erfolgsaussichten der Emittentin von Bedeutung sind. Damit besteht in der Tendenz allerdings nicht mehr Auskunftsbedarf der Anleihegläubiger im Vergleich mit den Aktionären,18 aber auch nicht per se geringerer,19 sondern eben anders gelagerter Auskunftsbedarf. Die Abgrenzung kann dabei schon deshalb nur jeweils für konkrete Auskunftsverlangen im Rahmen einer Einzelfallprüfung vorgenommen werden (siehe aber auch Rz. 21 zu konkreten Beispielen), weil den Anleihegläubigern – im Unterschied zu Aktionären der AG, die insbesondere über die Entlastung des Vorstands (vgl. § 120 AktG) zu entscheiden haben – eine umfassende Bewertung der Geschäftsleitung der Emittentin gerade nicht zusteht. Dies schließt erhebliche Überschneidungen mit den Gegenständen des Auskunftsrechts nach § 131 AktG jedoch nicht aus. Wenn und soweit Anleihegläubiger zu Einschränkungen ihrer in den Anleihebedingungen ursprünglich vorgesehenen Rechte veranlasst werden sollen, muss man ihnen – vorbehaltlich des Eingreifens von Auskunftsverweigerungsrechten (dazu Rz. 13 ff.) – in der Tat das Recht auf Informationen zu den Gründen für die Schieflage der Emittentin und den Reaktionen darauf zubilligen, wozu ggf. auch die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen verantwortliche Organmitglieder gehören kann (siehe auch noch Rz. 10).20 In derartigen Fällen sind Anleihegläubiger nicht anders gestellt als Aktionäre, die über die Entlastung des

17 So aber Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 8; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009); in diese Richtung auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 20; im Ausgangspunkt eher wie hier Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 11; Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 6 und noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 3. 18 Insoweit zumindest missverständlich Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 6. 19 So aber Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 20; wohl auch Seibt, ZIP 2016, 997 (1003). 20 Richtig Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 3; wohl auch Schmidtbleicher in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 7; enger nunmehr wohl Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 8 f.

306

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 8 § 16 SchVG

Vorstands zu entscheiden haben.21 Ein Gegenbeispiel, in dem Aktionäre (eingeschränkt) Auskünfte verlangen können, deren Relevanz für die in der Gläubigerversammlung behandelten Gegenstände dagegen von vornherein zweifelhaft ist, bieten etwa Personalentscheidungen.22 Eine materielle Bedeutung für die Bestimmung der Reichweite des Auskunftsrechts kommt damit den in ihrer Abstraktheit wenig aussagekräftigen Unterschieden zwischen der Rechtsnatur des Mitgliedschaftsrechts der Gesellschafter einerseits und der Gläubiger andererseits entgegen der überwiegenden Kommentarliteratur23 im Ergebnis allenfalls sehr eingeschränkt zu.24 Vielmehr ist die Reichweite jeweils im Einzelfall in Auseinandersetzung mit den jeweiligen Verhandlungs- und Beschlussgegenständen zu ermitteln.25 cc) Erforderlichkeitsprüfung (1) Grundlagen Ist der erforderliche thematische Bezug des Auskunftsverlangens zu einem Tagesordnungspunkt bzw. Beschlussvorschlag gegeben (vgl. Rz. 7), kommt es für die Reichweite des Auskunftsrechts entscheidend darauf an, ob die begehrte Auskunft „zur sachgemäßen Beurteilung“ des betreffenden Gegenstands „erforderlich“ ist. Insofern stimmt der Wortlaut mit der Regelung in § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG überein. Das Tatbestandsmerkmal soll sicherstellen, dass sich die Gläubigerversammlung nicht mit Fragen befassen muss, die zwar mit dem jeweiligen Verhandlungsgegenstand im Zusammenhang stehen, deren Beantwortung aber zur sachgerechten Abhandlung der Tagesordnung nicht notwendig ist.26 Angesichts der Bedeutung, welche die Informationsbasis für die Entscheidung der Anleihegläubiger über Änderungen der Anleihebedingungen im Rahmen einer Restrukturierung hat, ist – ebenso wenig wie im Aktienrecht, wo das Auskunftsrecht mit der Aktionärsrechterichtlinie inzwischen teilweise auch unionsrechtlich vorgeprägt ist27 – kein strenger Maßstab an die Erforderlich-

21 Vgl. zu Ansprüchen der Aktionäre auf Auskunft über die Behandlung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft OLG Düsseldorf v. 23.2.2015 – I-26 W 14/14, AG 2015, 431 (432 ff.). 22 Vgl. für die Parallelvorschrift des § 131 Abs. 1 AktG etwa OLG Düsseldorf v. 13.7.2015 – I-26 W 16/14 (AktE), AG 2015, 908 ff. 23 Vgl. – insoweit im Ansatz übereinstimmend, jedoch (bezeichnenderweise) mit konträren Schlussfolgerungen – nochmals Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 15 SchVG Rz. 4; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 20; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 6. 24 Im Ergebnis wie hier Liebenow, S. 181 f. 25 Insoweit übereinstimmend Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 21; im Ausgangspunkt auch Seibt, ZIP 2016, 997 (1003 f.). 26 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 21; entsprechend für die aktienrechtliche Parallelvorschrift z.B. BGH v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 (389 f.) = AG 2005, 87; BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 (357 f.) = AG 2014, 87; BGH v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, AG 2014, 402 (403); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 132; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 38; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 29; und bereits Begr. RegE § 131 AktG bei Kropff, S. 185. 27 Inzwischen wohl überwiegende Meinung, vgl. zum Streitstand z.B. BGH v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 (390) = AG 2005, 87; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 38; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 29; auch mit Blick auf unionsrechtliche Vorgaben noch großzügiger Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 112 ff. (Erforderlichkeitsvoraussetzung nicht im Einklang mit Unionsrecht), jeweils m.w.N. auch zu Gegenauffassungen. Zur unionsrechtlichen Erfassung des Auskunftsrechts s. Art. 9 RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. EU Nr. L 184/17.

Binder 307

8

§ 16 SchVG Rz. 9 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift keitsprüfung anzulegen.28 Vielmehr muss auch im Rahmen von Auskunftsverlangen nach § 16 Abs. 1 SchVG dem Erforderlichkeitskriterium in erster Linie die Rolle einer Missbrauchskontrolle beigemessen werden.29 Dies lässt sich zwar im Unterschied zum Aktienrecht nicht aus der Bedeutung des Informationsrechts als Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts ableiten, das den Anleihegläubigern gerade nicht zukommt (vgl. Rz. 5). Für die hier vertretene Lesart spricht indessen zum einen der Wortlaut der Norm, der keine Anhaltspunkte für Verschärfungen bietet, zum anderen aber auch der hohe Stellenwert der Informationsbasis für die Ermöglichung der kollektiven Willensbildung der Gläubigerversammlung. Strengere Anforderungen wären zudem kaum rechtssicher handhabbar. Sie würden dem Versammlungsleiter, der insoweit keinen Beurteilungsspielraum hat, sondern dessen Entscheidung in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar ist, erhebliche und kaum sicher handhabbare Prüfungslasten aufbürden.30 Wollte man strengere Anforderungen anlegen, würde auch vor diesem Hintergrund das Risiko einer Anfechtung (Rz. 24) eher erhöht denn abgemildert. Dies rechtfertigt ungeachtet des anderen Regelungszusammenhangs eine Übertragung des für das Auskunftsrecht der Aktionäre entwickelten Erforderlichkeitsmaßstabs auch auf die Prüfung nach § 16 Abs. 1 SchVG. Bestehen Unklarheiten, ob das jeweilige Auskunftsbegehren den Anforderungen genügt, ist es nach richtiger Ansicht Sache des Versammlungsleiters, darauf hinzuweisen und ggf. nachzufragen (siehe auch Rz. 23).31 Ein Anspruch auf Herausgabe von oder Gewährung von Einsichtnahme in Urkunden lässt sich der Regelung nicht entnehmen.32 (2) Einzelheiten 9

Ausreichend, aber auch erforderlich ist – entsprechend den zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift entwickelten Grundsätzen33 – damit, ob ein objektiv urteilender Anleihegläubi28 Im Ergebnis ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 21; dezidiert a.A., aber nicht überzeugend insoweit Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 8; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009). 29 So für die aktienrechtliche Parallelvorschrift ausdrücklich BGH v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 (388 f.) = AG 2005, 87; BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 (357 f.) = AG 2014, 87; BGH v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, AG 2014, 402 (403); OLG Düsseldorf v. 23.2.2015 – I-26 W 14/14, AG 2015, 431 (432); Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 12; ebenso bereits Begr. RegE in Kropff, S. 185. 30 Zu letzterem Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 27; für die aktienrechtliche Parallelvorschrift entsprechend die heute ganz h.M., vgl. OLG Düsseldorf v. 17.7.1991 – 19 W 2/91, AG 1992, 34 (35); OLG Hamburg v. 11.4.1969 – 11 W 77/68, AG 1969, 150 (161); OLG Hamburg v. 12.12.1969 – 11 W 34/69, AG 1970, 50 (51); KG v. 11.2.1972 – 1 W 1672/71, AG 1973, 25; Decher in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 141; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 106; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 43; dagegen noch Ebenroth, Auskunftsrecht, S. 42. 31 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 27; ebenso die überwiegende, aber nicht unumstrittene Ansicht zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift, vgl. OLG Hamburg v. 12.12.1969 – 11 W 34/69, AG 1970, 50 (51); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 155; Kersting in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 478 f.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 46; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 34; strenger wohl (Klarstellungsobliegenheit des Aktionärs auch ohne Rückfrage des Versammlungsleiters) KG v. 24.8.1995 – 2 W 4557/94, AG 1996, 135; KG v. 26.8.1993 – 2 W 6111/92, ZIP 1993, 1618 (1621) (in AG 1984, 83 nicht abgedruckt); LG Berlin v. 17.1.1990 – 98 AktE 10/89, AG 1991, 34 (35); wohl auch Siems in Spindler/ Stilz, § 131 AktG Rz. 28 und bereits Ebenroth, Auskunftsrecht, S. 33. 32 Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 6; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2010). 33 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 (29) = AG 2009, 285; BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 (358) = AG 2014, 87; BGH v. 14.1.2014 – II ZB 5/12, AG 2014, 403 (403); BGH v. 18.10.2014 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 (389); vgl. auch bereits BGH v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1 (19) = AG 1992, 450 (454); BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 (164) = AG 2002, 241; ebenso OLG Düsseldorf v. 23.2.2015 – I-26 W 14/14 (AktE), AG 2015,

308

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 10 § 16 SchVG

ger, der die Gesellschaftsverhältnisse nur aufgrund allgemein bekannter Tatsachen kennt, die begehrte Auskunft als nicht nur unwesentliches Beurteilungselement benötigt.34 Nur die darin angelegte Objektivierung des Beurteilungsmaßstabs ist – auch und besonders für den Versammlungsleiter, der über die Zulassung oder Zurückweisung von Auskunftsverlangen zu entscheiden hat – rechtssicher bewältigbar. Wollte man für die Bestimmung der Reichweite des Auskunftsanspruchs stattdessen auf die individuellen (Vor-)Kenntnisse des betreffenden Gläubigers abstellen,35 würde die notwendige Prüfung den Versammlungsleiter ohne weiteres überfordern. Wiederum wie im Aktienrecht lassen sich aus dem damit skizzierten Maßstab Folgerungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht sowie im Hinblick auf den gebotenen Detaillierungsgrad ableiten.36 Qualitativ muss auch hier das Auskunftsbegehren eine bestimmte „Maßgeblichkeitsschwel- 10 le“ erreichen und darf für die Beurteilung des betreffenden Verhandlungsgegenstands nicht unerheblich sein. Dies ergibt sich für § 16 Abs. 1 SchVG ebenso wie für die aktienrechtliche Parallelvorschrift37 bereits aus dem Wortlaut („soweit … erforderlich“). Auch insoweit ist allerdings im Hinblick auf den anzulegenden, tendenziell großzügigen Maßstab (Rz. 8) eine vorsichtige Handhabung geboten. In Adaption der für die aktienrechtliche Parallelvorschrift entwickelten (im Detail durchaus kontroversen) Grundsätze wird man zunächst fordern müssen, dass die angeforderten Informationen in zeitlicher Hinsicht überhaupt Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Emittentin und die Restrukturierungspläne entfalten können.38 Dies kann dann zu bejahen sein, wenn die jeweiligen Sachverhalte – z.B. im Rahmen von Schadensersatzforderungen gegen gegenwärtige oder frühere Organmitglieder der Emittentin (vgl. schon Rz. 7) – die Sanierungsaussichten beeinflussen könnten; nicht in die Zuständigkeit der Gläubigerversammlung fällt dagegen die umfassende Aufarbeitung vergangener unternehmerischer Entscheidungen. Die Erforderlichkeit der begehrten Auskunft wird – ebenso wie im Aktienrecht39 – nicht beseitigt, wenn der Auskunft begehrende Gläubiger die Antwort ganz oder teilweise schon kennt oder wenn seine Entscheidung zum Zeitpunkt

34

35 36 37 38

39

431 (432); OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 4375/14, AG 2015, 677 (678); OLG Stuttgart v. 17.11.2010 – 20 U 2/10, AG 2011, 93 (98); in der Literatur entsprechend z.B. Decher in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 141; Herrler in Grigoleit, § 131 AktG Rz. 19; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 12; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 41; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 28; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 30; eingehend und mit weiterer Differenzierung besonders Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 101 ff. Ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 24; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 1; Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 10; insoweit im Ausgangspunkt gleichsinnig, aber mit strenger Grundtendenz auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 9. So für die aktienrechtliche Parallelvorschrift Wilhelm, DB 2001, 520 (522). Ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 21; zur aktienrechtlichen Parallelvorschrift BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07, BGHZ 180, 9 (39) = AG 2009, 285; BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 (358) = AG 2014, 87. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 38; zust. OLG Stuttgart v. 17.11.2010 – 20 U 2/10, AG 2011, 93 (98); ähnlich Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 144; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 30. Vgl. für die insoweit anders gelagerte, aber im Wesentlichen vergleichbare Notwendigkeit eines (allerdings nur eingeschränkt abstrakt zu bestimmenden) zeitlichen Zusammenhangs zwischen Beschlussgegenstand und Auskunftsersuchen sub specie des § 131 Abs. 1 AktG etwa Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 150 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 55; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 150 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 32, jeweils m.w.N. auch zur – insofern nicht im Detail übertragbaren – Judikatur. Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.7.1986 – 19 W 2/86, AG 1987, 22 (23); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 146; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 105; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 42 f.; Spindler in K. Schmidt/Lutter,

Binder 309

§ 16 SchVG Rz. 11 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift des Auskunftsverlangens bereits feststeht.40 Dies ergibt sich auch hier zum einen aus der Notwendigkeit eines objektiven Prüfungsmaßstabs (Rz. 9). Zum anderen ist kein Grund ersichtlich, den Gläubigern die Möglichkeit zu nehmen, durch Ausübung ihres Fragerechts Einfluss auf die kollektive Willensbildung in der Versammlung zu nehmen.41 Ist dem betreffenden Versammlungsteilnehmer oder allen Teilnehmern die begehrte Auskunft allerdings bereits vor oder während der Gläubigerversammlung erteilt worden, wird für die aktienrechtliche Parallelvorschrift vielfach die Erforderlichkeit verneint.42 Dies ist schon mit Blick auf den Wortlaut, der auf die Erforderlichkeit der Information selbst – mithin ihres materiellen Gehalts – für die Beurteilung des Verhandlungsgegenstands abstellt, zweifelhaft.43 In jedem Fall konfligiert diese Sichtweise mit der stets auch auf die Informationsversorgung der gesamten Versammlung bezogenen Ratio des Auskunftsrechts.44 Überzeugender ist daher auch für den Anwendungsbereich des § 16 SchVG die Behandlung als Frage der Erfüllung des Auskunftsanspruchs45 (zur Erfüllung siehe Rz. 25). 11

In quantitativer Hinsicht können aus dem Erforderlichkeitskriterium ebenfalls Beschränkungen für die Zulässigkeit von Auskunftsverlangen abgeleitet werden. Formal-schematische Obergrenzen, wie sie gelegentlich zur Parallelvorschrift des § 131 Abs. 1 AktG vertreten worden sind,46 werden dem hohen Stellenwert des Auskunftsrechts allerdings nicht gerecht. Vielmehr muss auch hier die Bedeutung der Auskunftsersuchen am Maßstab des Erforderlichkeitskriteriums jeweils im Einzelfall geprüft werden.47 Im Extremfall kann gegenüber ausufernden Auskunftsbegehren der Rechtsmissbrauchseinwand greifen (Rz. 16).

12

Im Hinblick auf den gebotenen Detaillierungsgrad schließlich lässt sich der oben definierte Maßstab nicht für alle denkbaren Fallkonstellationen gleichermaßen näher konkretisieren. Vielmehr muss die Prüfung – im Ausgangspunkt wie im Aktienrecht, wo entsprechende Grundsätze typischerweise nach Fallgruppen formuliert werden48 – für jedes Auskunftsbegehren in Auseinandersetzung mit dem konkreten Verhandlungsgegenstand vorgenommen werden, auf das sich die begehrte Information bezieht. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage nach möglichen Gegenrechten, die einem Auskunftsverlangen zum

40 41 42 43 44 45 46 47 48

§ 131 AktG Rz. 31, a.A. insoweit Reuter, DB 1988, 2615 (2616); wohl auch Werner in FS Semler, 1993, S. 419 (425). Gleichsinnig Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 24 f. Vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift ebenso Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 105; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 44; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 31. OLG Düsseldorf v. 17.7.1991 – 19 W 2/91, AG 1992, 34 (36); OLG Hamburg v. 12.1.2001 – 11 U 162/00, AG 2001, 359 (361); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 39, f., 157; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 29; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 31. In diese Richtung auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 44. Ähnlich OLG München v. 24.9.2008 – 7 U 4230/07, AG 2009, 121 (122); Kersting in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 395. So für die aktienrechtliche Parallelvorschrift Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 397. Z.B. Kubis MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 61 (höchstens 50 Fragen, mehr als 20 Fragen nur bei ausdrücklicher Darlegung der Hintergründe); Max, AG 1991, 77 (93) (100 Fragen); unbestimmt auch Trouet, NJW 1986, 1302 (1306). Überzeugend für die aktienrechtliche Parallelvorschrift Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 160 ff.; a.A. insoweit, aber hinsichtlich der anzulegenden Maßstäbe unklar Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 28. Z.B. einerseits (auf der Basis einer strengen Erforderlichkeitsprüfung) Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 113 AktG Rz. 173 ff.; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 17 ff.; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 48 ff.; andererseits (großzügiger) Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 167 ff., jeweils m.w.N. zur einschlägigen, nicht im Detail auf das Schuldverschreibungsrecht übertragbaren Judikatur.

310

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 14 § 16 SchVG

Schutz der Rechtsgüter der Emittentin oder ihrer Organe entgegengesetzt werden könnten (dazu Rz. 13 ff.). 3. Schranken, insbesondere Auskunftsverweigerungsrechte und zeitliche Beschränkungen für Auskunftsverlangen a) Überblick Im Unterschied zur aktienrechtlichen Parallelregelung, die in § 131 Abs. 3 AktG einzelne 13 Weigerungsgründe legal definiert, sind für das Auskunftsrecht nach § 16 Abs. 1 SchVG keine Gegenrechte der Emittentin als Auskunftsschuldnerin ausdrücklich vorgesehen. Dies wirft die Frage nach der analogen Anwendbarkeit des § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG auf, die teilweise abgelehnt,49 überwiegend aber – mit angreifbarer Begründung – befürwortet wird50 (dazu Rz. 14). Ebenfalls nicht ausdrücklich vorgesehen ist die in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG geregelte Möglichkeit einer Beschränkung von Auskunftsersuchen in quantitativer Hinsicht; auch insoweit stehen einer Analogie zumindest gewichtige Bedenken gegenüber (dazu Rz. 15). De lege lata möglich und vorzugswürdig ist jedoch die Entwicklung einer Dogmatik von Beschränkungen des Auskunftsanspruchs auf der Grundlage des Rechtsmissbrauchseinwands, der sich im hiesigen Zusammenhang nicht oder nicht allein auf allgemeine Grundsätze stützen muss, sondern in den durch die Organisationsverfassung bedingten horizontalen Treuepflichten der Anleihegläubiger untereinander abgesichert werden kann (vgl. § 9 SchVG Rz. 15 f.). Dabei können Grundwertungen des § 131 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 AktG – allerdings jeweils unter Berücksichtigung des anders gelagerten Sachzusammenhangs – in diesem Rahmen durchaus herangezogen werden (dazu Rz. 16 ff.). b) Analogie zu § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG? Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung von Auskunftsverweigerungsrechten ist zu Recht 14 mit Blick auf die damit verbundene Rechtsunsicherheit rechtspolitisch kritisiert worden. Ein sachlicher Grund für den Verzicht ist schwerlich erkennbar. Ungeachtet der sachlichen Unterschiede zwischen der Rechtsposition der Aktionäre als Verbandsmitglieder einerseits und der Anleihegläubiger andererseits ist kaum bestreitbar, dass Konflikte zwischen Informations- und Geheimhaltungsinteressen, wie sie in § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG geregelt werden, jedenfalls partiell auch im Verhältnis zwischen Emittentin und Anleihegläubigern auftreten können.51 Die de lege ferenda erhobene Forderung nach einer Übertragung der Vorschrift im Wege der Verweisung auch auf § 16 Abs. 1 SchVG52 ist deshalb im Grundsatz plausibel und unterstützenswert, wenngleich zweifelhaft ist, inwieweit die in § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG erfassten Fallgruppen im Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes durchgän-

49 So Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 31; im Ansatz übereinstimmend auch Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 10. 50 Für § 131 Abs. 3 Nr. 1 und 5 AktG befürwortend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 11 f. (keine Analogie, aber Gleichlauf in der Auslegung); allgemein, aber ohne Differenzierung Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 11; wohl auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 3; für § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG im Ergebnis, für § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG auch in der Begründung ebenso Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009); offen lassend (mit Plädoyer für gesetzliche Klarstellung de lege ferenda) Baums, ZHR 177 (2013), 807 (813). Grundsätzlich für eine Anlehnung an das Aktienrecht, aber mit Differenzierungen auch Liebenow, S. 182 ff. 51 Insoweit übereinstimmend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 16 SchVG Rz. 8. 52 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (847 und 853).

Binder 311

§ 16 SchVG Rz. 15 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift gig überhaupt von Relevanz sind.53 Die Frage, ob bereits de lege lata im Wege der Analogie auf die Vorschriften des § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG zurückgegriffen werden kann, ist davon allerdings unabhängig. Schon das Bestehen einer planwidrigen Regelungslücke als erste Voraussetzung dafür ist zweifelhaft. In der Tat ist anzunehmen, dass dem Gesetzgeber der Tatbestandsaufbau der aktienrechtlichen Parallelvorschrift bei der Gestaltung des Auskunftsrechts nach § 16 Abs. 1 SchVG klar vor Augen stand. Auch daher sprechen gute Gründe für die Ansicht, dass auf die Normierung von Weigerungsrechten bewusst verzichtet wurde, weil man dem Erforderlichkeitskriterium hinreichende Filterwirkung zuschrieb.54 Davon abgesehen, bestehen auch Zweifel an der sodann erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage. Auch wenn zumindest einige der von § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG erfassten Konfliktlagen auch in der Gläubigerversammlung auftreten können, sind die Lösungen, welche die aktienrechtliche Parallelregelung vorgibt, unverkennbar auf das besondere Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern zugeschnitten. Sie spiegeln die Konzentration der Geschäftsführungsmacht auf den Vorstand in der am Leitbild der Publikumsgesellschaft orientierten Aktiengesellschaft wider und kanalisieren die für diese charakteristischen Informationsasymmetrien zwischen „Eigentümern“ und dem als Sachwalter der fremden Vermögensinteressen verpflichteten Leitungsorgan im Ausgleich zwischen Mitgliedschaftsrecht und praktischer Handlungsfähigkeit des Verbandes. Dieser normative Ausgangspunkt ist auf das Verhältnis der verbandsexternen Anleihegläubiger zur Emittentin von vornherein nicht übertragbar,55 was schon der im Vergleich zur Hauptversammlung enger gefasste Kreis der Befassungsgegenstände der Gläubigerversammlung zeigt (vgl. § 9 SchVG Rz. 5) Dies schließt nicht aus, dass einzelne für den Ausnahmekatalog des § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG prägende Wertungen auch im hiesigen Zusammenhang überzeugend zur Anwendung gebracht werden können, doch eignet sich eine Analogie wegen der anderen Ausgangsbasis als methodische Begründung dafür letztlich nicht. c) Analogie zu § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG? 15

Gegen eine analoge Heranziehung der mit dem UMAG56 2005 in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG eröffneten Möglichkeiten zur Regelung von Beschränkungen des Frage- und Rederechts von Aktionären in Satzung oder Geschäftsordnungen sprechen grundsätzlich bereits die soeben (Rz. 14) im Hinblick auf § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG angeführten Bedenken. Unabhängig davon passen auch die im Aktienrecht geregelten Rechtsfolgen nicht. Wenn die aktienrechtliche Vorschrift entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten für Satzung bzw. Geschäftsordnung einräumt, ließe sich dies im Rahmen einer analogen Anwendung im Schuldverschreibungsrecht allenfalls auf die Anleihebedingungen beziehen. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung hierzu stünde eine derartige Auslegung jedoch in Konflikt mit § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG und ist somit nicht begründbar.57 53 Mit gewichtigen Gründen skeptisch insoweit für § 131 Abs. 3 Nr. 1-6 AktG Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 34. 54 In diesem Sinne Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 31 f. unter – insoweit allerdings zweifelhafter – Bezugnahme auf die knappen Ausführungen in Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 23; im Ergebnis ähnlich Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 11. Ausdrücklich a.A. insoweit noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 8; differenzierend jetzt Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 11; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009). Ohne Stellungnahme insoweit Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; wohl auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 3; Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 11. 55 In diese Richtung bereits Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 11. 56 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802. 57 So wohl auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 30.

312

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 16 § 16 SchVG

d) Rechtsmissbrauch als Schranke: Einzelfälle aa) Quantitative Schranken des Auskunftsrechts Auf der dogmatischen Grundlage des Rechtsmissbrauchseinwands, der auf allgemeine 16 Treue- und Rücksichtnahmepflicht der Anleihegläubiger untereinander zurückgeführt werden kann (§ 9 SchVG Rz. 15 f.), lassen sich sachgerechte Beschränkungen für die Ausübung des Auskunftsrechts der Anleihegläubiger zunächst in quantitativer Hinsicht ableiten.58 Anders als im Aktienrecht, wo bereits vor der Einführung der Regelungsermächtigung in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG die Zulässigkeit entsprechender Beschränkungen überwiegend anerkannt war,59 lässt sich für das Schuldverschreibungsrecht dabei naturgemäß nicht auf die allen Anteilseignern zustehenden Mitgliedschaftsrechte als Grundlage für einen angemessenen Interessenausgleich abstellen.60 Auch hier muss allerdings – wie im Hinblick auf das Rederecht der Anleihegläubiger in der Versammlung (dazu § 15 SchVG Rz. 9 ff.) – gelten, dass die Rechtsausübung durch den einzelnen Gläubiger nicht so weit gehen kann, dass sie die Rechtsausübung der übrigen in der Versammlung anwesenden bzw. vertretenen Gläubiger erheblich beeinträchtigt. Dabei kann es von vornherein nur um eine Einzelfallabwägung gehen. Bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für das Auskunftsrecht (dazu Rz. 4 ff.) muss sorgfältig und zurückhaltend unter Berücksichtigung der hohen Bedeutung des Auskunftsrechts geprüft werden, inwieweit dessen Ausübung durch den betreffenden Gläubiger wirklich zu einer unbilligen Verkürzung der Rechte anderer führt.61 Insofern ist zu beachten, dass im Unterschied zur Mitgliedschaft in der AG62 vertikale Treuepflichten (dort: des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft) als Anknüpfungspunkte für das Rechtsmissbrauchsverdikt von vornherein ausscheiden (vgl. § 9 SchVG Rz. 13) und lediglich Fälle der übermäßigen oder widersprüchlichen Rechtsausübung erfasst sein können, die sich mit Blick auf wechselseitige Rücksichtnahmepflichten der Anleihegläubiger untereinander präzisieren lassen (vgl. § 9 SchVG Rz. 15 f.). Auch insoweit ist Zurückhaltung zu üben. Insbesondere in Fällen, in denen umfangreiche Fragenkataloge vorgelegt werden, kann der Versammlungsleiter den Gläubiger zulässigerweise dazu anhalten, innerhalb der vorgelegten Fragen Prioritäten festzulegen, um dann jeweils zu prüfen, ob eine Beantwortung der noch ausstehenden Fragen nach Gewährung einzelner Auskünfte überhaupt noch verlangt werden kann.63 Zweifelhaft ist dagegen, ob der Versammlungsleiter die Billigung beschränkender Maßnahmen auf eine (Mehrheits-)Entscheidung der Versammlung übertragen kann.64 Auch hierbei ist eine Orientierung an den in der aktienrechtlichen Literatur zu § 131 AktG vertretenen formal-schematischen Obergrenzen (dazu Rz. 11) abzulehnen.65

58 Mit ähnlicher Tendenz, aber Zweifeln hinsichtlich der Subsumtionsfähigkeit auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 9. 59 BGH v. 8.2.2010 – II ZR 94/08, BGHZ 184, 239 (245 ff.) = AG 2010, 292; vgl. auch BVerfG v. 20.9.1999 – 1 BvR 636/95, AG 2000, 74 f. (Beschränkung des Auskunftsanspruchs als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung zur Eindämmung von Missbräuchen bei der Nutzung des von Art. 14 GG geschützten Mitgliedschaftsrechts); dazu und zum Verhältnis zur Ermächtigung in § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG kontrovers einerseits etwa Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 35; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 98 ff.; andererseits (kritisch) Kersting in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 283 ff.; aus der älteren Literatur stellvertretend Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 274 ff. m.w.N. 60 Zutr. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 30. 61 Gleichsinnig Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 30; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 9. 62 Vgl. z.B. die Kategorisierung bei Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 33. 63 Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 162. 64 So aber Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 30. 65 Vgl. allgemein, allerdings sehr vage auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 9.

Binder 313

§ 16 SchVG Rz. 17 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift bb) Qualitative Schranken (1) Drohende Schädigung der Emittentin oder ihr verbundener Unternehmen 17

Eine Beschränkung des Auskunftsrechts kann – insoweit in Anlehnung an das Auskunftsverweigerungsrecht in § 131 Abs. 3 Satz Nr. 1 AktG – in Fällen erwogen werden, in denen die Erteilung der begehrten Auskunft zu einer erheblichen Schädigung der Emittentin oder eines ihr verbundenen Unternehmens führen könnte.66 Im Aktienrecht genügen insoweit Beeinträchtigungen des Gesellschaftsinteresses von einigem Gewicht, wenn diese nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung infolge der Auskunfterteilung zu erwarten sind.67 Den Grundgedanken des Schädigungsverbots – der Schutz berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Gesellschaft oder ihr verbundener Unternehmen – wird man ohne weiteres auch auf das Verhältnis zwischen Anleihegläubigern und Emittentin übertragen können.68 Nicht überzeugend ist insoweit die in der Literatur vertretene Auffassung, dass hinsichtlich etwaiger Weigerungsrechte grundsätzlich nur eine drohende Schädigung der Anleihegläubiger insgesamt zu Weigerungsrechten führen könne.69 Dass sich die Emittentin hinsichtlich der Geltendmachung von Weigerungsrechten allein am Wohl der Anleihegläubigergesamtheit zu orientieren habe, ist schwerlich begründbar. Allerdings ist mit Blick auf das im Vergleich mit dem aktienrechtlichen Auskunftsanspruch anders gelagerte Informationsinteresse der Anleihegläubiger von vornherein zweifelhaft, ob dem Schädigungsverbot im Schuldverschreibungsrecht überhaupt eine spürbare praktische Bedeutung zukommt. Die hierzu im Aktienrecht diskutierten Anwendungsfälle sind jedenfalls kaum übertragbar. Für die Inanspruchnahme von Organmitgliedern auf Schadensersatz wegen begangener Pflichtverletzungen (Rz. 7, 10) ist auch im Aktienrecht anerkannt, dass ein Weigerungsrecht mit Blick auf die damit möglicherweise für die Gesellschaft drohenden Reputationsverluste nicht auf § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG gestützt werden kann.70 Demgegenüber werden in den im Aktienrecht anerkannten Fällen berechtigter Auskunftsverweigerungen die betreffenden Auskunftsbegehren, z.B. zu Detailinformationen über interne Kalkulationen, laufenden Geschäftsvorfällen, unter dem Bankgeheimnis stehenden Bankgeschäften, Einzelheiten von Vergütungsstrukturen, drohender Produkthaftpflicht usw.,71 zu einem nicht geringen Teil bereits nicht i.S.d. § 16 Abs. 1 SchVG für die sachgerechte Beurteilung des jeweiligen Verhandlungsgegenstands erforderlich sein.72 Teils werden derartige Informationen aber auch – insbesondere sofern sie Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten laufender Sanierungsbemühungen entfalten können – in einer Gläubigerversammlung, die über eine Restrukturierung der Anleihebedingungen zu beraten hat, gera66 Befürwortend – auf der Basis einer analogen Anwendung (dazu Rz. 14) – Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 14; a.A. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 11; zweifelnd auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 34. 67 Exemplarisch BayObLG v. 20.3.1996 – 3 Z BR 324/95, AG 1996, 322 (323); LG München I v. 28.5.2010 – 5 HKO 14307/07, AG 2010, 919 (921); vgl. näher Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 24 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 110 ff.; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 290 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 74 ff. 68 Insoweit überzeugend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 12. 69 So aber Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 12; im Ergebnis wohl auch Liebenow, S. 184 f.; explizit wie hier dagegen insoweit Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 14; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2010). 70 BGH v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1 (19); s. auch OLG Düsseldorf v. 23.2.2015 – I-26 W 14/14, AG 2015, 431 (433); Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 294; Hüffer/ Koch, § 131 AktG Rz. 27; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 111; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 76. 71 Vgl. z.B. die umfassende Aufbereitung der Kasuistik bei Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 304 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 110. 72 So wohl auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 34.

314

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 18 § 16 SchVG

de nicht zurückgehalten werden dürfen. Allerdings läge die Zurückhaltung in solchen Fällen dann, wenn die sanierungswillige Emittentin selbst die Versammlung einberufen hat, auch gar nicht in deren eigenem Interesse, so dass sich schon die Frage nach der Geltendmachung eines Auskunftsverweigerungsrechts oft gar nicht stellen wird. Damit bleibt im Recht der Gläubigerversammlung allenfalls eine kleine Bandbreite denkbarer Anwendungsfälle. So wird man auch hier – wie im Aktienrecht – der Emittentin ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich der Einzelheiten der Beratung in Organen zubilligen dürfen und müssen.73 Doch wird es auch insoweit bereits vielfach an der Erforderlichkeit der Informationen fehlen oder wird aufgrund des anders gelagerten Informationsinteresses ein entsprechendes Auskunftsbegehren gar nicht erst gestellt werden. Die teilweise de lege ferenda geforderte Erstreckung des § 131 Abs. 3 Satz 1 AktG (Rz. 14) auch auf das Schuldverschreibungsrecht wäre zwar geeignet, für Klarheit und Rechtssicherheit zu sorgen; ob dies in nennenswertem Umfang zur Anerkennung von Weigerungsrechten aufgrund Verstoßes gegen das Schädigungsverbot führen würde, ist jedoch nicht zweifelsfrei.74 (2) Steuerrechtliche und bilanzbezogene Fragen Für die Übertragung der von § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2-4 sowie Nr. 6 AktG geregelten Fälle 18 der Auskunftsverweigerung zur Konkretisierung des schuldverschreibungsrechtlichen Auskunftsverweigerungsrechts wegen Rechtsmissbrauchs besteht kein Anlass. Die aktienrechtliche Parallelvorschrift ordnet in § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AktG zunächst ein Auskunftsverweigerungsrecht der Gesellschaft im Hinblick auf steuerliche Wertansätze oder die Höhe einzelner Steuern an, um Irrtümer der Aktionäre über die Bedeutung des steuerlichen Gewinns auszuschließen.75 Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AktG dient der Geheimhaltung stiller Reserven gegenüber Aktionären und Wettbewerbern oder Vertragspartnern;76 die Regelung in § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AktG schließlich bezieht sich auf den Schutz von Informationen über Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden vor Wettbewerbern und Vertragspartnern der Gesellschaft.77 Die – im Aktienrecht auch und gerade hinsichtlich der Konformität mit europäischem Recht zu Recht kritisierten78 – Vorschriften eignen sich für die Übertragung auf das Schuldverschreibungsrecht schon deshalb nicht, weil auf die jeweiligen Gegenstände bezogene Auskunftsersuchen, soweit sie i.S.d. § 16 Abs. 1 SchVG als „erforderlich“ einzustufen sind, dem berechtigten Interesse der Anleihegläubiger an der Klärung der finanziellen Lage der Emittentin dienen, deren Schutzinteresse folglich zurücktreten muss. Für Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitute schließlich wird in § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 AktG ein Auskunftsverweigerungsrecht hinsichtlich solcher Angaben zu Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden sowie zu vorgenommenen Verrechnungen geschaffen, die im Jahresabschluss und Lagebericht der Gesellschaft oder des Konzerns nicht gemacht werden müssen. Die Vorschrift trägt dem besonderen Schutzbedürfnis des Kreditwe73 Exemplarisch für das Aktienrecht BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 (372) = AG 2014, 87; OLG Stuttgart v. 1.12.1994 – 13 U 46/94, AG 1995, 234 (235); Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 11; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 306, 370 ff. 74 So im Ergebnis wohl auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 34. 75 Begr. RegE AktG bei Kropff, S. 186; eingehend z.B. Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 312 ff. 76 Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 312; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 118; Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 80; a.A. Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 45 (Absicherung des Vorrangs kollektiver Publizitätsformen als Regelungsziel). 77 Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 321; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 123; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 81; auch insoweit a.A. Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 47. 78 Siehe näher Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 316, 327, 335; vorsichtig zustimmend etwa Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 114, 118; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 78 ff.

Binder 315

§ 16 SchVG Rz. 19 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift sens Rechnung.79 Auch diese Wertung wird man allerdings wegen der Bedeutung der betreffenden Informationen im Schuldverschreibungsrecht nicht zur Anwendung bringen können. Praktisch bedeutsam ist diese Frage mit Blick auf die Existenz aufsichtsrechtlicher Sanierungsverfahren (vgl. u.a. §§ 62 ff. des Gesetzes zur Sanierung und Abwicklung von Instituten und Finanzgruppen80), die kaum Spielräume für verfahrensförmige Restrukturierungslösungen unter Rekurs auf das Schuldverschreibungsrecht lassen, ohnehin nicht. (3) Strafbarkeit der Auskunftserteilung 19

Auskunft kann billigerweise dann nicht erwartet werden, wenn sich der auf Erteilung der Auskunft in Anspruch Genommene durch die Erteilung strafbar machen würde. Der dennoch geltend gemachte Auskunftsanspruch ist missbräuchlich und muss wie nach der klarstellenden Regelung des § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AktG nicht erfüllt werden.81 Ebenso wie nach richtiger Ansicht im Aktienrecht kann in diesem Zusammenhang allerdings nicht auf das strafbewehrte Verbot der Offenbarung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen (§ 404 AktG) abgestellt werden.82 Relevant ist vielmehr nicht zuletzt das Verbot der unbefugten Offenlegung von Insiderinformationen (Art. 14 lit. c MMV83, vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 13 WpHG a.F.), dessen Verletzung nach § 38 Abs. 3 Nr. 3 WpHG strafbewehrt ist.84 Hier ist allerdings zu differenzieren.85 Soweit die Pflicht zur Ad-hoc-Veröffentlichung nach Art. 17 MMV (vgl. § 15 WpHG a.F.) eingreift, sind Kollisionen mit dem Auskunftsinteresse von Gläubigern insoweit schon tatbestandlich von vornherein nicht vorstellbar. Eine Auskunftsverweigerung kann in derartigen Fällen überhaupt nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für ein Aufschieben der Veröffentlichung nach Art. 17 Abs. 4 MMV (früher „Selbstbefreiung“ gem. § 15 Abs. 3 WpHG) in Betracht kommen,86 was nach Einberufung der Gläubigerversammlung in einem Krisenfall praktisch kaum der Fall sein dürfte.87 Als Problemfall verbleibt damit – nicht anders als in der Hauptversammlung der AG88 – die Konstellation, dass sich die Emittentin zur Erfüllung von Auskunftsansprüchen in der Gläu79 Z.B. Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 340; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 132; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 86. 80 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) v. 10.12.2014, BGBl. I 2014, 2091. 81 Im Ergebnis übereinstimmend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 16 SchVG Rz. 8; Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 13; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009). 82 Vgl. z.B. Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 324; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 31; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 352; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 127. 83 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12.6.2014, S. 1. 84 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 13. 85 Richtig Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 14 f.; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 13; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009); im Grundansatz übereinstimmend auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; vgl. für das Aktienrecht entsprechend etwa Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 45 ff., 353. 86 Insoweit zutreffend Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 8; vgl. auch noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 12. 87 Überzeugend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 15; vgl. auch Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2009); a.A. noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 12. 88 Vgl. hierzu etwa Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 48 f.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 128; eingehend auch Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 85 ff.

316

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 21 § 16 SchVG

bigerversammlung entschließt, eine zuvor – sei es infolge von Versäumnissen oder infolge Selbstbefreiung – nicht allgemein veröffentlichte Insiderinformation preiszugeben. Da die Bekanntgabe in der Versammlung alleine nicht geeignet ist, die kapitalmarktrechtlich geforderte Publizität herzustellen, wird man auch hier verlangen müssen, dass der Vorstand der Emittentin ggf. den Konflikt durch Abgabe einer entsprechenden Ad-hoc-Mitteilung vorab oder noch während der Versammlung auflöst.89 (4) Bereits zuvor veröffentlichte Informationen Denkbar wäre schließlich die Übertragung des Auskunftsverweigerungsrechts nach § 131 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 AktG mit der Folge, dass Auskunftsbegehren als missbräuchlich zurückgewiesen werden könnten, wenn die betreffenden Informationen auf der Internetseite der Gesellschaft zuvor mindestens sieben Tage vor Beginn der Gläubigerversammlung und in der Versammlung durchgängig zugänglich ist. Die aktienrechtliche Regelung ist mit dem UMAG 2005 eingeführt worden und soll sicherstellen, dass die Hauptversammlung durch frei zugängliche Vorabveröffentlichung von Informationen zu typischen Standardfragen sowie von Detailinformationen (Statistiken etc.) entlastet wird und mehr Zeit für inhaltliche Diskussionen zur Verfügung steht; zugleich soll die Möglichkeit geschaffen werden, vorab gestellte Fragen in veröffentlichter und damit allen Aktionären zugänglicher Form auch bereits vor der Hauptversammlung beantworten zu können.90 Eine derartige Regelung ist de lege ferenda auch für das Schuldverschreibungsrecht uneingeschränkt sinnvoll und würde systematisch auch zu dem bereits in § 12 Abs. 3 SchVG (siehe dort Rz. 13) sowie § 13 Abs. 4 SchVG (siehe dort Rz. 19) realisierten Grundprinzip der Vorabinformation von Gläubigern im Internet passen. Gegen eine Analogie de lege lata oder die Heranziehung im Rahmen des Missbrauchseinwands sprechen jedoch nicht nur grundsätzliche Bedenken (Rz. 14), sondern auch die mangels klarer gesetzlicher Regelung besonders auch in diesem Fall drohende Rechtsunsicherheit.91 4. Einzelne Auskunftsgegenstände § 16 SchVG enthält – im Unterschied zur aktienrechtlichen Parallelregelung (vgl. § 131 Abs. 1 Satz 2 und 3 AktG: Informationen zu Beziehungen zu verbundenen Unternehmen und Jahresabschlüssen) – keine weitere Konkretisierung hinsichtlich des Kreises der in Betracht kommenden Auskunftsgegenstände. Die hierzu in der aktienrechtlichen Literatur diskutierten und zum Teil auch in der Judikatur behandelten konkreten Beispiele bieten aufgrund des anders gelagerten Informationsinteresses der Anleihegläubiger nur begrenzten Aufschluss für das Schuldverschreibungsrecht. Auch hier können konkretere Leitlinien erst auf der Grundlage einer Auseinandersetzung mit der künftig hierzu zu erwartenden Kasuistik gewonnen werden. Einige Grundsätze lassen sich dennoch bereits festhalten. Nicht nur für die Aktionäre, sondern auch für die Anleihegläubiger von potentiell erheblicher Bedeutung sind Informationen zu Jahresabschlüssen der Emittentin. Die hierzu in der aktienrechtlichen Literatur und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, wonach zwar keine um89 So wohl auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 13; für das Aktienrecht Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 48 f. (ggf. Ad-hoc-Mitteilung aus der Hauptversammlung notwendig); Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 128 (ggf. Adhoc-Mitteilung vor der Hauptversammlung). 90 Begr. RegE BT-Drucks. 15/5092, 17; vgl. dazu etwa Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 32a; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 135; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 88. 91 So im Ergebnis auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 35; a.A. und für eine differenzierte Berücksichtigung vorab zugänglicher Informationen (auch) im Rahmen des Rechtsmissbrauchseinwands Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 17.

Binder 317

21

§ 16 SchVG Rz. 22 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift fassende Offenlegung sämtlicher für die Rechnungslegung relevanten Einzelheiten, aber durchaus detaillierte Nachfragen zulässig sind,92 sind übertragbar, wenn und soweit die angeforderten Informationen dem Erforderlichkeitskriterium aus § 16 Abs. 1 SchVG genügt. Auch wenn der Gläubigerversammlung keine Kontrollaufgabe gegenüber Leitungs- bzw. Aufsichtsorganen zukommt, können Angaben über Pflichtverletzungen und die Geltendmachung von Haftungssanktionen gefordert werden, wenn der Umgang mit derartigen Pflichtverletzungen – was oft der Fall sein wird – Rückschlüsse auf das künftige Verhalten der Emittentin und seine Folgen auch für die Anleihegläubiger zulassen wird (siehe schon Rz. 7, 10). Praktisch besonders bedeutsam für die Entscheidung der Gläubiger werden vielfach die im Rahmen eines Sanierungsgutachtens erhobenen und bewerteten Erkenntnisse sein.93 Insoweit besteht (wohl unstreitig) jedenfalls kein Anspruch auf Übersendung oder anderweitige Offenlegung des Gutachtens im Vorfeld der Gläubigerversammlung,94 auch wenn es zur Vorbereitung auf die Gläubigerversammlung sinnvoll sein kann, den Gläubigern zumindest den wesentlichen Inhalt des Gutachtens mitzuteilen. Auch eine Verlesung des Gutachtens in der Gläubigerversammlung selbst soll ausscheiden.95 Soweit kein Auskunftsverweigerungsrecht entgegensteht (Rz. 17 ff.) und die begehrten Inhalte das Erforderlichkeitskriterium nach § 16 Abs. 1 SchVG erfüllen, wird man den Gläubigern allerdings das Recht zusprechen müssen, die wesentlichen Inhalte des Gutachtens zumindest in der Gläubigerversammlung selbst vorgetragen zu bekommen.96 Informationen über Dritte können verlangt werden, soweit diese Informationen zur Bewertung der Bonität der Emittentin bzw. sonstiger Verhandlungsgegenstände erforderlich sind und die Emittentin darüber überhaupt Auskunft geben kann. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn Dritte die Forderungen gegen die Emittentin garantiert haben oder in die Emission ein Konzernunternehmen der Emittentin eingeschaltet war.97 5. Auskunftsanspruch a) Grundlagen 22

Liegen die Voraussetzungen nach § 16 Abs. 1 SchVG vor, begründet dies einen materiellrechtlichen Anspruch des jeweiligen Anleihegläubigers gegen die Emittentin als Auskunftsschuldnerin, vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter, auf Erteilung der begehrten Auskunft.98 Das Auskunftsrecht ist nicht höchstpersönlicher Natur, so dass es auch von in der Gläubigerversammlung anwesenden Stellvertretern der Anleihegläubiger geltend gemacht werden kann (§ 14 SchVG Rz. 4). Auch die Beantwortung der Auskunftsersuchen kann zulässigerweise delegiert werden, so dass bspw. ressortzuständige Organmitglieder, aber auch ent92 Einzelheiten str., vgl. näher – jeweils zum TOP „Vorlage des Jahresabschlusses“ – und mit umfassender Aufarbeitung der Kasuistik Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 175 ff.; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 167 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 48 ff.; ferner Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 45. 93 Vgl. z.B. OLG Köln v. 13.1.2014 – I-18 U 174/13 – Solarworld, ZIP 2014, 268 (270); Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2010). 94 Zutr. Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2010). 95 Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 10 (aber Einschränkungen für die Verlesung von Auszügen erwägend); Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2010). 96 Vgl. ähnlich, aber mit allzu restriktiver Tendenz insoweit Seibt, ZIP 2016, 997 (1004); Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2010); offen gelassen in OLG Köln v. 13.1.2014 – I-18 U 174/13 – Solarworld, ZIP 2014, 268 (270). 97 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 5. 98 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 13 f.; Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (361); zum Auskunftsschuldner auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 3; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 5.

318

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 23 § 16 SchVG

sprechend qualifizierte und informierte unternehmensinterne oder -externe Dritte zur Antwort beauftragt und ermächtigt werden können.99 b) Geltendmachung Einzelheiten der Geltendmachung regelt das Gesetz nicht, sondern schreibt lediglich vor, dass der Anspruch in der Gläubigerversammlung geltend zu machen sei. Insoweit gilt nichts wesentlich anderes als zur Parallelvorschrift des § 131 Abs. 1 AktG; die hierzu aufgestellten, allerdings im Einzelnen nicht unumstrittenen Auslegungsgrundsätze100 lassen sich auch auf die Geltendmachung des Auskunftsrechts nach § 16 Abs. 1 SchVG übertragen. Hier wie dort ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, dass die Auskunftspflicht tatsächlich ein Auskunftsverlangen in der Versammlung voraussetzt;101 unaufgefordert müssen keine Informationen erteilt werden.102 Auf das Auskunftsverlangen lassen sich die §§ 133, 157 BGB entsprechend anwenden.103 Lediglich konkludente Auskunftsverlangen reichen danach im Einzelfall aus, wenn sich das Informationsbegehren des Versammlungsteilnehmers aus der Sicht eines objektiven Empfängers in der Person des Versammlungsleiters hinreichend deutlich ergibt.104 Ergeben sich Unklarheiten, hat dieser im Rahmen seiner Leitungsaufgabe nachzufragen.105 Eine bestimmte Form des Auskunftsverlangens ist ebenso wenig zu verlangen wie für die Parallelvorschrift des § 131 Abs. 1 AktG. Ebenso wie im Aktienrecht106 werden daher auch in 99 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 14; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 3; a.A. wohl noch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 5. 100 Vgl. dazu etwa Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 8; eingehend Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 96 ff.; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 469 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 24 ff. 101 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 15; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 5; vgl. auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 7; Seibt, ZIP 2016, 997 (1003). 102 Vgl. für das Aktienrecht ebenso BayObLG v. 30.11.1995 – 3 Z BR 161/93, AG 1996, 180 (181 ff.); OLG Celle v. 7.9.1983 – 9 U 34/83, AG 1984, 266 (272); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 101 ff.; Drinhausen in Hölters, § 131 AktG Rz. 10; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 8; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 469; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 33; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 20; a.A. (Versammlungsleiter im Ausnahmefall auch ungefragt auskunftspflichtig) OLG Schleswig v. 8.12.2005 – 5 U 57/04, AG 2006, 120 (125); LG Berlin v. 2.12.1996 – 99 O 173/96, AG 1997, 183 (185); nur de lege ferenda für unaufgeforderte Informationspflicht Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 5 ff., 18. 103 Insoweit übereinstimmend auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 17; Siems in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 20; ähnlich, aber mit abweichender Perspektive (Sicht des Aktionärs maßgeblich) auch Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 471; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 28. 104 Entsprechend die wohl überwiegende Ansicht im Aktienrecht, vgl. Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 96; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 23; Siems in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 20; insoweit a.A. (ausdrückliches Auskunftsverlangen notwendig) Kirchner in Preuße, § 14 SchVG Rz. 15; im Aktienrecht ebenso z.B. Drinhausen in Hölters, § 131 AktG Rz. 13; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 26. 105 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 17; ebenso für die aktienrechtliche Parallelvorschrift Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 26. 106 Vgl. für § 131 Abs. 1 AktG in diesem Sinne etwa Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 98; Drinhausen in Hölters, § 131 AktG Rz. 13; Herrler in Grigoleit, § 131 AktG Rz. 9; Reger in Bürgers/Körber, § 131 Rz. 6; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 24; a.A. (nur mündliches Verlangen zulässig) OLG Frankfurt v. 17.7.2007 – 5 U 229/05, AG 2007, 672 (675); Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 8; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 8; differenzierend Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 19.

Binder 319

23

§ 16 SchVG Rz. 24 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift der Gläubigerversammlung sowohl mündlich als auch schriftlich vorgetragene Auskunftsverlangen zugelassen werden müssen;107 bei letzteren muss sichergestellt sein, dass das Auskunftsverlangen allen Versammlungsteilnehmern bekannt gemacht wird.108 Auch eine bestimmte Sprache ist nicht vorgesehen, doch wird verlangt werden können, dass das Auskunftsbegehren in derjenigen Sprache vorgetragen wird, die die Verhandlungen prägt. Dies wird in der Regel die deutsche Sprache sein, doch können bei entsprechendem Investorenkreis auch andere Sprachen gewählt werden (vgl. auch § 10 SchVG Rz. 26).109 Um die Vorbereitung der Auskunftserteilung zu erleichtern, ist eine Vorankündigung der jeweiligen Auskunftsbegehren vor der Gläubigerversammlung sinnvoll, aber nicht verpflichtend (siehe auch Rz. 4, 25).110 Ein bereits geltend gemachtes Auskunftsersuchen kann jederzeit zurückgenommen werden; dies kann auch konkludent geschehen, wobei zum Schutz des Informationsinteresses des Gläubigers ein hohes Maß an Eindeutigkeit zu verlangen ist.111 c) Durchsetzung 24

Auch für die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs sieht das Gesetz keine speziellen Regelungen vor. Insbesondere fehlt es an einer dem § 132 AktG entsprechenden Regelung zur gerichtlichen Auskunftserzwingung. Unabhängig von einer Anfechtungsklage gegen die nach einer Verletzung des Auskunftsrechts zustande gekommenen Beschlüsse, die nach § 20 Abs. 1 Satz 2 SchVG nur eingeschränkten Schutz bietet (dazu und zu den Grenzen der Anfechtbarkeit § 20 SchVG Rz. 58 ff.), kommt eine Leistungsklage auf Auskunftserteilung in Betracht. Verfahrensvoraussetzungen und Verfahrensvorschriften richten sich dabei nach der ZPO, nicht nach dem FamFG.112 Ebenso nach allgemeinen Regeln beurteilt sich die Frage der Erstreckung der Rechtskraft eines Leistungsurteils für ein etwaiges nachfolgendes Anfechtungsverfahren.113 Im Vergleich mit der Anfechtung dürften Leistungsklagen in der Regel al-

107 Wie hier Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 6; Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 8; a.A. (nur mündliches Verlangen zulässig) Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 5; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 1; Seibt, ZIP 2016, 997 (1002 f.); differenzierend (schriftliche Fragen, wenn Anspruchsteller mündliches Vorbringen verweigert) aber Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2008). 108 Vgl. zum Aktienrecht Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 473 f. 109 Ähnlich Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 12, 16; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 7; Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (362). 110 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 7; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 5; Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (360 f.); ebenso für die aktienrechtliche Parallelvorschrift z.B. OLG Düsseldorf v. 17.7.1991 – 19 W 2/91, AG 1992, 34 (35); LG München I v. 13.1.1994 – 5 HKO 1101/93, AG 1994, 380; Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 97; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 8 f.; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 481; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 21; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 26. 111 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 19; vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift ebenso z.B. Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 100; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 486; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 32; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 20; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 27. 112 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 38; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 21; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 16. 113 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 22; a.A. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 38; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 16 unter Hinweis auf die – allerdings gerade nicht verallgemeinerungsfähige – Entscheidung BGH v. 16.2.2009 – II ZR 185/07 – Rz. 35, BGHZ 180, 9 (27 f.) = AG 2009, 285 (290) (Kirch/Deutsche Bank).

320

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 25 § 16 SchVG

lerdings keine große praktische Bedeutung haben und vielfach mangels Rechtsschutzbedürfnisses ausscheiden.114 d) Erfüllung Der Auskunftsanspruch erlischt nach allgemeinen Regeln durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB). Diese tritt ein, wenn die Emittentin die begehrte Auskunft inhaltlich vollständig und zutreffend erteilt hat.115 Ebenso wie im Aktienrecht116 sind Auskünfte grundsätzlich mündlich zu erteilen, so dass sie allen Versammlungsteilnehmern gleichzeitig bekannt werden.117 Inhaltlich gilt nichts anderes als nach der klarstellenden Regelung in § 131 Abs. 2 Satz 1 AktG, nach der die Auskunft „den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen hat“. Auch hierzu ist allgemein anerkannt, dass der auskunftspflichtige Vorstand die Auskunft vollständig, zutreffend und sachgemäß zu erteilen hat.118 Auch im Rahmen des § 16 Abs. 1 SchVG muss sich die Auskunft damit am Inhalt des rechtmäßigen Auskunftsbegehrens messen lassen: Vollständig ist eine Antwort grundsätzlich nur dann, wenn sie dem vorgetragenen berechtigten Informationsbedürfnis des Anleihegläubigers erschöpfend Rechnung trägt. Daraus richtet sich insbesondere der notwendige Detaillierungsgrad nach dem Auskunftsbegehren selbst; pauschal gestellte Fragen dürfen auch pauschal beantwortet werden.119 Ebenso wie im Aktienrecht ist vorauszusetzen, dass sich die Emittentin auf zu erwartende Fragen angemessen vorbereitet und die relevanten Informationen in der Gläubigerversammlung tatsächlich geben kann, da anderenfalls der Auskunftsanspruch leerliefe.120 Daraus folgt, dass bei nicht erwartbaren, aber dennoch rechtmäßigen 114 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 12. 115 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 29, 37; vgl. auch Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 6. 116 Vgl. BGH v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, BGHZ 101, 1 (15) = AG 1987, 344; BGH v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211 (236 f.) = AG 1993, 422; OLG Dresden v. 1.12.1998 – 7 W 426/98, AG 1999, 274 (276); OLG Düsseldorf v. 17.7.1991 – 19 W 2/91, AG 1992, 34 (35); OLG Frankfurt v. 19.9.2006 – 20 W 55/05, AG 2007, 451 (452); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 92; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 22; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 489; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 77; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 61; a.A. Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 68. 117 Ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 5. 118 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (88); OLG München v. 15.5.2002 – 7 U 2371/01, AG 2003, 451 (452); OLG Stuttgart v. 11.8.2004 – 20 U 3/04, AG 2005, 94 (96); OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (534); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 246; Drinhausen in Hölters, § 131 AktG Rz. 21; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 21; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 265 f.; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 77; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 69; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 63. 119 Vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 (371) = AG 2014, 87; BayObLG v. 22.12.1988 – BReg 3 Z 157/88, BayObLGZ 1988, 413 (420 f.); OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 W 5/11, AG 2012, 377 (380); OLG Stuttgart v. 11.8.2004 – 20 U 3/04, AG 2005, 94 (96); OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (534); LG Braunschweig v. 6.4.1990 – 22 O 97/89, AG 1991, 36 (37); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 249; Drinhausen in Hölters, § 131 AktG Rz. 21; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 21; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 266; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 77; Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 69; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 63. 120 Ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 6; vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift bereits BGH v. 7.4.1960 – II ZR 143/58, BGHZ 32, 159 (165); OLG Brandenburg v. 6.6.2001 – 7 U 145/00, AG 2003, 328; OLG Düsseldorf v. 17.7.1991 – 19 W 2/91, AG 1992, 34 (35); Decher in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 131 AktG Rz. 251; Herrler in Grigoleit, § 131 AktG

Binder 321

25

§ 16 SchVG Rz. 26 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift Auskunftsbegehren ggf. Abstriche am Detaillierungsgrad zu machen sind.121 Auch daher ist es sinnvoll, ggf. Informationsbegehren vorab anzukündigen, um die Aussichten auf eine substantiierte Auskunft zu verbessern (vgl. auch Rz. 4, 23). Besteht das Informationsbedürfnis des Anleihegläubigers auch nach erhaltener Antwort fort, muss er dies durch eine erneute, entsprechend detaillierte Frage kundtun und zur Klarstellung bzw. Substantiierung auffordern.122

III. Abstimmungsverfahren (§ 16 Abs. 2 SchVG) 1. Grundlagen 26

§ 16 Abs. 2 SchVG regelt die Einzelheiten des Abstimmungsverfahrens nicht selbst, sondern verweist insoweit pauschal auf „die Vorschriften des Aktiengesetzes über die Abstimmung der Aktionäre“, soweit nicht in den Anleihebedingungen etwas anderes vorgesehen ist. Damit besteht grundsätzliche Gestaltungsfreiheit in den Anleihebedingungen, für die sich abstrakte, anpassungsfähige Regelungen als vorzugswürdig erweisen dürften (Rz. 27). Die Verweisung auf aktienrechtliche Regelungen ist mit dem Problem verbunden, dass das Aktienrecht selbst das Abstimmungsverfahren ebenfalls nicht regelt, sondern insoweit auch seinerseits weit gehende Gestaltungsfreiheit für die Satzung der AG vorsieht (vgl. § 118 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 sowie § 134 Abs. 4 AktG). Die dennoch ausgesprochene Verweisung auf das Aktienrecht soll größtmögliche Gestaltungsfreiheit absichern und vor allem gewährleisten, dass das Schuldverschreibungsrecht künftige technische und prozedurale Innovationen im Aktienrecht ohne weiteres nachvollziehen kann.123 Der Regelungszweck steht so im Einklang mit dem allgemeinen Ziel, die Verfassung der Gläubigerversammlung an das moderne Recht der Hauptversammlung der AG und die hier üblichen Kommunikationsformen anzunähern.124 Damit kann für das Abstimmungsverfahren der Gläubigerversammlung zwar auf Gestaltungsmuster und Praktiken zurückgegriffen werden, die sich für die Hauptversammlung durchgesetzt haben. Die im Aktienrecht etablierten Standards eignen sich damit zwar als Regelungsvorbilder, an denen sich die Anleihebedingungen bzw. – in Abwesenheit von Festlegungen in den Anleihebedingungen – die Versammlungsleitung jeweils im Einzelfall orientieren können. Konkrete und kraft Verweisung bindende normative Vorgaben stehen jedoch nur begrenzt bereit125 (Rz. 28 ff.). Zu den Rechtsfolgen und insb. den Voraussetzungen und Grenzen der Anfechtbarkeit von Beschlüssen nach Verfahrensfehlern bei der Abstimmung siehe § 20 SchVG Rz. 57 ff.

121

122

123 124 125

322

Rz. 31; Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 9; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 88; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 64; differenzierend, aber etwas unklar Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 71. In diese Richtung für die aktienrechtliche Parallelvorschrift bereits BGH v. 7.4.1960 – II ZR 143/58, BGHZ 32, 159 (165); vgl. im Ergebnis auch OLG Frankfurt v. 1.7.1998 – 21 U 166/97, AG 1999, 231 (232); OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 W 5/11, AG 2012, 377 (380); Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 10; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 10; insoweit a.A. Siems in Spindler/Stilz, § 131 AktG Rz. 70. Vgl. für die aktienrechtliche Parallelvorschrift entsprechend BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 354, 371 = AG 2014, 87; OLG Stuttgart v. 29.2.2012 – 20 W 5/11, AG 2012, 377 (380); OLG Stuttgart v. 11.8.2004 – 20 U 3/04, AG 2005, 94 (96); Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 21; Kersting in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 131 AktG Rz. 266; Reger in Bürgers/Körber, § 131 AktG Rz. 17; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 131 AktG Rz. 63. Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 23. Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 13 f., 23; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 40. Ähnlich zur Auslegung der Verweisung auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 46; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 25.

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 28 § 16 SchVG

2. Regelungen in den Anleihebedingungen Die in § 16 Abs. 2 SchVG eingeräumte Gestaltungsfreiheit ist kaum beschränkt; sie bezieht sich sowohl auf die Form der Stimmabgabe als auch die Modalitäten der Stimmauszählung.126 Insbesondere können Verfahren für die Teilnahme an der Abstimmung ohne physische Präsenz in der Versammlung („Briefwahl“ oder Online-Teilnahme, siehe auch noch Rz. 30 f.) vorgesehen werden, bei denen lediglich sichergestellt sein muss, dass der jeweils Abstimmende rechtssicher ermittelt werden kann.127 Die Gestaltungsfreiheit bezieht sich auf die Anleihebedingungen; nicht sinnvoll – und für die Anleihegläubiger auch nicht bindend – wären entsprechende Regelungen in der Satzung der Emittentin.128 Damit ist indessen nicht gesagt, dass die Anleihebedingungen das Abstimmungsverfahren in allen Einzelheiten selbst regeln müssten. Vielmehr ist auch hinsichtlich der Modalitäten des Abstimmungsverfahrens die Möglichkeit einer weit reichenden Delegation an den Versammlungsleiter anzuerkennen. Dies ergibt sich nicht nur aus der Anerkennung von Gestaltungsspielräumen für die Anleihebedingungen, sondern auch aus der hilfsweise eingreifenden Verweisung auf das Aktienrecht. Die Zulässigkeit einer derartigen Delegation sub specie der Parallelvorschrift in § 134 Abs. 4 AktG, welche eine Satzungsermächtigung für die Form der Stimmrechtsausübung einrämt, ist hier unumstritten und eine Delegation absolut üblich.129 Gründe, die für eine andere Handhabung im Schuldverschreibungsrecht sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund überzeugt die in der Literatur vertretene Empfehlung, Regelungen in den Anleihebedingungen möglichst auf abstrakte, offene Vorgaben zu beschränken, um dem Versammlungsleiter in jedem Einzelfall eine sachgerechte und flexible Vorgehensweise zu ermöglichen.130 Im Interesse der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für die Anleihegläubiger ist jedoch zu empfehlen, dass zumindest eine Vorfestlegung hinsichtlich der Modalitäten der Stimmabgabe (reine Präsenzveranstaltung, Zulässigkeit von „Briefwahl“ und/oder Online-Abstimmung) bereits in den Anleihebedingungen getroffen wird.131

27

3. Einzelheiten und aktienrechtliche Vorbilder a) Stimmabgabe aa) Willenserklärung Die Stimmabgabe ist ebenso wie im Aktienrecht132 als empfangsbedürftige Willenserklärung zu qualifizieren, wobei als Adressaten auf den Versammlungsleiter abzustellen ist, der dazu auch Hilfspersonen einsetzen kann.133 Für die Wirksamkeit der Stimmabgabe kommt 126 Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 23; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 19. 127 Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 23; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 23. 128 Ähnlich Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 14; im Ergebnis gegen Satzungsregelungen auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 44. 129 Vgl. dazu etwa Hüffer/Koch, § 131 AktG Rz. 34; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 80: Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 72; Stützle/Walgenbach, ZHR 155 (1991), 516 (534). 130 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 14; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 43, 45; in diese Richtung auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 18. 131 Ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 46. 132 Z.B. BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264 (267); zuvor bereits RG v. 16.9.1927 – II 21/27, RGZ 118, 67 (69); Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 19; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 19; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 16. 133 Ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 47.

Binder 323

28

§ 16 SchVG Rz. 29 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift es damit darauf an, ob sie von den in der Gläubigerversammlung anwesenden bzw. online unmittelbar zugeschalteten Gläubigern oder Gläubigervertretern abgegeben wird (dann Wirksamwerden mit Wahrnehmung durch den Versammlungsleiter bzw. die von diesem zur Auszählung eingesetzten Hilfspersonen), oder ob sie von nicht präsenten Teilnehmern abgegeben wird, die ihre Stimme vorab übermitteln (dann Wirksamwerden unmittelbar nach § 130 Abs. 1 BGB mit Zugang).134 Ein Widerruf sollte im Interesse der Rechtssicherheit richtigerweise ebenso nach allgemeinen Regeln behandelt und damit regelmäßig als unzulässig angesehen werden.135 Auch für die Anfechtbarkeit wegen Willensmängeln gelten die allgemeinen Regeln (§§ 119 ff. BGB).136 Obwohl eine Enthaltung gerade nicht als Abgabe einer Stimme qualifiziert werden kann, sind diese Grundsätze auch darauf anwendbar, weil auch Enthaltungen den Erfolgswert der abgegebenen Stimmen beeinflussen.137 bb) Abgabemodalitäten 29

In Ermangelung abweichender Regelungen in den Anleihebedingungen (siehe auch Rz. 26) liegt die Festlegung der Modalitäten für die Stimmabgabe im pflichtgemäßen Ermessen des Versammlungsleiters als Bestandteil seiner Leitungsaufgabe.138 Dabei ist darauf zu achten, dass in jedem Falle eine eindeutige Ermittlung des Abstimmungsergebnisses möglich ist.139 Zulässig ist sowohl die offene als auch die verdeckte Abstimmung. In der offenen Abstimmung wird die Stimmabgabe unverkörpert, z.B. durch Handzeichen, Aufstehen von den Plätzen oder Zuruf, vollzogen, in der verdeckten Stimmabgabe schriftlich, mittels Stimmkarten oder elektronisch.140 Im Interesse der sicheren Ermittlung des Beschlussergebnisses kommt die offene Stimmabgabe nur bei einem kleineren Kreis an Versammlungsteilnehmern in Betracht.141 Ebenso wie im Aktienrecht ist auch eine geheime Abstimmung zulässig, auf deren Anordnung die Teilnehmer jedoch keine Individualrechte geltend machen können.142 134 Vgl. allgemein stellvertretend Ellenberger in Palandt, § 130 BGB Rz. 2 bzw. Rz. 5. 135 A.A. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 47 (Widerruf bei wichtigem Grund solange zulässig, wie Maßnahme noch nicht vollzogen wurde); für das Aktienrecht ebenso Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 18; dagegen (in Ergebnis und Begründung wie hier) überzeugend Herrler in Grigoleit, § 133 AktG Rz. 11; Hirschmann in Hölters, § 133 AktG Rz. 20; Holzborn in Bürgers/Körber, § 133 AktG Rz. 8; Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 19; Rieckers in Spindler/Stilz, § 133 AktG Rz. 21; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 21. 136 Insoweit übereinstimmend Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 47; vgl. für das Aktienrecht gleichsinnig etwa Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 21; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 18. 137 Ebenso wohl auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 47; für das Aktienrecht näher z.B. Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 133 AktG Rz. 67; Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 18; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 19. 138 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 48; für die Hauptversammlung der AG ebenso Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 35; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 73. 139 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 48; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 25; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 21; gleichsinnig auch bereits Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23; für die Hauptversammlung der AG ebenso Holzborn in Bürgers/Körber, § 134 AktG Rz. 28; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 81; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 82; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 73. 140 Vgl. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 48; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 25; für die Hauptversammlung der AG bspw. Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 35; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 82; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 73. 141 Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 35; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG Rz. 82; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 81; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 73. 142 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 48; vgl. für das Aktienrecht Herrler in Grigoleit, § 134 AktG Rz. 47; Hüffer/Koch, § 134 AktG Rz. 35; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 134 AktG

324

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 31 § 16 SchVG

cc) Sonderfall: „Briefwahl“ Die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe und einer postalischen Abstimmung, terminologisch unglücklich143 auch als „Briefwahl“ bezeichnet, soll durch die Regelung des § 16 Abs. 2 SchVG ausdrücklich eröffnet werden.144 Auch insoweit gilt nichts anderes als im Aktienrecht, wo das ARUG145 eine entsprechende Gestaltungsermächtigung in § 118 Abs. 2 AktG eingeführt hat. Auch hier ist damit die Zulassung verschiedener Kommunikationswege möglich. Gefordert werden können neben der Schriftform (§ 126 BGB) auch die Einhaltung der elektronischen Form (§ 126a BGB), aber auch die bloße Textform (§ 126b BGB), z.B. auch über ein dafür bereit gestelltes Internetportal.146 Die „Briefwahl“ ermöglicht mithin die Teilnahme an der Abstimmung ohne Präsenz in der Gläubigerversammlung. Ebenso wie im Aktienrecht147 sind die in dieser Weise abstimmenden Gläubiger nicht als Teilnehmer an der Gläubigerversammlung zu qualifizieren und dementsprechend weder in das Teilnehmerverzeichnis (§ 15 Abs. 2 SchVG) aufzunehmen noch gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG anfechtungsberechtigt;148 ihre Mitwirkung an der Abstimmung sollte jedoch sinnvollerweise gesondert dokumentiert werden.149

30

dd) Online-Gläubigerversammlung Umstritten ist, ob die in § 16 Abs. 2 SchVG ausgesprochene Verweisung auch auf die Satzungsermächtigung zur Ermöglichung von Online-Hauptversammlungen in § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG bezogen werden kann. Die aktienrechtliche Regelung ist mit dem ARUG (Rz. 30) eingeführt worden und sollte – in Umsetzung des Art. 8 der EU-Aktionärsrechterichtlinie150 – die Präsenz in Hauptversammlungen erhöhen. Im Unterschied zur in § 118 Abs. 3 AktG geregelten „Briefwahl“ ermöglicht die Online-Versammlung nicht allein die Teilnahme an Abstimmungen, sondern die umfassende Mitwirkung an der Hauptversammlung als registrierter Teilnehmer und mithin auch das Anfechtungsrecht. Sie geht damit über eine bloße Übertragung der Versammlung in Wort und Bild, z.B. per Internet-Livestream, ebenso hinaus wie über die bloße Stimmabgabe von auswärts („Briefwahl“). Online-Teilnehmer sind den physisch anwesenden Teilnehmern daher gleichgestellt.151 Gegen die Zulässigkeit einer Online-Versammlung für das Schuldverschreibungsrecht ist eingewandt worden, der Wortlaut der Verweisung in § 16 Abs. 2 SchVG beziehe sich darauf nicht. Da dies in Kenntnis der weiter gefassten Möglichkeiten im Recht der Hauptversammlung bewusst so formuliert worden sei, fehle es auch an einer planwidrigen Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung; mit Rücksicht auf die angesichts dessen drohende Rechtsunsicherheit sei ohne eine de lege ferenda mögliche gesetzliche Klarstellung auf Online-Gläubigerver-

143 144 145 146 147 148 149 150 151

Rz. 86; Rieckers in Spindler/Stilz, § 134 AktG Rz. 82; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 134 AktG Rz. 75 f.; tw. abweichend (Individualrecht bejaht) Uwe H. Schneider in FS Peltzer, 2001, S. 425 (429 ff., 433 f.). Zutr. Hüffer/Koch, § 118 AktG Rz. 15. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. Hüffer/Koch, § 118 AktG Rz. 17; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 58. Vgl. Begr. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/11642, 39; Hüffer/Koch, § 118 AktG Rz. 19; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 57. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 51; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 19. Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 19. RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, ABl. EU Nr. L 184/17. Vgl. näher Hüffer/Koch, § 118 AktG Rz. 12 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 118 AktG Rz. 80 ff.; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 49 ff.

Binder 325

31

§ 16 SchVG Rz. 32 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift sammlungen zu verzichten.152 Daran überzeugt zwar, dass eine analoge Anwendung des § 118 Abs. 1 Satz 2 AktG wegen der darin ausgesprochenen Satzungsermächtigung nicht zu sinnvollen Ergebnissen führen würde, wenn man sie ebenfalls auf Satzungsregelungen beziehen wollte. Inhaltlich ist eine weiter gespannte Auslegung des § 16 Abs. 2 SchVG unter Einschluss auch der Möglichkeit einer Online-Versammlung jedoch nicht nur mit dem Wortlaut, sondern auch mit dem Regelungszweck vereinbar. Die Online-Versammlung geht zwar, wie ausgeführt, weiter als die bloße „Briefwahl“, schließt diese aber zwingend ein, so dass eine erhebliche Überschneidung zwischen beiden Bereichen besteht. Auch zeigen die Gesetzesmaterialien, dass es dem Gesetzgeber um einen möglichst umfassenden Gestaltungsspielraum zur Anpassung an die moderne Entwicklung der Hauptversammlungspraxis ging.153 Vor diesem Hintergrund sind daher auch bereits de lege lata Online-Gläubigerversammlungen zuzulassen, was im Rahmen einer künftigen Anpassung des Gesetzestextes allerdings sinnvollerweise klargestellt werden sollte. b) Auszählung aa) Zuständigkeit 32

Zum Verfahren und zu den Methoden der Stimmenauszählung enthält das Aktienrecht keinerlei konkrete Vorgaben, so dass die in § 16 Abs. 2 SchVG ausgesprochene Verweisung insoweit von vornherein nur als auf die im Aktienrecht üblichen Gestaltungspraktiken, nicht aber als auf bestimmte gesetzliche Pflichten bezogen ausgelegt werden kann.154 Hier wie dort ist die Ermittlung des Abstimmungsergebnisses Aufgabe des Versammlungsleiters, wie sich mittelbar aus der in § 16 Abs. 3 SchVG ausgesprochenen Verweisung auf § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG ergibt (siehe § 15 SchVG Rz. 4). Der Versammlungsleiter kann dazu Hilfspersonen heranziehen.155 In Ermangelung anderweitiger Festlegungen in den Anleihebedingungen, die auch insoweit nicht sinnvoll sind (Rz. 26),156 ist es Sache des Versammlungsleiters, das konkrete Auszählungsverfahren festzulegen, wobei die Modalitäten vor der Abstimmung zu verkünden sind.157 bb) Additionsverfahren

33

Die Auszählung kann wie im Aktienrecht zunächst nach dem sog. Additionsverfahren vorgenommen werden, das sich traditionell vor allem für kleinere Versammlungen etabliert hat, mit elektronisch unterstützter Abstimmung aber auch bei größeren Versammlungen zum Einsatz kommen kann. Nach diesem Verfahren werden Ja- und Nein-Stimmen getrennt

152 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 24; im Ergebnis ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 20. 153 Eingehend Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 50; knapp befürwortend auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 15; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 3. 154 Zutr. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 26. 155 Ebenso im Ergebnis Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 53; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 26; vgl. für die Rechtslage im Aktienrecht entsprechend etwa Hirschmann in Hölters, § 133 AktG Rz. 24; Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 22; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 23; Rieckers in Spindler/Stilz, § 133 AktG Rz. 24; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 22. 156 Ebenso Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 23. 157 Vgl. für die Rechtslage im Aktienrecht etwa Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 22; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 23; Rieckers in Spindler/Stilz, § 133 AktG Rz. 24; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 22.

326

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 36 § 16 SchVG

ausgezählt. Die Zahl der abgegebenen Stimmen wird durch Addition beider Positionen ermittelt; Enthaltungen bleiben außer Betracht (siehe auch Rz. 28).158 cc) Subtraktionsverfahren Ebenso gebräuchlich – vor allem bei größeren Versammlungen – ist das Subtraktionsverfah- 34 ren, das die Auszählung praktisch erleichtert, aber fehleranfälliger ist und die laufende Aktualisierung der Präsenzliste erfordert.159 Hier werden jeweils nur die Stimmen mit der voraussichtlich geringsten Zahl, im Regelfall Nein-Stimmen und Enthaltungen gezählt. Von der Gesamtzahl der in der Versammlung vertretenen Teilnehmer sind zur Ermittlung des Ergebnisses zunächst die Enthaltungen abzuziehen, sodann die ungültigen Stimmen und schließlich die gezählten Stimmen.160

IV. Niederschrift und Beurkundung (§ 16 Abs. 3 SchVG) 1. Überblick § 16 Abs. 3 SchVG unterwirft alle in der Gläubigerversammlung getroffenen Beschlüsse im 35 Interesse der Rechtssicherheit161 der Beurkundungspflicht, wobei hinsichtlich der Anforderungen zwischen Gläubigerversammlungen im Inland (Rz. 36) und solchen im Ausland (Rz. 37) differenziert wird. Hinsichtlich des Inhalts und der Form der Niederschrift im Übrigen trifft die Regelung selbst keine Vorgaben, sondern verweist auf die Vorschriften in § 130 Abs. 2 bis 4 AktG über die in der Hauptversammlung der AG zu erstellende Niederschrift. Die Kosten der Beurkundung gehören sowohl bei im Inland als auch bei im Ausland stattfindenden Versammlungen zu den Kosten der Gläubigerversammlung und sind daher gem. § 9 Abs. 4 SchVG unabhängig von der Person des Einberufenden in jedem Falle von der Emittentin zu tragen.162 2. Versammlungen im Inland Für Gläubigerversammlungen im Inland ist die Niederschrift gem. § 16 Abs. 3 Satz 2, Halbs. 1 SchVG durch einen Notar aufzunehmen. Dessen Auswahl liegt beim Einberufenden, da nur so sichergestellt werden kann, dass tatsächlich ein Notar für die Beurkundung zur Verfügung steht.163 Dies entspricht im Grundsatz der aktienrechtlichen Parallelvorschrift (vgl. § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG). Handelt es sich bei dem Einberufenden nicht um die Emittentin, kommt der der Beurkundung zugrunde liegende Geschäftsbesorgungsvertrag nicht mit ihr, sondern mit dem Einberufenden zustande; der Einberufende ist dann zunächst selbst Schuldner der Notargebühren und muss die Kosten nach § 9 Abs. 4 SchVG gegenüber 158 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 56, vgl. für das Aktienrecht etwa Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 23; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 27; Rieckers in Spindler/Stilz, § 133 AktG Rz. 25; Spindler in K. Schmidt/Lutter AktG § 133 AktG Rz. 23. 159 Dazu und zu weiteren Problemen für das Aktienrecht eingehend Hirschmann in Hölters, § 133 AktG Rz. 28; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 26; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 24. 160 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 57; vgl. für das Aktienrecht etwa Hirschmann in Hölters, § 133 AktG Rz. 27; Hüffer/Koch, § 133 AktG Rz. 24; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 26; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 133 AktG Rz. 24. 161 Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 16/12814, 23. 162 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 17; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 64; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 25. 163 Otto, DNotZ 2012, 809 (818); wohl auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 64.

Binder 327

36

§ 16 SchVG Rz. 37 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift der Emittentin geltend machen. Dies entspricht der Rechtslage bei der Einberufung der Hauptversammlung der AG durch eine nach § 122 Abs. 3 AktG ermächtigte Minderheit.164 Die Pflichten des Notars richten sich nach dem BeurkG, soweit nicht aus § 16 Abs. 3 SchVG speziellere Anforderungen hervorgehen. Die Niederschrift ist grundsätzlich in deutscher Sprache anzufertigen (§ 5 Abs. 1 BeurkG). Wird die Gläubigerversammlung in einer anderen Sprache abgehalten, kann der Notar die Niederschrift in dieser anfertigen, wenn er diese beherrscht (§ 5 Abs. 2 BeurkG).165 Ebenso wie zur Hauptversammlung der AG166 greifen in beschränktem Umfang Prüfungs-, Hinweis- und Einwirkungspflichten des Notars ein, der eine summarische Rechtmäßigkeitsprüfung im Hinblick auf die Ordnungsmäßigkeit der Einberufung sowie die Rechtmäßigkeit der gefassten Beschlüsse vorzunehmen hat. Diese Pflichten ergeben sich nicht aus § 17 BeurkG, der ausschließlich die Beurkundung von Willenserklärungen betrifft, sondern aus der in § 1 BNotO geregelten Stellung des Notars als Träger eines öffentlichen Amts.167 Für die Kosten der notariellen Beurkundung existiert keine ausdrückliche gesetzliche Regelung. Richtigerweise ist – wie schon nach früherem Kostenrecht168 – von einer Gleichbehandlung mit der Niederschrift der Hauptversammlung der AG auszugehen mit der Folge, dass sich der Geschäftswert nunmehr nach § 108 GNotKG richtet und der Notar nach Nr. 21100 KV GNotKG eine doppelte Gebühr erhält. Aus § 108 Abs. 5 GNotKG ergibt sich ein Höchstgeschäftswert i.H.v. 5 Mio. EUR. Zusätzlich können ggf. Reisekosten und Auslagen sowie eine Auswärtsgebühr nach Nr. 266002 KV GNotKG berechnet werden. Übt der beurkundende Notar zusätzlich eine beratende Tätigkeit aus und/ oder erstellt er das Teilnehmerverzeichnis, ist eine weitere 0,5 – bis 2,0-fache Gebühr gem. Nr. 23203 KV GNotKG möglich, wobei sich der Geschäftswert nach § 120 GNotKG richtet.169 3. Versammlungen im Ausland 37

Für Versammlungen im Ausland ist die Niederschrift nach § 16 Abs. 3 Satz 2, Halbs. 2 SchVG zwar nicht durch einen Notar aufzunehmen, jedoch muss „Gleichwertigkeit“ mit der Beurkundung durch einen Notar gewährleistet sein. Dies entspricht der überwiegenden Ansicht für die Hauptversammlung der AG, wobei eine gesetzliche Regelung zur Zulässigkeit von Hauptversammlungen im Ausland fehlt und überdies umstritten ist, welche Anforderungen in derartigen Fällen an Form und Qualität der von § 130 Abs. 1 AktG vorgeschriebenen Beurkundung zu stellen sind.170 Für das Schuldverschreibungsrecht hat sich der Gesetzgeber ausweislich des klaren Gesetzeswortlauts entschieden, maßgeblich auf die Qua-

164 Vgl. Drinhausen in Hölters, § 130 AktG Rz. 12; Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 7; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 17; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 130 AktG Rz. 71; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 15. 165 Näher Otto, DNotZ 2012, 809 (819). 166 Vgl. Herrler in Grigoleit, § 130 AktG Rz. 20; Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 12; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 34 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 43 ff.; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 28 f.; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 130 AktG Rz. 59 ff.; Priester, DNotZ 2001, 661 (669). 167 Eingehend z.B. Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 130 AktG Rz. 96 ff.; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 34; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 45; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 28. 168 Dazu Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 72. 169 Zum Ganzen stellvertretend Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 14. 170 Vgl. stellvertretend zum – hier nicht im Einzelnen relevanten – Streitstand stellvertretend Hüffer/ Koch, § 121 AktG Rz. 14 ff.; eingehend Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 121 AktG Rz. 187 ff. sowie § 130 AktG Rz. 400 ff.; im Ergebnis übereinstimmend, aber zurückhaltend auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 93.

328

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 38 § 16 SchVG

lität der Niederschrift abzustellen. Dabei muss es – nicht anders als im Aktienrecht171 – auch auf die Qualifikation der Urkundsperson ankommen, auch wenn diese nicht in gleicher Weise die dem deutschen Notar obliegenden Beratungs- und Kontrollaufgaben leisten kann.172 Damit gilt im Ergebnis nicht die Ortsform (vgl. Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB), was der überwiegenden Ansicht im Aktienrecht entspricht. Für die Auswahl und die Bestimmung der Parteien des der Beurkundung zugrunde liegenden Vertragsverhältnisses kann nichts anderes als bei der Rechtslage bei der Hauptversammlung im Inland (Rz. 36) gelten. 4. Inhalt und Verfahren a) Inhalt der Niederschrift aa) Grundlagen der Beurkundungspflicht Beurkundungspflichtig sind nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG ausschließlich die in der Gläubigerversammlung getroffenen Beschlüsse (zu Einzelheiten: Rz. 39). Ebenso wie die nach § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG geforderte Niederschrift der Hauptversammlung der AG173 ist die in der Gläubigerversammlung anzufertigende Niederschrift gesetzlich damit als Ergebnisprotokoll, nicht als Wort- oder Verlaufsprotokoll konzipiert. Anders als im Aktienrecht (vgl. § 131 Abs. 5 AktG) ist insbesondere keine Beurkundungspflicht für den Fall der Auskunftsverweigerung gesetzlich vorgesehen. Ebenso wenig ausdrücklich vorgesehen ist im Unterschied zum Aktienrecht (vgl. insb. § 245 Nr. 1 AktG) die Aufnahme eines gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG zur Wahrung der Anfechtbarkeit notwendigen Widerspruchs eines Teilnehmers gegen einen Beschluss der Gläubigerversammlung. Letzteres erstaunt umso mehr, als die Gesetzesmaterialien selbst in anderem Zusammenhang davon ausgehen, dass der Widerspruch – wie im Aktienrecht – zu Protokoll zu erklären sei.174 Auch vor diesem Hintergrund stellt sich die für das Recht der Hauptversammlung der AG umstrittene Frage, ob neben den ausdrücklich beurkundungspflichtigen Vorgängen auch ungeschriebene Pflichtangaben anzuerkennen und in die Niederschrift aufzunehmen sind, im Schuldverschreibungsrecht in besonderer Schärfe.175 Mit dem Verzicht auf die Beurkundungspflicht für eine Auskunftsverweigerung und für den Widerspruch gegen Beschlüsse drohen bei strenger Auslegung der Beurkundungspflicht gerade besonders anfechtungsrelevante Umstände undokumentiert zu bleiben, was einer rechtssicheren Handhabung nicht zuträglich wäre. Wiederum ebenso wie im Aktienrecht176 lässt der Gesetzeswortlaut die Annahme derartiger nicht ausdrücklicher Pflichtangaben ohne weiteres zu, weil die Vorschrift zwar ausdrücklich nur die Beurkundung der Beschlüsse anordnet, aber zugleich regelt, dass sich die Niederschrift auf „die Verhandlung“ (insgesamt) beziehen muss. Die gesetzgeberische Grund171 Vgl. stellvertretend Hüffer/Koch, § 121 AktG Rz. 16; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 121 AktG Rz. 93; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 400 ff. 172 Ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 65; Paul in Berliner Kommentar InsO, 56. Lfg. 2016, § 16 SchVG Rz. 18 (nur Urkundspersonen mit einem Notar vergleichbarer Qualifikation ausreichend); abweichend, aber schon aufgrund der rechtsordnungsspezifischen Unterschiede im Urkundswesen nicht durchführbar Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 19 (Befugnis der Urkundsperson zur Herstellung öffentlicher Urkunden erforderlich); in diese Richtung auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 26 (formal und inhaltlich gleiche Qualität erforderlich); weniger streng Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 33 (Unabhängigkeit des Schriftführers von Versammlungsteilnehmern notwendig); grundsätzlich a.A. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 18 (ausschließlich Qualität der Niederschrift maßgeblich). 173 Vgl. für diese etwa Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 11. 174 Vgl. BT-Drucks. 16/12814, 24 (zu § 18 Abs. 5 SchVG-E); zutreffend Otto, DNotZ 2012, 809 (820). 175 Im Ausgangspunkt ähnlich auch Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 62. 176 Dazu Priester, DNotZ 2001, 661 (667).

Binder 329

38

§ 16 SchVG Rz. 39 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift entscheidung für eine stärkere Beschränkung der Beurkundungspflicht als im Aktienrecht mag hinzunehmen sein,177 auch wenn bereits de lege lata gewichtige Gründe für eine analoge Anwendung der §§ 131 Abs. 5, 245 Nr. 1 AktG und de lege ferenda für eine ausdrückliche gesetzliche Klarstellung in diesem Sinne sprechen. Sachgerechte Lösungen lassen sich allerdings auch ohne eine solche Grundlage erzielen, wenn man mit der überwiegenden Meinung im Aktienrecht von einer aus den Amtspflichten des Notars abgeleiteten, nicht im Recht der Hauptversammlung (bzw. hier der Gläubigerversammlung) angelegten, ungeschriebenen Pflicht zur Beurkundung der unmittelbar beschlussrelevanten Vorgänge (Einzelheiten: Rz. 42) ausgeht. Verstöße gegen eine derartige Pflicht berühren zwar nicht die Wirksamkeit der Beurkundung, aber eine Amtspflichtverletzung des Notars.178 Vor diesem Hintergrund gilt eine solche Pflicht unmittelbar nur für im Inland stattfindende Gläubigerversammlungen, die durch einen Notar zu protokollieren sind (Rz. 36). Über das Gleichwertigkeitserfordernis nach § 16 Abs. 3 Satz 2, Halbs. 2 SchVG (Rz. 37) ist sie mittelbar aber auch auf Auslandsfälle zu übertragen. bb) Ausdrücklich vorgeschriebene Pflichtinhalte (1) Beschlüsse 39

Aus § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG folgt zunächst, dass jeder Beschluss der Gläubigerversammlung zu beurkunden ist. Dabei kommt es ebenso wenig wie im Aktienrecht auf den Beschlussgegenstand an, so dass nicht nur Sachbeschlüsse, sondern auch Wahlbeschlüsse, insb. die Bestellung oder Abberufung eines gemeinsamen Vertreters (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG), sowie Verfahrens- oder Geschäftsordnungsbeschlüsse protokolliert werden müssen. Auch abgelehnte Beschlussanträge (sog. negative Beschlüsse) sind zu protokollieren.179 Nach § 16 Abs. 3 SchVG gelten hinsichtlich des Inhalts der Niederschrift im Übrigen die Regelungen des § 130 Abs. 2 bis 4 AktG entsprechend. Damit ist auch hier nicht allein der Beschlussinhalt aufzunehmen, sondern zusätzlich die Art der Abstimmung, das Abstimmungsergebnis und die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung (§ 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG). Die Art der Abstimmung umfasst dabei nicht allein Form und Verfahren der Stimmabgabe (Rz. 28 ff.),180 sondern auch das jeweils gewählte Verfahren der Stimmauszählung (Rz. 32 ff.).181 Zum Abstimmungsergebnis ist zwingend die Zahl der abgegebenen 177 So für den Verzicht auf eine Pflichtbeurkundung hinsichtlich der Auskunftsverweigerung Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 36. 178 Ebenso Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 62; s. z.B. OLG Düsseldorf v. 28.3.2003 – 16 U 79/02, AG 2003, 510 (512 f.); Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 5; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 71; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 165; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 46; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 38; Priester, DNotZ 661 (667 f.); Schulte, AG 1985, 33 (39); noch weiter gehend Lamers, DNotZ 1962, 287 (293); Max, AG 1991, 77 (83); v. Falkenhausen, BB 1966, 337 (341 f.); Wilhelmi, BB 1987, 1331 (1334) (Beurkundungspflicht für alle Umstände, die zur Beurteilung der Wirksamkeit eines Beschlusses oder seines Zustandekommens erheblich sein können). 179 Vgl. zur Parallelvorschrift des § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 2; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 4; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 4; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 5; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 12; Priester, DNotZ 2001, 661 (665). 180 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 74; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 27; vgl. für das Aktienrecht entsprechend OLG Oldenburg v. 30.9.2002 – 1 W 45/02, AG 2002, 682; Hüffer/ Koch, § 130 AktG Rz. 17; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 14. 181 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 74; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 30; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 27; vgl. für das Aktienrecht entsprechend OLG Oldenburg v. 30.9.2002 – 1 W 45/02, AG 2002, 682; LG München I v. 30.8.2012 – 5 HK O 1378/12, AG 2013, 138 (139); Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 17; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 14, 17; insoweit a.A. Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 45 f.; Schulte, AG 1985, 33 (38).

330

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 40 § 16 SchVG

Ja- und Nein-Stimmen aufzunehmen (zur umstrittenen Behandlung von Enthaltungen Rz. 40).182 Die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschlussfassung ist die aus dem jeweiligen Abstimmungsergebnis gezogene rechtliche Folgerung, ob der zur Abstimmung gestellte Beschlussantrag angenommen oder abgelehnt wurde.183 Umstritten ist, wie die in § 16 Abs. 3 SchVG mit umfasste Verweisung auf § 130 Abs. 2 40 Satz 2 und 3 AktG zu handhaben ist. Die aktienrechtliche Regelung verlangt für börsennotierte Gesellschaften ergänzend für jeden Beschluss die Angabe der Zahl der Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben wurden (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AktG), den Anteil des durch die gültigen Stimmen vertretenen Grundkapitals (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AktG) sowie die Zahl der für einen Beschluss abgegebenen Stimmen, Gegenstimmen und ggf. Enthaltungen (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AktG). Legt man die aktienrechtliche Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht börsennotierten Gesellschaften auch im Rahmen des Schuldverschreibungsrechts zugrunde, so können diese Anforderungen nicht für alle Arten von Gläubigerversammlungen gelten, sondern setzen ebenfalls die Börsennotierung der Emittentin voraus.184 Diese Auslegung überzeugt jedoch nicht, weil die Börsennotierung der Emittentin für die Rechtsposition der Gläubiger nach dem SchVG ohne Belang ist.185 Begründbar wäre deshalb allenfalls eine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 130 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG auf Fälle, in denen die Schuldverschreibungen an einem organisierten Markt zugelassen sind,186 wenn man nicht die Anforderungen ohne Rücksicht auf den Wortlaut auf sämtliche Gläubigerversammlungen anwenden will.187 Im Ergebnis überzeugt allein die letztgenannte Auslegungsalternative. Für die unterschiedslose Anwendung der Anforderungen aus § 130 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG im Recht der Gläubigerversammlung sprechen methodische ebenso wie systematisch-teleologische Erwägungen. Schon der Wortlaut der in § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG ausgesprochenen Verweisung deutet auf die Rechtsnatur als Rechtsfolgenverweisung hin, für welche die aktienrechtliche Differenzierung bedeutungslos ist. Erst recht spricht dafür, dass dem Schuldverschreibungsrecht die für das moderne Aktienrecht charakteristische Dichotomie zwischen kapitalmarktorientierten und nicht kapitalmarktorientierten Gesellschaften fremd ist; eine derartige Zweiteilung der Anleihegläubiger ist nicht begründbar und wäre mit dem Regelungszweck und der Systematik des SchVG nicht vereinbar. Folgt man dem, erledigt sich zugleich die im Aktienrecht außerhalb des Rechts der börsennotierten Gesellschaften umstrittene Frage, ob auch Enthaltungen in die Niederschrift aufgenommen werden müssen.188 Nach hier vertretener Ansicht189 sind damit 182 Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 22; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 74; ebenso für das Aktienrecht KG v. 26.5.2008 – 23 U 88/07, AG 2009, 118 (119); Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 19a; insoweit übereinstimmend auch Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 57; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 48; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 18. 183 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 75; vgl. für das Aktienrecht Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 22; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 60; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 52; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 21. 184 In diesem Sinne denn auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 6. 185 Insoweit übereinstimmend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 32. 186 So Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 75; Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 27; Otto, DNotZ 2012, 809 (819). 187 So (mit etwas unklarer Begründung) Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 32. 188 Für fakultative, aber im Regelfall sinnvolle Aufnahme ebenso für das Aktienrecht KG v. 26.5.2008 – 23 U 88/07, AG 2009, 118 (119); Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 19a; strenger Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 57; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 48; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 18 (Enthaltungen in jedem Fall anzugeben); grundsätzlich a.A. Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 170 f. 189 Im Ergebnis übereinstimmend Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 32.

Binder 331

§ 16 SchVG Rz. 41 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift die Anforderungen aus § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 130 Abs. 2 Satz 2 AktG so auszulegen, dass in jedem Fall in der Niederschrift festgehalten werden muss, für wie viele Schuldverschreibungen gültige Stimmen abgegeben wurden (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AktG), welchen Anteil die abgegebenen gültigen Stimmen am Gesamtnennbetrag der Schuldverschreibungen ausmachten (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 AktG) und wie viele Ja- und Nein-Stimmen sowie ggf. Enthaltungen insgesamt abgegeben wurden. (§ 130 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AktG). Nach § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. der – wenig glücklichen190 – Regelung des § 130 Abs. 3 Satz 3 AktG kann auf diese detaillierten Angaben verzichtet werden, wenn kein Anleihegläubiger eine umfassende Feststellung verlangt. (2) Formalien 41

Aufzunehmen sind ferner der Ort und der Tag der Versammlung sowie der Name des Notars bzw. (im Ausland) der sonstigen Urkundsperson (§ 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG). Ausreichend ist die Angabe der jeweiligen politischen Gemeinde, üblich und sinnvoll ist die Angabe des Versammlungsorts mit Straße und Hausnummer.191 Angaben zum Beginn und Ende der Versammlung sind ebenfalls sinnvoll, aber nicht zwingend erforderlich.192 cc) Ungeschriebene Pflichtinhalte

42

Zu den ungeschriebenen Pflichtinhalten, die für die Wirksamkeit der protokollierten Beschlüsse erheblich und daher in die Niederschrift zwingend aufzunehmen sind (Rz. 38), gehören hier mangels gesetzlicher Anordnung besonders die Verweigerung von Auskünften und die hierfür angegebenen Gründe sowie Widersprüche von Anleihegläubigern gegen Beschlüsse der Gläubigerversammlung.193 Wie im Aktienrecht194 ist auch die Feststellung der ordnungsgemäßen Einberufung durch den Vorsitzenden zu beurkunden. Des Weiteren aufzunehmen sind wesentliche Ordnungsmaßnahmen, soweit damit in die Rechte von Anleihegläubigern eingegriffen wurde.195

190 Kritisch z.B. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 68; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 30. 191 Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 20; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 73; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 27; für das Aktienrecht Herrler in Grigoleit, § 130 AktG Rz. 30; Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 15; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 93; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 43; strenger (genaue Angaben zwingend) Drinhausen in Hölters, § 130 AktG Rz. 27; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 44; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 10. 192 Gärtner in Veranneman, 1. Aufl., § 16 SchVG Rz. 21; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 73; vgl. auch Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 27; für das Aktienrecht Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 15; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 99; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 10; strenger insoweit Drinhausen in Hölters, § 130 AktG Rz. 27; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 45. 193 Für letzteres ebenso Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 16 SchVG Rz. 6. 194 Vgl. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 71; Noack/Zetzsche in KölnKomm/ AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 256; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 13; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 38. 195 Vgl. für die Rechtslage im Aktienrecht ebenso Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 5; eingehend Noack/ Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 258 ff.; strenger Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 38; zu undifferenziert Wasmann/Steber in Veranneman, § 16 SchVG Rz. 24.

332

Binder

Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift

Rz. 45 § 16 SchVG

dd) Fakultative Angaben Ebenso wie im Aktienrecht ist auch für die Niederschrift zur Gläubigerversammlung die Möglichkeit anzuerkennen, neben den Pflichtinhalten weitere Angaben aufzunehmen, was den Beweiswert der Niederschrift (vgl. § 415 ZPO) erhöht.196 Der Kreis der sinnvollerweise aufzunehmenden Angaben sollte sich insoweit an der – allerdings im Einzelnen umstrittenen – Praxis des Aktienrechts orientieren. Empfehlenswert sind insbesondere Angaben zur Person des Versammlungsleiters, zu Beginn und Ende der Verhandlungen sowie ggf. zu Störungen.197 Ebenfalls in die Niederschrift aufgenommen werden können Belege für die ordnungsgemäße Einberufung (siehe auch Rz. 44).198

43

ee) Anlagen zur Niederschrift Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 130 Abs. 3 AktG sind die Belege über die Einberufung der Versammlung der Niederschrift als Anlage beizufügen, wenn sie nicht unter Angabe ihres Inhalts in der Niederschrift selbst aufgeführt sind. Dabei muss hier – wie auch im Aktienrecht199 – ein Ausdruck aus dem Bundesanzeiger genügen.200 Nicht erforderlich, aber zulässig ist die Beifügung des Teilnehmerverzeichnisses.201

44

b) Verfahren Wie in der Hauptversammlung der AG202 ist nicht gefordert, dass der Notar die Nieder- 45 schrift unmittelbar während der Versammlung abschließt. Er darf die Niederschrift vielmehr auch im Nachgang zu den Verhandlungen auf der Grundlage von Aufzeichnungen fertigstellen.203 Die von § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 130 Abs. 4 AktG geforderte Unterschrift muss eigenhändig sein, dabei soll auch die Amtsbezeichnung des Notars beigefügt werden (§§ 13 Abs. 3 Satz 2, 37 Abs. 3 BeurkG). Die Zulässigkeit von Berichtigungen der Niederschrift ist in Ermangelung spezieller Regelungen nach § 44a Abs. 2 BeurkG zu beurteilen.204 Stets zulässig ist danach die Berichtigung technischer Fehler. Inhaltliche Fehler können gem. § 44a Abs. 2 Satz 3 BeurkG im Wege der ergänzenden Niederschrift berichtigt werden, und zwar nach richtiger Ansicht auch bei nicht offensichtlichen Fehlern.205 Sollten bereits Ab-

196 Im Kern übereinstimmend Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 62 f. 197 Vgl. für das Aktienrecht etwa Drinhausen in Hölters, § 130 AktG Rz. 11; Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 6; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 72; deutlich strenger (zu einem erheblichen Teil urkundsrechtlich zwingende Pflichtinhalte) insoweit Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 38, 41. 198 Strenger im Aktienrecht Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 38 (ungeschriebener obligatorischer Inhalt). 199 Drinhausen in Hölters, § 130 AktG Rz. 37; Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 24; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 73; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 57. 200 Strenger in Anlehnung an die früher h.M. im Aktienrecht Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 76 (Original erforderlich). 201 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 76; vgl. für das Aktienrecht Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 24. 202 Vgl. dazu Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 11; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 19; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 63 f. 203 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 17; Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 69. 204 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 71; für das Aktienrecht (dort str.) ebenso Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 71. 205 A.A. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 71; wie hier für die aktienrechtliche Parallelvorschrift Herrler in Grigoleit, § 130 AktG Rz. 23; Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 322; Wicke in Spindler/Stilz, § 130 AktG Rz. 26; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 130 AktG Rz. 71; a.A. (ergänzende Niederschrift nur bei offensichtlicher Unrichtigkeit zulässig) Hüffer/

Binder 333

§ 16 SchVG Rz. 46 Auskunftspflicht, Abstimmung, Niederschrift schriften überlassen worden sein, sind dann den namentlich bekannten Empfängern berichtigte Ausfertigungen zur Verfügung zu stellen.206 5. Anspruch auf Überlassung einer Abschrift 46

Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 4 SchVG hat jeder in der Gläubigerversammlung erschienene oder ordnungsgemäß vertretene Gläubiger einen Anspruch auf Überlassung einer Abschrift der Niederschrift und der Anlagen. Der Anspruch richtet sich gegen die Emittentin und tritt an die Stelle der im Aktienrecht vorgeschriebenen Registerpublizität der Niederschrift der Hauptversammlung der AG (vgl. § 130 Abs. 5 AktG), die im Schuldverschreibungsrecht nicht vorgesehenen ist (beachte aber § 17 SchVG zur Bekanntmachungspflicht hinsichtlich der in der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse).207 Ein Anspruch auf eine Ausfertigung der Niederschrift gegen den Notar besteht nicht (vgl. §§ 47 ff. BeurkG);208 ebenso besteht keine Pflicht zur Veröffentlichung.209 Die Transparenz der Niederschrift ist damit beschränkt; nicht erschienene bzw. nicht ordnungsgemäß vertretene Gläubiger haben keinen Anspruch auf Überlassung der Niederschrift und sind damit allein auf die Bekanntmachung der Beschlüsse nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 SchVG verwiesen (vgl. § 17 SchVG Rz. 1).210 6. Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern

47

Wird gegen die Anforderungen aus § 16 Abs. 3 SchVG verstoßen, kommt eine Anfechtung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 SchVG in Betracht. Auch wenn das SchVG keine ausdrücklichen Regelungen zur Nichtigkeit von Gläubigerbeschlüssen kennt, ist jedoch anerkannt, dass das völlige Fehlen der vorgeschriebenen Beurkundung – wie im Aktienrecht (vgl. § 241 Nr. 2 AktG) – nicht lediglich Anfechtbarkeit, sondern Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse zur Folge hat (vgl. § 20 SchVG Rz. 34).

§ 17 Bekanntmachung von Beschlüssen (1) 1Der Schuldner hat die Beschlüsse der Gläubiger auf seine Kosten in geeigneter Form öffentlich bekannt zu machen. 2Hat der Schuldner seinen Sitz im Inland, so sind die Beschlüsse unverzüglich im Bundesanzeiger zu veröffentlichen; die nach § 30e Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes vorgeschriebene Veröffentlichung ist jedoch ausreichend. 3Die Anleihebedingungen können zusätzliche Formen der öffentlichen Bekanntmachung vorsehen. (2) Außerdem hat der Schuldner die Beschlüsse der Gläubiger sowie, wenn ein Gläubigerbeschluss die Anleihebedingungen ändert, den Wortlaut der ursprünglichen Anleihebedingungen vom Tag nach der Gläubigerversammlung an für die Dauer von mindestens einem Monat im Internet unter seiner Adresse oder, wenn eine solche nicht vorhanden ist,

206 207 208 209 210

334

Koch, § 130 AktG Rz. 11a; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 24; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 130 AktG Rz. 56. Noack/Zetzsche in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2010, § 130 AktG Rz. 323. Vgl. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 82. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 80. Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 82. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 16 SchVG Rz. 6.

Binder

Bekanntmachung von Beschlüssen

Rz. 2 § 17 SchVG

unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang . . II. Öffentliche Bekanntmachung (§ 17 Abs. 1 SchVG) 1. Gegenstand, Zeitpunkt und Adressat der Bekanntmachungspflicht . . . . . . . . . 2. Schuldner mit Sitz im Inland a) Gesetzliche Publizitätspflichten. . . . .

1

3 4

b) Gewillkürte Publizität . . . . . . . . . . . . 3. Schuldner mit Sitz im Ausland . . . . . . . III. Ergänzende Veröffentlichung im Internet (§ 17 Abs. 2 SchVG) 1. Gegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art und Weise der Veröffentlichung. . . . IV. Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5 6

7 8 9

Schrifttum: Baums, Weitere Reform des Schuldverschreibungsrechts!, ZHR 177 (2013), 807; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Hutter/Kaulamo, Das TransparenzrichtlinieUmsetzungsgesetz: Änderungen der anlassabhängigen Publizität, NJW 2007, 471; Pirner/Lebherz, Wie nach dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz publiziert werden muss, AG 2007, 19; Wasmann/Steber, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 2005.

I. Regelungszweck, Regelungsstruktur und systematischer Zusammenhang Die Vorschrift schließt das Recht der Gläubigerversammlung ab und komplettiert die §§ 9 ff. SchVG mit Anforderungen an die Beschlusstransparenz. Sie trägt dem Informationsbedürfnis besonders der nicht in der Gläubigerversammlung erschienenen bzw. dort nicht ordnungsgemäß vertretenen Gläubiger Rechnung, die nach § 16 Abs. 3 SchVG keinen Anspruch auf Überlassung einer Abschrift der Niederschrift haben (vgl. § 16 SchVG Rz. 46). Zwar müssen Mehrheitsbeschlüsse, welche die Anleihebedingungen ändern, nach Maßgabe des § 21 SchVG durch Änderungen bzw. Ergänzungen der Sammelurkunde vollzogen werden (§ 21 SchVG Rz. 5 ff.), doch ergibt sich allein daraus gerade keine Transparenzwirkung. Auch vor diesem Hintergrund schließt § 17 SchVG eine wichtige Informationslücke zugunsten des zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung aktuellen Gläubigerkreises sowie im Interesse der künftigen Erwerber der Schuldverschreibungen.1

1

§ 17 Abs. 1 SchVG verpflichtet vor diesem Hintergrund zur öffentlichen Bekanntmachung 2 von Beschlüssen der Gläubiger (Rz. 3 ff.). Hieran knüpft nach § 20 Abs. 3 SchVG auch die einmonatige Anfechtungsfrist an (§ 20 SchVG Rz. 127). Im Unterschied zur Vorgängerregelung in § 12 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 1 SchVG 1899, die lediglich die Bekanntmachung von Eingriffen in Gläubigerrechte vorschrieb, gilt die Regelung für sämtliche Beschlüsse der Gläubigerversammlung. Für Emittenten mit Inlandssitz schreibt die Regelung einen Mindeststandard vor, der in den Anleihebedingungen um weitere Bekanntmachungsmodalitäten ergänzt werden kann (Rz. 4 ff.). Für ausländische Emittenten finden sich dagegen keine weiteren Konkretisierungen (Rz. 6). § 17 Abs. 2 SchVG regelt sodann ergänzende Informationspflichten im Internet (Rz. 7 f.). Die Vorschrift setzt damit das bereits in § 12 Abs. 2 und 3 SchVG und § 13 Abs. 2 Satz 2 SchVG vorgesehene Konzept einer doppelten Publizität der Gläubigerversanmlung im elektronischen Bundesanzeiger und im Internet fort, mit dem die Internetpräsenz in Anlehnung an das Aktienrecht als wesentlicher Informationsträger für investorenrelevante Informationen ausgebaut wird (vgl. § 12 SchVG Rz. 13). Die Vor1 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 1; Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 2.

Binder 335

§ 17 SchVG Rz. 3 Bekanntmachung von Beschlüssen schrift ist auf Fälle der Abstimmung ohne Versammlung entsprechend anwendbar (§ 18 SchVG Rz. 213). Im Recht der Hauptversammlung der AG findet sich keine vollständig entsprechende Regelung. Dort unterliegen nicht lediglich die Beschlüsse, sondern die Niederschrift insgesamt der Pflicht zur Veröffentlichung im Handelsregister (§ 130 Abs. 5 AktG); vergleichbar ist jedoch die zusätzliche Verpflichtung für börsennotierte Gesellschaften zur Veröffentlichung der Abstimmungsergebnisse im Internet (§ 130 Abs. 6 AktG).

II. Öffentliche Bekanntmachung (§ 17 Abs. 1 SchVG) 1. Gegenstand, Zeitpunkt und Adressat der Bekanntmachungspflicht 3

Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 SchVG sind alle Beschlüsse einer Gläubigerversammlung – unabhängig von ihrem Inhalt – mindestens einmal in „geeigneter Form“ öffentlich bekannt zu machen; § 17 Abs. 1 Satz 2 SchVG konkretisiert diese Pflicht hinsichtlich des Bekanntmachungsmodus für Inlandsschuldner (Rz. 4). Veröffentlichungspflichtig ist der Wortlaut der Beschlüsse. Weitere Angaben und ein Abdruck der geänderten Anleihebedingungen (soweit nicht – wie regelmäßig – aus dem Wortlaut der Beschlüsse ersichtlich) insgesamt sind nicht erforderlich. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 17 Abs. 2 SchVG, der weitergehend ausdrücklich auch die Information über den ursprünglichen Wortlaut der Anleihebedingungen erfordert.2 Auf die nach früherem Recht vorgesehene Pflicht zur mindestens zweimaligen Bekanntmachung ist aus Vereinfachungsgründen verzichtet worden.3 Adressat der Pflicht ist jeweils die Emittentin; dies gilt unabhängig davon, wer die Versammlung einberufen hat (vgl. zur Einberufungszuständigkeit § 9 SchVG Rz. 17 ff.). Ihr ist ausdrücklich auch die Verpflichtung zur Tragung der Kosten der Bekanntmachung zugewiesen. Die Bekanntmachung hat nach richtiger Ansicht sowohl bei im Inland als auch bei im Ausland ansässigen Schuldnern jeweils unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB), nach Abschluss der Gläubigerversammlung zu erfolgen. Dies ist zwar nur für Inlandsschuldner ausdrücklich vorgeschrieben, ergibt sich aber auch bei im Ausland ansässigen Schuldnern aus dem Regelungszweck.4 Ohnehin ist die möglichst umgehende Bekanntmachung schon deshalb im Interesse der Emittentin, weil ein Vollzug der Beschlüsse und damit die Änderung bzw. Ergänzung der Sammelurkunde erst nach Ablauf der an die Bekanntmachung anknüpfenden Anfechtungsfrist (§ 20 Abs. 3 SchVG) bzw. nach Abweisung fristgerecht eingelegter Klagen möglich sind (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG).5 Sind die in der Versammlung gefassten Beschlüsse nachträglich im Rahmen einer gerichtlichen Beschlusskontrolle korrigiert worden, bedarf es einer neuen Bekanntmachung analog § 17 Abs. 1 Satz 2 SchVG, damit der Informationszweck erfüllt werden kann.6 2. Schuldner mit Sitz im Inland a) Gesetzliche Publizitätspflichten

4

Hat die Emittentin ihren Sitz im Inland, ist nach § 17 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 SchVG grundsätzlich eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger vorgeschrieben, die nach dem ausdrück2 Wie hier Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 2; Wasmann/Steber, ZIP 2014, 2005 (2012); abw. insoweit (für weiter gehende Veröffentlichungspflicht) Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 4. 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. 4 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 2; ähnlich Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 5. 5 Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 5. 6 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob § 17 SchVG Rz. 4.

336

Binder

Bekanntmachung von Beschlüssen

Rz. 4 § 17 SchVG

lichen Wortlaut unverzüglich veranlasst werden muss (siehe auch Rz. 3). Die nach § 30e Abs. 1 WpHG vorgeschriebene Veröffentlichung ist nach dem Halbs. 2 der Bestimmung jedoch ausreichend und kann mithin die Veröffentlichung im Bundesanzeiger ersetzen. Es handelt sich um eine Rechtsgrundverweisung,7 die vermeiden soll, dass die Emittentin doppelten Publizitätspflichten ausgesetzt wird.8 Die Verpflichtung nach § 30e Abs. 1 WpHG (i.V.m. §§ 1, 26, 3a-3c WpAIV, siehe dazu und zum Folgenden auch Kap. 6 Rz. 6.107 ff.) geht auf die Erweiterung anlassabhängiger Publizitätspflichten zur Verbesserung der Wahrnehmung von Rechten durch Wertpapierinhaber mit dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz von 20079 zurück und gilt für Inlandsemittenten i.S.d. § 2 Abs. 7 WpHG. Sie betrifft in persönlicher Hinsicht also solche Emittenten, für welche die Bundesrepublik der Herkunftsmitgliedstaat ist (mit Ausnahme von Emittenten, deren Wertpapiere ausschließlich in einem anderen EU/EWR-Staat zugelassen und die dort publizitätspflichtig sind, vgl. § 2 Abs. 7 Nr. 1 WpHG) oder EU/EWR-ausländische Emittenten, deren Wertpapiere nur im Inhland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind (§ 2 Abs. 7 Nr. 2 WpHG). In sachlicher Hinsicht bezieht sich die Publizitätspflicht des § 30e Abs. 1 WpHG allgemein auf jede Änderung der mit den zugelassenen Wertpapieren verbundenen Rechte (§ 30e Abs. 1 Nr. 1 WpHG) sowie bei anderen Wertpapieren als Aktien auf „Änderungen der Ausstattung dieser Wertpapiere, insbesondere von Zinssätzen, oder der damit verbundenen Bedingungen, soweit die mit den Wertpapieren verbundenen Rechte hiervon indirekt betroffen sind“ (§ 30e Abs. 1 Nr. 1 WpHG). Der sachliche Anwendungsbereich ist damit für die erfassten Papiere insoweit deckungsgleich mit der Bekanntmachungspflicht des § 17 Abs. 1 SchVG. Die damit eingreifende kapitalmarktrechtliche Publizitätspflicht ist gem. § 30e Abs. 1 Satz 1 WpHG i.V.m. §§ 1, 26, 3a-3c WpAIV durch Veröffentlichung in Medien zu erfüllen, die eine Verbreitung in der gesamten EU und den EWR-Vertragsstaaten ermöglichen (sog. Medienbündel).10 Die jeweils einzuhaltenden Anforderungen an die Sprache der Veröffentlichung ergeben sich aus § 3b WpAIV. Ebenfalls in § 30e Abs. 1 Satz 1 WpHG vorgeschrieben ist die gleichzeitige Mitteilung der Veröffentlichung gegenüber der BaFin. Nach der Veröffentlichung sind die Informationen zudem unverzüglich dem Unternehmensregister (§ 8 HGB) zur Speicherung zu übermitteln (§ 30e Abs. 1 Satz 2 WpHG). Für die Durchführung kann auf professionelle Dienstleister zurückgegriffen werden.11 Für im Inland ansässige Emittenten, die (ausnahmsweise12) nicht als Inlandsemittentin i.S.d. § 2 Abs. 7 WpHG zu qualifizieren sind, bleibt es bei der Bekanntmachungspflicht aus § 17 Abs. 1 Satz 2, Halbs. 1 SchVG. Hier reicht eine freiwillige Veröffentlichung in der von § 30e Abs. 1 WpHG vorgeschriebenen Art und Weise nicht aus.13

7 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 3, Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 6; Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 6. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 15. 9 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 5.1.2007, BGBl. I 2007, 10. 10 Siehe näher z.B. Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 30e WpHG Rz. 28 ff.; Kiem in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 12 Rz. 32 ff.; Mülbert in Assmann/Uwe H. Schneider, Vor § 30a WpHG Rz. 10 sowie § 30e WpHG Rz. 19 f.; Hutter/Kaulamo, NJW 2007, 471 (477); Pirner/Lebherz, AG 2007, 19 (21 ff.). 11 Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 6. 12 Vgl. auch Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 6. 13 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 3; Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 6; Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 6; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 5.

Binder 337

§ 17 SchVG Rz. 5 Bekanntmachung von Beschlüssen b) Gewillkürte Publizität 5

Weitere Veröffentlichungsformen, die über § 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 SchVG bzw. über die Pflichten aus § 30e WpHG hinausgehen, können gem. § 17 Abs. 1 Satz 3 in den Anleihebedingungen vorgesehen werden. Deren Einhaltung ersetzt die Einhaltung der gesetzlichen Publizitätspflichten nicht, wie sich schon aus dem Wortlaut („zusätzliche“ Publizitätsformen) eindeutig ergibt.14 Eine derartige Erweiterung der Publizitätsformen ist weder mit Blick auf die damit verbundenen Kosten noch angesichts des Risikos von Bekanntmachungsfehlern zu empfehlen15 und dürfte in der Praxis kaum vorkommen.16 Typischerweise enthalten die Anleihebedingungen lediglich Bekanntmachungsmodalitäten für Anlegerinformationen im Zusammenhang mit der Ausübung von Kündigungsrechten oder periodisch festzustellenden Zinssätzen.17 3. Schuldner mit Sitz im Ausland

6

Für Schuldner mit Sitz im Ausland bleibt es bei der Regelung nach § 17 Abs. 1 SchVG, wonach die Veröffentlichung in „geeigneter Form“ erfolgen muss. Als Maßstab zur Bestimmung der Eignung wird man auf den Regelungszweck (Rz. 1) und damit auf das Informationsbedürfnis der Anleihegläubiger abstellen müssen. Erforderlich ist damit eine Bekanntmachung, die allen gegenwärtigen und künftigen Anleihegläubigern einen verlässlichen Zugriff auf die Informationen sichert. Vielfach wird die Einhaltung der im jeweiligen Herkunftsland geltenden gesetzlichen Anforderungen an die Bekanntmachung von Anlegerinformationen dem Geeignetheitskriterium genügen, wenn sichergestellt ist, dass damit die Anlegergesamtheit erreicht werden kann.18 Nicht ausreichend ist eine bloße Veröffentlichung im Internet; dies ergibt sich auch bereits aus der im Gesetz angelegten Trennung zwischen öffentlicher Bekanntmachung (§ 17 Abs. 1 SchVG) und ergänzender Veröffentlichung im Internet (§ 17 Abs. 2 SchVG).19 Sinnvoll, im Hinblick auf das Geeignetheitskriterium jedenfalls ausreichend und empfehlenswert erscheint eine freiwillige Veröffentlichung in dem von § 30e Abs. 1 Satz 1 WpHG i.V.m. § 3a Abs. 1 WpAIV geforderten „Medienbündel“ (dazu Rz. 4).20 Auch hier können die Anleihebedingungen konkrete Festlegungen treffen. Gem. § 17 Abs. 1 Satz 3 SchVG bezieht sich dies zwar auch insoweit dem Wortlaut nach lediglich auf „zusätzliche“, also neben den gesetzlich geforderten Publizitätswegen eröffnete Bekanntmachungsformen.21 Angesichts des nur vage umschriebenen gesetzlichen Standards kommt hier der Festlegung in den Anleihebedingungen jedoch eine größere Bedeutung zu als bei Inlandsschuldnern. Anders als bei diesen (Rz. 5) sind daher Festlegungen auf einen angemessenen Standard in den Anleihebedingungen sinnvoll; empfehlenswert dürfte die freiwillige Verpflichtung zur Veröffentlichung über das von § 30e WpHG i.V.m. § 3a Abs. 1

14 Zutr. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 5; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 6. 15 Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 6; vgl. auch Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 4. 16 So jetzt auch Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 4. 17 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 5. 18 In diese Richtung, aber ohne Differenzierungen auch Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 7; krit. dagegen Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 6. 19 Richtig Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 7. 20 Ebenso Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 7; Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 7; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 8 f.; wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 4. 21 Ungenau insoweit Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 8 f.; zutr. demgegenüber Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 7.

338

Binder

Bekanntmachung von Beschlüssen

Rz. 8 § 17 SchVG

WpAIV geforderte „Medienbündel“ sein.22 Für den persönlichen Anwendungsbereich kommt es auf den Rechtsträger an, der die Schuldverschreibungen emittiert hat. Die vereinzelt befürwortete analoge Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 SchVG auf ausländische Finanzierungstöchter in Deutschland ansässiger Unternehmen23 ist abzulehnen.24 Schon das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ist zu verneinen, nachdem das Gleichwertigkeitskriterium eine angemessene Informationsversorgung der Gläubiger ohne weiteres sicherstellt.

III. Ergänzende Veröffentlichung im Internet (§ 17 Abs. 2 SchVG) 1. Gegenstand Ergänzend zur öffentlichen Bekanntmachung nach § 17 Abs. 1 SchVG muss die Emittentin 7 gem. § 17 Abs. 2 SchVG die Beschlüsse der Gläubigerversammlung sowie – im Falle von Änderungen der Anleihebedingungen – auch den Wortlaut der ursprünglichen Anleihebedingungen im Internet zugänglich machen. Die Vorschrift soll die Information der Öffentlichkeit über die Auswirkungen der gefassten Beschlüsse in einer Weise sicherstellen, die es erlaubt, „ohne großen Aufwand die Änderungen im Textzusammenhang“ nachzuvollziehen.25 Vor diesem Hintergrund ist auf den Wortlaut unmittelbar vor der Änderung abzustellen, der nicht zwingend mit dem Wortlaut bei Emission der Papiere übereinstimmen muss.26 Der Abdruck des geänderten Wortlauts der Anleihebedingungen ist zu fordern, sofern dieser sich nicht ohnehin – wie regelmäßig – bereits aus dem Wortlaut der Beschlüsse ergibt.27 2. Art und Weise der Veröffentlichung Informationen müssen auf der Internetpräsenz der Emittentin oder, wenn eine solche – 8 z.B. bei der Emission über Finanzierungs- bzw. Zweckgesellschaften28 – nicht vorhanden ist, unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite öffentlich zugänglich sein. § 17 Abs. 2 SchVG schreibt damit dasselbe Medium vor, das auch für die Bekanntmachung der Einberufung zur Gläubigerversammlung gem. § 12 Abs. 3 SchVG zu nutzen ist. Mit Blick auf den anderen Regelungszweck ergeben sich allerdings bedeutende Unterschiede im Detail. § 12 Abs. 3 SchVG soll den vorhandenen Anleihegläubigern einen erleichterten Zugang zur Einberufung und den Teilnahmebedingungen eröffnen, damit diese ihre Rechte in der Versammlung ausüben können; deshalb können die Informationen auch verschlüsselt vorgehalten werden (vgl. § 12 SchVG Rz. 13). Demgegenüber bezieht sich § 17 Abs. 2 SchVG ausdrücklich auf die Information „der Öffentlichkeit“, also nicht nur der zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung vorhandenen, sondern auch der künftigen Gläubiger.29 Damit wäre eine Verschlüsselung der Informationen nicht vereinbar; diese sind vielmehr frei zugänglich zu halten.30 Die Veröffentlichung muss vom Tag nach der Gläubigerversammlung an für die 22 Im Ergebnis ähnlich Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 8 f. 23 Dafür Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 10. 24 Im Ergebnis wie hier Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 4. 25 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23 f. 26 Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 8. 27 Vgl. Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 11. 28 Vgl. den Bericht des Rechtsausschusses zu § 12 Abs. 3, § 13 Abs. 4 und § 17 Abs. 2 SchVG-E, BTDrucks. 16/13672, 21. 29 Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 10; vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 23. 30 Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 10.

Binder 339

§ 17 SchVG Rz. 9 Bekanntmachung von Beschlüssen Dauer eines Monats im Internet verfügbar gehalten werden. Diese zeitliche Beschränkung fällt mit dem Ablauf der Anfechtungsfrist nach § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG zusammen,31 ist aber rechtspolitisch mit Blick auf den Regelungszweck der Information auch künftiger Gläubiger mehr als zweifelhaft.32 Im Interesse der Anlegerinformation sinnvoll und wünschenswert ist die freiwillige Bereithaltung der Informationen über die gesamte Laufzeit der Schuldverschreibungen hinweg.33 Entsprechendes gilt für die Information, dass die beschlossenen Änderungen vollzogen (vgl. § 21 SchVG) und damit wirksam geworden sind.34 Für die Kosten der Veröffentlichung im Internet sieht die Vorschrift – anders als für die Bekanntmachung nach § 17 Abs. 1 SchVG – keine ausdrückliche Regelung vor. Interessengerecht ist auch hier jedoch allein die Zuweisung der Kostenlast an die Emittentin.35

IV. Verfahrensfehler 9

§ 17 SchVG ist nach richtiger Ansicht eine bloße Ordnungsvorschrift. Deren Verletzung stellt zwar einen Gesetzesverstoß dar, begründet aber keine Anfechtbarkeit der in der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse, weil die Beschlüsse selbst rechtsfehlerfrei zustande gekommen sind.36 § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG, der die Anfechtungsbefugnis auch der nicht in der Gläubigerversammlung erschienenen Gläubiger regelt, betrifft nicht die Bekanntmachung von Beschlüssen, sondern die Information über die Beschlussgegenstände im Rahmen der Bekanntmachung nach § 13 Abs. 2 SchVG und ist damit nicht einschlägig.37

§ 18 Abstimmung ohne Versammlung (1) Auf die Abstimmung ohne Versammlung sind die Vorschriften über die Einberufung und Durchführung der Gläubigerversammlung entsprechend anzuwenden, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. (2) 1Die Abstimmung wird vom Abstimmungsleiter geleitet. 2Abstimmungsleiter ist ein vom Schuldner beauftragter Notar oder der gemeinsame Vertreter der Gläubiger, wenn er zu der Abstimmung aufgefordert hat, oder eine vom Gericht bestimmte Person. 3§ 9 Absatz 2 Satz 2 ist entsprechend anwendbar. (3) 1In der Aufforderung zur Stimmabgabe ist der Zeitraum anzugeben, innerhalb dessen die Stimmen abgegeben werden können. 2Er beträgt mindestens 72 Stunden. 3Während des Abstimmungszeitraums können die Gläubiger ihre Stimme gegenüber dem Ab31 Vgl. Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 10; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 11. 32 Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 10; Horn, ZHR 173 (2009), 1 (27). 33 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 10; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 17 SchVG Rz. 3. 34 Baums, ZHR 177 (2013), 807 (814). 35 Ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 7; Hofmeister in Veranneman, § 17 SchVG Rz. 2; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 17 SchVG Rz. 12. 36 Ebenso Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 11; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 17 SchVG Rz. 4. 37 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 17 SchVG Rz. 11; a.A. wohl Kirchner in Preuße, § 17 SchVG Rz. 5.

340

Binder

Abstimmung ohne Versammlung

§ 18 SchVG

stimmungsleiter in Textform abgeben. 4In den Anleihebedingungen können auch andere Formen der Stimmabgabe vorgesehen werden. 5In der Aufforderung muss im Einzelnen angegeben werden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Stimmen gezählt werden. (4) 1Der Abstimmungsleiter stellt die Berechtigung zur Stimmabgabe anhand der eingereichten Nachweise fest und erstellt ein Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger. 2Wird die Beschlussfähigkeit nicht festgestellt, kann der Abstimmungsleiter eine Gläubigerversammlung einberufen; die Versammlung gilt als zweite Versammlung im Sinne des § 15 Absatz 3 Satz 3. 3Über jeden in der Abstimmung gefassten Beschluss ist eine Niederschrift aufzunehmen; § 16 Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. 4Jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, kann binnen eines Jahres nach Ablauf des Abstimmungszeitraums von dem Schuldner eine Abschrift der Niederschrift nebst Anlagen verlangen. (5) 1Jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, kann gegen das Ergebnis schriftlich Widerspruch erheben binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung der Beschlüsse. 2Über den Widerspruch entscheidet der Abstimmungsleiter. 3Hilft er dem Widerspruch ab, hat er das Ergebnis unverzüglich bekannt zu machen; § 17 gilt entsprechend. 4Hilft der Abstimmungsleiter dem Widerspruch nicht ab, hat er dies dem widersprechenden Gläubiger unverzüglich schriftlich mitzuteilen. (6) Der Schuldner hat die Kosten einer Abstimmung ohne Versammlung zu tragen und, wenn das Gericht einem Antrag nach § 9 Absatz 2 stattgegeben hat, auch die Kosten des Verfahrens. I. Gesetzessystematik 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzliche Beschlusskompetenz oder Ermächtigung für Anleihegläubiger (§§ 4 und 5 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschlusstatbestand der Anleihegläubiger (§ 5 SchVG) 1. Allgemeiner Regelungsinhalt des § 5 SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermächtigung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) a) Ausdrückliche Regelung. . . . . . . . . . b) Grenzen der Ermächtigung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 1 Sätze 2, 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ermächtigung zu Mehrheitsbeschlüssen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 SchVG) 4. Berechtigte Abstimmungsteilnehmer (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) a) Teilnahmeberechtigung aller Gläubiger derselben Anleihe . . . . . . . . . . . . b) Teilnahmeberechtigung Dritter gemäß § 5 Abs. 1 iVm. § 22 SchVG. . . 5. Zustimmungserfordernis des Emittenten zu Gläubigerbeschlüssen . . . . . . . . . 6. Gesetzlich zugelassene Beschlussgegenstände (§ 5 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 3 SchVG)

1 2

7

9

10

7.

11

III.

15

1.

16 17 18

2. 3. IV. 1. 2.

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussgegenstand „Änderung der Anleihebedingungen“ (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchVG) . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussgegenstand „Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger“ (§§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG) . . . . . . d) Weitere Beschlussfassung nach § 5 Abs. 5 Satz 3 und § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Keine Einschränkung der Beschlussgegenstände des § 5 Abs. 1, 3 SchVG Beschlussmehrheiten für Entscheidungen der Anleihegläubiger (§ 5 Abs. 4 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Beschlussverfahrens (§ 5 Abs. 6 SchVG) Wahlmöglichkeit zwischen zwei Alternativen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beschlussfassung in einer Gläubigerversammlung. . . . . . . . . . . . . . . . b) Abstimmung ohne Versammlung . . Wahlfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahlberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungsinhalt des § 18 SchVG Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verweis auf Vorschriften der „Einberufung“ und „Durchführung“ (§ 18 Abs. 1 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . .

20 21

23 24 25

26

29 30 31 34 36 39

41

v. Wissel/Diehn 341

§ 18 SchVG Abstimmung ohne Versammlung 3. Abstimmungsleiter (§ 18 Abs. 1 SchVG) a) Person des Abstimmungsleiters . . . . b) Persönliche Anforderungen an den Abstimmungsleiter . . . . . . . . . . . . . . c) Aufgaben und Rechte des Abstimmungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abberufung des Versammlungsleiters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Aufforderung zur Stimmabgabe (§ 18 Abs. 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abstimmungsleitung und Aufnahme einer Niederschrift (§ 18 Abs. 4 SchVG) . 6. Widerspruchsverfahren (§ 18 Abs. 5 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Kosten (§ 18 Abs. 6 SchVG) . . . . . . . . . V. Aufforderung zur Stimmabgabe 1. Aufgaben des Auffordernden . . . . . . . . 2. Aufforderungsrecht und -pflicht. . . . . . 3. Adressat der Aufforderung/Teilnahmerecht aller Gläubiger einer Anleihe . . . . 4. Fristen der Aufforderung zur Abstimmung ohne Versammlung (§ 10 Abs. 1 und 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Inhaltliche Anforderungen an die Aufforderung zur Stimmabgabe 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offenlegung des Auffordernden . . . . . . 3. Offenlegung einer etwaigen Ermächtigung zur Aufforderung zur Stimmabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bezeichnung der Anleihe (ISIN – WKN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Adressat der Aufforderung . . . . . . . . . . 6. Benennung des Abstimmungsleiters. . . 7. Benennung der Beschlussgegenstände und -vorschläge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Mitteilung über Zustimmung des Schuldners/Emittenten . . . . . . . . . . . . . 9. Rechtsgrundlage für Beschlussgegenstände, Quorum und Mehrheitserfordernisse (§§ 15 Abs. 3 Satz 1, 5 Abs. 4 SchVG) a) Rechtsgrundlage für die einzelnen Beschlussvorlagen. . . . . . . . . . . . . . . b) Quorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussmehrheiten . . . . . . . . . . . . 10. Rechtsfolgen von Gläubigerbeschlüssen a) Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger . . . . . . . . . . . . b) Änderung der Anleihebedingungen 11. Anforderungen an die Aufforderung zur Abstimmung (§ 12 Abs. 1 SchVG) a) Angaben zum Schuldner, zu Firma und Sitz des Schuldners . . . . . . . . . . b) Angaben zum Ort. . . . . . . . . . . . . . .

342

v. Wissel/Diehn

44 48 50 53 54 55 56 57

12.

58 59 64

13.

66 14. 69 71

73 74 75 77

15. 16. VII.

1.

78 79

80 82 85 87 88 91

2.

3.

4.

93 94 95

5.

c) Auszählung der Stimmen . . . . . . . . . aa) Anmeldeobliegenheit (§ 10 Abs. 2 SchVG) . . . . . . . . . bb) Legitimationsanforderungen (§ 10 Abs. 2 SchVG) . . . . . . . . . cc) Angaben zum Abstimmungsverfahren (§ 18 Abs. 3 SchVG) . (1) Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stimmabgabe . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zeitraum der Abstimmung (§ 18 Abs. 3 Satz 1 und 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Form der Abstimmung (§ 18 Abs. 3 Sätze 3 und 4 SchVG) . . . Vertretungsmöglichkeit der Gläubiger (§ 14 SchVG) a) Vertretung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzung einer wirksamen Vertretung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zu Ergänzungsverlangen und Gegenanträgen i.S.d. § 13 Abs. 3 und 4 SchVG a) Ergänzungsverlangen . . . . . . . . . . . . b) Gegenanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . Benennung der Internetseite des Emittenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Englische Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 1 und 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntmachung und Publikation der Aufforderung zur Stimmenabgabe und Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2, 3 SchVG) Bekanntmachung der Aufforderung a) Öffentliche Bekanntmachung (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG) . . . . b) Zusätzliche Bekanntmachungsformen in den Anleihebedingungen (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt der Bekanntmachung (§ 12 Abs. 1 SchVG) . . . . . . . . . . . . . d) Publikationspflicht im Internet (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 3 SchVG) . . . e) Verstoßfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntmachung der Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 2 Satz 1 und 2, 13 Abs. 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bekanntmachung eines Ergänzungsverlangens zur Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG) . . . . . . Veröffentlichung der Gegenanträge zu Beschlussvorschlägen der Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 4 SchVG) Bekanntmachungskosten (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . . . .

96 97 98 100 101 103 105 107

111 116

117 125 132 135 136

140

143 144 146 147

148

151

154 155

Abstimmung ohne Versammlung VIII. Durchführung des Verfahrens vor Abstimmung 1. Verfahrensleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitbestimmungsrecht des Schuldners im Verfahren/Mitwirkungspflicht . . . . . 3. Hilfestellung des Abstimmungsleiters bei etwaigen Formfehlern, fehlenden Unterlagen und Unstimmigkeiten . . . . 4. Behandlung von Ergänzungsverlangen der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Behandlung von Gegenanträgen der Gläubiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Behandlung von Auskunftsverlangen und Fragen der Gläubiger während des Verfahrens bis zum Beginn des Abstimmungszeitraums a) Auskunftsverlangen und Informationsrechte – Umfang und Zeitpunkt b) Auskunftsverpflichteter . . . . . . . . . . c) Veröffentlichungspflicht von erteilten Informationen, Fragen und Antworten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Durchführung des Verfahrens während des Abstimmungszeitraums 1. Abgabe der Stimmen und Feststellung der Berechtigung zur Stimmabgabe (§ 18 Abs. 4 Satz 1 iVm. §§ 10 Abs. 3, 14 Abs. 2 SchVG) a) Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Berechtigungsnachweise zur Teilnahme und Auszählung der Stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger (§ 18 Abs. 4 Satz 1 SchVG) a) Inhalt des Gläubigerverzeichnisses (§§ 18 Abs. 1, 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterzeichnung des Verzeichnisses und Zugänglichmachung . . . . . . . . . 3. Auszählung der Stimmen (unvollständige, widersprüchliche Stimmabgabe/ Mehrfachzählung). . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Feststellung der Beschlussfähigkeit (Quorum, §§ 18 Abs. 1, 15 Abs. 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Feststellung der Abstimmung/Ergebnisfeststellung/Verkündung (§§ 18 Abs. 4 Satz 3, 16 Abs. 3 Satz 2 SchVG, § 130 Abs. 2 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

156 158

159 162 164

170 178 179

180 182

184 185

186

189

§ 18 SchVG

X. Niederschrift (§§ 18 Abs. 4 Satz 1 und 3, 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG) 1. Aufnahme einer Niederschrift. . . . . . . . 2. Aufnahme durch den Abstimmungsleiter/Hinzuziehung eines zweiten Notars 3. Inhalt der Niederschrift (§§ 18 Abs. 1, 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG, 130 Abs. 2 Satz 1 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verlangen einer Abschrift der Niederschrift nach § 18 Abs. 4 Satz 4 SchVG. . XI. Öffentliche Bekanntmachung gemäß § 17 SchVG 1. Bekanntmachung und Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit für die Bekanntmachung und Veröffentlichung . . . . . . . . . 3. Inhalt der Veröffentlichung. . . . . . . . . . XII. Beschlusskontrolle: Widerspruchsrecht und Abhilfe des Widerspruchs 1. Widerspruch nach § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG a) Widerspruchsrecht . . . . . . . . . . . . . . b) Widerspruchsgegenstand und -gründe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerspruchsbefugnis . . . . . . . . . . . d) Form des Widerspruchs . . . . . . . . . . e) Frist für einen Widerspruch . . . . . . . f) Widerspruchsempfänger . . . . . . . . . 2. Abhilfe a) Zuständig für eine Abhilfeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Frist einer Abhilfeentscheidung . . . . c) Rechtsfolge der Abhilfeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bekanntmachung der Abhilfeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Widerspruch gegen die Abhilfeentscheidung und Rechtsfolge . . . . . XIII. Kosten des Verfahrens (§ 18 Abs. 6 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Fortsetzung einer Abstimmung ohne Versammlung im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . Anhang: Protokollentwurf

194 196

205 212

213 214 215

218 220 226 227 231 232

233 234 235 237 239 240

243

191

Schrifttum: Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013; Bertelmann/Schönen, Gläubigerrechte und Emittentenpflichten bei der Abstimmung ohne Versammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 353; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, GewArch, Beilage WiVerw 2/2014, 155; Florstedt, Die Schranken der Majorisierung von Gläubigern, RIW 2013, 538; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neu-

v. Wissel/Diehn 343

§ 18 SchVG Rz. 1 Abstimmung ohne Versammlung em Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986; Maier-Reimer, Fehlerhafte Gläubigerbeschlüsse nach dem Schuldverschreibungsgesetz, NJW 2010, 1317; Müller, Auslandsbeurkundung von Abtretungen deutscher GmbH-Geschäftsanteile in der Schweiz, NJW 2014, 1994; Otto, Gläubigerversammlungen nach dem SchVG – Ein neues Tätigkeitsgebiet für Notare, DNotZ 2012, 809; Steffek, Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, in FS Hopt, 2010, S. 2597; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987.

I. Gesetzessystematik 1. Allgemeines 1

§ 18 SchVG behandelt die Abstimmung ohne Versammlung. Die Vorschrift kann nur im Gesamtzusammenhang des Schuldverschreibungsgesetzes verstanden werden: § 18 SchVG gehört zu den Bestimmungen des zweiten Abschnitts des Schuldverschreibungsgesetzes, der im Rahmen der Ausgabe von Schuldverschreibungen die Zulässigkeitsvoraussetzungen und das Verfahren von Beschlüssen der Anleihegläubiger regelt. § 18 SchVG gehört zur Gruppe der Vorschriften (§§ 9–18 SchVG), die sich mit Beschlussverfahrensregeln beschäftigen. Wenn § 18 SchVG von „Abstimmungen ohne Versammlung“ spricht, knüpft er insoweit an § 5 Abs. 6 SchVG an, der eine Wahlmöglichkeit eröffnet, ob Gläubiger in einer Gläubigerversammlung beschließen oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung abstimmen. Danach sieht das Gesetz zwei unterschiedliche Beschlussverfahren vor, die „Gläubigerversammlung“ (§§ 9–17 SchVG) und die „Abstimmung ohne Versammlung“ (§ 18 SchVG). 2. Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes

2

Eine Schuldverschreibung ist eine Urkunde, in der sich der Aussteller zu einer Leistung an den Inhaber verpflichtet. Sie hat konstitutive Bedeutung. Ohne sie kann das verbriefte Recht nicht entstehen. Die Urkunde allein reicht zwar zur Entstehung der Verpflichtung nicht aus, vorausgeht ein Vertrag zwischen Aussteller und dem Ersterwerber (Konsortialbank/Investor), ein Begebungsvertrag, der die Einigung über die schuldrechtlichen Bedingungen zur Begründung der Forderung und die sachenrechtliche Übertragung der Urkunde enthält.1 Jedoch hat eine in Verkehr gebrachte Schuldverschreibungsurkunde einen ihr innewohnenden Rechtsschein über das Bestehen der verbrieften Forderung. Die Verbriefung der Schuldverschreibung mit den Schutzvorschriften der §§ 794 und 796 BGB dient dem Beweis der Forderung im Rechtsverkehr mit der Folge, dass Nichtigkeitsgründe, Vertretungs- und Willensmängel der Entstehung des verbrieften Rechts in der Hand eines gutgläubigen Zweiterwerbers nicht der Geltendmachung der Ansprüche entgegenstehen (Rechtscheintheorie)2 und schafft so eine Verkehrsfähigkeit. Unter Schuldverschreibungen i.S. von § 1 Abs. 1 SchVG fallen – unabhängig von Form der Verbriefung und Verwahrung – u.a. Anleihen (Zahlungsversprechen), verbriefte Derivate und commercial papers3, auch Anleihen von Emittenten, die Ihren Sitz zwar im Ausland, die Anleihe aber deutschem Recht unterstellt haben, aber keine öffentliche Anleihen und Pfandbriefe.

1 Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, § 3 I 2; st. Rspr., z.B. BGH v. 30.11.1972 – II ZR 70/72, NJW 1973, 283; Marburger in Staudinger, 2009, § 793 BGB Rz. 18; Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, Vorbemerkung zu §§ 793 ff. BGB Rz. 24; Sprau in Palandt, § 793 BGB Rz. 8. 2 Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, § 3 I 2; Zöllner in Wertpapierrecht, 6 III 2; Müller in Kümpel/ Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.62; Kümpel in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.62; Marburger in Staudinger, 2009, Vorbemerkung zu §§ 793 ff. BGB Rz. 15 ff. 3 Preuße in Preuße, § 2 SchVG Rz. 21; Horn, BKR 2009, 449; Marburger in Staudinger, 2009, § 793 BGB Rz. 61; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (12, 16, 20, 66).

344

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 7 § 18 SchVG

Für Altanleihen gilt das SchVG vom 5.8.2009 nach § 24 Abs. 1 SchVG nicht. Nach § 24 Abs. 2 SchVG können Gläubiger von Schuldverschreibungen, die vor dem 5.8.2009 ausgegeben wurden, über Änderungen der Anleihebedingungen oder den Tausch in Schuldverschreibungen neueren Rechts mit Zustimmung des Emittenten beschließen, nach einem Urteil des OLG Frankfurt/Main jedoch nur dann, wenn ihnen bereits nach altem Recht eine Entscheidungsbefugnis durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt war.4

3

Die Schuldverschreibungen müssen im Anhang zur verbrieften Urkunde Anleihebedingungen enthalten. Die Anleihebedingungen beschreiben die Rechte und Pflichten des Schuldners und der Anleihegläubiger abschließend (§ 2 Satz 1 SchVG). Sie haben das Transparenzgebot des § 3 SchVG einzuhalten, den darin enthaltenen Bestimmtheitsgrundsatz zu beachten, der es den Parteien ermöglicht, die Rechte und Pflichten mit größtmöglicher Bestimmtheit zu ersehen, und sich am Grundsatz der kollektiven Bindung und Gleichheit der Gläubiger auszurichten (§ 4 SchVG).

4

Damit das Schuldverschreibungsgesetz anwendbar ist, muss es sich um nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen handeln. Dieser gesetzlich angeordneten Rechtsordnung sind aber nicht alle Bestimmungen des Begebungsvertrages unterworfen, sondern nur die Anleihebedingungen,5 denn das in den Anleihebedingungen gewählte Recht entscheidet über Inhalt und Bestand des verbrieften Rechts, die Eigenschaft als Wertpapier und das Rechtsstatut. Nach Ansicht des LG Frankfurt/Main unterliegen alle Klauseln dem Primat des deutschen Rechts.6 Richtiger wäre es, in den Anleihebedingungen Teilverweisungen auf ausländisches Recht zuzulassen, wenn die Grundsätze der §§ 2-4 SchVG beachtet sind.7

5

Nach der Regierungsbegründung8 entspricht der Begriff der Gesamtemission im Wesentlichen dem des § 151 StGB und definiert sich mit der Ausgabe einer Vielzahl von gleichartigen und austauschbaren Schuldverschreibungen als Teil einer Anleihe9. Sie sind inhaltsgleich, wenn sie auf den gleichen Bedingungen beruhen und gleiche Rechte für alle Gläubiger gerieren, eine Voraussetzung für die Marktfähigkeit.10 Unterschiedliche Anleihen desselben Emittenten einer gemeinsamen Umstrukturierung zu unterziehen, gestaltet sich dadurch schwierig.11

6

3. Gesetzliche Beschlusskompetenz oder Ermächtigung für Anleihegläubiger (§§ 4 und 5 SchVG) Liegen nach deutschem Recht wirksam begebene inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus einer Gesamtemission mit entsprechenden Anleihebedingungen vor, setzt das Beschlussverfahren des § 18 SchVG – wie jegliches Beschlussverfahren – weiter die Beschlusszuständig4 OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, AG 2012, 373 = ZIP 2012, 725; dazu Paulus, EWIR 2012, 259. 5 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 77 f. 6 LG Frankfurt/M. v. 27.10.2011 – 3-05 O 60/11, ZIP 2011, 2306; LG Frankfurt/M. v. 23.1.2012 – 3-05 O 142/11, ZIP 2012, 474 (475); dazu Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 97 ff.; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 6 m.w.N. 7 Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 14 ff.; Weiß in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 34 ff. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16; Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 1; Horn, BKR, 2009, 447. 9 Preuße in Preuße, § 1 SchVG Rz. 4; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 8. 10 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (44). 11 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 101.

v. Wissel/Diehn 345

7

§ 18 SchVG Rz. 8 Abstimmung ohne Versammlung keit voraus, die zulässt, das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten insgesamt oder in Teilen durch Beschlussfassung zu regeln. Eine solche ist zumindest für vom Schuldner oder Anleihegläubigern angestrebte Veränderungen der Anleihebedingungen nicht selbstverständlich, denn grundsätzlich regeln die verbrieften Schuldverschreibungsurkunden und anhängenden Anleihebedingungen das Rechtsverhältnis zwischen Emittent und Gläubiger abschließend. Deshalb bedarf jeglicher Eingriff in das zwischen Emittent und Gläubiger durch die Verbriefung und Einigung über die verbriefte Forderung entstandene Rechtsverhältnis nach der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre wie jede sonstige vertragliche Willensänderung ohne gesetzliche Anordnung grundsätzlich der Mitwirkung aller Beteiligten, lässt also Mehrheitsbeschlüssen der Gläubiger keinen Raum. Entsprechend stellt § 4 Satz 1 Halbs. 1 SchVG zunächst auch klar, dass die Anleihebedingungen durch Verträge mit den Gläubigern geändert werden können, allerdings – dem in § 4 SchVG verankerten Grundsatz der kollektiven Bindung der Gläubiger (Satz 1) und dem Gleichheitsgrundsatz (Satz 2), die der Umlauffähigkeit der Schuldverschreibungen geschuldet sind, folgend – nur durch gleichlautende Verträge mit allen Gläubigern.12 8

Neben der rechtsgeschäftlichen Vertragslösung lässt § 4 Satz 1 Halbs. 2 SchVG Änderungen der Anleihebedingungen nach Abschnitt 2 des Schuldverschreibungsgesetzes zu, eröffnet also Gläubigern die Möglichkeit, ihr Rechtsverhältnis im Rahmen eines Beschlussverfahrens unter den in Abschnitt 2 niedergelegten Voraussetzungen zu regeln. Damit fasst der Gesetzgeber die Gläubiger einer Anleihe zu einer gesetzlich verhafteten Interessengemeinschaft zusammen und sieht diese als Gläubigergemeinschaft ‚sui generis‘13, eine Gemeinschaft, die nicht durch Zusammenschluss zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks entsteht – auch wenn die Gläubiger gemeinsame Interessen haben können – sondern durch Anordnung von Gesetzes wegen. Eine solche Gemeinschaft vollzieht ihre Willensbildung in der Regel durch Beschluss als Gesamtakt. Da die Schuldverschreibungen als Inhaberpapiere umlauffähig sind und gehandelt werden, hat der Gesetzgeber ein Interesse gesehen, das Rechtsverhältnis der Schuldverschreibungen organisationsrechtlich zu vereinfachen und eine Anpassung an veränderte Verhältnisse zu erleichtern, und deshalb eine eingeschränkte Beschlusszuständigkeit ermöglicht (sog. Opt-In Lösung).

II. Beschlusstatbestand der Anleihegläubiger (§ 5 SchVG) 1. Allgemeiner Regelungsinhalt des § 5 SchVG 9

Die konkrete Beschlusskompetenz der Anleihegläubiger im Rahmen einer Schuldverschreibungsanleihe schafft der zweite Abschnitt des Schuldverschreibungsgesetzes mit § 5 SchVG als zentraler Vorschrift. Innerhalb des § 5 SchVG ist Abs. 1 und innerhalb des Abs. 1 ist Satz 1 die wichtigste Bestimmung: danach „können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die Gläubiger derselben Anleihe nach Maßgabe dieses Abschnitts durch Mehrheitsbeschluss Änderungen der Anleihebedingungen zustimmen und zur Wahrung ihrer Rechte einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen“. Die dem Satz 1 nachfolgenden Bestimmungen des § 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG und die Abs. 2–6 ergänzen und füllen die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG aus.

12 Florstedt, RIW 2013, 538 (585): „Das SchVG sieht formal ein Einigkeitsprinzip vor“. 13 Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 793 BGB Rz. 40; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, Einleitung vor § 1 SchVG Rz. 17; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (44, 46 ff.).

346

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 15 § 18 SchVG

2. Ermächtigung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) a) Ausdrückliche Regelung Nach der gesetzlichen Opt-In-Regelung ist Grundvoraussetzung für die Beschlusskompetenz der Gläubiger nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG, dass der Emittent aufgrund der gesetzlichen Ermächtigung ausdrücklich eine Beschlussregelung in den Anleihebedingungen zugelassen hat. Die Entscheidung zur Einführung einer solchen Regelung trifft der Emittent nach freiem Ermessen14, entweder durch allgemeinen Verweis auf § 5 Abs. 1 SchVG oder indem er ausdrücklich konkrete Voraussetzungen und Bedingungen für einen Beschlusstatbestand in den Anleihebedingungen schafft15. Sehen die Anleihebedingungen keinen Verweis auf § 5 SchVG und keine ausdrückliche Regelung vor, ist eine irgendwie geartete Gläubigerzuständigkeit nicht gegeben.16 Beschlüsse können – auch später – nicht gefasst werden. Eine Änderung der Anleihebedingungen oder die Bestellung eines gemeinsamen Gläubigervertreters wäre nur durch gleichlautenden Vertrag mit allen Gläubigern zulässig.

10

b) Grenzen der Ermächtigung in den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 1 Sätze 2, 3 SchVG) In den Anleihebedingungen können nur Regelungen getroffen werden nach Maßgabe des zweiten Abschnitts des SchVG. Jede Regelung in diesem Rahmen ist grundsätzlich ohne Einschränkung zulässig, soweit der Emittent die Mindestanforderungen des § 5 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SchVG sowie die Verfahrensvorschriften der §§ 9–18 SchVG einhält.17

11

Zu Lasten der Gläubiger insgesamt oder zu Lasten Einzelner kann in den Anleihebedingungen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG von den §§ 5–21 SchVG nur abgewichen werden, wenn die Abweichung im Gesetz ausdrücklich vorgesehen bzw. zugelassen ist und sie den Grundsätzen des § 4 SchVG (Gleichbehandlung und Bindung aller Gläubiger) entspricht.

12

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG kann schließlich eine Verpflichtung zur Leistung nicht durch Mehrheitsbeschluss begründet werden. Die zulässigen Beschlussgegenstände sind inhaltlich begrenzt durch den Ausschluss einer Nachschusspflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG.

13

Die Anleihebedingungen unterliegen keiner Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB, soweit das SchVG Anleihebedingungen für gesetzlich zulässig erklärt, § 307 Abs. 3 BGB.18 Im Übrigen findet eine AGB-Kontrolle jedoch statt.19

14

3. Ermächtigung zu Mehrheitsbeschlüssen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 SchVG) Das Beschlussrecht kann nur durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger ausgeübt werden. 15 Beschlüsse haben den Vorgaben des § 5 Abs. 2 SchVG zu entsprechen. Beschlussanträge müssen so gefasst sein, dass ein mehrheitlich gefasster Beschluss alle Gläubiger derselben Anleihe bindet, unabhängig davon, ob der Gläubiger dafür oder dagegen gestimmt oder an der Abstimmung teilgenommen hat.20 Dies ergibt sich schon aus dem Grundsatz der kollektiven Bindung in § 4 Satz 1 SchVG. Desgleichen muss entsprechend dem Gleichheitsgrund14 15 16 17

Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2603). Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 13. Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 4; Steffek in FS Hopt, 2010, S. 2597 (2603). Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 7; Steffek in FS Hopt, 2597 (2603); Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 6. 18 Horn, BKR 2009, 446 (453). 19 Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, S. 391 ff.; Habersack in MünchnKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 793 BGB Rz. 44 ff. 20 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18.

v. Wissel/Diehn 347

§ 18 SchVG Rz. 16 Abstimmung ohne Versammlung satz des § 4 Satz 2 SchVG der Beschluss gleiche Bedingungen für alle vorsehen, sofern der benachteiligte Gläubiger der Benachteiligung nicht zugestimmt hat. Die Zustimmung eines benachteiligten Gläubigers wird allerdings die Verkehrsfähigkeit beeinträchtigen. Deshalb müsste dieser Umstand in die verbrieften Urkunden aufgenommen werden.21 Bei Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit und der kollektiven Bindung ist ein Beschluss unwirksam. Zwangsläufig entsteht aber dadurch ein Mehrheits-/Minderheitenkonflikt.22 4. Berechtigte Abstimmungsteilnehmer (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) a) Teilnahmeberechtigung aller Gläubiger derselben Anleihe 16

An einer Beschlussfassung – gleich ob in einer Gläubigerversammlung oder einer Abstimmung ohne Versammlung – sind nach § 5 Abs. 1 SchVG alle Gläubiger derselben Anleihe zu beteiligen. Obwohl das Schuldverschreibungsgesetz hierzu keine weiteren Erläuterungen gibt, folgt dies aus dem Grundsatz der kollektiven Bindung und dem Gleichheitsgrundsatz des § 4 Satz 1, 2 SchVG. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet, dass weder ein Vertrag mit einzelnen Gläubigern noch eine Beschlussfassung durch Wenige zulässig ist und Gläubiger anderer Anleihen des gleichen Emittenten – wenn auch mit gleichen Bedingungen – und Gläubiger anderer Tranchen derselben Anleihe mit verschiedenen Bedingungen nicht zur Abstimmung berufen sind, wohl aber Gläubiger späterer Aufstockungen einer Anleihe, sofern sich die Bedingungen nicht geändert haben.23 Abstimmungen verschiedener Anleihen oder Tranchen mit verschiedenen Bedingungen könnten allenfalls durch ein System von Bedingungen miteinander verbunden werden.24 b) Teilnahmeberechtigung Dritter gemäß § 5 Abs. 1 iVm. § 22 SchVG

17

Teilnahmeberechtigt an der Beschlussfassung i.S.d. § 5 Abs. 1 SchVG sind auch sog. Mitverpflichtete i.S.d. § 22 Satz 1 SchVG. Das sind solche, die durch Rechtsgeschäft für die Verbindlichkeiten des Schuldners aus der Anleihe Sicherheiten gewährt haben. Der Begriff ist weit auszulegen. Er wird nur bei Finanzierungsgesellschaften oder für Konstellationen im Konzernbereich Bedeutung haben.25 Für diese gelten die Bestimmungen der §§ 5–21 SchVG entsprechend, aber nur, wenn es in den Anleihebedingungen ausdrücklich vorgesehen ist und dort die Drittberechtigten und die von Ihnen gestellten Sicherheiten benannt und für jeden Gläubiger erkennbar sind (§ 22 SchVG). 5. Zustimmungserfordernis des Emittenten zu Gläubigerbeschlüssen

18

Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 SchVG können Gläubiger eine Änderung der Anleihebedingungen nicht selbst vornehmen, sondern nur einer von dem Schuldner vorgeschlagenen Änderung zustimmen oder dessen Angebot auf Anpassung der Bedingungen annehmen. Das bedeutet, dass der Beschluss der Gläubiger nach allgemeiner Rechtsgeschäftslehre zwingend einer korrespondierenden Willenserklärung des Schuldners bedarf. Das Schuldverschreibungsgesetz ermöglicht nach dem Gebot der kollektiven Bindung des § 4 SchVG nur die einheitliche und für alle Gläubiger verbindliche Willenserklärung, erzwingt aber nicht die Zustimmung des Schuldners. Ein von den Gläubigern gefasster Beschluss ist daher endgültig 21 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 30/31. 22 Florstedt in GewArch, Beil. WiVerw, Nr. 2/2014, 155 (156). 23 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 11 f.; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 3; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 11. 24 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 12. 25 Dippel/Preuße in Preuße, § 22 SchVG Rz. 3; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 22 SchVG Rz. 4.

348

v. Wissel/Diehn

Rz. 23 § 18 SchVG

Abstimmung ohne Versammlung

ohne Wirkung, wenn die Zustimmung des Schuldners verweigert wird. Die Zustimmung kann im Vorwege erteilt oder nachträglich eingeholt werden. Nicht der Zustimmung des Emittenten bedarf die Bestellung und Abberufung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger. Dies ist das ureigene Recht der Gläubiger.26

19

6. Gesetzlich zugelassene Beschlussgegenstände (§ 5 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 3 SchVG) a) Allgemeines Eine in den Anleihebedingungen aufgenommene Beschlusskompetenz der Gläubiger gilt nur für die in § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG genannten Beschlussgegenstände der Änderung der Anleihebedingungen und der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters und nur im Rahmen der Anleihebedingungen. Der Emittent kann sich auch auf eine der beiden Beschlussgegenstände beschränken, trotz der Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG, wonach eine Gläubigerversammlung einzuberufen wäre, wenn ein Gläubigerquorum die Bestellung eines Gemeinsamen Vertreters verlangt. Diese Regelung ginge ggf. ins Leere.

20

b) Beschlussgegenstand „Änderung der Anleihebedingungen“ (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchVG) Der Beschlussgegenstand Änderung der Anleihebedingungen ist vom Gesetzgeber nicht weiter ausgeführt worden. Gesetzliche Einschränkungen finden sich nur in § 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG sowie § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG. Deshalb unterliegen grundsätzlich alle Regelungen in den Anleihebedingungen der Änderungsbefugnis der Gläubiger durch Beschluss. Der Gesetzgeber nimmt dabei in Kauf, dass dies zu weitgehenden Eingriffen in die individuellen Rechte der Gläubiger führt, denen angesichts des eingeschränkten Anfechtungsrechts und der Möglichkeit eines gerichtlichen Freigabeverfahrens in § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG nur ein geringer Minderheitenschutz gegenübersteht.

21

§ 5 Abs. 3 Satz 1 SchVG zählt nur Beispiele auf, über die im Beschlussverfahren beschlossen bzw. abgestimmt werden kann. Die aufgeführten Beispiele sind nicht abschließend. Eine Ergänzung oder Erweiterung des gesetzlichen Katalogs der Beschlussgegenstände ist nicht ausgeschlossen.27 Der Schuldner kann auch einschränkende Regelungen im Rahmen der genannten Beschlussgegenstände treffen, z.B. Einzelmaßnahmen aufzeigen oder bestimmte Beschlüsse unterbinden.28 Auch Öffnungsklauseln in den Anleihebedingungen sind zulässig. Das bedeutet, dass Beschlussgegenstände, die in § 18 Abs. 3 SchVG oder in einer Liste aufgeführt sind, durch Gläubigerbeschlüsse beschränkt oder erweitert werden können.

22

c) Beschlussgegenstand „Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger“ (§§ 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 und 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SchVG kann durch Beschluss der Gläubiger ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden. Die Bestellung dient der gemeinsamen Wahrnehmung der Gläubigerrechte und -pflichten gegenüber dem Emittenten, der Bündelung der Stimmrechte, der

26 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 1; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 23. 27 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 78; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18. 28 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 27; Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 5 SchVG Rz. 17.

v. Wissel/Diehn 349

23

§ 18 SchVG Rz. 24 Abstimmung ohne Versammlung Verhandlungsführung und der Wahrnehmung der Kontrollrechte29, auch wenn er letztendlich dem Weisungsrecht der Gläubiger unterliegt (§ 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG). Die Ausgestaltung der Rechte und Pflichten des gemeinsamen Vertreters, die Berichtsobliegenheiten, die Haftung (§ 7 Abs. 3 Satz 1 SchVG) und schließlich die Kostentragungspflicht des Schuldners für erforderliche Aufwendungen des Vertreters ebenso wie die Rechtsfolgen der Bestellung eines Vertreters für die Gläubiger regelt § 7 SchVG, ergänzt durch die §§ 9, 15, 18 und 19 SchVG. d) Weitere Beschlussfassung nach § 5 Abs. 5 Satz 3 und § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG 24

§ 5 Abs. 5 SchVG spricht schließlich von Kündigung der Anleihe; er räumt die Möglichkeit ein, eine Kündigung in den Anleihebedingungen an ein bestimmtes Quorum zu binden. Danach genügt zwar für die Kündigung die Erklärung einer ausreichenden Anzahl der Gläubiger, aber die Rücknahme einer Kündigung bedarf wiederum eines Mehrheitsbeschlusses der Gläubiger. § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG regelt den Sonderfall der Wahl eines gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren durch Mehrheitsbeschluss. e) Keine Einschränkung der Beschlussgegenstände des § 5 Abs. 1, 3 SchVG

25

Da § 18 SchVG nur Teil der Vorschriften des Beschlussverfahrens ist und nichts über Einschränkungen der in § 5 SchVG zugelassenen Beschlussgegenstände aussagt, steht das Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung i.S.d. § 18 SchVG grundsätzlich für eine Beschlussfassung über die gleichen Beschlussgegenstände zur Verfügung, wie sie in einer Gläubigerversammlung gefasst werden können. Eine Einschränkung mit der Folge, dass im Einzelfall nur eine Präsenzversammlung zulässig wäre, hat der Gesetzgeber nicht gewollt, auch wenn in dem Regierungsentwurf das Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung als vereinfachtes Verfahren für weniger streitbefangene Beschlussgegenstände als geeignet hervorgehoben wird.30 7. Beschlussmehrheiten für Entscheidungen der Anleihegläubiger (§ 5 Abs. 4 SchVG)

26

§ 5 SchVG ist mit „Mehrheitsbeschlüssen der Gläubiger“ überschrieben und regelt in Abs. 4 für Beschlüsse der Anleihegläubiger die jeweils notwendigen Mehrheiten; dies gilt sowohl in der Gläubigerversammlung der §§ 9–17 SchVG wie auch bei der Abstimmung ohne Versammlung nach § 18 SchVG, da für beide Verfahren § 5 SchVG unmittelbar eingreift.

27

Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG entscheiden die Gläubiger mit der einfachen Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte. Diese einfache Mehrheit (50 % plus eine Stimme) gilt nicht für Beschlüsse, durch welche der wesentliche Inhalt der Anleihebedingungen geändert wird. Bei solchen Beschlüssen, zu denen der Gesetzgeber insbesondere die in § 5 Abs. 3 Nr. 1–9 SchVG aufgeführten Beschlussgegenstände zählt, gilt nach § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG eine Mehrheit von 75 % der teilnehmenden Stimmrechte. Allerdings ist hier zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber diese Beschlussmehrheiten dadurch relativiert, dass er in §§ 15 Abs. 3 Satz 1–4, 6 und 18 Abs. 1 SchVG iVm. § 5 Abs. 4 Satz 1–3 SchVG für die Gläubigerversammlung wie auch die Abstimmung ohne Versammlung ein Beschlussfähigkeits-Quorum von 50 % des ausstehenden Nennbetrages der Schuldverschreibungen fordert. Trotz allem kann es auch bei schwerwiegenden Änderungen der Anleihebedingungen zu Beschlüssen kommen, an denen nicht mehr als 37,5 % des insgesamt ausstehenden Nennbetrages der Schuldverschreibungen teilgenommen hat.

29 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18. 30 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24.

350

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 32 § 18 SchVG

§ 5 Abs. 3 SchVG lässt zu, in den Anleihebedingungen für alle oder einzelne Maßnahmen eine höhere Beschlussmehrheit vorzuschreiben. So kann der Prozentsatz der Zustimmung bei unveränderter Berechnungsgrundlage der Mehrheit erhöht oder die Berechnungsgrundlage durch Anknüpfung an die ausstehenden und nicht an die an der Abstimmung teilnehmenden Schuldverschreibungen verändert werden. Es ist auch zulässig, das Beschlussquorum nach § 15 Abs. 3 SchVG anzuheben. Allerdings darf zu Lasten der Gläubiger keine Regelung getroffen werden: niedrigere als die gesetzlichen Mehrheiten sind daher unzulässig (§ 5 Abs. 4 Satz 3 SchVG).

28

III. Wahl des Beschlussverfahrens (§ 5 Abs. 6 SchVG) 1. Wahlmöglichkeit zwischen zwei Alternativen Hat der Emittent in den Anleihebedingungen unter den Voraussetzungen der §§ 5–22 des Schuldverschreibungsgesetzes eine Beschlusszuständigkeit und damit ein Beschlussverfahren in Angelegenheiten der Schuldverschreibungen i.S.d. § 1 SchVG zugelassen, eröffnet § 5 Abs. 6 Satz 1 SchVG zwei Verfahrensmöglichkeiten: Die Anleihegläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung (§§ 9–16 SchVG) oder im Wege der Abstimmung ohne Versammlung (§ 18 SchVG).

29

a) Beschlussfassung in einer Gläubigerversammlung Verfahrensrechtliche Grundnorm für eine Beschlussfassung ist die der Hauptversammlung 30 im Aktienrecht nachgeformte physische Gläubigerversammlung, in der die Gläubiger ihre Beschlüsse fassen und diese in einem formalisierten Verfahren ihre Legitimation erfahren. Die Versammlung steht allen Gläubigern offen und gewährt ihnen ein unmittelbares Zusammengehörigkeitsgefühl. Durch ein ausgestaltetes umfassendes Frage- und Auskunftsrecht werden die Gläubiger unmittelbar einbezogen. b) Abstimmung ohne Versammlung Die Abstimmung ohne Versammlung i.S.d. §§ 18 Abs. 1, 5 Abs. 6 SchVG versteht sich als Abstimmung ohne Zusammenkunft. Sie dient ausschließlich der Abstimmung und der daraus folgenden Stimmabgabe der einzelnen Gläubiger, allerdings in dem genau vorgeschriebenen Organisationsverfahren des zweiten Abschnitts des Schuldverschreibungsgesetzes. Sie ist keine virtuelle Versammlung, auch wenn die Regierungsbegründung sie als solche bezeichnet.31 Sie ist auch nicht mit der Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung zu vergleichen. Die seit dem ARUG32 zulässige Online-Teilnahme an einer Hauptversammlung und damit ermöglichte Online-Rechtsausübung und -Teilnahme an der Abstimmung (§ 118 Abs. 2 AktG) setzt eine physische Versammlung voraus. Eine reine virtuelle Hauptversammlung war auch im Aktienrecht nicht gewollt.33

31

Eine Abstimmung ohne Versammlung ist ohne Vorbild. Ohne die technische Entwicklung des Internets wäre eine Abstimmung ohne Versammlung nicht denkbar. Die elektronischen Teilnahme- und Übertragungsmöglichkeiten ersparen den Gläubigern eine persönliche Anwesenheit, wobei die Möglichkeit der Stimmenabgabe in bloßer Textform (§ 126b BGB) eine wesentliche Verkehrserleichterung mit sich bringt. Damit eröffnet sie den Gläubigern eine bessere Teilnahmemöglichkeit an der Abstimmung und eine maximal mögliche Beteiligung.

32

31 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 3; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 7; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18 zum ARUG. 32 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie v. 30.7.2009, BGBl. I 2009, 2479. 33 Begr. RegE BT-Drucks. 16/11642, 32 ff.

v. Wissel/Diehn 351

§ 18 SchVG Rz. 33 Abstimmung ohne Versammlung Sie stellt gerade bei den internationalen Anlegern verfahrensrechtlich sicher, dass am Verfahren zu jeder Zeit und von jedem Ort mitgewirkt werden kann. 33

Dass die elektronische Abstimmung zu einer erheblichen Ersparnis an Kosten und Zeit auf Seiten aller Beteiligten führen wird, darf bezweifelt werden. Die bisherigen Erfahrungen deuten in die andere Richtung, müssen doch ab der Bekanntmachung der Aufforderung zur Stimmabgabe bis zum Ende des Abstimmungszeitraums technische Geräte und Personal vorgehalten und Fragen über eine lange Zeit beantwortet werden. Die Veröffentlichungs- und Beratungskosten betragen ein Vielfaches. 2. Wahlfreiheit

34

§ 5 Abs. 6 SchVG spricht von zwei Verfahrensmöglichkeiten, schreibt aber zugleich die aufgezeigten Möglichkeiten im Sinne eines Numerus Clausus fest. Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 6 Satz 2 SchVG können die Anleihebedingungen „ausschließlich“ eine dieser Möglichkeiten vorsehen. Dies wird in der Regierungsbegründung so ausgelegt, dass die Anleihebedingungen zwar ausschließlich eine der zwei Alternativen festschreiben können, aber nicht müssen, sondern auch beide Alternativen nebeneinander zulassen können.34 Solange die Anleihebedingungen keine Einschränkungen vorsehen, besteht die Wahlfreiheit zwischen Beschlussfassung in einer Gläubigerversammlung oder Abstimmung ohne Versammlung uneingeschränkt.35 Die Beschlussfassung in der Gläubigerversammlung oder die Abstimmung ohne Versammlung sind in ihrem Anwendungsbereich gleichwertig.36 Einschränkungen ergeben sich insbesondere nicht aus der möglichen Gefahr technischer Störungen, die auch in der Online Abstimmung im Rahmen der physischen Versammlung nach § 118 Abs. 2 AktG möglich wären37. Der Gesetzgeber setzt die technische Funktion der modernen Kommunikationsmittel voraus38 und schafft Rechtssicherheit für die gefassten Beschlüsse, indem er in § 20 Abs. 1 Satz 3 SchVG für den Fall einer Störung technischer Anlagen jegliche Anfechtung – soweit nicht mindestens grobe Fahrlässigkeit vorliegt – ausschließt.

35

Auch eine vermeintlich geringere Informations- und Diskussionsmöglichkeit bei einer Abstimmung ohne Versammlung oder kontroverse Beschlussgegenstände schließen letztere nicht aus.39 Im Umkehrschluss ein Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung auszuschließen, wenn ein solcher Bedarf zu erwarten ist, gibt der Wortlaut des Gesetzes nicht her. 3. Wahlberechtigter

36

Soweit die in § 5 Abs. 6 Satz 1 SchVG eingeräumte Wahlmöglichkeit nicht bereits in den Anleihebedingungen zugunsten einer der Möglichkeiten entschieden ist, obliegt die Wahl zwischen dem Verfahren der „Gläubigerversammlung“ oder der „Abstimmung ohne Versammlung“ dem Einberufenden bzw. im Fall des § 18 SchVG dem Auffordernden.40 Auffordernder bei der Stimmabgabe ohne Versammlung können nach §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 SchVG der Schuldner, der gemeinsame Vertreter der Gläubiger oder einzelne Gläubiger nach Verweigerung ihres Einberufungsverlangens nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG sein (vgl. dazu Rz. 59).

34 35 36 37 38 39 40

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 19. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 5, 7. Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 1. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 7. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (44, 61). Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 5; Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 4 ff. Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 3.

352

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 43 § 18 SchVG

Die Wahl des Verfahrens ist jedoch zu trennen von der Frage der Abstimmungsleitung. Ergreift der Schuldner die Initiative, muss er zwischen den Verfahren wählen können, auch wenn er einen Notar als Abstimmungsleiter einer Abstimmung ohne Versammlung zu beauftragen hat.

37

Die Entscheidung für eines dieser Verfahren setzt keinen gesonderten nach außen gerichteten Willensakt voraus. Sie wird mit Einberufung bzw. der Aufforderung zur Stimmabgabe getroffen.

38

IV. Regelungsinhalt des § 18 SchVG 1. Allgemeines Sind in den Anleihebedingungen die Voraussetzungen der Beschlusszuständigkeit für Anleihegläubiger geschaffen und für anstehende Entscheidungen die Wahl auf das Verfahren einer Abstimmung ohne Versammlung gefallen, kommt § 18 SchVG zur Anwendung. § 18 SchVG regelt die Abstimmung ohne Versammlung nicht umfassend.

39

Allein für die „Einberufung“ und „Durchführung“ einer Abstimmung ohne Versammlung verweist § 18 Abs. 1 SchVG auf die entsprechenden Vorschriften der Gläubigerversammlung, soweit nicht in den Abs. 2–6 des § 18 SchVG anderes bestimmt ist. Der Gesetzgeber hat allerdings auch zusätzlich gesonderte Verweisungen klarstellend und unterstützend vorgenommen. § 18 Abs. 2 SchVG bestimmt die Person des Abstimmungsleiters. § 18 Abs. 3 SchVG nennt erforderliche Angaben zur Stimmabgabe in der Aufforderung. In § 18 Abs. 4 SchVG werden dem Abstimmungsleiter bestimmte Aufgaben zugewiesen. § 18 Abs. 5 SchVG widmet sich Widerspruchsregeln und Abs. 6 schließlich den Kosten.

40

2. Verweis auf Vorschriften der „Einberufung“ und „Durchführung“ (§ 18 Abs. 1 SchVG) § 18 Abs. 1 SchVG verweist auf die Vorschriften der Einberufung einer physischen Versamm- 41 lung. Damit gelten für die Aufforderung zur Stimmabgabe die Vorschriften der §§ 9–13 SchVG entsprechend. Statt von Einberufung sprechen die §§ 18 Abs. 3 Satz 1 und 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG von Aufforderung zur Stimmabgabe; in § 18 Abs. 2 SchVG wird synonym von Aufforderung zur Abstimmung gesprochen. Die in § 9 SchVG geregelte Einberufung wird also durch Aufforderung zur Stimmabgabe ersetzt. Zum Verweis auf die Vorschriften der Einberufung einer physischen Versammlung gehören neben den Regelungen zur Einberufung selbst auch die Vorschriften zu Fristen, Anmelde- und Legitimationserfordernissen (§ 10 SchVG) sowie zum Inhalt der „Aufforderung“ (§ 12 SchVG) und der Tagesordnung (§ 13 SchVG). Nach § 18 Abs. 1 SchVG sind ferner die Regeln der Durchführung einer physischen Versammlung entsprechend auf die Abstimmung ohne Versammlung anzuwenden. Das sind insbesondere die Vorschriften zu einer Vertretung der Gläubiger (§ 14 SchVG), der Leitung des Verfahrens und der Abstimmung, der Beschlussfähigkeit und Auszählung der Stimmen (§ 15 SchVG) sowie der Zulässigkeit von Fragen, Ergänzungs- und Gegenanträgen und der Dokumentation (§ 16 SchVG).

42

Diese Verweisungen sind in vielen Fällen auslegungsbedürftig und führen zu Unsicherheiten. Dies wird dadurch noch gefördert, dass das SchVG nicht deutlich macht, ob die Abstimmung ohne Versammlung nur ein reines Abstimmungs-/Zählverfahren ist oder unter größtmöglicher Wahrung der Beteiligungsrechte der Gläubiger eine der Gläubigerversammlung möglichst nahe kommende Entscheidungsbildung ermöglichen soll.41

43

41 Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353.

v. Wissel/Diehn 353

§ 18 SchVG Rz. 44 Abstimmung ohne Versammlung 3. Abstimmungsleiter (§ 18 Abs. 1 SchVG) a) Person des Abstimmungsleiters 44

§ 18 Abs. 2 SchVG kürt einen Abstimmungsleiter, gibt aber nur spärlich Auskunft über seine Aufgaben und Rechte. Während nach § 15 Abs. 1 SchVG der jeweils Einberufende – in der Regel der Schuldner – den Vorsitz in der Gläubigerversammlung führt, sofern nicht das Gericht aufgrund eines Minderheitsverlangens einen anderen Vorsitzenden bestimmt hat, spricht § 18 Abs. 2 Satz 1 SchVG bei der Abstimmung ohne Versammlung vom Abstimmungsleiter. Als Abstimmungsleiter werden genannt: – ein vom Schuldner beauftragter Notar, – der gemeinsame Gläubigervertreter, wenn er zur Abstimmung aufgefordert hat, und – eine vom Gericht bestimmte Person gemäß § 18 Abs. 1 und 2 SchVG und § 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG.

45

Nicht vorgesehen ist, dass das zur Aufforderung zur Stimmabgabe nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG ermächtigte Gläubigerquorum, das in seiner Gesamtheit eine Abstimmung nicht leiten kann, einen Abstimmungsleiter bestimmt. Dafür wäre eine gerichtliche Bestellung entsprechend § 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG erforderlich.

46

Der Schuldner ist nicht als Abstimmungsleiter einer Abstimmung ohne Versammlung vorgesehen, obwohl er als Vorsitzender die Gläubigerversammlung leitet. Möchte der Schuldner ein Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung veranlassen, so hat er nach § 18 Abs. 2 SchVG einen Notar mit der Abstimmung zu beauftragen. Der Auftrag hat schriftlich zu erfolgen und bedarf einer Annahme seitens des Notars. Die notarielle Versammlungsleitung unterliegt nicht dem Amtsgewähranspruch (§ 15 BNotO).

47

Das Amt kann jeder Notar übernehmen, unzweifelhaft jeder deutsche Notar, gleich ob er von einem deutschen oder ausländischen Schuldner beauftragt wurde.42 Ausländische Notare könnten als Abstimmungsleiter in Betracht kommen,43 wenn § 18 Abs. 2 SchVG nicht als Zuständigkeitsnorm wie § 925 Satz 2 BGB (dazu Art. 11 EGBGB) angesehen werden muss. Letzteres ist aber der Fall. Die §§ 18 Abs. 2 Satz 2 SchVG und 925 Satz 2 BGB sprechen von dem bzw. jedem Notar, dem die jeweilige Zuständigkeit zugewiesen wird. Weder verlangt § 925 BGB ergänzend die Vornahme einer Beurkundung, noch nimmt § 18 Abs. 2 Satz 2 SchVG – was ein Leichtes gewesen wäre – den Verweis des § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG auf § 16 Abs. 3 Satz 2, 3 SchVG (und inzidenter auf § 130 Abs. 2–4 AktG) auf, der bei der sich anschließenden Frage, wer die Niederschrift über die gefassten Beschlüsse aufzunehmen habe, bei einer im Inland stattfindenden Gläubigerversammlung die Beurkundung der Niederschrift durch einen Notar und im Ausland eine gleichwertige Niederschrift fordert. Bei der Zuständigkeitszuweisung stellt sich die Frage nach materieller Gleichwertigkeit44 ausländischer öffentlicher Stellen nicht, weil der deutsche Gesetzgeber institutionell nur deutschen öffentlichen Stellen Zuständigkeiten zuweist. Der deutsche Notar wird als kraft öffentlichen Amtes besonders qualifizierter und unabhängiger Sachwalter der Parteien tätig, der vom Gesetzgeber vor allem wegen seiner ihm im Beruf gesetzlich vorgeschriebenen Un42 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 12; Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 18. 43 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 18; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (44, 60); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 18 SchVG Rz. 9. 44 Gleichwertigkeit würde neben dem Erfordernis einer den deutschen Standards entsprechenden Ausbildung und Erfahrung des Amtsträgers auch voraussetzen, dass dieser nicht nur ein dem deutschen Recht vergleichbares Verfahren durchführt, sondern dazu nach seinem Heimatrecht verpflichtet ist (Müller, NJW 2014, 1994). Nur dann aber könnte von „gleichwertig“ im Sinn der Rechtsprechung (BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, NJW 1981, 1160; OLG Frankfurt v. 25.1.2005 – 11 U 8/04, GmbHR 2005, 765) gesprochen werden. Das wird nur selten der Fall sein.

354

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 52 § 18 SchVG

abhängigkeit ausgewählt ist. Eine solche erwartete Unabhängigkeit setzt der Gesetzgeber offensichtlich bei einem ausländischen Notar nicht voraus.45 Als Abstimmungsleiter kommt daher nur ein deutscher Notar in Betracht.46 Ein Bedürfnis für die Beauftragung eines ausländischen Notars dürfte ohnehin kaum bestehen, jedenfalls nicht, wenn es sich um eine nach deutschem Recht vorzunehmende Abstimmung über Anleihebedingungen einer nach deutschem Recht emittierten Schuldverschreibung handelt.47 b) Persönliche Anforderungen an den Abstimmungsleiter Persönliche Anforderungen stellt der Gesetzgeber an den Abstimmungsleiter nicht, allenfalls 48 erwartet er eine gewisse Neutralität; dies lässt die Entscheidung des Gesetzgebers, die Abstimmungsleitung nicht dem Schuldner zu übertragen, erkennen. Beim Notar und einem gerichtlich berufenen Abstimmungsleiter kann er von einer ausreichenden Qualifikation und vorhandener Neutralität ausgehen. Der gemeinsame Gläubigervertreter ist zwar eo ipse vom Schuldner unabhängig, eine Unabhängigkeit von den Gläubigern und besondere Fachkenntnisse spielten aber für den Gesetzgeber hier keine Rolle, denn ursprünglich war geplant, auch im Fall der Aufforderung durch den gemeinsamen Vertreter nicht diesen, sondern einen Notar mit der Abstimmungsleitung zu betrauen. Dies wurde jedoch – zu Unrecht – aus Kostengründen nicht umgesetzt.48 An gesetzliche Ausschließungsgründe ist der Abstimmungsleiter nicht gebunden, wohl auch nicht bei Beschlussanträgen über seine eigene Abwahl. Auch sprachliche Barrieren spielen keine Rolle.

49

c) Aufgaben und Rechte des Abstimmungsleiters Der Abstimmungsleiter hat das Verfahren der Aufforderung zur Abstimmung spätestens von der Bekanntmachung der Aufforderung an zu organisieren und zu begleiten. Er ist Herr des Verfahrens und verantwortlich bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gefasster Beschlüsse gemäß § 17 SchVG.

50

Die Rechte des Abstimmungsleiters ergeben sich aus der Natur der Sache und seiner Aufgabe. Darunter fallen die Sicherstellung von Auskünften und Gewährung von Informationen während des Verfahrens, die Pflicht zur Hinwirkung auf ordnungsgemäße Anträge und deren Präzisierung, Aufnahme und Begleitung der Ergänzungsverlangen und Gegenanträge, Sicherstellung der technischen Anlage und deren Zugang, die Prüfung der Berechtigung zur Stimmabgabe und der Nachweise, die Leitung der Abstimmung, Erstellung eines Verzeichnisses der Gläubiger, Feststellung der Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung und schließlich ggf. die Erstellung einer Niederschrift (vgl. auch Rz. 180 und Rz. 194).

51

Der Regierungsentwurf zu § 18 Abs. 3 SchVG spricht davon, dass der Abstimmungsleiter für die Authentizität der übermittelten Stimmen Sorge zu tragen hat.49 Er hat für Kommunikationswege zu sorgen, die einen gewissen Schutz vor unberechtigtem Zugriff Dritter bieten, und sicherzustellen, dass die Erklärungen dem Absender eindeutig zugerechnet werden können. Für den E-Mail-Verkehr und Internet-Foren sind technische Vorkehrungen zu treffen, die eine – soweit dies bei E-Mails technisch überhaupt möglich ist – sichere Datenübertra-

52

45 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (60). 46 A.A. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 12; Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 18. 47 Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 4. 48 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24. 49 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24.

v. Wissel/Diehn 355

§ 18 SchVG Rz. 53 Abstimmung ohne Versammlung gung ermöglichen. Aufstellung und Funktionen müssen geprüft, die Technik über den gesamten Abstimmungszeitraum vorgehalten und kontrolliert werden. d) Abberufung des Versammlungsleiters 53

Während des Verfahrens der Aufforderung zur Abstimmung wird der Abstimmungsleiter anders als in der Gläubigerversammlung nicht oder nur ausnahmsweise abzuberufen oder zu ersetzen sein. Eine Abwahl durch die Gläubiger ist kaum zu organisieren, ohne das Verfahren selbst in Frage zu stellen. Die Gläubiger könnten aber in einem neuen Verfahren entsprechend § 9 Abs. 2 SchVG verfahren. 4. Aufforderung zur Stimmabgabe (§ 18 Abs. 3 SchVG)

54

§ 18 Abs. 3 SchVG bringt eine Konkretisierung der nach § 18 Abs. 1 SchVG analog anzuwendenden Einberufungsvorschriften der physischen Versammlung und spricht von Aufforderung zur Stimmabgabe analog zur Einberufung einer Gläubigerversammlung. Er macht Vorgaben zu deren Inhalt bezüglich des Zeitraums der Stimmabgabe und deren Form (§ 18 Abs. 3 Satz 1–3, 5 SchVG). 5. Abstimmungsleitung und Aufnahme einer Niederschrift (§ 18 Abs. 4 SchVG)

55

§ 18 Abs. 4 SchVG verweist auf Verfahrensregeln, die Feststellung der Stimmberechtigung (Satz 1) und Beschlussfähigkeit (Satz 2), die Pflicht zur Erstellung eines Verzeichnisses der stimmberechtigten Gläubiger (Satz 1) und Aufnahme einer Niederschrift über die gefassten Beschlüsse (Sätze 3, 4). Ist die Beschlussfähigkeit nicht erreicht, gibt § 18 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 SchVG dem Abstimmungsleiter das Recht, eine Gläubigerversammlung als zweite Versammlung i.S.d. § 15 Abs. 3 Satz 3 SchVG einzuberufen. 6. Widerspruchsverfahren (§ 18 Abs. 5 SchVG)

56

§ 18 Abs. 5 SchVG regelt die Möglichkeit, Frist und Form eines Gläubigerwiderspruchs und dessen Abhilfe. 7. Kosten (§ 18 Abs. 6 SchVG)

57

§ 18 Abs. 6 SchVG schließlich bürdet die Kosten der Abstimmung ohne Versammlung sowie des Verfahrens nach § 9 Abs. 2 SchVG dem Schuldner auf.

V. Aufforderung zur Stimmabgabe 1. Aufgaben des Auffordernden 58

Die Aufforderung zur Stimmabgabe bildet den Beginn des Abstimmungsverfahrens. Für sie gilt – soweit § 18 SchVG nicht greift – § 9 SchVG, die Einberufungsvorschrift für die Gläubigerversammlung, entsprechend. Sie soll verfahrensrechtlich sicherstellen, dass alle Gläubiger und sonstigen Beteiligten über die bevorstehende Abstimmung informiert werden und ihnen so die Möglichkeit gegeben wird, daran teilzunehmen. Eine klare und umfassende Aufforderung ist vor allem deshalb wichtig, weil durch die Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen in die individuellen Rechte der Gläubiger eingegriffen wird. Diejenigen, die zur Aufforderung berufen sind, trifft die Verpflichtung zur Festsetzung der Verfahrensart und der Tagesordnung, zur Abfassung der Aufforderung, schließlich die gesamte Organisation, gleich wer die Abstimmung leitet oder zur Abstimmung auffordert, der Schuldner/Emit356

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 64 § 18 SchVG

tent oder Gläubigervertreter. Den zur Aufforderung Berufenen obliegen auch die Bekanntmachungs- und Veröffentlichungspflichten aus §§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 und 3 SchVG sowie § 13 Abs. 2 SchVG. 2. Aufforderungsrecht und -pflicht Das originäre Recht zur Aufforderung liegt wie bei einer Gläubigerversammlung nach §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchVG bei dem Emittenten. Der gemeinsame Vertreter der Gläubiger ist nach §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SchVG neben dem Schuldner zur Einberufung berechtigt.

59

Nach §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG können Anleihegläubiger, die ein Quorum von 5 % 60 der ausstehenden und zur Anleihe gehörenden Teilschuldverschreibungen erreichen, vom Schuldner oder gemeinsamen Vertreter verlangen, dass zur Stimmabgabe aufgefordert wird, jedoch ausschließlich mit der Begründung, sie wollten einen gemeinsamen Vertreter bestellen oder abberufen, einen Beschluss nach § 5 Abs. 5 Satz 2 SchVG fassen oder sie hätten ein sonstiges besonderes Interesse. Einberufungsberechtigt sind schließlich nach § 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG Gläubiger, die vom 61 zuständigen (deutschen) Gericht (§ 9 Abs. 3 SchVG) dazu ermächtigt sind, weil ihren berechtigten Interessen auf Einberufung nicht entsprochen wurde. Hier berufen die ermächtigten Gläubiger im eigenen Namen ein, dürfen aber den Beschlussrahmen der gerichtlichen Ermächtigung nicht überschreiten. Aus § 18 Abs. 2 SchVG ergibt sich kein Einberufungsrecht des Notars als möglichem Ab- 62 stimmungsleiter nach § 18 Abs. 2 SchVG, auch nicht aus dem Umkehrschluss zu § 15 Abs. 1 SchVG, wonach der Einberufende den Vorsitz in der Gläubigerversammlung führt. Eine Einberufung durch den Notar als Abstimmungsleiter wäre allerdings sachgerecht, weil das Verfahren der Aufforderung und der Inhalt der Aufforderung weitgehend von ihm als Verfahrensleiter bestimmt werden. Der Einwand, er sei nicht genug unterrichtet und informiert, greift nicht, da der beauftragte Notar sich zwar hinsichtlich der Tagesordnung nach dem Auftrag des Schuldners zu richten hat, er aber für die Bestimmtheit dieses Auftrages, der Beschlussgegenstände und der Voraussetzungen für die Teilnahme und Stimmzählung zu sorgen hat. Er wird sich ausreichend informieren, um alles Notwendige für die Aufforderung zur Stimmabgabe und das Stimmverfahren selbst veranlassen zu können. Eine ausschließliche Einberufungszuständigkeit ist dem Notar als Abstimmungsleiter aber für den Fall eingeräumt, dass nach § 18 Abs. 4 Satz 2 SchVG bei Beschlussunfähigkeit der ersten Abstimmung ohne Versammlung eine zweite Versammlung einzuberufen ist. Hier wird zwar auch eingewandt, dem Notar könne die Einberufung der zweiten Versammlung und damit nach § 15 Abs. 1 SchVG der Vorsitz in dieser Versammlung nicht zugemutet werden, weil er mit den Hintergründen und der Situation der Gesellschaft nicht ausreichend befasst sei. Auch würden Verwirrungen und Missverständnisse im internationalen Gläubigerkreis zu besorgen sein. Der Gesetzeswortlaut überträgt ihm jedoch eindeutig dieses Recht. Da der Schuldner eine Mitwirkungspflicht bei der Abstimmung ohne Versammlung hat und auch in der zweiten Folge-Versammlung anwesend oder vertreten sein muss, ist nichts gegen die Gesetzesregelung einzuwenden. In der Praxis ist auch schon entsprechend verfahren worden.

63

3. Adressat der Aufforderung/Teilnahmerecht aller Gläubiger einer Anleihe Alle Gläubiger einer Anleihe und die sog. Mitverpflichteten nach § 22 SchVG müssen an Beschlussverfahren jeder Art, auch der Abstimmung ohne Versammlung, teilnehmen können und sind daher zur Teilnahme aufzufordern. v. Wissel/Diehn 357

64

§ 18 SchVG Rz. 65 Abstimmung ohne Versammlung 65

Nicht zuletzt ist auch der Emittent/Schuldner in ein solches Verfahren einzubinden. Er hat die verschiedensten Aufgaben, insbesondere hat er Auskünfte zu erteilen und Fragen der Gläubiger zu beantworten. Schließlich ist er von etwa gefassten Beschlüssen betroffen und muss Ihnen gegebenenfalls im Nachhinein zustimmen. 4. Fristen der Aufforderung zur Abstimmung ohne Versammlung (§ 10 Abs. 1 und 2 SchVG)

66

§ 18 SchVG trifft selbst keine Regelung zur Frage, welche Frist zwischen der Aufforderung zur Stimmabgabe und dem Abstimmungszeitraum einzuhalten ist. Insoweit gilt die Verweisung auf § 10 SchVG. § 10 Abs. 1 SchVG nennt eine 14-tägige Frist zwischen der Einberufung und dem Tag der Versammlung; analog bedeutet dies für das Verfahren des § 18 SchVG die Einhaltung einer Frist von mindestens 14 Tagen vor dem Abstimmungszeitraum. Dies ist im Hinblick auf eine in der Regel vorliegende Dringlichkeit einer Abstimmung eine kurze Frist, aber nicht zuletzt eine Frist, um während der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht des § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO eine Abstimmung der Gläubiger zu ermöglichen.50

67

Analog § 121 Abs. 7 AktG sind bei der physischen Versammlung der Tag der Veröffentlichung der Einberufung und der Tag der physischen Versammlung nicht mitzurechnen. Entsprechend bedeutet dies auch für das Verfahren nach § 18 SchVG, dass die 14-tägige Frist mit dem Tag nach der Veröffentlichung der Aufforderung zur Stimmabgabe beginnt und am Tag vor dem Beginn des Abstimmungszeitraums endet.51

68

Sehen die Anleihebedingungen eine Anmeldeobliegenheit vor, so verlängert sich bei der physischen Versammlung die Einberufungsfrist um die Anmeldefrist (§ 10 Abs. 2 Satz 1 SchVG). Analog bedeutet dies bei dem Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung, dass eine 14-tägige Frist zwischen dem Tag nach der Veröffentlichung der Aufforderung zur Stimmabgabe und dem Tag vor dem Ende der Anmeldefrist einzuhalten ist. Die Anmeldung müsste spätestens am dritten Tag vor dem Beginn der Frist zur Aufforderung zur Stimmabgabe bei dem Einberufenden eingegangen sein.52 Da nach § 18 Abs. 2 Satz 2 SchVG der Abstimmungsleiter bei Beschlussunfähigkeit eine zweite Versammlung i.S.d. § 15 Abs. 3 Satz 3 SchVG einberufen kann, sollte er angesichts der in der Regel bestehenden Eilbedürftigkeit der zu fassenden Beschlüsse mit der ersten Aufforderung zur Stimmabgabe analog zur Verfahrensweise im Vereinsrecht53 bereits die zweite Eventualversammlung nach § 18 Abs. 2 Satz 2 SchVG einberufen dürfen.

VI. Inhaltliche Anforderungen an die Aufforderung zur Stimmabgabe 1. Allgemeines 69

Bei den inhaltlichen Anforderungen an die Aufforderung zur Stimmabgabe ohne Versammlung ist zu unterscheiden zwischen den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben und solchen, die zum Verständnis des Verfahrens erforderlich sind. §§ 18 Abs. 3, 12 Abs. 1 SchVG nennen die wesentlichen gesetzlich erforderlichen inhaltlichen Angaben. Weitere benennen die §§ 9 und 14 SchVG. Nähere Erläuterungen zu Gläubigerrechten sind gesetzlich nicht erforder-

50 51 52 53

Begr. RegE, BR-Drucks. 180/09, 31 f. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 5. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 5. BGH v. 10.10.1988 – II ZR 51/88, NJW-RR 1989, 376; hingegen OLG Düsseldorf v. 23.9.2015 – I-3 Wx 167/15, NZG 2015, 1321: Gleichzeitige Eventualeinladung unzulässig ohne ausdrückliche Satzungsgrundlage.

358

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 75 § 18 SchVG

lich, da es im SchVG an einer entsprechenden Regelung wie § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 AktG fehlt. Diese Angaben aber werden den Gläubigern für das Verständnis des Verfahrens, der Beschlussgegenstände und der Teilnahme an der Abstimmung nicht ausreichen. Den Anleihegläubigern sollte verständlich werden, was sie zu tun haben, um an der Abstimmung teilzunehmen und die Stimme abzugeben. Deshalb gehen die inhaltlichen Anforderungen an die Aufforderung zur Stimmabgabe über die Anforderungen der Einberufung und Tagesordnung einer Gläubigerversammlung hinaus. Dieser Unterschied hängt auch damit zusammen, dass bei einer Gläubigerversammlung der Vorsitzende im Rahmen der Versammlung weitergehende Erläuterungen und Verfahrenshinweise geben kann, zu denen der Abstimmungsleiter nach Bekanntmachung der Aufforderung im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung kaum oder nur verzögert und eingeschränkt in der Lage sein wird. Letztendlich sind die nicht zwingend vorgeschriebenen Angaben aber nicht ausufernd darzustellen, sondern zu beschränken auf Ergänzungsverlangen, Gegenanträge mit entsprechenden Formerfordernissen und mögliche Adressen sowie Hinweise auf die für die vorgesehenen Veröffentlichungen eingerichtete Internetseite des Schuldners.

70

2. Offenlegung des Auffordernden Die Initiative bei der Aufforderung zur Stimmabgabe ergreift wie bei der Einberufung einer Gläubigerversammlung in der Regel der Emittent/Schuldner. Sie kann aber auch von einem bereits bestimmten Gläubigervertreter oder einem Gläubigerquorum ausgehen.

71

Offenzulegen ist der Auffordernde zur Stimmabgabe und mithin Verantwortliche – ob dies 72 nun der Schuldner oder der von ihm beauftragte Notar, der gemeinsame Gläubigervertreter oder ein vom Gericht bestellter Dritter ist. Er hat seine Berechtigung und die Rechtsgrundlage der Funktionsausübung darzulegen, um den Gläubigern die Überprüfung der Rechtmäßigkeit zu erleichtern. 3. Offenlegung einer etwaigen Ermächtigung zur Aufforderung zur Stimmabgabe Im Falle der Aufforderung aufgrund einer Ermächtigung durch ein Gericht ist auf diese Ermächtigung gemäß §§ 19 Abs. 1, 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG in der Aufforderung hinzuweisen.

73

4. Bezeichnung der Anleihe (ISIN – WKN) In der Aufforderung zur Stimmabgabe sind zunächst Förmlichkeiten zu beachten. Dazu gehört die Bezeichnung der Anleihe, in deren Rahmen Beschlüsse zu fassen sind. Anzugeben sind die offiziellen Bezeichnungen mit ISIN- und WKN-Nummern. Ferner ist anzugeben, ob und an welchem Börsenplatz die Anleihe gehandelt wird.

74

5. Adressat der Aufforderung In der Aufforderung ist klar zu machen, an wen sich die Aufforderung richtet. Sie richtet sich an die Inhaber der betroffenen Inhaberschuldverschreibung sowie an etwaige Mitverpflichtete der Anleihe i.S.d. § 22 SchVG. Da die Aufforderung zur Stimmabgabe und die Tagesordnung öffentlich bekannt zu machen sind (§§ 12 Abs. 2, 13 Abs. 2 Satz 2 SchVG) und nach §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 2 Satz 2 SchVG zusätzliche Veröffentlichungen auf der Internetseite des Schuldners zu erfolgen haben, ggf. ergänzt durch die in den Anleihebedingungen etwa aufgenommenen weiteren Bekanntmachungs- und Veröffentlichungsformen, ist hierauf in der Aufforderung hinzuweisen.

v. Wissel/Diehn 359

75

§ 18 SchVG Rz. 76 Abstimmung ohne Versammlung 76

Die Clearstream AG in Frankfurt/Main als Verwahrstelle der verbrieften Schuldverschreibungsurkunde ist nicht Adressat, aber zu benachrichtigen, damit diese wiederum die Kreditinstitute informieren kann, die schon wegen der nach dem Wertpapierhandelsgesetz erforderlichen Benachrichtigungen der Gläubiger und der zumindest nach § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG vorzulegenden Depotnachweise eingebunden werden müssen. 6. Benennung des Abstimmungsleiters

77

Die Benennung des Abstimmungsleiters ist eine weitere Obliegenheit, insbesondere wenn der Abstimmungsleiter vom Auffordernden abweicht. Als Leiter des Abstimmungsverfahrens ist der Abstimmungsleiter im Wesentlichen für Anfragen zum Abstimmungsverfahren zuständig, trägt die Verantwortung und ist damit Adressat vielfacher Erklärungen der Gläubiger. 7. Benennung der Beschlussgegenstände und -vorschläge

78

Die Beschlussgegenstände bzw. Beschlussvorschläge müssen in der Aufforderung zur Abstimmung oder in einer anhängenden Tagesordnung enthalten sein. Zu jedem Beschlussgegenstand sind gemäß §§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 1 SchVG Beschlussvorschläge zu machen. Auch der gemeinsame Vertreter oder der vom Gericht bestellte Dritte sind daran gebunden. Jeder Gläubiger muss die Möglichkeit haben, sich über die Beschlussgegenstände und -vorschläge, über die abgestimmt werden soll, zu informieren. 8. Mitteilung über Zustimmung des Schuldners/Emittenten

79

Zur Wirksamkeit eines in der Abstimmung gefassten Beschlusses der Gläubiger bedarf es der Zustimmung des Schuldners/Emittenten. Sie kann im Vorwege oder Nachhinein erteilt werden. Sollte sie schon zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Stimmabgabe vorliegen, ist die Zustimmung in der Aufforderung aufzunehmen. 9. Rechtsgrundlage für Beschlussgegenstände, Quorum und Mehrheitserfordernisse (§§ 15 Abs. 3 Satz 1, 5 Abs. 4 SchVG) a) Rechtsgrundlage für die einzelnen Beschlussvorlagen

80

Die Rechtsgrundlagen für Entscheidungen der Anleihegläubiger über (Beschluss-)Vorschläge im Wege der Abstimmung ohne Versammlung sind in der Aufforderung zur Stimmabgabe unter Angabe der Gesetzesvorschrift – und nur dieser – anzugeben, um den Gläubigern eine Überprüfung zu erleichtern.

81

Die Rechtsgrundlagen finden sich in den §§ 18, 5 Abs. 1, 3 und 4 SchVG iVm. den Anleihebedingungen. So können die Anleihebedingungen im Rahmen der gesetzlichen Regelungen vorsehen, dass aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Gläubiger nach Maßgabe der §§ 5 ff. SchVG die Anleihebedingungen geändert werden. Sie können ferner die Bestellung eines gemeinsamen Gläubigervertreters zulassen, dessen Aufgaben und Befugnisse bestimmen, die Rechte der Gläubiger (einschließlich des Rechts zur Änderung wesentlicher Anleihebedingungen) auf einen gemeinsamen Vertreter übertragen und eine Beschränkung der Haftung des gemeinsamen Vertreters vorsehen (§ 7 Abs. 3 Satz 2 SchVG). Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SchVG hat der gemeinsame Vertreter die gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und die Befugnisse, welche ihm von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt werden.

360

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 88 § 18 SchVG

b) Quorum Ein für die zur Entscheidung anstehenden Beschlüsse gegebenes Quorum ist in die Aufforderung zur Stimmabgabe aufzunehmen.

82

Bei der Abstimmung ohne Versammlung ist eine Beschlussfähigkeit nach Maßgabe von §§ 18 Abs. 1 iVm. 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG nur gegeben, wenn mindestens die Hälfte des Gesamtnennbetrages der ausstehenden Teilschuldverschreibungen der Anleihe ordnungsgemäß an der Abstimmung teilnimmt.

83

Dass der Abstimmungsleiter, sofern er nach Ablauf des Abstimmungszeitraums feststellen sollte, dass die Beschlussfähigkeit nicht erreicht worden ist, ermächtigt ist, gemäß § 18 Abs. 4 Satz 2 SchVG eine Gläubigerversammlung zum Zweck der erneuten Beschlussfassung einzuberufen, bedarf keines besonderen Hinweises, wenngleich ein solcher unschädlich ist. Diese Versammlung gilt dann als zweite Gläubigerversammlung i.S.v. § 15 Abs. 3 Satz 3 SchVG. Sie ist unabhängig von der Anzahl der ordnungsgemäß vertretenen Teilschuldverschreibungen beschlussfähig.

84

c) Beschlussmehrheiten Die erforderlichen Beschlussmehrheiten sind für die einzelnen Gläubigerbeschlüsse unter Angabe der Gesetzesvorschrift anzugeben. Sie ergeben sich aus den §§ 18 Abs. 1, 5 Abs. 4 SchVG.

85

Grundsätzlich wird mit einfacher Mehrheit der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmrechte abgestimmt. Einer qualifizierten Mehrheit von 75 % bedürfen Beschlüsse zur Änderung von wesentlichen Bestimmungen der Anleihebedingungen. Die Anleihebedingungen können eine höhere Mehrheit vorschreiben. Für Beschlüsse, zu deren Wirksamkeit eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist, müssen jedoch in der zweiten Versammlung die Anwesenden mindestens 25 % des Gesamtnennbetrages der ausstehenden Teilschuldverschreibungen der Anleihe vertreten.

86

10. Rechtsfolgen von Gläubigerbeschlüssen Auch über die gesetzlichen Rechtsfolgen, die sich für den Fall des Zustandekommens oder Scheiterns der Beschlüsse für die Gläubiger aus den Beschlusstatbeständen ergeben, sind die Gläubiger zu informieren, da diese Grundlage für eine Stimmentscheidung sein können.

87

a) Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger Wird ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger bestellt, sind je nach Maßgabe des Beschlussvorschlags die sich aus dem Beschluss ergebenden gesetzlichen Mindestaufgaben und -befugnisse – in der gesetzlichen Formulierung unter Benennung der Gesetzesvorschrift – zu benennen, wenn der Beschlussvorschlag dies nicht schon beinhaltet, z.B.: – die Verpflichtung zur Berichterstattung an die Gläubiger gemäß § 7 Abs. 2 Satz 4 SchVG, – das Recht zur Veranlassung einer Abstimmung ohne Versammlung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 18 Abs. 1 SchVG, – das Recht zur Abstimmungsleitung gemäß § 15 Abs. 1 iVm. § 18 Abs. 1 SchVG, – Informationsrechte gegenüber dem Schuldner gemäß § 7 Abs. 5 SchVG und – darüber hinaus im Fall der Insolvenz des Schuldners das Recht zur Geltendmachung der Rechte der Anleihegläubiger unter Ausschluss von deren Befugnissen (§ 19 Abs. 3 SchVG).

v. Wissel/Diehn 361

88

§ 18 SchVG Rz. 89 Abstimmung ohne Versammlung 89

Wird der gemeinsame Vertreter zugleich zur Ausübung der Rechte, die ohne qualifizierten Mehrheitsbeschluss ausgeübt und übertragen werden können, ermächtigt, könnte der gemeinsame Vertreter alle diejenigen Maßnahmen treffen, über die die Gläubiger mit einfacher Mehrheit beschließen können (wie in § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG definiert). Dies umfasst die Befugnis, mit dem Emittenten die Änderung oder Aufhebung von Nebenbestimmungen der Anleihe zu vereinbaren.

90

Wird der gemeinsame Vertreter darüber hinaus zur Ausübung von Rechten ermächtigt, die einer qualifizierten Mehrheit bedürfen (§ 5 Abs. 3 SchVG), wäre der gemeinsame Vertreter befugt, mit Wirkung gegen die Gläubiger eine Änderung des wesentlichen Inhalts der Anleihebedingungen i.S.d. § 5 Abs. 3 SchVG mit dem Emittenten zu vereinbaren, namentlich die Verringerung der Hauptforderung der Anleihe oder deren Fälligkeit, die Verringerung oder den Ausschluss der Zinsen, die Einräumung eines Nachrangs der Forderungen in einem Insolvenzverfahren, den Austausch und die Freigabe von Sicherheiten, die Änderung der Währung der Schuldverschreibungen sowie eine Schuldnerersetzung und den Verzicht auf das Kündigungsrecht der Gläubiger oder dessen Beschränkungen. b) Änderung der Anleihebedingungen

91

Kommt ein Beschluss über die Änderung der Anleihebedingungen zustande, wird dieser erst nach dem Vorliegen der Zustimmung des Emittenten und der entsprechenden Änderung in der verbrieften Urkunde wirksam. Kommt der Beschluss nicht zustande oder stimmt der Emittent nicht zu, unterbleibt die vorgeschlagene Änderung.

92

Zur Vollziehung der Änderung ist die Sammelurkunde zu ergänzen. Der Abstimmungsleiter hat der Wertpapiersammelbank die Niederschrift zu übermitteln, die auf Ersuchen der hinterlegten Urkunde beigefügt wird. Auf die wirtschaftlichen Konsequenzen einer Änderung der Anleihebedingungen sollte nicht hingewiesen werden. Dies wäre innerhalb des Auskunftsrechts zu diskutieren. 11. Anforderungen an die Aufforderung zur Abstimmung (§ 12 Abs. 1 SchVG)

93

Zwingende inhaltliche Voraussetzungen einer Aufforderung zur Abstimmung ohne Versammlung geben insbesondere § 18 Abs. 3 SchVG und die über § 18 Abs. 1 SchVG analog anzuwendende Vorschrift des § 12 Abs. 1 SchVG vor. Hier geht es um die formalen Inhalte der Aufforderung zur Abstimmung, die in die Aufforderung zur Stimmabgabe aufzunehmen oder der Einberufung als Anhang beizufügen sind, nicht um die Inhalte der Tagesordnung. a) Angaben zum Schuldner, zu Firma und Sitz des Schuldners

94

Selbstverständlich ist die Firma des Emittenten/Schuldners anzugeben, und zwar i.S.d. § 17 Abs. 1 HGB nebst Rechtsformzusatz. Als Sitz ist bei Kapitalgesellschaften der Satzungssitz zu nennen (§§ 5 AktG, 4a GmbHG, 6 Nr. 1 GenG). Zu Firma und Sitz gehören die Handelsregisterangaben. Die Angaben dienen der Identifikation des Emittenten und sollen die Kommunikation und Rechtsverfolgung erleichtern. b) Angaben zum Ort

95

Da die Abstimmung ohne Versammlung nicht in einer physischen Versammlung stattfindet, tritt an die Stelle des Versammlungsortes bei einem Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung der Übermittlungsweg. In der Aufforderung anzugeben sind Angaben zu Empfänger, zu Post- und E-Mail-Adressen, Fax- und Telefonnummern, die für die Abstimmung und die Ausübung von Gläubigerrechten erforderlich sind. 362

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 102 § 18 SchVG

c) Auszählung der Stimmen Nach § 18 Abs. 3 Satz 5 SchVG ist in der Aufforderung zur Stimmabgabe im Einzelnen an- 96 zugeben, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Stimmen gezählt werden. Insofern überlagert § 18 Abs. 3 Satz 5 SchVG den § 12 Abs. 1 Halbs. 2 SchVG, wonach die Bedingungen anzugeben sind, von denen die Teilnahme an der Versammlung (Abstimmung) und die Ausübung des Stimmrechts abhängen. Dabei handelt es sich um die gesetzlichen und in den Anleihebedingungen festgeschriebenen oder optional zugelassenen Vorgaben, wie z.B. Pflichten zur Anmeldung und Legitimation. aa) Anmeldeobliegenheit (§ 10 Abs. 2 SchVG) § 18 Abs. 3 Satz 5 SchVG iVm. § 10 Abs. 2 SchVG fordert, eine etwaige Anmeldepflicht und die Voraussetzungen hierzu in den Text der Aufforderung zur Stimmabgabe aufzunehmen. § 18 Abs. 3 Satz 5 SchVG statuiert kein gesetzlich geregeltes Anmeldeverfahren, lässt aber ein solches über § 18 Abs. 1 SchVG entsprechend § 10 Abs. 2 SchVG zu. Nach dieser analog anzuwendenden Bestimmung können die Anleihebedingungen eine Anmeldeobliegenheit für die teilnehmenden Gläubiger an einer Abstimmung vorsehen.

97

bb) Legitimationsanforderungen (§ 10 Abs. 2 SchVG) Unerlässlich ist die Angabe der zur Legitimation der Stimmrechtsausübung erforderlichen 98 Voraussetzungen. Hierzu verweist § 18 Abs. 1 SchVG auf § 10 Abs. 2 und 3 SchVG. Der teilnahmeberechtigte und teilnahmewillige Gläubiger hat sich nach der Aufforderung zur Stimmenabgabe, spätestens bis zum Ende des Abstimmungszeitraums gegenüber dem Abstimmungsleiter zu legitimieren. Nach § 10 Abs. 3 Satz 1 SchVG können die Anleihebedingungen vorsehen, wie die Berechtigung zur Teilnahme an einer Versammlung nachzuweisen ist. § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG beinhaltet eine gesetzliche Auffangregel, die einen in Textform erstellten besonderen Nachweis des depotführenden Instituts ausreichen lässt, wenn die Anleihebedingungen keine Regelungen treffen. In der Regel werden die Anleihebedingungen zusätzlich zur Depotbescheinigung des depotführenden Instituts einen Sperrvermerk für den Abstimmungszeitraum verlangen.

99

cc) Angaben zum Abstimmungsverfahren (§ 18 Abs. 3 SchVG) Zu den Voraussetzungen, von denen die Auszählung der Stimmen abhängt, gehören auch Angaben zum Abstimmungsverfahren, die zwingend notwendig sind.

100

(1) Stimmrecht In der Aufforderung zur Stimmabgabe ist das Stimmrecht anzugeben, das auf eine Schuldverschreibung entfällt (§ 6 SchVG). Das Stimmrecht ist Ausfluss des Gläubigerrechts. Nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz des § 4 SchVG gewähren Teilschuldverschreibungen gleichen Nennwerts gleiche Rechte. Die Stimmrechte werden nicht für jeden Beschlussgegenstand, sondern für jeden Beschlussantrag gewährt.54

101

Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG ruht das Stimmrecht, solange die Anteile dem Schuldner oder einem mit ihm im handelsrechtlichen Sinn verbundenen Unternehmen zustehen. Stimmkauf ist nach § 6 Abs. 2 SchVG verboten.

102

54 Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (357).

v. Wissel/Diehn 363

§ 18 SchVG Rz. 103 Abstimmung ohne Versammlung (2) Stimmabgabe 103

§ 18 Abs. 3 SchVG spricht in den Sätzen 1 und 3 von Stimmabgabe. Jede Stimmabgabe benötigt auch bei einer Abstimmung ohne Versammlung einen Empfänger, der in der Aufforderung zu benennen ist und dessen Zugangsdaten nebst technischer Empfangsgeräte, Postoder E-Mail-Anschriften aufzunehmen sind.

104

Da die Stimmabgabe im Rahmen einer Abstimmung eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung und Teil einer körperschaftlichen Willensbildung55, d.h. eines Gesamtaktes56 ist, wird sie erst wirksam mit Zugang beim Empfänger.57 Empfänger der Stimmerklärung kann niemand anders sein als der Abstimmungsleiter, der nach § 18 Abs. 2 Satz 1 SchVG für die Durchführung des Verfahrens und die Auszählung aller Stimmen zuständig ist.58 Wird in der Aufforderung zur Stimmabgabe ein anderer Adressat angegeben, wird dieser als Bote gelten. Das Risiko des Zugangs trägt der Gläubiger.59 Es genügt jedoch, dass die Stimmabgabe in den Machtbereich des Abstimmungsleiters gelangt und dieser normalerweise Kenntnis erlangen kann.60 Der Abstimmungsleiter hat dabei für die freie Zugangsmöglichkeit und ordnungsgemäße Funktion der technischen Geräte und die Sicherstellung der Authentizität zu sorgen. Gezählt werden nur die abgegebenen Stimmen. (3) Zeitraum der Abstimmung (§ 18 Abs. 3 Satz 1 und 3 SchVG)

105

Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SchVG ist in der Aufforderung zur Stimmabgabe zwingend der Abstimmungszeitraum anzugeben. § 18 Abs. 3 Satz 2 schreibt vor, wann die Gläubiger einer Schuldverschreibungsanleihe ihre Stimmen im Verfahren einer Abstimmung ohne Versammlung abgeben können. Der Zeitraum, innerhalb dessen abgestimmt werden muss, beträgt nach § 18 Abs. 3 Satz 2 SchVG mindestens 72 Stunden. Ein geringerer Zeitraum ist nicht statthaft. Der Zeitraum sollte so gelegt werden, dass der Zugang der Stimmen innerhalb des Zeitraums unter Einhaltung einer etwaigen Postzustellungsfrist ungehindert möglich ist und erwartet werden kann.61 Zu berücksichtigen ist auch die Streuung der Investoren, die erwartete Übermittlungsdauer62 und der Umstand, dass viele Anleger i.d.R. aus dem Ausland teilnehmen. Zwingend ist aber weder das eine noch das andere. Ob auch gesetzliche Feiertage in die Frist fallen dürfen, ist nicht geregelt, wohl aber zumutbar. Ebenso ist zumutbar, ein Wochenende einzubeziehen, selbst wenn erkennbar keine Post ausgeliefert wird.63

106

Die Stimmabgabe muss – so der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 18 Abs. 3 Satz 3 SchVG – während des Abstimmungszeitraums erfolgen und zugehen, da die Stimmerklärung zur Wirksamkeit auch deren Zugang verlangt.64 Eine vor diesem Zeitpunkt abgegebene Stimme sowie eine verspätete Stimmabgabe ist unwirksam. 55 Z.B. Ellenberger in Palandt, § 32 BGB Rz. 8; Vollhard in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 19. 56 Ellenberger in Palandt, Überbl. v. § 104 BGB Rz. 12. 57 Flume, Allg. Teil des BGB, § 7 VII1; Einsele in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 130 BGB Rz. 16; Singer/Benedict in Staudinger, 14. Aufl. 2012, § 130 BGB Rz. 8. 58 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 23. 59 Einsele in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 130 AktG Rz. 11, 16; Singer/Benedict in Staudinger, 14. Aufl. 2012, § 130 BGB Rz. 8. 60 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 25. 61 So allerdings zwingend: Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 26; Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 26. 62 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24. 63 A.A. Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 21; so wohl auch Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 26. 64 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24.

364

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 112 § 18 SchVG

(4) Form der Abstimmung (§ 18 Abs. 3 Sätze 3 und 4 SchVG) Die Form der Stimmabgabe ist in der Aufforderung zu erläutern. Sie hat nach § 18 Abs. 3 Satz 3 SchVG in Textform zu erfolgen. Diese richtet sich nach § 126b BGB. Die Stimmabgabe muss folglich „in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise“, die der Empfänger ausdrucken oder speichern kann, erfolgen. Sie muss die Erklärung erkennen lassen und den Erklärenden ausweisen. Einer Unterschrift bedarf es nicht, aber das Ende der Urkunde muss erkennbar sein.65 Höhere Anforderungen sind ausgeschlossen.

107

Für die Integrität und Authentizität der Stimmen hat der Abstimmungsleiter zu sorgen.66 Dies bezieht sich auch auf die Kommunikationswege, die der Abstimmungsleiter zur Verfügung stellt und die – soweit mit zumutbarem technischen und organisatorischen Aufwand möglich – vor unberechtigtem Zugriff Dritter geschützt werden müssen.67 Die Abgabe der Stimme und deren rechtzeitiger Zugang müssen dem Gläubiger zugeordnet werden können.68 Das Risiko trägt der Gläubiger.

108

Ein Stimmabgabeformular sollte auf der Internetseite des Schuldners eingestellt werden. 109 Das birgt allerdings das Risiko, bei Ergänzungsverlangen und Gegenanträgen nicht aktuell zu sein. Es müsste daher bis zum Beginn der Abstimmung unter Hinweis auf weitere mögliche Änderungen ständig erneuert werden. Die Anleihebedingungen können neben der Textform auch andere Formen der Stimmabgabe zulassen, d.h. allerdings nur weitere, nicht andere Formen der Stimmabgabe, da die Textform nicht ersetzt werden kann.69 Soweit diese für die wirksame Auszählung der Stimmen erfüllt sein müssen, sind sie in der Aufforderung zur Stimmabgabe aufzuführen.

110

12. Vertretungsmöglichkeit der Gläubiger (§ 14 SchVG) a) Vertretung Die Aufforderung zur Stimmabgabe muss einen Hinweis auf die Möglichkeiten einer Vertretung der Gläubiger im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung beinhalten,70 wenn eine solche zugelassen ist. Ein Stimmrecht kann vom Prinzip immer nur persönlich ausgeübt werden, so dass eine Vertretung ausgeschlossen ist, soweit das Gesetz oder die Anleihebedingungen eine solche nicht zulassen.

111

Zur Zulässigkeit der Vertretung trifft § 18 SchVG keine Aussage. Daher ist nach § 18 Abs. 1 SchVG auf § 14 SchVG zurückzugreifen. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SchVG kann sich jeder Gläubiger durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. Die Möglichkeit einer Vertretung ist bei einer Abstimmung ohne Versammlung, z.B. im Fall der Abwesenheit oder Inhabilität, ebenso wichtig wie bei einer physischen Versammlung und wegen der zeitlich und technisch nur eingeschränkt möglichen Abstimmung geboten. Die Vertretungsmacht kann nach § 14 Abs. 2 SchVG mit einer Weisung verbunden sein. Vollmacht und Weisungen bedürfen der Textform wie die Stimmabgabe selbst und sind wie die Stimmen spätestens bis zum Ende des Abstimmungszeitraums zu übermitteln.

112

65 66 67 68 69 70

Z.B. Ellenberger in Palandt, § 126a BGB Rz. 7 f. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 29. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 27. Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 88 Rz. 80. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (28); Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 22. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 14 SchVG Rz. 8; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 10.

v. Wissel/Diehn 365

§ 18 SchVG Rz. 113 Abstimmung ohne Versammlung 113

Einen Stimmrechtsvertreter des Emittenten oder Abstimmungsleiters analog der Praxis bei einer Hauptversammlung im Aktienrecht wird es bei einer Abstimmung ohne Versammlung nicht geben können. Allerdings wird nicht ausgeschlossen sein, dass der Abstimmungsleiter eine Person benennt, die eine Vollmacht zur Abstimmung während des Abstimmungszeitraums entgegennimmt.71 Wie jeder Dritte kann auch der Abstimmungsleiter und/oder Schuldner bevollmächtigt werden.

114

Ein Depotstimmrecht ist im Schuldverschreibungsgesetz nicht vorgesehen und kann nach allgemeiner Meinung auch nicht analog den aktienrechtlichen Vorschriften angewandt werden. Kreditinstitute können aber wie jeder Dritte bevollmächtigt werden.

115

Der Auffordernde sollte Formulare für die Erteilung einer Vollmacht auf seiner Internetseite bereithalten, wenn er diese nicht schon nach § 30a Abs. 1 Nr. 6 WpHG mit der Aufforderung oder auf Verlangen übersandt hat. b) Voraussetzung einer wirksamen Vertretung

116

Nach § 14 Abs. 1 Satz 3 SchVG ist ebenfalls in der Aufforderung zur Stimmabgabe anzugeben, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten. Hierunter sind solche Voraussetzungen zu verstehen, die über die Voraussetzung zur Teilnahme und Stimmberechtigung des Gläubigers hinaus die Identität des Vertreters des Gläubigers und seine ordentliche Bevollmächtigung sicherstellen, um Unberechtigte vom Verfahren auszuschließen.72 13. Hinweise zu Ergänzungsverlangen und Gegenanträgen i.S.d. § 13 Abs. 3 und 4 SchVG a) Ergänzungsverlangen

117

Ergänzungsanträge zur Tagesordnung zu stellen ist ein Gläubigergrundrecht. Auf dieses Recht sowie die Form und Frist der Ausübung ist in der Aufforderung zur Stimmabgabe unter Angabe der gesetzlichen Bestimmung hinzuweisen.

118

Zu Ergänzungsanträgen zur Tagesordnung schweigt zwar § 18 SchVG für das Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung, doch auch hier gilt grundsätzlich der Verweis auf die entsprechende Vorschrift des § 13 SchVG zu einer Gläubigerversammlung.

119

Nach §§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG kann ein Gläubiger-Quorum von 5 % des ausstehenden Anleihevolumens verlangen, dass neue Gegenstände zur Beschlussfassung bekannt gemacht werden.73

120

Dem Verlangen ist ein Nachweis über die Erreichung des Quorums beizufügen, auch wenn das Gesetz dies nicht ausdrücklich aussagt. Zu diesem Zweck reicht analog § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG der besondere Nachweis des depotführenden Instituts ohne Sperrvermerk.74 Hierauf ist ebenfalls in der Aufforderung zur Stimmabgabe hinzuweisen.

121

Obwohl der Gesetzestext nur von neuen Beschlussgegenständen spricht und nicht auch von Beschlussvorschlägen, sollte die Vorlage von Beschlussvorschlägen bei neuen, im Wege eines 71 Vgl. z.B. §§ 38 und 40 BGB, § 134 Abs. 3 AktG. 72 Begr. RegE, BR-Drucks. 180/09, 34. 73 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 13 f.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 9; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 18 SchVG Rz. 8. 74 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 9 SchVG Rz. 28; Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 9 SchVG Rz. 13.

366

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 127 § 18 SchVG

Ergänzungsverlangens eingebrachten Beschlussgegenständen vorausgesetzt sein, denn wie soll ein Gläubiger bei einer nicht physischen Versammlung ohne Beschlussvorschläge abstimmen können. Das Verlangen muss bei der Gläubigerversammlung gegenüber dem Einberufenden ausgesprochen werden. Wenn bei der Abstimmung ohne Versammlung der Schuldner zwar zur Abstimmung aufgefordert hat, aber die Versammlung nicht leitet, könnte und sollte Adressat dieses Verlangens der Abstimmungsleiter sein, denn er trägt die Verantwortung für das Verfahren.

122

Für die Übermittlung des Ergänzungsverlangens ist keine besondere Form vorgeschrieben – sicher ein Gesetzesversehen; zu fordern ist entsprechend den Grundsätzen zu § 126 AktG – wenn nicht Schriftform – so doch zumindest Textform.75 Da es spätestens am dritten Tag vor Beginn des Abstimmungszeitraums bekannt gemacht werden muss (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG), muss ein Ergänzungsverlangen so rechtzeitig eingehen, dass diese Frist eingehalten werden kann.

123

Der Schuldner bzw. Auffordernde muss dem Ergänzungsverlangen nachkommen, es sei denn, das Ergänzungsverlangen ist offensichtlich rechtswidrig oder ohne Bezug zu der Bekanntmachung und den Beschlussgegenständen.

124

b) Gegenanträge Wie für das Ergänzungsverlangen sind die Gläubiger auch auf Ihr Recht, Gegenanträge zu Beschlussvorschlägen zu stellen, aufmerksam zu machen.

125

Mangels einer Regelung in § 18 SchVG gilt über § 18 Abs. 1 SchVG der § 13 Abs. 4 SchVG, der die Zulässigkeit von Gegenanträgen voraussetzt. Auch im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung sind Gegenanträge durchführbar und daher zulässig.76

126

In einer Gläubigerversammlung wären Gegenanträge nach § 13 Abs. 4 SchVG vor der Versammlung anzukündigen, müssten dann aber als Beschlussantrag in der Versammlung selbst gestellt werden. Entsprechend können Gläubiger auch bei der Abstimmung ohne Versammlung Gegenanträge vor dem Abstimmungszeitraum ankündigen. Vor Beginn des Abstimmungszeitraums ist aber auch der Antrag zu stellen, denn während einer Abstimmung Anträge zu stellen, ist in jedem Verfahren undenkbar. Deshalb macht eine bloße Ankündigung für den Antragsteller zwar keinen Sinn, für die Gläubiger könnte die Ankündigung, wenn sie bereits einen konkreten Beschlussinhalt hat, aber als Entscheidungshilfe von Interesse sein. Für die in § 13 Abs. 4 SchVG vorgeschriebene Veröffentlichungspflicht besteht entgegen anderer Literaturmeinung77 deshalb durchaus ein schutzwürdiges Interesse.78 Eine bloße Ankündigung ohne Antragstellung und ohne konkreten Inhalt ginge bei der Abstimmung ohne Versammlung allerdings ins Leere, wäre für den Abstimmungsleiter unbeachtlich und nicht zu veröffentlichen.

127

75 Liebscher in Henssler/Strohn, § 126 AktG Rz. 4; Wasmann/Steber in Veranneman, § 13 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 9, 18; Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 7. 76 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 13b; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 9; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 18 SchVG Rz. 8. 77 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 13b; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 18 SchVG Rz. 8; Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (355). 78 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 9.

v. Wissel/Diehn 367

§ 18 SchVG Rz. 128 Abstimmung ohne Versammlung 128

Gegenanträge haben den Anforderungen eines Beschlussantrags zu entsprechen, damit die Gläubiger ohne weitere Konkretisierung entscheiden können79. Eine Begründung ist nicht zwingend erforderlich, aber geboten, kann aber wegen des Verbots der Gläubigerbenachteiligung in § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG nicht erzwungen werden80, wenn die Anleihebedingungen dies nicht vorsehen.

129

Sie sind an den Abstimmungsleiter zu richten (der Schuldner hätte sie weiterzuleiten) und unterliegen mangels gesetzlicher Anordnung keiner besonderen Formpflicht, wohl ebenfalls ein Gesetzesfehler. Zumindest Textform ist für die Übermittlung zu fordern.81 Die Gläubiger haben ihre Gläubigerstellung analog § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG nachzuweisen, worauf sie aufmerksam gemacht werden müssen.

130

Ungeregelt ist der Zeitpunkt, bis zu dem ein Gegenantrag einzubringen ist. Hier bietet sich eine Analogie zu den Ergänzungsanträgen an, also bis spätestens am fünften Tag (zwei Tage vor dem Bekanntmachungstermin) vor Beginn des Abstimmungszeitraums. Wegen der ungeklärten Analogiezulässigkeit müssen Gegenanträge jedoch so zeitig eingehen, dass sie noch rechtzeitig veröffentlicht werden können.

131

Der Verwaltung wird man eine eigene Stellungnahme zu den Gegenanträgen und deren Veröffentlichung in Analogie zu § 126 Abs. 1 AktG zugestehen müssen.82 14. Benennung der Internetseite des Emittenten

132

Die Aufforderung zur Stimmabgabe hat die Internetseite des Schuldners bzw. die in den Anleihebedingungen benannte Seite zu benennen, auf der der Schuldner sowie der jeweils einberufende Gläubigervertreter auf die öffentliche Bekanntmachung und die gesetzlich vorgeschriebenen Veröffentlichungen hinweist. Sie dient dem Schuldner, Auffordernden und bei Personenverschiedenheit dem Abstimmungsleiter dazu, den Gläubigern Unterlagen zur Verfügung stellen und Informationen zu geben, die diese zu einer umfassenden Unterrichtung über die Beschlussvorschläge und das Verfahren benötigen. Dazu gehören z.B.: – Anleihebedingungen der Schuldverschreibung, – Aufforderung zur Stimmabgabe, – Bedingungen, von denen die Teilnahme und die Ausübung des Stimmrechtes abhängen (§ 12 Abs. 3 SchVG), – Formular für die Stimmabgabe in der jeweils aktuellen Form, – Musterformular für einen besonderen Nachweis nebst Sperrvermerk als Legitimationsnachweis, – Vollmachtsformular zur Erteilung von Vollmachten an Dritte, – Fragen- und Antwortkatalog erwarteter Fragen, – individuelle Fragen und Antworten zu Beschlussgegenständen und zur Abstimmung, soweit zur Veröffentlichung rechtzeitig eingegangen, – sonstige Verfahrensinformationen und -hinweise.

133

Die Sprache für diese Veröffentlichungen ist die der Anleihebedingungen.83

79 Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 126 AktG Rz. 5. 80 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 17. 81 Schindele in Preuße, § 13 SchVG Rz. 8; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 17. 82 So auch Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (355). 83 Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (360).

368

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 140 § 18 SchVG

Über diese Interseite könnten auch Informations- und Diskussionsforen eingerichtet werden, um sich mit allen Gläubigern auszutauschen, Fragen einzelner Gläubiger so umfassend wie möglich zu beantworten und diese mit den Antworten wiederum anderen Gläubigern zur Kenntnis zu bringen. Die Fragen und Informationen sind nicht nur für das Meinungsbild der um Auskunft bittenden Aktionäre wichtig, sondern die Meinungsvielfalt dient der kollektiven Willensbildung aller Beteiligten.84

134

15. Englische Fassung Angesichts des internationalen Handels von Schuldverschreibungen ist es angebracht, die Aufforderung zur Stimmabgabe sowie die Anleihebedingungen und alle zur Teilnahme und zur Abstimmung erforderlichen Informationen nebst dazu gehörigen Unterlagen und Erklärungen auch in englischer Sprache vorzulegen und in gleicher Weise wie die deutschsprachigen Unterlagen bekanntzumachen.

135

16. Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 1 und 2 SchVG) Soweit nicht die Aufforderung zur Stimmabgabe unmittelbar die Beschlussgegenstände und -vorschläge beinhaltet, müssen diese in einer der Aufforderung zur Stimmabgabe beigefügten Tagesordnung vorgelegt werden. Wegen dieser Selbstverständlichkeit braucht § 18 SchVG hierzu auch keine Regelung zu treffen. Es gilt der Verweis auf § 13 SchVG.

136

Nach §§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 1 SchVG muss der Einberufende in der Tagesordnung Vorschläge 137 zu jedem Beschlussgegenstand machen, und zwar so konkret, dass mit ja oder nein darüber entschieden werden kann. Dabei hat die Tagesordnung sich im Rahmen der gesetzlich zulässigen Beschlussgegenstände zu bewegen; es muss also um die Änderung der Anleihebedingungen oder die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger gemäß § 5 Abs. 1 SchVG gehen. Eine Begründungs- oder Berichtspflicht zu den Beschlussgegenständen und -vorschlägen sieht § 13 SchVG für die Tagesordnung nicht vor, sie gehört aber zu den Informationspflichten des Einberufenden, der dieser Pflicht in der Aufforderung zur Abstimmung ohne Versammlung oder der Tagesordnung nachkommen sollte.

138

Die Tagesordnung ist entsprechend § 13 Abs. 1 SchVG in gleicher Weise wie die Aufforderung zur Stimmabgabe vom Einberufenden, also dem Emittenten/Schuldner, gemeinsamen Vertreter der Gläubiger oder dem zur Einberufung ermächtigten Gläubigern zu erstellen.

139

VII. Bekanntmachung und Publikation der Aufforderung zur Stimmenabgabe und Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2, 3 SchVG) 1. Bekanntmachung der Aufforderung a) Öffentliche Bekanntmachung (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG) Zur Bekanntmachung der Aufforderung zur Stimmenabgabe macht § 18 SchVG keine eigene Aussage. Folglich gilt über § 18 Abs. 1 SchVG die Vorschrift des § 12 Abs. 2 SchVG. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG ist die Aufforderung zur Stimmenabgabe unverzüglich (entsprechend § 30b Abs. 2 Nr. 1 WpHG) einmal im Bundesanzeiger bekannt zu machen. Eine per-

84 Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 28.

v. Wissel/Diehn 369

140

§ 18 SchVG Rz. 141 Abstimmung ohne Versammlung sönliche Zustellung reicht nicht aus, auch nicht über die Verwahrkette der Depotbanken.85 Eine elektronische Einladung hat der Gesetzgeber nicht gewollt. 141

„Unverzüglich“ hat dabei aber keine eigene Bedeutung, denn die Aufforderung zur Stimmabgabe wird erst wirksam mit der Bekanntmachung.86 Die Absicht zur Aufforderung kann bis dahin jederzeit aufgegeben werden. In der Literatur wird dennoch vereinzelt vertreten, der Einberufende sei verpflichtet, ohne schuldhaftes Verzögern den Entschluss zur Einberufung umzusetzen.87

142

Die Bekanntmachung dient der Vorbereitung und Information, um den Gläubigern die Stimmabgabe zu erleichtern.88 b) Zusätzliche Bekanntmachungsformen in den Anleihebedingungen (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG)

143

Nach §§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG können zusätzlich weitere Formen der Bekanntmachung der Aufforderung in den Anleihebedingungen vorgesehen werden, die wie die Veröffentlichung im Bundesanzeiger zwingend eingehalten werden müssen, um eine bessere Verbreitung der Aufforderung zu erreichen. c) Inhalt der Bekanntmachung (§ 12 Abs. 1 SchVG)

144

Nach §§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 1 SchVG sind die in § 12 Abs. 1 SchVG genannten Bekanntmachungsgegenstände öffentlich bekannt zu machen; das sind Angaben zur Firma, zum Sitz des Schuldners und zu den Bedingungen und Voraussetzungen, von denen die Teilnahme an der Stimmabgabe und die Ausübung des Stimmrechts abhängen (§§ 18 Abs. 1, 10 Abs. 3 Satz 1, 12 Abs. 1 SchVG). Bekanntgemacht werden müssen alle Voraussetzungen, „welche erfüllt sein müssen, damit die Stimmen gezählt werden“ (§ 18 Abs. 3 Satz 4 SchVG), wie etwa geforderte Identitäts- und Legitimationsnachweise und ein Hinweis auf eine etwaige Notwendigkeit einer vorherigen Anmeldung zum Abstimmungsverfahren. Dazu gehören aber auch der Hinweis auf eine mögliche Vertretung (§§ 18 Abs. 1, 14 Abs. 1 Satz 2 SchVG) und die Voraussetzungen einer wirksamen Vertretung (Satz 3).

145

Anzuraten ist letztendlich – schon aus Beweisgründen – den gesamten Inhalt der Aufforderung zur Abstimmung ohne Versammlung bekannt zu machen, auch freiwillige, nicht gesetzlich vorgeschriebene Informationen und Hinweise auf Rechtsgrundlagen und Rechtsfolgen, soweit sie nicht ausschließlich der weiteren Erläuterung dienen und auf der Internetseite des Schuldners veröffentlicht werden. d) Publikationspflicht im Internet (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 3 SchVG)

146

§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 3 SchVG schreiben zusätzlich zur Bekanntmachung vor, dass die Einberufung (also letztlich die Bekanntmachung selbst) und die genauen Bedingungen, von denen die Teilnahme und die Ausübung des Stimmrechts abhängen, vom Tage der Einberufung an bis zum Tag der Versammlung bzw. bis zum Beginn des Abstimmungszeitraums auf der Internetseite des Schuldners oder hilfsweise auf der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite den Gläubigern zugänglich gemacht werden. Das betrifft alle für die Teilnahme und Wahrnehmung der Rechte wichtigen Unterlagen, insbesondere das Stimm85 Begr. RegE, BR-Drucks. 180/09, 32; Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 9; Horn, ZHR, 173 (2009), 12 (57). 86 Wasmann/Steber in Veranneman, § 12 SchVG Rz. 4. 87 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 11. 88 Begr. RegE, BR-Drucks. 180/09, 33.

370

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 153 § 18 SchVG

recht und die Anmelde- und Legitimationserfordernisse. Die Pflicht ist eine Dauerpflicht bis zum Beginn der Abstimmung.89 e) Verstoßfolgen Die Rechtsfolge einer nicht nach den gesetzlichen Vorgaben oder den Anleihebedingungen erfolgten Bekanntmachung ist die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der etwa gefassten Beschlüsse.90 Aus § 13 Abs. 2 SchVG folgt, dass über nicht nach den gesetzlichen Vorgaben oder Bestimmungen der Anleihebedingungen oder nicht rechtzeitig bekannt gegebene Beschlussvorschläge keine Beschlüsse gefasst werden können (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 2 Satz 3 SchVG). Diese Rechtsfolge gilt nur für Mängel der Bekanntmachung, nicht für die Einhaltung der Verpflichtung zur sonstigen Zugänglichmachung.

147

2. Bekanntmachung der Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 2 Satz 1 und 2, 13 Abs. 3 SchVG) Soweit nicht die Beschlussgegenstände und -vorschläge in der Aufforderung zur Stimmabgabe enthalten sind, ist die Tagesordnung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SchVG entsprechend § 12 Abs. 2 SchVG im Bundesanzeiger und in ansonsten für die Einberufung vorgeschriebener Weise bekannt zu machen.

148

Da die Tagesordnung als Anhang zur Einberufung/Aufforderung zur Abstimmung ohne 149 Versammlung gesehen wird, unterliegt die Tagesordnung nach § 13 Abs. 2 SchVG entsprechend § 12 Abs. 3 SchVG auch der Publikationspflicht auf der den Gläubigern bekanntgegebenen Internetseite. Entsprechend den Regeln zur Bekanntmachung der Aufforderung zur Stimmabgabe tritt bei Verstoß gegen die Bekanntmachungsvorschriften die Rechtsfolge der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit entsprechend gefasster Beschlüsse ein, nicht aber bei Verletzung der Publikationspflicht.

150

3. Bekanntmachung eines Ergänzungsverlangens zur Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG) § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG ordnet an, dass die mit dem Ergänzungsverlangen eingereichten Beschlussgegenstände spätestens am dritten Tag vor der Gläubigerversammlung bekannt gemacht sein müssen. Analog bedeutet dies bei einer Abstimmung ohne Versammlung, dass die Bekanntmachung am dritten Tag vor dem ersten Tag des Abstimmungszeitraums erfolgt sein muss.

151

Für den Fall, dass der Schuldner bzw. Einberufende die Bekanntmachung der Ergänzungsanträge unterlässt, kann darüber nicht abgestimmt werden. In diesem Fall richten sich die Rechte der Gläubiger nach den §§ 13 Abs. 3 Satz 1 iVm. 9 Abs. 2–4 SchVG. Nach einer Literaturmeinung ermächtigt das Gesetz die Gläubiger analog § 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG stattdessen unmittelbar zur Bekanntmachung91; nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 SchVG haben sich die Gläubiger aber zu einer neuen Aufforderung zur Stimmabgabe mit den Beschlussvorschlägen des Ergänzungsverlangens ermächtigen zu lassen.

152

Wird die qualifizierte Minderheit zur Bekanntmachung ermächtigt, ist gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 SchVG iVm. § 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG auf diese Ermächtigung bei der Bekannt-

153

89 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 13. 90 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 12 SchVG Rz. 12; Bliesener/Schneider in Langenbucher/ Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 16. 91 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 13 SchVG Rz. 13.

v. Wissel/Diehn 371

§ 18 SchVG Rz. 154 Abstimmung ohne Versammlung machung hinzuweisen. Geschieht dies nicht, darf über die Vorschläge nicht abgestimmt werden. 4. Veröffentlichung der Gegenanträge zu Beschlussvorschlägen der Tagesordnung (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 4 SchVG) 154

Da § 13 Abs. 3 Satz 2 SchVG nicht gilt, kommt eine Bekanntmachung gestellter Gegenanträge nicht in Frage. Die Anträge sind aber im Internet unter der Adresse des Schuldners oder auf der in den Anleihebedingungen festgelegten Seite spätestens zum Abstimmungszeitraum zu veröffentlichen (§§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 4 SchVG). Fraglich ist die Rechtsfolge einer unterlassenen Veröffentlichung. In diesem Fall wird über die Gegenanträge nicht abgestimmt werden dürfen. Die Gläubiger sind auf das Verfahren nach §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 2 SchVG verwiesen und müssen sich selbst zur erneuten Aufforderung zur Stimmabgabe ermächtigen lassen. 5. Bekanntmachungskosten (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 3 SchVG)

155

Die Kosten der Bekanntmachung der in § 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 SchVG beschriebenen Angaben der Aufforderung zur Stimmabgabe hat nach §§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 3 SchVG der Schuldner zu tragen. Entsprechend sind auch die im Falle der Einberufung durch den gemeinsamen Gläubigervertreter oder den vom Gericht bestellten Dritten anfallenden Bekanntmachungskosten vom Schuldner zu erstatten. Dazu zählen aber nur die Kosten für die notwendigen Bekanntmachungsgegenstände i.S.d. § 12 SchVG.

VIII. Durchführung des Verfahrens vor Abstimmung 1. Verfahrensleitung 156

§ 18 Abs. 2 Satz 1 SchVG ist wie § 15 Abs. 1 SchVG eine Zuständigkeitsnorm. Dem Abstimmungsleiter obliegt die Verfahrenshoheit wie dem Vorsitzenden in der Gläubigerversammlung. Soweit die Anleihebedingungen keine Vorgaben machen und das Gesetz dazu keine Regelung trifft, legt er die Verfahrensregeln von der Bekanntmachung bis zur Abstimmung fest und bereitet das Beschluss- und Abstimmungsverfahren vor.

157

Das Gesetz macht in § 18 Abs. 4 SchVG nur Aussagen zur Erstellung eines Verzeichnisses, zur Einberufung einer zweiten Folgeversammlung, zur Anfertigung und Unterzeichnung einer Niederschrift und Erteilung einer Abschrift. Ein Verweis auf § 15 Abs. 1 SchVG hilft nur insoweit, als dass die bei der physischen Versammlung entwickelten Grundsätze entsprechend anzuwenden sind, soweit sie nicht dem Verfahren ohne Versammlung widersprechen. Dort hat der Vorsitzende u.a. die Zugangsrechte der Gläubiger zu prüfen, eine Aussprache zu gewährleisten, die Beschlussvorschläge unter Beachtung von Gegenanträgen zu prüfen und zur Abstimmung vorzulegen. Dies kann im Wesentlichen auf die Abstimmung ohne Versammlung entsprechend übertragen werden. 2. Mitbestimmungsrecht des Schuldners im Verfahren/Mitwirkungspflicht

158

Dem Schuldner wird kein Mitbestimmungs- oder Mitwirkungsrecht eingeräumt; er hat aber eine Mitwirkungspflicht. Diese ist sicherlich unterschiedlichen Umfangs – je nachdem, wer die Abstimmung leitet, ob es ein beauftragter Notar, der gemeinsame Vertreter der Gläubiger oder ein vom Gericht bestellter Dritter ist. Insbesondere kann er sich Auskunfts- und Informationspflichten nicht verschließen.

372

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 165 § 18 SchVG

3. Hilfestellung des Abstimmungsleiters bei etwaigen Formfehlern, fehlenden Unterlagen und Unstimmigkeiten Der Abstimmungsleiter hat die Verpflichtung, das Verfahren durchzuführen und fördernd zu begleiten. Er hat sämtliche Informationen zu geben, die die Gläubiger für das Abstimmungsverfahren benötigen.

159

Streitig ist, ob der Abstimmungsleiter die Verpflichtung hat, während des Verfahrens festgestellte Formfehler und offensichtliche Unrichtigkeiten richtigzustellen, fehlende Unterlagen anzumahnen und gegebenenfalls die Gläubiger zu benachrichtigen und Hinweise zu geben, um ihn bei der Erfüllung der Voraussetzungen, die zur Stimmzählung erforderlich sind, zu unterstützen, oder ob er damit seine Neutralität und den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 4 Satz 2 SchVG verletzt.92

160

Wie häufig ist ein Mittelweg der richtige Weg. Der Abstimmungsleiter – zumindest der No- 161 tar als solcher – handelt nicht kraft seines Amtes, aber auch nicht als Parteivertreter des Schuldners oder der Gläubiger, sondern ist wegen der von ihm erwarteten Unabhängigkeit als solcher bestimmt. Diese Unabhängigkeit wird auch von einem gemeinsamen oder gerichtlich benannten Vertreter erwartet. Deshalb ist bei Unklarheiten und Auslegungsfragen sowohl im Rahmen der Beschlussgegenstände, Ergänzungs- und Gegenanträge als auch bei Verfahrens- und Abstimmungsfragen Hilfeleistung durch den Abstimmungsleiter notwendig, ohne die – wie die Praxis gezeigt hat – eine koordinierte Abstimmung nicht stattfinden kann. Grenze der Hilfestellung ist immer die Wahrung der Neutralität und Zumutbarkeit angesichts beschränkter Zeit und eines hohen, oft unverhältnismäßigen Organisationsaufwandes. Deshalb sollten die Pflichten nicht zu hoch gehängt werden. 4. Behandlung von Ergänzungsverlangen der Gläubiger Nach §§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 3 Satz 1 SchVG können die Gläubiger einer qualifizierten Min- 162 derheit verlangen, dass die Tagesordnung um neue Beschlussgegenstände erweitert wird. Dem Verlangen ist nachzukommen. Die Gläubiger werden ihre Ergänzungsanträge – wie der Schuldner seinen Beschlussantrag – nur in Ausnahmefällen und innerhalb der Frist des § 13 Abs. 2 SchVG ergänzen oder korrigieren können. In der physischen Versammlung können Gläubiger oder der Vorsitzende auch die Beschlussfassung einfach unterlassen oder zurücknehmen, während in das Abstimmungsverfahren ohne Versammlung nach Beginn des Abstimmungszeitraums nicht mehr eingegriffen werden kann.

163

5. Behandlung von Gegenanträgen der Gläubiger Gegenanträge nach §§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 4 SchVG können zu bereits bekannt gegebenen Beschlussgegenständen jederzeit gestellt werden93, jedoch nur so rechtzeitig, dass sie noch den anderen Gläubigern mitgeteilt werden können.

164

Die Behandlung von Gegenanträgen in der Zeit bis zur Abstimmung beschränkt sich auf die Entgegennahme der Anträge, die Prüfung auf ihre Zulässig- und Rechtmäßigkeit, deren Veröffentlichung sowie die Vorbereitung zur Abstimmung.

165

92 Eine Pflicht im Rahmen von Gegenanträgen verneinend: Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 13b; Otto, DNotZ 2012, 809 (821); generell verneinend: Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (354). 93 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 13b; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 9.

v. Wissel/Diehn 373

§ 18 SchVG Rz. 166 Abstimmung ohne Versammlung 166

Zur Vorbereitung der Abstimmung gehört auch die Frage der Behandlung der Gegenanträge bei der Abstimmung, insbesondere die Frage, wie mit unterschiedlichen Beschlussanträgen (Antrag des Auffordernden und etwaigen Gegenanträgen) zu verfahren ist. Dazu führen nur Wenige in der Literatur etwas aus.94

167

Bei der Abstimmung ohne Versammlung ist der Abstimmungsleiter – wie bei der Gläubigerversammlung der Vorsitzende – für das Verfahren verantwortlich und kann über die Reihenfolge der Sachanträge entscheiden.95 Während bei der physischen Versammlung der Vorsitzende nach verfahrensökonomischen Überlegungen bei mehreren Beschlussanträgen den Antrag mit den größten Erfolgsaussichten voranstellen wird und bei Annahme keine weitere Abstimmung mehr stattfindet,96 ist bei der Abstimmung ohne Versammlung eine solche Überlegung zumindest aus Verfahrensgründen obsolet, denn alle Anträge zu einem Beschlussgegenstand liegen zu Beginn der Abstimmung unverrückbar vor und sind am Ende nur auszuzählen.

168

Würde man das in der physischen Versammlung üblicherweise gehandhabte Prioritätsprinzip in der Abstimmung ohne Versammlung übernehmen, würde der Antrag, der als erster ausgezählt wird und eine erforderliche Mehrheit erreicht, als angenommen gelten; die Stimmen in den nachfolgenden Abstimmungen über weitere (Gegen-)Anträge würden nicht mehr ausgezählt. Das würde zum richtigen Ergebnis führen, wenn ausschließlich (i) über einen Verwaltungsvorschlag und einen Gegenantrag oder (ii) über einen Verwaltungsvorschlag und mehrere, aber mit dem Verwaltungsantrag unvereinbare Gegenanträge abgestimmt würde. Sobald aber mehrere Anträge vorliegen, die gegenseitig konkurrieren, sich aber nicht ausschließen, weil sie Alternativen bilden oder sich im Sachumfang oder den Auswirkungen unterscheiden, hätte das Prioritätsprinzip nur Sinn, wenn das Schuldverschreibungsgesetz den Gläubigern nicht eine Stimme je Beschlussvorschlag gewährte, sondern nur eine Stimme je Beschlussgegenstand. Da das SchVG hierzu aber keine Aussage macht, ist von einer Stimme je Beschlussvorschlag auszugehen.

169

Das bedeutet, dass Gläubiger zu sämtlichen Beschlussanträgen (dem Verwaltungsantrag und den Gegenanträgen) ihre Stimme abgeben dürfen und jeweils alle Stimmen – nicht nur die erste oder die letzte – berücksichtigt werden.97 Die Gläubiger werden ein erhebliches Interesse daran haben, dass, wenn ihr präferierter Antrag an der Beschlussfähigkeit scheitert, ihre Stimmen nicht für einen der anderen Anträge verloren gehen. Das kann man am besten beim Beschlussgegenstand „Wahl eines gemeinsamen Vertreters“ erkennen, zu dem verschiedene Anträge vorliegen, z.B. dessen Wahl abzulehnen oder den Vertreter auszutauschen oder die vorgeschlagenen Befugnisse zu verändern. 6. Behandlung von Auskunftsverlangen und Fragen der Gläubiger während des Verfahrens bis zum Beginn des Abstimmungszeitraums a) Auskunftsverlangen und Informationsrechte – Umfang und Zeitpunkt

170

§ 18 SchVG macht zu Auskunfts- und Informationsrechten der Gläubiger in der Abstimmung ohne Versammlung keine unmittelbaren Ausführungen, sondern verpflichtet den Auffordernden in Abs. 3 ausschließlich, bestimmte Verfahrensangaben in die Aufforderung zur Stimmabgabe aufzunehmen. Darüber hinaus ist – da weder gesetzlich geregelt noch in der Regierungsbegründung angedacht98 – über die Verweisvorschrift des § 18 Abs. 1 SchVG auf § 16 Abs. 1 SchVG zurückzugreifen. 94 95 96 97 98

Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 32a; Bertelmann/Schönen, ZIP 2014, 353 (356). Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 153. Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 153. A.A. Hofmann in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 32. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 21.

374

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 174 § 18 SchVG

Zu formalen Fragen, insbesondere zu den Voraussetzungen der Teilnahme (§ 10 Abs. 2 171 SchVG), der Ausübung des Stimmrechts (§ 12 Abs. 1 SchVG) und der Auszählung der Stimmen (§ 18 Abs. 3 Satz 5 SchVG) hat die Aufforderung zur Stimmabgabe alles Erforderliche zu enthalten (§§ 18 Abs. 3 Satz 5, 9 Abs. 1 und 2, 12 Abs. 1 SchVG). Fragen sollten sich deshalb gar nicht stellen. Trotzdem bleibt es nicht aus, dass gerade hierzu im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung Unklarheiten entstehen. Die Beantwortung dieser formalen Fragen nimmt bis zum Ende des Abstimmungszeitraums wesentliche Zeit in Anspruch. Die bisherige Praxis hat gezeigt, dass das Prozedere trotz ausführlicher Beschreibung auf der geschalteten Internetseite nahezu in allen Bereichen zu erläutern ist. Erläuternde Unterlagen, Fragen- und Antwortkataloge sowie Muster sollten daher im Vorfeld vorbereitet werden, damit der Abstimmungsleiter organisatorisch auf erforderliche Hilfen eingerichtet ist. Das Auskunftsrecht zu inhaltlichen Fragen regelt § 16 Abs. 1 SchVG. Wendet man diese Vorschrift an, so hat der Schuldner auch bei der Abstimmung ohne Versammlung jedem Gläubiger auf Verlangen Auskunft zu erteilen. Im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung ist in der Regel auch ein gleicher Informations- und Diskussionsbedarf wie in einer Gläubigerversammlung gegeben. Der Schuldner würde sich durch die Wahl des Verfahrens ohne Versammlung nachhaltig seiner Auskunftspflicht entziehen können. Auch § 20 Abs. 1 Satz 2 SchVG, der eine Anfechtung eines Beschlusses bei unrichtigen, unvollständigen oder verweigerten Informationen zulässt, differenziert nicht zwischen der Gläubigerversammlung und der Abstimmung ohne Versammlung. Die hM stimmt einer entsprechenden Anwendung von § 16 Abs. 1 SchVG daher zu und schließt Auskunftsverlangen bei inhaltlichen Fragen nicht grundsätzlich aus.99 Dagegen wird eingewandt, wegen Fehlens des bei der physischen Versammlung typischen unmittelbaren und verfahrensrechtlich organisierten Informationsaustausches ergebe sich bei der Abstimmung ohne Versammlung keine Auskunfts- und Informationspflicht des Schuldners, selbst nicht bei kritischen Beschlussgegenständen.100 Die Abstimmung ohne Versammlung sei konzeptionell nicht auf Diskussion und Informationsaustausch angelegt.101 Da der Gleichbehandlungsgrundsatz des § 4 SchVG gebiete, allen Gläubigern den gleichen Informationsstand zu verschaffen, dies aber nicht immer gewährleistet werden könne, verbiete sich ein Informations- und Fragenaustausch. Zudem wird auf die Regierungsbegründung verwiesen, in der anklingt, dass insbesondere dann in einer Abstimmung ohne Versammlung abgestimmt werden sollte, wenn erkennbar kein Informations- und Diskussionsbedarf besteht.

172

Doch der Gesetzgeber will die Vorteile einer Abstimmung ohne Versammlung nutzen, aber nicht die im Aktienrecht entwickelten Grundsätze des Informationsaustausches sowie des Frage- und Auskunftsrechts aufgeben. Im Abstimmungsverfahren ohne Versammlung ist zwar der Austausch zwischen den Gläubigern oder den Gläubigern und dem Schuldner nicht so unmittelbar, kann aber sehr fruchtbar organisiert werden, z.B. durch Internetforen, auf denen die Fragen und Antworten allen Gläubigern mitgeteilt und Informationen gegeben werden. Nach dieser Auffassung ist daher jedem Auskunftsverlangen inhaltlicher Natur grundsätzlich nachzukommen.102

173

Zu befürchten ist allerdings, dass die Verpflichtung zur Gewährung von Auskünften und Fragebeantwortung zu nicht unerheblichen Anfechtungsrisiken führen kann. Bei der physischen Versammlung steht nach dem Vorbild der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Verwaltung unmittelbar Rede und Antwort, bis die Redezeit vom Vorsitzenden ge-

174

99 Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 21; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 21; a.A. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 15. 100 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 6. 101 So auch Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 5; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 18 SchVG Rz. 21. 102 Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 28; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 21.

v. Wissel/Diehn 375

§ 18 SchVG Rz. 175 Abstimmung ohne Versammlung schlossen wird. Jeder Gläubiger hat die Chance, nachzufragen und nicht oder unzureichend beantwortete Fragen zu Protokoll des Notars zu geben, der damit die erforderliche Grundlage einer Anfechtungsklage dokumentiert. Diese Rolle hat der Abstimmungsleiter nicht. Die Dokumentation elektronischen Informationsaustausches von Fragen und Antworten mag noch nachvollziehbar sein, aber ob Fragen zufriedenstellend beantwortet wurden, schon nicht mehr. Schließlich kann sich der Anfechtungsgläubiger in einem Anfechtungsprozess mangels Erklärung unbeantworteter Fragen zu notariellem Protokoll auch nicht auf die notarielle Niederschrift stützen. 175

Es bleibt die Unsicherheit, ob und wie weit Auskunftsverlangen im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung nachzukommen ist. Es gibt gute Gründe, dem Verlangen entsprechen zu müssen; die Anforderungen dürfen jedoch nicht zu hoch gesteckt sein und müssen nach Arbeits- und Zeitaufwand zugemutet werden können.

176

Soweit ein Auskunftsanspruch besteht, ist dieser jedoch nur in dem Umfang zulässig, wie die Auskunft zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich ist. Es muss sich um Sachfragen zu einem Beschlussgegenstand handeln und der Vorbereitung auf die Stimmentscheidung dienen.103 Er darf nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden.104

177

Der Informationsaustausch ist zeitlich begrenzt auf die Zeit zwischen Bekanntmachung der Aufforderung und dem Beginn des Abstimmungszeitraums. Während der Abstimmungen können in keiner Versammlung Informationen gegeben werden. Wegen des Gleichbehandlungsprinzips des § 4 SchVG105 gilt, dass – entsprechend den Fristen bei der Zulassung von Gegenanträgen – Informationspflichten nur solange bestehen, wie diese noch an alle Gläubiger weitergegeben werden können. b) Auskunftsverpflichteter

178

Auskunftsverpflichteter zu Verfahrensfragen, insbesondere zu Fragen der Abstimmung, ist der Abstimmungsleiter. Für inhaltliche Fragen zu Beschlussgegenständen ist der Schuldner zuständig, den eine grundsätzliche Mitwirkungspflicht trifft.106 Er hat gesellschaftsrechtliche, wirtschaftliche und sonstige relevante Fragen zu beantworten. Die Form des Verlangens kann eine mündliche Anfrage sein, da sie anschließend in geeigneter Form zu dokumentieren ist. c) Veröffentlichungspflicht von erteilten Informationen, Fragen und Antworten

179

Soweit Auskunftspflichten nicht als dem Verfahren einer Abstimmung wesensfremd betrachtet werden, sind Fragen sowie Antworten allen Gläubigern zur Kenntnis zu geben. Das bedeutet keine Veröffentlichungspflicht, aber läuft auf die Einstellung auf der Internetseite des Schuldners hinaus. Gewährleistet sein muss, dass sich die Gläubiger entsprechend informieren können. Dies kann aber nur in einem zeitlichen Rahmen gelten, der eine solche Veröffentlichung ermöglicht. Diese Pflicht endet mit Beginn des Abstimmungszeitraums, da einzelne Gläubiger ihre Stimme dann bereits abgegeben haben können.107

103 104 105 106

Roth/Schubert in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 242 BGB Rz. 156. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 16. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 16 SchVG Rz. 17. Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 5; Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 14. 107 So z.B. Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 28 m.w.N.; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 21.

376

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 183 § 18 SchVG

IX. Durchführung des Verfahrens während des Abstimmungszeitraums 1. Abgabe der Stimmen und Feststellung der Berechtigung zur Stimmabgabe (§ 18 Abs. 4 Satz 1 iVm. §§ 10 Abs. 3, 14 Abs. 2 SchVG) a) Abstimmung Ab Beginn des in der Aufforderung zur Stimmabgabe genannten Abstimmungszeitraums von mindestens 72 Stunden (§ 18 Abs. 3 Satz 2 SchVG) können die Stimmen abgegeben werden und ist somit auch die Möglichkeit zur Abgabe der Stimmen ohne Unterbrechung zu gewährleisten.

180

Wie jeder, der in einer Abstimmung sein Stimmrecht ausübt, hat auch der Anleihegläubiger 181 die Stimmrechtsbestimmungen einzuhalten. Zur Abgabe der Stimmen schreibt § 18 SchVG in Abs. 3 Satz 3 Textform vor und verweist in Abs. 3 Satz 5 auf etwaige Regelungen in den Anleihebedingungen dazu. Im Übrigen wird die Stimmabgabe in dem über § 18 Abs. 1 SchVG anzuwendenden § 16 Abs. 2 SchVG erwähnt, der – wenn die Anleihebedingungen keine Regelungen beinhalten – insoweit auf die aktienrechtlichen Bestimmungen verweist. Der Abstimmungsleiter hat folglich den Eingang jeder Stimme und die im Gesetz und in den Anleihebedingungen benannten formalen Voraussetzungen zu prüfen. Hierzu gehören u.a. Form und Frist der Stimmabgabe sowie die Einhaltung des Abstimmungszeitraums (vgl. Rz. 100), die Zulässigkeit einer Vertretung und die Einhaltung dazu bestehender Voraussetzungen. b) Berechtigungsnachweise zur Teilnahme und Auszählung der Stimmen Wie jeder Gläubiger, der ein Recht geltend macht, hat der Anleihegläubiger auch die Ausübungsbefugnis seines Rechts nachzuweisen. Deshalb hat der Abstimmungsleiter im weiteren Ablauf der Abstimmung nach § 18 Abs. 4 Satz 1 SchVG die Berechtigung zur Stimmabgabe anhand der eingereichten Unterlagen festzustellen. Hier gilt § 10 Abs. 3 SchVG entsprechend, der allerdings von Berechtigung zur Teilnahme spricht. Das korrespondiert mit § 18 Abs. 3 Satz 5 SchVG, wonach in der Aufforderung zur Stimmabgabe im Einzelnen anzugeben ist, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Stimmen gezählt werden. § 16 Abs. 2 SchVG wie § 10 Abs. 3 Satz 1 SchVG gehen dabei davon aus, dass die Anleihebedingungen regeln, welche Voraussetzungen der Gläubiger für seine Teilnahme an der Abstimmung zu erfüllen und welche Nachweise er zu erbringen hat. Sollten sie keine Regelungen enthalten, gelten als Auffangregeln über § 16 Abs. 2 SchVG für die Stimmabgabe und Stimmauszählung die aktienrechtlichen Regeln und für die Berechtigung zur Stimmabgabe § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG. Danach hat der Abstimmungsleiter die Einhaltung etwaiger Anmelde- und Nachweispflichten anhand der gesetzlichen Vorgaben und denen der Anleihebedingungen, zu denen auch ein Sperrvermerk des depotverwaltenden Instituts gehören kann, zu prüfen.

182

Sofern die Anleihebedingungen keine besonderen Voraussetzungen für die Teilnahme und die Auszählung der Stimmen bestimmen, greift die Auffangregel des § 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG, wonach bei Schuldverschreibungen, die in einer Sammelurkunde verbrieft sind, ein in Textform erstellter besonderer Nachweis des depotführenden Instituts als Nachweis ausreicht. Ein Sperrvermerk, der eine Verfügung über die Schuldverschreibung während des Abstimmungszeitraums ausschließt, ist für die Zeit bis zum Ablauf des Abstimmungszeitraums nicht vorgeschrieben. Auch einen Stichtag für die Legitimation hat das Schuldverschreibungsgesetz anders als das Aktienrecht nicht vorgesehen und kann auch wegen des in § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG ausgesprochenen Verbots, von den §§ 5–21 SchVG abzuweichen, vom Abstimmungsleiter nicht vorgeschrieben werden, ohne dass die Anleihebedingungen dies vorsehen. Das hat zur Folge, dass es, wenn die Anleihebedingungen keinen Legitimationsstichtag vorschreiben, im Falle einer Verfügung über eine Schuldverschreibung vor oder innerhalb des Abstimmungs-

183

v. Wissel/Diehn 377

§ 18 SchVG Rz. 184 Abstimmung ohne Versammlung zeitraums zu einer doppelten Stimmabgabe kommen könnte, die zur Unwirksamkeit der Stimme führt. 2. Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger (§ 18 Abs. 4 Satz 1 SchVG) a) Inhalt des Gläubigerverzeichnisses (§§ 18 Abs. 1, 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG) 184

§ 18 Abs. 4 Satz 1 SchVG spricht von einem Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger anhand der eingereichten Nachweise. Insoweit wird § 15 Abs. 2 Satz 1 SchVG überlagert, der Inhalt und Form des Verzeichnisses regelt. Das Verzeichnis hat folglich die stimmberechtigten Gläubiger aufzuführen und nicht nur die Gläubiger, die eine wirksame Stimme abgegeben haben. Die Gläubigervertreter werden anders als in § 15 Abs. 2 Satz 1 SchVG im Gesetzeswortlaut nicht genannt, sind aber entsprechend ebenfalls aufzunehmen. Im Übrigen gilt zum Inhalt über den Verweis in § 18 Abs. 1 SchVG der § 15 Abs. 2 Satz 2 SchVG. Die im Aktienrecht übliche Aufnahme von Fremd- oder Eigenbesitz sollte in gleicher Weise beibehalten werden. b) Unterzeichnung des Verzeichnisses und Zugänglichmachung

185

Das Verzeichnis der Gläubiger ist vom Abstimmungsleiter zu unterzeichnen. Es ist sodann allen Gläubigern unverzüglich zugänglich zu machen, z.B. auf der Internetseite des Emittenten (§§ 18 Abs. 1, 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG). 3. Auszählung der Stimmen (unvollständige, widersprüchliche Stimmabgabe/Mehrfachzählung)

186

Zur Auszählung der Stimmen macht § 18 SchVG keine Aussage. Daher gelten über den Verweis des § 18 Abs. 1 SchVG die Vorschrift des § 16 Abs. 2 SchVG und die für die Abgabe und Auszählung der Stimmen im Aktienrecht geltenden Vorschriften.

187

Es muss sichergestellt sein, dass zu jedem Beschlussgegenstand und -antrag zugeordnete Listen erstellt werden, die alle Angaben beinhalten, die erforderlich sind, um widersprüchliche Auszählungen und Mehrfachzählungen zu vermeiden. Aufzuführen sind Namen der Gläubiger und ggf. Vertreter, Berechtigungsnachweise, Stimmen und Stimmbeträge.

188

Mehrfachzählungen sind technisch auszuschließen. Sie könnten vorkommen, wenn vor Beginn des Abstimmungszeitraums Schuldverschreibungen nach Erstellung einer Bescheinigung einer depotführenden Bank veräußert wurden und auch der Erwerber eine Bescheinigung seines Instituts eingereicht hat. Widersprüchliche Abstimmungen zwischen mehreren Beschlussvorschlägen und Gegenanträgen sind kaum denkbar, wenn für jeden Beschlussvorschlag eine Stimme gegeben ist. 4. Feststellung der Beschlussfähigkeit (Quorum, §§ 18 Abs. 1, 15 Abs. 3 SchVG)

189

Zunächst muss die Beschlussfähigkeit festgestellt werden. Über das Quorum, das für die Beschlussfähigkeit erreicht werden muss, macht § 18 SchVG keine eigene Aussage. Insoweit gilt der Verweis auf § 15 SchVG. Die physische Gläubigerversammlung ist nach § 15 Abs. 3 SchVG beschlussfähig, wenn die Anwesenden wertmäßig mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Entsprechend ist bei der Abstimmung ohne Versammlung eine Beschlussfähigkeit gegeben, wenn mindestens die Hälfte des Gesamtnennbetrags der ausstehenden Teilschuldverschreibungen der Anleihe ordnungsgemäß an der Abstimmung teilnimmt.

190

Nach § 18 Abs. 4 Satz 2 SchVG ist der Abstimmungsleiter berechtigt, eine Gläubigerversammlung i.S.d. § 15 Abs. 3 Satz 3 SchVG einzuberufen, wenn die Beschlussfähigkeit nicht 378

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 194 § 18 SchVG

festgestellt wird. Eine zweite Abstimmung ohne Versammlung ist zum Schutz der Gläubiger nicht vorgesehen;108 dies wird in der Literatur kritisiert.109 5. Feststellung der Abstimmung/Ergebnisfeststellung/Verkündung (§§ 18 Abs. 4 Satz 3, 16 Abs. 3 Satz 2 SchVG, § 130 Abs. 2 AktG) Wurde die Beschlussfähigkeit erreicht, ist die Auswertung der Gesamtstimmen vorzuneh- 191 men und das Ergebnis für jeden Beschlussvorschlag anhand der jeweils erforderlichen Mehrheit zu ermitteln. Im Rechtsverkehr ist nachzuweisen, dass die Beschlüsse der Gläubiger ordnungsgemäß wirksam zustande gekommen sind. So setzt § 20 SchVG, der die Anfechtung eines Gläubigers regelt, das Vorhandensein wirksam gefasster Beschlüsse voraus, ebenso § 17 SchVG, wonach Beschlüsse der Gläubiger vom Schuldner bekannt zu machen sind. Dies geschieht in der Hauptversammlung einer deutschen Aktiengesellschaft durch die Verpflichtung des Vorsitzenden, nicht nur die Stimmen auszuzählen, sondern auch das endgültige Beschlussergebnis festzustellen und damit die formelle Feststellung über die Bejahung oder Verneinung der zur Abstimmung gestellten Beschlussanträge zu treffen, d.h. über die tatbestandliche Ermittlung zu einem tatbestandlich und rechtlich abgesicherten Beschlussbefund zu kommen. Die Notwendigkeit dieser Feststellung ist im Aktienrecht allseits anerkannte Ansicht und ergibt sich inzidenter aus § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG, der als Inhalt der notariellen Niederschrift zwingend die Feststellung des Vorsitzenden über die Beschussfassung vorschreibt. Dies ist nach § 16 Abs. 2 und Abs. 3 SchVG sowie dem dortigen Verweis auf § 130 Abs. 2 Satz 1 AktG auch in der Gläubigerversammlung zwingend.

192

Ob der Abstimmungsleiter in der Abstimmung ohne Versammlung nach der Stimmauszählung ebenso die Beschlüsse mit den jeweils erforderlichen Mehrheiten festzustellen hat, ist nicht eindeutig. Die vorherrschende Meinung bejaht dies, letztendlich wiederum mit dem Verweis des § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG auf § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG und dem Wortlaut des § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG, wonach in der Gläubigerversammlung die Beurkundung der Beschlüsse durch eine Niederschrift Voraussetzung für deren Wirksamkeit ist; auch bei der virtuellen Versammlung stelle die Niederschrift die einzige Referenz für den Inhalt der Beschlüsse dar.110 Zwingend ist diese Auslegung aber mangels ausdrücklichen Verweises in § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG auf § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG nicht, vor allem dann nicht, wenn eine Aufnahme der Verhandlung nicht durch einen Notar zu erfolgen hat und folglich nicht zu beurkunden ist. Der Abstimmungsleiter sollte dennoch zur Sicherheit neben der Ergebnisfeststellung die gefassten Beschlüsse feststellen und verkünden.

193

X. Niederschrift (§§ 18 Abs. 4 Satz 1 und 3, 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG) 1. Aufnahme einer Niederschrift Das Gesetz bestimmt in § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG die Verpflichtung zur Aufnahme einer Niederschrift. Es beschränkt sich dabei darauf, die Aufnahme einer Niederschrift über die gefassten Beschlüsse zu verlangen. Die Aufnahme einer Niederschrift erübrigt sich, wenn der Abstimmungsleiter im ersten Schritt die Beschlussunfähigkeit der Abstimmung ohne Versammlung feststellt, da in diesem Fall keine festgestellten Beschlüsse aufzunehmen sind. Auf eine Niederschrift kann auch verzichtet werden, weil sich die Beschlussunfähigkeit aus dem vom Abstimmungsleiter entsprechend § 15 Abs. 3 SchVG zugänglich gemachten und unterzeichneten Gläubigerverzeichnis ergibt. 108 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24. 109 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 20. Vgl. zum Quorum Rz. 83. 110 Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 30; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 22.

v. Wissel/Diehn 379

194

§ 18 SchVG Rz. 195 Abstimmung ohne Versammlung 195

Sie stimmt in der Notwendigkeit, eine Niederschrift aufzunehmen, überein mit den §§ 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG und 130 Abs. 1 AktG, den entsprechenden Vorschriften bei physischen Versammlungen, von denen sie jedoch in der Formulierung abweicht und deshalb auch auf sie nicht verweist. Darüber hinaus schreibt § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG nicht weiter vor, wer die Niederschrift anzufertigen habe und wie und mit welchem Inhalt sie aufzunehmen ist. Hierzu verweisen § 18 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 3 SchVG auf die Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG sowie über § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG auf § 130 Abs. 2–4 AktG. Nicht verwiesen wird auf § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG sowie § 130 Abs. 1 AktG. 2. Aufnahme durch den Abstimmungsleiter/Hinzuziehung eines zweiten Notars

196

Als zur Aufnahme der Niederschrift verpflichtete Person kommen der Abstimmungsleiter, also der vom Schuldner beauftragte Notar, der gemeinsame oder vom Gericht bestellte Vertreter der Gläubiger oder ausschließlich oder gar zusätzlich ein (gegebenenfalls zweiter) Notar kraft seines Notaramtes in Betracht. Das beinhaltet die Frage, ob die Niederschrift notariell zu beurkunden oder eine gleichwertige Niederschrift aufzunehmen ist.

197

Die Notwendigkeit, eine Niederschrift über die in einer Versammlung oder Abstimmung gefassten Beschlüsse zu erstellen, sehen § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG bei der Abstimmung ohne Versammlung und die §§ 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG und 130 Abs. 1 Satz 1 AktG bei einer physischen Versammlung gleichermaßen vor. Letztere Vorschriften sprechen jedoch nicht nur wie § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG von Aufnahme einer Niederschrift, sondern von Beurkundung und machen die Wirksamkeit der gefassten Beschlüsse von der Beurkundung durch eine über die Verhandlung aufgenommene Verhandlung abhängig.

198

In § 16 Abs. 3 Satz 1 iVm. Satz 2 SchVG sowie in § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG ist damit für die Aufnahme einer Niederschrift einer physischen Gläubigerversammlung die strengste Form, nämlich Beurkundung durch einen Notar, angeordnet. Das entspricht der im Aktienrecht grundsätzlich – wenn auch mit Ausnahmen – festgeschriebenen strikten Trennung zwischen dem Vorsitzenden einer Versammlung und dem Notar als Verantwortlichem für die Niederschrift.

199

Wenn nun § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG aber nicht auf die §§ 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG und 130 Abs. 3 Satz 1 AktG verweist, liegt darin ein Verzicht auf die Beurkundung der in einer Abstimmung ohne Versammlung gefassten Beschlüsse durch eine über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift, letztendlich durch einen Notar, obwohl § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG wiederum auf § 16 Abs. 3 Satz 2 SchVG verweist und § 16 Abs. 3 Satz 2 SchVG nach dem Wortlaut bei einer Versammlung im Inland eindeutig die „Aufnahme der Beschlüsse“ durch einen Notar oder bei einer Versammlung im Ausland eine gleichwertige Niederschrift vorsieht, wobei auch dort der Gesetzgeber nicht von „beurkunden“, sondern von „aufnehmen“ spricht. Hier ist der Gesetzgeber ungenau und der Verweis in § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG auf § 16 Abs. 3 Satz 2 SchVG ein Gesetzesversehen.111

200

Wenn der Gesetzgeber bei einer Abstimmung im Inland eine Beurkundung der gefassten Beschlüsse durch einen Notar und bei einer Abstimmung im Ausland eine gleichwertige Aufnahme der Niederschrift vorsieht und eine entsprechende Regelung auch bei der Abstimmung ohne Versammlung wirklich gewollt hätte, wäre es ein Leichtes gewesen, in § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG auch auf die Vorschriften der §§ 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG und 130 Abs. 1 Satz 1 AktG zu verweisen und von „Beurkunden“ statt „eine Niederschrift aufnehmen“ zu sprechen.

201

Die strenge Form der Beurkundung ist daher bei der Abstimmung ohne Versammlung vom Gesetzgeber nicht gewollt. Die strikte Trennung zwischen Vorsitz bzw. Abstimmungsleitung 111 So auch Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1320); Otto, DNotZ 2012, 809 (816).

380

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 206 § 18 SchVG

und Verantwortlichem der Niederschrift macht hier entgegen anderer Ansicht auch keinen Sinn.112 Sie ist schon durch § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG, wonach bei nicht-börsennotierten Gesellschaften die Aufnahme und Unterzeichnung der Niederschrift durch den AR-Vorsitzenden genügt,113 aufgehoben und außerhalb des Aktienrechts nur bei wichtigen Beschlüssen vorgeschrieben. Sie ist im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung nicht notwendig, weil auf der einen Seite ein solches Verfahren wegen des langen Vorbereitungs- und Abstimmungszeitraums für eine begleitende notarielle Beurkundung nicht geeignet ist und auf der anderen Seite auf eine notarielle Beurkundung verzichtet werden kann, weil die auf dem Postweg oder durch technische Geräte erfolgte Stimmabgabe bei einer Abstimmung ohne Versammlung im Regelfall besser dokumentiert und einfacher nachprüfbar ist, als im Rahmen einer Gläubigerversammlung.114 Die Hinzuziehung eines zweiten, mit der Aufnahme einer Niederschrift zu beauftragenden Notars wäre schon ein Anachronismus an sich, wenn bereits ein Notar als Abstimmungsleiter mit der Aufnahme der Niederschrift befasst ist. Dem zweiten Notar wäre eine Vorprüfung und Begleitung während des gesamten Abstimmungsverfahrens von der Veröffentlichung der Aufforderung bis zur Stimmabgabe nicht möglich und die Forderung nach einem zweiten Notar zudem ein übersteigerter Anspruch an Unabhängigkeit.

202

So ist der fehlende Verweis in § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG auf § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG kein Redaktionsversehen. Der in § 20 SchVG für die Geltendmachung eines Anfechtungsrechts erforderliche Beschlusstatbestand, der im Falle einer physischen Versammlung durch die notarielle Niederschrift erbracht wird, kann auch auf andere Weise nachgewiesen werden.115 Ein übersteigertes Bedürfnis nach besonderer Neutralität und Unabhängigkeit sah der Gesetzgeber nicht, sonst hätte er nicht schlicht aus Kostengründen davon Abstand genommen, auch im Fall der Aufforderung zur Stimmabgabe durch den gemeinsamen oder gerichtlich bestellten Vertreter der Gläubiger einen Notar als Abstimmungsleiter zu bestimmen, wie es zunächst vorgesehen war.

203

Eine Beurkundung durch einen Notar ist danach bei der Abstimmung ohne Versammlung nicht obligatorisch. Die Niederschrift wird vom Abstimmungsleiter aufgenommen, d.h. von dem mit der Abstimmung beauftragten Notar, dem gemeinsamen Vertreter, oder der vom Gericht bestellten Person, auch wenn letztere die geforderte Sachkunde oder gar Unabhängigkeit nicht besitzen sollten.

204

3. Inhalt der Niederschrift (§§ 18 Abs. 1, 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG, 130 Abs. 2 Satz 1 AktG) Zunächst ist nach § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG jeder in der Abstimmung gefasste Beschluss in die Niederschrift aufzunehmen. Wenn auch nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG die Niederschrift von einem reinen Beschlussprotokoll spricht, wird man dennoch die zur Aufnahme verpflichtete Person verpflichten müssen, alle Umstände in das Protokoll aufzunehmen, die auf die Zählung der Stimmen und die Wirksamkeit des Beschlussergebnisses Einfluss haben könnten.

205

Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SchVG hat der Abstimmungsleiter die Berechtigung zur Stimmabgabe anhand der eingereichten Nachweise festzustellen und ein Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger zu erstellen. Dieses hat er nach § 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG zu unterschreiben

206

112 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (44, 60); Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 22; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24. 113 Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 14e. 114 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 21. 115 A.A. Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 23.

v. Wissel/Diehn 381

§ 18 SchVG Rz. 207 Abstimmung ohne Versammlung und unverzüglich allen Gläubigern zugänglich zu machen. Die Erfüllung dieser Obliegenheiten sollte in der Niederschrift festgestellt werden. 207

Da § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG zum Inhalt einer Niederschrift keine eigene Aussage trifft, sind über § 18 Abs. 1 SchVG die Bestimmungen des § 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 SchVG heranzuziehen. § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG verweist wiederum auf die aktienrechtliche Vorschrift des § 130 Abs. 2 AktG. Nach dessen Satz 1 sind auch in der Niederschrift zur Abstimmung ohne Versammlung neben Angaben zum Schuldner unter anderem die Form der Abstimmung, die Zählart und Methode, das Ergebnis der Abstimmungen und Feststellungen des Abstimmungsleiters zur Beschlussfähigkeit und Beschlussfassung festzuhalten.

208

Entsprechend § 130 Abs. 2 Satz 2 AktG sind auch die Zahl der Teilschuldverschreibungen, für die gültige Stimmen abgegeben wurden, der Anteil des durch gültige Stimmen vertretenen Gesamtnennbetrages und die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen in die Niederschrift aufzunehmen, weil die Schuldverschreibungen zum einen oft an einer Börse gehandelt werden und zum anderen, weil die Gläubiger diese Informationen benötigen, um das Erreichen des Beschlussquorums und die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung überprüfen zu können.

209

Ferner sind Angaben zu machen zum Ort des Verfahrens, zum Abstimmungsleiter, dem Verfahren und Verfahrensablauf, zu Fragen oder Auskunftsverlangen, dem Verantwortlichen der Niederschrift, ggf. dem Notar, und bei Auslandsberührung ggf. auch Angaben zur Gleichwertigkeit der Niederschrift und der Unabhängigkeit des Abstimmungsleiters. Schließlich sind die Feststellungen des Abstimmungsleiters zu den Beschlussergebnissen und deren Verkündung zu dokumentieren (vgl. hierzu Rz. 195 ff.). Die Niederschrift sollte sich letztendlich an den Angaben der Aufforderung zur Stimmabgabe orientieren.

210

Entsprechend § 130 Abs. 3 AktG sind die Belege der Aufforderung zur Stimmabgabe in der Niederschrift anzuführen und ihr beizufügen. Das Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger muss entsprechend § 129 AktG nicht der Niederschrift beigefügt werden, ist aber nach § 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG zu unterzeichnen und allen Gläubigern unverzüglich zugänglich zu machen.

211

Entsprechend § 130 Abs. 4 AktG ist die Niederschrift von dem für die Abstimmung verantwortlichen Abstimmungsleiter zu unterschreiben. Die Unterzeichnung muss sich aus der Niederschrift ergeben. 4. Verlangen einer Abschrift der Niederschrift nach § 18 Abs. 4 Satz 4 SchVG

212

Abschriftsberechtigt ist jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat. Teilgenommen hat auch der Gläubiger, der wirksam vertreten wurde. Teile der Literatur fordern, dass auch Gläubigern, die nicht teilgenommen haben, eine Abschrift zustehen solle, da auch ihre Rechte durch die Beschlüsse betroffen sind.116 Der Gesetzeswortlaut ist jedoch eindeutig. Verpflichtet könnten der Abstimmungsleiter oder auch der Schuldner sein. Letzterem diese Verpflichtung aufzuerlegen, wäre sachgerechter als dem Abstimmungsleiter, der den Vorgang nicht erst nach Ablauf der Jahresfrist abschließt. Das Verlangen ist binnen eines Jahres auszuüben ab dem Tag nach der Abstimmung und richtet sich auf eine Abschrift nebst Anlagen, nicht jedoch auf eine Ausfertigung der Urkunde. Es muss nicht begründet werden. Die Kosten der Erteilung einer Abschrift trägt der Schuldner.

116 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (61).

382

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 218 § 18 SchVG

XI. Öffentliche Bekanntmachung gemäß § 17 SchVG 1. Bekanntmachung und Veröffentlichung Nach § 17 Abs. 1 und 2 SchVG sind nach einer Gläubigerversammlung die Beschlüsse der 213 Gläubiger in geeigneter Form öffentlich bekannt zu machen und vom Tage nach der Abstimmung für die Dauer eines Monats auf der Internetseite des Schuldners oder der in der Aufforderung benannten Seite zu veröffentlichen. § 18 SchVG trifft hierzu keine eigene Regelung, verweist aber in Abs. 5 Satz 3 im Rahmen des Widerspruchrechts auf § 17 SchVG. Nach hM gilt § 17 SchVG aufgrund der Verweisvorschrift des § 18 Abs. 1 SchVG bei der Abstimmung ohne Versammlung generell.117 Das Ergebnis der Abstimmung zu erfahren ist für die Gläubiger von größtem Interesse und die Bekanntmachung insbesondere für den Beginn der Anfechtungsfrist nach § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG von Bedeutung. 2. Zuständigkeit für die Bekanntmachung und Veröffentlichung Die Vorschrift richtet sich nur an den Schuldner, d.h. den inländischen Emittenten; dies ist 214 bei der entsprechenden Anwendung allerdings fraglich. Der Schuldner ist ohne entsprechende Information des Abstimmungsleiters gar nicht in der Lage, der Verpflichtung nachzukommen. Deshalb könnte zumindest auch der Abstimmungsleiter, insbesondere der beauftragte Notar, verpflichtet sein, die Beschlüsse bekannt zu machen und zu veröffentlichen. Er sollte dies in jedem Fall – ggf. neben dem Schuldner – veranlassen. 3. Inhalt der Veröffentlichung Bekannt zu machen und zu veröffentlichen sind entsprechend § 17 Abs. 1 SchVG bei der Abstimmung ohne Versammlung ausschließlich die Ergebnisse der Abstimmung, wobei Ergebnisse und Beschlüsse synonym verwendet werden. Im Fall der Abhilfe auf einen Widerspruch hin ist auch das Ergebnis des Widerspruchsbegehrens bekannt zu machen.118

215

§ 17 Abs. 2 SchVG verpflichtet den Schuldner im Falle der Änderung der Anleihebedingungen des Weiteren zur Veröffentlichung der ursprünglichen Anleihebedingungen.

216

Eine Rechtsfolge für den Fall, dass der Schuldner seiner Verpflichtung zur Bekanntmachung oder Veröffentlichung nicht nachkommt, ordnet das Gesetz nicht an, jedoch beginnen die Anfechtungsfristen nicht vor der Bekanntmachung zu laufen.

217

XII. Beschlusskontrolle: Widerspruchsrecht und Abhilfe des Widerspruchs 1. Widerspruch nach § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG a) Widerspruchsrecht § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG steht in Konkurrenz zu § 20 SchVG. § 20 SchVG ist überschrieben mit „Anfechtung von Beschlüssen“, gewährt den Gläubigern ein Anfechtungsrecht gegen wirksam gefasste Beschlüsse und regelt Anfechtungsgründe, Anfechtungsbefugnisse und das Klageverfahren im Schuldverschreibungsgesetz. Er ist den aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 243, 245 AktG nachgebildet, nach denen die fristgerechte Erklärung eines Widerspruchs gegen wirksam gefasste Beschlüsse durch den Gläubiger Wirksamkeitsvoraussetzung 117 So z.B. Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 6; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 44. 118 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 42; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 40; Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 39.

v. Wissel/Diehn 383

218

§ 18 SchVG Rz. 219 Abstimmung ohne Versammlung für die Erhebung einer Anfechtungsklage ist. Ansonsten sind hier an den Widerspruch keine Rechtsfolgen geknüpft. § 20 SchVG gilt nach allg. Meinung analog den aktienrechtlichen Vorschriften sowohl in einer Gläubigerversammlung als auch bei der Abstimmung ohne Versammlung.119 Jeder Gläubiger ist nur dann zur Anfechtung eines Beschlusses bzw. Abstimmungsergebnisses befugt, wenn er gegen diesen Widerspruch eingelegt hat. Unterbleibt der Widerspruch, ist jede Anfechtungsbefugnis wegen widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen.120 219

§ 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG regelt im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung nach Abschluss der Abstimmung und Bekanntgabe des Ergebnisses dagegen ein Widerspruchsverfahren. Danach kann jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, gegen das Ergebnis Widerspruch erheben, über den der Abstimmungsleiter entscheidet. § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG hat eigenständige Bedeutung und schafft neben dem Anfechtungsrecht nach § 20 SchVG eine zusätzliche, zeitnahe und vereinfachte Widerspruchsbefugnis. Bei den Vorschriften der physischen Gläubigerversammlung findet sich eine solche Regelung nicht. Der Gesetzgeber hielt sie für unnötig, weil der Gläubiger schon während der Gläubigerversammlung die Abstimmung, das Zählwerk sowie die Berechtigungsnachweise prüfen kann, während dem Gläubiger in der Abstimmung ohne Versammlung dieses erst nach der Veröffentlichung gemäß § 17 SchVG möglich ist. b) Widerspruchsgegenstand und -gründe

220

§ 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG spricht nicht von Widerspruch gegen Gläubigerbeschlüsse wie § 20 Abs. 1 SchVG, sondern von Widerspruch gegen die Ergebnisse der Abstimmung, die der Abstimmungsleiter in sein Protokoll aufgenommen hat.

221

Wenn in § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG von Ergebnis und in § 20 Abs. 2 Ziffer 1 SchVG von Beschluss die Rede ist, mag das auf unterschiedliche Rechtsausübung121 hindeuten, nämlich auf das ausschließliche Widerspruchsrecht nach § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG wegen Mängeln beim Zustandekommen des Ergebnisses, wie Zählfehler, mangelnde oder unrichtige Nachweise und Vollmachten, Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung ungültiger oder gültiger Stimmen und das ausschließliche Anfechtungsrecht nach § 20 Abs. 2 Ziffer 1 SchVG wegen inhaltlicher Mängel.

222

Zu diesem Schluss kommt auch ein großer Teil der Literatur. Sie folgert dies aus dem Wort „Ergebnis“.122 Die Folge wäre, dass bei inhaltlichen Mängeln die Vorschriften des § 18 Abs. 5 Satz 2–3 SchVG nicht gelten, der Abstimmungsleiter insoweit kein Abhilferecht hätte123 und Gläubiger nach fristgerechtem Widerspruch Anfechtungsklage zu erheben hätten.

223

Nach hiesiger Ansicht ist das Widerspruchsverfahren des § 18 Abs. 5 SchVG aber wie das Anfechtungsverfahren des § 20 SchVG – wenn auch als vereinfachtes Vorverfahren – bei verfahrensrechtlichen wie inhaltlichen Mängeln anwendbar, denn Abstimmungsergebnis und Beschluss sind im Rahmen der Abstimmung ohne Versammlung synonym zu verstehen und werden so bei den Vorschriften über die Niederschrift und Bekanntmachung (§ 17 SchVG)124 auch gebraucht.

119 120 121 122

Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 50. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 49. So Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 39. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 38; Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 37; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 35; Maier-Reimer, NJW 2010, 1320. 123 Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 6. 124 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 12 und 13: „der jede in der Niederschrift dokumentierte Äußerung der Gesamtheit der Gläubiger als anfechtbaren Beschluss bezeichnet“.

384

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 231 § 18 SchVG

Dem Widerspruchsrecht der Gläubiger unterliegen folglich – den Anfechtungstatbeständen des § 20 Abs. 2 Ziffer 1 SchVG folgend – Verletzungen des Gesetzes und der Anleihebedingungen, Verfahrensverletzungen, aber auch Verletzungen infolge von Informationsmängeln oder eines Verstoßes gegen gemeinsame Gläubigerinteressen oder die Gewährung von Sondervorteilen. Hierbei spielt es keine Rolle, dass im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung ggf. der Abstimmungsleiter, d.h. auch ein beauftragter Notar, nicht in der Lage sein wird, inhaltliche Mängel der Beschlusstatbestände zu beurteilen und in diesen Fällen auch keine Abhilfe leisten kann.

224

Das Widerspruchsrecht kann allerdings entsprechend § 20 Abs. 1 SchVG nicht auf eine „durch 225 technische Störung verursachte Verletzung von Rechten, die im elektronischen Wege wahrgenommen worden sind“, gestützt werden, es sei denn, dem Schuldner kann grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. c) Widerspruchsbefugnis Nach § 18 Abs. 5 SchVG wie nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG kann „jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen“ hat, gegen das Ergebnis (§ 18 SchVG), also gegen den Beschluss (§ 20 SchVG), schriftlich Widerspruch und dann Klage erheben. Der Gläubiger muss also an der Abstimmung teilgenommen, d.h. seine Stimme abgegeben, mithin zugestellt haben.125

226

d) Form des Widerspruchs Nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG ist der Widerspruch schriftlich einzulegen, also in Schriftform (§ 126 BGB) und nicht in Textform (§ 126a BGB) (keine E-MailÜbermittlung), der Gesetzgeber weicht damit bewusst von der Textform für die Stimmabgabe ab.126

227

Da der Gläubiger, der Widerspruch einlegt, die Beweislast für den Zugang dieser Erklärung trägt, muss er für den Zugang sorgen. Am besten wäre hierfür allerdings der nicht zugelassene Zugang in Textform, weil dieser nachprüfbar wäre; bei Schriftform bleibt praktisch nur die Zustellung durch eingeschriebenen Brief oder durch Kurier, wenn man nicht den Gerichtsvollzieher bemühen möchte (§ 132 Abs. 1 BGB).

228

Der Widerspruch muss nicht als solcher bezeichnet werden, sondern es genügt jede Erklärung, die sich gegen die Wirksamkeit der Abstimmung bzw. den Beschlusstatbestand richtet.127

229

Der Widerspruch muss schließlich nicht begründet werden.128

230

e) Frist für einen Widerspruch Die Widerspruchsfrist beträgt zwei Wochen nach der Bekanntmachung der Beschlüsse bzw. des Abstimmungsergebnisses nach §§ 18 Abs. 1, 17 SchVG. Er muss innerhalb dieser Frist beim Abstimmungsleiter eingegangen sein. Die Frist ist sehr kurz wegen der Frist zur Einreichung einer Klage nach § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG von einem Monat ab Bekanntmachung.

125 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 37. 126 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 37. 127 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 36; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 49; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24. 128 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 50.

v. Wissel/Diehn 385

231

§ 18 SchVG Rz. 232 Abstimmung ohne Versammlung f) Widerspruchsempfänger 232

Während in den Widerspruchsverfahren im Rahmen einer Haupt- oder Gläubigerversammlung der Widerspruch gegenüber dem beurkundenden Notar erklärt werden muss, ist im Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 SchVG der Abstimmungsleiter der Empfänger. Dies gilt auch dann, wenn die Abstimmung durch einen vom Schuldner beauftragten Notar geführt wurde. Da das Verfahren nach Ablauf des Abstimmungszeitraums, also nach der Abstimmung, bereits geschlossen ist, kann die Widerspruchserklärung auch nicht wie in Fällen einer physischen Versammlung zu Protokoll gegeben werden.129 2. Abhilfe a) Zuständig für eine Abhilfeentscheidung

233

Für die Abhilfeentscheidung ist nach § 18 Abs. 5 Satz 2 SchVG der Abstimmungsleiter zuständig, auch wenn er hinsichtlich inhaltlicher Fragen keine wirkliche Entscheidungsmöglichkeit hat. Ein Abstimmungsleiter hat die Möglichkeit, dem Widerspruch abzuhelfen oder ihn zurückzuweisen. Eine Begründung muss nicht beigefügt werden. b) Frist einer Abhilfeentscheidung

234

Eine Frist sieht das Gesetz für die Abhilfeentscheidung nicht vor. Der Abstimmungsleiter hat sich aber an der Klagefrist des § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG zu orientieren.130 Wenn in dieser Frist nicht über den Widerspruch entschieden wird, soll dies als konkludierte Zurückweisung des Widerspruchs gelten, um dem Widersprechenden nicht die Klagemöglichkeit zu nehmen und ihn nicht rechtlos zu stellen.131 c) Rechtsfolge der Abhilfeentscheidung

235

Hilft der Abstimmungsleiter dem Widerspruch ab, so hat der Widersprechende kein Klagerecht. Hilft der Abstimmungsleiter nicht ab, so kann der widersprechende Gläubiger sein Anfechtungsrecht nach § 20 Abs. 1 SchVG wahrnehmen.

236

Wenn durch die Abhilfeentscheidung sich aber ein gefasster Beschluss in das Gegenteil verkehrt, eröffnet dies wiederum Dritten die Möglichkeit zum Widerspruch, der dann den gleichen Grundsätzen unterliegt.132 Nach hiesiger Ansicht muss der Abstimmungsleiter seine Niederschrift nicht entsprechend seiner Abhilfeentscheidung berichtigen.133 d) Bekanntmachung der Abhilfeentscheidung

237

Hilft der Abstimmungsleiter dem Widerspruch ab, so hat er das Ergebnis unverzüglich nach § 18 Abs. 5 Satz 3 SchVG, § 17 SchVG bekanntzumachen.

238

Über die Abhilfeentscheidung hat der Abstimmungsleiter den Widersprechenden im Ablehnungsfall unverzüglich zu unterrichten (§ 18 Abs. 5 Satz 4 SchVG), um ihm nicht die Mög-

129 130 131 132 133

386

Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 40. Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 6. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 43. A.A. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 41.

v. Wissel/Diehn

Abstimmung ohne Versammlung

Rz. 243 § 18 SchVG

lichkeit der Klagerhebung innerhalb der kurzen Klagefrist des § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG zu nehmen. Eine Begründung muss der Entscheidung nicht beigefügt werden.134 e) Widerspruch gegen die Abhilfeentscheidung und Rechtsfolge Dieser Widerspruch betrifft das in der ersten Entscheidung abgeänderte Ergebnis der Ab- 239 stimmung. Die Frist für diesen Widerspruch beträgt wiederum zwei Wochen und beginnt mit dem Tage nach der Bekanntmachung des geänderten Beschlusses gemäß § 17 SchVG. Damit wird sich die Frist für die Klageerhebung nach § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG entsprechend verschieben, da sich die Anfechtungsklage gegen den Beschluss in seiner zuletzt geänderten Fassung richtet und nicht gegen den Ausgangsbeschluss.135

XIII. Kosten des Verfahrens (§ 18 Abs. 6 SchVG) Für das Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung enthält § 18 Abs. 6 SchVG eine eigene Kostenregelung. Die Kosten des Abstimmungsverfahrens hat danach der Anleiheschuldner zu tragen. Die Regelung entspricht dem § 9 Abs. 4 SchVG. Zu den Kosten werden nach entsprechender Auslegung beider Paragraphen die Kosten des gerichtlichen Verfahrens nach § 9 Abs. 2 SchVG sowie die des Widerspruchsverfahrens gehören, denn der Wortlaut des § 18 Abs. 6 SchVG spricht allgemein von Kosten der Abstimmung ohne Versammlung und auch diese Kosten hängen in irgendeiner Weise mit der Abstimmung ohne Versammlung zusammen. Dies gilt allerdings nur eingeschränkt für die Kosten des Widerspruchverfahrens; diese fallen dem Schuldner nur dann zur Last, wenn der Widerspruch Erfolg hatte, denn im anderen Fall würde dem missbräuchlichen Einlegen von Widersprüchen Vorschub geleistet.

240

Schließlich müssen jegliche Kosten durch das Verfahren unmittelbar veranlasst sein.

241

Notargebühren sind nach § 126 Abs. 1 Satz 2 GNotKG in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag festzulegen.136 Eine Beschlussgebühr nach Nr. 21100 KV GNotKG ist für die spezifische notarielle Mitwirkung nicht einschlägig.

242

XIV. Fortsetzung einer Abstimmung ohne Versammlung im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach § 27 InsO – nicht im Fall eines vorläufigen Insolvenzverfahrens oder Insolvenzeröffnungsverfahrens – unterliegen das Rechtsverhältnis zwischen Anleihegläubiger und Schuldner sowie Beschlüsse der Gläubiger den Vorschriften der InsO, die Beschlüsse zur Bestellung eines gemeinsamen Gläubigervertreters, aber nicht zur Änderung der Anleihebedingungen zulässt (§ 19 Abs. 1 und 2 SchVG). Ein begonnenes Abstimmungsverfahren wäre folglich allenfalls dann noch fortzusetzen, wenn das Insolvenzgericht sich dem Verfahren anschließt.

134 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 39; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24 ff. 135 Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 43. 136 Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, § 126 GNotKG Rz. 40.

v. Wissel/Diehn 387

243

Anh. § 18 SchVG Protokollentwurf

Anhang § 18 Protokollentwurf Verhandelt in dieser Freien und Hansestadt Hamburg Ich, der hamburgische Notar … mit den Amtsräumen … habe gemäß § 18 Schuldverschreibungsgesetz (SchVG) zwischen dem … und dem … als Abstimmungsleiter in meinen vorgenannten Amtsräumen eine Abstimmung ohne Versammlung der Gläubiger der Gesellschaft in Firma … mit dem Satzungssitz in …, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts … unter der Register-Nr. HRB … (Gesellschaft), geleitet und nehme folgendes notarielles Protokoll auf: I. Rechtsgrundlage der Aufforderung Die Gesellschaft hat am … (Fassung vom …) EUR …/… % – Inhaberschuldverschreibungen fällig – ISIN: …/WKN: …/Common Code: … als inhaltsgleiche Teilschuldverschreibungen mit einer Stückelung von je EUR … im Wege einer Gesamt-Emission begeben. Sie unterliegen deutschem Recht. Die Teilschuldverschreibungen der Anleihe sind in einer Globalurkunde verbrieft, die bei der Clearstream Banking AG, Frankfurt am Main, verwahrt wird. Die „Bedingungen zur Beschreibung der Leistung sowie die Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger“ ergeben sich aus den Anleihebedingungen i.d.F. vom … (Anleihebedingungen). Der Emittent wünschte eine Abstimmung ohne Versammlung im Rahmen der vorgenannten am … begebenen Schuldverschreibungen. Alternative Mit Schreiben vom … haben die Gläubiger … (zusammen die „Antragsteller“) gemäß §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG verlangt, dass die Anleihegläubiger zu den nachstehend unter II. genannten Gegenständen im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung Beschluss fassen und die Emittentin zu diesem Zweck zur Stimmabgabe auffordern möge. Die von den Antragstellern gehaltenen und zu der Anleihe gehörenden Teilschuldverschreibungen erreichten ausweislich eingereichter Depotbescheinigungen zusammen … % der ausstehenden zu der Anleihe gehörenden Teilschuldverschreibungen. Das Quorum von 5 %, das §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG für das Verlangen nach einer Aufforderung zur Abstimmung ohne Versammlung voraussetzt, ist somit erfüllt. Das Verlangen wird damit begründet, dass (Alternative 1) ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger bestellt und dieser zu bestimmten Maßnahmen autorisiert werden solle (Alternative 2) die Anleihebedingungen geändert werden sollen. Damit liegt eine gemäß §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG ausreichende Begründung des Verlangens vor. Entsprechende Beschlüsse sind nach § … der Anleihebedingungen im Wege der „Abstimmung ohne Versammlung“ unter Verweis auf § 18 SchVG zu fassen. Dem Verlangen auf Beschlussfassung im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung und Aufforderung zur Stimmabgabe ist der Emittent nachgekommen. II. Beauftragung als Abstimmungsleiter Aufgrund § 18 Abs. 2 Satz 2, 1. Alt. SchVG i.V.m. § … Anleihebedingungen hat die Gesellschaft mit Brief vom … – formgerecht durch den Vorstand/durch die Geschäftsführung vertreten – mich, den unterzeichnenden Notar, zum Abstimmungsleiter einer „Abstimmung

388

von Wissel/Diehn

Protokollentwurf

Anh. § 18 SchVG

ohne Versammlung“ zur Beschlussfassung über die Beschlussvorschläge der Antragsteller bezüglich der EUR …/… % Inhaberschuldverschreibungen fällig … (vgl. Anlage …) beauftragt. III. Aufforderung zur Stimmabgabe Nach §§ 18 Abs. 1, 9 Abs. 1 Satz 1 SchVG i.V.m. § … der Anleihebedingungen hat der Emittent / Schuldner der vorgenannten EUR …/… % Inhaberschuldverschreibungen fällig … eine „Aufforderung zur Stimmabgabe“ im Rahmen einer Abstimmung ohne Versammlung erklärt und zugleich mit mir, dem unterzeichnenden Notar, als beauftragtem Abstimmungsleiter zur Abstimmung aufgerufen. Die Aufforderung zur Stimmabgabe (Definition: § 18 Abs. 3 Satz 1 SchVG) und Aufforderung zur Abstimmung (Definition: § 18 Abs. 2 Satz 2 SchVG) (im folgenden „Aufforderung zur Stimmabgabe“) wurde nach §§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 2 Satz 1 SchVG i.V.m. § … Anleihebedingungen am … im Bundesanzeiger bekannt gemacht (vgl. Anlage …). Die Aufforderung zur Stimmabgabe ist ferner auf der Internetseite der … am … unter … veröffentlicht worden, § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG i.V.m. § … Anleihebedingungen (vgl. Anlage …). Schließlich hat der Schuldner die Aufforderung zur Stimmabgabe und die genauen Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Abstimmung ohne Versammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen, vom Tage der Einberufung an bis zum Ende der Abstimmung im Internet unter der in den Anleihebedingungen festgelegten Internetseite der Emittentin unter … (Abschnitt “…“) den Gläubigern zugänglich gemacht, § 12 Abs. 3 SchVG (Anlage …). Zusätzlich hat der Schuldner die Aufforderung zur Stimmabgabe (soweit in den Anlagebedingungen gefordert) am … an die Clearstream Banking AG, Frankfurt am Main, mit der Bitte um Weiterleitung an die betroffenen Depotbanken geschickt, § 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG i.V.m. § … Anleihebedingungen. Die Aufforderung zur Stimmabgabe erfolgte am … . Sie gilt nach § … der Anleihebedingungen als am (fünften) Tag nach der Bekanntmachung im Bundesanzeiger (und den nach den Anleihebedingungen zusätzlich erforderlichen Bekanntmachungen) den Anleihegläubigern gegenüber mitgeteilt. Die „Aufforderung zur Stimmabgabe“ und deren Bekanntmachung sowie die Veröffentlichungen enthielten die in §§ 12 bis 14 SchVG vorgeschriebenen Angaben, insbesondere über – Firma, Sitz des Schuldners – Zeitraum der Abstimmung – die Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Abstimmung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen (§§ 18 Abs. 1, 12 Abs. 1 SchVG) – Beschlussgegenstand und Vorschlag zur Beschlussfassung der Anleihegläubiger (§§ 18 Abs. 1 iVm. 13 Abs. 1 SchVG i.V.m. § … der Anleihebedingungen) – Hinweise zur Vertretung (§ 14 SchVG) Dies ist mit der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ entsprechend §§ 12 Abs. 2 und 3, 13 Abs. 2 SchVG bekannt und zugänglich gemacht. Ich, der unterzeichnende Notar, als Abstimmungsleiter habe festgestellt: „Die Aufforderung zur Stimmabgabe erfolgte form- und fristgerecht.“ In der Aufforderung zur Stimmabgabe wurden ferner der Hintergrund der Aufforderung sowie deren Rechtsgrundlage und die Rechtsfolgen des etwaigen Zustandekommens der Beschlüsse geschildert. Schließlich wurden das Verfahren der Abstimmung ohne Versammlung und die Art und Form der Abgabe der Stimmen und der Auszählung der Stimmen eingehend erläutert, auf Stimmrechte und erforderliche Nachweise zur Teilnahmeberechtigung einschließlich der Vertretungsregelung hingewiesen sowie die Möglichkeit der Einreichung von Fragen, von Gegenanträgen und Ergänzungsverlangen aufgezeigt. Auf die auf der Internetseite des Emittenten unter Abschnitt … niedergelegten Unterlagen wurde hingewiesen.

von Wissel/Diehn 389

Anh. § 18 SchVG Protokollentwurf IV. Auslage (Veröffentlichung) von Unterlagen Es standen vom Tage der Aufforderung zur Stimmabgabe bis zum Ende des Abstimmungszeitraums gemäß Abschnitt … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ den Anleihegläubigern insbesondere folgende Unterlagen in deutscher und englischer Sprache auf der Internetseite der Emittentin unter dem Abschnitt … zur Verfügung: – die „Aufforderung zur Stimmabgabe“ im Rahmen einer Abstimmung ohne Versammlung nebst der darin enthaltenen genauen Bedingungen, von denen die Teilnahme an der Abstimmung ohne Versammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen – die Anleihebedingungen i.d.F. vom … – Formulare für die Stimmabgabe im Rahmen der Abstimmung ohne Versammlung (in ergänzter Fassung um etwaige in Anlage … unter Gegenantrag 2 genannten Gegenanträge erweitert ab dem …) – ein Vollmachtsformular für Dritte – das Musterformular für den Besonderen Nachweis nebst Sperrvermerk und – Musterfragen und -antworten zu der Abstimmung ohne Versammlung Auf Verlangen eines Gläubigers, das an die Emittentin zu richten war, sind Abschriften der Aufforderung zur Stimmabgabe, der Anleihebedingungen, des Formulars für die Stimmabgabe und des Vollmachtformulars für Dritte übersandt worden. V. Beschlussgegenstände und Beschlussvorschläge (Im Falle des Verlangens eines Gläubiger-Quorums) Die Emittentin und der mit der Abstimmungsleitung beauftragte Notar … sind gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SchVG gehalten, die von den Antragstellern unterbreiteten Beschlussvorschläge in unverändertem Wortlaut zur Abstimmung zu stellen. Entsprechend dieser Verpflichtung sind sie dem nachgekommen, ohne dass damit eine inhaltliche Stellungnahme zu den Beschlussvorschlägen verbunden ist. Die Emittentin und der Abstimmungsleiter schlagen den Gläubigern vor, Folgendes zu beschließen: Beschlussvorschlag 1: Bestellung von „…, Beruf …, Anschrift … als gemeinsamen Vertreter der Anleihegläubiger“ Der Emittent und der Abstimmungsleiter stellen den nachstehenden Beschluss zur Abstimmung und fordern die Gläubiger zur Stimmabgabe zu diesem Beschlussantrag auf: …, geboren am …, Beruf …, Adresse …, wird zum gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger der … % Anleihe mit einem Gesamtvolumen in Höhe von EUR … und fällig … (ISIN: …/WKN: …) bestellt. Die Bestellung ist bis zum … (einschließlich) wirksam. Beschlussvorschlag 2: Ermächtigung des gemeinsamen Vertreters zur Ausübung der Rechte, die ohne qualifizierten Mehrheitsbeschluss ausgeübt und übertragen werden können Der Emittent und der Abstimmungsleiter stellen den nachstehenden Beschluss zur Abstimmung und fordern die Gläubiger zur Stimmabgabe zu diesem Beschlussantrag auf: Der gemeinsame Vertreter ist befugt, sämtliche Rechte der Gläubiger der … % Anleihe mit einem Gesamtvolumen in Höhe von EUR …/… % und fällig am … (ISIN: …/WKN: …) auszuüben, die ohne einen qualifizierten Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger (wie in § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG definiert) ausgeübt und auf den gemeinsamen Vertreter übertragen werden können. Beschlussvorschlag 3: Ermächtigung des gemeinsamen Vertreters zur Ausübung der Rechte, die nur mit einem qualifizierten Mehrheitsbeschluss ausgeübt und übertragen werden können

390

von Wissel/Diehn

Protokollentwurf

Anh. § 18 SchVG

Der Emittent und der Abstimmungsleiter stellen den nachstehenden Beschluss zur Abstimmung und fordern die Gläubiger zur Stimmabgabe zu diesem Beschlussantrag auf: Der gemeinsame Vertreter ist befugt, sämtliche Rechte der Gläubiger der … % Anleihe mit einem Gesamtvolumen in Höhe von EUR …/… % und fällig am … (ISIN: …/WKN: …) auszuüben, die nur mit einem qualifizierten Mehrheitsbeschluss der Anleihegläubiger (wie in § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG definiert) ausgeübt und auf den gemeinsamen Vertreter übertragen werden können. Beschlussvorschlag 4: Beschränkung der Haftung des gemeinsamen Vertreters Der Emittent und der Abstimmungsleiter stellen den nachstehenden Beschluss zur Abstimmung und fordern die Gläubiger zur Stimmabgabe zu diesem Beschlussantrag auf: Die Haftung des gemeinsamen Vertreters ist auf das Zehnfache seiner jährlichen Vergütung beschränkt, es sei denn, er handelt vorsätzlich oder grob fahrlässig. Beschlussgegenstand und Beschlussvorschlag 5: Herabsetzung des festen Zinssatzes der Anleihe von … % per anno auf … % per anno mit Wirkung ab dem … (einschließlich) Änderung der Anleihebedingungen § … (Zinsen) der Anleihebedingungen der EUR … Inhaberschuldverschreibungen … % fällig … wird wie folgt neu gefasst: „Die Schuldverschreibungen werden bezogen auf ihren Gesamtnennbetrag verzinst, und zwar (1) ab dem … (der ‚Verzinsungsbeginn‘) (einschließlich) bis zum … (ausschließlich) mit jährlich … % und (2) ab dem … (einschließlich) bis zum Tag der Rückzahlung (ausschließlich) mit jährlich … %. Die Zinsen sind nachträglich am … eines jeden Jahres zu zahlen (jeweils ein Zinszahlungstag), erstmals am … .“ VI. Rechtsgrundlage für die Abstimmung ohne Versammlung, Quorum und Mehrheitserfordernisse 1. Nach § … der für die Anleihe maßgeblichen Anleihebedingungen in der Fassung vom … (die „Anleihebedingungen“) werden Beschlüsse der Anleihegläubiger im Wege der Abstimmung ohne Versammlung nach § 18 SchVG getroffen. Alternative 1: Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger Gemäß §§ 5 Abs. 1, 7 SchVG und § … der Anleihebedingungen können die Anleihegläubiger durch Mehrheitsbeschluss einen gemeinsamen Vertreter bestellen und abberufen, dessen Aufgaben und Befugnisse bestimmen, die Rechte der Anleihegläubiger auf den gemeinsamen Vertreter (einschließlich des Rechts zur Änderung wesentlicher Anleihebedingungen) übertragen und eine Beschränkung der Haftung des gemeinsamen Vertreters vorsehen. Gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SchVG hat der gemeinsame Vertreter unter anderem die Aufgaben und Befugnisse, welche ihm von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt werden. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 SchVG kann die Haftung des gemeinsamen Vertreters durch Beschluss der Gläubiger beschränkt werden. Alternative 2: Änderung der Anleihebedingungen Nach § 5 Abs. 1 SchVG können mit Zustimmung des Emittenten die Bestimmungen der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger geändert werden. Die Zustimmung des Emittenten zu den vorgeschlagenen Beschlussgegenständen ist im Vorwege erteilt. 2. Bei der Abstimmung ohne Versammlung ist Beschlussfähigkeit nach Maßgabe von § 18 Abs. 1 SchVG i.V.m. § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG gegeben, wenn mindestens die Hälfte des Gesamtnennbetrages der ausstehenden Teilschuldverschreibungen der Anleihe ordnungsgemäß an der Abstimmung teilnimmt. von Wissel/Diehn 391

Anh. § 18 SchVG Protokollentwurf Sofern der Abstimmungsleiter nach Ablauf des Abstimmungszeitraums feststellen sollte, dass die Beschlussfähigkeit nicht erreicht worden ist, kann gemäß § 18 Abs. 4 Satz 2 SchVG eine Gläubigerversammlung zum Zweck der erneuten Beschlussfassung einberufen werden. Diese Versammlung gilt dann als zweite Gläubigerversammlung im Sinne von § 15 Abs. 3 Satz 3 SchVG. Sie ist unabhängig von der Anzahl der ordnungsgemäß vertretenen Teilschuldverschreibungen beschlussfähig. Für Beschlüsse, zu deren Wirksamkeit eine qualifizierte Mehrheit erforderlich ist – wie für den … dieser Aufforderung zur Stimmabgabe unterbreiteten Beschlussvorschlag … – müssen die Anwesenden jedoch mindestens 25 % des Gesamtnennbetrages der ausstehenden Teilschuldverschreibungen der Anleihe vertreten. 3. Für die Beschlüsse gemäß Beschlussvorschlag 1, 2 und 4 nach Maßgabe von Abschnitt … dieser Aufforderung zur Stimmabgabe bedarf es jeweils einer einfachen Mehrheit von 50 % der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmen (vgl. § … der Anleihebedingungen i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 SchVG). Für die Beschlüsse gemäß Beschlussvorschlag … und … nach Maßgabe von Abschnitt … dieser Aufforderung zur Stimmabgabe bedarf es einer qualifizierten Mehrheit von 75 % der an der Abstimmung teilnehmenden Stimmen (vgl. § … der Anleihebedingungen i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG). VII. Ergänzungsverlangen/Gegenanträge Gemäß § 18 Abs. 1 SchVG i.V.m. § 13 Abs. 3 SchVG und … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ konnten Gläubiger, deren Schuldverschreibungen zusammen 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, verlangen, dass neue Beschlussgegenstände zur Abstimmung gestellt werden (Ergänzungsverlangen). Ordnungsgemäße und fristgerechte Ergänzungsverlangen in diesem Sinne sind bei mir, dem Abstimmungsleiter, nicht eingegangen./Alternative: Es sind folgende Ergänzungsverlangen eingegangen: (Anlage …). Sie sind gemäß §§ 18 Abs. 1, 13 Abs. 3 Satz 2 vor dem dritten Tag des Tages des Beginns des Abstimmungszeitraums öffentlich bekannt gemacht worden.) Jeder Gläubiger konnte unabhängig von seiner Beteiligung zu den Beschlussgegenständen eigene Beschlussvorschläge einbringen (Gegenanträge) (… der „Aufforderung zur Stimmabgabe“), die aber, um sie zur Abstimmung stellen zu können, den anderen Gläubigern aus Gleichbehandlungsgründen vor Beginn der Abstimmung öffentlich bekannt zu machen sind (§ 13 Abs. 4 SchVG). Mit Schreiben vom …, hier eingegangen am … (vorab per E-Mail), wurde von … ein Gegenantrag gestellt (Anlage …). Dieser wurde am … – wie zuvor beschrieben – „bekannt gemacht“ (nicht notwendig) und veröffentlicht unter den Adressen, unter denen nach §§ … der Anleihebedingungen die Einberufung und die sonstigen die Abstimmung betreffenden Informationen zugänglich zu machen sind, sowie auf der Internetseite des Emittenten unter … Alternative: Weitere ordnungsgemäße und fristgerechte Gegenanträge, die als solche hätten bekannt gemacht werden müssen, sind bei mir, dem Abstimmungsleiter, nicht eingegangen. VIII. Zeitraum der Stimmabgabe/Zugang Gemäß „Aufforderung zur Stimmabgabe“ (Abschnitt …) waren die Anleihegläubiger aufgerufen, ihre Stimme gegenüber dem Abstimmungsleiter innerhalb des Zeitraums beginnend am …, 00.00 Uhr und endend am …, 24.00 Uhr (Abstimmungszeitraum) in Textform (§ 126b BGB) abzugeben (Stimmabgabe). Als Stimmabgabe gilt der Zugang beim Abstimmungsleiter. Vor Beginn oder nach Ablauf des Abstimmungszeitraums beim Abstimmungsleiter zugehende Stimmabgaben waren nicht zu berücksichtigen (Abschnitt …). Die Stimmabgabe gegenüber dem Abstimmungsleiter hatte zu erfolgen namentlich per Post unter folgender Adresse: Notariat Bergstraße 11, D-20095 Hamburg, Anleihe …, oder per Telefax an die Telefaxnummer: +49 … oder +49 … oder per E-Mail an die E-Mail-Adresse … oder sonst in Textform in deutscher oder englischer Sprache. Hierbei waren der Nachweis der 392

von Wissel/Diehn

Protokollentwurf

Anh. § 18 SchVG

Gläubigereigenschaft gemäß … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ sowie (soweit einschlägig) der Nachweis der Vertretungsbefugnis gemäß … (und soweit einschlägig der Nachweis der Vollmacht gemäß …) beizufügen, soweit diese Nachweise nicht zuvor übermittelt worden waren. Eine vorherige Anmeldung zur Abstimmung war nicht erforderlich. Die technischen Voraussetzungen zur Stimmaufnahme waren während des gesamten Abstimmungszeitraums ununterbrochen gegeben. IX. Teilnahmeberechtigung Zur Teilnahme an der Abstimmung ohne Versammlung war jeder Inhaber der zu den EUR …/… % Inhaberschuldverschreibungen fällig … gehörigen Teilschuldverschreibungen berechtigt. Entscheidend ist die Inhaberschaft zum Zeitpunkt der Abstimmung, die nach Maßgabe von Abschnitt … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ nachzuweisen ist. An der Abstimmung ohne Versammlung nimmt jeder Gläubiger nach Maßgabe des von ihm erhaltenen Nennwertes der ausstehenden Teilschuldverschreibungen der Anleihe teil. Jede Teilschuldverschreibung in Höhe von EUR … gewährt eine Stimme. Im Übrigen gilt § 6 SchVG, wonach insbesondere gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG das Stimmrecht ruht, solange die Anteile dem Emittenten oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen (§ 271 Abs. 2 HGB) zustehen oder für Rechnung der Emittentin oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens gehalten werden. Nach Aussage des Emittenten ist der gesamte Nennbetrag von EUR …/… % Inhaberschuldverschreibungen fällig … noch ausstehend. Keine Teilschuldverschreibungen werden von dem Schuldner oder einem mit dem Schuldner verbundenen Unternehmen oder für diese gehalten. Die Gläubiger hatten ihre Berechtigung zur Teilnahme an der Abstimmung ohne Versammlung gemäß § … der Anleihebedingungen nachzuweisen. Als Nachweis waren beizubringen sowohl ein in Textform (§ 126b BGB) erstellter besonderer Nachweis der Depotbank entsprechend § … der Anleihebedingungen (besonderer Nachweis) nach Maßgabe von Abschnitt … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ als auch die Vorlage eines in Textform (§ 126b BGB) erstellten Sperrvermerks der Depotbank zugunsten einer Hinterlegungsstelle für den Abstimmungszeitraum (Sperrvermerk) (Abschnitt … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“). Ich habe als Abstimmungsleiter die Nachweise geprüft. Die an mich als Abstimmungsleiter vor und während des Abstimmungszeitraums gerichteten Fragen zu vorgelegten Legitimationsunterlagen habe ich als Abstimmungsleiter umfassend beantwortet. X. Vertretung Jeder Gläubiger konnte sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 18 Abs. 1 iVm. § 14 Abs. 1 SchVG sowie Abschnitt … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“). Entsprechend den Verfahren nach § 30a Abs. 1 Nr. 6 WpHG ist in deutscher und englischer Sprache rechtzeitig ein Formular für die Erteilung einer Vollmacht unter E-Mail-Adresse des Schuldners übermittelt und auf Verlangen in Papierform dem Gläubiger übersandt worden. Hierauf und auf die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine wirksame Vertretung zu gewährleisten, ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG in der Aufforderung zur Stimmabgabe hingewiesen worden. Vollmachten und Weisungen bedürfen der Textform (§ 14 Abs. 2 SchVG, Abschnitt … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“). Für die Vertretung juristischer Personen, Minderjähriger und Vertreter von Amts wegen gelten Abschnitte … und … der „Aufforderung zur Stimmabgabe“. Ein Stimmrechtsvertreter ist vom Schuldner nicht benannt. Ein Depotstimmrecht gab es nicht.

von Wissel/Diehn 393

Anh. § 18 SchVG Protokollentwurf Ich, der Notar, stellte die Stimmrechtsberechtigung der Gläubiger, die eine Bevollmächtigung erteilt haben, sowie die ordnungsgemäße Bevollmächtigung des jeweiligen Vertreters und seine Identität fest. XI. Auskunftsverlangen Schuldner und Abstimmungsleiter haben seit Bekanntmachung der „Aufforderung zur Stimmabgabe“ bis zum Ende des Abstimmungszeitraums – aus Gründen der guten Corporate Governance und ohne Anerkennung einer diesbezüglichen Rechtspflicht – per Brief, Telefax, E-Mail und fernmündlich eingegangene Fragen inhaltlicher wie verfahrensrelevanter Art beantwortet sowie Auskünfte erteilt, soweit dies vor Ablauf des Abstimmungszeitraums bei unverzüglicher Bearbeitung zu erreichen war. XII. Abstimmungsverfahren Am … wurde auf der Internetseite des Schuldners unter … – wie angekündigt – ein Formular zur Stimmabgabe veröffentlicht – alternativ nach Bekanntwerden des Gegenantrags in neuer Form am … Beigefügt waren Hinweise zur Verwendung des Formulars. Diese behandelten noch einmal die Art und Form der Stimmabgabe, den Adressaten der Stimmabgabe und Fragen der Berechtigung zur Teilnahme und der erforderlichen Nachweise. Das Abstimmungsformular selbst enthielt im Hinblick auf die vorliegenden Gegenanträge die vom Abstimmungsleiter festgelegte Abstimmungsweise. Prüfung der Berechtigung zur Stimmabgabe und Verzeichnis Innerhalb des Abstimmungszeitraums zwischen dem …, 00.00 Uhr und dem …, 24.00 Uhr, sind umfangreiche Stimmen beim Abstimmungsleiter eingegangen. Im ersten Schritt des Abstimmungsverfahrens habe ich als Abstimmungsleiter die Berechtigung des jeweiligen Gläubigers zur Stimmabgabe anhand der eingereichten Nachweise geprüft (§ 18 Abs. 4 Satz 1 SchVG iVm. §§ 10 Abs. 3 und 14 Abs. 2 SchVG) und ein Verzeichnis der stimmberechtigten Anleihegläubiger unter Angabe von Namen, Sitz, Wohnort des Gläubigers bzw. des Vertreters, der Zahl der vertretenen Stimmrechte und der Besitzart erstellt (§ 18 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 2 SchVG) (Anlage …). Sodann habe ich das Verzeichnis gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG unterzeichnet. Das Verzeichnis wird mindestens fünf Tage und einen Monat, gerechnet ab der Bekanntmachung der Feststellung zur Beschlussunfähigkeit im Bundesanzeiger, den Gläubigern nach §§ 18 Abs. 1 i.V.m. 15 Abs. 2 Satz 3 SchVG auf der Internetseite des Schuldners unter … durch Kennwort geschützt zugänglich gemacht. Die Anleihegläubiger wurden darauf im Wege einer Bekanntmachung auf der Internetseite der … Börse und im Bundesanzeiger hingewiesen (vgl. § … der Anleihebedingungen). Beschlussfähigkeit Im zweiten Schritt war die Beschlussfähigkeit bezogen auf das gesamte ausstehende Kapital abzüglich der ruhenden Stimmrechte festzustellen (§§ 15 Abs. 2 und 3, 18 Abs. 4 SchVG). Das Schuldverschreibungsgesetz und die Anleihebedingungen sehen ein Quorum von 50 % der ausstehenden Schuldverschreibungen vor (§§ 18 Abs. 1 i.V.m. 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG und § … Anleihebedingungen); das heißt übertragen auf die Abstimmung ohne Versammlung: Die Abstimmung ohne Versammlung ist beschlussfähig, wenn Gläubiger, hinsichtlich derer dem Abstimmungsleiter innerhalb des Abstimmungszeitraums Stimmerklärungen jedweder Art zugegangen sind, wertmäßig mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten. Zu den ausstehenden Schuldverschreibungen gehören nicht die Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen (§ 15 Abs. 3 Satz 4 SchVG). Stimmrechte ruhen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG, solange Teilschuldverschreibungen dem Schuldner oder mit ihm verbundenen Unternehmen zustehen. Nach Angabe des Schuldners stehen weder ihm 394

von Wissel/Diehn

Protokollentwurf

Anh. § 18 SchVG

noch den mit ihm verbundenen Unternehmen Teilschuldverschreibungen zu oder werden auf seine Rechnung geführt./Alternative: Nach Angaben des Schuldners stehen ihm oder mit ihm verbundenen Unternehmen … Teilschuldverschreibungen zu. Zur Feststellung der Beschlussfähigkeit habe ich, der Abstimmungsleiter, nunmehr alle mir innerhalb des Abstimmungszeitraums zugegangenen Stimmerklärungen jedweder Art, bei denen die Berechtigung zur Stimmabgabe ordnungsgemäß nachgewiesen war, einschließlich Enthaltungen und unabhängig von ihrer Wirksamkeit ausgewertet. Bei der Abstimmung ohne Versammlung zwischen dem …, 00.00 Uhr, und …, 24.00 Uhr, sind bei mir, dem Abstimmungsleiter, … Stimmen für EUR … Teilschuldverschreibungen eingegangen. Dies entspricht einem Prozentsatz von … % der ausstehenden Schuldverschreibungen. Die Stimmen wurden nunmehr ausgezählt. Ich, der unterzeichnende Notar, stellte fest, ob das für eine Beschlussfassung notwendige Quorum erreicht wurde (§ 18 Abs. 4 Satz 2, § 15 Abs. 3 Satz 1 SchVG). Das Quorum wurde nicht erreicht./Das Quorum wurde erreicht. Alternative 1: Ich, der Notar, stelle fest, dass das für die Beschlussfassung notwendige Quorum mit … Stimmen nicht erreicht wurde. Die weitere Auszählung von Stimmen konnte unterbleiben. Alternative 2: Ich, der Notar, stelle fest, dass das Quorum erreicht und die Beschlussfähigkeit gegeben war. Ergebnis der Abstimmung über die Beschlussvorschläge nach Feststellung der Beschlussfähigkeit Nach Auswertung der Stimmen über die einzelnen Beschlussvorschläge ergaben sich für die einzelnen Beschlussvorschläge und -gegenstände folgende Beschlussergebnisse: Beschlussvorschlag 1: (Beschlusstext wiederholen) Mit Ja stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Mit Nein stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Es enthielten sich Gläubiger mit … Stimmen. Beschlussvorschlag 2: (Beschlusstext wiederholen) Mit Ja stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Mit Nein stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Es enthielten sich Gläubiger mit … Stimmen. Beschlussvorschlag 3: (Beschlusstext wiederholen) Mit Ja stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Mit Nein stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Es enthielten sich Gläubiger mit … Stimmen. Beschlussvorschlag 4: (Beschlusstext wiederholen) Mit Ja stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Mit Nein stimmten Gläubiger mit … Stimmen. Es enthielten sich sich Gläubiger mit … Stimmen. Mit diesen Ergebnissen verkündete ich als Abteilungsleiter, dass sämtliche Beschlüsse mit der erforderlichen Mehrheit gefasst worden sind.

von Wissel/Diehn 395

§ 19 SchVG Insolvenzverfahren XIII. Widerspruch Widersprüche gegen die Beschlüsse und Abstimmung vor und während des Abstimmungszeitraumes wurden nicht erklärt. XIV. Niederschrift Gemäß § 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG iVm. § 16 Abs. 2 Satz 2 und 3 SchVG ist von mir, dem hamburgischen Notar …, als Abstimmungsleiter diese Niederschrift aufgenommen worden. Als Anlage beigefügt sind:

Anlage … Auftrag des Emittenten an den beurkundenden Notar zur Abstimmungsleitung einer Abstimmung ohne Versammlung Anlage … Bekanntmachung der Aufforderung zur Stimmabgabe und Abstimmung Anlage … Gegenanträge und Ergänzungsverlangen und deren Bekanntmachung Anlage … Teilnehmerverzeichnis Anlage … … Hierüber ist dieses, in Urschrift bei mir verbleibende Protokoll aufgenommen und von mir, dem Notar, unterschrieben und besiegelt worden. L. S. not. gez. … – Notar –

§ 19 Insolvenzverfahren (1) 1Ist über das Vermögen des Schuldners im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet worden, so unterliegen die Beschlüsse der Gläubiger den Bestimmungen der Insolvenzordnung, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. 2§ 340 der Insolvenzordnung bleibt unberührt. (2) 1Die Gläubiger können durch Mehrheitsbeschluss zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Insolvenzverfahren einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger bestellen. 2Das Insolvenzgericht hat zu diesem Zweck eine Gläubigerversammlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes einzuberufen, wenn ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger noch nicht bestellt worden ist. (3) Ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger ist allein berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen; dabei braucht er die Schuldurkunde nicht vorzulegen. (4) In einem Insolvenzplan sind den Gläubigern gleiche Rechte anzubieten. (5) Das Insolvenzgericht hat zu veranlassen, dass die Bekanntmachungen nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zusätzlich im Internet unter der durch § 9 der Insolvenzordnung vorgeschriebenen Adresse veröffentlicht werden. I. Entstehungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . II. Regelungszweck und Verhältnis zur Insolvenzordnung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtstellung der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

396

Knapp

1 4

6

IV. 1. 2. 3.

Anwendungsbereich Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . Internationale Reichweite der Norm. . . Ausnahme für organisierte Märkte (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SchVG, § 340 InsO) 4. Zwingender Charakter des § 19 SchVG

9 10 12 20

Insolvenzverfahren V. Die Gläubigerversammlung im Sinne von § 19 Abs. 1, 2 SchVG . . . . . . . . . . . 1. Einberufung der Gläubigerversammlung (§ 19 Abs. 2 SchVG) . . . . . . . . . . . a) Pflicht zur Einberufung . . . . . . . . . . aa) Pflicht zur Einberufung bei Nachrangigkeit der Schuldverschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pflicht zur Einberufung bei Existenz eines gemeinsamen Vertreters nach SchVG 1899 . . . b) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitpunkt der Einberufung der Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . d) Rechtsschutz gegen unterlassene Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Formelle Anforderungen an die Einberufung der Gläubigerversammlung. . a) Einberufungsfrist . . . . . . . . . . . . . . . b) Ort der Gläubigerversammlung . . . . c) Inhalt der Einberufung. . . . . . . . . . . d) Veröffentlichungspflichten . . . . . . . . 3. Durchführung der Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 SchVG a) Anwendbares Regelungsregime . . . . b) Besondere Teilnahmevoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Durchführung im Einzelnen . . . . . . d) Tagesordnung und Beschlussgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschlussrechtskontrolle . . . . . . . . . . . . VI. Weitere schuldverschreibungsrechtliche Gläubigerversammlungen im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit weiterer schuldverschreibungsrechtlicher Gläubigerversammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschlussrechtskontrolle . . . . . . . . . . . . VII. Kosten der Gläubigerversammlungen 1. Erste Gläubigerversammlung . . . . . . . . 2. Weitere Gläubigerversammlungen . . . . VIII. Der gemeinsame Vertreter im Insolvenzverfahren (§ 19 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 SchVG) 1. Bestellung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren. . . . . . . . . . . . . .

21 22 23 24 28 30 31 32 33 34 35 36 37

38 39 40 41 45 53

56

57 61 62 63 66 67 68 69

§ 19 SchVG

2. Rechtsstellung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren . . . . . . . . 72 a) Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis . . . . . 73 b) Berechtigung und Verpflichtung des gemeinsamen Vertreters im Innenverhältnis. . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Vergütung des gemeinsamen Vertreters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Kostentragungspflicht des Emittenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Insolvenzrechtliche Qualifizierung des Vergütungsanspruchs . . . . . . . . . 87 aa) Vergütungsanspruch für die Tätigkeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . 88 bb) Vergütungsanspruch für die Tätigkeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Angemessenheit der Vergütung . . . . 95 IX. Teilnahme der Schuldverschreibungsgläubiger am Insolvenzverfahren (§ 19 Abs. 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Anmeldung der Schuldverschreibungen zur Insolvenztabelle . . . . . . . . . . . . 99 a) Forderungsanmeldung durch den gemeinsamen Vertreter . . . . . . . . . . . . 100 b) Forderungsanmeldung durch die Schuldverschreibungsgläubiger . . . . 104 2. Teilnahme an und Abstimmung in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Teilnahme und Abstimmung durch einen gemeinsamen Vertreter. . . . . . 108 b) Teilnahme und Abstimmung durch die Schuldverschreibungsgläubiger 113 3. Besonderheiten im Rahmen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens (§§ 176 ff. InsO; §§ 187 ff. InsO) 116 a) Verfahren mit gemeinsamem Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Verfahren ohne gemeinsamen Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Technische Abwicklung der Verteilung 123 X. Insolvenzplanverfahren (§ 19 Abs. 4 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . 130 XI. Bekanntmachungen (§ 19 Abs. 5 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . 131

70

Knapp

397

§ 19 SchVG Rz. 1 Insolvenzverfahren Schrifttum: Ampferl, Das Stimmrecht des gemeinsamen Vertreters der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren, in FS Kübler, 2015, S. 11; Andres/Leithaus, Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2014; Antoniadis, Kosten und Auslagen des gemeinsamen Vertreters von Schuldverschreibungsgläubigern im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Emittenten. Nachrangige Insolvenzforderung oder gar Masseverbindlichkeiten?, NZI 2014, 785; Bassenge/Herbst, Kommentar zum FGG/RPflG, 11. Aufl. 2007; Beck/Depré, Handbuch zur Praxis der Insolvenz, 2. Aufl. 2010; Blersch/Goetsch/Haas, Berliner Kommentar zum Insolvenzrecht, 56. Ergänzungslieferung, Stand März 2016; Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2014; Brenner, Die Vergütung des gemeinsamen Vertreters nach § 7 VI SchVG außerhalb und in der Insolvenz des Emittenten, NZI 2014, 789; Brenner/Moser, Vergütung des gemeinsamen Vertreters vor Insolvenz ist keine Masseverbindlichkeit, NZI 2016, 236; Brenner/Moser, Anmerkung zu OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, NZI 2016, 149; Buth/Hermanns, Handbuch zu Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4. Aufl. 2014; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013; Cranshaw, Internationalisierung und Modernisierung – Bemerkungen zum geltenden und zum Referentenentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG), BKR 2008, 504; Delhaes, Inhaber von Schuldverschreibungen als Gläubiger im Insolvenzverfahren, in FS Metzeler, 2003, S. 39; Gloeckner/Bankel, Etablierung und Aufgaben des Gemeinsamen Vertreters nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2015, 2393; Graf-Schlicker, Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2014; Grell/Kowalewski, Unternehmensanleihen in der Insolvenz – eine neue Chance für aktive Investoren, in FS Beck 2016, S. 213; Grub, Die Kosten des gemeinsamen Vertreters der Anleihegläubiger in der Insolvenz des Emittenten, ZInsO 2016, 897; Hennrichs/Kleindiek/Watrin, Münchener Kommentar zum Bilanzrecht, Band 1, 5. Ergänzungslieferung, Stand September 2014; Hofmann, Der gemeinsame Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger nach dem Schuldverschreibungsgesetz als Gesamtinteressenvertreter in der Insolvenz des Anleiheschuldners, in FS Kübler, 2015, S. 265; Horn, Der gemeinsame Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger in der Insolvenz, BKR 2014, 449; Kessler/ Rühle, Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten des SchVG 2009, BB 2014, 907; Kübler, Schuldverschreibungen in der Insolvenz – Verfahrensrechtliche Streitfragen, in FS Henckel, 2015, S. 183; Kübler/Prütting/Bork, Kommentar zur Insolvenzordnung, 67. Ergänzungslieferung, Stand Mai 2016; Kuder/Obermüller, Insolvenzrechtliche Aspekte des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZInsO 2009, 2025; Leuering, Das neue Schuldverschreibungsgesetz, NZI 2009, 638; Lürken, Einberufung einer weiteren Schuldverschreibungsgläubigerversammlung im Insolvenzverfahren zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, GWR 2013, 499; Müller-Eising/Bode, Zivilrechtliche Probleme bei der Emission „ewiger Anleihen“, BKR 2006, 480; Nerlich/Römermann, Kommentar zur Insolvenzordnung, 29. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2016; Penzlin/Klerx, Das Schuldverschreibungsgesetz – Insolvenzrechtliche Sonderregeln für Schuldverschreibungsgläubiger, ZInsO 2004, 311; Schulz, Der Debt Equity Swap in der Insolvenz, 2015; Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl. 2010; Schwarz, Globaler Effektenhandel, 2015; Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrecht, 3. Aufl. 2016; Thole, Die Restrukturierung von Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren, ZIP 2014, 293; Thole, Der Debt Equity Swap bei der Restrukturierung von Anleihen, ZIP 2014, 2365; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, 2015.

I. Entstehungsgeschichte 1

§ 19 SchVG regelt die Konkurrenz zwischen SchVG und InsO für den Fall, dass über das Vermögen des Emittenten ein Insolvenzverfahren im Inland eröffnet ist.1

2

Die Regelung tritt an die Stelle der §§ 18, 19 und 19a des SchVG 1899, die für den Fall des Konkurses des Emittenten bereits Sonderregelungen für die Einberufung und Durchführung von Gläubigerversammlungen, die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, sowie die Teilnahme der Schuldverschreibungsgläubiger am Konkursverfahren vorsahen.2 Diese Sonder-

1 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 8; Thole, ZIP 2014, 293 (295); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 16; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 4 f.; Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (184). 2 Zur alten Rechtslage vergleiche etwa: Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311; Cranshaw, BKR 2008, 504.

398

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 5 § 19 SchVG

regelungen wurden zum Teil unverändert in § 19 SchVG übernommen. Bereits § 18 Abs. 2 und 3 SchVG 1899 ordneten an, dass unverzüglich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Versammlung der Gläubiger vor dem Insolvenzgericht einzuberufen und von diesem zu leiten ist. Während § 18 Abs. 1 SchVG 1899 grundsätzlich davon ausging, dass im Konkursfall die Regelungen des SchVG 1899 weiterhin Anwendung finden und sich dementsprechend die Einberufung und Durchführung von Gläubigerversammlungen nach Konkurseröffnung nach den allgemeinen Bestimmungen des SchVG 1899 richten, sofern die §§ 18 ff. SchVG 1899 keine abweichenden Regelungen enthalten, regelt § 19 SchVG nunmehr für den Fall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Emittenten den Vorrang der Insolvenzordnung gegenüber den Regelungen des SchVG.3 Während gemäß § 18 Abs. 5 SchVG 1899 die Schuldverschreibungen bei einer von dem Insolvenzgericht zu bestimmenden Stelle zu hinterlegen waren, ist eine solche Hinterlegung im Zeitalter der Verbriefung von Schuldverschreibungen in Sammelurkunden und zentralen Verwahrung nicht mehr zeitgemäß und demnach nicht mehr erforderlich.4 Eine wesentliche Neuerung besteht ferner darin, dass die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters nach § 19 SchVG nicht mehr obligatorisch ist,5 sondern die Entscheidung hierüber den Schuldverschreibungsgläubigern überlassen ist.

3

II. Regelungszweck und Verhältnis zur Insolvenzordnung In der Insolvenz eines Emittenten finden grundsätzlich sowohl die Insolvenzordnung6 als auch das SchVG Anwendung. § 19 SchVG regelt das Verhältnis und statuiert eine Rangordnung der beiden Regelungsmaterien zueinander. Die Regelung verfolgt den Zweck, eine effiziente Durchführung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten und Auslegungsschwierigkeiten bei der Abgrenzung der beiden Regelungsbereiche zu reduzieren.

4

§ 19 Abs. 1 SchVG ordnet für Beschlüsse der Schuldverschreibungsgläubiger einen Vorrang der Insolvenzordnung an, soweit nicht in den Absätzen 2 bis 5 ausdrücklich etwas anderes geregelt ist. § 19 Abs. 1 SchVG weicht damit von den Vorgängerregelungen der §§ 18 bis 19a SchVG 1899 ab, die eine vorrangige Geltung des SchVG 1899 vorsahen. Obwohl der Wortlaut des § 19 Abs. 1 SchVG den Schluss nahe legt, dass sich die Rangordnung zwischen den Regelungsmaterien auf die Beschlussfassung der Schuldverschreibungsgläubiger beschränkt, lässt sich der Gesetzesbegründung entnehmen, dass § 19 Abs. 1 SchVG den Regelungen der Insolvenzordnung einen grundsätzlichen Vorrang einräumt.7 Die als insolvenzrechtliche Vorschrift zu qualifizierende Regelung8 des § 19 SchVG ist lex specialis zu den übrigen Vorschriften der Insolvenzordnung.9 Der Vorrang der Regelungen der Insolvenzordnung gilt jedoch freilich nur innerhalb des Regelungsbereichs der Insolvenzordnung und soweit die Re-

5

3 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (184); Thole, ZIP 2014, 293; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 2; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 487. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; als notwendige Modernisierung bezeichnend: Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 2 m.w.N. 5 Siehe zum alten Recht u.a. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 2. 6 Vorausgesetzt der COMI des Emittenten befindet sich in Deutschland, siehe Rz. 11. 7 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 8; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 5; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 5; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 3. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 9 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 6, Cranshaw, BKR 2008, 504 (509); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 12.

Knapp

399

§ 19 SchVG Rz. 6 Insolvenzverfahren gelungen des SchVG der Insolvenzordnung widersprechen; nur soweit sich die Insolvenzordnung zu einzelnen Fragen nicht verhält und auch sonst kein Widerspruch zwischen den Regelungen des SchVG und der Insolvenzordnung existiert, bleibt das SchVG weiterhin anwendbar.10 Die Abgrenzung der beiden Regelungsmaterien ist in § 19 Abs. 1 SchVG jedoch nur sehr oberflächlich und unvollständig geregelt,11 so dass an der Schnittstelle von SchVG und Insolvenzordnung eine Vielzahl von Unklarheiten bestehen.

III. Rechtstellung der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren 6

Inhaber von vorinsolvenzlich begebenen Schuldverschreibungen nehmen in der Insolvenz des Emittenten als Insolvenzgläubiger am Insolvenzverfahren teil. Sofern durch die Insolvenzantragstellung keine automatische Kündigung der Schuldverschreibungen erfolgt oder die Schuldverschreibungsgläubiger ein ihnen zustehendes Kündigungsrecht ausüben,12 das zur Fälligkeit der Schuldverschreibungen führt, tritt gemäß § 41 InsO spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten die Fälligkeit der Forderungen aus den Schuldverschreibungen ein.13

7

Die Forderungen aus Schuldverschreibungen stellen im Regelfall gewöhnliche Insolvenzforderungen nach § 38 InsO dar, während nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallende Zinsen nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO als nachrangige Insolvenzforderungen einzuordnen sind. Sofern Schuldverschreibungen von Gesellschaftern gehalten werden, die mit mehr als 10 % am Kapital des Emittenten beteiligt sind (§ 39 Abs. 5 InsO),14 sind diese in einer Insolvenz des Emittenten gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO ebenfalls nachrangig. Eine bei Wandelanleihen (sog. Convertible Bonds) vorgesehene Option oder Pflicht zur Wandlung der Schuldverschreibungen in Eigenkapital des Emittenten oder eines verbundenen Unternehmens führt bis zur tatsächlichen Umsetzung der Wandlung nicht zu einer Nachrangigkeit der Schuldverschreibungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO.15 In der Praxis sind zum Teil Anleihen anzutreffen, die kraft vertraglicher Abrede in den Anleihebedingungen nachrangig ausgestaltet sind (§ 39 Abs. 2 InsO), wie etwa Hybridanleihen.16 Die Forderungen nachrangiger Gläubiger sind nur nach besonderer Aufforderung durch das Insolvenzgericht anzumelden (§ 174 Abs. 3 Satz 1 InsO) und nachrangige Gläubiger sind im Rahmen von Gläubigerversammlungen nach der Insolvenzordnung nicht stimmberechtigt (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO).

8

Sofern die Schuldverschreibungen dinglich besichert sind, stehen den Schuldverschreibungsgläubigern, bzw. dem Sicherheitentreuhänder, der die Sicherheiten für die Schuldverschreibungsgläubiger treuhänderisch hält, Absonderungsrechte zu. Im Rahmen eines Insolvenz10 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 9; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 6. 11 Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (911); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 12; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 498. 12 In der Regel steht den Schuldverschreibungsgläubigern im Fall der Insolvenzantragstellung durch den Emittenten ein Kündigungsrecht zu, das individuell und unabhängig vom Erreichen eines bestimmten Quorums ausgeübt werden kann. 13 Knof in Uhlenbruck, § 41 InsO Rz. 1; Bäuerle in Braun, § 41 InsO Rz. 1. 14 Nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind auch Darlehen von Dritten nachrangig, die einem Gesellschafter gleichgestellt sind, wie etwa verbundene Unternehmen des Darlehensnehmers, siehe hierzu etwa Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 40 ff. 15 Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 197; Haas/Mock in Gottwald, § 93 Rz. 54 ff. 16 S. zur Ausgestaltung von Hybridanleihen ausführlich Gleske in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 19 Rz. 33 ff.; Mentz in MünchKomm/BilanzR, IAS 32 Rz. 130; Knecht/Haghani in Buth/Hermanns, § 18 Rz. 64; Müller-Eising/Bode, BKR 2006, 480 (481).

400

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 11 § 19 SchVG

planverfahrens sind den Schuldverschreibungsgläubigern nach § 19 Abs. 4 SchVG gleiche Rechte anzubieten (siehe Rz. 130).

IV. Anwendungsbereich 1. Sachlicher Anwendungsbereich Die Anwendbarkeit des § 19 SchVG setzt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten voraus.17 Die Eröffnung erfolgt gemäß §§ 27, 3 Abs. 1 InsO durch das für den Emittenten zuständige Gericht.18 Für die Anwendbarkeit von § 19 SchVG ist es unerheblich, ob ein Regelinsolvenzverfahren oder ein Insolvenzplanverfahren durchgeführt wird.19 Ein vorläufiges Insolvenzverfahren (gemäß §§ 21 ff. InsO) ist, selbst wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis bestellt wurde (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 2 Nr. 1, 2 InsO), nicht als eröffnetes Insolvenzverfahren im Sinne des § 19 SchVG zu qualifizieren.20 Der Anwendungsbereich des § 19 SchVG ist auch dann nicht eröffnet, wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen Masseunzulänglichkeit abgelehnt wird (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO).21

9

2. Internationale Reichweite der Norm Die Anwendbarkeit von § 19 SchVG setzt zunächst nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen voraus (§ 1 SchVG). Anders als noch unter Geltung des SchVG 1899 ist für die Anwendbarkeit des SchVG nicht mehr erforderlich, dass der Emittent seinen Sitz im Inland hat (siehe § 1 SchVG Rz. 54).22

10

Wird über das Vermögen eines Emittenten von dem deutschen Recht unterliegenden Schuldverschreibungen ein Insolvenzverfahren im Inland eröffnet, kommt die Konkurrenzregelung des § 19 SchVG zur Anwendung.23 Schwieriger gestaltet sich die Frage der Anwendbarkeit des § 19 SchVG bei Sachverhalten mit Auslandsberührung. Da es sich bei § 19 SchVG um eine insolvenzrechtliche Vorschrift handelt,24 ist für deren Anwendbarkeit zunächst die Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens erforderlich. Art. 3 EuInsVO regelt als zentrale Norm die internationale Zuständigkeit für die Eröffnungsentscheidung bei grenzüberschreitenden Insolvenzen innerhalb der Mitgliedstaaten.25 Gegenüber Drittstaaten bestimmt sich die internationale Zuständigkeit nach autonomem deutschen internationalen Insolvenzrecht (analog §§ 3, 335 ff. InsO). Für die Eröffnungszuständigkeit der deutschen Gerichte ist nach Art. 3 EuInsVO erforderlich, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (centre of main interest, COMI) in Deutschland befindet. Nach dem EuGH ist für die

11

17 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 16; Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 13; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 13. 18 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 13. 19 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 13. 20 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 13; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 13; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 2. 21 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 13. 22 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 13; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 15 f. 23 Vgl. Thole, ZIP 2014, 293 (294); Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (909). 24 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 11; Wilken/ Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 496; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 15. 25 Mit Ausnahme von Dänemark, das der EuInsVO nicht beigetreten ist, Lüer in Uhlenbruck, Art. 3 EuInsVO Rz. 1.

Knapp

401

§ 19 SchVG Rz. 12 Insolvenzverfahren Bestimmung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen im Einklang mit Erwägungsgrund 13 der EuInsVO der für Dritte anhand objektiver Kriterien feststellbare Ort der Verwaltung der Interessen des Schuldners maßgeblich.26 Für Gesellschaften und juristische Personen wird gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist. Ein vom Satzungssitz abweichender Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen kann unter Umständen bei Zweckgesellschaften gegeben sein, wenn die Mittel aus der Emission von Schuldverschreibungen durch die Zweckgesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Finanzierung eines Unternehmens im Inland dienen27 und die Managementfunktionen ebenfalls erkennbar aus dem Inland ausgeübt werden. Sofern sich der centre of main interest des Emittenten im Ausland befindet und über das Vermögen des Emittenten ein Insolvenzverfahren im Ausland eröffnet wurde oder die Schuldverschreibungen ausländischem Recht unterliegen, kommt § 19 SchVG grundsätzlich nicht zur Anwendung. § 19 SchVG ist auch auf ein Partikular- oder Sekundärinsolvenzverfahren im Hinblick auf im Inland belegenes Vermögen eines Emittenten, dessen centre of main interest im Ausland liegt, anwendbar.28 Auch in diesen Fällen bestimmt die Insolvenzordnung als Recht des Verfahrensstaates über das Insolvenzverfahren und seine – territorial beschränkten – Wirkungen.29 3. Ausnahme für organisierte Märkte (§ 19 Abs. 1 Satz 2 SchVG, § 340 InsO) 12

§ 19 Abs. 1 Satz 2 SchVG stellt klar, dass die kollisionsrechtliche Sondervorschrift des § 340 InsO unberührt bleibt. Die Vorschrift des § 340 InsO bezweckt den Schutz der Funktionsfähigkeit bestimmter organisierter Märkte30 sowie das Vertrauen des Marktes in die in dem jeweiligen Markt geltenden Abrechnungs- und Zahlungssysteme.31 Organisierte Märkte und Finanzgeschäfte stellen komplexe Systeme dar, die typischerweise eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen bzw. Rechtsbeziehungen betreffen und infolgedessen unterschiedliche Rechtsordnungen berühren können; daher sollen insolvenzbedingte Störungen dieser Systeme durch Verweise auf die jeweils sachnächste Rechtsordnung zumindest kalkulierbar werden.32 Kritisch zu sehen ist dabei, dass durch die kollisionsrechtliche Wahl des anwendbaren Schuldrechts gleichzeitig auch das anwendbare Insolvenzrecht gewählt wird.33

13

In Abweichung vom allgemeinen Insolvenzstatut nach § 335 InsO enthält § 340 InsO Sonderanknüpfungen für die Rechte und Pflichten der Teilnehmer an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 5 WpHG (§ 340 Abs. 1 InsO), Pensionsgeschäfte, Schuldumwandlungsverträge und Aufrechnungsvereinbarungen (§ 340 Abs. 2 InsO) sowie Zahlungs- bzw. Wertpapierabwicklungs- oder -liefersysteme nach § 1 Abs. 16 KWG. Hinsichtlich der Emission von Schuldverschreibungen ist insbesondere § 340 Abs. 1 InsO mit dem Verweis auf den organi26 EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10 – Rastelli – Rz. 33, NZI 2012, 147 (150); EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09 – Interedil – Rz. 49, NZI 2011, 990 (993); EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04 – Eurofood – Rz. 33, NZI 2006, 360 (361). 27 Mit einem Beispiel Thole, ZIP 2014, 293 (294). 28 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 13, 15 f.; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 10; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 13; vgl. Thole, ZIP 2014, 293 (295); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 20. 29 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 13; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 10; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 13; Thole, ZIP 2014, 293 (295). 30 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 16; Tashiro in Braun, § 340 InsO Rz. 2; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 22. 31 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 120; Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 340 InsO Rz. 2. 32 Lüer in Uhlenbruck, § 340 InsO Rz. 3; Dahl in Andres/Leithaus, § 340 InsO Rz. 1. 33 Wenner/Schuster in Friedl/Hartwig-Jacob, § 340 InsO Rz. 1.

402

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 17 § 19 SchVG

sierten Markt nach § 2 Abs. 5 WpHG von Relevanz.34 Es handelt sich bei § 340 InsO um eine Gesamtnormverweisung, die auch das Kollisionsrecht des verwiesenen Staates umfasst.35 § 340 InsO ist nur anwendbar, wenn die vorrangige Regelung des Art. 9 EuInsVO nicht zur 14 Anwendung gelangt.36 Trotz des uneinheitlichen Wortlauts betreffen § 340 InsO und Art. 9 EuInsVO indes dieselben Marktsysteme und Finanzgeschäfte.37 Im Unterschied zu Art. 9 Abs. 1 EuInsVO ist § 340 InsO jedoch auch auf Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Versicherungsunternehmen anwendbar, welche nach Art. 1 Abs. 2 EuInsVO vom Geltungsbereich der EuInsVO ausgenommen sind.38 Der Anwendungsbereich von § 340 Abs. 1 InsO ist eröffnet, wenn über das Vermögen eines 15 Teilnehmers an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 5 WpHG ein Insolvenzverfahren eröffnet wird39 und der Markt im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung besteht.40 Ein organisierter Markt gemäß § 2 Abs. 5 WpHG ist ein staatlich genehmigtes, geregeltes und überwachtes multilaterales Handelssystem.41 Anders als § 2 Abs. 5 WpHG erfasst § 340 Abs. 1 InsO auch organisierte Märkte außerhalb der EU und des EWR.42 Im Einklang mit Art. 9 EuInsVO ist der Begriff des Marktes weit zu verstehen und meint den Markt eines (Mitglied-)Staates, auf dem Finanzinstrumente, sonstige Finanzwerte oder Warenterminkontrakte und -optionen gehandelt werden.43 Der Markt muss regelmäßig funktionieren und die Funktions- und Zugangsbedingungen durch Vorschriften geregelt sein, welche dem Recht des entsprechenden (Mitglied-)Staates unterliegen.44 Die Vorschrift des § 340 Abs. 1 InsO sieht vor, dass hinsichtlich der Wirkungen des Insol- 16 venzverfahrens auf die Rechte und Pflichten der Teilnehmer an einem organisierten Markt nach § 2 Abs. 5 WpHG das Recht des Staates anwendbar ist, welches für diesen Markt gilt.45 Wird über das Vermögen eines Teilnehmers an einem organisierten Markt ein Insolvenzverfahren eröffnet, gelangt mithin hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Teilnehmer an einem organisierten Markt nicht die lex fori concursus nach § 335 InsO zur Anwendung, sondern das für den Staat des betreffenden organisierten Marktes geltende Insolvenzrecht. Weder § 340 Abs. 1 InsO noch das WpHG enthalten eine Definition des Begriffs des „Teilnehmers“, daher ist bei der Begriffsauslegung auf die Verwendung des Begriffs des „Mit-

34 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 15; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 17. 35 Wenner/Schuster in Friedl/Hartwig-Jacob, § 340 InsO Rz. 2; Lüer in Uhlenbruck, § 340 InsO Rz. 9. 36 Thole, ZIP 2014, 293 (295); Lüer in Uhlenbruck, § 340 InsO Rz. 1; Jahn/Fried in MünchKomm/ InsO, 3. Aufl. 2014, § 340 InsO Rz. 2a; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 22. 37 Lüer in Uhlenbruck, § 340 InsO Rz. 1; Tashiro in Braun, § 340 InsO Rz. 7; Bornemann/Sabel/Schlegel in Graf-Schlicker, § 340 InsO Rz. 2; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 22. 38 Undritz in HamburgKomm/InsO, § 340 InsO Rz. 1; Bornemann/Sabel/Schlegel in Graf-Schlicker, Vor §§ 335 InsO Rz. 5. 39 Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 340 InsO Rz. 3; Bornemann/Sabel/Schlegel in Graf-Schlicker, § 340 InsO Rz. 5. 40 Dahl in Andres/Leithaus, § 340 InsO Rz. 4. 41 Fuchs in Fuchs, § 2 WpHG Rz. 158; Kumpan in Schwark/Zimmer, § 2 WpHG Rz. 119; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 2 WpHG Rz. 159 ff.; Baum in KölnKomm/WpHG, § 2 WpHG Rz. 229 f.; Bornemann/Sabel/Schlegel in Graf-Schlicker, § 340 InsO Rz. 5. 42 Begr. RegE, BR-Drucks. 715/02, 23; Dahl in Andres/Leithaus, § 340 InsO Rz. 3; Jahn/Fried in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 340 InsO Rz. 3. 43 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 120; Lüer in Uhlenbruck, Art. 9 EuInsVO Rz. 8. 44 Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rz. 120; Lüer in Uhlenbruck, Art. 9 EuInsVO Rz. 8. 45 Vgl. Thole, ZIP 2014, 293 (295).

Knapp

403

17

§ 19 SchVG Rz. 18 Insolvenzverfahren glieds“ in Art. 9 Abs. 1 EuInsVO zurückzugreifen.46 Art. 9 EuInsVO baut auf der Richtlinie 98/26/EG über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen („Finalitätsrichtlinie“) auf. Gemäß Art. 2 lit. f) der Richtlinie können „Teilnehmer“ Institute, zentrale Vertragsparteien, Verrechnungsstellen oder Clearingstellen i.S.d. Richtlinie sein, wobei in der Regel Kreditinstitute als „Teilnehmer“ in Betracht kommen.47 18

Fraglich erscheint, unter welchen Voraussetzungen ein Anleiheemittent als Teilnehmer nach § 340 Abs. 1 InsO bzw. Mitglied nach Art. 9 Abs. 1 EuInsVO zu qualifizieren ist. Vereinzelt wird angenommen, dass Marktteilnehmer jedenfalls derjenige ist, der Finanzinstrumente an einem organisierten Markt in wesentlichem Umfang handelt.48 Zutreffenderweise dürfte der Begriff des Teilnehmers an einem organisierten Markt im Sinne von § 340 Abs. 1 InsO in Übereinstimmung mit Art. 42 Abs. 3 der europäischen Finanzmarktrichtlinie auf Kreditinstitute und sonstige professionelle Händler beschränkt sein.49 Ein Emittent kann demnach allenfalls dann ein Teilnehmer im Sinne von § 340 Abs. 1 InsO sein, wenn er selbst ein professioneller Händler ist, wie beispielsweise ein Kreditinstitut.

19

§ 340 Abs. 1 InsO betrifft – ebenso wie Art. 9 Abs. 1 EuInsVO – ausschließlich die Rechte und Pflichten der Teilnehmer in dem jeweiligen Abwicklungssystem (wie etwa Regelungen der Börsenzulassung, Handel mit Anleihen)50, nicht jedoch die am Insolvenzverfahren teilnehmenden Zahlungsansprüche.51 Soweit einen Anleiheemittenten – selbst wenn er kein Teilnehmer ist – jedoch öffentlich-rechtliche Börsenzulassungsfolgepflichten treffen, gilt für diese Pflichten ebenfalls § 340 Abs. 1 InsO, um eine insolvenzbedingte Störung des betroffenen Marktes effektiv zu vermeiden.52 4. Zwingender Charakter des § 19 SchVG

20

Die systematische Stellung von § 19 SchVG im zweiten Abschnitt des SchVG (§§ 5-21 SchVG) könnte auf den ersten Blick den Schluss zulassen, dass die Norm nur dann zur Anwendung gelangt, wenn die Anleihebedingungen deren Anwendbarkeit ausdrücklich vorsehen. Anders als im SchVG 1899 sind Mehrheitsbeschlüsse der Schuldverschreibungsgläubiger nicht zwingend vorgesehen, sondern es bleibt den Anleihebedingungen überlassen, ob und inwieweit Mehrheitsbeschlüsse nach den §§ 5-21 SchVG möglich sein sollen.53 Der Gesetzgeber hat sich damit für das sog. Ermächtigungs- bzw. Opt-In-Modell entschieden, nach dem es einer Ermächtigung von Mehrheitsbeschlüssen in den Anleihebedingungen (Opt-In) bedarf (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG).54 Sowohl die Literatur55 als auch die Rechtspre-

46 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 16; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 17. 47 Lüer in Uhlenbruck, § 340 InsO Rz. 9. 48 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 16; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 17. 49 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 18. 50 Vgl. Beispiele bei Thole, ZIP 2014, 293 (295); Lüer in Uhlenbruck, § 340 InsO Rz. 9; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 19. 51 Zutreffend Thole, ZIP 2014, 293 (295); Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 19. 52 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 19; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 16. 53 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18. 54 Vgl. Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (908); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 132; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 14; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 10. 55 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 14; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 7; Brenner, NZI 2014, 789 (790).

404

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 22 § 19 SchVG

chung56 scheinen davon auszugehen, dass eine fehlende Implementierung von § 19 SchVG in den Anleihebedingungen im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten nicht zur Unanwendbarkeit von § 19 SchVG führt.57 Der Gesetzgeber geht ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass § 19 SchVG als eine insolvenzrechtliche Regelung zu verstehen ist.58 § 19 SchVG bezweckt die Effizienz des Insolvenzverfahrens und ist als insolvenzrechtliche Spezialregelung unabdingbar. Die Anwendbarkeit des § 19 SchVG steht somit zutreffenderweise nicht zur Disposition des Emittenten.

V. Die Gläubigerversammlung im Sinne von § 19 Abs. 1, 2 SchVG Ist über das Vermögen des Schuldners im Inland das Insolvenzverfahren eröffnet worden, so regelt § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG, dass die Beschlüsse der Gläubiger den Bestimmungen der Insolvenzordnung unterliegen, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist. Diese scheinbar so eindeutige und klare Regelung wirft gleichwohl eine Reihe an Fragen auf, die die Schnittstelle zwischen Schuldverschreibungsrecht und Insolvenzrecht betreffen. So stellt sich beispielsweise die Frage der Reichweite des Verweises in die Insolvenzordnung. Des Weiteren besteht Unklarheit, welche Beschlüsse von der Konkurrenzregelung erfasst sind. Sofern hierbei auf insolvenzrechtliche Beschlüsse (§§ 76, 243 InsO) der Gläubiger Bezug genommen wird, handelt es sich bei § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG um eine Selbstverständlichkeit. Sofern mit dem Verweis Beschlüsse nach dem Schuldverschreibungsgesetz erfasst sein sollen, stellt sich die weitere Frage, ob die Schuldverschreibungsgläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Emittenten neben der Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters (§ 19 Abs. 2 SchVG) weitere Beschlüsse außerhalb des Geltungsbereiches der Insolvenzordnung fassen können.

21

1. Einberufung der Gläubigerversammlung (§ 19 Abs. 2 SchVG) Sofern bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten ein ge- 22 meinsamer Vertreter noch nicht bestellt ist, hat das Insolvenzgericht zum Zwecke der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters eine Gläubigerversammlung nach den Bestimmungen des Schuldverschreibungsgesetzes einzuberufen.59 Bei dieser Versammlung handelt es sich um eine Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz und nicht um eine nach den Regelungen der Insolvenzordnung durch das Insolvenzgericht einzuberufende Gläubigerversammlung (wie zum Beispiel der Berichts-, Prüf- oder Erörterungs- und Abstimmungstermin).60 Die Einberufung dient dem Zweck der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters mit dem Ziel der Herbeiführung einer gemeinsamen Organisation der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren.61 Die Gläubigerversammlung sollte zum Zwecke 56 AG Tostedt v. 18.12.2014 – 22 IN 158/14 in der Rechtssache Schneekoppe; a.A.: AG Hamburg v. 1.9.2016 – 67g IN 266/16, ZIP 2016, 2030. 57 Anders verhält es sich jedoch bei der Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen im Rahmen vorinsolvenzlicher Gläubigerversammlungen nach dem SchVG. Maßgeblich ist hier, ob die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen in den Anleihebedingungen vorgesehen ist. In der Praxis ist in Anleihebedingungen daher ohnehin häufig ein pauschaler Verweis auf die §§ 5-21 SchVG zu finden, vgl. Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 14. 58 Vgl. bereits Fn. 11, 12. 59 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 499; Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 20 f.; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 25; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027). 60 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 26; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 19. 61 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 20.

Knapp

405

§ 19 SchVG Rz. 23 Insolvenzverfahren der frühzeitigen Bündelung der Anleiheforderungen in der Person des gemeinsamen Vertreters vor dem Berichtstermin abgehalten werden.62 a) Pflicht zur Einberufung 23

Nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, eine Gläubigerversammlung für die Zwecke der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters einzuberufen; ein Ermessen steht dem Gericht insofern nicht zu.63 Im Gegensatz zu der Rechtslage unter dem SchVG 1899 (§ 18 Abs. 3 Halbs. 2 SchVG 1899) lässt eine vorausgegangene Beschlussfassung der Schuldverschreibungsgläubiger, nach der kein gemeinsamer Vertreter bestellt werden soll, die Pflicht des Insolvenzgerichts zur Einberufung unberührt.64 Auch eine Bestimmung in den Anleihebedingungen, dass kein gemeinsamer Vertreter bestellt werden soll, ist insofern unbeachtlich.65 Die Einberufungspflicht entfällt jedoch, wenn zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten ein gemeinsamer Vertreter bereits wirksam bestellt ist.66 Ein gemeinsamer Vertreter, der bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt worden ist, behält diese Funktion grundsätzlich weiter (siehe jedoch zu einem nach dem SchVG 1899 bestellten gemeinsamen Vertreter Rz. 28 ff.).67 Sofern die Schuldverschreibungsgläubiger bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Beschluss über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters gefasst haben, kommt es darauf an, ob dieser Beschluss zum Zeitpunkt der Eröffnung bereits vollziehbar ist, das heißt eine Anfechtung entweder nicht fristgemäß erfolgt ist, eine solche kräftig entschieden wurde oder aber im Wege des Freigabeverfahrens für vollziehbar erklärt wurde (§ 20 Abs. 3 SchVG).68 Ferner ist erforderlich, dass der gemeinsame Vertreter die Bestellung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angenommen hat.69 aa) Pflicht zur Einberufung bei Nachrangigkeit der Schuldverschreibungen

24

Uneinheitlich beurteilt wird die Frage, ob eine Gläubigerversammlung auch dann einzuberufen ist, wenn die zugrundeliegenden Schuldverschreibungen insolvenzrechtlich nachrangig ausgestaltet sind. Eine entsprechende Nachrangklausel, die häufig in Anleihebedingungen von Hybridanleihen zu finden ist, aber auch nachträglich durch einen Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung beschlossen werden kann (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SchVG) sieht regelmäßig vor, dass die unter den Schuldverschreibungen verbrieften Forderungen in einer Insolvenz des Emittenten im Rang des § 39 Abs. 2 InsO nach den nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 – 5 InsO nachrangigen Insolvenzforderungen zu befriedigen sind. Überwiegend wird bei nachrangigen Schuldverschreibungen eine Ausnahme von der Einberufungspflicht im Wege einer 62 Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 26; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 53 hält die Bestellung des gemeinsamen Vertreters im Berichtstermin (§ 156 InsO) für zulässig. 63 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 25; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 21; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 21; Thole, ZIP 2014, 293 (296). 64 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (188); so wohl auch Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50. 65 Brenner, NZI 2014, 789 (790); Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (188). 66 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 504; Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 21; Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (187 f.); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 21; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50. 67 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (188); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 9. 68 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 21; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50. 69 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 21; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50.

406

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 26 § 19 SchVG

teleologischen Reduktion von § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG angenommen.70 Begründet wird dies damit, dass in der Praxis davon auszugehen sei, dass regelmäßig bereits die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO keine vollständige Befriedigung ihrer Forderungen zu erwarten haben, so dass auf die nachrangigen Insolvenzgläubiger nach § 39 InsO keine Verteilung erfolgen würde. In diesem Sinne entschied auch das LG Bonn in einem Beschwerdebeschluss, der noch nach dem SchVG 1899 zu beurteilen war.71 Es verneinte eine Einberufungspflicht bei nachrangigen Schuldverschreibungen und festgestellter Überschuldung des Emittenten auf Grundlage einer teleologischen Reduktion von § 18 Abs. 3 SchVG 1899, der Vorgängervorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass die mit Kostenaufwand verbundene Bestellung eines gemeinsamen Vertreters für Inhaber nachrangiger Schuldverschreibungen, die keine (Teil-)Befriedigung ihrer Forderungen erwarten können, sinnlos und im Hinblick auf den gesetzlichen Zweck einer effektiven Gestaltung des Insolvenzverfahrens nutzlos, wenn nicht sogar hinderlich wäre. Diese Überlegungen lassen sich ohne Weiteres auf § 19 SchVG übertragen. Nachrangige Gläubiger sind im Insolvenzverfahren erst dann berechtigt, ihre Forderungen anzumelden, wenn sie vom Gericht hierzu aufgefordert werden (§ 174 Abs. 3 InsO); in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen sind sie nicht stimmberechtigt (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO). Da ein gemeinsamer Vertreter für Gläubiger nachrangiger Schuldverschreibungen im Insolvenzverfahren wirtschaftlich grundsätzlich nichts erreichen kann und die nachrangigen Schuldverschreibungsgläubiger am Insolvenzverfahren nicht teilnehmen, ist die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ein bloßer Formalismus auf Kosten der Insolvenzmasse und damit der Insolvenzgläubiger, der für die Effektivität des Verfahrens abträglich ist.72 Hiergegen wird eingewandt, dass die Möglichkeit des Gerichts, von einer Einberufung abzusehen, dazu führen würde, dass es bei der Geltendmachung von Insolvenzforderungen mitwirke, da für den Fall, dass ein gemeinsamer Vertreter nicht bestellt wird, jeder Gläubiger seine Forderungen individuell zur Tabelle anmelden müsste. Ein solches Recht sei indes gesetzlich nicht vorsehen.73 Im Übrigen wird vorgebracht, dass nicht immer zweifellos feststehe, ob eine Anleihe tatsächlich nachrangig ist und dass in einem Insolvenzplan auch nachrangige Gläubiger grundsätzlich stimmberechtigt seien (§§ 237 Abs. 1 Satz 1, 77 Abs. 1 Satz 1 InsO).74

25

Diese Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Das Gericht muss zur effektiven Durchführung des Insolvenzverfahrens und zur Vermeidung nicht zu rechtfertigender Kosten in der Lage sein, im Fall nachrangiger Schuldverschreibungen von der Einberufung einer Gläubigerversammlung zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters abzusehen. Sofern die Schuldverschreibungen tatsächlich nachrangig sind, nehmen diese bis zu einer – äußerst seltenen – Aufforderung zur Anmeldung (§ 174 Abs. 3 InsO) durch das Gericht nicht am Verfahren teil, so dass auch kein Bedürfnis für die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters be-

26

70 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 28 f.; Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312); LG Bonn v. 30.1.2014 – 6 T 22/14, ZIP 2014, 983 = BeckRS 2014, 08822; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 506; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 23; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50; Grell/Kowalewski in FS Beck, 2016, S. 213 (214); a.A.: Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 24; eingeschränkt für den Fall, dass sich nachträglich ergibt, dass wider Erwarten Vollbefriedigung eintritt Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 17. 71 LG Bonn v. 30.1.2014 – 6 T 22/14, ZIP 2014, 983 = BeckRS 2014, 08822. 72 LG Bonn v. 30.1.2014 – 6 T 22/14, ZIP 2014, 983 = BeckRS 2014, 08822; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 23; Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312); Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 17; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 50; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 29; Thole, ZIP 2014, 293 (296); Wilken/ Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 506; eher kritisch Friedl, EWiR 2014, 395 (396). 73 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 24. 74 Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 18; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 24.

Knapp

407

§ 19 SchVG Rz. 27 Insolvenzverfahren steht. Soweit rechtliche Zweifel hinsichtlich der Nachrangigkeit der Schuldverschreibungen bestehen, bleibt es den Schuldverschreibungsgläubigern unbenommen, die zu Grunde liegenden Forderungen als nichtnachrangige Forderungen anzumelden und über einen Feststellungsrechtsstreit eine Klärung herbeizuführen.75 Solche Zweifel hinsichtlich der Nachrangigkeit verpflichten das Gericht jedoch nicht, vorsorglich eine Gläubigerversammlung einzuberufen und hierdurch Kosten zu verursachen.76 Bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan sind nachrangige Gläubiger nur dann zur Abstimmung berufen, wenn ihnen eine (teilweise) Befriedigung zukommen soll und zu diesem Zweck für sie Regelungen im Insolvenzplan vorgesehen sind.77 Ist dies nicht der Fall, gelten ihre Forderungen als erlassen (§ 225 Abs. 1 InsO) und steht ihnen ein Stimmrecht nicht zu. Stellt sich im Laufe des Verfahrens heraus, dass die nachrangigen Gläubiger eine teilweise Befriedigung erhalten und daher am Verfahren teilnehmen, ist das Gericht verpflichtet, nachträglich eine Gläubigerversammlung einzuberufen.78 Alleine der hypothetische Eintritt dieses in der Praxis sehr unwahrscheinlichen Falles rechtfertigt es jedoch nicht, gleich zu Beginn des Insolvenzverfahrens eine Gläubigerversammlung einzuberufen.79 27

Der Umstand, dass einzelne Gläubiger nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig sind, ändert freilich nichts an der Einberufungspflicht des Insolvenzgerichts, da der Nachrang nur die individuelle Rechtsstellung der entsprechenden Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren betrifft und der gemeinsame Vertreter nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SchVG für alle Schuldverschreibungsgläubiger zu bestellen ist.80 bb) Pflicht zur Einberufung bei Existenz eines gemeinsamen Vertreters nach SchVG 1899

28

Im Schrifttum wird weiterhin die Frage aufgeworfen, ob eine Einberufungspflicht des Insolvenzgerichts auch dann besteht, wenn ein gemeinsamer Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger nach dem Recht des SchVG 1899 bereits bestellt wurde und die Schuldverschreibungen nachträglich im Wege eines Opt-In Beschlusses nach § 24 Abs. 2 SchVG den Regelungen des SchVG unterstellt wurden.81

29

Während dem gemeinsamen Vertreter nach dem SchVG 1899 eine dem gemeinsamen Vertreter nach dem SchVG vergleichbare Vermittlungs- und Koordinationsfunktion zukommt, ist der Vertreter nach dem SchVG 1899 mit weniger Rechten und Kompetenzen ausgestattet als der Vertreter nach dem SchVG.82 Auf Grund dieses Rechtszuwachses wird vertreten, dass eine Kontinuität des Amtes des gemeinsamen Vertreters ausscheidet.83 Sofern die Schuldverschreibungsgläubiger einen Opt-In Beschluss fassen, nach dem das SchVG in seiner Gesamt75 Sinz in Uhlenbruck, § 174 InsO Rz. 54; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 19. 76 Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 19, der darauf hinweist, dass ein Gericht aus diesem Grund tendenziell von einer Einberufung absehen wird; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 11. 77 Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 237 InsO Rz. 4. 78 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 24; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 12; Thole, ZIP 2014, 293 (297); Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312); ähnlich Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 17, nach dem eine Neubewertung erforderlich sein kann. 79 LG Bonn v. 30.1.2014 – 6 T 22/14, ZIP 2014, 983 = BeckRS 2014, 08822; Thole, ZIP 2014, 293 (297). 80 Thole, ZIP 2014, 293 (297); Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38. 81 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 509 f. 82 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (187); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 508. 83 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 509 f.

408

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 31 § 19 SchVG

heit auf die Schuldverschreibungen Anwendung finden soll,84 erscheint es indes naheliegend, dass der Beschluss auch eine damit einhergehende Kompetenzmehrung in der Person des gemeinsamen Vertreters erfasst. In allen anderen Fällen dürfte davon auszugehen sein, dass es eines gesonderten Beschlusses über die Bestellung oder Bestätigung eines gemeinsamen Vertreters mit den Kompetenzen des SchVG bedarf, den die Schuldverschreibungsgläubiger im Anschluss an den Opt-In Beschluss fassen können.85 Von einer Kontinuität des Amtes nur insoweit auszugehen, als eine Kongruenz zwischen den Kompetenzen nach dem SchVG 1899 und dem SchVG besteht, ist nicht praxisgerecht und führt zu nicht hinnehmbarer Rechtsunsicherheit. Sofern nach den vorstehenden Grundsätzen bei Insolvenzeröffnung ein gemeinsamer Vertreter noch nicht bestellt ist, hat das Insolvenzgericht eine Gläubigerversammlung einzuberufen. b) Zuständigkeit Zuständig für die Einberufung zur Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG ist das Insolvenzgericht. Es handelt sich hierbei um eine ausschließliche Zuständigkeit; weder der Emittent (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchVG) noch ein bereits bestehender gemeinsamer Vertreter86 (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SchVG) sind berechtigt, auf Eigeninitiative oder auf Grund eines berechtigten Minderheitenverlangens (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG) eine Versammlung einzuberufen.87 Funktional zuständig ist der Rechtspfleger (§ 3 Nr. 2 lit. e) RPflG), da eine Ausnahme nach § 18 RPflG nicht vorliegt.88

30

c) Zeitpunkt der Einberufung der Gläubigerversammlung Das Gesetz sieht für die Einberufung der gesetzlichen Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG durch das Gericht keinen bestimmten Zeitpunkt vor. Nach § 18 Abs. 3 SchVG 1899 musste die Einberufung „unverzüglich“ erfolgen. Auch wenn sich weder im Gesetz noch in den Gesetzmaterialien ein Hinweis auf eine Unverzüglichkeit finden lässt, so ist davon auszugehen, dass dieser Maßstab auch unter der Geltung des SchVG gilt und eine Einberufung unverzüglich im Sinne von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB zu erfolgen hat.89 Dies ist auch sachgerecht, da nur durch eine frühzeitige Organisation der Schuldverschreibungsgläubiger mit Hilfe eines gemeinsamen Vertreters eine effiziente Teilnahme der Schuldverschreibungsgläubiger am Insolvenzverfahren wie beispielsweise im Wege der Forderungsanmeldung und der Teilnahme an Abstimmungen erfolgen kann.90

84 Siehe hierzu Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 24 SchVG Rz. 11. 85 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 511. 86 Sofern ein solcher nach dem SchVG 1899 bestellt wurde und als nicht ausreichend angesehen wird. 87 Anders für den Fall, dass eine gerichtliche Einberufung unterbleibt Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 16; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 25; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 521; a.A.: Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 24, die von einer Klagemöglichkeit ausgehen. 88 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 20. 89 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 516; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 51; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 26; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 10; Thole, ZIP 2014, 293 (296); im Ergebnis ebenso Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 14 f.; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 26. 90 Es sollte insbesondere sichergestellt sein, dass bereits zum Berichtstermin ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist.

Knapp

409

31

§ 19 SchVG Rz. 32 Insolvenzverfahren d) Rechtsschutz gegen unterlassene Einberufung 32

Fraglich erscheint, ob die Schuldverschreibungsgläubiger bei Untätigkeit des Gerichts die Einberufung der ersten Gläubigerversammlung erzwingen können. Zum Teil wird angenommen, dass dies im Klagewege möglich sein soll.91 Gegen die Entscheidung des funktionell zuständigen Rechtspflegers ist nach § 11 Abs. 1 RPflG iVm. § 6 InsO grundsätzlich die sofortige Beschwerde statthaft.92 Jedoch stellt ein Unterlassen keine Entscheidung nach § 6 InsO dar, so dass eine sofortige Beschwerde bei unterlassener Einberufung ausscheiden dürfte.93 Während auch die in Ermangelung anderweitiger Rechtsmittel gemäß § 11 Abs. 2 RPflG grundsätzlich statthafte Erinnerung an der erforderlichen Entscheidung des Rechtspflegers scheitern dürfte,94 könnte in der vorliegenden Konstellation eine Untätigkeitserinnerung an den Richter analog § 11 Abs. 2 RPflG in Betracht kommen, sofern das fortgesetzte Unterlassen der Einberufung einer Rechtsverweigerung gleichkommt.95 Daneben besteht grundsätzlich die Möglichkeit einer Dienstaufsichtsbeschwerde.96 Auf Grund der ausschließlichen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts zur Einberufung der Gläubigerversammlung (siehe Rz. 30) scheidet ein über § 9 Abs. 2 SchVG gerichtlich durchsetzbares Minderheitsverlangen aus.97 2. Formelle Anforderungen an die Einberufung der Gläubigerversammlung

33

Die Einberufung der Gläubigerversammlung erfolgt nach den Vorschriften des SchVG, soweit die InsO keine Sonderregelungen vorsieht.98 Der Gegenauffassung, nach der sich die Einberufung unter Verweis auf die Konkurrenzregelung in § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG sowie die Vertrautheit der Insolvenzgerichte mit den insolvenzrechtlichen Regelungen nach den Vorschriften der Insolvenzordnung richten soll,99 steht der eindeutige Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG entgegen.100 a) Einberufungsfrist

34

Auf Grund der gesetzlichen Anordnung in § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG richtet sich die Einberufungsfrist nach § 10 Abs. 1 SchVG. Danach ist die Gläubigerversammlung mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen. Zu Einzelfragen bezüglich der Fristberechnung siehe § 10 SchVG Rz. 5 ff. Insbesondere dürfen bei der Fristberechnung weder der Tag der Veröffentlichung der Einberufung noch der Tag der tatsächlichen Gläubigerversamm91 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 24; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 25. 92 Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 10. 93 Hess in KölnKomm/InsO, 2016, § 6 InsO Rz. 74; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 4; zum SchVG 1899 LG Bonn v. 30.1.2014 – 6 T 22/14, ZIP 2014, 983 = BeckRS 2014, 08822; so wohl auch zu verstehen Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 16 und Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 25. 94 Bassenge/Herbst, § 11 RPflG Rz. 11. 95 Bassenge/Herbst, § 11 RPflG Rz. 11; vgl. auch OLG Karlsruhe v. 29.9.1983 – 15 W 56/83, OLGZ 1984, 98 (99). 96 Ganter/Lohmann in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 6 InsO Rz. 14; Pape in Uhlenbruck, § 6 InsO Rz. 4. 97 A.A.: Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 16 und Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 25. 98 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 26; Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2396); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 25; Thole, ZIP 2014, 293 (296). 99 In diesem Sinne wohl Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 52. 100 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 55.

410

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 37 § 19 SchVG

lung mitgerechnet werden.101 Im Übrigen sind die Bestimmungen in den Anleihebedingungen zu beachten, sofern diese eine längere Frist oder etwa das Erfordernis einer Anmeldung zur Gläubigerversammlung vorsehen. Im letzteren Fall verlängert sich die Einberufungsfrist gemäß § 10 Abs. 2 iVm. Abs. 1 SchVG. b) Ort der Gläubigerversammlung § 11 Satz 1, 2 SchVG sieht vor, dass Gläubigerversammlungen im Falle eines Emittenten mit Sitz im Inland am Sitz des Emittenten stattfinden soll. Bei Zulassung der Schuldverschreibungen zum Handel an einer Wertpapierbörse innerhalb der EU-Mitgliedstaaten können Gläubigerversammlungen auch am Sitz der Wertpapierbörse stattfinden. Da im Falle des § 19 Abs. 2 SchVG dem Insolvenzgericht indes die Leitung der Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 SchVG obliegt, muss die Gläubigerversammlung in diesem Fall stets am Ort des Insolvenzgerichts stattfinden.102 Zudem kommt auf Grund der Leitungsmacht des Insolvenzgerichts auch eine virtuelle Gläubigerversammlung nach § 18 SchVG nicht in Betracht.103

35

c) Inhalt der Einberufung Grundsätzlich ist die Gläubigerversammlung, auch im Falle des § 19 SchVG, nach den Bestimmungen des SchVG einzuberufen. In der Einberufung müssen insbesondere die Firma und der Sitz des Emittenten, Zeit und Ort der Gläubigerversammlung, sowie die Bedingungen angegeben werden, von denen die Teilnahme an der Gläubigerversammlung und die Ausübung des Stimmrechts abhängen. Zur Vermeidung von Missverständnissen kann sich ein Hinweis darauf anbieten, dass für die Teilnahme an und die Abstimmung im Rahmen der Gläubigerversammlung keine Anmeldung der Forderung aus den Schuldverschreibungen erforderlich ist, sondern es insofern bei der Regelung des § 6 SchVG bleibt.104 Ferner ist ein Hinweis auf die gemäß § 10 Abs. 2 und 3 SchVG beizubringenden Legitimationsnachweise erforderlich. Der Einberufung ist ferner eine Tagesordnung mit den vorgeschlagenen Beschlussgegenständen beizufügen bzw. zusammen mit der Einberufung bekannt zu machen (§ 13 Abs. 2 Satz 1, 2 SchVG).

36

d) Veröffentlichungspflichten Zugleich sind die Veröffentlichungspflichten nach § 12 Abs. 2 Satz 1, 3 SchVG und § 13 Abs. 2 SchVG zu beachten. Darüber hinaus ist gemäß § 19 Abs. 5 SchVG die Veröffentlichung der Einberufung zur Gläubigerversammlung nebst Tagesordnung unter der gemäß § 9 InsO eingerichteten Internetpräzenz www.insolvenzbekanntmachungen.de zu veröffentlichen. Ob das Insolvenzgericht daneben etwaige zusätzliche Vorgaben zur Form der öffentlichen Bekanntmachung aus den Anleihebedingungen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 SchVG) zu beachten hat, wird nicht einheitlich beurteilt.105 Richtigerweise binden solche zusätzlichen

101 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 3; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 519, Rz. 234. 102 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 28; Thole, ZIP 2014, 293 (296); so wohl auch Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 13; von einer alternativen Zuständigkeit ausgehend: Wilken/ Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 527. 103 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 28; offenlassend mit dem Hinweis auf die Kostenund Zeitersparnis Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (13). 104 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 525. 105 Bejahend: Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 526; Thole, ZIP 2014, 293 (296); wohl auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 26; a.A.: Westpfahl/ Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 28.

Knapp

411

37

§ 19 SchVG Rz. 38 Insolvenzverfahren Pflichten das Insolvenzgericht nicht, da dieses hierdurch über Gebühr in Anspruch genommen würde. Zudem wäre eine Belastung der Insolvenzmasse mit den entstehenden zusätzlichen Kosten nicht zu rechtfertigen. 3. Durchführung der Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 SchVG a) Anwendbares Regelungsregime 38

Zunächst stellt sich die Frage, ob auf die Durchführung der ersten Gläubigerversammlung die Regelungen des SchVG oder der Insolvenzordnung Anwendung finden. Fraglich erscheint, ob § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG anordnet, dass nur die Einberufung der ersten Gläubigerversammlung nach den Vorschriften des SchVG zu erfolgen hat und im Übrigen die Regelungen der Insolvenzordnung Anwendung finden, oder ob die erste Gläubigerversammlung sich insgesamt, d.h. Einberufung und Durchführung, nach den Vorschriften des SchVG richtet. Der Wortlaut des § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG ist nicht eindeutig und die Gesetzessystematik, insbesondere das Zusammenspiel mit § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG, gibt keinen Aufschluss über die gesetzgeberische Intention. Die Vorgängerregelung in § 18 Abs. 2 SchVG 1899 sah die Leitung der Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht vor. Aus dem Umstand des Fehlens einer vergleichbaren Regelung in § 19 SchVG sowie der Anordnung der Geltung des SchVG in § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG wird zum Teil geschlossen, dass sich die Durchführung der Gläubigerversammlung nach den Vorschriften des SchVG richtet.106 Hinsichtlich der Frage der Leitung der Gläubigerversammlung wird, soweit ersichtlich, einhellig davon ausgegangen, dass diese dem Insolvenzgericht obliegt.107 Die Leitungsmacht des Insolvenzgerichts folgt hierbei sowohl aus dem SchVG als auch der Insolvenzordnung. Gemäß § 15 Abs. 1 SchVG führt derjenige den Vorsitz in der Gläubigerversammlung, der sie einberuft, mithin das Insolvenzgericht. Für die Insolvenzordnung ergibt sich dies aus § 76 Abs. 1 InsO, wonach die Gläubigerversammlung vom Insolvenzgericht geleitet wird.108 Funktionell zuständig ist wie bereits erwähnt nach § 3 Nr. 2 lit. e) RPflG der zuständige Rechtspfleger.109 Gleichwohl bleibt es dem Insolvenzrichter unbenommen, bei entsprechender Komplexität einzelner Verfahren die Versammlungsleitung nach § 18 Abs. 2 Satz 1 RPflG an sich zu ziehen.110 Leitet nun das Insolvenzgericht die Gläubigerversammlung, so ist es nur praxisgerecht und effizient, wenn auch die Durchführung der Gläubigerversammlung den dem Insolvenzgericht vertrauten Regelungen der Insolvenzordnung unterliegt. Die Anordnung der Geltung des SchVG in § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG verfolgt den Zweck, die Schuldverschreibungsgläubiger im Rahmen der Einberufung auf den diesen bekannten Informationswegen zu erreichen. Dem Insolvenzgericht darüber hinaus aufzuerlegen, die Gläubi-

106 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 27; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 528 jedoch ohne entsprechende Begründung; a.A.: Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 52; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 34; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 39; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 25; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 13a; Thole, ZIP 2014, 293 (297); Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (188). 107 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 27; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 52; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 10; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 534; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 42; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 13. 108 Hierauf verweisend auch Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 52; Knof in HamburgKomm/ InsO, § 19 SchVG Rz. 39. 109 Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 52; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 27; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 34; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 534. 110 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 534.

412

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 40 § 19 SchVG

gerversammlung auch nach den Regelungen des SchVG durchzuführen, erscheint nicht praxisgerecht.111 b) Besondere Teilnahmevoraussetzungen Die Insolvenzordnung sieht keine besonderen Anforderungen an den Nachweis der Inhaberschaft der Forderung vor. Die jederzeitige freie und anonyme Handelbarkeit von Schuldverschreibungen erfordert jedoch Vorkehrungen zur Sicherstellung der Teilnahme- und Stimmberechtigung zum Zeitpunkt der Gläubigerversammlung, die über den insolvenzrechtlichen Standard hinaus gehen.112 Diese Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 10 Abs. 3 SchVG zu schließen. Nach dieser Regelung können die Anleihebedingungen ein Nachweiserfordernis hinsichtlich der Berechtigung zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung vorsehen (§ 10 Abs. 3 Satz 1 SchVG). Sofern die Anleihebedingungen nichts anderes bestimmen, reicht bei in einer Sammelurkunde verbrieften Schuldverschreibungen ein in Textform erstellter besonderer Nachweis des depotführenden Instituts (§ 10 Abs. 3 Satz 2 SchVG; sog. Depotbestätigung). Da die Ausstellung einer entsprechenden Bestätigung am Tag der Gläubigerversammlung nicht praxisgerecht ist und auch hierdurch nicht sichergestellt wäre, dass die Schuldverschreibungen nach Ausstellung der Bestätigung weiter gehandelt werden, wird in der Praxis die Depotbestätigung mit einem Sperrvermerk, der jedenfalls den Tag der Gläubigerversammlung mit einschließt, verbunden.113 In dem Sperrvermerk bestätigt die Depotbank gegenüber dem jeweiligen Schuldverschreibungsgläubiger, dass sie die von dem Sperrvermerk erfassten Schuldverschreibungen für dessen Dauer gesperrt halten und eine Übertragung der Schuldverschreibungen im börslichen Handel nicht vornehmen wird. Ein in den Anleihebedingungen vorgesehenes Anmeldeerfordernis (§ 10 Abs. 2 SchVG) ist zu beachten.114

39

c) Durchführung im Einzelnen Die Durchführung der Gläubigerversammlung richtet sich, wie oben unter Rz. 38 aus- 40 geführt, nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften (§§ 76 ff. InsO). Der Ablauf der Gläubigerversammlung ist in der Insolvenzordnung nicht explizit geregelt. Gemäß § 4 InsO finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechende Anwendung, soweit die InsO nichts anderes bestimmt. Das Gericht nimmt bei der Versammlungsleitung eine neutrale Stellung ein.115 Mit der Leitung der Versammlung steht dem Insolvenzgericht auch die Ordnungsgewalt gemäß §§ 175 ff. GVG zu. Dies umfasst unter anderem die Befugnis, Verwarnungen auszusprechen, Teilnehmern das Wort zu entziehen, ihnen bestimmte Plätze zuzuweisen beziehungsweise sie von der Teilnahme an der Versammlung durch Verweis des Raumes aus-

111 Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 52; Thole, ZIP 2014, 293 (296); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 34; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 39; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 25; Tetzlaff in Schimansky/ Bunte/Lwowski, § 88 Rz. 29. 112 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 35. 113 Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 10 SchVG Rz. 10; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 37; bereits in der Tendenz Penzlin/ Klerx, ZInsO 2004, 311 (312). 114 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 36; eine Anmeldung sah beispielsweise auch die Einladung des AG Tostedt zur Gläubigerversammlung i.S. Schneekoppe vor (DE000A1EWHX9). 115 Preß in HamburgKomm/InsO, § 76 InsO Rz. 2; Andres in Andres/Leithaus, § 76 InsO Rz. 1; Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 76 InsO Rz. 3.

Knapp

413

§ 19 SchVG Rz. 41 Insolvenzverfahren zuschließen.116 Ein wesentlicher Unterschied zwischen der Durchführung der Gläubigerversammlung nach schuldverschreibungsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Grundsätzen besteht darin, dass das Insolvenzrecht den Schuldverschreibungsgläubigern ein deutlich beschränkteres Frage- und Auskunftsrecht gewährt.117 § 16 Abs. 1 SchVG findet in der ersten Gläubigerversammlung weder gegenüber dem Schuldner, noch gegenüber dem Insolvenzgericht Anwendung. Soweit jedoch ein besonderes Informationsinteresse des Gläubigers vorliegt, beispielsweise bei möglichen Interessenkonflikten eines bestellten oder zu bestellenden gemeinsamen Vertreters, kann der Schuldner in analoger Anwendung des § 16 Abs. 1 SchVG zur Auskunft verpflichtet sein.118 Um die Identität der teilnehmenden und abstimmenden Schuldverschreibungsgläubiger, insbesondere vor dem Hintergrund der anonymen Handelbarkeit der Schuldverschreibungen, nachvollziehen zu können, ist es ratsam, ein Gläubigerverzeichnis gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 SchVG zu erstellen. Dieses muss den Gläubigern jedoch nicht, wie in § 15 Abs. 2 Satz 2 SchVG vorgesehen, zugänglich gemacht werden.119 d) Tagesordnung und Beschlussgegenstände 41

Das Gesetz nennt als Beschlussgegenstand der ersten Gläubigerversammlung lediglich die Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters zur Wahrnehmung der Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren. Dies gibt auch gleichermaßen den zwingenden (Mindest-)Inhalt der Tagesordnung der ersten Gläubigerversammlung nach Insolvenzeröffnung vor, wobei indes keine Pflicht besteht, einen gemeinsamen Vertreter auch tatsächlich zu bestellen.120 Sofern ein gemeinsamer Vertreter in der ersten Gläubigerversammlung nicht bestellt wird, kann ein entsprechender Beschluss auch in einer folgenden Gläubigerversammlung bestellt werden.121

42

Nach zutreffender Auffassung besteht jedenfalls keine Pflicht des Insolvenzgerichts, bei der Einberufung zur Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG konkrete Beschlussvorschläge zur Person des gemeinsamen Vertreters zu veröffentlichen.122 Für eine Nennung von potentiellen Kandidaten sprechen freilich praktische Erwägungen. Die Formulierung eines konkreten Beschlussgegenstandes unter Nennung eines Kandidaten für das Amt des gemeinsamen Vertreters erhöht die Chancen auf eine Beschlussfassung im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SchVG, die vom Gesetzgeber im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung intendiert ist. Gleichwohl werden dem Insolvenzgericht mögliche Kandidaten in der Regel nicht ohne Weiteres bekannt sein. Ferner hat das Gericht das gerichtliche Neutralitätsgebot zu beachten.123 Sofern dem Gericht seitens des Emittenten oder der Schuldverschreibungsgläubiger Präferenzen hinsichtlich eines oder mehrerer Kandidaten mitgeteilt werden, kann es diese jedoch in den Beschlussvorschlägen berücksichtigen.124 Dementsprechend sollte das Gericht vor der Einberufung zumindest mit dem Emittenten Kontakt aufnehmen, um zu eruieren, ob bereits eine Abstimmung mit den 116 Preß in HamburgKomm/InsO, § 76 InsO Rz. 4; Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 76 InsO Rz. 6. 117 Vgl. Ringstmeier in Beck/Depré, § 11 Rz. 58. 118 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 29, der aus diesem Grund von der direkten Anwendbarkeit des § 16 SchVG ausgeht. 119 Von der Anwendbarkeit der insolvenzrechtlichen Vorschriften ausgehend Thole, ZIP 2014, 293 (297); anders: Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 29. 120 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 24; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (187 f.). 121 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 512. 122 Hierzu Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2396). 123 Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2396). 124 Zur Modalität der Abstimmung bei der Beschlussfassung über mehrere Kandidaten als gemeinsame Vertreter siehe Rz. 47.

414

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 43 § 19 SchVG

Schuldverschreibungsgläubigern im Hinblick auf einen möglichen Kandidaten stattgefunden hat bzw. sich eine Mehrheit für einen bestimmten Kandidaten abzeichnet. Das Gericht sollte jedoch in solchen Fällen aus Transparenzgründen in der Einberufung die Identität des jeweils Vorschlagenden offenlegen. Eine alternative Einsetzung eines Schuldverschreibungsgläubigerausschusses über § 68 InsO kommt nicht in Betracht.125 Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Vertretung der Interessen der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren durch den gemeinsamen Vertreter erfolgen. Fraglich ist, ob neben der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung über weitere Gegenstände Beschluss gefasst werden kann. Die Gesetzesbegründung führt aus, dass „die Schuldverschreibungsgläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners (abweichend von § 5 Absatz 1 Satz 1) nur befugt sind, durch Mehrheitsbeschluss einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger zu bestellen“.126 Hieraus wird zum Teil der Schluss gezogen, dass nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einer schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlung ausschließlich die Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters zulässig ist und über sonstige Gegenstände nicht Beschluss gefasst werden kann.127 Der Wortlaut von § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG spricht hingegen von „Beschlüssen“, was durchaus dafür streitet, dass neben der Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters weitere Beschlüsse der Schuldverschreibungsgläubiger zulässig sind. Nach überzeugender Auffassung ist im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung jedenfalls die Beschlussfassung über Weisungen an den gemeinsamen Vertreter zulässig.128 Dem gemeinsamen Vertreter kommt im Insolvenzverfahren gemäß § 19 Abs. 3 SchVG zwar eine unbeschränkte Rechtsmacht zu (siehe Rz. 74). Im Innenverhältnis zu den Schuldverschreibungsgläubigern bleibt er jedoch weisungsabhängig (siehe Rz. 77 f.).129 Aus diesem Grund besteht ein Bedürfnis des gemeinsamen Vertreters, sich im Innenverhältnis durch legitimierende Beschlüsse der Schuldverschreibungsgläubiger zur Haftungsvermeidung abzusichern.130 Durch die Möglichkeit, bereits in der ersten Gläubigerversammlung Weisungen für den gemeinsamen Vertreter erlassen zu können, ist sichergestellt, dass der gemeinsame Vertreter im Sinne des Gesetzeszwecks schnellstmöglich nach seiner Bestellung seine Tätigkeit aufnimmt. Richtigerweise sind demnach in der ersten Gläubigerversammlung weitere Beschlüsse möglich, jedenfalls sofern sie Weisungen im Innenverhältnis zwischen den Schuldverschreibungsgläubigern und dem ge125 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 29; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 36; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 16. 126 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 127 Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, § 88 Rz. 28; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, § 19 SchVG Rz. 16; Thole, ZIP 2014, 293 (295); Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397); OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, NZI 2016, 149 (150) = AG 2016, 219, das ausdrücklich nur die Möglichkeit des Opt-In nach § 24 Abs. 2 SchVG nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließt; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 28, die jedoch eine Ausnahme für Weisungsbeschlüsse an den gemeinsamen Vertreter zulässt, Rz. 34; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 36, der zumindest eine Änderung der Anleihebedingungen ausschließt. 128 So auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 37; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 531; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 34; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 40; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 59; wohl anders Thole, ZIP 2014, 293 (296). 129 Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 34; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 80; Horn, BKR 2014, 449 (459); nach Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027) sogar nur nach Weisungen handlungsbefugt. 130 Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, § 88 Rz. 32; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269); Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 80; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 28.

Knapp

415

43

§ 19 SchVG Rz. 44 Insolvenzverfahren meinsamen Vertreter betreffen.131 Im Rahmen eines solchen Weisungsbeschlusses können die Schuldverschreibungsgläubiger dem gemeinsamen Vertreter Weisungen im Hinblick auf ein konkretes Abstimmungsverhalten im Rahmen insolvenzrechtlicher Gläubigerversammlungen, wie beispielsweise im Berichtstermin, oder aber im Rahmen der Abstimmung über einen Insolvenzplan erteilen. Ob in dem frühen Stadium der ersten Gläubigerversammlung der Inhalt künftiger insolvenzrechtlicher Beschlüsse bereits hinreichend absehbar ist, kann sicherlich bezweifelt werden. Sofern dies jedoch der Fall sein sollte, ist kein Grund ersichtlich, warum hierfür eine weitere schuldverschreibungsrechtliche Gläubigerversammlung erforderlich sein sollte.132 44

Ferner stellt sich die Frage, ob im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung Beschlüsse über die Änderung von Anleihebedingungen nach § 5 Abs. 1, 3 SchVG gefasst werden können. Solche Beschlüsse können zwar grundsätzlich in weiteren schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gefasst werden (siehe zu den weiteren Gläubigerversammlungen Rz. 56 ff.). Die erste Gläubigerversammlung kann jedoch nicht mit solchen Beschlussgegenständen belastet werden.133 Ferner findet im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung das insolvenzrechtliche Beschlussregime Anwendung (siehe Rz. 46 f.), während eine Änderung der Anleihebedingungen die in § 5 Abs. 4 SchVG vorgesehenen Mehrheiten und die Erreichung des Mindestquorums gemäß § 15 Abs. 3 SchVG voraussetzt. e) Beschlussfassung

45

Vor dem Hintergrund der unklaren Reichweite des § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG stellt sich die Frage, nach welchem Regelungsregime sich die Beschlussfassung in der ersten Gläubigerversammlung richtet. § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG könnte nämlich so verstanden werden, dass die Vorschriften des SchVG für die erste Gläubigerversammlung insgesamt (und damit auch für die Beschlussfassung) und nicht nur für die Einberufung Anwendung finden. Demgegenüber verweist § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG für Beschlüsse der Gläubiger auf die Vorschriften der Insolvenzordnung. Sachnäher erscheint auch hier die Anwendung der Insolvenzordnung (siehe bereits Rz. 38), so dass sich die Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung richtet.134 Dies ist auf Grund der Leitungsmacht des Insolvenzgerichts und aus Effizienzgesichtspunkten auch sachgerecht.

46

Die Insolvenzordnung sieht keine besonderen Voraussetzungen hinsichtlich der Beschlussfähigkeit der Gläubigerversammlung vor. Das schuldverschreibungsrechtliche Quorum nach

131 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 37; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 531; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 34; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 59; a.A.: mit dem Hinweis, dass Weisungen nur in folgenden Versammlungen getroffen werden können Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 23; Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397); anders wohl auch Thole, ZIP 2014, 293 (297). 132 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 37; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 531; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 40. 133 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 532; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 59; a.A.: Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 20. 134 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 48; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 39; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; Thole, ZIP 2014, 293 (297); a.A.: Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 7.

416

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 47 § 19 SchVG

§ 15 Abs. 3 SchVG findet keine Anwendung.135 Die erste Gläubigerversammlung ist demnach beschlussfähig, wenn wenigstens ein stimmberechtigter Gläubiger anwesend ist.136 Das Stimmrecht folgt im Grundsatz § 77 InsO. Abweichend von § 77 Abs. 1 Satz 1 InsO besteht ein Stimmrecht jedoch auch dann, wenn die Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger noch nicht angemeldet sind, da zum einen die Forderungsanmeldung erst durch den zu bestellenden gemeinsamen Vertreter erfolgen soll (§ 19 Abs. 3 SchVG)137 und zum Zeitpunkt der frühen ersten Gläubigerversammlung die Frist zur Anmeldung der Forderungen im Insolvenzverfahren noch nicht abgelaufen sein wird. Die vorhandene Legitimationslücke wird bei der ersten Gläubigerversammlung durch den nach § 10 Abs. 3 SchVG analog beizubringenden Legitimationsnachweis geschlossen (siehe Rz. 39). In Abweichung von § 77 Abs. 1 Satz 2 InsO steht auch Gläubigern nachrangiger Schuldverschreibungen ein Stimmrecht zu.138 Zwar ist für eine insgesamt nachrangige Anleihe nach richtiger Auffassung grundsätzlich keine Gläubigerversammlung einzuberufen (siehe Rz. 24 ff.). Der gemeinsame Vertreter vertritt jedoch sämtliche Gläubiger einer Emission gleichermaßen, so dass es nicht angemessen wäre, einzelne nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangige Gläubiger von der Abstimmung auszunehmen.139 Über den Verweis in § 4 InsO auf die §§ 80 ff. ZPO ist auch nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen eine Vertretung bei der Stimmabgabe zulässig.140 Die Beschlussfassung ist in die vom Insolvenzgericht anzufertigende Niederschrift aufzunehmen.141 In entsprechender Anwendung des § 127a BGB ersetzt das Gerichtsprotokoll das Formerfordernis des § 16 Abs. 3 SchVG.142 Beschlüsse sind nach § 19 Abs. 5 SchVG in Verbindung mit § 9 InsO öffentlich bekannt zu machen (siehe Rz. 131). Auch hinsichtlich der Mehrheitserfordernisse in einer Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG sind die insolvenzrechtlichen Regelungen maßgeblich (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG).143 Für den Beschluss zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters genügt nach § 76 Abs. 2 InsO die einfache Stimmmehrheit, wobei die Summe der Forderungsbeträge der ab-

135 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 50; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 57; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 7. 136 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 12; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; Horn, BKR 2014, 449 (451); Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 12; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 57. 137 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 49; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 22; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 58. 138 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 49; so wohl auch Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312); a.A.: Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 58. 139 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 49; Thole, ZIP 2014, 293 (297). 140 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 38; so wohl auch Thole, ZIP 2014, 293 (296); Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 67. 141 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 12; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 39; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 60. 142 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 12; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 39; Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2396); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 60; Thole, ZIP 2014, 293 (296); a.A.: Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312), die sich dafür aussprechen, dass sicherheitshalber eine Beurkundung vorgenommen werden sollte. 143 Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 61; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 40 f.; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 48.

Knapp

417

47

§ 19 SchVG Rz. 48 Insolvenzverfahren stimmenden Gläubiger entscheidend ist.144 Die Summe der Forderungen der dem Beschlussgegenstand zustimmenden stimmberechtigten Gläubiger muss mithin größer sein als die Hälfte der Summe der Forderungsbeträge aller insgesamt anwesenden und stimmberechtigten Gläubiger.145 Sofern das Insolvenzgericht mehrere Kandidaten für das Amt des gemeinsamen Vertreters zur Abstimmung stellt oder auf Grund von Gegenanträgen mehrere Kandidaten zur Abstimmung stehen, ist über diese nacheinander abzustimmen. Sofern mehrere Kandidaten die erforderliche Mehrheit erreichen, ist derjenige Kandidat bestellt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt.146 48

Fraglich ist, mit welchen Mehrheiten ein Beschluss über eine Weisung an den gemeinsamen Vertreter im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung gefasst werden kann. Für die Anwendung des schuldverschreibungsrechtlichen Mehrheitsregimes spricht zum einen, dass Weisungsbeschlüsse ausschließlich das Innenverhältnis zwischen dem gemeinsamen Vertreter und den Schuldverschreibungsgläubigern betreffen und keine unmittelbare Auswirkung auf das Insolvenzverfahren haben und zum anderen der Gleichlauf zu den Mehrheitserfordernissen für Weisungsbeschlüsse im Rahmen weiterer Gläubigerversammlungen (siehe hierzu unter Rz. 64). Nach überzeugender Auffassung kommen jedoch, wie auch für die Beschlussfassung über die Bestellung des gemeinsamen Vertreters, die Regelungen der Insolvenzordnung zur Anwendung.147 Für die Anwendung der insolvenzrechtlichen Vorschriften spricht zum einen der Wortlaut des § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG, wonach die Beschlüsse der Gläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Bestimmungen der Insolvenzordnung unterliegen. Zum anderen legt die Leitungsmacht des Insolvenzgerichts in der ersten Gläubigerversammlung eine einheitliche Anwendung der insolvenzrechtlichen Vorschriften nahe.

49

Die Mehrheitserfordernisse nach dem SchVG werden damit durch die Regelungen der Insolvenzordnung verdrängt.148 Ist nach der Insolvenzordnung bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO), der Abwahl des Insolvenzverwalters (§ 57 Satz 2 InsO) sowie bei der Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) neben der Summen- auch eine Kopfmehrheit erforderlich, so ist dies auch bei einem die Bestellung des gemeinsamen Vertreters in der Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG ergänzenden Weisungsbeschluss erforderlich.149 Da der gemeinsame Vertreter in der insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlung einheitlich für sämtliche Schuldverschreibungsgläubiger abstimmt, ist dem Schutzzweck der vorgenannten Regelungen durch eine Vorverlagerung auf den Weisungsbeschluss im Innenverhältnis Rechnung zu tragen. Sofern im Insolvenzplan Maßnahmen umgesetzt werden sollen, die gemäß § 5 Abs. 3 SchVG einer qualifizierten Mehrheit der Schuldverschreibungsgläubiger bedürfen, ist auch für den Weisungsbeschluss im Innenverhältnis gegenüber dem gemeinsamen Vertreter eine einfache Mehrheit nach Forderungsbeträgen und Köpfen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO) erforderlich und ausreichend. 144 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 40; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 61; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 537; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 47 f.; Thole, ZIP 2014, 293 (297). 145 Herzig in Braun, § 76 InsO Rz. 10; Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 76 InsO Rz. 29; Knof in Uhlenbruck, § 76 InsO Rz. 33. 146 So für die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters wohl Graeber in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 57 InsO Rz. 16. 147 Lürken in Theiselmann, Kap. 5 Rz. 127; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); innerhalb der Weisungsbeschlüsse differenzierend Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 51. 148 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 41; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 61; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 48. 149 So wohl auch Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 61 sowie Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 40.

418

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 52 § 19 SchVG

Die Vorschriften der Insolvenzordnung gehen jedoch nur im Rahmen ihres Anwendungsbereiches dem SchVG vor.150 Weisungen im Hinblick auf Maßnahmen, die zwar nach den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 3 SchVG), nicht jedoch in einem Insolvenzplan durch Mehrheitsentscheidung umgesetzt werden können, bedürfen der nach den Anleihebedingungen erforderlichen Mehrheiten. Dies gilt insbesondere für die in § 5 Abs. 3 Nr. 5 Alt. 1 SchVG vorgesehene Umwandlung bzw. den Umtausch von Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile, den sogenannten Debt-Equity-Swap (siehe § 5 SchVG Rz. 53 ff.). Während dieser nach § 225a Abs. 2 Satz 2 InsO gegen den Willen der Gläubiger nicht in Betracht kommt, ist diese Maßnahme unter der Geltung des SchVG grundsätzlich mit Mehrheitsentscheidung möglich.151 Hierfür spricht insbesondere auch die Begründung zum Regierungsentwurf zum Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG).152 Eine solche Zwangsumwandlung bedarf jedoch eines qualifizierten Beschlusses der Schuldverschreibungsgläubiger (§ 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG). Für entsprechende Weisungsbeschlüsse die geringeren Mehrheitserfordernisse der Insolvenzordnung ausreichen zu lassen, wäre zum einen systemwidrig und würde zum anderen den Schutz der Schuldverschreibungsgläubiger unangemessen verkürzen.

50

Fraglich erscheint, wie es sich mit den weiteren Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG ver- 51 hält. Ein Insolvenzplan ermöglicht im Grundsatz Eingriffe in die Insolvenzforderung in ihrem jeweiligen Bestand zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.153 Auch wenn insoweit ein großes praktisches Bedürfnis besteht, ist nach wie vor ungeklärt, inwieweit in einem Insolvenzplan auch Eingriffe in Rechtsverhältnisse mit Wirkung für die Zukunft zulässig sind.154 Vor diesem Hintergrund erscheint es fraglich, ob beispielsweise die Umwandlung von Schuldverschreibungen in andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen (§ 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG), der Austausch von Sicherheiten (§ 5 Abs. 3 Nr. 6 SchVG), der Verzicht auf Kündigungsrechte beziehungsweise deren Beschränkung (§ 5 Abs. 3 Nr. 8 SchVG) sowie die Schuldnerersetzung und die Änderung oder Aufhebung von Nebenstimmungen der Schuldverschreibungen (§ 5 Abs. 3 Nr. 9, 10 SchVG) in einem Insolvenzplan durch Mehrheitsentscheidung umgesetzt werden können.155 Hieraus folgt nach zutreffender Auffassung zugleich eine entsprechende Beschränkung der Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis (§ 19 Abs. 3 SchVG). Der gemeinsame Vertreter darf im Hinblick auf solche Maßnahmen seine Zustimmung zu einem Insolvenzplan mit Wirkung für alle Schuldverschreibungsgläubiger nur dann erteilen, wenn er zuvor einen entsprechenden legitimierenden Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit nach dem SchVG eingeholt hat.156 Diese für die Restrukturierungspraxis enorm bedeutsamen Maßnahmen können jedoch außerhalb des Insolvenzplans durch die Schuldverschreibungsgläubiger beschlossen und im Wege einer Planbedingung (§ 249 InsO) mit dem

150 Siehe auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 151 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 34; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 28; ausführlich dazu Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 120 ff. sowie Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 43 ff. 152 Begr. RegE, BT-Drucks 17/5712, 31; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 120. 153 Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 217 InsO Rz. 102. 154 Wohl ablehnend Eidenmüller in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 221 InsO Rz. 93 sowie § 217 InsO Rz. 107 ff. 155 Thole, ZIP 2014, 293 (299) geht davon aus, dass die in § 5 Abs. 3 SchVG genannten Maßnahmen sämtlich auch im Insolvenzplan vollzogen werden können. 156 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 51, 120; hierzu auch Thole, ZIP 2014, 293 (300); Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (17).

Knapp

419

52

§ 19 SchVG Rz. 53 Insolvenzverfahren Insolvenzplanverfahren verknüpft werden.157 Für die Mehrheiten (einschließlich dem erforderlich Quorum) gelten jedoch konsequenter Weise die in den Anleihebedingungen vorgesehenen Mehrheiten (§§ 5, 15 SchVG) und nicht die Mehrheiten der Insolvenzordnung.158 4. Beschlussrechtskontrolle 53

§ 19 SchVG trifft keine explizite Aussage zu der Frage, nach welchem Regelungsregime sich die gerichtliche Kontrolle des Beschlusses der ersten Gläubigerversammlung richtet. In Betracht kommt eine Beschlussrechtskontrolle nach der für die schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlungen geltenden Vorschrift des § 20 SchVG mit einer landgerichtlichen Zuständigkeit. Alternativ könnte über die Verweisungsnorm des § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG die Beschlusskontrolle nach § 78 InsO mit einer Aufhebungskompetenz des Insolvenzgerichts zur Anwendung gelangen. In der Literatur wird zum Teil vertreten, dass Rechtsschutz gegen Beschlüsse der ersten Gläubigerversammlung über Widerspruch nach § 18 Abs. 5 SchVG und Beschlussanfechtungsklage gemäß § 20 SchVG erfolgt.159 Als Begründung wird angeführt, dass es sich nicht um eine insolvenzrechtliche Gläubigerversammlung handele und die in § 78 InsO genannten Antragsberechtigten an der Versammlung gar nicht teilnehmen würden.160 Nach zutreffender Auffassung richtet sich die Beschlusskontrolle nach § 78 InsO.161 Hierfür spricht zunächst der Verweis in § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG auf die Bestimmungen der Insolvenzordnung. Während § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG für die Einberufung einen Rückverweis auf die Regelungen des SchVG enthält, ist ein solcher für die Beschlusskontrolle gerade nicht vorgesehen.162 Auch nach der Gesetzesbegründung gehen die Vorschriften der Insolvenzordnung in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des SchVG nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Grundsatz vor.163

54

Gegen die Anwendung von § 20 SchVG sprechen jedoch auch praktische Erwägungen: Ein Rechtsschutz nach § 20 SchVG würde die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters erheblich verzögern. Während der Rechtsschutz über § 78 Abs. 1 InsO eine rasche Entscheidung ermöglicht,164 beträgt bereits die Klagefrist nach § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG einen Monat. Zudem könnten einzelne Schuldverschreibungsgläubiger aufgrund der Vollziehungssperre in § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG die Bestellung des gemeinsamen Vertreters bis zur rechtskräftigen Entscheidung beziehungsweise bis zur Entscheidung im Freigabeverfahren nach § 246a AktG

157 So wohl Thole, ZIP 2014, 293 (300); ausführlich dazu in Bezug auf Debt-Equity-Swap Westpfahl/ Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 139 ff. 158 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 54; Schulz, S. 341 f.; Thole, ZIP 2014, 293 (300); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 536, die dies jedoch nur de lege ferenda vorschlagen. 159 Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 19a, 33; Horn, BKR 2014, 449 (451); Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 42 f. 160 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 43; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028). 161 So auch LG Leipzig v. 16.1.2015 – 2 HKO 1242/14; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 31; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 57; Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (13); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 63; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 70; Thole, ZIP 2014, 293 (297); ausführlich zu diesem Streit: Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (193 ff.) sowie Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 549 ff. 162 LG Leipzig v. 16.1.2015 – 2 HKO 1242/14; Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (195); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 550. 163 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; die Gesetzesbegründung heranziehend auch LG Leipzig v. 16.1.2015 – 2 HKO 1242/14. 164 Die Beschlussaufhebung ist nach § 78 Abs. 1 InsO in der Gläubigerversammlung zu beantragen und gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde mit einer Frist von 2 Wochen statthaft.

420

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 55 § 19 SchVG

blockieren.165 Dies würde eine Wahrnehmung der Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger durch den gemeinsamen Vertreter erheblich hinauszögern und die Erreichung des gesetzlichen Zwecks, durch Einschaltung eines gemeinsamen Vertreters eine rechtssichere und zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens auch unter Beteiligung einer sehr großen Anzahl von Schuldverschreibungsgläubigern zu gewährleisten, gefährden.166 Der aus der Vollziehungssperre resultierende Schwebezustand führt zu einer Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Berechtigung zur Wahrnehmung der Verfahrensrechte im Insolvenzverfahren. Während zum Teil angenommen wird, dass bereits ein noch nicht rechts- bzw. bestandskräftiger Bestellungsbeschluss die verdrängende Rechtsmacht nach § 19 Abs. 3 SchVG auslöst und alleine der (noch nicht wirksam bestellte) gemeinsame Verteter zur umfassenden Rechtswahrnehmung berechtigt ist,167 ist nicht ersichtlich, wie dies de lege lata begründet werden kann. Das Insolvenzverfahren und seine Beteiligten können mit dieser Rechtsunsicherheit nicht belastet werden. Der sofortigen Beschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO kommt hingegen keine aufschiebende Wirkung zu (§ 6 InsO, § 570 Abs. 1 ZPO). Im Ergebnis sprechen daher sowohl die Gesetzessystematik als auch die beschriebenen praktischen Erwägungen für eine Anwendbarkeit des § 78 InsO. Während den nachrangigen Gläubigern nach § 78 InsO grundsätzlich kein Widerspruchsrecht zusteht, sind für die Zwecke der Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters die stimmberechtigten nachrangigen Schuldverschreibungsgläubiger (siehe Rz. 46) nach § 78 Abs. 1 InsO widerspruchsberechtigt.168 Diesen steht sowohl gegen die Aufhebung des Beschlusses als auch gegen die Ablehnung des Antrages auf Beschlussaufhebung die sofortige Beschwerde nach § 78 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 InsO zu. Im Interesse einer effizienten Gestaltung des Insolvenzverfahrens richtet sich die Beschlussrechtskontrolle auch hinsichtlich etwaiger, in der ersten Gläubigerversammlung getroffenen Weisungsbeschlüsse (vgl. Rz. 43) nach § 78 InsO.169 Die hieraus resultierende Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Schuldverschreibungsgläubiger im Vergleich zum schuldverschreibungsrechtlichen Rechtsschutz ist dabei hinzunehmen. Durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters steht den Schuldverschreibungsgläubigern auf Grund der Kompetenzverdrängung (§ 19 Abs. 3 SchVG) auch nicht der insolvenzplanspezifische Rechtsschutz zu. Ist der Weisungsbeschluss auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten im Rahmen der Abstimmung über einen Insolvenzplan gerichtet, so ist der Rechtsschutz nach § 78 InsO jedoch durch die Vorschriften des § 251 InsO und § 253 InsO inhaltlich zu konkretisieren.

165 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 31; Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (194); Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (13); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 55; dafür aussprechend, dass während der Vollziehungssperre die einzelnen Gläubiger wieder ihre Rechte einzeln verfolgen können Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 33. 166 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 167 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); kritisch hierzu Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 33; von einer verdrängenden Rechtsmacht wohl auch ausgehend Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 31; zu diesem Streitstand ausführlich Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 553 f. 168 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 57; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 556. 169 So wohl auch zu verstehen Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 57; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 63; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 533; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 31; Lürken in Theiselmann, Kap. 5 Rz. 112.

Knapp

421

55

§ 19 SchVG Rz. 56 Insolvenzverfahren

VI. Weitere schuldverschreibungsrechtliche Gläubigerversammlungen im Insolvenzverfahren 56

§ 19 SchVG gibt keinen Aufschluss darüber, ob im Insolvenzverfahren des Emittenten weitere schuldverschreibungsrechtliche Gläubigerversammlungen zulässig sind und welchem Regelungsregime diese unterliegen. 1. Zulässigkeit weiterer schuldverschreibungsrechtlicher Gläubigerversammlungen

57

Während nach § 18 Abs. 4 SchVG 1899 das Insolvenzgericht über die erste Versammlung hinaus weitere Versammlungen einzuberufen hatte, wenn der Insolvenzverwalter, der Gläubigerausschuss oder die Aufsichtsbehörde dies verlangten, nimmt § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG nur noch auf eine (erste) Gläubigerversammlung zum Zwecke der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters Bezug. Die Gesetzbegründung erwähnt, dass die Schuldverschreibungsgläubiger nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners (abweichend von § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) nur befugt sind, durch Mehrheitsbeschluss einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger zu bestellen.170 Dieser Zweck ist mit dem Abhalten der ersten Gläubigerversammlung und der damit einhergehenden Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters erreicht.171 Dies könnte den Schluss zulassen, dass nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten mit Ausnahme der in § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG vorgesehenen Gläubigerversammlung keine weiteren schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlungen mehr zulässig sind und Abstimmungen fortan nur noch in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen stattfinden.172 Richtig ist, dass durch weitere Gläubigerversammlungen außerhalb des Insolvenzverfahrens keine Beschlüsse mit unmittelbarer Wirkung für das Insolvenzverfahren getroffen und hierdurch zudem keine, die Insolvenzmasse belastenden, Kosten verursacht werden können. Durch die Konzentration der Entscheidungsfindung wird eine einheitliche Meinungsfindung und Beschlussfassung im Insolvenzverfahren gewährleistet.

58

Unbeschadet dessen kann allerdings auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Bedürfnis für weitere schuldverschreibungsrechtliche Gläubigerversammlungen bestehen.173 Nachteilige unmittelbare Auswirkungen auf das Insolvenzverfahren sind dabei ebenso wenig zu befürchten wie die Belastung der Insolvenzmasse mit Kosten (siehe Rz. 69). Sofern bereits ein gemeinsamer Vertreter in einer ersten Gläubigerversammlung oder auf Grundlage der Anleihebedingungen bestellt worden ist, wird dieser in der Regel ein Interesse daran haben, sich im Hinblick auf sein Abstimmungsverhalten in wesentlichen insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen aus Haftungsgründen Weisungsbeschlüsse einzuholen (zu den Pflichten des gemeinsamen Vertreters im Innenverhältnis siehe Rz. 77 ff.). Da der Verfahrensstand zum Zeitpunkt der ersten Gläubigerversammlung eine konkrete Weisung mangels Vorhersehbarkeit des Verfahrensverlaufs oftmals nicht zulassen wird, kommt für derartige Weisungsbeschlüsse eine weitere Gläubigerversammlung in Betracht.174 Für die Zulässigkeit weiterer schuldverschreibungsrechtlicher Gläubigerversammlungen spricht auch der Regie170 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 171 Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 66. 172 Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 28, allerdings in Rz. 34 von der Möglichkeit weiterer Gläubigerversammlungen ausgehend und deshalb im Ergebnis wohl auch der anderen Ansicht folgend. 173 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 533; Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31 f.; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 30; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 67; Thole, ZIP 2014, 293 (297); OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, ZInsO 2013, 2119. 174 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 32; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269).

422

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 60 § 19 SchVG

rungsentwurf des ESUG, nach der ein Mehrheitsbeschluss i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 5 SchVG weiterhin möglich sein soll.175 Auch über die Bestellung176 oder die Abwahl und Neubestellung177 eines gemeinsamen Vertreters kann in einer weiteren Gläubigerversammlung Beschluss gefasst werden. Daneben stellt sich die Frage, ob auch Beschlüsse über die Änderung der Anleihebedingungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 SchVG nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gefasst werden können. Dies wird zum Teil mit Verweis auf die Gesetzbegründung („… dass die Anleihegläubiger […] (abweichend von § 5 Absatz 1 Satz 1) nur befugt sind, durch Mehrheitsbeschluss einen gemeinsamen Vertreter für alle Gläubiger zu bestellen“) und die Bedenken, dass die Anleihebedingungen nicht außerhalb des Insolvenzverfahrens und aufgrund eines separaten Beschlusses der Schuldverschreibungsgläubiger mit Wirkung für die Insolvenzmasse geändert werden sollen, abgelehnt.178 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass eine Änderung der Anleihebedingungen als Vertragsänderung stets der Zustimmung des Emittenten und in dessen Insolvenz des Insolvenzverwalters beziehungsweise der eigenverwaltenden Geschäftsleitung (und möglicherweise des Sachwalters) bedarf (§ 4 SchVG),179 wodurch ein Schutz der Insolvenzmasse gewährleistet ist. Anleihebedingungen können im Grundsatz wie auch jede andere vertragliche Beziehung in der Insolvenz durch Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldverschreibungsgläubigern umgestaltet werden.180 Die mit Insolvenzeröffnung eintretende Fälligkeit der den Schuldverschreibungen zu Grunde liegenden verbrieften Forderungen (§ 41 InsO) steht der Umgestaltung nicht entgegen.181

59

Im Hinblick auf Maßnahmen, die auch in einem Insolvenzplan umgesetzt werden kön- 60 nen, besteht grundsätzlich keine Veranlassung, diese außerhalb des Insolvenzplans zu regeln. Relevant wird eine Beschlussfassung über die Änderung der Anleihebedingungen daher hinsichtlich solcher Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG, die nicht im Insolvenzplan mit Mehrheitsentscheidung umgesetzt werden können (siehe Rz. 50 ff.). Soweit diese Maßnahmen zulässigerweise im Insolvenzplan geregelt werden und mit einer einstimmigen Entscheidung umgesetzt werden können (wie beispielsweise der Debt-Equity-Swap nach § 225a Abs. 2 175 Begr. RegE, BT-Drucks. 17/5712, 31; Brenner/Moser; NZI 2016, 149 (151); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 120. 176 OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, ZInsO 2013, 2119; Thole, ZIP 2014, 293 (298) stellt das Rechtsschutzbedürfnis für die Einberufung einer weiteren Gläubigerversammlung mit dem Ziel der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in Frage, wenn in der ersten Gläubigerversammlung abgestimmt, aber die erforderliche Mehrheit verfehlt wurde; vgl. auch Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 33a, der die Einberufung einer weiteren Gläubigerversammlung als rechtsmissbräuchlich ansieht, wenn die Einigung auf einen Gläubigervertreter ausgeschlossen erscheint. 177 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 63; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 31; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 67; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 32. 178 OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, NZI 2016, 149 (150) = AG 2016, 219 für einen Opt-In Beschluss nach § 24 Abs. 2 SchVG; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 28; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 94; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 36; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 16; Thole, ZIP 2014, 293 (296); Horn, BKR 2014, 449 (451); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 40. 179 In der Eigenverwaltung wird in der Regel die Mitwirkung des Sachwalters nach § 275 InsO und gegebenenfalls auch die Mitwirkung des Gläubigerausschusses nach § 276 InsO für Änderungen der Anleihebedingungen erforderlich sein. 180 Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 20; Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (913); zustimmend und ausführlich dazu Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 618 ff. 181 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 620; Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (913); so im Ergebnis auch Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 20.

Knapp

423

§ 19 SchVG Rz. 61 Insolvenzverfahren InsO),182 besteht die Möglichkeit einer, von einer schuldverschreibungsrechtlichen Mehrheitsentscheidung getragenen, Weisung an den gemeinsamen Vertreter, der die Stimmabgabe einheitlich vornimmt (siehe Rz. 111). Daneben und für alle übrigen Fälle besteht die Möglichkeit der rein vertraglichen Umsetzung dieser Maßnahmen nach § 5 Abs. 3 SchVG auf Grundlage der Anleihebedingungen. Eine solche Beschlussfassung wird immer Bestandteil einer Gesamtlösung sein und kann über eine Planbedingung (§ 249 InsO) mit dem Insolvenzpanverfahren verknüpft werden (siehe Rz. 52).183 2. Einberufung 61

Die Einberufung einer weiteren Gläubigerversammlung richtet sich nach den Regelungen des SchVG; der Verweis in § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG ist indes nicht relevant, da dieser sich nur auf die erste Gläubigerversammlung bezieht.184 Die Gläubigerversammlung wird demnach gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SchVG vom Schuldner oder vom gemeinsamen Vertreter einberufen. Sie ist bei einem berechtigten Minderheitsverlangen nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SchVG durch den gemeinsamen Vertreter einzuberufen. Wird diesem Verlangen nicht entsprochen, kann eine gerichtliche Ermächtigung zur Einberufung einer Gläubigerversammlung beantragt werden.185 Die Versammlung findet in Abweichung zur ersten Gläubigerversammlung gemäß § 11 SchVG am Sitz des Schuldners oder der Wertpapierbörse statt.186 Im Übrigen gelten bezüglich der Formalien der Einberufung die Regelungen des SchVG. 3. Durchführung

62

Auch die Durchführung einer weiteren schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlung richtet sich nach den Regelungen des SchVG.187 Da das Insolvenzgericht die Versammlung nicht leitet und die Versammlung und etwaige Beschlüsse dementsprechend nicht gerichtlich protokolliert werden, sind die Formvorschriften des § 16 Abs. 3 SchVG zu berücksichtigen.188 Ferner kann eine weitere schuldverschreibungsrechtliche Gläubigerversammlung auch als virtuelle Versammlung nach § 18 SchVG durchgeführt werden.189 4. Beschlussfassung

63

Vergleichsweise schwerer fällt die Beantwortung der Frage, welchem Regelungsregime die Beschlussfassung und insbesondere die Mehrheitserfordernisse unterliegen. 182 Bedenken bestehen beispielsweise wegen § 254 Abs. 2 InsO im Hinblick auf eine in der Praxis sehr relevante Freigabe von Sicherheiten nach § 5 Abs. 3 Nr. 6 SchVG. 183 Thole, ZIP 2014, 2365 (2368); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 137 ff.; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 104; Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (913). 184 OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 9/13 – Rz. 7, ZInsO 2013, 2119; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 68; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (270); Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 64. 185 OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, ZInsO 2013, 2119; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 64. 186 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 54; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 65. 187 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31; Lürken, GWR 2013, 499; Wilken/Schaumann/ Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 533; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 65; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 69; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (270). 188 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31; Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (312). 189 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31.

424

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 66 § 19 SchVG

§ 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG könnte entnommen werden, dass sämtliche Beschlüsse der Schuld- 64 verschreibungsgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den insolvenzrechtlichen Vorschriften unterliegen.190 Dem wird zu Recht entgegengehalten, dass der Gesetzgeber die Notwendigkeit weiterer Gläubigerversammlungen gar nicht gesehen hat, so dass sich § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG nach dem Regelungszweck nur auf die insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen und die erste Versammlung der Schuldverschreibungsgläubiger gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG bezieht. Für die Beschlussfassung gelten damit grundsätzlich die Regelungen des SchVG.191 Zwar erscheint es widersprüchlich, die Beschlussfassung über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters oder Weisungsbeschlüsse im Rahmen einer ersten und einer weiteren Gläubigerversammlung unterschiedlichen Regelungsregimen zu unterstellen. Mangels gesetzlicher Anordnung bleibt es jedoch im Grundsatz dabei, dass Änderungen im Verhältnis zwischen Emittent und Schuldverschreibungsgläubiger weiterhin den vertraglichen Regelungen und damit bezüglich Beschlussfähigkeit und Mehrheitserfordernisse § 5 Abs. 4 SchVG sowie § 15 Abs. 3 SchVG unterliegen. Zwar wäre durchaus wünschenswert, dass insbesondere für Weisungsbeschlüsse im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten des gemeinsamen Vertreters im Insolvenz(plan)verfahren, die insolvenzrechtlich erforderlichen Mehrheiten Anwendung finden, um einen Gleichlauf mit einer unmittelbaren Abstimmung der Schuldverschreibungsgläubiger über einen Insolvenzplan herbeizuführen.192 Für eine solche Differenzierung fehlt es indes an einer gesetzlichen Grundlage, wenn man davon ausgeht, dass § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG nicht für weitere Gläubigerversammlungen Anwendung findet. Folglich ist das SchVG auf alle Beschlüsse im Rahmen weiterer schuldverschreibungsrechtlicher Gläubigerversammlungen anwendbar.193 Beschlüsse der Schuldverschreibungsgläubiger über sonstige Änderungen der Anleihebedin- 65 gungen, die in einem Insolvenzverfahren nicht umgesetzt werden könnten (siehe Rz. 50 ff.) unterliegen uneingeschränkt dem SchVG. Es wäre nicht zu rechtfertigen, Beschlüsse nach § 5 Abs. 3 SchVG dem insofern weniger strengen Beschlussregime der InsO zu unterwerfen, wenn solche Maßnahmen selbst nicht im Rahmen eines Insolvenz(plan)verfahrens umgesetzt werden können (wie beispielsweise ein Debt-Equity-Swap, siehe Rz. 50). 5. Beschlussrechtskontrolle Die gerichtliche Kontrolle von Beschlüssen, die in weiteren Gläubigerversammlungen gefasst werden, richtet sich einheitlich nach dem SchVG und damit nach § 20 SchVG.194 Für eine entsprechende Anwendung des § 78 InsO über § 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG fehlt es bereits an einer Involvierung des Insolvenzgerichts im Gegensatz zur ersten Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG. Der Zweck des § 19 SchVG erschöpft sich in der Gewährleistung eines reibungslosen und effizienten Ablaufs des Insolvenzverfahrens.195 Beschlüsse in 190 So Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 536; Leuering, NZI 2009, 638 (640); Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); bei der Wahl des gemeinsamen Vertreters in einer weiteren Gläubigerversammlung für die Anwendung der InsO plädierend Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2398). 191 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 65; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31. 192 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); so differenzierend ebenfalls Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 54. 193 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 31; so wohl auch zu verstehen Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 69; anders wohl: Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 536. 194 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 58; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 72; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 70; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 560. 195 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 560.

Knapp

425

66

§ 19 SchVG Rz. 67 Insolvenzverfahren weiteren Gläubigerversammlungen über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters sowie das Innenverhältnis zwischen dem gemeinsamen Vertreter und der Schuldverschreibungsgläubiger hat § 19 SchVG dabei ebensowenig im Blick wie die Beschlussfassung über eine Änderung der Anleihebedingungen.196 Der Suspensiveffekt einer Beschlussanfechtung (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG) bringt freilich das Risiko einer erheblichen Verfahrensverzögerung mit sich. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Schuldverschreibungsgläubiger im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung bereits die Möglichkeit hatten, einen gemeinsamen Vertreter unter Geltung des insolvenzrechtlichen Regimes zu bestellen und diesem Weisungen zu erteilen. Im Hinblick auf etwaige Weisungsbeschlüsse ist der gemeinsame Vertreter im Außenverhältnis keineswegs handlungsunfähig. § 19 Abs. 3 SchVG sieht vor, dass der gemeinsame Vertreter die Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger im Insolvenzverfahren geltend macht. Insoweit hat er im Interesse der Schuldverschreibungsgläubiger zu handeln. Er ist nicht verpflichtet, einen Weisungsbeschluss einzuholen. Sofern er einen Weisungsbeschluss eingeholt hat, dieser jedoch noch nicht vollziehbar ist, wird er sich gleichwohl – unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Anfechtung – von dem Abstimmungsergebnis leiten lassen können.197

VII. Kosten der Gläubigerversammlungen 67

§ 19 SchVG sieht keine ausdrückliche Regelung hinsichtlich der durch die Gläubigerversammlungen entstehenden Kosten vor.198 Zu den Kosten zählen insbesondere die Aufwendungen für die Einberufung sowie deren Veröffentlichung und die Anmietung der Räumlichkeiten. Im Grundsatz trägt die Kosten einer Gläubigerversammlung gemäß § 9 Abs. 4 SchVG bzw. § 18 Abs. 6 SchVG der Emittent unabhängig davon, ob dieser die Versammlung selbst einberufen hat.199 Hinsichtlich der Qualifizierung des Anspruchs auf Kostenerstattung ist zunächst zwischen den Kosten der ersten Gläubigerversammlung sowie etwaiger weiterer Versammlungen zu unterscheiden. 1. Erste Gläubigerversammlung

68

Die Kosten der ersten, vom Insolvenzgericht einzuberufenden Versammlung sind in analoger Anwendung des § 54 Nr. 1 InsO als Gerichtskosten und damit als Masseverbindlichkeiten einzuordnen.200 Für die Qualifizierung als Gerichtskosten spricht, dass die erste Versammlung auf Einberufung des Insolvenzgerichts stattfindet und auch von diesem geleitet wird und das Ziel verfolgt, das Insolvenzverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen.201 Eine unmittelbare Anwendung des § 54 Nr. 1 InsO scheitert daran, dass die Gerichtskosten 196 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 58. 197 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 58; für die Anwendung des Aktienrechts: Horn, BKR 2014, 449 (451). 198 Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 54; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 59. 199 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 541; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 71. 200 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 60; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 542; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 18; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 73; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 27; nicht eindeutig Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 42 sowie Thole, ZIP 2014, 293 (298); von einer direkten Anwendung ausgehend Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 34; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 55; Cranshaw, BKR 2008, 504 (510); Cagalj, S. 170, für die Anwendung von § 54 Nr. 2 InsO analog. 201 Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 55; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 34.

426

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 69 § 19 SchVG

abschließend im Gerichtskostengesetz geregelt sind. Die Kosten der ersten Gläubigerversammlung fallen jedoch weder unter den Auslagentatbestand des KV Nr. 9000 ff. GKG noch sind diese im KV Nr. 2320 GKG als Gebühren für das Insolvenzverfahren aufgeführt.202 Nach zutreffender Auffassung führt auch die Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht zur Eigenschaft einer Masseverbindlichkeit. Durch die Annahme einer Erstattungsfähigkeit über § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO würden nämlich die Kostenregelungen des GKG umgangen.203 Im Hinblick darauf, dass die Kosten der ersten Versammlung jedoch auch nicht als Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO qualifiziert werden können, da diese nicht bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet sind, besteht insofern eine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 54 Nr. 1 InsO zu schließen ist.204 2. Weitere Gläubigerversammlungen Im Gegensatz zu den Kosten der ersten Gläubigerversammlung sind die Kosten etwaiger weiterer Versammlungen der Schuldverschreibungsgläubiger nicht nach § 54 Nr. 1 InsO als Masseverbindlichkeiten einzuordnen. Eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. Das Insolvenzgericht wird bei weiteren Gläubigerversammlungen nicht tätig; die Einberufung und Leitung dürfte in der Praxis durch den gemeinsamen Vertreter (sofern ein solcher bereits bestellt ist) und nur im Ausnahmefall durch den Emittenten erfolgen. Die Kosten weiterer Gläubigerversammlungen sind nicht als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO zu qualifizieren, da diese nicht bei Eröffnung begründet sind.205 Die Kosten stellen vielmehr nachrangige Insolvenzforderungen gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO dar, da es sich hierbei um Kosten handelt, die den Insolvenzgläubigern durch die Teilnahme am Verfahren entstehen.206 Dieses Ergebnis ist insofern problematisch, als es einen gemeinsamen Vertreter davon abhalten wird, eine Gläubigerversammlung einzuberufen. Gleichermaßen ist anzuerkennen, dass durch Gläubigerversammlungen, die das Innenverhältnis zwischen den Schuldverschreibungsgläubigern als Insolvenzgläubiger und dem gemeinsamen Vertreter betreffen, nicht die Masse belastet werden kann. Denkbar ist eine in den Anleihebedingungen oder im Beschlusswege zu treffende Vereinbarung, wonach der gemeinsame Vertreter seine Kosten und Auslagen für weitere Versammlungen aus der den Schuldverschreibungsgläubigern zustehenden Insolvenzquote entnehmen kann.207 Eine solche Regelung dürfte in der Praxis jedoch nur schwer durchzusetzen sein.

202 Siehe hierzu Thole, ZIP 2014, 293 (298); Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 41 f. 203 Vgl. Thole, ZIP 2014, 293 (298); a.A.: Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 41. 204 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 60; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 542; nicht eindeutig Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 42; Thole, ZIP 2014, 293 (298). 205 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 61; Thole, ZIP 2014, 293 (298 f.); Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 40. 206 In diesem Sinne auch Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 61; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 35: Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 71; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 542; wohl auch Thole, ZIP 2014, 293 (298); Cranshaw, BKR 2008, 504 (510); a.A.: Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 42. 207 So zutreffend Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 61; angedeutet auch bei Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 35.

Knapp

427

69

§ 19 SchVG Rz. 70 Insolvenzverfahren

VIII. Der gemeinsame Vertreter im Insolvenzverfahren (§ 19 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 SchVG) 1. Bestellung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren 70

Sofern zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten noch kein gemeinsamer Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger bestellt ist, haben die Schuldverschreibungsgläubiger die Möglichkeit, einen solchen im Rahmen einer nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG vom Insolvenzgericht einzuberufenden Gläubigerversammlung zu bestellen (vgl. Rz. 21 ff.). Die Gesetzbegründung stellt klar, dass die Schuldverschreibungsgläubiger nicht verpflichtet sind, einen gemeinsamen Vertreter zu bestellen,208 eine solche Bestellung aber in aller Regel zur Steigerung der Verfahrenseffizienz wünschenswert ist.209 Sofern es im Rahmen einer solchen ersten Gläubigerversammlung nicht zu einer Bestellung gekommen sein sollte, bleibt es den Schuldverschreibungsgläubigern unbenommen, einen gemeinsamen Vertreter im Rahmen einer weiteren schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlung zu bestellen (siehe Rz. 58).210 Sofern es nicht zu einer Bestellung eines gemeinsamen Vertreters kommt, nehmen die Schuldverschreibungsgläubiger ihre Rechte im Rahmen des Insolvenzverfahrens selbst wahr (siehe Rz. 104 ff., 113 ff.).211

71

Hinsichtlich der Eignung für das Amt des gemeinsamen Vertreters ist auf die Vorschrift des § 7 Abs. 1 SchVG zurückzugreifen. Die Offenlegungspflichten im Hinblick auf potentielle Interessenskonflikte nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 – 4, Satz 3 SchVG gelten auch im Insolvenzverfahren.212 Das Unabhängigkeitserfordernis nach § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO steht einer Bestellung des Insolvenzverwalters zum gemeinsamen Vertreter der Schuldverschreibungsgläubiger entgegen.213 Während der Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben die Interessen sämtlicher Beteiligter zu wahren hat,214 handelt der gemeinsame Vertreter ausschließlich im Interesse der Schuldverschreibungsgläubiger und hat deren Weisungen zu befolgen (§ 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG).215 Eine derartige Bindung gegenüber einer Gläubigergruppe macht ein unabhängiges Tätigwerden für die Gläubigergesamtheit unmöglich. Die Bestellung des gemeinsamen Vertreters erfolgt durch Mehrheitsbeschluss, im Rahmen der ersten Gläubigerversammlung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG nach Maßgabe des insolvenzrechtlichen Beschlussregimes (siehe Rz. 46 f.) und im Rahmen einer weiteren Gläubigerversammlung nach allgemeinen schuldverschreibungsrechtlichen Regeln (siehe Rz. 64). 208 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 7; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 24; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 47; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 72; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (267); so aber zum SchVG 1899 noch Delhaes in FS Metzeler, 2003, S. 9 (44). 209 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 210 OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 9/13, ZInsO 2013, 2119; a.A.: Thole ZIP 2014, 293 (298), der das Rechtsschutzbedürfnis für die Einberufung einer weiteren Gläubigerversammlung mit dem Ziel der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in Frage stellt, wenn in der ersten Gläubigerversammlung abgestimmt, aber die erforderliche Mehrheit verfehlt wurde. 211 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 47, 56; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 26. 212 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 48; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 63; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 23; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 73. 213 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 48; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 23; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 73; kritisch bezüglich der Nähebeziehung zum Schuldner Cranshaw, BKR 2008, 504 (510). 214 Zipperer in Uhlenbruck, § 56 InsO Rz. 25; Ries in K. Schmidt, § 56 InsO Rz. 23. 215 Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 29; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 71; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55; Horn, BKR 2014, 449 (450).

428

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 74 § 19 SchVG

Die Bestellung wird erst mit Annahme durch den gemeinsamen Vertreter wirksam.216 Die Frage des Grundverhältnisses zwischen dem gemeinsamen Vertreter und den Schuldverschreibungsgläubigern beziehungsweise dem Emittenten wird in § 7 SchVG ausführlich behandelt (siehe § 7 SchVG Rz. 22 ff.). 2. Rechtsstellung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren Nach § 19 Abs. 3 SchVG ist ein gemeinsamer Vertreter alleine berechtigt und verpflichtet, 72 die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Trotz des recht klaren Wortlauts der Regelung des § 19 Abs. 3 SchVG ist die Reichweite dieser Vorschrift inhaltlich konkretisierungsbedüftig. Es ist zwischen der Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters zur Wahrnehmung der Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger im Außenverhältnis und der entsprechenden Berechtigung im Innenverhältnis zu den Schuldverschreibungsgläubigern zu unterscheiden. a) Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis § 19 Abs. 3 SchVG umschreibt nach herrschender Meinung jedenfalls die Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis.217 § 19 Abs. 3 SchVG berechtigt den gemeinsamen Vertreter im Insolvenzverfahren des Emittenten zur Wahrnehmung von Rechten aus und im Zusammenhang mit den Schuldverschreibungen.218 § 19 Abs. 3 SchVG überträgt dem gemeinsamen Vertreter umfassend sämtliche insolvenzspezifischen Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger, was insoweit zu einer sehr weitgehenden Kompetenzverdrängung führt.

73

Die Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters nach § 19 Abs. 3 SchVG ist im Außenverhält- 74 nis nicht beschränkbar.219 Soweit der gemeinsame Vertreter berechtigt und verpflichtet ist, die Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger wahrzunehmen, sind diese von der Ausübung ihrer Rechte ausgeschlossen.220 Eine Ausnahme hiervon ist auch durch Mehrheitsbeschluss (§ 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG) nicht möglich.221 Diese Abweichung ist gerechtfertigt, um ein Insolvenzverfahren auch unter Beteiligung einer sehr großen Anzahl von Schuldverschreibungsgläubigern rechtssicher und zügig durchführen zu können.222 Sofern bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein gemeinsamer Vertreter wirksam bestellt war, kann es zu einem Zuwachs an Aufgaben und Befugnissen als gesetzliche Folge des Beschlusses über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten kommen.223 216 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 49; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 65; Antoniadis, NZI 2014, 785 (786). 217 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 50; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 67; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 563. 218 Für eine Beschränkung auf die vertraglich geregelten und verbrieften Ansprüche der Gläubiger nebst etwaigen vertraglichen Schadensersatzansprüchen Horn in BKR 2014, 449 (450); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (267). 219 Ausführlich hierzu: Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (267); Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 81; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 67. 220 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; BGH v. 14.7.2016 – IX ZA 9/16 – Rz. 9, ZIP 2016, 1684; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 19; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 78; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (267). 221 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 222 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 223 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25.

Knapp

429

§ 19 SchVG Rz. 75 Insolvenzverfahren 75

Die Rechtsmacht erstreckt sich auf die Wahrnehmung insolvenzspezifischer Rechte einschließlich der Anmeldung von Forderungen zur Insolvenztabelle,224 der Teilnahme an insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen wie beispielsweise dem Berichts- oder dem Erörterungs- und Abstimmungstermin im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens sowie der Ausübung des Stimmrechts in solchen Versammlungen.225 Ebenfalls erfasst ist die Rechtsbehelfsbefugnis im Insolvenzverfahren. Die Beschränkung auf insolvenzspezifische Rechte bedeutet im Hinblick auf die Abstimmung über einen Insolvenzplan, dass die Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters zur Zustimmung zu einem Insolvenzplan auf Inhalte beschränkt ist, die unter einem Insolvenzplan auch ohne oder gegen den Willen der Schuldverschreibungsgläubiger umgesetzt werden können. Eine wirksame Zustimmung zu sonstigen Maßnahmen wie beispielsweise die Umwandlung der Schuldverschreibungen in Eigenkapital des Emittenten (sog. Debt-Equity-Swap), welche die Zustimmung aller betroffenen Gläubiger voraussetzt (§ 225a Abs. 2 Satz 2 InsO), erfordert eine gesonderte Ermächtigung durch die Schuldverschreibungsgläubiger gemäß den Anleihebedingungen (§ 5 Abs. 3 SchVG).226

76

Während die Einzelheiten hinsichtlich der den Schuldverschreibungsgläubigern verbleibenden Kompetenzen noch ungeklärt sind, verbleibt diesen nach zutreffender Auffassung trotz der verdrängenden Kompetenz des gemeinsamen Vertreters das Recht zur Teilnahme an den insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen und die in diesen Versammlungen bestehenden Informationsrechte.227 b) Berechtigung und Verpflichtung des gemeinsamen Vertreters im Innenverhältnis

77

Nach § 19 Abs. 3 SchVG ist ein gemeinsamer Vertreter berechtigt und verpflichtet, die Rechte der Gläubiger im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Mit der Berechtigung im Außenverhältnis geht damit auch eine entsprechende Verpflichtung im Innenverhältnis gegenüber den Schuldverschreibungsgläubigern einher. Die Aufgaben und Befugnisse des gemeinsamen Vertreters bestimmen sich auch im Insolvenzverfahren nach Gesetz bzw. Mehrheitsbeschluss der Schuldverschreibungsgläubiger (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SchVG).228 Neben der Anmeldung der Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger zur Insolvenztabelle, die sicherlich die Mindestaufgabe des gemeinsamen Vertreters darstellt,229 gehört zu seinem Aufgabenbereich die Teilnahme an sowie die Ausübung des Stimmrechtes in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen sowie die etwaige Einlegung von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen. Auch die Entgegennahme von Zahlungen gehört zu den Aufgaben des gemeinsamen Vertreters.230

224 Vergleichbar mit der Prozessstandschaft wird eine fremde Forderung im eigenen Namen angemeldet. Hierzu: Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 81; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 68. 225 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 19; Paul in BerlinKomm/ InsO, § 19 SchVG Rz. 23; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 80 f.; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 79; Horn, BKR 2014, 449 (450). 226 Thole, ZIP 2014, 293 (300); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 67, 54; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 78. 227 Ausführlich Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 82; zur Informationspflicht auch: Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (270 f.). 228 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 71; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 80; Friedl in Friedl/HartwigJacob, § 19 SchVG Rz. 55, Horn, BKR 2014, 449 (450). 229 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 82; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397). 230 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); Horn, BKR 2014, 449 (450); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (267); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 53.

430

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 79 § 19 SchVG

Die gemäß § 19 Abs. 3 SchVG nicht beschränkbare Rechtsmacht zur Geltendmachung der 78 Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger im Außenverhältnis stellt den gemeinsamen Vertreter im Innenverhältnis freilich nicht von der Berücksichtigung des Gläubigerwillens frei; § 7 SchVG gilt, mit Ausnahme von § 7 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2 SchVG, auch im Insolvenzverfahren.231 Der gemeinsame Vertreter hat wie auch außerhalb des Insolvenzverfahrens Weisungen der Schuldverschreibungsgläubiger, die ihm aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses der Gläubigerversammlung erteilt wurden, zu befolgen (§ 7 Abs. 2 Satz 2 SchVG).232 Verstößt er gegen Weisungen, setzt er sich einem Haftungsrisiko gegenüber den Schuldverschreibungsgläubigern aus (§ 7 Abs. 3 Satz 1 SchVG).233 Im Übrigen hat der gemeinsame Vertreter im pflichtgemäßen Ermessen die Interessen der Schuldverschreibungsgläubiger wahrzunehmen.234 Uneinheitlich beurteilt wird die Frage, ob der gemeinsame Vertreter bereits deshalb pflichtwidrig handelt, wenn er sich vor einer Entscheidung bzw. Maßnahme im Außenverhältnis keine legitimierende Weisung der Schuldverschreibungsgläubiger durch einen Mehrheitsbeschluss im Innenverhältnis einholt. Eine allgemein geltende Verpflichtung wird soweit ersichtlich zu Recht einhellig abgelehnt235 und zum Teil nur bei besonders bedeutenden Rechtshandlungen bejaht.236 Unter Hinweis auf den durch die Durchführung zusätzlicher Gläubigerversammlungen entstehenden organisatorischen und kostenmäßigen Aufwand wird auch vertreten, dass die Einholung von Weisungen nur in Ausnahmefällen erforderlich sein soll, insbesondere dann, wenn wirtschaftlich gleichwertige oder wirtschaftlich kaum vergleichbare Handlungsalternativen mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die Befriedigung der Schuldverschreibungsgläubiger bestehen.237 Alleine im Unterlassen der Einholung eines Weisungsbeschlusses kann nach richtiger Auffassung noch keine Pflichtverletzung des gemeinsamen Vertreters gesehen werden.238 Gerade in der Insolvenz besteht ein Bedürfnis, dass der gemeinsame Vertreter schnell entscheiden kann und sein Handeln nicht zwangsläufig über einen Gläubigerbeschluss legitimieren muss. Auch wenn eine Verpflichtung zur Einholung eines Gläubigerbeschlusses für die Wahrnehmung der insolvenzspezifischen Rechte der Schuldverschreibungsgläubiger abzulehnen ist, wird sich ein gemeinsamer Vertreter in der Praxis bei wesentlichen Entscheidungen, welche unmittelbar in die Rechtspositionen der

231 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 81; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 34; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 71; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55, Horn, BKR 2014, 449 (450); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 565. 232 BGH v. 14.7.2016 – IX ZA 9/16 – Rz. 9, ZIP 2016, 1684; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 54; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 80; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 565; Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 66. 233 Thole, ZIP 2014, 293 (298); Veranneman in Veranneman, §§ 7, 8 SchVG Rz. 68; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027). 234 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 71; Lürken in Theiselmann, Kap. 5 Rz. 112; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55; Horn, BKR 2014, 449 (551); a.A.: Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 34; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269), die darauf verweisen, dass § 19 Abs. 3 SchVG dem gemeinsamen Vertreter nicht die Befugnis einräumt, allein nach bestem Wissen und Gewissen zu handeln. 235 Thole, ZIP 2014, 293 (298); Horn, BKR 2014, 449 (551); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 80. 236 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027). 237 Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269 f.). 238 So wohl auch zu verstehen Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 55; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 71.

Knapp

431

79

§ 19 SchVG Rz. 80 Insolvenzverfahren Schuldverschreibungsgläubiger eingreifen oder deren Befriedigungsinteressen maßgeblich betreffen, gleichwohl zu seiner Absicherung einen Weisungsbeschluss einholen.239 80

In der Regel dürfte es jedoch für den gemeinsamen Vertreter im Insolvenzverfahren in zeitlicher Hinsicht nicht möglich sein, bis zu dem im Insolvenzverfahren maßgeblichen Zeitpunkt einen vollziehbaren Weisungsbeschluss zu erlangen. Dies gilt insbesondere, wenn auf Grund der Anforderungen an die Beschlussfähigkeit zwei Gläubigerversammlungen abgehalten werden müssen oder der Beschluss angefochten wird (§ 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG). Entscheidend – und aureichend – dürfte aus praktischen Erwägungen daher sein, dass sich der Gläubigerwille in der Abstimmung mit der für die Beschlussfassung erforderlichen Mehrheit manifestiert. Auch wenn das erforderliche Quorum nicht erreicht wurde oder der Beschluss noch nicht vollziehbar ist, dürfte ein positiver Weisungsbeschluss zumindest als starkes Indiz dafür herangezogen werden, dass das entsprechende Handeln des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu vereinbaren ist (§ 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 SchVG). Hiervon dürfte bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan grundsätzlich auch auszugehen sein, wenn die Schuldverschreibungsgläubiger durch den Insolvenzplan gegenüber einem Liquidationsverfahren jedenfalls nicht schlechter gestellt sind (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

81

Einen Weisungs- bzw. Ermächtigungsbeschluss muss sich der gemeinsame Verrteter jedoch zwingend für solche Maßnahmen einholen, die im Insolvenzplan nicht gegen den Willen der Schuldverschreibungsgläubiger umgesetzt werden können. Insoweit besteht bereits keine Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters im Außenverhältnis (siehe Rz. 75). Dies gilt insbesondere für den Fall eines Debt-Equity-Swaps (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, Alt. 1 SchVG), der im Insolvenzplan kraft ausdrücklicher Regelung (§ 225a Abs. 2 Satz 2 InsO) nicht gegen den Willen der Gläubiger umgesetzt werden kann.

82

Sofern der gemeinsame Vertreter Enscheidungen als Mitglied des Gläubigerausschusses trifft, hat er die Interessen der Gläubiger in ihrer Gesamtheit zu beachten und tritt daher nicht als reiner Interessenvertreter für die Schuldverschreibungsgläubiger auf. Dementsprechend besteht in solchen Fällen kein Bedürfnis für die Einholung eines Weisungsbeschlusses. 3. Vergütung des gemeinsamen Vertreters

83

Gemäß § 7 Abs. 6 SchVG trägt der Emittent die durch die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters entstehenden Kosten und Aufwendungen, einschließlich einer angemessenen Vergütung des gemeinsamen Vertreters. Zu Einzelheiten hinsichtlich des Entstehens des Vergütungsanspruchs, der Angemessenheit der Vergütung sowie der auch im Insolvenzverfahren relevanten Frage der Qualifizierung des Grundverhältnisses zwischen dem gemeinsamen Vertreter, Emittent und den Schuldverschreibungsgläubigern siehe § 7 SchVG Rz. 22 ff., 64 ff. a) Kostentragungspflicht des Emittenten

84

Mangels abweichender Regelungen in § 19 SchVG besteht die Verpflichtung des Emittenten zur Kostentragung gemäß § 7 Abs. 6 SchVG (ggf. iVm. § 8 Abs. 4 SchVG) auch in dessen Insolvenz.240 Da gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG eine für die Schuldverschreibungsgläubiger nachteilhafte Abweichung von den Regelungen der §§ 5 – 21 SchVG nur bei einer ausdrück239 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2027); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 71; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 34; zurückhaltender Thole, ZIP 2014, 293 (298). 240 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 49; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 85; Brenner, NZI 2014, 789 (791); so wohl auch Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (190).

432

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 88 § 19 SchVG

lichen Bestimmungen im SchVG zulässig ist, besteht auch in der Insolvenz des Emittenten keine Möglichkeit der Abwälzung der Kostentragungspflicht auf die Schuldverschreibungsgläubiger, weder durch die Anleihebedingungen noch durch Mehrheitsbeschluss der Schuldverschreibungsgläubiger.241 Im Insolvenzverfahren wird der Vergütungsanspruch durch die Bestellung des gemeinsamen 85 Vertreters in der nach § 19 Abs. 1 SchVG vom Insolvenzgericht einzuberufenden Gläubigerversammlung begründet. Der Vergütungsanspruch entsteht damit von Gesetzes wegen ungeachtet einer Entscheidung des Emittenten oder des Insolvenzverwalters242 und unabhängig von einer vertraglichen Regelung zwischen dem gemeinsamem Vertreter und dem Emittenten bzw. dem Insolvenzverwalter.243 Gleichwohl kommt es in der Praxis häufig zu Vergütungsvereinbarungen zwischen dem Insolvenzverwalter und dem gemeinsamen Vertreter, nicht zuletzt, um sicherzustellen, dass hinsichlich des Vergütungsanspruchs eine Masseverbindlichkeit begründet wird (siehe Rz. 87 ff.) und um die Angemessenheit der Vergütung zu konkretisieren.244 Eine solche Vereinbarung muss vom Insolvenzzweck getragen sein, wovon auf Grund der gesetzgeberischen Entscheidung zur Effizienzsteigerung einen gemeinsamen Vertreter im Insolvenzverfahren bestellen zu lassen, im Regelfall auszugehen sein dürfte.245 § 7 Abs. 6 SchVG ist keine Regressregelung zu Gunsten der Schuldverschreibungsgläubiger.246 86 Vielmehr begründet die Vorschrift einen unmittelbaren Anspruch gegen den Emittenten; dem gemeinsamen Vertreter steht daneben kein Vergütungsanspruch gegen die Schuldverschreibungsgläubiger zu.247 Demzufolge ist der gemeinsame Vertreter bei Uneinbringlichkeit seiner Vergütungsforderung auch nicht berechtigt, von etwaigen im Rahmen des Insolvenzverfahrens vereinnahmten Insolvenzquotenzahlungen den auf seine Vergütung entfallenden Betrag einzubehalten.248 b) Insolvenzrechtliche Qualifizierung des Vergütungsanspruchs Von zentraler Bedeutung für die Praxis ist die Frage der insolvenzrechtlichen Qualifizierung des Vergütungsanspruchs des gemeinsamen Vertreters.249 Weder das SchVG noch die Insolvenzordnung äußern sich indes zu der Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung des Vergütungsanspruchs.250 In zeitlicher Hinsicht ist zwischen dem Vergütungsanspruch für Tätigkeiten vor und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu differenzieren.

87

aa) Vergütungsanspruch für die Tätigkeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Wurde der gemeinsame Vertreter bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestellt, so ist der bis zur Verfahrenseröffnung entstehende (anteilige) Vergütungsanspruch grundsätz241 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (191); Brenner, NZI 2014, 789 (790). 242 Brenner, NZI 2014, 789 (790); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 49; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 572. 243 Antoniadis, NZI 2014, 785 (786); Brenner, NZI 2014, 789 (790); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (272). 244 Brenner, NZI 2014, 789 (790). 245 So auch Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 584; Brenner, NZI 2014, 789 (792); Horn, BKR 2014, 449 (453). 246 So aber LG Saarbrücken v. 3.9.2015 – 4 O 221/14, NZI 2016, 233 ff. 247 So dürfte auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 20 zu verstehen sein. 248 Grub, ZInsO 2016, 897 (900); Antoniadis, NZI 2014, 785 (788). 249 Ausführlich zum Meinungsstand Grub, ZInsO 2016, 897 ff.; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (273); Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (189 ff.); Brenner, NZI 2014, 789 (791 ff.). 250 Horn, BKR 2014, 449; Brenner, NZI 2014, 789; Grub, ZInsO 2016, 897 (898).

Knapp

433

88

§ 19 SchVG Rz. 89 Insolvenzverfahren lich als Insolvenzforderung i.S.d. § 38 InsO zu qualifizieren, mit der Folge, dass die Vergütungsansprüche im Insolvenzverfahren nicht mehr durchsetzbar sind.251 Dies gilt freilich unabhängig davon, ob der gemeinsame Vertreter und der Emittent vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Vergütungsvereinbarung geschlossen haben; eine vorinsolvenzlich mit dem Emittenten geschlossene Vergütungsvereinbarung bindet die Insolvenzmasse nicht. Eine Einordnung des vorinsolvenzlich entstandenen Vergütungsanspruchs als Masseverbindlichkeit kommt nur dann in Betracht, wenn im vorläufigen Insolvenzverfahren auf Grundlage eines gerichtlichen Beschlusses oder durch einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter bzw. die vorläufig eigenverwaltende Geschäftsleitung eine Masseverbindlichkeit begründet wurde (§ 55 Abs. 2 InsO).252 bb) Vergütungsanspruch für die Tätigkeit ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens 89

Höchst umstritten ist die Frage, wie der Vergütungsanspruch des gemeinsamen Vertreters für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens insolvenzrechtlich einzuordnen ist. Die Frage ist sowohl für den vorinsolvenzlich bestellten gemeinsamen Vertreter, der nach Insolvenzeröffnung im Amt bleibt, als auch für den im Rahmen einer ersten Gläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 SchVG oder einer weiteren Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreter relevant.

90

Auch im Hinblick auf den Vergütungsanspruch für Tätigkeiten eines gemeinsamen Vertreters nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird zum Teil angenommen, dass es sich hierbei um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt.253 Da der Vergütungsanspruch für die Tätigkeit im Insolvenzverfahren jedoch erst nach Verfahrenseröffnung entstehen dürfte, erscheint die Einordnung als Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO problematisch.254 Naheliegender dürfte vor diesem Hintergrund die Qualifizierung des Vergütungsanspruchs als nachrangige Insolvenzforderung nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO sein.255 Dies wird damit begründet, dass der gemeinsame Vertreter ausschließlich ein Interessenvertreter der Schuldverschreibungsgläubiger sei und nicht im Interesse der Gläubigergesamtheit tätig werde, so dass es sich bei dessen Vergütung um Kosten handele, die durch die Teilnahme der Schuldverschreibungsgläubiger am Verfahren entstehen.256

91

Die Einordnung des Vergütungsanspruchs als Insolvenzforderung erscheint auf den ersten Blick konsequent, da der Anspruch auf die Begebung der Schuldverschreibungen zurückgeht und der Anspruch damit zu einem Zeitpunkt vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens angelegt wird.257 Gleichwohl handelt es bei dem Vergütungsanspruch für die Tätigkeit nach Insolvenzeröffnung um eine Masseverbindlichkeit. Neben der praktischen Erwägung, dass sich für den Fall der Einordnung des Vergütungsanspruchs als (nachrangige) Insolvenzfor251 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (190); Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 35; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 24; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 76; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 87 f.; Antoniadis, NZI 2014, 785 (787); Thole, ZIP 2014, 293 (299); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (274). 252 So auch Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 576. 253 Soweit ersichtlich nur Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 49. 254 Antoniadis, NZI 2014, 785 (788); so wohl auch Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 42a. 255 LG Saarbrücken v. 3.9.2015 – 4 O 221/14, NZI 2016, 233 ff.; Antoniadis, NZI 2014, 785 (788 f.); ebenso zur alten Rechtslage Cranshaw, BKR 2008, 504 (510); in diese Richtung auch LG Düsseldorf v. 11.5.2016 – 23 O 97/15, ZInsO 2016, 1036 ff. (offen lassend, ob es sich um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO oder um eine nachrangige Insolvenzforderung gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO handelt). 256 LG Saarbrücken v. 3.9.2015 – 4 O 221/14, NZI 2016, 233 ff.; Antoniadis, NZI 2014, 785 (788). 257 Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (272).

434

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 94 § 19 SchVG

derung keine Kandidaten für das Amt des gemeinsamen Vertreters werden finden lassen,258 scheidet eine Einordnung des Vergütungsanspruchs als Insolvenzforderung nach § 38 InsO bzw. § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO auch gesetzessystematisch aus, da der Vergütungsanspruch unabhängig vom Bestellungszeitpunkt eine Masseverbindlichkeit gemäß §§ 53 ff. InsO darstellt.259 Die Vergütung und Auslagen des gemeinsamen Vertreters stellen zwar keine Kosten des Insolvenzverfahrens analog § 54 Nr. 2 InsO dar.260 Nur Beteiligte des Insolvenzverfahrens, die die Interessen der Gläubigergesamtheit zu wahren haben, sind von § 54 Nr. 2 InsO erfasst, während der gemeinsame Vertreter ausschließlich die Interessen der Schuldverschreibungsgläubiger vertritt und auch nur diesen gegenüber haftet.261 Der Vergütungsanspruch des gemeinsamen Vertreters ist jedoch als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO262 bzw. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO263 einzuordnen.264

92

Sofern der gemeinsame Vertreter und der Insolvenzverwalter eine Vergütungsvereinbarung schließen und hierduch einen Vergütungsanspruch begründen, gelangt § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO zur Anwendung.265 Entscheidend ist, dass die Verbindlichkeit vollständig nach Verfahrenseröffnung begründet wird;266 nicht ausreichend ist eine reine Konkretisierung der Vergütung durch den Insolvenzverwalter und den gemeinsamen Vertreter.267

93

Sofern sich der gemeinsame Vertreter in Ermangelung einer anspruchsbegründenden Vergütungsvereinbarung auf § 7 Abs. 6 SchVG als Rechtsgrundlage für seine Vergütung beruft, handelt es sich bei dem Anspruch gegen den Emittenten nach richtiger Auffassung um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO.268 Unter die „in anderer Weise begründeten Masseverbindlichkeiten“ werden auch Ansprüche gefasst, die kraft Gesetzes erfüllt werden müssen und die einen Bezug zur Insolvenzmasse aufweisen.269 Bei dem Vergütungsanspruch des gemeinsamen Vertreters handelt es sich nach § 7 Abs. 6 SchVG um eine gesetzlich angeordnete Zahlungspflicht des Emittenten. § 19 Abs. 2 SchVG ist zu entnehmen, dass

94

258 Horn, BKR 2014, 449 (452); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 89; kritisch auch Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 42a; dieses Problem sieht auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 49. 259 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 75; ähnlich auch Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 585. 260 BGH v. 14.7.2016 – IX ZB 46/15, ZIP 2016, 1688; a.A.: Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (192); Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 89; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 75; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 24; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 35; diese Lösung hilfsweise vorschlagend Brenner, NZI 2014, 789 (793 f.); Brenner, NZI 2016, 236 (237). 261 BGH v. 14.7.2016 – IX ZB 46/15 – Rz. 16, ZIP 2016, 1688; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 582; Antoniadis, NZI 2014, 785 (788). 262 Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 41; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 583 ff.; Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2400); so auch Brenner, NZI 2014, 789 (792); differenzierend Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 76 f. 263 Thole, ZIP 2014, 293 (299); Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (273). 264 Ausdrücklich offen lassend BGH v. 14.7.2016 – IX ZB 46/15, ZIP 2016, 1688. 265 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 77; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 91; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 584; wohl auch Thole, ZIP 2014, 293 (299). 266 Sinz in Uhlenbruck, § 55 InsO Rz. 10. 267 Anders aber Brenner, NZI 2014, 789 (792). 268 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 585; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 77; Horn, BKR 2014, 449 (452); Brenner, NZI 2014, 789 (792 ff.); Brenner, NZI 2016, 236 (237). 269 Siehe nur Hefermehl in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 55 InsO Rz. 67.

Knapp

435

§ 19 SchVG Rz. 95 Insolvenzverfahren grundsätzlich ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden und ein vorinsolvenzlich bestellter gemeinsamer Vertreter im Amt bleiben soll.270 Unerheblich ist der Umstand, dass die Bestellung letztlich in das Belieben der Schuldverschreibungsgläubiger gestellt ist, denn die Vorschrift bindet jedenfalls den Emittenten. Die Einschaltung eines gemeinsamen Vertreters erleichtert die Anmeldung und Verteilung aus der Sicht des Insolvenzverwalters erheblich (siehe Rz. 99 ff.). Auch darüber hinaus ist der erforderliche Massebezug gegeben. Der Gesetzgeber hält die Vertretung der Schuldverschreibungsgläubiger in der Insolvenz des Emittenten im Interesse einer rechtssicheren und zügigen Durchführung des Insolvenzverfahrens für wünschenswert. In Erfüllung dieses gesetzgeberischen Auftrags fördert der gemeinsame Vertreter zumindest auch das Insolvenzverfahren, was eine weite Auslegung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO rechtfertigt.271 Sofern man davon ausgeht, dass bei vorinsolvenzlicher Bestellung ein zwischen dem Emittenten und dem gemeinsamen Vertreter begründeter Geschäftsbesorgungsvertrag fortbesteht und auch im Falle der Bestellung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grund der gesetzgeberischen Intention ein vertragliches Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem gemeinsamen Vertreter begründet wird, ist eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO konsequent.272 Auch in der Praxis scheint der Vergütungsanspruch bereits in einigen Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeit qualifiziert worden zu sein.273 c) Angemessenheit der Vergütung 95

Die Regelung des § 7 Abs. 6 SchVG bestimmt, dass die Höhe der Vergütung des gemeinsamen Vertreters angemessen sein muss (siehe hierzu § 7 SchVG Rz. 69 ff.).274 Die Konkretisierung der Höhe des Anspruchs ist den Parteien überlassen. Häufig erfolgt diese vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch eine Vergütungsvereinbarung zwischen Emittent und gemeinsamem Vertreter.275 Eine solche vorinsolvenzlich getroffene Vergütungsvereinbarung bindet die Insolvenzmasse jedoch nicht (siehe Rz. 88). Eine Festsetzung bereits im Bestellungsbeschluss ist nicht zwingend notwendig: Das Gesetz bietet für die Begründung einer solchen Pflicht keinerlei Anhaltspunkte.276 Aus Sicht des gemeinsamen Vertreters ist es ratsam, die Höhe der Vergütung vorab mit dem Insolvenzverwalter bzw. der eigenverwaltenden Geschäftsführung und dem Sachwalter abzustimmen.277 Im Rahmen der Angemessenheitsgrenze ist sowohl die Vereinbarung eines Pauschalhonorars als auch die Festlegung eines bestimmten Stundensatzes denkbar. Problematisch erscheint indes die Zugrundelegung der streitwertbezogenen Regelungen des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).278 Eine Berechnung anhand des Gesamtemissionsvolumens dürfte mit Blick auf die Tätigkeit des ge270 Thole, ZIP 2014, 293 (299). 271 Horn, BKR 2014, 449 (453). 272 Thole, ZIP 2014, 293 (299), der in der im SchVG angeordneten Kostentragungspflicht eine Art Zwangsvertrag sieht; diesem folgend Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (273). 273 Brenner, NZI 2014, 789 (792) Fn. 13 mit Verweis auf Beschlüsse einiger Amtsgerichte; vgl. insoweit auch Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 578. 274 Vgl. Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73; Brenner, NZI 2014, 789 (791); Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (189). 275 Brenner, NZI 2014, 789 (791); Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (189); für eine entsprechende Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter: Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73. 276 Zutreffend insoweit Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 590; Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (189); Brenner, NZI 2014, 789 (791). 277 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73. 278 Zutreffend Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 589; bejahend: Brenner, NZI 2014, 789 (791).

436

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 98 § 19 SchVG

meinsamen Vertreters nicht selten zu nicht gerechtfertigten, unangemessen hohen Honoraren führen.279 Eine etwaige Abrede hinsichtlich der Vergütung ist für den Emittenten, wie auch außerinsolvenzlich, nur bis zur Höchstgrenze der Angemessenheit verpflichtend. Eine darüber hinausgehende Vergütung kann mangels Regressmöglichkeit (siehe Rz. 86) nicht auf die Schuldverschreibungsgläubiger abgewälzt werden.280 Weder § 19 SchVG noch die Insolvenzordnung enthalten konkrete Vorgaben für die Vergütung des gemeinsamen Vertreters.281 Die Angemessenheit der Vergütung bestimmt sich auch im Insolvenzverfahren einzelfallabhängig nach dem Umfang der Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters. Bei der Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren können für die Frage der Angemessenheit der Vergütung durchaus andere Maßstäbe heranzuziehen sein als außerhalb einer Insolvenz.282 Während sich bei einer Liquidation im Rahmen der Insolvenz die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters im Wesentlichen in der Forderungsanmeldung und ggf. der Abstimmung im Rahmen des Berichtstermins erschöpfen dürfte, wird im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens darüber hinaus eine umfassende und aufwändige Kommunikation und Koordination mit den Schuldverschreibungsgläubigern erforderlich sein, die den Einsatz zusätzlichen Personals und ggf. von Beratern erforderlich macht und damit eine höhere Vergütung des gemeinsamen Vertreters zu rechtfertigen vermag.283

96

IX. Teilnahme der Schuldverschreibungsgläubiger am Insolvenzverfahren (§ 19 Abs. 3 SchVG) Die Art und Weise der Teilnahme der Schuldverschreibungsgläubiger am Insolvenzverfahren des Emittenten hängt maßgeblich davon ab, ob ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist. Ist dies nicht der Fall, nehmen die Schuldverschreibungsgläubiger grundsätzlich wie sonstige Insolvenzgläubiger am Insolvenzverfahren teil. Vom Teilnahmerecht sind insbesondere das Recht zur Anmeldung von Forderungen, das Recht zur Teilnahme und Abstimmung in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen einschließlich etwaiger Frage- und Auskunftsrechte sowie die Teilnahme an der Verteilung der Insolvenzmasse erfasst. Sofern ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist, nimmt dieser auf Grund seiner verdrängenden Kompetenz (siehe Rz. 73) diese Rechte wahr und die Gläubiger sind insoweit von der Wahrnehmung ihrer eigenen Rechte grundsätzlich ausgeschlossen (§ 19 Abs. 3 SchVG).284

97

Eine besondere Herausforderung stellt im Insolvenzverfahren die freie und über den börslichen Handel anonyme Handelbarkeit der Schuldverschreibungen dar, in der insbesondere die Gefahr von nicht nachvollziehbaren Doppelanmeldungen begründet liegt. Insofern kollidiert das Interesse der Schuldverschreibungsgläubiger an einer freien Handelbarkeit ihrer Wertpapiere mit dem Interesse des Insolvenz- bzw. Sachwalters, Rechtssicherheit hinsichtlich der Identität der Schuldverschreibungsgläubiger in den verschiedenen Verfahrensstadien zu erlangen, um einen geordneten Verfahrensablauf gewährleisten zu können.

98

279 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 589; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73. 280 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73; Brenner, NZI 2014, 789 (791). 281 Kübler in FS Henckel, 2015, S. 183 (190). 282 Brenner, NZI 2014, 789 (791); Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2400). 283 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 73; so wohl auch Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2400). 284 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Leuering, NZI 2009, 638 (640).

Knapp

437

§ 19 SchVG Rz. 99 Insolvenzverfahren 1. Anmeldung der Schuldverschreibungen zur Insolvenztabelle 99

Sofern die Schuldverschreibungen nicht nachrangig (§ 39 Abs. 2 InsO) ausgestaltet sind, sind diese in der Insolvenz des Emittenten als gewöhnliche Insolvenzforderungen nach § 38 InsO zur Insolvenztabelle anzumelden. Hinsichtlich des Verfahrens ist zu unterscheiden, ob ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist oder nicht. a) Forderungsanmeldung durch den gemeinsamen Vertreter

100

Existiert ein gemeinsamer Vertreter im Insolvenzverfahren, so ist dieser alleine berechtigt und verpflichtet, die Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger ordnungsgemäß und fristgerecht anzumelden.285 Auf Grund der aus § 19 Abs. 3 SchVG resultierenden Einziehungsbefugnis meldet der gemeinsame Vertreter die aus den Schuldverschreibungen resultierenden Forderungen im eigenen Namen an.286 Einzelne Gläubiger haben auf Grund der verdrängenden Kompetenzzuweisung des § 19 Abs. 3 SchVG nicht das Recht, ihre Forderungen individuell anzumelden.287 Sofern gleichwohl Schuldverschreibungsgläubiger ihre Forderungen anmelden, sind diese vom Insolvenzverwalter beziehungsweise Sachwalter (§ 270c InsO) zu bestreiten.288

101

Ungeklärt ist die Frage, ob der gemeinsame Vertreter die Forderungen unter Angabe des jeweiligen Gläubigers einzeln oder die von einer Emission erfassten Schuldverschreibungen insgesamt, d.h. den Gesamtnennbetrag global anmelden kann (sog. Globalanmeldung). Grundsätzlich ist bei Sammelanmeldungen wie bei der Anmeldung durch einen Treuhänder die Individualisierbarkeit jeder einzelnen Forderung erforderlich, damit die Möglichkeit des Insolvenzverwalters oder anderer Verfahrensbeteiligter, die Forderungen zu bestreiten, nicht von vorneherein ausgeschlossen ist.289 Außerhalb von Namensschuldverschreibungen dürften dem gemeinsamen Vertreter jedoch die Gläubiger nicht in persona bekannt sein. Zur Erreichung des gesetzlichen Zwecks einer effizienten und zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens muss es dem gemeinsamen Vertreter jedoch möglich sein, eine Globalanmeldung der von einer Emission erfassten Schuldverschreibungen auch ohne Angabe der Forderungsinhaber vorzunehmen. Eine solche Globalanmeldung ist rechtlich einer individuellen Anmeldung der verbrieften Forderungen gleichzustellen und führt demnach nicht dazu, dass diese ihre rechtliche Selbständigkeit verlieren.290 In die Tabelle wird gleichwohl der gemeinsame Vertreter eingetragen; dieser ist alleine berechtigt, die Forderungen aus den Schuldverschreibungen geltend zu machen und diesem steht im Hinblick auf etwaige Quotenzahlungen die Empfangszuständigkeit zu (siehe Rz. 100). Problematisch bei der Globalanmeldung ist der Umstand, dass der Insolvenzverwalter mangels Kenntnis von der Identität der 285 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 82; Thole, ZIP 2014, 293 (298); Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397). 286 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 84 sowie Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 24, die zutreffend darauf verweisen, dass der gemeinsame Vertreter wie ein Prozessstandschafter die Forderungen im eigenen Namen anmeldet. 287 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 84; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 632; Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 87. 288 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 84; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 87. 289 BGH v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, NZI 2009, 242 (243); Sinz in Uhlenbruck, § 174 InsO Rz. 25 m.w.N. 290 Siehe auch Gloeckner/Bankel, ZIP 2015, 2393 (2397); Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 85; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 24; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 89; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 633; zum SchVG 1899 Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (313).

438

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 105 § 19 SchVG

Schuldverschreibungsgläubiger nicht in der Lage ist, die zu Grunde liegenen Forderungen zu prüfen. So können möglicherweise einzelne Schuldverschreibungen nachrangig sein, etwa wenn diese von unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschaftern oder von unter einem gemeinsamen herrschenden Einfluss stehenden Schwesterunternehmen des Emittenten gehalten werden (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Es stellt sich daher die Frage, wie dieser Rechtsunsicherheit in den verschiedenen Stadien des Insolvenzverfahrens zu begegnen ist. Im Rahmen der Forderungsanmeldung ist der gemeinsame Vertreter bei positiver Kenntnis von der Existenz nachrangiger Schuldverschreibungen verpflichtet, dies dem Insolvenzverwalter mitzuteilen. Im Übrigen besteht indes keine Verpflichtung des gemeinsamen Vertreters, diesbezüglich Nachforschungen anzustellen. Gemäß § 19 Abs. 3 Halbs. 2 SchVG ist die Vorlage der Schuldurkunde durch den gemein- 102 samen Vertreter nicht erforderlich. Diese Regelung ist lex specialis zu § 174 Abs. 1 Satz 2 InsO, wonach im Rahmen der Forderungsanmeldung grundsätzlich Urkunden vorzulegen sind (§ 174 Abs. 1 Satz 2 InsO) und sie enthält eine Sonderregelung gegenüber § 797 Satz 1 BGB, wonach der Aussteller einer Schuldverschreibung nur gegen Aushändigung der Schuldverschreibung zur Leistung verpflichtet ist.291 Auch wenn in der Praxis die Schuldurkunden in aller Regel sammelverwahrt werden und bei globalverbrieften Schuldverschreibungen eine Vorlage von Einzelurkunden ohnehin nicht möglich ist, soll hierdurch gewährleistet werden, dass der gemeinsame Vertreter seine Aufgabe effektiv wahrnehmen kann, ohne sich zuvor gegebenenfalls mit einzelnen Gläubigern über die Herausgabe von Schuldurkunden auseinandersetzen zu müssen.292 Nebenforderungen, wie beispielsweise vorinsolvenzliche Verzugsschäden in Form von 103 Rechtsberatungskosten oder Prospekthaftungsansprüche sind nicht von der verdrängenden Kompetenz des § 19 Abs. 3 SchVG erfasst und daher von den Schuldverschreibungsgläubigern individuell geltend zu machen. Im Übrigen ist zu beachten, dass sich der gemeinsame Vertreter bei der Geltendmachung von Individualansprüchen zu Gunsten einzelner Schuldverschreibungsgläubiger möglicherweise einem Interessenkonflikt aussetzen würde. b) Forderungsanmeldung durch die Schuldverschreibungsgläubiger Sofern ein gemeinsamer Vertreter für alle Schuldverschreibungsgläubiger nicht bestellt ist, obliegt es diesen selbst, ihre Forderungen im Insolvenzverfahren anzumelden. Insofern gelten uneingeschränkt die Regeln der §§ 174 ff. InsO. Schuldverschreibungen, die insbesondere nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig sind (siehe Rz. 7), sind erst nach entsprechender Aufforderung durch das Insolvenzgericht (§ 174 Abs. 3 S. 1 InsO) anzumelden.

104

Zur Anmeldung ihrer Forderungen haben die Schuldverschreibungsgläubiger zum Nachweis des Forderungsgrundes und der Forderungshöhe Abdrucke geeigneter Urkunden vorzulegen (§ 174 Abs. 1 Satz 2 InsO). Aus § 19 Abs. 3 Halbs. 2 SchVG könnte der Gegenschluss gezogen werden, dass die Schuldverschreibungsgläubiger – anders als der gemeinsame Vertreter – die Schuldurkunde bei der Anmeldung ihrer Forderungen vorzulegen haben.293 Bei einer in der Praxis regelmäßig anzutreffenden Sammelverwahrung hat der einzelne Schuldverschreibungsgläubiger jedoch sehr schwer Zugriff auf die Sammelurkunde (§ 9a Abs. 1 Satz 1 DepotG). Diese gibt nur Aufschluss darüber, dass und zu welchen Konditionen Schuldverschreibungen ausgegeben wurden, nicht jedoch über den tatsächlichen Inhaber der Schuldverschreibungen. Nach zutreffender Auffassung ist der Nachweis daher nicht zwingend durch

105

291 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 53; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 88. 292 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 293 So Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 57; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2029).

Knapp

439

§ 19 SchVG Rz. 106 Insolvenzverfahren die Vorlage der Schuldurkunde beziehungsweise einer Kopie derselben zu erbringen.294 Im Übrigen ist der Begriff der Urkunde in § 174 Abs. 1 InsO weit zu verstehen. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung sind sämtliche Unterlagen erfasst, die geeignet sind, die Inhaberschaft an einer bestimmten Forderung nachzuweisen.295 Als ausreichend wird daher nach zutreffender Auffassung ein aktueller Depotauszug angesehen.296 Ein solcher Auszug hat die Wertpapierkennnummer (WKN/ISIN) und die dem jeweiligen Gläubiger zustehende Stückzahl an Schuldverschreibungen anzugeben.297 Im frühen Stadium der Forderungsanmeldung kann man von den Schuldverschreibungsgläubigern keine weitergehenden, die Handelbarkeit der Schuldverschreibungen einschränkenden Maßnahmen wie beispielsweise einen Sperrvermerk oder die Umbuchung in eine separate Wertpapierkennnummer mit dem Ziel, den anonymen Handel über die Börse zu unterbinden, verlangen. Solche Voraussetzungen würden das Recht zur Teilnahme am Insolvenzverfahren unangemessen beschränken. 106

Aufgrund der fortdauernden freien Handelbarkeit der Schuldverschreibungen besteht die Gefahr, dass ein und dieselbe Forderung mehrfach angemeldet wird (sog. Doppelanmeldung), ohne dass dies für die Beteiligten erkennbar oder nachvollziehbar ist. Um eine hieraus resultierende Doppelfeststellung zu vermeiden, wird der Insolvenzverwalter bzw. der Sachwalter angemeldete Forderungen in der Regel (vorläufig) bestreiten. Der Problematik der Doppelanmeldung muss jedoch spätestens im Rahmen von Abstimmungen im Insolvenzverfahren und bei der Schlussverteilung begegnet werden. 2. Teilnahme an und Abstimmung in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen

107

Auch die Teilnahme an insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen wie insbesondere dem Berichtstermin und dem Erörterungs- und Abstimmungstermin im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens hängt im Wesentlichen davon ab, ob ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist. a) Teilnahme und Abstimmung durch einen gemeinsamen Vertreter

108

Während die Schuldverschreibungsgläubiger auf Grund der in § 19 Abs. 3 SchVG angeordneten verdrängenden Kompetenz von der individuellen Anmeldung ihrer Forderungen sowie von der Abstimmung im Rahmen von insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen ausgeschlossen sind, verbleiben ihnen einzelne Residualrechte, wie insbesondere ein Teilnahme- sowie ein Frage- und Rederecht in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen (siehe Rz. 76).298 Zwar könnte eine Information der Schuldverschreibungsgläubiger auch durch den gemeinsamen Vertreter erfolgen. Einzelne Informationsansprüche der Gläubiger können jedoch sehr individuell sein und es dürfte dem gemeinsamen Vertreter faktisch nicht möglich sein, diese im Einzelnen zu befriedigen. Auch steht der Gesetzeszweck von § 19 SchVG, eine effiziente und zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten, weder einem 294 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 91; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 637 f.; a.A.: Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 27, die zumindest die Vorlage einer Kopie der Sammelurkunde (§ 9a Abs. 1 DepotG) verlangen; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2029); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 57. 295 Siehe nur Becker in Nerlich/Römermann, § 174 InsO Rz. 16; Jungmann in K. Schmidt, § 174 InsO Rz. 22; Preß/Henningmeister in HamburgKomm/InsO, § 174 InsO Rz. 12. 296 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 638 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 91. 297 Siehe nur Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 638; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 103. 298 Siehe hierzu Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 81 f.

440

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 112 § 19 SchVG

Teilnahme- noch einem Frage- und Rederecht einzelner Schuldverschreibungsgläubiger entgegen. Das Frage- und Rederecht ist in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen ohnehin gegenüber dem aktienrechtlich geprägten Auskunftsrecht nach dem SchVG (§ 16 SchVG) deutlich eingeschränkt.299 Im Hinblick auf die Durchführung der Beschlussfassung finden die Regelungen des Schuldverschreibungsrechts auf die insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen keine Anwendung; es bleibt insoweit hinsichtlich der Frage des Stimmrechts, der Beschlussfähigkeit, der Mehrheitserfordernisse und des Rechtsschutzes bei der Anwendung der Insolvenzordnung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SchVG).

109

Der gemeinsame Vertreter stimmt im Rahmen der insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen für die gesamte Anleihe ab und vertritt damit betragsmäßig das Gesamtvolumen der Emission.300 Wie auch im Rahmen der Forderungsanmeldung (siehe Rz. 101) stellt sich die Frage, wie mit der Unsicherheit hinsichtlich einzelner, möglicherweise nachrangiger Schuldverschreibungen umzugehen ist. Während nachrangige Schuldverschreibungen grundsätzlich kein Stimmrecht vermitteln (§ 77 Abs. 1 Satz 2 InsO), käme diesen bei einer globalen Stimmabgabe durch den gemeinsamen Vertreter ein Stimmrecht zu. Der durch die gesetzliche Regelung in § 19 Abs. 3 SchVG verfolgte Zweck der Verfahrensvereinfachung stößt hier an seine insolvenzrechtlichen Grenzen. Im Interesse der Verfahrenseffizienz ist gleichwohl an der Möglichkeit einer globalen Abstimmung durch den gemeinsamen Vertreter festzuhalten. Wie auch im Rahmen der Forderungsanmeldung ist der gemeinsame Vertreter jedoch verpflichtet, den Insolvenzverwalter über ihm bekannte nachrangige Schuldverschreibungen zu unterrichten.

110

Vertritt der gemeinsame Vertreter die Schuldverschreibungsgläubiger in ihrer Gesamtheit, erfolgt die Stimmabgabe einheitlich für die gesamte Anleihe. Sofern es zuvor im Rahmen einer schuldverschreibungsrechtlichen Gläubigerversammlung zu einer Beschlussfassung im Hinblick auf das Abstimmungsverhalten des gemeinsamen Vertreters in der insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlung gekommen sein sollte, sind diese Mehrheiten im Außenverhältnis nicht relevant. Es kommt vielmehr zu einer Bündelung der Stimmen auf Grundlage des Abstimmungsergebnisses in der Person des gemeinsamen Vertreters.301 Etwaige Verzerrungen im Stimmergebnis, die durch die Anwendung des Mehrheitsprinzips und die Bündelung des Stimmrechts in der Person des gemeinsamen Vertreters auftreten können, sind im Interesse der Vereinfachung des Abstimmungsvorgangs und der Ausübung der einheitlichen Rechtsmacht des gemeinsamen Vertreters hinzunehmen.302

111

Sofern für einzelne Entscheidungen in der insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlung wie im Rahmen der Abstimmung über einen Insolvenzplan (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 InsO), der Aufhebung der Anordnung der Eigenverwaltung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) und der Abwahl des

112

299 Siehe zum Frage- und Rederecht im Erörterungs- und Abstimmungstermin BGH v. 15.7.2010 – IX ZB 65/10, ZInsO 2010, 1448 (1451); Lüer/Streit in Uhlenbruck, § 235 InsO Rz. 28. 300 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 20; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 33; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 79. 301 Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (16); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 51; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269); Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 32; Westpfahl/ Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 45; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 647; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 19 SchVG Rz. 20; Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, § 88 Rz. 30. 302 Auf diese Verfälschungen hinweisend Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028) mit der Anregung, dass Insolvenzverwalter und die übrigen Gläubiger nach einer anderen Lösung suchen müssen, die unter Umständen in der Empfehlung an die Anleihegläubiger bestehen könne, die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters abzulehnen.

Knapp

441

§ 19 SchVG Rz. 113 Insolvenzverfahren Insolvenzverwalters (§ 57 Satz 2 InsO) neben der Summenmehrheit eine Kopfmehrheit erforderlich ist, stellt sich die Frage, ob der gemeinsame Vertreter für jeden Anleihegläubiger eine Stimme besitzt oder ob der gemeinsame Vertreter als unmittelbar an der Abstimmung Teilnehmender nur eine Kopfstimme hat. Während bei einer Forderungsbündelung in der Person eines Gläubigers wie beispielsweise der Agentur für Arbeit oder dem Pensionssicherungsverein anerkannt ist, dass hierdurch das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung auf eine Kopfstimme reduziert wird,303 bleiben die Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger bei der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters vollkommen selbständig, so dass eine entsprechende Reduzierung der Stimmmacht nicht gerechtfertigt werden kann. Die Schuldverschreibungsgläubiger wären nicht angemessen repräsentiert, sofern dem gemeinsamen Vertreter nur eine Kopfstimme zustünde.304 Problematisch ist jedoch, dass sich die genaue Anzahl der Anleihegläubiger mangels Kenntnis von deren Identität nicht oder nur sehr schwer ermitteln lassen wird. Im Insolvenzplanverfahren wird die Frage der Kopfmehrheit ohnehin nur relevant, wenn die Schuldverschreibungsgläubiger in einer Gruppe mit weiteren Gläubigern abstimmen. In der Regel dürfte jedoch für die Schuldverschreibungsgläubiger im Rahmen eines Insolvenzplans eine separate Gruppe gebildet werden. Im Übrigen wird der gemeinsame Vertreter zur Feststellung der Anzahl der Schuldverschreibungsgläubiger diese auffordern müssen, eine Depotbescheinigung und einen Sperrvermerk, der den Tag der Abstimmung mit erfasst, beizubringen. Die berücksichtigungsfähigen Kopfmehrheiten sind demnach auf die nachgewiesenen Schuldverschreibungsgläubiger begrenzt. b) Teilnahme und Abstimmung durch die Schuldverschreibungsgläubiger 113

Wenn ein gemeinsamer Vertreter nicht bestellt ist, steht das Teilnahme- und Stimmrecht in insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen vollumfänglich den Schuldverschreibungsgläubigern zu. Dieses richtet sich ausschließlich nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften (§§ 76 ff., 235 ff. InsO). Voraussetzung für die Teilnahme an der Abstimmung ist nach allgemeinen Grundsätzen, dass der Schuldverschreibungsgläubiger seine Forderung zur Tabelle angemeldet hat und diese weder vom Insolvenzverwalter noch von einem stimmberechtigten Gläubiger bestritten worden ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 InsO).

114

Sofern die Schuldverschreibungen während des Insolvenzverfahrens weiterhin anonym am Markt gehandelt werden können, ist sicherzustellen, dass die an der Gläubigerversammlung teilnehmenden und abstimmenden Schuldverschreibungsgläubiger zum Zeitpunkt der Teilnahme und Abstimmung auch tatsächlich Inhaber der Schuldverschreibungen sind. Der Nachweis der Gläubigerstellung kann durch die Vorlage eines Depotauszuges in Verbindung mit einem Sperrvermerk erbracht werden. Darin bestätigt die Depotbank, dass sie eine bestimmte Anzahl Schuldverschreibungen für einen bestimmten Inhaber verwahrt und eine Übertragung der Schuldverschreibungen bis zum Ablauf einer bestimmten Frist nicht vornehmen wird. Auf Grund der Unsicherheit hinsichtlich der Dauer der Gläubigerversammlung sollte der Sperrvermerk den gesamten Tag, an dem die Gläubigerversammlung stattfindet, erfassen.

115

Sofern der Insolvenzverwalter zur Vermeidung einer Doppelfeststellung Forderungen vorläufig bestreitet, steht den Schuldverschreibungsgläubigern gleichwohl ein Stimmrecht zu, sofern sie einen ordnungsgemäßen Depotauszug und Sperrvermerk beigebracht haben, denn aus dem vorläufigen Bestreiten dürfen den Schuldverschreibungsgläubigern keine Ab-

303 Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (20). 304 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 51; Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 33; Paul in BerlinKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 31; Hofmann in FS Kübler, 2015, S. 265 (269); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 46; Penzlin/Klerx, ZInsO 2004, 311 (313).

442

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 119 § 19 SchVG

stimmungsnachteile erwachsen.305 Eine Einigung mit dem Insolvenzverwalter gemäß § 77 Abs. 2 InsO ist dementsprechend rechtlich nicht erforderlich.306 Ein Stimmrecht ist freilich zu versagen, wenn der Insolvenzverwalter die zu Grunde liegenden Forderungen beispielsweise aufgrund materiell-rechtlicher Einwände oder auf Grund deren Nachrangigkeit (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) bestreitet. 3. Besonderheiten im Rahmen des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens (§§ 176 ff. InsO; §§ 187 ff. InsO) Der Ablauf des Forderungsprüfungs- und Verteilungsverfahrens unterscheidet sich ebenfalls ganz maßgeblich abhängig davon, ob ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist oder nicht.

116

a) Verfahren mit gemeinsamem Vertreter Sofern ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist und dieser die Schuldverschreibungen angemeldet hat, besteht das Risiko einer Doppelfeststellung nicht, so dass grundsätzlich nichts gegen eine frühzeitige Feststellung der Forderungen spricht.307 Da der gemeinsame Vertreter die Forderung aus den Schuldverschreibungen auf Grund seiner aus § 19 Abs. 3 SchVG resultierenden Einziehungsbefugnis (siehe Rz. 100) im eigenen Namen anmeldet, wird er selbst in die Tabelle eingetragen. Der gemeinsame Vertreter ist zur Entgegennahme von Zahlungen im Rahmen des Verteilungsverfahrens berechtigt308 und ist auch für die Verteilung der Erlöse an die Schuldverschreibungsgläubiger verantwortlich.309

117

Sofern dem Insolvenzverwalter bekannt ist, dass einzelne Schuldverschreibungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nachrangig sind, hat er diese zu bestreiten. Im Rahmen der Verteilung ist der auf die nachrangigen Schuldverschreibungen entfallende Betrag in Abzug zu bringen (dies ist jedoch bei der Abwicklung über Clearstream praktisch schwierig, siehe Rz. 123 ff.). Die aus der Globalanmeldung resultierende Ungewissheit hinsichtlich potentiell nachrangiger Schuldverschreibungen ist im Interesse der Verfahrensvereinfachung hinzunehmen (siehe bereits Rz. 101 und Rz. 110). Sofern sich nach der Verteilung an den gemeinsamen Vertreter herausstellen sollte, dass einzelne Schuldverschreibungen nachrangig waren, ist der gemeinsame Vertreter bzw. sind die Inhaber der nachrangigen Schuldverschreibungen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen verpflichtet, die auf die nachrangigen Schuldverschreibungsgläubiger entfallenden Beträge an den Insolvenzverwalter herauszugeben.

118

b) Verfahren ohne gemeinsamen Vertreter Die Forderungsprüfung und die Verteilung gestalten sich deutlich komplizierter, wenn kein 119 gemeinsamer Vertreter bestellt ist. Das Forderungsprüfungsverfahren dient dem Zweck, den Kreis der Insolvenzforderungen, die an der Verteilung der Insolvenzmasse partizipieren, festzulegen. Weder die Anmeldung noch die Feststellung einer Forderung schließen jedoch 305 Knof in Uhlenbruck, § 77 InsO Rz. 18. 306 Knof in Uhlenbruck, § 77 InsO Rz. 18; Kübler in Kübler/Prütting/Bork, § 77 InsO Rz. 19; Jungmann in K. Schmidt, § 77 Rz. 6; zurückhaltend hinsichtlich der Einschränkung des Stimmrechts auch Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2013, § 77 InsO Rz. 17; a.A.: Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 651; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 85. 307 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 93. 308 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 84; Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 68. 309 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 94.

Knapp

443

§ 19 SchVG Rz. 120 Insolvenzverfahren die erneute Anmeldung bzw. Feststellung etwa durch einen Rechtsnachfolger aus.310 Während auf Wechseln und sonstigen Schuldurkunden die Feststellung der zu Grunde liegenden Forderungen vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu vermerken ist (§ 178 Abs. 2 Satz 3 InsO), besteht diese Möglichkeit bei global verbrieften Wertpapieren naturgemäß nicht. Dies birgt die Gefahr, dass es im Falle der vorstehend beschriebenen Doppelanmeldung auch zu einer Doppelfeststellung der Forderungen kommt. Dies ist auf Grund der Titelfunktion, die der Feststellung zur Insolvenztabelle zukommt (§ 178 Abs. 3 InsO), auch vor dem Hintergrund möglicher Haftungsrisiken des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters (§ 60 InsO)311 zu vermeiden. Das Problem der unerkannt doppelten Berücksichtigung derselben Forderung wird schließlich im Rahmen des Verteilungsverfahrens besonders virulent, da dort sichergestellt sein muss, dass eine Verteilung nur an tatsächliche Inhaber von Schuldverschreibungen erfolgt. 120

Die Praxis begegnet dem Risiko der Doppelfeststellung in der Regel dadurch, dass der Insolvenzverwalter angemeldete Anleiheforderungen im Prüfungstermin zunächst (vorläufig) bestreitet und die endgültige Feststellung der Forderungen auf einen späteren Zeitpunkt vor der Vornahme der Verteilung vertagt. Ein solches (vorläufiges) Bestreiten ist als ein uneingeschränkter Widerspruch im Sinne des § 178 Abs. 1 InsO anzusehen, da die Feststellungswirkung nach § 178 Abs. 1 InsO gerade vermieden werden soll.312 Alternativ besteht die Möglichkeit, dass der Insolvenzverwalter die Forderungen der Schuldverschreibungsgläubiger aufschiebend bedingt auf ein Ereignis feststellt, zu dem die Voraussetzungen für eine Ausschüttung bzw. Quotenauszahlung auf die Schuldverschreibungen gegeben sind.313 Da das (vorläufige) Bestreiten für den Schuldverschreibungsgläubiger Anlass geben kann, die Feststellung seiner Forderung zur Insolvenztabelle im Wege der zivilrechtlichen Klage zu verfolgen, ist es ratsam, die Schuldverschreibungsgläubiger über die Vorgehensweise und die Hintergründe des (vorläufigen) Bestreitens rechtzeitig aufzuklären.314

121

Die den Schuldverschreibungen zu Grunde liegenden Forderungen können erst dann durch Rücknahme des (vorläufigen) Widerspruchs festgestellt werden, wenn die Inhaberschaft an den Schuldverschreibungen zweifelsfrei feststeht und sichergestellt ist, dass sich diese über den Zeitpunkt der Schlussverteilung hinaus nicht mehr ändert. Um dies sicherzustellen kommt, wie bereits zur Identitätsfeststellung bei der Abstimmung in Gläubigerversammlungen, die Kombination aus einer Depotbestätigung und einem Sperrvermerk der Depotbank in Betracht (siehe Rz. 39).315 Die Depotbestätigung kann als rein interne Erklärung der Depotbank gegenüber dem Kunden oder als Erklärung gegenüber dem Emittenten bzw. dem Insolvenzverwalter ausgestaltet sein. Auch bei einer rein internen Erklärung gegenüber dem Kunden ist durchaus denkbar, dass der Emittent bzw. der Insolvenzverwalter bei einem Verstoß der Depotbank gegen die Bestätigung Rechte aus dem Sperrvermerk gegen die Depotbank herleiten kann.316 Technisch unmöglich wird der börsliche Handel nur durch ein

310 Sinz in Uhlenbruck, § 177 InsO Rz. 14; Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 641. 311 Zur Haftungsfrage siehe Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 658. 312 BGH v. 9.2.2006 – IX ZB 160/04, ZInsO 2006, 320; Sinz in Uhlenbruck, § 178 InsO Rz. 19. 313 Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 643. 314 Hierauf weist auch Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 643 hin. 315 In praktischer Hinsicht ist zu beachten, dass ausländische Depotbanken zum Teil Schwierigkeiten haben, einen Sperrvermerk auszustellen, siehe hierzu Westpfahl/Seibt in Schmidt, SanierungsrechtKommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 97. 316 Vgl. zum Bestandsnachweis gemäß § 123 Abs. 3 Satz 1, 6 AktG Schwarz, Globaler Effektenhandel, S. 776 f.

444

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 125 § 19 SchVG

Delisting317 oder eine Umbuchung der Schuldverschreibungen in eine nicht handelbare Sonder-WKN/ISIN.318 Während der Sperrvermerk und die Umbuchung in eine nicht handelbare Sonder-WKN/ 122 ISIN den börslichen Handel der Schuldverschreibungen ausschließt, sind die Schuldverschreibungsgläubiger nicht daran gehindert, die Schuldverschreibungen außerbörslich durch Abtretung des Herausgabeanspruchs gegen die Depotbank zu übertragen.319 Die Schuldverschreibungen würden in einem solchen Fall jedoch weiterhin im Depot des übertragenden Schuldverschreibungsgläubigers gebucht sein und eine Neuanmeldung (und damit das Risiko einer Doppelfeststellung) wäre ausgeschlossen, da der Erwerber die Inhaberschaft nicht durch eine Depotbestätigung nachweisen könnte. 4. Technische Abwicklung der Verteilung Die Verteilung kann zum einen unmittelbar zwischen dem Insolvenzverwalter und den ein- 123 zelnen Schuldverschreibungsgläubigern bzw. dem gemeinsamen Vertreter als Empfangsberechtigten, oder aber zentralisiert über die Clearstream Banking AG, über die auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens Zahlungen an die Schuldverschreibungsgläubiger abgewickelt würden, erfolgen. Sofern ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist, ist der Aufwand für den Insolvenzverwalter in beiden Alternativen gleichermaßen gering, da er die Auszahlung nur an eine zentrale Stelle vornehmen müsste. Sofern ein gemeinsamer Vertreter jedoch nicht bestellt ist, bedeutet die unmittelbare Abwicklung auf Grund der oftmals enormen Zahl an beteiligten Schuldverschreibungsgläubigern für den Insolvenzverwalter einen enormen logistischen Aufwand. Insbesondere in diesem Szenario stellt sich für den Insolvenzverwalter daher die Frage, ob in der Insolvenz die Verteilung über die Clearstream Banking AG abgewickelt werden kann.

124

Bei einer Abwicklung über die Clearstream Banking AG würde der Insolvenzverwalter die Summe der an die Schuldverschreibungsgläubiger zu verteilenden Beträge an die Clearstream Banking AG überweisen, die diese wiederum an die bei ihr registrierten Depotbanken weiterreichen würde. Auf der bei der Clearstream Banking AG verwahrten Globalurkunde würde sodann ein entsprechender Ausschüttungsvermerk angebracht, so dass ein etwaiger späterer Erwerber Schuldverschreibungen nur exklusive der bereits erfolgten Ausschüttung erwerben würde.320 Durch die Abwicklung über die Clearstream Banking AG ist sichergestellt, dass die Verteilung an die zu diesem Zeitpunkt tatsächlichen Inhaber von Schuldverschreibungen erfolgt. Diese Rechtssicherheit ist aus insolvenzrechtlicher Sicht im Grundsatz durchaus zu begrüßen. Eine möglicherweise fehlende Personenidentität zwischen dem Gläubiger, der die Schuldverschreibung angemeldet hat und dem im Rahmen der Verteilung Begünstigten ist unschädlich und das Ergebnis der nach der Anmeldung fortbestehenden Handelbarkeit der Schuldverschreibungen. Die Bedeutung des Tabelleneintrags erschöpft sich in der Feststellung, dass die in der Schuldverschreibung verbriefte Forderung festgestellt ist.321

125

317 Siehe hierzu Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 664. 318 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 98. 319 Im Detail zu Direktgeschäften ohne Depotumstellung Schwarz, Globaler Effektenhandel, S. 341 f. 320 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2029); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 103. 321 Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2029); Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 103; Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 84.

Knapp

445

§ 19 SchVG Rz. 126 Insolvenzverfahren 126

Problematisch ist jedoch, dass bei der Verteilung über die Clearstream Banking AG alle Schuldverschreibungsgläubiger einer Emission gleichermaßen und unabhängig davon berücksichtigt werden, ob und in welcher Höhe sie ihre Forderungen im Insolvenzverfahren tatsächlich angemeldet haben. Da die Clearstream Banking AG im Rahmen des technischen Verfahrens nicht zwischen angemeldeten und festgestellten und sonstigen Schuldverschreibungen, die nicht an der Verteilung teilnehmen, differenzieren kann, und die Sperrung der Depotbanken für die Clearstream Banking AG nicht erkennbar ist, erfolgt die Abwicklung der Verteilung über die Clearstream Banking AG hinsichtlich sämtlicher Schuldverschreibungen einheitlich. Dies hat zur Folge, dass alle Inhaber von Schuldverschreibungen einer bestimmten WKN/ISIN über ihre jeweiligen Depotbanken pro rata an der Verteilung partizipieren. Im Insolvenzverfahren erfolgt die Verteilung hingegen auf der Grundlage eines Verteilungsverzeichnisses, in dem Forderungen nur insoweit berücksichtigt werden, als diese angemeldet und festgestellt wurden.322

127

Sofern der Insolvenzverwalter den Gesamtbetrag der auf die angemeldeten Schuldverschreibungen entfallenden Insolvenzquote den Schuldverschreibungsgläubigern über die Clearstream Banking AG zukommen lässt, würden die Schuldverschreibungsgläubiger, die ihre Forderungen angemeldet haben, im Ergebnis eine geringere, weil verwässerte Insolvenzquote erhalten. Abhilfe würde eine Umbuchung der angemeldeten Schuldverschreibungen in eine nicht handelbare Sonder-WKN/ISIN schaffen. Die Clearstream Banking AG würde die Ausschüttung in diesem Fall nur an die Inhaber der Schuldverschreibungen mit der neuen WKN/ISIN vornehmen. Auch dies ist jedoch nur dann ein gangbarer Weg, sofern die Schuldverschreibungsgläubiger ihre Forderungen der Höhe nach korrekt anmelden. Oftmals werden die Forderungen, insbesondere die Zinsforderungen jedoch nicht richtig berechnet. Soweit die angemeldete Zinsforderung hinter der tatsächlichen Zinsforderung zurückbleibt, darf eine Ausschüttung grundsätzlich nicht erfolgen. Auch sonstige Nebenforderungen wie beispielsweise etwaige auf Grund Zahlungsverzuges begründete vorinsolvenzliche Beratungskosten müssen unmittelbar zwischen dem Insolvenzverwalter und dem jeweiligen Schuldverschreibungsgläubiger abgewickelt werden. Neben den insolvenzrechtlichen Bedenken bedeutet die wertpapierrechtliche Abwicklung über die Clearstream Banking AG daher auch nicht unbedingt eine Vereinfachung des Verfahrens.

128

Diese Probleme stellen sich nicht, sofern ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist und dieser die Forderungen aus den Schuldverschreibungen angemeldet hat. In diesem Fall werden sämtliche Forderungen einheitlich angemeldet, so dass bei der Abwicklung über die Clearstream Banking AG insoweit nicht die Gefahr unrechtmäßiger Ausschüttungen besteht. Die Clearstream Banking AG wird sich in diesem Fall mit ihren jeweiligen Kunden auseinandersetzen.323 Sofern der gemeinsame Vertreter die Auszahlung ohne Einschaltung der Clearstream Banking AG unmittelbar abwickelt, fällt es in den Verantwortungsbereich des gemeinsamen Vertreters, sich um die Verteilung im Innenverhältnis zu den Schuldverschreibungsgläubigern zu kümmern.324 Da dem gemeinsamen Vertreter die Identität der Schuldverschreibungsgläubiger jedoch ganz überwiegend nicht bekannt sein wird, wird die Abwicklung in der Regel über die Clearstream Banking AG erfolgen. Problematisch ist jedoch auch im Rahmen der Abwicklung die Existenz nachrangiger Schuldverschreibungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Bei Kooperationsbereitschaft des Inhabers nachrangiger Schuldverschreibungen besteht die Möglichkeit, dass dieser seine Schuldverschreibungen in eine Sonder-WKN/ISIN umbucht, um eine Verteilung über die Clearstream Banking AG im Übrigen zu ermöglichen. 322 Ampferl in FS Kübler, 2015, S. 11 (13); a.A.: offensichtlich Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2029) sowie Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 89. 323 Siehe auch Wilken/Schaumann/Zenker, Anleihen in Restrukturierung und Insolvenz, Rz. 655; Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 95. 324 Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 94.

446

Knapp

Insolvenzverfahren

Rz. 131 § 19 SchVG

Wird den Schuldverschreibungsgläubigern unter einem Insolvenzplan ein Wahlrecht hinsichtlich der Art und Weise der Befriedigung gewärt (wie beispielsweise ein Wahlrecht zwischen Barauszahlung und Eigenkapital im Rahmen eines Debt-Equity-Swaps), ist die Schaffung von Sonder-WKNs/ISINs erforderlich, um zum einen sicherzustellen, dass eine einmal erfolgte Wahlrechtsausübung auch im Falle eines Handels der entsprechenden Schuldverschreibung Bestand hat und zum anderen, um für den Fall der Abwicklung über die Clearstream Banking AG eine Unterscheidbarkeit der Schuldverschreibungen je nach Ausübung des Wahlrechts herbeizuführen.325

129

X. Insolvenzplanverfahren (§ 19 Abs. 4 SchVG) § 19 Abs. 4 SchVG bestimmt, dass ein Insolvenzplan für alle Gläubiger derselben Anleihe gleiche Bedingungen vorsehen muss.326 Die Regelung entspricht der Vorgängerregelung § 19a SchVG 1899. Sie enthält eine Konkretisierung des insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgebots in § 226 Abs. 1 InsO, wonach in einem Insolvenzplan Beteiligten einer Gruppe gleiche Rechte anzubieten sind. In der Praxis werden Schuldverschreibungsgläubiger einer Emission in aller Regel in einer Gruppe zusammengefasst werden. Während es grundsätzlich rechtlich möglich und denkbar ist, dass ungesicherte Schuldverschreibungen mit anderen ungesicherten Gläubigern in einer Gruppe zusammengefasst werden, dürfte eine Aufspaltung der Schuldverschreibungsgläubiger aus einer Emission mit inhaltsgleichen Bedingungen auf mehrere Gruppen nicht in Betracht kommen.327 Eine sachgerechte Abgrenzung der Gruppen wird aufgrund der Interessenhomogenität der Schuldverschreibungsgläubiger einer Emission nur sehr schwer möglich sein.328 Sind die Schuldverschreibungsgläubiger in einer Gruppe zusammengefasst, gilt § 226 Abs. 1 InsO, ohne dass es der Regelung des § 19 Abs. 4 SchVG bedürfte. Nur in dem sehr theoretischen Fall, in dem die Schuldverschreibungsgläubiger einer Emission auf mehrere Gruppen verteilt sind, ist § 19 Abs. 4 SchVG von Relevanz. Sofern ein gemeinsamer Vertreter bestellt ist, dürfte dieser einem Plan, der für die Schuldverschreibungsgläubiger einer Emission unterschiedliche Rechte vorsieht, nicht zustimmen.329

130

XI. Bekanntmachungen (§ 19 Abs. 5 SchVG) § 19 Abs. 5 SchVG ordnet an, dass alle Bekanntmachungen nach diesem Gesetz nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Emittenten zusätzlich unter der von § 9 InsO vorgegebenen Internetadresse (www.insolvenzbekanntmachungen.de) zu erfolgen haben.330 Mit der Regelung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, alle das Insolvenzverfahren betreffenden Entscheidungen zentral verfügbar zu machen. Unter der Internetseite www.insolvenzbe kanntmachungen.de werden sämtliche das Insolvenzverfahren eines Schuldners betreffenden Beschlüsse bekannt gemacht. Der Wortlaut der Regelung stellt klar, dass es sich hierbei um eine zusätzliche Bekanntmachungspflicht handelt. Diese tritt neben die Bekanntmachungspflichten nach dem Schuldverschreibungsgesetz, wie beispielsweise die Pflicht zur Bekannt325 Siehe hierzu insbesondere Westpfahl/Seibt in Schmidt, Sanierungsrecht-Kommentar, Anh. zu § 39 InsO, § 19 SchVG Rz. 134 ff. 326 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 44. 327 Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 119; Rattunde in Veranneman, § 19 SchVG Rz. 110; Tetzlaff in Schimansky/Bunte/Lwowski, § 88 Rz. 31; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 45; Leuering, NZI 2009, 638 (640). 328 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 45. 329 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 46; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 330 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25.

Knapp

447

131

§ 20 SchVG Anfechtung von Beschlüssen machung der Einberufung der Gläubigerversammlungen (§ 12 SchVG), die Bekanntmachung der Tagesordnung nach § 13 Abs. 2 Satz 1 SchVG in Verbindung mit § 12 Abs. 2 und Abs. 3 SchVG. Sie tritt ferner neben die Pflicht zur Veröffentlichung von Beschlüssen im Bundesanzeiger nach § 17 Abs. 1 SchVG.331

§ 20 Anfechtung von Beschlüssen (1) 1Ein Beschluss der Gläubiger kann wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen durch Klage angefochten werden. 2Wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen kann ein Beschluss der Gläubiger nur angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Gläubiger die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für sein Abstimmungsverhalten angesehen hätte. 3Die Anfechtung kann nicht auf die durch eine technische Störung verursachte Verletzung von Rechten, die nach § 18 auf elektronischem Wege wahrgenommen worden sind, gestützt werden, es sei denn, dem Schuldner ist grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen. (2) Zur Anfechtung ist befugt 1. jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen und gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch erklärt hat, sofern er die Schuldverschreibung vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung oder vor der Aufforderung zur Stimmabgabe in einer Abstimmung ohne Versammlung erworben hatte; 2. jeder Gläubiger, der an der Abstimmung nicht teilgenommen hat, wenn er zur Abstimmung zu Unrecht nicht zugelassen worden ist oder wenn die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufen oder zur Stimmabgabe nicht ordnungsgemäß aufgefordert worden ist oder wenn ein Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist. (3) 1Die Klage ist binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses zu erheben. 2Sie ist gegen den Schuldner zu richten. 3Zuständig für die Klage ist bei einem Schuldner mit Sitz im Inland ausschließlich das Landgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Sitz hat, oder mangels eines Sitzes im Inland das Landgericht Frankfurt am Main; § 246 Absatz 3 Satz 2 bis 6 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. 4Vor einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts darf der angefochtene Beschluss nicht vollzogen werden, es sei denn, ein Senat des dem nach Satz 3 zuständigen Gericht im zuständigen Rechtszug übergeordneten Oberlandesgerichts stellt auf Antrag des Schuldners nach Maßgabe des § 246a des Aktiengesetzes fest, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht; § 246a Absatz 1 Satz 1 und 2, Absatz 2 und 3 Satz 1 bis 4 und 6, Absatz 4 des Aktiengesetzes gilt entsprechend. I. Allgemeines 1. Regelungsgegenstand und Normzweck 2. Entstehungsgeschichte und systematische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik und Regelungsdefizite . . . . . . . . . 4. Korrekturbedarf und Reformvorschläge II. Anwendungsbereich (§ 20 Abs. 1 SchVG)

1 8 11 19

1. Beschlüsse der Gläubiger (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SchVG) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Sachverhalte . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich des SchVG in Abgrenzung zur Insolvenzordnung . . . . 3. Nichtige Beschlüsse

331 Siehe hierzu auch Knof in HamburgKomm/InsO, § 19 SchVG Rz. 94 ff.

448

Kiem

23 24 25

Anfechtung von Beschlüssen

4.

III. 1. 2.

a) Einordnung in das Rechtsschutzsystem des SchVG . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussnichtigkeit aa) Allgemeines. . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelne Nichtigkeitsgründe (1) Fehlerhafte Einberufung einer Gläubigerversammlung . . . . . . . (2) Verletzung der vorgeschriebenen Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kompetenzüberschreitung . . . . . (4) Änderung der Anleihe ohne Angebot des Schuldners . . . . . . . (5) Ungleichbehandlung der Anleihegläubiger. . . . . . . . . . . . . (6) Sonstige Inhaltsfehler . . . . . . . . . c) Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungsgründe (§ 20 Abs. 1 SchVG) a) Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzesbegriff . . . . . . . . . . . . . . bb) Anleihebedingungen. . . . . . . . . . b) Formelle Beschlussmängel (Verfahrensfehler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einberufungs- und Bekanntmachungsmängel . . . . . . . . . . . . bb) Fehlerhafte Beschlussfeststellung cc) Informationsmängel (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . dd) Technische Störungen (§ 20 Abs. 1 Satz 3 SchVG) . . . . . c) Inhaltliche Beschlussmängel aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gesetzliche Inhaltsschranken . . . cc) Weitergehende Inhaltskontrolle des Beschlusses? . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . dd) Missbrauchskontrolle . . . . . . . . . (1) Meinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . (2) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . Anfechtungsbefugnis (§ 20 Abs. 2 SchVG) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Voraussetzungen im Einzelnen . . . . a) Gläubigerstellung . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilnahme an der Abstimmung (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG) . . . . . . . . . aa) Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Widerspruchserfordernis . . . . . . cc) Abhilfe eines Widerspruchs/ Erfolglosigkeit. . . . . . . . . . . . . . . dd) Vorerwerbszeitpunkt . . . . . . . . .

26 28 31 34 35 37 38 39 40 41 43 45

48 49 50 52 55 57 58 62 64 66 69 70 76 84 85 88

93 94 95 98 99 100 107 112

IV. 1. 2. 3. 4. V. 1. 2. 3. 4. VI. 1. 2. 3. 4.

§ 20 SchVG

c) Keine Teilnahme an der Abstimmung (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG). . . . 113 aa) Nichtzulassung (§ 20 Abs. 2 Nr. 2, 1. Variante SchVG) . . . . . . 115 bb) Mängel bei Einberufung der Versammlung oder der Aufforderung zur Stimmabgabe (§ 20 Abs. 2 Nr. 2, 2. Variante SchVG) . . . . . . 120 cc) Bekanntmachungsfehler (§ 20 Abs. 2 Nr. 2, 3. Variante SchVG) 121 d) Ausschluss rechtsmissbräuchlicher Anfechtungsklagen . . . . . . . . . . . . . . 124 Modalitäten der Anfechtungsklage (§ 20 Abs. 3 SchVG) Klagefrist (§ 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG) . . 126 Klagegegner (§ 20 Abs. 3 Satz 2 SchVG) 129 Gerichtliche Zuständigkeit (§ 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG). . . . . . . . . . . 132 Wirkungen des stattgebenden Urteils . . 136 Vollzugssperre (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 Beschlussausführung . . . . . . . . . . . . . . . 145 Beginn und Ende der Vollzugssperre . . . 146 Wirkungen der Vollzugssperre . . . . . . . . 149 Adressaten der Vollzugssperre . . . . . . . . 151 Freigabeverfahren (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Modalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Beschlussvoraussetzungen a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 b) Die Freigabealternativen im Einzelnen aa) Unzulässigkeit und offensichtliche Unbegründetheit (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG). . . . . . 170 bb) Kein das Mindestquorum übersteigender Anleihebestand (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG). . . . . . 171 cc) Freie Interessenabwägung des Gerichts (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (1) Zu berücksichtigende Interessen der Beteiligten. . . . . . . . . . . . . . . 176 (2) Abwägungsgegenstand und Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . 181 (3) Regelmäßig kein anerkennungswürdiges Aufschubinteresse . . . . 182 (4) Besondere Schwere des Rechtsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186

Kiem 449

§ 20 SchVG Anfechtung von Beschlüssen 5. Rechtsfolgen des Freigabebeschlusses (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 4 AktG) a) Bestandskraft und Unanfechtbarkeit 190 aa) Unterschiede zum Aktienrecht . . 191 bb) Prozessuale Auswirkungen des Freigabebeschlusses, Gegenstand der Bestandssicherung . . . . . . . . 192

cc) Unanfechtbarkeit des Freigabebeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . c) Darüber hinausgehende Kompensation aller Anleihegläubiger? . . . . . . 6. Verhältnis zum (sonstigen) einstweiligen Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . .

193 194 200 206

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des Schuldverschreibungsgesetzes, ZIP 2014, 845; Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, Vorschlag zur Neufassung der Vorschriften des Aktiengesetzes über Beschlussmängel, AG 2008, 617; Baums, Umwandlung und Umtausch von Finanzinstrumenten im Aktien- und Kapitalmarktrecht, in FS Canaris, Band II, 2007, S. 3 (zit.: Baums in FS Canaris, Band II, 2007); Baums, Die gerichtliche Kontrolle von Beschlüssen der Gläubigerversammlung nach dem Referentenentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZBB 2009, 1; Baums, Weitere Reform des Schuldverschreibungsrechts!, ZHR 177 (2013), 807; Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, Institute for Law and Finance, Working Paper Series No. 145/2015 (zit.: Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen); Baums/Schmidtbleicher, Neues Schuldverschreibungsrecht und Altanleihen, ZIP 2012, 204; Bayer/Fiebelkorn, Vorschläge für eine Reform des Beschlussmängelrechts der Aktiengesellschaft, ZIP 2012, 2181; Bredow/Vogel, Unternehmenssanierung und Restrukturierung von Anleihen – Welche Verbesserung bringt das neue Schuldverschreibungsrecht?, ZBB 2008, 221; Bredow/Vogel, Restrukturierung von Anleihen – Der aktuelle Regierungsentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZBB 2009, 153; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2013 (zit.: Cagalj, Restrukturierung von Anleihen); Cahn/Hutter/Kaulamo/Meyer/Weiß, Regelungsvorschläge zu ausgewählten Rechtsfragen bei Debt-to-Equity Swaps von Anleihen, WM 2014, 1309; Cranshaw, Internationalisierung und Modernisierung – Bemerkungen zum geltenden und zum Referentenentwurf eines neuen Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG), BKR 2008, 504; Florstedt, „Korporatives Denken“ im Schuldverschreibungsrecht – ein Holzweg?, ZIP 2012, 2286; Florstedt, Die Schranken der Majorisierung von Gläubigern, RIW 2013, 583; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, WiVerw 2014, 155; Friedl, Der Tausch von Anleihen in Aktien, BB 2012, 1102; Friedl, Anmerkung zum Beschluss des OLG Frankfurt vom 27.03.2012 (5 AktG 3/11, BB 2012; 1305), BB 2012, 1309; Fuhrmann/Linnerz, Das überwiegende Vollzugsinteresse im aktien- und umwandlungsrechtlichen Freigabeverfahren, ZIP 2004, 2306; Habersack, Beschlussfeststellung oder Beurkundung der Niederschrift – Wann wird der Hauptversammlungsbeschluss wirksam?, Beilage zu ZIP 22/2016, 23; Habersack/Stilz, Zur Reform des Beschlussmängelrechts, ZGR 2010, 710; Hoffmann/Keller, Collective Action Clauses, ZHR 175 (2011), 684; Hopt, Neues Schuldverschreibungsrecht – Bemerkungen und Anregungen aus Theorie und Praxis –, in FS Schwark, 2009, S. 441 (zit: Hopt in FS Schwark, 2009); Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Keller, Die Übergangsregelungen des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2012, 15; Kessler/Rühle, Die Restrukturierung von Anleihen in Zeiten des SchVG 2009, Anmerkung zu OLG Schleswig – 2 W 82/13 und OLG Zweibrücken – 3 W 9/13, BB 2014, 907; Kuder/Obermüller, Insolvenzrechtliche Aspekte des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, ZInsO 2009, 2025; Kusserow, Opt-in Beschlüsse nach dem neuen Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen, WM 2011, 1645; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 2012 (zit.: Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre); Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht der Obligationäre, 2015 (zit.: Liebenow, Anleiheorganisationsrecht); Lorenz/Pospiech, Ein Jahr Freigabeverfahren nach dem ARUG – Zeit für einen Blick auf Entscheidungen, Entwicklungstrends und ungeklärte Rechtsfragen, BB 2010, 2515; Maier-Reimer, Fehlerhafte Gläubigerbeschlüsse nach dem Schuldverschreibungsgesetz, NJW 2010, 1317; Maier-Reimer, Zwangswandlungen von Schuldverschreibungen in deutsche Aktien, in FS Goette, 2011, S. 299 (zit.: Maier-Reimer in FS Goette, 2011); Müller-Eising, Aktienrechtsnovelle 2014 – Was bringt der Regierungsentwurf Neues?, GWR 2015, 50; Otto, Gläubigerversammlungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, DNotZ 2012, 809; Paulus, Schuldverschreibungen, Restrukturierung, Gefährdungen, WM 2012, 1109; Paulus, Berufskläger als Sanierungshemmnis, BB 2012, 1556; Podewils, Neuerungen im Schuldverschreibungs- und Anlegerschutzrecht, DStR 2009, 1914; Roeckl-Schmidt/Stoll, Auswirkungen der späteren Fertigstellung der notariellen Niederschrift auf die

450

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 1 § 20 SchVG

Wirksamkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung, AG 2012, 225; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, AG 2009, 477; Schmidt-Bendun, Aktienrechtsnovelle 2014 – Überblick über die Reform des Aktienrechts, DB 2015, 419; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, Eine institutionenökonomische, rechtsvergleichende und dogmatische Untersuchung, 2010 (zit.: Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit); Hannes Schneider, Die Änderungen von Anleihebedingungen durch Beschluss der Gläubiger, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69; Hannes Schneider, Ist das SchVG noch zu retten?, in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1; Schönhaar, Die kollektive Wahrnehmung der Gläubigerrechte in der Gläubigerversammlung nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, 2011 (zit.: Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte); Schulenberg, Der Schutz der Minderheit im Schuldverschreibungsrecht in vergleichender Betrachtung mit den Aktienrecht, Diss. Hamburg 2016; Seibert/ Hartmann, Reformentwurf des Arbeitskreises Beschlussmängelrecht und geltendes Recht im Vergleich, in FS Stilz, 2014, S. 585 (zit.: Seibert/Hartmann in FS Stilz, 2014); Seibt/Schwarz, Anleihekündigung in Sanierungssituationen, ZIP 2015, 401; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleihenrestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016, 997; Stefan Simon, Restrukturierung von Schuldverschreibungen nach neuem SchuldVG, CFL 2010, 159; Ulrich Simon, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und Treuepflichten im Anleiherecht als Bausteine eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens, 2012 (zit.: U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht); Spindler, Die Reform der Hauptversammlung und der Anfechtungsklage durch das UMAG, NZG 2005, 825; Steffek, Änderung von Anleihebedingungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz, in FS Hopt, 2010, Bd. 2, S. 2597 (zit.: Steffek in FS Hopt, 2010, Bd. 2); Stefan Thomas, Die Unternehmensfinanzierung durch ewige Anleihen zwischen Gesellschaftsrecht und Bürgerlichem Recht, ZHR 171 (2007), 684; Trautrims, Anmerkung zu LG Köln vom 26.01.2012 – 30 O 63/11, BB 2012, 1823; Verse, Das Beschlussmängelrecht nach dem ARUG, NZG 2009, 1127; Verse, Treuepflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz, in Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, 2007, Band II, S. 579 (zit: Verse in Aktienrecht im Wandel II); Vogel, Restrukturierung von Anleihen nach dem SchVG – Neues Minderheitenschutzkonzept und offene Fragen, ZBB 2010, 211; Vogel, Der Rechtsschutz des Schuldverschreibungsgläubigers, in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39; Wasmann/Steber, Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Gläubigerversammlung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, ZIP 2014, 2005; Weckler, Anmerkung zum Beschluss des OLG Frankfurt vom 27.03.2012 – 5 AktG 3/11, NZI 2012, 480; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963.

I. Allgemeines 1. Regelungsgegenstand und Normzweck Die Vorschrift regelt den Rechtsschutz gegen Beschlüsse der Gläubiger. Die Einräumung einer gerichtlichen Beschlusskontrolle galt dem historischen Gesetzgeber im Hinblick auf den grundgesetzlichen Eigentumsschutz und die Einschränkung der individuellen Vertragsmacht durch das in § 4 SchVG verankerte Institut der kollektiven Bindung als geboten.1 Im Zuge der angestrebten weitreichenden Erneuerung des Schuldverschreibungsrechts sollte auch der Rechtsschutz der Gläubiger auf ein neues Fundament gestellt werden. Gesetzgeberische Leitlinie war es dabei, dass in der Krise des Schuldners die Gläubiger in die Lage versetzt sein sollen, auf der Grundlage vollständiger und richtiger Informationen sowie in einem geordneten, fairen Verfahren möglichst rasch eine Entscheidung mit unter Umständen großer finanzieller Tragweite treffen zu können.2 Der notwendige Minderheitenschutz sollte durch eine Kombination gesetzlicher Mehrheitserfordernisse sowie durch individuellen Rechtsschutz gewährt werden.3 Dieses gesetzliche Leitbild ist bei der Auslegung der Bestimmung zugrunde zu legen.

1 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 1 u. 14. 3 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14.

Kiem 451

1

§ 20 SchVG Rz. 2 Anfechtung von Beschlüssen 2

Das Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der Gläubiger hat – wie sein als Vorbild dienendes Pendant im Aktienrecht,4 wenn auch in deutlich abgeschwächter Form – eine Doppelfunktion: Einerseits erlaubt es jedem Gläubiger, der durch einen rechtswidrig zustande gekommenen oder seinem Inhalt nach rechtswidrigen Beschluss betroffenen ist, einen Eingriff in seine Rechtsstellung abzuwehren.5 Insoweit ist es ein eigennütziges Gläubigerrecht.6 Andererseits kommt dem Anfechtungsrecht auch ganz allgemein eine Kontrollfunktion zu, die eine Beseitigung rechtswidriger Beschlüsse der Gläubiger zugunsten der Gesamtheit der überstimmten Minderheit jenseits der persönlichen Betroffenheit des Klägers ermöglicht.7

3

Während dies für die Anfechtungsklage im Aktienrecht einmütig anerkannt ist,8 ist diese Erkenntnis für das Schuldverschreibungsrecht nicht selbstverständlich.9 Indessen spricht die Wirkweise der Regelungen des SchVG eindeutig für eine Anerkennung der Doppelfunktion der Anfechtungsklage: Weder setzt die Anfechtungsbefugnis eine Selbstbetroffenheit des Anfechtungsklägers voraus, noch lässt sich ausblenden, dass einem stattgebenden Anfechtungsurteil Gestaltungswirkung zukommt und es somit die Rechtslage für jedermann verändert.10 Allerdings ist die Kontrollfunktion der Anfechtungsklage im SchVG gegenüber dem aktienrechtlichen Pendant deutlich abgeschwächt.11 So findet etwa keine Rechtskrafterstreckung statt; in Rechtskraft erwächst das schuldverschreibungsrechtliche Anfechtungsurteil demgemäß nur für die Parteien des Anfechtungsrechtsstreits. Im Aktienrecht ist dies aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG bekanntlich abweichend geregelt.

4

Konzeptionell folgt die Bestimmung weitgehend der gesetzlichen Regelung der aktienrechtlichen Anfechtungsklage. Dies hat seinen Grund im Wesentlichen darin, dass auch das Verfahren der Abstimmung in einer Versammlung dem Aktienrecht entlehnt ist.12 Insgesamt wollte der Gesetzgeber das Schuldverschreibungsrecht in enger Anlehnung an das geltende Aktienrecht modernisieren.13

5

In seinem Abs. 1 regelt § 20 SchVG das Anfechtungsrecht in sachlicher Hinsicht und benennt die Anfechtungsgründe. Dabei lehnt sich die Vorschrift eng an § 243 Abs. 1 AktG an. Des Weiteren übernimmt die Bestimmung in ihrem Abs. 1 die das Anfechtungsrecht beschränkenden Regelungen aus § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG wegen Informationsmängeln und aus § 243 Abs. 3 Satz 1 AktG wegen technischer Störungen.

6

Wer zur Anfechtung berechtigt ist (persönliche Anfechtungsbefugnis), ist in § 20 Abs. 2 SchVG geregelt. Dieser lehnt sich wiederum eng an die entsprechenden Bestimmungen in § 245 Nrn. 1 und 2 AktG an. Anders als das aktienrechtliche Vorbild knüpft die Regelung 4 Siehe zur Doppelfunktion des Anfechtungsrechts des Aktionärs nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 3, sowie K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2013, Stand 1.6.1995, § 245 AktG Rz. 4, § 246 AktG Rz. 9 ff. 5 Zutreffend Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 199. 6 Vogel, ZBB 2010, 211 (216). 7 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 32; dem folgend Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 333. 8 Statt aller Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 3 sowie K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2013, Stand 1.6.1995, § 245 AktG Rz. 4, § 246 AktG Rz. 9 ff. 9 Ablehnend beispw. Baums, ZHR 177 (2013), 807 (815) (Kein Bedarf für Funktionärsklage im Anleiherecht). 10 Ebenso Vogel, ZBB 2010, 211 (216); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 32; Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 197 ff.; vgl. dazu ausführlich unter Rz. 138 ff. 11 Vgl. auch die gleichläufige Bewertung Vogel, ZBB 2010, 211 (216), allerdings unter Verweis auf die angeblich fehlende Gestaltungswirkung des Anfechtungsurteils; ähnlich wie hier indessen Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 32 (Schwergewicht der Anfechtungsklage liegt auf der individuellen Komponente). 12 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14 u. 25. 13 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14.

452

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 9 § 20 SchVG

die Anfechtungsbefugnis aber nicht an das Erscheinen auf der Versammlung, sondern an die Teilnahme an der Abstimmung. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass gem. § 18 SchVG Beschlüsse der Gläubiger auch außerhalb einer Gläubigerversammlung gefasst werden können. Wie in § 245 Nr. 1 AktG ist erforderlich, dass der Gläubiger die Schuldverschreibung vor der Einberufung der Versammlung bzw. (den Spezifika der Abstimmung ohne Versammlung geschuldet) vor Aufforderung zur Stimmabgabe erworben hat. Außerdem bedarf es entsprechend der aktienrechtlichen Regelung der Erklärung des Widerspruchs gegen den Beschluss. Allerdings sieht das Gesetz hier die Möglichkeit vor, dass dem Widerspruch abgeholfen werden kann. Geschieht dies, entfällt zwar nicht die Anfechtungsbefugnis (vgl. Rz. 107 ff.); wohl aber ist dem Anliegen des Anfechtungsklägers damit Rechnung getragen. Gläubiger, die an der Abstimmung nicht teilgenommen haben, sind zur Anfechtung berechtigt, wenn dem Beschluss die in § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG benannten Verfahrensfehler anhaften. Das entspricht der Regelung in § 245 Nr. 2 AktG. § 20 Abs. 3 SchVG regelt schließlich die sonstigen Voraussetzungen der Anfechtungsklage wie die Klagefrist und die Zuständigkeit des Gerichts. In seinem Satz 4 wird ferner die Vollzugssperre für angefochtene Beschlüsse angeordnet. Außerdem wird für die Freigabe der Vollziehung auf das aktienrechtliche Freigabeverfahren in § 246a AktG verwiesen.

7

2. Entstehungsgeschichte und systematische Einordnung Die Vorschrift ist ohne historisches Vorbild im Schuldverschreibungsrecht. Unter dem SchVG 1899 vollzog sich der Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Gläubigerversammlung nach den allgemeinen Grundsätzen. Das alte Recht enthielt keine Spezialregelung zum Rechtsschutz der Gläubiger. Mit § 20 SchVG wurde erstmals die Möglichkeit geschaffen, Beschlüsse der Gläubiger vor Gericht anzufechten.14 Die Bestimmung fand sich erstmalig im Referentenentwurf des SchVG aus dem Jahr 2008.15 In den Diskussionsentwürfen des Bundesjustizministeriums aus den Jahren 2003 und 2004 hatte eine Regelung zum Rechtsschutz noch gefehlt.16

8

Die Regelung lässt sich leicht als eine Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten der Gläubiger gegenüber der unter dem SchVG 1899 geltenden Rechtslage verstehen. Dazu trägt nicht zuletzt auch die Gesetzesbegründung bei.17 Richtigerweise muss aber die Neuregelung als eine Einschränkung des Rechtsschutzes gegen Beschlüsse der Gläubiger verstanden werden.18 Nach altem Recht konnte die Rechtswidrigkeit des Beschlusses bis zur Grenze der Verwirkung unbefristet und unbeschränkt geltend gemacht werden. Das SchVG 1899 kannte weder eine Anfechtungsbefristung noch das Erfordernis einer Anfechtungsbefugnis.19 Deshalb konnte ein Gläubiger die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses dem Schuldner auch außer-

9

14 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 15 § 19 SchVG-RefE, Bundesministerium der Justiz, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften v. 9.5.2008, abrufbar unter: www.gesmat.bundesgerichtshof.de/geset zesmaterialien/16_wp/schuldverschreibungsg/refe.pdf. 16 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 2. 17 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25 (Gerichtliche Kontrollmöglichkeit geboten und jetzt erstmals geschaffen). 18 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 1; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 4; Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (228); Baums, ZBB 2009, 1 (3); Vogel, ZBB 2010, 211 (217); Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (42); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 323 f. 19 Baums, ZBB 2009, 1 (3); Vogel, ZBB 2010, 211 (217); zur Rechtslage unter dem SchVG 1899 ausführlich Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 239 ff.

Kiem 453

§ 20 SchVG Rz. 10 Anfechtung von Beschlüssen prozessual einredeweise entgegenhalten.20 Es stand überdies jedermann offen, bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses im Wege der Leistungs- oder Feststellungsklage geltend zu machen.21 Insbesondere die dadurch bewirkte Unsicherheit in zeitlicher Hinsicht war dem Schuldner kaum zumutbar.22 Auch die lediglich relative Rechtswirkung eines Urteils zwischen den beteiligten Parteien war misslich.23 10

Insofern bedeutet die Neuregelung im SchVG eine deutliche Verbesserung. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die mit dem SchVG angestrebte Modernisierung des deutschen Schuldverschreibungsrechts mit dem Ziel, ein international wettbewerbsfähiges Anleiherecht zu schaffen,24 ohne den Paradigmenwechsel in der Rechtsschutzkonzeption von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Sie schafft erst die in Restrukturierungssituationen unabdingbare Rechtssicherheit.25 Damit werden die Unzulänglichkeiten des SchVG 1899 überwunden, die allein wegen der mangelnden Praxisrelevanz – Stichwort: „totes Recht“26 – kaum zutage getreten sind.27 3. Kritik und Regelungsdefizite

11

Die Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Beschlüsse der Gläubiger nach dem Vorbild des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts hat Zustimmung erfahren,28 aber auch deutliche Kritik hervorgerufen.29 Verbreitet wurde die Befürchtung geäußert, den aus den aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren bekannten professionellen Klägern werde durch die Regelung ein neues Betätigungsfeld bereitet und damit dem Missbrauch des Klagerechts Tür und Tor geöffnet.30 Insbesondere das mit der Erhebung der Anfechtungsklage einhergehende Vollzugsverbot wurde als kritisch erachtet, weil dadurch dem Kläger gegenüber dem regelmäßig unter Zeitdruck stehenden Schuldner ein erhebliches Erpressungspotential zukomme.31

12

Teilweise wird ganz grundsätzlich in Frage gestellt, dass das aktienrechtliche Reglement auf das Schuldverschreibungsrecht übertragen werden könne.32 Während Aktionäre mitglied20 21 22 23 24 25 26 27 28 29

30

31 32

Baums, ZBB 2009, 1 (3); Vogel, ZBB 2010, 211 (217). Baums, ZBB 2009, 1 (3); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 242 f. Vogel, ZBB 2010, 211 (217); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 242 f. Baums, ZBB 2009, 1 (3); Vogel, ZBB 2010, 211 (217). Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 1. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 6; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 5; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 1; Baums, ZBB 2009, 1 (7); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 324 f. Baums, ZHR 177 (2013), 807. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 1; Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (222); Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153, sowie grundlegend jetzt Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 47 f. Baums, ZBB 2009, 1 (3); Simon, CFL 2010, 159 (164); Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (157). Pointiert Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 ff.; kritisch bereits zum Referentenentwurf Baums, ZBB 2009, 1 (7); Cranshaw, BKR 2008, 504 (511); erstaunt über die Entscheidung des Gesetzgebers zeigt sich etwa K. Schmidt, ZGR 2011, 108 (134 f.): „Handstreichartige Übernahme der verbandsrechtlichen Anfechtungsklage auf eine Gläubigergruppe“. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 6; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (19); Zentraler Kreditausschuss (ZKA), Stellungnahme zum RefE des SchVG v. 25.8.2008, S. 35; Stellungnahme Nr. 41/2008 des DAV zum RefE 2008, S. 12; Stellungnahme des DAI v. 22.8.2008 zum RefE 2008, S. 2; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (483); kritisch im Hinblick auf die Blockademöglichkeit der Vollziehung durch Erhebung einer Anfechtungsklage auch Baums, ZBB 2009, 1 (6 f.). Baums, ZBB 2009, 1 (7); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816); Florstedt, WiVerw 2014, 155 (158); Paulus, BB 2012, 1556 (1557). Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 f.; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18); Schmidt-

454

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 14 § 20 SchVG

schaftlich verbunden und verbandsrechtlichen Treuepflichten unterworfen seien, sei das Anleiheverhältnis von Schuldner und Gläubigern rein schuldrechtlich ausgestaltet.33 Auch sei der Ausgang eines Anfechtungsverfahrens nebst dem des regelmäßig parallel betriebenen Freigabeverfahrens mit derartigen Unwägbarkeiten verbunden, dass dem Emittenten jegliche Prognosemöglichkeit genommen sei, was Restrukturierungen in Krisensituationen erschwere, wenn nicht unmöglich mache.34 Die gegenwärtige Rechtslage ist zweifelsohne unbefriedigend und die Kritik an der Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Beschlüsse der Gläubiger im Kern berechtigt. Allerdings ist die Entscheidung des historischen Gesetzgebers, sich an dem Leitbild der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle zu orientieren, im Grundsatz nicht zu beanstanden. Es ist durchaus sinnvoll, Anleihen an bestehenden gesetzlichen Regelungen zu nehmen. Dies gilt insbesondere, wenn dadurch, wie bei den aktienrechtlichen Regelungen zur Beschlussanfechtung, auf eine reichhaltige Judikatur und ein breites Schrifttum zur Klärung von Zweifelsfragen zurückgegriffen werden kann.35 Zudem erscheint eine Orientierung an den Bestimmungen des Aktienrechts auch insofern folgerichtig, als das Recht der Gläubigerversammlung im Wesentlichen dem Recht der Hauptversammlung nachgebildet ist.36

13

Indessen bedarf das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht selbst dringend einer grundlegenden Reform.37 Insofern haben sich die Unzulänglichkeiten der aktienrechtlichen Beschlusskontrolle auf das Schuldverschreibungsrecht übertragen und setzen sich dort fort. Insbesondere die Fixierung auf die Beschlusskassation als (einzige) Rechtsfolge eines gerichtlich festgestellten Beschlussfehlers hat sich bereits im Recht der aktienrechtlichen Beschlussmängelklage als unangemessen starr herausgestellt und gehört überwunden.38 Das gilt in gleicher Weise für das Recht der Gläubigerbeschlüsse, bei dem statt einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses der vermögensrechtliche Schutz der überstimmten Gläubigerminderheit im Vordergrund stehen sollte.39 Die Beschlusskassation gibt dem nicht an der Ausnutzung seines Erpressungspotentials interessierten Anfechtungskläger Steine statt Brot.40

14

33

34 35 36 37 38 39

40

bleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 210 f., 321 f., 380 f., 409 ff.; dem dezidiert entgegentretend jetzt Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 94 ff. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 f.; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 321 f., 380 f.; a.A. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 94 ff., der zwischen vielen „parallelen Anleiheschuldverhältnissen“ und „einem übergreifenden anleiheorganisationsrechtlichen Rechtsverhältnis“ unterscheidet. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 5; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18 f.). Zutreffend Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 8. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14. Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710; Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617; Verse NZG 2009, 1127 (1132); Bayer/Fiebelkorn, ZIP 2012, 2181. Den Reformbedarf fälschlicherweise relativierend aber Seibert/Hartmann in FS Stilz, 2014, S. 599 f. Vgl. Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 (619); s. dazu auch Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710 (729). So bereits zum Referentenentwurf des SchVG Baums, ZBB 2009, 1 (3 f.); zur Reform in diese Richtung mahnend Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816); primär auf den Vermögensschutz abstellend etwa auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 5 a.E.; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (19, 21 f.); zurückhaltend dagegen Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (43 f.). Auf den Punkt gebracht von Baums, ZHR 177 (2013), 807 (815 f.).

Kiem 455

§ 20 SchVG Rz. 15 Anfechtung von Beschlüssen 15

Auch haben sich die warnenden Stimmen bewahrheitet, die von vornherein einen Missbrauch der Anfechtungsklage befürchteten.41 Denn die aus der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen seit Jahrzehnten bekannten, auf professionelle Berufskläger zurückgehenden Missstände, haben sich schon bald nach dem Inkrafttreten des SchVG auch bei der Anfechtung von Gläubigerbeschlüssen beobachten lassen.42 Angesichts der besonderen Anfälligkeit des Schuldners, der sich bei dem Ergehen eines Beschlusses der Gläubiger in aller Regel in einer Krisensituation befindet, zeigt sich das Problem erpresserischer Klagen hier sogar in deutlich zugespitzter Form.43 Allerdings geht die Missbrauchsanfälligkeit weniger auf die Möglichkeit der Beschlussanfechtung zurück. Im Gegenteil: Wie aufgezeigt hat das Anfechtungsmodell gegenüber der Rechtslage unter dem SchVG 1899 sogar eine klageeindämmende Wirkung (Rz. 9). Indessen hat sich die durch die Erhebung der Anfechtungsklage ausgelöste Vollzugssperre als Einfallstor für erpresserische Klagen erwiesen.44 Das zur Überwindung der Vollzugssperre konzipierte Freigabeverfahren hat demgegenüber – anders als bei angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüssen – keine wirksame Abhilfe schaffen können. Es hat sich vielmehr gezeigt, dass die Restrukturierung eines Schuldners deutlich zeitkritischer ist als die Umsetzung einer Strukturmaßnahme einer Aktiengesellschaft.45

16

Nicht nur im Hinblick auf die deutlich erhöhte Anfälligkeit für zeitliche Verzögerungen in den für die Befassung der Gläubiger typischen Krisensituationen des Schuldners zeigt das anleiherechtliche Rechtsschutzsystem Schwächen. Insgesamt orientiert sich die Handhabung des § 20 SchVG durch die Gerichte wie aber auch dessen Interpretation im Schrifttum noch viel zu stark an seinem aktienrechtlichen Vorbild. Damit werden aber die strukturellen Unterschiede zwischen dem verbandsrechtlich geprägten Recht der Hauptversammlung und dem schuldrechtlich verfassten Anleiherecht verwischt.46 Dort steht die mitgliedschaftliche 41 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 6; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (19); Zentraler Kreditausschuss (ZKA), Stellungnahme zum RefE des SchVG v. 25.8.2008, S. 35; Stellungnahme Nr. 41/2008 des DAV zum RefE 2008, S. 12; Stellungnahme des DAI v. 22.8.2008 zum RefE 2008, S. 2; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (483); kritisch im Hinblick auf die Blockademöglichkeit der Vollziehung durch Erhebung einer Anfechtungsklage auch Baums, ZBB 2009, 1 (6 f.). 42 Eindringlich Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 6 ff.; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (19); Florstedt, ZIP 2012, 2286 (2289) (Gewerbsmäßiger Missbrauch der Anfechtungsklage hat Anleiherecht erreicht); Paulus, BB 2012, 1556 (1557). 43 Als Fanal gelten hier die Fälle Pfleiderer (OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, AG 2012, 373 = NZG 2012, 593) und Q-Cells (LG Frankfurt/M. v. 23.1.2012 – 3-5 O 142/11, ZIP 2012, 474), in denen die Schuldner Insolvenz anmelden mussten; dazu nur Paulus, BB 2012, 1556; Besprechung der Entscheidung im Fall Pfleiderer bei Florstedt, ZIP 2012, 2286, Anmerkungen bei Friedl, BB 2012, 1309; Paulus, EWiR 2012, 259; Lürken, GWR 2012, 227; Weckler, NZI 2012, 480; s. auch Florstedt, RIW 2013, 583 (585); Paulus, WM 2012, 1109 (1110); Baums, ZHR 177 (2013), 807; (im Fall Q-Cells wurde nach Bekanntwerden der Pfleiderer-Entscheidung die Beschwerde zurückgenommen); von der Pfleiderer-Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. abweichend BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/12, AG 2014, 784 = NZG 2014, 1102; dazu Friedl, BKR 2014, 511; Veranneman, DB 2014, 2395; die Verfolgung rechtsmissbräuchlicher Ziele ist teilweise in den entsprechenden Fällen so offensichtlich, dass den betreffenden Anfechtungsklägern mittlerweile die Anfechtungsbefugnis abgesprochen wird, vgl. dazu jüngst etwa OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15– Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122 ff.) = AG 2015, 873. 44 Frühzeitig mahnend Baums, ZBB 2009, 1 (6 f.). 45 Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (19); Florstedt, WiVerw 2012, 155 (158); Paulus, BB 2012, 1556 (1557). 46 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 ff.; grundlegend anders indes Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 93 ff. und passim, der zwischen dem schuldrechtlich geprägten Anleiheschuldverhältnis zwischen Anleihegläubiger und Anleiheschuldner einerseits und dem anleiheorganisationsrechtlichen Rechtsverhältnis der Obliga-

456

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 18 § 20 SchVG

Teilhabe des Aktionärs am Willensbildungsprozess innerhalb der Hauptversammlung im Vordergrund, hier geht es um die krisenbedingte Anpassung der Anleihebedingungen.47 Dort gilt Verbandsrecht und hier gilt Schuldrecht.48 De lege lata ist die Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Beschlüsse der Gläubiger als gesetzgeberische Entscheidung so hinzunehmen.49 Indessen ist die Auslegung der Regelungen des § 20 SchVG strikt an den anleiherechtlichen Spezifika, den Gegebenheiten des Anleihemarktes und dem schuldrechtlichen Charakter der Anleihe auszurichten.50 Nur so lässt sich das übergreifende Ziel des Reformgesetzgebers von 2009, ein international wettbewerbsfähiges, in der Praxis funktionierendes Anleiherecht zu schaffen,51 wenigstens in Ansätzen verwirklichen.

17

Schließlich hat sich auch die wenig konsequent umgesetzte Orientierung an den aktien- 18 rechtlichen Vorschriften als problematisch erwiesen. Denn trotz weitgehender Anlehnung an die aktienrechtliche Anfechtungsklage sind einige sie flankierende und für das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht durchaus zentrale Regelungen nicht in das SchVG übernommen worden. Insofern gleicht die Regelung des Rechtsschutzes gegen Beschlüsse der Gläubiger im SchVG in Teilen eher einem Regelungstorso als der erhofften in sich geschlossenen, stimmigen Rechtsschutzkonzeption.52 Zu nennen ist hier zunächst der fehlende Verweis auf § 241 Nr. 5 und § 248 Abs. 1 AktG. Dies führt zu spürbaren Unsicherheiten hinsichtlich der Gestaltungswirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils sowie zu einem systematisch wenig einleuchtenden Fehlen der Rechtskrafterstreckung.53 Die entsprechenden Benachrichtigungs- und Bekanntmachungsregelungen der aktienrechtlichen Anfechtungsklage (§§ 246 Abs. 4 Satz 1, 248 Abs. 1 Satz 4 AktG) finden dementsprechend ebenfalls keine Anwendung.54 Mit dem unvollständigen Verweis in § 20 SchVG auf die aktienrechtlichen Bestimmungen zur Anfechtungsklage hat der Gesetzgeber leicht vermeidbaren Interpretationsspielraum eröffnet, der der angestrebten Rechtssicherheit abträglich ist.55 Dies ist umso unverständlicher, als auch im Aktienrecht die dogmatische Herleitung der Gestaltungswirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils und damit der zu ihrer Begründung erforderliche

47 48

49 50 51 52 53 54 55

tionäre untereinander andererseits trennen will. Auf Letzteres soll dem Aktienrecht entlehntes Verbandsrecht Anwendung finden, S. 256 ff. Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 3 ff.; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18 f.). Pointiert Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18); ganz ähnlich und dezidiert Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 321 f., 380 f. Abweichend indes die Einordnung bei K. Schmidt, ZGR 2011, 108 (135), der eine Mischform sieht (durch die Anleihebedingungen vorgeprägter Verband oder Quasi-Verband). Siehe in diesem Zusammenhang auch die verschiedenen Ansätze im Schrifttum zur Entwicklung eines treuepflichtbasierten Sanierungsanleiherechts bei Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (410 f.); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (49); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, 66 ff. 69 f.; ablehnend hingegen Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 101 ff. Grundlegend anders der Ansatz von Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 93 ff. und passim, wonach zwischen dem „vertikalen“ Anleiheschuldverhältnis zwischen Anleihegläubiger und Anleiheschuldner und dem „horizontalen“ Rechtsverhältnis der Obligationäre untereinander zu unterscheiden ist. Auf Ersteres soll Schuldrecht, auf Letzteres dem Aktienrecht entlehntes Verbandsrecht Anwendung finden (S. 256 ff.). Gleichsinnig Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 8. Siehe dazu auch Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (2), der eine „bedenkliche Gesetzesauslegung“ geißelt. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 1. Siehe auch die Einwertung von Florstedt, ZIP 2012, 2286 (2287) (Gesetz aus Verweisungen, Generalklauseln, Fragmenten). Kritisch ebenfalls Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 3; Vogel, ZBB 2010, 211 (217). Baums, ZBB 2009, 1 (3); Vogel, ZBB 2010, 211 (217); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 3. Abweichend Baums, ZBB 2009, 1 (3) (Rechtskrafterstreckung ohne praktische Bedeutung).

Kiem 457

§ 20 SchVG Rz. 19 Anfechtung von Beschlüssen Normenbestand keineswegs geklärt sind.56 Ungeregelt bleibt schließlich die Kategorie der nichtigen Beschlüsse.57 Auch insoweit hätte sich eine abschließende gesetzliche Regelung dringend empfohlen.58 4. Korrekturbedarf und Reformvorschläge 19

Der vielfach festgestellte Korrekturbedarf ist bereits in konkrete Reformvorschläge gemündet. Allen voran sind hier die Vorschläge des von Baums geleiteten Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsrechts zu nennen, mit denen Vorschläge für eine umfassende Weiterentwicklung des SchVG vorgelegt wurden.59 Diese Vorschläge greifen teilweise Reformideen des Schrifttums auf und entwickeln diese weiter; sie enthalten aber auch eigene Ansätze und Überlegungen. Insgesamt leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung des Anleiherechts zur Erhaltung von dessen internationaler Wettbewerbsfähigkeit. Der besondere Wert liegt zweifelsohne in der systematischen Aufbereitung und der inhaltlichen Stimmigkeit der Vorschläge. Insgesamt zeichnet sich eine vergleichsweise breite Übereinstimmung der verschiedenen bislang im Schrifttum vorgeschlagenen Reformansätze ab. Diese sind im Folgenden kurz überblicksartig zu skizzieren.

20

Grundproblem des anfechtungsbasierten Rechtsschutzes im Anleiherecht ist die Kassation des angefochtenen Beschlusses im Falle einer durchdringenden Anfechtungsklage. Diese – alleinige im Gesetz vorgesehene – Rechtsfolge ist weder in ihren Wirkungen angemessen noch verhilft sie dem Anfechtungskläger zu dem, was sein eigentliches Klagebegehr ist bzw. legitimerweise allein sein kann: Ein Ausgleich in Geld für den rechtswidrigen Eingriff in seine Vermögensposition als Gläubiger des Schuldners.60 De lege ferenda empfiehlt sich daher eine Umstellung des Rechtsschutzes auf eine Wertersatzklage, die auf einen Ausgleich der durch den rechtswidrigen Beschluss der Gläubiger erlittenen Vermögenseinbuße zugunsten aller dissentierenden Gläubiger abzielt.61 Der gerichtlich festgestellte Wertersatz wirkt dann für und gegen alle Gläubiger.62 Der Beschluss der Gläubiger bleibt in seinem Bestand unberührt. 56 Vgl. etwa Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 241 AktG Rz. 71 (Gestaltungswirkung folgt aus § 248 AktG und aus allgemeinen Grundsätzen, § 241 AktG dient nur als Klarstellung); dem wohl folgend Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 22; Zöllner in KölnKomm/AktG, 1. Aufl. 1985, § 241 AktG Rz. 127 (Nichtigerklärung des Beschlusses geht aus § 243 AktG mit § 248 AktG deutlich hervor; überflüssig, dass § 241 AktG diesen Fall eigens aufführt); K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2013, Stand 1.6.1995, § 241 AktG Rz. 69 (§ 241 Nr. 5 AktG hinsichtlich der Gestaltungswirkung Kernvorschrift); dem wohl zustimmend Würthwein in Spindler/Stilz, § 241 AktG Rz. 243; anders aber Drescher in Henssler/Strohn, § 241 AktG Rz. 40 (§ 241 Nr. 5 AktG dient lediglich als Klarstellung); wiederum anders Englisch in Hölters, § 241 AktG Rz. 75 (§ 241 Nr. 5 AktG als Basis der Gestaltungswirkung). 57 Baums, ZBB 2009, 1 (4); Vogel, ZBB 2010, 211 (217 f.). 58 A.A. Baums, ZBB 2009, 1 (4). 59 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845. 60 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (815 f.); Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18); Seibt, ZIP 2016, 997 (1008). 61 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848 f., 856): § 20 Abs. 3 bis 6 SchVG-E, vgl. zu der Konzeption des Rechtsschutzes nach dem Reformvorschlag auch Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG, Rz. 68 ff.; ebenso Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (21 f.); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816). Das entspricht einen alten Forderung von Baums, s. ZBB 2009, 1 (3 f.). Die Kosten des Wertersatzes für den Schuldner scheuend indes Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (44). 62 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848, 856): § 20 Abs. 6 SchVG-E.

458

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 23 § 20 SchVG

Weist der Beschluss indessen besonders gravierende Fehler auf, kann er keinen Bestand haben. Er ist nichtig. Allerdings empfiehlt sich, de lege ferenda die Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit einer speziellen Nichtigkeitsklage vorzubehalten.63 Deren Erhebung wäre dann fristgebunden. Eine Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit außerhalb der Nichtigkeitsklage wäre ausgeschlossen.64 Die Nichtigkeitsgründe wären in einem Katalog abschließend aufgezählt.65

21

Die Regelung zur Vollziehung von Beschlüssen der Gläubiger im geltenden Recht hat sich nicht bewährt. Künftig sollte ein Beschluss unabhängig von einer erhobenen Anfechtungsklage vollzogen werden können.66 So würde der besonderen Eilbedürftigkeit der Umsetzung von Gläubigerbeschlüssen im Rahmen von Restrukturierungen des Schuldners Rechnung getragen. Da regelmäßig nur Vermögensinteressen der Gläubiger berührt sind, belastet ein frühzeitiger Vollzug die Gläubiger in aller Regel nicht. Will der Kläger dem Vollzug des Beschlusses Einhalt gebieten, wäre er auf den einstweiligen Rechtsschutz verwiesen.

22

II. Anwendungsbereich (§ 20 Abs. 1 SchVG) 1. Beschlüsse der Gläubiger (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SchVG) a) Allgemeines Anfechtungsgegenstand ist ein Beschluss der Gläubiger. Umfasst ist damit jede Willens- 23 äußerung der Gläubiger als Gesamtheit, die dem formalen Beschlusserfordernis genügt. In welchem Verfahren der Beschluss zustande gekommen ist, ist dabei unerheblich. Er kann sowohl in einer Gläubigerversammlung als auch außerhalb einer Versammlung gefasst worden sein.67 Konstitutiv für einen Gläubigerbeschluss ist dessen Feststellung durch den Vorsitzenden bzw. den Abstimmungsleiter.68 Ob das festgestellte Beschlussergebnis zutreffend ist, ist für das Zustandekommen des Beschlusses unerheblich.69 Ohne eine Feststellung des Beschlussergebnisses liegt kein Beschluss der Gläubiger vor, der angefochten werden könnte. Rechtswirkungen entfaltet der Beschluss darüber hinaus nur, wenn er beurkundet und in die Niederschrift aufgenommen wurde (§§ 16 Abs. 3 Satz 1, 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG).70 Wird dem Widerspruch eines Gläubigers abgeholfen und der gefasste Beschluss infolge des Widerspruchs geändert, kann der entsprechend geänderte Beschluss angefochten werden (siehe auch Rz. 110 f.).71 63 Siehe die Regelung in § 20 Abs. 1 SchVG-E, Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848), Begründung auf S. 854 f.; vgl. zu der Konzeption des Rechtsschutzes nach dem Reformvorschlag auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG, Rz. 68 ff.; befürwortet ebenfalls von Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (23); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (47). 64 Vgl. § 20 Abs. 2 SchVG-E, Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848). 65 Siehe den Vorschlag des Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsrechts für einen § 20 Abs. 1 SchVG-E, ZIP 2014, 845 (848, 854 f.). 66 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (850, 855 f.). Diesen Ansatz befürwortet etwa Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (24). 67 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 17; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 11. 68 Kirchner in Preuße, § 16 SchVG Rz. 75; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318); vgl. für den Parallelsachverhalt im Aktienrecht Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 22; Austmann in MünchHdb/AG, 4. Aufl. 2015, § 40 Rz. 50. 69 Hüffer/Koch, § 130 AktG Rz. 22. 70 Vgl. zur Frage der im Ergebnis zu verneinenden Rückwirkung der Fertigstellung der Beurkundung Rz. 34. 71 Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318 f.).

Kiem 459

§ 20 SchVG Rz. 24 Anfechtung von Beschlüssen b) Besondere Sachverhalte 24

Im aktienrechtlichen Schrifttum werden darüber hinaus Lebenssachverhalte problematisiert, in denen Beschlüsse zwar keine Rechtswirkungen entfalten, aber dennoch in der Welt sind. Da sie sich Beschlusswirkungen anmaßen, kann ein Bedürfnis bestehen, sie im Wege der Anfechtungsklage zu beseitigen. Die Rede ist von Nicht- oder Scheinbeschlüssen.72 Das sind Beschlussgebilde, denen derart krasse Verfahrensfehler anhaften, dass ihnen von vornherein keinerlei Rechtswirkung beizumessen ist.73 Die praktische Relevanz dieser Fälle ist bereits im Aktienrecht gering.74 Dies gilt erst recht für Gläubigerbeschlüsse. Besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, ist kein Grund ersichtlich, die Beseitigung eines solchen Nichtbeschlusses im Wege der Anfechtung zu versagen.75 Nicht zu verwechseln sind diese Nichtbeschlüsse hingegen mit Fallkonstellationen, in denen ein unzutreffendes Beschlussergebnis festgestellt wurde. Solche Beschlüsse sind wirksam gefasst und müssen durch Anfechtung beseitigt werden, sollen sie keine Rechtswirkungen mehr entfalten. Schließlich ist auch die Anfechtung solcher Nichtbeschlüsse zu gestatten, die zwar nicht zustande gekommen sind, aber gem. § 17 SchVG bekannt gemacht wurden.76 Auch hier mag ein Bedürfnis bestehen, die durch die Bekanntmachung erzeugten Rechtsscheinwirkungen durch die Anfechtung zu beseitigen. 2. Anwendungsbereich des SchVG in Abgrenzung zur Insolvenzordnung

25

Bedeutung kommt im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Gläubigerbeschlüsse über die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters zudem der Frage zu, ob die Anfechtungsklage nach § 20 SchVG oder die Beschlussaufhebung nach § 78 InsO Anwendung findet. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterfallen gem. § 19 Abs. 1 SchVG die Beschlüsse der Gläubigerversammlung den Bestimmungen der Insolvenzordnung, soweit sich nicht aus § 19 Abs. 2 bis 5 SchVG etwas anderes ergibt. Dort findet sich jedoch kein Verweis auf § 20 SchVG. Mithin sind mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Regelungen zur Beschlussanfechtung nach § 20 SchVG nicht mehr anzuwenden (vgl. hierzu auch § 19 SchVG Rz. 53 f.).77 Eine auf § 20 SchVG gestützte Anfechtungsklage ist ab dem Beginn des Insolvenzverfahrens nicht mehr statthaft. Insoweit gilt hier aufgrund der Sonderregelung in § 19 SchVG etwas anderes als bei der Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen nach dem Aktiengesetz.

72 Siehe dazu nur Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 3. 73 Schulbeispiel nach BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231 (236): Einberufung einer Hauptversammlung durch wildfremden Dritten. 74 Vgl. noch Semler in MünchHdb/AG, 3. Aufl. 2007, § 41 Rz. 4; die heute herrschende Auffassung hält diese Kategorisierung für überflüssig, die denkbaren Fälle würden schließlich bereits von § 241 AktG erfasst, vgl. nur Austmann in MünchHdb/AG, 4. Aufl. 2015, § 42 Rz. 13. 75 Im Ergebnis ebenso Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 16. 76 Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318). 77 LG Leipzig v. 16.1.2015 – 2 HKO 2542/14, NZI 2015, 342 (343); Scherber in Preuße, § 19 SchVG Rz. 31; a.A. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 19 SchVG Rz. 43; Kuder/Obermüller, ZInsO 2009, 2025 (2028) (jedenfalls Bestellung des gemeinsamen Vertreters unterliege der Anfechtung nach § 20 SchVG, da es sich um eine Entscheidung innerhalb der separaten Anleihegläubigerversammlung handele, die nicht Teil der Insolvenzgläubigerversammlung sei); zur Rechtslage nach dem SchVG 1899 vgl. jüngst OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, WM 2016, 643 (das SchVG 1899 sieht keinen generellen Vorrang des Insolvenzrechts vor, weshalb die allgemeine Feststellungsklage und nicht § 78 InsO anzuwenden ist; ein Opt-in-Beschluss, der die Geltung des SchVG 2009 zur Folge hätte, ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angesichts von §§ 24 Abs. 2, 19 Abs. 1 SchVG nicht mehr möglich).

460

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 29 § 20 SchVG

3. Nichtige Beschlüsse a) Einordnung in das Rechtsschutzsystem des SchVG Anders als das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht unterscheidet § 20 SchVG nicht zwi- 26 schen lediglich anfechtbaren und von vornherein nichtigen Beschlüssen. Das hat zu der Frage geführt, ob auch nichtige Gläubigerbeschlüsse von der Vorschrift erfasst sind. Damit sind verschiedene Fragenkreise angesprochen. Zunächst fragt sich, ob es die Kategorie nichtiger Gläubigerbeschlüsse im Anleiherecht überhaupt gibt. Bejaht man dies, stellt sich die Frage, ob die Beschlussnichtigkeit im Wege der Anfechtungsklage geltend gemacht werden kann oder gar muss. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass der Gesetzgeber lediglich Teilaspekte des Rechtsschutzes gegen Beschlüsse regelt und die ungeregelten Bereiche der weiteren Aufbereitung durch Schrifttum und Rechtsprechung überlässt. So findet sich im Genossenschaftsrecht zwar eine Regelung zur Anfechtungsklage, aber nicht zur Beschlussnichtigkeit.78 Die so entstandene Lücke wurde durch Schrifttum und Rechtsprechung in Anlehnung an den aktienrechtlichen Katalog der Nichtigkeitstatbestände in § 241 AktG gefüllt.79 Ähnlich verhält es sich im GmbH-Recht. Dort ist das gesamte Rechtsschutzsystem mangels gesetzlicher Vorgaben dem aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht entlehnt.80 Eine andere Frage ist es, ob es ratsam war, auf eine gesetzliche Regelung zur Nichtigkeit von Gläubigerbeschlüssen zu verzichten. Das ist zu verneinen (s. Rz. 18).

27

b) Beschlussnichtigkeit aa) Allgemeines Ein Beschluss ist nach allgemeiner Ansicht nichtig, wenn ihm so schwerwiegende Fehler anhaften, dass die von den Geschäftsbeteiligten gewollten Rechtswirkungen wegen der Gesetzwidrigkeit des Beschlusses ausbleiben.81 In diesen Fällen überlässt es die Rechtsordnung nicht der Initiative eines Einzelnen, den Beschluss durch Anfechtung zu beseitigen, sondern spricht ihm von vornherein die Rechtswirkungen ab. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum lediglich anfechtbaren Beschluss, der zwar ebenfalls fehlerhaft ist, aber rechtlich Bestand hat und Rechtswirkungen entfaltet, wenn er nicht durch Anfechtungsurteil aufgehoben wird.

28

Dies gilt in gleicher Weise für Gläubigerbeschlüsse. Der Umstand, dass das SchVG die Be- 29 schlussnichtigkeit nicht ausdrücklich regelt, stützt nicht die Annahme, die Nichtigkeit von Gläubigerbeschlüssen sei ausgeschlossen.82 Vielmehr entspricht es allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, grob fehlerhaften Rechtsakten die Wirksamkeit abzusprechen. Das ist

78 Vgl. Vogel, ZBB 2009, 211 (217 f.); Baums, ZBB 2009, 1 (4). 79 Cario in Lang/Weidmüller, 38. Aufl. 2016, § 51 GenG Rz. 7 ff.; Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/ Bloehs, 4. Aufl. 2012, § 51 GenG Rz. 4 m.w.N. 80 Siehe nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 47 GmbHG Rz. 1 ff.; kritisch dazu Zöllner in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 GmbHG Rz. 3 ff. 81 Vgl. nur Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 4, zum Parallelsachverhalt nichtiger Hauptversammlungsbeschlüsse. 82 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 8; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (45); Vogel, ZBB 2009, 211 (217 f.); Baums, ZBB 2009, 1 (4); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (62); Podewils, DStR 2009, 1914 (1918); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 256; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 327; so im Ergebnis auch BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, WM 2014, 1810 (1812) = AG 2014, 784, der ebenfalls von der Kategorie der Nichtigkeit von Beschlüssen im SchVG ausgeht.

Kiem 461

§ 20 SchVG Rz. 30 Anfechtung von Beschlüssen im Anleiherecht nicht anders. Auch geht der Gesetzgeber an anderer Stelle der Gesetzesbegründung wie selbstverständlich von der Möglichkeit nichtiger Beschlüsse aus.83 30

Da der Gesetzgeber den gesamten Bereich der Beschlussnichtigkeit ungeregelt gelassen hat, kann nicht wie im Aktienrecht auf einen – abschließenden – Katalog von Nichtigkeitsgründen zurückgegriffen werden. Eine unbesehene entsprechende Anwendung der aktienrechtlichen Nichtigkeitsgründe des § 241 AktG verbietet sich ohne Zweifel.84 Indessen gibt der Katalog der Nichtigkeitsgründe in § 241 AktG auch für die Nichtigkeit von Gläubigerbeschlüssen einen Orientierungsrahmen vor. Dieser ist in Anbetracht der anleiherechtsspezifischen Besonderheiten zu modifizieren bzw. weiter zu entwickeln. Dabei ist insbesondere der Umstand zu berücksichtigen, dass es im Schuldverschreibungsrecht an der Rechtskrafterstreckung der gerichtlich festgestellten Beschlussnichtigkeit fehlt (siehe dazu im Einzelnen Rz. 138 ff.). bb) Einzelne Nichtigkeitsgründe (1) Fehlerhafte Einberufung einer Gläubigerversammlung

31

Die fehlerhafte Einberufung einer Gläubigerversammlung kann die Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse begründen. Das gilt in entsprechender Weise für die Abstimmung ohne Versammlung. In Anlehnung an die Fehlerkategorien des § 241 Nr. 1 AktG ist für die Frage der zur Beschlussnichtigkeit führenden Einberufungsfehler wie folgt zu unterscheiden. Fehlt dem Einberufenden die Einberufungsbefugnis, sind die von der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse nichtig.85 Einer fehlenden Einberufungskompetenz kommt im Schuldverschreibungsrecht indessen deutlich geringere Bedeutung als im Aktienrecht zu, da Mängel der internen Willensbildung hier nicht auf die Einberufungszuständigkeit durchschlagen.86 Wird die gerichtliche Ermächtigung für die Einberufung durch eine Gläubigerminderheit gem. § 9 Abs. 2 SchVG nicht erteilt oder die erteilte Ermächtigung in der Beschwerdeinstanz vor der Gläubigerversammlung aufgehoben, sind die auf der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse ebenfalls nichtig.87

32

Das Fehlen der in § 12 Abs. 1 SchVG genannten Mindestangaben der Einberufung (Firma, Sitz des Schuldners, Zeit und Ort der Gläubigerversammlung) begründet die Nichtigkeit der auf der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse jedenfalls dann, wenn dadurch bei objektiver Betrachtung eine Teilnahme der Gläubiger nicht möglich gewesen oder erheblich erschwert worden ist. Der Umstand, dass § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG bei einer nicht ordnungsgemäßen Einberufung die Anfechtung gefasster Beschlüsse eröffnet, bedeutet nicht, dass ganz schwerwiegende Einberufungsfehler nicht die Beschlussnichtigkeit begründen können.88 In allen anderen Fällen führt die Nichtbeachtung des § 12 Abs. 1 SchVG indessen 83 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18. 84 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 9; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (46) (keine Eins-zu-Eins-Übertragung); Vogel, ZBB 2009, 211 (218); Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319). 85 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 14 (Einberufung durch nicht befugte Person); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (46); dem folgend Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 100; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 329; a.A. Schindele in Preuße, § 9 SchVG Rz. 2 (Beschluss lediglich anfechtbar). 86 Siehe zur Rechtslage im Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 10. 87 Zum Parallelsachverhalt im AktG vergleiche nur Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 10; Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 241 AktG Rz. 29. 88 Gleichsinnig Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 14; im Ergebnis wohl auch Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 190; auf schwerwiegende und bewusste Verstöße abstellend Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 329; a.A. wohl Schindele in Preuße, § 12 SchVG Rz. 6; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 12 SchVG Rz. 10.

462

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 35 § 20 SchVG

lediglich zur Anfechtbarkeit. Das gilt insbesondere bei einer fehlerhaften Darstellung der Bedingungen für die Teilnahme und die Ausübung des Stimmrechts. Ebenfalls nichtig sind gefasste Beschlüsse dann, wenn sich die Einberufung nur an Teile der Anleihegläubiger richtete, also Teile der Gläubiger nicht zur Abstimmung eingeladen wurden.89 Solche Fälle sind indessen in der Praxis bislang nicht zu beobachten gewesen.

33

(2) Verletzung der vorgeschriebenen Form Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 SchVG bedarf ein Beschluss der Gläubigerversammlung der Be- 34 urkundung durch eine über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift. Bei einer Versammlung im Inland hat die Beurkundung durch einen Notar zu erfolgen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 SchVG). Bei einer Abstimmung ohne Versammlung ist der Beschluss ebenfalls zu beurkunden (§ 18 Abs. 4 Satz 3 SchVG). Gemäß § 241 Nr. 2 AktG führen Beurkundungsmängel zur Nichtigkeit des Hauptversammlungsbeschlusses. Aufgrund der Verweisung in § 16 Abs. 3 Satz 3 SchVG auf § 130 Abs. 2 bis 4 AktG ist es naheliegend, die aktienrechtliche Regelung zu den Folgen von Beurkundungsmängeln auf Gläubigerbeschlüsse entsprechend anzuwenden.90 Demgemäß führen das Unterbleiben der Beurkundung sowie das Fehlen der förmlichen oder inhaltlichen essentialia der Beurkundung91 zur Nichtigkeit des Beschlusses. Soweit die Beurkundung nicht am Ende der Versammlung oder Abstimmung, sondern mit zeitlicher Verzögerung abgeschlossen wird, ist von einer ex nunc eintretenden Wirksamkeit des Beschlusses auszugehen; eine Rückwirkung der Beurkundung ist hingegen abzulehnen.92 (3) Kompetenzüberschreitung Fassen die Gläubiger einen Beschluss außerhalb des ihnen durch Gesetz oder die Anleihebedingungen zugewiesenen Zuständigkeitsbereichs, begründet dies die Nichtigkeit des Beschlusses.93 In der Praxis ist diese Fallgruppe von einiger Relevanz, weshalb sich die Rechtsprechung bereits vermehrt mit entsprechenden Konstellationen befasst hat. Die Gläubigermehrheit kann nur beschließen, wozu sie gem. §§ 5 ff. SchVG oder in den Anleihebedingungen ermächtigt wird. So fehlte es beispielsweise in der Solarworld-Entscheidung des LG Bonn für die Aufhebung der Wirkung einer Einzelkündigung an einer Rechtsgrundlage.94 89 Siehe zu den „Geheimversammlungen“, die keine wirksamen Beschlüsse fassen können, beispw. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 14; Vogel, ZBB 2009, 211 (218); Baums, ZBB 2009, 1 (4); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 257; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 329; im Ergebnis ebenso Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 100. 90 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 15; Vogel, ZBB 2009, 211 (218); Baums, ZBB 2009, 1 (4); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 257; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 330; im Ergebnis zustimmend Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 100; die Nichtigkeit bei fehlender Beurkundung bejahend Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319); Podewils, DStR 2009, 1914 (1918). 91 Vgl. dazu Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 13. 92 Vgl. zu der Parallelfrage im Aktienrecht insbesondere Habersack, Beilage zu ZIP 22/2016, 23; RoecklSchmidt/Stoll, AG 2012, 225. 93 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 11; Vogel, ZBB 2009, 211 (218); unklar insoweit Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319), der unter dem Obersatz „wirkungslose Beschlüsse“ Fälle der Kompetenzüberschreitung diskutiert, aber die Beschlussnichtigkeit möglicherweise auf „krasse und evidente“ Fälle beschränken will. 94 LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13, ZIP 2014, 1072 (1075); vgl. aber zur Wirksamkeit von nach Einzelkündigungen beschlossenen Restrukturierungskonzepten auch für den Kündigenden jüngst BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14, WM 2016, 305 = AG 2016, 244.

Kiem 463

35

§ 20 SchVG Rz. 36 Anfechtung von Beschlüssen 36

Ebenfalls unter der Fallgruppe der Kompetenzüberschreitung sind diejenigen Rechtsprechungsfälle zu erörtern, die sich mit den Wirksamkeitsvoraussetzungen von „Opt-in-Beschlüssen“ nach § 24 Abs. 2 SchVG befassen. Insoweit ist allerdings umstritten, welche Voraussetzungen Altanleihen erfüllen müssen, damit die Gläubigerversammlung von der Möglichkeit des § 24 Abs. 2 SchVG Gebrauch machen kann. Während insbesondere die Frankfurter Instanzgerichte hier besonders restriktive Voraussetzungen herausgebildet haben,95 befürworten der BGH und die ganz herrschende Ansicht im Schrifttum zu recht eine extensive Auslegung der Vorschrift:96 § 24 Abs. 2 SchVG findet danach auf nach deutschem Recht begebene,97 inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (§ 1 Abs. 1 SchVG) Anwendung, auch wenn sie nicht dem SchVG 1899 unterfielen und in den Anleihebedingungen keine Mehrheitsentscheidungen vorgesehen waren (vgl. hierzu auch § 5 SchVG Rz. 28, § 24 SchVG Rz. 9).98 Für die überzeugende Ansicht des BGH sprechen neben dem Wortlaut von § 24 Abs. 2 SchVG auch die Entstehungsgeschichte und die Systematik der Norm.99 Mithin werden angesichts der gebotenen weiten Auslegung entsprechende „Opt-inBeschlüsse“ nicht aufgrund einer Kompetenzüberschreitung nichtig sein. Nicht mehr möglich sind „Opt-in-Beschlüsse“ allerdings angesichts von § 19 SchVG nach Insolvenzeröffnung.100 Ab diesem Zeitpunkt sind die Anleihegläubiger, abgesehen von der Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, bei ihren Beschlussfassungen inhaltlich auf die Möglichkeiten beschränkt, die die Insolvenzordnung bietet und können nicht mehr für die Geltung des SchVG 2009 votieren. Wird ein „Opt-in-Beschluss“ dennoch gefasst, entfaltet er keine Wirkung, so dass es bei der Geltung des SchVG 1899 bleibt.101 (4) Änderung der Anleihe ohne Angebot des Schuldners

37

Nicht wirklich praxisrelevant, aber ebenfalls der Kategorie der unzulässigen Kompetenzüberschreitung zuzuordnen, ist der Fall der Beschlussfassung der Gläubiger über eine Änderung der Anleihebedingungen, ohne dass ein korrespondierendes Angebot des Schuldners vorliegt.102 Ein solcher Beschluss geht ins Leere; er ist nichtig.

95 LG Frankfurt v. 27.10.2011 – 3-05 O 60/11 – Pfleiderer, NZG 2012, 23 (24 f.); OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11 – Pfleiderer, NZG 2012, 593 (594 f.) = AG 2012, 373; ebenso: LG Frankfurt v. 23.1.2012 – 3/5 O 142/11 – Q-Cells, ZIP 2012, 474 (476 f.). 96 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, NZG 2014, 1102 (1103) = AG 2014, 784; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 6; Hartwig-Jacob/Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 24 SchVG Rz. 13; Weckler, NZI 2012, 477; Friedl, BB 2012, 1309; Paulus, WM 2012, 1109 (1112 f.); für eine gesetzgeberische Klarstellung plädierend Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848 f., 857); vgl. ferner Baums, ZHR 177 (2013), 807 (808); kritisch zur Position des OLG Frankfurt auch Florstedt, ZIP 2012, 2286 (2288). 97 Vgl. zu der Frage, wann Anleihen nach deutschem Recht begeben sind etwa Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (909 f.). 98 Dem pflichten weite Teile des Schrifttums bei, vgl. etwa: Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204 (205 ff.); Paulus, WM 2012, 1109 (1112 f.); Keller, BKR 2012, 15 (17); Hartwig-Jacob/Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 24 SchVG Rz. 13; zu beachten ist jedoch, dass der BGH sich nicht zur Rechtsfolge einer etwaigen Überschreitung von § 24 Abs. 2 SchVG äußern musste, da nach seiner Ansicht kein entsprechender Verstoß vorlag. 99 Kessler/Rühle, BB 2014, 907 (908). 100 OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, WM 2016, 643. 101 Vgl. OLG Dresden v. 9.12.2015 – 13 U 223/15, WM 2016, 643, 644; in entsprechenden Fällen greift dann auch das Rechtsschutzkonzept des SchVG 1899. 102 Beispiel bei Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319).

464

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 41 § 20 SchVG

(5) Ungleichbehandlung der Anleihegläubiger Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG sind die Gläubiger einer Anleihe hinsichtlich der Bestimmungen der Anleihebedingungen unbedingt gleich zu behandeln (zu den Einzelheiten siehe § 5 SchVG Rz. 33 ff.). Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes führt zur Nichtigkeit des Gläubigerbeschlusses.103

38

(6) Sonstige Inhaltsfehler Daneben soll sich die Nichtigkeit eines Gläubigerbeschlusses auch aus einem sittenwidrigen Beschlussinhalt ergeben können.104 Anders als im Aktienrecht fehlen im Anleiherecht nichtigkeitsbeschränkende Spezialregeln. Dort ist ein Hauptversammlungsbeschluss nichtig, wenn er durch seinen Inhalt gegen die guten Sitten verstößt (§ 241 Nr. 4 AktG). Das ist so zu verstehen, dass die Sittenwidrigkeit sich aus dem Beschluss an sich ergeben muss; die Umstände seines Zustandekommens und der mit ihm verfolgte Zweck sind unbeachtlich.105 Wie die Verfolgung von Sondervorteilen begründen solche äußeren Umstände lediglich die Anfechtbarkeit.106 Im Anleiherecht kommen mangels spezialgesetzlicher Regelungen demgegenüber die allgemeinen Regeln zur Anwendung; hier also § 138 BGB.107 Obgleich damit der Nichtigkeitstatbestand weiter gefasst ist als im Aktienrecht, da auch äußere Umstände des Beschlusses seine Sittenwidrigkeit begründen können, ist die praktische Relevanz dieser Nichtigkeitskategorie zu vernachlässigen. Fälle, bei denen die Sittenwidrigkeit eines Gläubigerbeschlusses hätte zumindest erwogen werden können, sind nicht bekannt geworden. Es fällt offenbar bereits schwer, sich Fallgestaltungen auszumalen, mit denen diese Nichtigkeitskategorie veranschaulicht werden könnte.108

39

c) Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit Das SchVG enthält keine Regelung zur Geltendmachung der Nichtigkeit eines Gläubigerbeschlusses. Das wirft verschiedene Fragen auf. Zunächst stellt sich die Frage, ob Nichtigkeitsgründe auch im Rahmen einer Anfechtungsklage geltend gemacht werden können. Umgekehrt fragt sich, ob Nichtigkeitsgründe nicht gar mittels der Erhebung einer Anfechtungsklage geltend gemacht werden müssen.

40

aa) Meinungsstand Es ist umstritten, wie die Nichtigkeit eines Gläubigerbeschlusses geltend zu machen ist. Nach ganz überwiegender Ansicht kommen mangels spezialgesetzlicher Regelung im SchVG die

103 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/12, WM 2014, 1810 (1812) = AG 2014, 784; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 20 SchVG Rz. 6; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 66; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 17; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 12; Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 257; s. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 18; a.A. aber Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (44): gemeint sei nicht „Nichtigkeit im Sinne von §§ 134, 138 BGB, sondern lediglich die Unverbindlichkeit gegenüber den unfreiwillig zurückgesetzten Gläubigern“. 104 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 10; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (46 f.); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 257. 105 Siehe nur Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 21. 106 Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 21. 107 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 10; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (47). 108 Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (47): Nichtigkeit nur bei extremen Fällen des kollusiven Zusammenwirkens.

Kiem 465

41

§ 20 SchVG Rz. 42 Anfechtung von Beschlüssen allgemeinen Regeln für die Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit zur Anwendung.109 Demnach ist für die gerichtliche Geltendmachung der Nichtigkeit eines Gläubigerbeschlusses die allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO eröffnet. Außerdem kann die Nichtigkeit außergerichtlich im Wege der Einrede geltend gemacht werden. Schließlich wird es als zulässig angesehen, Nichtigkeitsgründe auch im Rahmen einer Anfechtungsklage geltend zu machen.110 Das Freigabeverfahren gem. § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a AktG soll für nichtige Gläubigerbeschlüsse nicht statthaft sein.111 42

Die Gegenposition haben Bliesener und Hannes Schneider bezogen.112 Danach soll die Gesetzwidrigkeit von Gläubigerbeschlüssen ausschließlich im Wege der Anfechtungsklage geltend gemacht werden können. Nichtigkeitsgründe seien immer auch Anfechtungsgründe. Das Schweigen der Gesetzesbegründung könne nur so verstanden werden, dass es neben der Anfechtungsklage keine Nichtigkeitsklage geben solle. Aus Gründen der Rechtssicherheit sei zu verlangen, dass einheitlich die Monatsfrist des § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG für die Geltendmachung sämtlicher Beschlussfehler gelte. bb) Stellungnahme

43

Der Gegenansicht ist zuzugeben, dass die nicht fristgebundene Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen außerhalb der schuldverschreibungsrechtlichen Anfechtungsklage überaus misslich ist. Wie im Aktienrecht113 hat sich die Geltendmachung vermeintlicher Nichtigkeitsgründe als Einfallstor für rechtsmissbräuchliche Klagen entwickelt.114 Es wäre deshalb wünschenswert gewesen, der Reformgesetzgeber hätte auch die Beschlussnichtigkeit im SchVG geregelt und dieses Feld nicht der Entwicklung in Rechtsprechung und Schrifttum überlassen (vgl. Rz. 18). Indessen ändert das nichts an der insoweit eindeutigen Rechtslage. Für die von der Gegenansicht angenommene Richtungsentscheidung des Gesetzgebers gegen die Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit außerhalb der Anfechtungsklage fehlt jeglicher Anhaltspunkt in den Gesetzgebungsmaterialien. Vielmehr muss das Schweigen der Gesetzesmaterialien als beredt in dem Sinne verstanden werden, dass der gesamte Bereich der Beschlussnichtigkeit eben ohne gesetzliche Regelung verbleiben sollte. Der Verzicht des Gesetzgebers auf die Einführung einer speziellen Nichtigkeitsklage in Anlehnung an § 249 AktG kann nicht so interpretiert werden, dass damit die Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit ausschließlich im Wege der Beschlussmängelklage gem. § 20 SchVG zu erfolgen hat. Überdies hindert auch im Aktienrecht die Existenz der speziellen Beschlussnichtigkeitsklage nicht die anderweitige Geltendmachung der Beschlussnichtigkeit.115

109 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 16; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 101; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 195. 110 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 18; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319); a.A. Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 101. 111 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 16; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 101. 112 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 12; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (3 f.). 113 Siehe zu den Plänen des Gesetzgebers eine relative Befristung der Nichtigkeitsklage einzuführen, RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BR-Drucks. 22/15, 5; dazu beispw. Götze, NZG 2015, 298; MüllerEising, GWR 2015, 50; Schmidt-Bendun, DB 2015, 419; zurückgestellt im Interesse einer grundlegenden Reform des Beschlussmängelrechts, siehe den Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 18/6681, 12. 114 Siehe die Kritik bei Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (47 ff.), der deswegen eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Nichtigkeitsklage befürwortet. 115 Siehe nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 249 AktG Rz. 30 m.w.N.

466

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 47 § 20 SchVG

Für eine analoge Anwendung der Vorschriften zur aktienrechtlichen Nichtigkeitsklage – idealerweise in Verbindung mit einer relativen Befristung116 – wie sie teilweise im Schrifttum erwogen wird,117 fehlt es an einer planwidrigen Gesetzeslücke. Vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung des SchVG eindeutig am Beschlussmängelsystem des Aktienrechts orientiert hat und die Anwendung einzelner aktienrechtlicher Normen entweder ausdrücklich angeordnet oder sie fast wortgleich übernommen hat, kann nicht ernsthaft angenommen werden, dass der Gesetzgeber bei der Durchmusterung des aktienrechtlichen Normenbestandes den Fall der Beschlussnichtigkeit übersehen hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der fehlenden Inbezugnahme der Vorschriften zur Beschlussnichtigkeit eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers zugrunde liegt, diesen Sachverhalt eben nicht im Rückgriff auf die entsprechenden aktienrechtlichen Bestimmungen zu regeln, sondern es bei der Geltung der allgemeinen Grundsätze zu belassen. Zudem fehlt es jedenfalls an einer vergleichbaren Interessenlage. So führen korporative Beschlüsse nicht zwangsläufig zu so einschneidenden Folgen wie Gläubigerbeschlüsse, mit denen regelmäßig in bestehende Gläubigerforderungen eingegriffen wird.118 Eine Übertragung der Regelungen des Aktienrechts zur Nichtigkeitsklage birgt demgemäß die Gefahr, eben diesen besonders gravierenden Folgen von Gläubigerbeschlüssen nicht in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen und ist mithin abzulehnen.

44

cc) Ergebnis Daraus folgt, dass mit der herrschenden Meinung davon auszugehen ist, dass die Beschlussnichtigkeit im Wege der allgemeinen Feststellungsklage gerichtlich geltend gemacht werden kann. Erforderlich ist ein rechtlich erhebliches Feststellungsinteresse, nicht jedoch die Anfechtungsbefugnis gem. § 20 Abs. 2 SchVG.119

45

Auch für die Anwendung der Verfahrensregelungen des § 20 Abs. 3 SchVG, insbesondere für 46 das Freigabeverfahren des § 20 Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 246a AktG, bleibt kein Raum.120 § 20 Abs. 2 und 3 SchVG sind auf die Anfechtungsklage zugeschnitten; für Beschlüsse, die von vorneherein unwirksam sind und hierzu keines sie aufhebenden Anfechtungsurteils bedürfen, enthalten sie keine anwendbaren oder übertragbaren Regelungen. Die Nichtigkeit eines Gläubigerbeschlusses kann allerdings auch im Wege der Anfechtungs- 47 klage geltend gemacht werden.121 Es entspricht dem heutigen Stand der Dogmatik im Aktienrecht, dass Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage aus Gründen der Prozessökonomie verbunden werden können.122 Es ist kein Grund ersichtlich, warum nicht auch im Anfechtungsverfahren gegen einen Beschluss der Gläubiger Nichtigkeitsgründe vorgebracht werden können.

116 Die ursprünglich geplante Einführung einer solchen relativen Befristung durch eine Neufassung des § 249 Abs. 2 AktG (siehe RegE Aktienrechtsnovelle 2014, BR-Drucks. 22/15, 5) ist im Interesse einer grundlegenden Reform des Beschlussmängelrechts zurückgestellt worden, siehe den Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 18/6681, 12. 117 De lege ferenda befürwortet von Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (47 f.). 118 Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 195. 119 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 16. 120 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 16; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 101. 121 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 18; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 15. 122 Hüffer/Koch, § 249 AktG Rz. 19.

Kiem 467

§ 20 SchVG Rz. 48 Anfechtung von Beschlüssen 4. Anfechtungsgründe (§ 20 Abs. 1 SchVG) a) Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen 48

Die Anfechtung kann gem. § 20 Abs. 1 SchVG sowohl auf die Verletzung des Gesetzes als auch auf die der Anleihebedingungen gestützt werden. Das entspricht der Regelung in § 243 Abs. 1 AktG, nach der die Verletzung von Gesetz oder Satzung die Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses begründet. aa) Gesetzesbegriff

49

§ 20 Abs. 1 Satz 1 SchVG stellt ganz allgemein auf eine Verletzung des Gesetzes ab. Es wird also nicht eine Verletzung „dieses“ Gesetzes verlangt. Mithin ergibt sich bereits aus dem Wortlaut, dass hier Gesetz i.S.d. Art. 2 EGBGB gemeint ist.123 Im Ausgangspunkt kann also eine Anfechtung auf eine Verletzung jeder Rechtsnorm gestützt werden und nicht nur auf eine der Vorschriften des SchVG. Dazu zählen neben Gesetzen im formellen Sinn auch Rechtsverordnungen, von Kommunen und nichtstaatlichen Verbänden im Rahmen ihrer Befugnisse erlassene Rechtsnormen wie Satzungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften (sog. autonome Satzungen) sowie Gewohnheitsrecht.124 Umfasst sind wie im Aktienrecht sowohl geschriebene als auch ungeschriebene Rechtsnormen.125 bb) Anleihebedingungen

50

Neben einer Verletzung des Gesetzes begründet auch eine Verletzung der Anleihebedingungen i.S.d. § 2 Satz 1 SchVG die Anfechtung. Vereinbarungen außerhalb der Urkunde bzw. der Anlage zur Urkunde sind damit nicht erfasst.126 Mithin kann eine Anfechtung nur auf eine Verletzung solcher Abreden mit dem Schuldner gestützt werden, die in der Urkunde ihren Niederschlag gefunden haben. Erfasst sind sowohl inhaltliche als auch verfahrensrechtliche Verstöße gegen die Anleihebedingungen.127 Die Anleihebedingungen selbst müssen indessen wirksam sein.128 Für die Feststellung, ob ein Verstoß vorliegt, ist der Inhalt der Anleihebedingungen gegebenenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.129

51

Bei Beschlüssen, mit denen die Anleihebedingungen geändert werden, kommen vorrangig Verstöße gegen Verfahrensregeln in Betracht. Ein Widerspruch der geänderten oder eingefügten Anleihebedingungen mit anderen Anleihebedingungen ist hingegen grundsätzlich im Wege der Auslegung aufzulösen.130

123 Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 4; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, § 20 SchVG Rz. 13; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 18; Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Band I, Stand Dezember 2015, § 20 SchVG Rz. 5; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 18; im Ergebnis ebenso Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 15, die aber der Auffassung sind, dass dem Wortlaut nach nur auf das SchVG verwiesen werde und erst wegen des vom Gesetzgeber gewollten Gleichlaufs von § 20 Abs. 1 SchVG und § 243 Abs. 1 AktG zu dem weiteren Verständnis gelangen. 124 Vgl. zum Normenbegriff von Art. 2 EGBGB nur Thorn in Palandt, EG. 2 EGBGB Rz. 1; Sprau in Palandt, Einl. BGB Rz. 17 ff. 125 Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 5. 126 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 24. 127 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 24. 128 Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 7. 129 Vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 25 a.E. 130 Vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 25.

468

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 55 § 20 SchVG

b) Formelle Beschlussmängel (Verfahrensfehler) Verfahrensfehler sind solche Fehler des Beschlusses, die nicht in seinem Inhalt begründet sind. Sie betreffen mithin die Art und Weise des Zustandekommens des Beschlusses.131 Wie für den Parallelsachverhalt fehlerhaft zustande gekommener Hauptversammlungsbeschlüsse gilt auch im SchVG, dass nicht jeder Verfahrensfehler die Anfechtbarkeit des Beschlusses begründet. Vielmehr muss sich der Verfahrensfehler auf den Beschluss ausgewirkt haben. Dabei ist nach heutigem Verständnis auf die Relevanz des Fehlers für die Beschlussfassung abzustellen.132 Danach ist die Verletzung einer Norm dann mit der Anfechtbarkeit des Beschlusses sanktioniert, wenn Sinn und Zweck der verletzten Norm dies im Interesse der Ermöglichung einer sachgerechten Ausübung der Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs erfordern.

52

Das ist im Hinblick auf Gläubigerbeschlüsse insoweit zu modifizieren, als diesbezüglich schlicht auf die Sicherung der Entscheidungsteilhabe der Gläubiger bei der Änderung der Anleihebedingungen abzustellen ist. Teilweise wird dies mit der Wendung umschrieben, dass der Fokus des objektiven Gläubigers, der an der Sicherung oder gar Verbesserung seiner Schuldverschreibungsforderung interessiert ist, maßgeblich sei.133 Indessen erscheint es wenig sinnvoll, auf eine Sicherung oder gar Verbesserung der Forderung des Gläubigers abzustellen, wenn es in den typischerweise anzutreffenden Restrukturierungen des Schuldners doch in erster Linie um eine zur Erreichung des Sanierungsziels erforderliche Beschränkung der Forderung des Gläubigers gehen wird. Entscheidend ist vielmehr, ob der Normzweck der verletzten Verfahrensregelung eine Beseitigung des gefassten Beschlusses gebietet, weil vom Gesetz als wesentlich angesehene Vorschriften zur Herbeiführung einer Kollektiventscheidung der Gläubiger missachtet wurden.

53

Für Verfahrensfehler, denen eine Verletzung von Informationsrechten zugrunde liegt, hat der Gesetzgeber die Relevanzbetrachtung – zunächst im Aktienrecht, und dann auch im SchVG – gesetzlich ausdrücklich verankert.134 Indessen gilt sie über Informationsrechtsverletzungen hinaus für jede Form eines Verfahrensfehlers.135

54

aa) Einberufungs- und Bekanntmachungsmängel Die fehlerhafte Einberufung einer Gläubigerversammlung bzw. die nicht ordnungsgemäß erfolgte Aufforderung zur Stimmabgabe kann die Anfechtbarkeit des gefassten Gläubigerbeschlusses begründen. Schwerwiegende Verstöße führen indessen bereits zur Nichtigkeit des Beschlusses (siehe Rz. 31 ff.). Im Übrigen sind Einberufungsfehler wie im Aktienrecht regelmäßig relevante Verfahrensfehler, da sie schon die informierte Teilnahme an der Versammlung erschweren und dadurch grundsätzlich zu einem Legitimationsdefizit der für alle Gläubiger geltenden Beschlüsse führen, so dass ihr Vorliegen auch die Anfechtbarkeit begründet.136

131 Vgl. Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 11. 132 So genannte „Relevanz“-Theorie, begründet von Zöllner in KölnKomm/AktG, 1. Aufl. 1985, § 243 AktG Rz. 81 ff.; heute absolut herrschend: zum AktG Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 116 m.w.N.; zur entsprechenden Geltung im SchVG: Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 20. 133 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 30. 134 Im Aktienrecht in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingeführt durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), BGBl. I 2005, 2802; im Schuldverschreibungsrecht in § 20 Abs. 1 Satz 2 SchVG. 135 Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 13. 136 Vgl. zum Aktienrecht nur Heidel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 243 AktG Rz. 11 f. m.w.N. zu den einzelnen Einberufungspflichten; Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 19 und § 243 AktG Rz. 14 f.

Kiem 469

55

§ 20 SchVG Rz. 56 Anfechtung von Beschlüssen 56

Gleiches gilt für die Verletzung der Bekanntmachungsvorschriften des SchVG. So ist ein Beschluss auch anfechtbar, wenn der Gegenstand der Beschlussfassung nicht gem. § 13 Abs. 2 SchVG (bei Abstimmungen ohne Versammlung über § 18 Abs. 1 SchVG) mit der Tagesordnung bekannt gemacht wurde. bb) Fehlerhafte Beschlussfeststellung

57

Fehler bei der Feststellung des gefassten Beschlusses können dessen Anfechtbarkeit begründen. Feststellungsfehler können sich zunächst aus der Nichtberücksichtigung von Stimmverboten oder dem Mitzählen von Stimmen nicht stimmberechtigter Personen ergeben. Des Weiteren ist denkbar, dass der Vorsitzende der Gläubigerversammlung bzw. der Abstimmungsleiter das Abstimmungsergebnis falsch ermittelt, ihm also ein Zählfehler unterläuft. Indessen begründet eine fehlerhafte Beschlussfeststellung nur dann die Anfechtbarkeit des Beschlusses, wenn sich der Fehler tatsächlich auf das Beschlussergebnis ausgewirkt hat. Das ist nur dann der Fall, wenn ohne den Fehler ein anderes Beschlussergebnis zustande gekommen wäre.137 cc) Informationsmängel (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SchVG)

58

Auch Informationsmängel können die Anfechtbarkeit von Gläubigerbeschlüssen bewirken. In der Rechtsprechungspraxis ist das Vorliegen solcher Mängel von der jeweiligen Klägerseite auch bereits mehrfach vorgetragen worden.138 Die Anfechtbarkeit bezüglich unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen wird jedoch durch § 20 Abs. 1 Satz 2 SchVG eingeschränkt. Danach ist ein Gläubiger nur dann zur Anfechtung des gefassten Beschlusses berechtigt, wenn die fehlerfreie Information von einem objektiv urteilenden Gläubiger als wesentliche Voraussetzung für sein Abstimmungsverhalten angesehen worden wäre. Damit wird das allgemein für Verfahrensfehler geltende Relevanzerfordernis (vgl. Rz. 52 ff.) für Informationsmängel ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben. Die Regelung entspricht § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG,139 so dass weitgehend auf die diesbezügliche Rechtsprechung und die im Schrifttum angestellten Erwägungen rekurriert werden kann.140

59

Danach muss zunächst überhaupt ein Informationsmangel vorliegen. Dies setzt voraus, dass der Gläubiger einen Anspruch auf Information hat und die gewünschte Auskunft auch vom Umfang des Informationsanspruchs erfasst wird.141 Im SchVG folgt der Anspruch des Gläubigers auf Information aus § 16 Abs. 1 SchVG.142 Danach hat der Schuldner in der Gläubigerversammlung Auskunft zu erteilen, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstands der Tagesordnung oder eines Vorschlags zur Beschlussfassung erforderlich ist. Dem gegenüber ist eine mangelhafte Bekanntmachung der Tagesordnung kein Informationsman-

137 Siehe nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 41 a.E. 138 Vgl. zu behaupteten Informationsmängeln etwa: OLG Köln v. 13.1.2014 – 18 U 174/13 – Solarworld, ZIP 2014, 268; LG Frankfurt v. 15.11.2011 – 3-5 O 45/11 – Pfleiderer; in beiden Fällen kam es jedoch letztlich auf das Vorliegen von Informationsmängeln nicht an. 139 Siehe zu den Motiven des Gesetzgebers Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 25. 140 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 28; Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Band I, Stand Dezember 2015, § 20 SchVG Rz. 8; zu § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG s. nur Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 45 ff. 141 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 29; auf (korrespondierende) Informationspflicht abstellend: Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 18. 142 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 29; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 23; Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 18; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 15.

470

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 63 § 20 SchVG

gel,143 sondern ein Ladungs- bzw. Bekanntmachungsmangel, der insbesondere für die Anfechtungsbefugnis des nicht an der Abstimmung teilnehmenden Gläubigers von Bedeutung ist (hierzu Rz. 121 ff.). Bleibt die erteilte Auskunft hinter dem Auskunftsanspruch zurück oder wird sie ganz verweigert, ohne dass der Schuldner hierzu berechtigt war (siehe dazu im Einzelnen § 16 SchVG Rz. 13 ff.), liegt ein Informationsmangel vor.144 Dieser Informationsmangel muss nach dem Gesetzeswortlaut auch wesentlich sein. Der Begriff der Wesentlichkeit geht aber, wie auch sein aktienrechtliches Pendant, nicht über die bei Verfahrensfehlern allgemein erforderliche Relevanz (siehe hierzu Rz. 52 ff.) hinaus.145 Der Informationsmangel muss also mit Blick auf die sachgerechte Ermöglichung der Entscheidungsteilhabe der Gläubiger die Anfechtbarkeit des Beschlusses erfordern. Tut er das, liegt ein wesentlicher Mangel vor. Gegenüber dem Merkmal der Erforderlichkeit in § 16 Abs. 1 SchVG ist mithin kein gesteigertes Relevanzerfordernis gegeben.146

60

Die Anfechtbarkeit eines Beschlusses wegen eines Informationsfehlers kann sich grundsätzlich auch bei Abstimmungen ohne Versammlung ergeben.147 Auch hier folgt der Informationsmangel aus einer Verletzung der Auskunftspflicht des Schuldner nach §§ 18 Abs. 1, 16 Abs. 1 SchVG.148

61

dd) Technische Störungen (§ 20 Abs. 1 Satz 3 SchVG) Eine weitere Einschränkung des Anfechtungsrechts findet sich in § 20 Abs. 1 Satz 3 SchVG. Parallel zu § 243 Abs. 3 Nr. 1 AktG wird eine Anfechtung von Beschlüssen aus Abstimmungen ohne Versammlung nach § 18 SchVG wegen technischer Störungen grundsätzlich ausgeschlossen. Damit soll die Rechtssicherheit dieses Abstimmungsverfahrens erhöht werden.149 Nur wenn dem Schuldner grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen ist, kann die Anfechtung doch auf eine durch technische Störung verursachte Verletzung von Rechten gestützt werden. Von dem Verschuldensmaßstab kann in den Anleihebedingungen gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG nur zugunsten der Gläubiger abgewichen werden.150

62

Die Regelung ist entsprechend auf Abstimmungen im Rahmen einer Gläubigerversammlung anzuwenden, wenn in den Anleihebedingungen gem. § 16 Abs. 2 SchVG i.V.m. § 118 Abs. 2 AktG die Teilnahme der Gläubiger im Wege der elektronischen Kommunikation zugelassen ist.

63

143 A.A. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 29. 144 Vgl. zum Aktienrecht Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 118, die allerdings für die Definition des Informationsmangels maßgeblich auf den Anspruch aus § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG abstellen und deswegen bereits an dieser Stelle die Erforderlichkeit der Information aufnehmen. 145 Siehe zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 47 m.w.N. 146 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 30; im Aktienrecht h.M. vgl. nur Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 131 AktG Rz. 168; Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 47; Englisch in Hölters, § 243 AktG Rz. 89 jeweils m.w.N.; a.A. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 23; sowie wohl auch Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 18; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 15. 147 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 31. 148 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 31; zur Anwendung des § 16 Abs. 1 SchVG bei Abstimmungen ohne Versammlung siehe die Kommentierung zu § 18 SchVG Rz. 170 ff. 149 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 33; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 1. 150 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 33; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 25.

Kiem 471

§ 20 SchVG Rz. 64 Anfechtung von Beschlüssen c) Inhaltliche Beschlussmängel aa) Überblick 64

Neben den bereits erläuterten formellen Fehlern, die Gläubigerbeschlüssen anhaften können, kommen auch inhaltliche Beschlussmängel in Betracht, die mit der Anfechtungsklage geltend gemacht werden können. Möglich sind insoweit zum einen Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG sowie gegen das Verbot, den Gläubigern weitere Verpflichtungen aufzuerlegen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG). Daneben wird diskutiert, ob eine weitergehende Inhaltskontrolle, ähnlich der aktienrechtlichen materiellen Beschlusskontrolle, stattfinden soll.151

65

Eine gewisse Bedeutung kommt insoweit zudem der gesetzlichen Kündigungsregelung in § 314 BGB zu. Verstößt ein Gläubigerbeschluss gegen diese Norm, so erscheint seine Anfechtung möglich. Denkbar erscheint insoweit etwa, dass durch einen Gläubigerbeschluss Kündigungsrechte gänzlich ausgeschlossen werden, was gegen den auch auf Schuldverschreibungen anwendbaren152 § 314 BGB verstieße und daher die Anfechtbarkeit des Gläubigerbeschlusses begründete.153 151 Diskutiert werden daneben außerdem Verstöße gegen verfassungsrechtliche Normen als Anknüpfungspunkt für Beschlussanfechtungen auf der Grundlage des materiellen Rechts. Über die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB finden grundrechtliche Wertungen Eingang in das Privatrecht. Insoweit kommt, jedenfalls in der Literatur, insbesondere Beschlüssen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG eine besondere Bedeutung zu (vgl. hierzu im Einzelnen unter § 5 SchVG Rz. 57 f.). Auch die dissentierenden Gläubiger müssen durch einen solchen Beschluss zu Gesellschaftern werden, was vor dem Hintergrund der negativen Vereinigungsfreiheit, welche Art. 9 Abs. 1 GG gewährt (vgl. hierzu etwa BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77 u.a., BVerfGE 50, 290 [356]), zunächst als problematisch erscheint. Allerdings hat das BVerfG bereits vermehrt betont, dass durch die Zwangszuteilung von Aktien kein Eingriff in Art. 9 GG erfolge, schließlich ergäben sich aus dem Erwerb voll eingezahlter Aktien bestehender Aktiengesellschaften für den Aktionär in der Regel keine mitgliedschaftlichen Pflichten. Diese Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 9 Abs. 1 GG kann auf die hier erläuterte Konstellation übertragen werden. Mithin steht Art. 9 Abs. 1 GG Beschlüssen nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SchVG jedenfalls dann nicht entgegen, wenn, wie in der Praxis regelmäßig, die Umwandlung in Gesellschaftsanteile einer Aktiengesellschaft erfolgt (so auch Maier-Reimer in FS Goette, 2011, S. 299 [303 f.]; Friedl, BB 2012, 1102 [1103]; a.A. noch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 20). 152 Vgl. hierzu insb. Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (408); LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13 – Solarworld, ZIP 2014, 1073 (1075); Trautrims, BB 2012, 1823 (1823 f.); Stefan Thomas, ZHR 171 (2007), 684 (705); Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, S. 12 ff.; zum fehlenden Vorliegen der Voraussetzungen des § 314 BGB bei sich bereits im Einstandskurs des Kündigenden bemerkbar machenden finanziellen Schwierigkeiten der Emittenten vgl. jüngst OLG München v. 22.3.2015 – 21 U 4719/14, ZIP 2015, 2174 (2175); in Richtung einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 314 BGB auch jüngst BGH v. 31.5.2016 – XI ZR 370/15, WM 2016, 1293 (1295) = AG 2016, 660 (zum SchVG 1899), der jedoch das Vorliegen eines wichtigen Grundes aufgrund einer Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Emittenten im konkreten Fall verneinte. Bei einer unbesicherten Anleihe übernehme auch der Anleihegläubiger mit dem Erwerb einer Teilschuldverschreibung das Bonitätsrisiko des Emittenten, weshalb ein Vermögensverfall des Emittenten nicht allein in den Risikobereich des Emittenten falle und den Anleihegläubiger nicht zur Kündigung berechtige. Zudem könne der Anleihegläubiger sich mit einer Kündigung nicht den im Zeitpunkt seiner Kündigung bereits beabsichtigten Sanierungsbemühungen der Gläubigerversammlung entziehen, da das SchVG 1899 gerade eine gleichmäßige Beteiligung der Anleihegläubiger an vorinsolvenzrechtlichen Sanierungsmaßnahmen intendiere. 153 Zu beachten ist insoweit, dass das Verhältnis von § 314 BGB und § 5 Abs. 3 Nr. 8 SchVG noch nicht abschließend geklärt ist. Dass ein Verstoß gegen § 314 BGB letztlich die Unwirksamkeit eines entsprechenden, die Anleihebedingungen ändernden Beschlusses bewirkt, wird beispielsweise in LG Bonn v. 25.3.2014 – 10 O 299/13 – Solarworld, ZIP 2014, 1073 (1075) angedeutet, wobei allerdings aus der Entscheidung nicht eindeutig hervorgeht, ob ein entsprechender Beschluss nichtig

472

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 68 § 20 SchVG

bb) Gesetzliche Inhaltsschranken Gläubigerbeschlüsse unterliegen in zweierlei Hinsicht gesetzlich angeordneten Inhaltsschranken. Für sie gilt das Verbot, den Gläubigern (weitere) Verpflichtungen aufzuerlegen (§ 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG). Ferner haben sie das Gleichbehandlungsgebot zu wahren (§ 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG). Beides sind elementare Prinzipien des Schuldverschreibungsrechts. Weitere Inhaltsschranken benennt das SchVG nicht. Anders als das SchVG 1899 enthält sich das SchVG damit weitgehend inhaltlicher Vorgaben für Gläubigerbeschlüsse.154

66

Unzulässig und damit anfechtbar sind gem. § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG Gläubigerbeschlüsse, die den Gläubigern einseitige finanzielle Leistungspflichten auferlegen. Der Zweck dieser Bestimmung ergibt sich bereits aus dem Grundverständnis von Finanzanlagen,155 wonach Fremdkapitalgebern nach getätigter Investitionsentscheidung weitere Verpflichtungen nicht gegen deren Willen aufgedrängt werden können. Damit ist insbesondere die Auferlegung von Nachschusspflichten ausgeschlossen. Zulässig sind hingegen solche Verpflichtungen, denen eine wirtschaftlich äquivalente Gegenleistung gegenübersteht (z.B. im Rahmen eines Debt-Equity-Swap)156 oder die sich in der reinen Mitwirkung erschöpfen. Gleiches gilt, wenn eine Leistungspflicht erst als Folge einer zulässigen Maßnahme, z.B. in Form der Differenzhaftung nach einem Debt-Equity-Swap, entsteht.157 Hier ist bereits fraglich, ob tatsächlich eine Leistungspflicht i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 3 SchVG durch den Mehrheitsbeschluss begründet wurde.158

67

Ferner ist jeder Beschluss der Gläubiger am Gleichbehandlungsgrundsatz des § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG zu messen. Verstößt ein Beschluss hiergegen, ist dieser nach nahezu allgemei-

68

154 155 156 157 158

oder nur anfechtbar wäre; auch das OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14 – Solarworld, AG 2015, 87 = BB 2014, 2521, verneint die Möglichkeit, die Anleihebedingungen generell dahingehend zu ändern, dass ein Kündigungsrecht nach § 314 BGB ausgeschlossen wird; keinen die Unwirksamkeit eines Verzichtsbeschlusses begründenden Verstoß gegen § 314 BGB sieht das OLG Frankfurt hingegen in einem Verzicht der Mehrheit der Gläubiger auf ein in den Anleihebedingungen enthaltenes Kündigungsrecht, welches tatbestandlich auf denselben tatsächlichen Tatbestand gestützt wird wie eine Kündigung nach § 314 BGB. Nach dem Wortlaut von § 5 Abs. 3 Nr. 8 und Abs. 5 Satz 2 und 3 SchVG könne die Gläubigerversammlung auf jedes Kündigungsrecht verzichten, welches in den Anleihebedingungen eingeräumt sei, auch auf ein solches aus wichtigem Grund. Dies sei auch im Hinblick auf § 314 BGB zulässig, weil jede individuelle Kündigung die Solvenz des Schuldners beeinträchtigen könne und daher die Interessen aller Gläubiger berühre. Dies gelte jedenfalls, sofern ein Bezug der Kündigung zur mangelnden Solvenz des Schuldners und einem Restrukturierungsverfahren bestehe; vgl. zum Ganzen auch Seibt/Schwarz, ZIP 2015, 401 (409 f.) m.w.N., die zutreffend darauf hinweisen, dass § 314 BGB „zwar nicht gänzlich abbedungen, aber vertraglich konkretisiert und auf diese Weise begrenzt und für die Parteien vorhersehbar gestaltet werden kann“; ähnlich: Baums, Kündigung von Unternehmensanleihen, S. 18 f. (kein genereller Ausschluss des Kündigungsrechts, nur Modifikationen möglich); vgl. zur Wirksamkeit von nach Einzelkündigungen beschlossenen Restrukturierungskonzepten auch für den Kündigenden jüngst BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14, WM 2016, 305 = AG 2016, 244; siehe zum Ganzen auch § 5 SchVG Rz. 97 ff. Zur Rechtslage unter dem SchVG 1899 s. beispw. Hannes Schneider in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69, 75 ff. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 64; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 12; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 20. Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 22, der darauf hinweist, dass andernfalls § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG leerliefe; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 12. Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 5 SchVG Rz. 7; Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 22; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 12; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 65. In diese Richtung gehen wohl auch die Überlegungen von Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 22.

Kiem 473

§ 20 SchVG Rz. 69 Anfechtung von Beschlüssen ner Auffassung unwirksam und nichtig.159 Einer Anfechtung bedarf es nicht.160 Ein dennoch ergehendes Anfechtungsurteil kann daher nur eine klarstellende Bedeutung haben.161 Vergleichsgruppe und Bezugspunkt für die Gleichbehandlung sind nur die Gläubiger derselben Anleihe.162 Der Grundsatz findet nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG seine Ausnahme dort, wo die benachteiligten Gläubiger der Benachteiligung ausdrücklich zustimmen. Zustimmung umfasst entsprechend der §§ 182 ff. BGB sowohl die vorherige (Einwilligung) als auch die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung).163 cc) Weitergehende Inhaltskontrolle des Beschlusses? 69

Fraglich ist, ob die Gläubigermehrheit neben der Beachtung der gesetzlich ausdrücklich angeordneten Inhaltsschranken (vgl. Rz. 66 ff.) bei der Beschlussfassung weiteren, ungeschriebenen Bindungen unterworfen ist. Damit ist der Aspekt der gerichtlichen Inhaltskontrolle des Beschlusses der Gläubiger angesprochen, wie sie bei Hauptversammlungsbeschlüssen seit langem anerkannt ist.164 Diese Frage ist im Schrifttum lebhaft umstritten. Diskutiert wird sie insbesondere im Zusammenhang mit dem Bestehen von Sonderinteressen einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen. In diesen Situationen fällt der grundsätzlich unterstellte Wille zur Vermeidung einer Selbstschädigung als Korrektiv aus, weil ein von diesen Gläubigern oder Gläubigergruppen gefasster, an sich nachteiliger Beschluss aufgrund der außerhalb dieser Anleihe bestehenden Sonderinteressen überkompensiert wird. Lehrbeispiel ist der Großgläubiger, der für einen weitreichenden Verzicht der Anleihegläubiger auf ihre Vermögensposition stimmt, und davon als Kreditgeber profitiert, weil dadurch die Rückzahlung des von ihm ausgereichten Darlehens gesichert ist.165 (1) Meinungsstand

70

Sowohl die Anerkennung einer materiellen Inhaltskontrolle als auch die sachlichen Anforderungen an die inhaltliche Richtigkeit von Gläubigerbeschlüssen sind stark umstritten. Der Meinungsstand in der Literatur ist dabei geprägt von einem uneinheitlichen dogmatischen Verständnis des Wesens der Anleihegläubigermehrheit. Diese unterschiedlichen dogmatischen Sichtweisen münden auch in unterschiedlichen Ansätzen bezüglich der Inhaltskontrolle von Beschlüssen der Gläubiger. Die Unterschiede bestehen sowohl im Ergebnis als auch der dogmatischen Fundierung.

71

Eine breite Strömung in der Literatur spricht sich für eine gerichtliche Inhaltskontrolle von Beschlüssen der Gläubiger aus. Zugrunde liegt dieser Strömung letztlich eine gemeinsame Überlegung: Die Einwirkungsmacht der Mehrheit in Rechte der Minderheit muss durch Treuebindungen begrenzt werden. Ausgehend von dieser gemeinsamen Grundüberzeugung

159 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/12, WM 2014, 1810 (1812) = AG 2014, 784; Bliesener/Schneider, in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 66; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 12; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 99: Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 17; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 20 SchVG Rz. 6. 160 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/12, WM 2014, 1810 (1813) = AG 2014, 784. 161 Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 20 SchVG Rz. 6. 162 Daher verstoßen bestimmte Konstellationen der von § 243 Abs. 2 AktG erfassten Sondervorteile nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG, vgl. Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321). 163 Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 25. 164 Zu den Grundlagen der Inhaltskontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen, Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 22 f.; Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 47 ff. 165 Beispiel bei Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (50).

474

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 73 § 20 SchVG

hat sich im Kreis der Befürworter einer Inhaltskontrolle ein breit gefächertes Meinungsspektrum herausgebildet. Eine von Baums begründete Ansicht166 geht angesichts der beschriebenen Einwirkungsmacht der Gläubigermehrheit auf die Rechte der Minderheit davon aus, die Gläubigermehrheit unterliege gegenüber der Gläubigerminderheit einer treuhänderischen Bindung.167 Daraus leitet diese Ansicht ab, dass der gefasste Beschluss den Gläubigern objektiv nützlich sein oder diesen Nutzen anstreben müsse.168 Ferner müsse die beschlossene Beeinträchtigung geeignet und erforderlich sein, um das mit dem Beschluss intendierte Ziel zu erreichen.169 Schließlich müsse der Beschluss verhältnismäßig sein.170 Das sei dann der Fall, wenn die Vor- und Nachteile des Eingriffs in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen und die Vorteile für die Gläubiger die mit dem Eingriff verbundenen Nachteile voraussichtlich überwiegen.171 Nur so sei sichergestellt, dass die Gläubigermehrheit nicht nach eigener Willkür entscheide oder gar persönliche Sonderinteressen verfolge.172 Somit gelten nach dieser Ansicht ähnliche Kriterien wie im Rahmen der aktienrechtlichen materiellen Inhaltskontrolle.173 Teilweise wird zugunsten eben dieser Inhaltskontrolle auch ausdrücklich die angebliche Nähe des Schuldverschreibungsrechts zum Aktienrecht, das der Gesetzgeber zum Vorbild für den Rechtsschutz gegen Gläubigerbeschlüsse genommen habe, angeführt.174

72

Anderen Befürwortern einer Inhaltskontrolle geht diese weitgehende Übertragung der aus dem Aktienrecht bekannten Kriterien der Inhaltskontrolle hingegen zu weit, weshalb teilweise nur die Übertragung einzelner oder die Anwendung anderer Kriterien vorgeschlagen wird.175 Insbesondere im jüngeren Schrifttum wird insoweit betont, dass die Anleihegläubigermehrheit keine Gesellschaft darstelle und demgemäß eine Beschlusskontrolle auf

73

166 Baums, ZBB 2009, 1 (5 f.), der damit letztlich seine Auslegung des SchVG 1899 fortschreibt, vgl. Baums in FS Canaris, Band II, 2007, S. 3 (14); dem folgend Vogel, ZBB 2010, 211 (219); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 26 ff.; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 38; Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Band I, Stand Dezember 2015, § 20 InsO Rz. 7; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (49 ff.); Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 252 ff.; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (62); demgegenüber hat sich der von Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (49, dort Fn. 34) als Befürworter einer Inhaltskontrolle reklamierte Steffek in FS Hopt, 2010, Bd. 2, S. 2597 (2616), zur Inhaltskontrolle nicht geäußert. 167 Baums, ZBB 2009, 1 (6) unter Verweis auf Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. Ebenso Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (52); ähnlich auch U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht, S. 160 ff., 225 ff., der von einem Bestehen von Treuepflichten in Interessengemeinschaften und damit auch im Schuldverschreibungsrecht ausgeht. 168 Baums, ZBB 2009, 1 (6); Vogel, ZBB 2010, 211 (219); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 38; Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 254; ähnlich U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht, S. 227 f. (Anleihegläubiger müssen das gemeinsame Grundinteresse im Auge haben). 169 Baums, ZBB 2009, 1 (6); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 30; Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 254; U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht, S. 230; a.A. Friedl in Friedl/HartwigJacob, § 20 SchVG Rz. 38 (Beschluss muss lediglich im Interesse sämtlicher Gläubiger liegen). 170 Baums, ZBB 2009, 1 (6); U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht, S. 231. 171 Baums, ZBB 2009, 1 (6); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 30; Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 254. 172 Baums, ZBB 2009, 1 (5); ähnlich Vogel, ZBB 2010, 211 (219). 173 Baums, ZBB 2009, 1 (6). 174 Vogel, ZBB 2010, 211 (219); vgl. ferner Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 38, der ebenfalls die Nähe zum Aktienrecht betont, jedoch eine Übertragung der Kriterien teilweise ablehnt. 175 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 38 (geringere Anforderungen als aktienrechtliche Beschlusskontrolle); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (54 f.) (In-

Kiem 475

§ 20 SchVG Rz. 74 Anfechtung von Beschlüssen Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit nicht angezeigt sei.176 So geht etwa Leber davon aus, dass im Rahmen der im Schuldverschreibungsrecht vorzunehmenden Inhaltskontrolle lediglich das Kriterium der Verfolgung von Sonderinteressen zu überprüfen sei.177 Dogmatische Basis dieser – beschränkten – Inhaltskontrolle soll nach Leber die Treuepflicht sein, welche, entsprechend der gemeinsamen Grundüberzeugung der Befürworter der Beschlusskontrolle, Ausgleich für die Einwirkungsmacht der Gläubigermehrheit sei.178 74

Zu einem ähnlichen Ergebnis – Befürwortung einer beschränkten Beschlusskontrolle – kommt unter teilweise abweichender dogmatischer Begründung und anderer sprachlicher Bezeichnung Liebenow. Er unterscheidet zwischen dem schuldrechtlich geprägten Anleiherechtsverhältnis zwischen Anleihegläubiger und Schuldner einerseits und dem verbandsrechtlich strukturierten Verhältnis der Anleihegläubiger untereinander andererseits.179 Diese Obligationärsgemeinschaft sei zugleich Anleihegesellschaft und „Innen-AG“, weshalb anleiheorganisationsrechtliche Maßnahmen an sich mittels der im Aktienrecht anerkannten Rechtsinstitute zu überprüfen seien.180 Darüber hinaus sieht auch er die Treuepflicht generell als Korrektiv für die der Gläubigermehrheit zukommenden Einwirkungsmöglichkeiten.181 Aus ihr folge das Verbot einer illoyalen Stimmrechtsausübung zur Verwirklichung von Sonderinteressen, dessen Einhaltung im Rahmen einer Missbrauchskontrolle zu überprüfen sei.182 Nicht anwendbar sei hingegen eine materielle Inhaltskontrolle mit dem Erfordernis der sachlichen Rechtfertigung, da ihr Geltungsgrund, in bestimmten Beschlussgegenständen selbst angelegte Interessendivergenzen, im SchVG nicht greife.183 Vielmehr sei dort die Verfolgung von Sonderinteressen als Missbrauch im Einzelfall zu beurteilen, der bereits über die Missbrauchskontrolle zur Anfechtbarkeit führe.184

75

Eine Gegenansicht lehnt hingegen diese dogmatischen Konzepte allesamt ab und spricht sich gänzlich gegen eine auf ungeschriebenen Grundsätzen basierende Beschlusskontrolle aus.185 Für eine Beschlusskontrolle nach aktienrechtlichem Vorbild sei im Anleiherecht kein Raum, da dem Schuldverschreibungsrecht und dem Aktienrecht unterschiedliche Regelungssachverhalte zugrunde lägen.186 Das Anleiherecht kenne keine dem Verbandsrecht

176 177 178 179 180 181 182 183

184 185

186

476

haltskontrolle nur bei Bestehen von Sonderinteressen); Podewils, DStR 2009, 1914 (1918) (Inhaltskontrolle jedenfalls restriktiv zu handhaben). Vgl. Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 252; vgl. ferner Friedl in Friedl/HartwigJacob, § 20 SchVG Rz. 38, nach dem Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ebenfalls nicht zu prüfen sind. Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 252 ff. Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 254 ff. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 94 f. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 304. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 311, 318 ff. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 324. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 328 ff.; vgl. allgemein zur Zweistufigkeit der Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht etwa BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 = AG 1981, 48 (353 ff.); BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 = AG 1988, 135 (189 ff.) und Verse, Aktienrecht im Wandel II, S. 579 (599). Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 330. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 22 ff.; Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (5 ff.); Simon, CFL 2010, 159 (161 f.); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 344 ff.; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 14 (nur Missbrauchskontrolle). Eher zurückhaltend gegenüber einer gerichtlichen Inhaltskontrolle auch Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1320 f.): Anfechtbarkeit bei der Verfolgung von Sondervorteilen in Extremfällen. Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (5); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 22.

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 77 § 20 SchVG

vergleichbare Treuepflicht der Gläubiger untereinander oder gegenüber dem Schuldner.187 Auch habe der Gesetzgeber die weite Entscheidungsfreiheit der Gläubigermehrheit anerkannt. So sei die Bestimmung des § 1 Abs. 1 SchVG 1899, wonach Beschlüsse der Gläubiger allein „zur Wahrung ihrer gemeinsamen Interessen gefasst werden“ durften, bewusst nicht in das Gesetz aufgenommen worden.188 Des Weiteren habe der Gesetzgeber davon abgesehen, in § 20 SchVG auf den § 243 Abs. 2 AktG zu verweisen, der die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen wegen der Verfolgung von Sondervorteilen überhaupt erst anordnet.189 Damit habe der Gesetzgeber anerkannt, dass Gläubiger konkurrierende Interessen haben und ihr Abstimmungsverhalten danach ausrichten. (2) Stellungnahme Eine an aktienrechtliche Kriterien angelehnte Inhaltskontrolle von Gläubigerbeschlüssen 76 ist unabhängig von der etwaigen Anerkennung von Loyalitäts- oder Treuepflichten abzulehnen. Für sie lässt sich keine dogmatisch überzeugende Begründung anführen. Der von Baums verfolgte Begründungsansatz wurzelt tief im verbandsrechtlichen Denken.190 Auch der von ihm aufgestellte Kriterienkatalog für die Beschlusskontrolle ist unmittelbar der aktienrechtlichen Inhaltskontrolle in Folge der Kali & Salz-Rechtsprechung des BGH entlehnt.191 Für verbandsrechtliche Wertungen ist im Anleiherecht indessen kein Raum. Schuldverschreibungsrecht und Aktienrecht sind wesensverschieden. Eine Übertragung bewährter Institute des Aktienrechts auf das Schuldverschreibungsrecht verbietet sich daher.192 Gegen eine entsprechende Übertragbarkeit spricht insbesondere, dass bei Hauptversammlungsbeschlüssen regelmäßig unternehmerische Zielsetzungen in Rede stehen; im Schuldverschreibungsrecht geht es hingegen um rein finanzielle Interessen.193 Gerade die Kali & Salz-Entscheidung verdeutlicht das Grundanliegen der aktienrechtlichen 77 Inhaltskontrolle in bemerkenswerter Klarheit: Geschützt ist die mitgliedschaftliche Rechtsstellung im Verband vor rechtswidrigen, weil unverhältnismäßigen, Eingriffen der Aktionärsmehrheit.194 Solche mitgliedschaftlichen Interessen sind im Schuldverschreibungsrecht hingegen in keiner Weise angelegt. Die Gläubiger investieren in ein reines Finanzprodukt. Der Emittent ist gerade nicht „ihr“ Unternehmen, sie sind seine Fremdkapitalgeber. Weitere, über rein finanzielle Interessen hinausgehende, mitgliedschaftliche, Interessen stehen im Schuldverschreibungsrecht dementsprechend nicht in Rede.195

187 Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (7); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 346. 188 Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (6); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 23. 189 Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (7); unklar Simon, CFL 2010, 159 (161), der sich gegen eine materielle Beschlusskontrolle ausspricht, aber Beschlüsse anhand des „Instituts der Verfolgung von Sondervorteilen“ überprüfen lassen will. 190 Nicht zufällig bezieht sich Baums, ZBB 2009, 1 (6), zur Begründung auf die grundlegende, aber eben doch eindeutig auf den Verband rekurrierende Arbeit von Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. 191 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40; zur aktienrechtlichen Beschlusskontrolle nur Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 22 f. 192 Auf den Punkt gebracht von Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (18). 193 So jüngst auch das OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122) = AG 2015, 873. 194 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44 ff.). 195 Vgl. hierzu auch jüngst OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122) = AG 2015, 873.

Kiem 477

§ 20 SchVG Rz. 78 Anfechtung von Beschlüssen 78

Daneben spricht auch die übergreifende Zweckbestimmung des SchVG gegen eine materielle Beschlusskontrolle. Das SchVG überwindet die gesetzlich stark vorgeformte Entscheidungsfindung für Beschlüsse der Gläubiger, wie sie unter dem SchVG 1899 galt,196 und gibt den Gläubigern weitgehende Entscheidungsfreiheit.197 Die gesetzlich angeordnete Ausrichtung eines Beschlusses an „der Wahrung der gemeinsamen Interessen aller Gläubiger“ wurde bewusst aufgegeben. Dieser vom Gesetzgeber des SchVG eingeleitete Paradigmenwechsel sollte nicht durch die Anerkennung einer materiellen Beschlusskontrolle aktienrechtlicher Prägung konterkariert werden.

79

Wichtiger aber noch ist folgender Aspekt: Die Befassung der Gläubiger erfolgt regelmäßig in Fällen, in denen der Schuldner in eine wirtschaftliche Schieflage geraten ist. Das Recht der Gläubigerbeschlüsse ist insoweit typischerweise Krisenbewältigungsrecht. Die materielle Beschlusskontrolle ist indessen kein geeignetes Instrument der Bewältigung von Interessengegensätzen in einer Krisensituation des Schuldners. Da sie sich im Wesentlichen an einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Interessenabwägung orientiert, sind ihre Ergebnisse schwerlich vorhersehbar.198 Das ist indessen Gift für die Bewältigung von Unternehmenskrisen. Letztlich wird die Entscheidung über die Zumutbarkeit von Sanierungsbeiträgen einzelner Gläubigergruppen in die Hände der Gerichte gelegt, ohne dass deren Entscheidungen sich an von vornherein feststehenden und für jeden Beteiligten klar erkennbaren und dementsprechend kalkulierbaren Kriterien ausrichten müssten.

80

Bei Sanierungskonzepten handelt es sich regelmäßig gerade um Gesamtkonzepte. Den Anleihegläubigern als einer von mehreren, von dem Konzept betroffenen Gläubigergruppen besondere Rechtsschutzmöglichkeiten zuzubilligen, gefährdet in aller Regel den gefundenen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Gläubigergruppen und führt damit gegebenenfalls zum Scheitern des Sanierungskonzepts im Ganzen. Zudem ist nicht ersichtlich, wieso gerade der Gruppe der Anleihegläubiger eine weitere besondere Rechtsschutzmöglichkeit zugestanden werden sollte, anderen Gläubigergruppen aber nicht.

81

Zu berücksichtigen ist ferner der in Sanierungskonstellationen herrschende Zeitdruck: In der Krise kann die mit der Anerkennung einer ungeschriebenen zusätzlichen Rechtsschutzkonstellation verbundene zeitliche Verzögerung des Sanierungskonzepts letztlich dazu führen, dass eine sinnvolle Krisenbewältigung nicht mehr möglich ist.

82

Schließlich ist der Kritik Liebenows an der Übertragung der Maßstäbe der Inhaltskontrolle insoweit beizupflichten, als eine Inhaltskontrolle von Beschlüssen nur dann erforderlich ist, wenn der grundsätzliche Interessengleichlauf von Mehrheit und Minderheit geradezu regelhaft bei einzelnen Beschlussgegenständen auseinanderfällt.199 Eben dieses regelhafte Auseinanderfallen der Interessen ist jedoch bei Beschlüssen der Gläubigerversammlung nicht zu verzeichnen, da Beschlüsse der Gläubigerversammlung im Regelfall für alle Gläubiger die gleichen Rechtsfolgen haben. Demgemäß besteht kein Anlass, das in hohem Maße zu Rechtsunsicherheit führende Institut der Inhaltskontrolle von Hauptversammlungsbeschlüssen auf das Schuldverschreibungsrecht zu übertragen.

83

Grundlegender Kritik sehen sich auch jüngere Vorstöße im Schrifttum zur Entwicklung eines treuepflicht-gestützten Systems der eingeschränkten Inhaltskontrolle ausgesetzt.200 Der damit erlangte Flexibilitätsgewinn bei der Herbeiführung von Sanierungslösungen kehrt sich

196 Siehe dazu beispw. Hopt in FS Schwark, 2009, S. 441 (441 f.). 197 So auch Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (5 f.). 198 Zutreffend hervorgehoben von Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (8). 199 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 329. 200 So insbesondere Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 252 ff.

478

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 88 § 20 SchVG

beim Rechtsschutz in sein Gegenteil. Weder lassen sich aus ihnen verlässliche Kriterien für eine anleiheübergreifende Restrukturierung des Schuldners gewinnen noch sind sie in der Lage, trennscharfe Kriterien für eine Inhaltskontrolle zu vermitteln. Damit sind sie keine geeignete Basis für einen die zügige Restrukturierung des Schuldners nicht unterlaufenden Rechtsschutz. dd) Missbrauchskontrolle Die Ablehnung einer dem Aktienrecht entlehnten Inhaltskontrolle führt jedoch nicht dazu, 84 dass jeglicher materieller Beschlusskontrolle ihre Existenzberechtigung zu versagen ist. Wie jede Rechtsposition kann auch das Stimmrecht des Anleihegläubigers rechtsmissbräuchlich ausgeübt werden. Insofern unterliegen sämtliche Gläubigerbeschlüsse einer allgemeinen Missbrauchskontrolle. Die Gestaltungsfreiheit der Anleihegläubigermehrheit findet ihre Grenzen mithin im Rechtsmissbrauch. Das ist im Grundsatz unbestritten. (1) Meinungsbild Unterschiedliche Ansichten bestehen indessen über die Reichweite der Missbrauchskontrolle. Dies hat seinen Grund im Wesentlichen in den unterschiedlichen Standpunkten zur materiellen Beschlusskontrolle unterhalb der Missbrauchskontrolle.

85

So wird die Missbrauchskontrolle von denjenigen Autoren, die bereits eine materielle Beschlusskontrolle im Sinne einer allgemeinen Inhaltskontrolle für erforderlich halten, zumeist folgerichtig nicht thematisiert.201 Nach dieser Ansicht ist keine zusätzliche Missbrauchskontrolle erforderlich, da rechtsmissbräuchlich gefasste Beschlüsse bereits aufgrund der Inhaltskontrolle anfechtbar sind.

86

Eine andere Literaturansicht spricht sich hingegen gegen eine materielle Beschlusskontrolle aus, befürwortet jedoch eine allgemeine, auf § 138 BGB beruhende Missbrauchskontrolle.202 Im Regelfall seien die Interessen der Anleihegläubiger gleich gerichtet, weshalb Mehrheitsentscheidungen ein gemeinsames Interesse der Gläubiger implizierten.203 In Ausnahmefällen, in denen kein entsprechender Interessengleichlauf gegeben sei, genüge die bloße Missbrauchskontrolle. Diese soll etwa Konstellationen erfassen, in denen einzelne Gläubiger bei der Beschlussfassung vorrangig eigene Sonderinteressen verfolgen, da sie beispielsweise in noch anderen wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Gläubiger stehen.204

87

(2) Stellungnahme Der vorgenannten Ansicht (Rz. 87) ist insoweit beizupflichten, als sie eine allgemeine Inhaltskontrolle ablehnt (vgl. Rz. 76 ff.) und eine Beschlusskontrolle nur in Einzelfällen des Missbrauchs befürwortet. Unklar verbleibt hingegen, ob bereits das bloße Bestehen einer Sonderverbindung zum Anleiheschuldner für die Annahme eines Missbrauchs ausreichen soll

201 Vgl. etwa Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 252 f.; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 38; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 26. 202 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 345. 203 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 346 f. 204 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 346; in diese Richtung auch Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 253, der ebenfalls nur eine Überprüfung danach, ob Sonderinteressen verfolgt wurden, für erforderlich hält, sich allerdings nicht festlegt, ob es sich hierbei um eine Inhalts- oder eine Missbrauchskontrolle handelt und als Basis eben dieser Kontrolle eine besondere zwischen den Gläubigern bestehende Treuepflicht sieht, sich aber ergänzend auf § 242 BGB als Grundlage stützt.

Kiem 479

88

§ 20 SchVG Rz. 89 Anfechtung von Beschlüssen oder ob der Missbrauchsbegriff restriktiver zu fassen ist. Damit ist keine klare Abgrenzung zu den die materielle Beschlusskontrolle befürwortenden Stimmen möglich, die ebenfalls eine Beseitigung von Mehrheitsbeschlüssen, die ihren Ursprung in der Verfolgung von Sonderinteressen finden, befürworten. 89

Letztlich kann nicht bereits das bloße Bestehen eines Sonderinteresses eines Anleihegläubigers, etwa in Form einer gesonderten Kreditbeziehung, zur Anfechtbarkeit des Beschlusses führen. Es ginge zu weit, bereits das Bestehen von weiteren wirtschaftlichen Beziehungen zum Schuldner als Grund für den pauschalen Verdacht des Rechtsmissbrauchs anzusehen.205 Ebenso wenig vermag der Umstand, dass einem Sonderinteresse durch einen entsprechenden Beschluss zumindest auch gedient ist, einen Grund für die Rechtswidrigkeit des Beschlusses darzustellen. Vielmehr ist die Missbrauchskontrolle nur dann einschlägig, wenn der einzelne Anleihegläubiger die ihm zukommende Macht dazu missbraucht, einseitig seine Individualinteressen gerade zu Lasten der übrigen Anleihegläubiger zu verfolgen. Dies wird indessen nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen anzunehmen sein.

90

Voraussetzung für die Annahme eines solchen Missbrauches ist, dass die entsprechende Beschlussfassung nur vor dem Hintergrund des jeweiligen Sonderinteresses nachvollziehbar ist und die übrigen Anleihegläubiger ohne entsprechendes Sonderinteresse durch den Beschluss eindeutig schlechter gestellt werden als ohne ihn. Folglich muss zunächst auch bei einem bestehenden Sonderinteresse von einem rechtmäßigen Beschluss ausgegangen werden. Weitere besonders gelagerte Einzelfallumstände müssen hinzukommen, um die gerichtliche Missbrauchskontrolle überhaupt auszulösen.

91

Diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis ist auch durch eine entsprechende Beweislastverteilung gerecht zu werden. Die besonderen die Missbrauchskontrolle auslösenden Einzelfallumstände müssen seitens des Anfechtungsklägers vorgetragen und gegebenenfalls bewiesen werden. Erst wenn die Vermutung für die Rechtmäßigkeit des Beschlusses auf diese Weise erschüttert worden ist, hat das Gericht zu prüfen, ob der einzelne Anleihegläubiger seine eigenen Interessen rechtsmissbräuchlich über diejenigen der übrigen Anleihegläubiger gestellt hat. Kann die den angefochtenen Beschluss tragende Anleihegläubigermehrheit sachliche Erwägungen für die Herbeiführung des Beschlusses mit seinem konkreten Inhalt anführen, die einer Plausibilitätsprüfung standhalten, ist dieser jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich ergangen.

92

Dogmatische Basis dieser restriktiven Missbrauchskontrolle stellen die in jedem Kollektiv bestehenden Loyalitätsbindungen dar. Die Einwirkungsmacht der Mehrheit gebietet dieser, jedenfalls wenn und soweit die Ausübung eben dieser Macht nicht ex ante an hinreichend präzise Voraussetzungen geknüpft werden kann, auf die berechtigten Interessen der Minderheit angemessen Rücksicht zu nehmen und nicht ausschließlich eigene Interessen zu verfolgen.206 Darin liegt der zutreffende Begründungskern sämtlicher eine – wie auch immer geartete – inhaltliche Beschlusskontrolle befürwortenden Ansichten.

205 Als zu weitgehend kann daher auch der von Liebenow aufgegriffene Vorschlag betrachtet werden, jeden Obligationär dazu zu verpflichten, zu Protokoll der Gläubigerversammlung zu erklären, in welchen anderweitigen wirtschaftlichen Beziehungen er zu dem Emittenten steht, vgl. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 324. 206 In diese Richtung auch Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 320.

480

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 97 § 20 SchVG

III. Anfechtungsbefugnis (§ 20 Abs. 2 SchVG) 1. Überblick Die Anfechtungsbefugnis bestimmt sich nach § 20 Abs. 2 SchVG. Die Vorschrift ist § 245 Nr. 1 und Nr. 2 AktG nachgebildet.207 Fehlt die Anfechtungsbefugnis, ist die Anfechtungsklage nach dem SchVG wie die aktienrechtliche Anfechtungsklage nicht unzulässig, sondern sie ist als unbegründet abzuweisen.208

93

2. Die Voraussetzungen im Einzelnen Die Voraussetzungen für die Anfechtungsbefugnis unterscheiden sich danach, ob ein Gläubiger an der Abstimmung teilgenommen hat oder nicht. Diese Unterscheidung ist aus der aktienrechtlichen Parallelvorschrift in § 245 AktG geläufig. Abweichend von dieser wird in § 20 Abs. 2 SchVG nicht auf das Erscheinen des Gläubigers in der Gläubigerversammlung abgestellt, da den Gläubigern die Möglichkeit der Beschlussfassung ohne Abhaltung einer Versammlung eröffnet ist (§ 18 SchVG).209 In jedem Fall muss der Anfechtungskläger aber Anleihegläubiger sein (Rz. 95 ff.).

94

a) Gläubigerstellung Die Anfechtungsbefugnis steht nur einem Schuldverschreibungsgläubiger zu. Der Nennbetrag der gehaltenen Schuldverschreibungen ist dabei unerheblich: Die Anfechtungsbefugnis hängt nicht von dem Erreichen eines Mindestnennbetrages ab; das Halten einer Schuldverschreibung in beliebiger Stückelung berechtigt zur Anfechtung. Rechte aus Schuldverschreibungen, die der Schuldner selbst hält oder die ihm zuzurechnen sind, ruhen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG). Sie vermitteln daher auch keine Anfechtungsbefugnis.

95

Die Gläubigereigenschaft muss grundsätzlich zum Zeitpunkt des Beschlusses (zum Vorbesitz siehe Rz. 112) bestehen.210 Anderes gilt im Fall einer Universalsukzession: Dort rückt der Rechtsnachfolger umfassend in die Rechtsposition des Vorgängers und gleichsam in dessen Anfechtungsbefugnis ein.211 Wird die Schuldverschreibung vor Klageerhebung veräußert, erlischt auch die Klagebefugnis.212 Nach Klagerhebung ist eine Veräußerung hingegen in analoger Anwendung des § 256 ZPO unschädlich.213

96

Den Anfechtungskläger trifft hinsichtlich der Gläubigereigenschaft die Beweislast. Zur Beweisführung kommen mangels gesetzlicher Beschränkung grundsätzlich alle zulässigen Beweismittel in Betracht. Auch aus § 10 Abs. 3 SchVG folgt keine Begrenzung auf bestimmte Beweismittel. Die Möglichkeit, den Legitimationsnachweis an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen, dient der zügigen und möglichst rechtssicheren Durchführung von Abstimmungen (siehe dazu im Einzelnen § 10 SchVG Rz. 22). Typischerweise wird die Beweisführung anhand der Schuldverschreibungsurkunde oder einer Hinterlegungsbescheinigung erfolgen.214

97

207 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26; Bliesener/Schneider, in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 26; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 43. 208 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 26; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 42; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 32; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 18. 209 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26. 210 Im Aktienrecht h.M. vgl. nur Dörr in Spindler/Stilz, § 245 AktG Rz. 19 m.w.N. 211 Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 245 AktG Rz. 26. 212 Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 7. 213 Im Aktienrecht h.M., vgl. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 8 m.w.N. 214 Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 9.

Kiem 481

§ 20 SchVG Rz. 98 Anfechtung von Beschlüssen Aus der Hinterlegungsbescheinigung muss hervorgehen, dass die Schuldverschreibung auch zum Zeitpunkt der Klageerhebung gehalten wurde. b) Teilnahme an der Abstimmung (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG) 98

Ein Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, ist gem. § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG anfechtungsbefugt, wenn er gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch erklärt hat und er die Schuldverschreibung vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung oder vor der Aufforderung zur Stimmabgabe in einer Abstimmung ohne Versammlung erworben hat. aa) Teilnahme

99

An der Abstimmung ohne Versammlung nimmt teil, wer seine Stimme abgibt. Hier erschöpft sich die Teilnahme an der Abstimmung bereits begrifflich in der Stimmabgabe. Für die Teilnahme an der Gläubigerversammlung – also den Fall der Abstimmung in einer Versammlung – wird es teilweise für ausreichend erachtet, dass der Gläubiger lediglich persönlich erscheint, vertreten oder in das Teilnehmerverzeichnis nach § 18 Abs. 4 Satz 1 SchVG aufgenommen wird. Eine Stimmabgabe soll demgegenüber nicht erforderlich sein.215 Das ist abzulehnen. Sowohl der Wortlaut des § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG als auch die Gesetzesbegründung216 legen nahe, dass mit Teilnahme nicht das bloße Erscheinen, sondern die Stimmabgabe gemeint ist. Richtigerweise bedarf es mithin auch für die Teilnahme an einer Abstimmung in der Gläubigerversammlung der Stimmabgabe.217 bb) Widerspruchserfordernis

100

Weiterhin ist stets erforderlich, dass der Gläubiger einen Widerspruch gegen den Beschluss erklärt hat. Auch im Aktienrecht ist die Anfechtungsbefugnis mit der Erhebung eines Widerspruchs gegen den gefassten Beschluss verknüpft. Unverkennbar hat der Gesetzgeber des SchVG auch insoweit Anleihen bei den aktienrechtlichen Bestimmungen genommen, so dass weitgehend auf den dort erreichten Erkenntnisstand zurückgegriffen werden kann. Allerdings ergeben sich Abweichungen im Hinblick auf die spezielle Widerspruchsregelung bei der virtuellen Versammlung.

101

In zeitlicher Hinsicht bestimmt § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG für den Widerspruch lediglich, dass er fristgemäß erklärt worden sein muss. Eine Frist lässt sich der Bestimmung indes nicht entnehmen. Für die Abstimmung ohne Versammlung sieht § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG vor, dass ein Widerspruch binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung der Beschlüsse erhoben sein muss. Zwar wirft die Bestimmung insofern Zweifelsfragen auf, als von einem Widerspruch gegen das Ergebnis der Abstimmung die Rede ist, während der § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG von einem Widerspruch gegen den Beschluss spricht.218 Indessen ist davon auszugehen, dass damit dasselbe gemeint ist. Folglich ist bei Abstimmungen ohne Versammlung ein Widerspruch fristgemäß i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG erklärt worden, wenn er innerhalb 215 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 34 und 40, mit Verweis auf das Aktienrecht; hierfür spräche insbesondere, dass auch für die Erhebung eines Widerspruches nach § 18 Abs. 5 SchVG, der eine weitere Voraussetzung für das Anfechtungsrecht darstellt, keine Stimmabgabe erforderlich sei. Hierbei dürfte es sich jedoch letztlich um ein Scheinargument handeln, schließlich setzt auch § 18 Abs. 5 SchVG eine Teilnahme an der Abstimmung voraus. 216 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26. 217 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 47; a.A. Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 19. 218 Siehe dazu Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 38 f.

482

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 106 § 20 SchVG

von zwei Wochen nach Bekanntmachung des Beschlusses schriftlich erhoben wurde.219 Adressat des Widerspruchs ist der Abstimmungsleiter.220 Demgegenüber greift bei von der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüssen die Zwei- 102 Wochenfrist nicht.221 Nach zutreffender Ansicht ist § 18 Abs. 5 Satz 1 SchVG nicht auf Beschlüsse der Gläubigerversammlung entsprechend anzuwenden.222 Stattdessen ist entsprechend dem aktienrechtlichen Vorbild ein Widerspruch form- und fristgerecht erhoben, wenn er auf der Gläubigerversammlung, also auch vor der Beschlussfassung und bis zur Schließung der Versammlung, zu Protokoll erklärt wird.223 Hinsichtlich des Inhalts des Widerspruchs ist allgemein auf die aktienrechtlichen Anforderungen zurückzugreifen.224 Danach muss aus dem Widerspruch hervorgehen, dass die Gültigkeit des Beschlusses bezweifelt wird. Ob eine Erklärung diesen Inhalt hat, ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Auf einen bestimmten Wortlaut („Widerspruch“) kommt es nicht an. Mit einem Widerspruch können auch mehrere oder alle gefassten Beschlüsse angegriffen werden. Erforderlich ist dabei jeweils nur, dass aus dem Widerspruch deutlich hervorgeht, welchen Beschlüssen widersprochen wird bzw. dass eben generell die Gültigkeit aller gefassten Beschlüsse bezweifelt wird.

103

Eine Begründung des Widerspruchs wird allgemein entsprechend der Ausgangslage im Ak- 104 tienrecht nicht für erforderlich gehalten.225 Eine dennoch gegebene Begründung soll den Gläubiger in seinem Sachvortrag in der Anfechtungsklage jedenfalls nicht binden.226 Dies erscheint indessen für den Widerspruch nach § 18 Abs. 5 SchVG fraglich. Eine effektive Abhilfe erscheint nur möglich, wenn die gegen einen Beschluss konkret vorliegenden Bedenken auch vorgetragen werden. Indes wird eine Begründung des Widerspruchs auch in § 18 Abs. 5 SchVG nicht ausdrücklich verlangt. Daher ist die Wirksamkeit des Widerspruchs auch in diesem Fall nicht von einer Begründung abhängig. Ein Widerspruch gegen einen von der Gläubigerversammlung gefassten Beschluss ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Normverstoß während der Versammlung nicht erkennbar war.227 In diesem Fall würde ein Widerspruchserfordernis seinen Zweck verfehlen. Im Regelfall kann das nur ein fehlerhaftes Zustandekommen des Beschlusses betreffen. Offenbaren sich zur Anfechtbarkeit führende Umstände, die den Beschlussinhalt betreffen, erst nach der Gläubigerversammlung, ist auch in diesem Fall ein Widerspruch entbehrlich.

105

Den Gläubiger trifft die Beweislast hinsichtlich der ordnungsgemäßen Erhebung des Widerspruchs.228

106

219 220 221 222 223

224 225 226 227 228

Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 52. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 51; Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 38. A.A. Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 336. Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 35. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 31; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 51; Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24: „Der Widerspruch muss im Regelfall in der Gläubigerversammlung zu Protokoll erklärt werden“; Otto, DNotZ 2012, 809 (820); a.A. Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 20, die eine Erklärung zur Niederschrift nicht für erforderlich halten; ebenso Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Band I, Stand Dezember 2015, § 20 SchVG Rz. 15. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 36; zu den aktienrechtlichen Vorgaben vgl. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 14 m.w.N. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 36; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 50. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 36. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 34; für das Aktienrecht vgl. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 16 m.w.N. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 38; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 20.

Kiem 483

§ 20 SchVG Rz. 107 Anfechtung von Beschlüssen cc) Abhilfe eines Widerspruchs/Erfolglosigkeit 107

Entgegen verbreiteter Ansicht ist es für die Anfechtungsbefugnis selbst praktisch ohne Bedeutung, ob dem Widerspruch abgeholfen wird oder er erfolglos ist229 bzw. ihm nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums abgeholfen wird.230 Dies folgt bereits aus der Funktion des Widerspruchs in der Ausgestaltung des Rechtsschutzes gegen Gläubigerbeschlüsse. Wie bei seinem aktienrechtlichen Pendant231 folgt das Widerspruchserfordernis im Rahmen des Anfechtungsverfahrens allein aus dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens.232 Es dient im Wesentlichen dazu, Opposition gegen einen gefassten Beschluss anzuzeigen. Verfahrensrechtlich erschöpft sich seine Erhebung also in ihrer Bedeutung für die Anerkennung der Anfechtungsbefugnis und ist damit ausschließlich ein Element des gerichtlichen Klageverfahrens.

108

Das Abstellen auf die Erfolglosigkeit des Widerspruchs für die Anerkennung der Anfechtungsbefugnis würde hingegen voraussetzen, dass eine Art formales Verfahren existierte, in dem der Widerspruch geprüft und eine Entscheidung über seine Berechtigung getroffen würde. Der Widerspruch wäre dann, aber auch nur dann, nicht allein Tatbestandsmerkmal für die Anerkennung der Anfechtungsbefugnis, sondern Entscheidungsgegenstand eines Vorverfahrens. Die (erfolglose) Durchführung dieses Vorverfahrens wäre dann wiederum Voraussetzung für die Anfechtungsbefugnis. Ein solches allgemein durchzuführendes Vorverfahren ist indessen weder gesetzlich angeordnet noch ist es überhaupt verfahrenstechnisch im SchVG angelegt. Soweit der Gesetzgeber mit der Einrichtung eines verwaltungsrechtlich inspirierten formalen Widerspruchverfahrens im SchVG eine Entlastung der Gerichte bezweckte,233 bleibt dies auf den Sonderfall einer Abstimmung ohne Versammlung begrenzt234 und greift ohnedies nur bei formalen Mängeln235 (a.A. von Wissel/Diehn, § 18 SchVG Rz. 223).

109

Dass es nicht auf eine Entscheidung über den Widerspruch für die Anerkennung der Anfechtungsbefugnis ankommen kann, zeigt sich im Übrigen schon daran, dass die Klagefrist nach § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG ab Bekanntmachung des Beschlusses – und damit ganz und gar unabhängig von der Bescheidung des Widerspruchs – zu laufen beginnt.236 Wurde unter Ausschöpfung der in § 18 Abs. 5 SchVG gesetzten Frist erst zwei Wochen nach der Bekanntmachung des Beschlusses Widerspruch erhoben, erscheint es praktisch kaum möglich, den Widerspruch sorgfältig zu prüfen und das Ergebnis dem betreffenden Gläubiger so zeitig bekanntzugeben, dass dieser rechtzeitig vor Ablauf der Klagefrist darauf reagieren könnte.237 Überdies regelt das Gesetz nicht, innerhalb welcher Zeit über den Widerspruch zu entschei229 Auf die Erfolglosigkeit abstellend beispielsweise Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 55; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 29. 230 So aber RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 55. 231 Vgl. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 13 und Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 245 AktG Rz. 36 m.w.N. 232 Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1319). 233 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 24. 234 Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318 f.); Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 35. 235 Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1318); Kirchner in Preuße, § 18 SchVG Rz. 37; Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 38; Müller in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, § 18 SchVG Rz. 6; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 18 SchVG Rz. 17; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 36. 236 Und eben nicht, wie etwa § 74 VwGO, auf die Zustellung der Entscheidung über den Widerspruch abstellt. 237 Vgl. schon zum Referentenentwurf Bredow/Vogel, ZBB 2008, 221 (229); ähnlich wohl auch Cranshaw, BKR 2008, 504 (510); s. auch Paul in Berliner Kommentar Insolvenzrecht, Band I, Stand Dezember 2015, § 20 SchVG Rz. 15, der in dem nicht beschiedenen Widerspruch den Regelfall sieht.

484

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 112 § 20 SchVG

den ist. Deshalb soll die Entscheidung über den Widerspruch in einer gegenüber der Klagefrist angemessenen Frist erfolgen müssen und das Ausbleiben einer Entscheidung in dieser Frist ebenfalls die Erfolglosigkeit des Widerspruchs begründen.238 Das hat indessen keine Stütze im Gesetz. Es bleibt damit dabei, dass es auf die Erfolglosigkeit des Widerspruchs nicht ankommen kann. Für die Anspruchsbefugnis kommt es mithin nur auf die Erhebung des Widerspruchs als solchem an. Die Abhilfe im Rahmen des § 18 Abs. 5 SchVG hat indes dennoch Auswirkungen auf das Anfechtungsverfahren. Wurde einem Widerspruch abgeholfen, kann nur das geänderte und nach §§ 18 Abs. 5 Satz 3, 17 SchVG bekannt gemachte Ergebnis der Abstimmung und der daraus folgende Beschluss Gegenstand einer Anfechtung sein. Für den Gläubiger, der Widerspruch erhoben hatte, ist damit, soweit seinem Widerspruch abgeholfen wurde, der Anfechtungsgegenstand entfallen. Wird erst nach Erhebung der Anfechtungsklage dem Widerspruch abgeholfen, ist nach den allgemeinen Prozessregeln zur Erledigung der Hauptsache (§ 91a ZPO) zu verfahren.

110

Andere Gläubiger, die erstmals gegen den korrigierten Beschluss vorgehen wollen, müssen entgegen dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Nr. 1 SchVG keinen Widerspruch erheben.239 Einen „Kettenwiderspruch“ gibt es daher nicht.240 Indem diese Gläubiger nun gegen das geänderte Ergebnis vorgehen, setzen sie sich nicht zu ihrem Verhalten gegenüber dem bisherigen Ergebnis der Abstimmung in Widerspruch. Der vorrangige Zweck des Widerspruchserfordernisses ist daher nicht berührt. Im Übrigen muss die in § 18 Abs. 5 SchVG zur Entlastung der Gerichte vorgesehene Möglichkeit der Abhilfe hinter dem Interesse des Anfechtungsklägers zurückstehen, zeitnah eine verbindliche Entscheidung zu erhalten.241

111

dd) Vorerwerbszeitpunkt Der Gläubiger muss die Schuldverschreibung vor der Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung oder vor der Aufforderung zur Stimmabgabe in einer Abstimmung ohne Versammlung erworben haben. Wie im Aktienrecht dient das Erfordernis des „Vorbesitzes“ dazu, den Kreis der Anfechtungsbefugten zu begrenzen, um dem Missbrauch des Anfechtungsrechts vorzubeugen.242 Maßgeblich ist die Gläubigereigenschaft, so dass der dingliche Erwerb der Schuldverschreibung243 vor der Bekanntmachung gem. § 12 Abs. 2 SchVG bzw. der Aufforderung zur Stimmabgabe gem. § 18 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 2 SchVG erfolgt sein muss. Abzustellen ist demgemäß auf die erstmalige Bekanntmachung der Tagesordnung. Dies gilt auch dann, wenn eine ursprünglich vorgesehene Abstimmung ohne Versammlung das Quorum der §§ 18 Abs. 1, 15 Abs. 3 SchVG nicht erreicht und daraufhin zu einer zweiten Anleihegläubigerversammlung geladen wird.244

238 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 56. 239 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 57; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 30; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1320); a.A. Hofmeister in Veranneman, § 18 SchVG Rz. 43; Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 41. 240 So aber Wöckener in Friedl/Hartwig-Jacob, § 18 SchVG Rz. 41. 241 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 57. 242 So ausdrücklich Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1320); bezüglich der Begründung, wonach eine Einberufung nicht vorhergesagt werden kann, ablehnend Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 38; kritisch zur Effektivität der Regelung auch Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 54. 243 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 53. 244 Vgl. dazu ausführlich OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122, 2117 ff.) = AG 2015, 873; Seibt, ZIP 2016, 997 (1008).

Kiem 485

112

§ 20 SchVG Rz. 113 Anfechtung von Beschlüssen c) Keine Teilnahme an der Abstimmung (§ 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG) 113

Hat ein Gläubiger nicht an der Abstimmung teilgenommen (siehe hierzu Rz. 99), ist er nur dann anfechtungsbefugt, wenn er zu der Abstimmung zu Unrecht nicht zugelassen worden ist, die Versammlung nicht ordnungsgemäß einberufen oder zur Stimmabgabe nicht ordnungsgemäß aufgefordert worden ist oder ein Gegenstand der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden ist. Ein Widerspruch ist in all diesen Fällen nicht erforderlich.245

114

Die Norm ist § 245 Nr. 2 AktG nachgebildet. Wie dort beschränkt sich die Anfechtungsbefugnis nicht auf die in § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG bezeichneten Beschlussfehler, sondern gilt für die gefassten Beschlüsse in Gänze.246 Mit der Anfechtungsklage können somit nicht nur die in § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG genannten formalen Mängel gerügt werden. Vielmehr eröffnet die wegen eines formalen Fehlers gegebene Anfechtungsbefugnis die vollständige formelle und materielle Überprüfung des Beschlusses. aa) Nichtzulassung (§ 20 Abs. 2 Nr. 2, 1. Variante SchVG)

115

Nicht zur Abstimmung zugelassen ist ein Gläubiger, dem der Zutritt zur Gläubigerversammlung verweigert wird.247 Gleiches gilt für den Gläubiger, der während der Versammlung ausgeschlossen wird, im Hinblick auf die darauf folgenden Abstimmungen248 sowie hinsichtlich des präsenten Gläubigers, dessen Stimmabgabe bei einzelnen Abstimmungen unberücksichtigt bleibt.249

116

Unklar ist, ob Gläubiger in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 2 Nr. 2 SchVG hinsichtlich solcher Beschlüsse anfechtungsbefugt sein können, über die sie noch abgestimmt haben, bevor sie von der Versammlung ausgeschlossen wurden. Für das Aktienrecht wird eine analoge Anwendung des § 245 Nr. 2, 1. Variante AktG bejaht.250 Die hierfür maßgeblichen Überlegungen251 lassen sich auch auf das SchVG übertragen: Wie bei der Hauptversammlung ist auch bei der Gläubigerversammlung ein Widerspruch zu einem Beschluss bis zum Ende der Versammlung möglich (siehe Rz. 102) und mit dem Ausschluss von der Versammlung wird diese Möglichkeit beschnitten. Dies rechtfertigt es grundsätzlich, auf Beschlüsse vor dem Ausschluss von der Versammlung § 20 Abs. 2 Nr. 2, 1. Variante SchVG entsprechend anzuwenden.

117

Bei Abstimmungen ohne Versammlung ist eine Nichtannahme der Stimmabgabe und damit eine Nichtzulassung darin zu sehen, dass ein Gläubiger, der die erforderlichen Unterlagen eingereicht hat, nicht in das Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger aufgenommen wird252 oder seine Stimmabgabe unberücksichtigt bleibt.

118

Die Nichtzulassung erfolgt im Grundsatz dann zu Unrecht, wenn der Anfechtungskläger zur Abstimmung berechtigt war und er die Teilnahmebedingungen erfüllte.253 Zur Abstimmung 245 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 33; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 22; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 41 ff.; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 62. 246 Zum Aktienrecht vgl. nur K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2013, Stand 1.6.1995, § 245 AktG Rz. 25. 247 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 59. 248 Ohne Einschränkung auf die nachfolgenden Abstimmungen Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 59; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 41. 249 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 59; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 41. 250 Vgl. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 18 m.w.N. 251 Zum Aktienrecht Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 245 AktG Rz. 44. 252 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 59; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 41. 253 Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 18.

486

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 123 § 20 SchVG

berechtigt sind alle Gläubiger,254 soweit keine Stimmverbote greifen (siehe § 6 SchVG Rz. 14 ff.). Die Teilnahmebedingungen sind in § 10 SchVG geregelt (für Abstimmungen ohne Versammlung über § 18 Abs. 1 SchVG). Hierzu gehören jedenfalls ein Legitimationsnachweis und regelmäßig auch die Anmeldung (siehe § 10 SchVG Rz. 8). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann in Ausnahmefällen bei einer Abstimmung in einer Versammlung eine Nichtzulassung dennoch zu Recht erfolgen. Die Rechtfertigung für die Nichtzulassung folgt dabei aus den Befugnissen des Vorsitzenden der Gläubigerversammlung, der für den sicheren und ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmung Sorge zu tragen hat. Dabei ist jedoch stets dem Teilnahmerecht der Gläubiger hinreichend Rechnung zu tragen. Beispiele sind die Nichtzulassung bei Verweigerung zumutbarer Personen- oder Gepäckkontrollen255 und der Saalverweis nach Störungen (siehe auch § 15 SchVG Rz. 5).256 Insoweit kann auf den im Aktienrecht erreichten Erkenntnisstand zurückgegriffen werden.

119

bb) Mängel bei Einberufung der Versammlung oder der Aufforderung zur Stimmabgabe (§ 20 Abs. 2 Nr. 2, 2. Variante SchVG) Alternativ ist der nicht an der Abstimmung teilnehmende Gläubiger anfechtungsbefugt, 120 wenn die Einberufung der Gläubigerversammlung nicht gem. §§ 9 ff. SchVG257 bzw. bei Abstimmungen ohne Versammlung die Aufforderung zur Stimmabgabe nicht gem. § 18 Abs. 3 SchVG erfolgte. cc) Bekanntmachungsfehler (§ 20 Abs. 2 Nr. 2, 3. Variante SchVG) Schließlich ist gem. § 20 Abs. 2 Nr. 2 Variante 3 SchVG der nicht an der Abstimmung teilnehmende Gläubiger anfechtungsbefugt, wenn ein Gegenstand der Beschlussfassung nicht gem. § 13 Abs. 2 SchVG (bei Abstimmungen ohne Versammlung über § 18 Abs. 1 SchVG) mit der Tagesordnung bekannt gemacht wurde (siehe dazu im Einzelnen § 13 SchVG Rz. 7 f.).258

121

Problematisch erscheint, ob Bekanntmachungsfehler hinsichtlich einzelner Beschlussgegenstände die Anfechtungsbefugnis hinsichtlich sämtlicher Beschlussgegenstände begründen; also auch hinsichtlich solcher Beschlussgegenstände, die ordnungsgemäß bekannt gemacht wurden. Diese Frage wird im Aktienrecht kontrovers diskutiert.259 Für die Annahme einer umfassenden Anfechtungsbefugnis im SchVG wird insbesondere geltend gemacht, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Gläubiger gerade wegen eines einzelnen, nicht korrekt bekannt gemachten Beschlussgegenstandes nicht an der gesamten Versammlung teilgenommen habe.260 Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass der Gläubiger hinsichtlich der korrekt bekannt gemachten Beschlussgegenstände bewusst nicht an der Abstimmung teilnahm. Mithin erscheint es nicht überzeugend, ihm trotz seines mangelnden Interesses an dem jeweiligen Beschlussgegenstand eine Anfechtungsmöglichkeit diesbezüglich zuzugestehen.

122

Hinzu kommt, dass im SchVG die Möglichkeit einer Abstimmung ohne Versammlung besteht. In eben diesen Fällen kann das Argument, dass der einzelne Gläubiger bei ordnungs-

123

254 255 256 257

Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 41. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 41. Vgl. zum Aktienrecht nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 18 m.w.N. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 60; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 22; dies entspricht auch dem aktienrechtliche Einberufungsfehler, s. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 19 m.w.N.; nur auf § 12 SchVG abstellend Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 42. 258 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 61. 259 Vgl. etwa: Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 245 AktG Rz. 23; eine Anfechtungsbefugnis in Bezug auf alle auf der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse befürwortend: Dörr in Spindler/Stilz, § 245 AktG Rz. 38; Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 20. 260 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 339.

Kiem 487

§ 20 SchVG Rz. 124 Anfechtung von Beschlüssen gemäßer Bekanntmachung sämtlicher Beschlussgegenstände an einer Versammlung teilgenommen hätte und im Laufe beziehungsweise aufgrund der dort stattfindenden Debatte schließlich auch bezüglich der ordnungsgemäß bekannt gemachten Beschlussgegenstände eine neue Auffassung und ein geändertes Stimmverhalten entwickelt hätte, ohnehin nicht greifen. Für eine Unterscheidung danach, ob eine Versammlung stattfindet oder nicht, finden sich jedoch keine Anhaltspunkte im Gesetzestext. Mithin kann eine Anfechtungsbefugnis nur hinsichtlich derjenigen Beschlussgegenstände angenommen werden, die fehlerhaft bekannt gemacht wurden. d) Ausschluss rechtsmissbräuchlicher Anfechtungsklagen 124

Entsprechend der Rechtslage im Aktienrecht ist auch im Schuldverschreibungsrecht einem Gläubiger die Anfechtungsbefugnis abzusprechen, wenn sich seine Anfechtungsklage als rechtsmissbräuchlich darstellt.261 Dies ist anzunehmen, wenn der Kläger mit seiner Anfechtungsklage das Ziel verfolgt, den Schuldner in grob eigennütziger Weise zu einer Leistung zu veranlassen, auf die er keinen Anspruch hat und billigerweise auch nicht erheben kann.262 In Betracht kommt insoweit, dass der Anfechtungskläger sich von der Vorstellung leiten lässt, der Schuldner werde die Leistung erbringen, weil er auf diese Weise den Eintritt anfechtungsbedingter Nachteile, insbesondere zeitliche Verzögerungen des Beschlussvollzugs, zu vermeiden sucht.263 Gerade in zeitkritischen Sanierungssituationen können derartige Nachteile gravierend und der Lästigkeitswert der Anfechtungsklage entsprechend hoch sein; dies birgt ein erhebliches Erpressungspotential, welches einzelne Anfechtungskläger in rechtsmissbräuchlicher Weise finanziell auszunutzen versuchen.264

125

Hinsichtlich der Tatsachen, aus denen der Rechtsmissbrauch des Anfechtungsklägers folgt, ist der Anfechtungsgegner grundsätzlich beweisbelastet.265 Auf die rechtsmissbräuchliche Absicht des Anfechtungsklägers kann allerdings gegebenenfalls aufgrund von Indizien geschlossen werden.266 Indizielle Bedeutung kann etwa dem Verhältnis zwischen der Höhe des Anleiheinvestments und dem mit ihm verbundenen Kosten zukommen. Als Kosten kommen insoweit etwa der Kaufpreis, die Transaktions- und Verwahrkosten der Bank sowie etwaige weitere Kosten, die dem Anfechtungskläger beispielsweise durch eine anwaltliche Vertretung bei der Gläubigerversammlung entstehen, in Betracht.267 Erscheinen diese Kosten gänzlich außer Verhältnis zu den Gewinnen, die allein aus dem Investment in die Anleihe geriert werden können, so kann dieser Umstand als eines von mehreren Indizien für ei-

261 Vgl. hierzu OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122 ff.) = AG 2015, 873; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 64; Seibt, ZIP 2016, 997 (1009); grundlegend für das Aktienrecht BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88 – Kochs Adler, BGHZ 107, 296 (308 ff.) = AG 1989, 399; vgl. aus dem aktienrechtlichen Schrifttum nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 22 ff. 262 Vgl. für das Schuldverschreibungsrecht OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122) = AG 2015, 873; für das Aktienrecht BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88 – Kochs Adler, BGHZ 107, 296 (308 ff.) = AG 1989, 399. 263 Vgl. BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88 – Kochs Adler, BGHZ 107, 296 (311) = AG 1989, 399; zu den zeitlichen Verzögerungen, die mit der Erhebung der Anfechtungsklage im Schuldverschreibungsrecht einhergehen, vgl. die Erläuterungen bezüglich der Vollzugssperre (Rz. 144 ff.). 264 Vgl. OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2124) = AG 2015, 873; aus dem aktienrechtlichen Schrifttum vgl. nur Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 23. 265 Vgl. nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 245 AktG Rz. 62 m.w.N. 266 OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2123) = AG 2015, 873. 267 OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2124) = AG 2015, 873.

488

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 128 § 20 SchVG

nen Rechtsmissbrauch streiten.268 Einbezogen werden kann auch das bisherige Verhalten der jeweiligen Anfechtungskläger; so kann unter Umständen berücksichtigt werden, dass bereits zuvor Anfechtungsklagen gegen Gläubigerbeschlüsse erhoben wurden, die im Vergleichswege und für den Kläger finanziell vorteilhaft beendet wurden.269

IV. Modalitäten der Anfechtungsklage (§ 20 Abs. 3 SchVG) 1. Klagefrist (§ 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG) Die einmonatige Klagefrist des § 20 Abs. 3 Satz 1 SchVG ist, wie ihr aktienrechtliches Vorbild,270 eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.271 Verspätete Klagen sind daher nicht unzulässig, sondern unbegründet. Weder zwischen den Prozessparteien noch in den Anleihebedingungen kann eine längere Frist vereinbart werden.272 Weil es sich um eine materiell-rechtliche Frist handelt, finden die prozessualen Fristenregelungen der ZPO keine Anwendung. Damit ist insbesondere eine Verlängerung nach § 224 Abs. 2 ZPO und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach §§ 223 ff. ZPO ausgeschlossen.273

126

Die Frist berechnet sich demgemäß nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften der 127 §§ 187 ff. BGB. Maßgebliches Ereignis für den Beginn der Frist ist die (tatsächliche) Bekanntmachung des Beschlusses gem. § 17 SchVG.274 Das Fristende ist sodann unter Beachtung von § 188 Abs. 2 Satz 1 BGB zu berechnen. Insoweit kommt eine Fristverlängerung nach § 193 BGB in Betracht, wenn das Fristende auf einen Samstag, Sonntag oder einen Feiertag fällt. Das Widerspruchsverfahren nach § 18 Abs. 5 SchVG ist hier ohne Bedeutung.275 Für die Erhebung der Klage gelten die allgemeinen Vorschriften (§§ 253 ff. ZPO). Grundsätzlich ist die Klage folglich nur dann fristgerecht erhoben, wenn sie innerhalb der Monatsfrist dem Schuldner zugestellt wird, § 253 Abs. 1 ZPO. Bedeutung kann insoweit insbesondere die Vorschrift des § 167 ZPO erlangen, wonach die fristgerechte Klageeinreichung bei Gericht zur Fristwahrung genügt, wenn die Zustellung an den Schuldner „demnächst“

268 Vgl. OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2123 f.) = AG 2015, 873. 269 Vgl. OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2124) = AG 2015, 873; einschränkend wird teilweise verlangt, dass das vorangegangene Verhalten in einem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zu dem jetzigen Verfahren stehen muss, vgl. Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 27, 29 m.w.N; ähnlich Dörr in Spindler/Stilz, § 245 AktG Rz. 61. Dem ist nicht zu folgen. Ist der Anfechtungskläger bereits zuvor durch Rechtsmissbrauch nahelegendes Verhalten aufgefallen, so kann dies jedenfalls als eines von mehreren Indizien für einen erneuten Rechtsmissbrauch sprechen. 270 Siehe nur Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 20. 271 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 35; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 47; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 65. 272 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 35; zum Aktienrecht Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 20. 273 Zur Wiedereinsetzung: Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 66; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 35; vgl. allgemein zum Aktienrecht Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 246 AktG Rz. 36. 274 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 36; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 66; a.A. Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 48, der ohne Begründung bei Präsenzversammlungen auf den Tag der Gläubigerversammlung und bei Abstimmungen ohne Versammlung auf das Ende des Abstimmungszeitraums abstellt. 275 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 66.

Kiem 489

128

§ 20 SchVG Rz. 129 Anfechtung von Beschlüssen erfolgt, der Gläubiger also alles Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung getan hat.276 Innerhalb der Frist sind die wesentlichen tatsächlichen Umstände, aus denen sich die Anfechtungsgründe ergeben („wesentlicher tatsächlicher Kern“), darzulegen.277 Tatsachen, die erst nach Fristablauf eingeführt werden, bleiben unberücksichtigt.278 2. Klagegegner (§ 20 Abs. 3 Satz 2 SchVG) 129

Nach § 20 Abs. 3 Satz 2 SchVG ist die Klage gegen den Schuldner zu richten. Maßgeblich ist hierfür, dass die Gläubigergesamtheit als solche nicht rechtsfähig ist und die Beschlüsse der Gläubiger regelmäßig auf Veranlassung und im Interesse des Schuldners ergehen.279 Unerheblich ist dabei, ob im konkreten Fall der Beschluss dem Vorschlag des Schuldners entspricht oder ob er tatsächlich ein Interesse am Bestehen des Beschlusses hat.280 Ohne Belang ist ferner, ob der anfechtende Gläubiger mit der Klage den Schuldner unterstützen will.281 Auch wenn der Gläubigerbeschluss nicht auf den Anleihebedingungen beruht, sondern die Gläubiger kraft Gesetzes Mehrheitsbeschlüsse fassen können (siehe hierzu § 5 SchVG Rz. 39 ff.), ist die Anfechtungsklage gegen den Schuldner zu richten.282

130

Die Frage des Klagegegners kann sich indessen dann als problematisch erweisen, wenn in der Person des Schuldners Änderungen eintreten. Zu nennen ist insoweit insbesondere der Fall der Schuldnerersetzung durch Gläubigerbeschluss nach § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 9 SchVG. Auch dieser Beschluss erscheint als denkbarer Gegenstand einer Anfechtungsklage. Wird er angegriffen, so kann Beklagter nur der ursprüngliche Schuldner sein. Dies folgt bereits aus der durch § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG statuierten Vollzugssperre (vgl. Rz. 144 ff.). Diese führt dazu, dass der angefochtene Beschluss, mit dem der Schuldner ausgewechselt werden soll, zunächst nicht vollzogen werden darf. Schuldner ist mithin weiterhin der ursprüngliche Schuldner. Eben dieser muss folglich auch Beklagter sein. Ergeht während des Anfechtungsverfahrens ein Freigabebeschluss und erlangt der angefochtene Beschluss dadurch Bestandskraft, kann die Schuldnerersetzung vollzogen werden. Im Anfechtungsprozess ist die Schuldnerersetzung durch einen Parteiwechsel auf der Beklagtenseite prozessual nachzuvollziehen: Neben der Parteiwechselerklärung des Anfechtungsklägers ist demnach, sobald mündlich zur Hauptsache verhandelt worden ist, die Zustimmung des ursprünglich beklagten ehemaligen Schuldners erforderlich.283 In Anlehnung an § 263 ZPO ist daneben die Zustimmung des neuen Beklagten erforderlich, falls nicht das Gericht von sich aus die Sachdienlichkeit annimmt.284

276 Siehe hierzu nur Wittschier in Musielak/Voit, § 167 ZPO Rz. 6 ff. 277 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 37; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 25; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 67; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 48; zum Aktienrecht s. nur Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 26 m.w.N. 278 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 37; zur Parallelsituation im Aktienrecht s. nur Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 26 m.w.N. (nachgeschobene Anfechtungsgründe bleiben unberücksichtigt, Ergänzung oder Berichtigung des Tatsachenvortrags ist möglich). 279 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26. 280 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 49; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 68. 281 LG Leipzig v. 16.1.2015 – 2 HKO 2542/14, NZI 2015, 342 (343). 282 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 39. 283 Dies folgt aus dem Rechtsgedanken des § 269 Abs. 1 ZPO, vgl. nur Becker-Eberhard in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 263 ZPO Rz. 77. 284 Vgl. BGH v. 13.11.1961 – II ZR 202/60, NJW 1962, 347.

490

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 135 § 20 SchVG

Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners greifen nach der hier vertretenen Ansicht die Regeln des SchVG nicht mehr, vielmehr ist nach § 78 InsO zu verfahren (vgl. Rz. 25).

131

3. Gerichtliche Zuständigkeit (§ 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG) Für eine Anfechtungsklage gegen Schuldner mit Sitz im Inland begründet § 20 Abs. 3 Satz 3 132 SchVG eine ausschließliche sachliche und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Sitz hat. Da es sich insoweit um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt, können gem. § 40 Abs. 2 ZPO weder abweichende Gerichtsstandsvereinbarungen getroffen,285 noch die Zuständigkeit eines anderen Gerichts durch rügelose Einlassung begründet werden. Falls bei dem jeweiligen Landgericht eine Handelskammer eingerichtet wurde, ist diese gem. § 20 Abs. 3 Satz 3 letzter Halbs. SchVG i.V.m. § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG zuständig. Für die örtliche Zuständigkeit ist zu beachten, dass die Bundesländer gem. § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. §§ 246 Abs. 3 Satz 3, 148 Abs. 2 Satz 3 und 4 AktG die Entscheidung über die Anfechtungsklage für mehrere Bezirke auf ein Landgericht konzentrieren können.

133

Hat der Schuldner keinen Sitz im Inland, ist ausweislich § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG das Landgericht Frankfurt/M. ausschließlich zuständig.286 Anderes gilt hingegen, soweit die vorrangigen Bestimmungen von EuGVVO, EuGVÜ und LugÜ einschlägig sind und daher für Klagen gegen Emittenten an deren Sitz (Art. 4 EuGVVO, Art. 2 EuGVÜ, Art. 2 LugÜ) oder am gegebenenfalls abweichenden Erfüllungsort (Art. 7 Nr. 1 EuGVVO, Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, Art. 5 Nr. 1 LugÜ) ein Gerichtsstand besteht.287 Auch Gerichtsstandsvereinbarungen können im Anwendungsbereich von EuGVVO, EuGVÜ und LugÜ Gerichtsstände begründen.288 In den bisher bekannten Fällen von Anfechtungsklagen bzw. Freigabeverfahren mit grenzüberschreitendem Bezug ergab sich eine gerichtliche Zuständigkeit zumeist aus rügelosen Einlassungen nach Art. 26 EuGVVO.289

134

Misslich ist insoweit, dass die vom Gesetzgeber angestrebte Gerichtskonzentration nur 135 teilweise erreicht wurde. Durch die Anordnung der ausschließlichen Entscheidungszuständigkeit der Gerichte in Frankfurt/M. für Auslandsanleihen beziehungsweise der abweichenden Gerichtsstände nach EuGVVO, EuGVÜ und LugÜ und nach § 20 Abs. 3 Satz 3 Var. 1 SchVG kommt es gegebenenfalls zu einem Auseinanderfallen der Gerichtsstände. Richtigerweise ist daher vorgeschlagen worden, de lege ferenda dem Emittenten generell die Möglichkeit einzuräumen, den ausschließlichen Gerichtsstand in den Anleihebedingungen festzulegen.290 Dann kann etwa abweichend von § 20 Abs. 3 Satz 3 Var. 2 SchVG der Gerichtsstand am Sitz des inländischen Mutterunternehmens gewählt werden. Das ist auch deswegen sinnvoll, weil mit Anfechtungsklagen gegen etwaige durch die Hauptversammlung des deutschen Mutterunternehmens zu beschließende Sanierungsmaßnahmen – beispielsweise im Rahmen eines Debt-Equity-Swap – ebenfalls die Gerichte am Sitz des deutschen Mutterunternehmens be285 Vgl. nur Heinrich in Musielak/Voit, § 40 ZPO Rz. 5 f. 286 Ausführlich zur Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG, Rz. 40 ff. 287 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 40 ff. 288 Vgl. zu den Einzelheiten der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und der Problematik, ob die Anfechtungsklage eine „Verbrauchersache“ darstellen kann und Gerichtsstandvereinbarungen daher nur eingeschränkt zulässig sind Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 43 ff. 289 Vgl. Otto, DNotZ 2012, 809 (823). 290 Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848) (Regelungsvorschlag in § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG-E); (855) (Begründung).

Kiem 491

§ 20 SchVG Rz. 136 Anfechtung von Beschlüssen fasst werden. Dadurch kann folglich eine Bündelung der Rechtsstreitigkeiten an einem Gericht erreicht werden, was nicht unwesentlich zur Beschleunigung beitragen dürfte. 4. Wirkungen des stattgebenden Urteils 136

Anders als im Aktienrecht sind die Wirkungen eines der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils im SchVG nicht explizit geregelt.291 Nicht zuletzt deshalb sind die konkreten Rechtsfolgen im Einzelnen umstritten. Die fehlende Normierung der Wirkungen des stattgebenden Anfechtungsurteils betrifft sowohl die Frage einer etwaigen Rückwirkung (zeitliche Wirkung) als auch den von dem Urteil betroffenen Personenkreis (personenbezogene Wirkung).

137

Einigkeit besteht weitgehend hinsichtlich der zeitlichen Wirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils: Ein angefochtener Beschluss soll durch ein stattgebendes Urteil jedenfalls gegenüber dem Anfechtungskläger und dem Schuldner rückwirkend unwirksam werden.292 Dem ist zu folgen. Es entspricht dem Wesen der Anfechtungsklage, einen zunächst wirksamen, aber fehlerhaften Beschluss mit Wirkung ex tunc zu beseitigen.293

138

Uneinheitlich wird hingegen die personenbezogene Wirkung des stattgebenden Urteils beurteilt. Nach einer Ansicht ist von einer Wirkung erga omnes des stattgebenden Anfechtungsurteils auszugehen.294 Es wirke für und gegen den Schuldner und sämtliche Gläubiger.295 Hierfür wird insbesondere angeführt, der Gesetzgeber habe sich mit der Schaffung eines eigenen Rechtsschutzsystems in § 20 SchVG gegen das unter Geltung des SchVG 1899 Anwendung findende Rechtsschutzmodell, die lediglich inter partes wirkende, allgemeine Feststellungsklage, entschieden. Eben diese Reform des Rechtsschutzsystems sei nur schlüssig, wenn die Intention des Gesetzgebers die Einführung der erga omnes-Wirkung gewesen sei.296 Demgegenüber sei das Fehlen einer expliziten gesetzlichen Anordnung unerheblich, da eine erga omnes eintretende Gestaltungswirkung einem stattgebenden Anfechtungsurteil bereits nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen immanent sei.297

139

Eine andere Ansicht geht hingegen von einer bloßen inter partes-Wirkung des Anfechtungsurteils aus.298 Hierfür wird einerseits das Fehlen einer § 241 Nr. 5 AktG oder § 248 AktG entsprechenden Bestimmung angeführt. Der Gesetzgeber habe den Rechtsschutz gegen Gläubigerbeschlüsse im SchVG umfassend geregelt. So seien die Vorschriften des AktG zur 291 Dies ruft weitgehend rechtspolitische Kritik hervor, vgl. etwa Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 3; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (55) (Säumnis des Gesetzgebers); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 78 (Klarstellung des Gesetzgebers wünschenswert); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (855); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 191 (deutlichere Sprache wäre wünschenswert). 292 Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 78; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 54; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 354. 293 Siehe für die aktienrechtliche Anfechtungsklage nur K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2013, Stand 1.6.1995, § 248 AktG Rz. 5. 294 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 78; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 191; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 357 f.; Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 195; Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 189; U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht, S. 125. 295 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 78; Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 195. 296 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 78. 297 U. Simon, Treuepflichten im Anleiherecht, S. 125; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 357 f.; in diese Richtung wohl auch Baums, ZBB 2009, 1 (3.). 298 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 54; ähnlich wohl auch: Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 3, der von einer subjektiven Rechtskraft nach § 325 ZPO ausgeht, jedoch nicht eindeutig zur Frage der Gestaltungswirkung Stellung bezieht.

492

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 141 § 20 SchVG

Anfechtungsklage teils fast wortgleich übernommen, teils durch Verweisung für entsprechend anwendbar erklärt worden. Die Präzision, mit welcher bei der Neuregelung des Rechtsschutzsystems im SchVG vorgegangen worden sei, spreche gegen die Annahme, dass der Aspekt der Rechtskrafterstreckung schlicht nicht bedacht wurde.299 Gestützt werde dies weiter durch die ebenfalls nicht übernommenen Regelungen des AktG hinsichtlich der öffentlichen Bekanntmachung der Klageerhebung und der Verfahrensbeendigung.300 Beide Vorschriften fänden im Aktienrecht ihre Rechtfertigung gerade in der in § 248 AktG angeordneten Rechtskrafterstreckung bezüglich des der Anfechtungsklage stattgebenden Urteils. Trotz der nach dieser Ansicht fehlenden Übertragbarkeit der aktienrechtlichen Grundsätze zur Wirkung des Anfechtungsurteils soll jedoch auch nach diesen Literaturstimmen das Anfechtungsurteil letztlich allen Gläubigern zugutekommen: Aus dem Gleichbehandlungsgebot (vgl. hierzu § 4 SchVG Rz. 33 ff.) leitet diese Ansicht die Pflicht des Schuldners ab, ein rechtskräftiges Anfechtungsurteil, das einer der Gläubiger erstritten hat, auch gegenüber den übrigen Gläubigern zu beachten und anzuwenden.301 Nur diese Auslegung des Gleichbehandlungsgebots sichere letztlich den Zweck der kollektiven Bindung, namentlich die Gewährleistung hinreichender Fungibilität der Anleihestücke durch identische Ausgestaltung der Anleihebedingungen.302 Andernfalls wirke ein erfolgreich angefochtener, die Anleihebedingungen ändernder Beschluss nur gegenüber einzelnen Gläubigern nicht und es komme in der Folge zu unterschiedlichen Anleihebedingungen.303

140

Anlass für den Meinungsstreit ist der nur unvollkommene Verweis des § 20 SchVG auf das Aktienrecht, dessen Gründe sich gesetzgebungshistorisch nicht erschließen. Geprägt ist er aber im Wesentlichen dadurch, dass nicht präzise zwischen den genauen Wirkungen eines Anfechtungsurteils unterschieden wird. So wird häufig allein auf die angebliche erga omnesWirkung verwiesen, ohne trennscharf zwischen Gestaltungswirkung und materieller Rechtskraft eines Urteils zu unterscheiden.304 Während unter der Gestaltungswirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils nach allgemeinen Grundsätzen die bei Gestaltungsurteilen mit formeller Rechtskraft eintretende inter omnes wirkende Änderung der Rechtslage verstanden wird, wirkt die materielle Rechtskraft von Gestaltungsurteilen grundsätzlich nur

141

299 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 54. 300 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 54. 301 Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (55); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 25 (anders hingegen bei Klageabweisung, vgl. Rz. 25a); Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 48 ff. 302 Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (55); vgl. ferner etwa Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 27; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 49. 303 Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (55). 304 So thematisieren etwa Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 24, den Unterschied in keiner Weise, sondern gehen nur allgemein von einer Pflicht des Schuldners zur Anwendung des Urteils gegenüber allen Gläubigern aus; Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (55 f.), leitet hingegen aus dem Gleichbehandlungsgebot eine Rechtskrafterstreckung zugunsten aller Schuldner ab, thematisiert jedoch die Gestaltungswirkung des Urteils nicht ausdrücklich; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 78, stellt dagegen die Wirkung erga omnes und die Gestaltungswirkung als Gegenteil einer nur relativen Rechtskraft dar, obwohl zwischen der Frage der relativen Rechtskrafterstreckung und der Gestaltungswirkung eines Urteils zu differenzieren ist und insofern kein zwingendes Alternativverhältnis besteht; nicht eindeutig ist auch die Differenzierung Schmidtbleichers, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 191, der wohl zwischen Gestaltungswirkung und Geltung erga omnes unterscheidet, obwohl Gestaltungswirkung nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen gerade die erga omnes wirkende Veränderung der Rechtslage meint; ähnlich unklar die Ausführungen bei Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 357.

Kiem 493

§ 20 SchVG Rz. 142 Anfechtung von Beschlüssen zwischen den Parteien des Rechtsstreits und führt zur Feststellung des Gestaltungsgrundes nur zwischen diesen.305 Eine die materielle Rechtskraft ausdehnende Rechtskrafterstreckung findet grundsätzlich nur dann statt, wenn diese ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist.306 142

Eben diese Differenzierung ist auch im Schuldverschreibungsrecht zu beachten und führt zu einer Unterscheidung hinsichtlich der schuldverschreibungsrechtlichen Anfechtungsklage: Während die Gestaltungswirkung eines stattgebenden Anfechtungsurteils zu bejahen ist, kommt ihm materielle Rechtskraft nur im Verhältnis der am Anfechtungsprozess Beteiligten und nicht darüber hinausgehend zu. Die Gestaltungswirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils folgt letztlich bereits aus dem Wesen der Anfechtungsklage als solcher. Bei ihr handelt es sich um eine Gestaltungsklage, ein stattgebendes Urteil verändert die Rechtslage gegenüber jedermann, indem es den angefochtenen Beschluss kassiert. Die Gestaltungswirkung ist denknotwendiger Bestandteil des stattgebenden Anfechtungsurteils. Dementsprechend wird auch im aktienrechtlichen Schrifttum § 241 Nr. 5 AktG teilweise nur eine deklaratorische Wirkung beigemessen und klargestellt, dass auch nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen eine Gestaltungswirkung des Anfechtungsurteils eintrete.307 Auch im Aktienrecht würde danach bei Fehlen einer entsprechenden Norm noch immer die Gestaltungswirkung greifen, weshalb auch im SchVG, wo es an einer entsprechenden Regelung tatsächlich mangelt, die Gestaltungswirkung des stattgebenden Anfechtungsurteils anzuerkennen ist.

143

Gänzlich anders stellt sich die Rechtslage jedoch in Bezug auf die Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils dar. Diese tritt nach allgemeinen Grundsätzen nur zwischen den Parteien ein. Nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung, wie etwa in § 248 AktG,308 kommt es zu einer Erstreckung auf Dritte. Mangels entsprechender Regelung im SchVG könnte allenfalls über eine analoge Anwendung von § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG eine solche Rechtskrafterstreckung angenommen werden. Gegen eine Analogie streiten jedoch die im Übrigen präzisen Verweisungen des SchVG auf den aktienrechtlichen Normenbestand, die gegen die Annahme sprechen, der Gesetzgeber habe die Inbezugnahme von § 248 AktG schlichtweg nicht bedacht. Mithin mangelt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.309 Hinzu kommt die fehlende Anordnung von Bekanntmachungspflichten als Kompensation für die umfassende Rechtskraft des Anfechtungsurteils. Demgemäß muss eine Rechtskrafterstreckung des Anfechtungsurteils auf am Prozess nicht beteiligte Gläubiger ausscheiden. Folglich wird einerseits mangels übergreifender materieller Rechtskraft eine Anfechtungsklage unbeteiligter Gläubiger bei im Übrigen gleichem Streitgegenstand nicht als unzulässig abgewiesen310 und andererseits mangels Erstreckung der materiellen Rechtskraft der Gestaltungsgrund ihnen gegenüber nicht rechtsverbindlich festgestellt.

305 Leipold in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rz. 8 f.; vgl. ferner Vollkommer in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 322 ZPO Rz. 3 und § 325 ZPO Rz. 43; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 322 ZPO Rz. 19; Völzmann-Stickelbrock in Prütting/Gehrlein, 7. Aufl. 2015, § 322 ZPO Rz. 3, 6. 306 Leipold in Stein/Jonas, 22. Aufl. 2008, § 325 ZPO Rz. 9; zu den im Einzelnen streitigen Einschränkungen dieses Grundsatzes vgl. Vollkommer in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 325 ZPO Rz. 41 f. sowie Musielak in Musielak/Voit, 13. Aufl. 2016, § 325 ZPO Rz. 15 ff. 307 In diese Richtung etwa Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 248 AktG Rz. 5; wohl auch Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 40, § 248 AktG Rz. 7. 308 Hüffer/Koch, § 248 AktG Rz. 8; Dörr in Spindler/Stilz, § 248 AktG Rz. 18; Englisch in Hölters, 2. Aufl. 2014, § 248 AktG Rz. 21. 309 Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 54. 310 Vgl. zu dieser bei materieller Rechtskraft eintretenden Unzulässigkeit einer Klage etwa: Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 322 ZPO Rz. 39.

494

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 146 § 20 SchVG

V. Vollzugssperre (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG) Mit § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG wird eine sog. Vollzugssperre angeordnet: Dadurch wird die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zur Rechtskraft des Anfechtungsurteils untersagt, es sei denn, auf Antrag des Schuldners wird im Freigabeverfahren nach Maßgabe des § 246a AktG (vgl. hierzu im einzelnen Rz. 154 ff.) festgestellt, dass die Klageerhebung der Vollziehung des streitgegenständlichen Beschlusses nicht entgegensteht.

144

1. Beschlussausführung Mit seiner Verkündung ist der gefasste Beschluss wirksam. Indessen sind die beabsichtigten Beschlusswirkungen damit häufig noch nicht ins Werk gesetzt: Der Beschluss vollzieht sich nicht von selbst, sondern bedarf eines Ausführungsaktes. Welche Ausführungshandlung das ist, hängt vom konkreten Beschlussinhalt ab. Im wichtigsten Anwendungsfall – der Änderung der Anleihebedingungen – bedarf es der Ergänzung bzw. der Änderung der Sammelurkunde (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SchVG). Hinsichtlich der Beschlussausführung ist die Vollzugssperre gem. § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG zu beachten. Endet diese (siehe dazu Rz. 147), ist der Schuldner verpflichtet, den Beschluss ohne weiteres zu vollziehen.

145

2. Beginn und Ende der Vollzugssperre Nicht eindeutig geregelt ist in § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG der zeitliche Beginn der Vollzugssperre. In Betracht kommen als Anfangszeitpunkte gleich mehrere Zeitpunkte: Das Wirksamwerden des Beschlusses, der Beginn der Anfechtungsfrist,311 die Erklärung eines Widerspruchs312 und schließlich auch die Erhebung der Anfechtungsklage.313 Für letzteren Zeitpunkt spricht der Wortlaut der Regelung, in der von einem angefochtenen Beschluss die Rede ist. Maßgeblich für die Bestimmung des Anfangszeitpunkts muss indessen die gesetzgeberisch intendierte Funktion der Vollzugssperre sein. Sinn der Vorschrift ist es, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern, solange noch unsicher ist, ob der jeweilige Gläubigerbeschluss endgültig Bestand haben wird.314 Demgemäß muss die Vollzugssperre bereits mit dem Wirksamwerden des Beschlusses beginnen;315 also mit der Niederschrift des Beschlusses in der notariellen Urkunde, welcher bei der Abstimmung innerhalb einer Versammlung der Feststellung des Beschlusses voranzugehen hat. Dann ist der Beschluss in der Welt und kann ausgeführt werden. Bei einem späteren Einsetzen der Vollzugssperre bestünde die Gefahr, dass bereits Umsetzungsmaßnahmen vorgenommen werden, die im Falle der späteren Kassation des Beschlusses möglicherweise nicht mehr problemlos rückgängig gemacht

311 Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (58); Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 355. 312 So Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 73 (Beginn jedenfalls mit der Erklärung des Widerspruchs); Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 54; Vogel, ZBB 2010, 211 (220); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (57) (Kein Vollzug vom Moment des Widerspruchs), anders aber auf S. 58 (Vollzugssperre ab Beginn der Anfechtungsfrist). 313 So wohl Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 28, nach denen die Erhebung der Anfechtungsklage zum Vollzugsverbot führt; ähnlich Simon, CFL 2010, 159 (164) (Vollzugssperre bei fristgemäßer Erhebung der Anfechtungsklage). 314 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 73; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 355; s. auch Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (58). 315 Unklar insoweit Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 355, die für eine Aussetzung der Beschlussausführung bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist eintreten, aber offen lassen, wann die Vollzugssperre einsetzt.

Kiem 495

146

§ 20 SchVG Rz. 147 Anfechtung von Beschlüssen werden können. Eine Vollzugssperre, die beispielsweise erst mit der Erhebung einer Anfechtungsklage eingreifen würde, käme daher zu spät.316 147

Aus den vorgenannten Gründen endet die Vollzugssperre auch nicht vor Ablauf der einmonatigen Anfechtungsfrist: Erst dann steht überhaupt fest, ob Klage erhoben wurde.317 Für das genaue zeitliche Ende der Vollzugssperre sind je nach Sachlage unterschiedliche Zeitpunkte maßgeblich: In Betracht kommt der Ablauf der Anfechtungsfrist (dann wenn keine Anfechtungsklage erhoben wird bzw. die Klage zu spät erhoben wird), das Ergehen eines Freigabebeschlusses oder die Beseitigung der Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage, sei es durch Prozessvergleich, Klagerücknahme, Erledigung der Hauptsache oder durch rechtskräftige Entscheidung. In all diesen Fällen steht fest, dass der Gläubigerbeschluss nicht mehr wegen etwaiger Anfechtbarkeit zu Fall gebracht werden kann. Damit endet auch die Vollzugssperre.318

148

Die bloße Erhebung einer Nichtigkeitsklage (in Gestalt einer Feststellungsklage gem. § 256 ZPO, vgl. Rz. 45) nach Ablauf der Anfechtungsfrist löst keine Vollzugssperre aus.319 Die gesetzliche Regelung in § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG betrifft allein Anfechtungsklagen. Nichtsdestotrotz sind tatsächlich nichtige Beschlüsse per se nicht vollziehbar. Will der Kläger die Ausführung eines derartigen, noch nicht umgesetzten Beschlusses verhindern, ist er auf den einstweiligen Rechtsschutz verwiesen. 3. Wirkungen der Vollzugssperre

149

Die Wirkungen der Vollzugssperre sind gravierend: Zwar bleibt ein Gläubigerbeschluss zunächst auch während des Anfechtungsverfahrens an sich wirksam.320 Erst ein stattgebendes Anfechtungsurteil nimmt ihm die Wirksamkeit. Weitergehende Ausführungshandlungen haben jedoch bis zur Beendigung der Vollzugssperre zu unterbleiben.321

150

Bedeutung erlangt die Vollzugssperre nicht nur bei Beschlüssen, die Umsetzungsmaßnahmen auf tatsächlicher Ebene erfordern, sondern angesichts der Vorschrift des § 2 Satz 3 SchVG letztlich bei allen Gläubigerbeschlüssen, mit denen der Änderung von Anleihebedingungen zugestimmt wird.322 Dies folgt daraus, dass die entsprechende Änderung der Anleihebedingungen gem. § 2 Satz 3 SchVG erst dann wirksam wird, wenn sie in der Urkunde oder in den Anleihebedingungen vollzogen ist. Wie diese Vollziehung technisch durchzuführen ist, regelt § 21 SchVG (zu den Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 21 SchVG). Bevor eben diese Beschlussumsetzung erfolgt ist, entfaltet ein entsprechender Gläubigerbeschluss mithin keine Außenwirkung.

316 Siehe nur Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 73; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321). 317 Vgl. zum Andauern der Vollzugssperre während der Anfechtungsfrist etwa Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 71; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321). 318 Einhellige Auffassung, auch wenn auf den insoweit unglücklich formulierten Gesetzeswortlaut verwiesen wird, s. nur Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 73; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Fn. 72; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1321); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (58); Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 355. 319 Anders wohl Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (24), der von dem Eingreifen einer Vollzugssperre ausgeht und de lege ferenda deren Abschaffung fordert. 320 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 54. 321 Vgl. nur Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 54. 322 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 57.

496

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 153 § 20 SchVG

4. Adressaten der Vollzugssperre Der Adressatenkreis der Vollzugssperre nach dem SchVG wird durch den Wortlaut der Vor- 151 schrift nicht weiter eingegrenzt. Adressat ist daher regelmäßig zunächst der Schuldner und damit sein Geschäftsleitungsorgan.323 Außerdem ist der Abstimmungs- und Versammlungsleiter Adressat der Vollzugssperre. Letztlich richtet sich die Vollzugssperre aber an alle mit der Beschlussausführung aufgrund gesetzlicher Zuständigkeitszuordnung oder entsprechender Ermächtigung im Gläubigerbeschluss selbst befassten Personen. Damit unterscheidet sich die Rechtslage nicht unerheblich von der im Aktienrecht. Bei eintragungsbedürftigen Hauptversammlungsbeschlüssen entscheidet dort das zuständige Registergericht nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es seine Entscheidung über den Eintragungsantrag gem. § 21 FamFG (i.V.m. § 381 FamFG) aussetzt.324 Bei offenen Erfolgsaussichten einer bereits erhobenen Anfechtungsklage führt dies in der Regel zu einer Aussetzung des Eintragungsverfahrens und damit faktisch zu einer Registersperre.325 Erst nach einem unanfechtbaren Freigabebeschluss endet die Aussetzungsbefugnis des Registerrichters.326 Anders ist das in den Fällen bestimmter Strukturbeschlüsse, bei denen eine Vollzugssperre eingreift (vgl. Rz. 157). Hier ist die Registersperre gesetzlich angeordnet. Auch in diesen Fällen ist Adressat der Vollzugssperre das Registergericht. Mangels Registereintragung kommt es im Schuldverschreibungsrecht nicht zu einer vergleichbaren Registersperre. Um dennoch einen Gleichlauf mit dem aktienrechtlichen Rechtsschutz herzustellen und die Schaffung von vollendeten Tatsachen zu verhindern, muss das Leitungsorgan des Schuldners während der Vollzugssperre von einer Vollziehung des jeweiligen Gläubigerbeschlusses absehen.327 Im Falle der Nichtbeachtung dieser Pflichten drohen andernfalls Schadensersatzansprüche nach den allgemeinen Haftungsregeln (vgl. zu den denkbaren Haftungskonstellationen bei einem Verstoß gegen die Vollzugssperre im Einzelnen § 21 SchVG Rz. 20 ff.).

152

Berührt werden durch die Vollzugssperre ferner zumeist auch die Pflichten des Abstimmungs- oder Versammlungsleiters. Dieser hat während der Vollzugssperre von einer Erklärung nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG abzusehen (vgl. zu der Erklärung im Einzelnen § 21 SchVG Rz. 12 ff.; zu einer etwaigen Haftung bei einer Nichtbeachtung der Vollzugssperre durch den Versammlungsleiter vgl. § 21 SchVG Rz. 20 ff.). Denn auch er muss während ihrer Geltung solche Handlungen unterlassen, die auf den Vollzug des Beschlusses gerichtet sind. Nur so kann die Schaffung vollendeter Tatsachen in dem gesetzlich geschützten Zeitraum verhindert werden.328 Gleiches gilt im Ergebnis für sonstige mit der Beschlussausführung aufgrund gesetzlicher Zuständigkeitszuordnung oder entsprechender Ermächtigung im Gläubigerbeschluss selbst befassten Personen.

153

323 324 325 326 327 328

Vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 83. Vgl. nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 134 f. Vgl. nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 134 f. Vgl. nur Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 246a AktG Rz. 15. Vgl. auch Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 54, 58. Um dem Abstimmungs- oder Versammlungsleiter, der nicht zugleich Organ des Schuldners ist, die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Pflichten zu ermöglichen, ist davon auszugehen, dass das gesetzliche Auskunftsrecht des Versammlungs- oder Abstimmungsleiters gegenüber dem Schuldner nach §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4 SchVG die zur Beurteilung der Vollziehbarkeit erforderlichen Informationen umfasst (vgl. hierzu § 21 SchVG Rz. 18).

Kiem 497

§ 20 SchVG Rz. 154 Anfechtung von Beschlüssen

VI. Freigabeverfahren (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG) 1. Überblick 154

Die gravierenden Wirkungen der Vollzugssperre haben den Gesetzgeber zur Einführung des Freigabeverfahrens im SchVG veranlasst. Durch die Erhebung von Anfechtungsklagen gegen Gläubigerbeschlüsse besteht angesichts der Vollzugssperre für die Anleihegläubiger letztlich eine weitreichende Blockademöglichkeit.329 Dies ließ missbräuchliche Anfechtungsklagen befürchten, die nur erhoben werden, um sodann den in einer zeitkritischen Restrukturierungssituation befindlichen Schuldner zum Abschluss eines möglichst lukrativen Vergleichs zu bewegen.330 Diese Befürchtungen haben sich zwischenzeitlich auch bestätigt (siehe Rz. 15). Um die schädlichen Auswirkungen eben solcher missbräuchlicher Anfechtungsklagen einzudämmen, wurde das sog. Freigabeverfahren auch im Schuldverschreibungsrecht eingeführt.331 § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG erklärt demgemäß die aktienrechtliche Regelung zum Freigabeverfahren in § 246a AktG entsprechend für anwendbar.

155

Dabei bezweckt die Regelung zum Freigabeverfahren hier wie auch im Aktien- und Umwandlungsrecht zweierlei: Zum einen soll dadurch die Vollzugssperre im Wege des Eilverfahrens trotz der schwebenden Anfechtungsklage überwunden werden können. Zum anderen verhilft ein ergehender Freigabeschluss dem angefochtenen Gläubigerbeschluss unabhängig vom späteren Ausgang des Anfechtungsprozesses zu dauerhafter Bestandskraft. 2. Kritik

156

Es entspricht dem im Aktienrecht erreichten Stand, die Anordnung einer Vollzugssperre mit einem summarischen Eilverfahren (Freigabeverfahren) zu ihrer Durchbrechung zu verbinden. Insoweit hat es angesichts der weitgehenden Anlehnung an das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht nahe gelegen, auch für das Anfechtungsverfahren von Gläubigerbeschlüssen ein Freigabeverfahren vorzusehen.332 Indessen verbietet sich eine unreflektierte Übernahme des qua Verweisung zur Anwendung gebrachten Normenbestands des AktG: Zu unterschiedlich sind Regelungsrahmen, Beschlussinhalt und Interessenlage.333

157

Das beginnt bereits mit der funktional mit dem Freigabeverfahren eng verknüpften Vollzugssperre (siehe Rz. 144 ff.). Bei der Parallelregelung der Vollzugssperre handelt es sich um

329 Vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 82; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 55. 330 Vgl. Baums, ZBB 2009, 1 (6 f.); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 82; Caglj, Restrukturierung von Anleihen, S. 361; Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 205. 331 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 60; kritisch hinsichtlich der Einführung des Freigabeverfahrens Baums, ZBB 2009, 1 (5); Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (849 f.). 332 Die aktuelle Regelung begrüßend daher etwa Hofmann/Keller ZHR 175 (2011), 684 (721 f.), nach denen die aktuelle Regelung zu Rechtssicherheit führt; ebenfalls von der Stimmigkeit des Freigabeverfahrens im reformierten Anleiherecht insgesamt ausgehend Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 208. 333 Kritisch deshalb auch Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 192 ff. (Beschlussverfahren von Gläubigerversammlung und AG nicht vergleichbar); Florstedt, ZIP 2012, 2286 (2287) (anleiherechtliches Freigabeverfahren sei weder von der Rechtsform her, noch der Bedeutung nach limitiert, schließlich gelte es auch bei unwesentlichen Änderungen); Baums, ZBB 2009, 1 (5) (Übernahme des Freigabeverfahrens passt nicht); noch weitergehend die Kritik des Arbeitskreises Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (849), der sowohl die Vollzugssperre als auch das sie überwindende Freigabeverfahren als Hindernis für eine effektive Bewältigung von Unternehmenskrisen ansieht.

498

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 162 § 20 SchVG

eine rechtlich angeordnete334 oder faktisch bestehende335 Registersperre für aktien- und umwandlungsrechtliche Strukturbeschlüsse. Das entspricht indessen nicht der Ausgangslage im SchVG. Der Gläubigerbeschluss bedarf zu seiner Wirksamkeit gerade nicht der konstitutiven Eintragung im Handelsregister. Auch in den Fällen der Änderung der Anleihebedingungen übernimmt die Wertpapiersammelbank keine dem Registergericht angenäherte Funktion; insbesondere kommt ihr kein materielles Prüfungsrecht zu (siehe dazu § 21 SchVG Rz. 27). Diese gravierenden Abweichungen im System des schuldverschreibungsrechtlichen Rechtsschutzes von demjenigen des Aktienrechts setzen sich im Freigabeverfahren fort, weshalb der Verweis auf das aktienrechtliche Freigabeverfahren in der Ausformung, die es in § 246a AktG gefunden hat, im SchVG offenkundig mehrerlei Unstimmigkeiten aufweist, die es durch eine modifizierende Lesart aufzulösen gilt.336 So ist die Bestandskraft des angegriffenen Beschlusses mangels Registereintragung an das Ergehen eines Freigabebeschlusses zu knüpfen (Rz. 190 ff.). Der Abwägungsprozess gem. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG ist auf die Spezifika des Anleiherechts auszurichten (Rz. 173 ff.).337

158

Nur mit diesem, auf die Besonderheiten des Anleiherechts ausgerichteten Verständnis kann das Freigabeverfahren seine ihm gesetzlich zugedachte Funktion erfüllen.338 Bislang ist das Freigabeverfahren dieser Aufgabenstellung jedenfalls nicht gerecht geworden (vgl. Rz. 15).

159

3. Modalitäten Mittels des Freigabeverfahrens ist es möglich, die durch § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG angeord- 160 nete Vollzugssperre zu überwinden, bevor eine rechtskräftige Entscheidung des zuständigen Gerichts über die erhobene Anfechtungsklage vorliegt. Das Verfahren wird durch einen Antrag der Schuldnerin eingeleitet. Der Antrag ist auf die Feststellung gerichtet, dass die Erhebung der Anfechtungsklage dem Vollzug des Beschlusses nicht entgegensteht. Der Antrag ist gegen alle Anfechtungskläger zu richten.339 Werden nach Erhebung einer Anfechtungsklage noch weitere Anfechtungsklagen erhoben, ist der Antrag entsprechend zu erweitern.

161

Der Antrag kann nur von der Schuldnerin gestellt werden. Die Beantragung eines Freigabeverfahrens beispielsweise durch andere Gläubiger ist nicht zulässig. Entgegen vereinzelter

162

334 §§ 16 Abs. 2 Satz 1 und 2, 125, 176 Abs. 1, 198 Abs. 2 UmwG, §§ 319 Abs. 5, 327e Abs. 2 AktG; vgl. zur gesetzlich angeordneten Registersperre im Allgemeinen etwa: Preuß in Oetker, 4. Aufl. 2015, § 16 HGB Rz. 9. 335 Angesichts der §§ 21, 381 FamFG kann eine solche bei sämtlichen eintragungspflichtigen Hauptversammlungsbeschlüssen eintreten, bei denen nicht schon eine gesetzlich angeordnete Registersperre eintritt; zu den Einzelheiten s. Hüffer/Schäfer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 243 AktG Rz. 134 f. 336 Dass entsprechende Modifikationen vorzunehmen sind, wird in der Literatur zumeist gesehen, vgl. etwa Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 209 ff.; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 363 ff.; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322); uneinheitlich beurteilt wird hingegen, welche Anpassungen im Einzelnen vorzunehmen sind (vgl. hierzu Rz. 176 ff.). 337 Unklar bleibt insoweit die Position von Schmidtbleicher, der die Einführung des Freigabeverfahrens als systemwidrig kritisiert, allerdings nicht klarstellt, zu welchen Ergebnissen sein vorwiegend rechtspolitischer Ansatz bei der Auslegung des geltenden Rechts führt, vgl. Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 192 ff.; s. hierzu auch die Kritik bei Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 211. 338 Siehe auch Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 209 ff. 339 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 85.

Kiem 499

§ 20 SchVG Rz. 163 Anfechtung von Beschlüssen Stimmen in der Literatur340 folgt das bereits aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG.341 Außerdem entspricht dies auch der typischerweise vorzufindenden Interessenlage: Zumeist wird die Freigabe des jeweiligen Gläubigerbeschlusses ohnehin im Interesse des regelmäßig sanierungsbedürftigen Schuldners liegen.342 Daneben erfordert auch der Gleichlauf mit der aktienrechtlichen Parallelregelung sowie mit der im Hauptsacheverfahren betriebenen Anfechtungsklage diese Einschränkung. Auch das aktienrechtliche Freigabeverfahren erfolgt nur auf Antrag der Aktiengesellschaft.343 Zudem ist dem Schuldner auch im Hauptsacheverfahren die Parteirolle des Beklagten zugewiesen. 163

Erforderlich ist neben der Antragsberechtigung auch die Antragsbefugnis des Schuldners. Diese ist erst dann gegeben, wenn tatsächlich eine Anfechtungsklage erhoben wurde.344 Dies ergibt sich bereits zwanglos aus dem im Wortlaut des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG verankerten Tenor des Freigabebeschlusses. Mit diesem wird festgestellt, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht. Ohne dass eine Anfechtungsklage erhoben ist, kann eine entsprechende Feststellung denknotwendig nicht ergehen. Zudem steht erst mit der Erhebung der Anfechtungsklage fest, welche Beschlussfehler gerügt werden. Erst damit ist dann auch das innerhalb des Freigabeverfahrens zu absolvierende Prüfprogramm klar abgesteckt.

164

Antragsgegner sind sämtliche Anfechtungskläger.345 Dies folgt bereits daraus, dass sich das Freigabeverfahren gegen alle erhobenen Anfechtungsklagen richtet; nur auf diese Weise kann die Vollzugssperre des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG überwunden werden.

165

Erstinstanzlich zuständig für das Freigabeverfahren ist das Oberlandesgericht, welches dem Gericht, das für die Anfechtungsklage zuständig ist, übergeordnet ist. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtslage an das Aktienrecht angeglichen.346 Vor dem Inkrafttreten des Bundesschuldenwesengesetzes lag die erstinstanzliche Zuständigkeit hingegen in Abweichung dazu bei dem für die Anfechtungsklage zuständigen Gericht.347

166

Es handelt sich bei dem Freigabeverfahren um ein besonderes Eilverfahren, mit einem eigenen, von demjenigen des Verfahrens über die Anfechtungsklage zu unterscheidenden Streitgegenstand.348 Das Gericht entscheidet durch Beschluss. Gemäß § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 3 Satz 2 und 3 AktG kann in dringenden Fällen auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden; die vorgebrachten Tatsachen, auf Grund deren der Beschluss ergehen kann, sind glaubhaft zu machen (§ 294 ZPO).

167

Daneben wird auch § 246a Abs. 3 Satz 6 AktG für anwendbar erklärt, wonach der Beschluss spätestens drei Monate nach Antragsstellung ergehen soll und das Gericht Verzögerungen durch unanfechtbaren Beschluss zu begründen hat.349 Insgesamt dienen diese besonderen Verfahrensgrundsätze der zügigen Verfahrensbeendigung und damit der gesetzgeberischen Intention der Neutralisierung des Blockadepotentials missbräuchlicher Anfechtungsklagen. 340 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 218, unter Verweis darauf, dass ein Freigabeverfahren auch bei Mehrheitsbeschlüssen möglich sein müsse, die auf Forderungseintreibung zielten und sich insofern gegen den Anleiheschuldner richteten, weshalb auch Freigabeanträge einzelner Obligationäre anzuerkennen seien. 341 Vgl. zudem Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 84. 342 Dies räumt auch Liebenow ein, vgl. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 218. 343 Vgl. insoweit den ebenso eindeutigen Wortlaut des § 246a Abs. 1 Satz 1 AktG sowie Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 6. 344 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 84. 345 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 85. 346 Vgl. BT-Drucks. 17/9049, 7 sowie § 246a AktG Abs. 1 Satz 3 AktG. 347 Vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 86. 348 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 83. 349 Vogel, ZBB 2010, 221; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 87.

500

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 171 § 20 SchVG

4. Beschlussvoraussetzungen a) Überblick Im Falle eines unzulässigen Antrags des Schuldners sowie bei fehlender Statthaftigkeit des Freigabeverfahrens ergeht ein den Antrag verwerfender Beschluss.350 In allen übrigen Fällen kommt es zu einer Sachentscheidung des zuständigen Oberlandesgerichts.

168

Ein dem Antrag des Schuldners stattgebender Beschluss ergeht gem. § 20 Abs. 3 Satz 4 letz- 169 ter Halbs. SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 AktG (Freigabebeschluss), wenn (i) die Klage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (§ 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG), (ii) der Kläger nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Antrags durch Urkunden nachgewiesen hat, dass er seit Bekanntmachung der Einberufung einen anteiligen Betrag von mindestens 1 000 Euro hält (§ 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG), oder (iii) das alsbaldige Wirksamwerden des Gläubigerbeschlusses vorrangig erscheint, weil die vom Antragsteller dargelegten wesentlichen Nachteile für die Gesellschaft und ihre Anleihegläubiger nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor (§ 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG). b) Die Freigabealternativen im Einzelnen aa) Unzulässigkeit und offensichtliche Unbegründetheit (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG) In entsprechender Anwendung des § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG ergeht ein Freigabebeschluss, wenn die Anfechtungsklage unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Die Zulässigkeit der Anfechtungsklage ist mithin vollumfänglich zu prüfen.351 Demgegenüber ist die Begründetheit der Klage nur einer beschränkten Prüfung zu unterziehen. Mit der herrschenden Meinung zur entsprechenden Regelung im Aktienrecht ist davon auszugehen, dass mit offenkundiger Unbegründetheit auf die Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage abzustellen ist.352 Eine andere Beurteilung der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage muss geradezu abwegig erscheinen.353 Insgesamt kann insoweit der im Aktienrecht erreichte Erkenntnisstand zugrunde gelegt werden.354

170

bb) Kein das Mindestquorum übersteigender Anleihebestand (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG) Des Weiteren ergeht ein Freigabebeschluss dann, wenn der Anfechtungskläger nicht das erforderliche Mindestquorum erreicht. Der Verweis auf den „anteiligen Betrag von mindestens 1 000 Euro“ in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG meint in diesem Zusammenhang das Hal-

350 Vgl. zur fehlenden Statthaftigkeit etwa den vielfach kritisierten Beschluss des damals noch in der zweiten Instanz zuständigen OLG Frankfurt im Fall Pfleiderer: OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, AG 2012, 373 = NZG 2012, 593, in dem mangels Anwendbarkeit des SchVGs die Statthaftigkeit des Freigabeverfahrens abgelehnt wurde; zur inhaltlichen Frage der Auslegung des § 24 Abs. 2 SchVG siehe bereits Rz. 36. 351 Vgl. Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 15. 352 Vgl. zu den Anforderungen im Einzelnen etwa OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – I-16 W 63/03, AG 2004, 207; OLG Frankfurt v. 13.3.2008 – 5 W 4/08, AG 2008, 667 (670); OLG Hamburg v. 14.6.2012 – 11/AktG 1/12 – PROCON Multimedia AG, AG 2012, 639 (640); Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 16 m.w.N. 353 Vgl. OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2122) = AG 2015, 873. 354 Vgl. statt aller Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 15 ff.

Kiem 501

171

§ 20 SchVG Rz. 172 Anfechtung von Beschlüssen ten von Schuldverschreibungen in einem Nominalbetrag von mindestens 1 000 Euro.355 Der Anfechtungskläger muss die Schuldverschreibungen seit Bekanntmachung der Einberufung der Gläubigerversammlung bzw. der Aufforderung zur Stimmabgabe halten.356 Schließlich muss der Anfechtungskläger binnen einer Woche seit Zustellung des Antrags seinen Bestand an Schuldverschreibungen urkundlich nachweisen. 172

Angesichts der gebräuchlichen Mindeststückelung von 1 000 Euro scheint diese Freigabealternative faktisch ohne Anwendungsbereich.357 Indessen zeigen sich in der Praxis erstaunlich häufig Schwierigkeiten beim fristgerechten Nachweis des gehaltenen Anleihebestandes.358 Insoweit gilt hier nichts anderes als beim aktien- bzw. umwandlungsrechtlichen Freigabeverfahren.359 Das mag erstaunen, da der Anfechtungskläger von einem Freigabeantrag kaum überrascht sein dürfte. Jedenfalls gilt, dass der Anleihebestand innerhalb der Wochenfrist urkundlich nachgewiesen sein muss. Die Vorlage eines Depotauszugs ist ausreichend, aber auch erforderlich.360 Er muss überdies den inhaltlichen Anforderungen des § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG genügen.361 Das Nachweiserfordernis gilt nach zutreffender Ansicht auch, wenn der Anleihebestand unstreitig ist.362 cc) Freie Interessenabwägung des Gerichts (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG)

173

Schließlich ergeht ein Freigabebeschluss, wenn das Gericht in freier Abwägung zum Ergebnis gelangt, dass das Vollzugsinteresse des Schuldners überwiegt, weil die vom Schuldner dargelegten wesentlichen Nachteile nach freier Überzeugung des Gerichts die Nachteile für den Antragsgegner überwiegen, es sei denn, es liegt eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor.

174

Damit ist der wichtigste Anwendungsfall des Freigabeverfahrens sowohl im SchVG als auch bei der als Blaupause dienenden aktienrechtlichen Regelung in § 246a Abs. 2 AktG angesprochen. Indessen ist der Verweis auf die aktienrechtliche Regelung nicht unproblematisch, weil sich dort die Interessenabwägung vor dem Hintergrund einer gänzlich anderen Ausgangslage vollzieht.363 So wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit eines Gläubigerbeschlusses der beschlussbedingte Nachteil des Anfechtungsgläubigers unmittelbar der Vorteil des Schuldners sei, was nicht der Situation der akti-

355 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 62; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 90. 356 Auch insoweit kommt es auf den Zeitpunkt der erstmaligen Bekanntmachung der Tagesordnung an, vgl. bereits Rz. 112, ausführlich hierzu OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2118 ff.) = AG 2015, 873. 357 So auch die Einschätzung von Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 90. 358 Siehe beispw. OLG Bamberg v. 20.3.2013 – 3 AktG 1/13, BeckRS 2014, 03422 sowie OLG Karlsruhe v. 30.9.2015 – 7 AktG 1/15 – Ekotechnika, ZIP 2015, 2116 (2118 f.) = AG 2015, 873. 359 Vgl. etwa: OLG Hamm v. 6.7.2011 – 8 AktG 2/11, NZG 2011, 1031; OLG Nürnberg v. 25.7.2012 – 12 AktG 778/12, AG 2012, 758. 360 OLG Bamberg v. 20.3.2013 – 3 AktG 1/13, BeckRS 2014, 03422; zum Ausreichen einer Depotbescheinigung im Rahmen des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens ferner OLG Nürnberg v. 25.7.2012 – 12 AktG 778/12, AG 2012, 758, 761; Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 20c. 361 OLG Bamberg v. 20.3.2013 – 3 AktG 1/13, BeckRS 2014, 03422. 362 OLG Bamberg v. 20.3.2013 – 3 AktG 1/13, BeckRS 2014, 03422; Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 20e m.w.N. 363 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 91; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322); Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (60); berechtigte Kritik bei Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 62a.

502

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 178 § 20 SchVG

enrechtlichen Anfechtungsklage entspreche.364 Dem lässt sich für den in der Praxis häufig gegebenen Fall der Änderung der Anleihebedingungen zu Sanierungszwecken bei schematischer Betrachtung nicht widersprechen. Indessen dürfte bei zutreffender Sicht der Dinge vielmehr auf das Gelingen der Sanierung des Schuldners als auf die zu diesem Zweck erfolgte Veränderung der wirtschaftlichen Bedingungen der Anleihe abzustellen sein. Dann kann aber der angefochtene Beschluss sowohl für den Schuldner als auch die Gläubiger Vorteile aufweisen. Vor dem Hintergrund der geschilderten Probleme besteht im Schrifttum weitgehend Einigkeit, dass die Interessenabwägung innerhalb des Freigabeverfahrens an die Besonderheiten des Anleiherechts anzupassen ist. Indessen hat sich hinsichtlich dieser Besonderheiten noch kein gefestigtes Meinungsbild herausgeschält. So ist bereits umstritten, welche Interessen überhaupt in die Abwägung einzubeziehen sind. Ferner ist streitig, nach welchen Kriterien sich die Interessenabwägung vollziehen soll. Schließlich besteht kein Konsens darüber, was einen schweren Rechtsverstoß darstellt.

175

(1) Zu berücksichtigende Interessen der Beteiligten Es fragt sich zunächst, welche Interessen welcher Beteiligten gegeneinander abzuwägen sind. Dabei kommt in Betracht, die Interessen des Anfechtungsklägers entweder gegen die des Schuldners oder wahlweise gegen die der beschlusstragenden Anleihegläubigermehrheit oder der Gesamtheit der Anleihegläubiger abzuwägen. Denkbar ist auch, bei der Abwägung anstatt auf die Interessen des Anfechtungsklägers auf diejenigen aller dissentierenden Anleihegläubiger abzustellen. In der Tat werden in unterschiedlichen Facetten alle diese Positionen im Schrifttum vertreten. Richtigerweise sind die durch den Nichtvollzug des angefochtenen Beschlusses beim Schuldner eintretenden Nachteile (und das daraus resultierende Vollzugsinteresse) einerseits und die dem Anfechtungskläger aus dem Vollzug des Beschlusses erwachsenden Nachteile (und das damit korrespondierende Aufschubinteresse) andererseits gegeneinander abzuwägen.

176

So vermag es nicht zu überzeugen, Nachteile des Schuldners bei der Interessenabwägung gänzlich unberücksichtigt zu lassen und stattdessen nur das Vollzugsinteresse der Gesamtheit der Anleihegläubiger zu berücksichtigen.365 Hierfür wird vor allem angeführt, dass nicht einzusehen sei, warum sich die Anleihegläubiger überhaupt um die Interessen des Schuldners zu kümmern hätten.366 So sehr dieser Einwand rechtspolitisch Anerkennung verdienen mag, auf dem Boden des geltenden Rechts verkennt er die klare Rollenzuweisung in § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG. Die aktienrechtliche Norm spricht eindeutig von einer Berücksichtigung der Interessen der Gesellschaft. Die Gesellschaft entspricht im Schuldverschreibungsrecht letztlich dem Schuldner. Ferner ist die Gesellschaft ebenso wie der Schuldner Antragstellerin im Freigabeverfahren. Schließlich ist der Schuldner durch den gefassten Beschluss in seiner Rechtsstellung tangiert, wenn auch nicht unmittelbar an seiner Fassung selbst beteiligt.367

177

Richtigerweise ist bei der Interessenabwägung auch nicht auf das Gesamtinteresse der bei der Beschlussfassung unterlegenen Anleihegläubigerminderheit abzustellen. Hierfür ließe

178

364 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 91; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 62a. 365 So aber Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 212 f.; kritisch zur Berücksichtigung der Belange des Schuldners bereits Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 192 ff. 366 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 212. 367 Für eine Einbeziehung der Interessen des Schuldners sprechen sich etwa aus: Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 33; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 56, und Friedl in Friedl/HartwigJacob, § 20 SchVG Rz. 92.

Kiem 503

§ 20 SchVG Rz. 179 Anfechtung von Beschlüssen sich einwenden, der wirtschaftliche Nachteil des Anfechtungsklägers entspreche angesichts der gleichen Ausgangslage derjenigen der anderen Anleihegläubiger, und im Grunde gehe es um deren Kompensation. Nach der eindeutigen gesetzlichen Wertung des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG sollten indessen bei der Interessenabwägung etwaige Nachteile der anderen, bei der Beschlussfassung unterlegenen Aktionäre gerade außer Betracht bleiben.368 An dieser Wertung ist auch im SchVG festzuhalten. Das mitunter durchscheinende Argument, der Schuldner nehme nur stellvertretend für die nicht rechtsfähige Gruppe der Anleihegläubiger eine Parteirolle im Anfechtungsprozess ein,369 gebietet keine andere Bewertung: Das entspricht exakt der Situation bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, bei der die Gesellschaft statt der beschlusstragenden Hauptversammlungsmehrheit in die Rolle der Beklagten tritt. 179

Gänzlich außer Betracht zu bleiben haben ferner die Interessen von anderen Gläubigern des Schuldners, also solchen, die nicht Gläubiger der betroffenen Anleihe sind.370

180

Ausweislich des eindeutigen Wortlauts des in Bezug genommenen § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG sind hingegen auf der Seite der für die Freigabe streitenden Interessen diejenigen der übrigen Anleihegläubiger zu beachten. Die in der aktienrechtlichen Regelung ausdrücklich benannten Aktionäre entsprechen im SchVG den Anleihegläubigern. Letztere sind ebenso wie die Aktionäre an der Beschlussfassung beteiligt und durch den Beschlussaufschub möglicherweise nachteilig in ihren Interessen berührt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der alsbaldige Vollzug des Gläubigerbeschlusses erforderlich ist, um eine Insolvenz des Schuldners abzuwenden.371

180a

Damit verbleibt es bei einer freien Abwägung der Interessen des Anleiheschuldners und der (übrigen) Anleihegläubiger an dem alsbaldigen Vollzug des Beschlusses einerseits gegen diejenigen des Anfechtungsklägers an der Aussetzung des Vollzuges andererseits. Die Interessen der dissentierenden Anleihegläubigerminderheit sowie von Drittgläubigern sind demgegenüber nicht in die Abwägung mit einzubeziehen. (2) Abwägungsgegenstand und Prüfungsmaßstab

181

Steht damit fest, welche Interessen bei der Abwägung zu berücksichtigen sind, ist zu klären, nach welchen Kriterien sich die Abwägung zu vollziehen hat. Teilweise wird angenommen, eine Freigabe könne nicht erfolgen, wenn eine substantielle Änderung der Gläubigerposition in Rede stehe. Nur dann, wenn der Beschluss zur Insolvenzabwendung notwendig, geeignet und ausreichend sei, könne dennoch ein Freigabebeschluss ergehen.372 Für eine solche Beschränkung der Freigabe fehlt jeglicher Anhalt im Gesetz. Vielmehr hat das Gericht die Interessen von Schuldner und Anfechtungskläger frei gegeneinander abzuwägen. (3) Regelmäßig kein anerkennungswürdiges Aufschubinteresse

182

Insofern hat das Gericht das Aufschubinteresse des Anfechtungsklägers zu ermitteln. Dabei springt ein Aspekt ins Auge, der die im Schuldverschreibungsrecht anzustellende Interes368 RegBegr. BT-Drucks. 16/13098; Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 21. 369 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 92. 370 Vgl. OLG Köln v. 13.1.2014 – 18 U 174/13 – Solarworld, ZIP 2014, 268 (269); Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 93. 371 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 93; Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322). 372 So Maier-Reimer, NJW 2010, 1317 (1322); dem folgend Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 93; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 365; ähnlich Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 39 (60) (bei in Rechte der Gläubiger eingreifenden Beschlüssen ist Abwendung der Insolvenz allein maßgebliches Kriterium).

504

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 186 § 20 SchVG

senabwägung von vornherein in eine gänzlich andere Richtung lenkt als das aktienrechtliche Freigabeverfahren. Denn hier geht es ausschließlich um wirtschaftliche Nachteile. Darauf gründet zwar auch im aktienrechtlichen Freigabeverfahren regelmäßig die Antragstellerin die ihr entstehenden, quantifizierbaren Nachteile. Indessen können dort auch unternehmerische Aspekte zum Tragen kommen. Diese finden bei der Interessenabwägung Berücksichtigung, soweit sie (auch) wirtschaftliche Auswirkungen haben. Demgegenüber betrifft der Streit zwischen Schuldner und Anleihegläubiger von vornherein eine quantifizierbare Geldforderung. Noch gewichtiger ist hingegen der Aspekt, dass der dem Anfechtungskläger durch den Vollzug des angefochtenen Beschlusses entstehende Nachteil ausschließlich wirtschaftlicher Natur ist. Ihm droht eine möglicherweise rechtswidrige Vermögenseinbuße, nie aber ein irreversibler Eingriff in seine Mitgliedschaftsstellung. Da der Schuldner dem Anfechtungskläger aber ohnehin zum Ersatz des ihm entstandenen Schadens verpflichtet ist, wenn die Anfechtungsklage Erfolg hat und der Beschluss aufgrund der Freigabe bereits vollzogen wurde, kann diesem wirtschaftlichen Nachteil dieses einzelnen Gläubigers bei der Interessenabwägung keine Bedeutung beigemessen werden: Dieser Nachteil wird ohnehin kompensiert; wegen ihm braucht der Vollzug des Beschlusses nicht aufgehalten zu werden.373

183

Anders wäre nur zu entscheiden, wenn nicht allein auf das Interesse des Anfechtungsklägers, sondern auch auf das der unterlegenen Anleihegläubigerminderheit abzustellen wäre. Das entspricht indessen nicht den Vorgaben des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG, die auch nicht mit etwaigen systematischen Überlegungen ausgeblendet werden können (siehe Rz. 178).374

184

Daraus folgt, dass bei einem feststellbaren Vollzugsinteresse der Anleiheschuldnerin oder der übrigen Anleihegläubiger regelmäßig ein Freigabebeschluss zu ergehen hat. Das Aussetzungsinteresse des Anfechtungsklägers wird hingegen durch seine Kompensationsfähigkeit im Falle eines erfolgreichen Anfechtungsverfahrens so sehr geschmälert, dass es durch ein Vollzugsinteresse in aller Regel überwogen wird. Dies gilt jedenfalls für Änderungen der wirtschaftlichen Bedingungen der Anleihe. Etwas anderes kann sich allenfalls in Fällen ergeben, in denen etwa die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters in Rede steht und demgemäß die Interessen des Schuldners letztlich in keiner Weise tangiert werden.

185

(4) Besondere Schwere des Rechtsverstoßes Schließlich kann ein Freigabebeschluss nur ergehen, wenn der geltend gemachte Rechtsverstoß keine besondere Schwere aufweist. Anders als bei der aktienrechtlichen Parallelregelung ist für die Freigaberegelung im SchVG weitgehend ungeklärt, wann von einem besonders schweren Rechtsverstoß auszugehen ist.375 Teilweise wird vorrangig rechtspolitische Kritik an der gesetzlichen Verankerung des Merkmals geübt und konstatiert, dass das Merkmal des schweren Rechtsverstoßes für Gläubigerbeschlüsse unpassend sei.376 Andere Autoren schlagen hingegen eine Präzisierung des Merkmals unter Heranziehung aktienrechtlicher Grundsätze

373 Auch im Aktienrecht wird die Tatsache, dass der Nachteil des die Verletzung von Individualinteressen rügenden Aktionärs sich durch Schadensersatz kompensieren lässt als Aspekt genannt, der gegen ein überwiegendes Aussetzungsinteresse spricht; anderes soll hingegen gelten, wenn Nachteile zu Lasten aller Aktionäre im Raum stehen, vgl. Fuhrmann/Linnerz ZIP 2004, 2306 (2309). 374 Gegen eine Einbeziehung der Interessen der Anleihegläubigergesamtheit auf Basis des geltenden Rechts etwa auch Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 214, der den Verweis auf § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG jedoch für konzeptionell verfehlt hält. 375 Vgl. etwa Florstedt, ZIP 2014, 1513 (1516); kritisch zur Gesetzesformulierung auch Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 93 (ob sich unbestimmte Gesetzesformulierung brauchbar anwenden lässt, bleibt abzuwarten). 376 Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 193.

Kiem 505

186

§ 20 SchVG Rz. 187 Anfechtung von Beschlüssen vor.377 Insbesondere gezielte und besonders grobe Verstöße seien mithilfe des Merkmals zu erfassen.378 Insgesamt dürfe das Merkmal nicht zu eng ausgelegt werden, um das Freigabeverfahren, welches eine starke Freigabetendenz aufweise, auszubalancieren.379 Andere Literaturstimmen verweisen demgegenüber darauf, dass eine sanierungsfreundliche Handhabe des Freigabeverfahrens angezeigt sei,380 was im Hinblick auf das Merkmal des schweren Rechtsverstoßes für eine möglichst enge Auslegung spreche. Angesichts der Tatsache, dass, wie gezeigt, auf der ersten Prüfungsstufe in aller Regel das Vollzugsinteresse des Anleiheschuldners überwiegen wird, kommt der zweiten Prüfungsstufe unbestreitbar eine besonders hohe Relevanz zu, weshalb eine konkretisierende Auslegung unabdingbar erscheint. 187

Die Anforderungen für die Annahme eines schweren Rechtsverstoßes sind bei der aktienrechtlichen Parallelvorschrift außerordentlich hoch. Abzustellen ist dort zum einen auf die Bedeutung der verletzten Norm und auf das Ausmaß der jeweiligen Rechtsverletzung.381 Der Verstoß muss so krass rechtswidrig sein, dass die Durchführung des Beschlusses geradezu unerträglich wäre.382 Für die Übertragung dieser Auslegung spricht, dass im Schuldverschreibungsrecht besonders häufig Eile bei der Umsetzung beschlossener Maßnahmen zur Sanierung des Schuldners geboten ist.383 Für einen engen Anwendungsbereich des Ausschlussgrundes streitet daneben die bereits erläuterte regelmäßig bestehende Kompensationsfähigkeit der dem Anfechtungskläger entstehenden Nachteile.384

188

Gleichwohl fragt sich, ob im anleiherechtlichen Freigabeverfahren nicht ein milderer Maßstab anzulegen ist. Hierfür spricht, dass – wie aufgezeigt – die Interessenabwägung auf der ersten Stufe ganz regelmäßig zugunsten einer Freigabeentscheidung ausfällt. Auch wenn dies im Einklang mit einer Betonung des auf einen Wertausgleich ausgerichteten Rechtsschutzsystems steht, stellt sich die Frage nach der verbleibenden Effektivität des Rechtsschutzes. Um diese zu gewährleisten ist – vor dem Hintergrund der Restriktionen auf der ersten Stufe – ein milderer Maßstab für den Begriff des schweren Rechtsverstoßes angezeigt. Ausgehend vom Wortlaut genügt danach ein schwerwiegender Fehler. Eine krasse Rechtswidrigkeit und ein geradezu unerträgliches Resultat der Beschlussdurchführung sind hingegen nicht notwendig.

189

Zur Beurteilung, ob ein schwerwiegender Fehler vorliegt, sind entsprechend der anerkannten Grundsätze des Aktienrechts sowohl die Bedeutung der Norm als auch das Ausmaß der Rechtsverletzung zu berücksichtigen. Auch die Grundgedanken der Relevanztheorie (vgl. Rz. 52 f.) können herangezogen werden. Somit kommen Sinn und Zweck der verletzten Norm entscheidende Bedeutung zu. Ein weiteres Kriterium kann daneben die Offensichtlichkeit des jeweiligen Fehlers darstellen. Insgesamt bleibt der schwerwiegende Rechtsverstoß damit ein Tatbestandsmerkmal, welches dem Einzelfall sehr stark verhaftet ist und einer verallgemeinernden Auslegung nur beschränkt zugänglich ist. 377 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 216; in diese Richtung wohl auch Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 273 f. 378 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 216. 379 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 216 f. 380 Vgl. Paulus, BB 2012, 1556 (1558). 381 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/11642, 41. 382 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/11642, 41; Hüffer/Koch, § 246a AktG Rz. 22. 383 Vgl. zu dem besonderen in Restrukturierungssituationen herrschenden Zeitdruck etwa Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 372; zu der Erforderlichkeit einer Beschränkung des Rechtsschutzes angesichts des im Sanierungsverfahren herrschenden Zeitdrucks ferner etwa auch Paulus, BB 2012, 1556 (1558), der angesichts der Problematik noch weitergehende rechtspolitische Erwägungen anstellt; anders indessen Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 216 f. 384 Vgl. zu dem im Aktienrecht angenommenen Ausschluss der besonderen Schwere des Rechtsverstoß bei bestehenden Kompensationsmöglichkeiten Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246a AktG Rz. 9.

506

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 192 § 20 SchVG

5. Rechtsfolgen des Freigabebeschlusses (§ 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 4 AktG) a) Bestandskraft und Unanfechtbarkeit Im Falle eines stattgebenden Beschlusses wird die Vollzugssperre des § 20 Abs. 3 Satz 4 190 SchVG überwunden. Daneben ist insbesondere der Verweis des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG auf § 246a Abs. 4 SchVG zu beachten. Hiernach tritt eine bestandssichernde Wirkung eines Freigabebeschlusses ein.385 Die jeweilige Änderung der Anleihebedingungen bleibt mithin auch dann wirksam, wenn der jeweilige zugrunde liegende Gläubigerbeschluss später mittels des Anfechtungsurteils für nichtig erklärt wird.386 aa) Unterschiede zum Aktienrecht Abgesehen von dieser weitläufig anerkannten bestandssichernden Wirkung kommt es hinsichtlich der konkreten Rechtsfolgen eines ergehenden Freigabebeschlusses zu einigen Unklarheiten. Das hat seinen Grund in dem bloßen Verweis auf das hinsichtlich der Wirkungen der Erhebung einer Anfechtungsklage abweichende Aktienrecht.387 Dort führt das Freigabeverfahren zur Überwindung der Registersperre. Der in Rede stehende Beschluss bzw. die beschlossene Strukturmaßnahme wird in das Handelsregister eingetragen. Die Wirkungen der Eintragung bleiben auch bei später erfolgreicher Anfechtungsklage bestehen (vgl. § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG). Im Falle der späteren Beschlusskassation durch eine erfolgreiche Anfechtungsklage bleibt es mithin bei der Wirksamkeit der in das Handelsregister eingetragenen Maßnahme. Demgegenüber werden Beschlüsse der Anleihegläubiger nicht in das Handelsregister eingetragen. Es existiert demnach als Bezugspunkt der Bestandskraft an sich nur der Beschluss der Gläubigerversammlung selbst und kein davon zu trennender, separater Rechtsakt wie die Handelsregistereintragung.

191

bb) Prozessuale Auswirkungen des Freigabebeschlusses, Gegenstand der Bestandssicherung Käme dem Gläubigerbeschluss selbst Bestandskraft zu, so könnte er nicht durch ein späteres 192 stattgebendes Anfechtungsurteil kassiert werden. Gleichwohl wird im Falle eines stattgebenden Anfechtungsurteils von einer Nichtigerklärung des jeweiligen Beschlusses ausgegangen.388 Der Freigabebeschluss führt dementsprechend nicht zur Erledigung der Hauptsache.389 Das Hauptsacheverfahren wird vielmehr so fortgesetzt, als ob kein Freigabeverfahren stattgefunden hätte. Die Tenorierung des Anfechtungsurteils wird demgemäß nicht durch das Freigabeverfahren berührt.390 Hierfür spricht insbesondere, dass § 246a Abs. 4 Satz 1 AktG, auf den § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG verweist, die Begründetheit der Anfechtungsklage für den Schadensersatzanspruch voraussetzt. Dies erscheint insbesondere auch deshalb folgerichtig, weil 385 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 59; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 64; vgl. auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 88; Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 207. 386 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 64; Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 59; vgl. auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 88; Baums, ZBB 2009, 1 (5) geht hingegen davon aus, dass kein Bestandsschutz eingreift. 387 Kritisch zu der Verweisung daher insbesondere Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, S. 411; gänzlich eine bestandssichernde Wirkung bezweifelnd Baums, ZBB 2009, 1 (5). 388 Vgl. etwa Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 88; so wohl auch Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 59. 389 Vgl. zur Lage im AktG etwa Dörr in Spindler/Stilz, § 246a AktG Rz. 40; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246a AktG Rz. 63. 390 Vgl. zur Parallelsituation im AktG Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246a AktG Rz. 63.

Kiem 507

§ 20 SchVG Rz. 193 Anfechtung von Beschlüssen sich auch im Aktienrecht ein Freigabebeschluss nicht auf das Hauptsacheverfahren auswirkt.391 Hieraus folgt jedoch zugleich, dass nicht etwa der Gläubigerbeschluss selbst durch das Freigabeverfahren bestandskräftig wird,392 sondern lediglich die auf seiner Basis vorgenommenen Vollzugsmaßnahmen, insbesondere also die Änderung der Anleihebedingungen.393 Gesetzliche Grundlage der Anordnung der Bestandskraft ist der Verweis des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG auf § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG, nach dem Mängel des Beschlusses seine Durchführung unberührt lassen. Aus eben dieser Bestandskraft ist ferner zu schließen, dass auch zukünftige Vollzugsmaßnahmen erfolgen dürfen.394 cc) Unanfechtbarkeit des Freigabebeschlusses 193

Gegen den Freigabebeschluss sind keine Rechtsmittel möglich; er ist unanfechtbar.395 Hierdurch soll verhindert werden, dass etwaige Sanierungen unnötig verzögert werden.396 b) Schadensersatzanspruch

194

Dringt der Anfechtungskläger mit seiner Anfechtungsklage durch und war zuvor ein Freigabebeschluss ergangen, kann er lediglich Schadensersatz in Geld verlangen; die Naturalrestitution durch Rückgängigmachung der Wirkungen der Beschlussausführung wird hingegen explizit ausgeschlossen.

195

Voraussetzung des Schadensersatzanspruchs nach § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 4 AktG ist zunächst der Erfolg des Anfechtungsklägers im Hauptsacheverfahren. Ein Verschulden des Schuldners ist hingegen nicht erforderlich.397

196

Anspruchsgegner des Schadensersatzanspruchs ist der Anleiheschuldner. Das entspricht seiner Rolle im Anfechtungsprozess. Diese Zuordnung ist auch interessengerecht, schließlich resultiert für ihn aus der Vollziehung des Gläubigerbeschlusses regelmäßig auch ein ungerechtfertigter finanzieller Vorteil.398

197

Ersatzfähig sind diejenigen Vermögensnachteile des Anfechtungsklägers, die adäquat kausal auf der Vollziehung des Beschlusses beruhen.399 Zur Bestimmung der genauen Schadenshöhe ist auf das allgemeine Schadensrecht zurückzugreifen. So kann zum einen gem. § 287 ZPO im gerichtlichen Verfahren eine Schadensschätzung vorgenommen werden.400 Zum anderen ist unter Anwendung der allgemeinen Differenzhypothese die nunmehr eingetretene

391 Vgl. nur Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246a AktG Rz. 63. 392 In diese Richtung aber wohl Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 207, der von einem Ausschluss der Beschlusskassation ausgeht. 393 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 64; Leber, Schutz und Organisation der Obligationäre, S. 194. 394 Vogel in Preuße, § 20 SchVG Rz. 59. 395 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 95; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 20 SchVG Rz. 63a; Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 32. 396 BT-Drucks. 17/9049, 9. 397 Schönhaar, Wahrnehmung der Gläubigerrechte, S. 275. 398 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 220, der insbesondere klarstellt, dass die Obligationärsgemeinschaft mangels Rechtsfähigkeit nicht als Anspruchsgegnerin in Betracht kommt. 399 Wasmann/Steber in Veranneman, § 20 SchVG Rz. 34; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 366. 400 Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 221 f.

508

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 200 § 20 SchVG

finanzielle Situation des Anfechtungsklägers mit der hypothetischen Situation ohne das schädigende Ereignis zu vergleichen.401 Zu berücksichtigen sind demgemäß auch hypothetische Kausalverläufe.402 So erscheint etwa denkbar, dass ohne den Vollzug des mangelbehafteten Beschlusses ein anderer Gläubigerbeschluss gefasst worden wäre. Hinsichtlich eines derartigen, ohne den gefassten Beschluss getroffenen Alternativbeschlusses ist der Schuldner als Anspruchsgegner beweisbelastet.403 Seine Darlegungslast wird jedoch durch § 287 ZPO gemindert.404 Demgemäß genügt es, wenn er Tatsachen darlegt, die für eine Beurteilung nach § 287 ZPO ausreichend greifbare Anhaltspunkte bieten. Die genaue Schadenssumme schätzt sodann das Gericht in jedem konkreten Einzelfall.

198

Als ersatzfähiger Schaden kommen insbesondere Vermögenseinbußen in Betracht, die dem 199 Anfechtungskläger infolge eines rechtswidrigen, die Anleihebedingungen ändernden Gläubigerbeschlusses entstanden sind.405 Das betrifft im Wesentlichen eine Abänderung der wirtschaftlichen Konditionen der Anleihebedingungen, zu der es nicht gekommen wäre, wenn der angefochtene Gläubigerbeschluss nicht aufgrund des ergangenen Freigabebeschlusses vollzogen worden wäre. Ferner – aber wirtschaftlich wohl eher von untergeordneter Bedeutung – kommen als weitere Schadensposten persönliche, adäquat-kausal auf dem rechtswidrigen Gläubigerbeschluss beruhende sonstige Vermögenseinbußen des Anfechtungsklägers in Betracht, wie etwa die aufgewandten Prozesskosten und sonstige mit dem Anfechtungsprozess im Zusammenhang stehende Aufwendungen.406 c) Darüber hinausgehende Kompensation aller Anleihegläubiger? Von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung sind mithin diejenigen Vermögenseinbußen, die unmittelbar auf die rechtswidrige Änderung der Anleihebedingungen zurückgehen und nicht nur bei dem Anfechtungskläger persönlich eintreten, sondern bei wirtschaftlicher Betrachtung letztlich alle Gläubiger gleichermaßen berühren. Betrifft die beschlossene, auf einem rechtswidrigen Gläubigerbeschluss beruhende Änderung der Anleihebedingungen – wie häufig – die wirtschaftlichen Konditionen der Anleihe (Nominalbetrag, Zinssatz, Fällig401 Vgl. zu diesem Prinzip des allgemeinen Schadensrechts, der Differenzhypothese, etwa: Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 10. 402 So auch Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 222; vgl. allgemein zur hypothetischen Kausalität insbesondere Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 55 ff. 403 Vgl. zu dieser im allgemeinen Schuldrecht anerkannten Beweislastverteilung etwa: Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 59; diese Beweislastverteilung verkennt hingegen Liebenow, wenn er annimmt, die Anleihegläubiger seien nur dann so zu stellen, wie sie ohne jegliche Änderung der Anleihebedingungen gestanden hätten, wenn sie den angefochtenen Mehrheitsbeschluss ohne die Rechtsverletzung mutmaßlich gar nicht gefasst hätten, beziehungsweise sofern sie mutmaßlich einen Beschluss anderen Inhalts gefasst hätten, sei die sich hieraus ergebende hypothetische Vermögenslage maßgeblich, vgl. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 222. Die Annahme einer schadensmindernden Reserveursache ist demgegenüber eine beweisbedürftige Ausnahme von der Regel, weshalb ein bloß mutmaßlich alternativ gefasster Beschluss gerade nicht ausreicht, um als Vergleichsmaßstab nicht die ohne den tatsächlich gefassten Beschluss bestehende Vermögenslage heran zu ziehen. 404 Vgl. zu dieser Möglichkeit Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 59. 405 Anders als im Aktienrecht, wo die Nachweisbarkeit eines ersatzfähigen Schadens häufig eine schwerlich zu überwindende Hürde darstellt (vgl. etwa Spindler, NZG 2005, 825 [830] m.w.N.) wird sich etwa ein aus einem zu weitgehenden Kapitalschnitt folgender wirtschaftlicher Nachteil sowohl beziffern als auch nachweisen lassen, schließlich resultiert aus derartigen Änderungen der Anleihebedingungen ein unmittelbarer wirtschaftlicher Nachteil (vgl. dazu auch Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 219). 406 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 366.

Kiem 509

200

§ 20 SchVG Rz. 201 Anfechtung von Beschlüssen keit etc.), so wird der Anfechtungskläger durch den Schadensersatzanspruch gem. § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 4 AktG im Ergebnis wirtschaftlich so gestellt, als habe die Änderung der Anleihebedingungen nicht stattgefunden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob nicht der Schuldner aufgrund des ihn bindenden Gleichbehandlungsgrundsatzes verpflichtet ist, den finanziellen Ausgleich in diesen Sachverhaltskonstellationen allen Gläubigern zu gewähren. 201

Gegen die Anerkennung eines solchen Anspruchs könnte angeführt werden, dass eine vergleichbare Kompensation der gleichermaßen von einem Anfechtungsurteil betroffenen Aktionäre auch im Aktienrecht nicht stattfindet.407 Auch ließe sich ins Feld führen, dass im Schuldverschreibungsrecht kein universelles Gleichbehandlungsgebot existiert.408 Das in § 4 SchVG verankerte Gleichbehandlungsgebot bezieht sich vielmehr allein auf eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Anleihebedingungen.409 Schließlich ließe sich anführen, dass die Anerkennung einer Kompensationsverpflichtung zugunsten aller betroffenen Anleihegläubiger die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners überstrapazieren könnte.410

202

Dennoch sprechen die besseren Argumente dafür, eine solche, auf den Grundsatz der kollektiven Bindung gestützte Verpflichtung des Schuldners zur wertmäßigen Kompensation der anderen Anleihegläubiger anzuerkennen.411 Zunächst ist zu konstatieren, dass die wertmäßige Kompensation sämtlicher Anleihegläubiger im Hinblick auf die erlittene rechtswidrige Vermögenseinbuße nichts anderes als die Kehrseite des vorzeitigen Vollzugs der Änderung der Anleihebedingungen darstellt. Gerade vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Kompensationsfähigkeit solcher Vermögenseinbußen ist Freigabeanträgen unter erleichterten Bedingungen stattzugeben (vgl. Rz. 173 ff.). Ohne eine entsprechende Freigabe würde der angefochtene Beschluss zunächst nicht vollzogen und bei einem stattgebenden Anfechtungsurteil schließlich mit Wirkung für alle Gläubiger kassiert werden. Jeder Gläubiger würde in diesem Fall davon profitieren, dass die Anleihebedingungen nicht wie durch den angefochtenen Beschluss intendiert geändert würden, sondern es bei ihrer Ausgangsfassung bliebe. Ergeht hingegen ein Freigabebeschluss, führt dies zur bestandskräftigen Umsetzung der durch den Beschluss vorgegebenen Änderung der Anleihebedingungen. Das kann bei der Frage der Anerkennung eines finanziellen Ausgleichs zugunsten sämtlicher betroffener Anleihegläubiger nicht ausgeblendet werden.

203

Die aufgrund des Schadensersatzanspruchs dem Anfechtungskläger zustehende finanzielle Kompensation für im Zusammenhang mit der Änderung der Anleihebedingungen erlittene Vermögenseinbußen bedeutet unbestreitbar eine Bevorzugung gegenüber den anderen Anleihegläubigern, die keinen finanziellen Ausgleich vom Schuldner erhalten. Sie führt damit zu einer gegen den Grundsatz der kollektiven Bindung verstoßenden Ungleichbehandlung. Bei wirtschaftlicher Betrachtung wird durch die Leistung der finanziellen Kompen407 Gläubiger des Schadensersatzanspruchs ist auch im Aktienrecht nur der Anfechtungskläger, der „um der Legalitätskontrolle der Hauptversammlung willen die Kosten und Mühen der Prozessführung auf sich genommen hat“; der Schadensersatzanspruch ist danach „Lohn des erfolgreichen Kampfes“, vgl. Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246a AktG Rz. 58. 408 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 31. 409 Vgl. insoweit bereits den Wortlaut von § 4 Satz 1 SchVG, auf dessen sachlichen Anwendungsbereich sich angesichts der Wendung „insoweit“ auch § 4 Satz 2 SchVG bezieht. 410 Vgl. etwa Vogel in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39 (43 f.), der sich deshalb skeptisch gegenüber einem auf einer wertmäßigen Kompensation fußenden Rechtsschutzkonzept de lege ferenda äußert (Sanierungsmaßnahme würde schlicht zu teuer). 411 Siehe zu vergleichbaren Vorschlägen de lege ferenda zugunsten dissentierender Anleihegläubiger etwa Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (848 f., 856): § 20 Abs. 3 bis 6 SchVG-E, sowie Hannes Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1 (21 f.); Baums, ZHR 177 (2013), 807 (816).

510

Kiem

Anfechtung von Beschlüssen

Rz. 206 § 20 SchVG

sation die Änderung der Anleihebedingungen dem Anfechtungskläger gegenüber faktisch wieder zurückgenommen. Eine tatsächliche, rechtsgeschäftliche Änderung der Anleihebedingungen könnte indessen aufgrund der kollektiven Bindung nur gegenüber allen Gläubigern vorgenommen werden. Dann erfordert das gesetzliche Gleichbehandlungsgebot aber auch eine Gleichbehandlung der Anleihegläubiger im Hinblick auf den gerichtlich zugesprochenen finanziellen Ausgleich für die auf einem rechtswidrigen Gläubigerbeschluss beruhende Änderung der Anleihebedingungen.412 Nur so wird dem Grundsatz der kollektiven Bindung entsprochen, wonach im Hinblick auf die Anleihebedingungen sämtliche Anleihegläubiger gleich zu behandeln sind. Mit der Anerkennung einer Kompensationspflicht ist der Schuldner auch nicht über Gebühr beschwert. Es ist ihm unbenommen, einen neuen Gläubigerbeschluss zu initiieren, mit dem die Anleihebedingungen in rechtlich nicht zu beanstandender Weise geändert werden.

204

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG enthaltenen Verweis auf § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG. Zum einen sperrt das Verbot der Rückgängigmachung lediglich die Naturalrestitution und nicht den hier in Rede stehenden finanziellen Ausgleich. Zum anderen sind insoweit die Besonderheiten des Schuldverschreibungsrechts zu berücksichtigen. Während im Aktienrecht besonders folgenreiche Hauptversammlungsbeschlüsse, wie etwa Strukturmaßnahmen, eine Rückabwicklung außerordentlich problematisch erscheinen lassen, stehen im Schuldverschreibungsrecht in aller Regel nur sich rein wirtschaftlich auswirkende, die wirtschaftlichen Konditionen der Anleihebedingungen ändernde Beschlüsse in Rede.

205

6. Verhältnis zum (sonstigen) einstweiligen Rechtsschutz Da es sich bei dem Freigabeverfahren um ein spezielles Eilverfahren handelt, ist es gegenüber der einstweiligen Verfügung als spezielleres Rechtsinstitut grundsätzlich vorrangig. Der allgemeine zivilrechtliche Eilrechtsschutz kann dementsprechend nur hinsichtlich solcher Ziele anwendbar sein, die mit dem Freigabeverfahren nicht erreicht werden können. So ist eine Untersagungsverfügung mit dem Ziel, die Beschlussausführung zu unterbinden, möglich, wenn ein Beschluss trotz erhobener Anfechtungsklage vollzogen werden soll, ohne dass ein Freigabebeschluss bewirkt wurde.413 Unzulässig ist hingegen aufgrund des spezielleren Freigabeverfahrens der Antrag auf Erlass einer Regelungsverfügung, welche den Vollzug eines angefochtenen Beschlusses ermöglichen soll.414

412 Die Unstimmigkeit zwischen der „inter-omnes Kassationswirkung“ eines rechtskräftigen Anfechtungsurteils ohne vorherigen Freigabebeschluss und dem nach dem Wortlaut von § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG i.V.m. § 246a Abs. 4 AktG nur zugunsten des Anfechtungsklägers entstehenden Schadensersatzanspruchs nach ergangenem Freigabebeschluss sieht auch Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 226 f., der allerdings keine erweiternde Auslegung des Gleichbehandlungsgebotes, sondern eine Gesetzesänderung für angezeigt hält, vgl. Liebenow, Anleiheorganisationsrecht, S. 226. 413 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 98; vgl. zur Parallelsituation im Aktienrecht Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246a AktG Rz. 65. Problematisch erscheint insoweit, wie unterschiedliche Entscheidungen in dem seitens des Schuldners beantragten Freigabeverfahren und dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vermieden werden können. Aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände beider Verfahren hindert die Rechtshängigkeit eines der Verfahren die Zulässigkeit des jeweils anderen Verfahrens nicht. In Betracht kommt hingegen eine Verbindung beider Verfahren vor dem für das Freigabeverfahren zuständigen OLG; insoweit könnten die für das Freigabeverfahren geschaffenen Verfahrensregeln auf das Verfügungsverfahren entsprechend angewandt werden, um eine einheitliche Entscheidung zu gewährleisten. Vgl. hierzu ausführlich Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246a AktG Rz. 66. 414 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 98.

Kiem 511

206

§ 21 SchVG Rz. 1 Vollziehung von Beschlüssen

§ 21 Vollziehung von Beschlüssen (1) 1Beschlüsse der Gläubigerversammlung, durch welche der Inhalt der Anleihebedingungen abgeändert oder ergänzt wird, sind in der Weise zu vollziehen, dass die maßgebliche Sammelurkunde ergänzt oder geändert wird. 2Im Fall der Verwahrung der Sammelkurkunde durch eine Wertpapiersammelbank hat der Versammlungs- oder Abstimmungsleiter dazu den in der Niederschrift dokumentierten Beschlussinhalt an die Wertpapiersammelbank zu übermitteln mit dem Ersuchen, die eingereichten Dokumente den vorhandenen Dokumenten in geeigneter Form beizufügen. 3Er hat gegenüber der Wertpapiersammelbank zu versichern, dass der Beschluss vollzogen werden darf. (2) Der gemeinsame Vertreter darf von der ihm durch Beschluss erteilten Vollmacht oder Ermächtigung keinen Gebrauch machen, solange der zugrunde liegende Beschluss noch nicht vollzogen werden darf. I. Regelungsgegenstand und Systematik 1 II. Vollzugsverfahren bei Änderung der Anleihebedingungen (§ 21 Abs. 1 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Voraussetzungen des Vollzugs . . . . . . . 7 2. Vollzugsverfahren im Einzelnen a) Der Grundsatz des § 21 Abs. 1 Satz 1 SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 b) Verfahren bei Verwahrung durch Wertpapiersammelbank (§ 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 c) Versicherung des Abstimmungs- oder Versammlungsleiters (§ 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

aa) Einordnung in das System des SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt und Form der Erklärung cc) Richtigkeit der Versicherung . . . dd) Informationsanspruch und Prüfungsobliegenheit des Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiters d) Haftungsrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . e) Prüfungsrecht der Wertpapiersammelbank. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vollzug von Beschlüssen zur Bevollmächtigung und Ermächtigung des gemeinsamen Vertreters (§ 21 Abs. 2 SchVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 15 17 18 20 25

28

Schrifttum: Schürnbrand, Rechtsstellung und Verantwortlichkeit des Leiters der Hauptversammlung, NZG 2014, 1211; Theusinger/Schilha, Die Leitung der Hauptversammlung – eine Aufgabe frei von Haftungsrisiken?, BB 2015, 131; von der Linden, Haftung für Fehler bei der Leitung der Hauptversammlung, NZG 2013, 208. Siehe im Übrigen die Angaben bei § 20 SchVG.

I. Regelungsgegenstand und Systematik 1

Die Vorschrift regelt den Vollzug von Gläubigerbeschlüssen. § 21 Abs. 1 SchVG betrifft die Ausführung von Gläubigerbeschlüssen, durch welche der Inhalt von Anleihebedingungen solcher Anleihen verändert wird, die in einer Sammelurkunde (§ 9a DepotG) verbrieft sind. Eine von den Gläubigern beschlossene Änderung der Anleihebedingungen wird erst dann wirksam, wenn die Urkunde entsprechend abgeändert wurde. Dies folgt bereits aus § 2 Satz 3 SchVG: Die Vorschrift trägt bekanntlich dem wertpapierrechtlichen Skripturprinzip Rechnung, wonach der Inhalt eines verbrieften Rechts sich unmittelbar aus der Urkunde selbst ergeben muss.1 Erst nachdem diese Wirksamkeit eingetreten ist, dürfen tatsächliche Umsetzungsmaßnahmen erfolgen.2 Wie der die Umsetzung entsprechender Gläubigerbeschlüsse

1 Begr. RegE., BT-Drucks. 16/12814, 17. 2 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 20 SchVG Rz. 3; Seibt, ZIP 2016, 997 (1007).

512

Kiem

Vollziehung von Beschlüssen

Rz. 5 § 21 SchVG

bewirkende Vollzug im Einzelnen zu erfolgen hat, ist Gegenstand der Regelung in § 21 Abs. 1 SchVG. Keine Regelung erfährt hingegen der Vollzug von nicht in Sammelurkunden verbrieften, sondern im Umlauf befindlichen, in Einzelurkunden verbrieften Anleihen.3 Zwar ist die Ausgabe solcher Anleihen seit längerem nicht mehr üblich.4 Betroffen sind jedoch Anleihen, die bereits ausgegeben sind und durch einen Opt-in-Beschluss nach § 24 Abs. 2 SchVG dem SchVG unterstellt wurden.5 Aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit von § 21 Abs. 1 SchVG bleibt es insoweit bei der Geltung von § 2 Satz 3 SchVG. Dementsprechend müssen alle ausgegebenen Urkunden zur Beschlussvollziehung abgeändert werden.

2

Dies wird teilweise als praktisch ausgeschlossen beurteilt.6 Einschränkend wird von einzelnen Autoren darauf hingewiesen, dass bei zentraler Verwahrung der Einzelurkunden ein Vollzug durch Änderung der jeweiligen Urkunden möglich sei.7 Andere Autoren schlagen als Lösungsmöglichkeit vor, das Vollzugsverfahren für derartige Anleihen in den jeweiligen Anleihebedingungen zu regeln und als Vollzugsmaßnahme die Bekanntmachung des Beschlusses nach § 17 SchVG vorzusehen.8 Zu beachten ist jedoch, dass diese Lösung lediglich für die Ausgabe neuer Anleihen zur Verfügung steht. Im Falle bereits existierender Anleihen wäre eine Änderung der Anleihebedingungen zur Regelung des Vollzugsverfahrens erforderlich. Eben diese Änderung müsste jedoch noch nach dem (fehlenden) gesetzlichen Vollzugsverfahren vollzogen werden. Da dies aus praktischen Gründen ausgeschlossen ist, vermag die in der Literatur vorgeschlagene Lösung für bereits begebene Anleihen nicht weiterzuführen.

3

Nicht die Art und Weise des Vollzugs, sondern die Rechtslage vor dem eigentlichen Vollzug ist Regelungsgegenstand des Abs. 2 der Vorschrift. Auch diese Vorschrift betrifft nur einen Teil der denkbaren Beschlüsse der Gläubiger. Bezugspunkt der Norm sind insoweit lediglich Beschlüsse, mit denen die Gläubiger einen gemeinsamen Vertreter zum Handeln ermächtigen oder ihm eine Vollmacht erteilen. Ein derartiger Beschluss stellt keine Änderung des Inhalts der Urkunde oder der Anleihebedingungen dar, weshalb eine Sonderregelung in § 21 Abs. 2 SchVG erforderlich war.9

4

II. Vollzugsverfahren bei Änderung der Anleihebedingungen (§ 21 Abs. 1 SchVG) § 21 Abs. 1 Satz 1 SchVG regelt, dass der Vollzug von Gläubigerbeschlüssen, die die Anleihe- 5 bedingungen einer in einer Sammelurkunde verbrieften Anleihe ändern, durch eine entsprechende Anpassung der Sammelurkunde zu erfolgen hat. Erfasst von der Regelung werden trotz ihres auf Beschlüsse der Gläubigerversammlung beschränkten Wortlauts auch solche Beschlüsse, die in einer Abstimmung ohne Versammlung zustande gekommen sind.10 Dies 3 Dippel/Preuße in Preuße, § 21 SchVG Rz. 6; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 4; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 2a. 4 Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (156). 5 Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (156). 6 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 4; Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153 (156). 7 Vgl. hierzu im einzelnen Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 16. 8 Dippel/Preuße in Preuße, § 21 SchVG Rz. 7. 9 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 2; Dippel/Preuße in Preuße, § 21 SchVG Rz. 8; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 22. 10 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 1; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 7; vgl. ferner die pauschal sämtliche Gläubigerbeschlüsse in Bezug nehmende Gesetzesbegründung, Begr. RegE., BT-Drucks. 16/12814, 26.

Kiem 513

§ 21 SchVG Rz. 6 Vollziehung von Beschlüssen ergibt sich aus der im Gesetz angelegten Gleichstellung der Beschlussfassung innerhalb und außerhalb einer Gläubigerversammlung. 6

Erforderlich ist daneben, dass der Beschluss auf eine Änderung oder Ergänzung der in § 2 Abs. 1 SchVG legal definierten Anleihebedingungen abzielt.11 Zudem muss die Anleihe in einer Sammelurkunde verbrieft sein (vgl. Rz. 1 f.).12 1. Voraussetzungen des Vollzugs

7

Voraussetzung für eine Beschlussausführung ist zunächst die Vollziehbarkeit des betreffenden Beschlusses. Daran fehlt es bei nichtigen Beschlüssen.13 Diese sind von vorneherein unwirksam und dürfen daher nicht vollzogen werden. Davon zu unterscheiden ist der Fall der nur behaupteten Nichtigkeit eines Beschlusses: Ein derartiger Beschluss ist grundsätzlich vollziehbar (vgl. § 20 SchVG Rz. 148).

8

Daneben kann ein Beschluss während der Dauer der Vollzugssperre des § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG (vgl. hierzu § 20 SchVG Rz. 144 ff.) nicht vollzogen werden. Der Vollzug eines Gläubigerbeschlusses ist danach in dem Zeitraum von seinem Wirksamwerden bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist bzw. bis zur Beendigung der Rechtshängigkeit des Anfechtungsprozesses ausgeschlossen (siehe hierzu und zu den anderen Beendigungsgründen unter § 20 SchVG Rz. 146 f.). Etwas anderes gilt lediglich, wenn ein stattgebender Freigabebeschluss ergeht, wonach der Gläubigerbeschluss unabhängig von einer anhängigen Anfechtungsklage vollzogen werden darf (vgl. zum Freigabeverfahren ausführlich unter § 20 SchVG Rz. 154 ff.). 2. Vollzugsverfahren im Einzelnen a) Der Grundsatz des § 21 Abs. 1 Satz 1 SchVG

9

Für den Fall, dass die Anleihebedingungen in der Sammelurkunde selbst enthalten sind, ist letztere entsprechend der jeweiligen Änderung anzupassen und somit abzuändern. Wenn die Sammelurkunde hingegen – wie zumeist – die Anleihebedingungen nur in Bezug nimmt und diese in einer gesonderten Unterlage enthalten sind, ist die Sammelurkunde entsprechend zu ergänzen.14 Durch eben diese Anpassungen der Urkunde wird dem wertpapierrechtlichen Skripturprinzip Rechnung getragen (vgl. dazu im Einzelnen § 2 SchVG Rz. 16 ff.). b) Verfahren bei Verwahrung durch Wertpapiersammelbank (§ 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG)

10

Bei einer durch eine Wertpapiersammelbank verwahrten Urkunde müsste, jedenfalls wenn die Anleihebedingungen in der jeweiligen Urkunde enthalten sind, um dem wertpapierrechtlichen Skripturprinzip Rechnung zu tragen, diese Urkunde an sich aus der Verwahrung der Bank genommen werden und die neue Urkunde wieder in Verwahrung gegeben werden.15 Eine Verfahrenserleichterung16 enthält insoweit jedoch § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG. 11 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 7. 12 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 7. 13 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 12; zu der Kategorie der nichtigen Beschlüsse vgl. ausführlich unter § 20 SchVG Rz. 26 ff. 14 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 3. 15 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 5; die Zulässigkeit dieses Vorgehens bejahend weiter Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 8 und 10. 16 Der genaue Sinngehalt der Vorschrift ist umstritten: Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/ Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 5, gehen insoweit von einer die Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 1 SchVG nicht modifizierenden, sondern lediglich einzelne Verfahrensschritte vorschreibenden Norm aus. Hierfür spricht der Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG. In eine andere Rich-

514

Kiem

Vollziehung von Beschlüssen

Rz. 12 § 21 SchVG

Hiernach genügt es, wenn der Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter den in der Niederschrift enthaltenen Beschlussinhalt an die verwahrende Wertpapiersammelbank weiterleitet und darum bittet, die eingereichten Dokumente den bereits vorhandenen in geeigneter Form beizufügen.17 Damit ist der in der Praxis am häufigsten anzutreffende Fall angesprochen. Anwendbar ist diese Verfahrenserleichterung ausweislich des eindeutigen Wortlauts nur auf Urkunden, die durch Wertpapiersammelbanken verwahrt werden. Andernfalls muss zwingend die Sammelurkunde ergänzt oder geändert werden.18 Wertpapiersammelbanken i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG sind nicht nur Institute, die unter die Legaldefinition des DepotG in § 1 Abs. 3 DepotG fallen, sondern auch solche Institute, die außerhalb Deutschlands mit den Aufgaben einer Wertpapiersammelbank betraut sind.19 Dies folgt schon aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG. Die Vorschrift setzt die Existenz mehrerer Wertpapiersammelbanken voraus; es existiert bekanntlich jedoch nur eine Wertpapiersammelbank i.S.d. § 1 Abs. 3 SchVG, die Clearstream Banking AG Frankfurt.20 Einschränkend ist jedoch zu verlangen, dass die jeweiligen ausländischen Institute von einer dem Schutz der Anleger dienenden Aufsicht überwacht werden, die der deutschen Aufsicht über die Clearstream Banking AG Frankfurt entspricht.21 Demgemäß werden alle ausländischen Verwahrer von Wertpapieren erfasst, die nach § 5 Abs. 4 Satz 1 DepotG eine gegenseitige Kontoverbindung zum grenzüberschreitenden Effektengiroverkehr mit der Clearstream Banking AG Frankfurt unterhalten.22

11

c) Versicherung des Abstimmungs- oder Versammlungsleiters (§ 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG) Um dem Verfahren Fortgang zu geben, hat der Versammlungs- oder Abstimmungsleiter bei seinem Ersuchen, die Niederschrift des Beschlussinhaltes der Sammelurkunde beizufügen, der Wertpapiersammelbank die Vollziehbarkeit des Beschlusses zu versichern (§ 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG). Erst daraufhin wird die Wertpapiersammelbank die eingereichten Dokumente mit der Sammelurkunde verbinden bzw. die neue Urkunde gegen die alte austauschen, womit der entsprechende Gläubigerbeschluss vollzogen wird.23

17 18 19 20 21 22 23

tung weist hingegen die Begr. RegE., BT-Drucks. 16/12814, 26, wonach es für durch eine Wertpapiersammelbank verwahrte Sammelurkunden ausreichen soll, wenn ihr Vollzug nach § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG vorgenommen wird. In diese Richtung sind wohl auch Dippel/Preuße in Preuße, § 21 SchVG Rz. 6, sowie Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 10, zu verstehen. Nach dieser Ansicht bleibt es auch bei Anwendbarkeit des § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG bei der Möglichkeit, eine neue Sammelurkunde in Verwahrung zu geben und die alte aus der Verwahrung zu nehmen, vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 10. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei § 21 Abs. 1 Satz 2 SchVG um ein kürzeres und praktikableres Verfahren handelt, wird in der Regel ohnehin dieses gewählt werden, weshalb diese theoretische Streitfrage in der Praxis wohl keine Relevanz erlangen dürfte und an dieser Stelle offen gelassen werden kann. Vgl. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 9. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 1. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 10. Vgl. Böttcher, § 1 DepotG Rz. 5; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, § 21 SchVG Rz. 10. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 10. Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 2 und 10 sowie Fn. 14 mit einer Aufzählung der derzeit unter den Begriff fallenden Institute. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 11.

Kiem 515

12

§ 21 SchVG Rz. 13 Vollziehung von Beschlüssen 13

Angesichts des Wortlauts des § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG, der keinen Ermessensspielraum des Versammlungs- oder Abstimmungsleiters vorsieht, und angesichts der Tatsache, dass der Leiter andernfalls den Vollzug des jeweiligen Beschlusses verhindern könnte, besteht grundsätzlich eine – auch einklagbare – gesetzliche Pflicht des jeweiligen Leiters zur Abgabe der Versicherung.24 aa) Einordnung in das System des SchVG

14

Die Versicherung des Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiters erinnert an das Erfordernis zur Abgabe einer sog. Negativerklärung im Rahmen des Verfahrens zur Eintragung bestimmter Strukturmaßnahmen nach dem UmwG (§ 16 Abs. 2 UmwG), der Eingliederung (§ 319 Abs. 5 AktG) und des Squeeze-out (§ 327e Abs. 2 AktG) in das Handelsregister. Trotz der Ähnlichkeit bestehen jedoch erhebliche Unterschiede: Das Vorliegen einer Negativerklärung im Sinne des Aktien- und Umwandlungsgesetzes ist zwingende Voraussetzung für eine Registereintragung. Liegt sie nicht vor, kommt es zu einer Registersperre, die das Wirksamwerden der eintragungsbedürftigen Maßnahme verhindert.25 Im SchVG existiert hingegen kein vergleichbares Registerverfahren. Um dennoch einen weitgehenden Gleichlauf mit dem Aktienrecht herzustellen, hat der Gesetzgeber die Vollzugssperre des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG eingeführt (vgl. hierzu ausführlich bereits unter § 20 SchVG Rz. 144 ff.). Diese führt dazu, dass der Abstimmungs- oder Versammlungsleiter die Versicherung nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG nicht abgeben darf, solange die Vollzugssperre andauert. Dieser gewollte Gleichlauf führt jedoch nicht dazu, dass die Verfahren in jeder Hinsicht identisch wären. Insbesondere verfügt die Wertpapiersammelbank nicht über eine dem Registergericht vergleichbare Position (vgl. zu den Prüfungsrechten der Wertpapiersammelbank unter Rz. 25 ff.). bb) Inhalt und Form der Erklärung

15

Die inhaltlichen Anforderungen an die nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG erforderliche Versicherung sind gering: Der Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter hat lediglich zu versichern, dass der jeweilige Beschluss vollziehbar ist. Weitere Erklärungen sind nicht abzugeben. Die Erklärung hat auch keine Begründung zu enthalten.

16

Praktisch wird die Versicherung regelmäßig in Schriftform abgegeben. Regelmäßig wird die Wertpapiersammelbank zu Beweiszwecken jedenfalls die Einhaltung dieser Form einfordern.26 Rechtlich zwingend erforderlich ist die Schriftform – entgegen anderer Auffassung im Schrifttum27 – hingegen nicht.28 Der Wortlaut gibt jedenfalls für die Anordnung der Schriftform nichts her. cc) Richtigkeit der Versicherung

17

Selbstredend besteht für den Versammlungs- oder Abstimmungsleiter nur die Pflicht zu Abgabe einer der tatsächlichen Rechtslage entsprechenden, inhaltlich richtigen Erklärung. Die Richtigkeit der Versicherung der Vollziehbarkeit setzt voraus, dass der jeweilige Beschluss tatsächlich vollziehbar ist. Von vorneherein nicht gegeben ist diese Voraussetzung 24 Voraussetzung hierfür ist lediglich die Richtigkeit der entsprechenden Versicherung, vgl. dazu Rz. 17. 25 Vgl. § 319 Abs. 5 AktG sowie dazu Hüffer/Koch, § 319 AktG Rz. 15; § 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG sowie dazu Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 16 UmwG Rz. 15. 26 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 12. 27 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 8. 28 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 12.

516

Kiem

Vollziehung von Beschlüssen

Rz. 20 § 21 SchVG

bei nichtigen Beschlüssen (vgl. hierzu § 20 SchVG Rz. 148 sowie § 21 SchVG Rz. 7). Im Übrigen ist die Vollziehbarkeit lediglich dann gegeben, wenn die Vollzugssperre des § 20 Abs. 3 Satz 3 SchVG (vgl. hierzu § 20 SchVG Rz. 144 ff. und § 21 SchVG Rz. 8) nicht greift. Insbesondere der Ablauf der Anfechtungsfrist ist daher in jedem Fall abzuwarten. dd) Informationsanspruch und Prüfungsobliegenheit des Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiters Die gesetzliche Pflicht, eine der Rechtslage entsprechende Versicherung abzugeben und 18 nicht zuletzt die haftungsrechtlichen Konsequenzen einer fehlerhaften Erklärung erfordern es, dass der Abstimmungs- bzw. Versammlungsleiter in die Lage versetzt wird, die Erklärung wahrheitsgemäß abzugeben.29 Nur der Schuldner als Klagegegner einer etwaigen Anfechtungsklage erhält angesichts der Zustellung der Klageschrift oder beispielsweise des Urteils an ihn (§§ 253 Abs. 1, 317 Abs. 1 ZPO) zuverlässige Kenntnis von der Anhängigkeit eines Rechtsstreits und von seinem aktuellen Verfahrensstand. Das gesetzliche Auskunftsrecht des Versammlungs- oder Abstimmungsleiters nach §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4 SchVG umfasst dementsprechend auch die Informationen über die Erhebung einer Anfechtungsklage bzw. den aktuellen Verfahrensstand des entsprechenden Anfechtungsprozesses oder Freigabeverfahrens.30 Mit diesem Informationsanspruch korrespondiert zugleich eine entsprechende Prüfungsobliegenheit des Versammlungs- oder Abstimmungsleiters. Er muss die entsprechenden Informationen beim Schuldner einholen und sich Gewissheit über die Vollziehbarkeit des Beschlusses verschaffen. Rechtlichen Zweifeln hat er nachzugehen. Auf die Angaben des Schuldners darf er indessen vertrauen. Er ist nicht verpflichtet, diese zu überprüfen. Verstößt der Versammlungs- oder Abstimmungsleiter gegen seine Pflichten, drohen ihm bei Abgabe einer fehlerhaften Versicherung Schadensersatzansprüche der Anleihegläubiger (vgl. Rz. 20 ff.).

19

d) Haftungsrelevanz Im Falle der schuldhaft fehlerhaft abgegebenen Versicherung wird in der Kommentarliteratur ganz überwiegend eine Schadensersatzpflicht des Versammlungs- oder Abstimmungs-

29 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 8; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 13; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 8. 30 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 8; zu einem ähnlichen Ergebnis, der Unterrichtung des Abstimmungs- oder Versammlungsleiters, kommt auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 13 über die Annahme, dass der Schuldner hierzu aufgrund einer Nebenpflicht aus dem Begebungsvertrag verpflichtet sei. Probleme weist diese Ansicht jedoch insoweit auf, als Pflichten aus dem Begebungsvertrag angesichts der Relativität der Schuldverhältnisse nur gegenüber den Anleihegläubigern bestehen können. Angesichts der bei der Lösung über §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4 SchVG gegebenen Anspruchsberechtigung des gemeinsamen Vertreters erscheint diese interessengerechter. Problematisch und ungeklärt ist hingegen, was gilt, wenn ein gerichtlich bestellter Versammlungsleiter (vgl. § 9 Abs. 2 SchVG) agiert. Für diese Fälle kommt letztlich nur eine Analogie zu §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4 SchVG in Betracht. Eine gesetzliche Regelung der Rechte des gerichtlich bestellten Versammlungsleiters ist nicht erfolgt. Offenbar hat der Gesetzgeber die Problematik nicht erkannt, weshalb diese Lücke auch planwidrig sein dürfte. Schließlich unterscheidet sich die Interessenlage nicht von derjenigen, die besteht, wenn ein gemeinsamer Vertreter als Versammlungsleiter agiert. Der gerichtlich bestellte Versammlungsleiter ist ebenso wie der gemeinsame Vertreter auf Informationen des Schuldners angewiesen, um seine Versicherung nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG abgeben zu können. Ebenso wie der Schuldner dem gemeinsamen Vertreter eine Ausübung seiner Pflichten ermöglichen muss, muss er dies auch gegenüber dem gerichtlich bestellten Versammlungsleiter. Andernfalls würde das Einberufungsrecht der Gläubiger letztlich ausgehöhlt.

Kiem 517

20

§ 21 SchVG Rz. 21 Vollziehung von Beschlüssen leiters bejaht.31 Gegenüber wem diese Pflicht besteht und woraus sie sich ergibt, wird hingegen zumeist offen gelassen. Richtigerweise ist nach der Person des Versammlungs- oder Abstimmungsleiters und der Art der Funktionsübernahme zu differenzieren. 21

Sofern ein gemeinsamer Vertreter als Versammlungs- oder Abstimmungsleiter agiert, folgt seine Haftung gegenüber den Gläubigern im Falle der pflichtwidrigen Abgabe der Versicherung jedenfalls aus § 7 Abs. 3 SchVG. Soweit der Norm nur klarstellende Bedeutung beigemessen wird,32 soll sich die Haftung des gemeinsamen Vertreters gegenüber den Gläubigern aus §§ 280 Abs. 1, 675, 662 BGB ergeben, da zwischen dem gemeinsamen Vertreter und den Gläubigern ein Schuldverhältnis in Form eines Geschäftsbesorgungsvertrages bestehen soll.33 Aus diesem folge die Pflicht, die Abgabe der Versicherung nach § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG nur vorzunehmen, wenn der Gläubigerbeschluss tatsächlich vollziehbar ist. Welchem Begründungsansatz zu folgen ist, kann hier offen bleiben. In jedem Fall ist daran festzuhalten, dass eine schuldhafte Pflichtverletzung zum Schadensersatz führt. Der Haftungsmaßstab wird insoweit unabhängig von der Rechtsnatur der Norm im Übrigen jedenfalls durch § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 SchVG vorgegeben. Für die Abgabe einer falschen Versicherung wird dieser besondere Haftungsmaßstab jedoch letztlich keine Veränderung der Haftungssituation mit sich bringen: Sowohl nach allgemeinen Grundsätzen als auch nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 SchVG wird ein Verschulden dann anzunehmen sein, wenn der Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter keine Informationen hinsichtlich der Vollziehbarkeit beim Schuldner einholt und infolgedessen eine falsche Versicherung abgibt.

22

Offen ist hingegen, ob auch derjenige Versammlungs- oder Abstimmungsleiter für eine schuldhaft falsche Abgabe der Erklärung haftet, der zugleich Organ des Schuldners ist oder gerichtlich eingesetzt wurde (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SchVG). Ein durch Rechtsgeschäft begründetes Schuldverhältnis zu den Anleihegläubigern besteht insoweit jedenfalls nicht. Auch eine Haftung nach den gesetzlichen Organhaftungsregeln wird ausscheiden müssen: Der Leiter nimmt bei der Abgabe der Versicherung keine Pflicht in seiner Eigenschaft als Organ des Schuldners, sondern als Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter wahr.34 Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG, der die Pflicht zur Abgabe der Versicherung nicht dem Schuldner oder seinen Organen, sondern dem Versammlungsleiter auferlegt. Auch eine Vergleichbarkeit des Versammlungsleiters mit einem Insolvenzverwalter besteht 31 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 8; Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 9; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 15 ff. 32 Vgl. zur Einordnung von § 7 Abs. 3 SchVG als lediglich klarstellende Norm etwa: Friedl in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 45; unklar insoweit Nesselrodt in Preuße, § 7 SchVG Rz. 63f.; Veranneman in Veranneman, § 7 SchVG Rz. 69; Begr. RegE., BT-Drucks. 16/12814, 20; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen, S. 312. 33 Nicht zu überzeugen vermag hingegen die Ansicht Friedls in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 15, wonach die Haftung des gemeinsamen Vertreters gegenüber dem Schuldner bestehen soll. Weder § 7 Abs. 3 SchVG noch § 280 Abs. 1 BGB begründen eine Anspruchsinhaberschaft des Schuldners. Für § 7 Abs. 3 SchVG folgt dies bereits aus dem Wortlaut der Norm. Für eine Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB ergibt sich dies aus der Tatsache, dass ein Geschäftsbesorgungsvertrag nur zwischen dem gemeinsamen Vertreter und den Gläubigern besteht, vgl. hierzu etwa Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 7 SchVG Rz. 5; Wöckener in Friedl/ Hartwig-Jacob, § 7 SchVG Rz. 28; vgl. zudem die Begr. RegE., BT-Drucks.16/12814, 20, die von gleichlautenden Auftragsverhältnissen zwischen dem gemeinsamen Vertreter und jedem Gläubiger ausgeht; auch ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter scheidet mangels Gläubigernähe des Schuldners wohl aus. In Betracht gezogen werden könnte allenfalls eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB, mangels eines ersatzfähigen Schadens des Schuldners wird auch sie jedoch regelmäßig nicht gegeben sein. 34 Vgl. zu vergleichbaren Situation des Hauptversammlungsleiters im AktG etwa von der Linden, NZG 2013, 208 (209).

518

Kiem

Vollziehung von Beschlüssen

Rz. 25 § 21 SchVG

nicht.35 Die beiden Positionen sind hinsichtlich der mit ihnen einhergehenden Befugnisse und hinsichtlich des kommerziellen Interesses der sie wahrnehmenden Personen zu unterschiedlich. Nichtsdestotrotz ist ein gesetzliches Schuldverhältnis zwischen dem Versammlungs- bzw. 23 Abstimmungsleiter, dem Schuldner und den Gläubigern anzunehmen.36 Dieses wird durch die Übernahme des Amtes des Abstimmungs- bzw. Versammlungsleiters begründet und beinhaltet die Pflicht, die mit dem Amt verknüpften Pflichten bezüglich des Beschlussvollzugs gewissenhaft zu erfüllen.37 Angesichts dessen haftet der Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter bei schuldhafter Abgabe einer falschen Versicherung den Gläubigern gegenüber nach § 280 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz. Für diese Lösung spricht vor allem, dass bei der Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses letztlich ein Gleichlauf der Haftung von Versammlungsbzw. Abstimmungsleitern unabhängig vom Bestellungsgrund erreicht werden kann. Dies erscheint interessengerecht, schließlich kann es für die Frage der Haftung letztlich nicht darauf ankommen, ob ein Organ des Schuldners, ein gerichtlich bestellter Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter oder ein gemeinsamer Vertreter eine falsche Versicherung gegenüber der Wertpapiersammelbank abgibt. Ein Schadensersatzanspruch des Schuldners wird hingegen regelmäßig an einem ersatzfähigen Schaden scheitern. Im Verhältnis zur Wertpapiersammelbank existiert demgegenüber bereits kein Schuldver- 24 hältnis. Die Pflicht zur Abgabe einer korrekten Erklärung dient dem Schutz von Schuldner und Gläubiger, der Rechtskreis der Wertpapiersammelbank wird hiervon hingegen nur reflexartig betroffen, weshalb ihr gegenüber nur deliktische Schadensersatzverpflichtungen in Betracht kommen. e) Prüfungsrecht der Wertpapiersammelbank Praktische Probleme kann ferner die Stellung der Wertpapiersammelbank aufwerfen. Diese übt hinsichtlich des Vollzugs von Änderungsbeschlüssen eine rein verwaltende Tätigkeit aus.38 Demgemäß besteht für sie bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen des Vollzugs eine Vollzugspflicht.39 Zu überprüfen hat sie lediglich, ob eben diese formalen Anforderungen für das Änderungs- bzw. Beifügungsgesuch erfüllt sind. Zu den formalen Anforderungen des Ersuchens des Abstimmungs- oder Versammlungsleiters zählt insbesondere seine Versicherung der Vollziehbarkeit des Beschlusses (vgl. Rz. 12 ff.).

35 A.A. Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 17. 36 Zu diesem Ergebnis kommt – wenn auch unter Rekurs auf die Vergleichbarkeit der Stellung des Insolvenzverwalters – auch Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 17. 37 Abweichend für den Hauptversammlungsleiter jüngst LG Ravensburg v. 8.5.2014 – 7 O 51/13 KfH 1, AG 2014, 910 = BeckRS 2014, 10301; kritisch dazu etwa Schürnbrand, NZG 2014, 1211 (korporatives Rechtsverhältnis zwischen Hauptversammlungsleiter und AG kraft Übernahme des Amtes); ähnlich bereits von der Linden, NZG 2013, 208 (211) (sorgfältige und rechtmäßige Amtsführung schuldet der Versammlungsleiter schon kraft Übernahme seines Mandats, daher kommt es zu einer Haftung nach § 280 BGB). Insgesamt herrscht im aktienrechtlichen Schrifttum ein breit gefächertes Spektrum unterschiedlicher Ansätze zur Haftung des Hauptversammlungsleiters, vgl. hierzu insbesondere die Nachweise bei Theusinger/Schilha, BB 2015, 131 (135), die selbst eine Haftung nach § 280 BGB befürworten, vgl. Theusinger/Schilha, BB 2015, 131 (138 f.) (mit der Annahme des Amtes jedenfalls gesetzliches bzw. korporatives Schuldverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Versammlungsleiter). 38 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 11. 39 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 11.

Kiem 519

25

§ 21 SchVG Rz. 26 Vollziehung von Beschlüssen 26

Über den Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 2 und 3 SchVG hinaus hat die Wertpapiersammelbank zu überprüfen, ob eine Zustimmung des Schuldners zur Änderung der Anleihebedingungen vorliegt.40 Das Erfordernis eben dieser Zustimmung des Schuldners zur Änderung der Anleihebedingungen wird teilweise aus dem Begriff „Rechtsgeschäft“ in § 4 SchVG abgeleitet41 und kann im Übrigen als allgemein anerkannt gelten.42

27

Die Überprüfungspflicht der Wertpapiersammelbank ergibt sich als (ungeschriebene) Nebenpflicht des zwischen der Bank und dem Anleiheschuldner geschlossenen Verwahrvertrages.43 Zwar ist insoweit keine Versicherung i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 3 SchVG erforderlich, der Versammlungs- bzw. Abstimmungsleiter sollte jedoch einen Nachweis für die Erteilung der Zustimmung vorlegen.44 Soweit die Zustimmung zur Niederschrift erklärt wurde, dient als Nachweis die ohnehin vorzulegende jeweilige Niederschrift. Im Übrigen ist die Vorlage eines gesonderten beglaubigten Dokuments erforderlich.45 Neben diesem formellen Prüfungsrecht der Wertpapiersammelbank besteht jedoch weder eine Pflicht noch ein Recht der Wertpapiersammelbank zur materiellen Prüfung des Beschlusses.46

III. Vollzug von Beschlüssen zur Bevollmächtigung und Ermächtigung des gemeinsamen Vertreters (§ 21 Abs. 2 SchVG) 28

§ 21 Abs. 2 SchVG betrifft Beschlüsse der Gläubiger, mit denen dem gemeinsamen Vertreter eine Vollmacht erteilt, eine zu seinen Gunsten bestehende Vollmacht abgeändert oder er zu einem bestimmten Handeln ermächtigt wird.47 Diese Vollmacht bzw. Ermächtigung darf nach der Regelung erst dann vollzogen werden, wenn die ihnen zugrunde liegenden Beschlüsse vollziehbar sind. Letzteres ist erst nach Ablauf der Vollzugssperre des § 20 Abs. 3 Satz 4 SchVG der Fall (vgl. hierzu bereits Rz. 8 und § 20 SchVG Rz. 144 ff.).

29

Adressat der Norm ist der gemeinsame Vertreter. Er darf seine Vollmacht oder Ermächtigung erst dann gebrauchen, wenn er weiß, dass der zugrunde liegende Beschluss vollziehbar ist. Erforderlich ist insoweit die positive Kenntnis des gemeinsamen Vertreters.48 Dieser muss sich die erforderlichen Informationen vom Schuldner beschaffen. Auch diese sind von seinem gesetzlichen Auskunftsrecht nach §§ 7 Abs. 5, 8 Abs. 4 SchVG umfasst (vgl. hierzu bereits Rz. 18).49 Auf die seitens des Schuldners erteilten Informationen kann sich der Abstimmungs- oder Versammlungsleiter verlassen, ihn trifft mithin keine materielle Prüfungspflicht.50

40 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 5. 41 So ausdrücklich Vogel in Preuße, § 5 SchVG Rz. 1. 42 Vgl. etwa: Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 77; Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 17; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 3. 43 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 11. 44 Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 5; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 9. 45 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 7. 46 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 21 SchVG Rz. 11. 47 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 22. 48 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 24. 49 So auch Dippel/Preuße in Preuße, § 21 SchVG Rz. 8; Hofmeister in Veranneman, § 21 SchVG Rz. 11. 50 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 24.

520

Kiem

Geltung für Mitverpflichtete

Rz. 1 § 22 SchVG

Im Falle des Verstoßes gegen § 21 Abs. 2 SchVG kommt zunächst eine Haftung des gemeinsamen Vertreters aus § 7 Abs. 3 SchVG in Betracht.51 Ungeklärt ist hingegen, ob ein Verstoß des gemeinsamen Vertreters gegen die Vorschrift des § 21 Abs. 2 SchVG auf die Wirksamkeit der Vollmacht durchschlägt.52 Dagegen spricht vor allem der Gesetzeswortlaut, nach dem der gemeinsame Vertreter seine Vollmacht nicht gebrauchen darf. Ein Durchschlagen des rechtlichen Dürfens auf das rechtliche Können wird im Vertretungsrecht jedoch ganz allgemein nur in den Fällen der Evidenz und Kollusion angenommen,53 weshalb im Sinne des Verkehrsschutzes davon auszugehen ist, dass bei Verstößen gegen § 21 Abs. 2 SchVG die Wirksamkeit der Vollmacht nicht berührt wird.54 Es bleibt somit bei der Schadensersatzpflicht des gemeinsamen Vertreters als einziger Verstoßfolge.

30

§ 22 Geltung für Mitverpflichtete 1Die

Anleihebedingungen können vorsehen, dass die §§ 5 bis 21 für Rechtsgeschäfte entsprechend gelten, durch welche andere Personen als der Schuldner für die Verpflichtungen des Schuldners aus der Anleihe Sicherheiten gewährt haben (Mitverpflichtete). 2In diesem Fall müssen die Anleihebedingungen Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger unter Benennung der Rechtsgeschäfte und der Mitverpflichteten ausdrücklich vorsehen. I. II. 1. 2. 3.

Normzweck und Systematik. . . . . . . . . Voraussetzungen Mitverpflichteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sicherungsabrede nicht schon Teil der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 4

III. Geltung der §§ 5 bis 21 SchVG. . . . . . . IV. Anforderungen nach § 22 Satz 2 SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6 7 8

5

I. Normzweck und Systematik Die Vorschrift gehört systematisch eher zu § 5 SchVG und dem dort verankerten Ermächti- 1 gungsprinzip (§ 5 SchVG Rz. 6). Sie behandelt die praktisch höchst relevante Situation, dass die Anleiheforderungen von einem anderen, d.h. einem Dritten, der nicht selbst Emittent ist, besichert werden. Dies geschieht häufig, wenn die Anleihe über eine (auch im Ausland gegründete, siehe § 1 SchVG Rz. 1) Zweckgesellschaft emittiert wird und sodann die Holding- bzw. Muttergesellschaft und „eigentliche“ Emittentin eine Garantie abgibt; Entsprechendes gilt in Konzernkonstellationen, wenn eine Schwestergesellschaft Sicherheiten stellt. Das Gesetz spricht insoweit von einem Mitverpflichteten (zum Begriff Rz. 2). Die Sicherungsabrede wird meist zwischen dem Emittenten und dem Sicherungsgeber abgeschlossen worden sein, allerdings zugunsten der Anleihegläubiger (§ 328 BGB). Wird nun eine Änderung der Sicherungsabrede erforderlich, kann die dafür erforderliche Zustimmung der Gläubiger nach der Anordnung des § 22 SchVG ebenfalls im Verfahren nach §§ 5 ff. SchVG erteilt werden, d.h. durch einen Mehrheitsbeschluss, der auch die bei der Abstimmung 51 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 25. 52 Hierfür plädiert Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 21 SchVG Rz. 25, nach dem der gemeinsame Vertreter gegenüber Dritten als Vertreter ohne Vertretungsmacht agiert. 53 Vgl. nur Schubert in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 164 BGB Rz. 206 ff. 54 Seibt, ZIP 2016, 997 (1008).

Thole 521

§ 22 SchVG Rz. 2 Geltung für Mitverpflichtete unterlegenen Gläubiger bindet. Praktisch kann ein Bedürfnis insbesondere bestehen, wenn der Sicherungsgeber selbst in einer Krisensituation ist1. Die entscheidende Aussage des § 22 SchVG ist, dass das Ermächtigungsprinzip auch auf die Änderung der Sicherungsabrede erstreckt wird, auch und gerade wenn sie nicht selbst Bestandteil der Anleihebedingungen ist. Damit knüpft § 22 SchVG an allgemeine Regelungen zum Vertrag zugunsten Dritter an. Soll nämlich nach Auslegung der Vereinbarung dem Gläubiger ein unentziehbares Recht gewährt werden, bedarf die Änderung der Vereinbarung der Zustimmung des Gläubigers2. Es ist offensichtlich, dass die Sicherheitengewährung ein solcher Fall ist.

II. Voraussetzungen 1. Mitverpflichteter 2

§ 22 Satz 1 SchVG definiert im Wege einer Legaldefinition den Mitverpflichteten. Es handelt sich um den Sicherungsgeber, der nicht mit dem Emittenten identisch ist und Sicherheiten gewährt. Eine Einschränkung dergestalt, dass nur der Fall gemeint ist, dass die Anleihe über eine vermögenslose Zweckgesellschaft emittiert wird, besteht nicht3. Demgemäß genügt es, dass der Emittent nicht selbst als Sicherungsgeber auftritt. Mitverpflichteter ist folglich eine jeweils andere natürliche oder juristische Person.

3

Ob § 22 SchVG auch dann gilt, wenn der Emittent selbst Sicherungsgeber ist, wird zum Teil für den Fall bejaht, dass die vertraglichen Grundlagen nicht Bestandteil der Anleihebedingungen sind4. Das erscheint aber kaum denkbar, weil dann die Bestellung der Sicherheit und die Sicherungsabrede eigentlich denklogisch in den Anleihebedingungen erfolgt. Soweit dies nicht geschieht, besteht der Konflikt zu § 4 SchVG. 2. Sicherheiten

4

Auch der Begriff der Sicherheitengewährung ist weit zu verstehen. Er ist auch nicht auf Fälle des § 232 BGB beschränkt5. Es können Personal- und Realsicherheiten sein. Regelmäßig wird es um eine Garantie gehen. Denkbar sind aber auch Bürgschaften, aber richtigerweise auch solche Sicherheiten, die in einem Schuldbeitritt bzw. allgemein: der Begründung einer eigenen, parallelen Schuld gegenüber den Anleihegläubigern bestehen6, auch Patronats- und Verpflichtungserklärungen7. Insbesondere können auch von einem Dritten gestellte dingliche Sicherheiten bei Asset Backed Securities von § 22 SchVG erfasst sein. Soweit in diesem Fall die Sicherheit in Absprache mit dem Emittenten von dem Dritten an einen Sicherungstreuhänder übertragen wird, der sie für die Gläubiger hält, greift § 22 SchVG hinsichtlich der erforderlichen Zustimmung sowohl für rechtsgeschäftliche Änderungen der Sicherungsabreden im Verhältnis Schuldner/Treuhänder als auch im Verhältnis Sicherungsgeber/Treuhänder. Hat der Emittent selbst die Sicherheiten gestellt und sie dem Treuhänder übertragen, ist dies kein Fall von § 22 SchVG (soeben Rz. 3).

1 2 3 4

Lawall in Friedl/Hartwig-Jacob, § 22 SchVG Rz. 2. Vgl. § 328 Abs. 2 BGB und Grüneberg in Palandt, § 328 BGB Rz. 4. Lawall in Friedl/Hartwig-Jacob, § 22 SchVG Rz. 4. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 22 SchVG Rz. 9. 5 Ggf. anders Dippel/Preuße in Preuße, § 22 SchVG Rz. 4; Lawall in Friedl/Hartwig-Jacob, § 22 SchVG Rz. 6. 6 Lawall in Friedl/Hartwig-Jacob, § 22 SchVG Rz. 6. 7 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 22 SchVG Rz. 5.

522

Thole

Geltung für Mitverpflichtete

Rz. 9 § 22 SchVG

3. Sicherungsabrede nicht schon Teil der Anleihebedingungen Ist die jeweilige Sicherungsabrede bereits umfänglich Teil der Anleihebedingungen, ist deren 5 Änderung bereits ein Normfall von §§ 5-21 SchVG. § 22 SchVG erlangt daher dann Bedeutung, wenn die Sicherungsvereinbarungen nicht Teil der Anleihebedingungen sind8. In diesem Fall können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die §§ 5-21 SchVG auch für die Änderungen der Sicherungsabreden gelten, obwohl sie ja gerade nicht Bestandteil der Anleihebedingungen sind. Gemeint ist, dass dann die §§ 5-21 SchVG für die erforderliche Zustimmung der Gläubiger zur Änderung gilt. Daraus folgt: In welcher Weise die Sicherungsabrede geändert wird, ist naturgemäß zunächst einmal der vertraglichen Disposition von Emittent und Sicherungsgeber überlassen, wenn und weil es insoweit um einen Vertrag zugunsten der Gläubiger geht.

III. Geltung der §§ 5 bis 21 SchVG Die in § 22 SchVG gewährte Möglichkeit, die §§ 5-21 SchVG auf die Änderungen der Rechtsgeschäfte anzuwenden, besteht nur insgesamt9. Insofern besteht keine Möglichkeit eines Rosinenpickens. Allerdings dürfte es zulässig sein, gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 SchVG dort abzuweichen, wo das Gesetz es selbst zulässt.

6

IV. Anforderungen nach § 22 Satz 2 SchVG § 22 Satz 2 SchVG ist eine Transparenzvorschrift. Soll von der mit § 22 SchVG gewährten Erweiterung Gebrauch gemacht werden, müssen die Anleihebedingungen Mehrheitsbeschlüsse vorsehen und die Rechtsgeschäfte und die Mitverpflichteten hinreichend bestimmt bezeichnen.

7

V. Kollisionsrecht Problematisch ist noch, wie sich § 22 SchVG zu Fragen des auf die Sicherungsabrede anwendbaren Rechts verhält. Ist die Sicherungsabrede nach ausländischem Vertragsrecht abgeschlossen worden, gilt dies auch für die Änderung. Das bedeutet zunächst, was § 22 SchVG ohnedies unberührt lässt (soeben Rz. 5), dass die Änderung im Verhältnis zwischen Schuldner und Sicherungsgeber nach dem ausländischen Recht wirksam vereinbart werden muss. Ist dann auch nach dem ausländischen Recht eine Zustimmung der Gläubiger erforderlich, kann diese aber im Verfahren nach § 22 i.V.m. §§ 5 bis 21 SchVG eingeholt werden. Ist bereits nach dem ausländischen Recht (ausnahmsweise) keine Zustimmung der Gläubiger zur Vertragsänderung erforderlich, ist die Änderung ohne weiteres wirksam. Fraglich kann dann aber sein, ob der Emittent mit der Einigung gegen seine Pflichten gegenüber den Gläubigern verstößt.

8

Geht es um den Vollzug der beschlossenen Änderungen, kann auch das Sachenrechtsstatut (lex rei sitae) anzuwenden sein; dazu verhält sich § 22 SchVG nicht.

9

8 Dippel/Preuße in Preuße, § 22 SchVG Rz. 8 f. 9 Dippel/Preuß, in Preuße, § 22 SchVG Rz. 9.

Thole 523

Abschnitt 3 Bußgeldvorschriften; Übergangsbestimmungen

§ 23 Bußgeldvorschriften (1) Ordnungswidrig handelt, wer 1. entgegen § 6 Absatz 1 Satz 3 erster Halbsatz Schuldverschreibungen überlässt, 2. entgegen § 6 Absatz 1 Satz 4 das Stimmrecht ausübt, 3. entgegen § 6 Absatz 2 einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt oder 4. entgegen § 6 Absatz 3 einen Vorteil oder eine Gegenleistung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt. (2) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen § 7 Absatz 1 Satz 2 einen maßgeblichen Umstand nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig offenlegt. (3) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu hunderttausend Euro geahndet werden. I. Normzweck und Systematik. . . . . . . . . II. Tatbestandsalternativen 1. Überlassen von Schuldverschreibungen, § 23 Abs. 1 Nr. 1 SchVG. . . . . . . . . . . . . 2. Ausüben des überlassenen Stimmrechts, § 23 Abs. 1 Nr. 2 SchVG. . . . . . . . . . . . .

1

2 3

3. Vorteilsgewährung, § 23 Abs. 1 Nr. 3 SchVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorteilsannahme, § 23 Abs. 1 Nr. 4 SchVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mangelnde Offenlegung des gemeinsamen Vertreters, § 23 Abs. 2 SchVG . . . III. Höhe der Geldbuße und Verfahren . . .

4 5 6 8

I. Normzweck und Systematik 1

Die Vorschrift enthält eine dem § 39 WpHG nachgebildete1 Bußgeldvorschrift und ist Teil des Ordnungswidrigkeitenrechts. Sie knüpft an das Verbot des Stimmenkaufs und der Manipulation der Stimmrechte nach § 6 Abs. 2 und 3 SchVG an (Abs. 1 SchVG) sowie an die Nichtoffenlegung von Umständen bei der Bestellung eines Wahlvertreters nach § 7 Abs. 1 (Abs. 2 SchVG). Die Vorschrift sichert nicht sämtliche Pflichten in § 7 SchVG ab (dazu schon § 7 SchVG Rz. 8 und § 8 SchVG Rz. 4).

II. Tatbestandsalternativen 1. Überlassen von Schuldverschreibungen, § 23 Abs. 1 Nr. 1 SchVG 2

Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen (§ 6 Abs. 1 Satz 2 SchVG), einem anderen zum Zwecke der Stimmrechtsausübung überlasst (näher zu den Voraussetzungen § 6 SchVG Rz. 23). Adressiert ist das Verbot an den Schuldner oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen. Da das Unternehmen nicht selbst handeln kann, gilt § 30 OWiG. Die Geldbuße trifft kraft der Zurech1 Veranneman in Veranneman, § 23 SchVG Rz. 1; Dippel/Preuße in Preuße, § 23 SchVG Rz. 1; Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 23 SchVG Rz. 1.

524

Thole

Bußgeldvorschriften

Rz. 7 § 23 SchVG

nung des Organhandelns den Schuldner bzw. das Unternehmen. Die Tatbegehung ist mangels anderweitiger Anordnung nur vorsätzlich möglich, § 10 OWiG. Das Merkmal „zu dem Zweck“ in § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG ist kein subjektives Merkmal (dazu § 6 SchVG Rz. 27). 2. Ausüben des überlassenen Stimmrechts, § 23 Abs. 1 Nr. 2 SchVG Auch das Ausüben des entgegen § 6 Abs. 1 Satz 3 SchVG überlassenen Stimmrechts ist ord- 3 nungswidrig. Auch insoweit muss Vorsatz vorliegen. Das bedeutet insbesondere, dass der Täter Kenntnis in tatsächlicher Hinsicht von dem Ruhen des Stimmrechts bzw. den dies begründenden Umständen gehabt haben muss. 3. Vorteilsgewährung, § 23 Abs. 1 Nr. 3 SchVG Ordnungswidrig handelt, wer entgegen § 6 Abs. 2 SchVG einen Vorteil anbietet, verspricht oder gewährt. Es kommt insoweit nicht darauf an, wie die stimmberechtigte Person tatsächlich abstimmt. Zu der stimmberechtigten Person i.S.d. § 6 Abs. 2 SchVG sind nicht nur die Stimmrechtsträger, sondern auch deren Bevollmächtigte und Vertreter zu zählen2. Zum Begriff des Vorteils siehe § 6 SchVG Rz. 44. Vorsatz ist erforderlich.

4

4. Vorteilsannahme, § 23 Abs. 1 Nr. 4 SchVG Die Vorschrift ist die Kehrseite zu § 23 Abs. 1 Nr. 3 SchVG und hat die stimmberechtigte Person im Blick, die einen Vorteil oder eine Gegenleistung fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, damit sie nicht oder in einem bestimmten Sinne abstimmt. Es muss ein Nexus zwischen Vorteil und angestrebtem Stimmverhalten bestehen. Der Tatbestand ist aber auch dann erfüllt, wenn der Stimmberechtigte zunächst den Vorteil annimmt, es sich aber bei der Abstimmung in letzter Minute anders überlegt und dann entgegen den Erwartungen des Vorteilsgewährenden abstimmt. Auch dieser Tatbestand erfordert Vorsatz.

5

5. Mangelnde Offenlegung des gemeinsamen Vertreters, § 23 Abs. 2 SchVG Nach § 23 Abs. 2 SchVG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder leichtfertig entgegen 6 § 7 Abs. 1 Satz 2 SchVG einen maßgeblichen Umstand nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig (d.h. vor der Bestellung) offenlegt. Das Verbot betrifft den zu wählenden gemeinsamen Vertreter. Für den Vertragsvertreter und die Fälle des § 8 Abs. 1 Satz 4 und 5 SchVG gilt es nicht. Auch die Fälle, in denen die mangelnde Sachkunde nicht offengelegt wird (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SchVG) oder nachträglich über die eingetretenen Umstände nach § 7 Abs. 1 Satz 3 SchVG zu unterrichten ist, sind mangels gesetzlicher Anordnung nicht bußgeldbewehrt. § 23 Abs. 2 SchVG sieht auch eine leichtfertige Tatbegehung vor. Leichtfertigkeit ist ein gesteigerter Fahrlässigkeitsvorwurf. Unter Leichtfertigkeit ist eine graduell gesteigerte (grobe) Fahrlässigkeit zu verstehen3.

2 Friedl in Friedl/Hartwig-Jacob, § 23 SchVG Rz. 7. 3 BGH v. 13.4.1960 – 2 StR 593/59, BGHSt 14, 240 (255) = NJW 1960, 1678; BGH v. 4.2.2010 – 4 StR 394/09, NStZ-RR 2010, 178 (179); Rengier in Karlsruher Kommentar OWiG, 4. Aufl. 2014, § 10 OWiG Rz. 49.

Thole 525

7

§ 23 SchVG Rz. 8 Bußgeldvorschriften

III. Höhe der Geldbuße und Verfahren 8

Die Höchstgrenze für die Geldbuße beträgt nach § 23 Abs. 3 SchVG 100 000 Euro. Der Gesetzgeber wollte insoweit bewusst einen recht hohen Bußgeldrahmen schaffen4: Die zuständige Bußgeldbehörde ist in § 23 SchVG nicht genannt. Daher ist auf das OWiG zurückzugreifen, das in § 36 Abs. 1 Nr. 2a die fachlich zuständige oberste Landesbehörde für zuständig erklärt. Durch Rechtsverordnung kann die Zuständigkeit auf untere Behörden und Stellen delegiert werden, § 36 Abs. 2 OWiG. Zur örtlichen Zuständigkeit siehe § 37 OWiG. Für das Verfahren gelten die §§ 46 ff. OWiG, die grundsätzlich auf die StPO Bezug nehmen.

§ 24 Übergangsbestimmungen (1) 1Dieses Gesetz ist nicht anzuwenden auf Schuldverschreibungen, die vor dem 5. August 2009 ausgegeben wurden. 2Auf diese Schuldverschreibungen ist das Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 4134-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Artikel 53 des Gesetzes vom 5. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2911) geändert worden ist, weiter anzuwenden, soweit sich aus Absatz 2 nichts anderes ergibt. (2) 1Gläubiger von Schuldverschreibungen, die vor dem 5. August 2009 ausgegeben wurden, können mit Zustimmung des Schuldners eine Änderung der Anleihebedingungen oder den Austausch der Schuldverschreibungen gegen neue Schuldverschreibungen mit geänderten Anleihebedingungen beschließen, um von den in diesem Gesetz gewährten Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen zu können. 2Für die Beschlussfassung gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend; der Beschluss bedarf der qualifizierten Mehrheit. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . 1. Ausgabe: Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . .

1 2 3

2. Aufstockung der Altanleihen . . . . . . . . . III. Wahlrecht nach § 24 Abs. 2 SchVG . . .

6 8

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des SchVG, ZIP 2014, 845-857; Baums, Weitere Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZHR 177 (2013), 807-818; Baums/Schmidtbleicher, Neues Schuldverschreibungsrecht und Altanleihen, ZIP 2012, 204-217; Bungert, Wertpapierbedingungen und Inhaltskontrolle nach dem AGB-Gesetz, DZWiR 1996, 185-199; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, Diss. Freiburg 2012; Florstedt, Reformbedarf und Reformperspektiven im Schuldverschreibungsrecht, WiVerw 2014, 155-163; Horn, Änderung von Anleihebedingungen und Skripturakt, in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521-530; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen, Diss. Köln 1993; Keller, Die Übergangsregelungen des neuen Schuldverschreibungsgesetzes, BKR 2009, 15-18; Keller/Rühle, Die Restrukturierung von Anleihe in Zeiten des SchVG 2009, BB 2014, 907-914; Kusserow, Opt-In Beschlüsse nach dem neunen Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen, WM 2011, 1645-1651; Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, Diss. Tübingen 2011; Lürken, Keine nachträgliche Einführung von Mehrheitsklauseln nach dem SchVG bei vor dem 05.08.2009 von Auslandsemittenten begebenen Anleihen, GWR 2012, 227; Müller-Eising, Zur Änderung der Anleihebedin4 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 26 f.

526

Artzinger-Bolten/Wöckener

Übergangsbestimmungen

Rz. 3 § 24 SchVG

gungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger von Altanleihen, EWiR 2014, 611-612; Oulds, Restrukturierungen nach dem Schuldverschreibungsgesetz und Bundesschuldenwesengesetz, CFl 2012, 353-363; Paulus, Schuldverschreibungen, Restrukturierungen, Gefährdungen, WM 2012, 1109-1113.

I. Überblick § 24 SchVG ermöglicht die Restrukturierung von Anleihen, die vor dem Inkrafttreten des neuen SchVG 2009 ausgegeben wurden, sog. Altanleihen. Den Gläubigern solcher Altanleihen wird auf diese Weise, unter Vorbehalt der Zustimmung des Emittenten, de lege lata die Möglichkeit eingeräumt, im Anwendungsbereich des SchVG durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss die Anwendbarkeit des neuen Schuldverschreibungsgesetzes auf die Bedingungen der Altanleihen zu erreichen und so von den erleichterten Restrukturierungsmöglichkeiten zu profitieren. Der vormals umstrittene Anwendungsbereich der Norm wurde durch eine Entscheidung des BGH konkretisiert und bestätigt. Danach gilt § 24 Abs. 2 SchVG nicht nur für solche Altanleihen, die vom Anwendungsbereich des alten SchVG 1899 erfasst sind, sondern für sämtliche vor Inkrafttreten des SchVG 2009 begebenene Anleihen, die seinem Anwendungsbereich unterfallen. In der Änderung der Bedingungen durch Mehrheitsbeschluss sieht der BGH dabei keine unzulässige Einschränkung der Rechte der Anleihegläubiger.1

1

II. Zeitlicher Anwendungsbereich Mit dem Inkrafttreten des neuen Schuldverschreibungsgesetzes am 5.8.2009 ist das alte SchVG 1899 außer Kraft getreten.2 In diesem Zusammenhang legt § 24 SchVG in Abs. 1 den zeitlichen Anwendungsbereich des SchVG fest und differiert dabei ausschließlich nach dem Ausgabedatum der Schuldverschreibungen. Maßgeblich ist hiernach, ob es sich um Schuldverschreibungen handelt, die vor dem Stichtag, dem 5.8.2009, ausgegeben wurden, oder, ob das Ausgabedatum nach diesem Stichtag liegt. Das neue SchVG gilt damit grundsätzlich nicht für Altanleihen.

2

1. Ausgabe: Maßgeblicher Zeitpunkt Für das somit allein maßgebliche Kriterium der Ausgabe enthalten weder das Gesetz selbst, noch die Gesetzesbegründung verwertbare Kriterien für die Beurteilung, wann Anleihen als ausgegeben anzusehen wären. Zielführend kann es demnach nur sein, den Begriff „ausgegeben“ als deckungsgleich mit dem Begriff „begeben“ zu betrachten.3 Entscheidend ist in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt der Entstehung der Forderung aus der Schuldverschreibung (siehe dazu § 2 SchVG Rz. 18 ff.). Der Skripturakt allein, also die technische Erstellung der Urkunde durch den Emittenten, reicht nicht, weil die Urkunde eine einseitige Erklärung darstellt und es dem deutschen Recht fremd ist (mit Ausnahme der Auslobung i.S.d. § 657 BGB), rechtsgeschäftliche Verpflichtungen durch einseitige Erklärungen zu begründen. Erforderlich ist deshalb zudem auch der Abschluss des Begebungsvertrages zwischen dem Erstkäufer und dem Emittenten. Dieser Begebungsvertrag hat eine Doppelnatur. Einerseits ist er schuldrechtlicher Natur, weil er die Einigung der Vertragsparteien über die Entstehung der verbrieften Forderung enthält. Andererseits ist er sachenrechtlicher Natur, weil er die dingliche Einigung i.S.d. §§ 929 ff. BGB darüber enthält, dass die Urkunde an 1 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 9 ff., ZIP 2014, 1876 (1877 f.) = AG 2014, 784. 2 Art. 8 des Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung vom 31.7.2009 – BGBl. I 2009, 2512 (2519 f.). 3 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 4.

Artzinger-Bolten/Wöckener 527

3

§ 24 SchVG Rz. 4 Übergangsbestimmungen den Erwerber übereignet wird.4 Handelt es sich um den direkten Vertrieb der Anleihen an die Anleger (Eigenemission), wird der Begebungsvertrag zwischen dem Emittenten und dem Anleger abgeschlossen. Im Rahmen der Fremdemission unter Einschaltung eines Intermediärs (zu den Formen der Emission siehe § 3 SchVG Rz. 85 ff.) wird dieser Vertrag zwischen dem Emittenten und der Emissionsbank (oder dem Bankenkonsortium) abgeschlossen. 4

Bedeutsam ist die ausdrückliche Klarstellung durch den Wortlaut des § 24 SchVG, wonach ein etwaiger Vollzug des dinglichen Erwerbs der Schuldverschreibung, welcher hinsichtlich der einzelnen Erwerber variieren kann, nicht von Relevanz ist.5 Allein maßgeblich, und dies trägt erheblich zur Rechtssicherheit bei, ist die Ausgabe der Schuldverschreibungen, also die dingliche Einigung.

5

Der Tag der Ausgabe (oder Begebung) der Schuldverschreibung ist im Allgemeinen der Tag der Begebung unter Abschluss des Übernahmevertrages (Subscription Agreement).6 Dies gilt sowohl bei der mittelbaren Platzierung, bei der die Übernahme der Schuldverschreibungen und der Abschluss des Übernahmevertrages zwischen der Emittenten und der Emissionsbank (oder dem Bankenkonsortium) am Schlusstermin (Closing Day) erfolgt7, als auch bei der Eigenemission, bei der die Übernahme direkt zwischen Emittent und Anleger erfolgt. Das Datum der Urkunde selbst ist hierfür hingegen nicht maßgeblich.8 Bei prospektpflichtigen Emissionen kann der Wertpapierbeschreibung zumindest der „erwartete Emissionstermin“ entnommen werden.9 Eine exakte Terminierung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben.10 2. Aufstockung der Altanleihen

6

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SchVG gilt das neue SchVG nicht für Altanleihen. Für sie gilt weiter das alte SchVG 1899, soweit sie von seinem Anwendungsbereich erfasst sind. Bei Aufstockung von Altanleihen nach dem Stichtag 5.8.2009 tritt deshalb der Sonderfall ein, dass die Ausgabe der erste Tranche der Anleihe vor dem Inkrafttreten des SchVG 2009 erfolgt ist, während die zweite Tranche erst nach diesem Zeitpunkt ausgegeben wird. In Konsequenz des oben Gesagten gilt für die erste Tranche daher das alte SchVG 1899, für die neue Tranche das neue SchVG 2009. Entgegen möglicher Bedenken führt dies allein allerdings noch nicht automatisch zu einer Einstufung dieser Anleihen als nicht mehr inhaltsgleich.

7

Die Inhaltsgleichheit bleibt bestehen, wenn für den aufgestockten Teil der Schuldverschreibungen die Geltung der §§ 5 ff. SchVG 2009 nicht vorgesehen ist. Nur in diesem Fall beruhen beide Tranchen auf gleichen Bedingungen und sind damit identisch. § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG erlaubt aber ein Opt-In, also Unterwerfung der Anleihebedingungen unter das Regime der §§ 5 bis 21 SchVG. Optieren dementsprechend die Anleihebedingungen der neuen Tranche für die Geltung dieser Vorschriften zur Anleihegläubigerversammlung, können die Bedingungen beider Tranchen nicht mehr als identisch betrachtet werden. Entscheidend ist

4 Leber, Der Schutz und die Organisation der Obligationäre nach dem Schuldverschreibungsgesetz, S. 35; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 83 f.; Kallrath, Die Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen, S. 42; Horn in Gedächtnisschrift Hübner, 2012, S. 521 (523); Bungert, DZWiR, 1996, 185 (186); Thomas in Palandt, § 793 BGB Rz. 8. 5 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 84 f. 6 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 4; Dippel/Preuße in Preuße, § 24 SchVG Rz. 3. 7 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 4; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 84. 8 Dippel/Preuße in Preuße, § 24 SchVG Rz. 3. 9 Veranneman in Veranneman, § 24 SchVG Rz. 4. 10 Weiterführend Veranneman in Veranneman, § 24 SchVG Rz. 4.

528

Artzinger-Bolten/Wöckener

Übergangsbestimmungen

Rz. 9 § 24 SchVG

somit für den aufgestockten Teil nicht die Geltung der §§ 1 bis 4 SchVG, da die §§ 1 bis 4 SchVG im Gegensatz zu §§ 5 ff. SchVG keinen Einfluss auf den materiellen Inhalt der Anleihebedingungen haben. Nur die §§ 5 bis 21 SchVG, die einen entsprechenden Einfluss auf die Anleihebedingungen haben, können die Inhaltsgleichheit beeinträchtigen.11 Im Falle einer Aufstockung von Altanleihen nach Inkrafttreten des SchVG 2009 muss zur Wahrung der Inhaltsgleichheit der Schuldverschreibungen somit von der Geltung der Regelung von §§ 5 ff. SchVG abgesehen werden. Ist dies nicht gewollt, bleibt alternativ die Möglichkeit die Anleihebedingungen der ersten Tranche, die vor dem 5.8.2009 ausgegeben wurde, nach § 24 Abs. 2 SchVG zu ändern, sodass sie ihrerseits die Geltung der §§ 5 ff. SchVG vorsehen.12

III. Wahlrecht nach § 24 Abs. 2 SchVG § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG sieht für die Gläubiger der Anleihen, die vor dem 5.8.2009 begeben wurden, also der Altanleihen, unter Vorbehalt der Zustimmung des Emittenten, zwei Optionen vor, um durch ein Opt-In von den Wahlmöglichkeiten des neuen SchVG profitieren zu können. Ein solches Opt-In i.S.d. § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG ist zum einen im Wege der Änderung der Anleihebedingungen und zum anderen durch den Austausch der Schuldverschreibungen gegen neue Schuldverschreibungen mit geänderten Anleihebedingungen möglich. Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 SchVG müssen freilich erfüllt sein. Die Anleihen müssen daher (weiterhin) deutschem Recht unterliegen sowie gleiche Rechte aus Gesamtemission verbriefen.

8

In diesem Zusammenhang findet die Übergangsregelung des § 24 Abs. 2 SchVG laut BGH 9 auch auf Altanleihen Anwendung, die nicht dem SchVG 1899 unterfallen.13 Nach Ansicht des BGH enthält § 24 Abs. 2 Satz SchVG eine eigenständige Regelung, die auf sämtliche Altanleihen Anwendung findet, die dem deutschen Recht unterfallen und vor dem 5.8.2009 begeben wurden. Eine Beschränkung auf solche Anleihen, die vom Anwendungsbereich des alten SchVG erfasst sind, besteht nicht. Der Leitgedanke dieser Entscheidung liegt in dem Motiv des Gesetzgebers, die Schwäche des alten Schuldverschreibungsrechts zu beseitigen und die Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschlüsse auch für die von den ausländischen Emittenten begebenen Anleihen zu ermöglichen14 und somit Restrukturierungen und Sanierungen zu vereinfachen und nicht etwa eine zusätzliche Rechtszersplitterung herbeizuführen. Dabei hat der BGH in der Wahlmöglichkeit für diese Altanleihen keinen unzulässigen rückwirkenden Eingriff in die Rechte der Anleihegläubiger gesehen, da die Vorschrift des § 24 Abs. 2 SchVG keine abgeschlossenen Sachverhalte regelt und weder gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes noch der Verhältnismäßigkeit verstößt.15 11 Dippel/Preuße in Preuße, § 24 SchVG Rz. 7; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 92 f. 12 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 20. 13 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 (1877) = AG 2014, 784; BGH v. 2.12.2014 – II ZB 2/14, WM 2015, 470 (471). 14 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 9, ZIP 2014, 1876 (1877) = AG 2014, 784. 15 BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13 – Rz. 12, ZIP 2014, 1876 (1878) = AG 2014, 784; dazu Müller-Eising, EWiR 2014, 611 f.; ebenso Veranneman in Veranneman, § 24 SchVG Rz. 1; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 6; Lürken, GWR 2012, 227; Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845 (857); Baums, ZHR 177 (2013), 807 ff.; Baums/Schmidtbleicher, ZIP 2012, 204 ff.; Oulds, CFl 2012, 353 (355 ff.); Paulus, WM 2012, 1109 (1112 f.); Keller, BKR 2012, 15 ff.; Keller/Rühle, BB 2014, 907 ff.; Florstedt, WiVerw 2014, 155 (159); OLG Schleswig v. 10.12.2013 – 2 W 82/13, ZIP 2014, 221 (223) = AG 2014, 204; a.A. OLG Frankfurt v. 27.3.2012 – 5 AktG 3/11, AG 2012, 373 = ZIP 2012, 725.

Artzinger-Bolten/Wöckener 529

§ 24 SchVG Rz. 10 Übergangsbestimmungen 10

Für die Anwendbarkeit der Vorschriften des SchVG ist nach § 24 Abs. 2 Satz 2 SchVG ein Beschluss der Anleihegläubiger erforderlich. Dieser Beschluss bedarf der qualifizierten Mehrheit. Eine Legaldefinition der qualifizierten Mehrheit ist in § 5 Abs. 4 Satz 2 SchVG enthalten. Erforderlich ist danach eine Mehrheit von mindestens 75 % der abgegebenen Stimmen. Bei der Beschlussfassung gelten gem. § 24 Abs. 2 Satz 2 SchVG die Vorschriften des SchVG entsprechend. Der Beschluss kann deshalb, wie § 5 Abs. 6 SchVG bestimmt, in einer Anleihegläubigerversammlung oder durch eine Abstimmung ohne Versammlung gefasst werden. Die Zustimmung des Emittenten als Schuldner kann dabei sowohl vor, als auch nach dem Ergehen des Beschlusses der Anleihegläubiger entsprechend den Vorschriften der §§ 182 ff. BGB erteilt werden.16

11

Der Wortlaut des etwas unglücklich formulierten § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG „um von den in diesem Gesetz gewährten Wahlmöglichkeiten Gebrauch machen zu können“ darf nicht so verstanden werden, dass die Anleihegläubiger, um die Änderung der Bedingungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG zu ermöglichen, zweimal optieren müssen: Einmal i.S.v. § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG und einmal nach § 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG. Es ist kein zweifacher Opt-In erforderlich. Stimmen die Anleihegläubiger der Geltung des neuen SchVG im Wege eines Mehrheitsbeschlusses zu, stimmen sie damit der Geltung des ganzen Gesetzes zu, auch der Anwendung der §§ 5 ff. SchVG.17

12

Zur Änderungen der Anleihebedingungen der Altanleihe sind freilich dennoch zwei konditional verknüpfte Beschlüsse notwendig. Der erste Beschluss betrifft die Anwendbarkeit des neuen SchVG in seiner Gesamtheit (Opt-In-Beschluss) und ermächtigt damit zu der Änderung der Anleihebedingungen. Der zweite Beschluss führt den vorausgegangenen Opt-In-Beschlusses aus und bestimmt, inwieweit die Bedingungen konkret geändert werden (Ausführungsbeschluss).18 Obwohl technisch gesehen also ein zweiaktiges Verfahren zugrunde liegt, kann der zweite Beschluss im selben Abstimmungsverfahren gefasst werden wie der erste. Eine separate Anleihegläubigerversammlung ist nicht erforderlich, weil für die Anleihegläubiger keine Überrumpelungsgefahr besteht.19

13

Eine weitere Besonderheit ist im Rahmen des § 22 SchVG zu beachten, der eine Regelung über die Garantien der Mitverpflichteten enthält. Nach § 22 SchVG können Bedingungen über Sicherheiten anderer Person als der Emittenten geändert werden, falls die Anleihebedingungen dies vorsehen. Solche Änderungen bedürfen ebenfalls eines Mehrheitsbeschlusses der Anleihegläubiger. § 22 SchVG verweist aber nur auf §§ 5 bis 21 SchVG und nicht auf § 24

16 Dippel/Preuße in Preuße, § 24 SchVG Rz. 10; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 86; Veranneman in Veranneman, § 24 SchVG Rz. 11. 17 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 10 f.; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 86 f.; Veranneman in Veranneman, § 24 SchVG Rz. 8; siehe auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 27 (es wird verwiesen auf die Anwendbarkeit des ganzen neuen Rechts). 18 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 10, 12. 19 Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 87 ff.; Kusserow, WM 2011, 1645 (1646 f.); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 24 SchVG Rz. 13 m.w.N.

530

Artzinger-Bolten/Wöckener

Übergangsbestimmungen

Rz. 13 § 24 SchVG

SchVG.20 Ein Opt-In-Beschluss nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG enthält demnach an sich noch keine Grundlage für die Änderung der Bedingungen über Sicherheiten der Mitverpflichteten. Technisch betrachtet ist deshalb ein dreiaktiges Beschlussverfahren notwendig, in dem zunächst nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SchVG ein Opt-In-Beschluss über die Anwendbarkeit des SchVG in seiner Gesamtheit und somit auch des § 22 SchVG gefasst werden muss, dem ein zweiter Beschluss folgt, der die Bedingungen insoweit ändert, dass §§ 5 bis 21 SchVG auf Sicherheiten anwendbar sind. Erst der dritte Beschluss kann die Bedingungen der Altanleihe über Sicherheiten ändern.21

20 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 15. 21 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 24 SchVG Rz. 15; Cagalj, Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, S. 91 f.; Kusserow, WM 2011, 1645 (1651).

Artzinger-Bolten/Wöckener 531

2. Teil Kommentierung des § 221 AktG

§ 221 AktG (1) 1Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird (Wandelschuldverschreibungen), und Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden (Gewinnschuldverschreibungen), dürfen nur auf Grund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden. 2Der Beschluß bedarf einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlußfassung vertretenen Grundkapitals umfaßt. 3Die Satzung kann eine andere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. 4§ 182 Abs. 2 gilt. (2) 1Eine Ermächtigung des Vorstandes zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen kann höchstens für fünf Jahre erteilt werden. 2Der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats haben den Beschluß über die Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen sowie eine Erklärung über deren Ausgabe beim Handelsregister zu hinterlegen. 3Ein Hinweis auf den Beschluß und die Erklärung ist in den Gesellschaftsblättern bekanntzumachen. (3) Absatz 1 gilt sinngemäß für die Gewährung von Genußrechten. (4) 1Auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechte haben die Aktionäre ein Bezugsrecht. 2Die §§ 186 und 193 Abs. 2 Nr. 4 gelten sinngemäß. Kapitel 1 Allgemeines A. Regelungsmotiv, Normzweck . . . . . . . B. Normhistorie I. Entwürfe zur Reform des Aktienrechts 1930 und 1931 . . . . . . . . . . . . . . II. AktG 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. AktG 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Änderungen betreffend den Beschluss der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . V. Änderungen betreffend das Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . . . . . . . . . . VI. Änderungen betreffend das Umtauschrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . Kapitel 2 Einzelne Instrumente . . . . . . . . . . A. Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG) I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Aktien als Bezugsobjekt des Umtauschbzw. Bezugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Identitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . a) Drittemissionen: Grundsätzlich keine Anwendung von § 221 AktG. .

1

3 6 8 9 11 13 14 20

3.

23

4. II.

27 31 32

1.

b) Drittemissionen: Ausnahmen, insbesondere sog. Konzernanleihen . . . aa) Wirtschaftliche Zwecke . . . . . . . bb) Gestaltungsvarianten . . . . . . . . . cc) Entsprechende Anwendung von § 221 AktG . . . . . . . . . . . . . (1) Emissionsgesellschaft . . . . . . . . . (2) Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht . . . . . . . . . . dd) Absicherung der Umtauschbzw. Bezugsrechte . . . . . . . . . . . ee) Einlageleistung . . . . . . . . . . . . . . (1) Fremdnützige Anleiheemission (2) Eigennützige Anleiheemission . . (3) Konzerninternes Cash-Pooling Inhaber des Umtausch- bzw. Bezugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsstellung der Gläubiger . . . . . . . . . Wandelanleihen und verwandte Instrumente Herkömmliche Wandelanleihen (convertible bonds) . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Fest

33 34 36 39 40 44 48 50 51 54 60 67 68

70 71

533

§ 221 AktG b) Rechtsnatur des Umtauschrechts . . . c) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Umtauschrechts . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind . . . . . . . bb) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen . . . . . . . . . d) Umtauscherklärung und Rechtsfolgen betreffend die Schuldverschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Absicherung des Umtauschrechts. . . aa) Bedingte Kapitalerhöhung (1) Beschluss der Hauptversammlung (a) Verhältnis zu dem Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Mehrheitserfordernisse . . . . . . . (c) Inhaltliche Mindestanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausgabe der Bezugsaktien . . . . . (3) Kein Bezugsrecht der Aktionäre bb) Genehmigtes Kapital (1) Praktische Relevanz . . . . . . . . . . (2) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ordentliche Kapitalerhöhung . . (1) Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Praktische Bedeutung . . . . . . . . dd) Eigene Aktien . . . . . . . . . . . . . . . f) Vollzug des Aktienerwerbs . . . . . . . . aa) Bedingte Kapitalerhöhung . . . . . bb) Genehmigtes Kapital, ordentliche Kapitalerhöhung . . . . . . . . . cc) Eigene Aktien . . . . . . . . . . . . . . . g) Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bedingte Kapitalerhöhung . . . . . (1) Ausgabe der Wandelanleihe gegen Geldleistung . . . . . . . . . . . (2) Ausgabe der Wandelanleihe gegen Sachleistung . . . . . . . . . . . (3) Ausgabe der Wandelanleihe ohne Gegenleistung . . . . . . . . . . bb) Genehmigtes Kapital, ordentliche Kapitalerhöhung . . . . . . . . 2. Umgekehrte Wandelanleihe (reverse convertible bonds). . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorteile gegenüber anderen Anleiheformen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur des Umtauschrechts . . . c) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Umtauschrechts . . . . . . . . . . . . . d) Mitwirkung der Hauptversammlung e) Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . . . f) Umtauscherklärung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Absicherung der Umtauschrechte . .

534

Fest

73 74

3.

75 79 81 84

4. 86 87 88 94 95 96 101 106 107 111 112 117 119 120 121 122 123 124 128 130 131 132 133 137 139 142 143 144 145

5. III. 1.

aa) Erweiterung des Volumens . . . . bb) Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unbedingte Pflichtwandelanleihen (mandatory convertible bonds). . . . . . . a) Vorteile gegenüber herkömmlichen Wandelanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur der Wandlungspflicht . . c) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausgestaltung der Wandlungspflicht e) Mitwirkung der Hauptversammlung f) Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . . . g) Obligatorische Umtauscherklärung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . h) Absicherung der Umtauschrechte. . . i) Insolvenz des Emittenten . . . . . . . . . Bedingte Pflichtwandelanleihen (soft mandatory convertible bonds) . . . a) Wirtschaftliche Vorteile . . . . . . . . . . b) Rechtsnatur der bedingten Wandlungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . c) Anleihebedingungen, Ausgestaltung der Wandlungspflicht . . . . . . . . . . . . aa) Auslöseereignisse (trigger events) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umtauschquote und Umtauschverhältnis . . . . . . . . . . d) Mitwirkung der Hauptversammlung e) Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . . . f) Obligatorische Umtauscherklärung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . g) Absicherung der Umtauschrechte. . . Wandelbare Vorzugsaktien . . . . . . . . . . Optionsanleihen und verwandte Instrumente Optionsanleihen (bonds with warrants) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Möglichkeit umgekehrter Optionsanleihen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsnatur des Optionsrechts . . . . . d) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Optionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind . . . . . . . bb) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen . . . . . . . . . e) Bezugserklärung und Rechtsfolgen. . f) Absicherung des Bezugsrechts . . . . . g) Einlagen aa) Ausgestaltung der Einlageschuld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Synthetische Wandelanleihen. . . (2) Einlageschuld als Wahlschuld . .

146 148 153 154 156 159 163 167 169 170 171 172 173 175 183 184 185 190 193 195 196 197 200

202 203 206 207 209 210 216 217 220 222 223 224

§ 221 AktG (3) Inzahlungnahme der Schuldverschreibung. . . . . . . . . . . . . . . (4) Recht zur Kündigung der Schuldverschreibung mit Verrechnungsabrede. . . . . . . . . . bb) Bedingte Kapitalerhöhung . . . . . cc) Genehmigtes Kapital, ordentliche Kapitalerhöhung . . . . . . . . 2. Isolierte Optionsrechte . . . . . . . . . . . . . a) Naked warrants. . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsnatur des Optionsrechts cc) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Europäisches Recht . . . . . . . . . . (a) SE-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Kapital-Richtlinie. . . . . . . . . . . . (2) Deutsches Recht. . . . . . . . . . . . . (a) Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . (b) Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Schutz der Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre . . . . . . dd) Optionsbedingungen, Ausgestaltung des Optionsrechts. . . . . (1) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind . . . . . . . (2) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen . . . . . . . . . ee) Mitwirkung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Bezugsrecht der Aktionäre. . . . . gg) Absicherung der Bezugsrechte . . b) Covered warrants . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsnatur des Optionsrechts bb) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Optionsbedingungen, Ausgestaltung der Optionsrechte . . . . dd) Mitwirkung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bezugsrecht der Aktionäre. . . . . ff) Absicherung und Bedienung der Optionsrechte . . . . . . . . . . . 3. Optionsrechte als Baustein anderer Finanzinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . a) Optionsaktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirtschaftliche Vorteile . . . . . . . bb) Rechtsnatur des Optionsrechts, Ausgestaltung in den Optionsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mitwirkung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bezugsrecht der Aktionäre. . . . . ee) Absicherung der Bezugsrechte . . b) Going-Public-Optionsanleihen . . . . aa) Rechtsnatur des Optionsrechts bb) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

225 227 228 231 232 233 234 237 238 239 240 241 242 243 244 249 253 254 258 259 260 261 264 265 267

B. I. II. III. 1.

268 270 271 272 275 276 277 279 281 285 286 287 289 290

2. 3. IV. C. I. 1. 2. 3.

cc) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Optionsrechts . . . . . . . (1) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind . . . . . . . (2) Bestimmungen, die der AGBrechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen . . . . . . . . . dd) Mitwirkung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . ff) Bezugserklärung und Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Absicherung der Aktienoptionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Sonderfall: Ausgabe von GoingPublic-Optionsanleihen durch eine GmbH. . . . . . . . . . . . . . . . . c) Virtuelle Optionsrechte . . . . . . . . . . aa) Gestaltungsvarianten . . . . . . . . . bb) Keine Mitwirkung der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kein Bezugsrecht der Aktionäre Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG). . . . . Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anleihebedingungen, Ausgestaltung der Gläubigerrechte Verbindung mit Gewinnanteilen von Aktionären. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gewinnanteile von Aktionären aa) Verbindung mit Gewinnanteilen von Aktionären . . . . . . . . bb) Begriff des Gewinnanteils. . . . . . b) Rangverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufteilungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . Rückzahlung des Nennbetrags. . . . . . . . Verbindung mit Umtausch- und Bezugsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu Teilgewinnabführungsverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG). . . . Einsatzgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amortisationsgenussrechte . . . . . . . . . . Gründergenussrechte. . . . . . . . . . . . . . . Finanzierungsgenussrechte . . . . . . . . . . a) Inhaltliche Gestaltungsfreiheit . . . . . b) Funktionelles Eigenkapital ohne mitgliedschaftliche Rechte . . . . . . . . c) Bilanzielles Eigenkapital . . . . . . . . . . d) Steuerliche Behandlung . . . . . . . . . . e) Zurechnung zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln. . . . . . . . . . . . . . f) Kapitalmarktfähigkeit . . . . . . . . . . . .

Fest

291 292 294 295 296 297 298 299 302 303 304 307 308 309 311

313 314 317 319 320 321 323 324 329 330 331 333 335 336 337 338 340 341 342

535

§ 221 AktG 4. 5. 6. 7. 8. 9.

II. 1. 2. 3.

III. 1. 2.

536

Sanierungsgenussrechte. . . . . . . . . . . . . Unterbilanz-Genussrechte . . . . . . . . . . . Obligationen-Genussrechte. . . . . . . . . . Genussrechte als Gegenleistung. . . . . . . Genussrechte societatis causa . . . . . . . . Genussrechte und Arbeitnehmer . . . . . a) Mitarbeitergenussrechte . . . . . . . . . . b) Erwerb von Finanzierungsgenussscheinen durch eigene Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorteile gegenüber anderen Instrumenten der Mitarbeiterbeteiligung Rechtsnatur und Begriffsbestimmung Aktionärstypische Vermögensrechte . . . Leistung der Genussrechtsgläubiger . . . Abgrenzung zu anderen Rechtsverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorzugsaktien ohne Stimmrecht . . . b) Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einzelne Individualverträge als Genussrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gewinnbeteiligung als Bestandteil einer vertraglichen Gegenleistung . . aa) Tantiemen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . bb) Arbeitsverträge. . . . . . . . . . . . . . cc) Sonstige Verträge . . . . . . . . . . . . e) Stille Gesellschaft, Teilgewinnabführungsverträge. . . . . . . . . . . . . . aa) Notwendigkeit der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ertragsteuerrecht . . . . . . . . . . . . bb) Unterscheidungskriterium. . . . . f) Partiarisches Darlehen . . . . . . . . . . . Inhaltliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . Obligationsähnliche Genussrechte . . . . Aktienähnliche Genussrechte . . . . . . . . a) Zulässigkeit aktienähnlicher Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bemessungsgrundlage . . . . . . . . bb) Rangverhältnis . . . . . . . . . . . . . . cc) Aufteilungsmaßstab . . . . . . . . . . c) Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös der Gesellschaft . . . . . . . . aa) Begriff des Liquidationserlöses bb) Ausgestaltung der Beteiligung in den Genussrechtsbedingungen cc) Verhältnis zu dem Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . .

Fest

343 345 346 347 348 352 353 356 357 359 361 363 365 366 367 369 370 371 372 373 378 379 380 383 388 390 393 395 398 399 400 403 404 407 409 410 413 414 416 419

d) Teilnahme am Verlust der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Motive für die Verlustbeteiligung (1) Aufsichtsrechtliche Eigenmittelvorgaben . . . . . . . . . . . . . . (2) Vermögenswirksame Leistungen an Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . . bb) Unterscheidung vom bloßen Nachrang . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . (1) Laufende Anrechnung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Begriff des Verlusts. . . . . . . . . . . (b) Umfang der Verlustteilnahme . . (c) Maßstab für die Verlustbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Auswirkung auf das Recht auf Beteiligung am Gewinn . . . . . . . (2) Koppelung an Kapitalherabsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wiederauffüllung . . . . . . . . . . . . (1) Ergänzende Vertragsauslegung. . (2) Normative Vorgaben . . . . . . . . . (a) Bei der laufenden Anrechnung von Verlusten . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bei der Koppelung an Kapitalherabsetzungen . . . . . . . . . . . . . (3) Umsetzung der Wiederauffüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Aufschub und Ausfall von Ausschüttungen und Zinszahlungen e) Nachrangvereinbarung . . . . . . . . . . . aa) Aktionärstypisches Vermögensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Transparenz- und Angemessenheitskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . f) Mitverwaltungs- und Kontrollrechte aa) Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der Hauptversammlung cc) Andere Mitverwaltungs- und Kontrollrechte . . . . . . . . . . . . . . (1) Teilnahme an der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Informationsrechte . . . . . . . . . . g) Schutz der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte. . . . . . . . . . . . . . aa) Schadensersatz bei Pflichtverletzungen. . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhaltskontrolle auch anhand aktienrechtlicher Normen und Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausübungskontrolle . . . . . . . . . . 3. Aktiengleiche Genussrechte. . . . . . . . . . IV. Wandel- und Optionsgenussrechte . . .

420

421 424 425 426 428 429 430 433 434 436 439 441 442 443 445 449 452 455 456 458 461 462 463 467 468 469 470 471 475 479 480 483

§ 221 AktG Kapitel 3 Beschluss der Hauptversammlung A. Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands . . . . . . . . B. Ausnahme von dem Beschlusserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Einberufung der Hauptversammlung D. Beschlussfassung, Mehrheitserfordernisse (§ 221 Abs. 1 Satz 2-4 AktG). . . . I. Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sonderbeschlüsse bei mehreren Aktiengattungen (§ 221 Abs. 1 Satz 4 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Modifikationen in der Satzung (§ 221 Abs. 1 Satz 3 AktG) . . . . . . . . . . E. Beschlussinhalt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG) 1. Mindestinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fakultativer Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Durchführungspflicht des Vorstands. . . 4. Ausnahmen von der Durchführungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abweichung von dem Beschluss der Hauptversammlung. . . . . . . . . . . . . . . . II. Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mindestinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Befristung der Ermächtigung . . . . . . . . 4. Fakultativer Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Entscheidungsspielraum des Vorstands, Bindung an den Ermächtigungsinhalt 6. Abweichung von dem Ermächtigungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . F. Publizität (§ 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendungsbereich 1. Ermächtigungs- und Zustimmungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wandelschuldverschreibungen und andere Finanzinstrumente. . . . . . . . . . . II. Inhalt der Publizitätspflichten . . . . . . G. Fehlender und fehlerhafter Beschluss H. Zustimmung des Aufsichtsrats I. Kein Zustimmungsvorbehalt kraft Gesetzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zustimmungsvorbehalt in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat . . . . . . . . III. Zustimmungsvorbehalt im Beschluss der Hauptversammlung? . . . . . . . . . . .

487 492 493 497 498

499 503 506

510 515 516 520 524 527 528 529 534 538 540 543 547

548 549 551 553

556 557 560

Kapitel 4 Bezugsrecht der Aktionäre . . . . . . A. Unmittelbares Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 186 Abs. 1, 2 AktG) I. Zweck und wirtschaftliche Bedeutung II. Bezugsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bezugsberechtigte. . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Abstraktes Bezugsrecht und konkreter Bezugsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . V. Bestimmung der Bezugsfrist, Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bezugserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zuteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Gefährdung und Vereitelung der Zuteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Mittelbares Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG) . . . . . I. Voraussetzungen der Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . 1. Beschluss der Hauptversammlung . . . . 2. Emissionsunternehmen . . . . . . . . . . . . . 3. Angebotsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . a) Inhaltliche Äquivalenz . . . . . . . . . . . b) Vermeidung von Verzögerungen . . . c) Ausschluss von Dritteinwendungen II. Umfang der Fiktion . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausgabebetrag und Bezugspreis . . . . . IV. Bekanntmachungen nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . 1. Mittelbares Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . 2. Materieller Ausschluss des Bezugsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verwertung frei werdender Bezugsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ausschluss des Bezugsrechts (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG) . . . . . . . . . . . . . . I. Beschluss der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG). . . . . . . . . . . 1. Zustimmungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . 2. Ermächtigungsbeschluss . . . . . . . . . . . . 3. Umfang des Bezugsrechtsausschlusses. . 4. Mehrheit (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 2, 3 AktG) . . . . . . . . . II. Bekanntmachung der Ausschließungsabsicht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG). . . . . . . . . . .

Fest

562

565 566 569 573 577 581 585 587 593

595 596 597 601 603 604 606 607 608

610

611 612 613

614

615 616 617 619 622

623

537

§ 221 AktG III. Sachliche Rechtfertigung 1. Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze für den Ausschluss des Bezugsrechts auf neue Aktien . . . . . . b) Wandelschuldverschreibungen . . . . . aa) Zustimmungsbeschluss . . . . . . . bb) Ermächtigungsbeschluss . . . . . . c) Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhältnis zu § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Interessenabwägung im Einzelfall . . . . . a) Mitgliedschaftliche Interessen der Aktionäre aa) Nur Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre . . . . . . . . bb) Einzelne mitgliedschaftliche Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sachliches unternehmerisches Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgabe gegen Geldleistung. . . . (1) Beschleunigungsinteresse. . . . . . (2) Aussicht auf einen höheren Emissionserlös, Sanierung des Unternehmens . . . . . . . . . . . (3) Ausgleich von Spitzenbeträgen (4) Bezugsrechte als Tantiemen, Mitarbeitergenussrechte . . . . . . (5) Verwässerungsschutz (a) Wandelschuldverschreibungen (b) Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte . . . . . . . . . . . . . . . (6) Gekreuzter Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Begründung und Vertiefung einer Geschäftsbeziehung. . . . . . (8) Abwehr unerwünschter Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgabe gegen Sachleistung. . . . (1) Kein vereinfachter Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . (2) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . 3. Vereinfachter Bezugsrechtsausschluss (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) . . . . . . . . . . . a) Möglichkeit der sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sinngemäße Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Einzelnen . . . aa) Wandelschuldverschreibungen (1) Ausgabe gegen Geldleistung. . . . (2) Gegenstand eines möglichen Zukaufs über die Börse . . . . . . .

538

Fest

628 629 631 634 635 636

IV.

637 638 639

1.

641 642 645 646 647 648 649 650

2. 3.

652 656 660

V. 1.

661 662 664 665 666

670 671 673 674 675

2.

(3) Ausgabebetrag im Verhältnis zu dem „Börsenpreis“ . . . . . . . . (4) Zehn-Prozent-Grenze . . . . . . . . bb) Andere Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. . . . . . . . cc) Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte . . . . . . . . . . . . . . . Bericht des Vorstands (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG). . . . . . . . . . . Inhalt a) Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG) . . . . . . . . aa) Gesetzlicher Regelfall: Einzelfallbezogene Interessenabwägung (1) Grund für den Bezugsrechtsausschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausgabebetrag . . . . . . . . . . . . . . (3) Besonderheiten bei Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonderfall: Vereinfachter Bezugsrechtsausschluss . . . . . . . b) Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) . . . . . . . . Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offenlegung a) Außerhalb von Übernahmesachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Übernahmesachverhalte . . . . . . . . . . Fehlerhafter Ausschluss des Bezugsrechts, Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . Einzelne Anfechtungsgründe a) Fehlerhafte Bekanntmachung der Ausschließungsabsicht . . . . . . . . . . . b) Unzureichende sachliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einschränkungen der gerichtlichen Nachprüfung . . . . . . . . . . bb) Darlegungs- und Beweislast . . . . c) Verletzung der Berichtspflicht . . . . . d) Unangemessen niedriger Ausgabebetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausschluss des Bezugsrechts . . . cc) Verhältnismäßigkeit des Ausgabebetrags. . . . . . . . . . . . . . . . . Anfechtung von Einzel- oder Gesamtbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausschluss des Bezugsrechts als selbstständiger Streitgegenstand . . . . b) Definitiver Ausschluss des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung

677 680

681 682

683

685

686 692 695 696 697 701

702 707 710

713 714 715 719 720 721 722 723 725 728 729 730

§ 221 AktG

VI. 1.

2. 3.

c) Ermächtigung des Vorstands zum Ausschluss des Bezugsrechts . . . . . . . d) Prozessuales Vorgehen . . . . . . . . . . . Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pflichten des Vorstands im Rahmen des unternehmerischen Ermessens . . . . a) Definitiver Bezugsrechtsausschluss in dem Ermächtigungsbeschluss. . . . b) Ermächtigung auch zur Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitwirkung des Aufsichtsrats . . . . . . . . Rechtswidriges Handeln der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Kapitel 5 Anwendung auf Gesellschaften anderer Rechtsformen. . . . . . . . . . A. Societas Europaea. . . . . . . . . . . . . . . . . B. GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Notwendigkeit einer Regelung im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . II. Mitwirkung der Gesellschafterversammlung 1. Beschlusserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlussinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrheitserfordernis. . . . . . . . . . . . . . . 4. Publizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Durchführung des Beschlusses der Gesellschafterversammlung. . . . . . . . . IV. Absicherung der Umtausch- und Bezugsrechte auf Gesellschaftsanteile . . . V. Bezugsrecht der Gesellschafter . . . . . .

732 733 736 737 738 739 740 742 745 746 748 749

752 754 755 756 758 760 762

Kapitel 6 Entstehung und Übertragung der Rechte A. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 765 B. Verbriefung I. Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, 2 AktG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 II. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG). . . . 771

III. Abstrakte Wertpapiere, kausales Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Verwahrung, Übertragung, Verpfändung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Börsenhandel, Finanztermingeschäfte E. Erwerb eigener Instrumente I. Erwerb durch den Emittenten . . . . . . . 1. Wirtschaftliche Zwecke . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Anwendung der §§ 71 ff. AktG . . 3. Aufsichtsrechtliche Erwerbsverbote. . . . 4. Erwerbsverbote in den Anleihe- und Genussrechtsbedingungen . . . . . . . . . . . 5. Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Kapitalmarktrechtliche Implikationen a) Übernahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prospektrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verbot der Marktmanipulation . . . . e) Ad-hoc Mitteilungspflicht und Insiderhandelsverbot . . . . . . . . . . . . f) Keine Mitteilungspflichten nach den §§ 21 ff. WpHG . . . . . . . . . . . . . 7. Rechtsfolgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zinszahlungsansprüche . . . . . . . . . . b) Gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen . . . . . . . c) Umtausch- und Bezugsrecht auf Aktien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Wiederveräußerung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorerwerbsrecht der Aktionäre. . . . . b) Wiederaufleben der verbrieften Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erwerb durch abhängige Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erwerb auf Rechnung des Emittenten oder eines abhängigen Unternehmens IV. Besonderheiten bei Drittemissionen. . 1. Garantie der Erfüllung der Verschaffungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldner der Zeichnungsverträge . . . .

773 775 779 784 785 786 789 792 793 796 797 798 800 802 803 804 805 808 809 810 811 815 816 819 821 822 824

Schrifttum: Aha, Verbot des Erwerbs eigener Aktien nach den §§ 71 ff. AktG und eigener Genußscheine nach § 10 Abs. 5 S. 1 KWG, AG 1992, 218-227; Altenburg, Der Rückkauf eigener Wandelanleihen, ein steuerneutraler Aufwand?, DStR 2013, 5-10; Angerer, Genußrechte bzw. Genußscheine als Finanzierungsinstrument, DStR 1994, 41-45; Apfelbacher/Kopp, Pflichtwandelanleihen als sonstiges (hybrides) Kernkapital, CFL 2011, 21-30; Arnold/Gärtner, Auswirkungen staatlicher Rettungsmaßnahmen zugunsten von Kreditinstituten auf die Verlustteilnahme von Genussrechtsinhabern, AG 2013, 414-425; Bader, Contingent Convertible, Wandelanleihe und Pflichtwandelanleihe im Aktienrecht, AG 2014, 472-488; Barta, Die Kompetenzordnung für die Ausgabe von Umtausch- und Bezugsrechten in der Aktiengesellschaft – Ein Beitrag zur Dogmatik des Kapitalerhöhungsrechts, Diss. Frankfurt (Oder) 2012; Baums, Aktienoptionen für Vorstandsmitglieder, in FS Claussen, 1997, S. 3-48; Bayer, Aktienrechtsnovelle 2012 – Kritische Anmerkungen zum Regierungsentwurf, AG 2012, 141-153; Becker, Der Schutz von Genussrechtsinhabern vor fehlerhafter Geschäftsführung – Zugleich eine Nachlese zu OLG Köln, Urt. v.

Fest

539

§ 221 AktG 25.9.2012 – 15 U 101/10, BeckRS 2012, 24567, NZG 2014, 171-175; Becker, Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern – Die Klöcknerrechtsprechung auf dem Prüfstand, NZG 2012, 1089-1093; Bethmann, Der Genußschein in der Theorie und Praxis, insbesondere seine Verwendung bei Gründungen und Fusionen, seine Verbuchung und Bilanzierung sowie seine steuerliche Behandlung, ZfhF 29 (1935), 393-456; Bitter/Rauhut, Zahlungsunfähigkeit wegen nachrangiger Forderungen, insbesondere aus Genussrechten, ZIP 2014, 1005-1016; Bork, Genussrechte und Zahlungsunfähigkeit, ZIP 2014, 997-1005; Bormann/Trautmann, Wandelschuldverschreibungen im Lichte des § 55a GmbHG, GmbHR 2016, 37-44; Böttcher/Kautzsch, Rechtssicherheit für Wandelschuldverschreibungen, NZG 2009, 978-980; Bracht, Schadensersatzansprüche von Genussrechtsinhabern wegen der Beteiligung an Verlusten der emittierenden Bank, WM 2012, 585-591; Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, Rückkauf von Mittelstandsanleihen, BB 2012, 2134-2141; Breuninger/Ernst, Debt-Mezzanine-Swap und die Unmaßgeblichkeit der Maßgeblichkeit – Anmerkungen zur Kurzinformation der OFD Rheinland vom 14.12.2011 –, GmbHR 2012, 494-498; Breuninger/Prinz, Ausgewählte Bilanz- und Steuerrechtsfragen von Mezzaninefinanzierungen, DStR 2006, 1345-1349; Broichhausen, Mitwirkungskompetenz der Hauptversammlung bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen auf Aktien, NZG 2012, 86-90; Brokamp/Hölzer, Innovative Finanzierungen mittels mezzaniner Finanzinstrumente – Ein Vergleich zwischen Genussscheinen und Anleihen mit ewiger bzw. langer Laufzeit, FR 2006, 272-276; Brüggemann/ Lühn/Siegel, Bilanzierung hybrider Finanzinstrumente nach HGB, IFRS und US-GAAP im Vergleich (Teil I), KoR 2004, 340-352; Bürgers, Keine Aktienoptionen für Aufsichtsräte – Hindernis für die Professionalisierung des Aufsichtsrats?, NJW 2004, 3022-3026; Burkiczak, Zur Frage der Zulässigkeit uneingeschränkter Zinsänderungsklauseln in AGB bei kurzfristigen Sparprodukten, BKR 2007, 190-193; Busch, Aktienrechtliche Probleme der Begebung von Genußrechten zwecks Eigenkapitalverbreiterung, AG 1994, 93-103; Busch, Bezugsrecht und Bezugsrechtsausschluß bei Wandel- und Optionsanleihen, AG 1999, 58-66; Busch, Schadensersatzansprüche von Genußrechtsinhabern als Eigenkapitalgebern? Anmerkungen zum Urteil des BGH vom 5.10.1992 (Klöckner), AG 1993, 163-167; Busse von Colbe, Handelsrechtliche Bilanzierung von Optionsanleihen und Optionsrechtsentgelten aus betriebswirtschaftlicher Sicht, in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede (Hrsg.), Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 47-82; von Caemmerer, Obligationen als Substanzrechte, JZ 1951, 417-423; Cahn/Simon/Theiselmann, Forderungen gegen die Gesellschaft als Sacheinlage? – Zum Erfordernis der Forderungsbewertung beim Debt Equity Swap –, CFL 2010, 238-250; Canaris, Die Ausgabe von Namensgewinnschuldverschreibungen an Arbeitnehmer in bankaufsichtsrechtlicher Sicht, BB 1978, 227-235; Canaris, Die Verbindlichkeiten von Optionsscheingeschäften, WM 1988, Sonderbeilage Nr. 10; Casper, Der Optionsvertrag, Habil. Heidelberg 2005; Casper, Wiederauffüllung von Genusskapital auch bei Verlustvortrag!, ZIP 2015, 201-209; Claussen, Aktienoptionen – eine Bereicherung des Kapitalmarktrechts, WM 1997, 1825-1832; Claussen, Der Genußschein und seine Einsatzmöglichkeiten, in FS Werner, 1984, S. 81-99; Claussen, Genuß ohne Reue, AG 1985, 77-79; Deichmann, Die Mitwirkung der Genußscheine bei Finanzierungsvorgängen der deutschen Aktiengesellschaften, ZfhF 18 (1924), 529-556; Diekmann/Nolting, Aktienrechtsnovelle 2011, NZG 2011, 6-10; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, Diss. Mainz 2000; Döllerer, Die Kapitalrücklage der Aktiengesellschaft bei Ausgabe von Optionsanleihen nach Handelsrecht und Steuerrecht, AG 1986, 237-243; Drinhausen/Keinath, Nutzung eines bedingten Kapitals bei Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen gegen Sachleistung, BB 2011, 1736-1741; Drinhausen/Keinath, Regierungsentwurf zur Aktienrechtsnovelle 2012, BB 2012, 395-401; Drygala, Wandelanleihen mit Wandlungsrecht des Anleiheschuldners nach dem Entwurf für eine Aktienrechtsnovelle 2011, WM 2011, 1637-1645; Ebenroth/Müller, Die Beeinträchtigung der Aktionärsinteressen beim teilweisen Bezugsrechtsausschluß auf Genußrechte, BB 1993, 509-515; Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH – Eine Analyse der historischen Entwicklung und Abgrenzung dieser Finanzierungsinstrumente sowie der mit diesen verbundenen Kompetenz- und Eigenkapitalersatzfragen im GmbH-Recht, Diss. Kiel 2010; Ehmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage von Genussrechten bei Konzernierung der Emittentin – Kommentar zu BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12, AG 2013, 680, AG 2013, 751-756; Eilers/Roderburg, Anmerkung zu BFH, Urteil vom 14.6.2005 – VIII R 73/03, GmbHR 2005, 1622-1624; Emde, Der Genußschein als Finanzierungsinstrument – Eine gesellschaftsrechtliche, kapitalmarktrechtliche und steuerrechtliche Untersuchung, Diss. Bochum 1987; Emde, Die Auswirkungen von Veränderungen des Unternehmenskapitals auf Bestand und Inhalt von Genußrechten, DB 1989, 209-213; Emde, Die handels- und steuerbilanzielle Behandlung einer Emission von Genußrechten, BB 1988, 1214-1217; Emmerich/Neumann, Zur Behandlung von Genußrechten im Jahresabschluß von Kapitalgesellschaften, WPg 1994, 677-689; Ernst, Der Genußschein als Kapitalbeschaffungsmittel, AG 1967, 75-81; Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, Diss. Zürich 1963; Eyber, Die Abgrenzung

540

Fest

§ 221 AktG zwischen Genußrecht und Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der Aktiengesellschaft mit einem Beitrag zur Problematik der Cash-Flow-Beteiligung, Diss. Mainz 1997; von Falkenhausen/von Klitzing, Wandelanleihen als poison pill, ZIP 2006, 1513-1519; Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genußscheine, 2. Aufl. 1992; Feddersen/Meyer-Landrut, Mehr Rechtssicherheit für Genußscheine, ZGR 1993, 312-320; Fest, Anleihebedingungen – Rechtssicherheit trotz Inhaltskontrolle, Habil. München 2017; Fischer, Der Genußschein als kapitalmarktpolitisches Instrument der Unternehmensfinanzierung – Ein Beitrag zur Genußscheinfinanzierung unter Berücksichtigung kreditwirtschaftlicher und steuerrechtlicher Probleme, Diss. Würzburg 1989; Florstedt, Die umgekehrte Wandelschuldverschreibung – Eine Kapitalklasse im Spannungsfeld zwischen europäischem Bankrecht und deutschem Aktienrecht, ZHR 180 (2016), 152-196; Florstedt, Schuldrechtliches Beteiligungskapital, in FS K. Schmidt, 2009, S. 399-423; Frantzen, Genußscheine – Zugleich eine Analyse der Genußscheinbedingungen deutscher Unternehmen, Diss. Bonn 1993; Frey/Hirte, Das Vorab-Bezugsrecht auf Aktien und Optionsanleihen, ZIP 1991, 697-705; Frey/Mückl, Sanierungen – steuerliche Fallstricke und Gestaltungsmöglichkeiten in der Praxis, GmbHR 2010, 1193-1200; Friedl, Der Tausch von Anleihen in Aktien, BB 2012, 1102-1108; Friedlaender, Genußrechte in steuerlicher Sicht – Eine Grundsatzbetrachtung –, DStZ/A 1966, 242-248; Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung – Im deutschen und US-amerikanischen Recht, Diss. Bonn 2000; Fuchs, Aktienoptionen für Führungskräfte und bedingte Kapitalerhöhung – Anmerkungen zur geplanten Neuregelung nach dem Referentenentwurf zur Änderung des Aktiengesetzes („KonTraG“) –, DB 1997, 661-668; Fuchs, Selbständige Optionsscheine als Finanzierungsinstrument der Aktiengesellschaft, AG 1995, 433-451; Ganssmüller, Erwerb von Wandelschuldverschreibungen durch die ausgebende Aktiengesellschaft und abhängige Unternehmen, DB 1955, 865-867; Gätsch/Theusinger, Naked Warrants als zulässige Finanzierungsinstrumente für Aktiengesellschaften, WM 2005, 1256-1265; Gehling, „Obligationsähnliche Genußrechte“: Genußrechte oder Obligation?, WM 1992, 1093-1100; Gelhausen/ Rimmelspacher, Wandel- und Optionsanleihen in den handelsrechtlichen Jahresabschlüssen des Emittenten und des Inhabers, AG 2006, 729-745; Georgakopoulos, Zur Problematik der Wandelschuldverschreibungen, ZHR 120 (1957), 84-182; Gleske/Ströbele, Bedingte Pflichtwandelanleihen – aktuelle bankaufsichtsrechtliche Anforderungen und Aktienrechtsnovelle 2012, CFL 2012, 49-56; Göhrum, Einsatzmöglichkeiten von Genußrechten bei einer notleidenden GmbH oder AG, Diss. Tübingen 1992; Götze/Nartowska, Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2014 – Anmerkungen aus der Praxis, NZG 2015, 298-306; Groh, Einlage wertgeminderter Gesellschafterforderungen in Kapitalgesellschaften, BB 1997, 2523-2529; Groh, Genußrechtskapital und Maßgeblichkeitsgrundsatz, BB 1995, 559-560; Groß, Bezugsrechtsausschluß bei Barkapitalerhöhungen: Offene Fragen bei der Anwendung des neuen § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, DB 1994, 2431-2439; Groß, Isolierte Anfechtung der Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluß bei der Begebung von Optionsanleihen, AG 1991, 201-205; Große, Bilanzielle Behandlung von Genussrechten bei Kapitalgesellschaften in Handels- und Steuerbilanz, DStR 2010, 1397-1400; Gustavus, Die Sicherung von mit ausländischen Optionsanleihen verbundenen Bezugsrechten auf deutsche Aktien, BB 1970, 694-695; Haarmann, Finanzierung von Kapitalgesellschaften, in Deutsches Anwaltsinstitut e. V. (Hrsg.), Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1985/1986. Aktuelle steuerrechtliche Beiträge, Referate und Diskussionen der 36. steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung, Wiesbaden vom 13. bis 15. Mai 1985, 1986, S. 407; Habersack, Anwendungsvoraussetzungen und -grenzen des § 221 AktG, dargestellt am Beispiel von Pflichtwandelanleihen, Aktienanleihen und „warrants“, in FS Nobbe, 2009, S. 539-563; Habersack, Genußrechte und sorgfaltswidrige Geschäftsführung – Ein Beitrag zum Schutz der Inhaber von Genußrechten mit Eigenkapitalcharakter, ZHR 155 (1991), 378-401; Habersack, „Klöckner“ und das KWG – Zu den Grenzen der Verlustteilnahme von KWG-Genussrechten, AG 2009, 801-807; Habersack, Wandelbare Vorzugsaktien, insbesondere aus genehmigtem Kapital, in FS H. P. Westermann, 2008, S. 913-932; Hammen, Offene Fragen beim Recht der Genußscheine, BB 1990, 1917-1922; Hanau, Arbeitsrechtliche Probleme der Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer, in Laßmann/Schwark (Hrsg.), Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen (ZGR Sonderheft 5), 1985, S. 111-127; Harle, Verdeckte Gewinnausschüttung: Korrektur innerhalb oder außerhalb der Bilanz? Oder: Das zu Unrecht vergessene BMF-Schreiben vom 28.5.2002 (GmbHR 2002, 606), GmbHR 2008, 1257-1259; Häuselmann, Bilanzielle und steuerliche Erfassung von Hybridanleihen, BB 2007, 931-936; Häuselmann/Wagner, Steuerbilanzielle Erfassung aktienbezogener Anleihen: Options-, Wandel-, Umtausch- und Aktienanleihen, BB 2002, 2431-2436; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, Diss. Tübingen 1991; Hennrichs/Wilbrink, Verlustbeteiligung von Genussscheinen und Schadensersatz, NZG 2014, 1168-1170; Herlinghaus, BFH-Rechtsprechung zur verdeckten Gewinnausschüttung im Jahr 2001 (I), GmbHR 2002, 397-406; Hirte, Bezugsrechtsfragen bei Optionsanleihen, WM 1994, 321-329; Hirte, Genußrecht oder verbotener Gewinnabführungsvertrag? Anmerkung zum Urteil des OLG Bremen vom

Fest

541

§ 221 AktG 22.8.1991 – 2 U 114/90 (Bankverein Bremen), ZBB 1992, 38, ZBB 1992, 50-55; Hirte, Bezugsrechtsfragen bei Optionsanleihen, WM 1994, 321-329; Hirte, Genußscheine mit Eigenkapitalcharakter in der Aktiengesellschaft, ZIP 1988, 477-490; Hirte, Genußscheine und Kapitalherabsetzung – Anmerkung zum Klöckner-Urteil des OLG Düsseldorf vom 10. Mai 1991, ZIP 1991, 1461-1469; Hofert/Arends, Mezzanine-Finanzierung der GmbH, GmbHR 2005, 1381-1386; Hofert/Möller, GmbH-Finanzierung: Debt Mezzanine Swap – der bessere Debt Equity Swap für Unternehmen in der Krise, GmbHR 2009, 527-531; Hoffmann, Optionsanleihen ausländischer Töchter unter der Garantie ihrer deutschen Muttergesellschaft, AG 1973, 47-58; Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluß bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechten – Zur Reichweite des Verweises in § 221 Abs. 4 S. 2 AktG auf § 186 Abs. 3 S. 4 AktG, Diss. Regensburg 2000; Holland/Goslar, Die Bedienung von Wandelanleihen aus genehmigtem Kapital, NZG 2006, 892-896; Holzheimer, Die steuerliche Behandlung von Optionsanleihen, insbesondere beim Erwerber, WM 1986, 1169-1179; Horn, Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht, ZGR 1974, 133-178; Horn, Werksparkassenverbot und Vermögensbildung durch Belegschaftsdarlehen und -obligationen, ZGR 1976, 435-446; A. Hueck, Die Behandlung von Wandelschuldverschreibungen bei Änderung des Grundkapitals, DB 1963, 1347-1351; Hüffer, Aktienbezugsrechte als Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern und Mitarbeitern – gesellschaftsrechtliche Analyse, ZHR 161 (1997), 214-245; Isert/Schaber, Bilanzierung von Wandelanleihen nach IFRS, BB 2005, 2287-2292; Isert/Schaber, Die Bilanzierung von Einlagen in Personenhandelsgesellschaften, Mezzanine-Kapital und anderen Finanzinstrumenten nach IFRS. Ein Vergleich zwischen IAS 32 (rev. 1998) und IAS 32 (rev. 2003) (Teil I), DStR 2005, 2050-2052; Jänisch/ Moran/Waibel, Mezzanine-Finanzierung – Intelligentes Fremdkapital und deutsches Steuerrecht, DB 2002, 2451-2456; Juretzek, Bedingte Kapitalerhöhung zur Unterlegung einer (auch) gegen Sacheinlage auszugebenden Schuldverschreibung – Überblick über die Rechtsprechung und offene Fragen, DStR 2014, 431-433; Kalisch, Convertible Bonds, JW 1925, 573-575; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, Diss. Köln 1994; Kalss, Die nachträgliche Ausstattung von Genussrechten mit einem Wandlungsrecht nach österreichischem Recht, in FS Goette, 2011, S. 219-230; Karl, CoCo-Bonds als Finanzierungs- und Regulierungsinstrument, in Möslein (Hrsg.), Finanzinnovation und Rechtsordnung, 2014, S. 304-336; Klawitter, Zum vereinfachten Bezugsrechtsausschluss gem. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsschuldverschreibungen, AG 2005, 792-802; Kleidt/ Schiereck, Mandatory Convertibles, BKR 2004, 18-21; Klusmeier, Genussscheine als Gestaltungsinstrument im Rahmen der Sanierung einer GmbH & Co. KG, ZInsO 2010, 1873-1876; Kniehase, Der vereinfachte Bezugsrechtsausschluss bei der Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen, AG 2006, 180-187; K. Koch/Vogel, Zur handels- und steuerrechtlichen Behandlung von Optionsanleihen, BB 1986, Beilage 10, S. 1-22; Kokemoor, Aufsichtsrechtliche Anforderungen an Verlustteilnahmeregelungen bei KWGGenussrechtskapital, WM 2009, 1637-1642; Kolbe, Pensionszusage – Keine Gewinnkorrektur bei nicht aufgedeckter verdeckter Gewinnausschüttung. Zugleich Folgerungen aus dem BFH-Urteil vom 9.5.2007 – I R 74/06, StuB 2008, 258-260; Köndgen/Daeniker, Wandel- und Optionsanleihen in der Schweiz, in Lutter/Hirte (Hrsg.), Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 265-299; Kopp/Metzner, Rechtliche Aspekte der Finanzierung des Rückkaufs von Wandelschuldverschreibungen durch vorherige Kapitalerhöhung oder Emission neuer Wandelschuldverschreibungen, AG 2012, 856-867; Kraft, Die Abgrenzung von Eigen- und Fremdkapital nach IFRS. Darstellung anhand von Beispielen der Eigen- und Fremdkapitalfinanzierung, ZGR 2008, 324-356; Kratzsch, Die Behandlung von Genussrechten im Steuerrecht, BB 2005, 2603-2612; Kratzsch, Veräußerung von Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften: Wann liegen Anteile an Kapitalgesellschaften i. S. des § 17 EStG vor?, BB 2007, 1817-1823; Krecek/Röhricht, Grenzen der Fremdkapitalfinanzierung der AG ohne Zustimmung der Hauptversammlung, ZIP 2010, 413-419; Kropff, Handelsrechtliche Bilanzierungsfragen der Optionsanleihen, ZGR 1987, 285-311; Kuntz, Die Zulässigkeit selbständiger Aktienoptionen („naked warrants“), AG 2004, 480-486; Langenbucher, Bankaktienrecht unter Unsicherheit, ZGR 2010, 75-112; Lehmann, Finanzinstrumente – Vom Wertpapier- und Sachenrecht zum Recht der unkörperlichen Vermögensgegenstände, Habil. Bayreuth 2009; Lenenbach, Aktienanleihen: Ihre Behandlung im Zivil- und Börsenterminrecht und nach dem AGBG. Zugleich Besprechung des Urteils des LG Frankfurt, NZG 2000, 793, NZG 2001, 481-493; Linscheidt, Die steuerliche Behandlung des Genußrechtskapitals der Kapitalgesellschaft, DB 1992, 1852-1856; Loos, Sachgemäße Ausgestaltung der Bedingungen von Wandelschuldverschreibungen zum Schutze der Wandelschuldverschreibungsgläubiger, DB 1960, 515-518; Loos, Steuerliche und handelsrechtliche Einstufung von Aufgeld und Unterverzinslichkeit bei Optionsanleihen, BB 1988, 369-376; Lutter, Ausgabe von Genußrechten und Jahresabschluß, in FS Döllerer, 1988, S. 383-395; Lutter, Die rechtliche Behandlung von Erlösen aus der Verwertung von Bezugsrechten bei der Ausgabe

542

Fest

§ 221 AktG von Optionsanleihen, DB 1986, 1607-1614; Lutter, Genußrechtsfragen – Besprechung der Entscheidung BGH ZIP 1992, 1542 (Klöckner) und BGH ZIP 1992, 1728 (Bremer Bankverein) –, ZGR 1993, 291-311; Lutter, Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, AG 1972, 125-136; Lutter, Optionsanleihen ausländischer Tochtergesellschaften, in FS Kastner, 1972, S. 245-267; Lutter, Zur Bilanzierung von Genußrechten, DB 1993, 2441-2445; Lutter/Drygala, Die zweite Chance für Spekulanten? – Zur nachträglichen Korrektur der Konditionen von Optionsschuldverschreibungen, in FS Claussen, 1997, S. 261-278; Luttermann, Anlegerschutz und Bezugsrechtsausschluß bei Genußrechten – Anmerkungen zu den BGH-Urteilen vom 5.10.1992 (II ZR 172/91, Klöckner AG) und vom 9.11.1992 (II ZR 230/91, Bankverein Bremen AG) –, DB 1993, 1809-1813; Luttermann, Aktienverkaufoptionsanleihen („reverse convertible notes“), standardisierte Informationen und Kapitalmarktdemokratie, ZIP 2001, 1901-1906; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte – Eine Studie über Grundlagen der Unternehmensfinanzierung und zum internationalen Kapitalmarktrecht, Habil. Münster 1998; Lux, Die Dogmatik des Umtauschs von Wandelanleihen in Aktien, Diss. Jena 2014; Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/ Weber (Hrsg.), KWG und CRR, 3. Aufl. 2015; Maerker/Ashrafina, Keine Sperrwirkung von § 10 Abs. 5 KWG a.F. bei Schadensersatzansprüchen von Genusscheininhabern – Zugleich Besprechung des BGHUrteils vom 29.04.2014 – II ZR 395/12 –, DB 2014, 2210-2212; Maier-Reimer, Bedingtes Kapital für Wandelanleihen, in FS Bosch, 2006, S. 85-98; Mankowski, Optionsanleihen ausländischer Gesellschaften als Objekt von Börsenaußengeschäften – Qualifikation und Internationales Privatrecht –, AG 1998, 11-26; Manz/Lammel, Stille Beteiligungen an Kapitalgesellschaften: Eigenkapitalcharakter und Rang in der Insolvenz nach Inkrafttreten des MoMiG, GmbHR 2009, 1121-1125; Marburger, Die Aktienanleihe nach dem Inkrafttreten des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, in FS Hadding, 2004, S. 949-965; Marsch-Barner, Die Erleichterung des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, AG 1994, 532-540; Marsch-Barner, Nochmals: Umgehung der Sacheinlagevorschriften durch Wandelschuldverschreibungen und Wandelgenußrechte?, DB 1995, 1497; Martens, Die bilanzielle Behandlung internationaler Optionsanleihen, in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede (Hrsg.), Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 151-169; Martens, Die bilanzielle Behandlung internationaler Optionsanleihen, in FS Stimpel, 1985, S. 621-643; Martens, Die mit Optionsrechten gekoppelte Aktienemission, AG 1989, 69-77; Martens, Die rechtliche Behandlung von Options- und Wandlungsrechten anläßlich der Eingliederung der verpflichteten Gesellschaft, AG 1992, 209-216; Martens, Stand und Entwicklung im Recht des Stock-Options, in FS P. Ulmer, 2003, S. 399-418; Meilicke, Inwieweit können Verluste aus Genußscheinen steuerlich geltend gemacht werden? Dargestellt am Beispiel der Genußscheine der Firma Klöckner & Co. KGaA, BB 1989, 465-466; Meilicke, Wandelschuldverschreibungen bei Kapitalherabsetzung, BB 1963, 500-501; Meilicke, Welchen Genuß gewährt der Genußschein? Eine Analyse einiger Genußscheinbedingungen, BB 1987, 1609-1614; F. Meyer, Wandelschuldverschreibungen, BB 1955, 549-551; Möhlenkamp/Harder, Die umgekehrte Wandelschuldverschreibung (CoCoBonds) – ein neues Sanierungsinstrument?, ZIP 2016, 1093-1100; Möschel, Eingenkapitalbildung und KWG-Novelle von 1984, ZHR 149 (1985), 206-235; Mülbert, Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals von Kreditinstituten, in FS Hüffer, 2010, S. 678-699; Müller, Wohin entwickelt sich der bilanzrechtliche Eigenkapitalbegriff?, in FS Budde, 1995, S. 445-463; Müller-Eising, Aktienrechtsnovelle 2011 – Änderungen zur Vorzugsaktie und zum bedingten Kapital für Wandelanleihen, GWR 2010, 591-594; Müller-Eising, Aktienrechtsnovelle 2012 – Was bringt sie Neues?, GWR 2012, 77-80; Nelles/Klusemann, Die Bedeutung der Finanzierungsalternative Mezzanine-Capital im Kontext von Basel II für den Mittelstand, FB 2003, 1-10; Neumann, Finanzinnovationen im Binnenmarkt, WM 1993, 777-781; Nodoushani, CoCo-Bonds in Deutschland – Die neue Wandelschuldverschreibung, ZBB 2011, 143-150; Nodoushani, Contingent Convertible Bonds – Eine Bestandsaufnahme –, WM 2016, 589-598; Nodoushani, Hilfe für die Banken: Die stille Gesellschaft auf dem Gebiet des Finanzsektors, ZBB 2009, 110-117; Nodoushani, Umwandlung stiller Beteiligungen in Aktien zur Erhaltung des Kernkapitals, NZG 2010, 491-495; Oulds, Neues zur Emission von Wandelschuldverschreibungen im Lichte des geplanten VorstKoG und der Delegierten Verordnung (EU) 759/2013, CFL 2013, 213-224; Paefgen, Eigenkapitalderivate bei Aktienrückkäufen und Managementbeteiligungen – Zugleich ein Beitrag zur Entwicklung einer allgemeinen Systematik für die aktienrechtliche Beurteilung von Calls und Puts als Instrumente der Unternehmensfinanzierung, AG 1999, 67-74; Pougin, Genußrechte, 1987; Pougin, Genußrechte, in FS Oppenhoff, 1985, S. 275-290; Primozic/Schaaf, AGB-Kontrolle von Rangrücktrittsvereinbarungen – Zugleich Besprechung von VG Frankfurt/M., Beschl. v. 26.11.2013 – 9 L 2958/13.F, ZInsO 2014, 1865 und von BGH, Urt. v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, ZInsO 2014, 952, zur Zulässigkeit formularvertraglicher Rangrücktrittsvereinbarungen, ZInsO 2014, 1831-1835; Reuter, Der Partizipationsschein als Form der Mitarbeiterbeteiligung, in FS Fischer, 1979, S. 605-625; Reuter, Genuß ohne Reue?, AG 1985, 104-107; Reuter, Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftsrechtlicher und kapitalmarktrechtlicher Maßnahmen mit

Fest

543

§ 221 AktG dem Ziel einer verbesserten Eigenkapitalversorgung der deutschen Wirtschaft – Eine Nachlese zum 55. Deutschen Juristentag, in FS Stimpel, 1985, S. 645-671; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, Diss. München 1989; Rosener, Aktienoptionen beim Börsengang, in FS G. Bezzenberger, 2000, S. 745-755; Roth/Schoneweg, Emission selbständiger Aktienoptionen durch die Gesellschaft – Zur aktienrechtlichen Zulässigkeit der Begebung so genannter naked warrants –, WM 2002, 677-683; Rozijn, „Wandelanleihe mit Wandlungspflicht“ – eine deutsche equity note?, ZBB 1998, 77-100; Rudolph, Eigenkapitalanforderungen in der Bankregulierung, ZHR 175 (2011), 284-318; Rümker, Anleihen mit Tilgungswahlrecht des Emittenten unter besonderer Berücksichtigung der Tilgung durch Lieferung von Aktien, in FS Beusch, 1993, S. 739-757; Rusch, Die Wandelschuldverschreibung, Diss. Berlin 1956; Rüßmann/Vögtle, Hybride Industrieanleihen – Analyse des Finanzierungsinstruments im Spannungsfeld steuerlicher, bilanzieller ratingrelevanter Gesichtspunkte vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktsituation –, CFB 2010, 205-215; Schaber/Isert, Bilanzierung von Hybridanleihen und Genussrechten nach IFRS, BB 2006, 2401-2407; Schaber/Kuhn/Eichhorn, Eigenkapitalcharakter von Genussrechten in der Rechnungslegung nach HGB und IFRS, BB 2004, 315-319; F. A. Schäfer, Eigenkapital im Bankaufsichtsrecht und Basel III, ZHR 175 (2011), 319-337; F. A. Schäfer, Genußscheine mit Eigenkapitalcharakter. Besprechung der Entscheidung OLG Düsseldorf WM 1991, 1375, WM 1991, 1941-1944; F. A. Schäfer, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland – Praxisprobleme und Equity-linked-Emissionen –, in Lutter/Hirte (Hrsg.), Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, ZGR Sonderheft 16, 2000, S. 62-85; Schanz, Wandelanleihen in der Insolvenz des Schuldners, CFL 2012, 26-32; Schanz, Wandel- und Optionsanleihen – Flexible Finanzierungsinstrumente im Lichte gestiegenen Interesses –, BKR 2011, 410-416; Schaub, Nochmals „Warrant-Anleihen“ von Tochtergesellschaften, AG 1972, 340-343; Schick, Das Genußrechtskapital bei Kreditinstituten – Ein neues Instrument der Eigenkapitalbildung, BB 1985, 2137-2139; Schlede/Kley, Praxis der Finanzierung deutscher Unternehmen durch Optionsanleihen, in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede (Hrsg.), Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1-45; Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, Aktuelle Entwicklungen bei Hybridanleihen, CFL 2011, 105-133; Schlitt/Löschner, Abgetrennte Optionsrechte und Naked Warrants, BKR 2002, 150-157; Schlitt/Schäfer, Die Restrukturierung von Anleihen nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz, AG 2009, 477-487; Schlitt/Schäfer, Wandel- und Optionsanleihen – Aktuelle Rechts- und Praxisfragen –, CFL 2010, 252-259; Schlitt/Schäfer/Basnage, Aktuelle rechtliche Entwicklungen und Gestaltungen in der Praxis bei Equity- und Equity-linked-Transaktionen, CFL 2013, 49-55; Schlitt/Seiler/ Singhof, Aktuelle Rechtsfragen und Gestaltungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Wandelschuldverschreibungen, AG 2003, 254-268; Uwe H. Schneider, Aktienoptionen als Bestandteil der Vergütung von Vorstandsmitgliedern, ZIP 1996, 1769-1776; Uwe H. Schneider, Genußrechte an Konzernunternehmen, in FS Goerdeler, 1987, S. 511-530; Schnorbus/Trapp, Die Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen gegen Sacheinlage, ZGR 2010, 1023-1054; Schön, Ein Allgemeiner Teil der Genußrechte, JZ 1993, 925-934; Schroeter, Prospektpublizität bei Genussrechtsemissionen und aufsichtsbehördliche Altverfahren, WM 2014, 1163-1172; Schubert (Hrsg.), Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (1936-1931), Bd. 2, 1999; Schubert/Hommelhoff (Hrsg.), Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik. Die Protokolle der Verhandlungen im Aktienrechtsausschuß des vorläufigen Reichswirtschaftsrats unter dem Vorsitz von Max Hachenburg, 1987; Schumann, Optionsanleihen, Diss. Bonn 1990; Schwark, Ist die Aktienanleihe ein Börsentermingeschäft?, WM 2001, 1973-1993; Schwartzkopff/Hoppe, Notwendiger Inhalt von Beschlüssen zur Schaffung bedingten Kapitals bei Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen gegen Sacheinlagen, NZG 2014, 378-379; Schweitzer/Volpert, Behandlung von Genußrechten im Jahresabschluß von Industrieemittenten, BB 1994, 821-826; Seibert/Böttcher, Der Regierungsentwurf der Aktienrechtsnovelle 2012, ZIP 2012, 12-17; Seibt, Wandelschuldverschreibungen: Marktbericht, Dokumentationen und Refinanzierungsoptionen, CFL 2010, 165-176; Sester, Hybrid-Anleihen: Wirtschaftliches Eigenkapital für Aktiengesellschaften, ZBB 2006, 443-463; Sethe, Die Berichtserfordernisse beim Bezugsrechtsausschluß und ihre mögliche Heilung am Beispiel der Emission junger Aktien und Genußrechte, AG 1994, 342-363; Sethe, Genußrechte: Rechtliche Rahmenbedingungen und Anlegerschutz, AG 1993, 293-315 (Teil I), AG 1993, 351-371 (Teil II); Sethe, Genussscheine mit Verlustbeteiligung an den Klippen des AGB-Rechts, WM 2012, 577-585; Siebel, Vorzugsaktien als „Hybride“ Finanzierungsform und ihre Grenzen, ZHR 161 (1997), 628-664; Silcher, Bedingtes Kapital für „Warrant-Anleihen“ von Tochtergesellschaften, in FS Geßler, 1971, S. 185-199; Singhof, Der „erleichterte“ Bezugsrechtsausschluss im Rahmen von § 221 AktG, ZHR 170 (2006), 673-705; Sontheimer, Die steuerliche Behandlung von Genußrechten, BB 1984, Beilage 19; Spiering/Grabbe, Bedingtes Kapital und Wandelschuldverschreibungen – Mindestausgabebetrag und Errechnungsgrundlagen im Rahmen des § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG, AG 2004, 91-96; Stadler,

544

Fest

§ 221 AktG Die Sanierung von Aktiengesellschaften unter Einsatz von Wandelgenussrechten, NZI 2003, 579-588; Steiner, Zulässigkeit der Begebung von Optionsrechten auf Aktien ohne Optionsschuldverschreibung (naked warrants), WM 1990, 1776-1780; Thielemann, Das Genußrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung und der Anlegerschutz, Diss. Gießen 1988; Todtenhöfer, Die Übertragbarkeit der Grundsätze über Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung auf Genußrechte, Diss. Köln 1997; Toth-Feher/Schick, Distressed Opportunities – Rechtliche Probleme beim Erwerb notleidender Forderungen von Banken, ZIP 2004, 491-497; Trapp/Schlitt/Becker, Die CoMEN-Transaktion der Commerzbank und die Möglichkeit ihrer Umsetzung durch andere Emittenten, AG 2012, 57-69; Umbeck, Zulässigkeit eines Mindestausgabebetrags bei der bedingten Kapitalerhöhung zur Bedienung von Wandelschuldverschreibungen, AG 2008, 67-73; Verse/Wiersch, Genussrechte nach vertraglicher Konzernierung des Emittenten, NZG 2014, 5-12; Vollmer, Der Genußschein – ein Instrument für mittelständische Unternehmen zur Eigenkapitalbeschaffung an der Börse, ZGR 1983, 445-475; Vollmer/Lorch, Der Ausschluß des Bezugsrechts von Mehrheitsaktionären auf Genußscheine und andere stimmrechtslose Titel – Verwässerungsgefahren und notwendige Schutzmechanismen –, DB 1991, 1313-1318; Vollmer/Lorch, Der Schutz des aktienähnlichen Genußkapitals bei Kapitalveränderungen – Anmerkungen zum Klöckner-Urteil des OLG Düsseldorf vom 10. Mai 1991 – 17 U 19/90, ZBB 1992, 30, ZBB 1992, 44-50; Vollmer/Maurer, Die Eignung von sanierenden stillen Beteiligungen und Sanierungsgenußscheinen zur Abwehr der Überschuldung, DB 1994, 1173-1179; Wassermann, Genußscheine – Anmerkungen aus der Sicht der Börse, Der langfristige Kredit 1988, 628-633; Wassermeyer, Das System der zweistufigen Gewinnermittlung in der Rechtsprechung des BFH, in FS Raupach, 2006, S. 565-576; Wassermeyer, Einkünftekorrekturnormen im Steuersystem, IStR 2001, 633-638; Wassermeyer, Korrektur verdeckter Gewinnausschüttungen außerhalb der Steuerbilanz. Anmerkung zu dem BMF-Schreiben vom 28.5.2002 – IV A 2 - S 2742 - 32/02 (GmbHR 2002, 606), GmbHR 2002, 617-619; Wassermeyer, Neues zur Definition der verdeckten Gewinnausschüttung. Anmerkung zu dem BFH-Urteil vom 7.8.2002 I R 2/02 und zugleich Stellungnahme zu Frotscher, FR 2002 S. 859, DB 2002, 2668-2671; Wassermeyer, Verdeckte Gewinnausschüttung – Bundesfinanzhof versus Finanzverwaltung, GmbHR 2002, 1-5; Wedel, Der Partizipationsschein als Kapitalbeschaffungsmittel der Aktiengesellschaften, Diss. Aachen 1969; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten – Die gesellschaftsrechtlichen Grundlagen von Convertible Securities und wandelbaren Wertpapieren in Deutschland und den USA, Diss. Hannover 2004; Wehrhahn, Kein bedingtes Kapital für „naked warrants“?, BKR 2003, 124-126; Weinheimer, Genußscheine, JW 1923, 573-576; Weiß, Aktienoptionsprogramme nach dem KonTraG, WM 1999, 353-363; Weitnauer, Die Gesellschafterfremdfinanzierung aus Sicht von Finanzinvestoren – ein Resümee der Änderungen des MoMiG und der derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen vor dem Hintergrund der Finanzkrise, BKR 2009, 18-25; Werner, Schwerpunkte der Novellierung des Kreditwesengesetzes, ZHR 149 (1985), 236-260; Wiedemann, Eigenkapital und Fremdkapital. Eine gesellschaftsrechtliche Zwischenbilanz, in FS Beusch, 1993, S. 893-913; Wieneke, Rückerwerb und Weiterveräußerung von Wandelschuldverschreibungen durch die emittierende Gesellschaft, WM 2013, 1540-1550; Wiese/Dammer, Zusammengesetzte Finanzinstrumente der AG. Hybride Kapitalmaßnahmen, strukturierte Anleihen und Kreditderivate im Bilanz-, Ertragsteuer- und Aktienrecht – Ein Überblick, DStR 1999, 867-876; Wirth/Arnold, Umwandlung von Vorzugsaktien in Stammaktien, ZGR 2002, 859-897; A. Wittig, Übernahme der Gesellschafterstellung an Krisenunternehmen als Sanierungsbeitrag der finanzierenden Kreditinstitute, in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685-722; Wohlfahrt/Brause, Die Emission kursorientierter Wertpapiere auf eigene Aktien – Zur Auslegung des § 221 AktG –, WM 1993, 397-405; Wollmert, Zur Bilanzierung von Genußrechten – Die Verrechnung von Gewinn- und Verlustbeteiligungen in der Gewinn- und Verlustrechnung, BB 1992, 2106-2108; Wünsch, Der Genußschein iSd § 174 AktG als Instrument der Verbriefung privatrechtlicher Ansprüche – Ein Beitrag zur Lehre von Genußrechten, in FS Strasser, 1983, S. 871-893; Zahn/Lembke, Anleihen als Instrument der Finanzierung und Risikosteuerung, BKR 2002, 527-535; Zander, Der Genußschein im deutschen und französischen Recht – Ein Beitrag zur gesetzlichen Regelung des Genußscheinrechts in Deutschland, Diss. Heidelberg 1993; Ziebe, Kapitalbeschaffung durch Genußscheine, BB 1988, 225-229; Ziebe, Rechtsnatur und Ausgestaltung von Genußrechten, DStR 1991, 1594-1597; Ziemons, Kritische Anmerkungen zu den aktien- und kapitalmarktrechtlichen Regelungen des Regierungsentwurfs eines FMStErgG, NZG 2009, 369-376; L. Zimmer, Die Ausgabe von Optionsrechten an Mitglieder des Aufsichtsrats und externe Berater, DB 1999, 999-1003; Zitzewitz, Konzernrechtliche Probleme bei Stock Options, NZG 1999, 698-706; Zupancic, Risikokapitalbeschaffung durch Genußscheine bei großen mittelständischen Unternehmungen. Eine betriebswirtschaftliche Analyse unter Berücksichtigung steuerlicher Aspekte, Diss. Münster 1989.

Fest

545

§ 221 AktG Rz. 1

Allgemeines

Kapitel 1 Allgemeines A. Regelungsmotiv, Normzweck 1

Die Vorschrift des § 221 AktG enthält in erster Linie organisationsrechtliche Regelungen für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie für die Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.). Diesen Instrumenten ist gemeinsam, dass sie – im Gegensatz zu Aktien aller Gattungen – keine mitgliedschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft begründen (eingehend dazu Rz. 68, 311, 359). Sie sind schuldrechtlicher Natur,1 ihre Inhaber also Gläubiger der Gesellschaft. Von herkömmlichen Anleihen unterscheiden sich Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte dadurch, dass sie den Gläubigern Rechte – wenngleich unterschiedliche – gewähren, die mit mitgliedschaftlichen Rechten der Aktionäre in Konkurrenz treten (eingehend dazu Rz. 488 ff.).2 Die Vorschrift des § 221 AktG soll es den Aktionären in begrenztem Umfang ermöglichen, sich vor der mit der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie mit der Gewährung von Genussrechten einhergehenden Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Rechte zu schützen. Sie dient also dem Schutz der Aktionäre.3 Die Frage, ob und in welchem Umfang die Rechte der Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten bei der Ausgabe neuer gleichartiger Instrumente geschützt werden, hat in § 221 AktG keine Regelung erfahren.

2

Der intendierte Schutz der Aktionäre (siehe Rz. 1) wird durch zwei Regelungen verwirklicht:4 (1) Die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten ist keine Maßnahme der Geschäftsführung, über die der Vorstand alleine entscheiden darf. Vielmehr bedarf es gemäß § 221 Abs. 1-3 AktG eines Beschlusses der Hauptversammlung, sei es in Form der Zustimmung zu einer konkreten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es in Form einer Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.). Das Erfordernis einer besonderen Kapitalmehrheit (eingehend dazu Rz. 497 ff.) trägt dem Umstand Rechnung, dass die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten die Rechte der Aktionäre erheblich beeinträchtigen kann.5 (2) Des Weiteren haben die Aktionäre gemäß § 221 Abs. 4 Satz 1 1 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 1; Fuchs, AG 1995, 433 (440); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 27; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 1, 9; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 10; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 1, 3; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 1, 5; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 4; Kuntz, AG 2004, 480 (482); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 1; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 1; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 1; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 1. 2 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 1; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 1; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 4; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 2, 9; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 1, 4. 3 Fuchs, AG 1995, 433 (440); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 2; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 10; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 1; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 5. 4 Siehe Erläuternde Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zu § 194 AktG-E 1930, abgedruckt bei Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (§ 1936-1931), Bd. 2, 1999, S. 966 f. 5 Amtliche Begründung zu § 174 AktG-E 1937, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktien-Gesetz) nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“, 1937, S. 155.

546

Fest

Normhistorie

Rz. 4 § 221 AktG

AktG grundsätzlich ein Bezugsrecht auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte (eingehend dazu Rz. 562 ff.).

B. Normhistorie I. Entwürfe zur Reform des Aktienrechts 1930 und 1931 Das ADHGB und die aktienrechtlichen Vorschriften in der ursprünglichen Fassung des 3 HGB enthielten für Wandelschuldverscheibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte weder organisationsrechtliche Regelungen für die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente noch Bestimmungen über deren inhaltliche Ausgestaltung. Das Bedürfnis, deren Ausgabe bzw. Gewährung zu regeln, erkannte der Gesetzgeber erst im Laufe der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als Wandelschuldverschreibungen und Genussrechte große praktische Bedeutung erlangten, sich insbesondere betreffend Genussrechten erhebliche Rechtsunsicherheit offenbarte und „Mißbräuche(n) verschiedenster Art“6 auftraten. Als Reaktion darauf enthielt der Entwurf des Reichsjustizministeriums zur Reform des Aktienrechts von 1930 in § 194 AktG-E 1930 erstmals organisationsrechtliche Regelungen betreffend die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussscheinen. Aufgrund der – zutreffenden – Annahme, die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente könne die Rechte der Aktionäre erheblich beeinflussen,7 sah § 194 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 2 AktG-E 1930 – übereinstimmend mit § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG – zum Schutz der Aktionäre vor, dass die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussscheinen nur aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung zulässig sein sollte. Im Unterschied zu § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 562 ff.) und § 174 Abs. 4 Halbs. 1 AktG 1937 gewährte § 194 Abs. 3 AktG-E 1930 das Bezugsrecht nicht den Aktionären, sondern den Inhabern von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussscheinen. Diese Sonderheit wurde § 193 Abs. 3 AktG-E 1931 aufgegeben; das Bezugsrecht sollte fortan den Aktionären zustehen. Im Übrigen wurde § 194 Abs. 1, 2 AktG-E 1930 wörtlich in § 193 Abs. 1, 2 AktG-E 1931 übernommen. Von weiteren Regelungen, insbesondere inhaltlichen Vorgaben für die Ausgestaltung der 4 Rechte und einer Definition des Begriffs des Genussscheins, sahen die Verfasser des § 194 AktG-E 1930 und des § 193 AktG-E 1931 bewusst ab. Nach ihrer Einschätzung waren insbesondere Gewinnschuldverschreibungen, Genussscheine und Genussaktien ihrer Ausgestaltung und ihrem Zweck nach derart mannigfaltig und die Entwicklung noch so sehr im Fluss, dass eine „ins einzelne gehende Regelung auf diesem Gebiet nur hemmend wirken könnte“8.

6 Amtliche Begründung zu § 174 AktG-E 1937, abgedruckt bei Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktien-Gesetz) nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“, 1937, S. 155. 7 Siehe Erläuternde Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zum AktG-E 1930, abgedruckt bei Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (§ 1936-1931), Bd. 2, 1999, S. 966 f. 8 Siehe Erläuternde Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zum AktG-E 1930, abgedruckt bei Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (§ 1936-1931), Bd. 2, 1999, S. 966; wortgleich wiederholt in Erläuternde Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zum AktG-E 1931, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, S. 929. Eine vergleichbare Zustandsbeschreibung enthält RG v. 13.3.1931 – II 315/30, RGZ 132, 199 (204): „Die Rechtsverhältnisse der Genußscheininhaber sind (…) außerordentlich verschieden gestaltet und haben den mannigfaltigen Inhalt.“.

Fest

547

§ 221 AktG Rz. 5 5

Allgemeines

Im Zusammenhang mit den Entwürfen zu einer Regelung von Wandelschuldverschreibungen in § 194 AktG-E 1930 und § 193 AktG-E 1931 steht der Vorschlag des Reichsjustizministeriums, eine bedingte Kapitalerhöhung einzuführen (§§ 157 ff. AktG-E 1930, §§ 157 ff. AktG-E 1931). Die sachlichen Anwendungsbereiche der Entwurfsregelungen divergierten nur zum Teil: Weitgehend übereinstimmend mit § 192 Abs. 2 Nr. 1, 2 AktG sollte die bedingte Kapitalerhöhung zu der Erleichterung bzw. Vorbereitung des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmungen (§ 157 Nr. 3 AktG-E 1930, § 157 Abs. 2 Alt. 1 AktG-E 1931) sowie zu der bis dahin problematischen Absicherung der Bezugsrechte aus Wandelschuldverschreibungen (§ 157 Nr. 1 AktG-E 1930, § 157 Abs. 2 Alt. 2 AktG-E 1931) zulässig sein. Die in § 157 Nr. 2 AktG-E 1930 vorgesehene Möglichkeit, eine bedingte Kapitalerhöhung auch zur Absicherung von Aktien mit einem Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien (§ 157 Nr. 2 AktG-E 1930) beschließen zu können, wurde in § 157 Abs. 2 AktG-E 1931 nicht übernommen.9 Die Vorschriften traten bereits am 17.3.1934 in Kraft.10 Sie wurden mit Wirkung vom 1.10.193711 ohne inhaltliche Änderung in die §§ 159 ff. AktG übernommen.

II. AktG 1937 6

Mit § 174 AktG 1937 trat am 1.10.193712 die erste gesellschaftsrechtliche13 Regelung betreffend Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechte in Kraft. Der Regelungsgehalt des § 193 AktG-E 1931 wurde dabei mit sprachlichen Anpassungen in § 174 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 3, 4 AktG 1937 übernommen.

7

In § 174 Abs. 2 AktG 1937 wurde nur für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen – der damals in § 795 Abs. 1 BGB a.F. enthaltene Genehmigungsvorbehalt war auf im Inland ausgestellte Inhaberschuldverschreibungen begrenzt, in denen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wurde – ein besonderer Genehmigungsvorbehalt eingefügt. Danach durften Wandelschuldverschreibungen nur mit Genehmigung des Reichswirtschaftsministers im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz und dem Reichsminister der Finanzen ausgegeben werden. Eine vergleichbare Regelung war § 194 AktG-E 1930 und § 193 AktG-E 1931 fremd.

III. AktG 1965 8

Der Regelungsgehalt des § 174 Abs. 1, 3, 4 AktG 1937 wurde mit Wirkung vom 1.1.1966 (§ 410 AktG) mit geringfügigen terminologischen Anpassungen in § 221 Abs. 1-3 AktG übernommen.14 Lediglich der besondere Genehmigungsvorbehalt für Wandelschuldverschreibungen (§ 174 Abs. 2 AktG 1937) wurde in Anbetracht der Tatsache, dass der Genehmigungsvorbehalt für Inhaberschuldverschreibungen in § 795 BGB a.F. mit Wirkung vom 29.6.1954

9 In den Erläuternden Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zum AktG-E 1931, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, 1987, S. 926 wird die Änderung zwar erwährt, aber nicht begründet. 10 Siehe § 1 der Achten Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über die Kapitalherabsetzung in erleichterter Form v. 14.3.1934 (RGBl. I 1934, 196). 11 Siehe § 1 Abs. 1 EGAktG 1937. 12 Siehe § 1 Abs. 1 EGAktG 1937. 13 Zuvor existierte z.B. mit § 7 Satz 2 KStG 1934 (RBGl. S. 1031) bereits eine Regelung zu der Besteuerung von Ausschüttungen auf Genussrechte. Zu weiteren Regelungen betreffend Genussrechte, die bereits bei Inkrafttreten des AktG 1937 galten, siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 3. 14 BT-Drucks. IV/171, 198 zu § 210 AktG-E.

548

Fest

Normhistorie

Rz. 11 § 221 AktG

neugefasst15 und auf Orderschuldverschreibungen aus Gesamtemissionen erstreckt worden war (§ 808a BGB a.F.)16, ersatzlos aufgegeben.17 Seit der Aufhebung der §§ 795, 808a BGB a.F. mit Wirkung vom 1.1.199118 bedarf die Ausgabe von Inhaber- und Orderschuldverschreibungen unabhängig von deren inhaltlicher Ausgestaltung – sei es, dass in ihnen die Zahlung einer bestimmten Geldsumme versprochen wird, sei es, dass die Schuldverschreibungen in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind – auch dann keiner staatlichen Genehmigung mehr, wenn sie Teile einer Gesamtemission darstellen.19

IV. Änderungen betreffend den Beschluss der Hauptversammlung Im Zuge der Umsetzung der Vorgaben von Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG (heute Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU) hat der Reformgesetzgeber mit Wirkung vom 1.7.1979 den bis heute geltenden Abs. 2 in § 221 AktG eingefügt; die bisherigen Abs. 2 und 3 wurden zu den Abs. 3 und 4.20

9

Durch das ARUG wurde § 221 AktG zwar nicht geändert, aber u. a. § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG mit Wirkung vom 1.9.2009 neugefasst.21 Seither genügt es nach § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG, wenn in dem Beschluss der Hauptversammlung über die bedingte Kapitalerhöhung zum Zweck der Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten an Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen (§ 192 Abs. 1, 2 Nr. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) oder in dem Beschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG, wenn dieser mit dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung verbunden ist, anstelle des Ausgabebetrags der Mindestausgabebetrag oder die Grundlagen für die Festlegung des Ausgabebetrags oder des Mindestausgabebetrags bestimmt werden (siehe Rz. 91).

10

V. Änderungen betreffend das Bezugsrecht der Aktionäre Durch das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts (DeregG) wurde die Vorschrift des § 186 AktG mit Wirkung vom 10.8.1994 um § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG und damit um die Möglichkeit eines vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses erweitert.22 Mit Wirkung vom 26.7.2002 wurde durch das Gesetz zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (TranspPublG) § 186 Abs. 2 AktG neu-

15 Siehe § 1 i.V.m. § 10 des Gesetzes über die staatliche Genehmigung der Ausgabe von Inhaber- und Orderschuldverschreibungen v. 26.6.1954 (BGBl. I 1954, 147). 16 Siehe § 2 i.V.m. § 10 des Gesetzes über die staatliche Genehmigung der Ausgabe von Inhaber- und Orderschuldverschreibungen v. 26.6.1954 (BGBl. I 1954, 147). 17 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 4; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 1. 18 Art. 1 i.V.m. Art. 3 Satz 1 des Gesetzes zur Vereinfachung der Ausgabe von Schuldverschreibungen v. 17.12.1990 (BGBl. I 1990, 2839). 19 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 5. 20 Art. 1 Nr. 30 i.V.m. Art. 5 des Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978 (BGBl. I 1978, 1959). 21 Art. 1 Nr. 29 i.V.m. Art. 16 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009 (BGBl. I 2009, 2479). 22 Art. 1 Nr. 15 i.V.m. Art. 3 des Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994 (BGBl. I 1994, 1961).

Fest

549

11

§ 221 AktG Rz. 12

Allgemeines

gefasst.23 Aufgrund der unverändert fortbestehenden Regelung des § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG betreffen diese Änderungen mittelbar auch das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte (eingehend dazu Rz. 578 ff.). 12

Am 1.11.2005 trat die Neufassung des § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG in Kraft.24 Seither ist nicht nur § 186 AktG, sondern – in Anlehnung an § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 2 AktG – auch § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG sinngemäß anzuwenden. Die Neuregelung beseitigte auf Empfehlung der Regierungskommission Corporate Governance die – vom Reformgesetzgeber bei Erlass des KonTraG vorhergesehene, aber geduldete25 – Möglichkeit, bei dem Beschluss über eine bedingte Kapitalerhöhung zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens (§ 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG) die in § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG genannten Angaben dadurch zu vermeiden, dass die Bezugsrechte nicht isoliert gewährt, sondern mit einer Wandelschuldverschreibung, einer Optionsanleihe oder einem anderen Vehikel verknüpft wurden.26 Zugleich stellt die Neuregelung klar, dass den Mitgliedern des Aufsichtsrats als Bestandteil ihrer Vergütung weder stock options noch Optionsanleihen eingeräumt werden dürfen (eingehend dazu Rz. 205).

VI. Änderungen betreffend das Umtauschrecht 13

Durch die Aktienrechtsnovelle 2016 wurde § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG mit Wirkung vom 31.12.201527 dahingehend geändert, dass die Definition der Wandelschuldverschreibung nun auch solche Schuldverschreibungen umfasst, bei denen der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird. Um eventuelle Zweifel an der Möglichkeit, diese Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien mittels einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abzusichern28 – Gleiches gilt, ohne dass dies in den Gesetzesmaterialien erwähnt ist, auch für die in der Literatur geäußerten Zweifel an der Zulässigkeit dieser Gestaltung29 –, auszuschließen, wurde § 192 Abs. 1, 2 Nr. 1 AktG um entsprechende Klarstellungen ergänzt.30 Solche sog. umgekehrten Wandelschuldverschreibungen (reverse convertible bonds, eingehend dazu Rz. 132 ff.) sollen es den Gesellschaften ermöglichen, einen sog. Debt-EquitySwap „auf Vorrat“31 anzulegen, um zukünftig Krisen leichter bewältigen zu können.32

23 Art. 1 Nr. 22 i.V.m. Art. 5 Satz 2 des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002 (BGBl. I 2002, 2681). 24 Art. 1 Nr. 17 i.V.m. Art. 3 Halbs. 2 des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005 (BGBl. I 2005, 2802). 25 BT-Drucks. 13/9712, 23. 26 BT-Drucks. 15/5092, 25. 27 Art. 1 Nr. 24 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). Zu der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes siehe BTDrucks. 18/4349, 13; Götze/Nartowska, NZG 2015, 298 f.; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 7. 28 Eingehend dazu Rozijn, ZBB 1998, 77 (89 ff.). 29 Siehe z.B. Rozijn, ZBB 1998, 77 (79), der umgekehrte Wandelanleihen „im Hinblick auf den Schutzzweck des § 221 AktG“ nur ausnahmsweise zulassen wollte, wenn auch dem Gläubiger der Anleihe ein eigenes Umtauschrecht zustand. 30 Art. 1 Nr. 20 Buchst. a, b des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). 31 BT-Drucks. 18/4349, 27. 32 BT-Drucks. 18/4349, 13.

550

Fest

Unionsrechtliche Vorgaben

Rz. 15 § 221 AktG

C. Unionsrechtliche Vorgaben Nach Art. 29 Abs. 4 und Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) gelten die Vorgaben der Art. 29 Abs. 1-3 und Art. 33 Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1-3 und Art. 29 Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG) nicht nur für jede Kapitalerhöhung, sondern auch für die Ausgabe aller Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Für die Umwandlung dieser Wertpapiere in Aktien und die Ausübung des Bezugsrechts gelten diese Vorgaben – wie Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) klarstellt – nicht. Die Vorschriften begründen keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestimmte Arten von Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, einzuführen.33 Diese Entscheidung obliegt den Gesetzgebern in den Mitgliedstaaten.34 Enthält die Rechtsordnung eines Mitgliedstaates allerdings solche Wertpapiere, sind in Bezug auf deren Ausgabe die Vorgaben der Art. 29 Abs. 1-4 und Art. 33 Abs. 1-6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1-4, Art. 29 Abs. 1-6 Richtlinie 77/91/EWG) umzusetzen. Vorgaben betreffen die Umwandlung und die Ausübung des Bezugsrechts die Richtlinie 2012/30/EU nicht.

14

Zu den Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugs- 15 recht auf Aktien verbunden sind, zählen in erster Linie Wandelschuldverschreibungen, seien es Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff.) – auch sog. umgekehrte Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 132 ff.) –, seien es Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.),35 sowie andere Wertpapiere, die mit einem Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. Wandelgenussrechte,36 eingehend dazu Rz. 483 ff.). Die Vorgaben gelten ferner für Optionsund Bezugsrechte, die sich auf noch zu schaffende Aktien des Emittenten oder eines Dritten beziehen (sog. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.).37 Diese unterfallen zwar nicht dem Wortlaut der deutschen Sprachfassung des Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG); das Options- oder Bezugsrecht ist nicht mit einem anderen (Haupt-)Recht verbunden, sondern besteht isoliert. Das Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU zugrunde liegende Ziel, die Aktionäre selbst in der Hauptversammlung über die infolge der Ausgabe von Wandelanleihen mögliche Verwässerung ihres Kapitalanteils entscheiden zu lassen,38 gebietet es jedoch Art. 29 Abs. 4 und Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) teleologisch dahingehend auszulegen, dass die Vorgaben des Art. 29 Abs. 1-3 und des Art. 33 Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1-3 und Art. 29 Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG) auch für naked warrants gelten. Diese teleologische Auslegung wird durch die englische Sprachfassung des Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU („carry the right to subscribe for shares“) bestätigt. Keine Wertpapiere i.S.d. Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) sind hingegen Genussscheine, die lediglich auf den Bezug von Aktienbezugsrechten gerichtet

33 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7. 34 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (546). 35 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 8. 36 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 28; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 8. 37 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 8. 38 Zu diesem Ziel vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 (189 f. Rz. 43) = AG 2009, 283 zu Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG.

Fest

551

§ 221 AktG Rz. 16

Allgemeines

sind.39 Bei dieser Gestaltung gelten die Vorgaben des Art. 29 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Richtlinie 77/91/EWG) nur für die Ausgabe der Aktienbezugsrechte. 16

Die Vorgaben des Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1, 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1, 2 Richtlinie 77/91/EWG) betreffend die Mitwirkung der Hauptversammlung an der Ausgabe der Wertpapiere sind in § 221 Abs. 1, 2 AktG umgesetzt (zu Einzelheiten siehe Rz. 487 ff.). Den Vorgaben des Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Richtlinie 77/91/EWG) trägt § 221 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 2 AktG Rechnung.

17

Vorgaben für das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, sowie für dessen Beschränkung und Ausschluss enthält Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG). Die Vorgaben in Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG) gebieten es, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten – wie im deutschen Recht mit § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG geschehen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) – der Hauptversammlung die Möglichkeit eröffnen, das Bezugsrecht durch Beschluss auszuschließen.40 Unvereinbar mit den unionsrechtlichen Vorgaben sind allerdings mitgliedstaatliche Regelungen, die das Bezugsrecht der Aktionäre (Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU, ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG) in einer Art und Weise einschränken, die in Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) nicht vorgesehen ist (z.B. den Verfall des Bezugsrechts nach einer vom Vorstand bestimmten Frist).41 Eine unzulässige Einschränkung des Bezugsrechts der Aktionäre liegt auch dann vor, wenn die Mitgliedstaaten anderen Personen (z. B. den Inhabern von Wandelschuldverschreibungen) ein Bezugsrecht auf die Aktien bzw. Wandelschuldverschreibungen einräumen.42 Da die Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) aber nur Mindestvorgaben zum Schutz der Aktionäre sowie der Gesellschaftsgläubiger enthält,43 sind die Mitgliedstaaten allerdings nicht gehindert, Vorschriften zu erlassen, die für diese Personengruppen günstiger sind, insbesondere für den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre höhere Voraussetzungen aufzustellen als sie Art. 33 Abs. 1-6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 1-6 Richtlinie 77/91/EWG vorsieht.44

18

Abweichungen von den Vorgaben der Art. 29, 33 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25, 29 Richtlinie 77/91/EWG) sind gemäß Art. 45 Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 41 Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG) zulässig, um die Beteiligung von Arbeitnehmern und anderen im Recht der Mitgliedstaaten festgelegten Personengruppen (z.B. Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens, § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG) am Kapital der Gesellschaft zu fördern. Praktische Bedeutung hat diese Ausnahme insbesondere

39 A.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 8. 40 Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 = AG 2009, 283 zu Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG. 41 Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 (189 Rz. 26) = AG 2009, 283 zu Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG. 42 Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 = AG 2009, 283 zu Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG. 43 Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 (189 Rz. 26) = AG 2009, 283; EuGH v. 24.3.1992 – C-381/89, Slg. 1992, I-2111 (I-2144 Rz. 32) = BeckRS 2004, 76896 zu Richtlinie 77/91/EWG. 44 Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 (189 Rz. 26) = AG 2009, 283 zu Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG.

552

Fest

Unionsrechtliche Vorgaben

Rz. 20 § 221 AktG

für Aktienoptionen als Vergütungselemente (sog. stock options, eingehend dazu Rz. 205, 235).45 Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 29, 33 Richtlinie 2012/30/EU, ehemals: Art. 25, 29 Richtlinie 77/91/EWG) ist bei der Anwendung von § 221 AktG das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung zu beachten.46 Dies gilt in erster Linie im sachlichen Anwendungsbereich des Art. 29 Abs. 4 und des Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 und Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG), also für alle Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Ob das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung auch bei der Anwendung des § 221 AktG auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte zu berücksichtigen ist, kann zwar deshalb bezweifelt werden, weil der deutsche Gesetzgeber die in Umsetzung der Vorgaben des Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG) eingefügte Regelung des § 221 Abs. 2 AktG ihrem eindeutigen Wortlaut nach auf Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 23 ff.) begrenzt hat. Da die übrigen Regelungen des § 221 Abs. 1, 3, 4 AktG aber gleichermaßen für Wandelschuldverschreibungen und andere Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. Wandelund Optionsgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.), sowie für Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) gelten, ist – trotz des Wortlauts des § 221 Abs. 2 AktG – davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber das ursprüngliche Regelungskonzept des § 221 AktG, nämlich Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte organisationsrechtlich gleich zu behandeln,47 nicht aufgeben wollte.48 Diesem Regelungskonzept widerspräche eine – unionsrechtlich allerdings zulässige – sog. gespaltene Auslegung, weshalb davon auszugehen ist, dass der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben der Art. 29, 33 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25, 29 Richtlinie 77/91/EWG) in § 221 Abs. 1, 3 und Abs. 4 i.V.m. § 186 AktG überschießend auch für Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte umgesetzt hat (sog. gold plating).49

19

Kapitel 2 Einzelne Instrumente Der sachliche Anwendungsbereich des § 221 AktG ist auf die in der Vorschrift genannten Instrumente beschränkt, namentlich Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte. Diese Begriffe sind – dies gilt nicht nur für Genussrechte, bei denen der Gesetzgeber sich bewusst einer Definition enthalten hat,50 sondern auch für die in § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG definierten Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen – in erster Linie 45 Zu Einzelheiten siehe Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 62 ff.; Holzborn in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 53 Rz. 21 ff.; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 15 ff.; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 11 ff.; Servatius in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 39 ff.; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 18 ff. 46 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 8. 47 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 3. 48 Die Regierungsbegründung zu § 221 Abs. 2 AktG-E enthält jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine Abkehr von dem ursprünglichen Regelungskonzept des § 221 AktG, siehe BT-Drucks. 8/1678, 19 zu Nr. 30. 49 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 8. Zu den Problemen einer überschießenden Umsetzung siehe Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (546 f.). 50 Erläuternde Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zum AktG-E 1930, abgedruckt bei Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (§ 1936-1931), Bd. 2, 1999, S. 966.

Fest

553

20

§ 221 AktG Rz. 21

Einzelne Instrumente

im Lichte des Normzwecks auszulegen. Danach unterfallen dem Anwendungsbereich des § 221 AktG nur solche Instrumente, die ihren Inhabern Rechte gewähren, die mit mitgliedschaftlichen Rechten der Aktionäre konkurrieren (eingehend dazu Rz. 1, 488 ff.).51 21

Darüber, ob ein Finanzinstrument eine Wandel-, Gewinnschuldverschreibung oder ein Genussrecht i.S.d. § 221 Abs. 1, 3 AktG ist, entscheidet nicht die Bezeichnung des Rechts.52 Maßgeblich ist vielmehr der im Wege der Auslegung der Anleihebedingungen53 zu ermittelnde objektive Gehalt des Rechts.

22

Schuldverschreibungen und andere schuldvertragliche Finanzinstrumente, die weder Wandelschulverschreibungen noch Gewinnschuldverschreibungen noch Genussrechte sind, findet § 221 AktG keine Anwendung. Die Ausgabe dieser Finanzinstrumente ist eine Maßnahme der Geschäftsführung über die der Vorstand grundsätzlich, d.h. vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung in der Satzung (§ 119 Abs. 1 AktG), ohne Mitwirkung der Hauptversammlung entscheiden kann.54 Der Vorstand ist jedoch nicht gehindert, die Maßnahme der Hauptversammlung zur Entscheidung vorzulegen (§ 119 Abs. 2 AktG).55 Auf Finanzinstrumente, die dem Anwendungsbereich des § 221 AktG nicht unterfallen, besteht kein Bezugsrecht der Aktionäre.56 Dies gilt insbesondere für gewöhnliche Anleihen (sog. Industrieobligationen)57 und zwar auch dann, wenn einzelne Elemente der Schuldverschreibungen (z.B. die Laufzeit bei sog. perpetuals) in den Anleihebedingungen aktienähnlich ausgestaltet sind (eingehend dazu Rz. 398 ff.).58 Keine Anwendung findet § 221 AktG ferner auf Umtausch- und Aktienanleihen (sog. exchangeables), Zerobonds59 und Zertifikate.60

A. Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG) I. Allgemeines 23

Wandelschuldverschreibungen sind gemäß § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern oder – seit dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 am 31.12.2015 (siehe Rz. 13) – der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 132 ff.) ein Umtauschoder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird. Sie sind zusammengesetzte Finanzinstrumente (compound financial instrument), die aus zwei Elementen bestehen: einer Schuldverschreibung und einem Aktienerwerbsrecht. Letzteres unterscheidet Wandelschuldverschreibungen von herkömmlichen Schuldverschreibungen.

24

Die Schuldverschreibung – sie kann als Inhaberschuldverschreibung oder gekorenes Orderpapier verbrieft werden (eingehend dazu Rz. 768 ff.) – enthält in der Regel das Leistungsver51 Ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20. 52 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20. 53 Zu der Auslegung von Anleihebedingungen siehe Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 45 ff. 54 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 15. 55 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 16; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 12. 56 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20. 57 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 3; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 1, 20; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 16; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 3; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 5; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 1, 12, 16; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 4. 58 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20. 59 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 4. 60 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20.

554

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 27 § 221 AktG

sprechen der Emissionsgesellschaft, zu vereinbarten Zeitpunkten Zinsen zu zahlen und den Nennbetrag der Teilschuldverschreibungen nach dem Ende der vertraglichen Laufzeit zurückzuzahlen.61 Neben oder anstelle von Zinsen können die Anleihebedingungen gewinnorientierte oder gewinnabhängige Ausschüttungen vorsehen.62 Bei dieser Gestaltung ist die Schuldverschreibung eine Gewinnschuldverschreibung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, das zusammengesetzte Instrument eine sog. Wandel-Gewinnschuldverschreibung (siehe Rz. 323). Neben dem Leistungsversprechen verbriefen Wandelschuldverschreibungen auch ein sog. Aktienerwerbsrecht. Dieses kann als Umtausch- oder Bezugsrecht ausgestaltet werden. Wandelschuldverschreibungen mit einem Umtauschrecht werden als Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff.), solche mit einem Bezugsrecht auf Aktien als Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) bezeichnet.63

25

Instrumente, die entweder eine Schuldverschreibung sind oder ein Aktienerwerbsrecht verbriefen, sind keine Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG. Auf sie findet § 221 AktG jedenfalls keine unmittelbare Anwendung. Dies gilt z.B. für sog. Wandelaktien, die die Aktionäre berechtigen, ihre Aktien in Aktien einer anderen Aktiengattung umzutauschen (eingehend dazu Rz. 200 f.),64 sowie für die von einer Schuldverschreibung unabhängigen Optionsscheine in Gestalt von sog. naked warrants (eingehend dazu siehe Rz. 233 ff.) und sog. covered warrants (eingehend dazu siehe Rz. 264 ff.).65 Ebenfalls keine Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG sind virtuelle Optionsrechte (eingehend dazu Rz. 302 ff.)66 und Schuldverschreibungen, die anstelle des Aktienerwerbsrechts ausschließlich einen Barausgleich vorsehen.67

26

1. Aktien als Bezugsobjekt des Umtausch- bzw. Bezugsrechts Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG sind nur solche Schuldverschreibungen, deren Umtausch- oder Bezugsrecht sich auf Aktien – nicht notwendig, aber regelmäßig Stammaktien68 – bezieht.69 Umtausch- und Bezugsrechte, die sich nicht auf Aktien, sondern auf andere Wertpapiere (z.B. Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte) be-

61 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 7; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 75. 62 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 67; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 324; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 479; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 448; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 19; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 8. 63 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 3; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 15; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 4; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 5. 64 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24a; Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (916 ff.); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 79; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 145. 65 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24a; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 17. 66 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 9. 67 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (556); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 17; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 9. 68 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 6; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 2. 69 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 3; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 8.

Fest

555

27

§ 221 AktG Rz. 28

Einzelne Instrumente

ziehen, sind keine Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG.70 Sie können daher ohne Mitwirkung der Hauptversammlung ausgegeben werden; ein Bezugsrecht der Aktionäre besteht nicht. 28

Die infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts entstehenden Ansprüche der Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber auf Aktien werden regelmäßig durch neue Aktien erfüllt. In der Regel handelt es sich um Bezugsaktien i.S.d. § 192 Abs. 1, 5 AktG aus einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.). Zwar sind die Vorschriften über die bedingte Kapitalerhöhung – ausweislich § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG – u.a. auf Wandelschuldverschreibungen abgestimmt. Dies schließt es aber nicht aus, die Ansprüche der Gläubiger mit neuen Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) zu erfüllen.

29

Die Umtausch- bzw. Bezugsrechte beziehen sich nicht notwendig auf neue Aktien.71 Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG sind auch solche Instrumente, bei denen die Gesellschaft die infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts entstehenden Ansprüche auf Einräumung einer mitgliedschaftlichen Beteiligung mit eigenen Aktien erfüllen kann.72

30

Dies gilt jedenfalls bei der gebotenen teleologischen Auslegung des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (siehe Rz. 20). Da der Gesellschaft aus eigenen Aktien keine Rechte zustehen (§ 71b AktG), gleicht die (Wieder-)Veräußerung eigener Aktien zum Zweck der Bedienung von Umtausch- und Bezugsrechten wirtschaftlich einer Kapitalerhöhung.73 Rechtlich begründet sie dieselbe Konkurrenzsituation zwischen den Aktionären und den Gläubigern der Wandelschuldverschreibungen, die bei der Ausgabe neuer Aktien entstünde. Der Andienung eigener Aktien steht auch § 187 AktG nicht entgegen.74 Der Regelungsgehalt der Vorschrift erschöpft sich darin, den Vorrang des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre (§ 186 AktG) gegenüber einem vertraglichen Bezugsrecht auf neue Aktien sicherzustellen.75 Die Aussage, dass 70 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 17; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 152; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 16. 71 So aber Broichhausen, NZG 2012, 86 (90); Busch, AG 1999, 58 (64); Hoffmann, AG 1973, 47 (52); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 8; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 17; Schlitt/ Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 27; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 57; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 58. 72 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 12; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 162; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 79; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 9; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (71); Schanz, BKR 2011, 410; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 39; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 141 ff.; im Ergebnis auch Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 17; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24a; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (553) jeweils nur für eine entsprechende Anwendung des § 221 AktG. Einschränkend Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (256 f.): wenn die Bedienung mit eigenen Aktien im Beschluss der Hauptversammlung zur Ausgabe von Wandelanleihen ausdrücklich vorgesehen ist. A.A. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 5a, 59. 73 BT-Drucks. 16/10067, 66 zu § 272 Abs. 1b Satz 1 HGB-E; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 71 AktG Rz. 79; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (77). 74 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 15; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24a; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 44. 75 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 187 AktG Rz. 1; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 187 AktG Rz. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 187 AktG Rz. 6; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 3.

556

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 32 § 221 AktG

vertragliche Bezugsrechte nur durch neue Aktien erfüllt werden können, enthält die Vorschrift nicht. Auch der Schutz der Interessen der Aktionäre gebietet keine entsprechende Anwendung von § 187 AktG, da den Aktionären bei einer (Wieder-)Veräußerung außerhalb der Börse ein (Vor-)Erwerbsrecht (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 2 AktG) zusteht.76 Keine Anwendung findet § 221 AktG hingegen, wenn Gegenstand des Bezugsrechts bereits umlaufende Aktien sind, die weder eigene Aktien der Gesellschaft noch der Gesellschaft nach § 71d AktG zuzurechnen sind.77 In diesen Gestaltungen droht den Aktionären keine Verwässerung ihrer Beteiligungsquote, die eine Anwendung von § 221 AktG teleologisch rechtfertigen würde. 2. Identitätsgrundsatz Der Identitätsgrundsatz ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut des § 221 AktG, aber aus dem Sinn und Zweck der aktienrechtlichen Regelungen. Die mit der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen einhergehenden Beeinträchtigungen der mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre (eingehend dazu Rz. 488 ff.), die der Gesetzgeber zum Anlass genommen hat, die Entscheidung über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen in die Hände der Hauptversammlung zu legen (§ 221 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und den Altaktionären ein Bezugsrecht zuzugestehen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.), besteht nämlich nur, wenn sich die Wandelschuldverschreibung in einem Zwei-Personen-Verhältnis erschöpft, namentlich der Gesellschaft als Anleiheschuldnerin einerseits und den Anleihegläubigern andererseits.78 Daher sind Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG nur solche Gestaltungen, bei denen (1) sich das Umtausch- oder Bezugsrecht auf – neue oder eigene (eingehend dazu Rz. 112 ff.) – Aktien der Emissionsgesellschaft bezieht79 und (2) die Emissionsgesellschaft selbst Schuldner des infolge der Ausübung des Umtausch- oder Bezugsrechts zustande kommenden Zeichnungsvertrags ist, also selbst verpflichtet ist, den Gläubigern der Wandelschuldverschreibungen Aktien zu gewähren.

31

a) Drittemissionen: Grundsätzlich keine Anwendung von § 221 AktG Die unter dem Begriff der Drittemission zusammengefassten Gestaltungen sind aufgrund des ungeschriebenen Identitätsgrundsatzes (siehe Rz. 31) keine Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG mit der Folge, dass der Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführungsbefugnis grundsätzlich alleine über die Ausgabe der Instrumente entscheiden kann,80 es sei denn, dass die Schuldverschreibung eine Gewinnschuldverschreibung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG (eingehend dazu Rz. 308 ff.) oder ein Genussrecht i.S.d. § 221 76 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24a; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 12; Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 19m; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 71 AktG Rz. 176 ff.; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 247. 77 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 16; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 12; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 17; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 5a; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (258); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 9; Trapp/Schlitt/Becker, AG 2012, 57 (64). 78 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 9; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 18; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 73; Silcher in FS Geßler, 1970, S. 185 (189 f.). 79 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 326; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 25; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 70; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 10; Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (250); Martens, AG 1989, 69 (71); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 1, 4, 18; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 159; Seibt, CFL 2010, 165 (167). 80 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 70.

Fest

557

32

§ 221 AktG Rz. 33

Einzelne Instrumente

Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 329 ff.) ist.81 Grundsätzlich keine Anwendung findet § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG daher auf Schuldverschreibungen, deren Umtausch- oder Bezugsrecht sich nicht auf Aktien der Emissionsgesellschaft, sondern einer anderen Gesellschaft bezieht.82 Hierzu zählen insbesondere sog. Umtausch- und Aktienanleihen (exchangeable bonds),83 bei denen die Gläubiger oder die Gesellschaft aufgrund einer in den Anleihebedingungen vereinbarten Ersetzungsbefugnis – deren Wirksamkeit erscheint in Ansehung der §§ 308 Nr. 4, 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB zumindest zweifelhaft (siehe Rz. 75) – berechtigt sind, die für das Ende der Laufzeit vereinbarte Rückzahlung des Kapitals durch die Übertragung von Aktien einer anderen Gesellschaft (z.B. eine Tochtergesellschaft der Emissionsgesellschaft) zu ersetzen.84 Ferner unterfallen § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG grundsätzlich auch die Schuldverschreibungen nicht, bei denen infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts zwar Aktien der Emissionsgesellschaft zu leisten sind, Schuldner dieser Verpflichtung aus dem Zeichnungsvertrag aber nicht die Emissionsgesellschaft, sondern ein Dritter (z.B. eine Tochtergesellschaft der Emissionsgesellschaft) ist (sog. synthetische Wandelschuldverschreibungen).85 b) Drittemissionen: Ausnahmen, insbesondere sog. Konzernanleihen 33

Insbesondere bei Drittemissionen von konzernangehörigen Gesellschaften (sog. Konzernanleihen)86 kann ausnahmsweise eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG geboten sein.87 Dies gilt nicht nur für Wandel- und Optionsanleihen (sog. Warrant-Anleihen), sondern auch Wandel- und Optionsgenussrechte (eingehend dazu Rz. 483 ff.).88

81 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 45; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 37. 82 Gustavus, BB 1970, 694 (695); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 25, 41; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (555); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 17, 123; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 9, 37; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 70; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 171; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 4; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 161 ff.; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 9. 83 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 25, 41; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (555 f.); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 14; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 17, 123; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 4, 12; Schanz, BKR 2011, 410 (415); Schlitt/Kammerlohr in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 13 Rz. 17; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (255); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 59; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 41, 185; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 136. 84 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 41; Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431 (2433); Luttermann, ZIP 2001, 1901 f.; Marburger in FS Hadding, 2004, S. 949 ff.; Schanz, BKR 2011, 410 (415); Schlitt/Kammerlohr in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 13 Rz. 1; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (255); Schwark, WM 2001, 1973 ff.; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 185 ff.; Wiese/Dammer, DStR 1999, 867; Zahn/Lembke, BKR 2002, 527 (532). 85 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (135) = ZIP 2013, 212; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 16a; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24a mit Fn. 88; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 42; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 82; Trapp/ Schlitt/Becker, AG 2012, 57 (64). 86 Zu der Möglichkeit, die Anleihe durch ein nicht konzernrechtlich verbundenes Unternehmen ausgeben zu lassen, siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 122. 87 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 42; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 36. Vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 171: offene Gesetzeslücke. 88 OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123).

558

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 37 § 221 AktG

aa) Wirtschaftliche Zwecke Seit Mitte der 1960er Jahre89 entspricht es der marktüblichen Praxis, dass jedenfalls deut- 34 sche Blue-Chip-Unternehmen Schuldverschreibungen nicht selbst ausgeben, sondern zu diesem Zweck in den Niederlanden, in Luxemburg, in Großbritannien oder in Irland ansässige Tochtergesellschaften unterhalten.90 Bis zur Aufhebung der §§ 795 Abs. 1 Satz 1, 808a Satz 1 BGB a.F. mit Wirkung vom 1.1.199191 war diese Emissionspraxis in erster Linie durch die Umgehung der räumlich auf das Inland begrenzten Genehmigungsvorbehalte motiviert.92 Seither dominieren steuerliche Ziele, namentlich die Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer93 sowie die gewerbesteuerrechtliche Hinzurechnung von Schuldzinsen (§ 8 Nr. 1 Buchst. a GewStG) zu vermeiden, die jeweils nur bei im Inland domizilierenden Konzernfinanzierungsgesellschaften vorzunehmen ist.94 Ferner können die Transaktions- und Emissionskosten – konkret: der Aufwand für die Erstellung des Wertpapierprospekts – reduziert werden. Der Prospekt kann nämlich in englischer Sprache verfasst werden; nur die Zusammenfassung ist in deutsche Sprache zu übersetzen, § 19 Abs. 4 WpPG.95 In den seltenen Fällen, in denen die Anleihe von der Konzernobergesellschaft selbst ausgegeben wird und sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht auf Aktien einer konzernangehörigen Tochtergesellschaft bezieht, dient die Emission regelmäßig der Veräußerung der Tochtergesellschaft bzw. von Anteilen an ihr.96

35

bb) Gestaltungsvarianten Drittemissionen ist gemeinsam, dass Schuldner der Zins- und Rückzahlungsansprüche stets die Emissionsgesellschaft ist.97 Bei der Ausgestaltung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts – bei Wandelanleihen ist auch eine Umtauschpflicht möglich (eingehend dazu Rz. 153 ff., 173 ff.)98 – in den Anleihebedingungen kann der Emittent im Wesentlichen zwischen zwei Varianten wählen,99 die sich dadurch voneinander unterscheiden, wer Schuldner des Zeichnungsvertrags bzw. Verschaffungsanspruchs wird.

36

(1) Das Umtausch- bzw. Bezugsrecht kann in den Anleihebedingungen dahingehend ausgestaltet werden, dass die Emissionsgesellschaft infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts selbst verpflichtet ist, den Anleihegläubigern bzw. Optionsrechtsinhabern die

37

89 Gruson/Harrer, ZBB 1996, 37; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 33; Vogel, Die Vergemeinschaftung der Anleihegläubiger und ihre Vertretung nach dem Schuldverschreibungsgesetz, 1999, S. 291; Wielens, Die Emission von Auslandsanleihen, 1968, S. 223; ähnlich Kundiß, ZfgK 1988, 1023: „seit geraumer Zeit“. 90 Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 37. 91 Art. 1 i.V.m. Art. 3 Satz 1 des Gesetzes zur Vereinfachung der Ausgabe von Schuldverschreibungen v. 17.12.1990 (BGBl. I 1990, 2839). 92 Fest, Anleihebedingungen, 2016, S. 508 ff.; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 35; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 166; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 97. 93 Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 37; Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252 (253); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 10. 94 Fest, Anleihebedingungen, 2016, S. 516 ff.; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 97 ff. 95 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 11 mit Fn. 37. 96 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 124. 97 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 93. 98 Ein Beispiel hierfür sind die von Commerzbank ausgegebenen Pflichtumtauschanleihen (Conditional Mandatory Exchangeable Notes, CoMEN), siehe hierzu OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 ff.; Trapp/Schlitt/Becker, AG 2012, 57 ff. 99 Zu Einzelheiten siehe Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 334 ff.; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 34; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 92.

Fest

559

§ 221 AktG Rz. 38

Einzelne Instrumente

Aktien der anderen Gesellschaft zu verschaffen.100 Derart ausgestaltete Wandel- und Optionsanleihen können in der Regel nur platziert werden, wenn die andere Gesellschaft – in Gestalt eines Vertrags zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB)101 – die Erfüllung der Verschaffungsansprüche gegenüber den Anleihegläubigern bzw. Optionsrechtsinhabern garantiert.102 Ist die Emissionsgesellschaft ein Institut i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Verordnung (EU) Nr. 575/2013, hindert die Garantie der anderen Gesellschaft sie nicht daran, die Anleihen als Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals oder Ergänzungskapitals auszugestalten. Das Besicherungsverbot in den Art. 52 Abs. 1 Buchst. e, 63 Buchst. e Verordnung (EU) Nr. 575/2013 betrifft nur verbriefte nachrangige Verbindlichkeiten,103 nicht aber die Verpflichtungen der Emissionsgesellschaft aus dem Zeichnungsvertrag. 38

(2) Die Alternative besteht darin, dass die andere Gesellschaft (isolierte) Optionsrechte auf ihre Aktien ausstellt, die Emissionsgesellschaft diese einer von ihr ausgestellten Schuldverschreibung beifügt und das zusammengesetzte Instrument ausgibt.104 Schuldner des Zeichnungsvertrags ist bei dieser Variante – unabhängig davon, ob das Optionsrecht unselbstständig oder selbstständig verbrieft und daher abtrennbar ist (eingehend dazu Rz. 770) – nicht die Emissionsgesellschaft, sondern die andere Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht.105 Diese Gestaltungsmöglichkeit besteht allerdings nur bei Optionsanleihen, nicht hingegen bei Wandelanleihen.106 Im Unterschied zu dem Optionsrecht, das die Emittenten als abtrennbares ausgestalten können, ist das Umtauschrecht nämlich ein integraler Bestandteil der Wandelanleihe (eingehend dazu Rz. 770). Aufgrund der Alternativität von Schuldverschreibung und Aktie kann es von der Schuldverschreibung nicht abgetrennt werden, folglich auch nicht ohne die Schuldverschreibung ausgestellt werden. cc) Entsprechende Anwendung von § 221 AktG

39

Eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG ist grundsätzlich nur bei der Gesellschaft geboten, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht. Dies gilt unabhängig von der rechtskonstruktiven Ausgestaltung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte.107 100 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 42; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 48 ff.; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 93; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 107 ff., 112 ff., 120; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (187). 101 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 10. 102 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 334; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 42; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 13; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 93; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 Rz. 34; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 168, 170; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 74; Schaub, AG 1972, 340 (341). 103 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 14; Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 62-71 CRR Rz. 20; vgl. auch Boos in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR, 5. Aufl. 2016, § 10 KWG Rz. 160 zu § 10 Abs. 5a Satz 1 Nr. 3 KWG a.F. 104 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 42; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 13; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 93; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 71; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 34; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 74; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 110 ff.; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (187). 105 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 169. 106 A.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 43; vorausgesetzt auch von Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 4 mit Fn. 4 unter Hinweis darauf, dass in der Praxis (Dritt-)Wandelanleihen dominieren. 107 Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 110 ff.; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221

560

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 42 § 221 AktG

(1) Emissionsgesellschaft Befindet sich der tatsächliche Verwaltungssitz der Emissionsgesellschaft im Ausland, unterliegt sie auch dann nicht deutschem Aktienrecht,108 wenn sie in einen inländischen Konzern eingebunden ist. Internationalprivatrechtlich ist das anzuwendende Gesellschaftsrecht für jede (Konzern-)Gesellschaft eigenständig zu ermitteln.109 Durch Rechtswahl in den Anleihebedingungen kann nur der schuldrechtliche Inhalt der Anleihe deutschem Recht unterstellt werden (sog. Wertpapierrechtsstatut).110 Das Organisationsrecht, dem die Emissionsgesellschaft unterliegt, ist ebenso wenig der Rechtswahl zugänglich wie das Sachrecht, dem das Umtausch- bzw. Bezugsrecht unterliegt.111

40

Eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG ist aber auch bei Emissionsgesellschaften, 41 die im Inland domizilieren, grundsätzlich nicht geboten.112 Für sie ist die Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen, die sich auf Aktien einer anderen Gesellschaft beziehen, grundsätzlich eine dem Vorstand allein obliegende Maßnahme der Geschäftsführung.113 Eine (formale) Verwässerung ihrer mitgliedschaftlichen Rechte, die der Gesetzgeber zum Anlass genommen hat, die Entscheidung über die Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen in die Hände der Hauptversammlung zu legen und den Altaktionären ein Bezugsrecht zuzugestehen, droht nur den Aktionären der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, nicht aber den Gesellschaftern der Emissionsgesellschaft.114 Wird die Emissionsgesellschaft infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts selbst Schuldner der Ansprüche auf Verschaffung von Aktien in der anderen Gesellschaft (siehe Rz. 37), droht ihr im Fall der schuldhaften Nichterfüllung eine Schadensersatzpflicht. Diese würde zwar eine vermögensmäßige Verwässerung bestehender Mitgliedschaftsrechte bewirken. Dieser Effekt ist aber sämtlichen nicht kompensierten Zahlungsabflüssen gemeinsam und vermag alleine eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG nicht zu rechtfertigen.115 Geboten ist eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG nur bei einer formalen Verwässerung aufgrund der Entstehung neuer Mitgliedschaftsrechte.116 Eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG ist aber ausnahmsweise geboten, wenn die Emissionsgesellschaft eine Konzernobergesellschaft ist und sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht auf neue Aktien einer konzernangehörigen Tochtergesellschaft bezieht.117 Ursäch-

108 109 110 111

112

113 114 115 116 117

AktG Rz. 121; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 173; Lutter, AG 1972, 125 (127); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 64; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 163. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 45; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 37; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 72. Siehe statt vieler Müller in Spindler/Stilz, IntGesR Rz. 5. Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 511. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 121; Mankowski, AG 1998, 11 (24 f.); im Ergebnis wohl auch Gustavus, BB 1970, 694 (695); vgl. auch Köndgen/Daeniker in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 265 (269) zur Rechtslage in der Schweiz. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 55; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 45; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 15; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 123; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 70; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 37; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 73; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 94; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 16; Zitzewitz, NZG 1999, 698 (703). Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 70. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 45; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 37. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 37. Vgl. Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112 zu §§ 192, 193 AktG. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 46; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 15; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 38; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 11; im Ergebnis auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG

Fest

561

42

§ 221 AktG Rz. 43

Einzelne Instrumente

lich hierfür ist, dass die Emissionsgesellschaft im Fall der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts aufgrund ihrer Verschaffungspflicht gegenüber den Anleihegläubigern bzw. Optionsrechtsinhabern verpflichtet ist, als Aktionär der Tochtergesellschaft gesellschaftsintern auf die Schaffung neuer Aktien hinzuwirken – konkret: die hierfür erforderliche Kapitalerhöhung zu beschließen.118 In diesen Konstellationen darf die Wandel- bzw. Optionsanleihe in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung – sei es einer Zustimmung zu der konkreten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es einer Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) – ausgegeben werden. Ferner steht den Aktionären der Emissionsgesellschaft in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich ein Bezugsrecht auf die Wandel- bzw. Optionsanleihe zu.119 43

Keine entsprechende Anwendung von § 221 AktG ist hingegen geboten, wenn die Konzernober- und Emissionsgesellschaft ihre ggf. entstehende Verschaffungspflicht mit bereits existenten Aktien der Tochtergesellschaft erfüllen kann,120 sei es, dass sich die Aktien bereits in ihrem Bestand befinden oder erst zu diesem Zweck erworben werden sollen. In diesen Konstellationen besteht keine Verpflichtung, Einfluss in der Tochtergesellschaft auszuüben. Am Markt bereits existente Aktien der Tochtergesellschaft kann der Vorstand der Emissionsgesellschaft ohne Mitwirkung der Hauptversammlung erwerben und an die Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber übertragen. Auf diese Aktien haben die Aktionäre der Emissionsgesellschaft kein Bezugs- bzw. Vorerwerbsrecht.121 Gegenteiliges ergibt sich weder aus § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG noch aus § 71d AktG. Die Aktien der Tochtergesellschaft sind für die Emissionsgesellschaft fremde und keine eigenen Aktien, die sie für eigene Rechnung hält. (2) Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht

44

Unterliegt die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, nach internationalprivatrechtlicher Anknüpfung deutschem Aktienrecht, ist eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG geboten.122 Gleiches gilt für die Abgabe einer Garantie-

118 119 120 121 122

562

Rz. 124; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 38; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 101, aber jeweils ohne Differenzierung zwischen neuen Aktien und Aktien aus dem eigenen Bestand der Emissionsgesellschaft. Im Ergebnis ebenso Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 16, der das Erfordernis der Mitwirkung aber unter Hinweis auf BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 – Holzmüller, BGHZ 83, 122 (141 ff.) = AG 1982, 158 = NJW 1982, 1703 damit begründet, dass der Erwerb von Bezugsrechten durch Dritte auf Anteile der Tochtergesellschaft die mitgliedschaftliche Position der Aktionäre wirtschaftlich erheblich beeinträchtigen kann. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 124. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 46; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 101; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 46; a.A. Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 124; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 38; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 101. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 46. BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 (181) = NJW 1991, 1956; Busch, AG 1999, 58; Canaris, WM 1988, Sonderbeilage Nr. 10, S. 17; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 56; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 4; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (552); Haberstock/ Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 15; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 110 ff.; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 121, 154; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 72; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39; Kümpel, WM 1990, 449 (453 mit Fn. 43); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 172; Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 (631); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 163; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 11; im Ergebnis auch Mankowski, AG 1998, 11, 24 f.: unter-

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 46 § 221 AktG

erklärung.123 Die für die Analogie erforderliche Vergleichbarkeit zu herkömmlichen Wandelund Optionsanleihen ergibt sich daraus, dass den Aktionären dieser Gesellschaft – gleichgültig, ob sie die Optionsrechte selbst ausgestellt oder nur garantiert hat (siehe Rz. 37 f.) – infolge der Ausübung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte eine formale Verwässerung ihrer mitgliedschaftlichen Rechte droht. Allein diese hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Entscheidung über die Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen in die Hände der Hauptversammlung zu legen und den Altaktionären ein Bezugsrecht zuzugestehen (eingehend dazu Rz. 41). Ein Konzernfinanzierungsinteresse ist nicht erforderlich (eingehend dazu Rz. 49), aber unschädlich. Der zu herkömmlichen Wandel- und Optionsanleihen verbleibende Unterschied, dass die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, nicht zugleich Anleiheschuldner ist, steht – wie bei der Ausgabe von naked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.) – der entsprechenden Anwendung von § 221 AktG nicht entgegen.124 In entsprechender Anwendung von § 221 AktG darf der Vorstand der Gesellschaft, auf deren 45 Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, die Garantieerklärung nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung – sei es eine Zustimmung zu der konkreten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es eine Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.)125 – abgeben.126 Gleiches gilt für die Ausstellung der Optionsrechte, die die Emissionsgesellschaft der Schuldverschreibung beifügt.127 Dieses Mitwirkungserfordernis besteht nicht nur in den Fällen, in denen die Ansprüche aus dem zukünftigen Zeichnungsvertrag durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) oder genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) abgesichert sind, sondern unabhängig davon, ob die Ansprüche durch neue oder eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) bedient und wie die ggf. erforderlichen neuen Aktien geschaffen werden sollen.128 Zum (Selbst-)Schutz vor der bei Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts drohenden Verwässerung haben die Aktionäre der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich ein Bezugsrecht auf die von der Emissionsgesellschaft ausgegebene Wandel- bzw. Optionsanleihe.129 Das Bezugsrecht ist ein mitgliedschaftliches Recht (siehe Rz. 562) und steht als solches originär nur den Aktionären der Emissionsgesellschaft zu (eingehend dazu

123

124 125 126 127 128 129

liege die Emissionsgesellschaft nicht deutschem Gesellschaftsrecht, handele es sich internationalprivatrechtlich um eine Substitutionsproblematik; a.A. Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (190): ein Beschluss der Hauptversammlung sei weder bei der Emissionsgesellschaft noch bei der anderen Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, erforderlich. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 56; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 72; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39; Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (253); Lutter, AG 1972, 125 (128); a.A. Hoffmann, AG 1973, 47 (53); Schaub, AG 1972, 340 (342). Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 15; vgl. auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 72. Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 12. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 12. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47. Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 366; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 58; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 15; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 168; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 73; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 172; Lutter, AG 1972, 125 (134); Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (261); Mankowski, AG 1998, 11 (24); Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 (631); Stadler in Bürgers/Kör-

Fest

563

46

§ 221 AktG Rz. 47

Einzelne Instrumente

Rz. 569 ff.). Daher muss das Bezugsrecht zugunsten der Aktionäre der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, synthetisch begründet werden, nämlich durch einen Vertrag zu ihren Gunsten.130 Dieser Vertrag muss vor oder zusammen mit dem Zustimmungs- bzw. Ermächtigungsbeschluss (siehe Rz. 45) geschlossen werden. Andernfalls können die bezugsberechtigten Aktionäre – wenn das Bezugsrecht nicht ausnahmsweise in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen ist (eingehend dazu Rz. 613 ff.) – Schadensersatz verlangen (eingehend dazu Rz. 86).131 47

Der Ausschluss des Bezugsrechts erfordert insbesondere eine sachliche Rechtfertigung (eingehend dazu Rz. 628 ff.) und einen Vorstandsbericht, dessen Inhalt den (Mindest-)Anforderungen des entsprechend anzuwendenden § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG (eingehend dazu Rz. 683 ff.) genügen muss.132 Für die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ist es erforderlich, alleine aber nicht ausreichend, dass die Anleihebedingungen einen angemessenen Optionspreis festlegen.133 Der angemessene Optionspreis (eingehend dazu Rz. 721 ff.) verhindert lediglich eine vermögensmäßige Verwässerung, nicht aber die mit der formalen Verwässerung einhergehenden Eingriffe in die mitgliedschaftliche Struktur.134 Vielmehr ist es erforderlich, die Vorteile der Gesellschaft, deren Aktien Gegenstand des Umtausch- oder Bezugsrechts sind,135 gegen die den Aktionären drohenden Nachteile im Einzelfall abzuwägen.136 dd) Absicherung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte

48

Die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, kann ihre infolge der Ausübung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte entstehenden Verschaffungspflichten sowohl durch neue als auch durch eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) erfüllen. Die neuen Aktien können nicht nur durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.)137 und eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.)138, sondern auch in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) geschaf-

130

131 132

133 134 135 136 137

138

564

ber, § 221 AktG Rz. 12; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 164; a.A. Hoffmann, AG 1973, 47 (56); Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (191). Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 58; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 73; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 12. Jeweils wohl nur terminologisch abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39: effektive Bezugsrechtsgewährung. Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 162 ff. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 58; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 73; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 65; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 12. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 58; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76; a.A. Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (191). Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 73. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 12; wohl a.A. Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 76: Interessen der Muttergesellschaft. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 73; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 65. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 59; Gustavus, BB 1970, 694; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 48; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 168; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 41; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 176; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (195); vorausgesetzt von Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 217. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 177; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 174.

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 49 § 221 AktG

fen werden.139 Dies gilt nicht nur für die Gestaltungsvariante, in der diese Gesellschaft selbst Schuldner des Zeichnungsvertrags ist (siehe Rz. 38), sondern auch für die Konstellationen, in denen sie die Erfüllung des (zukünftigen) Verschaffungsanspruchs gegenüber den Anleihegläubigern bzw. Optionsrechtsinhabern garantiert (siehe Rz. 37).140 Über die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG), die Ausstellung der Umtausch- oder Bezugsrechte bzw. die Abgabe der Garantieerklärung (eingehend dazu Rz. 36 ff.) und die synthetische Begründung eines Bezugsrechts zugunsten der Aktionäre bzw. dessen Ausschluss (eingehend dazu Rz. 46 ff.) wird die Hauptversammlung in der Regel in einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss entscheiden. Der (Einzel-)Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) kann aber – wie im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG141 – auch gefasst werden bevor die Hauptversammlung den in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG erforderlichen Beschluss fasst.142 Ein sog. Konzernfinanzierungsinteresse dergestalt, dass zwischen der Emissionsgesellschaft und der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, eine vertragliche oder faktische Konzernbeziehung besteht und der Emissionserlös den Konzerngesellschaften zugute kommt, ist nicht erforderlich.143 Die Konzernverbundenheit ist zwar der Grund für die entsprechende Anwendung von § 221 AktG, wenn die Emissionsgesellschaft eine Konzernobergesellschaft ist und das Umtausch- bzw. Bezugsrecht sich auf neue Aktien einer konzernangehörigen Tochtergesellschaft bezieht (siehe Rz. 42). Die entsprechende Anwendung des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG ist aber nicht auf Drittemissionen von Konzerngesellschaften beschränkt. Sie setzt lediglich voraus, dass die Gesellschaft Schuldner der infolge der Ausübung des Optionsrechts entstehenden Verschaffungspflichten wird. Folglich können sogar naked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.) durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert werden (siehe Rz. 261). Ist es somit für die entsprechende Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG unerheblich, ob dem Umtausch- bzw. Optionsrecht eine Schuldverschrei139 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 367 f.; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 59; Groß in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 4; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 48; Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 192 AktG Rz. 20 ff.; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 168; Hoffmann, AG 1973, 47 (57); Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 74; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39, 40; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 174; Lutter, AG 1972, 125 (136); Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (265); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 44, 63; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 163; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (189); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 13; a.A. Gustavus, BB 1970, 694 f. 140 OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 40. 141 Die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) kann auch vor der Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen von der Hauptversammlung beschlossen werden, siehe Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 192 AktG Rz. 30; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 56; Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (155); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 134; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 13; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 10, § 221 AktG Rz. 98. 142 A.A. (Anfechtbarkeit des Beschlusses nach § 243 Abs. 1 AktG) Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 48; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 167 f.; vgl. auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 40. 143 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 367; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 56; Groß in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 4; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 48; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 71; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 40; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 175; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 77; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 63; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 12; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 13; a.A. Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 192 AktG Rz. 22; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 74; Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 (627 ff.). Offen gelassen von OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123).

Fest

565

49

§ 221 AktG Rz. 50

Einzelne Instrumente

bung beigefügt ist, muss es erst recht unerheblich sein, wer – sei es eine konzernangehörige, sei es eine konzernfremde Gesellschaft – dem Optionsrecht eine Schuldverschreibung beifügt. ee) Einlageleistung 50

Hat die Gesellschaft, auf deren Aktien sich die Umtausch- bzw. Optionsrechte beziehen, die sie infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts oder bei der Inanspruchnahme der Garantie treffenden Verschaffungspflichten in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 48) durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert, ist für die entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG im Grundsatz danach zu unterscheiden, ob die Anleiheemission – aus Sicht der Emissionsgesellschaft144 – fremdnützig (eingehend dazu Rz. 51 ff.) oder eigennützig (eingehend dazu Rz. 54 ff.) erfolgt. Die Elemente dieser Grundformen werden bei Anleiheemissionen vermengt, bei denen die Emissionsgesellschaft den Emissionserlös im Zuge des Cash-Pooling anderen (Konzern-)Gesellschaften zur Verfügung stellt (eingehend dazu Rz. 60 ff.). (1) Fremdnützige Anleiheemission

51

Die Emission ist fremdnützig, wenn die Anleihe auf Rechnung einer anderen Gesellschaft – in der Regel der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht oder die Garantie bezieht – ausgegeben wird.145 Das Handeln für fremde Rechnung beruht auf einem im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaften geschlossenen (entgeltlichen) Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 Abs. 1 BGB).146 Aufgrund dessen ist die Emissionsgesellschaft gemäß § 667 BGB verpflichtet, den gesamten Emissionserlös – nicht nur den auf das Umtauschbzw. Optionsrecht entfallenden Anteil – an die andere Gesellschaft herauszugeben oder an einen von ihr benannten Dritten (z. B. eine andere Konzerngesellschaft) abzuführen.147 Die Zahlung einer (Options-)Gebühr für die Bereitstellung der Umtausch- bzw. Optionsrechte bzw. die Garantieerklärung ist – im Unterschied zu einer eigennützigen Anleiheemission (eingehend dazu Rz. 54 ff.) – nicht geschuldet.148 Im Gegenzug hat die andere Gesellschaft der Emissionsgesellschaft die mit der Anleiheemission verbundenen Aufwendungen zu ersetzen, § 670 BGB. Hierzu zählen nicht nur die unmittelbaren Emissionskosten,149 sondern z.B. auch 144 Terminologisch aus der Perspektive der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 178 ff. 145 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 49; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 42; Martens in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 152 f.; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 104; vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 179. 146 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 41; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 94; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 43; Martens in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 153; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 104; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 14; vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 179. 147 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50, 236; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 94, 217; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 157; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 104, 125; vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 179. 148 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 43; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 125; vgl. auch Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 179. 149 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 43.

566

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 52 § 221 AktG

die Freistellung von Prospekthaftungsrisiken.150 Die Geschäftsbesorgung erschöpft sich nicht in dem Emissionsvorgang, sondern umfasst auch die Erfüllung der verbrieften Verpflichtungen. Daher hat die Gesellschaft, auf deren Rechnung die Emission erfolgt, die Emissionsgesellschaft von den Zins- und Rückzahlungsansprüchen der Anleihegläubiger freizustellen bzw. ihr die für die Tilgung der Ansprüche erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.151 Ein konzernbedingter Nachteil der Emissionsgesellschaft i.S.d. § 311 Abs. 1 AktG kann durch die Vereinbarung einer marktüblichen Vergütung in dem Geschäftsbesorgungsvertrag vermieden werden.152 Dessen Zahlung wird regelmäßig durch eine Verrechnungsabrede in dem Geschäftsbesorgungsvertrag dahingehend modifiziert, dass die Emissionsgesellschaft den ihr als Vergütung zustehenden Betrag von dem gemäß § 675 Abs. 1 i.V.m. § 667 BGB bzw. nach § 384 Abs. 2 Halbs. 2 HGB herauszugebenden Emissionserlös abziehen darf.153 Hat die Gesellschaft, für deren Rechnung die Anleiheemission erfolgt, die sie infolge der Aus- 52 übung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts oder bei der Inanspruchnahme der Garantie treffenden Verschaffungspflichten in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 48) durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert, findet auch § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Anwendung.154 Folglich ist eine Bareinlage geschuldet, die durch den eingezahlten Ausgabebetrag der Wandel- bzw. Optionsanleihe zuzüglich einer bei der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts ggf. geleisteten Zuzahlung als erbracht anzusehen ist (siehe Rz. 124). Der Ausgabebetrag der Wandel- bzw. Optionsanleihe – bestehend aus dem Nennbetrag der Schuldverschreibung und dem auf das Umtauschbzw. Optionsrecht entfallenden Betrag – fließt zwar zunächst der Emissionsgesellschaft zu. Diese ist aber gemäß § 675 Abs. 1 i.V.m. § 667 BGB verpflichtet, den Emissionserlös an die Gesellschaft, für deren Rechnung die Anleiheemission erfolgt, herauszugeben (siehe Rz. 51), so dass der Ausgabebetrag schließlich dem Vorstand dieser Gesellschaft – wie für eine (Bar-)Einlage erforderlich – zur freien Verfügung steht. Dem steht bei Optionsanleihen nicht entgegen, dass die Gesellschaft nach § 675 Abs. 1 i.V.m. § 670 BGB verpflichtet ist, die Emissionsgesellschaft von der Rückzahlungsverpflichtung freizustellen bzw. ihr die zur Erfüllung erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen (siehe Rz. 51). Diese Zahlungsverpflichtung würde der Gesellschaft auch im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG obliegen, hätte sie die Optionsanleihe selbst begeben. Ist die Emissionsgesellschaft aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrags berechtigt, die ihr zustehende Vergütung von dem herauszugebenden Emissionserlös abzuziehen (siehe Rz. 51), mindert dies den in die Einlage umgewidmeten Ausgabebetrag für die Schuldverschreibungen nicht. Die Verrechnung dient lediglich zur Vereinfachung der Zahlungsabwicklung im (Innen-)Verhältnis der Gesellschaften zueinander. Das (Außen-)Verhältnis der Gesellschaften zu den Anleihegläubigern berührt sie nicht. 150 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50; vgl. auch BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09 – Telekom III, BGHZ 190, 7 (13 Rz. 16 ff.) = NJW 2011, 2719 = AG 2011, 548 zur Platzierung von Bestandsaktien. 151 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 217; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 43, 157; Martens in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 151, 153; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 14. 152 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 50; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 249; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 43. 153 Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rz. 2250; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 112 Rz. 72; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und die Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001, S. 82 f.; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 15.283. 154 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 236; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 217; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 157; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 51; Schlitt/ Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (264); a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 49.

Fest

567

§ 221 AktG Rz. 53 53

Einzelne Instrumente

Die Vorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG kann auch dann entsprechende Anwendung finden, wenn die Anleihegläubiger im Fall der Ausübung des Optionsrechts nach Maßgabe der Anleihebedingungen zur fristlosen Kündigung der Teilschuldverschreibungen berechtigt sind (siehe Rz. 227). Voraussetzung hierfür ist, dass die Anleihebedingungen die Verrechnung des infolge der Kündigung entstehenden Rückzahlungsanspruchs der Anleihegläubiger gegen die Emissionsgesellschaft mit dem Anspruch der anderen Gesellschaft, auf deren Aktien sich die Optionsrechte beziehen, erlauben.155 Nur bei dieser Gestaltung der Anleihebedingungen ist die Gesellschaft, für deren Rechnung die Anleiheemission erfolgt ist, nicht verpflichtet, den von der Emissionsgesellschaft an sie herausgegebenen Emissionserlös als Aufwendungsersatz (§ 675 Abs. 1 i.V.m. § 670 BGB) an die Emissionsgesellschaft – oder in Abkürzung des Zahlungswegs an die Anleihegläubiger (§ 267 Abs. 1 Satz 1 BGB) – zurückzuzahlen. Enthalten die Anleihebedingungen keine Verrechnungsabrede, scheidet eine Umwidmung des Emissionserlöses in eine Bareinlage in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG aus.156 Ursächlich hierfür ist, dass die Gesellschaft, für deren Rechnung die Anleiheemission erfolgt ist, den erlangten Emissionserlös der Emissionsgesellschaft als Aufwendungsersatz (§ 675 Abs. 1 i.V.m. § 670 BGB) für die Rückzahlung der Anleihe zur Verfügung stellen muss.157 In diesem Fall steht der Gesellschaft, auf deren Aktien sich die Optionsrechte beziehen, nur der Anspruch auf die (Bar-)Einlage gegen die Optionsrechtsinhaber zu, den diese mit dem aus der Rückzahlung erlangten Betrag erfüllen können und in der Regel auch werden. (2) Eigennützige Anleiheemission

54

Alternativ kann die Emission eigennützig erfolgen, d.h. die Emissionsgesellschaft behält den Emissionserlös einschließlich der auf die Optionsrechte entfallenden Anteile für eigene Rechnung.158 Bei dieser Gestaltung erlangt die Emissionsgesellschaft dadurch, dass ihr die andere Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, Optionsrechte bereitstellt bzw. die Erfüllung der Verschaffungspflichten garantiert (siehe Rz. 37), einen vermögenswerten Vorteil u.a. in Gestalt günstigerer Zinskonditionen. Um eine verdeckte Einlage in das Vermögen der Emissionsgesellschaft und einen Schaden der Gesellschaft, die die Optionsrechte bereitstellt bzw. die Erfüllung der Verschaffungspflichten garantiert hat, zu vermeiden, haben die Gesellschaften eine Gegenleistung (sog. Optionsgebühr) zu vereinbaren.159 Die Höhe der Gegenleistung hat sich an dem vermögenswerten Vorteil der Emissionsgesellschaft (z. B. niedrigerer Nominalzinssatz) zu orientieren.160

155 Im Ergebnis auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 240; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 162, die in der Verrechnungsabrede aber keine Voraussetzung für die entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG sehen. 156 Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 79; wohl a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 240; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 162. 157 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 240; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 94; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 162. 158 Vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 180. 159 Döllerer, AG 1986, 237 (239 f.); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 49, 51; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 95; Holzheimer, WM 1986, 1169 (1173); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 44; Martens in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/ Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 151 (168 f.); Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 124 ff.; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 14; vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 181; Lutter, DB 1986, 1607 (1610 ff.); wohl a.A. Loos, BB 1988, 369 (375). 160 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 51; Karollus in G/H/E/K, AktG, 1993, § 221 Rz. 44; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 137 ff.; vgl. auch Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 183.

568

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 57 § 221 AktG

Die Optionsgebühr muss nicht notwendig vor der Anleiheemission und den Beschlüssen der Hauptversammlung – Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG (siehe Rz. 45) sowie Beschluss einer Erhöhung des Grundkapitals (eingehend dazu Rz. 48) – vereinbart werden. Insbesondere kann eine Anfechtung der Hauptversammlungsbeschlüsse (§§ 243 ff. AktG) nicht darauf gestützt werden, dass zuvor keine Gegenleistung vereinbart wurde. Ist die Gesellschaft, die die Umtausch- bzw. Optionsrechte bereitgestellt bzw. die Garantieerklärung abgegeben hat, eine Konzernobergesellschaft, hat ihr Vorstand in diesen Fällen unter Ausnutzung seines Einflusses auf die Tochter- und Emissionsgesellschaft auf die nachträgliche Vereinbarung einer Optionsgebühr hinzuwirken, um einen Vermögensnachteil von der (Ober-)Gesellschaft abzuwenden.161 Auf die Vereinbarung einer Optionsgebühr haben die Aktionäre der Obergesellschaft allerdings keinen Anspruch.162 Die auf Unterlassung eines rechtswidrigen Verhaltens oder Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands gerichtete Aktionärsklage ist – auch nach der Holzmüller-Entscheidung – nur bei einer (drohenden) Verletzung des Mitgliedschaftsrechts (z.B. einer Verletzung der Zuständigkeitsordnung) statthaft.163 Der Eingriff in Maßnahmen der einfachen Geschäftsführung – hierzu zählt auch die Vereinbarung der Optionsgebühr – ist den nicht geschäftsführenden Gesellschaftern auch dann verwehrt, wenn ihre Klage auf ein pflichtgemäßes Verhalten zielt.164

55

In der Bilanz der Gesellschaft, die die Umtausch- bzw. Optionsrechte bereitgestellt bzw. die Garantieerklärung abgegeben hat, ist eine tatsächlich gezahlte Optionsgebühr in die Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB) einzubuchen.165 Soweit keine Gegenleistung erbracht wird – sei es, dass keine vereinbart ist, sei es, dass eine vereinbarte Optionsgebühr nicht gezahlt wird –, darf keine fiktive Optionsgebühr gebucht werden.166

56

Bei eigennützigen Anleiheemissionen, bei denen die Verschaffungspflichten in entsprechen- 57 der Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 48) durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert sind, findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG keine entsprechende Anwendung auf die Einlageleistung.167 Insbesondere ist der Ausgabebetrag infolge der Ausübung der Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa, eingehend dazu Rz. 73) 161 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 51; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 44; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 157 f.; vgl. auch Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 184. 162 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 51; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 44; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 184; Lutter, DB 1986, 1607 (1612); Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 157 f. 163 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (133) = NJW 1982, 1703 = AG 1982, 158. 164 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (134) = NJW 1982, 1703 = AG 1982, 158; vgl. auch BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160 (167 f.) = NJW 1980, 1463 zur Kommanditgesellschaft. 165 Döllerer, AG 1986, 237 (239); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 51; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 248; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 44; K. Koch/Vogel, BB 1986, Beilage 10, S. 18; Kropff, ZGR 1987, 285 (303 f., 308 f.); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 182; Lutter, DB 1986, 1607 (1613 f.); Martens in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 151 (160 ff.); Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 87. 166 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 51; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 Rz. 44; Kropff, ZGR 1987, 285 (309 f.); abweichend K. Koch/Vogel, BB 1986, Beilage 10, S. 20: Aktivierung des Herausgabeanspruchs (§ 675 Abs. 1 i.V.m. § 667 BGB). 167 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 234; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 217; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 154; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 163; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 51; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 49.

Fest

569

§ 221 AktG Rz. 58

Einzelne Instrumente

keine Bareinlage. Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG erschöpft sich die Anleihe in einem Zwei-Personen-Verhältnis (eingehend dazu Rz. 31), so dass der Gesellschaft der gesamte Ausgabebetrag der Wandel- oder Optionsanleihe – bestehend aus dem Nennbetrag der Schuldverschreibung und dem auf das Umtausch- bzw. Optionsrecht entfallenden Betrag – zufließt. Bei einer eigennützigen Drittemission verbleibt der Ausgabebetrag hingegen bei der Emissionsgesellschaft (siehe Rz. 54). Die andere Gesellschaft, die die Umtausch- bzw. Optionsrechte bereitgestellt bzw. die Garantieerklärung abgegeben hat, kann von der Emissionsgesellschaft lediglich die Zahlung einer vertraglich vereinbarten Optionsgebühr verlangen (siehe Rz. 54). Somit fehlt bei der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht oder die Garantieerklärung bezieht, eine dem Nennbetrag der Schuldverschreibung vergleichbare Einzahlung, die in eine Bareinlage umgewandelt werden kann.168 Folglich haben die Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber eine Sacheinlage zu leisten.169 58

Bei Wandelanleihen stellt § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG im unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift klar, dass nicht die mit dem Umtausch der Schuldverschreibung einhergehende Befreiung des Anleiheschuldners von den Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeiten die (Sach-)Einlage ist, sondern der für die Wandelanleihe eingezahlte Ausgabebetrag (eingehend dazu Rz. 123 ff.). Der Übertragung dieses Regelungsgehalts auf eigennützige Drittemissionen steht entgegen, dass der Ausgabebetrag nur der Emissionsgesellschaft zufließt, also nicht – wie auch bei Sacheinlagen erforderlich – zur freien Verfügung des Vorstands der Gesellschaft steht, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht oder die Garantieerklärung bezieht. Daher verbleibt den Optionsrechtsinhabern bei drittemittierten Optionsanleihen lediglich die Möglichkeit, ihren Rückzahlungsanspruch gegen die Emissionsgesellschaft als Sacheinlage an die Gesellschaft abzutreten, auf deren Aktien sich das Bezugsrecht oder die Garantieerklärung bezieht.170 Der Wert der Forderung als Sacheinlage bestimmt sich nach ihrem objektiven Wert, wobei die Tatsache, dass der Anspruch voraussichtlich erst am Ende der Laufzeit der Anleihe fällig wird, zu mehr oder weniger großen – abhängig von der Restlaufzeit der Anleihe, der Solvenz der Emissionsgesellschaft etc. – Bewertungsabschlägen führt.171

59

Bei Optionsanleihen, deren Anleihebedingungen die Anleihegläubiger im Fall der Ausübung des Optionsrechts zu einer fristlosen Kündigung ihrer Teilschuldverschreibungen berechtigen, können die Anleihegläubiger die geschuldete Sacheinlage gleichfalls dadurch erbringen, dass sie ihren Rückzahlungsanspruch gegen die Emissionsgesellschaft an die Gesellschaft abtreten, deren Aktien Gegenstand des Bezugsrechts sind.172 Bei der Bewertung dieser Einlage ist zu berücksichtigen, dass der Rückzahlungsanspruch infolge der fristlosen Kündigung der Anleihe fällig wird, Bewertungsabschläge also regelmäßig nur im Fall einer konkret drohenden Insolvenz der Emissionsgesellschaft angezeigt sind.173

168 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 154. 169 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 234, 239. 170 Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 194 AktG Rz. 9; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 35; Hirte, WM 1994, 321 (329); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 10. 171 Vgl. Bayer in K. Schmidt/Lutter, § 27 AktG Rz. 14; Schall in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2016, § 27 AktG Rz. 173. 172 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 161. 173 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 239; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 161.

570

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 61 § 221 AktG

(3) Konzerninternes Cash-Pooling Eine besondere Variante der eigennützigen Anleiheemission besteht darin, dass die Emissionsgesellschaft die Wandel- oder Optionsanleihe auf eigene Rechnung emittiert, den Erlös aber im Rahmen eines physischen Cash-Pooling konzernweit zur Verfügung stellt.174 Dem Cash-Pooling liegt ein Rahmenvertrag zu Grunde, in dem insbesondere175 die Rechtsverhältnisse der Kapitalüberlassung, die Verzinsung und die Abrechnungsmodalitäten geregelt sind.176 In Umsetzung dieser Vereinbarung wird bei einer Treasury-Gesellschaft ein sog. Zielkonto (sog. Cash-Pool) eingerichtet.177 Mit dem Transfer des Emissionserlöses gewährt die Emissionsgesellschaft der Treasury-Gesellschaft ein Darlehen,178 das zum Ausgleich negativer Salden anderer Konzernunternehmen genutzt wird.179 Ein konzernbedingter Nachteil der Emissionsgesellschaft i.S.d. § 311 Abs. 1 AktG kann durch die Vereinbarung eines marktüblichen Zinses vermieden werden.

60

Richten sich die infolge der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts entstehenden Ver- 61 schaffungs- oder Garantieansprüche gegen die Treasury-Gesellschaft und hat diese ihre Pflichten in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG (siehe Rz. 48) durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert, fin-

174 BT-Drucks. 11/5830, 4 unter I. 1.; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 95; Meiisel/Bokeloh, CFL 2010, 35 (36); Ungnade, BB 1975, 300 (301); angedeutet auch bei Baums in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, 2007, S. 955 (972 Rz. 23). Vgl. auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 49; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 71: Darlehensgewährung. Die Gewährung eines einzelnen Darlehens ist zwar möglich, aber unüblich. 175 Zu weiteren Einzelheiten der Vereinbarung siehe Morsch, NZG 2003, 97 (98); Larisch in Eilers/ Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. C Rz. 553 ff. 176 Oho in Kessler/Kröner/Köhler, Konzernsteuerrecht, § 10 Rz. 111; Uwe H. Schneider in Lutter/ Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 25.11-25.15. 177 Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 225; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317; Larisch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. C Rz. 542; Morsch, NZG 2003, 97; Oho/Eberbach, DB 2001, 825; Reidenbach, WM 2004, 1421 (1423); C. Schäfer, GmbHR 2005, 133 (134); Wehlen in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.28. 178 BGH v. 13.5.2004 – 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147 (160) = NJW 2004, 2248; Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 227; Altmeppen, ZIP 2006, 1025 (1026); Bayer in FS Lutter, 2000, S. 1011 (1014); Cahn, ZHR 166 (2003), 278 (280); Fett in Bürgers/Körber, § 311 AktG Rz. 36; Gehrlein in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 84 Rz. 13; Grigoleit in Grigoleit, § 311 AktG Rz. 38; Grothaus/Halberkamp, GmbHR 2005, 1317 (1318); Gudlick, Gläubigerschutz und Gesellschafterhaftung beim Cash-Pooling, 2012, S. 52; Hellwig in FS Peltzer, 2001, S. 163 (165); Henze, WM 2005, 717 (719) („Kreditgewährung“); Larisch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. C Rz. 555; Morsch, NZG 2003, 97 (99); Reidenbach, WM 2004, 1421 (1423); Schilmar, DStR 2006, 568 (569); Schilmar, DB 2004, 1411 (1413); Uwe H. Schneider in Lutter/Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 25.11; Seidel, DStR 2004, 1130 (1132); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 14; Wand/Tillmann/Heckenthaler, AG 2009, 148; Wirsch, Der Konzern 2009, 443 (444); Zeidler, Zentrales Cashmanagement in faktischen Aktienkonzernen, 1999, S. 11; a.A. (unregelmäßige Verwahrung) C. Schäfer, BB 2006, Spezial 7, S. 5 f.; C. Schäfer, GmbHR 2005, 133 (135); dagegen Hommelhoff, WM 1984, 1105 (1106), der für die Kapitalüberlassung von der Mutter- an die Tochtergesellschaft allerdings auch die Rechtsnatur als Darlehen ablehnt und stattdessen von einem Realvertrag eigener Art (§§ 241, 305 BGB a.F.) ausgeht. 179 Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 311 AktG Rz. 226; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 311 AktG Rz. 80; Larisch in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. C Rz. 543; Oho/Eberbach, DB 2001, 825; C. Schäfer, GmbHR 2005, 133 (134); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 18 V 2 = S. 545; Wehlen in Lutter/ Scheffler/Uwe H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, Rz. 23.30.

Fest

571

§ 221 AktG Rz. 62

Einzelne Instrumente

det auf die Einlageleistung § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nur ausnahmsweise entsprechende Anwendung. Im Einzelnen: 62

Von der Herausgabe des Emissionserlöses durch die Emissionsgesellschaft an die TreasuryGesellschaft im Rahmen einer fremdnützigen Anleiheemission unterscheidet sich das CashPooling dadurch, dass letzterem keine Herausgabepflicht (§ 675 Abs. 1 i.V.m. § 667 BGB) zugrunde liegt. Vielmehr gewährt die Emissionsgesellschaft der Treasury-Gesellschaft ein Darlehen (siehe Rz. 60), das letztere nach Maßgabe des Cash-Pool-Rahmenvertrags zurückzahlen muss. Die Rückzahlungsverpflichtung verhindert im Grundsatz, dass der Ausgabebetrag der Wandel- bzw. Optionsanleihe – wie für eine (Bar-)Einlage erforderlich180 – zur freien Verfügung des Vorstands der Treasury-Gesellschaft steht und bei der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG in eine Bareinlage umgewidmet wird.181

63

Dies gilt bei Wandelanleihen auch dann, wenn die Anleihebedingungen bestimmen, dass die Anleihegläubiger ihr Umtauschrecht nur gegen Hingabe der Teilschuldverschreibungen an die Treasury-Gesellschaft ausüben dürfen.182 Bei dieser Gestaltung erlangt die TreasuryGesellschaft mit der Übertragung der Teilschuldverschreibungen zwar Zahlungsansprüche gegen die Emissionsgesellschaft, durch deren Aufrechnung sie sich von ihrer Darlehensrückzahlungspflicht befreien kann. Diese Aufrechnungsmöglichkeit besteht gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO aber nur, wenn die Emissionsgesellschaft weiterhin solvent ist oder die TreasuryGesellschaft die Teilschuldverschreibungen vor dem Eintritt der Insolvenz der Emissionsgesellschaft erworben hat.183 Die (abstrakte) Möglichkeit, dass die Aufrechnung unzulässig ist, gebietet es, die übertragenen Forderungen als Sacheinlage anzusehen,184 deren Wert maßgeblich durch die Solvenz der Emissionsgesellschaft bestimmt wird.185

64

Bei Optionsanleihen, deren Anleihebedingungen den Anleihegläubigern für den Fall der Ausübung des Optionsrechts zwar das Recht zur fristlosen Kündigung ihrer Teilschuldverschreibungen einräumen, aber keine Verrechnung des Rückzahlungsanspruchs mit der Einlageschuld vorsehen, scheidet die Umwidmung des Emissionserlöses in eine Bareinlage in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG ebenfalls aus.186 Ursächlich hierfür ist, dass die Treasury-Gesellschaft, deren Aktien Gegenstand der Bezugsrechte sind, den im Rahmen des Cash-Pooling als Darlehen erlangten Emissionserlös an die Emissionsgesellschaft auch im Fall der Ausübung des Optionsrechts zurückzahlen muss. Der Treasury-Gesellschaft steht daher nur der Anspruch auf die (Bar-)Einlage gegen die Optionsrechtsinhaber zu, den diese mit dem aus der Rückzahlung erlangten Betrag erfüllen können und in der Regel auch werden.187

65

Nur ausnahmsweise wird der Emissionserlös in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG in eine Bareinlage umgewidmet. Hierfür bestehen zwei Voraussetzun-

180 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 36 AktG Rz. 8 m.w.N. 181 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 235; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 155; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 10. 182 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 235. 183 Vgl. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 155 zu § 55 Nr. 2 KO. 184 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 155; a.A. Martens, AG 1992, 209 (216 mit Fn. 27). 185 Vgl. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 239 für eigennützig drittemittierte Optionsanleihen mit Verrechnung. 186 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 241; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 79; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 163. 187 A.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 163: entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG.

572

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 66 § 221 AktG

gen:188 Erstens muss die Emissionsgesellschaft den im Rahmen des Cash-Pooling entstehenden Darlehensrückzahlungsanspruch bereits in den Anleihebedingungen antizipiert an die Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber189 – im Umfang eines dem Nennbetrag ihrer Teilschuldverschreibungen entsprechenden Anteils – abgetreten haben.190 Die Vorausabtretung alleine stellt aber nicht sicher, dass der als Darlehen weitergeleitete Emissionserlös endgültig – wie für eine (Bar-)Einlage erforderlich191 – zur freien Verfügung des Vorstands der Treasury-Gesellschaft steht. Daher ist, zweitens, eine zusätzliche Vereinbarung in den Anleihebedingungen erforderlich, nämlich entweder die Beschränkung des Umtausch- bzw. Optionsrechts dahingehend, dass die Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber ihren (anteiligen) Darlehensrückzahlungsanspruch bei der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts an die Treasury-Gesellschaft abtreten müssen,192 oder eine Verrechnungsabrede.193 Um die Abtretung bzw. Verrechnung sicherzustellen, enthalten die Anleihebedingungen – neben der Vorausabtretung – in der Regel die Bestimmung, dass die Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber bei rechtsgeschäftlichen und zwangsweisen Übertragungen ihrer Teilschuldverschreibungen verpflichtet sind, auch den (anteilig) zedierten Darlehensrückzahlungsanspruch abzutreten.194 Diesen Gestaltungen ist die Rechtsfolge gemeinsam, dass die Darlehensrückzahlungspflicht der Treasury-Gesellschaft im Zuge des Umtauschs bzw. Aktienbezugs – sei es durch Konfusion,195 sei es durch Verrechnung196 – in dem Umfang erlischt, in dem die Emissionsgesellschaft diesen antizipiert an die Anleihegläubiger bzw. Optionsrechtsinhaber abgetreten hat. Dies gilt aufgrund der (anteiligen) Vorausabtretung des Darlehensrückzahlungsanspruchs unabhängig davon, ob die Emissionsgesellschaft zu diesem Zeitpunkt noch solvent ist. Für die Anwendung von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist kein Raum. Folglich steht der auf die eingetauschten Teilschuldverschreibungen bzw. Optionsrechte entfallende Emissionserlös – wie für die (Bar-)Einlage erforderlich197 – zur freien Verfügung des Vorstands der TreasuryGesellschaft. Die ausnahmsweise erfolgende Umwidmung des Emissionserlöses in eine Bareinlage (eingehend dazu Rz. 65) ist der Höhe nach auf den Betrag begrenzt, den die Emissionsgesellschaft der Treasury-Gesellschaft als Darlehen tatsächlich zur Verfügung gestellt hat.198 Nur 188 Abweichend Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 10: keine (zusätzlichen) Voraussetzungen für entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG. 189 Gleiches gilt, wenn der Darlehensrückzahlungsanspruch an einen für die Anleihegläubiger handelnden Treuhänder abgetreten wird, siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 235 mit Fn. 669; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (264 mit Fn. 125). 190 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 217; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 127. 191 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 36 AktG Rz. 8 m.w.N. 192 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 235; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 11; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 51; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (264 f.); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 127. 193 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 242; a.A. Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 79. 194 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 127; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 73. Die Bezeichnung dieser Konstruktion als quasi-dinglicher Zusammenhalt von Schuldverschreibung und Darlehensrückzahlungsanspruch (so Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 127) ist irreführend; es handelt sich um eine schuldrechtliche (Neben-)Leistungspflicht. 195 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 235; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 156; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 127. 196 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 242; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 164; a.A. Hirte, WM 1994, 321 (329); Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 72. 197 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 36 AktG Rz. 8 m.w.N. 198 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 235; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 156.

Fest

573

66

§ 221 AktG Rz. 67

Einzelne Instrumente

dieser Betrag, der nicht notwendig dem gesamten Emissionserlös entspricht, ist bei Anwendung des § 199 Abs. 2 Satz 1 AktG der Ausgabebetrag der Schuldverschreibung. Dieser Unterschied zu einer fremdnützigen Anleiheemission (eingehend dazu Rz. 51 ff.) beruht darauf, dass die Weiterleitung des Emissionserlöses auf Grundlage einer gesonderten Vereinbarung – konkret: dem Cash-Pool-Rahmenvertrag – und nicht in Erfüllung einer (Abwicklungs-)Pflicht aus einem Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 Abs. 1 i.V.m. § 667 BGB) erfolgt. 3. Inhaber des Umtausch- bzw. Bezugsrechts 67

Bis zum 30.12.2015 war der Begriff der Wandelschuldverschreibung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG auf Schuldverschreibungen begrenzt, bei denen nur den Gläubigern ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wurde. Durch die am 31.12.2015 in Kraft getretene Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) ist der Begriff der Wandelschuldverschreibung dahingehend ausgeweitet worden, dass nunmehr auch Gestaltungen erfasst werden, in denen das Umtausch- oder Bezugsrecht der Gesellschaft zusteht (sog. umgekehrte Wandelschuldverschreibungen, eingehend dazu Rz. 132 ff.). 4. Rechtsstellung der Gläubiger

68

Trotz des Umtausch- oder Bezugsrechts auf Aktien sind Wandelschuldverschreibungen nicht korporationsrechtlicher,199 sondern schuldrechtlicher Natur, ihre Inhaber also zunächst (nur) Gläubiger der Gesellschaft. Die mitgliedschaftliche Beteiligung an der Gesellschaft erlangen sie weder mit dem Erwerb der Wandelschuldverschreibung noch mit der Ausübung des Umtausch- oder Bezugsrechts, sondern – unabhängig von der Absicherung des Umtauschoder Bezugsrechts (eingehend dazu Rz. 84 ff.) – erst ex nunc mit dem (dinglichen) Erwerb der Aktien.200 Zuvor stehen den Inhabern der Wandelschuldverschreibungen – dies gilt auch für die Inhaber eines abgetrennten Optionsrechts – weder mitgliedschaftliche Rechte zu noch obliegen ihnen mitgliedschaftliche Pflichten.201 Sie haben weder eine Anwartschaft bzw. ein Anwartschaftsrecht202 auf Aktien noch sind sie aufschiebend bedingte203 Aktionäre.204 Das Umtausch- oder Bezugsrecht vermittelt den Inhabern von Wandelschuldverschreibungen auch 199 Wohl nur terminologisch unklar Martens, AG 1992, 209 (212): Ausgabe der Bezugsaktien sei lediglich Formalie, weshalb eine mitgliedschaftsähnliche Rechtsposition bestehe. 200 Martens, AG 1992, 209 (212). Wohl nur begrifflich ungenau Bader, AG 2014, 472 (473 f.); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 27; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 20, 22: Mitgliedschaft entsteht mit der Wandlung bzw. Ausübung des Umtauschrechts. 201 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 27; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 5; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 21. 202 Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (168); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 1, 21; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 4; K. Koch/Vogel, BB 1986, Beilage 10, S. 4; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 1; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 27 f.; vgl. auch Fuchs, AG 1995, 433 (441) für naked warrants; a.A. Busse von Colbe in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 47 (50); siehe auch Ekkenga in Ekkenga/ Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 229 für Pflichtwandelanleihen. 203 So aber Meilicke, BB 1963, 500 (501); in diese Richtung wohl auch Busse von Colbe in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 47 (50): „Doppelstellung“ als Gläubiger und Gesellschafter. Dagegen Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; A. Hueck, DB 1963, 1347. 204 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 332; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 27; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (548); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 9; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 148; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 1, 21; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 27 f.

574

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 70 § 221 AktG

dann keine sichere Erwerbsposition, wenn das Aktienerwerbsrecht ausschließlich den Gläubigern zusteht und durch eine bereits beschlossene bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert ist.205 Zwar sind Beschlüsse der Hauptversammlung, die dem Beschluss über das bedingte Kapital (§ 192 Abs. 1 AktG) entgegenstehen, gemäß § 192 Abs. 4 AktG nichtig. Hierdurch wird aber nur das bedingte Kapital, nicht aber die dadurch gesicherten Umtausch- oder Bezugsrechte geschützt.206 Insbesondere ist der Vorstand an einer zweckwidrigen Verwendung der Bezugsaktien nicht gehindert. Die zweckwidrige Verwendung ist zwar nach § 199 Abs. 1 AktG rechtswidrig. Da diese Vorschrift aber nur die Geschäftsführungsbefugnis, nicht aber die Vertretungsmacht des Vorstands einschränkt (eingehend Rz. 94), ist auch die zweckwidrige Verwendung der Bezugsaktien wirksam und daher geeignet, die Verschaffungsansprüche aus dem Zeichnungsvertrag207 – auf Kosten einer Schadensersatzpflicht208 – zu vereiteln.209 Wirtschaftlich sind Wandelschuldverschreibungen mezzanine bzw. hybride Finanzinstrumente.210 Ursächlich hierfür sind die bei der Ausgabe der Instrumente vorzunehmenden Buchungen in der Handelsbilanz (split accounting). Der Rückzahlungsbetrag ist – sowohl bei Wandel- als auch bei Optionsanleihen – als Fremdkapital zu buchen, § 266 Abs. 3 C. I. HGB.211 Den (Teil-)Betrag, der auf das Umtausch- oder Bezugsrecht entfällt (sog. Aufgeld),212 hat die Gesellschaft – dies gilt bei Wandel- und Optionsanleihen gleichermaßen213 – hingegen im Rahmen der Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB) und damit als Eigenkapital (§ 266 Abs. 3 A. II. HGB) auszuweisen.

69

II. Wandelanleihen und verwandte Instrumente 1. Herkömmliche Wandelanleihen (convertible bonds) Wandelanleihen sind Schuldverschreibungen (zu deren Inhalt siehe Rz. 24), bei denen den Gläubiger, der Gesellschaft oder den Gläubigern und der Gesellschaft (siehe Rz. 132) ein Umtauschrecht auf Aktien eingeräumt wird. Das Umtauschrecht (eingehend dazu Rz. 73) ermöglicht es, die (Teil-)Schuldverschreibung in eine mitgliedschaftliche Beteiligung umzuwandeln. Die Umtauschberechtigten können also entscheiden, ob die Schuldverschreibung als Schuldverschreibung endet, den Gläubigern mit dem Ablauf der vereinbarten Lauf205 206 207 208 209 210

211 212

213

Abweichend Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 60 unter Hinweis auf § 192 Abs. 4 AktG. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 144. Zum Inhalt des Zeichnungsvertrags siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 4. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 27; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (548); A. Hueck, DB 1963, 1347; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 148. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 67. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 28; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (549); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 19; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 26; nur begrifflich abweichend Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (87) („Massenpapiere gemischten Charakters“). Kritisch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 92, 148. Statt vieler Hüttemann/Meyer in Staub, 5. Aufl. 2014, § 266 HGB Rz. 69; Nodoushani, ZBB 2011, 143 (144); Suchan in MünchKomm/BilanzR, § 266 HGB Rz. 123. Zu der Ermittlung des von einem Agio zu unterscheidenden Aufgelds siehe Förschle/Hoffmann in lanz-Kommentar, § 272 HGB Rz. 180; Hüttemann/Meyer in Staub, 5. Aufl. 2014, § 272 HGB Rz. 37 ff.; Kropff in MünchKomm/BilanzR, § 272 HGB Rz. 120 ff.; Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 327. Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 28; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 19; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 26, die das Aufgeld nur bei Optionsanleihen als sog. Optionsgebühr in der Kapitalrücklage ausweisen wollen.

Fest

575

70

§ 221 AktG Rz. 71

Einzelne Instrumente

zeit also nach Maßgabe der Anleihebedingungen ein Anspruch auf Rückzahlung des Kapitals zusteht, oder das Gläubigerrecht durch Aktien ersetzt wird (zum Vollzug des Aktienerwerbs siehe eingehend Rz. 117 ff.), die ursprünglichen Gläubiger also eine mitgliedschaftliche Beteiligung erlangen.214 Damit besteht bei Wandelanleihen – im Gegensatz zu Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) – ein Exklusivitäts- bzw. Alternativitätsverhältnis dergestalt, dass die Anleihegläubiger bei Ausübung des Umtauschrechts nicht Inhaber der Teilschuldverschreibungen bleiben können.215 a) Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile 71

Das Umtauschrecht eröffnet den Berechtigten die Chance, ihre Teilschuldverschreibungen in Aktien einzutauschen, wenn und sobald der Aktienkurs den Bezugspreis übersteigt. Für diese Spekulation auf steigende Aktienkurse müssen die Anleihegläubiger ihre Sicherheit, Zinsen und Rückzahlung des Kapitals auch bei fallenden Kursen verlangen zu können, nicht aufgeben (downward protection bzw. bond floor).216 Diese Eigenschaften von Wandelanleihen ermöglichen es den Gesellschaften regelmäßig, die Instrumente mit einem niedrigeren Zinssatz (cupon) – oder zu einem höheren Ausgabepreis – als herkömmliche Schuldverschreibungen auszugeben.217 Die Emission herkömmlicher Wandelanleihen ist daher in der Regel die günstigere Finanzierungsalternative im Vergleich zu der Fremdkapitalaufnahme durch die Ausgabe herkömmlicher Schuldverschreibungen.218

72

Bei freundlichen Marktprognosen treffen herkömmliche Wandelanleihen regelmäßig auf größere Nachfrage der Investoren als neue Aktien.219 Ursächlich hierfür ist die Hoffnung der Anleger, der Aktienkurs werde den Bezugspreis der Aktien zzgl. des Ausgabepreises der Teilschuldverschreibungen übersteigen. Für die Gesellschaft kommt als weiterer Vorteil hinzu, dass sie bei der Ausübung der Umtauschrechte häufig einen höheren Gesamterlös aus der Ausgabe einer Wandelanleihe – bestehend aus dem Ausgabepreis der Teilschuldverschreibungen und dem Bezugspreis – als bei einer (hypothetischen) zeitgleichen Ausgabe neuer Aktien erzielt.

214 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 146; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 15. 215 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 8; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 19, 149; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 25. 216 Eichmann, Die Bank 2001, 60; Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (89); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 10; Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 29; Hüffer/Koch, § 21 AktG Rz. 4; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 15; Kleidt/Schiereck, BKR 2004, 18, 19; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 9; Rozijn, ZBB 1998, 77 (78, 83); Schanz, BKR 2011, 410; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 6; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254. 217 BT-Drucks. 18/4349, 27; BR-Drucks. 22/15, 27; BT-Drucks. 17/8989, 17 jeweils zu § 192 AktG-E; Bader, AG 2014, 472 (474); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 3; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 88; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 4, 7; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 15; Rozijn, ZBB 1998, 77 (87 f.); Schanz, BKR 2011, 410; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 5; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 44 f.; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 34; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (532); einschränkend Schlede/Kley in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1 (5): nur unwesentliche Zinsvorteile. 218 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254. 219 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 5.

576

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 75 § 221 AktG

b) Rechtsnatur des Umtauschrechts Das Umtauschrecht begründet keinen Tausch i.S.d. § 480 BGB (Schuldverschreibung gegen Aktie),220 sondern eine im Gesetz nicht näher geregelte, aber allgemein anerkannte Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa).221 Zivilrechtsdogmatisch handelt es sich hierbei um das Recht, das verbriefte Leistungsversprechen inhaltlich zu ändern, nämlich, den Anspruch der Schuldverschreibungsgläubiger auf Zinsen und Rückzahlung des Kapitals während der gesamten Laufzeit der Anleihe durch einen – nach weiteren Zwischenschritten entstehenden (eingehend dazu Rz. 117 ff.) – Anspruch auf den Erwerb von Aktien zu ersetzen.222

73

c) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Umtauschrechts Mittels der Anleihebedingungen können die Emittenten nicht nur die Rechte und Pflichten 74 des Anleiheschuldners und der Gläubiger aus den Teilschuldverschreibungen, sondern auch das Umtauschrecht sowie den mit dem Umtausch entstehenden Zeichnungs- bzw. Kaufvertrag näher ausgestalten. Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Emittenten ist insbesondere durch die §§ 307 ff. BGB begrenzt. Zu Einzelheiten der Inhaltskontrolle von Anleihebedingungen siehe § 3 SchVG Rz. 30 ff. aa) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind Von den Bestimmungen, die die Rechte und Pflichten des Anleiheschuldners und der Gläubiger aus der Schuldverschreibung ausgestalten, sind der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) insbesondere die Regelungen der Rückzahlung des eingezahlten Kapitals und Zinszahlung entzogen. Dies gilt nicht nur für die Art der Verzinsung (fest, variable Verzinsung, Ausgabedisagio, Rückzahlungsagio oder sog. Null-Kupon-Anleihe),223 sondern auch für die Höhe des Zinssatzes.224 Nicht mehr von § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB erfasst sind Bestimmungen, mit denen die Gesellschaft sich das Recht vorbehält, den Zinszahlungsanspruch anstatt mit einer Geldleistung durch die Ausgabe neuer Aktien erfüllen zu dürfen (sog. Ersetzungsbefugnis). Sol220 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 226; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (547); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 10; Hirte in Großkomm/AktG 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 207; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 5; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 19, 146; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 94; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 26; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 65 f.; wohl a.A. zuneigend Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 2. 221 OLG Stuttgart v. 1.3.1995 – 9 U 175/94, AG 1995, 329 (330); Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 327; Florstedt, ZHR 180 (216), 152 (170); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 4; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 226; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (548); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 10; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 207; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 4, 56; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 5; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 20, 146; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 94; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 26; F. Meyer, BB 1955, 549; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 5; Rozijn, ZBB 1998, 77 (79); Rusch, Die Wandelschuldverschreibung, 1956, S. 44 f. (67); Seibt, CFL 2010, 165 (167); Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 114. Wohl nur terminologisch abweichend Schanz, CFL 2012, 26: einseitiges Gestaltungsrecht. Abweichend Bader, AG 2014, 472: Anleihe mit Kaufoption. 222 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 24; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 45. 223 Zu der Ausgestaltung der Verzinsung siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 87; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143. 224 Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 64; Rozijn, ZBB 1998, 77 (93); wohl auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 132.

Fest

577

75

§ 221 AktG Rz. 76

Einzelne Instrumente

che Bestimmungen schränken den Zinszahlungsanspruch der Gläubiger ein und unterliegen daher auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle insbesondere am Maßstab des § 308 Nr. 4 BGB (siehe Rz. 79 f.).225 76

Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) ferner die Bestimmungen entzogen, die das Umtauschrecht unmittelbar ausgestalten, namentlich eine Umtauschfrist (siehe Rz. 77), die Art der zu erwerbenden Aktien (siehe Rz. 27), das Umtauschverhältnis (siehe Rz. 78), den Umtauschpreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs festsetzen.226

77

Die Bestimmung einer Umtauschfrist ist für die Ausgestaltung des Umtauschrechts zwar nicht erforderlich, aber marktüblich. In Betracht kommen zwei Regelungen, die miteinander kombiniert werden können: Zum einen können die Anleihebedingungen eine oder mehrere Ausübungszeiträume (conversion period, z.B. bestimmte Monate innerhalb des Kalenderjahres) mit der Folge bestimmen, dass das Umtauschrecht nur während dieser Zeiträume ausgeübt werden kann.227 Zum anderen können die Anleihebedingungen sog. Ausschlusszeiträume (excluded period) festlegen – in der Regel handelt es sich um Zeiträume vor der ordentlichen Hauptversammlung, vor dem Ende des Geschäftsjahres und den Zeitraum während eines Bezugsangebots228 –, während derer die Gläubiger ihr Umtauschrecht nicht ausüben können.229 Bestimmt die Gesellschaft in den Anleihebedingungen weder einen Ausübungs- noch einen Ausschlusszeitraum, sind die Gläubiger jederzeit während der Laufzeit der Anleihe berechtigt, ihr Umtauschrecht auszuüben.

78

Das Umtauschverhältnis (conversion ratio) bestimmt die Anzahl der Aktien, deren Zeichnung die Gläubiger beanspruchen können. Bei der Ausgestaltung können die Emittenten zwischen einem festen Umtauschverhältnis, bei dem die Anleihebedingungen die Anzahl der Aktien, die die Emissionsgesellschaft für eine Teilschuldverschreibung liefern muss, und einem variablen Umtauschverhältnis, bei dem sich die Anzahl der zu liefernden Aktien nach dem Aktienkurs bzw. -wert im Zeitpunkt des Umtauschs bestimmt, wählen.230 Um das vertraglich festgelegte Umtauschverhältnis zu perpetuieren, können die Emittenten für bestimmte Fälle (z.B. Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Verschmelzungen) Verwässerungsschutzklauseln (anti-dilution protection) in die Anleihebedingungen aufnehmen.231 Diese stehen der Anerkennung von bedingten Pflichtwandelanleihen als zusätzlichem Kernkapital nicht entgegen (eingehend dazu Rz. 177 ff.).232

225 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 191. 226 Im Ergebnis auch Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016, § 307 BGB Rz. 65; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 23; enger Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 132; Rozijn, ZBB 1998, 77 (93): nur Umtauschverhältnis. 227 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 54; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 112 mit Fn. 378. 228 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 54 mit Fn. 4; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143. 229 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143. 230 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (52); Nodoushani, ZBB 2011, 143 (149); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 56; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 144. 231 Zu einzelnen Gestaltungsvarianten siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 289 ff.; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 71 ff.; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 173 ff.; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 66 ff.; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 67 ff.; Spiering/ Grabbe, AG 2004, 91 (95 f.). 232 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (52).

578

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 79 § 221 AktG

bb) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen Sämtliche Bestimmungen, die das Umtauschrecht oder den Anspruch auf Aktien aus dem 79 Zeichnungsvertrag einschränken, verändern, aushöhlen oder mittelbar ausgestalten, unterliegen nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). Dies gilt z.B. für Vereinbarungen, die den Emittenten berechtigen, den Anspruch der Gläubiger aus dem Zeichnungsvertrag dahingehend abzuändern, dass sie anstelle der (Bezugs-)Aktien die Zahlung eines Geldbetrags – die Höhe wird in der Regel durch den aktuellen Aktienkurs oder einen gewichteten Durchschnittskurs bestimmt233 – verlangen können (cash settlement bzw. cash payment in lieu of delivery of shares).234 Ein solcher Änderungsvorbehalt wird häufig für den Fall vereinbart, dass der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (erfolgreich) angefochten wird.235 Wirksam ist die Bestimmung – nicht erst deren Ausnutzung – nur, wenn die Vereinbarung der Veränderung den Gläubigern noch zumutbar ist, § 308 Nr. 4 BGB.236 Die Zumutbarkeit setzt – in Anlehnung an Nr. 1 Buchst. k Anhang Richtlinie 93/13/EWG – voraus, dass auf Seiten des Verwenders ein triftiger Grund für die Änderung vorliegt.237 Dieser und das Interesse des Emittenten an der Möglichkeit einer Änderung seiner Leistung sind mit dem Interesse der Gläubiger an der Unveränderlichkeit der vereinbarten Leistung abzuwägen.238 Dabei ist von der kundenfeindlichsten Abänderung, zu der die Bestimmung den Emittenten berechtigt, auszugehen.239 Die Abwägung selbst ist aufgrund der Geltung der Anleihebedingungen für sämtliche Teilschuldverschreibungen der Wandelanleihe typisierend vorzunehmen; Umstände des Einzelfalls haben außer Betracht zu bleiben.240 Ermöglicht die Bestimmung nicht nur die Änderung von Umständen der Leistungserbringung und Nebenpflichten, sondern auch des Inhalts und des Umfangs der Hauptleistung, kann hierin ein Indiz für die Unzumutbarkeit des Änderungsvorbehalts liegen.241 Der Änderungsvorbehalt kann aber – in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – auch dann für die Gläubiger unzumutbar und damit unwirksam sein, wenn das Interesse des Emittenten an der Änderung seiner Leistung überwiegt. Dies ist z.B. anzunehmen, wenn die Bestimmung in ihren Voraussetzun-

233 Schanz, BKR 2011, 410 (415). 234 So wohl Seibt, CFL 2010, 165 (170). Zur Kontrollfähigkeit von Änderungsvorbehalten siehe BAG v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, BAGE 135, 163 (168 Rz. 17) = NZA 2011, 634; BAG v. 11.2.2009 – 10 AZR 222/08, NZA 2009, 428 (430 Rz. 23). 235 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 60. 236 Vgl. Rozijn, ZBB 1998, 77 (79) zu § 10 Nr. 4 AGBG. Ähnlich Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 132: Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Zur Anwendung der besonderen Klauselverbote (§§ 308, 309 BGB) siehe Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 248 ff. 237 BGH v. 11.10.2007 – III ZR 63/07, NJW-RR 2008, 134 (135 Rz. 15); BGH v. 23.6.2005 – VII ZR 200/04, NJW 2005, 3420 (3421); Grüneberg in Palandt, § 308 BGB Rz. 25; Wurmnest in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 308 Nr. 4 BGB Rz. 7. 238 Statt vieler BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, NJW-RR 2009, 1641 (1643 f. Rz. 24) = WM 2009, 1500; Wurmnest in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 308 Nr. 4 BGB Rz. 7. 239 BAG v. 22.7.2010 – 6 AZR 847/07, BAGE 135, 163 (169 Rz. 18) = NZA 2011, 634; BAG v. 11.2.2009 – 10 AZR 222/08, NZA 2009, 428 (430 Rz. 25); Dammann in Wolf/Lindacher/Pfeifer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 308 BGB Rz. 22. 240 BGH v. 10.12.2013 – X ZR 24/13, NJW 2014, 1168 (1170 Rz. 39); Dammann in Wolf/Lindacher/ Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 308 Nr. 4 BGB Rz. 24; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 308 Nr. 4 BGB Rz. 9; Stoffels, AGB-Recht, Rz. 797; a.A. OLG Köln v. 20.6.1984 – 6 U 273/83, NJW 1985, 501 jeweils zu § 10 Nr. 4 AGBG. 241 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, NJW-RR 2009, 1641 (1643 Rz. 24) = WM 2009, 1500.

Fest

579

§ 221 AktG Rz. 80

Einzelne Instrumente

gen und Folgen für die Gläubiger nicht das erforderliche Maß an Kalkulierbarkeit der möglichen Leistungsänderung gewährleistet.242 80

Die Vorschrift des § 308 Nr. 4 BGB gilt auch für sog. verdeckte Änderungsvorbehalte in Gestalt von Berichtigungsvorbehalten (siehe dazu auch § 3 SchVG Rz. 60).243 Für diese Bestimmungen fehlt bereits ein triftiger Grund, wenn der Emittent bei ordnungsgemäßer Geschäftsführung den Gläubigern bereits in dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Leistung in der geänderten Form hätte versprechen können.244 Unwirksam ist danach z.B. eine Bestimmung, die den Emittenten zu Änderungen der Anleihebedingungen zu dem Zweck der Berichtigung eines offensichtlichen Irrtums berechtigt.245 d) Umtauscherklärung und Rechtsfolgen betreffend die Schuldverschreibung

81

Das Umtauschrecht als bloße Gestaltungsbefugnis wird durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung – die sog. Umtauscherklärung – ausgeübt.246 Diese ist auch dann keine Aufrechnungserklärung i.S.d. § 388 Satz 1 BGB,247 wenn die Gesellschaft das Umtauschrecht durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert hat. Eine Aufrechnung des Rückzahlungsanspruchs der Anleihegläubiger mit der Leistungspflicht aus dem Barzeichnungsvertrag (eingehend dazu Rz. 122 ff.) findet nicht statt.

82

Die Umtauscherklärung verändert den Inhalt der Schuldverschreibung nicht. Insbesondere wird die Leistungspflicht der Gesellschaft nicht rückwirkend in die Pflicht zum Abschluss eines Barzeichnungsvertrags (eingehend dazu Rz. 122 ff.) umgewandelt.248 Die gegenteilige Annahme würde nicht nur die impraktikable Verpflichtung zur Rückabwicklung bisher erbrachter Zinszahlungen begründen,249 sondern ist – wenn die Verschaffungspflichten durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert sind – auch mit dem zwingenden Regelungsgehalt des § 198 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 192 Abs. 5 AktG unvereinbar (siehe Rz. 117).

83

Da die Inhaber der Wandelanleihe infolge der Ausübung des Umtauschrechts nicht sowohl die vereinbarten Zinszahlungen als auch die Gewährung des Mitgliedschaftsrechts beanspruchen können (siehe Rz. 70), begründet die Umtauscherklärung – insoweit ist sie Gestaltungserklärung –, sobald sie wirksam geworden ist, eine Einwendung (§ 796 Var. 3 BGB) gegen die in der Schuldverschreibung verbrieften Zahlungsansprüche.250 Da es sich um eine nicht ur242 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, NJW-RR 2009, 1641 (1643 Rz. 24) = WM 2009, 1500; BGH v. 10.6.2008 – XI ZR 211/07 – Rz. 12, NJW 2008, 3422; BGH v. 17.2.2004 – XI ZR 140/03, BGHZ 158, 149 (155) = NJW 2004, 1588; Burkiczak, BKR 2007, 190 (191); Dammann in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 308 Nr. 4 BGB Rz. 24; Stoffels, AGB-Recht, Rz. 798. 243 Siehe statt vieler Grüneberg in Palandt, § 308 BGB Rz. 24. 244 BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, NJW-RR 2009, 1641 (1643 Rz. 24) = WM 2009, 1500; CoesterWaltjen in Staudinger, 2013, § 308 Nr. 4 BGB Rz. 7. 245 Vgl. BGH v. 30.6.2009 – XI ZR 364/08, NJW-RR 2009, 1641 (1642 Rz. 23) = WM 2009, 1500 für Anleihebedingungen eines Optionsscheins; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 132. 246 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 5; Rozijn, ZBB 1998, 77 (79); Seibt, CFL 2010, 165 (167). 247 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 226; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 146; a.A. Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (131 ff.). 248 So aber BT-Drucks. 18/4349, 29; BR-Drucks. 22/15, 30; BT-Drucks. 17/8989, 19 jeweils zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG-E; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 3, § 221 AktG Rz. 94; dagegen Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 227; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (547). 249 So zu Recht Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 227. 250 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 228; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 209, 220; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 145, 146, 149; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 141; a.A. Haberstock/Greitemann in Höl-

580

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 85 § 221 AktG

kundliche Einwendung (§ 796 Var. 2 BGB) handelt, kann der Anleiheschuldner sie einem gutgläubigen (Zweit-)Erwerber der Schuldverschreibung grundsätzlich nicht entgegensetzen.251 Sind über die Teilschuldverschreibungen ausnahmsweise Einzelurkunden ausgestellt (siehe Rz. 768), können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die Umtauscherklärung nur bei Aushändigen der Wertpapierurkunde wirksam wird.252 Diese Regelung ist AGB-rechtlich nicht zu beanstanden.253 Zwar weicht sie hinsichtlich der Rechtswirkung von § 797 Satz 1 BGB insoweit ab, als die Aushändigung nicht nur ein Zurückbehaltungsrecht (§§ 273, 274 BGB) aufhebt, sondern zu einer Voraussetzung für die Wirksamkeit der Umtauscherklärung erhoben wird. Eine unangemessene Benachteiligung der Anleihegläubiger i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist hierin aber nicht zu sehen. Zum einen kann es für die Angemessenheit der Bestimmung keinen Unterschied machen, ob der Umtausch als Ersetzungsbefugnis und damit als Gestaltungsrecht (siehe Rz. 81) oder als Zug um Zug gegen die Aushändigung der Urkunde durchsetzbarer Anspruch auf Zustimmung zu einer Vertragsänderung ausgestaltet ist. Zum anderen handelt es sich um keine vorübergehende, sondern um eine dauerhafte Einwendung. Die Ersetzungsbefugnis ist mit der Ausübung des Umtauschrechts verbraucht, so dass eine Rückkehr zu der Schuldverschreibung selbst bei Nichtverschaffung der Aktien ausgeschlossen ist.254 Dieser vertragliche Schutzmechanismus versagt hingegen, wenn die Wandelschuldverschreibung – wie üblich (siehe Rz. 768) – als dauerhafte Globalurkunde verbrieft ist. e) Absicherung des Umtauschrechts Die Gläubiger der Wandelanleihe werden nicht bereits mit dem Wirksamwerden der Umtauscherklärung – gleichgültig, ob diese von den Gläubigern oder der Gesellschaft abgegeben wird – zu Aktionären der Gesellschaft.255 Sie haben – abhängig von der Absicherung des Umtauschrechts – lediglich einen Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags oder, wenn das Umtauschrecht nicht durch neue Aktien, sondern durch eigene Aktien abgesichert sind (eingehend dazu Rz. 112 ff.), auf Zustimmung zu der (Wieder-)Veräußerung eigener Aktien (siehe Rz. 121).

84

Die Entscheidung darüber, ob und mit welchen Mitteln die Ansprüche der Anleihegläubiger auf den Erwerb von Aktien abgesichert werden, liegt im Ermessen der Gesellschaft.256 Eine Pflicht zur Absicherung der Verschaffungsansprüche besteht nicht.257 Gegenteiliges ist § 187

85

251 252 253 254 255 256 257

ters, § 221 AktG Rz. 93; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 27; Rozijn, ZBB 1998, 77 (79); Schanz, CFL 2012, 26: Untergang bzw. Erlöschen der Anleiheforderung. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 149. Zu den Ausnahmen siehe statt vieler Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 796 BGB Rz. 14; Marburger in Staudinger, 2015, § 796 BGB Rz. 10 f. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 228; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 220; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 149. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 149; wohl auch Bader, AG 2014, 472 (473). Wohl abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 228: die Pflicht zur Einsendung der Schuldverschreibungsurkunde sei mit Blick auf § 307 BGB nicht unbedenklich. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 228. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 5. Vgl. F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (73) zu Optionsanleihen. Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 46; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 84. Im Ergebnis auch Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (257), die ergänzend darauf hinweisen, dass die Platzierung einer Wandelanleihe ohne jegliche Absicherung erheblich gefährdet wäre.

Fest

581

§ 221 AktG Rz. 86

Einzelne Instrumente

Abs. 2 AktG nicht zu entnehmen.258 Zwar umfasst der Begriff der Zusicherung nicht nur rechtsgeschäftliche Bezugsrechte i.S.d. § 187 Abs. 1 AktG, sondern grundsätzlich sämtliche Rechtsgeschäfte schuldrechtlicher und korporationsrechtlicher Natur, mit denen sich die Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zur Ausgabe neuer Aktien verpflichtet.259 Ausgenommen hiervon sind aber Bezugs- und Umtauschrechte aus Wandelschuldverschreibungen; für sie ist § 221 AktG lex specialis gegenüber § 187 AktG.260 aa) Bedingte Kapitalerhöhung (1) Beschluss der Hauptversammlung (a) Verhältnis zu dem Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe 86

In der Praxis werden die Verschaffungsansprüche – entsprechend dem gesetzlichen Regelfall (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) – ganz überwiegend durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert.261 In diesem Fall muss die Hauptversammlung nicht nur die Ausgabe der Wandelschuldverschreibung – sei es in Form einer Zustimmung zu der konkreten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es in Form einer Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) –, sondern auch die bedingte Kapitalerhöhung beschließen, § 192 Abs. 1 AktG. Der (Einzel-)Beschluss nach § 192 Abs. 1 AktG kann, muss aber nicht, gleichzeitig mit dem (Einzel-)Beschluss nach § 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG als zusammengesetzter Gesamtbeschluss gefasst werden.262 Wird die Ausgabe der Wandelschuldverschreibung vor der Entscheidung über die bedingte Kapitalerhöhung beschlossen, hindert dieser Beschluss die Hauptversammlung ebenso wenig daran, die bedingte Kapitalerhöhung abzulehnen (§ 193 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 187 Abs. 2 AktG), wie der Umstand, dass die Wandelanleihe ggf. bereits ausgegeben wurde.263 Eine vergleichbare Situation entsteht, wenn die bedingte Kapitalerhöhung vor oder gleichzeitig mit der Zustimmung nach § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG beschlossen wird und nur der (Einzel-)Be258 So aber Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 9; wohl auch Schlede/Kley in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1, 11. 259 Statt vieler Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 5. 260 Bader, AG 2014, 472 (482); Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 (38); Fuchs, DB 1997, 661 (665); Fuchs, AG 1995, 433 (434); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 130; Kuntz, AG 2004, 480 (482); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 151; Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (255 ff.); Rozijn, ZBB 1998, 77 (89); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 41; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 152; im Ergebnis auch Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 51. 261 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (152 Rz. 14) = NZG 2009, 986 = AG 2009, 625; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 66; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 21; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 54; Schanz, BKR 2011, 410 (412). 262 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 218; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 68; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 165; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 60; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 134; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 Rz. 98; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 21; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 54; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (68); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 46; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (256); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 68; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 51; a.A. Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (155); Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 9: die Umtauschrechte aus den Wandelanleihen werden erst mit dem Beschluss eines bedingten Kapitals wirksam. 263 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 165; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 60; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 134; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 84; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 50.

582

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 88 § 221 AktG

schluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) erfolgreich angefochten wird.264 Solange in diesen Fällen die Wandelanleihe noch nicht ausgegeben wurde, ist der Vorstand ausnahmsweise berechtigt, die beschlossene Kapitalmaßnahme nicht auszuführen (eingehend dazu Rz. 520 ff.).265 Eines Beschlusses der Hauptversammlung, von der Maßnahme Abstand zu nehmen oder den Vorstand von der Durchführungspflicht zu entbinden, bedarf es hierzu nicht.266 Befindet sich die Wandelanleihe bereits im Umlauf, sind die Umtauschrechte nicht abgesichert. Sollte die Gesellschaft ihre Verschaffungspflichten nicht erfüllen können, drohen ihr (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 Satz 1 BGB)267 sowie den Mitgliedern des Vorstands (§ 93 AktG) und ggf. auch den Mitglidern des Aufsichtsrats (§ 93 i.V.m. § 116 Satz 1 AktG) Schadensersatzpflichten.268 (b) Mehrheitserfordernisse Der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung bedarf grundsätzlich einer qualifizierten Kapitalmehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst, § 193 Abs. 1 Satz 1 AktG. Daneben ist grundsätzlich die einfache Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG) erforderlich.269 Die Satzung kann eine größere Kapitalmehrheit, eine größere Stimmenmehrheit und/oder weitere Erfordernisse bestimmen, §§ 193 Abs. 1 Satz 2, 133 Abs. 1 AktG.

87

(c) Inhaltliche Mindestanforderungen Der Beschluss zur Erhöhung des Grundkapitals (§ 192 Abs. 1 AktG) muss inhaltlichen Mindestanforderungen genügen. Er muss insbesondere erkennen lassen, dass es sich um eine (nur) bedingte Kapitalerhöhung handelt, sowie den Höchstbetrag, um den das Grundkapital erhöht werden soll, festlegen.270 Grundsätzlich hat die Hauptversammlung in dem Beschluss auch die Art und die Anzahl der auszugebenden Aktien zu bestimmen. Diese Angaben sind aber ausnahmsweise entbehrlich, wenn die Satzung nur einen bestimmten Aktientyp vorsieht und die Zahl der neuen Aktien sich anhand der bisherigen Einteilung des Grundkapitals (§ 8 Abs. 4 AktG) durch Rückrechnung aus dem Erhöhungsbetrag bestimmen lässt.271 Darüber hinaus muss der Beschluss die in § 193 Abs. 2 AktG genannten Feststellungen enthalten. Im Einzelnen:

264 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 134. 265 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135, 218. 266 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54. 267 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 218; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 103, 165, 171; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 130, 134; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 54; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 44, 50. 268 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 103, 172; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 114. 269 Statt vieler Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 2. 270 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 7; Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 4; Rieckers in Spindler/Stilz, § 193 AktG Rz. 7; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 193 AktG Rz. 6; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 68; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 193 AktG Rz. 4; Weiß, WM 1999, 353 (357). 271 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (157 f. Rz. 23) = NZG 2009, 986 = AG 2009, 625; Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 4; Rieckers in Spindler/Stilz, § 193 AktG Rz. 7; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 193 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 31; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 68; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92; wohl auch Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 7.

Fest

583

88

§ 221 AktG Rz. 89

Einzelne Instrumente

89

Der Zweck der bedingten Kapitalerhöhung (§ 193 Abs. 2 Nr. 1 AktG) ergibt sich im Fall der Ausgabe einer Wandelanleihe aus § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG. Wird der Zustimmungsoder Ermächtigungsbeschluss für die Ausgabe der Wandelanleihe (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG) zeitgleich mit dem Erhöhungsbeschluss (§ 192 Abs. 1 AktG) oder vorher gefasst (siehe Rz. 86), ist eine Bezugnahme des Erhöhungsbeschlusses auf den Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss erforderlich.272 Soll der Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 AktG) erst nach dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) gefasst werden, muss bereits in dem Erhöhungsbeschluss festgelegt werden, dass das bedingte Kapital zur Absicherung künftiger Umtauschrechte aus einer Wandelanleihe dienen soll. Die allgemeine Angabe, „zur Absicherung von Wandelschuldverschreibungen“, genügt den Mindestanforderungen des § 193 Abs. 2 Nr. 1 AktG nicht; erforderlich ist die Festlegung, ob es sich um Umtausch- oder Bezugsrechte handeln wird.273 Diese Mindestanforderung wird durch den Normzweck des § 193 Abs. 2 AktG impliziert. Das Ziel, die Aufmerksamkeit der Hauptversammlung auf die wesentlichen Punkte der Kapitalmaßnahme zu lenken,274 wird nur erreicht, wenn sich die Angabe nicht in einer bloßen Wiederholung des abstrakten Wortlauts des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG erschöpfen darf. Weitere Modalitäten der Wandelanleihe, insbesondere die Anleihebedingungen der Wandelanleihe, können – mit Ausnahme der nach § 193 Abs. 2 Nr. 2, 3 AktG erforderlichen Angaben (eingehend dazu Rz. 90 ff.) – dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff., 527 ff.) überlassen werden.

90

Die Vorgabe des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AktG, den Kreis der Bezugs- bzw. Umtauschberechtigten in dem Erhöhungsbeschluss festzulegen, ist seit der Einführung sog. umgekehrter Wandelschuldverschreibungen (eingehend dazu Rz. 13, 132 ff.) nicht dahingehend zu verstehen, dass die Entscheidung, wem das Umtauschrecht zustehen soll – den Gläubigern, der Gesellschaft oder den Gläubigern und der Gesellschaft –, bereits in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung getroffen werden muss. Sie kann vielmehr dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff., 527 ff.) vorbehalten werden.275 Die inhaltliche Vorgabe des § 193 Abs. 2 Nr. 2 AktG soll die Hauptversammlung lediglich dazu veranlassen, bereits in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung darüber zu entscheiden, ob sämtliche oder nur ein zu bestimmender Anteil der Umtauschrechte des nach § 193 Abs. 2 Nr. 1 AktG konkret zu bezeichnenden Anleihetypus (siehe Rz. 89) durch das bedingte Kapital abgesichert werden soll. In dem praktischen Regelfall, dass sämtliche Umtauschrechte durch bedingtes Kapital abgesichert werden, genügt die Feststellung, dass die Anleihegläubiger – ratsam erscheint ein Zusatz wie „alle“ oder „sämtliche“ – den Kreis der Umtauschberechtigten bilden.276 Sollen ausnahmsweise nicht sämtliche Umtauschrechte durch neue Aktien aus der bedingten Kapitalerhöhung abgesichert werden, erfordert § 193 Abs. 2 Nr. 2 AktG Angaben, die es der Gesellschaft bei der Ausgabe der Bezugsaktien ermöglichen, die gesicherten von den ungesicherten Umtauschrechten zu unterscheiden.277

91

Bei der bedingten Kapitalerhöhung bestimmt der Ausgabebetrag der Bezugsaktien mittelbar den Wert des Umtauschrechts und – bei Ausübung des Umtauschrechts – das Ausmaß der 272 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 10; Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 5. 273 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 10 mit Fn. 22; a.A. (ohne diese Einschränkung) Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 22. 274 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 9; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 4; Rieckers in Spindler/Stilz, § 193 AktG Rz. 1; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 193 AktG Rz. 1. 275 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 29. 276 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 29. 277 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 29.

584

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 92 § 221 AktG

den (Alt-)Aktionären drohenden Verwässerung.278 Daher müssen in dem Erhöhungsbeschluss gemäß § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 1 AktG grundsätzlich auch der Ausgabebetrag der Bezugsaktien oder die Grundlagen, nach denen dieser Betrag zu errechnen ist, festgestellt werden.279 Dient die bedingte Kapitalerhöhung der Absicherung von Umtauschrechten aus Wandelanleihen (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) – Gleiches gilt für Bezugsrechte auf Aktien aus Optionsanleihen (siehe Rz. 221) –, hat die Gesellschaft ein finanzielles Interesse daran, den Umtauschkurs erst unmittelbar vor der Ausgabe der Wandelanleihe unter Berücksichtigung der dann gegebenen Marktverhältnisse im Wege des sog. Bookbuilding-Verfahrens festlegen zu dürfen.280 Diesem Interesse trägt § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG dadurch Rechnung, dass es anstelle der Feststellung des konkret zu bezifferenden Ausgabebetrags genügt, den Mindestausgabebetrag (floor) oder die Grundlagen für die Festlegung des Ausgabebetrags oder des Mindestausgabebetrags (z.B. das Bookbuilding-Verfahren) zu bestimmen.281 Diese Feststellung kann entweder in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) oder, wenn dieser in Form eines zusammengesetzten Gesamtbeschlusses mit dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff., 527 ff.) gefasst wird, in dem Zustimmungsoder Ermächtigungsbeschluss getroffen werden, § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG. Der Ausgabebetrag und der Mindestausgabebetrag werden – unabhängig von der Verortung der Feststellung – in der Regel prozentual (z.B. 80 Prozent) angegeben.282 Ihre Angemessenheit darf das Registergericht nicht überprüfen.283 Soll für die Bezugsaktien ausnahmsweise keine Bareinlage, sondern eine Sacheinlage erbracht werden (eingehend dazu Rz. 122 ff.), sind ferner die Vorgaben des § 194 AktG zu beachten. Gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG sind in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung der Gegenstand, die Person, von der die Gesellschaft den Gegenstand erwerben soll, und der Nennbetrag, bei Stückaktien die Zahl der bei der Sacheinlage zu gewährenden Aktien, fest-

278 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 36; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 12. 279 Zu den Anforderungen an die Grundlagen, nach denen der Ausgabebetrag zu errechnen ist, siehe Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 12; Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 6, 6a; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 193 AktG Rz. 12; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 34 f.; Spiering/Grabbe, AG 2004, 91 (92). 280 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (153 Rz. 14) = NZG 2009, 986 = AG 2009, 625; BT-Drucks. 16/11642, 37. 281 Anlass zu der Regelung des § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG gab die Rechtsprechung einiger Oberlandesgerichte, wonach die Angabe eines bloßen Mindestbetrags den Anforderungen des § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG a.F. nicht genügte und die Nichtigkeit sowohl des Erhöhungsbeschlusses (§ 241 Nr. 3 AktG) als auch eines damit verbundenen Ermächtigungsbeschlusses (§ 221 Abs. 2 AktG) zur Folge haben sollte, siehe KG v. 3.8.2007 – 14 U 72/06, NZG 2008, 274 f. = AG 2008, 85; OLG Celle v. 7.11.2007 – 9 U 57/07, AG 2008, 85 (86); OLG Hamm v. 19.3.2008 – I-8 U 115/07, AG 2008, 506 (507) = ZIP 2008, 923. Nach BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (153 Rz. 15) = NZG 2009, 986 = AG 2009, 625 genügt die Angabe eines Mindestbetrags auch den teleologisch zu reduzierenden Anforderungen des § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 1 AktG. Zustimmend Böttcher/Kautzsch, NZG 2009, 978 ff.; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 14a; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 21; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 69; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 51. 282 Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 (86 f.); Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (256); Seibt, CFL 2010, 165 (168). 283 Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 (88); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 69; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 51; a.A. Becker/Otte, NZG 2008, 485 (487); Spiering/Grabbe, AG 2004, 91 (93): Plausibilitätskontrolle.

Fest

585

92

§ 221 AktG Rz. 93

Einzelne Instrumente

zusetzen. Der Wert der Sacheinlagen muss nicht bestimmt werden.284 Soll der Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG) mit dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) in Form eines zusammengesetzten Gesamtbeschlusses gefasst werden (siehe Rz. 86), genügt es in Anwendung des Rechtsgedankens des § 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG, wenn die nach § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderlichen Festsetzungen in den Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe aufgenommen werden. Beschließt die Hauptversammlung keine Zustimmung zu der Ausgabe einer konkreten Wandelanleihe (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sondern (nur) eine Ermächtigung des Vorstands nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.), ist im Zeitpunkt des Beschlusses über die bedingte Kapitalerhöhung noch ungewiss, ob die Wandelanleihe gegen Geld- oder Sachleistung – und erst recht, gegen welche Sachleistung – ausgegeben wird.285 In diesen Fällen sollte der Vorstand entsprechend § 205 Abs. 2 AktG auch ermächtigt sein, die Festsetzungen zu treffen und in den Zeichnungsschein aufzunehmen.286 Der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen darf gemäß § 194 Abs. 1 Satz 3 AktG nur gefasst werden, wenn die ordnungsgemäß bekanntgemachte Tagesordnung die Einbringung von Sacheinlagen ausdrücklich nennt. Damit bleibt der Wortlaut des § 194 Abs. 1 Satz 3 AktG zwar insoweit hinter § 183 Abs. 1 Satz 2 AktG zurück, als die Festsetzungen nach § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG in der Tagesordnung nicht ausdrücklich genannt sein müssen. Hierbei handelt es sich aber um ein Redaktionsversehen.287 Die Regelungslücke ist in entsprechender Anwendung von § 183 Abs. 1 Satz 2 AktG dahingehend zu schließen, dass auch die nach § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderlichen Festsetzungen (s.o.) in die Tagesordnung aufzunehmen sind. 93

Genügt der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) den inhaltlichen Mindestanforderungen (eingehend dazu Rz. 88 ff.) nicht, ist er nicht nur anfechtbar,288 sondern grundsätzlich gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig.289 Eine inhaltlich zu unbestimmte Ermächtigung des Vorstands widerspricht der gesetzlichen Kompetenzverteilung.290 Eine Heilung nach § 242 Abs. 2 AktG ist allerdings möglich.291 Wurde der (Einzel-)Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) mit dem (Einzel-)Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG) in einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss gefasst, ist gemäß § 139 BGB im Zweifel auch der (Einzel-)Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe nichtig.292 284 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 194 AktG Rz. 19; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 97; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 6; a.A. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 14. 285 OLG München v. 19.9.2013 – 31 Wx 312/13, NZG 2013, 1144 (1145) = AG 2013, 811; Busch in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 44 Rz. 39. 286 Drinhausen/Keinath, BB 2011, 1736 (1740 f.); Schnorbus/Trapp, ZGR 2010, 1023 (1038). 287 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 194 AktG Rz. 18; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 98; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 7. 288 So aber Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 (97 f.); Umbeck, AG 2008, 67 (72 f.) unter Geltung der Rechtslage vor der Änderung des § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG durch das ARUG für den Fall, dass der Erhöhungsbeschluss nur einen Mindestausgabebetrag enthält. 289 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 20 Rz. 34; Rieckers in Spindler/Stilz, § 193 AktG Rz. 37; siehe auch Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 14b zu § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG; Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 10; Rieckers in Spindler/Stilz, § 193 AktG Rz. 37; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 193 AktG Rz. 24; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 193 AktG Rz. 17. Differenzierend Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 77; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 193 AktG Rz. 14: Nichtigkeit nur bei Verstoß gegen § 193 Abs. 2 Nr. 1 AktG, ansonsten nur Anfechtbarkeit. 290 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 14b. 291 Hüffer/Koch, § 193 AktG Rz. 10; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 193 AktG Rz. 17. 292 KG v. 3.8.2007 – 14 U 72/06, NZG 2008, 274 (275) = AG 2008, 85; OLG Celle v. 7.11.2007 – 9 U 57/07, BeckRS 2008, 03648 unter II. 3. (insoweit nicht abgedruckt in AG 2008, 85). Zu der Nichtig-

586

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 96 § 221 AktG

(2) Ausgabe der Bezugsaktien Der Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) ist gemäß § 195 Abs. 1, 2 AktG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Die Satzungsänderung ist mit der Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister vollzogen.293 Die Ausgabe der Bezugsaktien darf nunmehr erfolgen (§ 197 Satz 1 AktG). Mit deren Ausgabe wird die bedingte Erhöhung des Grundkapitals wirksam (§ 200 AktG).294 Die nachträgliche Eintragung der tatsächlich ausgegebenen Bezugsaktien in das Handelsregister (§ 201 AktG) ist nur deklaratorischer Natur.295 Werden die Bezugsaktien zweckwidrig (§ 199 Abs. 1 AktG) – konkret: nicht zur Bedienung der in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung bestimmten Umtauschrechte (§ 193 Abs. 2 Nr. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 90) – ausgegeben, berührt dies die Wirksamkeit der Aktienausgabe nicht.296 § 199 Abs. 1 AktG beschränkt nur die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands, nicht aber dessen Vertretungsmacht, weshalb das Grundkapital mit der Ausgabe der Bezugsaktien gleichwohl erhöht wird und die Empfänger eine vollwertige Aktionärsstellung erlangen.297 Daher ist die Gesellschaft kraft des geschlossenen Zeichnungsvertrags im Verhältnis zu den Gläubigern der Wandelanleihe verpflichtet, ihnen andere Aktien anzubieten. Soweit sie diese Verpflichtung nicht erfüllen kann, schuldet sie Schadensersatz statt der Leistung (§§ 280 Abs. 1, 3, 283 Satz 1 BGB).298

94

(3) Kein Bezugsrecht der Aktionäre Ein gesetzliches Bezugsrecht der Aktionäre, das dem vertraglichen Umtauschrecht gemäß § 187 Abs. 1 AktG grundsätzlich vorgeht, besteht bei der Ausgabe von Bezugsaktien (§ 192 Abs. 1 AktG) ex lege nicht; es würde die Zwecke des § 192 Abs. 2 Nr. 1-3 AktG vereiteln.299 An seine Stelle tritt das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre auf die Wandelanleihe (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.).300

95

bb) Genehmigtes Kapital (1) Praktische Relevanz Die Umtauschrechte können auch durch neue Aktien bedient werden, die unter Ausnutzung eines bedingten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) geschaffen werden.301 Voraussetzung hierfür ist,

293 294 295 296 297

298 299 300 301

keit einzelner Teile eines zusammengesetzten Gesamtbeschlusses siehe BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 (122) = NJW 1994, 520 = AG 1994, 124. Statt vieler Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 217; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 133. Statt vieler Hüffer/Koch, § 200 AktG Rz. 1. Drinhausen/Keinath, BB 2011, 1736 (1738); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 44; Hüffer/Koch, § 201 AktG Rz. 2, § 221 AktG Rz. 57; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 133; Marsch-Barner, DB 1995, 1497; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 50. Statt vieler Hüffer/Koch, § 199 AktG Rz. 8; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 133. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 199 AktG Rz. 68; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 199 AktG Rz. 32; Hüffer/Koch, § 199 AktG Rz. 8; Rieckers in Spindler/Stilz, § 199 AktG Rz. 27; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 199 AktG Rz. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 199 AktG Rz. 13. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 199 AktG Rz. 35; Hüffer/Koch, § 199 AktG Rz. 9; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 44. Siehe statt vieler BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246 (247) = NZG 2006, 229. Statt vieler BGH Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 19; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 76; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (71). BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319 (323) = NJW 1982, 2444; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 46; Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (157); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Hand-

Fest

587

96

§ 221 AktG Rz. 97

Einzelne Instrumente

dass die Ausgabe der neuen Aktien zu diesem Zweck von der Ermächtigung umfasst ist.302 Praktisch relevant ist diese Art der Absicherung insbesondere in vier Konstellationen: 97

(1) Dem genehmigten Kapital ist eine § 192 Abs. 2 AktG vergleichbare Zweckbeschränkung fremd. Es kann daher auch zur Absicherung von vertraglichen Umtausch- und Bezugsrechten eingesetzt werden, bei denen im Einzelfall ungewiss ist, ob sie dem Anwendungsbereich der §§ 192 Abs. 2 Nr. 1, 221 AktG unterfallen,303 z.B. bei Drittemissionen (eingehend dazu Rz. 31 ff.).

98

(2) Der Nennbetrag des genehmigten Kapitals darf zwar ebenso wie der Nennbetrag einer zur Absicherung von Umtausch- oder Bezugsrechten aus Wandelschuldverschreibungen (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) bestimmten bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) die Hälfte des Grundkapitals, das zur Zeit der Beschlussfassung der Hauptversammlung vorhanden ist, nicht übersteigen, § 192 Abs. 3 Satz 1 bzw. § 202 Abs. 3 Satz 1 AktG. Übersteigen die Umtauschund Bezugsrechte diese Grenze, kommt eine Ergänzung der bedingten Kapitalerhöhung durch genehmigtes Kapital in Betracht.304

99

(3) Im Unterschied zu einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG), die nur von der Hauptversammlung beschlossen werden kann (§ 192 Abs. 1 AktG),305 kann bereits die Gründungssatzung der Gesellschaft ein genehmigtes Kapital ausweisen, § 202 Abs. 1 AktG.306 Dieser Unterschied ermöglicht es, Umtausch- und Bezugsrechte aus Wandelschuldverschreibungen, deren Schuldner eine erst kurze Zeit vorher durch Verschmelzung oder Abspaltung entstandene Gesellschaft ist, zunächst durch genehmigtes Kapital abzusichern.307 Dieses kann in einer der folgenden Hauptversammlungen aufgehoben (siehe Rz. 103) und durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) ersetzt werden.308

100

(4) Werden Wandelschuldverschreibungen von einer GmbH ausgegeben (eingehend dazu Rz. 748 ff.), kann das genehmigte Kapital (§ 55a GmbHG) als funktionelles Surrogat für die im GmbH-Recht nicht vorgesehene bedingte Kapitalerhöhung eingesetzt werden.

302 303 304 305

306 307 308

588

buch börsennotierte AG, § 51 Rz. 60; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 215; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 66; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 166; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 59; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 131, 135; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 99; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 21; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 55; F. A. Schäfer in Lutter/ Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62, 71; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 12 Rz. 38; Schlitt/Seiler/ Singhof, AG 2003, 254 (256); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 71; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 53. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 166; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 99; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 53. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 219; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 167; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 135; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 78. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 167; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 135; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 38; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 78. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 22; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 7; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 2; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 192 AktG Rz. 5; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 19; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 6; a.A. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 44 Rz. 14; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 24; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 192 AktG Rz. 10. Statt vieler Hüffer/Koch, § 202 AktG Rz. 7. Maier-Reimer, ZHR 164 (2000), 563 (582); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 78. Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 78.

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 104 § 221 AktG

(2) Nachteile Als Mittel zur Absicherung von Umtausch- oder Bezugsrechten weist das genehmigte Kapital – im Vergleich mit einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) – erhebliche Nachteile auf:

101

(1) Das genehmigte Kapital steht dem Vorstand höchstens für die Dauer von fünf Jahren nach der Eintragung der Gesellschaft (§ 202 Abs. 1 AktG) bzw. der Satzungsänderung (§ 202 Abs. 2 Satz 1 AktG) zur Verfügung. Sollen die Umtausch- oder Bezugsrechte auch nach dieser Zeitspanne noch bestehen, müssen entweder die neuen Aktien an einen Treuhänder ausgegeben309 oder das genehmigte Kapital durch einen neuen Beschluss der Hauptversammlung verlängert werden.310 Eine vergleichbare Befristung, die bei Wandelschuldverschreibungen mit einer längeren Laufzeit ggf. einen erneuten Beschluss der Hauptversammlung erforderlich macht, existiert für die Ausgabe von Bezugsaktien nicht.

102

(2) Die §§ 202 ff. AktG enthalten keine § 192 Abs. 4 AktG vergleichbare Vorschrift zum Schutz der Aktionäre (siehe Rz. 68).311 Der Ermächtigungsbeschluss nach § 202 Abs. 2 AktG genießt keinen erhöhten Bestandsschutz, so dass die Hauptversammlung insbesondere nicht gehindert ist, den bereits in das Handelsregister eingetragenen Ermächtigungsbeschluss aufzuheben oder den Nennbetrag des genehmigten Kapitals herabzusetzen.312 Auf diesen Aspekt wäre – mit negativen Folgen für die Vermarktung313 – in einem ggf. erforderlichen Wertpapierprospekt der Wandelanleihen (siehe Rz. 781) hinzuweisen.314

103

(3) Bei einem genehmigten Kapital dürfen die neuen Aktien gemäß § 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 191 Satz 1 AktG erst nach der konstitutiven Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung ausgegeben werden. Folglich wäre jeder Umtausch bzw. Aktienbezug zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Den hiermit einhergehenden Aufwand kann die Gesellschaft auf unterschiedliche Weise reduzieren: Zum einen kann in den Anleihebedingungen an Stelle einer Umtausch- bzw. Bezugsfrist bestimmt werden, dass die Umtausch- oder Bezugsrechte nur zum Ende der Laufzeit ausgeübt werden können.315 Zum anderen ist die Gesellschaft, auch wenn die Anleihebedingungen eine Umtausch- bzw. Bezugsfrist vorsehen, nicht verpflichtet, jeden Umtausch bzw. Aktienbezug einzeln unverzüglich zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. Sie kann die Umtausch- bzw. Bezugserklärungen zunächst sammeln und die Durchführung der Kapitalerhöhung in Paketen zur Eintragung in das Handelsregister anmelden (sog. Sammelverfahren).316 Im Unterschied dazu kann die Ausgabe der Bezugsaktien bereits ab der Eintragung des Erhöhungsbeschlusses erfolgen (§ 197 Satz 1

104

309 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 167. 310 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 69; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 71; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (196). 311 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 69; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 135. 312 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (256); Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 28; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 74. Zu einzelnen entgegenstehenden Beschlüssen i.S.d. § 192 Abs. 4 AktG siehe Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 146 ff., 156 ff.; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 158 ff.; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 27; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 81 ff.; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 32. 313 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 12 Rz. 38; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 74. 314 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 38; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 74. 315 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 73. 316 Martens in FS P. Ulmer, 2003, S. 399 (401); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 73.

Fest

589

§ 221 AktG Rz. 105

Einzelne Instrumente

AktG), die bedingte Kapitalerhöhung also erheblich zeitnaher durchgeführt werden.317 Die nachträgliche Eintragung der tatsächlich ausgegebenen Bezugsaktien (§ 201 AktG) ist nur deklaratorischer Natur (siehe Rz. 94). 105

(4) Schließlich steht den (Alt-)Aktionären bei einem genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG) – im Gegensatz zu einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG), der ein Bezugsrecht der Aktionäre auf die Bezugsaktien fremd ist (siehe Rz. 95) – grundsätzlich ein gesetzliches Bezugsrecht auf die neuen Aktien zu, § 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. Ein Ausschluss des Bezugsrechts ist zwar möglich (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG) und regelmäßig dadurch sachlich gerechtfertigt, dass den Aktionären grundsätzlich ein Bezugsrecht auf die Wandelanleihen zusteht (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.), das es ihnen ermöglicht, Verwässerungs- und Mediatisierungseffekte zu verhindern.318 Der hierfür erforderliche Beschluss der Hauptversammlung birgt aber die Gefahr einer Beschlussanfechtung319 sowie von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (Unterlassungsanspruch)320 gegen die Ausnutzung des bedingten Kapitals.321 cc) Ordentliche Kapitalerhöhung

106

Die Umtauschrechte können zwar auch durch eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) abgesichert werden.322 Im Vergleich mit der bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) weist diese Form der Absicherung aber erhebliche Nachteile auf, weshalb auf sie – alternativ zu der Schaffung eines genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) – nur selten zurückgegriffen wird (siehe Rz. 111). Im Einzelnen: (1) Nachteile

107

(1) Bei der bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) dürfen die Bezugsaktien bereits ab der Eintragung des Erhöhungsbeschlusses in das Handelsregister ausgegeben werden, § 197 Satz 1 AktG. Im Gegensatz dazu dürfen die neuen Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung – wie beim genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 104) – erst nach der konstitutiven Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals ausgegeben werden, § 191 Satz 1 AktG. Der Ausgabe müssen also zwei konstitutiv wirkende Eintragungen vorausgehen, nämlich die Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals (§ 188 AktG) sowie die diese lediglich vorbereitende323 Eintragung des Kapitalerhöhungsbeschlusses (§ 184 AktG). Hiermit gehen – auch wenn die Anmeldungen und

317 Holland/Goslar, NZG 2006, 892 (894); Steiner, WM 1990, 1776 (1778). 318 Bungeroth in G/H/E/K, 1988, § 186 AktG Rz. 128; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 167; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Kornzernbildung, 1985, S. 59 f.; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 30; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 76; vgl. auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (71) zu § 71 Abs. 1 Satz 5 Halbs. 2 AktG a.F. 319 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 219; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 167. 320 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (141) = NJW 1997, 2815 = AG 1997, 465. 321 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 75. 322 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 46; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 70; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 59; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 21; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 55; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 52. 323 OLG Karlsruhe v. 18.12.1985 – 11 W 86/85, OLGZ 1986, 155 (158) = AG 1986, 167; Hüffer/Koch, § 188 AktG Rz. 1.

590

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 109 § 221 AktG

Eintragungen miteinander verbunden werden können (§ 188 Abs. 4 AktG) – regelmäßig Verzögerungen einher. (2) Wird die ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) vor der Ausgabe der Wandel- 108 anleihe (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG) oder zugleich mit dieser beschlossen, darf die Gesellschaft die neuen Aktien nicht zeichnen, § 56 Abs. 1 AktG. Eine Zeichnung unter Verstoß gegen das Selbstzeichnungsverbot wäre nach § 134 BGB nichtig,324 würde aber geheilt, wenn und sobald die Durchführung der Erhöhung des Grundkapitals in das Handelsregister eingetragen wird.325 Die Ungewissheit über eine künftige Heilung kann dadurch vermieden werden, dass nicht die Gesellschaft selbst, sondern ein von ihr abhängiges oder in Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen die neuen Aktien zeichnet. Der hiermit einhergehende Verstoß gegen § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG macht die Zeichnung – im Unterschied zu § 56 Abs. 1 AktG – zwar nicht unwirksam (§ 56 Abs. 2 Satz 2 AktG), weist aber andere Nachteile auf: Zum einen haften die Vorstandsmitglieder der anderen Gesellschaft – wie bei einem Verstoß gegen § 56 Abs. 1 AktG – auf die Einlage, § 56 Abs. 4 AktG. Zum anderen ist die andere Gesellschaft – abhängig von dem Umfang der Kapitalerhöhung – in entsprechender Anwendung von § 71c Abs. 1 i.V.m. § 71d Satz 2, 4 AktG – der direkte Anwendungsbereich der Vorschriften ist auf den Zweiterwerb begrenzt326 – verpflichtet, die Aktien innerhalb eines Jahres nach der Zeichnung wieder zu veräußern.327 Diese Nachteile können durch den Einsatz eines Treuhänders vermieden werden.328 Da der Treuhänder die neuen Aktien aber für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen oder in Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens übernimmt, haftet er gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 AktG auf die volle Einlage, ohne dass ihm zunächst die Rechte aus den Aktien zustehen, § 56 Abs. 3 Satz 3 AktG. (3) Ein weiterer Nachteil der ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) zum Zweck der Absicherung von Umtausch- oder Bezugsrechten aus Wandelschuldverschreibungen besteht – im Vergleich mit der bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) – darin, dass die ordentliche Kapitalerhöhung gemäß § 182 Abs. 4 AktG nicht beschlossen werden soll, solange ausstehende Einlagen auf das bisherige Grundkapital noch erlangt werden können (sog. Subsidiarität). Ein Verstoß gegen die Vorschrift führt zwar nach allgemeiner Ansicht nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses über die Erhöhung des Grundkapitals,329 begründet aber ein für das Registergericht erkennbares (§ 184 Abs. 2 AktG) und von Amts wegen zu beachtendes Eintragungshindernis.330 Zudem ist mit einer im Vordrin324 Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 56 AktG Rz. 11; Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 56 AktG Rz. 9; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 56 AktG Rz. 9; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 56 AktG Rz. 4; Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 4. 325 Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 56 AktG Rz. 14; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 56 AktG Rz. 10; Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 5; Laubert in Hölters, § 56 AktG Rz. 5. 326 Hüffer/Koch, § 71c AktG Rz. 3; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 71c AktG Rz. 7. 327 Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 71c AktG Rz. 4; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 220; Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 6, 11, § 71c AktG Rz. 3; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 136; Laubert in Hölters, § 71c AktG Rz. 2; Lutter/Drygala in KölnKomm/ AktG, § 71c AktG Rz. 7; Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71c AktG Rz. 6; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71c AktG Rz. 6; a.A. Cahn in Spindler/Stilz, § 71c AktG Rz. 3: Pflicht zu unverzüglicher Veräußerung. 328 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 163; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 59; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 137; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 55; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 44. 329 Hüffer/Koch, § 182 AktG Rz. 29; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 182 AktG Rz. 45; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 182 AktG Rz. 33; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 73; Servatius in Spindler/Stilz, § 182 AktG Rz. 65; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 91. 330 Statt vieler Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 74.

Fest

591

109

§ 221 AktG Rz. 110

Einzelne Instrumente

gen befindlichen Ansicht davon auszugehen, dass ein unter Verstoß gegen § 182 Abs. 4 AktG gefasster Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals aufgrund des mit der Norm bezweckten Gläubigerschutzes anfechtbar ist (§ 243 Abs. 1 AktG).331 Allein die Eigenschaft als Soll-Vorschrift vermag die Anfechtbarkeit nicht auszuschließen.332 Auf die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) – für das genehmigte Kapital enthält § 203 Abs. 3 Satz 1 AktG eine § 182 Abs. 4 AktG vergleichbare Regelung – findet § 182 Abs. 4 AktG im Umkehrschluss zu dem Umfang der Verweisung des § 193 Abs. 1 Satz 3 AktG auch keine entsprechende Anwendung. 110

(4) Schließlich steht den (Alt-)Aktionären bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) – wie bei einem genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) und im Gegensatz zu einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, siehe Rz. 95) – grundsätzlich ein gesetzliches Bezugsrecht auf die neuen Aktien zu, § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die Bedienung der Umtauschrechte mit den neuen Aktien erfordert einen Ausschluss des Bezugsrechts. Dieser ist zwar möglich (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG) und – wie bei einem genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) – regelmäßig dadurch sachlich gerechtfertigt, dass den Aktionären grundsätzlich ein Bezugsrecht auf die Wandelanleihen zusteht (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG), das es ihnen ermöglicht, Verwässerungs- und Mediatisierungseffekte zu verhindern. Der hierfür erforderliche Beschluss der Hauptversammlung (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 bzw. § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG) birgt aber die Gefahr einer Beschlussanfechtung sowie von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Ausnutzung des bedingten Kapitals. (2) Praktische Bedeutung

111

In Anbetracht der Nachteile (siehe Rz. 107–110) kommt eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) zur Absicherung von Umtausch- und Bezugsrechten aus Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B Wandel- und Optionsgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.), nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Sie bietet einen Ausweg insbesondere in Fällen, in denen die Gesellschaft (z.B. eine GmbH, eingehend dazu Rz. 748 ff.) die Umtausch- oder Bezugsrechte ursprünglich durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, § 55a GmbHG) abgesichert hat, die befristete Ermächtigung des Vorstands aber demnächst endet.333 Eines Rückgriffs auf die ordentliche Kapitalerhöhung bedarf es aber auch in einem solchen Fall nur, wenn weder eine Verlängerung des genehmigten Kapitals noch eine – ebenfalls vorzugswürdige – bedingte Kapitalerhöhung möglich ist. Ursächlich hierfür kann sein, dass die Satzung für die bedingte Kapitalerhöhung und die Verlängerung des genehmigten Kapitals höhere Mehrheitsanforderungen vorsieht als für die ordentliche Kapitalerhöhung – sei es, dass die Satzung für das genehmigte Kapital und die bedingte Kapitalerhöhung eine größere Kapitalmehrheit als drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals oder weitere Erfordernisse bestimmt (§ 202 Abs. 2 Satz 3 bzw. § 193 Abs. 1 Satz 2 AktG), sei es, dass die Satzung für die ordentliche Kapitalerhöhung eine geringere Ka331 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 182 AktG Rz. 75; Hüffer/Koch, § 182 AktG Rz. 29; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 73; Servatius in Spindler/Stilz, § 182 AktG Rz. 65; a.A. (reine Ordnungsvorschrift) Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 4; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 182 AktG Rz. 33; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 182 AktG Rz. 40; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 182 AktG Rz. 45; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 182 AktG Rz. 42. 332 Vgl. RG v. 24.9.1942 – II 50/42, RGZ 170, 83 (97) zu § 195 Nr. 1 AktG a.F.; RG v. 7.4.1908 – Rep. II 609/07, RGZ 68, 232 (233 f.) zu § 274 Abs. 2 HGB a.F. 333 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 221; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 136; 137; Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (246 mit Fn. 8).

592

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 115 § 221 AktG

pitalmehrheit vorsieht (§ 182 Abs. 1 Satz 2 AktG) – und die höhere Kapitalmehrheit für das bedingte Kapital bzw. die bedingte Kapitalerhöhung nicht erreicht wird. dd) Eigene Aktien Die Umtauschrechte aus Wandelanleihen – Gleiches gilt für Bezugsrechte aus Optionsanlei- 112 hen – können nicht nur mit neuen Aktien, sondern auch mit eigenen Aktien bedient werden (eingehend dazu Rz. 29). Sofern die Gesellschaft die hierfür erforderlichen eigenen Aktien erst erwerben muss, ist dies im Rahmen von § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG zwar zulässig,334 aber mit erheblichen Nachteilen verbunden: aa) Die nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG erforderliche Ermächtigung der Hauptversammlung kann – ebenso wie die Ermächtigung zum Einsatz des genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 1 AktG, siehe Rz. 102) – höchstens für die Dauer von fünf Jahren erteilt werden. Dies begründet bei Wandelanleihen mit einer längeren Laufzeit ggf. die Notwendigkeit, die Ermächtigung zu verlängern.335

113

bb) Die Ermächtigung der Hauptversammlung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG) ist nicht nur zeitlich, sondern auch im Umfang beschränkt. Sie darf den Anteil von zehn Prozent des Grundkapitals nicht übersteigen. Im Gegensatz dazu darf der Nennbetrag des bedingten Kapitals (§ 192 Abs. 3 Satz 1 AktG) und des genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 3 Satz 1 AktG) bis zur Hälfte des Grundkapitals betragen, das zur Zeit der Beschlussfassung über die bedingte Kapitalerhöhung bzw. zur Zeit der Ermächtigung vorhanden ist.

114

cc) Die Andienung eigener Aktien zur Erfüllung der Verschaffungspflichten ist eine Veräußerung i.S.d. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3-5 AktG.336 Da die Übertragung ausschließlich an die Anleihegläubiger nicht über die Börse i.S.d. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG erfolgen kann,337 muss die Hauptversammlung eine andere Veräußerung i.S.d. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 1 AktG beschließen.338 Hierbei ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 i.V.m. § 53a AktG) zu beachten.339 Sind einzelne Aktionäre auch Gläubiger der Wandelanleihe bzw. Inhaber des Bezugsrechts, geht mit der Andienung der eigenen Aktien ausschließlich an die Umtausch- bzw. Bezugsberechtigten eine formale Ungleichbehandlung der Aktionäre einher. Die überwiegende Ansicht sieht in der Umtausch- bzw. Bezugsberechtigung allerdings kein die Ungleichbehandlung rechtfertigendes Differenzierungskriterium,

115

334 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 46; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 222; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 162; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 59; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 55; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 39; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (256); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 79; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 54; a.A. noch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 139. 335 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 80. 336 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (76). 337 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (76). Zu den Anforderungen einer Veräußerung über die Börse siehe Merkt in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 282; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 253. 338 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (257). 339 Ein gegen § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG verstoßender Beschluss ist nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 19j; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 250. Die in Vollzug eines solchen Beschlusses getätigten Veräußerungen sind aber wirksam; den aufgrund der Ungleichbehandlung benachteiligten Aktionären stehen lediglich Schadensersatzansprüche zu, siehe Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 71 AktG Rz. 30; Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 92.

Fest

593

§ 221 AktG Rz. 116

Einzelne Instrumente

da dieses Recht auch Nichtaktionären zustehen kann.340 Dies vermag nicht zu überzeugen. Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei der Veräußerung eigener Aktien entspricht funktional dem gesetzlichen Bezugsrecht der Aktionäre auf neue Aktien (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG). Ein solches besteht allerdings nicht, wenn die neuen Aktien – wie zur Absicherung von Umtausch- und Bezugsrechten aus Wandelschuldverschreibungen üblich – durch eine bedingte Kapitalerhöhung geschaffen wurden (siehe Rz. 95). In diesem Fall wird die Gleichbehandlung der Aktionäre – im Sinne einer Chancengleichheit zum Erwerb der neuen Aktien – bei der Ausgabe der Wandelanleihen durch das Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG sichergestellt.341 Sollen die Verschaffungsansprüche nicht durch neue Aktien, sondern durch eigene Aktien bedient werden, kann nichts anderes gelten. Das Bezugsrecht auf die Wandelanleihen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) vermittelt den Aktionären die gleichwertige Chance, Aktien der Emissionsgesellschaft zu erwerben. Haben einzelne Aktionäre ihr Bezugsrecht ausgeübt und ihre auf diese Weise erworbenen Teilschuldverschreibungen zwischenzeitlich nicht veräußert, ist es – wie bei der Zuteilung der Bezugsaktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung – gerechtfertigt, sie gegenüber den Aktionären zu privilegieren, die ihr Bezugsrecht auf die Wandelanleihe (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) entweder nicht ausgeübt oder ihre Wandelanleihe zwischenzeitlich veräußert haben. Eine formale Gleichbehandlung der Aktionäre bei der Veräußerung eigener Aktien, die unberücksichtigt ließe, dass einzelne Aktionäre auch Anleihegläubiger sind, würde diese Aktionäre sachwidrig benachteiligen. 116

dd) Wirtschaftlich spricht entscheidend gegen die Bedienung der Umtauschrechte mit noch zu erwerbenden eigenen Aktien, dass sich der Erwerb deutlich verteuern wird, sobald im Markt bekannt wird, dass die Gesellschaft zur Erfüllung der Umtauschrechte auf den Erwerb eigener Aktien angewiesen ist.342 Ernstlich in Betracht kommen wird die Bedienung der Umtauschrechte mit eigenen Aktien daher nur, wenn diese bereits im Bestand der Gesellschaft vorhanden sind.343 f) Vollzug des Aktienerwerbs

117

Die Umtauscherklärung verändert den Inhalt der Schuldverschreibung nicht, sondern begründet als Gestaltungserklärung lediglich eine Einwendung gegen die verbrieften Zahlungsansprüche (eingehend dazu Rz. 82 f.). Wird die Umtauscherklärung von einem Anleihegläubiger abgegeben, wirkt sie – wenn die Umtauschrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert sind – gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 192 Abs. 5 AktG zugleich wie eine Zeichnungserklärung, d.h. als Angebot auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags.344 Gleiches gilt aufgrund einer Auslegung der Umtauscherklärung (§§ 133, 157 BGB), wenn die Umtauschrechte durch neue Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) abgesichert sind. Zu der Annahme des Angebots

340 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52a; Mick, DB 1999, 1201 (1205); F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (76 mit Fn. 53). 341 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 162. 342 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 222; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 54. 343 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 54. 344 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 223, 225; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 92; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 209; Karollus in G/H/E/K, § 221 AktG Rz. 145; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 27; Rozijn, ZBB 1998, 77 (79).

594

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 120 § 221 AktG

(sog. Zuteilung) ist die Gesellschaft aufgrund des gewährten Umtauschrechts verpflichtet.345 Hat die Gesellschaft bereits in den Anleihebedingungen ein Angebot auf den Abschluss des Zeichnungsvertrags abgegeben, ist die Umtauscherklärung der Anleihegläubiger die Annahme des Angebots.346 Bedient die Gesellschaft die Umtauschrechte durch eigene Aktien, tritt an die Stelle des Zeichnungsvertrags die Veräußerung der Aktien.347 Der Zeichnungsvertrag begründet noch kein Mitgliedschaftsrecht der Zeichner.348 Er enthält u.a. lediglich die Verpflichtung der Gesellschaft, dem Zeichner neue Aktien in dem vertraglich festgelegten Umfang zuzuteilen.349 Im Gegenzug haben die Zeichner eine Bar- oder Sacheinlage zu erbringen (eingehend dazu Rz. 122 ff.).

118

aa) Bedingte Kapitalerhöhung Sind die Umtauschrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.), entstehen die Mitgliedschaftsrechte erst mit der Ausgabe der Bezugsaktien (§§ 192 Abs. 1, 199 AktG), d.h. mit der Übertragung des (Mit-)Eigentums an der zuvor ausgestellten Aktienurkunde im Rahmen des Begebungsvertrags.350 Da § 199 Abs. 1 AktG die „Ausgabe“ der Bezugsaktien erfordert, ist eine Verbriefung der Bezugsaktien – im Unterschied zu anderen Formen der Kapitalerhöhung – stets erforderlich.351 Dies gilt – abweichend von § 10 Abs. 2 AktG – auch für Namensaktien.352 Die Erhöhung des Grundkapitals tritt (bereits) mit der Ausgabe der Bezugsaktien ein (§ 200 AktG); die nachfolgende Eintragung der tatsächlich ausgegebenen Bezugsaktien (§ 201 AktG) ist nur deklaratorischer Natur (siehe Rz. 94).

119

bb) Genehmigtes Kapital, ordentliche Kapitalerhöhung Sind die Umtauschrechte durch eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) abgesichert, entstehen die Mitgliedschaftsrechte gemäß § 189 AktG – bei genehmigtem Kapital gilt die Vorschrift sinngemäß, § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG – mit der Eintragung der Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister, ohne dass es einer zusätzlichen Erklärung der Parteien bedarf.353 Die Verbriefung der Aktie ist für die Entstehung der Mit345 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 198 AktG Rz. 14; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 56; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 26, 27; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 5, 51; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 73; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 45. 346 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 4; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 223, 225; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 209; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 5; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 27; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 3. 347 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 225. 348 Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 4; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 45; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 33. 349 Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 4, 56; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 51; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 35. Abweichend Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 10: Inhalt des Wandlungsrecht sei der Anspruch auf Lieferung von Aktien. 350 Statt vieler Hüffer/Koch, § 200 AktG Rz. 2, § 199 AktG Rz. 3, § 221 AktG Rz. 5. 351 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 44 Rz. 55; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 199 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 199 AktG Rz. 2; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 199 AktG Rz. 4; Rieckers in Spindler/Stilz, § 199 AktG Rz. 5; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 78; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 199 AktG Rz. 2. 352 Vgl. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 229. 353 BGH v. 12.5.1977 – II ZR 49/76, AG 1977, 295 (296); Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1988, § 189 AktG Rz. 9; Hüffer/Koch, § 189 AktG Rz. 3, § 203 AktG Rz. 18; Lutter in KölnKomm/AktG,

Fest

595

120

§ 221 AktG Rz. 121

Einzelne Instrumente

gliedschaft weder ausreichend (vgl. § 191 Satz 2 ggf. i.V.m. § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG) noch erforderlich.354 cc) Eigene Aktien 121

Bedient die Gesellschaft die Umtauschrechte mit eigenen Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.), erwerben die Gläubiger die Mitgliedschaftsrechte mit der Übertragung der Aktien. Als geborene Orderpapiere355 können Namensaktien wahlweise durch Indossament (§ 68 Abs. 1 Satz 1 AktG) oder durch Abtretung (§§ 413, 398 Satz 1 BGB) übertragen werden.356 Inhaberaktien sind Inhaberpapiere und können als solche wahlweise nach den §§ 929 ff. BGB – in dem praktischen Regelfall der Girosammelverwahrung einer Sammelurkunde i.V.m. §§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG, § 747 Satz 1 BGB357 – oder – wenn die Abtretung nicht nach § 399 Alt. 2 BGB ausgeschlossen358 und diese Vereinbarung aus der Urkunde ersichtlich ist (§ 796 Fall 2 BGB)359 – durch Abtretung (§§ 413, 398 Satz 1 BGB) übertragen werden.360

354 355 356 357

358

359 360

596

2. Aufl. 1995, § 189 AktG Rz. 4; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 189 AktG Rz. 6; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 189 AktG Rz. 13. Statt vieler Hüffer/Koch, § 189 AktG Rz. 3. Statt vieler Heider in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 10 AktG Rz. 27. Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 68 AktG Rz. 3 ff.; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 68 AktG Rz. 8; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 68 AktG Rz. 2 ff.; Hüffer/Koch, § 68 AktG Rz. 2 ff. Böttcher, 2012, § 6 DepotG Rz. 1; Brink, Rechtsbeziehung und Rechtsübertragung im nationalen und internationalen Effektengiroverkehr, 1976, S. 93; Decker in Hellner/Steuer, BuB, Stand: 10.08, Rz. 8/336; Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S. 40; Scherer in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, BankR VI Rz. 473; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 1008 BGB Rz. 31; Schwintowski in Schwintowski, Bankrecht, § 16 Rz. 36; Wehowsky in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 6 DepotG Rz. 2; Will in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 18.192; kritisch Micheler, Wertpapierrecht zwischen Schuld- und Sachenrecht, 2004, S. 171-181. Abweichend LG München I v. 7.5.1951 – 4 Wp 31, WM 1951, 296 (297); LG Kiel v. 6.4.1951 – KWpR. 202, WM 1951, 248; C. Becker, Das Problem des gutgläubigen Erwerbs im Effektengiroverkehr, 1981, S. 62; J. Hager, WM 1980, 666 (671); Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, Anh. § 68 AktG Rz. 24, 27; Zöllner in FS Raiser, 1974, S. 249 (265): jeweils für eine Übertragung nach § 931 BGB; ähnlich Dechamps, Wertrechte im Effektengiroverkehr, 1989, S. 111; Modlich, DB 2002, 671 (675); Schwintowski in Schwintowski, Bankrecht, § 16 Rz. 36, die eine Übertragung nach § 929 Satz 1 i.V.m. § 931 BGB alternativ zu einer Besitzumstellung und dem Erwerb nach § 929 Satz 1 BGB für möglich erachten. Differenzierend Schönle, Bank- und Börsenrecht, § 21 II 3 a, b = S. 299, 300: beim Platzgiroverkehr erfolge die Übertragung nach den §§ 929 Satz 1, 930 BGB, beim Ferngiroverkehr hingegen nach den §§ 929 Satz 1, 931 BGB. Gegen diese Differenzierung Delorme, Die Bank 1979, 446 (449); Horn, WM 2002, Sonderbeilage Nr. 2, S. 9. De lege ferenda für die Anwendung der §§ 398 ff. BGB H.P. Westermann, RabelsZ 49 (1985), 214 (217). Bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen wird der vertragliche Ausschluss der Abtretbarkeit (§ 399 Alt. 2 BGB) nicht durch § 354a Abs. 1 Satz 1 HGB überwunden. Die verbriefte Forderung entsteht durch einen Begebungsvertrag zwischen dem Emittenten und – im praktischen Regelfall der Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung – dem Emissionskonsortium. Letztes ist keine (Personen-)Handelsgesellschaft, sondern eine Gelegenheitsgesellschaft bürgerlichen Rechts (siehe De Meo, Bankenkonsortium, 1994, S. 33, 45 ff.; Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 60 f.; Timm/Schöne, ZGR 1994, 113 [118]), so dass der Begebungsvertrag nicht für beide Teile ein Handelsgeschäft ist. Kümpel, WM 1981, Sonderbeilage Nr. 1, S. 24. BGH v. 14.5.2013 – XI ZR 160/12, NZG 2013, 903 (905 Rz. 17); BGH v. 21.9.2010 – XI ZR 6/10, BeckRS 2010, 24142; BGH v. 25.11.2008 – XI ZR 413/07, NZG 2009, 474 (476 Rz. 15); Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 1 I 5 b = S. 7; Casper in Baumbach/Hefermehl/Casper, WG/ScheckG/Kartengestützte Zahlungen, 23. Aufl. 2008, WPR Rz. 34; Habersack/ Mayer, WM 2000, 1678 (1682); Kümpel, WM 1981, Sonderbeilage Nr. 1, S. 5; Marburger in Stau-

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 124 § 221 AktG

g) Einlagen Die Einlageschuld für die neuen Aktien entsteht infolge der Ausübung des Umtauschrechts mit dem Abschluss des Zeichnungsvertrags.361 Geschuldet ist grundsätzlich eine Geldleistung, also eine Bareinlage.362 Für die Abgrenzung von Bar- und Sacheinlagen gelten die allgemeinen Grundsätze.

122

aa) Bedingte Kapitalerhöhung Sind die Umtauschrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert (eingehend dazu Rz. 86 ff.), gilt die Hingabe der Schuldverschreibung im Umtausch gegen Bezugsaktien gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht als Sacheinlage.363 Die Formulierung ist insoweit missverständlich, als die Schuldverschreibung bei der Ausübung des Umtauschrechts – vorbehaltlich einer dahingehenden Vereinbarung in den Anleihebedingungen (siehe Rz. 83) – nicht ausgehändigt bzw. hingegeben werden muss.364 Infolge der Umtauscherklärung steht dem verbrieften Leistungsversprechen lediglich eine Einwendung entgegen (siehe Rz. 83). Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des Normzwecks, den Umtausch insbesondere dadurch zu erleichtern, dass die Parteien von der Notwendigkeit befreit werden, die verbrieften Forderungen im Umtauschzeitpunkt zu bewerten,365 stellt § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG klar, dass die mit der Einwendung einhergehende Befreiung der Gesellschaft von der Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeit keine Sacheinlage ist.366

123

(1) Ausgabe der Wandelanleihe gegen Geldleistung Ausweislich der für Bezugsaktien geltenden Modifikationen des Verbots der unter pari Emission (§ 9 Abs. 1 AktG) in den §§ 199 Abs. 2, 218 Satz 2 AktG sowie eines Umkehrschlusses zu § 194 Abs. 1 AktG ist grundsätzlich eine Bareinlage geschuldet.367 Diese ist grundsätzlich durch den eingezahlten Ausgabebetrag der Wandelanleihe zzgl. einer bei der

361 362 363 364 365 366

367

dinger, 2015, Vorbem zu §§ 793-808 BGB Rz. 7; Müller-Christmann/Schnauder, Wertpapierrecht, 1992, Rz. 32; Nodoushani, WM 2007, 289 (292); Sprau in Palandt, § 793 BGB Rz. 9; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, § 2 II 1 b = S. 10; Zöllner in FS L. Raiser, 1974, S. 249 (285). Die Gegenansicht verneint die Möglichkeit der Abtretung derart verbriefter Forderungen, siehe Böttcher, 2012, § 5 DepotG Rz. 5; Einsele, WM 2001, 7 (11 f.); A. Stadler in Jauernig, § 793 BGB Rz. 6; wohl auch Wehowsky in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 5 DepotG Rz. 5, § 6 DepotG Rz. 2. Statt vieler Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 43. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 214; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 3. Zweifelnd an der Vereinbarkeit von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG mit den Vorgaben des Art. 10 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 10 Richtlinie 77/91/EWG) Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (155). So aber wohl Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 57; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 19; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 25. Am Wortlaut haftend auch Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 52: Hingabe der (Teil-)Schuldverschreibungen sei keine Sacheinlage. Bader, AG 2014, 472 (473); Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 27; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 230. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 231; a.A. Rusch, Die Wandelschuldverschreibung, 1956, S. 67. Zu der lediglich klarstellenden Funktion des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG siehe Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 6; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 194 AktG Rz. 5; a.A. (Fiktion) A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 194 AktG Rz. 2; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 3, § 221 AktG Rz. 138; Karollus, ZIP 1994, 589 (591 ff.); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 52; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 2, 47. Unklar Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28: Klarstellung, dass Leistung auf Obligation keine Sacheinlage sei. Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 2.

Fest

597

124

§ 221 AktG Rz. 125

Einzelne Instrumente

Ausübung des Umtauschrechts ggf. geleisteten Zuzahlung (§ 199 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG) als erbracht anzusehen.368 Mit anderen Worten: Die Ausübung des Umtauschrechts bewirkt, dass der ursprünglich aufgrund des Begebungsvertrags für die Wandelanleihe eingezahlte Ausgabebetrag – nicht aber eventuelle aufgelaufene Zinsansprüche369 – zur Bareinlage wird.370 Diese Umwidmung des eingezahlten Kapitals wird plakativ als „Causaänderung durch Gestaltungsrecht“371 bezeichnet.372 Sie tritt nicht rückwirkend,373 sondern lediglich mit Wirkung für die Zukunft ein.374 Die Umgestaltung ex tunc ließe auch den Rechtsgrund für bereits erbrachte Zinszahlungen rückwirkend entfallen (siehe Rz. 137) und berechtigte den Schuldner zur Kondiktion derselben (§ 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB).375 125

Die Vorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG ist auf Wandelanleihen – Gleiches gilt für andere Instrumente, bei denen ein Umtauschrecht durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert wird (z.B. Wandelgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.) – auch dann anzuwenden, wenn das eingezahlte Kapital nach Maßgabe der Anleihebedingungen am Verlust der Gesellschaft teilnimmt.376 Die Gegenansicht beruht darauf, dass § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG die Prüfung des Wertes der (Sach-)Einlage im Zeitpunkt des Umtauschs ausschließt. Dies sei nur gerechtfertigt, wenn die Rückzahlungsverbindlichkeit, von der die Gesellschaft im Zuge des Umtauschs befreit werde (eingehend dazu Rz. 84), noch in Höhe des Nennbetrags der Wandelanleihe bestehe. Bestehe nur ein durch Verluste geminderter Rückzahlungsanspruch, sei es den Anleihegläubigern verwehrt, diesen in eine Beteiligung umzuwandeln.377 Dies überzeugt nicht. Wird die Wandelanleihe gegen Sachleistung ausgegeben, besteht die Sacheinlage, deren Werthaltigkeit nach § 194 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG zu prüfen ist, nicht in der 368 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 230; Marsch-Barner in Bürgers/ Körber, § 194 AktG Rz. 4; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28; unklar Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 5: Rückzahlungsanspruch der Anleihegläubiger wandele sich in Aktionärseinlage. 369 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (29). 370 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (28); A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 5; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 6. 371 Zuerst wohl Kalisch, JW 1925, 573 (575). 372 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 226; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 20, 146, 151; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 5. 373 So aber BT-Drucks. 18/4349, 29 zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG-E; Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (170 f.); Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 6; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 3; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 6; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 194 AktG Rz. 5; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 5. 374 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 230; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 93; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 146, 151; Karollus, ZIP 1994, 589 (592); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 52. 375 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 146. 376 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 194 AktG Rz. 11; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 79; Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (56); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 233, 244; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 216; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 4; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 11a; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 49; Schröer in Ekkenga/Schröeer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 6 Rz. 130; Singhof in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1163 (1177 ff.); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 47; a.A. Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 194 AktG Rz. 15; Drygala, WM 2011, 1637 (1642); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 166; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 11; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 194 AktG Rz. 6. 377 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 166; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 7; einschränkend Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 13: keine Anwendung, wenn sich die Verlustbeteiligung zumindest teilweise realisiert hat.

598

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 126 § 221 AktG

mit der Einwendung einhergehende Befreiung der Gesellschaft von der Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeit (eingehend dazu Rz. 123), sondern in der bei dem Erwerb der Wandelanleihe erbrachten Sachleistung (siehe Rz. 128). Die Möglichkeit, dass die Sachleistung zwischenzeitlich, d.h. nach der Erbringung und vor dem Umtausch, an Wert verliert, ist der Rückbeziehung des Bewertungszeitpunkts (siehe Rz. 129) immanent. Sie hindert weder den Umtausch noch gebietet sie eine erneute Bewertung der Sacheinlage im Zeitpunkt des Umtauschs. Gleiches muss für Wandelanleihen gelten, die gegen Geldleistung ausgegeben werden, wenn der Rückzahlungsanspruch – sei es faktisch aufgrund der Insolvenz der Gesellschaft,378 sei es nominell aufgrund eintretender und nach den Anleihebedingungen anzurechnender Verluste – im Wert gemindert ist. Diese Auslegung lag der Neufassung des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 zugrunde. Ausweislich der Regierungsbegründung soll die Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auf herkömmliche und umgekehrte Wandelanleihen nicht davon abhängig sein, dass der Rückforderungsanspruch im Zeitpunkt des Umtauschs noch werthaltig ist.379 Gleiches gilt, wenn die Anleihebedingungen – sei es kumulativ, sei es alternativ zu der Verlustteilnahme – vorsehen, dass das eingezahlte Kapital erst nach der Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger zurückgezahlt wird (sog. Nachrangabrede), und die Gesellschaft nach der Ausgabe der Wandelanleihen in eine Krise geraten ist.380 Diese schließt die Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auch dann nicht aus, wenn sie bei der Ausübung des Umtauschrechts noch andauert. Möglich ist es auch, eine herkömmliche Schuldverschreibung nachträglich mit einem Um- 126 tauschrecht zu versehen – die hierfür erforderliche Änderung der Anleihebedingungen kann durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger (§ 4 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. § 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SchVG) erfolgen, wenn die Anleihebedingungen ein entsprechendes Opt-In enthalten (§ 5 Abs. 1 Satz 1 SchVG) – und dieses durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abzusichern.381 Eine solche Änderung einer bereits umlaufenden Schuldverschreibung liegt insbesondere nahe, wenn die Gesellschaft sich in einer Krise befindet und ihre Rückzahlungsverpflichtung voraussichtlich nicht oder nicht in voller Höhe wird erfüllen können.382 Der Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG und der Annahme einer Bareinlage in Höhe des Ausgabebetrags steht in diesen Fällen zwar nicht die eingetretene Wertminderung der Rückzahlungsansprüche, wohl aber der Gläubigerschutz entgegen. Die nachträgliche Ergänzung der Anleihebedingungen um ein Umtauschrecht vermag die Anwendung der gläubigerschützenden Vorschriften über Sacheinlagen nicht rückwirkend auszuschließen.383 Lediglich bei der Bewertung der Sachleistung ist § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG – ähnlich der Ausgabe einer Wandelanleihe gegen Sachleistung (eingehend dazu Rz. 128 f.) – dahingehend zu berücksichtigen, dass der Wert der Sacheinlage dem im Rahmen der Prüfung nach § 194 378 Zu dieser Konstellation siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 244. 379 BT-Drucks. 18/4349, 29 zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG-E. 380 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (28); Bader, AG 2014, 472 (483); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 194 AktG Rz. 12; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 79; Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (56); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 233, 244; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 216; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 12; Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (129); Schröer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 6 Rz. 131; Singhof in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1163 (1177 ff.); a.A. Drygala, WM 2011, 1637 (1642); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 7; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 49. Differenzierend Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 167: keine Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG, wenn sich die Verlustbeteiligung zumindest teilweise realisiert hat. 381 Statt vieler Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 67. 382 Statt vieler Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 67. 383 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 25, 67 ff.; Friedl, BB 2012, 1102 (1106); Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 8; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 215; a.A. Bader, AG 2014, 472 (483).

Fest

599

§ 221 AktG Rz. 127

Einzelne Instrumente

Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG zu ermittelnden Wert der Rückzahlungsansprüche im Zeitpunkt der Ergänzung des Umtauschrechts entspricht.384 Der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG (eingehend dazu § 5 SchVG Rz. 52 ff.) kann Gegenteiliges nicht entnommen werden. Sie erlaubt es den Anleihegläubigern lediglich, ihre Schuldverschreibungen durch Mehrheitsbeschluss in Gesellschaftsanteile umzutauschen. Über die Art der Einlage und die Bewertung einer ggf. vereinbarten Sachleistung, enthält sie keine Aussage. 127

Diese Auslegung ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) vereinbar, wenn die Wandelanleihe gegen Geldleistung ausgegeben wurde. Eines Sachverständigenberichts bedarf es gemäß Art. 31 Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 27 Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG) nur bei Einlagen, die nicht Bareinlagen sind. Eine Sacheinlage liegt bei der gebotenen unionsrechtsautonomen Auslegung aber jedenfalls dann nicht vor, wenn die Wandelanleihe gegen Geldleistung ausgegeben wurde.385 (2) Ausgabe der Wandelanleihe gegen Sachleistung

128

Wandelanleihen können nicht nur gegen Geldleistung, sondern auch gegen Sachleistung (z.B. die Übertragung einer Forderung, der Überlassung eines Gegenstands) ausgegeben werden.386 In diesem Fall muss der Erhöhungsbeschluss die nach § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderlichen Festsetzungen enthalten (eingehend dazu Rz. 92).387 Ferner sind die Vorgaben des Art. 31 Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 27 Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG) zu beachten. Sie werden durch § 194 Abs. 4 AktG umgesetzt. Auch in diesen Fällen findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG Anwendung.388 Die Vorschrift stellt klar, dass nicht die mit der Einwendung einhergehende Befreiung der Gesellschaft von der Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeit (siehe Rz. 123), sondern die bei dem Erwerb der Wandelanleihe erbrachte Sachleistung die maßgebliche Sacheinlage ist.389 Sie wird mit dem Vollzug des Umtauschs lediglich in die Sacheinlage umgewidmet.390

129

Gemäß § 194 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG ist zu prüfen, ob der Wert der bei dem Erwerb der Wandelanleihe erbrachten Sachleistung, die mit dem Vollzug des Umtauschs zur Sacheinlage wird (siehe Rz. 128) den Ausgabebetrag der Bezugsaktien erreicht,391 d.h. den 384 Abweichend Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 67, 73; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 8; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 233; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28: keine Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG. 385 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 7; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 230; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 6; a.A. Drinkuth, Die Kapitalrichtlinie – Mindest- oder Höchstnorm?, 1998, S. 160, 235 ff.; Groh, BB 1997, 2523 (2528 f.); Kindler in FS Boujong, 1996, S. 300 (304). Offen gelassen von EuGH v. 16.7.1992 – C-83/91 – Meilicke/ADV-ORGA – Rz. 30, AG 1992, 398 ff. 386 Siehe statt vieler OLG München v. 19.9.2013 – 31 Wx 312/13, AG 2013, 811 (812) = NZG 2013, 1144; Drinhausen/Keinath, BB 2011, 1736; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 60. 387 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 218. 388 A.A. OLG München v. 19.9.2013 – 31 Wx 312/13, AG 2013, 811 (812) = NZG 2013, 1144; wohl auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28. 389 Drinhausen/Keinath, BB 2011, 1736 (1739 ff.); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 231; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 152; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28; Schwartzkopff/Hoppe, NZG 2014, 378 (379); ähnlich Ekkenga in Ekkenga/ Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 202, der die Sachleistung in der Altforderung sieht; a.A. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 105; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 218: Barkapitalerhöhung durch Hingabe der auf einen Nennbetrag lautenden Schuldverschreibungen. 390 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 20. 391 Schwartzkopff/Hoppe, NZG 2014, 378 (379).

600

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 130 § 221 AktG

Gesamtwert der zu erbringenden Leistungen, gegen den die Bezugsaktien erstmalig begeben werden sollen.392 Wird der Ausgabebetrag bereits in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung festgestellt (§ 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 1 Alt. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 91), hat die Prüfung nach § 194 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG ausweislich § 195 Abs. 2 Nr. 1 AktG vor der Anmeldung dieses Beschlusses zur Eintragung in das Handelsregister zu erfolgen. Bestimmt der (Einzel-)Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) oder der damit in einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss verbundene (Einzel-)Beschluss über die Ausgabe der Wandelanleihe (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG) nur einen Mindestausgabebetrag oder die Grundlagen, nach denen der Ausgabebetrag oder der Mindestausgabebetrag bestimmt werden soll (§ 193 Abs. 2 Nr. 3 Halbs. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 91), steht dem Vorstand bei der Bestimmung des konkreten Ausgabebetrags ein Ermessensspielraum zu.393 In diesen Konstellationen kann die Prüfung nach § 194 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG nicht vor der Bestimmung des Ausgabebetrags durch den Vorstand erfolgen.394 Der Erhöhungsbeschluss ist gleichwohl in das Handelsregister einzutragen. Das Nichtvorhandensein des Berichts über die Prüfung der Sacheinlagen begründet kein Eintragungshindernis.395 Die Prüfung nach § 194 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG ist bei der Ausgabe der Wandelanleihe und damit vor der (deklaratorischen) Anmeldung der Ausgabe der Bezugsaktien zur Eintragung in das Handelsregister (§ 201 AktG) nachzuholen.396 Der Eintragung hat die gerichtliche Prüfung nach § 195 Abs. 3 AktG vorauszugehen. Diese Prüfungen sind insoweit rückbezogen, als es genügt, dass die Sachleistungen bei der Ausgabe der Wandelanleihe werthaltig waren.397 Bei der Ausgabe der Bezugsaktien ist § 199 AktG zu beachten.398 (3) Ausgabe der Wandelanleihe ohne Gegenleistung Wurde die Wandelanleihe ohne Gegenleistung ausgegeben (z.B. als Gratifikation an Arbeitnehmer), findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG keine Anwendung.399 Es fehlt an einer Gegenleistung, die als Bar- oder Sacheinlage angesehen werden könnte.400 Gleichwohl dürfen die Bezugsaktien gemäß § 199 Abs. 1 AktG erst nach der vollen Leistung des Gegenwerts, der aus 392 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 193 AktG Rz. 37; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 12. 393 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (153 Rz. 14) = AG 2009, 625 = NZG 2009, 986; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 193 AktG Rz. 13; Rieckers in Spindler/Stilz, § 193 AktG Rz. 14. 394 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 25; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 194 AktG Rz. 4. 395 OLG München v. 19.9.2013 – 31 Wx 312/13, AG 2013, 811 = NZG 2013, 1144; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 195 AktG Rz. 13. 396 OLG München v. 19.9.2013 – 31 Wx 312/13, AG 2013, 811 (812) = NZG 2013, 1144; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 25; Juretzek, DStR 2014, 431 (433); Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 194 AktG Rz. 4; Schnorbus/Trapp, ZGR 2010, 1023 (1033); Schwartzkopff/ Hoppe, NZG 2014, 378 (379). 397 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 231; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28; abweichend Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 47; Stadler, NZI 2003, 579 (584): maßgeblicher Zeitpunkt sei die Einbringung der Sacheinlage bzw. die Eintragung des bedingten Kapitals in das Handelsregister. 398 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 231; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28. 399 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 232; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 215; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 153; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28. 400 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 232; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28.

Fest

601

130

§ 221 AktG Rz. 131

Einzelne Instrumente

dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung errechnet wird, ausgegeben werden. Die Anwendung von § 199 Abs. 2 Satz 1 AktG erscheint zwar möglich, aber nicht sachgerecht. Der im Fall der Ausgabe der Wandelanleihen ohne Gegenleistung mit null Euro anzusetzende Ausgabebetrag hätte zur Folge, dass die Gläubiger eine Zuzahlung in Höhe des geringsten Ausgabebetrags der Bezugsaktien zu leisten hätten oder der gesamte Ausgabebetrag durch eine Entnahme aus einer anderen Gewinnrücklage der Gesellschaft zu decken wäre.401 Dieses Vorgehen ließe unberücksichtigt, dass die Gesellschaft aufgrund der mit dem Umtausch verbundenen Einwendung (siehe Rz. 83) von ihrer Rückzahlungsverbindlichkeit befreit wird. Vorzugswürdig erscheint daher eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 3 AktG jedenfalls in den Fällen, in denen die Wandelanleihen ohne Gegenleistung an Arbeitnehmer oder Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens – letztere stehen den Arbeitnehmern bei Anwendung von § 194 Abs. 3 AktG im Lichte von § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG gleich – ausgegeben werden.402 Der direkte Anwendungsbereich der Vorschrift ist zwar auf Geldforderungen aus Gewinnbeteiligungen begrenzt. Diese Formulierung war bei Einführung von § 194 Abs. 3 AktG (ehemals: § 182 AktG 1965) aber mit § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG (ehemals: § 180 Abs. 2 Nr. 3 AktG 1965) abgestimmt.403 In Ansehung der Tatsache, dass den Arbeitnehmern nur selten Gewinnbeteiligungen eingeräumt worden waren,404 wurde diese Einschränkung durch das KonTraG mit Wirkung vom 1.5.1998 aufgehoben.405 Die Anpassung des § 194 Abs. 3 AktG unterblieb. Die insoweit bestehende Regelungslücke ist durch die entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 3 AktG zu schließen. Danach erbringen die Anleihegläubiger mit dem Umtausch der Wandelanleihe eine Sachleistung, nämlich die Befreiung der Gesellschaft von der Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeit (siehe Rz. 83). Der Wert dieser Sachleistung ist – in Umsetzung der Vorgabe des Art. 31 Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 27 Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG) – sowohl nach § 194 Abs. 4 AktG als auch nach § 195 Abs. 3 AktG auf ihren Wert zu prüfen. bb) Genehmigtes Kapital, ordentliche Kapitalerhöhung 131

Sind die Umtauschrechte ausnahmsweise durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) abgesichert, ist § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG hinsichtlich der Einlage entsprechend anzuwenden.406 Gleiches sollte für neue Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) gelten, wenn diese ausnahmsweise der Absicherung von Umtauschrechten dient (eingehend dazu Rz. 106 ff.).407 Der direkte Anwendungsbereich des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG ist auf die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 123 ff.) beschränkt. Weder die §§ 202-206 AktG noch die §§ 182-191 AktG enthalten eine vergleichbare Regelung. Die vergleichbare Interessenlage zu der bedingten Kapitalerhöhung ergibt sich daraus, dass die Art und Weise der Kapitalerhöhung weder die Abgren401 Ähnlich Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 153. 402 Im Ergebnis ebenso Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 90; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 232; a.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 17. 403 BT-Drucks. IV/171 zu § 182 AktG-E. 404 BT-Drucks. 13/9712, 23 zu § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG-E; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 6; weitergehend Martens, AG 1996, 337 (346); Uwe H. Schneider, ZIP 1996, 1769 (1773 mit Fn. 33): ohne praktische Bedeutung. 405 Art. 1 Nr. 26 Buchst. a i.V.m. Art. 14 des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998 (BGBl. I 1998, 786). 406 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 217; Holland/Goslar, NZG 2006, 892 (895); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 59; Karollus, ZIP 1994, 590 (594 ff.); Rieckers in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 77; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 81; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 77; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 53; a.A. Groh, BB 1997, 2523 (2528); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 230; Hirte, WM 1994, 321 (329). 407 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 52; a.A. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 59.

602

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 132 § 221 AktG

zung zwischen Bar- und Sacheinlagen noch den Grundsatz der realen Kapitalaufbringung modifiziert.408 Gegen die entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG wird vorgebracht, dass sich die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 ff. AktG) von dem genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG) und der ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) dadurch unterscheide, dass nur bei der bedingten Kapitalerhöhung die Befugnis zur Durchführung der Kapitalerhöhung – nämlich in Gestalt des Umtauschrechts – in die Hände der Anleihegläubiger gelegt sei.409 Seit dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) beschränkt sich dieser Unterschied auf Wandelanleihen, bei denen das Umtauschrecht ausschließlich den Gläubigern zusteht. Er besteht nicht (mehr) bei Wandelanleihen, bei denen das Umtauschrecht auch oder ausschließlich der Gesellschaft zusteht. Bei diesen Gestaltungen kann nämlich der Vorstand – ähnlich dem genehmigten Kapital – über den Umtausch und damit über die Durchführung der Kapitalerhöhung entscheiden. Eine Beschränkung der entsprechenden Anwendung auf herkömmliche Wandelanleihen widerspräche dem Umstand, dass die im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 neugefasste Vorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG in ihrem direkten Anwendungsbereich unterschiedslos sowohl für herkömmliche als auch für umgekehrte Wandelanleihen, bei denen das Umtauschrecht auch oder ausschließlich der Gesellschaft zusteht (eingehend dazu Rz. 132 ff.), gilt.410 Diese Gleichbehandlung herkömmlicher und umgekehrter Wandelanleihen zeigt, dass der Gesetzgeber in dem Umstand, wer über den Umtausch und die Durchführung der Kapitalerhöhung entscheidet, keinen Grund sieht, hiernach bei der Art und Weise der Kapitalaufbringung zu unterscheiden. Daher ist es für die entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auf das genehmigte Kapital (§§ 202 ff. AktG) und die ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) ohne Bedeutung, wem das Umtauschrecht zusteht. 2. Umgekehrte Wandelanleihe (reverse convertible bonds) Durch die Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) wurde § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG mit Wirkung vom 31.12.2015411 dahingehend geändert, dass die Definition der Wandelschuldverschreibung nun auch solche Schuldverschreibungen umfasst, bei denen das Umtauschrecht der Gesellschaft eingeräumt ist (sog. umgekehrte Wandelanleihen). Der Wortlaut des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG („oder“) legt es nahe, dass das Umtauschrecht nur alternativ den Gläubigern oder der Gesellschaft eingeräumt werden kann. Nach dem Willen des Reformgesetzgebers soll es aber auch möglich sein, das Umtauschrecht kumulativ sowohl den Gläubigern als auch der Gesellschaft einzuräumen.412

408 Holland/Goslar, NZG 2006, 892 (895). 409 Hirte, WM 1994, 321 (329). 410 Kritisch Drygala, WM 2011, 1637 (1642 ff.); Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 5a. 411 Art. 1 Nr. 24 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). Zu der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes siehe BT-Drucks. 18/4349, 13; Götze/Nartowska, NZG 2015, 298 f.; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 7. 412 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E; BR-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 Abs. 2 AktG-E; Seibert/Böttcher, ZIP 2012, 12 (15). Eine klarstellende Ergänzung des Wortlauts (z.B. „den Gläubigern, der Gesellschaft oder den Gläubigern und der Gesellschaft“), wie sie auch das Deutsche Aktieninstitut in seinen Anmerkungen zur Aktienrechtsnovelle 2014 angeregt hat (abrufbar unter: https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/positionspapiere/2014-07-04 %20Stellungnahme%20Aktienrechtsnovelle%20DAI.pdf, zuletzt abgerufen am 2.11.2016), wäre wünschenswert.

Fest

603

132

§ 221 AktG Rz. 133

Einzelne Instrumente

a) Vorteile gegenüber anderen Anleiheformen 133

Bei herkömmlichen Wandelanleihen tragen die Gesellschaften das Risiko, dass die Gläubiger aufgrund eines niedrigen Aktienkurses bzw. -wertes ihr Umtauschrecht nicht ausüben, die avisierte Kapitalerhöhung also nicht stattfindet und die gegen Ausgabe der Wandelanleihe erbrachte Leistung zurückgewährt werden muss. Dieses Risiko einer ungünstigen Kurs- bzw. Wertentwicklung der Aktien können die Emittenten durch die Bestimmung, dass das Umtauschrecht auch oder ausschließlich der Gesellschaft zusteht, auf die Gläubiger abwälzen.413

134

Das Umtauschrecht ermöglicht den Gesellschaften einen sog. Debt-Equity-Swap. Durch den Umtausch können sie sich von den in der Schuldverschreibung verbrieften Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeiten befreien (siehe Rz. 83) und das Grundkapital in der Weise erhöhen, dass die Anleihegläubiger zur Zeichnung der neuen Aktien verpflichtet sind (siehe Rz. 144). Aufgrund dieser Rechtsfolgen sind umgekehrte Wandelanleihen dazu geeignet und regelmäßig auch dazu bestimmt, eine während der Laufzeit der Anleihe unter Umständen erforderlich werdende Sanierung des Anleiheschuldners zu erleichtern. Da umgekehrte Wandelanleihen auch außerhalb einer konkreten Krisensituation mit langen Laufzeiten ausgegeben werden können, fungieren sie als Sanierungsinstrumente „auf Vorrat“414.

135

Dem Vorteil der Gesellschaft steht bei dem Umtausch umgekehrter Wandelanleihen zum Zweck der Sanierung des Anleiheschuldners spiegelbildlich der Nachteil der Anleihegläubiger gegenüber, dass sie anstelle des schuldvertraglichen Rückzahlungsanspruchs, der mit der zu erwartenden Insolvenzquote zu bewerten ist, eine mitgliedschaftliche Beteiligung erhalten, deren Wert sich jedenfalls zunächst in ihrem Anteil an dem zu erwartenden Überschuss (§ 199 Satz 1, 2 InsO) erschöpft. Der Wert der Beteiligung steigt nur und erst dann wieder, wenn und sobald die Sanierung gelingt; vorher hat die Beteiligung nur einen Hoffnungswert.415

136

Aus Sicht der Gesellschaft besteht ein weiterer Vorteil umgekehrter Wandelanleihen darin, dass sie den Umtausch – im Unterschied zu herkömmlichen Anleihen, bei denen ein Umtausch der Teilschuldverschreibungen in Aktien außerhalb der Insolvenz (siehe Rz. 63) selbst bei Anwendung des SchVG nur mit Zustimmung einer qualifizierten Gläubigermehrheit möglich ist (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 Satz 2, 3 SchVG, siehe § 3 SchVG Rz. 52 ff., 88 ff.) –, nicht nur ohne die Zustimmung, sondern auch gegen den Willen der Gläubiger durchführen kann. b) Rechtsnatur des Umtauschrechts

137

Das in den Anleihebedingungen begründete Umtauschrecht der Gesellschaft ist zivilrechtsdogmatisch eine vertragliche Ersetzungsbefugnis.416 Sie berechtigt die Gesellschaft, ihr in der Schuldverschreibung verbrieftes Leistungsversprechen, das Kapital zurückzuzahlen, inhaltlich dahingehend zu ändern, dass die Anleihegläubiger anstelle der Geldzahlung (nur) den Abschluss eines Zeichnungsvertrags (siehe Rz. 144) oder, wenn die infolge des Umtauschs entstehenden Verschaffungspflichten nicht durch neue Aktien, sondern durch eigene Aktien bedient

413 Drygala, WM 2011, 1637. 414 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E; BR-Drucks. 22/15, 27 zu § 192 AktG-E; BT-Drucks. 17/8989, 17 zu § 192 AktG-E; vgl. auch Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 5b; Seibert/Böttcher, ZIP 2012, 12 (16). 415 Drygala, WM 2011, 1637 (1639). 416 BT-Drucks. 18/4349, 29; BR-Drucks. 22/15, 29; BT-Drucks. 17/8989, 19 jeweils zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG-E; Drygala, WM 2011, 1637 (1638); Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (551); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 210; vgl. auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (76) für „umgekehrte“ Optionsanleihen.

604

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 139 § 221 AktG

werden sollen, eines Kaufvertrags verlangen können.417 Der Annahme einer Wahlschuld i.S.d. §§ 262 ff. BGB, wie sie in der Literatur – wohl im Anschluss an die verbreitete Bezeichnung als Tilgungswahlrecht – nur vereinzelt vertreten wird,418 steht entgegen, dass bereits erbrachte Zinszahlungen rückwirkend (§ 263 Abs. 2 BGB) rechtsgrundlos würden und rückabzuwickeln wären. Die Ersetzungsbefugnis ist – ausweislich § 308 Nr. 4 BGB – keine Bestimmung, die die Haupt- 138 leistungspflicht des Anleiheschuldners – konkret: die Rückzahlung des Kapitals – unmittelbar ausgestaltet und daher der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen ist (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.),419 sondern eine kontrollfähige Nebenbestimmung.420 Um die Ersetzungsbefugnis für die Anleihegläubiger trotz des ihnen aufgebürdeten Risikos eines ungünstigen Kursverlaufs (siehe Rz. 133) zumutbar i.S.d. § 308 Nr. 4 BGB und damit wirksam auszugestalten, sahen die Anleihebedingungen für den Fall des Umtauschs neben der Andienung von Aktien regelmäßig eine Zuzahlung des Anleiheschuldners (sog. cash top up) vor.421 Gleichwohl wurden in der Literatur – wenn auch nur vereinzelt – Zweifel an der Wirksamkeit der Ersetzungsbefugnis geäußert.422 Diesen Zweifeln wurde durch die Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) die Grundlage entzogen. Die Tatsache, dass der Reformgesetzgeber in § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG keine besonderen Voraussetzungen für die (wirksame) Vereinbarung eines Umtauschrechts der Gesellschaft aufgenommen hat,423 bringt zum Ausdruck, dass er das Interesse der Gesellschaft an einem Sanierungsinstrument „auf Vorrat“ (siehe Rz. 134) bei einer typisierenden Abwägung mit den Interessen der Anleihegläubiger höher bewertet hat. Dieses Abwägungsergebnis ist im Sinne der Einheit der Rechtsordnung bei der Anwendung von § 308 Nr. 4 BGB dahingehend zu berücksichtigen, dass die Vereinbarung einer Ersetzungsbefugnis der Gesellschaft grundsätzlich, d.h. vorbehaltlich einer besonderen Ausgestaltung im Einzelfall, als zumutbar und wirksam anzusehen ist. c) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Umtauschrechts Das Umtauschrecht wird – ebenso wie die Rechte und Pflichten des Anleiheschuldners und der Anleihegläubiger aus den Teilschuldverschreibungen – in den Anleihebedingungen ausgestaltet (siehe Rz. 74). Da der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, inhaltliche Vorgaben für die Ausgestaltung des Umtauschrechts zu normieren,424 ist die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Emittenten – wie bei herkömmlichen Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 74 ff.) – in erster Linie durch die §§ 307 ff. BGB begrenzt. Bei deren Anwendung ist zu 417 Abweichend Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (54): Änderung dahingehend, dass der Gesellschaft ein Anspruch gegen die Anleihegläubiger auf Abschluss des Zeichnungsvertrags zusteht. Dem steht entgegen, dass die Ersetzungsbefugnis nur den Inhalt der Leistungspflicht, nicht aber die Parteirollen verändern kann, siehe Krüger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 262 BGB Rz. 8. 418 Rümker in FS Beusch, 1993, S. 739 (741 f.), der den Vorteil darin sieht, dass die Wahlschuld – im Gegensatz zu einer Ersetzungsbefugnis – der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle nach § 10 Nr. 4 AGBG (jetzt: § 308 Nr. 4 BGB) entzogen sei. Vgl. auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandelund Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (76) für „umgekehrte“ Optionsanleihen. 419 So aber Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (188 f.). 420 Drygala, WM 2011, 1637 (1640). 421 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 90; Rümker in FS Beusch, 1993, S. 739; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 64 mit Fn. 5; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 150 mit Fn. 433. 422 Drygala, WM 2011, 1637 (1641). Die Behauptung, dass die Zulässigkeit umgekehrter Wandelanleihen „allgemein anerkannt“ sei (so BT-Drucks. 17/8989, 17 zu § 192 AktG-E), wurde in späteren Materialien (BR-Drucks. 22/15, 27; BT-Drucks. 18/4349, 27) nicht mehr wiederholt. 423 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E. 424 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E; vgl. auch Seibert/Böttcher, ZIP 2012, 12 (15).

Fest

605

139

§ 221 AktG Rz. 140

Einzelne Instrumente

beachten, dass Bestimmungen, die das Umtauschrecht in zeitlicher Hinsicht, die Art der zu erwerbenden Aktien und das Umtauschverhältnis unmittelbar ausgestalten, der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen sind (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.). 140

Das Umtauschrecht der Gesellschaft muss nicht auf Konstellationen beschränkt werden, in denen der Gesellschaft die Zahlungsunfähigkeit droht oder eine Überschuldung abgewendet werden soll.425 Gegenteiliges ist § 194 Abs. 3 Satz 3 AktG nicht zu entnehmen. Die Vorschrift privilegiert Gesellschaften, die sich in den Anleihebedingungen ein Umtauschrecht – nicht notwendig ist eine Verpflichtung, das Umtauschrecht auszuüben – für die genannten Konstellationen vorbehalten, nur insoweit, als sie die Höchstbetragsgrenze des § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG für die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) aufhebt, die der Absicherung des Umtauschrechts der Gesellschaft dient. Die Gestaltungsfreiheit hinsichtlich des Umtauschrechts schränkt die Vorschrift nicht ein. Daher können die Anleihebedingungen auch vorsehen, dass das Umtauschrecht der Gesellschaft unabhängig von dem Eintritt eine Krise zu einem beliebigen Zeitpunkt während der gesamten Laufzeit der Anleihe, während einer vertraglich vereinbarten Frist oder nur zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. am Ende der Laufzeit der Anleihe)426 besteht.

141

Auch soweit die Anleihebedingungen das Umtauschrecht der Gesellschaft unmittelbar ausgestalten, müssen sie dem besonderen Transparenzgebot des § 3 SchVG (zu Einzelheiten siehe § 3 SchVG Rz. 6 ff.) genügen.427 Das Umtauschrecht ist – bei wörtlichem Verständnis von § 3 SchVG – zwar keine vom Anleiheschuldner versprochene Leistung, sondern eine vorbehaltene Ersetzungsbefugnis (siehe Rz. 137). Mit der auf das Leistungsversprechen begrenzten Terminologie, die an die Definition der Anleihebedingungen in § 2 Satz 1 SchVG angelehnt ist, geht aber keine gegenständliche Begrenzung des Transparenzgebots einher. Der Normzweck, zumindest sachkundigen Anlegern die Ermittlung ihrer Rechte und Pflichten zu ermöglichen (siehe § 3 SchVG Rz. 6), ist nicht auf das Leistungsversprechen begrenzt, sondern gilt für sämtliche in den Anleihebedingungen ausgestalteten Rechte und Pflichten. d) Mitwirkung der Hauptversammlung

142

Umgekehrte Wandelanleihen sind Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG und dürfen daher – wie herkömmliche Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff.) – nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.).428 Die Hauptversammlung kann der Ausgabe einer konkreten umgekehrten Wandelanleihe zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder dem Vorstand nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) eine Ermächtigung zur Ausgabe umgekehrter Wandelanleihen erteilen. Sieht der Ermächtigungs425 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E; BR-Drucks. 22/15, 27 zu § 192 AktG-E; BT-Drucks. 17/8989, 17 zu § 192 AktG-E. 426 Diese Ausgestaltung wird häufig auch als Anleihe mit Tilgungswahlrecht des Emittenten (soft convertible bonds) bezeichnet, siehe z.B. Drygala, WM 2011, 1637 (1638); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (551); Rümker in FS Beusch, 1993, S. 739; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54. Materiell-rechtlich handelt es sich um eine Ersetzungsbefugnis der Gesellschaft, siehe Rz. 137. 427 Drygala, WM 2011, 1637 (1640). 428 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (26); Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (173); Müller-Eising in Eilers/ Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 87. Siehe bereits vor dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (551): entsprechende Anwendung von § 221 AktG; vgl. auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (77) für „umgekehrte“ Optionsanleihen. Wohl a.A. Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 mit Fn. 2.

606

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 144 § 221 AktG

beschluss die Ausgabe einer umgekehrten Wandelanleihe ausdrücklich vor, ist der Vorstand bei der Ausgestaltung an diese Vorgabe gebunden, insbesondere an der Ausgabe einer herkömmlichen Wandelanleihe gehindert. Enthält der Ermächtigungsbeschluss keine solche Einschränkung, sieht er also nur allgemein die Ausgabe von Wandelanleihen oder Wandelschuldverschreibungen vor, genügt auch dies als Mindestinhalt in Bezug auf die Art des Finanzinstruments (siehe Rz. 511, 530). Dem Vorstand verbleibt der Ermessensspielraum zu entscheiden, ob herkömmliche oder umgekehrte Wandelanleihen ausgegeben werden. Da umgekehrte Wandelanleihen in erster Linie Sanierungsinstrumente sind (siehe Rz. 134), muss die Gesellschaft in der Regel erheblich höhere Zinsen als bei herkömmlichen Wandelanleihen zahlen.429 Die dem Vorstand verbleibende Ausgestaltungsfreiheit ist aber nicht durch die (nachteiligen) ökonomischen Auswirkungen, sondern – in Ermangelung weitergehender Vorgaben – nur durch die Art des Finanzinstruments begrenzt. Ob umgekehrte Wandelanleihen zu derselben Art von Finanzinstrumenten gehören wie herkömmliche Wandelanleihen – dies zu bejahen legt bereits der gemeinsame Oberbegriff der Wandelschuldverschreibung nahe –, ist im Lichte des Normzwecks des § 221 AktG danach zu beurteilen, ob mit ihnen dieselben oder andere Beeinträchtigungen der mitgliedschaftlichen Rechte einhergehen. Der Umstand, wem das Umtauschrecht zusteht, hat regelmäßig zwar Einfluss darauf, ob und wann es ausgeübt wird. Ist es aber ausgeübt worden, ist es sowohl für die den (Alt-)Aktionären infolge des Umtauschs drohende (formale) Wertverwässerung ihrer Beteiligungen als auch für die Einbuße an Stimmrechtsmacht ohne Bedeutung, wem das Umtauschrecht zustand und wer es ausgeübt hat. Daher hindert eine allgemein formulierte Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen den Vorstand nicht an der Ausgabe umgekehrter Wandelanleihen. e) Bezugsrecht der Aktionäre Umgekehrte Wandelanleihen sind Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (siehe Rz. 142) und als solche Gegenstand des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.430 Das Bezugsrecht kann nach Maßgabe des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). Von der für den Ausschluss des Bezugsrechts erforderlichen sachlichen Rechtfertigung (eingehend dazu Rz. 628 ff.) ist – sofern nicht bereits die Voraussetzungen des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG erfüllt sind (eingehend dazu Rz. 670 ff.) – in den von § 192 Abs. 3 Satz 3, 4 AktG erfassten Konstellationen in der Regel auszugehen.431

143

f) Umtauscherklärung und Rechtsfolgen Die Umtauscherklärung der Gesellschaft ist – wie die Umtauscherklärung der Anleihegläubiger bei herkömmlichen Wandelanleihen (siehe Rz. 81) – eine empfangsbedürftige Willenserklärung. In Bezug auf die Schuldverschreibung ist sie die Gestaltungserklärung, mit der die Gesellschaft ihr Umtauschrecht (siehe Rz. 137) ausübt. Sie begründet eine nicht urkundliche Einwendung gegen die verbrieften Zahlungspflichten der Gesellschaft (siehe Rz. 83). 429 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (65); Seibt, CFL 2010, 165 (170). Vgl. auch Rümker in FS Beusch, 1993, S. 739 zu Anleihen mit Tilgungswahlrecht des Emittenten (soft convertible bonds): ca. ein bis zwei Prozentpunkte. 430 BT-Drucks. 18/4349, 29; BR-Drucks. 22/15, 29 jeweils zu § 192 Abs. 3 AktG-E; Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (174); Müller-Eising, GWR 2010, 591 (593); vgl. auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (77) für „umgekehrte“ Optionsanleihen. 431 BT-Drucks. 18/4349, 29; BR-Drucks. 22/15, 29 jeweils zu § 192 Abs. 3 AktG-E.

Fest

607

144

§ 221 AktG Rz. 145

Einzelne Instrumente

Die Umtauscherklärung ist aber nicht nur Gestaltungserklärung, sondern auch das Angebot der Gesellschaft auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags, das die Gläubiger nach Maßgabe der Anleihebedingungen annehmen müssen. Eine Zeichnungserklärung ist die Umtauscherklärung aber auch dann nicht, wenn die Umtauschrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert sind. Die Erklärung der Gesellschaft zielt nicht auf den – nach § 56 Abs. 1 AktG verbotenen – originären Erwerb eigener Aktien, sondern auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags, bei dem nur die Anleihegläubiger Gläubiger der Verschaffungsansprüche werden sollen. Sie sind nach Maßgabe der Anleihebedingungen zu der Annahme des von der Gesellschaft unterbreiteten Angebots zum Abschluss eines Zeichnungsvertrags verpflichtet, geben also die Zeichnungserklärung ab, und sind sodann aufgrund des Zeichnungsvertrags zu der Abnahme der (Bezugs-)Aktien verpflichtet. Die im Wortlaut gegenteilige Regelung des § 198 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 192 Abs. 5 AktG ist auf Gestaltungen begrenzt, in denen die Gläubiger das Umtausch- oder Bezugsrecht ausüben. Eine entsprechende Einschränkung des Wortlauts, die im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 versäumt wurde, sollte zeitnah nachgeholt werden. Sollen die Umtauschrechte mit eigenen Aktien bedient werden (eingehend dazu Rz. 112 ff.), tritt deren (Wieder-)Veräußerung (siehe Rz. 121) an die Stelle der Zeichnung. g) Absicherung der Umtauschrechte 145

Die Umtauschrechte aus umgekehrten Wandelanleihen können – wie die Umtauschrechte aus herkömmlichen Wandelanleihen – durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.), eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.), eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) und – wie der Reformgesetzgeber im Anschluss an die vormal überwiegende Ansicht in der Literatur432 im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 durch die Änderungen von § 192 Abs. 1, 2 Nr. 1 AktG433 klargestellt hat – auch durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden.434 aa) Erweiterung des Volumens

146

Aufgrund der gesetzgeberischen Intention, mit umgekehrten Wandelanleihen ein wirkungsvolles Sanierungsinstrument zu schaffen, das den Gesellschaften helfen soll, eine drohende Insolvenz abzuwenden (siehe Rz. 134),435 können die Gesellschaften unter den Voraussetzungen des § 192 Abs. 3 Satz 3 AktG eine bedingte Kapitalerhöhung ausnahmsweise auch mit einem größeren Umfang als fünfzig Prozent des Nennbetrags des Grundkapitals (§ 192 Abs. 3 Satz 1 AktG) beschließen. Die Begriffe drohende Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung sind im Einklang mit den §§ 18, 19 InsO auszulegen. Die Formulierung „zum Zweck der Anwen432 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 192 AktG Rz. 25; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 7; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 9; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 192 AktG Rz. 8; Schlitt/ Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 65; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (266); a.A. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 84. 433 Art. 1 Nr. 20 Buchst. a, b des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). 434 BT-Drucks. 18/4349, 27; BR-Drucks. 22/15, 27; BT-Drucks. 17/8989, 17 jeweils zu § 192 AktG-E. Vor dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 hat die überwiegende Ansicht in der Literatur eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG befürwortet, siehe Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (551). 435 BT-Drucks. 18/4349, 28; BR-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 Abs. 3 AktG-E.

608

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 149 § 221 AktG

dung“ stellt klar, dass die Überschuldung noch nicht eingetreten oder festgestellt sein muss.436 Das Privileg des § 192 Abs. 3 Satz 3 AktG gilt – wie die Formulierung „nur zu dem Zweck“ impliziert – aber nur, wenn das Umtauschrecht der Gesellschaft in den Anleihebedingungen ausdrücklich auf die Krisensituationen beschränkt ist,437 also nur bedingt für die Fälle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit und einer drohenden Überschuldung besteht. Die Anwendung von § 192 Abs. 3 Satz 3 AktG ist allerdings nicht auf Wandelanleihen begrenzt, die ausschließlich der Gesellschaft ein Umtauschrecht einräumen.438 Ein Umtauschrecht auch der Gläubiger ist zwar unschädlich. Soll auch deren Umtauschrecht durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden, ist hierbei aber der Höchstbetrag des § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG zu beachten. Daher bedarf es, wenn die zur Absicherung des Umtauschs durch die Gesellschaft bestimmte bedingte Kapitalerhöhung den Höchstbetrag des § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG übersteigt, zur Absicherung der Umtauschrechte der Gläubiger einer zweiten bedingten Kapitalerhöhung. Für diese gilt der Höchstbetrag des § 192 Abs. 3 Satz 1 AktG, d.h. sie darf den Betrag von fünfzig Prozent des Nennbetrags des Grundkapitals – ohne das bedingte Kapital, auf das § 192 Abs. 3 Satz 3 AktG Anwendung findet (§ 192 Abs. 3 Satz 5 AktG) – nicht übersteigen.439 Hierzu bedarf es eines abweichenden Umtauschverhältnisses.

147

bb) Einlagen Dient die Gesellschaft den Gläubigern neue Aktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung an, findet hinsichtlich der Einlage die im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 neugefasste Vorschrift des § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG Anwendung (eingehend dazu Rz. 123 ff.).440 Die Abkehr von dem bis zum 30.12.2016 im Wortlaut enthaltenen Erfordernis der „Hingabe“ der (Teil-)Schuldverschreibungen soll klarstellen, dass die Vorschriften über Sacheinlagen auch bei umgekehrten Wandelanleihen nicht anzuwenden sind, wenn die Gesellschaft ihr Umtauschrecht ausübt. Stattdessen gilt die gegen Ausgabe der Wandelanleihe eingezahlte Geldleistung – wie bei herkömmlichen Wandelanleihen (siehe Rz. 124) – als Bareinlage.441

148

Die Erstreckung der bisherigen Rechtslage auf umgekehrte Wandelanleihen ist in der Litera- 149 tur auf Kritik gestoßen. Bei herkömmlichen Wandelanleihen sei der Verzicht auf die Anwendung der Vorschriften über Sacheinlagen dadurch gerechtfertigt, dass das Umtauschrecht von den Gläubigern nur ausgeübt werde, wenn der Aktienkurs bzw. -wert den Bezugspreis übersteige, also eine Situation gegeben sei, in der der Rückforderungsanspruch stets werthaltig sei. An der Werthaltigkeit des Rückforderungsanspruchs fehle es aber, wenn die umgekehrte Wandelanleihe – wie vom Gesetzgeber beabsichtigt (siehe Rz. 134) – als Sanierungsinstrument eingesetzt und der Umtausch bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder zum Zweck der Abwendung einer Überschuldung erklärt werde.442 Der Einwand trifft zwar im Tatsächlichen zu, vermag aber keine teleologische Reduktion von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG zu rechtferti436 BT-Drucks. 18/4349, 28; BT-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/14214, 18 jeweils zu § 192 Abs. 3 AktG-E. 437 BT-Drucks. 18/4349, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 Abs. 3 AktG-E. 438 Offen gelassen von Diekmann/Nolting, NZG 2011, 6 (8). 439 Vgl. Drinhausen/Keinath, BB 2012, 395 (396). 440 Florstedt, ZHR 180 (2016), 152 (185); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 215; Seibert/Böttcher, ZIP 2012, 12 (16). Bereits vor dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 2016 befürwortete die überwiegende Ansicht in der Literatur eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG, siehe Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (551); Nodoushani, ZBB 2011, 143 (146); dagegen Drygala, WM 2011, 1637 (1642). 441 BT-Drucks. 18/4349, 29; BR-Drucks. 22/15, 29; BT-Drucks. 17/8989, 19 jeweils zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG-E. 442 Drygala, WM 2011, 1637 (1642); zustimmend Bayer, AG 2012, 141 (151).

Fest

609

§ 221 AktG Rz. 150

Einzelne Instrumente

gen.443 Zum einen ist der neugefasste Wortlaut der Vorschrift von dem eindeutigen und mehrfach dokumentierten Willen des Reformgesetzgebers getragen, die Anwendung der Vorschriften über Sacheinlagen auf den Umtausch umgekehrter Wandelanleihen unabhängig von der Werthaltigkeit des verbrieften Rückzahlungsanspruchs auszuschließen.444 Zum anderen spricht für die vom Reformgesetzgeber gewählte Lösung die sachliche Erwägung, dass der infolge des Umtauschs der Schuldverschreibung in der Bilanz vorzunehmende Passivtausch einen weitergehenden Beitrag zur Sanierung des Anleiheschuldners leistet, wenn die gegen Ausgabe der Wandelanleihe eingezahlte Geldleistung in Höhe des Nominalbetrags und nicht nur mit dem erheblich verminderten gegenwärtigen Wert des Rückzahlungsanspruchs dem Eigenkapital (§ 266 Abs. 3 A. I., 272 Abs. 1 Satz 1, 2 HGB) zugeschrieben wird. 150

Die Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auf umgekehrte Wandelanleihen steht auch nicht im Widerspruch dazu, dass der Umtausch von nahezu wertlosen Forderungen in Aktien im Rahmen des insolvenzrechtlichen Debt-Equity-Swap (§ 225a Abs. 2 Satz 1 InsO) eine Sacheinlage darstellt,445 bei der lediglich die gesellschaftsrechtliche Differenzhaftung, die den Gläubigern bei einer Überbewertung ihrer Forderungen grundsätzlich droht, durch § 254 Abs. 4 InsO ausgeschlossen ist.446 Die unterschiedliche Behandlung der Einlagen ist in § 104 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 2 InsO angelegt.447 Danach kann der Insolvenzverwalter die bei Eintritt der Insolvenz noch bestehenden Umtauschrechte nicht mehr ausüben; es findet nur noch ein Barausgleich nach Maßgabe von § 104 Abs. 3 InsO statt.448 Hiervon unterscheidet sich die Rechtslage bei Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG insoweit, als die Umtauschrechte nicht erlöschen, sondern vor dem Eintritt der materiellen Insolvenz ausgeübt werden.

151

Das Reorganisationsverfahren für sanierungsbedürftige Kreditinstitute (§ 2 Abs. 1 Satz 2 KredReorgG i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1, 2 KWG) sieht die Möglichkeit vor, einen Debt-Equity-Swap in den gestaltenden Teil des Reorganisationsplans aufzunehmen. Dieser ist dem insolvenzrechtlichen Debt-Equity-Swap (§ 225a Abs. 2 InsO) insoweit ähnlich, als § 9 Abs. 1 KredReorgG ebenfalls vorsieht, dass die Forderungen im Zuge einer Kapitalerhöhung – nach einer zeitgleich beschlossenen Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff. AktG)449 – als Sacheinlagen eingebracht werden.450 Ein Widerspruch zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG besteht hierin nicht. Zum einen würde die Fiktion einer Bareinlage die Reorganisation des Kreditinstituts nicht erleichtern, sondern insoweit sogar erschweren, als sie die Verwässerung der Anteile der (Alt-)Aktionäre intensivieren und damit den ihnen gegen das Kreditinstitut zustehenden Entschädigungsanspruch (§ 9 Abs. 2 Satz 1 KredReorgG) erheblich erhöhen würden. Zum an-

443 Im Ergebnis ebenso Cahn/Simon/Theiselmann, CFL 2010, 238 (249 f.). 444 BT-Drucks. 18/4349, 29; BR-Drucks. 22/15, 29; BT-Drucks. 17/8989, 19 jeweils zu § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG-E. 445 BT-Drucks. 17/5712, 36 zu § 254 InsO-E; Braun/Frank in Braun, 6. Aufl. 2014, § 225a InsO Rz. 7; Hirte in Uhlenbruck, § 225a InsO Rz. 32; M. Huber in MünchKomm/InsO, 3. Aufl. 2014, § 254 InsO Rz. 37; Spliedt in K. Schmidt, § 225a InsO Rz. 19. 446 BT-Drucks. 18/4349, 27 f.; BR-Drucks. 22/15, 27 f.; BT-Drucks. 17/8989, 17 f. jeweils zu § 192 AktG-E; a.A. Drygala, WM 2011, 1637 (1643). 447 Wandelanleihen sind Finanzleistungen i.S.d. § 194 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 InsO, siehe statt vieler Ringstmeier in K. Schmidt, § 104 InsO Rz. 17. 448 BT-Drucks. 18/4349, 28; BR-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 AktG-E. 449 Aufgrund der Sachkapitalerhöhung ist der Umfang der Kapitalherabsetzung durch den Mindestnennbetrag des Grundkapitals (§ 7 AktG) begrenzt, §§ 229 Abs. 3, 228 Abs. 1 AktG. Unklar Fridgen in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR, 5. Aufl. 2016, § 9 KredReorgG Rz. 6: Herabsetzung des Grundkapitals nach §§ 228, 229 AktG. 450 BT-Drucks. 17/3024, 50 zu § 9 KredReorgG-E; Fridgen in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/ CRR, 5. Aufl. 2016, § 9 KredReorgG Rz. 6.

610

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 155 § 221 AktG

deren findet § 104 Abs. 2 InsO im Reorganisationsverfahren keine Anwendung.451 Daher können die Gläubiger – alternativ zu dem Debt-Equity-Swap (§ 9 Abs. 1 KredReorgG) – ihre noch nicht ausgeübten Umtauschrechte auch noch im Reorganisationsverfahren ausüben und, wenn diese durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert sind, ihre (Teil-)Schuldverschreibungen unter Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG umtauschen.452 Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass sie sich den Umtausch in dem Reorganisationsplan vorbehalten. Schließlich ist § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auf umgekehrte Wandelanleihen – wie auf herkömmliche Wandelanleihen (siehe Rz. 125) – auch dann anzuwenden, wenn deren Anleihebedingungen eine Nachrangvereinbarung enthalten und/oder eine Verlustbeteiligung der Gläubiger vorsehen.453 Ein Grund, die Frage bei umgekehrten Wandelanleihen anders zu entscheiden als bei herkömmlichen Wandelanleihen, ist insbesondere vor dem Hintergrund, dass der im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13, 148) neugefasste § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nach dem Willen des Reformgesetzgebers unterschiedslos für beide Instrumente gelten soll (siehe Rz. 149), nicht ersichtlich.

152

3. Unbedingte Pflichtwandelanleihen (mandatory convertible bonds) Von herkömmlichen Wandelanleihen, bestehend aus einer Schuldverschreibung, bei der den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtauschrecht auf Aktien eingeräumt ist, dessen Ausübung in ihrem Ermessen liegt, unterscheiden sich Pflichtwandelanleihen dadurch, dass eine Umtausch- bzw. Wandlungspflicht besteht. Die Wandlungspflicht kann entweder nur für den Eintritt eines in den Anleihebedingungen bestimmten Ereignisses (sog. bedingte Pflichtwandelanleihe, eingehend dazu Rz. 173 ff.) oder unabhängig von äußeren Umständen, also unbedingt vereinbart werden.

153

a) Vorteile gegenüber herkömmlichen Wandelanleihen Pflichtwandelanleihen bieten den Gesellschaften in der Regel zwar keine absolute,454 im Vergleich zu herkömmlichen Wandelanleihen aber eine erheblich erhöhte (Planungs-)Sicherheit, das eingezahlte Kapital – unabhängig von dem bilanziellen Ausweis (siehe Rz. 155) – nicht zurückzahlen zu müssen.455 Aufgrund der hiermit einhergehenden Möglichkeit einer sog. Kapitalerhöhung auf Termin, eignen sich unbedingte Pflichtwandelanleihen zur Finanzierung von Unternehmenstransaktionen insbesondere dann, wenn die Emissionsgesellschaft über kein genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG) verfügt.456

154

Ferner bieten Pflichtwandelanleihen Unternehmen, die nach IFRS bilanzieren, den Vorteil, dass das gegen Ausgabe der Anleihe eingezahlte Kapital nicht erst ab dem Vollzug des Umtauschs, sondern bereits ab dem Zufluss als Eigenkapital zu verbuchen ist.457 Pflichtwandel-

155

451 452 453 454

BT-Drucks. 18/4349, 28; BR-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 AktG-E. BT-Drucks. 18/4349, 28; BR-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 AktG-E. A.A. Drygala, WM 2011, 1637 (1642). Eine Gewissheit wird nur erreicht, wenn die Anleihebedingungen keine ordentlichen Kündigungsrechte vorsehen, das kraft Gesetzes bestehende außerordentliche Kündigungsrecht – sofern möglich (§ 10 Abs. 5 KWG) – ausschließen und auch in Ausnahmefällen (z.B. Zahlungsverzug oder Insolvenz des Emittenten) keine Rückzahlung des eingezahlten Betrags vorsehen. 455 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 37; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 11; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 63; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 150. 456 Seibt, CFL 2010, 165 (166); angedeutet auch bei Bader, AG 2014, 472 (480). 457 Bader, AG 2014, 472 (479); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 192 AktG Rz. 25; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 11; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 90; Lux, Die Dogmatik des Umtausches von Wandelanleihen in Aktien, 2014, S. 61;

Fest

611

§ 221 AktG Rz. 155

Einzelne Instrumente

anleihen sind ebenso wie herkömmliche Wandelanleihen zusammengesetzte Finanzinstrumente (siehe Rz. 23),458 deren Bestandteile, namentlich die Schuldverschreibung und das Umtauschrecht (siehe Rz. 73), sowohl nach HGB als auch nach IFRS (IAS 32.29, IAS 32.AG31) getrennt zu bilanzieren sind (split accounting).459 Bei herkömmlichen Wandelanleihen ist der auf das Umtauschrecht entfallende Anteil des Emissionserlöses sowohl nach HGB als auch nach IFRS Bestandteil des Eigenkapitals (§§ 266 Abs. 3 A. II. HGB, 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB bzw. IAS 32.29),460 der auf die Schuldverschreibung entfallende Anteil als Fremdkapital mit einem auf die Umtauschmöglichkeit hinweisenden Vermerk auszuweisen (§ 266 Abs. 3 C. 1. HGB bzw. IAS 32.AG31 Buchst. a).461 Nach HGB gilt Gleiches bei der Ausgabe von Pflichtwandelanleihen.462 Die Wandlungspflicht ist – entsprechend ihrem wirtschaftlichen Gehalt als Terminverkauf (siehe Rz. 157) – ein schwebendes Geschäft und als solches nicht zu bilanzieren, solange der Umtausch noch nicht vollzogen ist.463 Sie berührt auch nicht die Bilanzierung des Erfüllungsbetrags (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB), der – wie bei herkömmlichen Wandelanleihen – erst mit dem Vollzug des Umtauschs dem gezeichneten Kapital (§ 266 Abs. 3 A. I. HGB) und damit dem Eigenkapital zuzuschreiben ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Parteien zur Kündigung der Anleihe berechtigt sind oder die Anleihebedingungen für den Fall des Zahlungsverzugs oder der Insolvenz des Emittenten anstelle der

458

459

460

461

462

463

612

Schanz, BKR 2011, 410 (414); Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254, 266; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 150. Häuselmann, BB 2003, 1531 (1534); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 228; Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 335, 380; Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 48; vgl. auch Kraft, ZGR 2008, 324 (346). Zur Bilanzierung nach IFRS siehe Clemens in Beck’sches IFRS-Handbuch, § 12 Rz. 15; Förschle/ Kroner in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 272 HGB Rz. 466; Isert/Schaber, DStR 2005, 2050 (2052); Kraft, ZGR 2008, 324 (346); Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 325; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 75. Zur Bilanzierung nach HGB siehe Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 335. Zur Bilanzierung nach IFRS siehe Förschle/Kroner in Beck’sches Bilanz-Handbuch, § 272 HGB Rz. 466; Kraft, ZGR 2008, 324 (347). Zur Bilanzierung nach HGB siehe Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729 (731); Häuselmann, BB 2003, 1531 (1534); Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 253 HGB Rz. 91; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. F Rz. 974. Ein aktiver bzw. passiver Rechnungsabgrenzungsposten ist nur aufzunehmen, wenn die Anleihe unter oder über pari begeben wird. Zu Einzelheiten siehe Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 380; Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 50. Zur Bilanzierung nach IFRS siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 228; Isert/Schaber, BB 2005, 2287 (2288 f.); Kraft, ZGR 2008, 324 (347); Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 326. Zur Bilanzierung nach HGB siehe Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 265; Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729 (732); Häuselmann, BB 2003, 1531 (1534); Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 380; Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 48. Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 380; Schubert in Beck’scher BilanzKommentar, § 253 HGB Rz. 91; a.A. Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729 (740); Häuselmann, BB 2003, 1531 (1534): bis zur Wandlung sei nur die Rückzahlungsverbindlichkeit mit einem Davon-Vermerk nach § 266 Abs. 3 C. 1. HGB zu bilanzieren; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 236; abweichend Bader, AG 2014, 472 (480): die gegen Ausgabe der Pflichtwandelanleihe geleistete Einlage sei in einem eigenen Posten innerhalb des Eigenkapitals (§ 265 Abs. 5 Satz 2 HGB) zu bilanzieren. Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 380; Mihm in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 50; im Ergebnis auch Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 267. Zu dem Prinzip der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte siehe Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. D Rz. 380 ff.

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 157 § 221 AktG

Pflichtwandlung die Rückzahlung des Kapitals an die Anleihegläubiger vorsehen.464 Nur nach IFRS besteht die Möglichkeit, den auf die Schuldverschreibung entfallenden Emissionserlös (IAS 32.31) unter den Voraussetzungen von IAS 32.16, IAS 32.AG27 sogleich als Eigenkapital auszuweisen.465 Hierfür müssen die Anleihebedingungen insbesondere die Anzahl der zu liefernden Aktien unabhängig von der Kursentwicklung festsetzen (IAS 32.16 Buchst. b). b) Rechtsnatur der Wandlungspflicht Die Wandlungspflicht besteht zivilrechtsdogmatisch aus drei Elementen: (1) Bei der Schuldverschreibung wird den Gläubigern ein Umtauschrecht eingeräumt,466 (2) zu dessen Ausübung sie durch einen Vorvertrag verpflichtet werden.467 (3) Für den Vollzug des Aktienerwerbs bedarf es der weiteren Vereinbarung in dem Vorvertrag, die die Gläubiger – je nachdem, ob das Umtauschrecht durch neue Aktien oder bereits existente Aktien bedient werden soll – zum Abschluss eines Zeichnungsvertrags (sog. Zeichnungsvorvertrag) oder einer schuldvertraglichen Verschaffungspflicht verpflichtet.468 Die Vorverträge werden ebenso wie das Umtauschrecht untrennbar mit der Schuldverschreibung wertpapiermäßig verbrieft (siehe Rz. 770), so dass die Wandlungspflicht nicht nur den Erst-, sondern auch sämtlichen Zweiterwerbern obliegt.

156

Pflichtwandelanleihen sind lediglich wirtschaftlich Termingeschäfte in Form eines Terminverkaufs bereits existenter Aktien (sog. forward sale)469 oder eines auf Termin geschlossenen Zeichnungsvertrags. Rechtlich handelt es sich nicht um eine Zeichnung oder einen Verkauf mit hinausgeschobenem Erfüllungszeitpunkt, sondern um einen verbrieften Vorvertrag (siehe Rz. 156), der infolge der Pflichtwandlung einen als Kassageschäft auszuführenden Zeichnungs- bzw. Kaufvertrag entstehen lässt.470 Die verbriefte Wandlungspflicht begründet auch

157

464 Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 49. Weitergehend Häuselmann, BB 2003, 1531 (1532 f.), der den Erfüllungsbetrag auch bei einer Pflichtwandelung im Fall der Insolvenz des Emittenten als Fremdkapital ansieht. 465 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 150. Zu Einzelheiten siehe Isert/Schaber, BB 2005, 2287 (2290); Isert/Schaber, DStR 2005, 2050 (2051); Metz in MünchKomm/BilanzR, 5. Erg.-Lfg. 2014, IAS 32 Rz. 245 ff.; Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 326. 466 So wohl auch Rozijn, ZBB 1998, 77 (81). 467 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 128 ff.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 210; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (266); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54; a.A. Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 229: Put-Option; Rozijn, ZBB 1998, 77 (82): kaufvertragsähnlicher Vertrag mit aufgeschobenem Erfüllungszeitpunkt. 468 Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (115); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (549 f.); Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 46; Rozijn, ZBB 1998, 77 (81); Schlitt/Seiler/ Singhof, AG 2003, 254 (266); a.A. Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 339: Optionsklausel, wodurch die Zeichner auf Termin das Recht erhalten, Aktien bereits vor dem Termin zu zeichnen. 469 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 192 AktG Rz. 25; Häuselmann, BB 2003, 1531 (1533); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 90; Kleidt/Schiereck, BKR 2004, 18, 19; Lenenbach, NZG 2001, 481 (483 ff.); Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 48, 50; Rozijn, ZBB 1998, 77 (84); Schanz, BKR 2011, 410 (414). Nur terminologisch abweichend F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (65): Festgeschäft mit Zeitpunktoption. Inhaltlich abweichend Bader, AG 2014, 472 (478): Kombination aus vorausbezahltem Terminkauf (sog. prepaid forward) und Option. 470 Vgl. Rümker in FS Beusch, 1993, S. 739 (743); F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (85) zu den §§ 50 ff. BörsG. In diese Richtung

Fest

613

§ 221 AktG Rz. 158

Einzelne Instrumente

keinen synthetischen Terminverkauf. Der Schuldner trägt – im Unterschied zu dem Stillhalter einer ungedeckten Option (siehe Rz. 266) – kein terminspezifisches (Beschaffungs-)Risiko. Er muss sich die Aktien nicht am Markt beschaffen, sondern kann seine Verschaffungspflichten mit neuen Aktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.), aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) oder auch einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder mit eigenen Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) erfüllen.471 Im Gegensatz zu einem Stillhalter, dem bei Ausübung einer ungedeckten Option aufgrund der Beschaffungspflicht erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, begründet die Wandlungspflicht für die Gesellschaft sogar den Vorteil, das eingezahlte Kapital nicht zurückzahlen, sondern als Einlage verbuchen zu müssen (siehe Rz. 155).472 Schließlich gewährleisten die §§ 199 Abs. 2, 218 Satz 2, 255 Abs. 2 AktG, dass das gegen Ausgabe der Anleihe eingezahlte Kapital nicht außer Verhältnis zu dem Basiswert steht, so dass Pflichtwandelanleihen auch die eine für Termingeschäfte charakteristische Hebelwirkung (sog. leverage-Effekt) fremd ist.473 158

Von einer Wandlungspflicht (siehe Rz. 156) sind Vereinbarungen in den Anleihebedingungen zu unterscheiden, wonach die Gläubiger am Ende der vereinbarten Laufzeit anstelle der grundsätzlich geschuldeten Rückzahlung des Kapitals Aktien des Emittenten annehmen zu müssen.474 Derart ausgestaltete Anleihen sind mangels einer den Gläubigern obliegenden Verpflichtung zur Abgabe einer Umtauscherklärung keine Pflichtwandelanleihen. Steht die Andienung der Aktien im Ermessen der Gesellschaft, handelt es sich um eine herkömmliche Anleihe – keine Wandelschuldverschreibung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG –, bei der sich die Gesellschaft für die Rückzahlungsverpflichtung eine – nach § 308 Nr. 4 BGB allerdings unwirksame – Ersetzungsbefugnis vorbehalten hat. Soll die Gesellschaft nicht zwischen der Rückzahlung und der Andienung von Aktien wählen können, ist das Instrument eine umgekehrte Wandelanleihe (eingehend dazu Rz. 132 ff.), bei der die Gesellschaft ihre Umtauscherklärung bereits in den Anleihebedingungen, allerdings bedingt nur für den Fall, dass die Anleihe zum Ende der Laufzeit noch ungekündigt besteht, abgegeben hat.475 Motiviert sind diese Gestaltungen wohl dadurch, dass die zivilprozessuale Durchsetzung einer Wandlungspflicht der Anleihegläubiger insbesondere bei börsennotierten Wandelanleihen daran zu scheitern droht, dass die jeweiligen Inhaber der Teilschuldverschreibungen der Gesellschaft unbekannt sind.476 Dem kann allerdings anderweitig, d.h. unter Aufrechterhaltung des Charakters als Pflichtwandelanleihe, abgeholfen werden: Zum einen haben die Schuldner die Möglichkeit, den Gläubigern die Aktien auch ohne deren Umtauscherklärung anzubieten. Eine Ablehnung dieses Angebots durch die Gläubiger widerspräche wohl Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn die Gesellschaft einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch auf Abgabe einer entsprechenden Umtausch- und Zeichnungserklärung hat. Zum anderen können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die Gläubiger – konkret: die Ersterwerber, deren Erklärungen aber für und gegen ihre Sonderrechtsnachfolger wirken – einen Dritten (z.B. die Depotbank, eine

471 472 473 474 475 476

614

wohl auch Rozijn, ZBB 1998, 77 (96), der in der Lieferung der Aktien aber – unzutreffend – nicht die Erfüllung des Zeichnungsvertrags, sondern „eines in der Anleihe verbrieften Rechts“ sieht. Vgl. Rozijn, ZBB 1998, 77 (97 f.) zu §§ 50 ff. BörsG a.F. Vgl. Rozijn, ZBB 1998, 77 (97) zu §§ 50 ff. BörsG a.F. Nur im Ergebnis ebenso Rozijn, ZBB 1998, 77 (98) zu §§ 50 ff. BörsG a.F. Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 11, 52; Madjlessi/Leopold in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 11 Rz. 45, die auch in dieser Gestaltung einer Pflichtwandelanleihe sehen. Ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52: antizipierte Wandlungserklärung. Zu diesem Hindernis siehe Rozijn, ZBB 1998, 77 (82).

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 161 § 221 AktG

mit der Abwicklung betraute Wandlungsstelle) unwiderruflich bevollmächtigen, die Umtausch- und Zeichnungserklärung bei Fälligkeit der Wandlungspflicht abzugeben.477 c) Zulässigkeit Zivilrechtlich bestehen gegen die Vereinbarung einer Wandlungspflicht in dieser Form keine Bedenken. Der Gesetzgeber des BGB hat zwar „mangels zureichenden Bedürfnisses“478 auf besondere Vorschriften für Vorverträge verzichtet, ohne dadurch aber die von der Privatautonomie gewährleistete Abschluss- und Ausgestaltungsfreiheit einschränken zu wollen.479

159

Die Vereinbarung einer Wandlungspflicht ist auch aktienrechtlich zulässig.480 Insbesondere 160 die Erweiterung des Wortlauts des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG um sog. umgekehrte Wandelanleihen im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) impliziert kein Verbot anderer Gestaltungsformen, insbesondere von Pflichtwandelanleihen.481 Im Gegenteil: In den Materialien wurde wiederholt klargestellt, dass mit der Änderung des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG keine Aussage über die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit anderer Anleihegestaltungen getroffen werden sollte.482 Der Vereinbarung einer Wandlungspflicht steht das Zinsverbot des § 57 Abs. 2 AktG nicht entgegen.483 Die Zinszahlung erfolgt nicht an Aktionäre, sondern an die Inhaber der Wandelanleihe in ihrer Eigenschaft als Gläubiger der Gesellschaft. Bereits mit dem Zugang der Umtauscherklärung steht der Zinszahlungspflicht eine nicht urkundliche Einwendung entgegen (siehe Rz. 83), so dass die Gesellschaft zu Zinszahlungen nicht mehr verpflichtet ist. Die Mitgliedschaft entsteht hingegen – wie bei herkömmlichen Wandelanleihen (siehe Rz. 117 ff.) – erst mit dem Vollzug des Umtauschs. Die Wandlungspflicht begründet auch kein Anwartschaftsrecht der Anleihegläubiger auf Aktien,484 das es gebieten könnte, § 57 Abs. 2 AktG entsprechend anzuwenden. Die Wandlungspflicht gewährt der Gesellschaft lediglich einen Anspruch auf die Abgabe der Umtausch- und Zeichnungserklärung durch die Gläubiger, bewirkt aber – im Vergleich mit herkömmlichen Wandelanleihen – keine effektivere Sicherung der Umtauschrechte. Die Gesellschaft kann den Aktienerwerb auch bei der Absicherung des Umtauschs durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) durch eine zweck- und rechtswidrige, aber wirksame Verwendung der neuen Aktien vereiteln (siehe Rz. 68).485 Das Verbot des § 57 Abs. 2 AktG betrifft zwar nicht nur Auszahlungen an ge477 Bader, AG 2014, 472 (478); Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (54 mit Fn. 46); Groß in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 7; Nodoushani, ZBB 2011, 143 (147); Rozijn, ZBB 1998, 77 (82); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 63 Rz. 54; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 27a. Ähnlich Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 78, der aber davon ausgeht, dass die Vollmacht nur alternativ zu dem Vorvertrag erteilt werden kann. 478 Motive I S. 178. 479 Statt vieler Busche in MünchKomm/BGB, Vor § 145 BGB Rz. 60. 480 Bader, AG 2014, 472 (478); Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 229; Rozijn, ZBB 1998, 77 (91); Schanz, BKR 2011, 410 (414); Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (266); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 148. 481 Götze/Nartowska, NZG 2015, 298 (304); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151. 482 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E; BR-Drucks. 22/15, 27 zu § 192 AktG-E; BT-Drucks. 17/14214, 18 zu § 221 AktG-E. 483 Habersack in MünchKomm/AktG, § 221 AktG Rz. 52; Rozijn, ZBB 1998, 77 (85 ff.); wohl auch Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 229. 484 Rozijn, ZBB 1998, 77 (86); vgl. auch BGH v. 29.7.2014 – II ZR 353/12, BGHZ 202, 180 (199 f. Rz. 55) = AG 2014, 662 = NZG 2014, 985: kein dingliches Erwerbsrecht. 485 Rozijn, ZBB 1998, 77 (85).

Fest

615

161

§ 221 AktG Rz. 162

Einzelne Instrumente

genwärtige Aktionäre, sondern auch vorweggenommene Zinszahlungen, wenn zwischen deren Leistung und der zukünftigen Aktionärsstellung ein enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht oder die Zuwendung sonst mit Rücksicht auf die zukünftige Aktionärsstellung erfolgt.486 Die Tatsache, dass Pflichtwandelanleihen in der Regel höhere Zinszahlungen487 als herkömmliche Wandelanleihen vorsehen,488 hat ihren Grund aber nicht in der eventuellen zukünftigen Aktionärsstellung. Der erhöhte Zinssatz zielt nicht auf eine – im Lichte von § 57 Abs. 2 AktG unzulässige – Vorfinanzierung des späteren Aktienerwerbs, sondern ist die marktübliche Gegenleistung dafür, dass die Gläubiger von Pflichtwandelanleihen – im Unterschied zu den Gläubigern herkömmlicher Wandelanleihen – die Sicherheit (sog. bond floor) aufgeben, bei einer für sie ungünstigen Entwicklung des Aktienkurses bzw. -wertes die Rückzahlung des Kapitals verlangen zu können.489 162

Die Vorschrift des § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AktG steht auch der Ausgabe mittel- und langfristiger Pflichtwandelanleihen nicht entgegen.490 Sie sieht zum Schutz der Zeichner vor einer unangemessen langen Bindung an den Zeichnungsvertrag491 vor, dass der Zeichnungsschein eine auflösende Bedingung enthalten muss.492 Dies gilt zwar nicht nur für den Zeichnungsvertrag selbst, sondern auch – um den Zeichnern die Gefahren der Zeichnung bewusst zu machen – für einen Zeichnungsvorvertrag.493 Bei Pflichtwandelanleihen ist aber auch eine mehrjährige Bindung an den Zeichnungsvorvertrag nicht unangemessen. Zum einen besteht für die Anleihegläubiger keine Ungewissheit darüber, ob die Kapitalerhöhung erfolgt.494 Zum anderen haben sie – im Unterschied zu einem herkömmlichen Zeichnungs- bzw. Zeichnungsvorvertrag – aufgrund der Verbriefung ihrer Rechtsposition die Möglichkeit, sich durch die Veräuße486 BGH v. 13.11.2007 – XI ZR 294/07, AG 2008, 120 (121) = NZG 2008, 106; Bayer in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 57 Rz. 111; Canaris in FS Fischer, 1979, S. 31 (32); Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 57 AktG Rz. 28; Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1983, § 57 AktG Rz. 23; Hüffer/Koch, § 57 AktG Rz. 18; Rozijn, ZBB 1998, 77 (86). Wohl nur terminologisch abweichend Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 57 AktG Rz. 119: innerer Zusammenhang. 487 Nach Bader, AG 2014, 472 (478) haben die Kuponzahlungen keinen Zinscharakter; wirtschaftlich entsprächen sie einer Optionsprämie. 488 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (53); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 236; Rozijn, ZBB 1998, 77 (88). Im Tatsächlichen abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 66; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (267); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 152, die davon ausgehen, dass die Wandlungspflicht aus Sicht der Gesellschaft und der Aktionäre nur von Vorteil sei. Dieser Folgerung bereits deshalb zu widersprechen, weil bereits die Ankündigung der Ausgabe einer Pflichtwandelanleihe in der Regel zu erheblichen Kursverlusten der Aktien der Emissionsgesellschaft führt, siehe Kleidt/Schiereck, BKR 2004, 18 (20); Schanz, BKR 2011, 410 (414). 489 Rozijn, ZBB 1998, 77 (88). 490 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 210; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54. 491 Die Bindung an die Zeichnungserklärung bestimmt sich nach den §§ 145 ff. BGB, siehe Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 185 AktG Rz. 42; Lutter in FS Schilling, 1973, S. 207 (217). 492 OLG Hamm v. 19.3.1979 – 8 U 151/78, AG 1981, 53; Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 14; Leßmann, DB 2006, 1256 (1258); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 185 AktG Rz. 42; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 22. Nur unwesentlich abweichend Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 185 AktG Rz. 25: Zeitbestimmung mit einer auflösenden Rechtsbedingung. 493 Blaurock in FS Ritter, 1991, S. 33 (47 f.); Hergeth/Eberl, NZG 2003, 205 (208); Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 31; Leßmann, DB 2006, 1256 (1257); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 177, § 64 Rz. 54 mit Fn. 118; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 185 AktG Rz. 45; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 185 AktG Rz. 29; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 81. 494 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54.

616

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 164 § 221 AktG

rung der Anleihe am Sekundärmarkt auch ihrer Verpflichtung aus dem Vorvertrag zu entledigen (siehe Rz. 156). d) Ausgestaltung der Wandlungspflicht Bei Pflichtwandelanleihen gestalten die Anleihebedingungen sämtliche Elemente der Wandlungspflicht aus, namentlich die Rechte und Pflichten des Anleiheschuldners und der Gläubiger aus der Schuldverschreibung, das Umtauschrecht sowie den Zeichnungsvorvertrag (siehe Rz. 156). Die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Emittenten ist in erster Linie durch die §§ 307 ff. BGB begrenzt. Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind aber – wie bei herkömmlichen und umgekehrten Wandelanleihen (siehe Rz. 75 ff., 138) – durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) die Bestimmungen entzogen, die die Art der zu erwerbenden Aktien, das Umtauschverhältnis, den Umtauschpreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs unmittelbar ausgestalten.495 Kontrollfähig sind hingegen z.B. Bestimmungen, die das Umtauschverhältnis nachträglich verändern, z.B. durch die Absenkung des Umtauschpreises bei Dividendenzahlungen und sonstigen Ausschüttungen an die Aktionäre.496 Sollen die Instrumente auf das zusätzliche Kernkapital (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013) von Kreditinstituten (Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013) oder Wertpapierfirmen (Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 Verordnung (EU) Nr. 575/2013) angerechnet werden, sind bei der Ausgestaltung des Umtauschverhältnisses die Anforderungen des Art. 54 Abs. 1 Buchst. c Verordnung (EU) Nr. 575/2013 zu beachten (siehe Rz. 191).

163

Auf den Zeichnungsvorvertrag ist § 185 Abs. 2 AktG entsprechend anzuwenden.497 Danach muss bereits der Zeichnungsvorvertrag – nur auf diese Weise wird die Vollstreckbarkeit der Verpflichtung (§ 894 Satz 1 ZPO) gewährleistet498 – sämtliche Angaben enthalten, die auch der Zeichnungsschein (§ 185 Abs. 1 Satz 1 AktG) enthalten muss. Hierzu muss der Zeichnungsvorvertrag mindestens die zukünftige Beteiligung nach Zahl und Aktiengattung, bei Nennbetragsaktien auch den Nennbetrag, erkennen lassen499 sowie die nach § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG erforderlichen Angaben enthalten,500 wobei § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 AktG – im Unterschied zu herkömmlichen Zeichnungsvorverträgen – keine kurzen Laufzeiten gebietet (siehe Rz. 162). Lediglich Angaben nach § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AktG sind entbehrlich.501

164

495 Enger Rozijn, ZBB 1998, 77 (94): nur Verzinsung, Umtauschverhältnis und eventuell zahlbare Umtauschprämie. 496 Zu diesen Bestimmungen siehe Bader, AG 2014, 472 (479). 497 OLG Frankfurt v. 4.4.2001 – 9 U 173/00, NZG 2001, 758; OLG Koblenz v. 31.10.2001 – 1 U 1077/00, BeckRS 2001, 30216092 unter 3. der Entscheidungsgründe; Hergeth/Eberl, NZG 2003, 205 (208); Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 31; Leßmann, DB 2006, 1256 (1257); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 185 AktG Rz. 7; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 185 AktG Rz. 45; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 185 AktG Rz. 29; kritisch Servatius in Spindler/Stilz, § 185 AktG Rz. 53 f. 498 OLG Frankfurt v. 4.4.2001 – 9 U 173/00, NZG 2001, 758; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 81; vgl. auch RG v. 13.12.1935 – II 161/35, RGZ 149, 385 (395) zu § 55 Abs. 1 GmbHG a.F. 499 Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 31. 500 Blaurock in FS Ritter, 1991, 33 (45); Hergeth/Eberl, NZG 2003, 205 (207 f.); Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 31; Leßmann, DB 2006, 1256 (1257 f.); Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 185 AktG Rz. 15; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 185 AktG Rz. 7; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 185 AktG Rz. 45; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 185 AktG Rz. 29; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 81. 501 Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 31; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 185 AktG Rz. 45; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 185 AktG Rz. 29.

Fest

617

§ 221 AktG Rz. 165

Einzelne Instrumente

165

Die nähere Ausgestaltung der Wandlungspflicht in dem Vorvertrag (siehe Rz. 163) kann sich darauf beschränken, die Gläubiger zu der Ausübung des Umtauschrechts und zu dem Abschluss des Zeichnungs- bzw. Kaufvertrags zu verpflichten.502 Bei dieser Gestaltung erlangt die Gesellschaft nur einen Anspruch darauf, dass das Umtauschrecht ausgeübt und eine Zeichnungserklärung bzw. ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags abgegeben wird. Den Zeitpunkt des Umtauschs können die Gläubiger – innerhalb des vertraglich vereinbarten Zeitraums oder, wenn ein solcher nicht bestimmt ist, innerhalb der Laufzeit der Anleihe – nach ihrem Ermessen bestimmen.503 Alternativ kann die Gesellschaft in den Anleihebedingungen auch den Zeitpunkt des Umtauschs – in der Regel das Ende der vereinbarten Laufzeit der Anleihe504 – bestimmen.

166

Nicht selten sehen die Anleihebedingungen Ausnahmen von der Wandlungspflicht vor.505 Verbreitet ist z.B. die Bestimmung, dass die Wandlungspflicht bei Zahlungsverzug oder Insolvenz des Anleiheschuldners entfällt, der Schuldner also zu der Rückzahlung des eingezahlten Kapitals verpflichtet bleibt.506 Die Wandlungspflicht entfällt auch dann, wenn die Anleihe vor dem Umtausch gekündigt wird, ohne dass es hierfür einer Bestimmung in den Anleihebedingungen bedarf. e) Mitwirkung der Hauptversammlung

167

Pflichtwandelanleihen sind Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG507 und dürfen daher – wie herkömmliche Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff.) – nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.).508 Die Hauptversammlung kann der Ausgabe einer konkreten umgekehrten Wandelanleihe zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder dem Vorstand nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) eine Ermächtigung zur Ausgabe umgekehrter Wandelanleihen erteilen.509 Einer entsprechenden Anwendung von § 221 AktG bedarf es hierfür nicht,510 da die durch den Vorvertrag begründete Wandlungspflicht ein Umtauschrecht der Gläubiger voraussetzt,511 Pflichtwandelanleihen also sämtliche Bestandteile herkömmlicher Wandelanleihen aufweisen.

502 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 65. 503 Rozijn, ZBB 1998, 77 (81); Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (266); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151. 504 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (145); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 63. 505 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 192 AktG Rz. 25; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151. 506 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151. 507 Mihm in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 15 Rz. 46. 508 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (26); Bader, AG 2014, 472 (478); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 8; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 210; Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 78; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (77). A.A. Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 mit Fn. 2. 509 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550). 510 So aber OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (135 Rz. 132); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 24, 52: am Schutzzweck orientierte Auslegung des § 221 AktG gebiete entsprechende Anwendung. 511 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 63 Rz. 54.

618

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 169 § 221 AktG

Sieht der Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) die Ausgabe einer Pflichtwandelanleihe ausdrücklich vor, ist der Vorstand bei der Ausgestaltung der Anleihebedingungen an diese Vorgabe gebunden, insbesondere an der Ausgabe einer herkömmlichen Wandelanleihe ohne Wandlungspflicht gehindert. Fehlt eine entsprechende Einschränkung, sieht der Ermächtigungsbeschluss also nur allgemein die Ausgabe einer Wandelanleihe oder einer Wandelschuldverschreibung vor, genügt auch dies als Mindestinhalt in Bezug auf die Art des Finanzinstruments (siehe Rz. 511, 530). Dem Vorstand verbleibt der Ermessensspielraum zu entscheiden, ob die Wandelanleihe mit oder ohne Wandlungspflicht ausgegeben wird. Zwar hat die Bestimmung einer Wandlungspflicht regelmäßig zur Folge, dass die Gesellschaft – als Ausgleich dafür, dass die Gläubiger die Sicherheit aufgeben, bei einer für sie ungünstigen Entwicklung des Aktienkurses bzw. -wertes die Rückzahlung des Kapitals verlangen zu können – höhere Zinsen zahlen muss als bei einer herkömmlichen Wandelanleihe. Die Ausgestaltungsfreiheit des Vorstands ist aber nicht durch die (nachteiligen) ökonomischen Auswirkungen, sondern – in Ermangelung weitergehender Vorgaben – nur durch die Art des Finanzinstruments begrenzt. Ob Pflichtwandelanleihen zu derselben Art von Finanzinstrumenten gehören wie herkömmliche Wandelanleihen, ist – wie bei umgekehrten Wandelanleihen (siehe Rz. 142) – im Lichte des Normzwecks danach zu beurteilen, ob mit ihnen dieselben oder andere Beeinträchtigungen der mitgliedschaftlichen Rechte einhergehen. Der Umstand, ob die Gläubiger das Umtauschrecht freiwillig ausüben oder aufgrund eines Vorvertrags hierzu verpflichtet sind, hat – insbesondere bei einer für sie ungünstigen Entwicklung des Aktienkurses bzw. -wertes Einfluss darauf, ob der Umtausch überhaupt stattfindet. Ist das Umtauschrecht aber ausgeübt worden, ist es sowohl für die den (Alt-)Aktionären infolge des Umtauschs drohende (formale) Wertverwässerung ihrer Beteiligungen als auch für die Einbuße an Stimmrechtsmacht ohne Bedeutung, ob die Gläubiger das Umtauschrecht freiwillig oder aufgrund einer Verpflichtung dazu ausgeübt haben. Daher hindert eine allgemein formulierte Ermächtigung zur Ausgabe von Wandelanleihen oder -schuldverschreibungen den Vorstand an der Ausgabe von Pflichtwandelanleihen nicht.512

168

f) Bezugsrecht der Aktionäre Pflichtwandelanleihen sind Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (siehe Rz. 167) und als solche Gegenstand des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.513 Geht man – entgegen der hier vertretenen Ansicht (siehe Rz. 167) – davon aus, dass Pflichtwandelanleihen dem direkten Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG nicht unterfallen, ist jedenfalls im Lichte des Normzwecks (siehe Rz. 1, 565) sowie der Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/EU/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG geboten.514 Das Bezugsrecht kann nach Maßgabe des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 512 Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 178 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); Oulds, CFL 2013, 213 (217); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 63 Rz. 54; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 66; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (267); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 152; wohl auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (68 f.); a.A. Schröer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 6 Rz. 59; Schröer in Semler/Volhard/Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, § 23 Rz. 32. 513 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (26); Bader, AG 2014, 472 (478); Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (77). 514 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (135 Rz. 132); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52.

Fest

619

169

§ 221 AktG Rz. 170

Einzelne Instrumente

AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). g) Obligatorische Umtauscherklärung und Rechtsfolgen 170

Die obligatorische Umtauscherklärung der Gläubiger ist – wie die freiwillige Umtauscherklärung bei herkömmlichen Wandelanleihen (siehe Rz. 81) – eine empfangsbedürftige Willenserklärung, auf deren Abgabe die Gesellschaft aufgrund der Vorverträge einen Anspruch hat (siehe Rz. 156). Ihr Inhalt und ihre Wirkungen unterscheiden sich nicht von denen einer freiwilligen Umtauscherklärung: Zum einen ist sie die Gestaltungserklärung, mit der die Gläubiger ihr Umtauschrecht (siehe Rz. 73) ausüben. Als solche begründet sie eine nicht urkundliche Einwendung gegen die in der Schuldverschreibung verbrieften Zahlungspflichten der Gesellschaft (siehe Rz. 83). Zum anderen wirkt sie – wenn die Umtauschrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert sind – gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 192 Abs. 5 AktG wie eine Zeichnungserklärung, d.h. als Angebot auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags oder – wenn die Gesellschaft bereits in den Anleihebedingungen ein bedingtes Angebot auf den Abschluss des Zeichnungsvertrags abgegeben hat – als Annahme. Gleiches gilt aufgrund einer Auslegung der Umtauscherklärung (§§ 133, 157 BGB), wenn die Umtauschrechte durch neue Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) abgesichert sind. Bedient die Gesellschaft die Umtauschrechte durch eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.), tritt an die Stelle des Zeichnungsvertrags ein Kaufvertrag über die eigenen Aktien (siehe Rz. 137). h) Absicherung der Umtauschrechte

171

Die Umtauschrechte aus Pflichtwandelanleihen können – wie die Umtauschrechte aus herkömmlichen Wandelanleihen – durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.), eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.), eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) und in direkter Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden.515 Auf die Einlage findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG bei einer Absicherung des Umtauschrechts durch eine bedingte Kapitalerhöhung direkte Anwendung;516 bei einer Absicherung des Umtauschrechts durch genehmigtes Kapital oder eine ordentliche Kapital515 BT-Drucks. 17/8989, 17 zu § 192 AktG-E; Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (27 f.); Busch in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 44 Rz. 7; von Dryander/Niggemann in Hölters, § 192 AktG Rz. 25; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 7; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 213; Rozijn, ZBB 1998, 78 (91); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt in Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 65; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (266); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54; Schröer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 6 Rz. 58; Schröer in Semler/Volhard/ Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, § 23 Rz. 65; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151; a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550): entsprechende Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG. Die Möglichkeit einer bedingten Kapitalerhöhung zur Absicherung von Optionsanleihen mit Bezugspflicht wird von Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 84 abgelehnt. 516 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (28); Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 231; Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 231; Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 188; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (550); Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (266); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54; einschränkend Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151: nur wenn die Anleihebedingungen für bestimmte Fallkonstellationen die Rückzahlung des Kapitals vorsehen.

620

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 174 § 221 AktG

erhöhung ist die Vorschrift entsprechend anzuwenden. Insoweit anders zu entscheiden als bei herkömmlichen Wandelanleihen (siehe Rz. 131) und umgekehrten Wandelanleihen besteht kein Grund. i) Insolvenz des Emittenten Wird vor dem Ende der Laufzeit der (ungekündigten) Pflichtwandelanleihe das Insolvenzver- 172 fahren über das Vermögen des Anleiheschuldners eröffnet, wird die Anwendung von § 104 Abs. 2, 3 InsO häufig dadurch ausgeschlossen, dass die Anleihebedingungen die Wandlungspflicht für diesen Fall aufheben und den Schuldner ausnahmsweise zur Rückzahlung des eingezahlten Kapitals verpflichten (siehe Rz. 166). In diesem Fall gelten sämtliche nicht fälligen Forderungen (Rückzahlung, Zinsen) als fällig, § 41 Abs. 1 InsO. Die Zahlung der Zinsen, die bereits in der Vergangenheit fällig geworden, aber noch nicht gezahlt worden sind, kann der Insolvenzverwalter nicht unter Hinweis auf § 103 InsO verweigern.517 Da die Anleihe kein Darlehen, sondern ein abstraktes Schuldversprechen verbrieft (siehe Rz. 773), beruht sie nicht auf einem gegenseitigen Vertrag. Besteht somit kein Wahlrecht des Insolvenzverwalters, sind auch insolvenzabhängige Lösungsklauseln nicht gemäß § 119 InsO unwirksam.518 Der Rang der Zins- und Rückzahlungsansprüche beurteilt sich insbesondere danach, ob die Anleihebedingungen eine Nachrangvereinbarung enthalten. Sehen die Anleihebedingungen für den Fall der Insolvenz des Anleiheschuldners keine Ausnahme von der Wandlungspflicht vor, erlischt diese – Gleiches gilt für das Umtauschrecht – auch durch einen Insolvenzplan nicht.519 4. Bedingte Pflichtwandelanleihen (soft mandatory convertible bonds) Von unbedingten Pflichtwandelanleihen (eingehend dazu Rz. 153 ff.), bei denen der Um- 173 tausch von Anfang an gewiss und nur zeitlich auf das Ende der Laufzeit der Anleihe aufgeschoben ist, unterscheiden sich bedingte Pflichtwandelanleihen dadurch, dass der Umtausch von dem Eintritt eines gesetzlich bestimmten oder in den Anleihebedingungen festgelegten Auslöseereignisses (sog. trigger events) abhängig und damit ungewiss ist. Für den Fall, dass ein Auslöseereignis eintritt, müssen die Anleihebedingungen eine Wandlungspflicht der Gesellschaft vorsehen (siehe Rz. 183). Von dieser Gestaltung sind umgekehrte Wandelanleihen zu unterscheiden, deren Anleihebedingungen zwar gleichfalls Auslöseereignisse bestimmen, aber keine Wandlungspflicht der Gesellschaft vorsehen, sondern der Gesellschaft lediglich ein Umtauschrecht – auch als Aktienrückzahlungsoption (sog. net share settlement) bezeichnet520 – einräumen, über dessen Ausübung sie bei Eintritt eines Auslöseereignisses nach ihrem Ermessen entscheiden kann.521 Keine Wandlungspflicht besteht bei sog. write down bonds und write off bonds. Hierbei handelt es sich um „auf Vorrat“ geschaffene Sanierungsinstrumente,522 bei denen die Anleihegläubiger – je nach Ausgestaltung der Anleihebedingungen – anteilig oder vollständig auf ihre (Rück-)Zahlungsansprüche verzichten. Der Verzicht kommt in der Regel dadurch zu517 Im Ergebnis ebenso Schanz, CFL 2012, 26 (27); Haas/Mock in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, § 93 Rz. 50. 518 A.A. Bader, AG 2014, 472 (479), der wohl die Anwendung von § 103 InsO aufgrund der rechtlichen Einordnung von Pflichtwandelanleihen als Terminkäufen unterstellt. 519 Vgl. Schanz, CFL 2012, 26 (27) zum Wandelungsrecht; siehe auch OLG Stuttgart v. 1.3.1995 – 9 U 175/94, AG 1995, 329 (330) zu § 34 VerglO. 520 Bader, AG 2014, 472 (477); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 150. 521 Diese Anleihen sollten auch nicht deshalb als bedingte Pflichtwandelanleihen bezeichnet werden, weil die Anleihegläubiger für den Fall, dass die Gesellschaft ihr Umtauschrecht ausübt, zu der Annahme des Zeichnungsangebots der Gesellschaft verpflichtet sind, so aber Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (54). 522 Siehe statt vieler Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (112).

Fest

621

174

§ 221 AktG Rz. 175

Einzelne Instrumente

stande, dass die Anleihebedingungen einen Vorvertrag enthalten, der die Anleihegläubiger verpflichtet, bei Eintritt eines gesetzlich bestimmten oder vertraglich festgelegten Auslöseereignisses dem Abschluss eines Verzichts zuzustimmen. Die Ausgabe dieser Instrumente ist wesentlich durch die bankaufsichtsrechtlichen Eigenmittelvorschriften für das zusätzliche Kernkapital (Art. 52 Abs. 1 Buchst. n, Art. 54 Verordnung (EU) Nr. 575/2013, Art. 22 DVO (EU) Nr. 241/2014)523 sowie die versicherungsaufsichtsrechtlichen Solvabilitätsanforderungen für Eigenmittelbestandteile der Qualitätsklasse 1 (§ 92 Abs. 1, § 91 Abs. 2-4, 5 Satz 2 VAG i.V.m. Art. 71 Abs. 1 Buchst. e Nr. i, Abs. 8 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) motiviert. Entsprechend beschränkt sich der Kreis der Emittenten bislang auf Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie Versicherungsunternehmen. Von bedingten Wandelanleihen unterscheiden sich Write-down- und Write-off-Instrumente dadurch, dass keine Umwandlung der Instrumente in Aktien stattfindet.524 Sie sind folglich keine Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG525 und können – wenn es sich nicht um Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG handelt (eingehend dazu Rz. 329 ff.) – vom Vorstand ohne Mitwirkung der Hauptversammlung ausgegeben werden. Ein Bezugsrecht der Aktionäre auf diese Instrumente besteht nicht. a) Wirtschaftliche Vorteile 175

Für Gesellschaften, die nach IFRS bilanzieren, bieten bedingte Pflichtwandelanleihen den Vorteil, dass das gegen ihre Ausgabe eingezahlte Kapital unter den Voraussetzungen von IAS 32.16, IAS 32.AG27 bereits ab der Einzahlung und nicht erst ab dem Umtausch als Eigenkapital ausgewiesen werden darf (eingehend dazu Rz. 155).

176

Wirtschaftlich handelt es sich bei bedingten Pflichtwandelanleihen – wie bei umgekehrten Wandelanleihen (siehe Rz. 134) – um Debt-Equity-Swaps auf Vorrat, die eine erforderlich werdende Sanierung des Emittenten erleichtern sollen.526

177

Besonders attraktiv ist die Ausgabe bedingter Pflichtwandelanleihen für Kredit- und Finanzdienstleistungsunternehmen – seien es CRR-Kreditinstitute (§ 1 Abs. 3d Satz 1 KWG) oder CRR-Wertpapierfirmen (§ 1 Abs. 3d Satz 2 KWG), die den Vorgaben der Art. 25 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 unmittelbar unterliegen, seien es sonstige Kreditinstitute i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG oder sonstige Finanzdienstleistungsinstitute i.S.d. § 1 Abs. 1a Satz 1 KWG, auf die die Vorgaben der Art. 25 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 so anzuwenden sind, als wären sie CRR-Kreditinstite bzw. CRR-Wertpapierfirmen – sowie Versicherungsunternehmen, die den Solvabilitätsanforderungen der §§ 89 ff. VAG unterliegen. Bei ihnen zählt das gegen Ausgabe der Anleihen eingezahlte Kapital nämlich zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln – konkret: zu dem zusätzlichen Kernkapital (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013) bzw. zu den Eigenmittelbestandteilen der Qualitätsklasse 1 (§ 92 Abs. 1, § 91 Abs. 2-4, 5 Satz 2 VAG i.V.m. Art. 69 Buchst. a, Art. 71 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) – wenn die Anleihebedingungen der Instrumente die aufsichtsrechtlichen Vorgaben erfül523 Zu Einzelheiten der aufsichtsrechtlichen Vorgaben siehe Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/ Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 47 ff. 524 Daher sind write down bonds und write off bonds insbesondere keine Ausgestaltungsvariante von contingent convertible bonds, so aber z.B. Karl in Möslein, Finanzinnovation und Rechtsordnung, 2014, S. 304 (308); Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (112). 525 Sie sollten daher auch in der englischen Terminologie von convertible bonds unterschieden werden. Unglücklich daher Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (112): auch Instrumente mit Write-Down Mechanismus seien CoCo-Bonds. 526 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52; Lux, Die Dogmatik des Umtausches von Wandelanleihen in Aktien, 2014, S. 64 ff.; Möhlenkamp/Harder, ZIP 2016, 1093 (1095); Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (112); ähnlich Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 (310, 311).

622

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 180 § 221 AktG

len.527 Hierzu sind nach Art. 52 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und Art. 71 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 insbesondere folgende Bestimmungen erforderlich: Aufgrund der Vorgabe, dass das Instrument zeitlich unbefristet sein muss (Art. 52 Abs. 1 Buchst. g Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 1 Buchst. f Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35), können die Anleihebedingungen keine Wandlungspflicht für das Ende der Laufzeit vorsehen. Stattdessen müssen sie regeln, dass die Instrumente bei Eintritt eines gesetzlich definierten Auslöseereignisses (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a Nr. i Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 8 Unterabs. 1, 2 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) – daneben können die Anleihebedingungen ein oder mehrere weitere Auslösereignisse festlegen (Art. 54 Buchst. b Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 8 Unterabs. 3 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) – automatisch nach Maßgabe des in den Anleihebedingungen zu bestimmenden Umtauschverhältnisses (Art. 54 Buchst. c Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 6 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) in ein Instrument des harten Kernkapitals bzw. ein Basiseigenmittelbestandteil gemäß Art. 69 Buchst. a Nr. i oder Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 umgewandelt werden. Da der Umtausch aufgrund der gesetzlich definierten Auslöseereignisse (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a Nr. i Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 8 Unterabs. 1, 2 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) in den Anleihebedingungen auch in zeitlicher Hinsicht (z.B. durch Ausschlusszeiträume, siehe Rz. 77) nicht eingeschränkt werden darf, werden diese Instrumente auch als contingent convertible bonds (kurz: CoCo-Bonds) bezeichnet.528

178

Die Wandlungspflicht ist kein Tilgungsanreiz für das Institut i.S.d. Art. 52 Abs. 1 Buchst. g Verordnung (EU) Nr. 575/2013529 bzw. Art. 71 Abs. 1 Buchst. i Delegierte Verordnung (EU) 2015/35; sie erzeugt nicht die Erwartung der Rückzahlung des Kapitalinstruments i.S.d. Art. 20 Abs. 1 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 241/2014.

179

Die Instrumente müssen gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. d Verordnung (EU) Nr. 575/2013 gegenüber Instrumenten des Ergänzungskapitals bzw. nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 gegenüber den Ansprüchen sämtlicher Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigter sowie nicht nachrangiger Gläubiger nachrangig sein. Hierfür ist es unschädlich – wie Art. 71 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 für das Versicherungsaufsichtsrecht klarstellt –, wenn die verbrieften Ansprüche gegenüber den in den Art. 69 Buchst. a Nr. i, ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 genannten Bestandteilen gleichrangig oder sogar vorrangig sind. Für das Bankaufsichtsrecht fehlt zwar eine entsprechende Klarstellung; in der Sache kann aber nichts anderes gelten, so dass Bestimmungen, die einen Vorrang gegenüber Instrumenten des harten Kernkapitals und einen Gleichrang mit anderen Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals sichern, den für die

180

527 Zu diesem Motiv siehe Bader, AG 2014, 472 (480); Madjlessi/Leopold in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 11 Rz. 51; Müller-Eising, GWR 2012, 77 (78); Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (106). 528 Die Idee zu contingent convertible bonds geht zurück auf Flannery, No Pain, No Gain? Effecting Market Discipline via „Reverse Convertible Debentures“, Working Paper, University of Florida, 2002 (abrufbar unter: http://bear.warrington.ufl.edu/flannery/No%20Pain,%20No%20Gain.pdf, zuletzt abgerufen am 2.11.2016). Maßgeblich weiterentwickelt wurde der Ansatz von Culp, Journal of Applied Corporate Finance 21 (2009), 17 ff.; Flannery, Stabilizing Large Financial Institutions with Contingent Capital Certificates, Working Paper, University of Florida, 2009 (abrufbar unter: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1485689, zuletzt abgerufen am 2.11.2016). Schließlich wurde er von der Squam Lake Working Group on Financial Regulation aufgegriffen, siehe Squam Lake Working Group on Financial Regulation, An Expedited Resolution Mechanism for Distressed Financial Firms: Regulatory Habrid Securities, Working Paper (abrufbar unter: http://www.squamlakegroup.org/, zuletzt abgerufen am 2.11.2016). 529 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 19. Vgl. auch Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (23) zu Art. 63a Abs. 2 Satz 3 Richtlinie 2006/48/EG.

Fest

623

§ 221 AktG Rz. 181

Einzelne Instrumente

Eigenmittelzugehörigkeit erforderlichen Nachrang gegenüber Instrumenten des Ergänzungskapitals nicht berührt.530 181

Ferner müssen die Anleihebedingungen nach Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. iii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 1 Buchst. N, Abs. 3 Buchst. e, Abs. 4 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 bestimmen, dass die Gesellschaften jederzeit nach eigenem Ermessen berechtigt sind, Ausschüttungen auf die Instrumente für unbefristete Zeit und auf nicht kumulierter Basis ausfallen zu lassen bzw. zu annullieren. Die Erfüllung dieser Anforderung erfordert auch, dass die Anleihebedingungen keinen sog. Dividend Pusher enthalten, Art. 53 Buchst. a Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 4 Buchst. d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35.531

182

Bedingte Pflichtwandelanleihen können – wie Wandel- und Optionsanleihen allgemein (siehe Rz. 205) – auch als Vergütungsbestandteil für Vorstandsmitglieder eingesetzt werden. Die finanziellen Nachteile, die im Fall des Eintritts eines Auslöseereignisse aufgrund der Pflichtwandlung drohen, schaffen einen Anreiz, signifikate finanzielle Risiken zu vermeiden.532 b) Rechtsnatur der bedingten Wandlungspflicht

183

Die bedingte Wandlungspflicht besteht aus zwei Elementen: einem Umtauschrecht der Gesellschaft und der Pflicht, dieses bei Eintritt bestimmter Ereignisse auszuüben. Das Umtauschrecht der Gesellschaft ist – wie bei umgekehrten Wandelanleihen (siehe Rz. 137) – eine vertragliche Ersetzungsbefugnis.533 Sie berechtigt die Gesellschaft, ihr in der Schuldverschreibung verbrieftes Leistungsversprechen, das Kapital zurückzuzahlen, inhaltlich dahingehend zu ändern, dass die Anleihegläubiger anstelle der Geldzahlung (nur) den Abschluss eines Zeichnungsvertrags oder, wenn die infolge des Umtauschs entstehenden Verschaffungspflichten nicht durch neue Aktien, sondern durch eigene Aktien bedient werden sollen, die Verschaffung eigener Aktien verlangen können. Die Wandlungspflicht muss sich die Gesellschaft in den Anleihebedingungen selbst auferlegen534 und ausgestalten (eingehend dazu Rz. 184 ff.). c) Anleihebedingungen, Ausgestaltung der Wandlungspflicht

184

In den Anleihebedingungen gestalten die Emittenten nicht nur die Rechte und Pflichten des Anleiheschuldners und der Gläubiger aus den Teilschuldverschreibungen, sondern auch das Umtauschrecht und die Wandlungspflicht der Gesellschaft aus. Erforderlich ist insbesondere die Festlegung der Auslöseereignisse (trigger events) sowie des Umtauschverhältnisses.535 aa) Auslöseereignisse (trigger events)

185

Ist Emittent der Anleihe ein Kreditinstitut oder ein Finanzdienstleistungsunternehmen und soll das gegen Ausgabe der bedingten Pflichtwandelanleihe eingezahlte Kapital dem zusätzlichen Kernkapital (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013) des Instituts zugerechnet werden, müssen die Anleihebedingungen die Wandlungspflicht zumindest für den Eintritt des sog. contingency event (Art. 52 Abs. 1 Buchst. n i.V.m. Art. 54 Abs. 1 Buchst. a Nr. i Ver530 Vgl. Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (23) zu Art. 63a Abs. 5 Richtlinie 2006/48/EG. 531 Zu Einzelheiten der Anforderungen des Art. 71 Abs. 4 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 siehe EIOPA, Guidelines on classification of own funds (EIOPA-BoS-14/168 EN), Rz. 1.32. 532 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (145, 149). 533 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (54); Müller-Eising, GWR 2012, 77 (78); Müller-Eising, GWR 2010, 591 (592 f.); a.A. Bader, AG 2014, 472 (481): Schuldverschreibung mit Aktienoption. 534 Kritisch zu einer Selbstbindung Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (54). 535 Möhlenkamp/Harder, ZIP 2016, 1093.

624

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 188 § 221 AktG

ordnung (EU) Nr. 575/2013) vorsehen. Gleiches gilt für die von Versicherungsaufsichtsrecht ausgegebenen bedingten Pflichtwandelanleihen, bei denen das eingezahlte Kapital ein Basiseigenmitelbestandteil sein soll, Art. 71 Abs. 1 Buchst. e i.V.m. Abs. 8 Unterabs. 1, 2 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35.536 Die Lebensfähigkeit der Emissionsgesellschaften (viability), d.h. die Fähigkeit zur Kapital- 186 aufnahme,537 ist in der Regel nicht erst bei mit dem Eintritt des contingency events (siehe Rz. 185) gefährdet. Um drohenden Krisen bereits früher entgegenzuwirken, incentiviert das Aufsichtsrecht Kreditinstitute, Finanzdienstleistungs- und Versicherungsunternehmen durch die Eingenmittelanrechnung dazu, in den Anleihebedingungen – alternativ (Art. 54 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 8 UAbs. 2 Buchst. a, c Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) oder kumulativ (Art. 54 Abs. 1 Buchst. b Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 8 Unterabs. 3 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) zu dem contingency event – ein oder mehrere weitere Auslöseereignisse festzulegen. In Betracht kommt – wie Art. 54 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und Art. 71 Abs. 8 Unterabs. 2 Buchts. a, c Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 implizieren – z.B. die Bestimmung von Eigenmittelkennzahlen, die über dem contingency event liegen. Insoweit werden im Grundsatz zwei Gestaltungen unterschieden: Zum einen high-level trigger, die die Wandlung in der Regel während des laufenden Geschäftsbetriebs auslösen und dadurch der Krisenprävention dienen,538 zum anderen low-level trigger, die erst nach dem Eintritt der Krise (z.B. Verluste haben die Rücklagen aufgezehrt und greifen das Grundkapital an)539 die Wandlungspflicht begründen und dafür sorgen, dass die Anleihegläubiger – ähnlich einer umgekehrten Wandelanleihe (siehe Rz. 134) – einen Sanierungsbeitrag leisten.540 Unter Hinweis darauf, dass Kapitalmaßnahmen zu dem nicht dispositiven Kernbereich der 187 Leitungskompetenz des Vorstands gehören (§ 76 Abs. 1 AktG), wird in der Literatur vereinzelt die Möglichkeit verneint, näher zu bestimmende Maßnahmen der Aufsichtsbehörden (z.B. das negative Ergebnis eines Stresstests)541 als Auslöseereignisse festzusetzen.542 Dies erscheint wenig überzeugend. Erforderlich ist lediglich, dass dem Vorstand die Kompetenz verbleibt, den Eintritt des Auslöseereignisses festzustellen. Zu dem Auslöseereignis selbst ist § 76 Abs. 1 AktG keine Aussage zu entnehmen. Weitere mögliche Auslöseereignisse, die nicht nur von regulierten Unternehmen in den Anleihebedingungen festgesetzt werden können, sind u.a. die vorzeitige Kündigung der Anleihe,543 die Nichtausübung eines den Anleihegläubigern zustehenden Umtauschrechts,544 die Änderung des Emittentenratings545 sowie das Erreichen bzw. Unterschreiten einer bestimmten Marktkapitalisierung oder eines bestimmten Aktienkurses.546 Da bedingte Pflichtwandel536 Zu Einzelheiten der Anforderungen des Art. 71 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 8 Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 siehe EIOPA, Guidelines on classification of own funds (EIOPA-BoS-14/168 EN), Rz. 1.33. 537 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 37. 538 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (50 f.); Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 (312). 539 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 37 in Anlehnung an Committee of European Banking Supervision (CEBS), Implementation Guidelines for Hybrid Capital Instruments (10.12.2009), Rz. 110. 540 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (51); Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 (312). 541 Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 (313). 542 Bader, AG 2014, 472 (484); a.A. Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148 f.); wohl auch Schlitt/Brandi/ Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (113). 543 Müller-Eising, GWR 2012, 77 (78). 544 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 27a. 545 Schlitt/Schäfer/Basnage, CFL 2013, 49 (54). 546 Bader, AG 2014, 472 (481); Lux, Die Dogmatik des Umtausches von Wandelanleihen in Aktien, 2014, S. 69; Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148); Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 (312).

Fest

625

188

§ 221 AktG Rz. 189

Einzelne Instrumente

anleihen, deren Anleihebedingungen ausschließlich eines der in dieser Randzahl genannten Auslöseereignisse festlegen, von bedeutenden Agenturen nicht geratet werden,547 werden bedingte Pflichtwandelanleihen gegenwärtig wohl ausschließlich von Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsunternehmenen und Versicherungsunternehmen in der Ausgestaltung als contingent convertible bond (siehe Rz. 177 f.) ausgegeben. 189

Die Feststellung des Auslöseereignisses überantwortet Art. 22 Abs. 1 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 241/2014 ggf. i.V.m. § 1a Abs. 1 bzw. Abs. 2 KWG in erster Linie, d.h. vorbehaltlich einer unabhängigen Überprüfung (Art. 22 Abs. 4 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 241/2014), dem Institut selbst. Nach deutschem Gesellschaftsrecht fällt diese Aufgabe in den Bereich der Leitungskompetenz des Vorstands (§ 76 Abs. 1 AktG).548 Hiermit geht für den Vorstand die aufsichtsrechtliche Verpflichtung zur laufenden Überprüfung der Kennzahlen einher. Diese kann in den Anleihebedingungen nicht eingeschränkt werden; insbesondere die Bestimmung von besonderer Berechnungszeitpunkte (z.B. Quartalsende) wäre unwirksam.549 bb) Umtauschquote und Umtauschverhältnis

190

Für die Einordnung des gegen Ausgabe der bedingten Pflichtwandelanleihe eingezahlten Kapitals als zusätzliches Kernkapital (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013) von Kreditund Finanzdienstleistungsinstituten genügt nach Art. 54 Abs. 4 Buchst. a Verordnung (EU) Nr. 575/2013 auch eine sog. Teilwandlung, bei der die Teilschuldverschreibungen der Anleihe ggf. nur anteilig in Aktien umgewandelt werden. Diese Vorgabe des Bankaufsichtsrechts hindert die Emittenten aber nicht daran, in den Anleihebedingungen einen weitergehenden Umtausch festzusetzen, namentlich zu bestimmen, dass die Teilschuldverschreibungen auch dann mit ihrem gesamten Nennbetrag in Aktien umgetauscht werden, wenn dies zur Wiederherstellung der harten Kernkapitalquote von 5,125 Prozent nicht erforderlich ist.550 Für die Einstufung als Basiseigenmittelbestandteil von Versicherungsunternehmen enthalten die Art. 71 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 keine vergleichbare Regelung.

191

Die Anleihebedingungen müssen das Umtauschverhältnis festlegen.551 Hierbei haben die Emittenten die Wahl zwischen einem modifizierten festen Umtauschverhältnis, bei dem sie die Quote der Umwandlung und eine Obergrenze (cap) für die gestattete Umwandlung festlegen müssen (Art. 54 Abs. 1 Buchst. c Nr. i Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 6 Buchst. a Delegierte Verordnung (EU) 2015/35), und einem begrenzten variablen Umtauschverhältnis, bei dem sie die Spanne bestimmen müssen, innerhalb derer die Pflichtwandelanleihen in Aktien umgetauscht werden sollen (Art. 54 Abs. 1 Buchst. c Nr. ii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 6 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35).552 Die Festlegung des Umtauschverhältnisses wird regelmäßig das Ziel verfolgen, dass die Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals bzw. der Basiseigenmittelbestandteile ab dem Eintritt des Auslöseereignisses das Verlustrisiko pari passu mit den Aktionären teilen. Dies wird dadurch erreicht, dass die maximale Zahl der im Umtauschfall anzudienenden Aktien auf Basis des

547 Siehe z.B. Standard & Poor’s Rating Sevices, Bank Hybrid Capital and Nondeferrable Subordinated Debt Methodology and Assumptions (29.1.2015), Rz. 73. 548 Vorausgesetzt von Bader, AG 2014, 472 (484). 549 EBA Report On the monitoring of Additional Tier 1 (AT1) instruments of EU institutions (7.10.2014), Rz. 42; Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 40. 550 Vgl. Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (52) zu Art. 51 Abs. 4 CRR-E. 551 Rudolph, ZHR 175 (2011), 284 (314). 552 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 42; vgl. auch Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49, 52 zu Art. 51 Buchst. b CRR-E.

626

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 195 § 221 AktG

Marktwertes im Ausgabezeitpunkt festgelegt wird und der Marktwert dem Nominalwert des zusätzlichen Kernkapitals entspricht.553 Weder die Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 noch die Art. 69 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 enthalten keine Vorgaben hinsichtlich des Verwässerungsschutzes für während der Anleihelaufzeit durchgeführte Kapitalmaßnahmen der Emissionsgesellschaft. Für den Bereich des Bankaufsichtsrechts folgert die EBA hieraus, dass der Verwässerungsschutz kein Anliegen des Aufsichtsrechts sei, das Aufsichtsrecht also die Aufnahme von Verwässerungsschutzklauseln nicht gebiete.554 Umgekehrt ist dem Report aber auch nicht die Aussage zu entnehmen, dass Verwässerungsschutzklauseln der Einordnung des Instruments als zusätzliches Kernkapital entgegenstehen.555 Vergleichbares für das Versicherungsaufsichtsrecht anzunehmen, liegt nahe.

192

d) Mitwirkung der Hauptversammlung Bedingte Pflichtwandelanleihen sind – wie unbedingte Pflichtwandelanleihen (siehe Rz. 167) 193 – Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG556 und dürfen daher nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.). Die Hauptversammlung kann der Ausgabe einer konkreten umgekehrten Wandelanleihe zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder dem Vorstand nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) eine Ermächtigung zur Ausgabe umgekehrter Wandelanleihen erteilen.557 Dies gilt unabhängig davon, ob die Verschaffungspflichten durch neue oder eigene Aktien bedient werden sollen.558 Einer entsprechenden Anwendung von § 221 AktG bedarf es hierzu nicht (siehe Rz. 167).559 Sieht der Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) die Ausgabe einer Pflichtwandelanleihe ausdrücklich vor, ist der Vorstand bei der Ausgestaltung der Anleihebedingungen an diese Vorgabe gebunden, insbesondere an der Ausgabe einer herkömmlichen Wandelanleihe ohne Wandlungspflicht gehindert. Fehlt eine entsprechende Einschränkung, sieht der Ermächtigungsbeschluss also nur allgemein die Ausgabe einer Wandelanleihe oder einer Wandelschuldverschreibung vor, genügt auch dies als Mindestinhalt in Bezug auf die Art des Finanzinstruments (siehe Rz. 511, 530). In diesen Fällen kann der Vorstand – ohne Überschreitung seines Gestaltungsspielraums (siehe Rz. 519, 541) – auch entscheiden, eine bedingte Pflichtwandelanleihe auszugeben.

194

e) Bezugsrecht der Aktionäre Bedingte Pflichtwandelanleihen sind Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (siehe Rz. 193) und als solche Gegenstand des gesetzlichen Bezugsrechts der Ak553 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 43. 554 European Banking Authority (EBA), Report on the monitoring of Additional Tier 1 (AT 1) instruments of EU institutions (7.10.2014), Rz. 39. 555 Im Unterschied dazu hatte das Committee of European Banking Supervisors (CEBS), Implementation Guidelines for Hybrid Capital Instruments (10.12.2009), Rz. 135 die Zulässigkeit von Verwässerungsschutzklauseln klargestellt. 556 A.A. Nodoushani, WM 2016, 589 (591): kein Umtauschrecht, sondern Zwangsumtausch bei Eintritt eines trigger event. 557 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52a; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54, 55. Im Ergebnis auch Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 46 aufgrund der Annahme, bedingte Pflichtwandelanleihen in Gestalt von contingent convertible bonds seien Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG. 558 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52a; a.A. Schanz, BKR 2011, 410 (415). 559 A.A. Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (128).

Fest

627

195

§ 221 AktG Rz. 196

Einzelne Instrumente

tionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.560 Geht man – entgegen der hier vertretenen Ansicht (siehe Rz. 193) – davon aus, dass Pflichtwandelanleihen dem direkten Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht unterfallen,561 ist jedenfalls im Lichte des Normzwecks (siehe Rz. 1, 565) sowie der Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/EU/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG geboten.562 Das Bezugsrecht kann nach Maßgabe des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.)563 oder gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). f) Obligatorische Umtauscherklärung und Rechtsfolgen 196

Die obligatorische Umtauscherklärung der Gesellschaft ist – wie ihre freiwillige Umtauscherklärung bei umgekehrten Wandelanleihen (siehe Rz. 144) – eine empfangsbedürftige Willenserklärung, zu deren Abgabe die Gesellschaft aufgrund der in den Anleihebedingungen selbst auferlegten Wandlungspflicht verpflichtet ist (siehe Rz. 183). Ihr Inhalt und ihre Wirkungen unterscheiden sich nicht von denen einer freiwilligen Umtauscherklärung: Zum einen ist sie die Gestaltungserklärung, mit der die Gesellschaft ihr Umtauschrecht (siehe Rz. 183) ausübt. Als solche begründet die Umtauscherklärung eine nicht urkundliche Einwendung gegen die in der Schuldverschreibung verbrieften Zahlungspflichten der Gesellschaft (siehe Rz. 83). Zum anderen ist sie, wenn die Umtauschrechte durch neue Aktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.), einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) bedient werden sollen, das Angebot der Gesellschaft zum Abschluss eines Zeichnungsvertrags, das die Gläubiger nach Maßgabe der Anleihebedingungen annehmen müssen (eingehend dazu Rz. 144). Sollen die Umtauschrechte mit eigenen Aktien bedient werden (eingehend dazu Rz. 112 ff.), tritt deren (Wieder-)Veräußerung (siehe Rz. 121) an die Stelle der Zeichnung. g) Absicherung der Umtauschrechte

197

Die Umtauschrechte aus bedingten Pflichtwandelanleihen können – wie die Umtauschrechte aus umgekehrten Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 132 ff., 145) – nicht nur durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.), eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) abgesichert werden, sondern auch durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.).564 Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsunternehmen, bei 560 Bader, AG 2014, 472 (484); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52a; Möhlenkamp/Harder, ZIP 2016, 1093 (1094); Nodoushani, WM 2016, 589 (593). 561 So wohl Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 46: bedingte Pflichtwandelanleihen in der Gestalt von contingent convertible bonds seien Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG. 562 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (135 Rz. 132); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52. 563 Möhlenkamp/Harder, ZIP 2016, 1093 (1094); Nodoushani, WM 2016, 589 (593). 564 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (27 f.); Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 198 AktG Rz. 22; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 8c; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 52a; Schlitt/Brandi/Schröder/Gemmel/Ernst, CFL 2011, 105 (128); Schlitt/Schäfer/Basnage, CFL 2013, 49 (54); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54, 55; Schröer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 6 Rz. 58; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 27a; vgl. auch Bader, AG 2014, 472 (482); im Ergebnis auch Nodoushani, WM 2016, 589 (592); a.A. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 84.

628

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 199 § 221 AktG

denen die bedingte Pflichtwandelanleihe zu den Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013) zählen soll (eingehend dazu Rz. 177 f.), sind durch Art. 54 Abs. 6 Satz 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 nicht an der Verwendung eines bedingten Kapitals zur Absicherung der Umtauschrechte gehindert. Mit dem Begriff „genehmigtes Stammkapital“ geht keine Beschränkung dahingehend einher, dass die neuen Aktien durch genehmigtes Kapital i.S.d. §§ 202 ff. AktG geschaffen werden müssen. Voraussetzung ist nur, dass der Ausgabe der Aktien im Fall des Umtauschs keine Hindernisse mehr entgegenstehen,565 insbesondere kein Beschluss der Hauptversammlung mehr eingeholt werden muss. Wird die bedingte Pflichtwandelanleihe von einem Institut i.S.d. § 1 Abs. 1b KWG ausgegeben und zählt sie zu dem zusätzlichen Kernkapital (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013), kann die Gesellschaft gemäß § 192 Abs. 3 Satz 4 AktG die bedingte Kapitalerhöhung ausnahmsweise mit einem größeren Umfang als fünfzig Prozent des Nennbetrags des Grundkapitals (§ 192 Abs. 3 Satz 1 AktG) beschließen. Hierdurch sollen den Instituten die Erfüllung der durch die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 verschärften aufsichtsrechtlichen Eigenmittelanforderungen (Art. 92 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013) sowie die Schaffung von zusätzlichem Verlustabsorptionspotential in Form von Bail-in-Instrumenten (Art. 37 Abs. 3 Buchst. d, 43 ff. Richtlinie 2014/59/EU, § 89 Nr. 1 SAG) erleichtert werden.566 Für Versicherungsunternehmen fehlt eine (wünschenswerte) vergleichbare Vorschrift.

198

Auf die Einlage findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG bei einer Absicherung des Umtauschrechts 199 durch eine bedingte Kapitalerhöhung direkte Anwendung.567 Dies liegt bereits deshalb nahe, weil bedingte Pflichtwandelanleihen als Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals (Art. 51 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013) bzw. als Basiseigenmittelbestandteile (Art. 69 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) zeitlich unbefristet sein müssen (Art. 52 Abs. 1 Buchst. g Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 1 Buchst. f Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35), also außerhalb der Insolvenz oder der Liquidation der Emissionsgesellschaft kein Rückzahlungsanspruch der Anleihegläubiger besteht,568 der als Sacheinlage eingebracht werden könnte. Bei einer Absicherung des Umtauschrechts durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) oder eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) ist § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechend anzuwenden (siehe Rz. 131). Insoweit anders zu entscheiden als bei herkömmlichen Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff., 123 ff.) und umgekehrten Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 132 ff., 148 ff.) besteht kein Grund. Gleiches gilt im Hinblick auf die für die Einstufung bedingter Pflichtwandelanleihen als Instrumente des zusätzlichen Kernkapitals bzw. als Basiseigenmittelbestandteile erforderliche Nachrangvereinbarung (Art. 52 Abs. 1 Buchst. d Verordnung

565 BT-Drucks. 18/4349, 27; BR-Drucks. 22/15, 27 jeweils zu § 192 AktG-E. Vgl. auch EIOPA, Guidelines on classification of own funds (EIOPA-BoS-14/168 EN), Rz. 1.35 zu Art. 69 Buchst. b, Art. 71 Abs. 1 Buchst. c Delegierte Verordnung (EU) 2015/35. 566 BT-Drucks. 18/4349, 28 f.; BR-Drucks. 22/15, 29; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 Abs. 3 AktG-E. 567 Apfelbacher/Kopp, CFL 2011, 21 (28); Bader, AG 2014, 472 (483); Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 231; Friel, Wandelanleihen mit Pflichtwandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht, 2000, S. 188; Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (55 f.); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 52; Nodoushani, WM 2016, 589 (593); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 54; einschränkend Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 151: nur wenn die Anleihebedingungen für bestimmte Fallkonstellationen die Rückzahlung des Kapitals vorsehen. 568 Zu den Anforderungen an die zeitlich unbefristete Überlassung siehe Schaber in Luz/Neus/Schaber/ Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 17; vgl. auch Boos in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG/CRR, 5. Aufl. 2016, § 10 KWG Rz. 72 zu § 10 Abs. 2a Satz 1 Nr. 8 KWG a.F.

Fest

629

§ 221 AktG Rz. 200

Einzelne Instrumente

(EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 71 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35); sie steht der Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht entgegen (siehe Rz. 125).569 5. Wandelbare Vorzugsaktien 200

Wandelbare Vorzugsaktien sind im Kern Vorzugsaktien ohne Stimmrecht i.S.d. §§ 139 ff. AktG, bei denen in der Regel den Aktionären570 das Recht eingeräumt ist, die Umwandlung der Vorzugsaktien in Stammaktien verlangen zu können.571 Die Umwandlung der Mitgliedschaft erfolgt in der Regel aufgrund des Eintritts einer auflösenden Bedingung des Vorzugs bzw. mit dem Erreichen des Endtermins im Fall einer auflösenden Befristung.572 Zulässig sind nach überwiegender Ansicht auch Potestativbedingungen, z.B. eine Wandlungserklärung der Aktionäre.573 Im Unterschied zu einem lediglich mit der Vorzugsaktie verbundenen Optionsrecht (eingehend dazu Rz. 276 ff.) gestaltet die auflösende Bedingung das Mitgliedschaftsrecht unmittelbar aus.574 Dies hat zur Folge, dass der Vorzug mit dem Eintritt der Bedingung (z.B. dem Zugang der Wandlungserklärung) entfällt,575 ohne dass es hierfür der Mitwirkung der Hauptversammlung (§ 141 Abs. 1, 4 AktG), der Vorzugsaktionäre (§ 141 Abs. 1, 3 AktG) oder der Stammaktionäre bedarf (§ 179 Abs. 3 AktG).576 Die Umwandlung vollzieht sich – wenn die Aushändigung der Urkunde nicht in den Tatbestand der Bedingung aufgenommen ist577 – ohne Änderung des Inhalts ggf. ausgestellter Aktienurkunden. Zwar müssen die umlaufenden Urkunden zweifelsfrei erkennen lassen, dass es sich um Vorzugsaktien handelt.578 Diese Angabe ist aber – wie die Verbriefung der Mitgliedschaft als solche579 – nur deklaratorisch. Der Austausch der Aktienurkunden vollzieht daher die materiell-rechtlich bereits eingetretene Änderung der Mitgliedschaft nur deklaratorisch nach.580

201

Wandelbare Vorzugsaktien sind keine Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG. Eine entsprechende Anwendung von § 221 AktG ist mangels einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Interessen der bisherigen Stammaktionäre nicht geboten. Die Rechtsfolgen, die bei wandelbaren Vorzugsaktien mit dem Eintritt der auflösenden Bedingung bzw. dem Erreichen des Endtermins im Fall einer Befristung eintreten, unterscheiden sich von denen, die die Ausübung des Umtauschrechts einer Wandelanleihe auslöst, insoweit, als sie keine neue Mitgliedschaft entstehen lassen, sondern lediglich die Aktiengattung der 569 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (56). 570 Nach überwiegender Ansicht kann das Umtauschrecht der Gesellschaft nicht eingeräumt werden, siehe G. Bezzenberger in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 139 AktG Rz. 27; a.A. Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (916, 919); Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 139 AktG Rz. 9. 571 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (916). 572 Die auflösende Bedingung des Vorzugs wird überwiegend für zulässig erachtet, siehe G. Bezzenberger in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 139 AktG Rz. 27; Bormann in Spindler/Stilz, § 139 AktG Rz. 31; Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (917 f.); Hefermehl in G/H/E/K, 1974, § 139 AktG Rz. 8; Holzborn in Bürgers/Körber, § 139 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 139 AktG Rz. 13, § 141 AktG Rz. 11; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 139 AktG Rz. 9; Werner, AG 1971, 69 (70); ablehnend Hirschmann in Hölters, § 139 AktG Rz. 23; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 139 AktG Rz. 5. 573 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (918). 574 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (918). 575 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (918). 576 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (918 f.); Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 139 AktG Rz. 9. 577 Zu dieser Gestaltung siehe Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (921 f.). 578 Brändel in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1992, § 13 AktG Rz. 9; Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (921). 579 Statt vieler Heider in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 10 AktG Rz. 8; Ziemons in K. Schmidt/ Lutter, § 10 AktG Rz. 20. 580 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (921).

630

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 202 § 221 AktG

fortbestehenden Mitgliedschaft ändern.581 Diese Umwandlung ist zwar – vergleichbar der Umwandlung einer Wandelanleihe – geeignet, die relative Stimmrechtsmacht bisheriger Stammaktionäre zu beeinträchtigen. Ihre Interessen sind aber dadurch ausreichend geschützt, dass die Ausgabe (neuer) wandelbarer Vorzugsaktien nur mit Zustimmung der Hauptversammlung erfolgen darf582 und ihnen das gesetzliche Bezugsrecht (§ 186 Abs. 1 AktG) auch auf die wandelbaren Vorzugsaktien zusteht (sog. Mischbezugsrecht).583

III. Optionsanleihen und verwandte Instrumente 1. Optionsanleihen (bonds with warrants) Optionsanleihen – in enger Anlehnung an den Wortlaut des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG gelegentlich auch als Bezugsanleihen bezeichnet584 – sind Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Bezugsrecht auf Aktien (sog. Optionsrecht, warrant, eingehend dazu Rz. 207 f.) eingeräumt wird. Es handelt sich also um ein zusammengesetztes Finanzinstrument, bestehend aus einer Schuldverschreibung und einem Aktienbezugsrecht. Die Schuldverschreibung verbrieft – wie bei Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff.) – das in den Anleihebedingungen im Einzelnen ausgestaltete Leistungsversprechen, in der Regel die vereinbarten Zinsen zu zahlen und das Kapital nach dem Ende der vertraglichen Laufzeit zurückzuzahlen.585 Das Bezugs- bzw. Optionsrecht berechtigt die Gläubiger, innerhalb eines bestimmten Zeitraums (sog. Optionsfrist, siehe Rz. 213) zu einem festgelegten Entgelt (sog. Optionspreis, siehe Rz. 215) eine bestimmte Zahl von Aktien der Emissionsgesellschaft oder – im Fall einer Drittemission (eingehend dazu Rz. 31 ff.) – einer anderen Gesellschaft zu erwerben, und/oder die Gesellschaft, den Erwerb von Aktien durch die Optionsrechtsinhaber zu veranlassen.586 Der wesentliche Unterschied zu Wandelanleihen und dem für sie charakteristischen Umtauschrecht besteht darin, dass der Aktienbezug den Inhalt der Schuldverschreibung grundsätzlich – vorbehaltlich einer sog. Verrechnungsabrede (siehe Rz. 227) – unverändert lässt, die Anleihegläubiger also auch nach der Ausübung des Bezugs- bzw. Optionsrechts die Zahlung von Zinsen sowie die Rückzahlung des Kapitals verlangen können.587 Die Gläubiger einer Optionsanleihe können – im Gegensatz zu den Inhabern einer Wandelanleihe (sie-

581 Vgl. Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (916). 582 Zu Einzelheiten der Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien siehe G. Bezzenberger in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1999, § 139 AktG Rz. 35 ff.; Bormann in Spindler/Stilz, § 139 AktG Rz. 32 ff.; Herrler in Grigoleit, § 139 AktG Rz. 11 f.; Hirschmann in Hölters, § 139 AktG Rz. 21 f.; Holzborn in Bürgers/Körber, § 139 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch, § 139 AktG Rz. 15 f.; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 139 AktG Rz. 5; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 139 AktG Rz. 9. 583 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 24; Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1988, § 186 AktG Rz. 24; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 17; Werner, AG 1971, 69 (73); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 48; Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859 (864 f.); a.A. (sog. Gattungsbezugsrecht) G. Bezzenberger in FS Quack, 1991, S. 153 (161); Frey/Hirte, DB 1989, 2465 (2466 f.); Groß, AG 1993, 449 (453); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 105; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 69; differenzierend Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 7: Gattungsbezugsrecht nur, wenn beide Gattungen im gleichen Verhältnis aufgestockt werden. Offen gelassen von Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 133. 584 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 31. 585 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 31; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 53. 586 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 6, 56; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (530). 587 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 31; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 6; Schanz, BKR 2011, 410 (415).

Fest

631

202

§ 221 AktG Rz. 203

Einzelne Instrumente

he Rz. 70) – den Bezug der Aktien also nicht (nur) alternativ, sondern kumulativ zu den in der Schuldverschreibung verbrieften Leistungen beanspruchen.588 a) Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile 203

Das Bezugsrecht eröffnet den Berechtigten die Chance, kostengünstig Aktien zu erwerben, wenn und sobald der Aktienkurs den Bezugspreis übersteigt. Ist das Optionsrecht als Optionsschein verbrieft und kann dieser von der Schuldverschreibung getrennt werden (siehe Rz. 770), können die Berechtigten den abgetrennten Optionsschein veräußern und auf diese Weise überproportional von dem gestiegenen Aktienkurs profitieren (sog. Hebelwirkung).589 Für diese Spekulation auf steigende Aktienkurse müssen die Inhaber von Optionsanleihen – wie die Gläubiger von Wandelanleihen (siehe Rz. 70) – ihre Sicherheit, Zinsen und Rückzahlung des Kapitals auch bei fallenden Kursen verlangen zu können, nicht aufgeben (downward protection bzw. bond floor).590 Diese Eigenschaften von Optionsanleihen ermöglichen es den Gesellschaften, diese Instrumente regelmäßig mit einem niedrigeren Zinssatz (cupon) – oder zu einem höheren Ausgabepreis – als herkömmliche Schuldverschreibungen auszugeben.591 Die Emission von Optionsanleihen ist daher in der Regel eine günstigere Finanzierungsalternative im Vergleich zu der Fremdkapitalaufnahme durch die Ausgabe herkömmlicher Schuldverschreibungen.592

204

Bei freundlichen Marktprognosen treffen Optionsanleihen regelmäßig auf größere Nachfrage der Investoren als neue Aktien.593 Ursächlich hierfür ist die Hoffnung der Anleger, der Aktienkurs werde den Bezugspreis der Aktien zzgl. des Ausgabepreises der Teilschuldverschreibungen übersteigen. Für die Gesellschaft kommt der Vorteil hinzu, dass sie bei der Ausübung der Bezugsrechte häufig einen höheren Gesamterlös aus der Ausgabe einer Optionsanleihe – 588 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 325; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Fuchs, AG 1995, 433 (442); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 11; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; A. Hueck in Bambach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 4; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 6; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 17, 21, 148, 209; Martens, AG 1989, 69 (70); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6, 53; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 6; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 2. 589 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 85; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 7; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 17; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 17; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 7; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 10. 590 Hemmerling, Aktienrechtliche Probleme bei der Begebung von Optionsschuldverschreibungen ausländischer Tochtergesellschaften, 1991, S. 29; Hüffer/Koch, § 21 AktG Rz. 6; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 15, 17; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 17; Rozijn, ZBB 1998, 77 (78); Schanz, BKR 2011, 410; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 6; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 10. 591 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 325; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 3; Hirte in Großkomm/AktG 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 88; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 4, 7; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 15, 17; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 7; Rozijn, ZBB 1998, 77 (87 f.); Schanz, BKR 2011, 410; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 5; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 44 ff.; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 9; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 34; Zahn/Lemke, BKR 2002, 527 (532); einschränkend Schlede/Kley in Busse von Colbe/Großfeld/Kley/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 1 (5): nur unwesentliche Zinsvorteile. 592 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 5; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 44 f.; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 34. 593 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 5; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 47 f.

632

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 207 § 221 AktG

bestehend aus dem Ausgabepreis der Teilschuldverschreibungen und dem Bezugspreis – als bei einer (hypothetischen) zeitgleichen Ausgabe neuer Aktien erzielt. Optionsanleihen können auch als Vergütungsbestandteil eingesetzt werden. In dieser Funk- 205 tion dürfen isolierte Bezugsrechte auf Aktien (sog. stock options) – seien es Optionsscheine, seien es unverbriefte Optionsrechte – nach den §§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG nur Arbeitnehmern und Mitarbeitern der Geschäftsführung der (Emissions-)Gesellschaft sowie verbundener Unternehmen, nicht aber Mitgliedern des Aufsichtsrats gewährt werden (siehe Rz. 235). Diese Einschränkung gilt nicht nur für isolierte Optionsrechte, sondern auch im direkten Anwendungsbereich des § 221 AktG für Optionsanleihen; dies soll die Anordnung der sinngemäßen Geltung von § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG in § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG zum Ausdruck bringen.594 b) Möglichkeit umgekehrter Optionsanleihen Durch die Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) wurde § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG mit Wirkung vom 31.12.2015595 dahingehend geändert, dass die Definition der Wandelschuldverschreibung seither auch Schuldverschreibungen umfasst, bei denen der Gesellschaft ein Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird (sog. Put-Option). Obgleich sich die Gesetzesbegründung auf umgekehrte Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 132 ff.) konzentriert und sog. umgekehrte Optionsanleihen unerwähnt lässt, kann in Anbetracht des geänderten Gesetzeswortlauts kein Zweifel daran bestehen, dass das Bezugsrecht auf Aktien auch der Gesellschaft eingeräumt werden kann.596 Wie bei Wandelanleihen (siehe Rz. 132) dürfte es – entgegen dem Wortlaut – zulässig sein, eine Optionsanleihe dahingehend auszugestalten, dass das Bezugsrecht auf Aktien sowohl der Gesellschaft als auch den Gläubigern (sog. CallOption) zusteht.

206

c) Rechtsnatur des Optionsrechts Grundlage des Optionsrechts ist ein im bürgerlichen Recht nicht ausdrücklich geregelter Optionsvertrag.597 Bei dessen Ausgestaltung können die Emittenten – sowohl bei einer Callals auch bei einer Put-Option (siehe Rz. 206) – zwischen zwei Gestaltungen wählen:598 594 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (154 f. Rz. 17) = NZG 2009, 986 = AG 2009, 625; BT-Drucks. 15/5092, 25 zu § 221 Abs. 4 AktG-E; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 37; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 132, 161; Habersack, ZGR 2004, 721 (729); Hoffmann-Becking, ZHR 169 (2005), 155 (180); Hüffer/Koch, § 113 AktG Rz. 12, § 221 AktG Rz. 46b; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 20 Rz. 33; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 44; Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rz. 42; a.A. Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 113 AktG Rz. 42 ff.; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 32; differenzierend Gehling, ZIP 2005, 549 (557): Ausgabe von Optionsanleihen an Mitglieder des Aufsichtsrats ist nur unzulässig, wenn die Schuldverschreibung keine wirtschaftliche Bedeutung hat. 595 Art. 1 Nr. 24 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). Zu der Entwicklungsgeschichte des Gesetzes siehe BT-Drucks. 18/4349, S. 13; Götze/Nartowska, NZG 2015, 298 f.; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 7. 596 Vgl. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 298 auf Grundlage des § 221 AktG-E in der Fassung der Aktienrechtsnovelle 2012. 597 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 329; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 31. 598 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 325; Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 mit Fn. 4; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 19 ff.; abweichend Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 151: Ausgetsaltung nur als Vorvertrag möglich, der sich erst mit einem bindenden Zeichnungsangebot zu einem Optionsrecht erstarkt. Für weitere Gestaltungsvarianten siehe Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 119 f.

Fest

633

207

§ 221 AktG Rz. 208

Einzelne Instrumente

(1) Der Optionsvertrag kann – entsprechend dem bürgerlich-rechtlichen Verständnis einer Option599 – den Berechtigten in Form eines Gestaltungsrechts600 die Befugnis einräumen, durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ohne Mitwirkung des anderen Vertragsteils den inhaltlich in den Anleihebedingungen vorgeformten Zeichnungs- bzw. Veräußerungsvertrag – je nach Absicherung des Bezugsrechts (siehe Rz. 221) – herbeizuführen (sog. Festofferte).601 (2) Alternativ kann der Optionsvertrag als Vorvertrag ausgestaltet werden, der den Berechtigten – abhängig von der Absicherung des Bezugsrechts (siehe Rz. 221) – einen Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags (siehe Rz. 117) oder, wenn das Bezugsrecht nicht durch neue Aktien, sondern durch eigene Aktien abgesichert ist (eingehend dazu Rz. 112 ff.), auf Zustimmung zu der Veräußerung eigener Aktien gewährt (siehe Rz. 121).602 Der Vorvertrag ist trotz des Gegenstands des Bezugsrechts – seien es neue Aktien, seien es eigene Aktien – nicht korporations-, sondern schuldrechtlicher Natur.603 Der bilanzielle Ausweis des auf das Optionsrecht entfallenden Teils des Ausgabebetrags der Optionsanleihe (sog. Aufgeld) als Eigenkapital (§§ 266 Abs. 3 A. II., 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB, siehe Rz. 69), steht dem nicht entgegen.604 208

Ist das Bezugsrecht durch neue Aktien abgesichert, ist der Optionsvertrag in der marktüblichen Ausgestaltung als Vorvertrag (siehe Rz. 207) aktienrechtlich ein besonderer Fall des rechtsgeschäftlichen Bezugsrechts i.S.d. § 187 Abs. 1 AktG.605 Von anderen rechtsgeschäftlichen Bezugsrechten unterscheidet er sich dadurch, dass das Bezugsrecht (1) durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert werden kann (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG, siehe Rz. 221) und (2) keine Zusicherung des Aktienbezugs i.S.d. § 187 Abs. 1, 2 AktG darstellt.606 Letzteres ergibt sich daraus, dass § 221 AktG lex specialis gegenüber § 187 AktG ist (siehe Rz. 85); an die Stelle des vorrangigen gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre auf neue Aktien (§ 186 AktG) tritt ihr Bezugsrecht auf die Optionsanleihen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff., 565).607

599 Busche in MünchKomm/BGB, Vor § 145 BGB Rz. 70; Georgiades in FS Larenz, 1973, S. 409 ff.; W. Lorenz in FS Dölle, Bd. I, 1963, S. 103 (110 ff.). 600 Ähnlich Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 207: Ersetzungsbefugnis. 601 Martens, AG 1989, 69 (73); Martens in Busse von Colbe/Großfeld/Kely/Martens/Schlede, Bilanzierung von Optionsanleihen im Handelsrecht, 1987, S. 151 (154); Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 (623 f.); Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 119. Unklar Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 2: Zeichnungsrecht auf Aktien. 602 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Fuchs, AG 1995, 433 (440); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 11; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 78; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 151; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6. Dagegen Martens, AG 1989, 69 (74): mit § 187 AktG unvereinbar. 603 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 57; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 31. 604 Abweichend Martens, AG 1992, 209 (212): Optionsrecht ist mitgliedschaftsähnliche Rechtsposition und Zahlung des Optionsentgelts ein korporationsrechtlicher Zahlungsvorgang. 605 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 328; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 78, 151; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 151; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6; vgl. auch Fuchs, AG 1995, 433 (440); Kuntz, AG 2004, 480 (481) jeweils für naked warrants. Abgeschwächt Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 23: in den meisten Fällen, aber nicht notwendig. 606 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 151. 607 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 151; im Ergebnis auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 151: Wandel- und Optionsanleihen seien von § 187 AktG freigestellt.

634

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 211 § 221 AktG

d) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Optionsrechts In den Anleihebedingungen – gebräuchlich sind auch die Begriffe Options- und Optionsscheinbedingungen – können die Emittenten nicht nur die Rechte und Pflichten des Anleiheschuldners und der Gläubiger aus der Schuldverschreibung, sondern auch die Rechtsnatur des Optionsrechts (siehe Rz. 207), die Berechtigung (siehe Rz. 211) sowie den infolge der Ausübung des Optionsrechts entstehenden Zeichnungsvertrag bzw. die Veräußerung eigener Aktien (eingehend dazu Rz. 217 ff.) näher ausgestalten. Werden die Bezugsrechte durch neue Aktien abgesichert, müssen die Anleihebedingungen – unabhängig davon, ob das Optionsrecht im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 207) – in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG mindestens sämtliche Angaben enthalten, die auch der Zeichnungsschein (§ 185 Abs. 1 Satz 1 AktG) enthalten muss. Fehlt eine der erforderlichen Mindestangaben, ist das Optionsrecht in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 2 AktG nichtig (siehe Rz. 164). Im Übrigen ist die privatautonome Gestaltungsfreiheit der Emittenten insbesondere durch die §§ 307 ff. BGB begrenzt. Zu Einzelheiten der Inhaltskontrolle von Anleihebedingungen siehe § 3 SchVG Rz. 30 ff.

209

aa) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) die Bestimmungen entzogen, die die Rechtsnatur des Optionsrechts (eingehend dazu Rz. 207), die Berechtigung (siehe Rz. 211), die Art der Verbriefung (siehe Rz. 768 f.) und die Abtrennbarkeit des Optionsrechts von der Schuldverschreibung (siehe Rz. 770) festlegen. Gleiches gilt für die in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG erforderlichen Mindestangaben (siehe Rz. 209) sowie die Bestimmungen, die die Optionsfrist (siehe Rz. 213), das Bezugsverhältnis (siehe Rz. 214), die Gattung der zu erwerbenden Aktien (in der Regel Stammaktien, siehe Rz. 27)608, den Optionspreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs (siehe Rz. 215) unmittelbar ausgestalten.609

210

Das Optionsrecht kann den Gläubigern oder – wie die am 31.12.2015 in Kraft getretene Aktienrechtsnovelle 2016 (siehe Rz. 13) durch eine entsprechende Ergänzung des Wortlauts des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG klargestellt hat – der Gesellschaft eingeräumt werden (sog. umgekehrte Optionsanleihen). Der Wortlaut des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG („oder“) legt es nahe, dass das Optionsrecht nur alternativ den Gläubigern oder der Gesellschaft eingeräumt werden kann. Nach dem Willen des Reformgesetzgebers soll es aber – wie bei Wandelanleihen (siehe Rz. 132) – auch möglich sein, das Optionsrecht kumulativ sowohl den Gläubigern als auch der Gesellschaft einzuräumen.610 Den Gläubigern und/oder der Gesellschaft kann nicht nur ein Bezugsrecht eingeräumt werden. Die Verwendung des Singulars in § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG impliziert keine derartige Beschränkung, sondern ist als Mindestanforderung zu verstehen, so dass sowohl den Gläubigern als auch der Gesellschaft mehere Optionsrechte eingeräumt werden können.611

211

608 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6. 609 Im Ergebnis auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 23. 610 BT-Drucks. 18/4349, 27 zu § 192 AktG-E; BR-Drucks. 22/15, 28; BT-Drucks. 17/8989, 18 jeweils zu § 192 Abs. 2 AktG-E; Seibert/Böttcher, ZIP 2012, 12 (15). Eine klarstellende Ergänzung des Wortlauts (z.B. „den Gläubigern, der Gesellschaft oder den Gläubigern und der Gesellschaft“), wie sie auch das Deutsche Aktieninstitut in seinen Anmerkungen zur Aktienrechtsnovelle 2014 angeregt hat (abrufbar unter: https://www.dai.de/files/dai_usercontent/dokumente/positionspapiere/201407-04%20Stellungnahme%20Aktienrechtsnovelle%20DAI.pdf, zuletzt abgerufen am 2.11.2016), wäre wünschenswert. 611 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30.

Fest

635

§ 221 AktG Rz. 212

Einzelne Instrumente

212

Optionanleihen müssen – ebenso wie Wandelanleihen und Gewinnschuldverschreibungen – verbrieft werden (siehe Rz. 769). Im Unterschied zu dem Umtauschrecht, das aufgrund der Alternativität von Schuldverschreibung und Aktie (siehe Rz. 70) ein integraler Bestandteil der Wandelanleihe ist und von dieser nicht getrennt werden kann (siehe Rz. 770), kann der Emittent das Optionsrecht wahlweise als unselbstständiges oder abtrennbares ausgestalten.612 Das unselbstständige Optionsrecht kann weder von der Schuldverschreibung getrennt noch isoliert übertragen werden.613 Abtrennbare Optionsrechte sind zwar im Zeitpunkt der Ausgabe der Optionsanleihen mit den Schuldverschreibungen verbunden, können aber – bei marktüblicher Gestaltung nach einer kurzen Sperrfrist – von der Schuldverschreibung abgetrennt, unabhängig von der Schuldverschreibung übertragen und eigenständig am Kapitalmarkt gehandelt werden.614 Die Abtrennbarkeit erfordert lediglich eine entsprechende Regelung in den Anleihebedingungen615 sowie die gesonderte Verbriefung des Optionsrechts, in einem nur äußerlich mit der Schuldverschreibung verbundenen Optionsschein (siehe Rz. 770).616 Bis zur Abtrennung des Optionsscheins wird die Optionsanleihe als „volles Stück“, die isolierte Schuldverschreibung nach der Abtrennung des Optionsscheins als „leeres Stück“ bzw. „leere Optionsanleihe“ bezeichnet.617 Im Markt dominieren abtrennbare Optionsscheine. Diese Gestaltung ermöglicht es den Gesellschaften regelmäßig, Optionsanleihen zu einem deutlich unter den Marktzins vergleichbarer herkömmlicher Schuldverschreibungen liegenden Zinssatz abzusetzen.618 Den niedrigeren Zinssatz akzeptieren die Gläubiger wegen der Möglichkeit, mit Hilfe des abtrennbaren Optionsscheins von einem steigenden Kurs der Aktien der Gesellschaft zu profitieren und den Optionsschein ggf. gesondert zu veräußern (siehe Rz. 770).619

213

Die Bestimmung einer sog. Optionsfrist ist für die Ausgestaltung des Optionsrechts zwar nicht erforderlich, aber marktüblich. Gebräuchlich ist insbesondere die Festlegung einer oder mehrerer Ausübungszeiträume mit der Maßgabe, dass das Optionsrecht nur während dieser Zeiträume ausgeübt werden kann.620 Terminologisch werden insoweit sog. amerika612 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 32; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 125; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 6, 55; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 3; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 (151). Die Gestaltung als abtrennbares Optionsrecht lag z.B. den Entscheidungen BGH v. 25.10.1994 – XI ZR 43/94, NJW 1995, 321 = WM 1994, 2231; BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 ff. = AG 1991, 319 = NJW 1991, 1956 zugrunde. 613 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 22; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6. 614 Bader, AG 2014, 472 (476); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 32, 212; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 23, 123; Martens, AG 1989, 69 (70); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 (151); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 6; Steiner, WM 1990, 1776 (1777). 615 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 3. 616 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 32; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 23; wohl auch Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 91. 617 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 77; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 6; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6. 618 BGH v. 25.10.1994 – XI ZR 43/94, NJW 1995, 321 (322) = WM 1994, 2231; BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 (181) = NJW 1991, 1956 = AG 1991, 319. 619 BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 (181) = NJW 1991, 1956 = AG 1991, 319. 620 Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluß bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechten, 2000, S. 27; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 54; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 112 mit Fn. 378.

636

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 215 § 221 AktG

nische Optionen, bei denen eine oder mehrere Ausübungszeiträume während der Laufzeit der Anleihe festgelegt werden, von sog. europäischen Optionen unterschieden, bei denen das Optionsrecht nur innerhalb eines Zeitraums am Ende der Anleihelaufzeit ausgeübt werden kann.621 In jedem Fall darf der Ausübungszeitraum – dies gilt sowohl für unselbstständige als auch für abtrennbare Optionsrechte (siehe Rz. 212, 770) – die Laufzeit der Schuldverschreibung nicht übersteigen.622 Sog. Ausschlusszeiträume (excluded period), während derer die Berechtigten ihr Optionsrecht nicht ausüben können,623 enthalten die Anleihebedingungen von Optionsanleihen – im Vergleich zu Wandelanleihen (siehe Rz. 77) – selten. Das Bezugsverhältnis bestimmt – wie das Umtauschverhältnis bei Wandelanleihen (siehe Rz. 78) – die Anzahl der Aktien, deren Zeichnung bzw. Erwerb die Gläubiger beanspruchen können bzw. die Gesellschaft initiieren kann. Bei der Ausgestaltung können die Emittenten zwischen einem festen Bezugsverhältnis, bei dem die Anleihebedingungen die Anzahl der Aktien, die die Emissionsgesellschaft für ein Optionsrecht liefern muss, und einem variablen Bezugsverhältnis, bei dem sich die Anzahl der zu liefernden Aktien nach dem Aktienkurs bzw. -wert im Zeitpunkt der Ausübung der Option bestimmt, wählen.624 Um das vertraglich festgelegte Bezugsverhältnis zu perpetuieren, können die Emittenten für bestimmte Fälle (z.B. Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Verschmelzungen) Verwässerungsschutzklauseln (anti-dilution protection) in die Anleihebedingungen aufnehmen.625

214

Unabhängig davon, ob das Optionsrecht im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 207), müssen die Anleihebedingungen in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AktG jedenfalls den Optionspreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs festlegen. Diese Bestimmungen sind der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen. Hiervon zu unterscheiden sind Bestimmungen, die die Verpflichtung des Einlageschuldners zur Leistung einer Bareinlage ergänzen bzw. modifizieren, z.B. die Einlageschuld als Wahlschuld (§§ 262 ff. BGB) ausgestalten, bei der Wahlberechtigte – sei es der Gläubiger, sei es die Gesellschaft – zwischen der Geldleistung und der Übertragung der Teilschuldverschreibung als Einlageleistung entscheiden kann (eingehend dazu Rz. 224), die Geldleistungspflicht durch die Inzahlunggabe der Teilschuldverschreibungen zu ersetzen (eingehend dazu Rz. 225 f.) sowie die Geldleistungspflicht mit dem – infolge einer Kündigung der Schuldverschreibung fällig werdenden – Rückzahlungsanspruch zu verrechnen (eingehend dazu Rz. 227). Diese Bestimmungen sind der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle zwar nicht durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen, aber aufgrund der für die Einlageschuldner günstigen Auswirkung nicht geeignet, eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen.626

215

621 Ekkenga in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2014, Effektengeschäft Rz. 52; vgl. auch Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729 (730); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 85 jeweils für Wandelanleihen. 622 Seibt, CFL 2010, 165 (170); a.A. Bader, AG 2014, 472 (476) für abtrennbare Optionsrechte. 623 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143. 624 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (52); Nodoushani, ZBB 2011, 143 (149); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 144. 625 Zu einzelnen Gestaltungsvarianten siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 289 ff.; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 71 ff.; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 173 ff.; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 66 ff.; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 67 ff.; Spiering/ Grabbe, AG 2004, 91 (95 f.). 626 Im Ergebnis auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 86: vertragliche Vereinbarung der Verrechnung des Rückzahlungsanspruchs mit dem Optionspreis ist zulässig.

Fest

637

§ 221 AktG Rz. 216

Einzelne Instrumente

bb) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen 216

Sämtliche Bestimmungen, die das Optionsrecht oder den Anspruch auf Aktien aus dem Zeichnungsvertrag bzw. der Veräußerung einschränken, verändern, aushöhlen oder mittelbar ausgestalten, unterliegen nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). Enthalten die Anleihebedingungen einen Änderungsvorbehalt – sei es das Bezugsrechtsverhältnis anzupassen, sei es anstelle der (Bezugs-)Aktien einen Geldbetrag leisten zu dürfen (cash settlement bzw. cash payment in lieu of delivery of shares) –, muss auch die kundenfeindlichste Abänderung den Gläubigern noch zumutbar sein, § 308 Nr. 4 BGB (zu Einzelheiten siehe Rz. 79 f.). e) Bezugserklärung und Rechtsfolgen

217

Das Optionsrecht wird – unabhängig davon, ob es noch mit der Schuldverschreibung verbunden ist (siehe Rz. 212, 770) – durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung ausgeübt.627 Diese sog. Bezugserklärung ist grundsätzlich – anderes gilt nur ausnahmsweise bei Optionsanleihen mit Verrechnungsabrede (siehe Rz. 227) – keine Aufrechnungserklärung i.S.d. § 388 Satz 1 BGB, sondern hat – wenn die Bezugsrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert sind (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) – gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 AktG die gleiche Wirkung wie eine Zeichnungserklärung, d.h. als Angebot auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags.628 Gleiches gilt aufgrund einer Auslegung der Bezugserklärung (§§ 133, 157 BGB), wenn das Bezugsrecht durch neue Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) abgesichert ist.629 Zu der Annahme des Angebots (sog. Zuteilung) ist die Gesellschaft aufgrund des gewährten Optionsrechts verpflichtet.630 Hat die Gesellschaft bereits in den Anleihebedingungen ein befristetes Angebot auf den Abschluss des Zeichnungsvertrags abgegeben, ist die Bezugserklärung der Optionsrechtsinhaber die Annahme des Angebots.631

218

Die Regelung des § 198 Abs. 2 Satz 1 AktG ist auf Gestaltungen begrenzt, in denen das Bezugsrecht den Gläubigern eingeräumt ist (eingehend dazu Rz. 144). Steht das Bezugsrecht hingegen der Gesellschaft zu, ist ihre Bezugserklärung auch dann keine Zeichnungserklärung, wenn die Bezugsrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert sind. Die Bezugserklärung der Gesellschaft zielt nicht auf den – nach § 56 Abs. 1 AktG verbotenen – originären Erwerb eigener Aktien, sondern auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags, bei dem nur die Anleihegläubiger Gläubiger der Verschaffungsansprüche werden sollen. 627 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 92; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 209; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 45. 628 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 223; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 92; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 209; Karollus in G/H/E/K, § 221 AktG Rz. 141; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 33. 629 Ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 224; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 141, 142; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 33: Zeichnungserklärung und rechtsgestaltende Erklärung des Optionsrechts. 630 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 198 AktG Rz. 14; Fuchs, AG 1995, 433 (441); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 223; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 143; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 33; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 45. 631 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Fuchs, AG 1995, 433 (441); Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 223; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 11; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 209; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 7; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 143; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 33; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 21 f.; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 45.

638

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 221 § 221 AktG

Sie ist also ein Angebot auf den Abschluss eines Zeichnungsvertrags, zu dessen Annahme die Optionsverpflichteten nach Maßgabe der Anleihebedingungen verpflichtet sind. Sollen die Bezugsrechte mit eigenen Aktien bedient werden (eingehend dazu Rz. 112 ff.), tritt deren Veräußerung (siehe Rz. 121) an die Stelle der Zeichnung.632 Im Unterschied zu dem Umtauschrecht einer Wandelanleihe (siehe Rz. 73) begründet das Optionsrecht keine Ersetzungsbefugnis (facultas alternativa) in Bezug auf die in der Schuldverschreibung verbrieften Rechte. Die Bezugserklärung verändert den Inhalt der Schuldverschreibung daher auch bei Unselbstständigkeit des Optionsrechts nicht.633 Insbesondere begründet sie – im Unterschied zu der Umtauscherklärung bei Wandelanleihen (siehe Rz. 81 ff., 83) – keine Einwendung gegen die in der Schuldverschreibung verbrieften Zahlungsansprüche.634

219

f) Absicherung des Bezugsrechts Die Optionsrechtsinhaber bzw. Optionsverpflichteten werden nicht bereits mit dem Wirksamwerden der Bezugsklärung zu Aktionären der Gesellschaft. Die Optionsrechtsinhaber haben – abhängig von der Absicherung der Bezugsrechte – lediglich einen Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags (siehe Rz. 117 ff.) oder, wenn die Bezugsrechte nicht durch neue Aktien, sondern durch eigene Aktien abgesichert sind (eingehend dazu Rz. 29, 112 ff.), auf Zustimmung zu der (Wieder-)Veräußerung eigener Aktien (siehe Rz. 121). Der Zeichnungsvertrag bzw. die Veräußerung eigener Aktien als solche begründen noch keine Mitgliedschaftsrechte der Zeichner bzw. Gläubiger,635 sondern enthalten lediglich die Verpflichtung der Gesellschaft, neue bzw. eigene Aktien in dem vertraglich festgelegten Umfang zuzuteilen bzw. zu übertragen.636

220

Die Bezugsrechte werden – wie bei Umtauschrechten von Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 84 ff.) – in der Regel durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) abgesichert.637 Möglich ist es auch – im Vergleich zu der bedingten Kapitalerhöhung aber regelmäßig mit erheblichen Nachteilen verbunden –, die Verschaffungspflichten mit neuen Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.), aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) oder mit eigenen Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) zu bedienen. Eine Pflicht der Gesellschaft zur Absicherung der Bezugsrechte besteht – wie bei Wandelanleihen (siehe Rz. 85) – nicht.638 Gegenteiliges ist § 187 Abs. 2 AktG nicht zu entnehmen, da § 221 AktG lex specialis gegenüber § 187 AktG ist (siehe Rz. 85). Daher liegt die Entscheidung darüber, ob und mit welchen Mitteln die Bezugsrechte abgesichert werden, im Ermessen der Gesellschaft.639

221

632 Wohl nur terminologisch abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 224: Festofferte. 633 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 228; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 148; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 53. 634 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 57. 635 Statt vieler Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 4; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 185 AktG Rz. 33. 636 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 223; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 11; Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 4; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 Rz. 143; Lutter in FS Schilling, 1973, S. 207 (217). 637 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 33. 638 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 46; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (257); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 84, die zutreffend darauf hinweisen, dass die Platzierung einer Wandelschuldverschreibung ohne Absicherung erheblich gefährdet wäre. 639 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (73).

Fest

639

§ 221 AktG Rz. 222

Einzelne Instrumente

g) Einlagen aa) Ausgestaltung der Einlageschuld 222

Werden die Bezugsrechte infolge der Ausübung des Optionsrechts mit neuen Aktien bedient, entsteht die Einlageschuld mit dem Abschluss des Zeichnungsvertrags.640 Geschuldet ist grundsätzlich eine Geldleistung (sog. Optionspreis, siehe Rz. 215), also eine Bareinlage.641 Alternativ kann – was allerdings selten geschieht642 – eine Sacheinlage vereinbart werden.643 Um den Schuldnern die Leistung der Einlage zu erleichtern, können Optionsanleihen durch besondere Bestimmungen in den Anleihebedingungen Wandelanleihen wirtschaftlich angenähert werden. Hierzu kommen insbesondere folgende Gestaltungen in Betracht: (1) Synthetische Wandelanleihen

223

Insbesondere bei unselbstständigen Optionsrechten (siehe Rz. 212, 770) kann die Sacheinlageschuld dahingehend ausgestaltet werden, dass der Einlageschuldner der Gesellschaft seine mit dem Optionsrecht verbundene Teilschuldverschreibung zu übertragen hat (sog. synthetische Wandelanleihen).644 Die Bestimmung gestaltet die Einlageschuld unmittelbar aus und ist der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.) daher zwar durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen. Der synthetische Umtausch lässt aber die Anwendung der Vorschriften über Sacheinlagen unberührt. (2) Einlageschuld als Wahlschuld

224

Die Einlageschuld kann nicht nur als Bar- oder Sacheinlageschuld, sondern auch als Wahlschuld i.S.d. §§ 262 ff. BGB ausgestaltet werden. Sofern sich die Gesellschaft nicht durch eine gegenüber § 262 BGB vorrangige Bestimmung in den Anleihebedingungen das Wahlrecht vorbehält, können die Schuldner die Einlage nach ihrer Wahl entweder als Bareinlage durch Zahlung einer Geldleistung (sog. Optionspreis) oder als Sacheinlage durch Übertragung ihrer Teilschuldverschreibung erbringen.645 Die Sacheinlage durch Übertragung der Teilschuldverschreibung können die Schuldner – vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung in den Anleihebedingungen – auch dann wählen, wenn sie im Zeitpunkt der Wahl nur Inhaber des abgetrennten Optionsscheins, nicht aber der Teilschuldverschreibung sind. Ist ihnen die Übertragung der Teilschuldverschreibung von Anfang an unmöglich oder wird sie später unmöglich, haben sie die alternativ vereinbarte Geldzahlung als Bareinlage zu leisten, § 265 Satz 1 BGB. Für die Gesellschaft und die Anleger besteht ein wesentlicher Vorteil dieser Gestaltung darin, dass die Leistung der Einlage durch Übertragung der Teilschuldverschreibung in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG den Vorschriften über Sacheinlagen entzogen ist (eingehend dazu Rz. 123 ff., 229). 640 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 43; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 11; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 36. 641 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 229; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 3; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 150; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 158; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 36; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 2, 48. 642 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 158; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 13. 643 OLG München v. 19.9.2013 – 31 Wx 312/13, AG 2013, 811 = NZG 2013, 1144; Marsch-Barner, DB 1995, 1497; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 158; Schnorbus/Trapp, ZGR 2010, 1023 ff.; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 13. 644 Zu der steuerlichen Behandlung dieser Gestaltung siehe Häuselmann/Wagner, BB 2002, 2431. 645 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 53; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 35.

640

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 227 § 221 AktG

(3) Inzahlungnahme der Schuldverschreibung Ein der Wahlschuld (§§ 262 ff. BGB, siehe Rz. 224) wirtschaftlich vergleichbares Ergebnis 225 kann dadurch erreicht werden, dass die Festlegung einer Bareinlage in den Anleihebedingungen dahingehend ergänzt wird, dass die Schuldner berechtigt sind, anstelle der vertraglich vereinbarten Bareinlage eine Sacheinlage durch die Übertragung einer Teilschuldverschreibung zu erbringen (sog. Inzahlungnahme der Schuldverschreibung).646 Bei dieser Vereinbarung handelt es sich um eine vertragliche Ersetzungsbefugnis (falcultas alternativa).647 Mit ihrer Ausübung durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung ändern die Schuldner den Inhalt der Einlageschuld nachträglich dahingehend,648 dass die Übertragung der Teilschuldverschreibung die geschuldete Leistung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB und nicht nur eine Leistung erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) ist.649 Für die Gesellschaft und die Anleger besteht ein wesentlicher Vorteil dieser Gestaltung darin, dass die Übertragung der Teilschuldverschreibung – im Grunde eine Sacheinlage650 – in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG den Vorschriften über Sacheinlagen entzogen ist (eingehend dazu Rz. 123 ff., 229). Die Ausübung der Ersetzungsbefugnis setzt – vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung in den Anleihebedingungen – nicht voraus, dass der Berechtigte auch Inhaber der Teilschuldverschreibung ist.651 Die Erfüllung der geänderten Einlageschuld erfordert nämlich lediglich den Erwerb der Teilschuldverschreibung. Unerheblich sind die Begleitumstände des Erwerbs, insbesondere die Frage, vom wem die Gesellschaft die Teilschuldverschreibung erwirbt (von dem Einlageschuldner oder einem Dritten), sowie der Umstand, ob der Veräußerer als Berechtigter über die Teilschuldverschreibung verfügt.

226

(4) Recht zur Kündigung der Schuldverschreibung mit Verrechnungsabrede Insbesondere bei Optionsanleihen mit einem unselbstständigen Optionsrecht (siehe Rz. 212, 770) räumen die Anleihebedingungen den Schuldverschreibungsgläubigern – neben der Festlegung einer Bareinlage – gelegentlich das Recht ein, die Teilschuldverschreibung für den Fall der Ausübung des Optionsrechts fristlos zu kündigen.652 Die infolge der Kündigung geschuldete Rückzahlung des eingezahlten Kapitals ermöglicht es den Einlageschuldnern, den Optionspreis mit dem auf diese Weise von der Gesellschaft erlangten Geldbetrag zu zahlen.653 Vor dem Hintergrund, dass in der Literatur Uneinigkeit darüber besteht, ob der nahe liegenden Aufrechnung das Aufrechnungsverbot des § 66 Abs. 1 Satz 2 AktG entgegensteht (siehe Rz. 229), wird das Kündigungsrecht der Schuldverschreibungsgläubiger in der Regel um eine Verrechnungsabrede ergänzt, die sowohl eine Aufrechnung als auch ein Hin- und Her-

646 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 159; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 34. 647 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 160. 648 Statt vieler siehe Krüger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 262 BGB Rz. 8. 649 Vgl. Krüger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 262 BGB Rz. 9. Zur Ersetzung einer Barzahlungspflicht durch die Übertragung von Wertpapieren siehe RG v. 21.3.1931 – V 256/30, RGZ 132, 9 (14); RG v. 8.3.1930 – V 18/29, RGZ 127, 350 (352) jeweils zu Pfandbriefen; RG v. 23.4.1909 – VII 272/08, RGZ 71, 89 (91) zum Wechsel. 650 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 237; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 38; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 64. 651 A.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 34; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 34. 652 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 160. 653 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 54; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 160; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 64.

Fest

641

227

§ 221 AktG Rz. 228

Einzelne Instrumente

zahlen erübrigt.654 Für die Gesellschaft und die Anleger besteht ein wesentlicher Vorteil dieser Gestaltung darin, dass die Leistung in entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG den Vorschriften über Sacheinlagen entzogen ist (eingehend dazu Rz. 123 ff., 229). bb) Bedingte Kapitalerhöhung 228

Sind die Optionsrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 221) abgesichert, findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG keine direkte Anwendung. Der direkte Anwendungsbereich der Vorschrift ist – ausweislich des Wortlauts („Umtausch“) – auf Wandelanleihen begrenzt.655 Bei Optionsanleihen findet kein Umtausch der Teilschuldverschreibungen in Aktien statt.656 Die Bezugsaktien treten nicht an die Stelle der Teilschuldverschreibungen, sondern daneben. Die Ausübung des Optionsrechts und der anschließende Vollzug des Aktienerwerbs lassen die in der Schuldverschreibung verbrieften Rechte und Pflichten unberührt (eingehend dazu Rz. 202).

229

Im Einzelfall kann eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG geboten sein. Die Beschränkung des direkten Anwendungsbereichs der Vorschrift auf Wandelanleihen beruht darauf, dass das gegen Ausgabe der Wandelanleihe eingezahlte Kapital mit dem Umtausch in die Bareinlage umgewandelt wird (siehe Rz. 124). Diese Umwidmung des Kapitals hat zur Folge, dass der infolge der Umtauscherklärung zustande kommende Zeichnungsvertrag keine (Bar-)Einlageschuld begründet.657 Im Gegensatz dazu beinhaltet der mit der Ausübung des Optionsrechts entstehende Zeichnungsvertrag stets eine Einlageschuld. Dies gilt auch dann, wenn die Einlageschuld ausnahmsweise als Wahlschuld (§§ 262 ff. BGB) ausgestaltet ist und der wahlberechtigte Einlageschuldner anstelle einer Geldleistung als Bareinlage die Übertragung von Teilschuldverschreibungen wählt (siehe Rz. 224);658 in diesem Fall besteht gemäß § 263 Abs. 2 BGB von Anfang an eine Sacheinlageschuld.659 Dieser Unterschied steht einer entsprechenden Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht entgegen. Der Normzweck der Vorschrift, den Umtausch insbesondere dadurch zu erleichtern, dass die Parteien von der Notwendigkeit befreit werden, die verbrieften Forderungen im Umtauschzeitpunkt zu bewerten,660 ist nicht auf Umtauschrechte begrenzt.661 Er greift auch bei Optionsanleihen Platz, deren Gestaltung keine Gefährdung der realen Kapitalaufbringung befürchten lässt. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn (1) die Einlageschuld als Wahlschuld (§§ 262 ff. BGB) ausgestaltet ist und der Wahlberechtigte – sei es der Gläubiger, sei es die Gesellschaft – sich für die Übertragung der Teilschuldverschreibung als Einlageleistung entscheidet (siehe Rz. 224)662 oder (2) die Einlageschuldner von ihrem Recht, ihre Verpflichtung zur Leistung einer Bareinlage durch die Inzahlunggabe der Teilschuldverschreibungen zu erset-

654 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 55; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 35; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 36; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 64. 655 Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 194 AktG Rz. 6, 10. 656 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 21; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30. 657 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 30; ähnlich Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 34: die Inzahlunggabe erfolgt zumindest in einem gedanklich gesonderten Akt auf die entstandene Einlageschuld. 658 Vgl. für die Inzahlunggabe der Teilschuldverschreibungen Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 34, 237. 659 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 237. 660 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 27; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 230; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 28. 661 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 38. 662 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 53.

642

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 231 § 221 AktG

zen, Gebrauch machen (siehe Rz. 225).663 Eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG ist ferner geboten, wenn (3) die Einlageschuldner ihre Teilschuldverschreibungen aufgrund eines in den Anleihebedingungen gewährten Rechts fristlos kündigen und ihre (von der Kündigung unberührte) Verpflichtung zur Leistung einer Bareinlage durch anschließendes Hin- und Herzahlen,664 durch Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) oder aufgrund einer vertraglich vorab vereinbarten Verrechnung mit dem Rückzahlungsanspruch erlischt (siehe Rz. 227).665 Die Anwendung des gesetzlichen Aufrechnungsverbots (§ 66 Abs. 1 Satz 2 AktG) scheidet bei entsprechender Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG aus.666 Die bei diesen Gestaltungen bestehende Vergleichbarkeit mit einem Umtausch rechtfertigt nicht nur die entsprechende Anwendung des in diesem Fall konstitutiv wirkenden § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG mit der Folge, dass diese Gestaltungen den Regelungen betreffend Sacheinlagen – dies gilt auch für die Grundsätze über verdeckte Sacheinlagen667 – entzogen sind,668 sondern gebietet auch die entsprechende Anwendung der §§ 199 Abs. 2, 218 Satz 2 AktG auf die Bareinlageschuld.669 Soll für die Bezugsaktien ausnahmsweise keine Bar-, sondern eine Sacheinlage erbracht werden, sind – wie bei der Absicherung von Wandelanleihen – die Vorgaben des § 194 AktG zu beachten (siehe Rz. 92).670

230

cc) Genehmigtes Kapital, ordentliche Kapitalerhöhung Die Vorschriften über die ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) und das genehmigte 231 Kapital (§§ 202 ff. AktG) enthalten keine § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG vergleichbare Regelung. Ist der Aktienbezug aufgrund einer besonderen Ausgestaltung des Optionsrechts in den Anleihebedingungen einem Umtausch aber wesentlich ähnlich (eingehend dazu Rz. 229), erscheint – wie bei Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 131) – ausnahmsweise eine (doppelt) entsprechende Anwendung der Vorschrift geboten. Soll für die neuen Aktien ausnahmsweise keine 663 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 237; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 216; Hirte, WM 1994, 321 (328 f.); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 5, § 221 AktG Rz. 160, 161; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 38; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 48; vgl. auch Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 52. Wohl a.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 14; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 4: Ausnahme von der Wertkontrolle (§ 194 Abs. 4 AktG) setze explizite gesetzliche Anordnung voraus. 664 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 54; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 162; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 78 f. 665 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 55; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 238; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 216; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 162; differenzierend Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 48: entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nur bei vertraglich vereinbarter Verrechnung. 666 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 238; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 216; a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 48. 667 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 238; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 79. 668 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 237; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 78 f. 669 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 237; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 150; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 160, 165; a.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 199 AktG Rz. 16. 670 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 229; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 150; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 37; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 53; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 13; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 48.

Fest

643

§ 221 AktG Rz. 232

Einzelne Instrumente

Bar-, sondern eine Sacheinlage erbracht werden, sind – wie bei der Absicherung von Wandelanleihen – die Vorgaben der §§ 183, 183a bzw. des § 205 AktG zu beachten.671 2. Isolierte Optionsrechte 232

Von abgetrennten Optionsscheinen einer Optionsanleihe (siehe Rz. 212, 770) sind isolierte Optionsscheine – regelmäßig Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB) – zu unterscheiden, die ohne Schuldverschreibung ausgegeben werden. Derartigen Optionsscheinen – sie bestehen in großer Variationsvielfalt672 – ist gemeinsam, dass sie das Recht wertpapiermäßig verbriefen, einen Basiswert zu einem festgelegten Preis (sog. Optionspreis) innerhalb eines bestimmten Zeitraums oder zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwerben.673 Bezieht sich das Optionsrecht auf Aktien (sog. Aktienoption), werden üblicherweise naked warrants (auch: naked options, eingehend dazu Rz. 233 ff.) und covered warrants (auch: covered options, eingehend dazu Rz. 264 ff.) unterschieden. a) Naked warrants

233

Naked warrants sind – in der Regel wertpapiermäßig verbriefte – Optionsrechte, die weder mit Schuldverschreibungen noch mit Aktien verbunden sind (sog. Optionsaktien, eingehend dazu Rz. 276 ff.), sondern ohne sonstige Wertpapiere ausgegeben werden.674 Sie gewähren ihren Inhabern (nur) das Recht, Aktien der Emissionsgesellschaft zu erwerben, die – im Unterschied zu covered warrants (eingehend dazu Rz. 264 ff.) – erst noch durch eine Kapitalerhöhung geschaffen werden müssen.675 aa) Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile

234

Naked warrants können – ebenso wie Optionsanleihen (siehe Rz. 202 ff.) – zum Zweck der Unternehmensfinanzierung ausgegeben werden. Für die Gesellschaft weist die Ausgabe von naked warrants im Vergleich mit Optionsanleihen zwei Vorteile auf: (1) Die eingezahlte Optionsprämie ist erfolgsneutral als Betrag in der Kapitalrücklage (§ 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB) zu erfassen.676 Daher erlangt die Emissionsgesellschaft bereits mit der Ausgabe der Optionsscheine und nicht erst mit der Ausgabe der Aktien Eigenkapital (§ 266 Abs. 3 A. II. HGB), das ihr als solches auch dann verbleibt, wenn die Anleger das Optionsrecht unausgeübt verfallen lassen.677 (2) Naked warrants sind keine zusammengesetzten Finanzinstrumente. Daher erfolgt die Aufnahme von Eigenkapital – im Unterschied zu der Ausgabe von Optionsanleihen – ohne die gleichzeitige Entstehung von (Fremdkapital-)Verbindlichkeiten.678

671 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 229; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 150; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 48. 672 Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 2 WpHG Rz. 31; Immen in Schäfer, WpHG/BörsG/ VerkProspG, Vor §§ 50-70 BörsG Rz. 63; Niemann, WM 1993, 777 (779). 673 BGH v. 25.10.1994 – XI ZR 43/94, NJW 1995, 321 (322) = WM 1994, 2231. 674 Fuchs, AG 1995, 433; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (66). 675 Statt vieler Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 36. 676 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 17; im Ergebnis auch Fuchs, AG 1995, 433 (435): analog § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB. 677 So wohl Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 299. 678 Fuchs, AG 1995, 433 (435); Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256 (1257); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 299; Kuntz, AG 2004, 480; Roth/Schoneweg, WM 2002, 677; Schlitt/ Löschner, BKR 2002, 150 (151).

644

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 237 § 221 AktG

Naked warrants können – auch in Gestalt unverbriefter Optionsrechte – auch als Vergütungsbestandteil eingesetzt werden (sog. stock options). In dieser Funktion dürfen sie gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG aber nur Arbeitnehmern und Mitarbeitern der Geschäftsführung der (Emissions-)Gesellschaft sowie verbundener Unternehmen, nicht aber Mitgliedern des Aufsichtsrats gewährt werden.679 Diese Einschränkung ergibt sich daraus, dass die weitergehende Formulierung des Referentenentwurfs des KonTraG680 („Organmitglieder“) nicht Gesetz geworden ist.

235

Den Anlegern eröffnen isolierte Optionsrechte – seien es naked warrants, seien es covered warrants (eingehend dazu Rz. 264 ff.) – die Möglichkeit, mit keinem oder einem im Vergleich mit dem Erwerb von Aktien geringeren Kapitaleinsatz an der wirtschaftlichen Entwicklung einer Gesellschaft zu partizipieren.681 Gewinne können die Anleger bei einer Kurssteigerung der Aktien auf unterschiedliche Weise realisieren: zum einen durch die Ausübung der Option, wenn der Aktienkurs den in den Anleihebedingungen festgesetzen Preis zum Bezug der Aktien um mehr als den Optionspreis übersteigt,682 zum anderen durch die Veräußerung des – im Verhältnis zu der Kurssteigerung des Basiswertes überproportional (sog. Hebelwirkung) – im Wert gestiegenen Optionsrechts erzielen.

236

bb) Rechtsnatur des Optionsrechts Grundlage des Optionsrechts ist – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 207) – ein im bürgerlichen Recht nicht ausdrücklich geregelter Optionsvertrag. Dieser kann in den Optionsbedingungen – wie das Optionsrecht von Optionsanleihen (siehe Rz. 207) – als Gestaltungsrecht, das die Inhaber berechtigt, durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ohne Mitwirkung der Gesellschaft den in den Optionsbedingungen inhaltlich vorgeformten Zeichnungsvertrag herbeizuführen, oder – wie marktüblich – als Zeichnungsvorvertrag ausgestaltet werden, der den Gläubigern einen Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags gewährt.683 Der Zeichnungsvorvertrag ist trotz des Gegenstands des Bezugsrechts nicht korporations-, sondern schuldrechtlicher Natur.684 Der bilanzielle Ausweis der Optionsprämie als Eigenkapital (§ 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB, siehe Rz. 234) steht dem nicht entgegen.685

679 BGH v. 16.2.2004 – II ZR 316/02 – MobilCom, BGHZ 158, 122 (126) = NJW 2004, 1109 = AG 2004, 265; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 97; Fuchs in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 92; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 317; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 21; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 192 AktG Rz. 18; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 62; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 192 AktG Rz. 30; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 135; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 21; a.A. OLG Schleswig v. 19.9.2002 – 5 U 164/01, NZG 2003, 176 (178) = AG 2003, 102; Hoff, WM 2003, 910 (914); kritisch Bürgers, NJW 2004, 3022 ff. 680 Abgedruckt in ZIP 1996, 2129 ff. 681 Fuchs, AG 1995, 433 (439); Gätsch/Theusinger, WM 2005, 1256 (1257); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 299; Steiner, WM 1990, 1776 (1778). 682 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 306; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 28 mit Fn. 75; Steiner, WM 1990, 1776 (1778); relativierend Fuchs, AG 1995, 433 (447): Summe aus Optionsprämie und Ausübungspreis ist in der Regel höher als Bezugskurs für neue Aktien aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung. 683 Fuchs, AG 1995, 433 (441); Kuntz, AG 2004, 480 (481). 684 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 57; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 31. 685 Abweichend Martens, AG 1992, 209 (212): Optionsrecht ist mitgliedschaftsähnliche Rechtsposition und Zahlung des Optionsentgelts ein korporationsrechtlicher Zahlungsvorgang.

Fest

645

237

§ 221 AktG Rz. 238

Einzelne Instrumente

cc) Zulässigkeit 238

Die Freiheit, Optionsverträge (siehe Rz. 237) zu schließen und zu verbriefen, wird auch den Kapitalgesellschaften durch die Privatautonomie gewährleistet.686 Unzulässig wäre die Ausgabe von naked warrants daher nur bei einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung, die von Gründen getragen wird, die in der Abwägung mit der Privatautonomie der Gesellschaft überwiegen. (1) Europäisches Recht

239

Dem europäischen Recht kann ein Verbot isolierter Optionsrechte nicht entnommen werden. (a) SE-VO

240

Ein ausdrückliches Verbot zur Ausgabe von naked warrants sahen wohl lediglich Art. 61 SEVO-E 1970687, Art. 61 SE-VO-E 1975688 sowie Art. 60 SE-VO-E 1989689 vor. Danach sollte es europäischen Aktiengesellschaften untersagt sein, sonstige Wertpapiere, d.h. andere Wertpapiere als Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen, zu begeben, durch die Nichtaktionären ein Recht auf Beteiligung am Gewinn oder am Gesellschaftsvermögen – ausreichend war eine mittelbare Beteiligung, wie sie isolierte Aktienoptionen gewähren690 – eingeräumt wird. In die SE-VO wurden diese Entwürfe nicht übernommen. An ihre Stelle ist Art. 5 SEVO getreten, wonach diese Kapitalmaßnahmen den Vorschriften unterliegen, die für eine Aktiengesellschaft mit Sitz in dem Mitgliedstaat gelten würden, in dem die europäische Aktiengesellschaft eingetragen ist. (b) Kapital-Richtlinie

241

Für Aktiengesellschaften enthält Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) kein Art. 61 SE-VO-E 1970, Art. 61 SE-VO-E 1975 und Art. 60 SE-VO-E 1989 vergleichbares Verbot für die Ausgabe isolierter Optionsrechte. Die Vorgabe verpflichtet die Mitgliedstaaten lediglich dazu, die Vorgaben für Kapitalerhöhungen (Art. 33 Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU, ehemals: Art. 29 Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG) auch für verbriefte Optionsrechte – seien es Optionsanleihen, seien es verbriefte Aktienoptionen – in das jeweilige mitgliedstaatliche Recht umzusetzen. Vorgaben dazu, ob und in welchen Gestaltungen isolierte Optionsrechte zulässig sind, enthält Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) nicht. (2) Deutsches Recht

242

Das deutsche Recht enthält de lege lata kein Verbot zur Ausgabe von naked warrants. 686 Im Ausgangspunkt abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 303, der unter Hinweis auf die Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) davon ausgeht, dass isolierte Optionsrechte, soweit sie im AktG nicht ausdrücklich zugelassen sind, nicht unter Berufung auf die Privatautonomie kreiert werden können. Ähnlich Steiner, WM 1990, 1776 (1777), der die Möglichkeit zur Ausgabe von naked warrants auf § 221 AktG als „Rechtsgrundlage“ stützt. 687 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über das Statut für europäische Aktiengesellschaften, ABl. EG Nr. C 124 v. 10.10.1970, S. 1. 688 Geänderter Vorschlag einer Verordnung des Rates über das Statut für Europäische Aktiengesellschaften, abgedruckt in: Bulletin der EG, Beilage 4/75. 689 Vorschlag einer Verordnung (EWG) des Rates über das Statut für europäische Aktiengesellschaften, ABl. EG Nr. C 263 v. 16.10.1989, S. 41. 690 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 301.

646

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 245 § 221 AktG

(a) Kapitalmarktrecht Von der Ermächtigung des § 37g Abs. 1 WpHG, die Ausgabe isolierter Optionsscheine – 243 diese sind Finanztermingeschäfte i.S.d. § 37e Satz 2 WpHG691 – zum Schutz der Anleger durch Rechtsverordnung zu beschränken oder sogar zu verbieten, hat das Bundesministerium der Finanzen bislang noch keinen Gebrauch gemacht.692 Die hiernach bestehende Möglichkeit, naked warrants zu verbieten, bringt die gesetzgeberische Annahme zum Ausdruck, die Ausgabe isolierter Optionsscheine – seien es isolierte oder abgetrennte, seien es naked oder covered warrants – sei grundsätzlich zulässig.693 (b) Aktienrecht Aktienrechtlichen Vorschriften ist – entgegen gewichtiger Stimmen in der Literatur – kein 244 Verbot zur Ausgabe von naked warrants zu entnehmen. In den §§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG i.d.F. des KonTraG694 hat der Gesetz- 245 geber die Ausgabe von Aktienoptionen (stock options) ausdrücklich zugelassen.695 Den Kreis der Optionsbegünstigten begrenzt § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG auf Arbeitnehmer und Mitarbeiter der Geschäftsführung der (Emissions-)Gesellschaft sowie der verbundenen Unternehmen (siehe Rz. 235). Den §§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG ist allerdings nicht der Umkehrschluss zu entnehmen, dass die Ausgabe isolierter Optionsrechte zu Finanzierungszwecken unzulässig sei.696 Die Vorschrift des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG behandelt Aktienoptionen ausschließlich in ihrer Funktion als Vergütungsbestandteil. Ihr Zweck besteht darin, den Gesellschaften mit der Gewährung isolierter Optionsrechte zu diesem Zweck eine Alternative zu dem bis dahin in der Praxis vorherrschenden, aber komplizierten und aufgrund des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) keinesfalls gesicherten Weg über die Ausgabe von Optionsanleihen (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) zu eröffnen.697 Zu 691 Jung in Fuchs, Vor §§ 37e, 37g WpHG Rz. 76; Mülbert/Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 37e WpHG Rz. 12; D. Zimmer in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 37e WpHG Rz. 6. 692 Statt vieler Mülbert/Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 37g WpHG Rz. 1. Lediglich der Börsenterminhandel in Kammzug wurde auf Grundlage von § 50 Abs. 1 BörsG i.d.F. v. 22.6.1896 (RGBl. S. 157) durch Bekanntmachung des Reichskanzlers v. 20.4.1899 (RGBl. S. 266) mit Wirkung ab dem 1.6.1899 untersagt. 693 Vgl. Jung in Fuchs, § 37g WpHG Rz. 1: kein gesetzliches Verbot. 694 Durch Art. 1 Nr. 5 Buchst. a Doppelbuchst. cc, Nr. 26 Buchst. a, Nr. 27 des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) v. 27.4.1998 (BGBl. I 1998, 786) wurden mit Wirkung vom 1.5.1998 § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG eingefügt, § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG neugefasst und § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG eingefügt. 695 BT-Drucks. 13/9712, 23 zu §§ 192, 193 AktG-E. Vor dem Inkrafttreten des KonTraG ging die überwiegende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur davon aus, die Ausgabe von naked warrants sei unzulässig, siehe LG Braunschweig v. 11.3.1998 – 22 O 234/97, NZG 1998, 387 (388) = AG 1998, 289; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (43) = NZG 1998, 233; Hirte, WM 1993, 2067 (2068); Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 (629 f.); a.A. (zulässig) Fuchs, AG 1995, 433 (445); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 28; Siebel, ZHR 161 (1997), 628 (664); Steiner, WM 1990, 1776 (1777); Wohlfahrt/Brause, WM 1997, 397 (398). 696 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 46; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 305; Kuntz, AG 2004, 480 (485); Paefgen, AG 1999, 67 (70); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 79; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 (154); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 17; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 157 f.; wohl auch F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (79); a.A. Baums et al., Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, zugleich BT-Drucks. 14/7515, Rz. 222; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 65 f.; Rosener in FS Bezzenberger, 2000, S. 745 (751); L. Zimmer, DB 1999, 999 (1001). 697 BT-Drucks. 13/9712, 23 zu §§ 192, 193 AktG-E.

Fest

647

§ 221 AktG Rz. 246

Einzelne Instrumente

der Frage, ob Aktiengesellschaften isolierte Optionsrechte zu Finanzierungszwecken ausgeben dürfen, enthalten die §§ 192 Abs. 2 Nr. 3, 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG keine Aussage. 246

Die Unzulässigkeit isolierter Optionsrechte ergibt sich auch nicht aus § 187 AktG.698 Die Gegenansicht entnimmt der Vorschrift den Grundsatz, dass Optionsrechte außerhalb des Anwendungsbereichs des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG – die Vorschrift ist lex specialis zu § 187 AktG (siehe Rz. 85) – mangels einer (besonderen) gesetzlichen Grundlage unzulässig seien.699 Naked warrants unterfallen nicht dem direkten Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG;700 sie sind zu keinem Zeitpunkt mit einer Schuldverschreibung verbunden. Eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2, 4 AktG (siehe Rz. 159, 260) würde – so die Begründung der ablehnenden Ansicht – das Regel-Ausnahme-Verhältnis umkehren und sei daher keine zulässige Lückenfüllung, sondern eine Rechtsfortbildung contra legem.701 Der Analogie bedarf es nicht, wenn man – entgegen der hier vertretenen Ansicht (siehe Rz. 367) – isolierte Optionsrechte als Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG ansieht.702 Bei dieser Annahme fände § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG auf isolierte Optionsrechte sinngemäß Anwendung mit der Folge, dass § 187 AktG als lex generalis verdrängt wäre.703 Aber auch dann, wenn man mit der im Schrifttum wohl überwiegenden Ansicht davon ausgeht, dass isolierte Optionsrechte keine Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG sind, steht § 187 AktG ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Dem Grundsatz, dass § 187 AktG isolierte Optionsrechte außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des § 221 AktG untersage, ist in Anbetracht des Normzwecks und der zu dessen Erreichung angeordneten Rechtsfolgen zu widersprechen: Indem § 187 Abs. 1 AktG Bezugsrechte auf neue Aktien dem Vorbehalt des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre (§ 186 AktG) unterstellt, geht die Vorschrift im Grundsatz von der Wirksamkeit vertraglicher Bezugsrechte aus. Auch Bezugsrechte, die vor dem Beschluss über die Kapitalerhöhung zugesichert werden, sind nach § 187 Abs. 2 AktG nicht endgültig unwirksam.704 Der Zweck der Vorschrift, die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung über die Erhöhung des Grundkapitals zu sichern,705 wird bereits dadurch erreicht, dass die Gesellschaft für den Fall, dass keine Kapitalerhöhung erfolgt, keinen Schadensersatzansprüchen der Gläubiger ausgesetzt ist.706 Hierfür genügt die schwebende Unwirksamkeit der Zusiche-

698 Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 99; Fuchs, AG 1995, 433 (445); a.A. Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (223); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 185. 699 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 60; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 53. Im Ausgangspunkt zustimmend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 310. 700 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (556); Hirte in KölnKomm/AktG, § 221 AktG Rz. 302; vgl. auch OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123) = ZIP 2002, 1807 zu § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG; a.A. Roth/Schoneweg, WM 2002, 677 (683). 701 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 185; ähnlich Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 304. 702 So Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 374 f.; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 95; Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 243; Fuchs, DB 1997, 661 (665); Fuchs, AG 1995, 433 (442); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 37; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (557); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 46; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 304; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 28; Kuntz, AG 2004, 480 (483); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 14; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 (153). 703 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 37; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (560); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 53. 704 So aber A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 187 AktG Rz. 3; Servatius in Spindler/Stilz, § 187 AktG Rz. 11; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 10; vgl. auch Georgakopoulos, ZHR 120 (1957), 84 (173); Loos, DB 1960, 515 (517) jeweils zu § 154 Abs. 2 AktG 1937. 705 Statt vieler Hüffer/Koch, § 187 AktG Rz. 1. 706 Hüffer/Koch, § 187 AktG Rz. 5; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 187 AktG Rz. 17.

648

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 248 § 221 AktG

rung.707 Beschließt die Gesellschaft – ohne hierzu verpflichtet zu sein (siehe Rz. 85) – eine Kapitalerhöhung, werden die Zusicherungen bzw. vertraglichen Bezugsrechte wirksam, stehen aber gemäß § 187 Abs. 1 AktG kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG). Eine abweichende (Sonder-)Behandlung isolierter Optionsrechte lässt § 187 AktG nicht erkennen. Diese kann auch nicht mit § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG begründet werden (siehe Rz. 245), da der Anwendungsbereich des § 187 AktG nicht auf bedingte Kapitalerhöhungen begrenzt ist, siehe z.B. § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG. Begründet die Zusicherung von Bezugsrechten nach § 187 Abs. 2 AktG keine Verpflichtung der Hauptversammlung, eine Erhöhung des Grundkapitals zu beschließen (siehe Rz. 85), konfligiert die Gewährung isolierter Optionsrechte auch nicht mit dem Grundsatz der Satzungsautonomie,708 wonach ausschließlich die Aktionäre zur Entscheidung über Satzungsänderungen befugt sind.709 Der Ausgabe von naked warrnats steht auch das Prinzip der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) nicht entgegen. Die Gewährung isolierter Optionsrechte bedarf – ebenso wie die Ausgabe von Optionsanleihen – weder einer Grundlage in der Satzung noch einer Änderung der Satzung. Sie widerspricht auch nicht den von der Gegenansicht710 angeführten Grundsätzen, dass Satzungsänderungen weder bedingt durchgeführt noch nach dem Ermessen des Vorstands oder Dritter hinausgeschoben werden dürfen. Die Entscheidung darüber, ob, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt eine Erhöhung des Grundkapitals durchgeführt wird, verbleibt auch dann, wenn die Gesellschaft isolierter Optionsrechte bereits zugesichert hat, ausschließlich der Hauptversammlung vorbehalten (siehe Rz. 85). Ein wirtschaftlicher Druck, diese zu beschließen (siehe Rz. 489), wird durch die schwebende Unwirksamkeit der Zusicherung verhindert (siehe Rz. 246).

247

Ebenfalls Ausdruck des Prinzips der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) ist der Einwand, das Aktienrecht lasse nur solche verbrieften711 Eigenkapitalinstrumente zu, die mindestens mit den Rechten der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht ausgestattet seien; im Übrigen müsse die Gesellschaft auf Formen der Fremdkapitalfinanzierung zurückgreifen.712 Dem ist nur insoweit zuzustimmen, als isolierte Optionsrechte – ausweislich der bilanziellen Erfassung der eingezahlten Optionsprämien (siehe Rz. 234) – zu den Instrumenten der Eigenkapitalfinanzierung zählen, ihren Inhabern aber nur die verbrieften Ansprüche aus dem Optionsvertrag (siehe Rz. 237) und keine mitgliedschaftlichen Rechte gewähren, die jedem Aktionär – mit Ausnahme des Stimmrechts – aus der Aktie zustehen. Das Gebot, Eigenkapitalinstrumente müssten mindestens mit den Rechten der Vorzugsaktie ohne Stimmrecht ausgestattet sein, gilt – aufgrund der Satzungsstrenge – nur für rechtsformspezifische Eigenkapitalinstrumente,

248

707 Hüffer/Koch, § 187 AktG Rz. 5; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 187 AktG Rz. 16 ff.; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 187 AktG Rz. 7; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 187 AktG Rz. 15; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 187 AktG Rz. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 187 AktG Rz. 9. 708 So aber Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 303. 709 Zum Grundsatz der Satzungsautonomie siehe statt vieler K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3 = S. 83 ff. 710 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 303. 711 Vor dem Hintergrund, dass keine Pflicht zur Verbriefung von Vorzugsaktien besteht, erscheint bereits die Beschränkung des Prinzips auf verbriefte Eigenkapitaltitel zweifelhaft. 712 Vgl. Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (386); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 308; Hirte, ZIP 1991, 1461 ff.; Hirte, ZIP 1988, 477 (478 ff.); Reuter in Verhandlungen des 55. Deutschen Juristentages, Bd. I, 1984, S. B 24 (B 25 f.); F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1943) jeweils zu der Frage, ob der aktiengleichen Ausgestaltung von Genussrechten die §§ 139 ff. AktG entgegenstehen. Offen gelassen von BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (310) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen.

Fest

649

§ 221 AktG Rz. 249

Einzelne Instrumente

namentlich Aktien sämtlicher Gattungen. Dies schließt es allerdings nicht aus, dem funktionellen und bilanziellen Eigenkapital auch solche Kapitalbestandteile zuzurechnen, die gegen die Gewährung anderer Finanzinstrumente als Aktien eingezahlt wurden. Zeugnis hiervon sind u.a. aktienähnlich ausgestaltete Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.),713 deren Zulässigkeit z.B. das Versicherungsaufsichtsrecht in § 53c Abs. 3a VAG voraussetzt. Ein numerus clausus der Eigenkapitalfinanzierungsformen, der der Gewährung aktienähnlich ausgestalteter schuldvertraglicher Finanzinstrumente entgegenstünde, ist dem deutschen Aktienrecht fremd.714 (3) Schutz der Interessen der Gesellschaft und der Aktionäre 249

Weder die Interessen der Gesellschaft noch die Interessen der Aktionäre erfordern die Unzulässigkeit von naked warrants.

250

Bei der Gewährung isolierter Optionsrechte muss der Optionspreis bereits in den Optionsbedingungen festgesetzt werden (siehe Rz. 253). Dieser Umstand birgt für die Gesellschaft das Risiko, dass die Optionsrechte zu einem Zeitpunkt ausgeübt werden, zu dem der Bezugspreis unter dem angemessenen Ausgabekurs der neuen Aktien liegt.715 Liegt der Bezugspreis unter dem inneren Wert der neuen Aktien, erleiden die Altaktionäre durch die Verwässerung einen realen Vermögensverlust; der Gesellschafterzuwachs steht außer Verhältnis zu den eingelegten Vermögenswerten.716 Gegen einen unangemessen niedrigen Ausgabe- bzw. Mindestausgabebetrag können sich die Gesellschaft und die Altaktionäre gemäß § 255 Abs. 2 AktG zwar nur schützen, wenn das Bezugsrecht der Aktionäre gemäß § 186 Abs. 3, 4 AktG ganz oder zum Teil ausgeschlossen wird. Diese Gefahr besteht aber nicht nur bei isolierten Optionsrechten, sondern auch – und sogar verstärkt – bei Optionsanleihen,717 bei denen die Gesellschaft aufgrund der in den Schuldverschreibungen verbrieften Pflichten, die auch bei Ausübung der Option fortbestehen (siehe Rz. 202), weitere liquide Mittel ohne konkrete Gegenleistung auszahlt. Sie gebietet es also nicht, die Gewährung isolierter Optionsrechte zu untersagen.

251

Den Gewinnchancen, die isolierte Optionsrechte den Anlegern eröffnen (siehe Rz. 236), steht das Risiko gegenüber, dass die Ausübung des Optionsrechts aufgrund der Tatsache, dass der Kurs im Umlauf befindlicher Aktien niedriger ist als der Optionspreis, unattraktiv ist, das Optionsrecht unausgeübt verfällt und der investierte Optionspreis wirtschaftlich verloren ist. Vor diesen Gefahren werden die Anleger de lege lata – von der Möglichkeit, Finanztermingeschäfte zum Schutz der Anleger durch Rechtsverordnung verbieten oder beschränken (§ 37g Abs. 1 WpHG) hat das Bundesministerium der Finanzen bislang keinen Gebrauch gemacht718 – durch die Informationspflichten der §§ 31 ff. WpHG geschützt.719 Zwar hat der Gesetzgeber

713 Zur Bilanzierung von Genussrechtskapital siehe Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 403 ff.; Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB Rz. 227 ff.; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. D Rz. 1715 ff. 714 Fuchs, AG 1995, 433 (439). Zu Einzelheiten Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 436 ff. 715 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 306; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 28 mit Fn. 75. Vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 9 zu Aktien mit Bezugsrechten. 716 Statt vieler Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 13. 717 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 37; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 307; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 75; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 (154). 718 Mülbert/Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 37g WpHG Rz. 1. 719 Statt vieler Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 311.

650

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 252 § 221 AktG

mit den §§ 50 ff. BörsG a.F.720 und § 37d WpHG721 weitergehende Vorschriften aufgehoben, die zum Schutz unerfahrener Anleger vor den Folgen besonders riskanter Geschäfte zu dienen bestimmt waren. Eine Schutzlücke, die es gebieten könnte, die Ausgabe von naked warrants als unzulässig anzusehen, ist hierdurch aber nicht entstanden. Die gegenteilige Ansicht fußt wohl darauf, dass der Gesetzgeber die §§ 50 ff. BörsG a.F. im Zuge des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 21.6.2002 durch besondere Informations- und Schadensersatzpflichten (§§ 37d ff. WpHG) ersetzt,722 § 37d WpHG aber mit Wirkung vom 1.11.2007 wieder aufgehoben hat.723 Die Aufhebung von § 37d WpHG war zwar primär dadurch motiviert, Bürokratie abzubauen und die Anlageberatung durch Wertpapierdienstleistungsunternehmen zu flexibilisieren.724 Dieses Interesse hat der Reformgesetzgeber bei der Abwägung mit dem Schutz der Anleger aufgrund der zugleich im Zuge der Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie 2004/39/EG MiFID erweiterten allgemeinen Verhaltenspflichten der Wertpapierdienstleistungsunternehmen stärker gewichtet.725 Vor dem Hintergrund, dass die Schutzbedürftigkeit der Anleger ein wesentliches Kriterium 252 für die Einordnung eines Geschäfts als Börsentermingeschäft war,726 findet die weitergehende Annahme, die Inhaber isolierter Optionsscheine seien in besonderem Maße schutzbedürftig, eine Stütze in der Rechtsprechung des BGH, wonach Geschäfte mit isolierten Optionsscheinen jedenfalls dann Börsentermingeschäfte waren, wenn sich der Optionsschein im wesentlichen nur durch die wertpapierrechtliche Verbriefung von einer entsprechenden unverbrieften börsenmäßigen Option unterschied.727 Im Gegensatz dazu war der Handel mit abgetrennten Optionsscheinen unter Geltung der §§ 50 ff. BörsG a.F. kein Börsentermingeschäft, sondern ein Kassageschäft.728 Diese Differenzierung hat der Reformgesetzgeber bei der Modernisierung des Rechts der Termingeschäfte im Zuge des Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes mit Wirkung vom 1.6.2002729 beseitigt. Der Begriff des Börsentermingeschäfts (§§ 50 ff. BörsG a.F.) wurde durch den Terminus des Finanztermingeschäfts (zunächst § 2 Abs. 2a WpHG, mit Wirkung vom 1.11.2007 überführt in § 37e Satz 2 WpHG730) ersetzt.731 Die für Finanztermingeschäfte in § 37d WpHG eingeführten besonderen Informationspflichten galten unterschiedslos sowohl für isolierte Optionsscheine als auch für abgetrennte Optionsscheine von

720 Aufgehoben im Zuge der Neufassung des BörsG durch Art. 1 i.V.m. Art. 23 Satz 1 des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz) v. 21.6.2002 (BGBl. I 2002, 2010). 721 Aufgehoben durch Art. 1 Nr. 30 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Halbs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz, FRUG) v. 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330). 722 BT-Drucks. 14/8017, 94 zu § 37d WpHG-E. 723 Art. 1 Nr. 30 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Halbs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (FinanzmarktrichtlinieUmsetzungsgesetz) v. 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330). 724 BT-Drucks. 16/4028, 78. 725 BT-Drucks. 16/4028, 78. 726 Vgl. BGH v. 13.7.2004 – XI ZR 178/03, BGHZ 160, 58 (61 f.) = NJW 2004, 2967 = AG 2004, 550 zu §§ 53 ff. BörsG a.F. 727 BGH v. 25.10.1994 – XI ZR 43/94, NJW 1995, 321 (Ls. 1) = WM 1994, 2231. 728 BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 (Ls.) = NJW 1991, 1956 = AG 1991, 319. 729 Art. 2 Nr. 3 i.V.m. Art. 23 Satz 1 des Gesetzes zur weiteren Fortentwicklung des Finanzplatzes Deutschland (Viertes Finanzmarktförderungsgesetz) v. 21.6.2002 (BGBl. I 2002, 2010). 730 Art. 1 Nr. 31 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Halbs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (FinanzmarktrichtlinieUmsetzungsgesetz, FRUG) v. 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330). 731 BT-Drucks. 14/8017, 64.

Fest

651

§ 221 AktG Rz. 253

Einzelne Instrumente

Optionsanleihen.732 An der Gleichbehandlung isolierter und abgetrennter Optionsscheine hat sich seit der Aufhebung von § 37d WpHG mit Wirkung vom 1.11.2007733 unter Geltung der §§ 31 ff. WpHG nichts geändert (siehe Rz. 783). dd) Optionsbedingungen, Ausgestaltung des Optionsrechts 253

Die Optionsbedingungen müssen in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG – unabhängig davon, ob das Optionsrecht im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 237) – mindestens sämtliche Angaben enthalten, die auch der Zeichnungsschein (§ 185 Abs. 1 Satz 1 AktG) enthalten muss. Fehlt eine der erforderlichen Mindestangaben, ist das Optionsrecht in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 2 AktG nichtig (siehe Rz. 164). Im Übrigen können die Emittenten in den Optionsbedingungen das Optionsrecht (siehe Rz. 237) sowie den infolge der Ausübung des Optionsrechts entstehenden Zeichnungsvertrag näher ausgestalten. Begrenzt ist die privatautonome Gestaltungsfreiheit insbesondere durch die §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). (1) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind

254

Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) die Bestimmung entzogen, die die Rechtsnatur des Optionsrechts (eingehend dazu Rz. 237) und die Art der Verbriefung (eingehend dazu Rz. 768 f.) festlegen. Gleiches gilt für die in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG erforderlichen Mindestangaben (siehe Rz. 253) sowie die Bestimmungen, die die Optionsfrist (siehe Rz. 255), das Bezugsverhältnis (siehe Rz. 256), die Gattung der zu erwerbenden Aktien (in der Regel Stammaktien, siehe Rz. 27)734, den Optionspreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs unmittelbar ausgestalten.735

255

Die Bestimmung einer sog. Optionsfrist ist für die Ausgestaltung des Optionsrechts zwar nicht erforderlich, aber marktüblich. Gebräuchlich ist insbesondere die Festlegung einer oder mehrerer Ausübungszeiträume mit der Maßgabe, dass das Optionsrecht nur während dieser Zeiträume ausgeübt werden kann.736 Terminologisch werden insoweit sog. amerikanische Optionen, bei denen eine oder mehrere Ausübungszeiträume während der Laufzeit der Anleihe festgelegt werden, von sog. europäischen Optionen unterschieden, bei denen das Optionsrecht nur innerhalb eines Zeitraums am Ende der Laufzeit ausgeübt werden kann.737 Sog. Ausschlusszeiträume (excluded period), während derer die Berechtigten ihr Optionsrecht nicht ausüben können,738 enthalten die Optionsbedingungen von naked warrants selten. 732 Jung in Fuchs, Vor §§ 37e, 37g WpHG Rz. 76; Mülbert/Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 37e WpHG Rz. 12; Zimmer in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 37e WpHG Rz. 6. 733 Art. 1 Nr. 30 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Halbs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (FinanzmarktrichtlinieUmsetzungsgesetz) v. 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330). 734 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 5; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6. 735 Im Ergebnis auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 23. 736 Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluß bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechten, 2000, S. 27; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 54; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 112 mit Fn. 378. 737 Vgl. Gelhausen/Rimmelspacher, AG 2006, 729 (730); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 85 jeweils für Wandelanleihen. 738 Nodoushani, ZBB 2011, 143 (148); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 143.

652

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 259 § 221 AktG

Das Bezugsverhältnis bestimmt – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 214) – die Anzahl der Aktien, deren Zeichnung die Berechtigten beanspruchen können. Bei der Ausgestaltung können die Emittenten zwischen einem festen Bezugsverhältnis, bei dem die Optionsbedingungen die Anzahl der Aktien, die die Emissionsgesellschaft für ein Optionsrecht liefern muss, und einem variablen Bezugsverhältnis, bei dem sich die Anzahl der zu liefernden Aktien nach dem Aktienkurs bzw. -wert im Zeitpunkt der Ausübung der Option bestimmt, wählen.739 Um das vertraglich festgelegte Bezugsverhältnis zu perpetuieren, können die Emittenten für bestimmte Fälle (z.B. Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen, Verschmelzungen) Verwässerungsschutzklauseln (anti-dilution protection) in die Optionsbedingungen aufnehmen.740

256

Unabhängig davon, ob das Optionsrecht im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 237), müssen die Optionsbedingungen in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AktG jedenfalls den Optionspreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs festlegen (siehe Rz. 253). Auch diese Bestimmungen sind der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen.

257

(2) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen Sämtliche Bestimmungen in den Optionsbedingungen, die das Optionsrecht selbst oder den 258 Anspruch auf Aktien aus dem Zeichnungsvertrag einschränken, verändern, aushöhlen oder nur mittelbar ausgestalten, unterliegen nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). Enthalten die Anleihebedingungen z.B. einen Änderungsvorbehalt, der die Gesellschaft berechtigt, das Bezugsrechtsverhältnis anzupassen oder anstelle der (Bezugs-)Aktien einen Geldbetrag leisten zu dürfen (cash settlement bzw. cash payment in lieu of delivery of shares), muss auch die kundenfeindlichste Abänderung den Gläubigern noch zumutbar sein, § 308 Nr. 4 BGB (zu Einzelheiten siehe Rz. 79 f.). ee) Mitwirkung der Hauptversammlung Naked warrants dürfen in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.).741 Die Hauptversammlung kann der Gewährung isolierter Optionsrechte zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG analog, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder dem Vorstand in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) eine Ermächtigung zu deren Gewährung erteilen. Sofern die isolierten Optionsrechte in Optionsscheinen verbrieft sind, ist die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG bereits durch Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) geboten. Danach muss das Recht der Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Ausgabe von Wertpapieren, die mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind – dies gilt nicht nur für zusammengesetzte Finanzinstrumente, sondern auch für isolierte Options739 Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (52); Nodoushani, ZBB 2011, 143 (149); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 144. 740 Zu einzelnen Gestaltungsvarianten siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 289 ff.; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 71 ff.; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 173 ff.; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 66 ff.; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 67 ff.; Spiering/ Grabbe, AG 2004, 91 (95 f.). 741 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 13; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 75; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 29; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 79; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 53; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 17.

Fest

653

259

§ 221 AktG Rz. 260

Einzelne Instrumente

rechte –, von der Hauptversammlung beschlossen wird. Da die Ausgabe von naked warrants in gleicher Weise wie die Ausgabe von Optionsanleihen mittelbar geeignet ist, die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre erheblich zu beeinträchtigen – konkret: ihre Beteiligungsquote zu verkürzen, ihre effektive Stimmrechtsmacht zu verringern und den wirtschaftlichen Wert ihrer Beteiligungen zu verwässern, wenn die Ausgabe der neuen Aktien unter Wert erfolgt (siehe Rz. 489) – gebietet der Normzweck des § 221 AktG (siehe Rz. 1, 488 f.) die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG auch dann, wenn die Optionsrechte nicht verbrieft werden. Sieht man naked warrants – entgegen der hier vertretenen Ansicht (siehe Rz. 367) – als Genussrechte an, ergibt sich das gleiche Ergebnis aus § 221 Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 329 ff.).742 ff) Bezugsrecht der Aktionäre 260

Auf naked warrants haben die Aktionäre in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Bezugsrecht.743 Die entsprechende Anwendung vom § 221 Abs. 4 AktG ist zum einen durch den Umstand geboten, dass die Gewährung isolierter Aktienoptionen – unabhängig von deren Verbriefung – für die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der (Alt-)Aktionäre – konkret: ihre Beteiligungsquote, ihre effektive Stimmrechtsmacht und den Vermögenswert ihrer Beteiligung, wenn die neuen Aktien unter Wert ausgegeben werden – mittelbar dieselben Gefahren begründet wie die Ausgabe von Optionsanleihen (siehe Rz. 489, 565). Zum anderen erfordern die Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG) die entsprechende Anwendung, wenn die isolierten Optionsrechte – wie üblich – zu Wertpapieren verbrieft werden.744 Im Unterschied zu § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG setzt Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) keine Verbindung des Bezugsrechts mit einer Schuldverschreibung voraus. Die Vorgaben gelten unterschiedslos für sämtliche in Wertpapieren verbriefte Bezugsrechte auf Aktien, seien es Optionsanleihen, seien es isolierte Optionsscheine. Das Bezugsrecht der Aktionäre auf naked warrants kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). gg) Absicherung der Bezugsrechte

261

Werden naked warrants nicht als Vergütungsbestandteil gewährt (siehe Rz. 235), sondern zu Finanzierungszwecken ausgegeben, können die Bezugsrechte auf Aktien in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert werden.745 Der direkte Anwendungsbereich des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG 742 So Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 94 f.; Fuchs, DB 1997, 661 (668); Schlitt/ Löschner, BKR 2002, 151 (153); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9. 743 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 13; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 37; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 29; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9; im Ergebnis auch Fuchs, AG 1995, 433 (436): direkte Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG auf Grundlage der Annahme, naked warrants seien Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG. 744 Vgl. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 38; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (561) zu der entsprechenden Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG. 745 Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 138 f.; Ekkenga in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 15 Rz. 243; Fuchs, AG 1995, 433 (450); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 13; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 38; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (561); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221

654

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 261 § 221 AktG

ist auf Bezugsrechte – seien es unselbstständige Optionsrechte, seien es abtrennbare Optionsscheine (siehe Rz. 212, 770) – begrenzt, die im Ausgabezeitpunkt Bestandteil einer Wandelschuldverschreibung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG sind.746 Der Katalog der Zwecke, zu denen eine bedingte Kapitalerhöhung beschlossen werden kann (§ 192 Abs. 2 Nr. 1-3 AktG), ist aufgrund des Ausnahmecharakters der bedingten Kapitalerhöhung im Gefüge der Kapitalbeschaffungsmaßnahmen abschließend.747 Dies schließt es zwar aus, die Aufzählung um andere Zwecke zu erweitern748 – diese Entscheidung ist dem Gesetzgeber vorbehalten –, hindert aber nicht daran, einzelne Nummern entsprechend anzuwenden.749 Die methodologischen Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG – von einer Regelungslücke ist insoweit auszugehen,750 da isolierte Optionsrechte zwar bereits bei dem Erlass des AktG 1937 bekannt waren,751 aber weder in der amtlichen Begründung des AktG 1937 noch in der Regierungsbegründung des AktG 1965 erwähnt sind – sieht die überwiegende Ansicht bei Wandel- und Optionsgenussrechten (eingehend dazu Rz. 483 ff.),752 Wandel- und Optionsgewinnschuldverschreibungen (siehe Rz. 323)753 und sog. Optionsaktien (eingehend dazu Rz. 276 ff.)754 als gegeben an. Für naked warrants kann nichts anderes gel-

746 747 748 749

750

751 752

753 754

AktG Rz. 47; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 313; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (223); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 29; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 75; Paefgen, AG 1999, 67 (70); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 79; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 151 (156); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 16, § 64 Rz. 53; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 17; Wehrhahn, BKR 2003, 124 (125); a.A. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (124) = ZIP 2002, 1807; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 68; Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 192 AktG Rz. 29; Kuntz, AG 2004, 480 (485); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 9; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 13. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123) = ZIP 2002, 1807. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123) = ZIP 2002, 1807; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 16. Unklar Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 38: nicht starr, sondern nur Soll-Vorschrift. Wohl a.A. Hoffmann, AG 1973, 47 (56 f.) unter Hinweis auf den Wortlaut („soll“). OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123) = ZIP 2002, 1807; von Dryander/ Niggemann in Hölters, § 192 AktG Rz. 22; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 49; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 37; Fuchs, AG 1995, 433 (445); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 38; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (223); Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 8; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 25; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 192 AktG Rz. 14; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 16; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 10. A.A. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 66; Kuntz, AG 2004, 480 (485). Die von Frey als Beleg angeführte Passage der Amtliche Begründung zu den §§ 159-168 AktG 1937 (abgedruckt bei Klausing, Aktiengesetz, 1937, S. 144) bringt lediglich – in Übereinstimmung mit § 159 Abs. 2 Alt. 2 AktG 1937 und § 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG – den Willen zum Ausdruck des Gesetzgebers zum Ausdruck, die bedingte Kapitalerhöhung sei ein taugliches Mittel zur Erleichterung wirtschaftlich gerechtfertigter Verschmelzungen. Eine Aussage zur Zulässigkeit und Absicherung isolierter Bezugsrechte enthält die Textstelle m. E. nicht. Ritter, AktG, 1939, § 159 Anm. 1. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (123) = ZIP 2002, 1807; Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 192 AktG Rz. 27; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 10; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 5; Roth/Schoneweg, WM 2002, 677 (680); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 16; Schröer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 6 Rz. 42. Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 10; Roth/Schoneweg, WM 2002, 677 (680); Veil in K. Schmidt/Lutter, § 192 AktG Rz. 12. Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 81; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 53; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 321; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 10; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 192 AktG Rz. 10; Martens, AG 1989, 69 (71); Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 32; Rieder/Holzmann in Gri-

Fest

655

§ 221 AktG Rz. 262

Einzelne Instrumente

ten.755 Zum einen wird der Ausnahmecharakter der bedingten Kapitalerhöhung im System der Kapitalbeschaffungsmaßnahmen – diesen bemüht das OLG Stuttgart zur Begründung der gegenteiligen Ansicht756 – hierdurch nicht weitergehend angetastet als bei der Gewährung der anderen genannten Finanzierungsinstrumente. Zum anderen vermag die Gefahr, dass die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) von den Emittenten nur gewählt wird, um das Kontrollniveau der ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) und des bedingten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) zu vermeiden, keine unterschiedliche Behandlung von abtrennbaren Optionsscheinen und naked warrants zu rechtfertigen.757 Ihr soll nach dem Willen des Gesetzgebers die Beschränkung des Nennbetrags des bedingten Kapitals (§ 192 Abs. 3 AktG) entgegenwirken.758 262

Sind die Aktienbezugsrechte von naked warrants, die gegen eine Geldleistung ausgegeben wurden, durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert (siehe Rz. 261), findet § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG auf die Leistung der Einlagen weder direkte noch entsprechende Anwendung. Einer direkten Anwendung steht entgegen, dass naked warrants nicht mit einer Schuldverschreibung verbunden sind und daher kein Umtausch stattfinden kann. Eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG würde eine besondere Bestimmung in den Optionsbedingungen voraussetzen, die eine Gefährdung der realen Kapitalaufbringung ausschließt. Die Regelungen, die bei Optionsanleihen ausnahmsweise eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG gebieten (eingehend dazu Rz. 229), beruhen wesentlich darauf, dass das Aktienbezugsrecht zumindest im Zeitpunkt der Ausgabe der Optionsanleihe mit einer Schuldverschreibung verbunden war. Naked warrants werden – im Gegensatz zu abgetrennten Optionsscheinen (siehe Rz. 212, 770) – ohne Schuldverschreibung gewährt, weshalb die Optionsbedingungen keine den Anleihebedingungen von Optionsanleihen vergleichbaren Bestimmungen enthalten, die eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG gebieten könnten.

263

Die Bezugsrechte auf Aktien aus naked warrants können auch durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.)759 und eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) abgesichert werden. Diese Formen der Absicherung sind aber – im Vergleich mit der bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff., 261) – mit denselben Nachteilen behaftet wie bei der Absicherung von Umtausch- und Bezugsrechten aus Wandel- bzw. Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 101 ff., 107 ff.). b) Covered warrants

264

Covered warrants (bzw. covered options) sind – nicht notwendig, aber regelmäßig verbrieft in Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB)760 – Optionsrechte, die weder mit Schuld-

755 756 757 758 759 760

656

goleit, § 192 AktG Rz. 22; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9; a.A. Bungeroth in G/H/ E/K, 1993, § 192 AktG Rz. 28; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 9, § 221 AktG Rz. 186. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 313; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 75; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9; a.A. OLG Stuttgart v. 16.1.2001 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (124) = ZIP 2002, 1807. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (124) = ZIP 2002, 1807. So aber Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 67. Amtliche Begründung zu den §§ 159-168 AktG 1937, abgedruckt bei Klausing, Aktiengesetz, 1937, S. 144. Diesen Gedanken hat sich der Gesetzgeber des § 192 AktG 1965 übernommen, siehe BTDrucks. IV/171, 194 f. OLG Stuttgart v. 16.1.2002 – 8 W 517/01, BKR 2003, 122 (124) = ZIP 2002, 1807; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 168 f.; Wehrhahn, BKR 2003, 124 (125). Zu praktischen Schwierigkeiten siehe Roth/Schoneweg, WM 2002, 677 (682). BGH v. 25.10.1994 – XI ZR 43/94, NJW 1995, 321 (322) = WM 1994, 2231.

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 266 § 221 AktG

verschreibungen noch mit Aktien verbunden sind (sog. Optionsaktien, eingehend dazu Rz. 276 ff.), sondern ohne sonstige Wertpapiere ausgegeben werden. Sie gewähren den Inhabern das Recht, bereits existente eigene Aktien der Emissionsgesellschaft zu einem in den Optionsbedingungen festgelegten Preis (sog. Optionspreis) innerhalb eines bestimmten Zeitraums oder zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erwerben.761 Damit unterscheiden sich covered warrants von naked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.) nur durch das Bezugsobjekt. aa) Rechtsnatur des Optionsrechts Grundlage des Optionsrechts ist – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 207) und naked warrants (siehe Rz. 237) – ein im bürgerlichen Recht nicht ausdrücklich geregelter Optionsvertrag. Dieser wird in den Optionsbedingungen – wie bei naked warrants (siehe Rz. 237) – in der Regel als Vorvertrag ausgestaltet, der den Inhabern der covered warrants einen Anspruch gegen die Gesellschaft auf Veräußerung eigener Aktien gewährt. Möglich, aber wohl ohne praktische Bedeutung ist die alternative Ausgestaltung des Optionsrechts als Gestaltungsrecht, das die Inhaber der covered warrants berechtigt, durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ohne Mitwirkung der Gesellschaft die in den Optionsbedingungen inhaltlich vorgeformte Veräußerung eigener Aktien zustande zu bringen.

265

Geschäfte mit covered warrants sind ebenso wie Geschäfte mit ungedeckten Optionsrechten, die sich nicht auf eigene Aktien der Emissionsgesellschaft, sondern auf Aktien oder andere Basiswerte einer anderen Gesellschaft beziehen, Finanztermingeschäfte i.S.d. § 37e Satz 2 WpHG.762 Zwar übernimmt der sog. Stillhalter nur bei ungedeckten Optionsrechten die risikobehaftete Verpflichtung, zu einem bestimmten Zeitpunkt – in der Regel am Ende der Laufzeit (sog. europäische Option, siehe Rz. 255) – oder während eines bestimmten Zeitraums in der Zukunft (sog. amerikanische Option, siehe Rz. 255) eine bestimmte Anzahl des Basiswertes zu einem im Voraus vereinbarten Preis kaufen (sog. call option) oder verkaufen zu müssen (sog. put option).763 Dieses sog. Eindeckungsrisiko ist aber keine Voraussetzung für das Finanztermingeschäft.764 Maßgeblich ist, dass das auf den Kaufpreis beschränkte Verlustrisiko bei covered warrants nicht geringer ist als bei ungedeckten Optionsrechten.765

266

761 Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 72; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (556). 762 Kumpan in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rz. 37. Vgl. auch BGH v. 17.11.1998 – XI ZR 78/98, NJW-RR 1999, 554 (555) zu §§ 52 f. BörsG a.F.; G. Roth in KölnKomm/WpHG, § 37e WpHG Rz. 16. 763 BGH v. 25.10.1994 – XI ZR 43/94, NJW 1995, 321 (322) = WM 1994, 2231; BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 (180 f.) = NJW 1991, 1956 = AG 1991, 319; BGH v. 22.10.1984 – II ZR 262/83, BGHZ 92, 317 (318 f.) = NJW 1985, 634 = AG 1985, 79; Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 11; Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 2 WpHG Rz. 44; Ekkenga in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2014, Effektengeschäft Rz. 52; Fuchs in Fuchs, § 2 WpHG Rz. 44; Kumpan in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rz. 37; G. Roth in KölnKomm/WpHG, § 2 WpHG Rz. 67. 764 Vgl. BGH v. 17.11.1998 – XI ZR 78/98, NJW-RR 1999, 554 (555) zu §§ 52 f. BörsG a.F. 765 Vgl. BGH v. 17.11.1998 – XI ZR 78/98, NJW-RR 1999, 554 (555) zu §§ 52 f. BörsG a.F.

Fest

657

§ 221 AktG Rz. 267

Einzelne Instrumente

bb) Zulässigkeit 267

Im Unterschied zu naked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.) sind covered warrants nach allgemeiner Ansicht zulässig.766 Sie beinhalten weder ein vertragliches Bezugsrecht auf neue Aktien i.S.d. § 187 AktG noch müssen die eventuell entstehenden Verschaffungspflichten durch eine Kapitalerhöhung abgesichert werden. cc) Optionsbedingungen, Ausgestaltung der Optionsrechte

268

In den Optionsbedingungen können die Emittenten das Optionsrecht (siehe Rz. 265) sowie die infolge der Ausübung des Optionsrechts entstehenden Verschaffungspflichten näher ausgestalten. Begrenzt ist die privatautonome Gestaltungsfreiheit insbesondere durch die §§ 307 ff. BGB. Da die Bezugsrechte nicht mit neuen Aktien, sondern mit eigenen Aktien bedient werden sollen, findet § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4, Abs. 2 AktG im Gegensatz zu naked warrants (siehe Rz. 253) keine entsprechende Anwendung.

269

Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) die Bestimmungen entzogen, die die Rechtsnatur des Optionsrechts (siehe Rz. 265), die Art der Verbriefung (siehe Rz. 768 f.), die Optionsfrist (siehe Rz. 255), das Bezugsverhältnis (siehe Rz. 256), die Gattung der zu erwerbenden Aktien (in der Regel Stammaktien), den Optionspreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs festlegen. Hingegen unterliegen sämtliche Bestimmungen, die das Optionsrecht selbst oder die Verschaffungsansprüche auf Aktien einschränken, verändern, aushöhlen oder mittelbar ausgestalten, nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). dd) Mitwirkung der Hauptversammlung

270

Covered warrants dürfen in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.).767 Die Hauptversammlung kann der Gewährung isolierter Optionsrechte zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG analog, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder dem Vorstand in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) eine Ermächtigung zu deren Gewährung erteilen. Die entsprechende Anwendung ist zum einen durch den Normzweck des § 221 AktG (siehe Rz. 1, 488 f.) geboten, da die Ausgabe von covered warrants in gleicher Weise wie die Ausgabe von Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) mittelbar geeignet ist, die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre zu beeinträchtigen, nämlich ihre Beteiligungsquote zu verkürzen, ihre effektive Stimmrechtsmacht zu verringern und den wirtschaftlichen Wert ihrer Beteiligungen – bei Abgabe der eigenen Aktien unterhalb des inneren Wertes – zu verwässern (siehe Rz. 489).768 Zum anderen legt Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) dieses Ergebnis nahe. Danach muss das Recht der Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Ausgabe von Wertpapieren, die mit einem Be-

766 Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 72; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (556, 562). 767 A.A. Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 72; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 57; wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562): Anwendung von § 221 AktG im Hinblick auf das Erwerbsrecht der Aktionäre. 768 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (553).

658

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 272 § 221 AktG

zugsrecht auf Aktien – nicht notwendig neue Aktien – verbunden sind, von der Hauptversammlung beschlossen wird.769 ee) Bezugsrecht der Aktionäre Vor den möglichen Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung sind die 271 Aktionäre nicht nur durch das Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung (siehe Rz. 270), sondern auch dadurch geschützt, dass sie in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich ein Bezugsrecht auf covered warrants haben.770 Die entsprechende Anwendung ist zum einen wegen der Konkurrenz des Optionsrechts mit dem nach überwiegender Ansicht771 bei der Veräußerung eigener Aktien grundsätzlich bestehenden Vorerwerbsrecht der Aktionäre geboten; sie ist der bei Optionsanleihen im direkten Anwendungsbereich des § 221 AktG bestehenden Konkurrenz der vertraglichen Bezugsrechte mit dem gesetzlichen Bezugsrecht der Aktionäre auf neue Aktien (§ 186 AktG) vergleichbar. Zum anderen gebietet Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG) dieses Ergebnis.772 Danach muss das Recht der Mitgliedstaaten bei der Ausgabe aller Wertpapiere, die mit einem Bezugsrecht auf Aktien – nicht notwendig neue Aktien – verbunden sind, vorsehen, dass diese den Aktionären im Verhältnis zu dem durch ihre Aktien vertretenen Teil des Kapitals angeboten werden. Das Bezugsrecht der Aktionäre auf covered warrants kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). ff) Absicherung und Bedienung der Optionsrechte Bei dem (Rück-)Erwerb der zur Absicherung der Optionsrechte erforderlichen eigenen Aktien sind die §§ 71 ff. AktG zu beachten. Regelmäßig bedarf es einer Ermächtigung des Vorstands durch die Hauptversammlung nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG. In dem hierfür erforderlichen Beschluss kann die Hauptversammlung die spätere Verwendung der eigenen Aktien – konkret: die Bedienung der Optionsrechte – festsetzen; notwendig ist dies aber nicht.773 Er769 In Anbetracht der systematischen Stellung von Art. 29 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Richtlinie 77/91/EWG) offen gelassen von Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (554). 770 Ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (553, 562): direkte Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG; a.A. Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 72; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 57. 771 Baldamus, Reform der Kapitalrichtlinie, 2002, S. 185; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 71 AktG Rz. 80; Habersack, ZIP 2004, 1121 (1125); Hirsch, Der Erwerb eigener Aktien nach dem KonTraG, 2004, S. 177; U. Huber in FS Kropff, 1997, S. 101 (118); Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 19m; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, § 71 AktG Rz. 177; Martens, AG 1996, 337 (342 f.); Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 81; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 247; Reichert/Harbarth, ZIP 2001, 1441; Wieneke in Bürgers/Körber, § 71 AktG Rz. 41; einschränkend Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 130 ff.: eingeschränktes Erwerbsrecht; a.A. Lüken, Der Erwerb eigener Aktien nach §§ 71 ff. AktG, 2003, S. 205 f.; Piepenburg, BB 1996, 2582 (2584). 772 In Anbetracht der systematischen Stellung von Art. 33 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Richtlinie 77/91/EWG) offen gelassen von Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (554). 773 LG Berlin v. 15.11.1999 – 99 O 83/99, NZG 2000, 944 (945) = AG 2001, 543; BT-Drucks. 13/9712, 13 zu §§ 71, 71d AktG-E; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 71 AktG Rz. 18; Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 96; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 71 AktG Rz. 48; Hüffer/Koch, § 71 AktG

Fest

659

272

§ 221 AktG Rz. 273

Einzelne Instrumente

forderlich ist hingegen die Festsetzung des Gegenwertes für die eigenen Aktien. Hierfür bedarf es allerdings nicht der Bezifferung eines konkreten Betrags; ausreichend ist z.B. auch die prozentuale Anbindung an den durchschnittlichen Börsenkurs während eines bestimmten zukünftigen Zeitraums.774 273

Die Übertragung eigener Aktien ausschließlich an die Inhaber der covered warrants kann nicht über die Börse i.S.d. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG erfolgen. Daher muss die Hauptversammlung eine andere Veräußerung i.S.d. § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 1 AktG beschließen.775 Hierbei ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 i.V.m. § 53a AktG) zu beachten.776 Sind einzelne Aktionäre auch Inhaber der covered warrants, geht mit der Andienung der eigenen Aktien ausschließlich an sie eine formale Ungleichbehandlung der Aktionäre einher. Diese ist allerdings – wie bei herkömmlichen Wandelanleihen, deren Umtauschrechte mit eigenen Aktien bedient werden sollen (eingehend dazu Rz. 115) – dadurch sachlich gerechtfertigt, dass alle Aktionäre aufgrund ihres Bezugsrechts auf covered warrants (siehe Rz. 271) die gleiche Chance haben, eigene Aktien der Emissionsgesellschaft zu erwerben.

274

Das bei der (Wieder-)Veräußerung eigener Aktien grundsätzlich bestehende Vorerwerbsrecht der Aktionäre kann gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen werden. Sofern die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht eingehalten werden (eingehend dazu Rz. 670 ff.), ergibt sich die im Einzelfall erforderliche sachliche Rechtfertigung (eingehend dazu Rz. 628 ff.) regelmäßig daraus, dass den Aktionären grundsätzlich ein Bezugsrecht auf die covered warrants zusteht (siehe Rz. 271), das es ihnen ermöglicht, Verwässerungs- und Mediatisierungseffekte zu verhindern. 3. Optionsrechte als Baustein anderer Finanzinstrumente

275

Können Optionsrechte nicht nur im Zusammenhang mit Schuldverschreibungen eingeräumt und als Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) ausgegeben, sondern auch isoliert gewährt werden (eingehend dazu Rz. 232 ff.), ist es auch zulässig, Optionsrechte mit anderen Rechtsverhältnissen zu einem zusammengesetzten Finanzinstrument zu verbinden.

Rz. 19f; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, § 71 AktG Rz. 138, 139; Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 266, 268; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 207 f.; Wieneke in Bürgers/Körber, § 71 AktG Rz. 34. 774 OLG Hamburg v. 30.12.2004 – 11 U 98/04 – AGIV, NZG 2005, 218 (221) = AG 2005, 355; BTDrucks. 13/9712, 13 zu §§ 71, 71d AktG-E; Hüffer/Koch, § 71 Rz. 19e; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 71 AktG Rz. 127; Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 249; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 199; wohl a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 314. 775 Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 256; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (257). 776 Ein gegen § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG verstoßender Beschluss ist nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar, siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 19j; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 250. Die in Vollzug eines solchen Beschluss getätigten Veräußerungen sind aber wirksam; den aufgrund der Ungleichbehandlung benachteiligten Aktionären stehen lediglich Schadensersatzansprüche zu, siehe Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 71 AktG Rz. 30; Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 92.

660

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 278 § 221 AktG

a) Optionsaktien Optionsrechte können mit Aktien zu sog. Optionsaktien – umgangssprachlich als Huckepack-Optionen bzw. Huckepack-Emissionen bezeichnet – verbunden werden.777 Dies gilt sowohl für Stamm- als auch für Vorzugsaktien.

276

aa) Wirtschaftliche Vorteile Die Verbindung neuer Aktien mit einem Optionsrecht erhöht regelmäßig nicht nur die Attraktivität der neuen Aktien für die Anleger,778 sondern erlaubt es der Emissionsgesellschaft auch, die Aktien zu einem höheren Ausgabebetrag abzusetzen.779 Dieser Effekt wird u.a. bei der Akquisitionsfinanzierung mit Hilfe einer Zweckgesellschaft genutzt.780 Die für den Erwerb der Zielgesellschaft erforderlichen Mittel erlangt die Zweckgesellschaft durch die Börseneinführung neuer Aktien. Deren Attraktivität für potentielle Anleger wird dadurch gesteigert, dass sie mit einem oder mehreren Optionsrechten verbunden sind, die die Inhaber zum Erwerb weiterer Aktien der Zweckgesellschaft berechtigen.781

277

In Verbindung mit Vorzugsaktien ohne Stimmrecht kann das Optionsrecht zur Schaffung sog. 278 wandelbarer Vorzugsaktien benutzt werden. Bei dieser Gestaltung wird den Vorzugsaktionären das – in der Regel unselbstständige – Recht eingeräumt, Stammaktien der Emissionsgesellschaft – seien es neue Aktien, die die Gesellschaft durch eine Kapitalerhöhung schafft, seien es im Bestand gehaltene eigene Aktien – zu erwerben.782 Die Ersetzung der stimmrechtslosen Vorzugsaktien durch Stammaktien wird in den Optionsbedingungen dadurch sichergestellt, dass die Emissionsgesellschaft nur gegen Aushändigung der Vorzugsaktien zur Ausgabe der Stammaktien verpflichtet ist. Der hiermit einhergehende Erwerb der eigenen (Vorzugs-)Aktien bedarf einer Ermächtigung der Hauptversammlung (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 1 AktG); die anschließende Einziehung der erworbenen Vorzugsaktien erfolgt nach Maßgabe der §§ 237 ff. AktG. Dieser Vorgang ist keine Aufhebung des Vorzugs i.S.d. § 141 Abs. 1 AktG;783 er bedarf zu seiner Wirksamkeit nicht der Zustimmung der Vorzugsaktionäre. Er unterscheidet sich von einem Vorzug, der unter der auflösenden Bedingung einer Wandlungserklärung des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft steht (siehe Rz. 200), dadurch, dass er die Mitgliedschaft der Aktionäre nicht unberührt lässt, sondern die bisherigen, auf den Vorzugsaktien beru-

777 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 81; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562); Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (916 ff.); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 320; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 76; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 30; Martens, AG 1989, 69 (77); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 81; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (79); Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9, § 64 Rz. 53; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 18; a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 60; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 186. 778 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (66). 779 Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 74; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 67; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 60; Fuchs, AG 1995, 433 (437); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 318; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 76; Martens, AG 1989, 69; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 81. 780 Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 75. 781 Fuchs, AG 1995, 433 (437); Harrer in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 5 Rz. 158; 782 Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (922); Wirth/Arnold, ZGR 2002, 859 (868 ff.). 783 Im Ergebnis ebenso Habersack in FS H.P. Westermann, 2008, S. 913 (922).

Fest

661

§ 221 AktG Rz. 279

Einzelne Instrumente

henden Mitgliedschaften durch den konstitutiven (Rück-)Erwerb der stimmrechtslosen Vorzugsaktien beendet und an deren Stelle neue Mitgliedschaften durch die Zeichnung bzw. (Wieder-)Veräußerung eigener Stammaktien begründet. bb) Rechtsnatur des Optionsrechts, Ausgestaltung in den Optionsbedingungen 279

Das Optionsrecht ist keine im Aktienrecht vorgesehene inhaltliche Ausgestaltung der Mitgliedschaft, sondern – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 207) – ein davon zu unterscheidender Optionsvertrag, der lediglich mit der Aktie verbunden ist. Der Optionsvertrag ist nicht korporations-, sondern schuldrechtlicher Natur (siehe Rz. 207). Er wird in den Optionsbedingungen – wie bei naked warrants (siehe Rz. 237) und covered warrants (siehe Rz. 265) – in der Regel als Vorvertrag ausgestaltet, der den Gläubigern – je nach Absicherung der Bezugsrechte (siehe Rz. 286) – einen Anspruch gegen die Gesellschaft auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags bzw. Veräußerung eigener Aktien gewährt. Möglich, aber wohl ohne praktische Bedeutung ist die alternative Ausgestaltung des Optionsrechts als Gestaltungsrecht, das die Inhaber der Optionsrechte berechtigt, durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ohne Mitwirkung der Gesellschaft den in den Optionsbedingungen inhaltlich vorgeformten Zeichnungsvertrag bzw. die Veräußerung eigener Aktien zustande zu bringen.

280

Sollen die Bezugsrechte mit neuen Aktien bedient werden, müssen die Optionsbedingungen in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG – unabhängig davon, ob das Optionsrecht im Einzelfall als Vorvertrag oder Gestaltungsrecht ausgestaltet ist (siehe Rz. 279) – mindestens sämtliche Angaben enthalten, die auch der Zeichnungsschein (§ 185 Abs. 1 Satz 1 AktG) enthalten muss (siehe Rz. 209, 253, 280). Im Übrigen können die Emittenten in den Optionsbedingungen das Optionsrecht (siehe Rz. 279) sowie die infolge der Ausübung des Optionsrechts entstehenden Zeichnungsverträge bzw. Verschaffungspflichten näher ausgestalten. Begrenzt ist die privatautonome Gestaltungsfreiheit insbesondere durch die §§ 307 ff. BGB. Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) die Bestimmungen entzogen, die die Rechtsnatur des Optionsrechts (siehe Rz. 279), die Art der Verbriefung sowie Unselbstständigkeit des Optionsrechts oder – dies ist der Regelfall in der Praxis784 – die Abtrennbarkeit eines gesondert verbrieften Optionsscheins festlegen (siehe Rz. 770). Gleiches gilt für die in entsprechender Anwendung von § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG erforderlichen Mindestangaben sowie die Bestimmungen, die die Optionsfrist (siehe Rz. 255), das Bezugsverhältnis (siehe Rz. 256), die Gattung der zu erwerbenden Aktien – in der Regel wird es sich um Stammaktien handeln –, den Optionspreis sowie etwaige Zuzahlungen im Rahmen des Aktienerwerbs unmittelbar ausgestalten. Hingegen unterliegen sämtliche Bestimmungen, die das Optionsrecht selbst oder die Verschaffungsansprüche auf Aktien einschränken, verändern, aushöhlen oder mittelbar ausgestalten, nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). cc) Mitwirkung der Hauptversammlung

281

Optionsaktien sind zusammengesetzte Finanzinstrumente bestehend aus neuen Aktien und Optionsrechten (siehe Rz. 279). Daher sind zwei (Einzel-)Beschlüsse zu unterscheiden:

282

Die Ausgabe der neuen Aktien erfordert eine Kapitalerhöhung, die – gleichgültig, ob es sich um eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG) oder genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG) handelt – von der Hauptversammlung beschlossen werden muss. 784 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, S. 62 (66).

662

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 285 § 221 AktG

Das Optionsrecht, das mit den neuen Aktien verbunden werden soll, darf – unabhängig davon, ob es im Einzelfall als Vorvertrag oder Gestaltungsrecht ausgestaltet ist (siehe Rz. 279) – in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung gewährt werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.).785 In der Regel wird die Hauptversammlung in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff.) eine Zustimmung beschließen. Eine Ermächtigung des Vorstands zu der Gewährung der Optionsrechte in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) wird wohl nur in Betracht kommen, wenn die Hauptversammlung ein genehmigtes Kapital schafft und den Vorstand gemäß § 202 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Erhöhung des Grundkapitals durch die Ausgabe der neuen Aktien ermächtigt. Die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG ist zum einen durch den Normzweck des § 221 AktG (siehe Rz. 1, 488 f.) geboten, da die Bedienung der Optionsrechte – sei es durch die Ausgabe neuer Aktien, sei es durch die (Wieder-)Veräußerung eigener Aktien – die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre in gleicher Weise beeinträchtigt wie bei Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.), nämlich ihre Beteiligungsquote verkürzt, ihre effektive Stimmrechtsmacht verringert und den wirtschaftlichen Wert ihrer Beteiligungen – bei Abgabe der eigenen Aktien unterhalb des inneren Wertes – verwässert (siehe Rz. 489).786 Zum anderen gebietet Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) dieses Ergebnis. Danach muss das Recht der Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Ausgabe von Wertpapieren – nicht notwendig Schuldverschreibungen –, die mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, von der Hauptversammlung beschlossen wird.787

283

Die (Einzel-)Beschlüsse (Rz. 282, 283) können – wie in der Praxis üblich – zeitgleich in Form eines zusammengesetzten Gesamtbeschlusses gefasst werden.788 Dabei ist zu beachten, dass die Satzung unterschiedliche Kapital- und/oder Stimmenmehrheiten sowie divergierende weitere Erfordernisse bestimmen kann, §§ 179 Abs. 1 Satz 2, 3, 182 Abs. 1 Satz 3, 193 Abs. 1 Satz 2, 202 Abs. 2 Satz 3, 133 Abs. 1 AktG.

284

dd) Bezugsrecht der Aktionäre Auf die neuen Aktien, mit denen das Optionsrecht verbunden werden soll, haben die (Alt-)Aktionäre nach § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG – oder i.V.m. § 203 Abs. 1 Satz 1 AktG, wenn die neuen Aktien durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG) geschaffen werden – ein gesetzliches Bezugsrecht. Gegenstand dieses Bezugsrechts sind allerdings nur die neuen Aktien, nicht hingegen das mit diesen lediglich verbundene Optionsrecht. Auf diese haben die Aktionäre in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich ein Bezugsrecht.789 Die entsprechende Anwendung vom § 221 Abs. 4 AktG ist zum einen durch den Umstand geboten, dass die mit den Aktien verbundenen Optionsrechte in gleicher Weise wie bei Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) geeignet sind, die mitgliedschaftli785 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 53; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562); Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 320; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 18; a.A. Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 76; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 32; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 81; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 53: kein Beschluss nach § 221 Abs. 1, 2 AktG erforderlich. Unklar Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 81. 786 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (553). 787 In Anbetracht der systematischen Stellung von Art. 29 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Richtlinie 77/91/EWG) offen gelassen von Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (554). 788 Krieger in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 63 Rz. 22; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 18. 789 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 39; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 320; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9.

Fest

663

285

§ 221 AktG Rz. 286

Einzelne Instrumente

che Rechtsstellung der (Alt-)Aktionäre – konkret: die Beteiligungsquote, die effektive Stimmrechtsmacht und den Vermögenswert der Beteiligung, wenn die Aktien unter Wert ausgegeben werden – zu beeinträchtigen (siehe Rz. 489, 565). Zum anderen erfordern die Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG) die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG, wenn die Optionsrechte – wie üblich – in abtrennbaren Optionsscheinen verbrieft werden. Im Unterschied zu § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG setzt Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) keine Verbindung des Bezugsrechts mit einer Schuldverschreibung voraus. Die Vorgaben gelten unterschiedslos für sämtliche in Wertpapieren verbriefte Bezugsrechte auf Aktien, seien es Optionsanleihen, seien es isolierte Optionsscheine, seien es Optionsaktien. Die Bezugsrechte auf die Aktien können nach § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen oder gemäß § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden. Gleiches gilt in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG für das Bezugsrecht auf die Optionsrechte (eingehend dazu Rz. 613 ff., 593 ff.). ee) Absicherung der Bezugsrechte 286

Auch bei Optionsaktien können die Bezugsrechte auf Aktien in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden.790 Insoweit kann nichts anderes gelten als bei naked warrants (siehe Rz. 261).791 Für die Emittenten besteht daher grundsätzlich keine Notwendigkeit, auf andere – im Vergleich zu der bedingten Kapitalerhöhung aber regelmäßig mit erheblichen Nachteilen verbundene – Absicherungsmechanismen, nämlich genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.), eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) oder eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.), zurückzugreifen. Eine Pflicht der Gesellschaft zur Absicherung der Optionsrechte besteht – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 221) – nicht.792 Gegenteiliges ist § 187 Abs. 2 AktG nicht zu entnehmen, da § 221 AktG auch bei nur entsprechender Anwendung (siehe Rz. 283, 285) lex specialis gegenüber § 187 AktG ist (siehe Rz. 85). Daher liegt die Entscheidung darüber, ob und mit welchen Mitteln die Optionsrechte abgesichert werden, im Ermessen der Gesellschaft. b) Going-Public-Optionsanleihen

287

Beabsichtigt eine Aktiengesellschaft die Börseneinführung ihrer Aktien, kann sie den Finanzbedarf, der zwischen dem Entschluss, den Börsengang zu wagen, und dem Zufluss des 790 Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 81; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 53; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 321; Hüffer/Koch, § 192 AktG Rz. 10, § 221 AktG Rz. 76; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 30; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 192 AktG Rz. 10; Martens, AG 1989, 69 (73); Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 32; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 192 AktG Rz. 22; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9; a.A. Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 192 Rz. 28; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 192 AktG Rz. 9. 791 Für die Gleichbehandlung dieser Gestaltungen Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 39; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9. Die differenzierende Ansicht von Martens, isolierte Optionsrechte seien unzulässig (AG 1989, 69 [72]), fußt auf der Annahme, Optionsrechte seien nur zulässig, wenn ihnen eine „Hilfsfunktion“ (AG 1989, 69) zukomme. Diese Annahme kann insbesondere seit dem Inkrafttreten des § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG nicht mehr aufrechterhalten werden, siehe Rz. 245. 792 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 46; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (257); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 84, die zutreffend darauf hinweisen, dass die Platzierung einer Wandelschuldverschreibung ohne Absicherung erheblich gefährdet wäre.

664

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 289 § 221 AktG

Erlöses besteht, u.a. mittels der Ausgabe von Going-Public-Optionsanleihen decken.793 Going-Public-Optionsanleihen sind zusammengesetzte Finanzinstrumente, bestehend aus einer Schuldverschreibung und einem Optionsrecht. Das Optionsrecht – es wird in der Regel verbrieft und in Anlehnung an die schweizer Terminologie als Optionskupon (siehe Rz. 292) bezeichnet794 – ist im Unterschied zu Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) kein unmittelbares Aktienbezugsrecht.795 Es berechtigt die Inhaber nur zu dem Erwerb weiterer – in der Regel selbstständig verbriefter – Optionsrechte, die ihrerseits auf den Bezug von Aktien gerichtet sind, wenn sich die Emissionsgesellschaft innerhalb eines vertraglich festgelegten Zeitraums zu der Börseneinführung ihrer Aktien entschließt.796 Die Ausgabe einer Going-Public-Optionsanleihe begründet keine Verpflichtung zur Börsen- 288 einführung der Aktien.797 Unterbleibt die Börseneinführung innerhalb des vertraglich festgelegten Zeitraums, lässt dies lediglich die Optionsrechte erlöschen. Die Rechte und Pflichten aus der Schuldverschreibung bestehen hiervon unberührt fort. Das Erlöschen des Optionsrechts wird regelmäßig dadurch kompensiert, dass die Anleihebedingungen den Anleiheschuldner verpflichten, am Ende der Laufzeit neben der Rückzahlung des eingezahlten Kapitals eine Zuzahlung zu leisten.798 Hierdurch erhalten die Gläubiger – der Zinssatz von Going-Public-Optionsanleihen liegt regelmäßig ähnlich dem von Optionsanleihen (siehe Rz. 203) – erheblich unter dem Marktzinssatz799 – annähernd die Verzinsung, die sie bei einer herkömmlichen Unternehmensanleihe erhalten hätten.800 aa) Rechtsnatur des Optionsrechts Grundlage des Optionsrechts ist – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 207) – ein im bürgerlichen Recht nicht ausdrücklich geregelter Optionsvertrag. Dieser kann in den Anleihebedingungen – wie das Optionsrecht von Optionsanleihen (siehe Rz. 207) – als Gestaltungsrecht, das die Gläubiger berechtigt, durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung ohne Mitwirkung der Gesellschaft die Aktienoptionsrechte zu erwerben, oder – wie marktüblich – als Vorvertrag ausgestaltet werden, der den Gläubigern einen Anspruch auf Übertragung der Aktienoptionsrechte gewährt. 793 Rosener in FS Bezzenberger, 2000, S. 745 (748). 794 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 332. 795 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 33; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 189; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (63, 72). 796 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 333; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 33; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 32, 82; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 189; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (64). Abweichend Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 7: Going-Public-Optionsanleihen seien Optionsanleihen, bei denen die Aktienoption durch den Börsengang innerhalb eines bestimmten Zeitraums bedingt sei. Zu dem Unterschied zwischen dieser Gestaltung und einem Optionsrecht auf eine Aktienoption sowie der Auswirkungen auf den Umfang der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle siehe Rz. 293. 797 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 333; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 33; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 32; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 189; Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80. 798 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 89; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 189; Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80. 799 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 332; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (63). 800 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (64).

Fest

665

289

§ 221 AktG Rz. 290

Einzelne Instrumente

bb) Zulässigkeit 290

Die Freiheit, Optionsverträge (siehe Rz. 207) zu schließen und gemeinsam mit einer Schuldverschreibung zu verbriefen, wird auch den Kapitalgesellschaften durch die Privatautonomie gewährleistet. Dem steht § 187 Abs. 2 AktG nicht entgegen.801 Zwar ist das mit der Schuldverschreibung verbundene Optionsrecht – unabhängig davon, ob es im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 207) – bei wertender Betrachtung ein besonderer Fall des rechtsgeschäftlichen Bezugsrechts i.S.d. § 187 Abs. 1 AktG, nämlich ein bedingtes Aktienbezugsrecht.802 Die Rechtsfolge des § 187 Abs. 2 AktG ist aber durch § 221 AktG ausgeschlossen. Diese auf Going-Public-Optionsanleihen entsprechend anzuwendende Vorschrift (siehe Rz. 295, 296) ist lex specialis gegenüber § 187 AktG (siehe Rz. 85) mit der Folge, dass das Bezugsrecht der Aktionäre auf die Going-Public-Optionsanleihen (siehe Rz. 296) an die Stelle ihres ansonsten vorrangigen gesetzlichen Bezugsrechts auf neue Aktien (§ 186 AktG) tritt. cc) Anleihebedingungen, Ausgestaltung des Optionsrechts

291

In den Anleihebedingungen können die Emittenten nicht nur die Rechte und Pflichten des Anleiheschuldners und der Gläubiger aus der Schuldverschreibung, sondern auch das Optionsrecht (siehe Rz. 289) sowie die infolge der Ausübung des Optionsrechts geschuldete Einräumung der Aktienoption näher ausgestalten. Begrenzt ist die privatautonome Gestaltungsfreiheit insbesondere durch die §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). Im Unterschied zu Optionsanleihen (siehe Rz. 209) und naked warrants (siehe Rz. 253) müssen die Anleihebedingungen von Going-Public-Optionsanleihen nicht die (Mindest-)Angaben des § 185 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3, 4 AktG enthalten, die auch der Zeichnungsschein (§ 185 Abs. 1 Satz 1 AktG) enthalten muss. Zwar gelten diese Mindestangaben entsprechend auch für Zeichnungsvorverträge (siehe Rz. 164). Bei Going-Public-Optionsanleihen genügt es aber, dass diese Angaben in den – von den Anleihebedingungen der Going-Public-Optionsanleihe zu unterscheidenden – Optionsbedingungen der Aktienoptionsrechte enthalten sind. (1) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen sind

292

Der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle sind durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 50 ff.) insbesondere die Bestimmungen entzogen, die die essentialia negotii des Optionsrechts unmittelbar ausgestalten, namentlich die Rechtsnatur des Optionsrechts (eingehend dazu Rz. 289), die Art der Verbriefung (siehe Rz. 768 f.) und die Abtrennbarkeit des Optionsrechts von den Teilschuldverschreibungen (siehe Rz. 770), die Optionsfrist (siehe Rz. 213), das Bezugsobjekt – konkret: die Aktienoptionen –, das Bezugsverhältnis (siehe Rz. 214) und den Optionspreis (siehe Rz. 215) festlegen. Das Optionsrecht wird regelmäßig als nicht abtrennbares803 Nebenpapier (sog. Optionskupon) zu den Teilschuldverschreibungen verbrieft.

293

Bei Going-Public-Optionsanleihen ist der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB auch das sog. Optionsereignis entzogen, bei dessen Eintritt die Berechtigten die Option ausüben und Aktienoptionen erwerben können. Hierin liegt ein 801 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 32, 82; im Ergebnis auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 190. 802 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 333; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 33, 170; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 82; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 189; Lux, Die Dogmatik des Umtausches von Wandelanleihen in Aktien, 2014, S. 71; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 56. 803 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 332.

666

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 295 § 221 AktG

Vorteil von Going-Public-Optionsanleihen gegenüber Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.), bei denen die Aktienoptionen in den Anleihebedingungen einer aufschiebenden Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB) – nämlich der Börseneinführung der Aktien der Emissionsgesellschaft – unterstellt werden.804 Während die Bedingung bei letzterer Gestaltung das (Haupt-)Leistungsversprechen aus der Aktienoption einschränkt und daher nicht nur der Transparenz-, sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB unterliegt,805 gestaltet das Optionsereignis bei Going-Public-Optionsanleihen das Leistungsversprechen aus dem mit der Schuldverschreibung verbundenen Optionsvertrag unmittelbar aus, weshalb die gerichtliche Inhaltskontrolle auf eine Transparenzkontrolle beschränkt ist.806 Als Optionsereignis wird in der Regel der Eingang des Zulassungs- oder Einbeziehungsantrags bei der Geschäftsführung einer Börse festgelegt. Alternativ erscheint es möglich, den nach überwiegender Ansicht für den Börsengang erforderlichen Beschluss der Hauptversammlung807 als maßgebliches Ereignis festzusetzen. Hiervon ist jedoch aufgrund der Gefahren einer Beschlussanfechtung abzuraten. (2) Bestimmungen, die der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle unterliegen Sämtliche Bestimmungen in den Anleihebedingungen, die Leistungspflichten aus der Schuldverschreibung oder das mit der Schuldverschreibung verbundene Optionsrecht einschränken, verändern, aushöhlen oder nur mittelbar ausgestalten, unterliegen nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle am Maßstab der §§ 307 ff. BGB (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.).

294

dd) Mitwirkung der Hauptversammlung Going-Public-Optionsanleihen dürfen in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgegeben werden (eingehend dazu Rz. 487 ff.).808 Die Hauptversammlung kann der Ausgabe einer konkreten Going-Pu804 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 62. So wohl auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 89; Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80. Ungenau Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 7, die diese Gestaltung als Going-Public-Optionsanleihe bezeichnen. 805 In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die Kontrollfähigkeit vergleichbarer Bedingungen vorausgesetzt, siehe z.B. BGH v. 8.12.2010 – VIII ZR 343/09, NJW 2011, 1215 (1216 Rz. 13 ff.) = NZG 2011, 514 (Finanzierungsvorbehalt als aufschiebende Bedingung für Fondsbeitritt); BAG v. 28.5.2008 – 10 AZR 351/07, BAGE 127, 1 (16 ff.) Rz. 27 ff. = NZA 2008, 1066 = AG 2008, 632 (Bestand des ungekündigten Arbeitsverhältnisses als auflösende Bedingung für einen Aktienoptionsplan). 806 Vgl. BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, BAGE 125, 147 (153 f. Rz. 16) = NZA 2008, 409 zu einer Zielvereinbarung als aufschiebende Bedingung für eine Bonuszahlung. 807 Henze in FS P. Ulmer, 2003, S. 211 (236); Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 119 AktG Rz. 84; Lutter in FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 363 (378); Lutter/Drygala in FS Raisch, 1995, S. 239 (241); Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 805 (806); Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 119 AktG Rz. 30; a.A. Groß, ZHR 165 (2001), 141 (163 ff.); Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 BörsG Rz. 83; Hopt in FS Drobnig, 1998, S. 525 (536 f.); Trapp/ Schick, AG 2001, 381 (382). 808 Lux, Die Dogmatik des Umtausches von Wandelanleihen in Aktien, 2014, S. 72; Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (72); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 56. Nur geringfügig abweichend Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 334; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 89; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 190: direkte Anwendung von § 221 AktG.

Fest

667

295

§ 221 AktG Rz. 296

Einzelne Instrumente

blic-Optionsanleihe zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG analog, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder dem Vorstand in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) eine Ermächtigung zu der Ausgabe ermächtigen. Optionsanleihen sind nur Schuldverschreibungen, bei denen den Gläubigern und/oder der Gesellschaft bereits bei der Ausgabe des Instruments ein Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt wird (siehe Rz. 22). Dem direkten Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG unterfallen daher die Schuldverschreibungen nicht, mit denen ein Bezugsrecht auf andere Rechte als Aktien verbunden ist.809 Die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG gebietet der Normzweck. Aus der Sicht der (Alt-)Aktionäre gleicht das Optionsrecht von Going-Public-Optionsanleihen – unabhängig davon, ob es im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 289) – einer aufschiebend bedingten Aktienoption.810 Dieses ist bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses – konkret: der Börseneinführung der Aktien – in gleicher Weise wie eine unbedingte Aktienoption aus einer Optionsanleihe geeignet, die Beteiligungsquote der (Alt-)Aktionäre zu verkürzen, ihre effektive Stimmrechtsmacht zu verringern und den wirtschaftlichen Wert ihrer Beteiligungen zu verwässern, wenn die Ausgabe der neuen Aktien unter Wert erfolgt (siehe Rz. 489).811 ee) Bezugsrecht der Aktionäre 296

Auf Going-Public-Optionsanleihen haben die Aktionäre in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Bezugsrecht.812 Die entsprechende Anwendung vom § 221 Abs. 4 AktG ist jedenfalls durch den Umstand geboten, dass die Ausgabe von Going-PublicOptionsanleihen – unabhängig davon, ob das Optionsrecht im Einzelfall als Gestaltungsrecht oder Vorvertrag ausgestaltet ist (siehe Rz. 289) – für die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der (Alt-)Aktionäre – konkret: ihre Beteiligungsquote, ihre effektive Stimmrechtsmacht und den Vermögenswert ihrer Beteiligung, wenn die neuen Aktien unter Wert ausgegeben werden – mittelbar dieselben Gefahren begründen wie die Ausgabe von Optionsanleihen (siehe Rz. 489, 565). Ob auch die Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1-5 Richtlinie 77/91/EWG) dieses Ergebnis erfordern, erscheint – im Unterschied zu naked warrants (siehe Rz. 260) und covered warrants (siehe Rz. 271) – deshalb zweifelhaft, weil die Vorschrift ihrem Wortlaut nach die Vorgaben für Kapitalerhöhungen nur auf Wertpapiere erstreckt, die mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Das Bezugsrecht der Aktionäre auf Going-Public-Optionsanleihen kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.).

809 A.A. Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 333 f. auf Grundlage der Ansicht, die Optionskupons verbrieften ein bedingtes Optionsrecht; so wohl auch Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80. 810 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 33, 170; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 189. 811 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 32. 812 Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (72). Nur geringfügig abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 89; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 190: direkte Anwendung von § 221 AktG.

668

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 300 § 221 AktG

ff) Bezugserklärung und Rechtsfolgen Das Optionsrecht wird – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 217) – durch eine empfangs- 297 bedürftige Willenserklärung ausgeübt. Diese sog. Bezugserklärung berührt den Inhalt der Schuldverschreibung – wie bei Optionsanleihen (siehe Rz. 219) – nicht. Sie begründet insbesondere keine Einwendung gegen die in der Schuldverschreibung verbrieften Zahlungsansprüche. Bei der marktüblichen Ausgestaltung des Optionsrechts als Vorvertrag (siehe Rz. 289) ist die Bezugserklärung lediglich ein Angebot auf den Abschluss eines schuldrechtlichen Vertrags, der die Gesellschaft verpflichtet, den Optionsberechtigten Aktienoptionen in dem in den Anleihebedingungen bestimmten Bezugsverhältnis zu verschaffen. Zu der Annahme des Angebots ist die Gesellschaft aufgrund des gewährten Optionsrechts verpflichtet. Wird das Optionsrecht ausnahmsweise als Gestaltungsrecht ausgestaltet (siehe Rz. 289), kommt der schuldrechtliche Verschaffungsanspruch mit dem Zugang der Bezugserklärung zustande, ohne dass hierfür eine (erneute) Mitwirkung der Gesellschaft erforderlich wäre. gg) Absicherung der Aktienoptionen Einen Anspruch auf den Erwerb von Aktien erlangen die Anleihegläubiger erst mit der Aus- 298 übung der Aktienoption. Diese Bezugsrechte auf Aktien kann die Gesellschaft sowohl durch eigene Aktien (eingehend dazu Rz. 112 ff.) als auch durch neue Aktien absichern. Die neuen Aktien können – wie bei naked warrants (siehe Rz. 261) – nicht nur durch genehmigtes Kapital (§§ 202 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.)813 und eine ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.), sondern in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG auch durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden.814 hh) Sonderfall: Ausgabe von Going-Public-Optionsanleihen durch eine GmbH Die Börseneinführung von Aktien ist naturgemäß Aktiengesellschaften vorbehalten. Dennoch kann auch eine GmbH nicht nur Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.), sondern auch Going-Public-Optionsanleihen ausgeben. Diese unterscheiden sich von Going-Public-Optionsanleihen, die von einer Aktiengesellschaft ausgegeben werden, dadurch, dass das mit der Schuldverschreibung verbundene Optionsrecht zum Erwerb der Aktienoptionen nur besteht, wenn die Gesellschaft innerhalb einer vertraglich bestimmten Frist von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wird und sich zur Börseneinführung ihrer Aktien entschließt.815

299

Die in der Literatur vertretene Gegenansicht, die GmbH sei nicht zur Ausgabe von Going-Pu- 300 blic-Optionsanleihen fähig,816 gründet auf § 187 Abs. 2 AktG. Könnte die GmbH eine GoingPublic-Optionsanleihe ausgeben, müsste die Aktiengesellschaft als Rechtsträger neuer Rechtsform zumindest mittelbar – nämlich für den Fall der Börseneinführung ihrer Aktien sowie der Ausübung der Optionen und der Aktienoptionen – eine Kapitalerhöhung vornehmen, um 813 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (73). 814 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 32; Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (73). Nur geringfügig abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 33; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 190: direkte Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG. 815 Ähnlich F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (74), der in der Umwandlung eine zusätzliche Bedingung sieht. 816 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 334; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (74 f.).

Fest

669

§ 221 AktG Rz. 301

Einzelne Instrumente

drohende Schadensersatzpflichten zu vermeiden. Diese Zwangslage, vor der § 187 Abs. 2 AktG Aktiengesellschaften schützen soll, würde ohne Mitwirkung der Hauptversammlung, nämlich noch von der GmbH begründet. Da das GmbH-Recht keine § 187 Abs. 2 AktG vergleichbare Bestimmung enthalte, müsse die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung dadurch gewahrt werden, dass von der GmbH ausgegebene Going-Public-Optionsanleihen ab der Entstehung der Aktiengesellschaft gemäß § 187 Abs. 2 AktG (schwebend817) unwirksam seien.818 301

Dies überzeugt nicht. Im Aktienrecht ist § 221 AktG lex specialis zu § 187 AktG (siehe Rz. 85). Die wirtschaftliche Entscheidungshoheit der Hauptversammlung über die Ausgabe neuer Aktien wird dadurch gewahrt, dass Aktiengesellschaften Optionsanleihen gemäß § 221 Abs. 1, 2 AktG nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgeben dürfen. Diese Kompetenzverteilung gilt – sei es aufgrund von § 49 Abs. 2 GmbHG, sei es aufgrund einer entsprechenden Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG (siehe Rz. 452 f.) – auch bei einer GmbH, die Wandelschuldverschreibungen ausgeben will. Beschließt die Gesellschafterversammlung die Ausgabe der Going-Public-Optionsanleihe vor dem Formwechsel, bestehen jedenfalls bei im Übrigen unverändertem Fortbestand der Gesellschafter und ihrer Beteiligungen819 keine Bedenken dagegen, den Beschluss der Gesellschafterversammlung nach dem Formwechsel im Innenverhältnis wie einen Beschluss der Hauptversammlung zu behandeln und die Kompetenzverteilung als gewahrt anzusehen. Bestätigung findet dieses Ergebnis darin, dass die Aktiengesellschaft als Rechtsträger neuer Rechtsform gemäß § 204 i.V.m. § 23 UmwG verpflichtet ist, den Gläubigern einer von der GmbH als formwechselndem Rechtsträger ausgegebenen Optionsanleihe gleichwertige Rechte zu gewähren, ohne dass hierzu ein zustimmender Beschluss der Hauptversammlung eingeholt werden muss. Hindert das Fehlen eines Beschlusses der Hauptversammlung die Aktiengesellschaft nicht an der Ausgabe gleichwertiger (neuer) Optionsanleihen, die den Gläubigern ein unmittelbares Recht zum Erwerb von Aktien gewähren, ist nicht ersichtlich, warum die Kompetenzordnung innerhalb der Aktiengesellschaft derart vorwirken sollte, dass sie die GmbH als formwechselnden Rechtsträger an der Ausgabe von Goin-Public-Optionsanleihen hindert, die den Gläubigern ein nur mittelbares Aktienerwerbsrecht gewähren. c) Virtuelle Optionsrechte

302

Virtuelle Optionsrechte werden häufig als variabler Bestandteil der Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder820 vereinbart.821 Von stock options i.S.d. § 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG (siehe 817 Nach überwiegender Ansicht besteht die Rechtsfolge des § 187 Abs. 2 AktG darin, dass Zusicherungen, die vor dem zustimmenden Beschluss der Hauptversammlung über die Erhöhung des Grundkapitals abgegeben werden, nicht endgültig, sondern nur schwebend unwirksam sind, siehe Rz. 246. 818 F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (74 f.). 819 Zu dem umwandlungsrechtlichen Grundsatz der Identität der Anteilseigner und Identität der Beteiligungen siehe Decher/Hoger in Lutter, 5. Aufl. 2014, § 202 UmwG Rz. 10 ff.; Drinhausen/Keinath in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 202 UmwG Rz. 6 ff.; Kübler in Semler/Stengel, 3. Aufl. 2012, § 202 UmwG Rz. 18 ff. 820 Nach wohl überwiegender Ansicht können virtuelle Optionsrechte aufgrund ihres Anreizes, den Börsenkurs zu steigern, als Bestandteil der Vergütung des Aufsichtsrats nicht vereinbart werden, siehe Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 113 AktG Rz. 36; Habersack, ZGR 2004, 721 (731 f.); Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 113 AktG Rz. 29; Meyer/Ludwig, ZIP 2004, 940 (944 f.); a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 113 AktG Rz. 19; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 113 AktG Rz. 47; Maser/Göttle, NZG 2013, 201 (204 f.); Spindler in Spindler/Stilz, § 113 AktG Rz. 54; Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rz. 43. 821 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 86; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 57; Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 87 AktG Rz. 5.

670

Fest

Wandelschuldverschreibungen

Rz. 303 § 221 AktG

Rz. 235) unterscheiden sie sich dadurch, dass sie kein Recht zum Bezug von Aktien gewähren.822 Es handelt sich um einen schuldrechtlichen Zahlungsanspruch aus dem Anstellungsvertrag, der einen der Inhaberschaft von Aktien vergleichbaren wirtschaftlichen Wert dadurch vermittelt, dass sich die Höhe des zu zahlenden Geldbetrags an dem Kurs bzw. Wert virtueller Aktien orientiert.823 aa) Gestaltungsvarianten Sämtlichen Gestaltungsvarianten von virtuellen Optionsrechten ist gemeinsam, dass sie we- 303 der eine mitgliedschaftliche Rechtsstellung vermitteln824 noch einen Anspruch auf den Bezug realer Aktien gewähren.825 Sie erschöpfen sich in einem Zahlungsanspruch, der sich an dem Kurs bzw. Wert virtueller Aktien orientiert.826 Für dessen Ausgestaltung kommen im Grundsatz zwei Gestaltungsvarianten in Betracht: Bei sog. stock appreciation rights besteht der Zahlungsanspruch in der Regel in Höhe des Differenzbetrags zwischen dem Aktienkurs bzw. -wert zu dem Zeitpunkt der Einräumung und der Ausübung des virtuellen Optionsrechts.827 Alternativ können die Berechtigten virtuelle Aktien (sog. phantom stocks) erwerben und in ein fiktives Depot einbuchen. Auf diese Weise nehmen sie sowohl an positiven als auch an negativen Entwicklungen des Aktienkurses bzw. -wertes teil.828 Außerdem können sie bei Ausübung des virtuellen Optionsrechts regelmäßig nicht nur die Zahlung des Differenzbetrags, sondern auch die Auszahlung der während dieses Zeitraums fiktiv ausgeschütteten Dividenden beanspruchen.829

822 Annuß/Theusinger, BB 2009, 2434 (2436); Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 85; Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797 (801); Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 57; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 133; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112. 823 Statt vieler Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112; Veil in K. Schmidt/ Lutter, § 194 AktG Rz. 6. 824 Statt vieler Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 85. 825 Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 29 Rz. 43. 826 Statt vieler Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112; Veil in K. Schmidt/ Lutter, § 194 AktG Rz. 6. 827 Bader, AG 2014, 472 (476); Binz/Sorg, BB 2002, 1273 (1275); Feddersen, ZHR 161 (1997), 269 (285); Friedrichsen, Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte, 2000, S. 14; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 85; Holzborn in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 54 Rz. 11; Suchan/Baumunk in Kessler/Sauter, Handbuch Stock Options, 2003, Rz. 680; Kort in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 87 AktG Rz. 247; Martens in FS Ulmer, 2003, S. 399 (402); Neideck, Die Mitwirkung der Hauptversammlung bei der Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat, 2015, S. 139; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 57; Schmidtbauer, DStR 2000, 1487. 828 Binz/Sorg, BB 2002, 1273 (1275); Feddersen, ZHR 161 (1997), 269 (285); Martens in FS P. Ulmer, 2003, S. 399 (402); Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112. 829 Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 (6); Feddersen, ZHR 161 (1997), 269 (285); Friedrichsen, Aktienoptionsprogramme für Führungskräfte, 2000, S. 15; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 85; Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797 (801); Holzborn in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 54 Rz. 11; Kort in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 87 AktG Rz. 247; Martens in FS Ulmer, 2003, S. 399 (402 f.); Neideck, Die Mitwirkung der Hauptversammlung bei der Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat, 2015, S. 139; Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 57; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112.

Fest

671

§ 221 AktG Rz. 304

Einzelne Instrumente

bb) Keine Mitwirkung der Hauptversammlung 304

Mangels eines Bezugsrechts auf reale Aktien sind virtuelle Optionsrechte weder Optionsanleihen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 202 ff.)830 noch isolierte Optionsrechte (eingehend dazu Rz. 232). Sie sind diesen Instrumenten auch nicht derart ähnlich, dass der Normzweck des § 221 AktG eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG gebieten würde.831 Virtuelle Optionsrechte bewirken – im Fall ihrer Ausübung – einen Kapitalabfluss aus dem Gesellschaftsvermögen und damit eine vermögensmäßige Verwässerung bestehender Mitgliedschaftsrechte.832 Dieser Effekt ist aber sämtlichen variablen Vergütungsbestandteilen der Arbeitnehmer und der Mitglieder der Geschäftsführung eigen. Der Umstand, der es rechtfertigt, die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG auf Gestaltungen zu begrenzen, die zumindest mittelbar den Bezug realer Aktien zum Gegenstand haben, besteht darin, dass nur diese geeignet sind, nicht nur eine Verwässerung des wirtschaftlichen Wertes der Beteiligungen, sondern aufgrund der Entstehung neuer Mitgliedschaftsrechte auch die Verkürzung der Beteiligungsquoten sowie die Verringerung der effektiven Stimmrechtsmacht der (Alt-)Aktionäre zu bewirken.833

305

Bei phantom stocks wird die Höhe des Zahlungsanspruchs nicht nur durch den Kurs bzw. Wert der fiktiven Aktien, sondern auch durch die fiktiv ausgeschütteten Dividenden beeinflusst (siehe Rz. 303). Da das Recht auf den Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) ein aktionärstypisches Vermögensrecht ist, liegt es nahe, dass virtuelle Optionsrechte jedenfalls in der Ausgestaltung als phantom stocks Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG sind.834 Letztlich kann die rechtliche Einordnung aber dahinstehen. Der Anwendung von § 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 2 AktG steht § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG entgegen. Danach hat der Aufsichtsrat ohne Mitwirkung der Hauptversammlung über die Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder und damit auch über die Gewährung virtueller Optionsrechte zu entscheiden.835 Diese Regelung ist lex specialis im Verhältnis zu § 221 Abs. 3 AktG.

830 Bader, AG 2014, 472 (477); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 25; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 60. 831 A.A. Bader, AG 2014, 472 (477). 832 Vgl. Hirte in RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 1999, S. 211 (221); Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112 jeweils zu §§ 192, 193 AktG. 833 Vgl. Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112 zu §§ 192, 193 AktG. 834 Bejahend Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 108; Fuchs in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 86; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 377; Hirte in RWS-Forum Gesellschaftsrecht, 1999, S. 211 (221); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 319; Neideck, Die Mitwirkung der Hauptversammlung bei der Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat, 2015, S. 156; verneinend LG München I v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 (116) = AG 2008, 133; Bader, AG 2014, 472 (477); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 60, 134; Wohlfahrt/Brause, WM 1997, 397 (401). Differenzierend Kessler/Suchan in Kessler/Sauter, Handbuch Stock Options, 2003, Rz. 686: Genussrechte nur bei phantom stocks mit der Vereinbarung, dass sich der Anspruch der Gläubiger auch auf einen fiktiven Liquidationserlös erstreckt. 835 OLG München v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07, NZG 2008, 631 (634) = AG 2008, 593; OLG Stuttgart v. 13.6.2001 – 20 U 75/00, AG 2001, 540 (543) = NZG 2001, 1089; LG München I v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 (116) = AG 2008, 133; Binz/Sorg, BB 2002, 1273 (1275); Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 107; Kessler/Suchan in Kessler/Sauter, Handbuch Stock Options, 2003, Rz. 686; Kort in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 87 AktG Rz. 247; MarschBarner in FS Röhricht, 2005, S. 401 (413); Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 57; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 87 AktG Rz. 112; a.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 86; Neideck, Die Mitwirkung der Hauptversammlung bei der Ausübung der Personalkompetenz durch den Aufsichtsrat, 2015, S. 156; wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 113 AktG Rz. 19.

672

Fest

Gewinnschuldverschreibungen

Rz. 308 § 221 AktG

Eine entsprechende Anwendung von §§ 192 Abs. 1, 2 Nr. 3 AktG, die zur Begründung virtueller Optionsrechte einen Beschluss der Hauptversammlung erfordern würde, ist ebenfalls nicht geboten.836 Im direkten Anwendungsbereich der Vorschrift beruht die Beschlusskompetenz der Hauptversammlung darauf, dass mit der bedingten Kapitalerhöhung einer Satzungsänderung verbunden ist, wenn und sobald die Bezugsaktien ausgegeben werden (§ 200 AktG). Der Beschluss schafft also die Grundlage für die neuen Mitgliedschaften.837 Bei virtuellen Optionsrechten ist mangels eines Rechts zum Bezug realer Aktien (siehe Rz. 303) keine (bedingte) Kapitalerhöhung veranlasst,838 so dass für die Anwendung der §§ 192 ff. AktG kein Bedarf besteht.839 Ferner kann die Ausübung der virtuellen Optionrechte auch anderweitig keine Satzungsänderung begründen, weshalb auch keine entsprechende Anwendung des § 192 Abs. 1, 2 Nr. 3 AktG geboten erscheint.

306

cc) Kein Bezugsrecht der Aktionäre Auf virtuelle Optionsrechte haben die Aktionäre kein Bezugsrecht.840 Dies gilt – entgegen dem Wortlaut des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG – auch dann, wenn man virtuelle Optionsrechte als Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG ansieht.841 Virtuelle Optionsrechte sind ein variabler Bestandteil der Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder (siehe Rz. 302), über deren Gewährung und Ausgestaltung nach § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG der Aufsichtsrat auch dann ohne Mitwirkung der Hauptversammlung zu entscheiden hat, wenn die virtuellen Optionsrechte im Einzelfall Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG sind (siehe Rz. 305). Die Tatsache, dass der Gesetzgeber diese Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung entzogen und dem Aufsichtsrat übertragen hat, bringt die Wertentscheidung zum Ausdruck, dass der Zahlungsabfluss die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre (siehe Rz. 304) – wohl auch aufgrund der geringen Anzahl virtueller Optionsrechte – nicht derart erheblich beeinträchtigt, dass sie die Mitwirkung der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 2 AktG) erfordere. Der hierin zum Ausdruck kommende Vorrang von § 87 AktG ist nicht auf das Verhältnis zu § 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1, 2 AktG beschränkt, sondern gilt auch für das Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG). Auch dieses ist durch § 87 AktG als lex specialis gegenüber § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ausgeschlossen.

307

B. Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG) Gewinnschuldverschreibungen (participating bonds) sind gemäß § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 308 AktG Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden. Sie unterscheiden sich von herkömmlichen Schuldverschreibungen alleine dadurch, dass sie anstelle oder neben842 einer gewöhnlichen, 836 837 838 839

LG München I v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 (116) = AG 2008, 133. LG München I v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 (116) = AG 2008, 133. Statt vieler Hoffmann-Becking, NZG 1999, 797 (801). OLG München v. 7.5.2008 – 7 U 5618/07, NZG 2008, 631 (634) = AG 2008, 593; LG München I v. 23.8.2007 – 5HK O 10734/07, NZG 2008, 114 (116) = AG 2008, 133; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 192 AktG Rz. 107; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 85; Maser/Göttle, NZG 2013, 201 (205); Rieckers in Spindler/Stilz, § 192 AktG Rz. 57; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 133. 840 Maser/Göttle, NZG 2013, 201 (205); a.A. Bader, AG 2014, 472 (477): entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG. 841 A.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 86. 842 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 327, 377; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 6; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG

Fest

673

§ 221 AktG Rz. 309

Einzelne Instrumente

in der Regel festen Verzinsung des Nennbetrags variable Ausschüttungen vorsehen, deren Höhe sich – mit unterschiedlichen Ausgestaltungsvarianten (eingehend dazu Rz. 314 ff.) – an den Gewinnanteilen der Aktionäre orientiert.843 Der neben dem Rückzahlungsanspruch bestehende schuldrechtliche Ausschüttungsanspruch ist schuldrechtlicher Natur (siehe Rz. 311), aufgrund der Gewinnorientierung dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG)844 und damit einem mitgliedschaftstypischen Vermögensrecht aber erheblich angenähert. Diesen besonderen Anspruchsinhalt in Verbindung mit dem Umstand, dass die an die Gläubiger zu leistenden Zahlungen den Bilanzgewinn mindern, den gemäß § 58 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich die Aktionäre beanspruchen können, die Gläubiger also mit den Aktionären um den Gewinn der Gesellschaft konkurrieren,845 hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Entscheidung über die Ausgabe von Gewinnverschreibungen in die Hände der Hauptversammlung zu legen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und den Aktionären ein Bezugsrecht zuzugestehen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.).

I. Einsatzgebiete, wirtschaftliche Vorteile 309

Die für Gewinnschuldverschreibungen charakteristische Verbindung der Gläubigerrechte mit Gewinnanteilen von Aktionären (eingehend dazu Rz. 314 ff.) weist für die Emissionsgesellschaft im Vergleich mit herkömmlichen Schuldverschreibungen, die in der Regel eine feste Verzinsung vorsehen, den Vorteil auf, dass Auszahlungen – sofern die Anleihebedingungen keine kumulative feste Verzinsung vorsehen (siehe Rz. 315) – nur zu leisten sind, wenn oder soweit ein Gewinn tatsächlich erzielt wird. Daher eignen sich Gewinnschuldverschreibungen grundsätzlich als Sanierungsinstrumente. In dieser Funktion sind sie jedenfalls bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten sowie Versicherungsunternehmen allerdings nahezu vollständig durch Genussrechte verdrängt worden.846 Ursächlich hierfür ist, dass Gewinnschuldverschreibungen – im Gegensatz zu Genussrechten (eingehend dazu Rz. 329 ff.) – die bank- und versicherungsaufsichtsrechtlichen Vorgaben für Eigenmittel nicht erfüllen können.847 Um die Instrumente im Bankaufsichtsrecht dem zusätzlichen Kernkapital (Art. 52 Abs. 1 Buchst. d Verordnung (EU) Nr. 575/2013), dem Ergänzungskapital (Art. 63 Buchst. d Verordnung (EU) Nr. 575/2013) oder den Basiseigenmitteln (§ 89 Abs. 3 Nr. 2 VAG) zurech-

843

844

845 846 847

674

Rz. 446; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 3, 8. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (542); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 324; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 470, 477; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 446; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 39. Der konkrete Gewinnauszahlungsanspruch ist nach überwiegender Ansicht schuldrechtlicher Natur (BGH v. 24.1.1957 – II ZR 208/55, BGHZ 23, 150 (154) = NJW 1957, 588; RG v. 22.11.1927 – II 123/27, Gruchot 70, 276 (279); Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 58 AktG Rz. 102; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 58 AktG Rz. 45; H.P. Westermann in Bürgers/Körber, § 58 AktG Rz. 30; a.A. Cahn/von Spannenberg in Spindler/Stilz, § 58 AktG Rz. 97: verbandsrechtlicher Charakter) und von dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch mitgliedschaftlichen Natur zu unterscheiden. Zu Einzelheiten siehe statt vieler Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 58 AktG Rz. 96 ff.; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 58 AktG Rz. 44 ff. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (542 f.); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 41. Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 68; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 480; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 20. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 353; vgl. auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 481, 482; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 449 zu § 10 Abs. 5 Satz 1 KWG a.F.

Fest

Gewinnschuldverschreibungen

Rz. 312 § 221 AktG

nen zu dürfen, müssten die Anleihebedingungen auch für den Rückzahlungsanspruch eine mit Gewinnschuldverschreibungen unvereinbare Nachrangvereinbarung enthalten (siehe Rz. 322). Vergleichbares gilt im Versicherungsaufsichtsrecht für die Basiseigenmittelbestandteile der Qualitätsstufe 1 (§§ 89 Abs. 3 Nr. 2, 91 Abs. 2 Nr. 2 VAG, Art. 69 Buchst. b, 71 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35). Gewinnschuldverschreibungen sind geeignete Vermögensanlagen im Rahmen der Gewährung vermögenswirksamer Leistungen an Mitarbeiter. Förderungsfähig sind sie gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b 5. VermBG aber nur, wenn die verbrieften Forderungen durch die Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch ein Versicherungsunternehmen gesichert werden. Da § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f, l, Abs. 4 5. VermBG für Genussrechte und Genussscheine keine vergleichbare Sicherung verlangt, haben Gewinnschuldverschreibungen auch insoweit an praktischer Bedeutung verloren.848

310

II. Rechtsnatur Im Unterschied zu Aktien gewähren Gewinnschuldverschreibungen ihren Inhabern weder eine mitgliedschaftliche Beteiligung849 noch einen mitgliedschaftlichen Gewinnbeteiligungsanspruch.850 Sie sind ausschließlich schuldrechtlicher Natur,851 erschöpfen sich also in schuldrechtlichen Ansprüchen, namentlich dem Ausschüttungs- und Rückzahlungsanspruch. Nach überwiegender Ansicht in der Literatur sind Gewinnschuldverschreibungen besondere Genussrechte.852

311

Die besondere inhaltliche Ausgestaltung der Gläubigerrechte, namentlich die Verbindung mit Gewinnanteilen von Aktionären (eingehend dazu Rz. 314 ff.), ist zwar charakteristisch für Gewinnschuldverschreibungen, alleine aber nicht ausreichend, um diese von anderen Verträgen zu unterscheiden. Daher erfolgt die Abgrenzung zu Genussrechten i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 329 ff.) anhand der Ausgestaltung des Rückzahlungsanspruchs (siehe Rz. 321 f.).

312

848 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 19; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 482; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 449. 849 RG v. 30.9.1927 – II 40/27, RGZ 118, 152 (155); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 69; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 57; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 477; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 450; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17. 850 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 57; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 450; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 39. 851 von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6; Groß in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 69; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 57; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 17; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 477; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 450; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17; Ziebe, DStR 1991, 1594. 852 von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 47, 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 21, 53, 58, 68; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (545); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 353, 355; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 248, 468, 478; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 234; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 4; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 20; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92; a.A. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 21.

Fest

675

§ 221 AktG Rz. 313

Einzelne Instrumente

III. Anleihebedingungen, Ausgestaltung der Gläubigerrechte 1. Verbindung mit Gewinnanteilen von Aktionären 313

In den Anleihebedingungen werden die relevanten Gewinnanteile (siehe Rz. 314 ff.), der Maßstab, nach dem die Gewinnanteile zwischen den Genussrechtsgläubigern und den Aktionären aufgeteilt werden (siehe Rz. 320) und das Rangverhältnis (siehe Rz. 319) festgelegt. Hierbei genießen die Gesellschaften einen weiten Gestaltungsspielraum. Soweit die Anleihebedingungen die Gewinnbeteiligung der Gläubiger unmittelbar ausgestalten, sind die Anleihebedingungen der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen. Sie unterliegen ausschließlich einer Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.). a) Gewinnanteile von Aktionären aa) Verbindung mit Gewinnanteilen von Aktionären

314

Die inhaltlichen Anforderungen an die Gläubigerrechte, namentlich die Verbindung derselben mit Gewinnanteilen von Aktionären, sind im Lichte des Normzwecks zu bestimmen.853 Sowohl das Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung als auch das Bezugsrecht der Aktionäre beruhen auf der Prämisse, dass die Rechte der Gewinnschuldverschreibungsgläubiger mit dem mitgliedschaftlichen Recht der Aktionäre auf den Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) konkurrieren (siehe Rz. 308). Dieses Konkurrenzverhältnis besteht nur, wenn die in den Anleihebedingungen ausgestalteten Gläubigerrechte zwei Elemente aufweisen:

315

(1) Die Ausschüttungsansprüche der Gläubiger müssen – ähnlich dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) – dem Grunde nach ungewiss oder zumindest der Höhe nach variabel sein. Diese Voraussetzung erfüllen nicht nur gewinnorientierte Zahlungsansprüche, bei denen der Gewinn ausschließlich die Höhe des jeweils zu zahlenden Geldbetrags bestimmt, sondern auch gewinnabhängige Zahlungsansprüche, bei denen die Zahlung eines vom Gewinn unabhängigen, vertraglich vereinbarten Zinses nur geschuldet ist, wenn vertraglich im Detail festgelegte Gewinnkennzahlen erreicht bzw. überschritten werden.854 Die Festlegung von Unter- und Obergrenzen in den Anleihebedingungen855 ist für die Einordnung des Instruments als Gewinnschuldverschreibung ebenso unschädlich wie das Versprechen einer festen Verzinsung des Nennbetrags neben der gewinnabhängigen oder gewinnorientierten Ausschüttung, die auch dann zu zahlen ist, wenn die Emissionsgesellschaft keinen Gewinn erzielt.856

853 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 41; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 471; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 41. 854 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 10; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 67; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 472; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 41; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17. Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 4: gewinnabhängige Festverzinsungen sind keine Gewinnschuldverschreibungen. 855 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 327. Ein Beispiel für diese Gestaltung lag RG v. 30.9.1927 – II 40/27, RGZ 118, 152 zugrunde. 856 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 17; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 326; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl.

676

Fest

Gewinnschuldverschreibungen

Rz. 317 § 221 AktG

(2) Nicht jede variable Ausgestaltung der Gläubigerrechte begründet das § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG zugrunde liegende Konkurrenzverhältnis. Keine Gewinnschuldverschreibungen sind z.B. Schuldverschreibungen, die anstelle eines festen Zinssatzes eine variable Verzinsung vorsehen, deren Höhe durch einen Referenzzinssatz (z.B. EURIBOR) bestimmt wird.857 Erforderlich ist vielmehr ein Bezug zu den Gewinnanteilen der Aktionäre der Emissionsgesellschaft. Hierfür ist es erforderlich, dass in die Bemessungsgrundlage der Gläubigerrechte zumindest teilweise Gewinnanteile einfließen, die zugleich Grundlage des konkreten Gewinnauszahlungsanspruchs der Aktionäre sind.

316

bb) Begriff des Gewinnanteils Der Begriff des Gewinnanteils ist nicht auf Gestaltungen beschränkt, bei denen die Entstehung der Gläubigerrechte durch die Zahlung einer Dividende bedingt ist oder sich die Höhe des Zahlungsanspruchs an den gezahlten Dividenden orientiert,858 die also einen die Aktionäre begünstigenden Gewinnverwendungsbeschluss voraussetzen.859 Er ist vielmehr weit zu verstehen860 und umfasst auch solche Gestaltungen, die den Jahresüberschuss (§ § 275 Abs. 2 Nr. 17 bzw. Abs. 3 Nr. 8 HGB),861 den Bilanzgewinn (§ 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AktG bzw. § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB),862 den ausschüttungsfähigen Gewinn, die vertraglich näher bestimmte Gesamtkapitalrendite863 oder den Ertrag aus der Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter864 als Bemessungsgrundlage festlegen. Nicht erforderlich ist, dass der Gewinn der Emissionsgesellschaft die alleinige Bemessungsgrundlage der Gläubigerrechte bildet. Es genügt,

857 858

859 860 861

862

863

864

1995, § 221 AktG Rz. 446; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 3, 8; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 123. Vgl. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 209 zu Genussrechte. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6, 10; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55, 95; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 325; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 6; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Wehrhahn, Finanzierungsinstrumente mit Aktienerwerbsrechten, 2004, S. 123. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 325. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 473; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 446; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 326; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 5; ähnlich Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6: jedenfalls analoge Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG. Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 67; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 326; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 473; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 446; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 5. Vgl. auch Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6: jedenfalls analoge Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG. Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 67; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 55; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 473; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17; Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 5. Vgl. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 208 jeweils zu Genussrechten.

Fest

677

317

§ 221 AktG Rz. 318

Einzelne Instrumente

dass der Gewinn – unabhängig von seinem Gewicht – in eine breitere Bemessungsgrundlage (z.B. das Gesamtergebnis des Konzerns, die Durchschnittsdividende mehrerer Aktiengesellschaften) einfließt.865 Diese Gestaltungen können zur Folge haben, dass die Emissionsgesellschaft – vorbehaltlich eines in den Anleihebedingungen vorbehaltenen Leistungsverweigerungsrechts – auch dann zu Zahlungen verpflichten ist, wenn sie selbst keinen Gewinn erzielt hat.866 Ähnlich den sog. Spartenaktien (tracking stocks), die zwar rechtlich zulässig,867 in Deutschland aber bisher noch unüblich sind,868 können auch Gewinnschuldverschreibungen das Ergebnis nur einer Sparte oder eines Teilbetriebs der Emissionsgesellschaft zur Bemessungsgrundlage erklären.869 318

Erforderlich ist allerdings, dass es sich – trotz der allgemeinen Formulierung des § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG („von Aktionären“) – um Gewinnanteile der Emissionsgesellschaft handelt. Keine Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG sind daher Gestaltungen, die das Ergebnis einer anderen Gesellschaft oder das Durchschnittsergebnis mehrerer anderer Unternehmen zur Bemessungsgrundlage erklären.870 Bei diesen Instrumenten konkurrieren die Gläubiger und die Aktionäre nicht um denselben Gewinn. b) Rangverhältnis

319

Die Zahlungsansprüche der Gläubiger mindern grundsätzlich den Jahresüberschuss und den Bilanzgewinn der Gesellschaft und sind daher – auch bei Solvenz der Gesellschaft – im Verhältnis zu dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) grundsätzlich vorrangig. Die Anleihebedingungen können diesen Vorrang deklaratorisch feststellen oder konstitutiv dahingehend abändern, dass die Zahlungsansprüche der Gläubiger gleich- oder sogar nachrangig im Verhältnis zu dem Gewinnbeteiligungsanspruch 865 RG v. 30.9.1927 – II 40/27, RGZ 118, 152 (155); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6, 10; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 56; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 324, 393; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 474; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 209; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 7. 866 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 393. 867 Baums in FS Boujong, 1996, S. 19 (27 ff.); Butzke in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 6 Rz. 43; Fuchs, ZGR 2003, 167 (169 f.); Hüffer/Koch, § 11 AktG Rz. 4; Sailer-Coceani in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 13 Rz. 10; Sieger/Hasselbach, AG 2001, 391 (392); Vatter in Spindler/ Stilz, § 11 AktG Rz. 9; a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 56 mit Fn. 206; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42. 868 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 11 AktG Rz. 4. 869 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 67; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 56; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 393; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 474; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 6; vgl. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 208 für Genussrechte. 870 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 56; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 67; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 56; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (543); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 17; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 209; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 66; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 474; wohl auch Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 6; einschränkend Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 7: nur entbehrlich, wenn die Emissionsgesellschaft zumindest wirtschaftlich Teil des Konzernfinanzierungsinteresses sei.

678

Fest

Gewinnschuldverschreibungen

Rz. 322 § 221 AktG

der Aktionäre sind.871 Des Weiteren kann die Gesellschaft in den Anleihebedingungen auch das Rangverhältnis zu Ansprüchen anderer Gewinnschuldverschreibungs- und Genussrechtsgläubiger bestimmen.872 c) Aufteilungsmaßstab Sind die Ansprüche der Gewinnschuldverschreibungsgläubiger im Verhältnis zu dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) vorrangig (siehe Rz. 319), können und sollten die Anleihebedingungen einen Maßstab für die Aufteilung der Gewinnanteile festlegen. Hierdurch kann verhindert werden, dass die Zahlungsansprüche der Gewinnschuldverschreibungsgläubiger die ausschüttungsfähigen Gewinnbestandteile aufzehren und die Aktionäre leer ausgehen. Der Festlegung eines Aufteilungsmaßstabs bedarf es auch dann, wenn die Ansprüche der Gewinnschuldverschreibungsgläubiger im Verhältnis zu dem Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre gleichrangig sind, die Gläubiger und die Aktionäre also um dieselben Gewinnanteile konkurrieren.873 Bei der Ausgestaltung der Aufteilung können die Gesellschaften – wie bei Genussrechten (siehe Rz. 411 f.) – zwischen sog. Nominal- und Quotengewinnschuldverschreibungen wählen.

320

2. Rückzahlung des Nennbetrags Schuldverschreibungen, bei denen die Rechte der Gläubiger mit Gewinnanteilen von Aktionären in Verbindung gebracht werden (eingehend dazu Rz. 314 ff.), sind nicht notwendig Gewinnschuldverschreibungen. Es kann sich auch um verbriefte Genussrechte (sog. Genussscheine) handeln.874 Die Unterscheidung – sie ist aufgrund der Rechtsfolge des § 221 Abs. 3 AktG zwar für die Anwendung des § 221 AktG ohne Bedeutung,875 nicht aber für andere Vorschriften (z.B. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VAG, § 2 5. VermBG, siehe Rz. 310) – erfolgt insbesondere anhand der vertraglichen Ausgestaltung des Rückzahlungsanspruchs.

321

Gewinnschuldverschreibungen zeichnen sich neben den charakteristischen periodischen Ausschüttungsansprüchen dadurch aus, dass ein fester und unbedingter Rückzahlungsanspruch auf den Nennbetrag der Teilschuldverschreibungen besteht.876 Unschädlich ist es, wenn die Anleihebedingungen vorsehen, dass den Gläubigern neben einem solchen Rückzahlungsanspruch eine Beteiligung am Liquidationsmehrerlös einschließlich der dabei aufgedeckten stillen Reserven zusteht.877 Hingegen handelt es sich um Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG, wenn die Anleihebedingungen eine auch für den Rückzahlungsanspruch geltende

322

871 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 98; vgl. Rid-Niebler, Genußrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 6 für Genussrechte. 872 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 98. 873 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 97. 874 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 478; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92; vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 474: Gewinnschuldverschreibungen unterscheiden sich praktisch nicht von Finanzierungsgenussrechten. 875 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 70; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 25; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 474; Lutter, ZGR 1993, 291 (304, 306); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92. 876 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 71; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 251, 475, 478; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 61; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92. 877 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 58; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 475, 477.

Fest

679

§ 221 AktG Rz. 323

Einzelne Instrumente

Nachrangvereinbarung enthalten (eingehend dazu Rz. 455 ff.),878 die Rückzahlungspflicht auf einen Anteil am Liquidationserlös oder eine andere variable Größe (z.B. den Bilanzgewinn) beschränken oder vorsehen, dass während der Laufzeit der Anleihe eintretende Verluste der Emissionsgesellschaft den Rückzahlungsanspruch mindern (eingehend dazu Rz. 420 ff.).879 3. Verbindung mit Umtausch- und Bezugsrechten 323

Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG sind Schuldverschreibungen und können als solche mit Umtausch- oder Bezugsrechten auf Aktien verbunden werden.880 Bei diesen zusammengesetzten Finanzinstrumenten handelt es sich um eine besondere Gestaltungsvariante von Wandel- oder Optionsanleihen (sog. Wandel- oder Optionsgewinnschuldverschreibungen), die (auch) dem Begriff der Wandelschuldverschreibung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG unterfallen.881 Daher können die Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien in direkter Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG auch durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden.882

IV. Verhältnis zu Teilgewinnabführungsverträgen 324

Massenhaft ausgegebene Gewinnschuldverschreibungen können – was der Gesetzgeber wohl nicht erkannt hat – im Einzelfall dem Begriff des Teilgewinnabführungsvertrags i.S.d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG unterfallen.883 Teilgewinnabführungsverträge können nämlich nicht nur

878 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 251; a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92. 879 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 58, 71, 101; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (545); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 39; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 355; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 251, 475; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 447; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 61; Sethe, AG 1993, 293 (297); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92. 880 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6; Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 44; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 40, 59; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 319; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 56; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 8; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 8; vgl. auch Kalss in FS Goette, 2011, S. 219 (220) für Genussrechte. 881 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 59; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 8; ähnlich Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 319: § 221 Abs. 1 AktG ist anzuwenden. 882 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 44; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 40, 59; vgl. auch Kalss in FS Goette, 2011, S. 219 (221); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 213; für Wandelgenussrechte. 883 Reuter in FS Fischer, 1979, S. 605 (617 mit Fn. 50); Wollmert, BB 1992, 2106 (2107); vgl. auch Busch, AG 1994, 93 (97); Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 Rz. 31; Rust, AG 2006, 563 (564) jeweils für Genussrechte; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 67; a.A. LG Berlin v. 19.7.2000 – 105 O 32/00, AG 2001, 95 (96); Florstedt in FS K. Schmidt, 2009, S. 399 (410 ff.); Gehling, WM 1992, 1093 (1096); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 375; Hirte, ZIP 1988, 477 (485); Sethe, AG 1993, 293 (310 f.). Unklar Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 72; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 252, 484, die zum einen wohl davon ausgehen, dass Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte den Tatbestand des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG nicht erfüllen, zum anderen aber § 221 AktG als lex specialis gegenüber § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG ansehen.

680

Fest

Gewinnschuldverschreibungen

Rz. 326 § 221 AktG

singulär zur Begründung eines Unternehmensverbundes,884 sondern ausweislich § 294 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AktG mit einer Vielzahl von Vertragspartnern (z.B. in der Gestalt stiller Beteiligungen885) geschlossen werden. Auch der Inhalt des Zahlungsanspruchs kann identisch sein.886 Sowohl der Teilgewinnabführungsvertrag als auch die Anleihebedingungen von Gewinnschuldverschreibungen (siehe Rz. 317) können als Bemessungsgrundlage des periodischen Ausschüttungsanspruchs u.a. den Bilanzgewinn (§ 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AktG) oder den in der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisenden Jahresüberschuss (§ 275 Abs. 2 Nr. 16 bzw. Abs. 3 Nr. 8 HGB) festlegen.887 Die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen haben in § 221 AktG eine eigenständige und abschließende Regelung erfahren.888 Diese schließt als lex specialis eine kumulative Anwendung der §§ 292 ff. AktG auf Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG aus.889 Ursächlich hierfür sind drei Inkompatibilitäten der Regelungsregime:

325

(1) Die für die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen nach § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung (eingehend dazu Rz. 510 ff.) – alternativ kann die Hauptversammlung dem Vorstand in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG eine befristete Ermächtigung erteilen (eingehend dazu Rz. 527 ff., 528) – ist im (Außen-)Verhältnis der Emissionsgesellschaft zu den Gläubigern keine Voraussetzung

326

884 So aber wohl Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 375; vgl. auch Hirte, ZBB 1992, 50 (52); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 252 für Genussrechte. 885 Zu der Einordnung von (typischen) stillen Beteiligungen als Teilgewinnabführungsverträge siehe BGH v. 8.5.2006 – II ZR 123/05, NJW-RR 2006, 1182 (1183 Rz. 20) = AG 2006, 546; BGH v. 29.11.2004 – II ZR 6/03, NJW-RR 2005, 627 (628) = AG 2005, 201; BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 65 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 292 Rz. 29; Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 12, 15; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 61; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 292 AktG Rz. 23; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 95; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 64 Rz. 11; Servatius in Grigoleit, § 292 AktG Rz. 21; Veil in Spindler/Stilz, § 292 AktG Rz. 21. Zu der Ausnahme nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FMStBG siehe Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163; Henle/Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 5 ff.; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 292 AktG Rz. 23; Langenbucher, ZGR 2010, 75 (88 f.); Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 97; Nodoushani, ZBB 2009, 110 (113 f.). 886 Vgl. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 73; a.A. Sethe, AG 1993, 293 (310 f.): keine Abführung des Gewinns, sondern nur indirekte Orientierung am Unternehmensergebnis. 887 Zum Teilgewinnabführungsvertrag siehe Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 57; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 292 AktG Rz. 25; Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 13; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 292 AktG Rz. 16; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 85. 888 Vgl. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 68; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 72; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 59; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 67 jeweils zu Genussrechten. 889 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 375; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 484; Wollmert, BB 1992, 2106 (2107); vgl. zu Genussrechten Busch, AG 1994, 93 (97); Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (316); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 72; Habersack in FS Happ, 2006, S. 49 (54); Hirte, ZBB 1992, 50 (52); Hirte, ZIP 1988, 477 (485); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 243, 252; Mülbert in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 102; Schweitzer/Volpert, BB 1994, 821 (826); Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 67; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 93; kritisch Eyber, Die Abgrenzung zwischen Genussrecht und Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der Aktiengesellschaft, 1996, S. 165; a.A. Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 AktG Rz. 31.

Fest

681

§ 221 AktG Rz. 327

Einzelne Instrumente

für die wirksame Begründung der Gewinnschuldverschreibungen. Sie beschränkt nicht die Vertretungsmacht des für die Emissionsgesellschaft handelnden Vertretungsorgans, sondern betrifft ausschließlich das Innenverhältnis der Gesellschaft (siehe Rz. 767). Im Gegensatz dazu werden Teilgewinnabführungsverträge – außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG890 – gemäß § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam; die Vorschrift beschränkt die Vertretungsmacht des Vorstands im Außenverhältnis.891 327

(2) Des Weiteren bestehen unterschiedliche Anforderungen an die Publizität: Der Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrags bedarf – außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG892 – einer konstitutiv wirkenden Eintragung893 in das Handelsregister (§ 294 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG), wobei der Anmeldung nicht nur der Vertrag, sondern u.a. auch die Niederschrift der Zustimmung der Hauptversammlung beizufügen ist (§ 294 Abs. 1 Satz 2 AktG). Im Unterschied dazu ist bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen keine Eintragung in das Handelsregister erforderlich.894 Gemäß § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG genügt es, dass der Beschluss der Hauptversammlung – dies gilt nicht nur für die Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.), sondern auch in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG für die Zustimmung nach § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff., 549) – und eine Erklärung über die Ausgabe der Gewinnschuldverschreibungen bei dem zuständigen Handelsregister hinterlegt werden und ein Hinweis hierauf in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekanntgemacht wird (eingehend dazu Rz. 547 ff.).

328

(3) Schließlich bestehen grundlegende Unterschiede in der Sicherung der Aktionärsrechte: Auf Gewinnschuldverschreibungen haben Aktionäre grundsätzlich ein Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.); ein Bezugsrecht auf Unternehmensverträge gibt es nicht.895 Auch die §§ 304, 305 AktG finden bei dem Abschluss eines Teilgewinnabfüh890 Zu der Entbehrlichkeit der Handelsregistereintragung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG siehe Henle/ Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 9. Nach überwiegender Ansicht entzieht § 15 Abs. 1 FMStBG stille Beteiligungen des FMS nicht nur verfahrensrechtlich der Anwendung der §§ 291 ff. AktG, sondern regelt die materielle Rechtsnatur derselben dahingehend, dass sie dem Tatbestand des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG entzogen sind, siehe Apfelbacher in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 13 (20 f.); Henle/Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 7. 891 Busch, AG 1994, 93 (97); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 74; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 293 AktG Rz. 15; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 293 AktG Rz. 11; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 293 AktG Rz. 8; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 293 AktG Rz. 10; Servatius in Grigoleit, § 293 AktG Rz. 4; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 82 AktG Rz. 20; Veil in Spindler/Stilz, § 293 AktG Rz. 5; a.A. Hirte/Schall, Der Konzern 2006, 243 (249): Wirksamkeitserfordernis. 892 Zu der Entbehrlichkeit der Handelsregistereintragung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG siehe Henle/ Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 9. 893 Zur konstitutiven Wirkung der Eintragung siehe Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 294 AktG Rz. 41; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 294 AktG Rz. 25; Hüffer/Koch, § 294 AktG Rz. 17; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 294 AktG Rz. 29; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 294 AktG Rz. 23; Mülbert in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 294 AktG Rz. 61; Servatius in Grigoleit, § 294 AktG Rz. 5; Veil in Spindler/ Stilz, § 294 AktG Rz. 25. 894 Habersack in FS Happ, 2006, S. 49 (54); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 375; vgl. zu Genussrechten Busch, AG 1994, 93 (97); Gehling, WM 1992, 1093 (1096); Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 59; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 10; Sethe, AG 1993, 293 (310). 895 Siehe statt vieler BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/82, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412; Habersack in FS Happ, 2006, S. 49 (54).

682

Fest

Genussrechte

Rz. 329 § 221 AktG

rungsvertrags weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung.896 Schließt die Aktiengesellschaft eine Vielzahl von Teilgewinnabführungsverträgen (z.B. in der Ausgestaltung als atypische stille Beteiligungen), besteht kein dem Bezugsrecht des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG vergleichbarer Kontrahierungszwang gegenüber den Aktionären.

C. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG) Im Unterschied zu Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, 2 AktG) ist der Begriff des Genussrechts weder in § 221 Abs. 3, 4 AktG noch in Vorschriften anderer Rechtsgebiete (z.B. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG) definiert; er wird vorausgesetzt.897 Ausweislich der Materialien hat der Gesetzgeber die Begriffsbestimmung der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft überantwortet. Wohl auch in Anbetracht der Tatsache, dass Genussscheine gegen Ende der 1920er Jahre florierten,898 wurde erstmals im Rahmen der Vorarbeiten zu dem AktG 1937 die Einführung einer aktienrechtlichen Regelung betreffend Genussrechte erwogen. Damals konstatierten die Verfasser des AktG-E 1930 für Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte gleichermaßen, dass die gegenwärtigen Ausgestaltungen und Einsatzzwecke derart mannigfaltig seien, dass ins Einzelne gehende Regelungen – insbesondere solche über den Inhalt der Rechte – nur hemmend wirken könnten.899 Trotz dieser Prognose wurde eine Begriffsbestimmung nur für Gewinnschuldverschreibungen für notwendig erachtet, um den sachlichen Anwendungsbereich des § 194 Abs. 1 Satz 1 AktG-E 1930 (heute: § 221 Abs. 1 AktG) bestimmen zu können. Für Genussrechte hielten die Verfasser eine Begriffsbestimmung für entbehrlich. Ursächlich hierfür war wohl, dass der Begriff des Genussrechts – im Unterschied zu dem der Gewinnschuldverschreibung – bereits damals ohne eine Legaldefinition in anderen Gesetzen (z.B. § 37 Abs. 1 Nr. 1 EStG 1925) verwendet wurde, so dass die Verfasser des AktG-E 1930 wohl davon ausgingen, den Begriff des Genussrechts und damit einhergehend den sachlichen Anwendungsbereich von § 194 Abs. 3, 4 AktG-E 1930 (heute: § 221 Abs. 3, 4 AktG) unter Rückgriff auf die zu diesen Vorschriften bereits ergangene Rechtsprechung bestimmen zu können. Mit dieser (bewussten) Lücke wurde der Entwurf einer aktienrechtlichen Regelung betreffend Genussrechte zunächst in § 174 Abs. 3, 4 AktG 1937 normiert900 und im Zuge der Neufassung des Aktiengesetzes 1965 mit nur sprachlichen Änderungen901 in § 221 Abs. 3, 4 AktG übernommen.902 Inzwischen besteht im Grundsatz Einigkeit darüber, dass Genussrechte Dauerschuldverhältnisse sind, 896 OLG Düsseldorf v. 22.8.1997 – 3 Wx 302/95, AG 1997, 578; OLG Düsseldorf v. 12.7.1996 – 17 U 201/95, AG 1996, 473 f.; Deilmann in Hölters, § 304 AktG Rz. 4; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 9; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 74; Hasselbach/Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 304 AktG Rz. 141; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 252; Paulsen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 21, § 305 Rz. 15; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 16; Veil in Spindler/Stilz, § 304 AktG Rz. 11; a.A. Brauksiepe, BB 1966, 144 (145). 897 Friedlaender, DStZ/A 1966, 242; Mentz in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. F Rz. 42; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 21. 898 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 1; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 344; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 255; Sethe, AG 1993, 293 (295). 899 Erläuternde Bemerkungen zum AktG-E 1930, abgedruckt in: Schubert, Quellen zur Aktienrechtsreform der Weimarer Republik (1926-1931), Bd. 2, 1999, S. 966. 900 Amtliche Begründung zu § 174 AktG 1937, abgedruckt in Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktien-Gesetz) nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“, 1937, S. 155. 901 BT-Drucks. IV/171, 198 zu § 210 AktG-E. 902 Zu den Versuchen, in das AktG 1965 eine Begriffsbestimmung aufzunehmen, siehe Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 38 ff., 47 mit Fn. 80.

Fest

683

329

§ 221 AktG Rz. 330

Einzelne Instrumente

die keine gesellschaftsrechtlich geprägten Mitgliedschaftsrechte begründen, sondern sich in einem bestimmten geldwerten Anspruch erschöpfen (eingehend dazu Rz. 361 ff.).

I. Einsatzgebiete 330

Während Genussrechte ursprünglich vorwiegend als sog. Amortisationsgenussrechte (eingehend dazu Rz. 331 f.) und als sog. Gründergenussrechte zur Vergütung des Gründungsaufwands (eingehend dazu Rz. 333 f.) gewährt wurden, werden sie heute ganz überwiegend zum Zweck der Unternehmensfinanzierung eingesetzt (siehe Rz. 335 ff.). 1. Amortisationsgenussrechte

331

Sog. Amortisationsgenussrechte wurden – in der Regel verbrieft als Genussscheine auf den Inhaber903 – ab Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in Österreich, vereinzelt aber auch auf dem Gebiet des Deutschen Reichs, von Eisenbahn- und Bergwerksgesellschaften gewährt.904 Motiv hierfür waren gesetzliche Bestimmungen, die vorsahen, dass das Eigentum an wesentlichen Betriebsanlagen mit dem Ablauf der nur befristeten Konzessionen entschädigungslos und ohne Rückgewähr der Einlagen in das Eigentum des jeweiligen Staates übergehen sollte (sog. Heimfallrechte).905 Diese damals allgemein als unbillig empfundene Rechtsfolge wurde dadurch vermieden, dass die Gesellschaften zu in der Satzung festgelegten Zeitpunkten vor Ablauf der Konzession (Kapital-)Aktien auslosten, die deren Inhaber gegen eine Barabfindung, deren Höhe insbesondere von der Restlaufzeit der Konzession abhing, zurückgeben durften.906 Im Zuge dieser Amortisation wurden den Aktionären zusätzlich Genussrechte gewährt.907 Mit diesen war zum einen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft verbunden (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.),908 so dass die Gesellschafter auch nach dem Ende der Konzession an den Gewinnen des vom Staat fortgeführten Unternehmens partizipierten.909 Zum anderen vermittelten die Amortisationsgenussrechte ihren Inhabern das Stimmrecht.910 Sie waren also – im Gegensatz zu den Ge-

903 Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 40, 51. 904 Deichmann, ZfhF 18 (1924), 529 (537); Frantzen, Genußschein, 1993, S. 44; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 22; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 23; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 41; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (872). 905 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 34; Frantzen, Genußschein, 1993, S. 44; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 22; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 39 f.; Wedel, Der Partizipationsschein als Kapitalbeschaffungsmittel der Aktiengesellschaften, 1969, S. 39; Zander, Der Genußschein im deutschen und französischen Recht, 1933, S. 7. 906 Frantzen, Genußschein, 1993, S. 44; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 39. 907 Frantzen, Genußschein, 1993, S. 44; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 22. 908 Deichmann, ZfhF 18 (1924), 529 (538); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 34 f.; Frantzen, Genußschein, 1993, S. 44; Wedel, Der Partizipationsschein als Kapitalbeschaffungsmittel der Aktiengesellschaften, 1969, S. 39; Zander, Der Genußschein im deutschen und französischen Recht, 1933, S. 7. 909 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 15; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 19. 910 Deichmann, ZfhF 18 (1924), 529 (538); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 35; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 15; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 43, 51; a.A. Wertheimer, JW 1923, 573 (575): das Stimmrecht stehe nur den Aktionären zu.

684

Fest

Genussrechte

Rz. 333 § 221 AktG

nussrechten i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG (siehe Rz. 359) – mitgliedschaftsrechtlicher Natur, weshalb sie auch – zutreffender – als Genussaktien bezeichnet wurden („Restmitgliedschaften“911).912 Diese unterschieden sich von denen im Zuge der Amortisation hingegebenen sog. Kapitalaktien dadurch, dass sie ihren Inhabern keinen Anspruch auf die sog. Primärdividende – eine gewinnunabhängige Mindestverzinsung des eingezahlten Kapitals, regelmäßig in Höhe von vier bis fünf Prozent –, sondern nur einen Anspruch auf die sog. Superdividende,913 d.h. eine Beteiligung an dem ggf. erzielten Gewinn, der die Summe der Primärdividende überstieg, vermittelten.914 Diese Art der Amortisation ist seit dem Inkrafttreten des AktG 1937 unzulässig. Dies gilt 332 nicht nur, wenn die Gesellschaft keinen ausreichenden Gewinn für Superdividenden erzielt und stattdessen Einlagen zurückzahlt.915 Unter Anwendung des gegenwärtigen Aktienrechts ist nämlich bereits die Rückgabe der Aktien gegen Barabfindung zuzüglich der Gewährung von Genussrechten ein unzulässiger Erwerb eigener Aktien (§§ 71 ff. AktG) sowie ein Verstoß gegen das Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen (§ 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG).916 Ferner entspricht dieses Vorgehen einer mit § 237 AktG unvereinbaren rein internen Teilliquidation ohne Herabsetzung des Grundkapitals.917 2. Gründergenussrechte Sog. Gründergenussrechte wurden von deutschen Aktiengesellschaften – regelmäßig verbrieft als Inhaberpapiere918 – insbesondere in der Gründerzeit nach 1870 gewährt.919 Damals dienten sie als Anreiz für die Aktienübernahme920 und als zusätzliches Entgelt für vorsichtig bewertete Sach- und Vermögenseinlagen921 sowie den persönlichen Gründungsaufwand.922 Sie gewährten den Gläubigern in der Regel das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liqui-

911 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 336. 912 Frantzen, Genußschein, 1993, S. 45; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 40. 913 Bethmann, ZfhF 29 (1935), 393 (445); Deichmann, ZfhF 18 (1924), 529 (538). 914 Frantzen, Genußschein, 1993, S. 45; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 40; Wertheimer, JW 1923, 573 (575). 915 So aber wohl Frantzen, Genußschein, 1993, S. 45. 916 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 23. 917 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 23, § 237 AktG Rz. 3. 918 Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 51. 919 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24. 920 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 57; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 84; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 271; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24, 343; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 50. Dieser Einsatzzweck lag z.B. den verfahrensgegenständlichen Genussrechten in RG v. 30.6.1927 – II 7/27, RGZ 117, 379 ff.; RG v. 18.11.1913 – II 280/13, RGZ 83, 295 ff. zugrunde. 921 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 58 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 84; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 334; Wertheimer, JW 1923, 573 (574). Dieser Einsatzzweck lag z.B. den verfahrensgegenständlichen Genussrechten in RG v. 13.3.1931 – II 315/30, RGZ 132, 199 ff. zugrunde. 922 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 57 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 343; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24, 343; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 50.

Fest

685

333

§ 221 AktG Rz. 334

Einzelne Instrumente

dationserlös der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.)923 und waren häufig mit einem Bezugsschein auf neue Aktien aus späteren Kapitalerhöhungen verbunden.924 Letzterer Gestaltung wurde im Zuge der Aktienrechtsnovelle von 1884 durch die Einführung von Art. 215a Abs. 4 ADHGB – die Regelung entspricht im Wesentlichen § 187 Abs. 2 AktG – die Wirksamkeit versagt.925 334

Gegenwärtig können Gründergenussrechte nur unter den Voraussetzungen des § 26 AktG als Entschädigung für den Gründungsaufwand oder als Belohnung gewährt werden.926 Soll den Gründern auch ein Erwerbsrecht auf neue Aktien aus zukünftigen Kapitalerhöhungen zustehen, kann ihnen ein solches durch die Ausgabe sog. Wandel- oder Optionsgenussrechte (eingehend dazu Rz. 483 ff.) eingeräumt werden.927 Da Aktiengesellschaften derzeit in der Regel durch Umwandlung bereits bestehender Gesellschaften entstehen und nur selten neu gegründet werden, sind Gründergenussrechte Raritäten geworden.928 3. Finanzierungsgenussrechte

335

Die überwiegende Zahl der heute gewährten Genussrechte dient der Unternehmensfinanzierung.929 Für diese Genussrechte – in der Regel handelt es sich um auf den Inhaber verbriefte Genussscheine (siehe Rz. 772) – ist charakteristisch, dass sie gegen Geldleistungen ausgegeben werden und den Gläubigern das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft vermitteln (eingehend dazu Rz. 404 ff.).930 Im Vergleich zu anderen Finanzierungsinstrumenten weisen Genussrechte die folgenden rechtlichen und wirtschaftlichen Vorteile auf: a) Inhaltliche Gestaltungsfreiheit

336

Genussrechte sind keine gesellschaftsrechtlich geprägten Mitgliedschaftsrechte, sondern schuldrechtlicher Natur (siehe Rz. 359). Dies hat zur Folge, dass die Gesellschaften bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Genussrechte – im Gegensatz zu Aktien – nicht durch den Grundsatz der Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) beschränkt,931 sondern weitgehend frei sind (eingehend dazu Rz. 393 ff.). Begrenzt wird die Gestaltungsfreiheit in erster Linie durch die §§ 307 ff. BGB (siehe Rz. 394). 923 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 343; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24, 343. 924 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 343; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24. 925 Begründung zum Entwurf des AktG 1884, abgedruckt bei Schubert/Hommelhoff, Hundert Jahre Modernes Aktienrecht, 1985, S. 434 f.; Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 35 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 254; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 187 AktG Rz. 4; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 1. 926 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 84; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 334. 927 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 343; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 24. 928 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 343. 929 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 5; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 20, 31; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 263; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 274; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 19; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 73; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 27. 930 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 80; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 274. 931 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 80.

686

Fest

Genussrechte

Rz. 338 § 221 AktG

b) Funktionelles Eigenkapital ohne mitgliedschaftliche Rechte Zum Zweck der Unternehmensfinanzierung wurden Genussrechte und Genussscheine vermehrt erst in den 1920er und 1930er Jahren eingesetzt.932 Ursächlich hierfür war, dass nur sie es den Gesellschaften ermöglichten, Kapital zu akquirieren, das – bei einer aktienähnlichen Ausgestaltung der Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.) – sog. funktionelles Eigenkapital darstellt. Hierbei handelt es sich gesellschafts- und insolvenzrechtlich um Haftungskapital, das sich von dem rechtsformspezifischen Eigenkapital, namentlich den Einlagen der Aktionäre, wesentlich dadurch unterscheidet, dass es auf schuldvertraglicher Grundlage nicht notwendig von den Gesellschaftern, sondern in der Regel von Dritten, aufgebracht wird und den Kapitalgebern daher keinen mitgliedschaftlichen Einfluss gewährt.933 Diesen Vorteil büßten die Genussrechte mit der Einführung stimmrechtsloser Vorzugsaktien durch das AktG 1937 ein und verloren zunächst erheblich an Bedeutung.934

337

c) Bilanzielles Eigenkapital Im Unterschied zu herkömmlichen Schuldverschreibungen und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) ist das gegen die Gewährung von Genussrechten eingezahlte Kapital (sog. Genussrechtskapital) in der Bilanz der Gesellschaft nicht notwendig als Fremdkapital zu passivieren.935 Sehen die Genussrechtsbedingungen die Rückzahlung des Kapitals vor, sind – wie bei herkömmlichen Schuldverschreibungen und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) – die Rückzahlungsverpflichtungen grundsätzlich als Anleiheverbindlichkeiten (§ 266 Abs. 3 C I HGB),936 als sonstige Verbindlichkeiten (§ 266 Abs. 3 C 8 HGB)937 oder in

932 Zu Einzelheiten der historischen Entwicklung siehe Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 47 ff.; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 57 ff. 933 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 22; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 263; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 84; Wertheimer, JW 1923, 573 (575). 934 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 1; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 74 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 16; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 256; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 73. 935 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 5; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 13; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 263; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 19; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 27; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 84, 90, 102 ff.; Stadler, NZI 2003, 579 (580). Einem Passivierungswahlrecht der Gesellschaft, wie es von Teilen der Literatur befürwortet wird (Haarmann, JbFStR 1985/1986, S. 407 (411, 413); wohl auch Weber in Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, § 265 HGB Rz. 43), steht entgegen, dass die Gesellschaft durch dessen Ausübung die Möglichkeit hätte, auf die Passivierung zu verzichten und somit durch die Gewährung von Genussrechten künstlich Gewinne entstehen zu lassen, siehe Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, § 4 V 1 c = S. 105. 936 Gosch in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 149; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, § 16 IV 1 = S. 589 f.; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (284); Schaber/ Kuhn/Eichhorn, BB 2004, 315 (317). Einschränkend Forster/Goerdeler/Lanfermann/Müller/Siepe/ Stolberg in Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 266 HGB Rz. 199: nur bei Verbriefung der Genussrechte; Emmerich/Neumann, WPg 1994, 677 (684): wenn Genussrechte am organisierten Kapitalmarkt begeben werden. 937 Ziebe, DStR 1991, 1594 (1597).

Fest

687

338

§ 221 AktG Rz. 339

Einzelne Instrumente

einem gemäß § 265 Abs. 5 Satz 2 HGB gebildeten Unterposten „Genusskapital“938 zu passivieren, das eingezahlte Genussrechtskapital also grundsätzlich Fremdkapital.939 339

Ausnahmsweise ist das Genussrechtskapital bilanzielles Eigenkapital, wenn die Genussrechtsbedingungen keine Rückzahlung des Kapitals an die Gläubiger vorsehen bzw. die Gläubiger auf die Rückzahlung verzichten.940 Gleiches sollte für befristete Wandelgenussrechte (eingehend dazu Rz. 483 ff.) gelten, wenn sich die Gesellschaft in den Genussrechtsbedingungen verpflichtet, das Genussrecht mit Ablauf der Laufzeit in Aktien umzuwandeln. Sind die Genussrechte lediglich aktienähnlich ausgestaltet (eingehend dazu Rz. 398 ff.) verbietet sich gleichfalls ein Ausweis als Verbindlichkeit.941 Zwar zählt das Genussrechtskapital zum funktionellen Eigenkapital (eingehend dazu Rz. 337, 399 ff.), ist aber außerhalb des bilanziellen Eigenkapitals in einem gesetzlich nicht vertypten Bilanzposten (§ 265 Abs. 5 Satz 2 HGB) abzubilden.942 d) Steuerliche Behandlung

340

Im Vergleich zu der Außenfinanzierung durch die Ausgabe neuer Aktien weist die Gewährung von Genussrechten für die Gesellschaft den steuerrechtlichen Vorteil auf, dass die Zahlungen an die Gläubiger – im Gegensatz zu Dividenden – Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG) sind.943 Diese steuerliche Behandlung gilt – wie § 20 Abs. 1 Nr. 7 938 Emmerich/Neumann, WPg 1994, 677 (684); Forster/Goerdeler/Lanfermann/Müller/Siepe/Stolberg in Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 266 HGB Rz. 199; Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, Rz. 818; IDW, HFA 1/1994 unter Abschnitt 2.1.3, abgedruckt in WPg 1994, 419 (421); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 416; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 84; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 110. 939 IDW, HFA 1/1994 unter Abschnitt 2.1.3, abgedruckt in WPg 1994, 419 (421); Brüggemann/Lühn/ Siegel, KoR 2004, 340 (343); Emde, BB 1988, 1214 (1215); Friedlaender, DStZ/A 1966, 242; Groh, BB 1993, 1882 (1889); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 434; Johannemann in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, 2008, § 10 Rz. 20; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 407; Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 404; Müller in FS Budde, 1995, S. 445 (454); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 75; Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB Rz. 228; Vollmer/Maurer, DB 1994, 1173 (1178). 940 IDW, HFA 1/1994 unter Abschnitt 2.1.2, abgedruckt in WPg 1994, 419 (421); Mihm in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 404; Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB Rz. 228. 941 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 84; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 75; ähnlich Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1384): Bilanzierung als Eigenkapital setzt Verlustteilnahme voraus. A.A. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 18, 183; Häuselmann, BB 2007, 931 (936): befristete Verbindlichkeit; wohl auch Stadler, NZI 2003, 579 (580). 942 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 66; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 84; a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 104. Zur Bilanzierung von aktienähnlichen Schuldverschreibungen, Hybridanleihen und Genussrechten nach internationalen Rechnungslegungsstandards IAS/IFRS siehe Bohl/Wiechmann, IFRS für Juristen, Rz. 284 ff.; Brokamp/Hölzer, FR 2006, 272 (274); Flintrop in Beck’sches IFRS-Handbuch, § 39 Rz. 21, 23 ff.; Häger/Nottmeier in Häger/Elkemann-Reusch, Mezzanine Finanzierungsinstrumente, Rz. 839 ff.; Häuselmann, BB 2007, 931 ff.; Kratzsch, BB 2007, 1817 (1821); Mentz in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. F Rz. 186 ff.; Rüßmann/Vögtle, CFB 2010, 205 (208); Schaber/Isert, BB 2006, 2401 ff.; Schaber/Kuhn/Eichhorn, BB 2004, 315 (317 ff.); Sester, ZBB 2006, 443 (457 f.); Stadler, NZI 2003, 579 (580 f.); Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. F Rz. 750. 943 BFH v. 19.1.1994 – I R 67/92, BFHE 173, 399 (401) = BStBl. II 1996, 77; BFH v. 11.2.1987 – I R 43/83, BFHE 149, 217 (221) = BStBl. II 1987, 643; Breuninger/Prinz, DStR 2006, 1345 (1347); Brokamp/Hölzer, FR 2006, 272 (274); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung,

688

Fest

Genussrechte

Rz. 340 § 221 AktG

Satz 2 EStG klarstellt – unabhängig von der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Genussrechtsbedingungen und somit auch für Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.) verbunden ist. Dem steht § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht entgegen.944 Der Regelungsgehalt der Vorschrift erschöpft sich darin, dass Ausschüttungen auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Kapitalgesellschaft verbunden ist,945 das Einkommen der Kapitalgesellschaft ebenso wenig mindern dürfen wie Dividenden. Die intendierte Ergebnisgleichheit stellt mit § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG nicht durch eine Modifikation der bilanziellen Gewinnermittlung her; insbesondere findet keine Umqualifikation der Genussrechtsverbindlichkeiten in bilanzielles Eigenkapital (siehe Rz. 338 f.) mit der Folge statt,946 dass die Ausschüttungen keine Betriebsausgaben wären.947 Statt dessen ist – wie bei verdeckten Gewinnausschüttungen948 – eine außerbilanzielle Korrektur vorzunehmen, im Rahmen derer der Ausschüttungsbetrag, der das Betriebsvermögen zum Ende

944 945

946

947 948

Kap. 10 Rz. 20; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8 KStG Rz. 393; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 22; Groh, BB 1995, 559; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 17; Häuselmann, BB 2007, 931 (936); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 359; Hirte, ZIP 1988, 477 (478); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 31; IDW, HFA 1/1994 unter Abschnitt 2.2.1, abgedruckt in WPg 1994, 419 (422); Jänisch/Moran/Waibel, DB 2002, 2451; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, § 16 IV 2 = S. 592; Manz/Lammel, GmbHR 2009, 1121; Nelles/Klusemann, FB 2003, 1, 7; Rengers in Blümich, EStG/KStG/ GewStG, § 8 Rz. 200, 215; Reuter in FS Stimpel, 1985, 645 (652); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 28; Rüßmann/Vögtle, CFB 2010, 205 (209); Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB Rz. 230; Sethe, AG 1993, 293 (296); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 111; Wassermann, Der langfristige Kredit 1988, 628 (630); Wiedemann in FS Beusch, 1993, S. 893 (900); Ziebe, DStR 1991, 1594 (1595); Ziebe, BB 1988, 225 (227); vgl. auch Sester, ZBB 2006, 443 (458) für Hybrid-Anleihen. A.A. (Gewinnverwendung) Friedlaender, DStZ/A 1966, 242 (244). Staiger in Lademann, § 8 KStG Rz. 313; a.A. Angerer, DStR 1994, 41 (42); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 69; Kratzsch, BB 2005, 2603; Schweitzer/Volpert, BB 1994, 821 (826); Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 113; Stadler, NZI 2003, 579 (583): Gewinnverwendung. Zu der kumulativen Erforderlichkeit der Voraussetzungen siehe BFH v. 19.1.1994 – I R 67/92, BFHE 173, 399 (401) = BStBl. II 1996, 77; Brokamp/Hölzer, FR 2006, 272 (274); Claussen in FS Werner, 1984, S. 81 (89); Emde, BB 1988, 1214 (1215); Emde, Der Genußschein als Finanzierungsinstrument, 1987, S. 84; Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genußscheine, 2. Aufl. 1992, S. 35; Hofert/Möller, GmbHR 2009, 527 (529); Johannemann in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, 2008, § 10 Rz. 26; Linscheidt, DB 1992, 1852 (1853); Mihm in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 429; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (282); Pougin, Genußrechte, 1987, S. 11; Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 Rz. 200; Schulte in Erle/Sauter, § 8 KStG Rz. 316; Sontheimer, BB 1984, Beilage 19, S. 1, 6; Staiger in Lademann, § 8 KStG Rz. 310; Stein in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 190; Winnefeld, BilanzHandbuch, Kap. D Rz. 1736, 1738; Ziebe, DStR 1991, 1594 (1596); Ziebe, BB 1988, 225 (227); Zupancic, Risikokapitalbeschaffung durch Genußscheine bei großen mittelständischen Unternehmungen, 1989, S. 189; a.A. Hirte, ZIP 1988, 477 (478). So aber Breuninger/Ernst, GmbHR 2012, 494 (497); Breuninger/Prinz, DStR 2006, 1345 (1347); J. Frey/Mückl, GmbHR 2010, 1193 (1199); Sontheimer, BB 1984, Beilage 19, S. 1 (3). Abweichend Eilers/Roderburg, GmbHR 2005, 1622 (1624): kein Eigenkapital, sondern lediglich Behandlung wie Eigenkapital. BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BFHE 175, 347 (349) = BStBl. II 2002, 366. Missverständlich Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, Rz. 818; Rengers in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 8 KStG Rz. 200. Siehe statt vieler Schallmoser in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 204 m.w.N.

Fest

689

§ 221 AktG Rz. 341

Einzelne Instrumente

des laufenden Wirtschaftsjahres mindert, dem Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG außerhalb der Bilanz hinzuzurechnen ist.949 e) Zurechnung zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln 341

Ein weiterer Vorteil gegenüber Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) besteht darin, dass Genussrechte – unabhängig von ihrer Verbriefung (siehe Rz. 771 f.) – so ausgestaltet werden können, dass sie die im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht festgelegten Vorgaben (Art. 52 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. §§ 89 ff. VAG, Art. 69 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) für Eigenmittel erfüllen (eingehend dazu Rz. 421 ff., 435, 452 ff., 455). f) Kapitalmarktfähigkeit

342

Im Vergleich zu stillen Beteiligungen (§§ 230 ff. HGB, eingehend dazu Rz. 378 ff.) weisen Genussrechte den Vorteil auf, dass sie zu Genussscheinen verbrieft werden können (eingehend dazu Rz. 771 f.), die – ihre Fungibilität vorausgesetzt – kapitalmarktfähig sind und daher unter den Voraussetzungen der §§ 32 ff. BörsG und der BörsZulV zum Handel im regulierten Markt zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen werden können (eingehend dazu Rz. 779 ff.).950 4. Sanierungsgenussrechte

343

Nicht selten werden Genussrechte – in der Regel auf den Inhaber verbriefte Genussscheine (siehe Rz. 772) – in einer Krise der Gesellschaft als Sanierungsinstrumente im Rahmen eines sog. Debt-Mezzanine-Swap951 eingesetzt.952 Die zu diesem Zweck ausgegebenen Sanierungsgenussscheine unterscheiden sich von Finanzierungsgenussscheinen (eingehend dazu Rz. 335 ff.) in der Regel dadurch, dass sie nicht gegen Einzahlung eines Kapitalbetrags (sog. 949 BFH v. 17.10.2001 – I R 103/00, BFHE 197, 68 (74) = BStBl. II 2004, 171; BFH v. 16.12.1998 – I R 96/95, BFH/NV 1999, 1125 (1126) = NJW 1999, 3070; BFH v. 29.6.1994 – I R 137/93, BFHE 175, 347 (349) = BStBl. II 2002, 366; BMF v. 28.5.2001 – IV A 2 - S 2742 - 32/02, BStBl. I 2002, 603 Rz. 3 = DStR 2002, 910; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, Anh. § 8 KStG Rz. 215a; Gosch in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 395-397; Große, DStR 2010, 1397 (1399); Harle, GmbHR 2008, 1257 (1258); Herlinghaus, GmbHR 2002, 397 f.; Klingebeil in Dötsch/Pung/ Möhlenbrock, § 8 Abs. 3 KStG Teil C Rz. 355; Kolbe, StuB 2008, 258; Wassermeyer in FS Raupach, 2006, S. 565 (574); Wassermeyer, DB 2002, 2668; Wassermeyer, GmbHR 2002, 617 (619); Wassermeyer, GmbHR 2002, 1 (4); Wassermeyer, IStR 2001, 633 (634); a.A. Schallmoser in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 96: Korrektur innerhalb der Bilanz. 950 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 5; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 274. 951 Zu Einzelheiten siehe Heckschen in Reul/Heckschen/Wienberg, Insolvenzrecht in der Gestaltungspraxis, 2012, Teil N Rz. 226 ff.; Niemann/Warneboldt in Bork/Hölzle, Handbuch Insolvenzrecht, 2014, Kap. 28 Rz. 88 ff.; Rusch/Brocker, ZIP 2012, 2193 ff.; Schlitt/Ries in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 12 ff., 51 ff.; Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 5. Aufl. 2016, Teil H Rz. 17 f. 952 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 60 f.; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 9; Göhrum, Einsatzmöglichkeiten von Genußrechten bei einer notleidenden GmbH oder AG, 1992, S. 249 ff.; Hofert/Möller, GmbHR 2009, 527 (528); Hohlbein, Sanierung insolventer Unternehmen durch Private Equity, 2010, S. 273; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 269; Klusmeier, ZInsO 2010, 1873 (1874); Krolop, ZIP 2007, 1738 (1742); Madaus, ZGR 2011, 749 (772 ff.); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 19; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 87; Stadler, NZI 2003, 579 ff.; Vollmer/Maurer, DB 1994, 1173 (1177 ff.); Wertheimer, JW 1923, 573 (574); Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (876).

690

Fest

Genussrechte

Rz. 345 § 221 AktG

Genussrechte mit Kapitalzufluss), sondern gegen eine von den Gläubigern zu erbringende Sachleistung – sei es die Annahme der Genussscheine an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) für Ansprüche gegen die Gesellschaft,953 sei es für den (anteiligen) Erlass bestehender Gesellschaftsschulden954 – ausgegeben werden (sog. Genussrechte als Kapitalersatz).955 Auf diese Weise tragen die im Rahmen eines Debt-Mezzanine-Swap ausgegebenen Genussrechte – bei entsprechender Ausgestaltung (eingehend dazu Rz. 393 ff.) – wie die im Zuge einer Kapitalerhöhung für einen Debt-Equity-Swap zu schaffenden Aktien zu einer Stärkung des Eigenkapitals der Emissionsgesellschaft bei.956 Im Vergleich zu einem Debt-Equity-Swap und der hierfür erforderlichen Kapitalerhöhung 344 weisen Sanierungsgenussrechte erhebliche Vorteile auf: (1) Mit der Gewährung von Genussrechten ist kein Eingriff in die mitgliedschaftlichen Beteiligungsverhältnisse verbunden (siehe Rz. 359, 490), weshalb die Aktionäre eher geneigt seien werden, diese Sanierungsmaßnahme gemäß § 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AktG oder in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (siehe Rz. 528) zu beschließen.957 (2) Genussrechte vermitteln den Gläubigern auch dann, wenn sie aktienähnlich ausgestaltet sind (eingehend dazu Rz. 398 ff.), keine mitgliedschaftlichen Mitverwaltungs- und Kontrollrechte (siehe Rz. 461 ff.). Insbesondere sind die Gläubiger nicht berechtigt, Beschlüsse der Hauptversammlung anzufechten (siehe Rz. 463 ff.). (3) Schließlich finden bei der Gewährung von Genussrechten die Kapitalaufbringungsvorschriften, insbesondere § 183 AktG, keine Anwendung (siehe Rz. 348). Gleichwohl dürfen Genussrechte grundsätzlich – eine Ausnahme gilt für Genussrechte societatis causa (siehe Rz. 348 ff.) – nur gegen ein angemessenes Entgelt begründet werden. Durch die Ausgabe zu einem unangemessen niedrigen Betrag würden die Mitglieder des Vorstands – ggf. auch die Mitglieder des Aufsichtsrats – die ihnen obliegende Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft verletzen und wären der Gesellschaft zum Ersatz des entstehenden Schadens verpflichtet, § 93 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ggf. i.V.m. § 116 Satz 1 AktG.958 Darüber hinaus könnte der Beschluss der Hauptversammlung – sei es eine Zustimmung (§ 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es eine Ermächtigung in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) – bei einem unangemessen niedrigen Ausgabebetrag in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG angefochten werden, wenn das Bezugsrecht der Aktionäre ganz oder teilweise ausgeschlossen wird (eingehend dazu Rz. 721 ff.). 5. Unterbilanz-Genussrechte Eine Unterbilanz besteht, wenn das Reinvermögen der Gesellschaft, d.h. die Aktiva abzüglich der Verbindlichkeiten, das in das Handelsregister eingetragene Grundkapital nicht mehr 953 Hofert/Möller, GmbHR 2009, 527 (530); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 Rz. 269; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 342; Schlitt/Ries in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 60. 954 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 335, 348; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (876). 955 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 50; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 87. Zu der Terminologie siehe Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 67; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 63; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (876). 956 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 348; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 87. 957 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 335; Madaus, ZGR 2011, 749 (773). 958 Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 57 AktG Rz. 108; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 335; Schlitt/Ries in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 61; vgl. auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85 zur Gewährung von Genussrechten societatis causa.

Fest

691

345

§ 221 AktG Rz. 346

Einzelne Instrumente

erreicht.959 In diesen Konstellationen wird eine Kapitalerhöhung in der Regel scheitern; die Gesellschaft wird niemanden finden, der bereit sein wird, für die neuen Aktien einen offensichtlich über dem (inneren) Wert liegenden Nennbetrag zu zahlen.960 Dem kann die Gesellschaft versuchen dadurch abzuhelfen, dass sie den neuen Aktien Genussscheine beifügt, um die Attraktivität der Aktien für das Publikum zu erhöhen.961 Demgegenüber erscheint es regelmäßig vorzugswürdig, einen sog. Kapitalschnitt bestehend aus einer vereinfachten und in der Regel rückwirkenden Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff., 234 AktG) und einer anschließenden, aber auf derselben Hauptversammlung beschlossenen in der Regel ebenfalls rückwirkenden Kapitalerhöhung (§ 235 AktG) durchzuführen.962 Alternativ zu dem Kapitalschnitt kann die Gesellschaft versuchen, die Unterbilanz ohne Kapitalerhöhung durch die Gewährung von Genussrechten zu beseitigen, die so ausgestaltet sind, dass das eingezahlte Genussrechtskapital bilanziell nicht als Fremd-, sondern als Eigenkapital auszuweisen ist (siehe Rz. 338 f.).963 6. Obligationen-Genussrechte 346

Schließlich können Genussrechte herkömmlichen Schuldverschreibungen – Gleiches gilt für andere Finanzierungsinstrumente (z.B. neue Aktien) – beigefügt werden, um deren Attraktivität für potentielle Investoren zu erhöhen.964 In der Regel handelt es sich um eigenständig verbriefte Genussscheine (sog. Obligationen-Genussscheine). Der Vorteil dieser Gestaltung gegenüber Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG (eingehend dazu Rz. 308 ff.) besteht darin, dass die Genussrechte von den herkömmlichen Teilschuldverschreibungen getrennt und in der Folge die festverzinsliche Teilschuldverschreibung einerseits und das in dem Genussschein verbriefte Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 404 ff.) andererseits gesondert veräußert werden können.965 In der Sache handelt es sich bei den Obligationen-Genussscheinen um eine im Voraus gewährte Sachausschüttung,966 deren Ausgabe unter den Voraussetzungen des § 58 Abs. 5 AktG zulässig ist.967

959 Siehe statt vieler K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 37 III 1 d = S. 1135. 960 Siehe statt vieler Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 346. 961 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 61 f.; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 273; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 346. Wohl auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 334. 962 Zu diesem Vorgehen siehe statt vieler Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 62 Rz. 1, 2. Zu den steuerrechtlichen Folgen eines Kapitalschnitts siehe Loose/Maier in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, § 17 Rz. 22 ff. 963 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 52; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 342; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 87. 964 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 61; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 50 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 84; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 334; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 272; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 345. 965 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 61; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 84; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 272; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 345. 966 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 334. 967 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85. Zu den Voraussetzungen des § 58 Abs. 5 AktG siehe statt vieler Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 58 AktG Rz. 125 ff.; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 58 AktG Rz. 57 ff.; Hüffer/Koch, § 58 AktG Rz. 31 ff.

692

Fest

Genussrechte

Rz. 349 § 221 AktG

7. Genussrechte als Gegenleistung Die Gesellschaft kann Genussrechte auch als ausschließliche oder zusätzliche Gegenleistung 347 gewähren, z.B. für die Überlassung von Immaterialgüterrechten (sog. Patent- und LizenzGenussrechte).968 In diesen Konstellationen dient das mit den Genussrechten verbundene Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft, der Betriebsstätte oder nur dem Erlös aus der Verwertung des Gegenstands (eingehend dazu Rz. 407 f.) in der Regel dazu, eventuell bestehende Differenzen bei der schwierigen Bewertung der Leistung zu überbrücken.969 In dieser Funktion können Genussrechte auch dann eingesetzt werden, wenn sich Parteien bei der Verhandlung eines Unternehmenskaufs nicht auf die künftigen Gewinnchancen und den Kaufpreis einigen können.970 Zu der Reduktion des § 221 Abs. 3, 4 AktG im Lichte von § 292 Abs. 2 Var. 3 AktG siehe Rz. 375. 8. Genussrechte societatis causa Dritten dürfen Genussrechte grundsätzlich nur gegen ein angemessenes Entgelt eingeräumt werden (siehe Rz. 344). Davon sind Genussrechte zu unterscheiden, die ohne Entgelt oder unter Wert ausschließlich Aktionären der Gesellschaft gewährt werden, ihren Grund also in dem Gesellschaftsverhältnis haben (societatis causa).971 Diesem Vorgehen stehen die Kapitalaufbringungsvorschriften (§§ 182 ff. AktG) nicht entgegen; sie sind auf Genussrechte auch bei einer aktienähnlichen Ausgestaltung (eingehend dazu Rz. 398 ff.) weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar. Zu beachten sind aber Grenzen, die sich aus anderen Vorschriften ergeben:

348

(1) Die Gewährung ohne Entgelt oder unter Wert ist nicht per se eine nach § 57 Abs. 1 349 Satz 1, Abs. 3 AktG verbotene verdeckte Gewinnausschüttung. Ist mit dem Genussrecht das Recht auf Teilhabe an zukünftigen, noch ungewissen Unternehmensergebnissen verbunden, verstößt deren Gewährung nicht gegen die Kompetenz der Hauptversammlung, über die Verteilung des Gewinns zu entscheiden (§ 174 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 AktG).972 Die Regelung des § 221 Abs. 3 AktG impliziert zum einen die Zulässigkeit solcher Genussrechte,973 zum anderen wahrt sie durch die sinngemäße Anwendung von § 221 Abs. 1 AktG die Zuständigkeit der Hauptversammlung. Ferner liegt in der Einräumung der Genussrechte auch dann keine Gewinnausschüttung, wenn diese ohne Entgelt oder unter Wert gewährt werden, da die Zahlungsansprüche der Gläubiger erst mit der tatsächlichen Gewinnerzielung entstehen.974 Zu einer verbotenen verdeckten Gewinnausschüttung kann es daher erst kommen, sobald die Gesellschaft tatsächlich Gewinn erzielt. Dies gilt allerdings nur, wenn die Zahlungsansprü968 Claussen in FS Werner, 1984, S. 81; Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 59; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 12; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 84; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 31; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 334; Hirte, ZIP 1988, 477; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 270; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 237, 344; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 73; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 88; Wertheimer, JW 1923, 573 (574). 969 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 344. 970 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 344. 971 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 31; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 242; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 51. 972 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 51. 973 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 243; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 51. 974 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 243; siehe auch Lutter in FS Döllerer, 1988, S. 383 (389 f.): in der Bilanz weder als Verbindlichkeit noch als Rückstellung zu passivieren.

Fest

693

§ 221 AktG Rz. 350

Einzelne Instrumente

che – aufgrund einer von dem Bilanzgewinn abweichenden Bemessungsgrundlage (z.B. dem Erlös aus der Verwertung eines einzelnen Gegenstands, siehe Rz. 407) – den Bilanzgewinn übersteigen und die Gesellschaft sich in den Genussrechtsbedingungen für diesen Fall nicht das Recht vorbehalten hat, die Leistung insoweit verweigern zu dürfen.975 Nur unter diesen Voraussetzungen liegt ein Verstoß gegen das Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen vor, das – neben den Rechtsfolgen des § 62 AktG – eine zum Schadensersatz verpflichtende Legalitätspflichtverletzung durch die Mitglieder des Vorstands – ggf. auch durch die Mitglieder des Aufsichtsrats – darstellt, §§ 93 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, 5 ggf. i.V.m. § 116 Satz 1 AktG.976 350

(2) Werden die Genussrechte societatis causa nur einzelnen Aktionären gewährt, liegt hierin eine formale Ungleichbehandlung, die nur dann mit § 53a AktG vereinbar und zulässig ist, wenn sie sachlich berechtigt ist und damit nicht den Charakter der Willkür trägt.977 Andernfalls ist der Beschluss der Hauptversammlung nach § 243 Abs. 1, 2 AktG anfechtbar.978

351

(3) Wird das Bezugsrecht der Aktionäre auf Genussrechte gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.), ist der Beschluss der Hauptversammlung – sei es eine Zustimmung (§ 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff., 616), sei es eine Ermächtigung in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff., 617) – in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 AktG anfechtbar, wenn der Ausgabebetrag auch unter Berücksichtigung der Gewährung societatis causa unangemessen niedrig ist (eingehend dazu Rz. 721 ff.). 9. Genussrechte und Arbeitnehmer

352

Schließlich können Genussrechte und Genussscheine, die anstelle oder neben einer festen Verzinsung das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft gewähren (eingehend dazu Rz. 404 ff.), zum Zweck der Mitarbeiterbeteiligung und -motivation eingesetzt werden.979 Hierbei sind zwei Gestaltungen zu unterscheiden: a) Mitarbeitergenussrechte

353

Die sog. Mitarbeitergenussrechte980 sind häufig unverbrieft und werden unmittelbar mit den Arbeitnehmern des eigenen Unternehmens begründet.981 In den Genussrechtsbedingungen 975 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 244; Lutter in FS Döllerer, 1988, S. 383 (391 ff.). 976 Im Ergebnis auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 344. 977 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (150) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44) = NJW 1978, 1316; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175 (186) = NJW 1961, 26; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 53a AktG Rz. 34; Hüffer/Koch, § 53a AktG Rz. 10. 978 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 24/58, BB 1960, 880 (881); Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 53a AktG Rz. 29; Cahn/von Spannenberg in Spindler/Stilz, § 53a AktG Rz. 32; Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 53a AktG Rz. 37; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 53a AktG Rz. 39; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85; Henze/Notz in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2004, § 53a AktG Rz. 110; Hüffer/Koch, § 53a AktG Rz. 12; vgl. auch RG v. 13.11.1934 – II 190/34, JW 1935, 1776; RG v. 16.9.1927 – II 21/27, RGZ 118, 67 (73) jeweils zu § 271 HGB a.F. 979 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 78 ff.; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 20; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 267; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 19; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 73. 980 Terminologie in Anlehnung an Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 83; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 324, 326. 981 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 83.

694

Fest

Genussrechte

Rz. 356 § 221 AktG

kann das Recht auf Beteiligung am Gewinn dahingehend präzisiert werden, dass die Arbeitnehmer nicht an dem Gewinn des gesamten Unternehmens, sondern nur an dem Ergebnis ihres Betriebs teilhaben (siehe Rz. 408).982 Um zu verhindern, dass diese Genussrechte Personen zustehen, die keine Arbeitnehmer der Gesellschaft (mehr) sind, enthalten die Genussrechtsbedingungen in der Regel eine Vinkulierungsbestimmung (§§ 413, 399 Alt. 2 BGB)983 und – für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – die Vereinbarung, dass die Genussrechte gegen eine angemessene Abfindung984 an die Gesellschaft zurückfallen bzw. von der Gesellschaft zurückerworben werden können oder bei Ausübung eines (Sonder-)Kündigungsrechts an die Gesellschaft zu übertragen sind.985 Die Bereitschaft der Arbeitnehmer, Mitarbeitergenussrechte zu erwerben, kann der Arbeitgeber durch die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen fördern. Hierzu ist es erforderlich, dass die Genussrechte von dem Arbeitgeber oder einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG gewährt werden (§ 2 Abs. 2 Satz 1 5. VermBG), mit ihnen das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft verbunden (eingehend dazu Rz. 404 ff.) und die Rückzahlung zum Nennwert nicht zugesagt ist (§ 2 Abs. 4 Halbs. 1 5. VermBG, eingehend dazu Rz. 420 ff.), die Arbeitnehmer aber nicht als Mitunternehmer i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG anzusehen sind, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. l 5. VermBG. Werden Genussrechte dieses Inhalts als Namens- bzw. Rektapapiere verbrieft (siehe Rz. 772), können Arbeitgeber, die keine Kreditinstitute i.S.d. § 1 Abs. 1 KWG sind, ihren Erwerb ebenfalls durch die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen fördern, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f Alt. 1 5. VermBG.

354

Die Gewährung von Mitarbeitergenussrechten ist kein nach § 3 Nr. 1 KWG (sog. Werkssparkassenverbot) verbotenes Geschäft. Die von den Arbeitnehmern eingezahlten Beträge sind keine Einlagen. Sie dienen nicht der Finanzierung der unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschaft, sondern ausschließlich zur verstärkten Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand sowie zur stärkeren Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmensertrag. Die Gewährung der Genussrechte ist daher – unabhängig von ihrer Verbriefung – kein Bankgeschäft, sondern eine sozialpolitische Maßnahme.986

355

b) Erwerb von Finanzierungsgenussscheinen durch eigene Arbeitnehmer Von den sog. Mitarbeitergenussrechten (siehe Rz. 353 ff.) sind (Finanzierungs-)Genussscheine zu unterscheiden, die – in der Regel als auf den Inhaber verbriefte Genussscheine (siehe Rz. 772) – an einer deutschen Börse zum regulierten Markt zugelassen oder in den Freiverkehr einbezogen sind und von jedermann erworben werden können.987 Den Erwerb dieser Genussscheine durch ihre Arbeitnehmer können Emissionsgesellschaften, die keine Kreditinsti982 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 83; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 326; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 86. 983 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 83; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 267; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 335; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 86. 984 Zu der Erforderlichkeit der Abfindung im Lichte von Art. 12 GG siehe Hanau in Laßmann/ Schwark, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, 1985, S. 111 (126); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 336. 985 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 83; Horn, ZGR 1974, 133 (154 f.); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 267; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 336; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 86. 986 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 340; im Ergebnis ebenso Canaris, BB 1978, 227 (233, 235); Horn, ZGR 1976, 435 (443); vgl. auch BVerwG v. 27.3.1984 – 1 C 125/80, BVerwGE 69, 120 (126 f.) = NJW 1985, 929 zu Namensgewinnschuldverschreibungen. 987 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 83; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 268; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 325.

Fest

695

356

§ 221 AktG Rz. 357

Einzelne Instrumente

tute i.S.d. § 1 Abs. 1 KWG sind, gleichfalls durch die Gewährung vermögenswerter Leistungen fördern. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass mit den Genussscheinen das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft verbunden (eingehend dazu Rz. 404 ff.) und die Rückzahlung zum Nennwert nicht zugesagt ist (§ 2 Abs. 4 Halbs. 1 5. VermBG, eingehend dazu Rz. 420 ff.), die Inhaber aber nicht als Mitunternehmer i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG anzusehen sind, § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f Alt. 2 5. VermBG. c) Vorteile gegenüber anderen Instrumenten der Mitarbeiterbeteiligung 357

Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG (eingehend dazu Rz. 308 ff.) sind zwar gleichfalls förderungsfähige Vermögensanlagen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b 5. VermBG), aus der Sicht der Arbeitgeber und Emissionsgesellschaften aber weniger attraktiv als Genussrechte und Genussscheine. Ursächlich hierfür ist, dass die Beteiligung der Gläubiger an den Verlusten der Gesellschaft nur bei Genussrechten und Genussscheinen möglich (eingehend dazu Rz. 312, 321 f., 420 ff.) und erforderlich ist (§ 2 Abs. 4 Halbs. 1 5. VermBG) und eine Besicherung der Ansprüche, wie sie bei Gewinnschuldverschreibungen erforderlich wäre (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b 5. VermBG, siehe Rz. 310), bei Genussrechten und Genussscheinen entbehrlich ist.988

358

Im Vergleich zu sog. Mitarbeiteraktien weisen Mitarbeitergenussrechte – Gleiches gilt für Finanzierungsgenussscheine (siehe Rz. 335 ff.) – für die Arbeitnehmer den Vorteil auf, dass die Ausschüttungen – wenn ihre Bemessungsgrundlage nicht die Dividenden, sondern das Unternehmens- oder Betriebsergebnis ist (siehe Rz. 407 f.) – auch dann zu leisten sind, wenn die Hauptversammlung anstelle der Ausschüttung des Gewinns dessen Thesaurierung beschließt.989

II. Rechtsnatur und Begriffsbestimmung 359

Wohl noch in Anlehnung an die Amortisationsgenussrechte (siehe Rz. 331) wurden Genussrechte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Teilen der Literatur als „Gegensatz zu Obligationen“990 angesehen, die ihren Inhabern „gleich der Aktie eine Beteiligung“991 an der Gesellschaft vermittelten.992 Heute besteht Einigkeit darüber, dass eine mitgliedschaftliche Beteiligung nur durch die Gewährung von Aktien eingeräumt werden kann.993 Genussrechte gewähren daher kein gesellschafsrechtlich geprägtes Mitgliedschaftsrecht,994 sind also 988 989 990 991 992

Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 19. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 326. Würdinger, Aktienrecht, 1959, § 15 II 1 = S. 87. Würdinger, Aktienrecht, 1959, § 15 II 1, 2 c = S. 88. Hachenburg, LZ 1917, Sp. 776 (781) („ein Bruder der Aktien“); Würdinger, Aktienrecht, 1959, § 15 II 1, 2c = S. 87, 88; später einschränkend Würdinger, Aktienrecht, 4. Aufl. 1981, § 19 II 2 = S. 86, insbesondere wird die Formulierung, dass das Genussrecht dem Inhaber „gleich der Aktie eine Beteiligung“ vermittle, nicht wiederholt. 993 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (309) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 994 BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (309) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434 (436); BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (33) = BStBl. II 2008, 852; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG Frankfurt v. 11.3.2008 – 5 U 29/06, OLGR 2008, 997 (998) =

696

Fest

Genussrechte

Rz. 359 § 221 AktG

nicht korporationsrechtlicher, sondern – auch bei aktienähnlicher Ausgestaltung (eingehend dazu Rz. 398 ff.) – schuldrechtlicher Natur.995 Mitgliedschaftliche Mitverwaltungs- und Kontrollrechte gewähren Genussrechte nicht (eingehend dazu Rz. 461 ff.). Sämtliche mitgliedschaftlichen Rechte – nicht nur Mitverwaltungs- und Kontrollrechte, sondern auch VerAG 2011, 595; OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90, WM 1991, 1375 (1379) = AG 1991, 438; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Bungert, DZWiR 1996, 185 (186); Busch in Christians, Finanzierungshandbuch, S. 499 (510); Emde, BB 1988, 1214; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 26; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Göhrum, Einsatzmöglichkeiten von Genußrechten bei einer notleidenden GmbH oder AG, 1992, S. 38; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331; Hirte, ZIP 1988, 477; Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1383); A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 246; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 21, 196; Lutter, ZGR 1993, 291 (294); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 45; Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (229); Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (276); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 20, 23; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 18 II 2 d = S. 521; Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (513); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 71; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 67; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 83, 88, 97; Thünnesen in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis der Genußrechte, 1987, S. 9; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879); Ziebe, BB 1984, 2210 (2211). A.A. nur Teile der älteren Literatur auf Grundlage der Prämisse, Genussrechte mit Gewinnbeteiligung seien stille Gesellschaften, so L. Becker, Die rechtliche Natur der sogenannten Genussscheine, 1906, S. 46; Klemperer, Die rechtliche Natur der Genußscheine, 1898, S. 85 f. 995 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (310) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, AG 1959, 138 (139); BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (33) = BStBl. II 2008, 852; BFH v. 14.6.2005 – VIII R 73/03, BFHE 210, 272 (275) = BStBl. II 2005, 861; RG v. 22.11.1927 – II 123/27, Gruchot 70, 276 (279); RG v. 16.11.1926 – II 135/26, RGZ 115, 227 (230); RG v. 18.11.1913 – II 280/13, RGZ 83, 295 (298); OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576; OLG Frankfurt v. 11.3.2008 – 5 U 29/06, OLGR 2008, 997 (998); Aha, AG 1992, 218 (225); Angerer, DStR 1994, 41; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Bungert, DZWiR 1996, 185; Bürger, Genußrechte als Mittel zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen, insbesondere von Kreditinstituten, 1987, S. 31; Claussen in FS Werner, 1984, S. 81; Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genußscheine, S. 17; Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (313); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 26; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 23; Friedlaender, DStZ/A 1966, 242; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Grieger, WM 1958, 914 (915); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 74; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 64; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; Henke, WM 1985, 41 (44); Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168; Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 95; Hirte, ZIP 1988, 477; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Johannemann in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, 2008, § 10 Rz. 17; Klemperer, Die rechtliche Natur der Genußscheine, 1898, S. 85; Kokemoor in Beck/Samm/Kokemoor, KWG, 128. Lfg. 12/2007, § 10 Rz. 126; Küting/Kessler/Harth, BB 1996, Beilage 4, S. 1, 2; Lipowsky in Prölss, VAG, § 53c Rz. 35; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 21, 196; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 96 f., 113; Mentz in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. F Rz. 42; Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (234); Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (276); Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 17 Rz. 20; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung für die GmbH, 1989, S. 11; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Roloff in Erman, § 310 BGB Rz. 30; F. A. Schäfer, WM

Fest

697

§ 221 AktG Rz. 360

Einzelne Instrumente

mögensrechte – sind Ausdruck der Mitgliedschaft und untrennbar mit dieser verbunden. Im Unterschied zu den mitgliedschaftlichen Vermögensrechten, deren schuldrechtliche Nachbildung möglich und für die Einordnung als Genussrecht erforderlich ist (siehe Rz. 361), können mitgliedschaftliche Mitverwaltungs- und Kontrollrechte auch in den Genussrechtsbedingungen nicht eingeräumt werden (eingehend dazu Rz. 461 ff.). 360

Genussrechte erschöpfen sich in bloßen geldwerten Ansprüchen.996 Die Ansprüche sind auf wiederkehrende Leistungen gerichtet, das Genussrecht also ein Dauerschuldverhältnis.997 Mangels gesetzlicher Typisierung wird dieses häufig – freilich ohne Erkenntnisgewinn998 – als Dauerschuldverhältnis eigener Art bezeichnet.999

996

997

998 999

698

1991, 1941 (1942); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 18 II 2 d = S. 521; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 71; Schön, JZ 1993, 925 (926); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24; Sethe, WM 2012, 577 (578); Sethe, AG 1993, 351 (352); Schroeter, Sparkasse 1985, 49 (51); Sontheimer, BB 1984, Beilage 19, S. 1 (2); Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 67; Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (513); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 83, 88, 94; Thünnesen in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis der Genußrechte, 1987, S. 9; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rz. 784; Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 (704); Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879); Ziebe, BB 1988, 225 (226); Ziebe, BB 1984, 2210 (2211). Differenzierend KarolBGH v. 21.7.2003, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (309) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434 (436); OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576; Basedow in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 310 BGB Rz. 89; Bungert, DZWiR 1996, 185; von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Emde, BB 1988, 1214; Emde, Der Genußschein als Finanzierungsinstrument, 1987, S. 8; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86; Hammen, BB 1990, 1917 (1918); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 3, 21; Lutter, ZGR 1993, 291 (305); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 45; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 11; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Roloff in Erman, § 310 BGB Rz. 30; F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1942); Schlosser in Staudinger, 2013, § 310 BGB Rz. 77; H. Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 310 BGB Abs. 4 Rz. 15; Schön, JZ 1993, 925 (927); Sethe, AG 1993, 293 (297); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 94; P. Ulmer/C. Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 310 BGB Rz. 122. Ohne den Zusatz „eigener Art“ OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; Angerer, DStR 1994, 41; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 26; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 74; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 277; Lipowsky in Prölss, VAG, § 53c Rz. 34; Lutter, ZGR 1993, 291 (300); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 94. Ausdrücklich gegen diesen Zusatz bei Genussrechten, die eine Kapitalbeteiligung gegen Einlage gewähren, Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 87. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 87; ähnlich Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 22: wenig gewinnbringend. BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (330) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Ernst, AG 1967, 75 (79); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 124; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (392); Hofert/Arends, ZIP 2005, 1297 (1301); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 27; RidNiebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung für die GmbH, 1989, S. 82; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 71; Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 66; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. D Rz. 1724; wohl auch Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 115: genussrechtliche Vertragsverhältnis habe gegenüber sonstigen Rechtsformen einen eigenständigen Charakter. Einschränkend Habersack in MünchKomm/AktG,

Fest

Genussrechte

Rz. 362 § 221 AktG

1. Aktionärstypische Vermögensrechte Eine an den Rechtsfolgen des § 221 Abs. 3, 4 AktG orientierte Auslegung gebietet es, den Be- 361 griff des Genussrechts weiter einzuschränken. Die Entscheidung über die Gewährung von Genussrechten der Hauptversammlung vorzubehalten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und den Aktionären grundsätzlich ein Bezugsrecht zuzugestehen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.), erscheint aufgrund berechtigter Interessen der Aktionäre nur geboten, wenn die Rechte der Genussrechtsgläubiger mit denen der Aktionäre konkurrieren.1000 Da Genussrechte – mit Ausnahme von Wandel- und Optionsgenussrechten (eingehend dazu Rz. 483 ff.) – die Beteiligungsstruktur der Gesellschaft auch mittelbar nicht verändern können,1001 beschränkt sich die Möglichkeit dieser Konkurrenz auf sog. aktionärstypische Vermögensrechte. Hieraus ergibt sich, dass ein Genussrecht nur vorliegt, wenn die Genussrechtsbedingungen den Gläubigern mindestens einen geldwerten Anspruch einräumen, dessen Inhalt einem Vermögensrecht entspricht, das auch die Mitgliedschaft den Aktionären gewährt oder gewähren kann.1002 Eine Kumulation mehrerer aktionärstypischer Vermögensrechte ist zwar möglich, für die Begründung eines Genussrechts aber nicht erforderlich.1003 Diese für Genussrechte charakteristischen Rechte sind – trotz ihres Inhalts – nicht organisationsrechtlicher Natur (siehe Rz. 359), sondern Ausdruck der besonderen Ausgestaltung des schuldrechtlichen Genussrechtsverhältnisses.1004 Aktionärstypisch sind in erster Linie die Vermögensrechte, die mitgliedschaftlichen Rechten, die das Aktiengesetz den Aktionären einräumt, schuldrechtlich nachgebildet sind. Dies sind insbesondere das Recht auf Beteiligung am Gewinn (eingehend dazu Rz. 404 ff.)1005 – unabhängig davon, ob die Zahlungsansprüche gewinnabhängig (siehe Rz. 395) oder gewinnorientiert (siehe Rz. 404) ausgestaltet sind – sowie das Recht auf Beteiligung am Liquidati-

1000 1001 1002

1003

1004 1005

4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 87: nur für Genussrechte, die keine Kapitalbeteiligung gegen Einlage gewähren. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 20, 62; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 234; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 198. Siehe statt vieler Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 234. Angerer, DStR 1994, 41; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 1; Ernst, AG 1967, 75 (77); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 27, 47; Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 72; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 62, 64, 65; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 19; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 328; A. Hueck in Baumbach/ Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 240; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 25; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 21; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 113; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 43, 56; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 2; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 20; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 69; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 22; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 83; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879). Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 27; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 4 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 65; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 240; a.A. RG v. 22.11.1927 – II 123/27, Gruchot 70, 276 (279): Genussscheine müssen in irgendeiner Weise am Gewinn beteiligt sein. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 1; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 27, 47; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 19; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 43. Anders nur RG v. 22.11.1927 – II 123/27, Gruchot 70, 276 (279): Genussscheine müssen in irgendeinener Weise am Gewinn beteiligt sein.

Fest

699

362

§ 221 AktG Rz. 363

Einzelne Instrumente

onserlös der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 413 ff.).1006 Aktienähnlich sind auch die Vermögensreche, die mitgliedschaftlichen Rechten nachgebildet sind, die nicht bereits das Aktiengesetz gewährt, den Aktionären aber in der Satzung eingeräumt werden können.1007 Solche Rechte sind insbesondere das Recht auf Benutzung von Betriebseinrichtungen (Sportstätten, Kindergärten etc.) sowie der Anspruch auf Dienstleistungen der Gesellschaft.1008 Nicht erforderlich ist, dass diese Rechte den Aktionären der Gesellschaft bereits im Zeitpunkt der Gewährung der Genussrechte in der Satzung eingeräumt sind. Ausreichend ist, dass das Recht durch eine Satzungsänderung begründet werden kann, also die für § 221 Abs. 3, 4 AktG charakteristische Konkurrenzsituation während der Laufzeit der Genussrechte eintreten kann.1009 2. Leistung der Genussrechtsgläubiger 363

Das Genussrechtsverhältnis ist kein gegenseitiger Vertrag.1010 Gleichwohl werden Genussrechte nur selten ohne (Gegen-)Leistung der Genussrechtsgläubiger (z.B. Genussrechte societatis causa, eingehend dazu Rz. 348 ff.) gewährt. Insbesondere als Genussscheine verbriefte Genussrechte (siehe Rz. 772) werden in der Regel gegen Geld- oder Sachleistungen (z.B. Immaterialgüter) ausgegeben.1011 Rechtlicher Grund für diese Leistungen i.S.d. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB ist allerdings nicht das Genussrechtsverhältnis, sondern ein anderes Schuldverhältnis, z.B. bei Finanzierungsgenussrechten (eingehend dazu Rz. 335 ff.) ein Rechtskaufvertrag (§§ 453 Abs. 1 Var. 1, 433 Abs. 2 BGB, siehe Rz. 774).

364

Die schuldrechtliche Natur des Genussrechtsverhältnisses (siehe Rz. 359) hat zur Folge, dass das gegen Gewährung der Genussrechte eingezahlte Kapital – obwohl häufig als Einlage bezeichnet – auch dann kein Bestandteil des Grundkapitals ist (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 266 Abs. 3 A I HGB), wenn die Genussrechte ausschließlich der Unternehmensfinanzierung dienen (eingehend dazu Rz. 335 ff.), aktienähnlich ausgestaltet sind (eingehend dazu Rz. 398 ff.) und das Genussrechtskapital im Rahmen des Eigenkapitals zu bilanzieren ist (siehe Rz. 339).1012 Folglich finden auf das Genussrechtskapital die Grundsätze und Vorschriften über die reale Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung – entgegen einer vereinzelt

1006 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 27, 47; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 19; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 43. 1007 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 118; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 240; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 72; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879); unklar Gehling, WM 1992, 1093 (1094): tatsächliches Konkurrenzverhältnis. 1008 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 90 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 118; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 19, 31; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 25; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 321; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 21, 216; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 72; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 20; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 69; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 22; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879). 1009 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 118. 1010 Wohl a.A. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 30: Austauschvertrag. 1011 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 242 ff.; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 50; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 77; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 25. 1012 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 256; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 50; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 25.

700

Fest

Genussrechte

Rz. 365 § 221 AktG

gebliebenen Ansicht in der Literatur1013 – keine Anwendung.1014 Wird das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre auf die Genussrechte ausgeschlossen (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG, eingehend dazu Rz. 613 ff.), darf der Ausgabebetrag nicht unangemessen niedrig sein. Andernfalls kann der Beschluss der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG angefochten werden (eingehend dazu Rz. 721 ff.); außerdem droht den Mitgliedern des Vorstands – ggf. auch den Mitgliedern des Aufsichtsrats – eine Schadensersatzpflicht, § 93 Abs. 2 Satz 1 ggf. i.V.m. § 116 Satz 1 AktG.1015 3. Abgrenzung zu anderen Rechtsverhältnissen Die erhebliche Bandbreite aktionärstypischer Vermögensrechte erfordert es, Genussrechte 365 von anderen, wirtschaftlich ähnlichen Rechtsverhältnissen abzugrenzen. Ausgangspunkt hierbei ist der zwingende Charakter des § 221 Abs. 3, 4 AktG.1016 Dieser hat zur Folge, dass die Gesellschaft und Dritte ein von ihnen begründetes Rechtsverhältnis nicht allein durch die Wahl einer anderen Bezeichnung als Genussrecht der Vorschrift entziehen können.1017 Umgekehrt sind die Parteien auch daran gehindert, z.B. eine herkömmliche Schuldverschreibung allein durch die Bezeichnung als Genussschein dem Anwendungsbereich der Vorschrift zu unterstellen.1018 Dieser wird vielmehr durch den materiellen Gehalt des Rechtsverhältnisses bestimmt.1019 Ob das in Frage stehende Rechtsverhältnis ein Genussrecht ist, dem Gläubiger also zumindest ein aktionärstypisches Vermögensrecht vermittelt (siehe Rz. 361 f.), ist durch Auslegung der Vertrags- bzw. Genussrechtsbedingungen zu ermitteln. Hierbei ist die von den Parteien gewählte Bezeichnung des Rechts lediglich ein Indiz für das Gewollte.1020

1013 Todtenhöfer, Die Übertragbarkeit der Grundsätze über Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung auf Genussrechte, 1997, S. 67 ff., 137. 1014 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 79, 85; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 335; Hohlbein, Sanierung insolventer Unternehmen durch Private Equity, 2010, S. 273 f.; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 343, 345; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 237, 342; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 50; Schlitt/Ries in Theiselmann, Praxishandbuch des Restrukturierungsrechts, 2010, Kap. 9 Rz. 61; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 25; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 88; Toth-Feher/Schick, ZIP 2004, 491 (496). Unklar Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 3: je nach Ausgestaltung des Genussrechts kann das eingezahlte Genussrechtskapital den Regelungen über Gesellschafterdarlehen unterfallen. 1015 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 237; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 50. 1016 Zum zwingenden Charakter des § 221 Abs. 3, 4 AktG siehe statt vieler Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 217. 1017 Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 64; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 328; A. Hueck in Baumbach/ Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 8; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 239; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 217; Lutter, ZGR 1993, 291 (307). 1018 Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 64; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 328; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 239; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 218; Lutter, ZGR 1993, 291 (307). 1019 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 328; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 8. 1020 Weitergehend in dem Sinne, dass die Parteibezeichnung irrelevant ist, Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 64; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 217.

Fest

701

§ 221 AktG Rz. 366

Einzelne Instrumente

a) Vorzugsaktien ohne Stimmrecht 366

Genussrechte sind Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 139 ff. AktG) nur wirtschaftlich ähnlich.1021 Rechtlich unterscheiden sie sich grundlegend darin, dass nur (Vorzugs-)Aktien die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Aktiengesellschaft gewähren (siehe Rz. 359). Die Vorzugsaktionäre gehören zum Kreis der Gesellschafter; sie haben mit Ausnahme des Stimmrechts mitgliedschaftliche Teilhabe- und Vermögensrechte (§ 140 Abs. 1 AktG). Im Gegensatz dazu sind Genussrechte – auch bei einer aktienähnlichen Ausgestaltung (eingehend dazu Rz. 398 ff.) – schuldrechtlicher Natur (siehe Rz. 359). Mitgliedschaftliche Mitverwaltungsund Kontrollrechte können den Genussrechtsgläubigern auch in den Genussrechtsbedingungen nicht eingeräumt werden (eingehend dazu Rz. 461 ff.).1022 Die Genussrechtsgläubiger stehen der Gesellschaft als Dritte gegenüber1023 und können nur Ansprüche geltend machen, die aktionärstypischen Vermögensrechten lediglich schuldrechtlich nachgebildet sind.1024 b) Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen

367

Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 23 ff.) sind – entgegen einer beachtlichen Ansicht in der Literatur1025 – keine besonderen Genussrechte. Das Bezugsrecht auf Aktien ist – ausweislich der §§ 186, 221 Abs. 4 AktG – zwar ein typisches Aktionärsrecht,1026 aber nicht ausschließlich ein Vermögensrecht.1027 Dem bezugsberechtigten Aktionär drohen – sei es bei einem Ausschluss des Bezugsrechts nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG (eingehend dazu Rz. 613 ff.), sei es wegen der Nichtausübung des Bezugsrechts – nicht nur Einbußen hinsichtlich seines Gewinn- und Liquidationsanteils, sondern auch ein Verlust an effektiver Stimmrechtsmacht.1028 Das Bezugsrecht ist daher ein aktionärstypisches Teilhaberecht, das sowohl Elemente der Verwaltungs- als auch der Vermögensteilhabe aufweist.1029 Da diese Elemente untrennbar miteinander verbunden sind, genügt das Aktienbezugsrecht alleine nicht zur Begründung eines Genussrechts. Gleiches gilt für zu Finanzierungszwecken ausgegebene isolierte Optionsrechte (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.); auch sie sind keine Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG.1030 1021 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 29; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 323; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 196. 1022 Unklar Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 91: gewährten Genussrechtsbedingungen mitgliedschaftliche Rechte, handele es sich in Wahrheit um Vorzugsaktien. 1023 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86. 1024 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86. 1025 von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Ernst, AG 1967, 75 (77); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 99 f.; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 47; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 116; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (557); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 15, 355; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 14; wohl auch Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 19, 38. 1026 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 116; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 318. 1027 Wohl auch a.A. Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 134. 1028 Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 56. 1029 Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 56; a.A. Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 7: mitgliedschaftliches Vermögensrecht. 1030 Im Ergebnis ebenso Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 79: eigene Rechtsform der Kapitalbeschaffung; a.A. Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 375; Dierks, Selbständige Aktienoptionsscheine, 2000, S. 95; Fuchs, DB 1997, 661 (665); Fuchs, AG 1995, 433 (442); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 37, 116; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 46; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 28; Kuntz, AG 2004, 480 (483); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 14; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 151 (153).

702

Fest

Genussrechte

Rz. 370 § 221 AktG

Im Unterschied dazu sind Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG verbriefte, besondere Genussrechte (siehe Rz. 311). Die Unterscheidung – sie ist aufgrund der Rechtsfolge des § 221 Abs. 3 AktG zwar für die Anwendung des § 221 AktG ohne Bedeutung,1031 nicht aber für andere Vorschriften (z.B. § 2 5. VermBG, siehe Rz. 310, 354) – erfolgt insbesondere anhand der vertraglichen Ausgestaltung des Rückzahlungsanspruchs (eingehend dazu Rz. 321 f.).

368

c) Einzelne Individualverträge als Genussrechte Der Anwendungsbereich des § 221 Abs. 3, 4 AktG ist nicht auf Fälle der massenweisen Gewährung von Genussrechten oder größere Emissionen gleichartiger Genussrechte beschränkt.1032 Die in der Literatur vereinzelt gebliebene Gegenansicht findet in dem Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Auch der Normzweck des § 221 AktG erlaubt es nicht, vereinzelte Genussrechtsgewährungen in einem oder einigen wenigen Einzelverträgen – methodologisch würde es sich um eine teleologische Reduktion handeln – aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift auszuschließen. Eine erhebliche Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Vermögensrechte, die den Gesetzgeber dazu veranlasst hat, die Entscheidung über die Gewährung von Genussrechten in die Hände der Hauptversammlung zu legen (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und den Aktionären grundsätzlich ein Bezugsrecht zuzugestehen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.), kann auch bei vereinzelten Genussrechtsgewährungen gegeben sein.1033 Ob die Gesellschaft zwei Genussrechtsverträge über jeweils 15 Mio. DM abschließt1034 oder 30.000 Genussscheine mit einem Nennbetrag von jeweils 1.000 DM ausgibt,1035 ist nämlich sowohl für die Art und Weise als auch für das Ausmaß der Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Vermögensrechte unerheblich.

369

d) Gewinnbeteiligung als Bestandteil einer vertraglichen Gegenleistung Umfasst der Anwendungsbereich des § 221 Abs. 3, 4 AktG auch Genussrechte, die in einem Vertrag oder einigen wenigen Einzelverträgen gewährt werden (siehe Rz. 369), sind im Grundsatz auch Vereinbarungen, die Bestandteil eines anderen Schuldverhältnisses sind und z.B. die Gegenleistung in Form einer Gewinnbeteiligung ausgestalten, Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3, 4 AktG.1036 Gleichwohl besteht Einigkeit darüber, dass der Abschluss der meisten dieser Verträge weder der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf noch ein Bezugsrecht der Aktionäre auslöst.

1031 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 474; Lutter, ZGR 1993, 291 (304, 306); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 92. 1032 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (145) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; Eyber, Die Abgrenzung zwischen Genußrecht und Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der Aktiengesellschaft, 1997, S. 111 ff.; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AGFinanzierung, Kap. 10 Rz. 64; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 66 f.; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 333; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 25; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 97 ff.; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 21; Sethe, AG 1993, 293 (309); a.A. Ernst, AG 1967, 75 (77); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 241; vgl. auch Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (877). Dies gelte auch dann, wenn massenhaft ausgegebene Genussrechte an nur einen Abnehmer abgebeben werden, siehe Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 244. 1033 A.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 241, 242. 1034 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 ff. = NJW 1993, 400. 1035 Eyber, Die Abgrenzung zwischen Genußrecht und Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der Aktiengesellschaft, 1997, S. 111 ff.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 66; Sethe, AG 1993, 293 (309). 1036 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67.

Fest

703

370

§ 221 AktG Rz. 371

Einzelne Instrumente

aa) Tantiemen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern 371

Erhalten Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder Tantiemen in Form einer Gewinnbeteiligung (§ 87 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 113 Abs. 3 Satz 1 AktG), handelt es sich hierbei zwar um eine besondere Ausprägung des Genussrechts.1037 Die Regelungen des § 221 Abs. 3, 4 AktG werden aber durch die §§ 87 Abs. 1 Satz 1, 113 AktG als leges speciales verdrängt,1038 so dass weder ein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich ist noch die Aktionäre ein Bezugsrecht haben. Dieses Ergebnis gebietet auch der Rechtsgedanke des § 292 Abs. 2 Var. 1 AktG (siehe Rz. 373 f.). bb) Arbeitsverträge

372

Sehen Arbeitsverträge gewinnabhängige oder gewinnorientierte Vergütungsbestandteile vor, unterfallen sie dem Begriff des Genussrechts. Für diese Verträge existiert zwar keine den §§ 87 Abs. 1 Satz 1, 113 AktG vergleichbare aktienrechtliche Sonderregelung. Dem Zustimmungserfordernis (§ 221 Abs. 3 AktG) stehen aber die Personalhoheit des Vorstands sowie ein ErstRecht-Schluss aus § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG entgegen.1039 Ist nämlich die Entscheidung über die Tantiemen des Vorstands dem Aufsichtsrat übertragen (§ 87 Abs. 1 Satz 1 AktG) und dadurch der Hauptversammlung entzogen (siehe Rz. 561), ist ein Beschluss der Hauptversammlung erst recht nicht erforderlich, wenn Arbeitnehmern gewinnabhängige oder gewinnorientierte Vergütungsbestandteile gewährt werden sollen.1040 Das Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 AktG) ist mit dem höchstpersönlichen Charakter der Arbeitsverträge unvereinbar.1041 Für Arbeitsverträge einzelner Arbeitnehmer findet dieses Ergebnis eine zusätzliche Stütze in dem Rechtsgedanken des § 292 Abs. 2 Var. 1 AktG (siehe Rz. 373 f.). cc) Sonstige Verträge

373

Auch sonstige Vereinbarungen, die eine Gewinnbeteiligung als Gegenleistung oder Bestandteil der Gegenleistung enthalten, sind Genussrechte. Für die meisten dieser Vereinbarungen schließt allerdings der Rechtsgedanke des § 292 Abs. 2 AktG die Anwendung von § 221 Abs. 3, 4 AktG aus. In ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich scheidet die Vorschrift bestimmte Verträge, die den Tatbestand des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG erfüllen, aus dem Begriff des Teilgewinnabführungsvertrags aus. Hierdurch wollte der Gesetzgeber erreichen, dass diese Verträge keine Zustimmung der Hauptversammlung erfordern.1042 Diese Aussage bezieht sich ausweislich der in den Materialien enthaltenen Klarstellung, dass hierdurch eine nach anderen gesetzlichen Vorschriften erforderliche Zustimmung nicht entbehrlich werden soll,1043 zwar nur auf das Zustimmungserfordernis des § 293 Abs. 1 AktG. Sind Gewinnschuldverschrei1037 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 65; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 66; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 235. 1038 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 65; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 333; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 241; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 235; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 44; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 21. 1039 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 65. 1040 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 44. 1041 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 65; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 44. 1042 BT-Drucks. IV/171, 217 zu § 281 Abs. 2 AktG-E. 1043 BT-Drucks. IV/171, 217 zu § 281 Abs. 2 AktG-E.

704

Fest

Genussrechte

Rz. 376 § 221 AktG

bungen jedoch nicht nur besondere Genussrechte (siehe Rz. 311), sondern auch Teilgewinnabführungsverträge (siehe Rz. 324 ff.), sind aber auch Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft verbunden ist (eingehend dazu Rz. 404 ff.), Teilgewinnabführungsverträge. Dies legt es – trotz der unterschiedlichen Wirkung der Zustimmung (siehe Rz. 326) – nahe, solche Genussrechte, die durch § 292 Abs. 2 AktG konstitutiv den §§ 292, 293 ff. AktG entzogen sind, in Anwendung des Rechtsgedankens der Vorschrift auch aus dem Anwendungsbereich des § 221 Abs. 3, 4 AktG auszuscheiden. Für Tantiemen von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern (siehe Rz. 371) und gewinnabhängige oder gewinnorientierte Vergütungsbestandteile einzelner1044 Arbeitnehmer (siehe Rz. 372) ergibt sich somit auch aus dem Rechtsgedanken des § 292 Abs. 2 Var. 1 AktG, dass sie weder der Zustimmung der Hauptversammlung bedürfen noch ein Bezugsrecht der Aktionäre auslösen.1045

374

In Anwendung des Rechtsgedankens des § 292 Abs. 2 Var. 3 AktG findet § 221 Abs. 3, 4 AktG keine Anwendung auf Lizenzverträge, bei denen als ausschließliche oder zusätzliche Gegenleistung eine Gewinnbeteiligung vereinbart ist (sog. Patent- und Lizenz-Genussrechte, siehe Rz. 347).1046 Der Begriff der Lizenz ist dabei nicht auf klassische Immaterialgüterlizenzen beschränkt, sondern weit zu verstehen.1047 Er umfasst auch sog. gesellschaftsähnliche Lizenzverträge, bei denen die Lizenzgeber an dem Gewinn des Unternehmens oder Betriebs partizipieren, in dem unter Ausnutzung der Lizenz Erzeugnisse produziert werden,1048 sowie Verträge über die Überlassung von Know-how.1049

375

Schließlich sind in Anwendung des Rechtsgedankens von § 292 Abs. 2 Var. 2 AktG Verträge des laufenden Geschäftsverkehrs aus dem Anwendungsbereich des § 221 Abs. 3, 4 AktG auszuscheiden. Verträge des laufenden Geschäftsverkehrs sind in Anlehnung an § 116 Abs. 1

376

1044 Der Tatbestand des § 292 Abs. 2 Var. 1 AktG umfasst nur Verträge mit einzelnen Arbeitnehmern. Sowohl der Abschluss als auch die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen mit einer Gewinnbeteiligung sind eine Maßnahme der Geschäftsführung, die in die Zuständigkeit des Vorstands (bzw. Aufsichtsrat, §§ 111 Abs. 4 Satz 2, 112 AktG) fällt, siehe statt vieler Altmeppen in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 78. Kein Fall des § 292 Abs. 2 AktG liegt hingegen vor, wenn die Gewinnbeteiligung Bestandteil aller Arbeitsverträge oder der Arbeitsverträge bestimmter Arbeitnehmergruppen (z.B aufgrund einer Betriebsvereinbarung) ist, siehe Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 79; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 AktG Rz. 34; Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 27; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 57; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 108; Veil in Spindler/Stilz, § 292 AktG Rz. 31. Gleiches gilt, wenn der Kreis der erwerbsberechtigten Arbeitnehmer in einer freiwilligen Betriebsvereinbarung (§ 88 Nr. 3 BetrVG) festgelegt wird. 1045 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 44. 1046 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67. 1047 Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 28; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 292 AktG Rz. 50; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 111; Servatius in Grigoleit, § 292 AktG Rz. 33. 1048 Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 82; Geßler in G/H/E/K, 1976, § 292 AktG Rz. 40; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 111. 1049 Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 82; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 AktG Rz. 36; Geßler in G/H/E/K, 1976, § 292 AktG Rz. 41; Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 28; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 58; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 292 AktG Rz. 50; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 111; Veil in Spindler/Stilz, § 292 AktG Rz. 32.

Fest

705

§ 221 AktG Rz. 377

Einzelne Instrumente

HGB solche, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der jeweiligen Gesellschaft umfasst.1050 Hierzu zählen insbesondere partiarische Darlehen (siehe Rz. 390 ff.), wenn und soweit diese nach dem Gegenstand der Gesellschaft ein gewöhnliches Geschäft darstellen.1051 377

In Anwendung des Rechtsgedankens des § 292 Abs. 2 AktG scheiden allerdings nur solche Verträge aus dem Anwendungsbereich des § 221 Abs. 3, 4 AktG aus, die selbst eine Gewinnbeteiligung enthalten. Anderes gilt für Genussscheine, durch deren Hingabe die Gesellschaft eine der Höhe nach bestimmte Zahlungsverbindlichkeit aus einem Vertrag, der – würde er eine Gewinnbeteiligung enthalten – § 292 Abs. 2 AktG unterfallen würde, sei es an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB), sei es erfüllungshalber (§ 364 Abs. 2 BGB) tilgen will. Ihre Ausgabe bedarf eines Beschlusses der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und löst grundsätzlich ein Bezugsrecht der Aktionäre aus (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.). e) Stille Gesellschaft, Teilgewinnabführungsverträge

378

Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht sind sog. aktienähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.), die den Gläubigern nicht nur das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft gewähren (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.), sondern auch vorsehen, dass das eingezahlte Genussrechtskapital an den Verlusten der Gesellschaft teilnimmt (eingehend dazu Rz. 420 ff.), typische stille Beteiligungen i.S.d. §§ 230 ff. HGB.1052 Dem ist mit der Rechtsprechung und der überwiegenden Ansicht in der Literatur zu widersprechen.1053 Mit der Verlustbeteiligung weisen aktienähnliche Genussrechte und typische stille Beteiligungen lediglich eine wesentliche Gemeinsamkeit auf.

1050 KG v. 15.3.1999 – 8 U 4630/98, AG 2000, 183 (185) = NZG 1999, 1102; Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 80; Deilmann in Hölters, § 292 AktG Rz. 21; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 Rz. 35; Geßler in G/H/E/K, 1976, § 292 AktG Rz. 39; Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 28; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 58; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 292 AktG Rz. 49; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 110; Semler in FS Werner, 1984, S. 855 (861); Servatius in Grigoleit, § 292 AktG Rz. 33. 1051 Deilmann in Hölters, § 292 AktG Rz. 21; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 AktG Rz. 35; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 110. 1052 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 89; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (394); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 279; Kratzsch, BB 2005, 2603 (2610); Meilicke, BB 1989, 465 (466); Meilicke, BB 1987, 1609 (1611); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 47; Schön, JZ 1993, 925 (928 ff.); wohl auch A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7. 1053 BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 18; Göhrum, Einsatzmöglichkeiten von Genußrechten bei einer notleidenden GmbH oder AG, 1992, S. 46; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 28; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 27; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 232; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (277); Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (653); Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 24; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 67; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 94; wohl auch Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 23. Unklar Lorch, Der börsenfähige aktienähnliche Genußschein, 1993, S. 91 ff. („mitgliedschaftsähnlich“). Differenzierend Schön, ZGR 1993, 210 (235), der nur bei einzelnen Kapitalgebern trotz der Bezeichnung als Genussrecht die §§ 230 ff. HGB anwenden will und das Verhältnis von Genussrecht und stiller Gesellschaft als sich „einander überschneidende Kreise“ bezeichnet.

706

Fest

Genussrechte

Rz. 381 § 221 AktG

aa) Notwendigkeit der Unterscheidung Die Notwendigkeit, zwischen aktienähnlichen Genussrechten und typischen stillen Beteiligungen zu unterscheiden, besteht sowohl im Aktien- als auch im Ertragsteuerrecht.

379

(1) Aktienrecht Im Aktienrecht ist die Abgrenzung insoweit von Bedeutung, als stille Beteiligungen – im Gegensatz zu Genussrechten (siehe Rz. 378) – Teilgewinnabführungsverträge i.S.d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG sind (siehe Rz. 324).1054 Als Unternehmensverträge werden Teilgewinnabführungsverträge (§ 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) – außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG1055 – gemäß § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG nur mit Zustimmung der Hauptversammlung wirksam (siehe Rz. 326). Im Unterschied dazu betrifft der für die Gewährung von Genussrechten erforderliche Beschluss der Hauptversammlung – sei es in sinngemäßer Anwendung von § 221 Abs. 1 AktG (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) – nur das Innenverhältnis der Gesellschaft, lässt aber die Vertretungsmacht des Vorstands (§ 78 AktG) unberührt (siehe Rz. 767).

380

Des Weiteren divergieren die Anforderungen an die Publizität: Der Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrags bedarf – außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG1056 – einer konstitutiv wirkenden Eintragung in das Handelsregister (§ 294 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG, siehe Rz. 327), wobei der Anmeldung nicht nur der Vertrag, sondern u.a. auch die Niederschrift der Zustimmung der Hauptversammlung beizufügen ist (§ 294 Abs. 1 Satz 2 AktG). Im Unterschied dazu ist bei der Gewährung von Genussrechten keine Eintragung in das Handelsregister erforderlich.1057 Gemäß § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG genügt es, dass der Beschluss der Hauptversammlung – dies gilt nicht nur für die Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.), sondern auch in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG für die Zustimmung nach § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG (siehe Rz. 548) – und eine Erklärung über die Gewährung der Genuss-

381

1054 Die Eingehung einer stillen Gesellschaft (§§ 230 ff. HGB) ist für die Aktiengesellschaft in der Regel kein Geschäft des laufenden Geschäftsverkehrs i.S.d. § 292 Abs. 2 Var. 2 AktG, siehe OLG Stuttgart v. 29.1.2004 – 19 U 127/03, AG 2005, 171 (172); Altmeppen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 292 AktG Rz. 80; Deilmann in Hölters, § 292 AktG Rz. 21; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 292 AktG Rz. 35; Hüffer/Koch, § 292 AktG Rz. 28; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 110; K. Schmidt, ZGR 1984, 295 (302); Semler in FS Werner, 1984, S. 855 (861); Veil in Spindler/Stilz, § 292 AktG Rz. 32; a.A. Eyber, Die Abgrenzung zwischen Genußrecht und Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der Aktiengesellschaft, 1997, S. 23 ff. Anderes kann im Einzelfall für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute i.S.d. § 1 Abs. 1, 1a KWG gelten, wenn die Einräumung der stille Beteiligung der Beschaffung für aufsichtsrechtlich anerkannten Eigenmitteln dient, vgl. Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 110. 1055 Zu der Entbehrlichkeit der Handelsregistereintragung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG siehe Henle/Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 9. Nach überwiegender Ansicht entzieht § 15 Abs. 1 FMStBG stille Beteiligungen des FMS nicht nur verfahrensrechtlich der Anwendung der §§ 291 ff. AktG, sondern regelt die materielle Rechtsnatur derselben dahingehend, dass sie dem Tatbestand des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG entzogen sind, siehe Apfelbacher in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 13 (20 f.); Henle/Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 7. 1056 Zu der Entbehrlichkeit der Handelsregistereintragung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 FMStBG siehe Henle/Grattenthaler in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 15 BeschlG Rz. 9. 1057 Busch, AG 1994, 93 (97); Gehling, WM 1992, 1093 (1096); Hirte, ZIP 1988, 477 (485); Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 292 AktG Rz. 59; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 292 AktG Rz. 10; Sethe, AG 1993, 293 (310); vgl. auch AG Charlottenburg v. 29.11.2005 – 82 HRB 96299, GmbHR 2006, 258 zur Emission durch eine GmbH.

Fest

707

§ 221 AktG Rz. 382

Einzelne Instrumente

rechte bei dem zuständigen Handelsregister hinterlegt werden und ein Hinweis hierauf in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekanntgemacht wird (eingehend dazu Rz. 548 ff.). 382

Auf Genussrechte haben die Aktionäre grundsätzlich ein Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.). Ein Bezugsrecht auf stille Beteiligungen und Unternehmensverträge gibt es nicht.1058 Auch die §§ 304, 305 AktG finden bei dem Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrags weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung.1059 (2) Ertragsteuerrecht

383

Die Notwendigkeit, aktienähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.) von typischen stillen Beteiligungen (§§ 230 ff. HGB) zu unterscheiden, besteht auch im Ertragsteuerrecht,1060 dessen Vorschriften das handels- und gesellschaftsrechtliche Verständnis des Genussrechtsbegriffs zugrunde liegt.1061

384

Die Unterscheidung ist im Hinblick auf die Anwendung des sog. Teileinkünfteverfahrens von Bedeutung. Dieses findet nur auf Bezüge aus Genussrechten Anwendung, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös1062 der Gesellschaft verbunden ist (§ 3 Nr. 40 Buchst. a, § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG), nicht aber auf Gewinnanteile aus einer typischen stillen Gesellschaft (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG).

385

Der Steuerabzug vom Kapitalertrag (sog. Kapitalertragsteuer) setzt inländische Kapitalerträge voraus. Während die Bezüge aus Genussrechten nur dann inländische sind, wenn die Schuldnergesellschaft Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 EStG), sind die Gewinnanteile aus typischen stillen Gesellschaften auch dann inländische, wenn die Schuldnergesellschaft weder Geschäftsleitung noch Sitz, aber eine Niederlassung i.S.d. §§ 61, 65 oder § 68 VAG im Inland hat (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 EStG).

386

Bei Anwendung von § 17 Abs. 1 Satz 1, 3 EStG zählen typische stille Gesellschaften nicht zu den ähnlichen Beteiligungen, die den in § 17 Abs. 1 Satz 3 EStG genannten Genussrechten – die allgemeine Formulierung ist im Lichte der §§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, 8 Abs. 3 Satz 2 KStG auf solche Genussrechte zu beschränken, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn 1058 BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; Habersack in FS Happ, 2006, S. 49 (54); Krecek/Röhricht, ZIP 2010, 413 (415). 1059 OLG Düsseldorf v. 22.8.1997 – 3 Wx 302/95, AG 1997, 578; OLG Düsseldorf v. 12.7.1996 – 17 U 201/95, AG 1996, 473 f.; Deilmann in Hölters, § 304 AktG Rz. 4; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 304 AktG Rz. 9; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 74; Hasselbach/Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 304 AktG Rz. 141; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 252; Paulsen in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2015, § 304 AktG Rz. 21, § 305 AktG Rz. 15; Stephan in K. Schmidt/Lutter, § 304 AktG Rz. 16; Veil in Spindler/Stilz, § 304 AktG Rz. 11; a.A. Brauksiepe, BB 1966, 144 (145). 1060 Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 89: Einordnung als stille Beteiligung ungeachtet der Differenzierung durch den Steuergesetzgeber. 1061 Siehe statt vieler Gosch in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 149. 1062 Die steuerrechtliche Literatur vertritt überwiegend die Ansicht, dass das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös für den Fall der Liquidation der Gesellschaft, eine Beteiligung an den stillen Reserven voraussetzt. So z.B. Breuninger/Prinz, DStR 2006, 1345 (1347); Brokamp/Hölzer, FR 2006, 272 (275); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 199; Gosch in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 151; a.A. Linscheidt, DB 1992, 1852 (1855); Vollmer/ Maurer, DB 1994, 1173 (1179). Die Vereinbarung, das Genussrechtskapital zum Nennbetrag zurückzuzahlen, schließt das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös nicht aus. Es setzt insbesondere keine Verlustteilnahme des Genussrechtskapitals voraus, siehe Gosch in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 151; a.A. Haisch/Helios, Rechtshandbuch Finanzinstrumente, § 4 Rz. 127; Helios/Birker, BB 2011, 2327.

708

Fest

Genussrechte

Rz. 389 § 221 AktG

und am Liquidationserlös der Gesellschaft verbunden ist (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.)1063 – gleichgestellt sind.1064 Die Unterschiede setzen sich bei der körperschaftsteuerrechtlichen Behandlung der Aus- 387 schüttungen auf Ebene der Gesellschaft fort. Während Ausschüttungen auf Genussrechte, mit denen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft verbunden ist (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.), das Einkommen der Gesellschaft nicht mindern (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, siehe Rz. 340), sind die an typische stille Gesellschafter ausgezahlten Gewinnanteile Zinsaufwendungen i.S.d. § 4h Abs. 3 Satz 2 EStG,1065 die als Betriebsausgaben in den Grenzen des § 4h Abs. 3 EStG i.V.m. § 8a KStG abgezogen werden dürfen. bb) Unterscheidungskriterium Die Tatsache, dass der stille Gesellschafter seine Beteiligung in der Regel durch eine individuelle Vereinbarung mit dem Inhaber des Handelsgewerbes und nicht als fertiges Produkt am Kapitalmarkt erwirbt, ist kein hinreichendes Unterscheidungskriterium.1066 Diese Beschreibung des tatsächlichen Erwerbsvorgangs entspricht zwar dem praktischen Regelfall, lässt aber unberücksichtigt, dass Genussrechte – auch dann, wenn sie aktienähnlich ausgestaltet sind (eingehend dazu Rz. 398 ff.) – weder als Genussscheine verbrieft noch am Kapitalmarkt gehandelt werden müssen. Die Gesellschaft kann von der Verbriefung der Genussrechte absehen (siehe Rz. 771), sie als nicht handelbare Namenspapiere verbriefen (siehe Rz. 772) oder sich für eine Verbriefung als Inhaberpapier entscheiden (siehe Rz. 772), ohne eine Zulassung derselben am organisierten Markt oder deren Einbeziehung in den Freiverkehr zu beantragen (siehe Rz. 779).

388

Maßgebliches Kriterium für die Unterscheidung ist vielmehr, dass nur die stille Gesellschaft 389 (§§ 230 ff. HGB) eine (Innen-)Gesellschaft i.S.d. § 705 BGB ist1067 und als solche die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks voraussetzt. Demnach ist das in Frage stehende Recht kein aktienähnliches Genussrecht (eingehend dazu Rz. 398 ff.), sondern eine typische stille Beteiligung, wenn sich die Vertragspartner zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks verbunden haben und nicht lediglich jeweils eigene Interessen verfolgen.1068 Ob der unter Heranzie1063 BFH v. 14.6.2005 – VIII R 73/03, BFHE 210, 272 (276) = BStBl. II 2005, 861; Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 114; Vogt in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 17 EStG Rz. 168. 1064 BFH v. 14.6.2005 – VIII R 73/03, BFHE 210, 272 (275 f.) = BStBl. 2005, 861; Vogt in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 17 EStG Rz. 179. 1065 Förster in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8a KStG Rz. 265; Heuermann in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 4h EStG Rz. 32; Johannemann in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, § 10 Rz. 9. 1066 So aber Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (653). 1067 Siehe statt vieler BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176 (183) = NJW 1995, 192; BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/96, BFHE 182, 101 (103) = BStBl. II 1998, 328; M. Roth in Baumbach/Hopt, § 230 HGB Rz. 2; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2012, § 230 HGB Rz. 4; abweichend wohl nur Hoeniger, ZHR 84 (1921), 459 (464): stille Gesellschaft und Innengesellschaft seien verschiedene Begriffe. 1068 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (31) = BStBl. II 2008, 852; BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434 (436); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 118 f.; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 15 ff.; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 22; Keul in MünchHdb/GesR, Bd. 2, § 73 Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 232; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung für die GmbH, 1989, S. 81; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 24; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 30; Sethe, AG 1993, 293 (297); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 94; wohl auch Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 36.

Fest

709

§ 221 AktG Rz. 390

Einzelne Instrumente

hung aller Umstände durch Auslegung zu ermittelnde Vertragswille auch einen gemeinsamen Zweck umfasst, ist auf Grundlage einer Gesamtabwägung zu beurteilen,1069 im Rahmen derer neben dem Vertragszweck und dem Vertragsinhalt auch die wirtschaftlichen Ziele der Beteiligten umfassend zu würdigen sind.1070 Die bloße Kapitalüberlassung an ein Investmentvehikel mit dem Ziel, „durch Handel an den internationalen Interbankendevisen- und Finanzterminmärkten mittelfristig einen substantiellen Kapitalzuwachs zu erreichen“, dient in der Regel keinem gemeinsamen Zweck.1071 Die Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks erfordert ein substantielles Mehr als die bloße Kapitalüberlassung und die Verwendung des Kapitals.1072 Sind die Kapitalgeber entsprechend dem gesetzlichen Leitbild der stillen Gesellschaft allerdings nicht nur am Gewinn, sondern auch an Verlusten des Handelsgewerbes beteiligt (§ 231 Abs. 2 HGB), liegt hierin zwar ein wesentliches Indiz für eine typische stille Beteiligung.1073 Dies gilt aber nur für die Abgrenzung zu partiarischen Darlehen (siehe Rz. 390 ff.), die einen festen und unbedingten Rückzahlungsanspruch vorsehen, nicht jedoch für die Abgrenzung zu aktienähnlichen Genussrechten (eingehend dazu Rz. 398 ff.), denen die Verlustbeteiligung ebenfalls begriffsnotwendig eigen ist.1074 In Grenzfällen kann die von den Vertragsparteien gewählte Bezeichnung des Rechts1075 ebenso indizielle Bedeutung haben wie die Verbriefung des Rechts.1076 Eine davon abweichende Beurteilung schließt sie indes nicht aus.1077 f) Partiarisches Darlehen 390

Sehen die Genussrechtsbedingungen neben dem Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 404 ff.) weder die Verlustteilnahme des Genussrechtskapitals (eingehend dazu Rz. 429 ff.) noch den Nachrang der Rückzahlungsverpflichtung vor (eingehend dazu Rz. 455 ff.), steht den Gläubigern also ein fester und unbedingter Rückzahlungsanspruch zu, ist das Genussrecht ein partiarisches Darlehen.1078 Gleichwohl wird häu1069 Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 230 HGB Rz. 25. 1070 Vgl. BGH v. 9.2.1967 – VII ZR 265/64, BB 1967, 349; BGH v. 26.9.1957 – III ZR 42/56, WM 1957, 1335 (1336); M. Roth in Baumbach/Hopt, § 230 HGB Rz. 4 jeweils zu der Abgrenzung der stillen Gesellschaft von einem partiarischen Darlehen. 1071 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (31) = BStBl. II 2008, 852. 1072 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (32 f.) = BStBl. II 2008, 852. 1073 BFH v. 22.7.1997 – VIII R 57/95, BFHE 184, 21 (25) = BStBl. II 1997, 755; BGH v. 26.9.1957 – III ZR 42/56, WM 1957, 1335 (1336); Fahse/Gesmann-Nuissl in Ensthaler, § 230 HGB Rz. 70; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 89; Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 230 HGB Rz. 28; Keul in MünchHdb/GesR, Bd. 2, § 73 Rz. 14; Mock in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, § 230 HGB Rz. 58; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 62 II 1 c bb = S. 1843; Schubert in Oetker, § 230 HGB Rz. 28. Abweichend Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, Vor § 182 AktG Rz. 38: bei vereinbarter Verlustteilnahme handele es sich zwingend um eine Gesellschaft. 1074 Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 89; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 47: Verlustbeteiligung sei „zwingendes Indiz“ dafür, dass aktienähnliche Genussrechte stille Beteiligungen seien. 1075 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (30 f.) = BStBl. II 2008, 852; BFH v. 22.7.1997 – VIII R 57/95, BFHE 184, 21 (25) = BStBl. II 1997, 755; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 11; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 30. 1076 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 11; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 30. 1077 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (31) = BStBl. II 2008, 852; BFH v. 22.7.1997 – VIII R 57/95, BFHE 184, 21 (25) = BStBl. II 1997, 755. 1078 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 93; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 286; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 31; in diese Richtung tendierend Lutter in KölnKomm/AktG, § 221 AktG Rz. 233; un-

710

Fest

Genussrechte

Rz. 393 § 221 AktG

fig weder ein Beschluss der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 AktG) erforderlich sein noch ein Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 AktG) bestehen. Im Einzelnen: Werden Genussrechte mit der in Rz. 390 beschriebenen Ausgestaltung verbrieft, handelt es sich um Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG (eingehend dazu Rz. 308 ff.). Gewinnschuldverschreibungen sind in der Regel abstrakte Wertpapiere, die keine Darlehensrückzahlungsansprüche, sondern selbstständige Schuldversprechen i.S.d. § 780 Satz 1 BGB verbriefen (siehe Rz. 773). Diese Wertpapiere werden auch nicht an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) für einen Darlehensrückzahlungsanspruch ausgegeben; als kausales Rechtsverhältnis liegt ihnen vielmehr ein Rechtskaufvertrag zugrunde (siehe Rz. 774). Das ordentliche Kündigungsrecht der Darlehensnehmer (§ 489 Abs. 2 BGB) findet somit bereits mangels eines Darlehensvertrags keine Anwendung (siehe Rz. 773).

391

Wird das Genussrecht nicht verbrieft (siehe Rz. 771), findet § 221 Abs. 3, 4 AktG in Ansehung des Rechtsgedankens von § 292 Abs. 2 Var. 2 AktG (siehe Rz. 373 ff., 376) auch dann keine Anwendung, wenn der Vertrag unter Berücksichtigung seiner Ausgestaltung im Einzelfall ein Geschäft ist, das der gewöhnliche Betrieb des Gewerbes der jeweiligen Gesellschaft mit sich bringt. Nur ausnahmsweise, wenn der Vertrag (z.B. aufgrund des Volumens) diesen Rahmen übersteigt, bedarf die Gewährung des Genussrechts der Mitwirkung der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.); außerdem haben die Aktionäre grundsätzlich ein Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.).

392

III. Inhaltliche Ausgestaltung Die inhaltliche Ausgestaltung von Genussrechten erfolgt in den Genussrechtsbedingungen.1079 Da der Gesetzgeber bewusst auf besondere gesetzliche Regelungen hinsichtlich des Inhalts von Genussrechten verzichtet hat (siehe Rz. 329), genießen die Vertragsparteien weitgehende Gestaltungsfreiheit.1080 Je nach Einsatzzweck der Genussrechte (eingehend dazu Rz. 330 ff.) können sie insbesondere Bestimmungen über die Laufzeit, die Kündigungsrechte, die Rückzahlung und die Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals (eingehend dazu Rz. 420 ff.), eventuelle Zinszahlungen und gewinnbezogene Ausschüttungen (eingehend dazu Rz. 395, 404 ff.) sowie den Rang der Ansprüche bei der Abwicklung und in der Insolvenz der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 455 ff.) treffen. Die Vielzahl möglicher Ausgestaltungen werden überwiegend in drei Gruppen1081 eingeteilt, namentlich obligationsähnliche (eingehend dazu Rz. 395 ff.), aktienähnliche (eingehend dazu Rz. 398 ff.) und aktiengleiche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 480 ff.).

klar Thielemann, Das Genußrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung und der Anlegerschutz, 1988, S. 62 f. 1079 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 29; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 78. 1080 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (309) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 (578) = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576; BT-Drucks. 10/2079, 8; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 5; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 64; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 328; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 237; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (287); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 20; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 73, 76; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 1, 88. 1081 Abweichend z.B. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 24: Genussrechte mit aktienähnlichem Inhalt und Genussrechte mit anderem Gefährdungspotential.

Fest

711

393

§ 221 AktG Rz. 394 394

Einzelne Instrumente

Sofern die Genussrechte nicht ausnahmsweise einzeln gewährt oder die Genussrechtsbedingungen nicht individuell ausgehandelt werden (§ 305 Abs. 1 Satz 3 BGB), sind die Genussrechtsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB.1082 Dies gilt nicht nur bei Eigenemissionen, sondern auch bei der in der Praxis üblichen Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung (eingehend dazu Kap. 4 Rz. 4.2 ff.). Die Anwendung der §§ 305 ff. BGB ist nicht nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ausgeschlossen.1083 Genussrechte sind schuldrechtlicher Natur (siehe Rz. 359) und – trotz der Regelung in § 221 Abs. 3, 4 AktG – keine Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts.1084 Die Anwendung 1082 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 24) = NZG 2014, 661; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576; OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90, AG 1991, 438 (439) = WM 1991, 1375; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 6; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 24; Grüneberg in Palandt, § 305 BGB Rz. 3; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 255; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 44; Horn, BKR 2009, 446 (452 mit Fn. 44); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 35; Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (682); Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 17 Rz. 25; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23, 26; Sethe, WM 2012, 577 (579); vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (312) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 358; Köndgen, NJW 1996, 558 (563 mit Fn. 89); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 221; Lutter, ZGR 1993, 291 (295); Reuter, AG 1985, 104 zu § 1 Abs. 1 Satz 1 AGBG; a.A. Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 78. 1083 OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576; Basedow in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 310 BGB Rz. 89; Becker in Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 310 BGB Rz. 31; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 6; Casper, ZIP 2015, 201 (208); Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (318); Fischer in Ekkenga/ Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 144; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 30; Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1122); Grüneberg in Palandt, § 310 BGB Rz. 49; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 44; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331, 399; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 35; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 76; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 17 Rz. 25; H. Schmidt in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGBRecht, § 310 BGB Abs. 4 BGB Rz. 16; Sethe, WM 2012, 577 (578); P. Ulmer/C. Schäfer in Ulmer/ Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 310 BGB Rz. 122; vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (312) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90, WM 1991, 1375 (1379) = AG 1991, 438; Hammen, BB 1990, 1917 (1918); Hirte, ZIP 1991, 1461 (1464); Joussen, WM 1995, 1861 (1862); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 358; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 221; Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (234); Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 83; Sethe, AG 1993, 351 (368) jeweils zu § 23 Abs. 1 AGBG; einschränkend Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 73, der für Genussrechte, die aufgrund der Festsetzung in der Satzung im Rahmen eines Gesellschaftsverhältnisses an Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gewährt werden, anders entscheiden will. A.A. Becker, NZG 2012, 1089 (1091); Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 36; Siebel, WM 1994, 1781; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 96. Offen gelassen von Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 255 für Genussrechte mit Verlustteilnahme. 1084 OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/

712

Fest

Genussrechte

Rz. 395 § 221 AktG

der §§ 305 ff. BGB hat zur Folge, dass die Gestaltungsfreiheit der Gesellschaft nicht nur durch die allgemeinen Schranken der Privatautonomie (§§ 134, 138 BGB), sondern auch und in erster Linie durch die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle (§§ 307 ff. BGB) begrenzt ist.1085 Soweit Genussrechte aktienähnlich ausgestaltet sind (eingehend dazu Rz. 398 ff.), unterliegen die Genussrechtebedingungen auch einer an aktienrechtlichen Normen und Grundsätzen ausgerichteten Inhaltskontrolle (eingehend dazu Rz. 475 ff.). Zu der Einbeziehung von Genussrechtsbedingungen siehe § 3 SchVG Rz. 36 ff. 1. Obligationsähnliche Genussrechte Das Genussrecht ist kein gesellschaftsrechtlich geprägtes Mitgliedschaftsrecht (siehe Rz. 359), sondern ein Dauerschuldverhältnis (siehe Rz. 360). Die Rechtsposition der Gläubiger erschöpft sich in einem bestimmten geldwerten Anspruch, der einem aktionärstypischen Vermögensrecht nachgebildet ist (siehe Rz. 361). Trotz dieses formal schuldrechtlichen Charakters werden Genussrechte, deren Genussrechtsbedingungen eine gewinnabhängige Verzinsung des Genussrechtskapitals – dieses nimmt häufig an den Verlusten der Gesellschaft teil1086 und ist daher in der Regel höher als bei vergleichbaren Gewinnschuldverschreibungen1087 – vorsehen, nicht als Obligationen, sondern nur als „obligationsähnlich“1088 bezeichnet. Der Aussagegehalt dieser Nomenklatur beschränkt sich darauf, dass der Zinsanspruch – im Gegensatz zu dem gewinnorientierten Zahlungsanspruch aktienähnlicher Genussrechte (eingehend dazu Rz. 404 ff.) – kein echtes Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft ist, sondern der Zinszahlungsverpflichtung herkömmlicher Schuldverschreibungen ähnlich ausgestaltet ist. Die Höhe der zu zahlenden Zinsen errechnet sich nämlich – wie bei herkömmlichen Schuldverschreibungen – unter Anwendung eines vertraglich festgelegten Zinssatzes oder – seltener – eines bestimmten variablen Referenzzinssatzes (z.B. EURIBOR zzgl. x Prozentpunkte) auf das Genussrechtskapital. Die Zahlungspflicht besteht aber – im Unterschied zu herkömmlichen Schuldverschreibungen – nur bedingt für den Fall, dass die Gesellschaft in der Referenzperiode – in der Regel dem Abschlusszeitraum – einen vertraglich näher zu bestimmenden Gewinn (z.B. Jahresüberschuss, Bilanzgewinn)1089 erzielt hat („Festzins unter Ergebnisvor-

1085

1086

1087 1088

1089

Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 6; Casper, ZIP 2015, 201 (208); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 144; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 44; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 35; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 76; vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (312) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen zu § 23 Abs. 1 AGBG. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (312) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 31 ff.; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 24; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 254 ff.; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 398 ff.; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 76. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 218. Siehe z.B. BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (142, 152) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134. Für eine Gestaltung ohne Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals siehe OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (269). Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 355. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (310) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; OLG Bremen v. 22.8.1991, AG 1992, 268 (269); Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 77; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 330; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 218. Ist die Zinszahlung dem Grunde nach von einer nicht unternehmensbezogenen Größe abhängig (z.B. dem Basiszinssatz), handelt es sich nicht um ein Genussrecht, sondern um eine herkömmliche Schuldverschreibung, siehe Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 209; a.A. wohl nur Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14.

Fest

713

395

§ 221 AktG Rz. 396

Einzelne Instrumente

behalt“1090).1091 Bei Eintritt der Bedingung ist die gewinnabhängige Verzinsung des Genussrechtskapitals der vom Unternehmenserfolg unabhängigen Zinszahlungspflicht herkömmlicher Schuldverschreibungen nicht nur ähnlich, sondern sogar mit dieser identisch.1092 Für den Fall, dass die Gesellschaft in der Referenzperiode keinen bzw. nicht den vertraglich festgelegten Gewinn erzielt, können die Genussrechtsbedingungen eine Nachzahlungspflicht für künftige Referenzzeiträume vorsehen.1093 Bei Kreditinstituten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG) und Finanzdienstleistungsinstituten (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG) bzw. Wertpapierfirmen (Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Richtlinie 2013/36/EU) schließt diese Vereinbarung allerdings die Zurechnung des Genussrechtskapitals zu dem zusätzlichen Kernkapital aus, Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. iii Verordnung (EU) Nr. 575/2013.1094 396

Soweit die Genussrechtsbedingungen die Hauptleistungspflicht der Zinszahlung unmittelbar ausgestalten, sind sie der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen;1095 insoweit findet ausschließlich eine Transparenzkontrolle statt (siehe § 3 SchVG Rz. 6 ff.). Hingegen unterliegen sämtliche Bestimmungen, die die Zinszahlungspflicht einschränken oder nur mittelbar ausgestalten, auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle. Dies gilt z.B. für die Ausgestaltung des Bedingungsinhalts sowie die Festlegung einer Obergrenze bei dividendenabhängigen Zinserhöhungen.1096

397

Die Regelungen des § 221 Abs. 3, 4 AktG finden nicht nur auf aktienähnliche, sondern auch auf obligationsähnliche Genussrechte Anwendung.1097 Einer teleologischen Reduktion, wie sie von Teilen der Literatur vertreten wird,1098 steht entgegen, dass auch die Zinszahlungen an 1090 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 33. 1091 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 14, 51, 122; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 330; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 260, 296; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 201; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 57, 59, 78. 1092 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 218. Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 77, der als obligationsähnlich auch die Genussrechte bezeichnet, die den Gläubigern ausschließlich einen am Gewinn orientierten Zins oder einen Mindest-Festzins mit zusätzlicher Gewinnbeteiligung gewähren. 1093 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 128; Gehling, WM 1992, 1093 (1094); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 385; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 291, 296; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 201; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 57; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (287); Vollmer, ZGR 1983, 445 (470); Ziebe, DStR 1991, 1594 (1595). 1094 Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 28. 1095 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 7; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 44. 1096 Abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 327, der Obergrenzen bei (Zusatz-)Verzinsungen stets als wirksam erachtet. Eine Obergrenze für dividendenabhängigen Zinserhöhungen enthielten z.B. die Anleihebedingungen, die Gegenstand der Entscheidung des RG v. 30.9.1927 – II 40/27, RGZ 118, 152 (§ 2) waren. 1097 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (145 ff.) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (269); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 20; Busch, AG 1994, 93 (95); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 19; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 100; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 33; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 25b, 36; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 297; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 60; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 22; Sethe, AG 1994, 342 (345). 1098 Feddersen/Knauth, ZGR 1993, 312 (314); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 27, 49, 54; Gehling, WM 1992, 1093 (1095); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 377; Krecek/Röhricht, ZIP 2010, 413 (416 ff.); Lutter in KölnKomm/

714

Fest

Genussrechte

Rz. 398 § 221 AktG

die Inhaber obligationsähnlicher Genussrechte ergebnismindernd wirken,1099 sie also mit den Aktionären um den Bilanzgewinn konkurrieren.1100 Dies gilt unabhängig von der Höhe des gewinnabhängigen Zinssatzes, also auch dann, wenn dieser den marktüblichen Zinssatz herkömmlicher Schuldverschreibungen im Emissionszeitpunkt nicht übersteigt.1101 Diese Konkurrenz der schuldvertraglichen Zahlungsansprüche mit dem Anspruch der Aktionäre auf den Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG), die bei obligationsähnlichen und aktienähnlichen Genussrechten gleichermaßen besteht, hat den Gesetzgeber veranlasst, die Entscheidung über die Gewährung von Genussrechten nicht allein dem Vorstand, sondern der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) zu überantworten und den Aktionären grundsätzlich ein Bezugsrecht zuzugestehen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.). Die Richtigkeit des Ergebnisses, § 221 Abs. 3, 4 AktG auch auf obligationsähnliche Genussrechte anzuwenden, zeigt sich daran, dass obligationsähnliche Genussrechte im Fall ihrer Verbriefung Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG sind (eingehend dazu Rz. 308 ff.)1102 und es nicht der Gesellschaft überlassen sein darf, durch einen Verzicht auf die Verbriefung (siehe Rz. 771) die Notwendigkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung und das grundsätzliche Bezugsrecht der Aktionäre zu umgehen. 2. Aktienähnliche Genussrechte Den Gegenpol zu obligationsähnlichen Genussrechten bilden aktienähnliche Genussrechte. Sie enthalten vermögensrechtlich Rechte und Pflichten, die denen entsprechen, die nach dem Gesetz an die Inhaberschaft der Aktie geknüpft sind.1103 Der Gehalt dieser Definition der Rechtsprechung erschöpft sich in drei Aussagen: (1) Die Verbindung mitgliedschaftlicher Mitverwaltungs- und Kontrollrechte mit dem Genussrecht ist – sofern überhaupt möglich (eingehend dazu Rz. 461 ff.) – für eine aktienähnliche Ausgestaltung nicht erforderlich. (2) Hinsichtlich der für Genussrechte konstitutiven aktionärstypischen Vermögensrechte (siehe Rz. 361 f.) enthält die Definition nur eine quantitative Vorgabe. Sie ergibt sich daraus, dass obligationsähnliche Genussrechte insoweit über herkömmliche Schuldverschreibungen hinausgehen, als sie ihren Inhabern zumindest ein aktionärstypisches Vermögensrecht – nämlich einen gewinnabhängigen Zahlungsanspruch – gewähren (siehe Rz. 395). Hieraus folgt unmittelbar, dass die Gewährung nur eines aktionärstypischen Vermögensrechts für die Aktienähnlichkeit von Genussrechten nicht genügt.1104 Erforderlich ist vielmehr – dies impliziert die Verwendung des Plurals („Rechte und Pflichten“) –, dass das Genussrecht seinem Inhaber bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ein solches Bündel an Rechten und Pflichten gewähren muss, das die Bezeichnung als aktienähnlich rechtfertigt. Hierzu müssen die Genussrechtsbedingungen den Genussrechtsgläubigern mehrere Rechte einräumen, die wesentlichen aktionärs-

1099 1100 1101 1102 1103

1104

AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 218; Lutter, ZGR 1993, 291 (307); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 78; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 69; ähnlich Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98: kein Genussrecht, sondern Darlehen. Statt vieler Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 2; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 44; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 9. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 100; Habersack, NZG 2014, 1041 (1042); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 33; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 297; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 60. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 100; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 60. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 77. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (310) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; dem folgend Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 87. Unklar Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 18.

Fest

715

398

§ 221 AktG Rz. 399

Einzelne Instrumente

typischen Vermögensrechten vergleichbar sind. (3) Hinsichtlich der qualitativen Ausgestaltung der Vermögensrechte ist der Gehalt der Definition im Wesentlichen zirkulär: Die Aktienähnlichkeit ist anzunehmen, wenn die Vermögensrechte der Genussrechtsinhaber denen der Aktionäre entsprechen, diesen also inhaltlich ähnlich sind. Die einzige Aussage, die dieser Definition entnommen werden kann, ergibt sich aus dem Begriff der Ähnlichkeit. Er impliziert, dass unter der Bezeichnung als aktienähnlich zahlreiche mögliche Gestaltungen zusammengefasst werden, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie – im Gegensatz zu obligationsähnlichen Genussrechten (siehe Rz. 395 ff.) – nicht nur einen gewinnabhängigen, der Höhe nach vertraglich bestimmten Zahlungsanspruch gewähren. a) Zulässigkeit aktienähnlicher Gestaltungen 399

Genussrechte können aktienähnlich ausgestaltet werden.1105 Diese inhaltliche Gestaltungsfreiheit gewährleistet die Privatautonomie.1106 Sie ist insoweit weder durch Vorgaben der Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG, siehe Rz. 400 ff.) noch durch aktienrechtliche Normen oder Wertungen (siehe Rz. 403) eingeschränkt.1107 aa) Unionsrecht

400

Dem Unionsrecht, insbesondere Art. 29 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/ EWG) kann kein numerus clausus der Eigenkapitalinstrumente entnommen werden,1108 der Aktiengesellschaften1109 daran hindern würde, Genussrechte aktienähnlich auszugestalten. Zwar umfasst der unionsrechtliche Begriff der Kapitalerhöhung – wie sich aus Art. 29 Abs. 3, 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 3, 4 Richtlinie 77/91/EWG) ergibt – nur die Ausgabe neuer Aktien.1110 Dieser instrumentellen Begrenzung des Begriffs der Kapitalerhöhung kann aber für Aktiengesellschaften – entgegen der vereinzelt gebliebenen Gegenansicht in der Literatur – im Umkehrschluss kein Verbot entnommen werden, Eigenkapital mittels der Ausgabe anderer Wertpapiere aufzunehmen.1111 Ist die Aktiengesellschaft ein Kreditinstitut (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG) oder ein Finanzdienstleistungsinstitut (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG) bzw. eine Wertpapierfirma (Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Richtlinie 2013/36/EU) oder ein Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG), vermag dies jedenfalls seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 am 1.1.2014 bzw. der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 am 18.1.2015 nicht mehr zu überzeugen. Seither sind die Vorgaben über die Eigenmittel nicht mehr im Recht der Mitgliedstaaten, sondern im europäischen Sekundärrecht (Art. 51 ff., 62 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 bzw. Art. 69 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) geregelt. Die unionsrechtlichen Vorgaben sind unmittelbar geltendes Recht (Art. 288 Abs. 2 Satz 1 AEUV) und genießen gegenüber dem Zivilrecht Vorrang in der Weise, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten 1105 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 79. 1106 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 29. 1107 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 372 mit Ausnahme von Mitarbeitergenussrechten; vgl. auch Hirte, ZIP 1991, 1461 (1462); Hirte, ZIP 1988, 477 (480) zu Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG. 1108 Gehling, WM 1992, 1093 (1099); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 127; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 362; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 334. 1109 Der Ausgabe aktienähnlicher Finanzinstrumente durch Gesellschaften anderer Rechtsformen stehe Art. 29 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Richtlinie 77/91/EWG) nicht entgegen, vgl. Hirte, ZIP 1991, 1461 (1462) zu Art. 25 Richtlinie 77/91/EWG. 1110 Vgl. Hirte, ZIP 1991, 1461 (1462); Hirte, ZIP 1988, 477 (480) zu Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG. 1111 So aber Hirte, ZIP 1988, 477 (480 f.) zu Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG.

716

Fest

Genussrechte

Rz. 402 § 221 AktG

dahingehend zu ändern – wie im Bereich des Bankaufsichtsrechts in § 10 Abs. 5 KWG und im Versicherungsaufsichtsrecht durch die am 1.1.2016 in Kraft getretene Neufassung des VAG1112 – und auszulegen sind, dass die aufsichtsrechtlich vorausgesetzten Ausstattungsmerkmale schuldvertraglicher Finanzierungsinstrumente zivilrechtlich wirksam vereinbart werden können (sog. Anwendungsvorrang des Aufsichtsrecht gegenüber zivilrechtlichen Normen).1113 Ein Anwendungsvorrang der Richtlinie 2012/30/EU gegenüber den Art. 51 ff., 62 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und den Art. 69 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 ist nicht zu erkennen.1114 Auch außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs des Bank- und Versicherungsaufsichtsrechts sind Aktiengesellschaften nicht gehindert, Genussrechte aktienähnlich auszugestalten. Insbesondere enthält die Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) keine umfassende und abschließende Regelung der Eigenkapitalfinanzierung der Aktiengesellschaften. Ausweislich Erwägungsgrund 3 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Erwägungsgrund 2 Richtlinie 77/91/EWG) soll sie nur ein Mindestmaß an Gleichwertigkeit in Bezug auf die Aufrechterhaltung, die Erhöhung und die Herabsetzung des Kapitals der Aktiengesellschaft sicherstellen.1115 Daher verwundert es nicht, dass die Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) in noch höherem Maße als die EWIV-VO und die SE-VO lückenhaft ist.1116

401

Ein Verbot, Genussrechte aktienähnlich auszugestalten, widerspräche auch dem mit der Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) – ausweislich Erwägungsgrund 3 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Erwägungsgrund 2 Richtlinie 77/91/EWG) – bezweckten Schutz der Gesellschaftsgläubiger. Zum einen stärken Genussrechte, bei denen das eingezahlte Kapital aufgrund der besonderen Ausgestaltung der Genussrechtsbedingungen zum funktionellen Eigenkapital zählt, die Haftungsgrundlage und begünstigen damit die Gläubiger.1117 Der mit der Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) allgemein bezweckte Gläubigerschutz wird also nicht gefährdet, sondern über deren Mindestvorgaben hinaus erhöht.1118 Zum anderen konfligiert die Gewährung aktienähnlicher Genussrechte nicht mit der Art und Weise des Gläubigerschutzes, den die Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) von den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen einfordert. Dieser erschöpft sich darin, dass gemäß Art. 29 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG) sowohl der nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) erforderliche Beschluss als auch die Durchführung der Kapitalerhöhung gemäß Art. 3 Richtlinie 2009/101/EG offen zu legen sind.1119 Aufgrund dieser Publizität1120 dürfen die Gesellschaftsgläubiger darauf vertrauen, dass Kapital in der verlautbarten Höhe aufgebracht wor-

402

1112 Siehe Art. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen v. 1.4.2015 (BGBl. I S. 434). 1113 Stawitzke in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 10 KWG Rz. 40; vgl. auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 87; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 364 jeweils zu § 10 Abs. 5 KWG a.F. und § 53c VAG a.F.: bedarf einer Änderung des Aktiengesetzes. 1114 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 447 f. 1115 Vgl. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 334; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 229; Sethe, AG 1993, 293 (301) zu Erwägungsgrund 2 Richtlinie 77/91/EWG. 1116 Vgl. Gehling, WM 1992, 1093 (1099); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 229 jeweils zu Richtlinie 77/91/EWG. 1117 Vgl. für die Ausgabe neuer Aktien Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 6 Rz. 69; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 229 jeweils zu Richtlinie 77/91/EWG. 1118 Vgl. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 229 zu Richtlinie 77/91/EWG. 1119 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 229. 1120 Zu Einzelheiten siehe Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011, Rz. 262 ff.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 5 Rz. 10 ff.; Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, § 19 Rz. 13 ff.

Fest

717

§ 221 AktG Rz. 403

Einzelne Instrumente

den ist oder noch aufgebracht wird. Durch die zusätzliche Gewährung aktienähnlicher Genussrechte wird dieses Vertrauen nicht enttäuscht.1121 Da die Ausgabe derartiger Instrumente weder nach Art. 29 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG) noch nach anderen Vorschriften offen zu legen ist,1122 führt sie unter Umständen im Gegenteil sogar dazu, dass die vorhandene Haftungsgrundlage die auf die Registerpublizität gründenden Erwartungen der Gläubiger an die Solvenz der Gesellschaft übertrifft. bb) Aktienrecht 403

Die Gewährung aktienähnlicher Genussrechte ist keine Umgehung der §§ 139 ff. AktG.1123 Den Vorschriften ist keine Exklusivität von Vorzugsaktien ohne Stimmrecht dergestalt zu entnehmen, dass andere Formen der Eigenkapitalfinanzierung ohne Gewährung des Stimmrechts unzulässig sind. Zwar kann das rechtsformspezifische Eigenkapital von Aktiengesellschaften, namentlich das in der Bilanz als gezeichnetes Kapital (§ 266 Abs. 3 A I HGB, § 152 Abs. 1 Satz 1 AktG) zu buchende Grundkapital, nur von Aktionären geleistet werden. Eine Beschränkung der Finanzierungsfreiheit dahingehend, dass sonstiges Haftungskapital ebenfalls nur von Aktionären, nicht aber von Dritten überlassen werden kann, ist dem deutschen Aktienrecht hingegen fremd.1124 Das Gegenteil, nämlich, dass von Dritten überlassenes Kapital zum funktionellen Eigenkapital zählen kann, ist nicht nur bei atypischen stillen Beteiligungen1125 – sei es in Form einer sog. gesplitteten Kommanditeinlage,1126 sei es aufgrund einer Beteiligung am Vermögen der Geschäftsherrin und der Möglichkeit, deren Geschicke mitzubestimmen1127 –, sondern auch bei Finanzplandarlehen anerkannt.1128 Bei diesen Finanzierungsinstrumenten beruht die Behandlung des eingezahlten Kapitals bzw. der Darle1121 Vgl. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 229 zu Richtlinie 77/91/EWG. 1122 A.A. Hirte, ZIP 1991, 1461 (1462). 1123 Siehe statt vieler BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (311 f.) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 363, 368. Zu aktiengleichen Genussrechten siehe eingehend Rz. 480 ff. 1124 Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (480, 485); Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (383). 1125 BGH v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7 (9) = NJW 1989, 982; BGH v. 17.12.1984 – II ZR 36/84, NJW 1985, 1079 f.; BGH v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341 (345) = NJW 1983, 42; BGH v. 9.2.1981 – II ZR 38/80, NJW 1981, 2251 (2252); OLG Hamm v. 3.5.1993 – 8 U 184/92, NJW-RR 1994, 672; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 127; Schön, ZGR 1990, 220 (228); vgl. auch Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 236 HGB Rz. 42 ff. 1126 BGH v. 9.2.1981 – II ZR 38/80, NJW 1981, 2251 (2252); BGH v. 5.11.1979 – II ZR 145/78, NJW 1980, 1522 (1523); Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 236 HGB Rz. 42; Oetker in Oetker, § 161 HGB Rz. 154; Roth in Baumbach/Hopt, § 236 HGB Rz. 3; Schubert in Oetker, § 230 HGB Rz. 81, § 236 HGB Rz. 12; Seffer/Erhardt in MünchHdb/GesR, Bd. 2, § 83 Rz. 43; a.A. Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anhang HGB Rz. 84; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants, 2008, S. 580-587. Gleiches gilt, wenn sich der Kommanditist zur Hingabe eines Darlehens verpflichtet, siehe BGH v. 10.12.1984 – II ZR 28/84, BGHZ 93, 159 (161) = NJW 1985, 1468; BGH v. 17.5.1982 – II ZR 16/81, NJW 1982, 2253 (2254); BGH v. 28.11.1977 – II ZR 235/75, BGHZ 70, 61 (63) = NJW 1978, 376; Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (462); Horn in Heymann, 2. Aufl. 1996, § 172a HGB Rz. 39; K. Schmidt, ZIP 1999, 1241 (1243). Ablehnend Joost, ZGR 1987, 370 (397); K. Schmidt in FS Goerdeler, 1987, S. 487 (496); Schön, ZGR 1990, 220 (241). 1127 BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, WM 2006, 691 (693) = NZG 2006, 341; BGH v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7 (9) = NJW 1989, 982; BGH v. 17.12.1984 – II ZR 36/84, NJW 1985, 1079 f.; Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 236 HGB Rz. 43; Koenigs, Die stille Gesellschaft, 1961, S. 50 f.; Reusch, BB 1989, 2358 (2361); Roth in Baumbach/Hopt, § 236 HGB Rz. 3; K. Schmidt in FS Goerdeler, 1987, S. 487 (497); Schön, ZGR 1990, 220 (229 f.). Ähnlich Wahl, GmbHR 1975, 169 (170): Einordnung weg von der Gläubigerstellung, hin zur Unternehmensbeteiligung. 1128 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Aufl. 2016, Rz. 5.109; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 87.

718

Fest

Genussrechte

Rz. 403 § 221 AktG

hensvaluta als funktionelles Eigenkapital – im Unterschied zu bereits ausgezahlten eigenkapitalersetzenden Darlehen1129 – nicht auf dem objektiven Recht, sondern auf dem Willen der Vertragspartner.1130 Die hierfür erforderlichen Vereinbarungen, namentlich die Nachrangigkeit der Zahlungsansprüche auch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (eingehend dazu Rz. 455 ff.) sowie der Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts der noch offenen Finanzierungszusage, sind weder auf das Gesellschafterverhältnis noch auf die Instrumente der stillen Gesellschaft und des Darlehens beschränkt. Sie können auch in Genussrechtsbedingungen aufgenommen werden. Insbesondere kann der vertragliche Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts einer offenen Finanzierungszusage auch für Genussrechte außerhalb des Anwendungsbereichs von § 10 Abs. 5 KWG vereinbart werden. Zwar ist das auf diese Finanzinstrumente anzuwendende außerordentliche Kündigungsrecht aus § 314 Abs. 1 BGB – im Gegensatz zu § 490 Abs. 1 BGB – im Kern zwingendes Recht.1131 Dies schließt aber Bestimmungen nicht aus, die das Risiko einer Liquiditäts- und Unternehmenskrise begrenzt auf den Zeitraum zwischen dem Vertragsschluss und der Einzahlung des Kapitals dem Kapitalgeber vertraglich zuweisen, mit der Folge, dass eine Kündigung des Kapitalgebers bei der Verwirklichung dieses Risikos ausscheidet.1132 Anerkannt ist die Wirksamkeit vergleichbarer Vereinbarungen z.B. bei stillen Beteiligungen, bei denen die stillen Gesellschafter durch § 723 Abs. 3 BGB i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht daran gehindert sind, vertraglich das Risiko der nachhaltigen Unrentabilität des Handelsgewerbes zu übernehmen und auf diese Weise auf das ihnen grundsätzlich zustehende Recht, die stille Gesellschaft ohne Einhaltung einer Frist zu kündigen,1133 zu verzichten.1134 1129 Siehe statt vieler Altmeppen in FS Sigle, 2000, S. 211 (213): Finanzplandarlehen sind keine besondere Variante des Kapitalersatzrechts. 1130 BGH v. 28.6.1999 – II ZR 272/98, BGHZ 142, 116 (122) = NJW 1999, 2809; Aleth/Stelmaszczyk/ Roderburg in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. B Rz. 17; Fleischer, DStR 1999, 1774 (1775); Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 30 GmbHG Rz. 185; Habersack, ZIP 2007, 2145 (2152); Habersack, ZGR 2000, 384 (413); Habersack, ZHR 161 (1997), 457 (478); Hommelhoff/Kleindiek in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 421 (439); Krolop, ZIP 2007, 1738, 1740; K. Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.113. 1131 BGH v. 8.2.2012 – XII ZR 42/10, NJW 2012, 1431 (1432 Rz. 27); BGH v. 26.5.1986 – VIII ZR 218/85, NJW 1986, 3134; BGH v. 4.4.1973 – VIII ZR 47/72, WM 1973, 694 (695); OLG Karlsruhe v. 22.7.1982 – 9 U 27/81, BB 1983, 725 (728); BT-Drucks. 14/6040, S. 176 zu § 314 BGB-E; Christensen in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, § 309 Nr. 9 BGB Rz. 20; Gaier in MünchKomm/ BGB, 7. Aufl. 2016, § 314 BGB Rz. 4; Grüneberg in Palandt, § 314 BGB Rz. 3; Müller in Kümpel/ Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.362; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 568; Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (656); Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (520); Sester, ZBB 2006, 443 (451); Stadler in Jauernig, § 314 BGB Rz. 3. Geringfügig abgeschwächt Dammann in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 309 Nr. 9 BGB Rz. 153-158: in der Regel nach § 307 BGB unwirksam. A.A. Gernhuber, Das Schuldverhältnis, 1989, § 16 II 5 = S. 394: Ausschluss für beschränkte Zeit möglich. 1132 Zu der Möglichkeit einer vertraglichen Risikoverteilung und der Auswirkungen auf das Recht zur außerordentlichen Kündigung siehe Gaier in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 314 BGB Rz. 4; Krebs in NK-BGB, § 314 BGB Rz. 55; Oetker, Das Dauerschuldverhältnis und seine Beendigung, 1994, S. 573 f.; wohl auch Sester, ZBB 2006, 443 (451): „zulässige Konkretisierung“. Wohl vorausgesetzt von Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 30 GmbHG Rz. 186, 188; Habersack, ZIP 2007, 2145 (2152). 1133 Zu dem Kündigungsrecht siehe statt vieler RG v. 28.1.1927 – II 25/26, JW 1927, 1350 (1351); OLG Dresden v. 11.2.1997 – 14 U 1119/96, GRUR 1998, 69 (71); Harbarth in Staub, 5. Aufl. 2015, § 234 HGB Rz. 32; Roth in Baumbach/Hopt, § 234 HGB Rz. 9; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2012, § 234 HGB Rz. 49. 1134 Horn, in Heymann, 2. Aufl. 1996, § 234 HGB Rz. 9; offen gelassen von OLG Brandenburg v. 9.6.2004 – 7 U 212/03, GmbHR 2004, 1390. Wohl vorausgesetzt von OLG Frankfurt v. 30.4.1997 – 23 U 204/95, GmbHR 1997, 892, das die Pflicht zur Einzahlung der Einlage in der Insolvenz

Fest

719

§ 221 AktG Rz. 404

Einzelne Instrumente

b) Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft 404

Das für Genussrechte begriffsnotwendige aktionärstypische Vermögensrecht (siehe Rz. 361) ist in der Praxis ganz überwiegend das sog. Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft.1135 Während für obligationsähnliche Genussrechte eine der Höhe nach vertraglich vereinbarte, aber gewinnabhängige Verzinsung charakteristisch ist (siehe Rz. 395), sind nur solche Genussrechte aktienähnlich ausgestaltet, deren Genussrechtsbedingungen gewinnorientierte Zahlungsansprüche vorsehen, die dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) im Grundsatz schuldrechtlich nachgebildet sind.

405

In den Genussrechtsbedingungen werden die Bemessungsgrundlage (eingehend dazu Rz. 407 f.), der Maßstab, nach dem der Gewinn zwischen den Genussrechtsgläubigern und den Aktionären aufgeteilt wird (eingehend dazu Rz. 410 ff.) und das Rangverhältnis (siehe Rz. 409) festgelegt. Hierbei genießen die Gesellschaften weitgehende Gestaltungsfreiheit (siehe Rz. 393). Da das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft die vertragscharakteristische Hauptleistungspflicht ist, sind die Genussrechtsbedingungen der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB insoweit entzogen, als sie die Gewinnbeteiligung unmittelbar ausgestalten. Diese Bestimmungen unterliegen ausschließlich einer Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.). Dies gilt z.B. für eine Bestimmung in den Genussrechtsbedingungen, die die auf Grundlage des Konzernergebnisses berechnete Leistungspflicht (siehe Rz. 408) für den Fall ausschließt, dass die Gesellschaft selbst keinen Gewinn erzielt hat, oder den Zahlungsanspruch auf den Jahresüberschuss, den Bilanzgewinn oder den ausschüttungsfähigen Gewinn der Gesellschaft beschränkt.1136 In diesen Fällen enthalten die Genussrechtsbedingungen regelmäßig das Versprechen einer Nachzahlung.1137

406

Neben dem Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft sehen die Genussrechtsbedingungen aktienähnlicher Genussrechte nicht selten eine gewinnunabhängige Mindestverzinsung des einbezahlten Genussrechtskapitals vor.1138 Diese hat – unabhängig von der Höhe des Zinssatzes – zwar u.a.1139 zur Folge, dass das Genussrechtskapital nicht als Eigenkapital

1135

1136 1137 1138

1139

720

unabhängig von der Rückständigkeit der Einlage (§ 236 Abs. 2 HGB) bejaht, die Möglichkeit der fristlosen Kündigung nach § 234 Abs. 1 Satz 2 HGB jedoch unerwähnt lässt. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 27; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 94; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 33; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 240; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 199; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 6; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 19; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 22; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (877). Wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 96. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 96. Baums in FS Horn, 2006, S. 249 (264); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 14; Große, DStR 2010, 1397; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 330; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 25; Linscheidt, DB 1992, 1852; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 202. Vgl. auch Nelles/Klusemann, FB 2003, 1 (7) für Nachrangdarlehen. Im Ertragsteuerrecht – konkret: §§ 17 Abs. 1 Satz 3, 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 EStG und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG – ist umstritten, wie die gewinnunabhängige Mindestverzinsung ausgestaltet sein muss, um den Beteiligungscharakter der Genussrechte auszuschließen. Im Anschluss an RFH v. 16.12.1931 – II A 394/31, RStBl. 1932, 746 (747) bemüht eine Ansicht in der Literatur einen Binnenvergleich zwischen den festen und den variablen Vergütungsbestandteilen und verlangt für die Erhaltung des Beteiligungscharakters der Genussrechte, dass die erfolgsabhängige Vergütung bei einer wirtschaftlichen Betrachtung im Vordergrund steht, siehe Breuninger/Prinz, DStR 2006, 1345 (1347); Gosch in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 151; Häuselmann, BB 2007, 931 (934); Lang in

Fest

Genussrechte

Rz. 407 § 221 AktG

bilanziert werden darf (siehe Rz. 338 f.).1140 Der Anwendung von § 221 Abs. 3, 4 AktG steht sie aber nicht entgegen,1141 da sie das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft als aktionärstypisches Vermögensrecht unberührt lässt. aa) Bemessungsgrundlage Die inhaltlichen Anforderungen an die Gewinnbeteiligung sind im Lichte des Normzwecks zu bestimmen. Sowohl das Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) als auch das Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.) beruhen auf der Prämisse, dass das Genussrecht aufgrund zumindest eines aktionärstypischen Rechts – hier: des Rechts am Gewinn – mit einem mitgliedschaftlichen Recht der Aktionäre – hier: dem Anspruch auf den Bilanzgewinn (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) – konkurriert (siehe Rz. 361). Dieses Konkurrenzverhältnis besteht nur, wenn in die Bemessungsgrundlage des Zahlungsanspruchs der Genussrechtsgläubiger zumindest teilweise Gewinnbestandteile einfließen, die zugleich Grundlage des konkreten Gewinnauszahlungsanspruchs der Aktionäre sind. Dies ist nicht nur der Fall, wenn sich die Höhe des Zahlungsanspruchs an den gezahlten Dividenden orientiert.1142 Der Begriff des Gewinns ist vielmehr weit zu verstehen und umfasst auch solche Gestaltungen, die den Jahresüberschuss (§ 275 Abs. 2 Nr. 17 bzw. Abs. 3 Nr. 8 HGB),1143 den Bilanzgewinn (§ 158 Abs. 1

1140 1141 1142

1143

Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 8 Abs. 3 KStG Teil A Rz. 109; Schulte in Erle/Sauter, § 8 KStG Rz. 320; Wüllenkemper, FR 1991, 473 (474); ähnlich Linscheidt, DB 1992, 1852 (1853); vgl. auch Grieger, WM 1958, 914 (917) zu § 7 Satz 2 KStG a.F. Eine andere Ansicht vergleicht die feste Mindestverzinsung des Genussrechts mit Schuldtiteln, deren Anleihebedingungen ausschließlich eine feste Verzinsung vorsehen. Unter Anwendung dieses Maßstabs sei ein Beteiligungscharakter anzunehmen, wenn die Höhe der Mindestverzinsung geringer sei als der Nominalzins des gegen Ausgabe anderer Schuldtitel einbezahlten Kapitals, siehe Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/ UmwStG, § 8 KStG Rz. 387; Kratzsch, BB 2007, 1817 (1822 f.); Kratzsch, BB 2005, 2603 (2606); Stein in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 187. Die Rechtsprechung und die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur legen ihrer Entscheidung eine Prognose über zukünftige Dividenden zu Grunde. Danach sei trotz der gewinnunabhängigen Mindestverzinsung von einem Beteiligungscharakter auszugehen, wenn zum Zeitpunkt der Ausgabe der Genussrechte damit zu rechnen gewesen ist, dass aufgrund der Ertragskraft des Unternehmens üblicherweise ein Gewinn erwirtschaftet wird, so dass die Aktionäre in Zukunft eine mindestens gleich hohe Dividenden erhalten werden, siehe BFH v. 28.6.1960 – I 85/60, HFR 1961, 13 (14) zu § 7 Satz 2 KStG a.F.; Emde, Der Genußschein als Finanzierungsinstrument, 1987, S. 75 f.; Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, § 16 IV 1 = S. 591; Staiger in Lademann, § 8 KStG Rz. 311; ähnlich Sontheimer, BB 1984, Beilage 19, S. 1 (5). IDW, HFA 1/1994 unter Abschnitt 2.1.1, abgedruckt in WPg 1994, 419 (420); Emmerich/Neumann, WPg 1994, 677 (682); Stadler, NZI 2003, 579 (582). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 94; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 289; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 34; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 290; Lutter in KölnKomm/AktG, § 221 AktG Rz. 200; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 20; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 32; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 102 ff.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 34; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 291; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 200; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 32; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98.

Fest

721

407

§ 221 AktG Rz. 408

Einzelne Instrumente

Satz 1 Nr. 5 AktG bzw. § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB),1144 den ausschüttungsfähigen Gewinn,1145 die vertraglich näher bestimmte Gesamtkapitalrendite,1146 betriebswirtschaftliche Ergebniskennzahlen (z.B. EBIT, EBITDA)1147 oder den Ertrag aus der Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter1148 als Bemessungsgrundlage festlegen. 408

Nicht erforderlich ist, dass der Gewinn der Gesellschaft die alleinige Bemessungsgrundlage der Gläubigerrechte bildet. Es genügt, wenn der Gewinn – unabhängig von seinem Gewicht – in eine breitere Bemessungsgrundlage (z.B. das Gesamtergebnis des Konzerns oder die Durchschnittsdividende mehrerer Aktiengesellschaften) einfließt.1149 Diese Gestaltungen können zur Folge haben, dass die Gesellschaft – wenn die Genussrechtsbedingungen die Entstehung des Anspruchs nicht entsprechend einschränken – auch dann zu Zahlungen verpflichten ist, wenn sie selbst keinen Gewinn erzielt hat.1150 Ähnlich den sog. Spartenaktien (tracking stocks), die zwar rechtlich zulässig,1151 in Deutschland aber noch unüblichen sind,1152 können auch Genussrechte das Ergebnis nur einer Sparte oder eines (Teil-)Betriebs der Emissionsgesellschaft zur Bemessungsgrundlage erklären.1153 Erforderlich ist allerdings, dass es sich – wie bei Gewinnschuldverschreibungen (siehe Rz. 316) – um Gewinnbestandteile der Gesellschaft handelt, die die Genussrechte gewährt hat. Keine Genussrechte sind daher Ge1144 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 105 ff.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 34; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 291; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 32. 1145 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 291; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 98. 1146 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 291; Meilicke, BB 1987, 1609 (1611); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17; so wohl auch Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1384): EBIT. 1147 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 108; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 34. 1148 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 111 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 290, 295; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 208; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98. 1149 RG v. 30.9.1927 – II 40/27, RGZ 118, 152 (155); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 56; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 324, 393; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 295; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 208, 209; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 73. 1150 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 393. 1151 Baums in FS Boujong, 1996, S. 19 (35); Butzke in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 6 Rz. 43; Fuchs, ZGR 2003, 167 (169); Hüffer/Koch, § 11 AktG Rz. 4; Sailer-Coceani in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 13 Rz. 10; Vatter in Spindler/Stilz, § 11 AktG Rz. 9; a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 56 mit Fn. 206; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 42. 1152 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 11 AktG Rz. 4. 1153 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 124; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 34; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 393; Karollus in G/H/E/K, AktG, 1993, § 221 AktG Rz. 295; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 208; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 56; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98.

722

Fest

Genussrechte

Rz. 410 § 221 AktG

staltungen, die das Ergebnis nur einer anderen Gesellschaft oder das Durchschnittsergebnis ausschließlich anderer Unternehmen zur Bemessungsgrundlage erklären.1154 Bei diesen Gestaltungen konkurrieren die Gläubiger und die Aktionäre nicht um denselben Gewinn. bb) Rangverhältnis Die gewinnorientierten Auszahlungen an die Genussrechtsgläubiger sind erfolgswirksam und mindern daher grundsätzlich den Jahresüberschuss und den Bilanzgewinn der Gesellschaft. Mit anderen Worten: Die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger sind im Verhältnis zu dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG) grundsätzlich vorrangig. Die Genussrechtsbedingungen können diesen Vorrang lediglich (deklaratorisch) feststellen oder hiervon abweichend (konstitutiv) anordnen, dass die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger gleich- oder sogar nachrangig im Verhältnis zu dem Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre sind.1155 Des Weiteren kann – und sollte – die Gesellschaft in den Genussrechtsbedingungen auch das Rangverhältnis der Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger zu Ansprüchen anderer Gewinnschuldverschreibungs- und Genussrechtsgläubiger bestimmen.1156

409

cc) Aufteilungsmaßstab Sind die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger entsprechend dem gesetzlichen Regelfall vorrangig gegenüber dem abstrakten Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre (siehe Rz. 409), können die Genussrechtsbedingungen einen Maßstab für die Aufteilung des Gewinns festlegen. Hierdurch kann verhindert werden, dass die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger sämtliche ausschüttungsfähigen Gewinnbestandteile aufzehren und die Aktionäre leer ausgehen.1157 Der Festlegung eines Aufteilungsmaßstabs bedarf es auch dann, wenn die Genussrechtsbedingungen bestimmen, dass die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger im Verhältnis zu dem Gewinnbeteiligungsanspruch der Aktionäre gleichrangig sind (siehe Rz. 409), die Genussrechtsgläubiger und die Aktionäre also um dieselben Gewinnbestandteile konkurrieren.1158 Bei der Festlegung des Aufteilungsmaßstabs können die Gesellschaften aus zwei Gestaltungsvarianten wählen:

1154 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 95; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 209; wohl a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 295. 1155 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 14; Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 88 f.; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 119 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 98; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 294; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 207; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 6; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 34; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (877 f.). Kritisch Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 127 im Hinblick auf die Vereinbarkeit eines Nachrangs mit § 307 BGB. 1156 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 98; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 35; kritisch im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit den §§ 307 ff. BGB Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 45. 1157 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 58. 1158 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 97.

Fest

723

410

§ 221 AktG Rz. 411

Einzelne Instrumente

411

Genussrechte, die gegen Geldleistungen gewährt werden, lauten in der Regel auf einen Nennbetrag.1159 Dieser entspricht entweder dem eingezahlten Genussrechtskapital oder dem Betrag, dessen Rückzahlung die Gesellschaft – vorbehaltlich einer Verlustteilnahme – für das Ende der Laufzeit des Genussrechts verspricht.1160 Bei diesen sog. Nominalgenussrechten wird der Nennbetrag der Genussrechte aus der jeweiligen Emission oder der Nennbetrag des gesamten Genussrechtskapitals in Verhältnis zu dem Grundkapital gesetzt.1161 In Anwendung dieser Relation wird aus dem in den Genussrechtsbedingungen festgelegten Gewinn der den Genussrechtsgläubigern zustehende Anteil bestimmt, der nach Maßgabe der Nennbeträge der einzelnen Genussrechte unter den Genussrechtsgläubigern aufgeteilt wird.1162 Die Relation ist regelmäßig keine statische, sondern eine dynamische Größe. Dies birgt für die Genussrechtsgläubiger die Gefahr, dass ihr Gewinnanteil durch nachträgliche Genussrechtsemissionen und Kapitalerhöhungen verringert wird.1163 Anderes gilt, wenn die Relation statisch ausgestaltet ist, sich also aus dem Nennbetrag der Genussrechte der Emission und dem Grundkapital im Zeitpunkt der Emission dieser Genussrechte zusammensetzt.

412

Die alternative Gestaltung sind sog. Quotengenussrechte, bei denen die Genussrechtsbedingungen für jedes einzelne Genussrecht eine Quote festlegen (z.B. ein Euro pro Genussschein je einer Mio. Jahresüberschuss),1164 die durch nachträgliche Erhöhungen und Herabsetzungen des Grundkapitals sowie weitere Genussrechtsemissionen nicht verändert wird.1165 c) Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös der Gesellschaft

413

Das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös ist ein aktionärstypisches Vermögensrecht (§ 271 Abs. 1 AktG), das ein Genussrecht auch dann konstituiert, wenn die Genussrechtsbedingungen keine weiteren aktionärstypischen Vermögensrechte (z.B. das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft, eingehend dazu Rz. 404 ff.) enthalten.1166 Wird es ver1159 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 203; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 7; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 77; a.A. A. Hueck in Baumbach/ Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 9: Genussrechte haben keinen Nennwert. Eine § 8 Abs. 2 Satz 1 AktG vergleichbare Regelung, die einen Mindestnennbetrag vorschreibt, existiert für Genussrechte aufgrund ihrer schuldrechtliche Natur (siehe Rz. 359) nicht, siehe Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 203; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 7. 1160 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 203. 1161 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 126; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 97; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 292; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 203; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 58. 1162 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 97; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 58. 1163 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 126; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 97, 302 ff.; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 292; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 205; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 58. 1164 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 126; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 97; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 293; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 204; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 58. 1165 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 293; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 205; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 58. 1166 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 89; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 114; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 316; wohl auch Lutter in

724

Fest

Genussrechte

Rz. 415 § 221 AktG

traglich den Gläubigern der Gesellschaft eingeräumt, konkurrieren sie mit den Aktionären um den Liquidationserlös (siehe Rz. 361). Diese Konkurrenz hat der Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Entscheidung über die Ausgabe der Genussrechte in die Hände der Hauptversammlung zu legen (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und den Aktionären ein Bezugsrecht zuzugestehen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktGm, eingehend dazu Rz. 562 ff.). aa) Begriff des Liquidationserlöses Der Begriff des Liquidationserlöses ist im Lichte des Normzwecks auszulegen und daher auf Gestaltungen zu beschränken, in denen das Recht der Genussrechtsgläubiger mit dem Recht der Aktionäre konkurriert (siehe Rz. 361). Eine solche Konkurrenz besteht nur, wenn den Gläubigern eine vermögensmäßige Beteiligung an dem sog. Liquidationsmehrerlös, d.h. dem der Gesellschaft nach Befriedigung der (anderen) Gläubiger verbleibenden Nettovermögen einschließlich der stillen Reserven, eingeräumt ist.1167 Keine Beteiligung an dem Liquidationserlös liegt demnach vor, wenn die Vertrags- bzw. Genussrechtsbedingungen eine gewinnunabhängige Verzinsung vorsehen und die Rückzahlung des eingezahlten Kapitals lediglich bis zur Abwicklung der Gesellschaft hinausschieben.1168

414

Nach der in der Literatur bislang einhellig vertretenen Ansicht soll das Recht auf Beteiligung am Liquidationserlös auch solche Gestaltungen umfassen, bei denen die Gläubiger bei der Rückzahlung des eingezahlten Kapitals vor der Liquidation eine Beteiligung an den stillen Reserven (z.B. in Form einer Zuzahlung, deren Höhe durch einen stichtagsbezogenen Börsenkurs oder einen Durchschnittsbörsenkurs während eines vertraglich festgelegten Referenzzeitraums bestimmt wird) beanspruchen können.1169 Dem ist zu widersprechen. Zwar können die Aktionäre ihre Beteiligung an den Vermögensbestandteilen, die – würde die Gesellschaft zu dem Zahlungszeitpunkt abgewickelt – zu dem Liquidationsmehrerlös zählen würden, bereits während der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft realisieren, nämlich durch die Veräußerung der Aktien zu einem über der Summe der Verbindlichkeiten liegenden Verkaufspreis. Die Veräußerung der Aktien konkurriert aber nicht mit dem Anspruch der Gläubiger auf eine an den stillen Reserven orientierte Zuzahlung vor der Liquidation. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nur der gegen die Gesellschaft gerichtete Anspruch der Gläubiger geeignet ist, stille Reserven abzuschöpfen. Die Veräußerung von Aktien lässt die stillen Reserven der Gesellschaft hingegen unberührt. Die Leistung der versprochenen Zuzahlung vermindert zwar das Gesellschaftsvermögen und damit in der Regel auch den inneren Wert der Aktie. Diese wirtschaftliche Folge ist aber sämtlichen Zahlungspflichten eigen, bei denen der Kapitalabfluss nicht durch eine gleichwertige Gegenleistung kompensiert wird, z.B. auch herkömmlichen Schuldverschreibungen.1170 Mit einem Vermögensrecht der Aktionäre konkurrieren diese Gläubigeransprüche bereits deshalb nicht, weil unter den Aktionären vor der Auflösung der

415

1167

1168

1169 1170

KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 211; a.A. RG v. 22.11.1927 – II 123/27, Gruchot 70, 276 (279): Genussscheine müssen am Gewinn beteiligt sein. Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 131; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 114; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 316; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 74; wohl auch Haberstock/ Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 37. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 115; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 317; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 75; a.A. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 36, die einem Aufschub der Rückzahlung bis zur Abwicklung der Gesellschaft Gestaltungen gleichstellen, in denen der Rückzahlungsanspruch wirtschaftlich wertlos ist. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 114; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 316; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 74 f. Im Ergebnis wohl auch Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 37.

Fest

725

§ 221 AktG Rz. 416

Einzelne Instrumente

Gesellschaft und dem Ablauf der Sperrfrist1171 nur der Bilanzgewinn – nicht aber die stillen Reserven – verteilt werden dürfen, § 57 Abs. 3 AktG. bb) Ausgestaltung der Beteiligung in den Genussrechtsbedingungen 416

Das Recht der Genussrechtsgläubiger am Liquidationserlös ist ein schuldrechtlicher Zahlungsanspruch. Diesen können die Gesellschaften in den Genussrechtsbedingungen näher ausgestalten. Soweit die Bestimmungen Art und Umfang des Zahlungsanspruchs unmittelbar festlegen, sind sie der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen.1172 Insoweit findet ausschließlich eine Transparenzkontrolle statt (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.). Die Gesellschaften genießen also weitgehende Gestaltungsfreiheit.

417

Hinsichtlich Art und Umfang der Beteiligung können die Gesellschaften zwischen obligations- und aktienähnlichen Gestaltungsvarianten wählen: Die Genussrechte sind obligationsähnlich, wenn sich die Gesellschaft – ähnlich einem gewinnabhängigen Zinsanspruch (siehe Rz. 395) – nur für den Fall, dass ein Liquidationsmehrerlös existiert, zur Zahlung eines vertraglich festgelegten Betrags (z.B. des Nennbetrags) verpflichtet. Aktienähnlich sind die Genussrechte hingegen, wenn die Gesellschaft – ähnlich einem echten Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 404 ff.) – den Zahlungsanspruch dahingehend ausgestaltet, dass der Liquidationsmehrerlös (auch) die Höhe des zu zahlenden Geldbetrags bestimmt. Bei aktienähnlichen Ausgestaltungen können die Gesellschaften in den Genussrechtsbedingungen ferner den Umfang der Beteiligung bestimmen. Zur Auswahl stehen – wie bei der Ausgestaltung des Rechts am Gewinn (siehe Rz. 410 ff.) – eine Berechnung auf Grundlage des Nennbetrags der Genussrechte im Verhältnis zu dem Grundkapital und die Festlegung eines Bruchteils an dem Liquidationsmehrerlös für jedes Genussrecht.1173

418

Bei aktienähnlichen Gestaltungsvarianten wird der Umfang der Zahlungsansprüche auch durch das Rangverhältnis zu dem Recht der Aktionäre auf den Liquidationsüberschuss bestimmt. Als Verbindlichkeiten der Gesellschaft sind die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger grundsätzlich vor der Verteilung des Liquidationsüberschusses unter den Aktionären zu berichtigen, § 271 Abs. 1 AktG. Die Genussrechtsbedingungen können diesen Vorrang lediglich (deklaratorisch) feststellen oder hiervon abweichend (konstitutiv) anordnen, dass die Zahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger gleichrangig im Verhältnis zu dem Recht der Aktionäre sind.1174 Schließlich kann die Gesellschaft in den Genussrechtsbedingungen auch das Rangverhältnis zu Ansprüchen anderer Genussrechtsgläubiger (z.B. anderer Emissionen) bestimmen. cc) Verhältnis zu dem Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft

419

Von der Möglichkeit, den Genussrechtsgläubigern das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös einzuräumen (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.), wird gegenwärtig in Anbetracht der für die Gesellschaft nachteiligen Rechtsfolge des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG allenfalls selten Gebrauch gemacht.1175 Danach sind die Zahlungen an die Gläubiger – unabhängig 1171 Zu dieser Ergänzung des Wortlauts des § 57 Abs. 3 AktG siehe statt vieler Fleischer in K. Schmidt/ Lutter, § 57 Rz. 72. 1172 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 7. 1173 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 132. 1174 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 134. 1175 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 133; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 114; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 37; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 316; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 211; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 74.

726

Fest

Genussrechte

Rz. 422 § 221 AktG

von der zivilrechtlichen Ausgestaltung der Genussrechtsbedingungen im Übrigen – zwar Betriebsausgaben (§ 4 Abs. 4 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG). Diese dürfen aber das Einkommen der Kapitalgesellschaft ebenso wenig mindern wie Dividenden und werden zu diesem Zweck dem Unterschiedsbetrag i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG im Rahmen einer außerbilanziellen Korrektur hinzugerechnet (siehe Rz. 340). d) Teilnahme am Verlust der Gesellschaft Werden Genussrechte gegen Geldleistung gewährt, sehen die Genussrechtsbedingungen in der Regel – im Ausgangspunkt übereinstimmend mit herkömmlichen Schuldverschreibungen – die Rückzahlung des eingezahlten Kapitals1176 nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit vor.1177 Die aktienähnliche Ausgestaltung des Rückzahlungsanspruchs erfordert, dass die Gläubiger wirtschaftlich ein den Aktionären vergleichbares Risiko tragen, also das von ihnen eingezahlte Kapital an Verlusten der Gesellschaft teilnimmt.1178 Die Verlustteilnahme wird in erster Linie dadurch realisiert, dass die Genussrechtsbedingungen für das Ende der Laufzeit keinen festen und unbedingten Anspruch auf Rückzahlung des eingezahlten Kapitals vorsehen, sondern der Gesellschaft zumindest die Möglichkeit einräumen, den Rückzahlungsbetrag um während der Laufzeit eingetretene Verluste zu kürzen.1179 Hierdurch unterscheiden sich verbriefte aktienähnliche Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG von Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG (eingehend dazu Rz. 308 ff.), für die ein fester und unbedingter Rückzahlungsanspruch charakteristisch ist (siehe Rz. 321 f.).

420

aa) Motive für die Verlustbeteiligung (1) Aufsichtsrechtliche Eigenmittelvorgaben Werden Genussrechte von Kreditinstituten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG), Finanzdienstleistungsinstituten (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG) bzw. Wertpapierfirmen (Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Richtlinie 2013/36/EU) oder Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG) gewährt, ist die Vereinbarung, die Genussrechtsgläubiger am Verlust der Gesellschaft zu beteiligen, häufig durch die aufsichtsrechtlichen Eigenmittelanforderungen motiviert.

421

Bei Genussrechten, die von Kreditinstituten (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG), Finanzdienstleistungsinstituten (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG) unter Anwendung von § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG in der bis zum 31.12.2013 geltenden Fassung gewährt wurden, war das Genussrechtskapital dem Ergänzungskapital nur zuzurechnen, wenn es u.a. bis zur vollen Höhe am Verlust teilnahm. Seit dem 1.1.2014 ergeben sich die Eigenmittelanforderungen unmittelbar aus den Art. 25 ff. Verordnung (EU) Nr. 575/2013, § 1a KWG. Das zusätzliche Kernkapital umfasst nur zeitlich unbefristete Instrumente (Art. 52 Abs. 1 Buchst. g Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013), bei denen sich die Verlustbeteiligung der Genussrechtsgläubiger mangels einer Rückzahlungsverpflichtung darin erschöpft, dass die Verluste die laufenden Ausschüttungen verhindern (Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. i Verordnung (EU) Nr. 575/2013) oder die Gesellschaft

422

1176 Genussrechte haben keinen Nennbetrag, siehe A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 9. Gleichwohl wird der vertraglich vereinbarte Rückzahlungsbetrag häufig als Nennbetrag bezeichnet, so z.B. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 329. 1177 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 116; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 32. 1178 A.A. wohl nur Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 28, 49; Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 176: Verlustteilnahme sei kein aktionärstypisches Vermögensrecht. 1179 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 102; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 299; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 61.

Fest

727

§ 221 AktG Rz. 423

Einzelne Instrumente

zumindest berechtigen, diese für unbefristete Zeit und auf nicht kumulierter Basis ausfallen zu lassen (Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. ii Verordnung (EU) Nr. 575/2013).1180 Auch die Zugehörigkeit von Genussrechtskapital zum Ergänzungskapital (Art. 63 Verordnung (EU) Nr. 575/2013) erfordert keine Verlustbeteiligung der Gläubiger;1181 vielmehr dürfen die Genussrechtsbedingungen nicht vorsehen, dass die Zinszahlungen aufgrund der Bonität des Instituts angepasst werden (Art. 63 Buchst. m Verordnung (EU) Nr. 575/2013). Ursächlich für die Erleichterung der Anforderung ist, dass die inhaltlichen Vorgaben des Art. 63 Abs. 2 Satz 1 Buchst. d Richtlinie 2006/4/EG und des Art. 63a Abs. 4 Halbs. 1 Richtlinie 2006/4/EG in der Fassung des Art. 1 Nr. 10 Richtlinie 2009/111/EG – deren Umsetzung erfolgte in § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F. – nicht in die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 übernommen wurden. Diese Abweichung ist – ausweislich der Befristung bis zum Jahr 2019 in Erwägungsgrund 79 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 – allerdings wohl nur vorübergehender Natur. Sie ist durch die Auswirkungen der Finanzkrise motiviert und soll den Kreditinstituten und Wertpapierfirmen die Aufnahme zusätzlichen Kern- und Ergänzungskapitals dadurch erleichtern, dass die Anleger keine Beteiligung an den Verlusten der Gesellschaft fürchten müssen. Für die Zeit nach dem Jahr 2019 ist eine schrittweise Rückkehr zu dem Grundsatz zu erwarten, dass dem Ergänzungskapital nur eingezahlte Kapitalbestandteile zuzurechnen sein werden, die umfassend an auftretenden Verlusten teilnehmen. 423

Bei kleinen Versicherungsunternehmen (§ 211 Abs. 1 VAG) ist das gegen Gewährung von Genussrechten eingezahlte Kapital den Eigenmitteln gemäß § 214 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VAG – die Vorschrift entspricht inhaltlich § 53c Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 VAG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung1182 – nur zuzurechnen, wenn es u.a. bis zur vollen Höhe am Verlust teilnimmt. Bei anderen Versicherungsunternehmen ist die Vereinbarung einer Verlustteilnahme nur erforderlich, wenn das eingezahlte Kapital als Tier 1-Basiseigenmittelbestandteil eingestuft werden soll, Art. 71 Abs. 1 Buchst. e Nr. i, Abs. 5 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35. (2) Vermögenswirksame Leistungen an Arbeitnehmer

424

Die Vereinbarung einer Verlustbeteiligung des eingezahlten Genussrechtskapitals kann auch dadurch motiviert sein, dass vermögenswirksame Leistungen zum Zweck des Erwerbs nur solcher Genussrechte (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. l 5. VermBG) und Genussscheine (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f Alt. 1 5. VermBG) gewährt und eingesetzt werden dürfen, bei denen die Rückzahlung zum Nennwert nicht zugesagt ist, § 2 Abs. 4 Halbs. 1 5. VermBG (siehe Rz. 354). bb) Unterscheidung vom bloßen Nachrang

425

Von der Verlustteilnahme des eingezahlten Kapitals sind Nachrangvereinbarungen (eingehend dazu Rz. 455 ff.) zu unterscheiden. Insbesondere ist die Bestimmung in den Anleihebedingungen, dass ein fester und unbedingter Rückzahlungsanspruch nur nachrangig zu bedienen ist, entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht1183 keine Form der Verlustteilnahme. Zwar trifft es zu, dass die Gläubiger derart ausgestalteter Rückzahlungsansprüche insoweit 1180 Siehe auch Maerker/Ashrafnia, DB 2014, 2210 (2212): Die Zugehörigkeit zum zusätzlichen Kernkapital erfordert keine Verlustteilnahme. 1181 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 101, 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 30; Konesny/Glaser in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR, 5. Aufl. 2016, Art. 63 CRR Rz. 6; Paul/Stein/Kaltofen, DStR 2013, 1849 (1850); Verse/Wiersch, NZG 2014, 5 (11). 1182 BT-Drucks. 18/2956, S. 277 zu § 214 VAG-E. 1183 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 129; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 102; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 42; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 299; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 306; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 62.

728

Fest

Genussrechte

Rz. 427 § 221 AktG

ein den Aktionären vergleichbares wirtschaftliches Risiko tragen, als ihr Rückzahlungsanspruch bei Überschuldung der Gesellschaft wertlos ist.1184 Entscheidend hierfür ist aber das allgemeine Emittenten- bzw. Bonitätsrisiko, das aufgrund der Nachrangvereinbarung lediglich erhöht ist. Dies wird offenbar, wenn die Gesellschaft am Ende der Laufzeit der Instrumente solvent ist. Sehen die Anleihebedingungen einen festen und unbedingten Rückzahlungsanspruch vor, der lediglich nachrangig im Verhältnis zu sämtlichen nicht nachrangigen Forderungen zu bedienen ist, nimmt das eingezahlte Kapital nur ausnahmsweise an Verlusten der Gesellschaft teil, nämlich in der Abwicklung und Insolvenz der Gesellschaft. Ist die Gesellschaft am Ende der Laufzeit des Instruments hingegen solvent, führt der bloße Nachrang des festen und unbedingten Rückzahlungsanspruchs auch dann nicht zu einer Verlustbeteiligung des Kapitals, wenn die Gesellschaft während der Laufzeit des Instruments Verluste erlitten hat. Im Gegensatz dazu führt die Vereinbarung, dass das eingezahlte Kapital an Verlusten der Gesellschaft teilnimmt, auch dann zu einer Kürzung des zurückzuzahlenden (Nenn-)Betrags, wenn die Gesellschaft am Ende der Laufzeit des Instruments solvent ist. Die somit gebotene Unterscheidung zwischen der Verlustteilnahme des eingezahlten Kapitals und Nachrangvereinbarungen hat zur Folge, dass Schuldverschreibungen, deren Anleihebedingungen den Gläubigern lediglich den Nachrang eines festen und unbedingten Rückzahlungsanspruchs auferlegen, keine Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG, sondern Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG sind. cc) Ausgestaltung Für die Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals ist eine Bestimmung in den Genussrechtsbedingungen erforderlich, aber auch ausreichend,1185 dass die Höhe des mit Ablauf der vertraglichen Laufzeit fällig werdenden Rückzahlungsanspruchs vom Unternehmensergebnis abhängig ist und der Rückzahlungsbetrag unter dem Nominalbetrag des eingezahlten Kapitals liegen kann. Diese Bestimmungen legen bei aktienähnlichen Genussrechten den Inhalt der Hauptleistungspflicht, namentlich den Umfang des Rückzahlungsanspruchs, unmittelbar fest und sind der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen.1186 Insoweit findet lediglich eine Transparenzkontrolle statt (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.).

426

Von den Bestimmungen, dass das eingezahlte Kapital am Verlust der Gesellschaft beteiligt 427 sein soll, sind die Regelungen betreffend die Art und Weise der Verlustbeteiligung zu unterscheiden. Letztere gestalten die Rückzahlungspflicht nur mittelbar aus und unterliegen daher nicht nur einer Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.), sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle.1187 Als wirksam sind insbesondere 1184 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 102. 1185 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 362: Herabsetzung des Genussrechtskapitals nur im Verfahren nach den Art. 30 ff. Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 ff. Richtlinie 77/91/EWG). Dem steht entgegen, dass die Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Richtlinie 77/91/EWG) keine Regelungen betreffend Genussrechte enthält (siehe Rz. 400 ff.). 1186 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (707 Rz. 29) = NZG 2014, 661; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 7; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 145; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 105, 107, 259; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 44; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 400; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 35a; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 63; Sethe, WM 2012, 577 (583); vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (315) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 361 jeweils zu § 8 AGBG. 1187 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (707 Rz. 29) = NZG 2014, 661; OLG Frankfurt v. 16.11.2011 – 19 U 12/11, AG 2012, 596 (597); LG München I v. 16.6.2011 – 5 HK O 20632/10,

Fest

729

§ 221 AktG Rz. 428

Einzelne Instrumente

zwei Gestaltungsvarianten anerkannt: zum einen die laufende Anrechnung von Verlusten auf das Genussrechtskapital (eingehend dazu Rz. 428 ff.), zum anderen die Koppelung der Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals an die Herabsetzung des Grundkapitals (eingehend dazu Rz. 436 ff.). Bei der weiteren Ausgestaltung dieser Varianten haben die Gesellschaften die Wahl, ob – die Verwirklichung des Tatbestands unterstellt – die Verringerung des Genussrechtskapitals ipso iure eintreten oder die Gesellschaft berechtigt sein soll, darüber nach ihrem Ermessen zu entscheiden. Nur in der letztgenannten Gestaltungsvariante sind die Gerichte auch zu einer Ausübungskontrolle berufen (siehe Rz. 479). (1) Laufende Anrechnung von Verlusten 428

Die Gestaltungsvariante, Verluste laufend auf das Genussrechtskapital bzw. den Rückzahlungsanspruch anzurechnen, ist der Regelung des § 232 Abs. 2 Satz 1 HGB für die Einlage stiller Gesellschafter nachgebildet. Das gegen Gewährung der Genussrechte eingezahlte Kapital wird – wie bei einer Personengesellschaft – einem Kapitalkonto gutgeschrieben und um die während der Laufzeit erlittenen Verluste verringert.1188 Hierbei ist auch die Vereinbarung eines sog. negativen Kapitalkontos möglich,1189 bei dem die Anrechnung von Verlusten nicht durch den Betrag des eingezahlten Kapitals begrenzt ist. Die Wirksamkeit dieser Bestimmung erfordert nicht die komplementäre Vereinbarung, dass die Wiederauffüllung des Kapitalkontos mit Gewinnbestandteilen den Betrag des eingezahlten Kapitals übersteigen kann.1190 Der Hinweis der Gegenansicht auf ein Gebot der Parität zwischen Gewinn- und Verlustbeteiligung verfängt bereits deshalb nicht, weil Genussrechte das Recht auf Beteiligung am Gewinn auch ohne Verlustteilnahme des Genussrechtskapitals gewähren können. (a) Begriff des Verlusts

429

Bei dieser Gestaltung muss die Gesellschaft in den Genussrechtsbedingungen den gesetzlich nicht näher bestimmten Begriff des Verlusts festlegen. In Betracht kommen insbesondere der Jahresfehlbetrag (§§ 266 Abs. 3 A V, 275 Abs. 2 Nr. 20, Abs. 3 Nr. 19 HGB),1191 der Bi-

1188

1189

1190 1191

730

ZIP 2011, 1758 (1760); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 7; Casper, ZIP 2015, 201 (208); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 35a; Maerker/Ashrafnia, DB 2014, 2210 (2212); Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (689); Sethe, WM 2012, 577 (583); vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (315) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 361; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 222; Lutter, ZGR 1993, 291 (296) jeweils zu § 8 AGBG; wohl a.A. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 44; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 400. Unklar Habersack, NZG 2014, 1041. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 137; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 123; Habersack, NZG 2014, 1041; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 102, 103; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 40; Johannemann in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, 2008, § 10 Rz. 18; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 301; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 61; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 35; Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44 (45). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 106; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 304; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 67; a.A. Fischer in Ekkenga/ Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 140, 149; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 369. So aber Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 106; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 400; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 304. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 277; Merkt in

Fest

Genussrechte

Rz. 429 § 221 AktG

lanzverlust (§ 268 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 HGB)1192 und das (negative) Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit (§ 275 Abs. 2 Nr. 14, Abs. 3 Nr. 13 HGB)1193. Von dem Jahresfehlbetrag unterscheidet sich der Bilanzverlust u.a. dadurch, dass er nicht nur diesen, sondern auch einen Verlustvortrag berücksichtigt.1194 Wird der Begriff des Bilanzverlusts ohne Normzusatz (§ 268 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 HGB) verwendet, ist er bei der gebotenen objektiven Auslegung der Genussrechtsbedingungen (§§ 133, 157 BGB) gleichwohl regelmäßig im Sinne der handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften zu verstehen.1195 Werden die Genussrechte von einem Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG) gewährt, kommt ausnahmsweise eine Auslegung im Sinne der aufsichtsrechtlichen Eigenmittelbegrifflichkeiten in Betracht.1196 Mit der Festlegung des Verlustbegriffs wird der Umfang des Rückzahlungsanspruchs unmittelbar ausgestaltet, so dass diese Bestimmung der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen ist.1197 Insoweit findet ausschließlich eine Transparenzkontrolle statt (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.).

1192

1193

1194 1195

1196 1197

K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 65. Siehe beispielhaft auch OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (795 f. Rz. 4) = WM 2016, 645. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 23 ff.) = NZG 2014, 661; OLG Köln v. 25.9.2012 – 15 U 101/10, NZG 2014, 227 (228); OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (340); OLG Frankfurt v. 16.11.2011 – 19 U 12/11, AG 2012, 596 (597); LG München I v. 16.6.2011 – 5 HK 20632/10, ZIP 2011, 1758 (1759); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 15; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 277. Vgl. Habersack, AG 2009, 801 (802); Henke, WM 1985, 41 (44); Kokemoor, WM 2009, 1637 (1640); Kokemoor in Beck/Samm/Kokemoor, KWG, § 10 Rz. 198; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 65; Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (681); Schick, BB 1985, 2137 (2138) jeweils zu § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F.; vgl. auch Lipowsky in Prölss, VAG, § 53c Rz. 39 zu § 53c VAG a.F. Unter Geltung der Rechtslage bis um 31.12.2013 war umstritten, ob das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit dem Begriff des Verlusts in § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F. unterfällt. Bejahend Bähre/Schneider, KWG, § 10 Anm. 2; Habersack, AG 2009, 801 (802); Hammen in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis der Genußscheine, 1987, S. 69 (74); Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (226) (ordentliche Betriebsergebnis); a.A. Kokemoor/Theilig, WM 2011, 337 (338); Kokemoor, WM 2009, 1637 (1642): den Eigenmitteln nur zuzurechnen, wenn auch bei einem positiven Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit eine Beteiligung am Jahresfehlbetrag oder Bilanzverlust möglich ist. Dagegen Habersack, AG 2009, 801 (802). OLG Köln v. 25.9.2012 – 15 U 101/10, NZG 2014, 227 (228); OLG Frankfurt v. 16.11.2011 – 19 U 12/11, AG 2012, 596 (597); LG München I v. 16.6.2011 – 5 HK 20632/10, ZIP 2011, 1758 (1759). BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 24) = NZG 2014, 661; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (797 Rz. 41) = WM 2016, 645; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (165) = NZG 2014, 146; OLG Köln v. 25.9.2012 – 15 U 101/10, NZG 2014, 227 (228); OLG Frankfurt v. 16.11.2011 – 19 U 12/11, AG 2012, 596 (597); LG München I v. 16.6.2011 – 5 HK 20632/10, ZIP 2011, 1758 (1759); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 15; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 29; einschränkend Casper, ZIP 2015, 201 (208): Gewinn sei nicht notwendig mit Bilanzgewinn gleichzugesetzen. Abweichend Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AGFinanzierung, Kap. 10 Rz. 131 unter Berufung auf § 305c Abs. 2 BGB und die Maßgeblichkeit des Verständnisses des Durchschnittskunden. Offen gelassen von OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (340) = ZIP 2012, 576. OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (165) = NZG 2014, 146. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 29) = NZG 2014, 661.

Fest

731

§ 221 AktG Rz. 430

Einzelne Instrumente

(b) Umfang der Verlustteilnahme 430

Die Verlustteilnahme ist grundsätzlich auf den Verzehr des eingezahlten Kapitals beschränkt.1198 Ist das eingezahlte Genussrechtskapital durch Verluste vollständig aufgezehrt, bestehen die Genussrechte aufgrund der Möglichkeit der Wiederauffüllung mit Gewinnanteilen (eingehend dazu Rz. 439 ff.) gleichwohl grundsätzlich bis zum Ende der Laufzeit fort.1199 Abweichendes kann in den Genussrechtsbedingungen bestimmt werden. Zum einen kann der Umfang der Verlustteilnahme durch die Möglichkeit eines negativen Kapitalkontos ausgeweitet werden;1200 zum anderen können die Genussrechtsbedingungen bei einem vollständigen Kapitalverzehr das Erlöschen der Genussrechte anordnen.

431

Eine allgemein formulierte Bestimmung in den Genussscheinbedingungen, wonach das eingezahlte Genussrechtskapital an Bilanzverlusten teilnimmt, ist nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass Verluste, die aus einer Tätigkeit der Gesellschaft außerhalb ihres Unternehmensgegenstands herrühren und die schlechterdings kein seriöser Kaufmann ausführen würde, den Rückzahlungsansprüche nicht mindern.1201 Dies gilt in Ansehung der aufsichtsrechtlichen Eigenmittelvorgaben erst recht für Genussrechte, die von einem Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG) gewährt werden und zu den Tier 1-Basismittelbestandteilen zählen sollen. Hierzu muss das eingezahlte Genussrechtskapital nämlich u.a. geeignet sein, Verluste vollständig aufzufangen (§ 92 Abs. 1, § 91 Abs. 2 Nr. 1 VAG). Mit diesem Gebot der umfassenden Verlustteilnahme ist eine Differenzierung nach der Ursache für den Verlust unvereinbar. Danach scheidet die Zurechnung des eingezahlten Genussrechtskapitals zu den Tier 1-Basismittelbestandteilen aus, wenn die Genussrechtsbedingungen vorsehen, dass die Gläubiger von Verlusten verschont werden, die auf einer Tätigkeit der Gesellschaft außerhalb ihres Unternehmensgegenstands beruhen, die schlechterdings kein seriöser Kaufmann durchführen würde.1202

432

Die Genussrechtsbedingungen können – und sollten – bestimmen, in welchem Umfang die Genussrechtsgläubiger im Verhältnis zu anderen Kapitalgebern an Verlusten der Gesellschaft teilnehmen. Eine allgemein gültige Pflicht der Gesellschaft zur Gleichbehandlung der Genussrechtsgläubiger und sonstiger Kapitalgeber – seien sie Aktionäre der Gesellschaft, seien sie Dritte – hinsichtlich der Teilnahme an Verlusten gibt es nicht.1203

1198 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 369; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 67. 1199 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 106; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 369. 1200 Die Möglichkeit eines negativen Kapitalkontos wird bejaht von Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 106; a.A. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 369. 1201 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (707 Rz. 26) = NZG 2014, 661; OLG Köln v. 25.9.2012 – 15 U 101/10, NZG 2014, 227 (228); Becker, NZG 2014, 171 (172 ff.); Becker, NZG 2012, 1089 (1090); Busch, AG 1993, 163 (167); Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168 (1169); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 65a; Kokemoor, WM 2009, 1637 (1642); Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (687 ff.); a.A. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 133; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 278, 282; Habersack, AG 2009, 801 (806f.); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 400. 1202 Vgl. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 23) = NZG 2014, 661; Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (687 f.); wohl auch Sethe, AG 1993, 351 (362): Verluste, die auf unsorgfältiger Geschäftsführung beruhen; a.A. Habersack, AG 2009, 801 (806) jeweils zu § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F. 1203 OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146.

732

Fest

Genussrechte

Rz. 435 § 221 AktG

(c) Maßstab für die Verlustbeteiligung Neben dem Begriff des Verlusts (siehe Rz. 429) und dem Umfang der Verlustteilnahme (siehe Rz. 430 f.) können die Gesellschaften in den Genussrechtsbedingungen auch den Maßstab für die Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals festlegen. Die Aktienähnlichkeit der Genussrechte legt es nahe, dass das Genussrechtskapital proportional im Verhältnis zu dem Grundkapital an den Verlusten beteiligt wird.1204 Die proportionale Verlustbeteiligung ist aber nicht zwingend. Da keine Pflicht zur Gleichbehandlung von Genussrechtsgläubigern und anderen Kapitalgebern hinsichtlich der Teilnahme am Verlust existiert,1205 kann auch eine überoder unterproportionale Verlustbeteiligung des Genussrechtskapitals bestimmt werden.1206

433

(d) Auswirkung auf das Recht auf Beteiligung am Gewinn Die Verringerung des Genussrechtskapitals infolge der laufenden Anrechnung von Verlusten kann – abhängig von dem Inhalt der Genussrechtsbedingungen – auch Auswirkung auf die Gewinnbeteiligung der Genussrechtsgläubiger (eingehend dazu Rz. 404 ff.) zeitigen. Dies ist z.B. anzunehmen, wenn der den Gläubigern zustehende Gewinn mittels einer Relation des ggf. verringerten Genussrechtskapitals zu den Dividenden errechnet wird.1207 Einer solch mehrfachen Verlustbeteiligung der Genussrechtsgläubiger können die Genussrechtsbedingungen dergestalt entgegenwirken, dass sie der Berechnung der Gewinnbeteiligung eine statische Größe (z.B. der Nennbetrag der Genussrechte) zugrunde legen oder bestimmen, dass nur der Rückzahlungsanspruch an Verlusten teilnimmt, nicht aber die Gewinnbeteiligung.1208

434

Wird das Genussrecht von einem Kreditinstitut (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG), einem Finanzdienstleistungsinstitut (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG) bzw. einer Wertpapierfirma (Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Richtlinie 2013/36/EU) gewährt, ist die Begrenzungen der Verlustbeteiligung auf den Rückzahlungsanspruch (siehe Rz. 430) für die Zugehörigkeit des Genussrechts zu den Ergänzungskapitalinstrumenten unschädlich.1209 Soll das Genussrecht zu den Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals gehören, empfehlen sich in den Genussrechtsbedingungen zwei Klarstellungen, nämlich, dass die Begrenzung der Verlustbeteiligung auf den Rückzahlungsanspruch sowohl das Versprechen, Ausschüttungen nur aus ausschüttungsfähigen Posten vorzunehmen (Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. i Verordnung (EU) Nr. 575/2013), als auch das Recht der Gesellschaft, die Ausschüttungen jederzeit nach eigenem Ermessen für unbestimmte Zeit und auf nicht kumulierter Basis ausfallen zu lassen (Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. iii Verordnung (EU) Nr. 575/2013), unberührt lässt.

435

1204 OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 = NZG 2014, 146; LG München I v. 16.6.2011 – 5 HK O 20632/10, ZIP 2011, 1758 (1759); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 15; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 65; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 35. 1205 OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146. 1206 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 126 ff.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 103; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 301; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 65. 1207 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 104. 1208 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 104. 1209 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 104. Die abweichende Ansicht von Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 357; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 300 (jeweils zu § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F.) kann unter Geltung von Art. 63 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 nicht aufrechterhalten werden, da die Zugehörigkeit zum Ergänzungskapital jedenfalls derzeit keine Verlustbeteiligung des eingezahlten Kapitals voraussetzt (siehe Rz. 422).

Fest

733

§ 221 AktG Rz. 436

Einzelne Instrumente

(2) Koppelung an Kapitalherabsetzungen 436

Alternativ zu der Bestimmung, Verluste laufend auf das Genussrechtskapital bzw. den Rückzahlungsanspruch anzurechnen (eingehend dazu Rz. 428 ff.), können die Genussrechtsbedingungen die Verlustbeteiligung auf Fälle der Herabsetzung des Stammkapitals beschränken. Bei dieser Gestaltung verringert sich der Rückzahlungsanspruch nicht bereits dann, wenn die Gesellschaft Verluste erwirtschaftet, sondern nur, wenn aufgrund der Verluste eine Herabsetzung des Grundkapitals beschlossen wird.1210 Voraussetzung für die Verringerung des Genussrechtskapitals und des Rückzahlungszahlungsanspruchs ist also die ordnungsgemäße Durchführung einer Kapitalherabsetzung.1211 Enthalten die Genussrechtsbedingungen keine nähere Bestimmung darüber, welche Kapitalherabsetzungen zugleich eine Verringerung des Genussrechtskapitals und des Rückzahlungszahlungsanspruchs bewirken, tritt diese Rechtsfolge bei jeder wirksamen Kapitalherabsetzung ein, gleichgültig, ob es sich um eine ordentliche (§§ 222 ff. AktG) oder eine vereinfachte Kapitalherabsetzung (§§ 229 ff. AktG) oder eine Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien (§§ 237 ff. AktG) handelt. In zeitlicher Hinsicht ist die Verlustteilnahme zwar durch die Laufzeit des Genussrechts begrenzt. Sofern die Genussrechtsbedingungen keine anderslautende Bestimmung enthalten, muss die Kapitalherabsetzung vor dem Ablauf der Laufzeit des Genussrechts aber weder von der Hauptversammlung beschlossen noch vollzogen sein. Es genügt, dass der zu deckende Verlust bis dahin eingetreten ist.1212

437

Nicht erforderlich ist, dass die Verluste, an denen die Genussrechtsgläubiger beteiligt werden sollen und die Anlass für die Kapitalherabsetzung sind (siehe Rz. 429), endgültig eingetreten sind. Sofern die Genussrechtsbedingungen keine abweichende Bestimmung enthalten, führt auch eine Kapitalherabsetzung aufgrund sog. Drohverlustrückstellungen (§ 266 Abs. 3 B 3 HGB) zu einer Verringerung des Genussrechtskapitals und des Rückzahlungszahlungsanspruchs.1213 Bleiben die drohenden Verluste in der prognostizierten Höhe aus, besteht im Ergebnis weitgehend Einigkeit darüber, dass den Genussrechtsgläubigern ein Ausgleich für die erlittene Verlustteilnahme zu gewähren ist.1214 Sind die Genussrechte aktienähnlich ausgestaltet (eingehend dazu Rz. 398 ff.), zählt das Genussrechtskapital also zum funktionellen Eigenkapital, ist der Unterschiedsbetrag aus der Auflösung der Drohverlustrückstellungen (§ 266 Abs. 3 B 3 HGB) aufgrund einer teleologischen Reduktion von § 232 AktG nur anteilig in die Kapitalrücklage (§ 266 Abs. 3 A II HGB) einzustellen und anteilig für die Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals zu verwenden (eingehend dazu Rz. 439 ff.).

438

Die Möglichkeit einer Herabsetzung des Grundkapitals auf Null besteht sowohl bei der ordentlichen (§ 228 Abs. 1 AktG) als auch bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung (§ 229 Abs. 3 AktG), wenn gewährleistet ist, dass durch eine gleichzeitig durchgeführte Kapital-

1210 Siehe statt vieler Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 107. 1211 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (319) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 136. 1212 BGH v. 25.9.2006 – II ZR 186/04, AG 2006, 937 = WM 2006, 2250. 1213 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (320) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 135. 1214 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (324) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Emde, DB 1989, 209 (213); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 108; Hirte, ZIP 1991, 1461 (1465 ff.); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 371; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 21; Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44 (49); a.A. OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90, WM 1991, 1375 (1381 f.); Hammen, BB 1990, 1917 (1918 f.); F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1944); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 135: schuldrechtlicher Anspruch auf Auszahlung des auf die Genussrechte entfallenden aufgelösten Rückstellungsbetrags.

734

Fest

Genussrechte

Rz. 439 § 221 AktG

erhöhung der für die Gründung erforderliche Mindestbetrag wieder erreicht wird.1215 In diesem Fall verlieren nicht nur die Aktionäre ihre Rechte, sondern auch die Genussrechtsgläubiger.1216 Enthalten die Genussrechtsbedingungen nämlich keine abweichende Bestimmung (z.B. die Anordnung des Fortbestands der Genussrechte mit einem Kündigungs- und Einziehungsrecht der Gesellschaft), ist die Koppelung des Genussrechtskapitals an das Grundkapital dahingehend auszulegen, dass die Genussrechte erlöschen.1217 Die gleichzeitig durchgeführte Kapitalerhöhung steht dieser Rechtsfolge nicht entgegen. Insbesondere dürfen die Genussrechtsgläubiger nicht an den der Gesellschaft durch die Kapitalerhöhung zugeführten Vermögenswerten partizipieren, ohne selbst neue Leistungen zu erbringen.1218 Letzteres können die Gesellschaften in der Weise umsetzen, dass die Genussrechtsbedingungen die Ausgabe neuer Genussrechte vorsehen und den Gläubigern der erloschenen Genussrechte ein Bezugsrecht einräumen,1219 das mit dem gesetzlichen Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.) konkurriert, es sei denn, dass letzteres gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen ist (eingehend dazu Rz. 613 ff.). Eine Pflicht hierzu besteht aber nicht. dd) Wiederauffüllung Insbesondere bei Sanierungsgenussrechten (siehe Rz. 343 f.) stellt sich – sobald das Unternehmen Gewinne erzielt – die Frage, ob das durch Verluste verringerte Genussrechtskapital wieder aufzufüllen ist. Eine solche Verpflichtung des Emittenten ist jedenfalls anzunehmen, wenn die Genussrechtsbedingungen – was den praktischen Regelfall darstellt1220 – eine sog.

1215 BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98 – Hilgers, BGHZ 142, 167 (169) = NJW 1999, 3197; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (319) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; LG Koblenz v. 27.2.1996 – 4 HO 152/95, AG 1996, 282; Marsch-Barner in Spindler/Stilz, § 228 AktG Rz. 3; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 228 AktG Rz. 3 f.; Sethe in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2010, § 228 AktG Rz. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 228 AktG Rz. 2. 1216 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (323) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 1217 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (323) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 107; wohl auch Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 49; einschränkend Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 309: vorzeitiges Erlöschen nur, wenn die Einziehung in den Genussrechtsbedingungen vereinbart ist; a.A. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 139: kein Erlöschen vor dem Ende der Laufzeit. 1218 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 107; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 307; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 63. 1219 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (323) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90, WM 1991, 1375 (1381); Claussen, AG 1991, 441 (442); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 110; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 373; kritisch Busch, AG 1994, 93 (100 f.). 1220 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 15; Fischer in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis der Genußscheine, 1987, S. 83 (86); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 105; Habersack, NZG 2014, 1041 (1042); Habersack, AG 2009, 801 (805); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 40; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 35; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98a; Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 90.

Fest

735

439

§ 221 AktG Rz. 440

Einzelne Instrumente

Besserungsabrede1221 enthalten.1222 Dies ist z.B. anzunehmen, wenn die Genussrechtsbedingungen die Höhe des Rückzahlungsanspruchs an das „in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital“1223 koppeln. Bei dieser Gestaltung führen auch Einzahlungen des SoFFin in die Kapitalrücklage (§ 266 Abs. 3 A II HGB) zu einer Erhöhung des Genussrechtskapitals.1224 Eine entsprechende Anwendung von § 216 Abs. 3 AktG, die einer Berücksichtigung der Einzahlung entgegenstehen würde, steht entgegen, dass die Gesellschaft und ihre Aktionäre nicht in gleichem Maße schutzbedürftig sind, wie Dritte im unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift.1225 440

Der Begriff der Wiederauffüllung impliziert, dass die Anrechnung von Gewinnen auf das verlustgeminderte Genussrechtskapital der Höhe nach durch den Betrag des eingezahlten Genussrechtskapitals begrenzt ist, der Nominalbetrag also die Obergrenze der Wiederauffüllung darstellt.1226 Hiervon kann in den Genussrechtsbedingungen dergestalt abgewichen werden,1227 dass Gewinne, die nach einer vollständigen Wiederauffüllung entstehen, nicht ausgeschüttet, sondern thesauriert und erst am Ende der Laufzeit mit dem wieder aufgefüllten Rückzahlungsanspruch ausgezahlt werden.1228 (1) Ergänzende Vertragsauslegung

441

Enthalten die Genussrechtsbedingungen weder eine Besserungsabrede (siehe Rz. 439) noch die Bestimmung, dass keine Wiederauffüllung stattfinden soll, geht die überwiegende Ansicht in der Literatur davon aus, die Genussrechtsbedingungen seien lückenhaft und im Zuge der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend zu vervollständigen, dass die Wiederauffüllung als notwendiger actus contrarius zu der Verlustbeteiligung geschuldet sei.1229 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Verluste den inneren Wert des Rückzahlungsanspruchs mindern, Gewinne ihn wieder auffüllen.1230 Dies geht insofern fehl, als die Wiederauffüllung nicht die einzige, sondern nur eine von mehreren möglichen Formen der Gewinnbeteiligung ist. Erwirtschaftet das zuvor von Verlusten geplagte Unternehmen Gewinne, können die Gläubiger aktienähnlich ausgestalteter Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.) hieran entweder in Form einer Wiederauffüllung des Rückzahlungsanspruchs oder in Form von Aus1221 Die Wirksamkeit sog. Besserungsabreden wird nicht angezweifelt, siehe Hammen in Bundschuh/ Hadding/Schneider, Recht und Praxis der Genußscheine, 1987, S. 69 (76); Henke, WM 1985, 41 (44); Schick, BB 1985, 2137 (2138). 1222 Johannemann in Lüdicke/Sistermann, Unternehmensteuerrecht, 2008, § 10 Rz. 18. 1223 OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (165) = NZG 2014, 146. 1224 OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (167) = NZG 2014, 146. 1225 OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (798) = WM 2016, 645; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (167) = NZG 2014, 146; Arnold/Gärtner, AG 2013, 414 ff. 1226 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 67. 1227 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 67. 1228 Ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 105. 1229 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 48; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 137; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 245; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 105; Habersack, NZG 2014, 1041 (1042); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 302; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 368; Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44 (49); ähnlich Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 66 („notwendige Korrelation zwischen Verlustteilnahme und Erfolgsbeteiligung“); Schön, JZ 1993, 925 (933) („konsequentes Fortdenken dieses privatautonomen Regelungswerkes“); vgl. auch Sethe, AG 1993, 351 (367) für den Fall der Auflösung von Drohverlustrückstellungen. Offen gelassen von Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98a. Mit abweichender Begründung Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 245: Treuund Fürsorgepflicht des Emittenten. 1230 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 368.

736

Fest

Genussrechte

Rz. 443 § 221 AktG

schüttungen partizipieren. Nur die erste Form der Gewinnbeteiligung steigert den Nominalwert des Rückzahlungsanspruchs und den inneren Wert des Genussrechts. Dies zeigt sich z.B. bei einer anschließenden Übertragung des Genussrechts. Den Vorteil des erhöhten inneren Wertes erlangt der Erwerber nur bei der Wiederauffüllung des Rückzahlungsanspruchs; ausgeschüttete Gewinne verbleiben hingegen bei dem Veräußerer.1231 Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls nicht ohne Weiteres von einer Vertragslücke in den Genussrechtsbedingungen ausgegangen werden. Vielmehr bedarf es im Einzelfall der zusätzlichen Feststellung, dass die Genussrechtsgläubiger an Gewinnen nicht nur in Form von Ausschüttungen partizipieren sollen. (2) Normative Vorgaben Um Ungewissheit zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Fragen, ob und in welchem Umfang Gewinn zur Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals verwendet werden soll, in den Genussrechtsbedingungen detailliert zu regeln. Hierbei ist der Gestaltungsspielraum der Gesellschaften zwar nicht durch die §§ 307 ff. BGB eingeschränkt;1232 es fehlt an Vorgaben des dispositiven Rechts. Einschränkungen ergeben sich aber daraus, dass aktienrechtliche Normen und Grundsätze, die in ihrem direkten Anwendungsbereich einen satzungsfesten Interessenausgleich enthalten, auf aktienähnlich ausgestaltete Genussrechte entsprechend anzuwenden sind (eingehend dazu Rz. 475 ff.) mit der Folge, dass abweichende Bestimmungen in den Genussrechtsbedingungen nach § 134 BGB nichtig sind.1233 In Anbetracht der Tatsache, dass die Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals nicht die einzige Möglichkeit ist, die Gläubiger an Gewinnen zu beteiligen (siehe Rz. 441), gebieten aktienrechtliche Normen und Grundsätze die Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals in den Fällen, in denen zu einem zwingenden Ausschüttungsverbot das ebenfalls zwingende Gebot hinzutritt, den verlustgeminderten Rückzahlungsanspruch wieder aufzufüllen.1234

442

(a) Bei der laufenden Anrechnung von Verlusten Ist die Verlustbeteiligung der Genussrechtsgläubiger in den Genussrechtsbedingungen dahingehend ausgestaltet, dass das eingezahlte Genussrechtskapital einem Kapitalkonto gutgeschrieben und um die während der Laufzeit erlittenen Verluste verringert wird (siehe Rz. 428 ff.), ergibt sich ein zwingendes Ausschüttungsverbot in entsprechender Anwendung von § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG. In ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich unterstellt die Vorschrift das gesamte Vermögen der Aktiengesellschaft mit Ausnahme des Bilanzgewinns – und weiterer gesetzlicher Ausnahmen – einem Ausschüttungsverbot.1235 Besteht aufgrund von Verlusten aus früheren Geschäftsjahren eine Unterbilanz, ist der im abgelaufen Geschäftsjahr erzielte Jahresüberschuss bei Anwendung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung dazu zu verwenden, die Unterbilanz zu beheben.1236 Mit anderen Worten: Solange eine Unterbilanz besteht, ist der Ausweis eines Bilanzgewinns ausgeschlossen; der Jahresüberschuss unterliegt also einem Ausschüttungsverbot. Dieses dient in erster Linie 1231 Zu Einzelheiten siehe Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 473 f. 1232 A.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 105; Habersack, NZG 2014, 1041 (1042); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 370; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 66; dagegen Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 475 f. 1233 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 474, 476. 1234 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 476. 1235 RG v. 13.12.1935 – II 161/35, RGZ 149, 385 (400); RG v. 20.2.1923 – II 36/22, RGZ 107, 161 (168); Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 57 AktG Rz. 8; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 57 AktG Rz. 9; Henze in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 57 AktG Rz. 7; Hüffer/Koch, § 57 AktG Rz. 2. 1236 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 368.

Fest

737

443

§ 221 AktG Rz. 444

Einzelne Instrumente

dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger.1237 In ihrem Interesse soll eine bestimmte Vermögensmasse als Haftungsfonds erhalten werden.1238 Zu diesem zählt aber nicht nur das rechtsformspezifische, sondern auch das funktionelle Eigenkapital. Das Ausschüttungsverbot des § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG wirkt daher nicht nur zu Lasten der rechtsformspezifischen Eigenkapitalgeber, d.h. der Aktionäre, sondern auch zu Lasten aller funktionellen Eigenkapitalgeber. Diese Rechtsfolge ist für die Rückzahlung von eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen und Finanzplandarlehen allgemein anerkannt;1239 für aktienähnliche Genussrechte kann nichts Anderes gelten.1240 Bei der entsprechenden Anwendung von § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG darf der Begriff der Unterbilanz nicht unbesehen übernommen werden. Er ist vielmehr entsprechend auf das Kapitalkonto, das über die Höhe des Rückzahlungsanspruchs entscheidet, anzuwenden. Die Bücher der Gesellschaft weisen eine Unterbilanz aus, wenn das buchmäßig ausgewiesene Grundkapital größer als das sich aus dem Vergleich des Vermögens und der Schulden ergebende Nettovermögen ist.1241 Wird das Nettovermögen proportional auf das buchmäßig ausgewiesene Grundkapital verteilt, ergibt sich bei einer Unterbilanz, dass der innere Wert jeder Aktie unter ihrem Nennbetrag liegt. Das Ausschüttungsverbot des § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG kann also nicht nur in Anknüpfung an die Bilanz der Gesellschaft, sondern auch in Bezug auf die einzelne Aktie formuliert werden: Eine Ausschüttung darf nicht erfolgen, solange der innere Wert der einzelnen Aktie geringer als ihr Nennbetrag ist. Dieser „Unterbilanz“ der einzelnen Aktie entspricht es bei Genussrechten, dass das eingezahlte Genussrechtskapital durch die Teilnahme an laufenden Verlusten vermindert ist. Dementsprechend verbietet der § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG zu Grunde liegende Rechtsgedanke Ausschüttungen an die Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte, solange ihr Kapitalkonto im Verhältnis zu dem Nominalbetrag des eingezahlten und zurückzuzahlenden Genussrechtskapitals eine Unterdeckung aufweist. 444

Das während einer Unterdeckung des Kapitalkontos bestehende zwingende Ausschüttungsverbot geht Hand in Hand mit dem ebenfalls zwingenden Verwendungsgebot, mit entstehenden Gewinnen die Unterbilanz auszugleichen und die Kapitalkonten der Gläubiger aktienähnlich ausgestalteter Genussrechte wieder aufzufüllen. Jede andere Verwendung der Gewinne widerspräche der bei aktienähnlichen Genussrechten notwendigen Gewinnbeteiligung der Gläubiger. Das Wiederauffüllungsgebot besteht nicht nur, wenn die Gewinnbeteiligung nach dem Jahresüberschuss bemessen ist, sondern auch dann, wenn die Genussrechtsbedingungen als Bezugsgröße den Bilanzgewinn nennen (siehe Rz. 407). Unterschiede ergeben sich, wenn die Bücher der Gesellschaft eine Unterbilanz und das Kapitalkonto der funktionellen Eigenkapitalgeber eine Unterdeckung aufweisen. Sind die Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte nach den Genussrechtsbedingungen am Bilanzgewinn (§ 158 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AktG bzw. § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB) zu beteiligen, ist die Wiederauffüllung nachrangig gegenüber dem Ausgleich der Unterbilanz. Dies ergibt sich daraus, dass ein Bilanzgewinn, an dem die Ge1237 RG v. 20.2.1923 – II 36/22, RGZ 107, 161 (168); RG v. 14.3.1903 – I 371/02, RGZ 54, 128 (132); Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 57 AktG Rz. 1; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 57 AktG Rz. 3; Fleischer, WM 2007, 909 (910); Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 57 AktG Rz. 2. 1238 Statt vieler BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 (75) = NJW 2004, 1111; Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 57 AktG Rz. 1; Hüffer/Koch, § 57 AktG Rz. 1; abweichend Drygala in KölnKomm/AktG, § 57 AktG Rz. 10. 1239 In beiden Fällen dürfen Auszahlungen nur aus dem Bilanzgewinn bzw. aus ungebundenem Vermögensbestandteilen erfolgen, siehe Habersack, ZGR 2000, 384 (404, 417); Heidinger in Michalski, § 32b GmbHG Rz. 396; Hommelhoff/Kleindiek in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 421 (443); Michalski/de Vries, NZG 1999, 181 (184); K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2012, § 172a HGB a.F. Rz. 12, § 230 HGB Rz. 171; K. Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rz. 2.113; K. Schmidt, ZIP 1999, 1241 (1249); K. Schmidt in FS für Goerdeler, 1987, S. 487 (500). 1240 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 480. 1241 Statt vieler Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Kap. N Rz. 579.

738

Fest

Genussrechte

Rz. 446 § 221 AktG

nussrechtsgläubiger zu beteiligen sind, erst nach dem Ausgleich der Unterbilanz wieder entstehen kann. Haben die Genussrechtsgläubiger hingegen Anspruch auf Beteiligung am Jahresüberschuss (§ 275 Abs. 2 Nr. 17 bzw. Abs. 3 Nr. 8 HGB), muss dieser anteilig sowohl zum Ausgleich der Unterbilanz als auch zur Wiederauffüllung der Kapitalkonten verwendet werden. Grund hierfür ist, dass die Aktionäre als rechtsformspezifischen Eigenkapitalgeber mit den Genussrechtsgläubigern um denselben Gewinn konkurrieren. Würde der Jahresüberschuss ausschließlich zur Beseitigung der Unterbilanz verwendet, würde dies die Aktionäre im Verhältnis zu den Genussrechtsgläubigern systemwidrig privilegieren. Die Anteile des Jahresüberschusses, die zu der Behebung der Unterbilanz und zu der Wiederauffüllung der Kapitalkonten zu verwenden sind, errechnen sich aus dem Verhältnis des gezeichneten Kapitals (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 266 Abs. 3 A I HGB) zu dem Nennbetrag der aktienähnlichen Genussrechte. (b) Bei der Koppelung an Kapitalherabsetzungen Einer anderen Begründung bedarf es, wenn das Genussrechtskapital nicht laufend an Verlus- 445 ten beteiligt wird, sondern die Verlustteilnahme in den Genussrechtsbedingungen an die Herabsetzung des Grundkapitals gekoppelt ist (siehe Rz. 436 ff.). Bei dieser Gestaltung verringern sich das Genussrechtskapital und die Rückzahlungsansprüche der Genussrechtsgläubiger z.B. dann, wenn und sobald die Gesellschaft eine Unterbilanz durch eine vereinfachte Kapitalherabsetzung (§ 229 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG) beseitigt. Mit der Kapitalherabsetzung entfällt zwar das Ausschüttungsverbot des § 57 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG, so dass Gewinne (z.B. aus dem operativen Geschäft) nicht nur zu der Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals verwendet,1242 sondern grundsätzlich auch ausgeschüttet werden dürfen. Anderes gilt aber für den Gewinn, der daraus entsteht, dass die Drohverlustrückstellungen (§ 266 Abs. 3 B 3 HGB), die Anlass zu der Kapitalherabsetzung gegeben haben, am Ende des Schwebezustands aufgelöst werden, weil Verluste in der progostizierten Höhe ausgeblieben sind.1243 Das Gebot, den hierdurch entstehenden Gewinn in die Kapitalrücklage (§ 266 Abs. 3 A II HGB) und damit in einen Unterposten des bilanziellen Eigenkapitals einzustellen (§ 232 AktG), impliziert ein zwingendes Ausschüttungsverbot.1244 Dieses ergänzt das in § 230 Satz 1 AktG niedergelegte Verbot, Beträge aus der vereinfachten Kapitalherabsetzung an die Gesellschafter auszuschütten. Gemeinsam dienen sie dem Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Erhaltung des haftenden Vermögens.1245 Dieser Normzweck gebietet es, das § 232 AktG immanente Ausschüttungsverbot zum Nachteil der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte entsprechend anzuwenden.1246 Die Regelung des § 232 AktG erschöpft sich nicht in dem Ausschüttungsverbot, sondern enthält auch das Verwendungsgebot, den Unterschiedsbetrag aus der Auflösung der Drohverlustrückstellungen (§ 266 Abs. 3 B 3 HGB) in die Kapitalrücklage (§ 266 Abs. 3 A II HGB) 1242 So aber Sethe, AG 1993, 351 (365 f.); wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 109; Hirte, ZIP 1991, 1461 (1465 ff.); Lutter, ZGR 1993, 291 (298). 1243 Zu der Verpflichtung, Rückstellungen aufzulösen, sobald die Voraussetzungen für ihre Bildung entfallen, siehe Ballwieser in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 249 HGB Rz. 86; Forster/Goerdeler/Lanfermann/Müller/Siepe/Stolberg in Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1991, § 249 HGB Rz. 253; Kleindiek in Staub, 5. Aufl. 2014, § 249 HGB Rz. 23; Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 249 HGB Rz. 23. 1244 Hüffer/Koch, § 232 AktG Rz. 6; Lutter, ZGR 1993, 291, 299. 1245 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (322) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Hüffer/Koch, § 232 AktG Rz. 1; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 232 AktG Rz. 3; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 232 AktG Rz. 1; Sethe in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2010, § 232 AktG Rz. 3. 1246 Im Ergebnis ebenso Sethe, AG 1993, 351 (365 f.), der die Wertung des § 232 AktG allerdings nur im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung berücksichtigen will.

Fest

739

446

§ 221 AktG Rz. 447

Einzelne Instrumente

umzubuchen. Der hierdurch entstehende Gewinn steigert den inneren Wert der Aktien unmittelbar, d.h. unabhängig davon, ob die erhöhte Kapitalrücklage später für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 207 Abs. 1 AktG) verwendet wird.1247 Einer vergleichbaren Steigerung des inneren Wertes der aktienähnlichen Genussrechte durch vertraglich vereinbarte Gewinnausschüttungen steht zwar das zu Lasten der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte entsprechend anzuwendende Ausschüttungsverbot des § 232 AktG (siehe Rz. 445) entgegen. Der gebotene Gläubigerschutz legitimiert aber weder eine Verwässerung des Wertes der Genussrechte noch eine Veränderung der vertraglich vereinbarten Gewinnverteilung im Verhältnis zwischen den Gesellschaftern einerseits und den Genussrechtsgläubigern andererseits. Er modifiziert lediglich die Art und Weise der Gewinnbeteiligung der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte: Anstelle der unzulässigen Ausschüttungen steht ihnen ein Anspruch auf Wiederauffüllung des durch die vereinfachte Kapitalherabsetzung geminderten Rückzahlungsanspruchs zu. Der Wiederauffüllungsanspruch ist der gebotene Ausgleich dafür, dass das Ausschüttungsverbot des § 232 AktG nicht nur zu Lasten der Gesellschafter, sondern entsprechend auch zum Nachteil der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte wirkt (siehe Rz. 445). Methodologisch ergibt er sich aus der Kombination einer teleologischen Reduktion und einer entsprechenden Anwendung des Verwendungsgebots des § 232 AktG: Das Gebot, den Unterschiedsbetrag in die Kapitalrücklage einzustellen, ist im Wege der teleologischen Reduktion um den Betrag einzuschränken, der hypothetisch, d.h. ohne entsprechende Anwendung des Ausschüttungsverbots, an die Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte ausgeschüttet würde. Diesen Betrag hat die Gesellschaft in entsprechender Anwendung des Verwendungsgebots für die Wiederauffüllung der durch die vereinfachte Kapitalherabsetzung geminderten Rückzahlungsansprüche zu verwenden.1248 447

Für den Gewinn aus der Auflösung von Drohverlustrückstellungen ergibt sich der Wiederauffüllungsanspruch nicht bereits aus § 216 Abs. 3 Satz 1 AktG.1249 Die Vorschrift schützt die Gläubiger gewinnabhängiger Rechte nur im Fall einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln vor mittelbaren Beeinträchtigungen.1250 Die den Gläubigern aktienähnlicher Genussrechte bei der Auflösung einer Drohverlustrückstellung nach einer vereinfachten Kapitalherabsetzung drohende Verwässerung ihrer Rechte resultiert jedoch nicht aus einer solchen Kapitalerhöhung, sondern unmittelbar aus der Umbuchung, nämlich daraus, dass das Ausschüttungsverbot des § 232 AktG zu Lasten der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte entsprechend angewandt (siehe Rz. 445), das Verwendungsgebot aber wörtlich vollzogen wird. Verwendet die Gesellschaft die auf diese Weise erhöhte Kapitalrücklage später für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 207 Abs. 1 AktG), liegt hierin eine von der Umbuchung zu unterscheidende zweite Beeinträchtigung der gewinnabhängigen Ansprüche. Nur sie führt gemäß § 216 Abs. 3 AktG zu einer Anpassung der Leistungspflicht. Diese hat den Anspruch der Genussrechtsgläubiger auf Wiederauffüllung ihrer Rückzahlungsansprüche zu berücksichtigen.

448

Ein gegebenenfalls in den Genussrechtsbedingungen enthaltener Ausschluss der Wiederauffüllung zielt darauf, die teleologisch gebotene Ausweitung des Gläubigerschutzes auf Kosten 1247 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 371. 1248 Ähnlich Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 63: Anspruch der Genussrechtsinhaber auf Beteiligung an dem auf den Minderverlust zurückgehenden Buchgewinn. 1249 A.A. Hirte, ZIP 1991, 1461 (1466): die §§ 216 Abs. 3, 347a AktG a.F. (jetzt: § 23 UmwG) seien Ausprägungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes, denen der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen sei, dass die Inhaber aktienähnlicher Genussscheine auch an jeder Form der Kapitalerhöhung zu beteiligen seien. Abweichende Vereinbarungen seien nach § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt: § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB) unwirksam, siehe Hirte, ZIP 1991, 1461 (1467). 1250 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (323) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, WM 2014, 1131 (1136) = AG 2014, 164.

740

Fest

Genussrechte

Rz. 451 § 221 AktG

der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte zum Vorteil der Gesellschafter auszunutzen. Solche Bestimmungen widersprechen dem zu Gunsten der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte entsprechend anzuwendenden Verwendungsgebot des § 232 AktG (siehe Rz. 446); sie sind gemäß § 134 BGB nichtig.1251 Dies gilt grundsätzlich auch für Bestimmungen, nach denen der durch eine Kapitalherabsetzung verringerte Rückzahlungsanspruch nur bei einer Kapitalerhöhung wieder aufgefüllt wird. Wirksam sind derartige Bestimmungen nur, wenn sie zusätzlich vorsehen, dass der Unterschiedsbetrag aus der Auflösung einer Drohverlustrückstellung nach einer vereinfachten Kapitalherabsetzung anteilig für eine Wiederauffüllung des Rückzahlungsanspruchs der Genussrechtsgläubiger zu verwenden ist. (3) Umsetzung der Wiederauffüllung Welche Handlungen die Gesellschaft als Wiederauffüllung – unterstellt, ein solcher Anspruch besteht (eingehend dazu Rz. 439 ff.) – schuldet, ist gesetzlich nicht näher umschrieben. Sie ergeben sich aus dem Zweck der Wiederauffüllung, nämlich, die Verlustteilnahme zu egalisieren. Da die Wiederauffüllung funktionell actus contrarius zu der Verlustteilnahme ist, bestimmt sich die als Wiederauffüllung geschuldete Handlung danach, auf welche Art und Weise das eingezahlte Genussrechtskapital an den Verlusten der Gesellschaft teilnimmt.

449

Sehen die Genussrechtsbedingungen eine laufende Beteiligung an Verlusten vor (siehe Rz. 428 ff.), erfolgt die Wiederauffüllung durch die Zuschreibung einbehaltener Gewinne bis zu der Höhe des eingezahlten Genussrechtskapitals oder, wenn der Nennbetrag des Rückzahlungsanspruchs und der Ausgabebetrag der Genussrechte auseinanderfallen, bis zur Höhe des Ausgabebetrags.1252 Die Höhe des Rückzahlungsanspruchs ergibt sich somit aus dem Ausgabebetrag bzw. dem eingezahlten Genussrechtskapital verringert um die Verluste und vermehrt um die Zuschreibungen.

450

Die auf Fälle der Kapitalherabsetzung begrenzte Verlustteilnahme (siehe Rz. 436 ff.) wird 451 im Fall der Verbriefung der Genussrechte (siehe Rz. 771 f.) – wenn die Genussrechtsbedingungen kein abweichendes Verfahren bestimmen – entsprechend § 226 ggf. i.V.m. § 229 Abs. 3 AktG dadurch umgesetzt, dass der Emittent die nach entsprechender Aufforderung eingereichten Genussscheine durch Umtausch, Abstempelung oder ein ähnliches Verfahren zusammenlegt und die nicht eingereichten Genussscheine für kraftlos erklärt. Die Wiederauffüllung erfolgt – entsprechend der Ausgabe neuer Aktien bei einer Kapitalerhöhung – durch die Gewährung neuer Genussrechte mit einem proportionalen Agio an die bisherigen Genussrechtsgläubiger.1253 Der hierfür erforderliche Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG, eingehend dazu Rz. 613 ff.) ist durch die vertragliche Verpflichtung zur Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals sachlich gerechtfertigt.1254

1251 Nur im Ergebnis ebenso Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 137; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 302; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 375; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 66: Klausel ist nach § 307 BGB (ehemals: § 9 AGBG) unwirksam. A.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98a. 1252 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 128. 1253 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (323) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. Abweichend Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 313: Bezug neuer Genussrechte oder Abfindungszahlung nach Wahl der Genussrechtsgläubiger. 1254 Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 110; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 64: das Bezugsrecht der Aktionäre muss gegenüber dem Wiederauffüllungsanspruch der Genussrechtsgläubiger zurückstehen.

Fest

741

§ 221 AktG Rz. 452

Einzelne Instrumente

ee) Aufschub und Ausfall von Ausschüttungen und Zinszahlungen 452

Die Verlustbeteiligung ist nicht notwendig auf das eingezahlte Genussrechtskapital und den Rückzahlungsanspruch beschränkt. Sollen Kreditinstitute (§ 1 Abs. 1 Satz 1 KWG), Finanzdienstleistungsinstitute (§ 1 Abs. 1a Satz 1 KWG) bzw. Wertpapierfirmen (Art. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 i.V.m. Art. 1 Buchst. a Richtlinie 2013/36/EU) und Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG) berechtigt sein, die eingezahlten Kapitalbestandteile den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln zuzurechnen, müssen sie sich in den Genussrechtsbedingungen zum Teil das Recht vorbehalten, vertragliche Ausschüttungen und Zinszahlungen ausfallen zu lassen oder zumindest aufzuschieben. Sofern dies gewollt ist, bedarf es in den Genussrechtsbedingungen einer gesonderten Bestimmung neben der eigentlichen Verlustbeteiligung.1255

453

Im Bankaufsichtsrecht zählen Genussrechte gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. l Nr. iii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 nur dann zu den Instrumenten des zusätzlichen Kernkapitals, wenn die Gesellschaften sich in den Genussrechtsbedingungen das Recht vorbehalten, die Ausschüttungen jederzeit nach eigenem Ermessen für unbefristete Zeit und auf nicht kumulierter Basis ausfallen zu lassen. Eine Nachzahlungsverpflichtung besteht – wie die Formulierung „für unbefristete Zeit und auf nicht kumulierter Basis“ klarstellt – nicht.1256 Der Zahlungspflicht steht also nicht lediglich eine dilatorische Einrede entgegen; sie erlischt vielmehr. Für die Zugehörigkeit von Genussrechten zu den Instrumenten des Ergänzungskapitals ist das Recht der Gesellschaften, Zahlungen ausfallen zu lassen oder aufzuschieben, hingegen keine Voraussetzung.1257

454

Im Versicherungsaufsichtsrecht gilt seit der Neufassung des VAG mit Wirkung vom 1.1.20161258 grundsätzlich ein abgestuftes Konzept: Eingezahlte nachrangige Verbindlichkeiten (Art. 69 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) – nicht nur eingezahltes Genussrechtskapital – dürfen als Tier 1-Basiseigenmittelbestandteile nur eingestuft werden, wenn die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen u.a. vorsehen, dass die Ausschüttungen annulliert werden können, falls die Solvenzkapitalanforderung nicht eingehalten wird oder die Ausschüttung zu einer solchen Nichteinhaltung führen würde, und zwar solange, bis das Versicherungsunternehmen die Solvenzkapitalanforderung einhält und die Ausschüttung nicht zu einer Nichteinhaltung der Solvenzkapitalanforderung führen würde, Art. 71 Abs. 1 Buchst. l Nr. ii Delegierte Verordnung (EU) 2015/35. Für die Zurechnung dieser Kapitalbestandteile zu den Tier 2- (Art. 72 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) und Tier 3-Basiseigenmitteln (Art. 76 Buchst. b Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) genügt es, wenn die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen in den genannten Konstellationen den Aufschub der Ausschüttungen vorsehen, Art. 73 Abs. 1 Buchst. g Nr. ii bzw. Art. 77 Abs. 1 Buchst. g Delegierte Verordnung (EU) 2015/35. Für kleine Versicherungsunternehmen (§ 211 Abs. 1 Satz 1 VAG) ergibt sich Vergleichbares aus § 214 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VAG. Danach zählt das gegen Gewährung von Genussrechten eingezahlte Kapital nur zu den

1255 Ähnlich Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 35; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 98a, die die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in die Genussrechtsbedingungen zur Vermeidung von Ungewissheiten anregen. 1256 Konesny/Glaser in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO, 5. Aufl. 2016, Art. 52 CRR Rz. 18; Schaber in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Wagner/Weber, KWG und CRR, Art. 51-61 CRR Rz. 27; vgl. auch BaFin Rundschreiben 5/2011 unter IV. 2. zu § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F. 1257 Zu Einzelheiten siehe Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 386 f. 1258 Art. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen v. 1.4.2015 (BGBl. I 2015, 434).

742

Fest

Genussrechte

Rz. 456 § 221 AktG

Eigenmitteln, wenn das Versicherungsunternehmen durch die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen verpflichtet ist, die Zinszahlungen im Fall eines Verlusts aufzuschieben.1259 e) Nachrangvereinbarung Die Vereinbarung eines Nachrangs für die Zahlungsansprüche der Gesellschaft ist in der Regel durch aufsichtsrechtliche Eigenmittelanforderungen motiviert.1260 Im Bankaufsichtsrecht dürfen Genussrechte bzw. das gegen ihre Ausgabe eingezahlte Genussrechtskapital dem zusätzlichen Kernkapital nur zugerechnet werden, wenn die Forderungen auch im Verhältnis zu Instrumenten des Ergänzungskapitals nachrangig sind (Art. 52 Abs. 1 Buchst. d Verordnung (EU) Nr. 575/2013). Für die Zugehörigkeit zum Ergänzungskapital genügt es bereits, wenn die Forderungen im Insolvenz- und Liquidationsfall gegenüber allen Ansprüchen nicht nachrangiger Gläubiger vollständig nachrangig sind (Art. 63 Buchst. d Verordnung (EU) Nr. 575/ 2013). Eine vergleichbare Abstufung besteht seit dem 1.1.2016 im Versicherungsaufsichtsrecht. Nach Art. 69 Buchst. b, 71 Abs. 1 Buchst. a Nr. ii Delegiete Verordnung (EU) 2015/35 zählen eingezahlte (Genussrechts-)Verbindlichkeiten zu den Tier 1-Basiseigenmittelbestandteilen, wenn die Verbindlichkeiten u.a. gegenüber den Ansprüchen sämtlicher Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigter sowie nicht nachrangiger Gläubiger nachrangig sind. Den Tier 2-Basiseigenmittelbestandteilen können eingezahlte (Genussrechts-)Verbindlichkeiten gemäß Art. 72 Buchst. b, 73 Abs. 1 Buchst. a Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 hingegen bereits dann zugerechnet werden, wenn sie u.a. gegenüber den Ansprüche aller Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigter und nicht nachrangiger Gläubiger nachrangig sind.

455

aa) Aktionärstypisches Vermögensrecht Die ausschließliche Vereinbarung eines Nachrangs hat allerdings nicht notwendig zur Folge, 456 dass der Rückzahlungsanspruch der Gläubiger zu einem aktionärstypischen Vermögensrecht (siehe Rz. 361) wird, das Instrument also ein Genussrecht i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG ist.1261 Die Rechtsstellung der Aktionäre als sog. residual claimants1262 erschöpft sich – sowohl im Fall der Liquidation der Gesellschaft (§ 271 Abs. 1 AktG) als auch im Fall der Insolvenz des Unternehmens (§ 199 Satz 2 InsO) – nicht in einem bloßen Nachrang. Diese ist vielmehr mit einer Verlustteilnahme verbunden, die sich realisiert, wenn nach der Befriedigung der Gläubiger kein Überschuss verbleibt oder der vorhandene Überschuss nicht zur Erstattung der Einlagen sämtlicher Gesellschafter ausreicht, § 271 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 AktG. Dementsprechend begründet eine bloße Nachrangvereinbarung, die für einen der Höhe nach bestimmten Rückzahlungsanspruch lediglich bestimmt, dass dieser nach der Befriedigung sämtlicher nicht nachrangigen Ansprüche zu befriedigen ist, weder ein aktionärstypisches Vermögensrecht noch ein Genussrecht.1263 Bei dieser Gestaltung können die Gläubiger ihre Rückforderungsansprüche – nach Befriedigung sämtlicher nicht nachrangigen Gläubiger und im Zweifel der in § 39 Abs. 1 InsO genannten Verbindlichkeit (§ 39 Abs. 2 InsO) – in Höhe des vollen Nenn-

1259 Zu der inhaltlich entsprechenden Regelung des § 53c Abs. 3a Nr. 1 VAG a.F. siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 113; vgl. auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 302 zu § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 KWG a.F. 1260 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 112. 1261 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 22. 1262 Statt vieler Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1996, S. 79. 1263 Wohl a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 111; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 314 jeweils mit der Prämisse, dass der Nachrang eine Form der Verlustteilnahme in Liquidation und Insolvenz sei.

Fest

743

§ 221 AktG Rz. 457

Einzelne Instrumente

betrags geltend machen. Sie stünden damit im Rang vor den Aktionären,1264 unter denen nur der auch nach der Befriedigung der nachrangigen Gläubiger verbleibende Überschuss zu verteilen wäre.1265 Ein Genussrecht, dessen Gewährung eines Beschlusses der Hauptversammlung bedarf (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 487 ff.) und grundsätzlich ein Bezugsrecht der Aktionäre auslöst (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.) liegt daher nur vor, wenn die nachrangigen Rückzahlungsansprüche nicht lediglich faktisch, sondern rechtlich durch eine Bestimmung in den Genussrechtsbedingungen auf eine Beteiligung an dem Liquidationserlös (eingehend dazu Rz. 413 ff.) beschränkt werden. 457

Um die Rückzahlungsansprüche der Gläubiger in ein aktionärstypisches Vermögensrecht zu verwandeln, muss die Nachrangvereinbarung zwei Voraussetzungen erfüllen: (1) Gegenständlich ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Rückzahlungsansprüche zumindest im Verhältnis zu sämtlichen nicht nachrangigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft nachrangig sind. Die Erstreckung der Nachrangvereinbarung auf alle Ansprüche aus den Genussrechten (z.B. Zinsen und Ausschüttungen) sowie auf Schadensersatzansprüche der Genussrechtsgläubiger, die auf die Wiederauffüllung des verlustgeminderten Rückzahlungsanspruchs gerichtet sind (siehe Rz. 473), ist zwar möglich und üblich,1266 im Gegensatz zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmittelanforderungen aber nicht erforderlich.1267 (2) Situativ muss eine diesen Anforderungen genügende Nachrangvereinbarung sowohl für den Fall der Liquidation der Gesellschaft (§ 271 Abs. 1 AktG) als auch für den Fall der Insolvenz des Unternehmens (§ 199 Satz 2 InsO) gelten. bb) Transparenz- und Angemessenheitskontrolle

458

Wird die Nachrangvereinbarung nicht individuell, sondern in den Genussrechtsbedingungen getroffen, unterliegt sie – unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen auflösend bedingten Erlassvertrag,1268 einen verfügenden Schuldänderungsvertrag,1269 eine Variante des

1264 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 16; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 142. 1265 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 16; Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127 (130); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 36. 1266 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 16; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 62; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 36. 1267 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 112 zu Art. 63 Buchst. d CRR; vgl. auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 314; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 308; Schick, BB 1985, 2137 (2139) jeweils zu § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 KWG a.F. 1268 Eppler, DB 1991, 195; Haack, KTS 1980, 309 (312); Haack, Der Konkursgrund der Überschuldung bei Kapital- und Personengesellschaften, 1980, S. 161; Janka/Löwenstein, DB 1992, 1648 (1651); Letters, JbFStR 1983/1984, S. 311 (335); Priester, DB 1977, 2429 (2433) (aufgegeben in DB 1991, 1917 [1920]); dagegen Forster/Goerdeler/Lanfermann/Müller/Siepe/Stolberg in Adler/Düring/ Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1991, § 246 HGB Rz. 133; Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 91 f.; Hirte in Uhlenbruck, § 39 InsO Rz. 53; K. Schmidt, ZIP 1999, 1241 (1246 f.). 1269 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 42 GmbHG Rz. 52; Habersack, ZGR 2000, 384 (403); Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 92; Knobbe-Keuk, StuW 1991, 306 (309); Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127 (129); Peters, WM 1988, 685 (689); Schubert in Beck’scher Bilanz-Kommentar, § 247 HGB Rz. 232; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, Vor § 182 AktG Rz. 34.

744

Fest

Genussrechte

Rz. 460 § 221 AktG

pactum de non petendo1270 oder eine bloße Vereinbarung über den Rang1271 handelt – nicht nur der Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.),1272 sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle.1273 Nachrangvereinbarungen enthalten eine von den allgemeinen insolvenzrechtlichen Bestimmungen (§§ 38, 174 Abs. 1 InsO) abweichende Regelung und sind daher der Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht entzogen.1274 Hieran vermag auch der Umstand, dass Nachrangvereinbarungen nicht nur allgemein (§ 39 Abs. 2 InsO), sondern ausdrücklich auch für die Ausgestaltung von Schuldverschreibungen gesetzlich vorgesehen sind (§ 5 Abs. 3 Nr. 4 SchVG), nichts zu ändern. Ob Nachrangvereinbarungen überraschende Bestimmungen i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB sind, ist im Einzelfall zu entscheiden und kann insbesondere im Verkehr mit Verbrauchern nicht ausgeschlossen werden.1275 Ein überraschender Charakter wird aber regelmäßig ausscheiden, wenn die Genussrechte als Genussscheine verbrieft, im Inland öffentlich angeboten oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden und die Emissionsgesellschaft die ihr obliegende Prospektpflicht (§ 3 Abs. 1, 4 WpPG) erfüllt.

459

Ob der in den §§ 38, 174 Abs. 1 InsO zum Ausdruck kommende Grundsatz der gleichmäßi- 460 gen Gläubigerbefriedigung ein tragendes und beherrschendes Prinzip des Insolvenzrechts ist1276 mit der Folge, dass Nachrangvereinbarungen mit einem wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar sind (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB), konnte der BGH bislang dahingestellt lassen.1277 Selbst wenn dies – was nahe liegt – zu bejahen sein sollte, wäre eine unangemessene Benachteiligung der Gläubiger i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nur im Zweifel anzunehmen.1278 Bei der gleichwohl vorzunehmenden umfassenden Abwägung der

1270 Fleck, GmbHR 1989, 313 (316); Fleck in FS Döllerer, 1988, S. 109 (119); Groh, BB 1993, 1882 (1883); Häuselmann, BB 1993, 1552 (1553); K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2012, § 172a HGB a.F. Rz. 12; K. Schmidt, GmbHR 1999, 9 (13); Schildknecht, DStR 2005, 181; kritisch Schulze-Osterloh, WPg 1996, 97 (98); offen gelassen von Forster/Goerdeler/Lanfermann/Müller/ Siepe/Stolberg in Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1991, § 246 HGB Rz. 133; ablehnend Habersack, ZGR 2000, 384 (403): Rangrücktritt geht über Leistungsverweigerungsrecht hinaus; Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 91. 1271 Adolff in FS Hellwig, 2011, S. 433 (442 f.); Henckel in Jaeger, § 39 InsO Rz. 97. 1272 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (939 Rz. 24 ff.); VG Frankfurt am Main v. 26.11.2013 – 9 L 2958/13.F, ZIP 2015, 367 (368). Zu Einzelheiten der erforderlichen Transparenz siehe Bitter, ZIP 2015, 345 (355). 1273 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (938 Rz. 20); LG Hamburg v. 16.1.2013 – 332 O 72/12, ZIP 2015, 368 (369); K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, § 39 InsO Rz. 21; a.A. Primozic/Schaaf, ZInsO 2014, 1831 (1834). 1274 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (938 Rz. 20). Im Ergebnis ebenso Bitter, ZIP 2015, 345 (350 ff.); Bitter/Rauhut, ZIP 2014, 1005 (1015); a.A. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 7; Bork, ZIP 2014, 997; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 145; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 259; Sethe, WM 2012, 577 (583). 1275 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (938 Rz. 11 ff.); K. Schmidt/Herchen in K. Schmidt, § 39 InsO Rz. 21. Zu Einzelheiten siehe Bitter, ZIP 2015, 345 (348 f.). 1276 Siehe statt vieler BGH v. 13.3.2003 – IX ZR 64/02, BGHZ 154, 190 (197) = NJW 2003, 1865; vgl. auch BGH v. 29.1.1964 – Ib ZR 197/62, BGHZ 41, 98 (101) = NJW 1964, 1319 zum Konkursrecht. 1277 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (938 f. Rz. 20). 1278 BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (939 Rz. 20); Pfeifer in Wolf/Lindacher/ Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, § 307 BGB Rz. 100, 103; vgl. auch BGH v. 28.1.2003 – XI ZR 156/02, BGHZ 153, 344 (349) = NJW 2003, 1447; BGH v. 7.5.1996 – XI ZR 217/95, BGHZ 133, 10 (16) = NJW 1996, 2023 jeweils zu § 9 Abs. 2 AGBG.

Fest

745

§ 221 AktG Rz. 461

Einzelne Instrumente

berechtigten Interessen der Beteiligten wäre eine unangemessene Benachteiligung der Gläubiger durch die Nachrangvereinbarung aber wohl regelmäßig auszuschließen, wenn auch die Gläubiger ein Interesse an dem Rangrücktritt haben.1279 Dies ist z.B. bei Sanierungsgenussrechten (siehe Rz. 343 f.) anzunehmen, bei denen für die Gläubiger offensichtlich ist, dass die Rückzahlungsansprüche der bilanziellen Passivierungspflicht entzogen werden sollen. Ein berechtigtes Interesse der Emissionsgesellschaft an einer Nachrangvereinbarung ist auch dann anzuerkennen, wenn sie den Gläubigern einer Genussrechtsemission den Nachrang gegenüber den Gläubigern früherer Emissionen auferlegt.1280 Anders wird bei unverbrieften Genussrechten zu entscheiden sein, wenn die Nachrangvereinbarung dazu dient, die für das Einlagengeschäft bestehende Erlaubnispflicht (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG) zu umgehen.1281 f) Mitverwaltungs- und Kontrollrechte 461

Die Ähnlichkeit von Genussrechten mit Aktien beschränkt sich auf vermögensrechtliche Aspekte. Von diesen zu unterscheiden sind Mitverwaltungs- und Kontrollrechte. Sie beruhen auf der Mitgliedschaft, die nur Aktien – nicht aber Genussrechten (siehe Rz. 359) – eigen ist.1282 Genussrechtsgläubigern stehen sie weder kraft Gesetzes zu1283 noch können sie ihnen in den Genussrechtsbedingungen eingeräumt werden. Dies gilt nicht nur für das Stimmrecht (siehe Rz. 462), sondern auch für das Recht zur Anfechtung von Beschlüssen der Hauptversammlung (siehe Rz. 463 ff.) sowie mitgliedschaftliche Teilnahme- und Informationsrechte (siehe Rz. 467 ff.). Sind die Genussrechtsgläubiger zugleich Aktionäre der Gesellschaft, können sie mitgliedschaftliche Mitverwaltungs- und Kontrollrechte nur in ihrer Eigenschaft als Aktionäre ausüben.1284

1279 Vgl. BGH v. 20.2.2014 – IX ZR 137/13, NJW-RR 2014, 937 (939 Rz. 23) für ein zinsloses Darlehen von Eltern an Schulträger. 1280 Henckel in Jaeger, 2004, § 39 InsO Rz. 97. 1281 LG Hamburg v. 16.1.2013 – 332 O 72/12, ZIP 2015, 368 (369). 1282 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 1283 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (709 Rz. 37) = NZG 2014, 661; BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (309) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; RG v. 24.11.1908 – VII 68/08, RGZ 70, 52 (54); BT-Drucks. 10/2510, 5; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Brokamp/Hölzer, FR 2006, 272; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 43; Friedlaender, DStZ/A 1966, 242 (244); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331; Hirte, ZIP 1988, 477; Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1383); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 240, 246, 322; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 197; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71; Sethe, AG 1993, 293 (297); Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 (704). 1284 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 322; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 196; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (880).

746

Fest

Genussrechte

Rz. 462 § 221 AktG

aa) Stimmrecht Genussrechtsgläubigern steht das Stimmrecht in der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft auch bei einer aktienähnlichen Ausgestaltung der Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.) nicht zu.1285 Sie stehen der Gesellschaft als Dritte gegenüber und haben – im Gegensatz zu den Aktionären – keinen Einfluss auf die Verfassung der Aktiengesellschaft. Das Stimmrecht ist untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden und kann daher auch nicht durch eine besondere vertragliche Ausgestaltung mit Genussrechten verbunden werden.1286 Im Gegensatz zu einem aus der Mitgliedschaft erwachsenden Anspruch (z.B. dem sog. Dividendenanspruch) kann es von der Mitgliedschaft nicht getrennt werden (sog. Abspaltungs-

1285 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (709 Rz. 37) = NZG 2014, 661; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434 (436); RG v. 24.11.1908 – VII 68/08, RGZ 70, 52 (54); BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (33) = BStBl. II 2008, 852; BFH v. 11.2.1987 – I R 43/83, BFHE 149, 217 (220) = BStBl. II 1987, 643; Aha, AG 1992, 218 (225); Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 14 GmbHG Rz. 11; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 43; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Aufl. 2016, Rz. 5.10; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 322; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 197; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 5 I 3 b = S. 84; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71, 73; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 97; Wertheimer, JW 1923, 573 (575); Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 (704). 1286 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354 (357) = NJW 1952, 178; RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236 (240); Baums in FS Horn, 2006, S. 249 (264); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Beuthien, ZGR 1974, 26 (82); Bürger, Genußrechte als Mittel zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen, insbesondere von Kreditinstituten, 1987, S. 55; von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Ernst, AG 1967, 75 (80); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 180; Grieger, WM 1958, 914 (915); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86, 119; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (384); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; Hedrich/Stedler, ZfgK 1987, 192; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331, 400; Hirte, ZIP 1988, 477 (482); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 88; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 322; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 GmbHG Rz. 24; Linscheidt, DB 1992, 1852; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 219; Lutter, ZGR 1993, 291 (294 f.); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 43, 79; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 17 Rz. 22; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1942); K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 a = S. 561; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71; Schwark in FS Stimpel, 1985, S. 1087 (1107); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24; Sethe, AG 1993, 351 (355); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 88; Stadler, NZI 2003, 579 (586); Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 65; A. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 225; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (240); H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 394; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 290; a.A. Friedlaender, DStZ/A 1966, 242; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Aufl. 2016, Rz. 5.13; Holzheimer, Die Bank 1982, 16 (19). Offen gelassen von Vollmer, ZGR 1983, 445 (460).

Fest

747

462

§ 221 AktG Rz. 463

Einzelne Instrumente

verbot).1287 Die Steuerung des Verbands durch Dritte – und nicht durch die Mitglieder selbst – widerspräche dem Grundsatz der Verbandssouveränität.1288 Dieser begrenzt die Privatautonomie der Gesellschaft dahingehend, dass sie sich nicht der durch die Mitgliedschaftsrechte gewährleisteten Selbstbestimmung begeben kann.1289 bb) Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der Hauptversammlung 463

Von dem Stimmrecht unterscheidet sich das Anfechtungsrecht insoweit, als es zwar in erster Linie, aber nicht ausschließlich den Aktionären zusteht. Es hat eine doppelte Funktion. Zum einen ist es Bestandteil der Mitgliedschaft. In dieser Funktion dient es dem individuellen Schutz der Rechte und Interessen des Aktionärs.1290 Zum anderen sind sowohl die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses (§ 249 AktG) als auch die Anfechtung (§ 246 AktG) desselben objektive, d.h. von dem Nachweis der persönlichen Betroffenheit des Klägers unabhängige, Instrumente zur Kontrolle der Gesetzes- und Rechtmäßigkeit des Organhandelns.1291 In der letztgenannten Funktion dienen sie nicht nur den Interessen einzelner Aktionäre, sondern auch den wohlverstandenen Gesamtbelangen der Gesellschaft.1292 Diese zu wahren ist nicht nur Aufgabe der Aktionäre,1293 sondern auch sämtlicher Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats (§§ 93 Abs. 1 Satz 2, 116 Satz 1, 111 Abs. 3 Satz 1 AktG). Dies rechtfertigt es, das Anfechtungsrecht neben den Aktionären (§§ 245 Nr. 1-3, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG) auch dem Vorstand (§§ 245 Nr. 4, 249 Abs. 1 Satz 1 AktG) sowie einzelnen Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats (§§ 245 Nr. 5, 249 Abs. 1

1287 BGH v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, NJW 1987, 780; BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 468; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 (267) = NJW 1965, 1378; BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363 (364) = NJW 1956, 1198; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354 (357) = NJW 1952, 178; Dauner-Lieb in KölnKomm/AktG, § 8 AktG Rz. 45; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119; Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 78 ff.; Heider in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 12 AktG Rz. 6; Hüffer/Koch, § 12 AktG Rz. 3; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 79; Solveen in Hölters, § 12 AktG Rz. 4; Vatter in Spindler/Stilz, § 12 AktG Rz. 5; Vedder in Grigoleit, § 12 AktG Rz. 2; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 12 AktG Rz. 4, 6. 1288 Statt vieler K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 a = S. 561. 1289 W. Flume, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. I/1, 1977, § 14 IV = S. 220; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 a = S. 561; im Ergebnis ebenso Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; ähnlich Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 97: Vereinbarung nach § 134 BGB i.V.m. §§ 23 Abs. 5, 139 AktG nichtig. Abgeschwächt für Stimmrechtsvereinbarungen Reuter, ZGR 1978, 633 (635 ff.). 1290 K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 245 AktG Rz. 10. 1291 BGH v. 20.9.2004 – II ZR 334/02, NZG 2005, 69; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296 (308) = NJW 1989, 2689; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117 (118) = NJW 1978, 540; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 (265 f.) = NJW 1965, 1378; BGH v. 17.9.1964 – II ZR 136/62, WM 1964, 1188 (1191); OLG Stuttgart v. 28.1.2004 – 20 U 3/03, NZG 2004, 463 (464); OLG Stuttgart v. 23.7.2003 – 20 U 5/03, NJW-RR 2003, 1619 (1620); OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – I-6 U 150/01, juris Rz. 48; Dörr in Spindler/ Stilz, § 245 AktG Rz. 7a; Ehmann in Grigoleit, § 245 AktG Rz. 2; Gehrlein, BB 2004, 2585 (2589); K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1996, § 245 AktG Rz. 10; wohl auch Hüffer/Koch, § 245 AktG Rz. 3: „Kontrollrecht“. 1292 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 1293 Zu Vorbehalten gegen die Rolle der Aktionäre als Wahrer der Rechtsordnung siehe Mertens, AG 1990, 49 ff.

748

Fest

Genussrechte

Rz. 464 § 221 AktG

Satz 1 AktG) zuzugestehen. Den Gläubigern aktienähnlicher Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.) steht es hingegen weder kraft Gesetzes zu1294 noch kann es ihnen in den Genussrechtsbedingungen eingeräumt werden.1295 Nach einer in der Literatur vereinzelt gebliebenen Gegenansicht soll das Anfechtungsrecht sämtlichen Genussrechtsgläubigern zustehen, die im Zeitpunkt der Klageerhebung Mitglied im Verband der Eigenkapitalgeber sind.1296 Diese Ansicht stellt Aktionären sonstige Eigenkapitalgeber gleich und geht damit über den eindeutigen Wortlaut des § 245 Nr. 1-3 AktG hinaus. Methodologisch handelt es sich daher um eine Rechtsfortbildung im Wege der Analogie. Die für dieses Vorgehen erforderliche Gesetzeslücke1297 besteht allerdings nicht. Zwar können Genussrechte derart ausgestaltet werden, dass das eingezahlte Kapital bilanziell zum Eigenkapital (siehe Rz. 339) und gesellschaftsrechtlich zum Haftkapital gehört (siehe Rz. 337, 398 ff.). Hieraus folgt aber nicht, dass den Gläubigern aktienähnlich ausgestalteter Genussrechte dieselben Rechte wie den Aktionären als den rechtsformspezifischen Eigenkapitalgebern zustehen. Im Gegenteil: Auch andere Rechte, z.B. das Stimmrecht (siehe Rz. 462), der abstrakte Gewinnbeteiligungsanspruch (§ 58 Abs. 4 Satz 1 AktG), stehen ausschließlich den Aktionären zu. Für das Anfechtungsrecht gilt Ähnliches. Es ist in erster Linie ein Mitglied-

1294 BFH v. 8.4.2008 – VIII R 3/05, BFHE 221, 25 (33) = BStBl. II 2008, 852; BFH v. 11.2.1987 – I R 43/83, BFHE 149, 217 (220) = BStBl. II 1987, 643; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; RG v. 24.11.1908 – VII 68/08, RGZ 70, 52 (54); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 43; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 322; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 197; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, Vor § 182 AktG Rz. 32. 1295 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316 f.) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Baums in FS Horn, 2006, S. 249 (264); Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Bürger, Genußrechte als Mittel zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen, insbesondere von Kreditinstituten, 1987, S. 55; von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Ernst, AG 1967, 75 (80); Grieger, WM 1958, 914 (915); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (384); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; Hedrich/Stedler, ZfgK 1987, 192; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 400; Hirte, ZIP 1988, 477 (482); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 88; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 322; Linscheidt, DB 1992, 1852; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 197, 219; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 43, 79; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 57; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1942); Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (519); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24; Sethe, AG 1993, 351 (355); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 88; Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 65; a.A. Herrmann, Quasi-Eigenkapital im Kapitalmarkt- und Unternehmensrecht, 1996, S. 207; Schwark in FS Stimpel, 1985, S. 1087 (1107). Offen gelassen von Vollmer, ZGR 1983, 445 (460). 1296 Vollmer, ZGR 1983, 445 (469); Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44 (49) für aktiengleiche Genussrechte. Siehe auch Lorch, Der börsenfähige aktienähnliche Genussschein, 1993, S. 304 für den Fall des (teilweisen) Ausschlusses des Bezugsrechts der Genussscheininhaber. 1297 Statt vieler Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 370.

Fest

749

464

§ 221 AktG Rz. 465

Einzelne Instrumente

schaftsrecht, das nur durch die Aktie, nicht aber durch schuldvertragliche Instrumente vermittelt wird, die lediglich derart ausgestaltet sind, dass das eingezahlte Kapital dem funktionellen Eigenkapital zuzurechnen ist. Die doppelte Funktion des Anfechtungsrechts rechtfertigt es, dieses auch dem Vorstand und einzelnen Mitgliedern des Vorstand und des Aufsichtsrats in die Hände zu legen, da sie verpflichtet sind, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln, §§ 93 Abs. 1 Satz 2, 116 Satz 1, 111 Abs. 3 Satz 1 AktG. Den Genussrechtsgläubigern obliegen vergleichbare Pflichten auch dann nicht, wenn ihre Vermögensrechte aktienähnlich ausgestaltet sind. Ihnen das Anfechtungsrecht zu gewähren, würde daher die Gefahr begründen, die der Gesetzgeber mit dem abschließenden Katalog der klagebefugten Personen und Organe (§ 245 AktG) vermeiden wollte, nämlich, dass die Anfechtungsklage nicht nur zur Wahrung berechtigter Belange und zur Kontrolle der gesellschaftsrechtlichen Organe genutzt, sondern in erhöhtem Maße funktionswidrig zu Eigeninteressen eingesetzt wird.1298 Ohne das Anfechtungsrecht stehen die Genussrechtsgläubiger der Aktiengesellschaft auch nicht schutzlos gegenüber. Aufgrund der vertraglichen Verbindung obliegen der Gesellschaft nicht nur Leistungs-, sondern auch Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2 BGB, siehe Rz. 471). Werden diese verletzt, ist die Gesellschaft ihnen auf schuldrechtlicher Grundlage (§ 280 Abs. 1 BGB) jedenfalls in den Fällen zum Schadensersatz verpflichtet, in denen sie absichtlich zum Nachteil der Genussrechtsinhaber handelt. Diese Rechtsfolge entspricht ihrer Stellung als Gläubiger und verhindert, dass sie Einfluss auf mitgliedschaftliche Angelegenheiten ausüben. 465

Eine andere Begründung dafür, dass den Gläubigern aktienähnlich ausgestalteter Genussrechte – jedenfalls in Bezug auf die Gewährung derselben – das Anfechtungsrecht zusteht, gründet auf die Prämisse, die Gewährung von Genussrechten mit Eigenkapitalcharakter sei eine (unzulässige) Umgehung der §§ 139 ff. AktG. Zur weiteren Begründung bemüht die Ansicht zum einen die Hypothese rechtmäßigen Alternativverhaltens: Hätte die Gesellschaft an Stelle der (rechtswidrigen, aber wirksamen1299) Genussrechte (rechtmäßig) Vorzugsaktien ohne Stimmrecht ausgegeben, wären die Kapitalgeber nach § 140 Abs. 1 i.V.m. § 245 Nr. 1-3 AktG anfechtungsbefugt.1300 Zum anderen liege eine entsprechende Anwendung des im Verfahrensrecht etablierten Meistbegünstigungsgrundsatzes nahe.1301 Die Begründungen überzeugen nicht. Bereits die Prämisse, Aktiengesellschaften seien nicht befugt, aktienähnlich ausgestaltete Genussrechte zu gewähren, trifft nicht zu (eingehend dazu Rz. 399 ff.). Des Weiteren würde die konsequente Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes nicht dazu führen, dass die Rechte, die Aktionären aus Vorzugsaktien ohne Stimmrecht zustehen, an die Stelle der in den Genussrechtsbedingungen vereinbarten Rechte träten. Vielmehr käme es zu einer Kumulation dieser Rechte, d.h. den Gläubigern stünden sowohl die in den Genussrechtsbedingungen ver-

1298 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316 f.) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. Zustimmend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119. 1299 Hirte, ZIP 1988, 477 (488), der für Genussrechte eine Nichtigkeit nach § 134 BGB ablehnt. Da ihre Ausgabe auf einem inhaltlich mangelhaften Beschluss der Hauptversammlung beruhe, werde die Anwendung der §§ 134, 138 BGB durch das abgeschlossene und vorrangige System der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen (§§ 241 ff. AktG) verdrängt. 1300 Hirte, ZIP 1988, 477 (489); Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44 (49). Zu der Anfechtungsbefugnis der Aktionäre stimmrechtsloser Vorzugsaktien siehe statt vieler BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (317) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; G. Bezzenberger in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 140 AktG Rz. 15; Herrler in Grigoleit, § 140 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch, § 140 AktG Rz. 3; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 140 AktG Rz. 3. Vgl. auch BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264 (271) = NJW 1954, 1563 für stimmrechtslose Geschäftsanteile. 1301 Hirte, ZIP 1988, 477 (489).

750

Fest

Genussrechte

Rz. 467 § 221 AktG

einbarten Ansprüche als auch die Rechte zu, die Vorzugsaktien ohne Stimmrecht gewähren. Diese Rechte sind allerdings weitgehend inkompatibel. Dies zeigt sich bereits daran, dass die Genussrechtsgläubiger im Fall der Unternehmensinsolvenz aufgrund desselben Rechts nicht zugleich den Rang eines (nachrangigen) Gläubigers und eines Aktionärs innehaben können. Ein weiteres Beispiel ist § 140 Abs. 2 Satz 1 AktG. Die zwingende Rechtsfolge (§ 23 Abs. 5 Satz 1 AktG) der Vorschrift, namentlich die Gewährung des Stimmrechts, ist mit der Stellung eines Genussrechtsgläubigers nicht zu vereinbaren (siehe Rz. 462). Die Inkompatibilität besteht nicht nur hinsichtlich der Rechte, sondern auch hinsichtlich der Pflichten, die mit der Stellung als Aktionär verbunden sind.1302 Ein Beispiel hierfür ist die mitgliedschaftsrechtliche Treuepflicht,1303 der Aktionäre stimmrechtsloser Vorzugsaktien ebenso wie Stammaktionäre unterliegen,1304 die die Genussrechtsgläubiger aber nicht bindet.1305 Die gesetzgeberische Entscheidung, das Anfechtungsrecht auch in die Hände des Vorstands sowie einzelner Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats zu legen (§ 245 Nr. 4, 5 AktG), ändert nichts daran, dass es der Gesellschaft zur Wahrung ihrer Verbandssouveränität verwehrt ist, das Anfechtungsrecht durch Rechtsgeschäft Dritten, insbesondere Gesellschaftsgläubigern, zu übertragen.1306 Während entsprechenden Vereinbarungen in der Satzung § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG entgegensteht, ergibt sich die Unwirksamkeit von derartigen Bestimmungen in Genussrechtsbedingungen daraus, dass die Gesellschaft aufgrund des Abspaltungsverbots nicht über die erforderliche privatautonome Gestaltungsmacht verfügt (siehe Rz. 462).

466

cc) Andere Mitverwaltungs- und Kontrollrechte In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass andere Mitverwaltungs- und Kontrollrechte, die nicht unmittelbar in den gesellschaftsinternen Willensbildungsprozess eingreifen, vertraglich mit schuldrechtlichen Finanzinstrumenten, insbesondere Genussrechten, verbunden werden können. Dies gelte namentlich für das Recht zur (passiven) Teilnahme an der Haupt-

1302 Obgleich die Pflichten, die mit der Stellung als Aktionär verbunden sind, in § 140 Abs. 1 AktG nicht erwähnt sind, treffen sie die Aktionäre stimmrechtsloser Vorzugsaktien ebenso wie die Stammaktionäre, siehe BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (317) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; G. Bezzenberger in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 140 AktG Rz. 5; Hefermehl in G/H/E/K, 1974, § 140 AktG Rz. 2. 1303 Siebel, ZHR 161 (1997), 628 (653). 1304 Zur Untrennbarkeit von Treuepflicht und mitgliedschaftlicher Beteiligung in der Aktiengesellschaft siehe BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 (148) = NJW 1995, 1739; Bungeroth in MünchKomm/AktG, Vor § 53a AktG Rz. 22; Drygala in KölnKomm/AktG, § 53a AktG Rz. 83; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 53a AktG Rz. 51; Henze/Notz in Großkomm/AktG, Anh § 53a AktG Rz. 25; Hüffer/Koch, § 53a AktG Rz. 13. 1305 Bungeroth in MünchKomm/AktG, Vor § 53a AktG Rz. 23; Hentze/Notz in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2004, Anh. § 53a AktG Rz. 28; Hüffer/Koch, § 53a AktG Rz. 18. 1306 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316 f.) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354 (357) = NJW 1952, 178; RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236 (239); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 119; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 219; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 88; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 a = S. 561; Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (519); H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 394; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 283 ff.; a.A. Vollmer, ZGR 1983, 445 (469).

Fest

751

467

§ 221 AktG Rz. 467

Einzelne Instrumente

versammlung1307 einschließlich des Frage- und Rederechts1308 sowie für Auskunfts- und Informationsrechte.1309 Dem ist zu widersprechen. Diese Rechte stehen den Kapitalgebern auch dann, wenn Zweck der Kapitalüberlassung die Bereitstellung von funktionellen Eigenmitteln ist (siehe Rz. 337, 398 ff.), weder kraft Gesetzes zu1310 noch können sie ihnen in den Anleihebedingungen eingeräumt werden.1311 1307 Bürger, Genußrechte als Mittel zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen, insbesondere von Kreditinstituten, 1987, S. 55; Ernst, AG 1967, 75 (80); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 179 f.; Forster/Goerdeler/Lanfermann/ Müller/Siepe/Stolberg in Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1997, § 266 HGB Rz. 191; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 120; Hammen, DB 1988, 2549; Hedrich/Stedler, ZfgK 1987, 192 (194); Herrmann, Quasi-Eigenkapital im Kapitalmarkt- und Unternehmensrecht, 1996, S. 206; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Kratzsch, BB 2007, 1817 (1818); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 220; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 80; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (276); Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 57; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 88; Sethe, AG 1993, 351 (355); Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 65; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, § 19 II 2 a = S. 86; a.A. Brüggemann/Lühn/Siegel, KoR 2004, 340 (343); Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (313); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; Harrer/Janssen/Halbig, FB 2005, 1; Sontheimer, BB 1984, Beilage 19, S. 1 (2). Offen gelassen von BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (317) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 1308 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 120; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 80; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; wohl nur terminologisch abweichend Sethe, AG 1993, 351 (355) („Anhörungsrechte“); Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, § 19 II 2 a = S. 86 („Recht zur Fragestellung“); a.A. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 89, 91; Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 65. 1309 Bürger, Genußrechte als Mittel zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung von Unternehmen, insbesondere von Kreditinstituten, 1987, S. 56; Ernst, AG 1967, 75 (80); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 181; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 120; Herrmann, Quasi-Eigenkapital im Kapitalmarkt- und Unternehmensrecht, 1996, S. 206; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 220; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 78, 80; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 57; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 91; Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener Anwalts-Handbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 65; a.A. Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312, 313; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 21; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 19 III 4 a = S. 561. Offen gelassen von BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (317) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 1310 Siehe statt vieler BGH v. 5.3.1959 – II ZR 145/57, WM 1959, 434 (436); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 120; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, 8. Aufl. 2016, Rz. 5.10; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, Vor § 182 AktG Rz. 32; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24. 1311 von Caemmerer, JZ 1951, 417 (418); Schwenzer in Bähr, Handbuch des Versicherungsaufsichtsrechts, 2011, § 21 Rz. 140; vgl. auch Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 88 für das Recht zur Beantragung einer Sonderprüfung (§ 142 AktG). A.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 120; Hedrich/Stedler, ZfgK 1987, 192 (194); Herrmann, Quasi-Eigenkapital im Kapitalmarkt- und Unternehmensrecht, 1996, S. 207: Recht zur Beantragung einer Sonderprüfung; so wohl auch Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (319), die mit der Formulierung, dass die Emittenten den Genussrechtsinhabern das Recht zur

752

Fest

Genussrechte

Rz. 469 § 221 AktG

(1) Teilnahme an der Hauptversammlung Das Recht der Aktionäre zur Teilnahme an der Hauptversammlung ist ein originär mitgliedschaftliches Recht.1312 Als Dritte sind Genussrechtsgläubiger auch dann grundsätzlich nicht zur Teilnahme an der Hauptversammlung berechtigt, wenn ihre Vermögensrechte aktienähnlich ausgestaltet sind (siehe Rz. 361 f., 404 ff.) und das von ihnen überlassene Kapital funktionell zu dem Grundstock der Haftungsmasse zählt. Zwar kann ihre Teilnahme in der Satzung oder Geschäftsordnung zugelassen werden.1313 Hierzu bedarf es aber eines Beschlusses der Hauptversammlung mit der Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals, § 179 Abs. 2 Satz 1 bzw. § 129 Abs. 1 Satz 1 AktG. Hieraus ergibt sich der Umkehrschluss, dass das Recht zur Teilnahme an der Hauptversammlung nicht durch eine Bestimmung in den Genussrechtsbedingungen mit Genussrechten verbunden werden kann.1314 Der Umstand, dass das Teilnahmerecht wesentliche Bedeutung in der Regel nur im Zusammenhang mit dem Stimmrecht erlangt, ihm in der Praxis also nur eine geringe eigenständige Bedeutung zukommt,1315 ändert hieran nichts.

468

(2) Informationsrechte Die mitgliedschaftlichen Informationsrechte, namentlich das Auskunftsrecht in der Hauptversammlung (§ 131 Abs. 1 Satz 1 AktG),1316 das Recht auf Einsichtnahme in den Jahresabschluss und den Lagebericht (§ 175 Abs. 2 Satz 1 AktG), das Recht auf Zusendung einer Abschrift desselben (§ 175 Abs. 2 Satz 2 AktG), das Recht auf Unterrichtung über die Einberufung der Hauptversammlung und deren Tagesordnung (§ 125 Abs. 2 AktG) sowie das Recht auf schriftliche Mitteilung von Hauptversammlungsbeschlüssen (§ 125 Abs. 4 AktG), stehen den Genussrechtsgläubigern nicht zu.1317 Gleiches gilt im Ergebnis für das Kontrollrecht des stillen Gesellschafters (§ 233 HGB);1318 die Genussrechte sind auch bei aktienähn-

1312 1313

1314 1315 1316 1317 1318

Teilnahme an der Hauptversammlung sowie die den Aktionären zustehenden Informationsrechte nicht einräumen müssen, voraussetzen, dass die Gewährung dieser Rechte in den Genussrechtsbedingungen möglich ist. Statt vieler Herrler in Grigoleit, § 118 AktG Rz. 17; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, Vor §§ 118-147 AktG Rz. 208. Henssler/Liebscher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 118 AktG Rz. 18 f.; Herrler in Grigoleit, § 118 AktG Rz. 22; Hoffmann in Spindler/Stilz, § 118 AktG Rz. 33 f.; Kubis in MünchKomm/ AktG, 3. Aufl. 2013, § 118 AktG Rz. 111 f.; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1999, § 118 AktG Rz. 78; Reger in Bürgers/Körber, § 118 AktG Rz. 10; Spindler in K. Schmidt/Lutter, § 118 AktG Rz. 48; a.A. Schaaf, ZIP 1999, 1339 (1340): keine Regelung der Aufgaben und Befugnisse des Versammlungsleiters in der Geschäftsordnung. A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 7; a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 323; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 220; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 71. Siehe statt vieler BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (317) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. Habersack, AG 2009, 801 (803); Sethe, AG 1993, 351 (356); a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 406: analoge Anwendung von § 131 AktG. Hierfür fehlt es aufgrund des allgemeinen schuldrechtlichen Auskunftsanspruchs bereits an einer Regelungslücke. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 224 ff.; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 376; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 323. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 38; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 224 ff.; Schön, ZGR 1993, 210 (235); Sethe, AG 1993, 351 (356); a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 92, 121; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (395); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 284, 324; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 47; Schön, JZ 1993, 925 (929); offen gelassen von BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (329) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen.

Fest

753

469

§ 221 AktG Rz. 470

Einzelne Instrumente

licher Ausgestaltung (eingehend dazu Rz. 398 ff.) keine stillen Beteiligungen (eingehend dazu Rz. 378 ff.). Da der Jahresabschluss und die von der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse das Ausschüttungsverhalten der Gesellschaft – je nach Ausgestaltung der Gewinnbeteiligung in den Genussrechtsbedingungen (eingehend dazu Rz. 404 ff.) – sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach beeinflussen können, ist ein Interesse der Genussrechtsgläubiger an diesen Informationen zwar anzuerkennen. Dieses wird aber auf andere Weise befriedigt: (1) Die Gesellschaften können den Genussrechtsgläubigern in den Genussrechtsbedingungen Auskunfts- und Informationsrechte (z.B. auf Einsicht in den Jahresabschluss) einräumen.1319 (2) Enthalten die Genussrechtsbedingungen keine solche Regelung, sind insbesondere kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften verpflichtet, ihren Jahresabschluss, den Lagebericht, den Vorschlag für die Verwendung des Ergebnisses und den Beschluss über seine Verwendung unter Angabe des Jahresüberschusses oder Jahresfehlbetrags nach Maßgabe der §§ 325 ff. HGB und der §§ 37v ff. WpHG offen zu legen.1320 (3) Verletzt die Gesellschaft diese Pflichten, können sich die Gläubiger also nicht mittels des Bundesanzeigers und des Unternehmensregisters unterrichten,1321 steht ihnen aufgrund der schuldvertraglichen Sonderverbindung, die durch das Genussrecht als Dauerschuldverhältnis (siehe Rz. 360) begründet ist, jedenfalls der sich aus § 242 BGB ergebende1322 allgemeine Auskunftsanspruch zu.1323 Daher besteht auch aus praktischen Gesichtspunkten keine Notwendigkeit, unter Durchbrechung des Abspaltungsverbots die Möglichkeit oder gar die Verpflichtung der Gesellschaft anzuerkennen, den Genussrechtsgläubigern in den Genussrechtsbedingungen die originär den Aktionären zustehenden Informationsrechte einzuräumen. g) Schutz der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte 470

Nimmt das gegen Gewährung aktienähnlicher Genussrechte eingezahlte Kapital ähnlich den Einlagen der Aktionäre an Verlusten der Emissionsgesellschaft teil (eingehend dazu Rz. 420 ff.), wird dieses Risiko in der Regel finanziell – vergleichbar der Rechtsstellung der Aktionäre – mit der Aussicht auf eine Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft vergütet (eingehend dazu Rz. 404 ff.). Allerdings stehen den Gläubigern aktienähnlicher Genussrechte im Unterschied zu den Aktionären keine mitgliedschaftlichen Mitverwaltungs- und Kontroll1319 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 405; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 29; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 220; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 23; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24. 1320 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 405. 1321 Der allgemeine Auskunftsanspruch ist ausgeschlossen, soweit die Gläubiger sich aus zugänglichen Quellen – hierzu gehört auch der Bundesanzeiger – informieren können, siehe BGH v. 15./16.6.1970 – V ZR 90/67, LM § 242 (Be) Nr. 25 = WM 1970, 1116; OLG Hamm v. 24.5.2000 – 3 U 145/99, NJW-RR 2001, 236 (237); Grüneberg in Palandt, § 260 BGB Rz. 7; Krüger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 260 BGB Rz. 18; A. Stadler in Jauernig, §§ 259-261 BGB Rz. 3; Unberath in Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 260 BGB Rz. 15. 1322 BGH v. 20.1.1971 – VIII ZR 251/69, BGHZ 55, 201 (203) = NJW 1971, 656; BGH v. 6.2.1962 – VI ZR 193/61, NJW 1962, 731; BGH v. 28.10.1953 – II ZR 149/52, BGHZ 10, 385 (387) = NJW 1954, 70; RG v. 19.11.1938 – II 69/38, RGZ 158, 377 (379); Grüneberg in Palandt, § 260 BGB Rz. 4; Krüger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 260 BGB Rz. 12. 1323 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 2; Emde, Der Genußschein als Finanzierungsinstrument, 1987, S. 191; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 225 f.; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 BGB Rz. 378 f.; Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (519); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 24. Ohne Nennung einer Anspruchsgrundlage Claussen in FS Werner, 1984, S. 81 (87); Feddersen/ Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genußrechte, S. 81. Differenzierend hinsichtlich der Anspruchsgrundlage Sethe, AG 1993, 351 (356, 357): zum einen vertragliche Nebenpflicht aus dem Genussrechtsvertrag, zum anderen aus Treu und Glauben (§ 242 BGB).

754

Fest

Genussrechte

Rz. 472 § 221 AktG

rechte zu; diese können ihnen auch nicht vertraglich in den Genussrechtsbedingungen eingeräumt werden (eingehend dazu Rz. 461 ff.). Auch das den Gläubigern der Gesellschaft grundsätzlich zustehende Recht, bei Sorgfaltspflichtverletzungen Schadensersatzansprüche gegen den Vorstand ausnahmsweise geltend machen zu dürfen (§ 93 Abs. 5 Satz 1 AktG), steht ihnen nicht zu. Aufgrund der Aktienähnlichkeit der Genussrechte sind sie – so der BGH – trotz des formal schuldvertraglichen Charakters der Genussrechte (siehe Rz. 359) jedenfalls insoweit nicht als Gläubiger, sondern als Aktionäre zu behandeln.1324 Hieraus folgt, dass der Schutz der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte gemessen an dem Zweck der Kapitalüberlassung, nämlich der Gesellschaft Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, und im Vergleich zu der Rechtsstellung der Aktionäre defizitär ist.1325 Die Kompensation hat durch ein abgestuftes Konzept bestehend aus Schadensersatzansprüchen bei Pflichtverletzungen (siehe Rz. 471 ff.), einer auch an aktienrechtlichen Normen und Grundsätzen ausgerichteten Inhaltskontrolle (eingehend dazu Rz. 475 ff.) und, soweit die Ausübung von Rechten im Ermessen der Gesellschaft steht, einer Ausübungskontrolle (siehe Rz. 479) zu erfolgen. aa) Schadensersatz bei Pflichtverletzungen Genussrechte erschöpft sich nicht in den aktionärstypischen Vermögensrechten (siehe Rz. 361 f.), sondern begründen auch Schutz- und Verhaltenspflichten (§ 241 Abs. 2 BGB), deren Inhalt in der Wahrung der Rechte des anderen Vertragsteils und der Rücksichtnahme auf seine wohlverstandenen Interessen besteht.1326 Demnach obliegt der Gesellschaft – in Person des Vorstands – gegenüber den Genussrechtsgläubigern zwar keine Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsführung,1327 wohl aber die Pflicht, vertragswidrige Beeinträchtigungen des Genussrechtskapitals zu unterlassen bzw. zu unterbinden.1328 Dies gilt im Grundsatz sowohl für obligationsähnliche (eingehend dazu Rz. 395 ff.) als auch für aktienähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.).1329

471

Einigkeit besteht zum einen darüber, dass nicht jedes Versehen und jede unternehmerische Fehlentscheidung eine Pflichtverletzung darstellt,1330 zum anderen darüber, dass die Gesell-

472

1324 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (329) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 1325 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (329) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. Abweichend Vollmer, GmbHR 1984, 329 (332), der ein erhöhtes Schutzbedürfnis mit der Begründung verneint, dass auch die Aktionäre in der Regel keinen Einfluss auf die Geschäftsführung ausüben könnten, da sie nur eine Minderheitsbeteiligung inne hätten. 1326 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (330) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 38; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 161; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 122; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (392); Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168 (1170); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 384; Lutter, ZGR 1993, 291 (300); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 54; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 Akt Rz. 23. Perspektivisch plädiert Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 276 für eine Annäherung des Haftungsmaßstabs an § 93 Abs. 1 AktG; dagegen Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 386. 1327 RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236 (240); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 159 f.; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 355. 1328 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (331) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 384. 1329 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 385; Lutter, ZGR 1993, 291 (302); Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 Akt Rz. 95. 1330 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 22) = NZG 2014, 661; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (331) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am

Fest

755

§ 221 AktG Rz. 472

Einzelne Instrumente

schaft die ihr obliegenden Schutzpflichten jedenfalls dann verletzt, wenn sie absichtlich zum Nachteil der Genussrechtsgläubiger handelt.1331 Im Übrigen kann sich der Inhalt der Pflicht nach der Ausgestaltung der Genussrechtsbedingungen unterscheiden.1332 Bei aktienähnlichen Genussrechten verletzt die Gesellschaft die ihr gegenüber den Genussrechtsgläubigern obliegende Schutzpflicht jedenfalls auch dann, wenn sie Geschäfte tätigt, die dem in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand nicht entsprechen.1333 Gleiches gilt, wenn die Geschäfte dem Unternehmensgegenstand zwar (noch) unterfallen, aber kaufmännisch schlechthin unseriös und verantwortungslos sind, so dass sie kein verantwortungsbewusst denkender und handelnder Kaufmann vornehmen würde.1334 Letzteres kann bei Termingeschäften (z.B. Swap-Geschäften) anzunehmen sein, wenn diese nicht der Absicherung von Preisschwankungen, sondern zu Spekulationszwecken dienen.1335 Die Schutzpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) reicht – unabhängig von der inhaltlichen Ausgestaltung der Genussrechte – aber jedenfalls nicht soweit, dass die Gesellschaft den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags als abhängige Gesellschaft zu unterlassen hätte.1336 Verletzt die Gesellschaft die Schutzpflicht, ist sie gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet,1337 es sei denn, dass sie die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1

1331 1332 1333

1334

1335 1336 1337

756

Kapitalmarkt, § 14 Rz. 38; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 386; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 85. RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236 (241); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 355. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 122; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 Akt Rz. 54. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (331) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 38; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 161; Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168 (1170); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 Akt Rz. 91; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 355; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 85. Enger Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 388; Lutter, ZGR 1993, 291 (301): nur Geschäfte, die schlechterdings nichts mehr mit dem Unternehmensgegenstand zu tun haben. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, NZG 2014, 661 (663 Rz. 22) = AG 2014, 705; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (331) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 38; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 161; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 272 f.; Habersack, AG 2009, 801 (803, 804); Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (391 ff.); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 27, 65a; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 387; van Look in Bundschuh/Hadding/Schneider, Recht und Praxis der Genußscheine, 1987, S. 35 (42); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 355; Lutter, ZGR 1993, 291 (300); Luttermann, DB 1993, 1809 (1812); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 91; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 85; Schön, JZ 1993, 925 (927 f.); einschränkend Hirte, ZIP 1988, 477 (487): positive Forderungsverletzung (jetzt: § 280 Abs. 1 BGB) in sämtlichen Fällen des § 243 AktG. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (333) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12 – Eurohypo, BGHZ 197, 284 (297 Rz. 35) = NZG 2013, 987; a.A. Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 304 AktG Rz. 18; Schenk in Bürgers/Körber, § 304 AktG Rz. 14; wohl auch Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 70. BGH v. 28.5.2013 – II ZR 67/12 – Eurohypo, BGHZ 197, 284 (296 Rz. 35) = NZG 2013, 987; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 38; Habersack, AG 2009, 801 (804); Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168 (1170); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 Akt Rz. 23; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 85; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 Akt Rz. 95; vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (331) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 384; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221

Fest

Genussrechte

Rz. 473 § 221 AktG

Satz 2 BGB). Die Entlastung kann aufgrund der Auslegungsbedürftigkeit der Satzungsbestimmungen auch bei Tätigkeiten in Betracht kommen, die den Unternehmensgegenstand überschreiten.1338 Die Ansätze, die Haftung auf grob sorgfaltswidriges und leichtsinniges Handeln1339 oder sogar auf absichtliche, treu- und sittenwidrige Schädigungen1340 zu begrenzen, sind vereinzelt geblieben. Bei Genussrechten, die von einem Versicherungsunternehmen (§ 7 Nr. 33 VAG) gewährt werden, stehen die aufsichtsrechtlichen Eigenmittelvorgaben, die eine Verlustteilnahme des eingezahlten Genussrechtskapitals voraussetzen (Art. 71 Abs. 1 Buchst. c, d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35, § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VAG), Schadensersatzansprüchen der Genussrechtsgläubiger, die auf die Wiederauffüllung des verlustgeminderten Genussrechtskapitals gerichtet sind (eingehend dazu Rz. 439 ff.), nicht entgegen.1341 Die Eigenmittelvorgaben sind Bestandteil des Aufsichtsrechts und bestimmen lediglich, welche Kapitalbestandteile unter welchen Voraussetzungen den Eigenmitteln zugerechnet werden dürfen. Unmittelbare Auswirkung auf gesetzliche Ersatzansprüche haben sie – im Umkehrschluss zu § 10 Abs. 5 KWG – nicht.1342 Die Aussage, dass Art. 71 Abs. 1 Buchst. c, d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 und § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VAG Schadensersatzansprüche der Genussrechtsgläubiger nicht ausschließen, bedeutet aber nicht, dass die Genussrechte den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln zugerechnet werden dürfen. Im Gegenteil: Der Schadensersatzanspruch vereitelt die aufsichtsrechtlich erforderliche umfassende Teilnahme an Verlusten der Gesellschaft, so dass das Genussrechtskapital – nicht erst, sobald der Schadensersatzanspruch entstanden ist, sondern bereits von der Einzahlung an – den Eigenmitteln nicht zugerechnet werden darf. Wollen die Gesellschaften die Zurechnung des Genussrechtskapitals zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln sicherstellen, müssen sie in die Genussrechtsbedingungen die ausdrückliche1343 Bestimmung aufnehmen, dass die auf die Wiederauffüllung des Gebnussrechtskapitals gerichteten Schadensersatzansprüche ausgeschlossen sind. Derartige Bestimmungen sind zwar grundsätzlich nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam.1344 Anderes muss aber gelten, wenn die Schadensersatzpflicht auf die Wiederauffüllung des verlustgeminderten Genussrechtskapitals gerichtet ist (eingehend dazu Rz. 439 ff.)

1338 1339 1340 1341

1342 1343

1344

AktG Rz. 355: Haftung aus positiver Vertragsverletzung. Abweichend Lorch, Der börsenfähige aktienähnliche Genussschein, 1993, S. 307: entsprechend den §§ 76, 93 AktG. Kritisch im Grundsätzlichen Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (697 ff.). So wohl auch BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (706 Rz. 22) = NZG 2014, 661. Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (320). RG v. 20.10.1922 – II 654/21, RGZ 105, 236 (241); Vollmer, ZGR 1983, 445 (468); Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (881). Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 162; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 274; Maerker/Ashrafnia, DB 2014, 2210 (2212). Vgl. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (708 Rz. 35) = NZG 2014, 661; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 19; Ehmann, AG 2013, 751 (756); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 162; Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168 (1169); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 65a; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 91; F. A. Schäfer, ZHR 175 (2011), 319 (332 f.); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 85; a.A. Becker, NZG 2014, 171 (174); Becker, NZG 2012, 1089 (1093); Bracht, WM 2012, 585 (589); Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (696 f.) jeweils zu § 10 Abs. 5 KWG a.F. Vgl. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (708 Rz. 36) = NZG 2014, 661 zu § 10 Abs. 5 KWG a.F. Der bloße Hinweis, dass das eingezahlte Kapital den Eigenmitteln zugerechnet werden soll, genügt hierfür nicht, vgl. BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (708 Rz. 37) = NZG 2014, 661; Habersack, AG 2009, 801 (807); Hennrichs/Wilbrink, NZG 2014, 1168 (1170); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 65a; a.A. Becker, NZG 2012, 1089 (1090) jeweils zu § 10 Abs. 5 KWG a.F. Habersack, AG 2009, 801 (806); vgl. auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 363, 392b; Sethe, AG 1993, 351 (362) jeweils zu § 9 AGBG.

Fest

757

473

§ 221 AktG Rz. 474

Einzelne Instrumente

und die Zurechnung des Genussrechtskapitals zu den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln ausschließen würde.1345 Für diese Fälle setzt jedenfalls Art. 71 Abs. 1 Buchst. c, d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 – obgleich im Versicherungsaufsichtsrecht eine § 10 Abs. 5 KWG vergleichbare Regelung fehlt – die zivilrechtliche Wirksamkeit eines vertraglichen Ausschlusses der Schadensersatzpflicht voraus. Um sicherzustellen, dass diese Bestimmung nicht überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB ist, sollte hierauf in dem ggf. zu erstellenden Wertpapierprospekt (siehe Rz. 782) hingewiesen werden. 474

Der Inhalt der Schadensersatzpflicht bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB. Danach sind die Genussrechtsgläubiger so zu stellen, wie sie ohne die Pflichtverletzung stünden. Besteht die Pflichtverletzung darin, dass die Gesellschaft Geschäfte getätigt hat, die von dem in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstand nicht umfasst sind (siehe Rz. 472), und erleidet die Gesellschaft aus diesen Verluste, ist danach zu unterscheiden, ob die Genussrechte obligations- oder aktienähnlich ausgestaltet sind (eingehend dazu Rz. 395 ff., 398 ff.). Bei obligationsähnlichen Genussrechten besteht der Schaden in dem Ausfall von Zinszahlungen.1346 Die Zinsen sind im Zuge der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) nachzuzahlen. Bei aktienähnlichen Genussrechten, bei denen das eingezahlte Genussrechtskapital nach Maßgabe der Genussrechtsbedingungen an den Verlusten der Gesellschaft teilnimmt (eingehend dazu Rz. 420 ff.), entsteht den Genussrechtsgläubigern ein Schaden in Gestalt des verlustgeminderten Rückzahlungsanspruchs.1347 Die als Schadensersatz in erster Linie geschuldete Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) besteht grundsätzlich in der Wiederauffüllung des Rückzahlungsanspruchs (siehe Rz. 439 ff.).1348 Kommt der Schuldner dieser Verpflichtung während der Laufzeit der Genussrechte nicht nach, wandelt sich der Anspruch gemäß § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB in einen Zahlungsanspruch um.1349 bb) Inhaltskontrolle auch anhand aktienrechtlicher Normen und Grundsätze

475

Die Schadensersatzpflicht ist nicht das einzige Mittel zur Verwirklichung des gebotenen Schutzes der Gläubiger aktienähnlicher Genussrechte. Sie ergänzt lediglich die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle der Genussrechtsbedingungen (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.), deren Prüfungsmaßstab um aktienrechtliche Normen und Grundsätze erweitert ist.1350

1345 Im Ergebnis wie hier Becker, NZG 2012, 1089 (1090): Ausschluss des Schadensersatzanspruchs sei durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle entzogen. A.A. Habersack, AG 2009, 801 (806); Sethe, AG 1993, 351 (362). 1346 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 385. 1347 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, NZG 2014, 661 (666 Rz. 44) = AG 2014, 705. 1348 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (710 Rz. 44) = NZG 2014, 661; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 278; Habersack, AG 2009, 801 (804); Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 65a; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 392; Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (696); Sethe, AG 1993, 351 (362, 367). 1349 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 395/12, AG 2014, 705 (710 Rz. 44) = NZG 2014, 661; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 278; Habersack, AG 2009, 801 (804); Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 65a; Mülbert in FS Hüffer, 2010, S. 679 (696). 1350 Grundlegend BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (326 ff.) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. Dem folgend OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3443/14, AG 2015, 795 (796 Rz. 28) = WM 2016, 645; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 3466/14, AG 2015, 576 = ZIP 2015, 1433; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, AG 2014, 164 (166) = NZG 2014, 146; OLG München v. 12.1.2012 – 23 U 2737/11, AG 2012, 339 (341) = ZIP 2012, 576.

758

Fest

Genussrechte

Rz. 478 § 221 AktG

Teile der Literatur lehnen die Erweiterung des Prüfungsmaßstabs um aktienrechtliche Nor- 476 men und Grundsätze ab1351 und fordern, den gebotenen Schutz der Gläubiger ausschließlich anhand schuldrechtlicher Wertungen zu entwickeln.1352 Hierfür werden zwei Argumente angeführt: (1) Das Aktienrecht enthalte keine Vorgaben für die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen aktienähnlicher Finanzinstrumente.1353 Lediglich für den Sonderfall einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (sog. nominelle Kapitalerhöhung) existiere mit § 216 Abs. 3 AktG ein Verwässerungsschutz. Weitere Grundsätze über den Inhalt vertraglicher Rechte der Gläubiger gegenüber der Aktiengesellschaft seien den aktienrechtlichen Bestimmungen nicht zu entnehmen.1354 (2) Die Erweiterung des Prüfungsmaßstabs um aktienrechtliche Normen und Grundsätzen widerspräche dem formal schuldrechtlichen Charakter der Finanzinstrumente.1355 Die sich hieraus ergebenden Unterschiede zwischen der Rechtsstellung der Aktionäre und den Inhabern aktienähnlicher, aber schuldvertraglicher Finanzinstrumente stünden einer Übertragung des im Aktienrecht gefundenen Interessenausgleichs entgegen.1356 Dem kann nicht gefolgt werden. Der Prüfungsmaßstab wird jedenfalls nicht ausschließlich durch den formellen Charakter eines Rechts bestimmt. Im Gegenteil: Dieser tritt grundsätzlich hinter den materiellen Gehalt des Rechts zurück (substance over form).1357 Dies illustriert insbesondere die Inhaltskontrolle von Publikumsgesellschaftsverträgen, die sich aufgrund der körperschaftlichen Gesellschaftsstruktur trotz der Rechtsform einer Personengesellschaft an Grundsätzen des Aktienrechts orientiert. Dies gilt z.B. für die Modalitäten der Haftung der Mitglieder eines gewillkürten Aufsichtsorgans,1358 die Wirksamkeit der Vereinbarung von Sondervorteilen für die Gesellschaftsgründer1359 sowie für die Wirksamkeit von Veräußerungsoptionen.1360 Diese Maßgeblichkeit des materiell-rechtlichen Gehalts gebietet es, auch die Inhaltskontrolle der Genussrechtsbedingungen von aktienähnlichen Genussrechten an aktienrechtlichen Normen und Grundsätzen auszurichten.

477

Die Erweiterung des Prüfungsmaßstabs um aktienrechtliche Normen und Grundsätze ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass sämtliche Normen und Grundsätze, die die Rechtsstellung der Aktionäre prägen, in den Prüfungsmaßstab einfließen. Es gelten zwei Einschränkungen: (1) Soweit die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB auf eine Transparenzkontrolle (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 6 ff.) beschränkt ist (siehe Rz. 405, 416, 426, 458), verbieten der formal schuldrechtliche Charakter (siehe Rz. 359) und die privat-

478

1351 Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 88 f.; Siebel, WM 1994, 1781 (1783). 1352 Feddersen/Meyer-Landrut, ZGR 1993, 312 (318); Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 88 f. 1353 Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 81. 1354 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 52 Rz. 1 f. 1355 Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 88. 1356 Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 89. 1357 Zu Einzelheiten siehe Fest, Anleihebedingungen 2016, S. 458 ff. 1358 BGH v. 7.11.1977 – II ZR 43/76, WM 1977, 1446; BGH v. 4.7.1977 – II ZR 150/75, BGHZ 69, 207 (208) = NJW 1977, 2311; BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, BGHZ 64, 238 (239) = NJW 1975, 1318. 1359 BGH v. 7.11.1977 – II ZR 105/76, NJW 1978, 755; BGH v. 7.11.1977 – II ZR 43/76, WM 1977, 1446 (1447). 1360 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, BGHZ 104, 50 (57) = NJW 1988, 1903; BGH v. 3.5.1982 – II ZR 78/81, BGHZ 84, 11 (Ls.) = NJW 1982, 2303.

Fest

759

§ 221 AktG Rz. 479

Einzelne Instrumente

autonome Gestaltungsfreiheit eine Orientierung an aktienrechtlichen Normen und Grundsätzen. (2) Unterliegen die Bestimmungen nicht nur der Transparenzkontrolle, sondern auch der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle, erschöpft sich deren Prüfungsmaßstab – im Unterschied zu gewöhnlichen Fremdkapitalinstrumenten – nicht in den §§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 308, 309 BGB einschließlich der schuldrechtlichen Leitbilder. Der Schutz der Gläubiger aktienähnlich ausgestalteter Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.), die der Gesellschaft funktionelles Eigenkapital zuführen, wird auch und in erster Linie durch aktienrechtliche Normen und Grundsätze verwirklicht, die hinsichtlich der vermögensrechtlichen Rechtsstellung der Aktionäre einen satzungsfesten Interessenausgleich enthalten. Von diesen Regelungen kann nicht nur nicht in der Satzung (§ 23 Abs. 5 Satz 1 AktG), sondern auch nicht in den Genussrechtsbedingungen aktienähnlich ausgestalteter Genussrechte abgewichen werden. Anderslautende Bestimmungen sind nach § 134 BGB nichtig, ohne dass es hierfür eines Rückgriffs auf die §§ 307 ff. BGB bedarf. cc) Ausübungskontrolle 479

Bei der Ausgestaltung der Rechtsfolgen einzelner Genussrechtsbedingungen (z.B. der Herabsetzung des Genussrechtskapitals) haben die Gesellschaften die Wahl zwischen zwei Varianten: Sie können eine vertraglich festgelegte Rechtsfolge in dem Sinne unbedingt anordnen, dass sie bei der Verwirklichung des Tatbestands ipso iure eintritt.1361 Alternativ kann sich die Gesellschaft in den Genussrechtsbedingungen Gestaltungsrechte vorbehalten, so dass sie bei der Verwirklichung des Tatbestands nach ihrem Ermessen entscheiden kann, ob die vertraglich festgelegte Rechtsfolge eintreten soll. Bei den letztgenannten Gestaltungen ergänzt die Ausübungskontrolle die Inhaltskontrolle.1362 Sie beruht auf dem Grundsatz, dass die Billigkeit eine jedem Recht immanente Schranke ist.1363 Übt die Gesellschaft ein ihr in den Genussrechtsbedingungen wirksam vorbehaltenes Ermessen aus, sind die Gerichte – sei es aufgrund einer besonderen gesetzlichen Bestimmung wie etwa bei der Ausübung eines Leistungsbestimmungsrechts (§ 315 Abs. 1 BGB), sei es auf Grundlage von § 242 BGB – dazu berufen, die Ermessensentscheidung auf ihre Billigkeit zu überprüfen. Einer unbilligen Ermessens- bzw. Rechtsausübung ist die rechtliche Wirkung zu versagen. Von dem Schadensersatzanspruch (siehe Rz. 471 ff.) unterscheidet sich die Ausübungskontrolle dadurch, dass sie keine Pflichtverletzung voraussetzt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Ausübung des vorbehaltenen Rechts bei angemessener Berücksichtigung der Belange der Kapitalgeber unbillig erscheint. Die Unbilligkeit kann allerdings aus einer Pflichtverletzung resultieren. In diesen Konstellationen ist die Ausübungskontrolle vorrangig gegenüber dem Schadensersatzanspruch, da sie den Eintritt eines kausalen Schadens verhindert. 3. Aktiengleiche Genussrechte

480

Von den obligations- und aktienähnlichen Genussrechten werden aktiengleiche Genussrechte unterschieden. Der Begriff der Aktiengleichheit ist aus mehreren Gründen unglücklich. 1361 Ein Beispiel für diese Gestaltungsvariante enthalten die Genussrechtsbedingung, die Gegenstand der sog. Klöckner-Entscheidung (BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 ff. = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen) waren. Sie lauteten auszugsweise wörtlich: „Im Fall einer Herabsetzung des Grundkapitals der Gesellschaft, die ausschließlich dazu dienen soll, Wertminderungen auszugleichen oder sonstige Verluste zu decken, ist zugleich der Gesamtgrundbetrag des Genußkapitals im gleichen Verhältnis und zu entsprechenden Bedingungen herabgesetzt.“ (abgedruckt bei Zupancic, Risikokapitalbeschaffung durch Genußscheine bei großen mittelständischen Unternehmungen, 1989, S. 222). 1362 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 52 Rz. 11; vgl. auch Sethe, AG 1993, 351 (358) für einen Änderungsvorbehalt in Genussrechtsbedingungen. 1363 Statt vieler Mansel in Jauernig, § 242 BGB Rz. 7.

760

Fest

Genussrechte

Rz. 481 § 221 AktG

Zum einen gewähren Genussrechte – unabhängig von ihrer inhaltlichen Ausgestaltung – keine mitgliedschaftliche Beteiligung (siehe Rz. 359). Die Genussrechte konstituierenden aktionärstypischen Rechte sind lediglich schuldrechtliche Nachbildungen mitgliedschaftlicher Rechte (siehe Rz. 361 f.), Genussrechte also bereits aus diesem Grund nicht aktiengleich. Zum anderen stehen mitgliedschaftliche Mitverwaltungs- und Kontrollrechte den Genussrechtsgläubigern weder kraft Gesetzes zu noch können sie ihnen in den Genussrechtsbedingungen eingeräumt werden (eingehend dazu Rz. 461 ff.). In Ansehung dieser Unterschiede sind auch die sog. aktiengleichen Genussrechte nur aktienähnlich. Trotz dieser Unterschiede werden Genussrechte als aktiengleich bezeichnet, wenn mit ihnen nicht nur einzelne aktionärstypische Vermögensrechte verbunden sind, sondern es sich um eine umfassende Nachbildung sämtlicher vermögensrechtlicher Aktionärsrechte handelt.1364 Dies ist – wenngleich im Einzelnen umstritten1365 – nur anzunehmen, wenn das eingezahlte Kapital der Gesellschaft auf Dauer überlassen wird, das Genussrecht also unkündbar ist,1366 die Gläubiger ausschließlich eine an den Dividenden orientierte1367 Gewinnbeteiligung erhalten und ihnen sowohl in der Abwicklung als auch in der Insolvenz der Gesellschaft nur ein Anspruch auf Beteiligung an dem Überschuss zusteht.1368 Einigkeit besteht weitgehend darüber, dass Genussrechte jedenfalls dann nicht aktiengleich, sondern lediglich aktienähnlich sind (eingehend dazu Rz. 398 ff.), wenn sie in einer Weise ausgestaltet sind, die mit der Rechtsstellung von Aktionären unvereinbar ist,1369 namentlich (1) eine gewinnunabhängige Mindestverzinsung gewähren,1370 (2) eine Beteiligung am Gewinn vorsehen, die von dem Inhalt des Gewinnverwendungsbeschlusses derart unabhängig ist, dass eine Ausschüttung auch dann zu erfolgen hat, wenn die Gesellschaft beschließt, Beträge aus dem Jahresüber1364 Sethe, AG 1993, 293 (300); ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 123: mehr oder weniger vollständige Nachbildung der vermögensrechtlichen Aktionärsposition. 1365 Zu Einzelheiten der erforderlichen Ausgestaltung siehe Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (232); Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (654 f.); Reuter in Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, Verhandlungen des 55. Deutschen Juristentages, Bd. I, 1984, S. B 25 f.; Reuter, NJW 1984, 1849 (1851); F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1943). 1366 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (311) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 228; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 85; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 28; wohl Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 43. Dieses Gestaltungselement ist nach RidNiebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 5 für die Aktiengleichheit von Genussrechten entbehrlich. 1367 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 228; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79; wohl auch Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 29; abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 128; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 88, nach deren Ansicht eine jede ausschließlich gewinnorientierte Auszahlung genügt. 1368 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 78, 128; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 88; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79. Begrifflich enger Raiser/ Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 17 Rz. 24: auch uneingeschränkte Teilnahme am Verlust und an Kapitalherabsetzung erforderlich. 1369 Ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 128; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 88; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79, die für die Aktienähnlichkeit jeweils – wohl in Anlehnung an BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (311) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen – eine Besserstellung der Genussrechtsgläubiger gegenüber den Vorzugsaktionären voraussetzen. 1370 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 73; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 125, 128; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (387); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 85, 88; Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (655); Reuter in FS R. Fischer, 1979, 605 (609); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 90.

Fest

761

481

§ 221 AktG Rz. 482

Einzelne Instrumente

schuss in Gewinnrücklagen einzustellen (§ 58 Abs. 1-3 AktG),1371 (3) die Gläubiger einen Anspruch auf die Rückzahlung des Genussrechtskapitals haben können, sei es aufgrund einer nur befristeten Kapitalüberlassung, sei es aufgrund von bestehenden Kündigungsmöglichkeiten,1372 (4) die Ansprüche der Gläubiger in der Insolvenz oder bei der Abwicklung der Gesellschaft gegenüber den Aktionären vorrangig sind1373 oder (5) die Genussrechte den Gläubigern keine Beteiligung am Liquidationserlös gewähren.1374 482

Die Aktiengleichheit von Genussrechten setzt nach allgemeiner Ansicht voraus, dass mit ihnen das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft verbunden ist (eingehend dazu Rz. 404 ff., 413 ff.). Aufgrund eines mit dieser Gestaltung einhergehenden steuerrechtlichen Nachteils, nämlich, dass Ausschüttungen jeder Art auf derart ausgestaltete Genussrechte den Gewinn der Gesellschaft nicht mindern (§ 8 Abs. 3 Satz 2 KStG, siehe Rz. 340), werden sog. aktiengleiche Genussrechte – soweit ersichtlich – derzeit nicht gewährt.1375 Daher ist die Frage, ob einer aktiengleichen Ausgestaltung von Genussrechten die §§ 139 ff. AktG entgegenstehen, seit jeher nur theoretischer Natur.1376 Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur sieht in der aktiengleichen Ausgestaltung von Genussrechten einen Versuch, das Schutzsystem der §§ 139 ff. AktG zu umgehen. Aktiengleiche Genussrechte bürdeten den Gläubigern sämtliche Nachteile stimmrechtsloser Vorzugsaktien auf, ohne diese durch mitgliedschaftliche Mitverwaltungs- und Kontrollrechte (eingehend dazu Rz. 461 ff.) oder typische Gläubigerrechte zu kompensieren. Daher sowie aufgrund des 1371 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 125, 128; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (387); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 88; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 72; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79. 1372 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (311) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 73; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 79, 125, 128; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 85, 88; Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (232); F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1943); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 90. 1373 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 10; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 73; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 79, 125, 128; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (387); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 85, 88; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 72; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 29; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 90; wohl auch Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (232); Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (655): nachrangige Gläubigerposition. 1374 Möschel, ZHR 149 (1985), 206 (232); F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1943); Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 79. 1375 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 73; Feddersen/Knauth, ZGR 1993, 312 (313 f.); Gehling, WM 1992, 1093 (1098); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 76, 127, 128; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 43; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 259; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 224; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 87; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 28; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 29; Sethe, AG 1993, 293 (300 f.); Stamm in Schüppen/Schaub, Münchener AnwaltsHandbuch Aktienrecht, 2. Aufl. 2010, § 21 Rz. 76; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (240); nur geringfügig abweichend Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 10: geringe praktische Bedeutung; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 69: eher selten. 1376 Die Rechtsprechung brauchte die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Umgehung der §§ 139 ff. AktG vorliegt, bislang nicht zu entscheiden, siehe BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (311) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen; OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268.

762

Fest

Genussrechte

Rz. 484 § 221 AktG

zwingenden Charakters der §§ 139 ff. AktG (§ 23 Abs. 5 Satz 1 AktG) seien aktiengleiche Genussrechte unzulässig.1377 Das OLG Düsseldorf1378 sowie die in der Literatur vertretene Gegenansicht stellen den Grundsatz der Privatautonomie in den Vordergrund und legen § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG restriktiv dahingehend aus, dass die Vorschrift nur statutarischen, nicht aber schuldvertraglichen Vereinbarungen entgegensteht. Folglich verneint sie eine Umgehung der §§ 139 ff. AktG und erachtet aktiengleiche Genussrechte als zulässig.1379

IV. Wandel- und Optionsgenussrechte Wandel- und Optionsgenussrechte sind zusammengesetzte Finanzinstrumente. Sie unterscheiden sich von Wandel- und Optionsanleihen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG dadurch, dass das Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien nicht mit einer Schuldverschreibung, sondern mit einem Genussrecht verbunden ist.

483

Die Zulässigkeit der Verbindung von Umtausch- und Bezugsrechten auf Aktien mit Genussrechten – in der Praxis handelt es sich ausnahmslos um Genussscheine – ist im Grundsatz anerkannt.1380 Die Vorschrift des § 187 Abs. 2 AktG, wonach u.a. rechtsgeschäftliche Bezugsrechte i.S.d. § 187 Abs. 1 AktG, die vor dem Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals zugesichert werden, schwebend unwirksam sind (siehe Rz. 246), wird bei Wandel- und Op-

484

1377 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 128; Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (385 f.); Hirte, ZIP 1988, 477 (482); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 228; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 88; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 279 ff.; Reuter in FS Stimpel, 1985, S. 645 (654); Reuter, AG 1985, 104 (105 f.); Reuter in Ständige Deputation des Deutschen Juristentages, Verhandlungen des 55. Deutschen Juristentages, Bd. I, 1984, S. B 25; Reuter, NJW 1984, 1849 (1852); F. A. Schäfer, WM 1991, 1941 (1943); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 79; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 90; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (239 f.); vgl. auch Reuter in FS Fischer, 1979, S. 605 (619) für Partizipationsscheine; in diese Richtung tendierend P. Wassermann, Der langfristige Kredit 1988, 628 (629). 1378 OLG Düsseldorf v. 10.5.1991 – 17 U 19/90, AG 1991, 438 (439). 1379 Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 194; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 43; Hammen, DB 1988, 2549 (2553); Binge/May, DB 1988, 537 (541); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 34; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 22 f.; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 333; Knauth, DZWiR 1993, 97 (98); Luttermann, Unternehmen, Kapital und Genußrechte, 1998, S. 133; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 17 Rz. 24; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 29 f.; Sethe, AG 1993, 293 (304 ff.); Thielemann, Das Genußrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung und der Anlegerschutz, 1988, S. 99; Todtenhöfer, Die Übertragbarkeit der Grundsätze über Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung auf Genußrechte, 1997, S. 54 ff.; Vollmer/Lorch, ZBB 1992, 44 (45). 1380 Ernst, AG 1967, 75 (77); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 90; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 7; Fischer, Der Genußschein als kapitalmarktpolitisches Instrument der Unternehmensfinanzierung, 1989, S. 107; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 319; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 56; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 213; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 31; Rid-Niebler, Genussrechte als Instrumente zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 3 (6); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, 4. Aufl. 2015, § 64 Rz. 76; Sethe, AG 1993, 293 (299); Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 100; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (245); Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 (704); Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879). In BGH v. 1.7.2014 – II ZR 381/13, ZIP 2014, 1876 = AG 2014, 784 wurde die Verbindung von Genussrechten mit einem Wandelungsrecht der Gläubiger nicht beanstandet. Einschränkend nur Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 213: Verbindung sei nur zulässig, wenn die Genussrechte eine über die Verwertung der Umtausch- und Optionsrechte hinausgehende Finanzierungsfunktion erfüllen.

Fest

763

§ 221 AktG Rz. 485

Einzelne Instrumente

tionsanleihen durch § 221 AktG als lex specialis gegenüber § 187 AktG verdrängt (siehe Rz. 85). Dieser Vorrang ist nicht auf den unmittelbaren Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG – Schuldverschreibungen, die mit Umtausch- oder Bezugsrechten auf Aktien verbunden sind – begrenzt, sondern gilt auch für vergleichbare Gestaltungen, auf die § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG entsprechende Anwendung findet. Steht § 187 AktG aus diesem Grund der Ausgabe von naked warrants nicht entgegen (siehe Rz. 246), kann für Wandel- und Optionsgenussrechte nichts anderes gelten.1381 Ihre Gewährung begründet für die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre – konkret: ihre Beteiligungsquote, ihre effektive Stimmrechtsmacht und den Vermögenswert ihrer Beteiligung, wenn die Aktien unter Wert ausgegeben werden – dieselben Gefahren wie die Ausgabe von Wandel- und Optionsanleihen. Hierfür ist es unerheblich, ob die Genussrechte obligationsählich (eingehend dazu Rz. 395 ff.) oder aktienähnlich (eingehend dazu Rz. 398 ff.) ausgestaltet sind und das gegen Gewährung der Genussrechte eingezahlte Kapital als Eigen- oder Fremdkapital (siehe Rz. 338 f.) zu bilanzieren ist. Insbesondere die Einschränkung, dass Umtausch- und Bezugsrechte auf Aktien nur mit Fremdkapitalinstrumenten verbunden werden dürfen,1382 ist – wie u.a. die Zulässigkeit von Optionsaktien zeigt (eingehend dazu Rz. 276 ff.) – § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG nicht zu entnehmen.1383 485

Für die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre – konkret: ihre Beteiligungsquote, ihre effektive Stimmrechtsmacht und den Vermögenswert ihrer Beteiligung, wenn die Aktien unter Wert ausgegeben werden – begründen Wandel- und Optionsgenussrechte dieselben Gefahren wie Wandel- und Optionsanleihen. Ihre Gewährung bedarf daher eines Beschlusses der Hauptversammlung – sei es gemäß § 221 Abs. 3 AktG, sei es in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 AktG (eingehend dazu Rz. 487 ff.) – und löst grundsätzlich ein Bezugsrecht der Aktionäre aus (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 562 ff.).1384

486

Die Umtausch- und Bezugsrechte auf Aktien von Wandel- und Optionsgenussrechten können – wie bei naked warrants (siehe Rz. 261) sowie bei Wandel- und Optionsgewinnschuldverschreibungen (siehe Rz. 323) – in entsprechender Anwendung von § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG auch durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) abgesichert werden.1385 Auf Wandelgenussrechte findet bei dieser Absicherung auch § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechende Anwendung, wenn die Instrumente gegen Geldleistungen gewährt wurden.1386 Die Prüfung der Werthaltigkeit der Sacheinlagen (§ 194 Abs. 4 AktG) ist auch dann entbehrlich, wenn die Wandelgenussrechte gegen Sachleistungen gewährt wurden, de-

1381 Im Ergebnis ebenso Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 40; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 319. 1382 So aber Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 187; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 42 f. 1383 Habersack in FS Nobbe, 2009, 539 (563); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 31. 1384 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 319; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 42; vgl. auch Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 90 zu § 174 Abs. 4 AktG 1937. 1385 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 7; Frey in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 77; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (562); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 31; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 213; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 100; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (245); Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 (705). 1386 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 11; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 243; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 4a; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 6; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 100.

764

Fest

Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis

Rz. 487 § 221 AktG

ren Werthaltigkeit bereits bei der Gewährung der Genussrechte überprüft wurden.1387 Dies gilt nicht nur für obligationsähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 395 ff.), deren Genussrechtsbedingungen neben einem festen und unbedingten Rückzahlungsanspruch einen gewinnabhängigen Zinsanspruch vorsehen (siehe Rz. 395), sondern auch für aktienähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.), bei denen das Genussrechtskapital – sei es in Form eines Kapitalkontos (eingehend dazu Rz. 428 ff.), sei es aufgrund einer Koppelung an Kapitalherabsetzung (eingehend dazu Rz. 436 ff.) – an Verlusten der Gesellschaft teilnimmt.1388 Enthalten die Genussrechtsbedingungen aktienähnlicher Genussrechte alternativ oder kumulativ zu der Verlustteilnahme eine Nachrangvereinbarung (eingehend dazu Rz. 455 ff.), kann nichts anderes gelten (siehe Rz. 125).1389 Demnach scheidet eine entsprechende Anwendung von § 194 Abs. 1 Satz 2 AktG nur aus, wenn die Wandelgenussrechte gegen Sachleistungen ohne Prüfung der Werthaltigkeit oder ohne Gegenleistung (z.B. als Arbeitnehmergratifikation) gewährt werden.1390

Kapitel 3 Beschluss der Hauptversammlung A. Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands Die Ausgabe herkömmlicher Schuldverschreibungen ist – im Gegensatz zu der Schaffung neuer Aktien im Zuge einer Kapitalerhöhung – eine Maßnahme der Geschäftsführung, die dem Vorstand in eigener Verantwortung obliegt.1391 Der Vorstand ist allerdings nicht gehindert, freiwillig nach § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen.1392 Bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) – Gleiches gilt für andere Instrumente, auf die § 221 AktG entsprechende Anwendung findet, z.B. naked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.) – sowie der Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) ist die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands grundsätzlich, d.h. vorbehaltlich der Ausnahme des § 8 Abs. 2 FMStBG (siehe Rz. 492), durch das Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung eingeschränkt (siehe Rz. 767). Der Beschluss kann mit dem Inhalt gefasst werden, dass die Hauptversammlung der Ausgabe konkreter Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen bzw. der Gewährung konkreter Genussrechte zustimmt (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, sog. Zustimmungsbeschluss, eingehend dazu Rz. 510 ff.). Seit der Einführung des § 221 Abs. 2 AktG mit Wirkung vom 1.7.19791393 kann die Hauptversammlung alterna1387 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 243; wohl a.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 11; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 6. 1388 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 194 AktG Rz. 11; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 78 ff.; Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (56); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 244; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 216; Hüffer/Koch, § 194 AktG Rz. 4a; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 11a; a.A. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 194 AktG Rz. 12; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 166; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 194 AktG Rz. 7. 1389 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 194 AktG Rz. 12; Frey in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 194 AktG Rz. 78 ff.; Gleske/Ströbele, CFL 2012, 49 (56); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 244; Rieckers in Spindler/Stilz, § 194 AktG Rz. 12. 1390 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 243. 1391 Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (190). 1392 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 37. 1393 Art. 1 Nr. 30 Buchst. a i.V.m. Art. 5 des Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978 (BGBl. I 1978, 1959).

Fest

765

487

§ 221 AktG Rz. 488

Beschluss der Hauptversammlung

tiv beschließen, den Vorstand für einen festzusetzenden Zeitraum zu der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente zu ermächtigen (sog. Ermächtigungsbeschluss, eingehend dazu Rz. 527 ff.). 488

Die Einschränkung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie bei der Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) dient dem Schutz der Aktionäre.1394 Deren Schutzbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass die Instrumente, auf die § 221 AktG direkt oder entsprechend anzuwenden ist, die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre im Vergleich zu herkömmlichen Schuldverschreibungen in besonderem Maße – wenngleich in unterschiedlicher Weise – beeinträchtigen und die Finanzstruktur der Gesellschaft verändern können.1395 Im Einzelnen:

489

Wird bei Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) oder anderen Instrumenten, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), das Umtausch- bzw. Bezugsrecht auf Aktien ausgeübt, kann durch die Ausgabe neuer Aktien – insbesondere bei einem Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG, eingehend dazu Rz. 613 ff.) – die Beteiligungsquote der (Alt-)Aktionäre verkürzt werden. Zu einer Verwässerung des wirtschaftlichen Wertes der bereits umlaufenden Aktien kommt es hingegen nur ausnahmsweise, wenn die neuen Aktien zu einem Betrag unter dem Marktwert ausgegeben werden (§ 199 Abs. 2 Satz 1 AktG). Des Weiteren verringert sich – wenn Gegenstand des Umtausch- bzw. Bezugsrechts Stammaktien sind (siehe Rz. 27) – die effektive Stimmrechtsmacht der (Alt-)Aktionäre. Schließlich büßen die Aktionäre ihre wirtschaftliche Dispositionsfreiheit darüber, ob sie das Umtauschbzw. Bezugsrecht auf Aktien mittels einer Kapitalerhöhung (§§ 182 Abs. 1 Satz 1, 192 Abs. 1, 202 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 84 ff.) oder der Veräußerung eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG, eingehend dazu Rz. 112 ff.) absichern wollen, bereits mit der Ausgabe der Wandel- und Optionsanleihe ein.1396 Zwar hindert die Ausgabe einer Wandelschuldverschreibung die Aktionäre rechtlich nicht daran, die zur Absicherung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte erforderliche Kapitalerhöhung bzw. die Veräußerung eigener Aktien abzulehnen. In diesem Fall droht der Gesellschaft aber eine Schadensersatzpflicht (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB) gegenüber den Gläubigern, die das Vermögen der Gesellschaft und damit auch den inneren Wert der Aktien mindern würde.1397 Wohl aus diesen Gründen erstreckt Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) das in erster Linie für Kapitalerhöhungen geltende Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung (Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU, ehemals: Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/ EWG) auf die Ausgabe sämtlicher Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind.

1394 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, NJW 1995, 260 = AG 1995, 83; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 78; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 10; Seibt, CFL 2010, 165 (167). 1395 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 104; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 47; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 38; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9. 1396 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 47. 1397 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, ZIP 2013, 212 (216) = AG 2013, 132; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 131; a.A. Barta, Die Kompetenzordnung für die Ausgabe von Umtausch- und Bezugsrechten in der Aktiengesellschaft, 2012, S. 52 ff., 101 ff., der vorzeitig begründete Mitarbeiterbezugsrechte gemäß § 187 Abs. 2 AktG als schwebend unwirksam ansieht.

766

Fest

Ausnahme von dem Beschlusserfordernis

Rz. 492 § 221 AktG

Genussrechte und Gewinnschuldverschreibungen beeinträchtigen die Beteiligungsquote und die effektive Stimmrechtsmacht der Aktionäre zwar weder unmittelbar noch mittelbar.1398 Die Gläubiger dieser Rechte konkurrieren mit den Aktionären aber in vermögensrechtlicher Hinsicht, regelmäßig um den Gewinn der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 308 ff., 404 ff.).1399

490

Das Beschlusserfordernis sichert den Aktionären nicht nur das Recht darüber zu entschei- 491 den, ob Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechte ausgegeben bzw. gewährt und ihre Rechte in der zuvor beschriebenen Art und Weise beeinträchtigt werden, sondern auch die Möglichkeit, den Umfang der Beeinträchtigung zu bestimmen.1400 Der Beschluss – für den Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG gilt dies nur mit Einschränkungen (eingehend dazu Rz. 527 ff.) – kann nämlich auch Vorgaben zu der inhaltlichen Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen enthalten, die der Vorstand bei der Begründung der Rechte im Außenverhältnis zu beachten hat (siehe Rz. 519, 541).

B. Ausnahme von dem Beschlusserfordernis Bei Unternehmen des Finanzsektors (§ 2 Abs. 1 Satz 1 FMStFG), die als Aktiengesellschaften 492 verfasst waren – Gleiches galt für Kommanditgesellschaften auf Aktien (KGaA) und Europäische Gesellschaften (SE), § 9 Abs. 1 FMStBG –, war der Vorstand durch § 8 Abs. 1 Satz 1 FMStBG kraft Gesetzes bis zum 31.12.2009 ermächtigt, Genussrechte an den Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) auszugeben. Gleiches galt – trotz des an Genussscheinen orientierten Wortlauts („auszugeben“) – auch für die Gewährung nicht verbriefter Genussrechte. Die gesetzliche Ermächtigung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 FMStBG) ersetzte die nach überwiegender Ansicht auch bei der Gewährung von Genussrechten mögliche (siehe Rz. 528) Ermächtigung des Vorstands durch die Hauptversammlung nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.).1401 Ergänzend stellte § 8 Abs. 2 FMStBG klar, dass die Gewährung von Genussrechten an den Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) – abweichend von § 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AktG – keiner Zustimmung der Hauptversammlung bedurfte, § 8 Abs. 2 FMStBG. An deren Stelle trat die nach § 8 Abs. 1 Satz 2 FMStBG erforderliche Zustimmung des Aufsichtsrats. Diese musste nicht bereits bei der Stellung des Antrags nach § 4 Abs. 1 Satz 1 FMStFG vorliegen,1402 sondern konnte bis zu dem Abschluss des Verwaltungsverfahrens nachgeholt werden. Die Regelung des § 8 Abs. 2 FMStBG widerspricht bei Genussrechten, die weder mit einem Umtausch- noch mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (eingehend dazu Rz. 483 ff.), nicht den Vorgaben des Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG).1403 Das primär für Kapitalerhöhungen geltende Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung wird in Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) auf die Ausgabe von Wertpapieren erstreckt, die in Aktien umgewandelt werden können oder

1398 Siehe statt vieler Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 234. 1399 Abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 378: Ausgabe bzw. Gewährung berührt das Gewinnverteilung- und Gewinnverwendungsrecht der Hauptversammlung. 1400 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 130; Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (190). 1401 Spindler, DStR 2008, 2268 (2274); wohl auch Veranneman/Gärtner in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 8 BeschlG Rz. 5. 1402 So aber Veranneman/Gärtner in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 8 BeschlG Rz. 7. 1403 Vgl. Spindler, DStR 2008, 2268 (2274); Veranneman/Gärtner in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 8 BeschlG Rz. 6 für sämtliche Genussrechte zu Art. 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG.

Fest

767

§ 221 AktG Rz. 493

Beschluss der Hauptversammlung

mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind.1404 Hierzu zählen nicht nur Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, sondern auch u.a. Wandel- und Optionsgenussrechte (eingehend dazu Rz. 483 ff.).1405 Daher gebietet es die Vorgabe des Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG), Wandel- und Optionsgenussrechte im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung bzw. Reduktion aus dem Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1, 2 FMStBG auszuschließen.1406 Diese Ausnahme ist – soweit ersichtlich – ohne praktische Bedeutung geblieben, da an den Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) weder Wandel- noch Optionsgenussrechte ausgegeben wurden.1407

C. Einberufung der Hauptversammlung 493

Die Einberufung der Hauptversammlung erfolgt nach den §§ 121 ff. AktG.1408 Mit der Einberufung ist die Tagesordnung bekannt zu machen, § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG. In derselben ist der Beschlussgegenstand unter Angabe des wesentlichen Beschlussinhalts zu bezeichnen.1409 Der Wortlaut des Beschlusses muss nicht bekannt gemacht werden.1410 Insbesondere § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG findet keine Anwendung.1411 Der Beschluss über die Ausgabe von Wandelund Gewinnschuldverschreibungen sowie über die Gewährung von Genussrechten hat – im Gegensatz zu dem bei Wandelschuldverschreibungen und anderen Finanzinstrumenten, bei denen den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eingeräumt ist (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), hiervon zu unterscheidenden (Einzel-)Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals (siehe Rz. 86)1412 – keine Satzungsänderung zum Gegenstand,1413 sondern ermächtigt den Vorstand zu einer Maßnahme 1404 Vgl. Spindler, DStR 2008, 2268 (2274); Veranneman/Gärtner in Jaletzke/Veranneman, FMStG, 2009, § 8 BeschlG Rz. 6 jeweils zu Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG. 1405 Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, Rz. 353; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 7. Offen gelassen von Langenbucher, ZGR 2010, 75 (87). 1406 Zurückhaltend Langenbucher, ZGR 2010, 75 (87): Bedenken ob der Vereinbarkeit mit Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU. 1407 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 131a. 1408 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 142; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 58; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 59. 1409 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 83; wohl auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 59, 60: nähere Umschreibung der Umtausch- bzw. Bezugskonditionen erforderlich. 1410 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 142; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 58; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 16; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 Rz. 42; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 40. 1411 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 16; vgl. auch Fischer in Ekkenga/Schöer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 83; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 41; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 58; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 59; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 42; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 14; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 40 jeweils zu § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F.; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 118: entsprechende Anwendung von § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG a.F. 1412 Verfehlt Altenburg, DStR 2013, 5. 1413 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 79; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 7; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 41; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 132; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 117, 389; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9, 16; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 49, 59; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 38; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 55; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 20.

768

Fest

Einberufung der Hauptversammlung

Rz. 495 § 221 AktG

der Geschäftsführung.1414 Zu den zusätzlichen Erfordernissen bei der Absicht, das Bezugsrecht der Aktionäre auszuschließen, siehe Rz. 623 ff. Um über die Ausgabe der von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder die Gewährung von Genussrechten beschließen zu dürfen – sei es in Form eines Zustimmungsbeschlusses (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es in Form eines Ermächtigungsbeschlusses (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) –, muss die Maßnahme gemäß § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG Gegenstand der Tagesordnung sein, die genmeinsam mit der Einberufung (§ 121 Abs. 3 Satz 2 AktG) in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) ordnungsgemäß bekannt zu machen ist (§ 121 Abs. 4 Satz 1 AktG). Die Hauptversammlung ist ohne Antrag des Vorstands nicht berechtigt, die Ausgabe konkreter Wandeloder Gewinnschuldverschreibungen oder die Gewährung konkreter Genussrechte nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zu beschließen.1415 Gegenteiliges ergibt sich – entgegen der überwiegenden Ansicht in der Literatur1416 – nicht aus § 119 Abs. 1 Nr. 6 AktG. Zwar sind die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten – ausweislich der systematischen Stellung des § 221 AktG – Maßnahmen der Kapitalbeschaffung, die gemäß § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG einen Beschluss der Hauptversammlung erfordern. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Ausgabe bzw. Gewährung dieser Instrumente eine Maßnahme der Geschäftsführung ist, an der die Hauptversammlung lediglich zum Schutz der mitgliedschaftlichen Rechte der Aktionäre mitwirken muss.1417 In erster Linie obliegt die Geschäftsführung dem Vorstand. Die Hauptversammlung hat über Fragen der Geschäftsführung nach § 119 Abs. 2 AktG nur zu entscheiden, wenn der Vorstand es verlangt. Für die bloße Mitwirkung an der Geschäftsführung kann nichts anderes gelten. Andernfalls könnte die Hauptversammlung den Vorstand verpflichten (siehe Rz. 516 ff.), bestimmte Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen auszugeben oder Genussrechte zu gewähren. Ein ohne Antrag des Vorstands gefasster Beschluss verstößt daher nicht nur gegen die Pflicht zur Bekanntmachung der Tagesordnung (§ 121 Abs. 3 Satz 2 AktG), sondern ergeht ohne gesetzliche Grundlage und ist daher nach § 241 Nr. 3 Alt. 1 AktG nichtig.

494

Beantragt der Vorstand, die Hauptversammlung möge der Ausgabe konkreter Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder der Gewährung konkreter Genussrechte nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zustimmen, ist die Hauptversammlung nicht notwendig daran gehindert, anstelle der Zustimmung eine Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) zu beschließen. Ein solcher Beschluss verstößt dann nicht gegen die Pflicht zur Bekanntmachung der Tagesordnung (§§ 121 Abs. 3 Satz 2, 124 Abs. 4 Satz 2 AktG),1418 wenn er sich im Rahmen des Gegenstands der Tagesordnung, also der schlagwortartigen Bezeich-

495

1414 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 79, 83; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9; Schröer in Semler/Volhard/ Reichert, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, § 23 Rz. 23; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 20, 37, 40. 1415 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 134; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 50; a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 22. 1416 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17; Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 22. 1417 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 134. 1418 Andernfalls ist der Beschluss zwar nicht nichtig, aber anfechtbar, siehe OLG Rostock v. 15.5.2013 – 1 AktG 1/13, AG 2013, 768 (769); LG München I v. 24.9.2009 – 5 HK O 5697/09, AG 2010, 419 (420); Eckardt in G/H/E/K, 1974, § 124 AktG Rz. 62; Herrler in Grigoleit, § 124 AktG Rz. 23; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 124 AktG Rz. 8; Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 27; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 43; Scholz, AG 2008, 11 (14); Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 121 AktG Rz. 62, § 124 Rz. 97; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 90.

Fest

769

§ 221 AktG Rz. 496

Beschluss der Hauptversammlung

nung des Tagesordnungspunktes,1419 bewegt. Dies ist grundsätzlich1420 anzunehmen, wenn die erteilte Ermächtigung wirtschaftlich äquivalent zu der beantragten Zustimmung ist1421 und (daher) nicht intensiver als jene in die Rechte der Aktionäre eingreift.1422 496

Gegenteiliges gilt, wenn der Vorstand lediglich die Erteilung einer Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) beantragt hat, die Hauptversammlung aber eine konkrete Kapitalmaßnahme nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG beschließt.1423 Ein solcher Zustimmungsbeschluss kann sich zwar noch im Rahmen des Gegenstands der Tagesordnung bewegen und verstößt daher nicht notwendig gegen die Pflicht zur Bekanntmachung der Tagesordnung (§§ 121 Abs. 3 Satz 2, 124 Abs. 4 Satz 2 AktG). Er begründet aber eine Durchführungspflicht des Vorstands (siehe Rz. 516 ff.) und würde daher in die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands eingreifen.1424 Da die Hauptversammlung zu einem solchen Beschluss auch nicht nach § 119 Abs. 1 Nr. 6 AktG befugt ist (siehe Rz. 494), erginge ein solcher Beschluss ohne gesetzliche Grundlage und wäre daher nicht nur rechtswidrig und anfechtbar, sondern gemäß § 241 Nr. 3 Alt. 1 AktG nichtig.

D. Beschlussfassung, Mehrheitserfordernisse (§ 221 Abs. 1 Satz 2-4 AktG) 497

Hinsichtlich der erforderlichen Mehrheit enthält § 221 Abs. 1 Satz 2-4 AktG nur eine unvollständige Regelung.1425 Die Vorschrift enthält nur ein weiteres Erfordernis i.S.d. § 133 Abs. 1 AktG,1426 nämlich eine qualifizierte Kapitalmehrheit. Daher bedarf der Beschluss der Hauptversammlung gemäß § 133 Abs. 1 AktG – dies gilt sowohl für den Zustimmungsbeschluss nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff.) als auch für den Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) – grundsätzlich der einfachen Stimmenmehrheit.1427 Als weiteres Erfordernis ergibt sich aus § 221 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Kapitalmehrheit, die grundsätzlich mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Das bei der Beschlussfassung ver1419 Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 68. 1420 Zu der Frage, ob der Gegenstand der Tagesordnung eingeschränkt werden kann, siehe bejahend Drinhausen in Hölters, § 124 AktG Rz. 8; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 15; Werner in FS Fleck, 1988, S. 401 (407); verneinend OLG Celle v. 15.7.1992 – 9 U 65/91, AG 1993, 178 (179); Hüffer/Koch, § 124 AktG Rz. 8; Wieneke in FS Schwark, 2009, S. 305 (314 ff.); Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 69. 1421 OLG Rostock v. 15.5.2013 – 1 AktG 1/13, AG 2013, 768 (770); Drinhausen in Hölters, § 124 AktG Rz. 24; Herrler in Grigoleit, § 124 AktG Rz. 25; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 AktG Rz. 61; Reger in Bürgers/Körber, § 124 AktG Rz. 25; Rieckers in Spindler/Stilz, § 124 AktG Rz. 54; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 124 AktG Rz. 93; dagegen Wieneke in FS Schwark, 2009, S. 305 (322); Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 70. 1422 Ziemons in K. Schmidt/Lutter, § 124 AktG Rz. 70. 1423 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 133; wohl a.A. Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17. 1424 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 50. 1425 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 84; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 14. 1426 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 144; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 14. 1427 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 21; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 84; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 11; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 144; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 112; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 14, 36; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 62; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 14; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 37.

770

Fest

Beschlussfassung, Mehrheitserfordernisse

Rz. 499 § 221 AktG

tretene Grundkapital besteht aus den Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben werden, sowie den form- und fristgerecht abgegebenen Briefwahlstimmen, sofern die Satzung die Briefwahl zulässt (§ 118 Abs. 2 AktG).1428 Nicht zu berücksichtigen sind im Umkehrschluss zu § 140 Abs. 2 Satz 3 AktG stimmrechtslose Vorzugsaktien1429 sowie Aktien, deren Stimmrecht ruht (z.B. § 71b AktG, § 28 Abs. 1 Satz 1 WpHG, § 59 Satz 1 WpÜG).1430

I. Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss Ihrer systematischen Stellung nach gelten die Regelungen in § 221 Abs. 1 Satz 2-4 AktG nur 498 für den Beschluss, durch den die Hauptversammlung der Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG) oder der Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AktG) zustimmt (sog. Zustimmungsbeschluss). Für den im Zuge der Umsetzung von Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG (jetzt: Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU) mit Wirkung vom 1.7.19791431 nachträglich eingefügten Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) gelten sie nach allgemeiner Ansicht jedenfalls entsprechend.1432 Zwar enthält Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG (jetzt: Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU) keine Vorgaben hinsichtlich der erforderlichen Mehrheit, so dass der deutsche (Umsetzungs-)Gesetzgeber jedenfalls durch unionsrechtliche Vorgaben nicht gehindert gewesen wäre, für den Ermächtigungsbeschluss – im Unterschied zu dem Zustimmungsbeschluss – die einfache Stimmenmehrheit genügen zu lassen. Den Gesetzesmaterialien1433 sind aber weder ein dahingehender Wille noch andere Anhaltspunkte für divergierende Mehrheitserfordernisse zu entnehmen.

II. Sonderbeschlüsse bei mehreren Aktiengattungen (§ 221 Abs. 1 Satz 4 AktG) Sind mehrere Aktiengattungen (§ 11 AktG) vorhanden, bedarf der Beschluss der Hauptversammlung gemäß § 221 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 2 Satz 1 AktG – dies gilt nicht nur für einen Zustimmungsbeschluss nach § 221 Abs 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff.), sondern in entsprechender Anwendung auch für einen Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) – der Zustimmung der Aktionäre jeder Gattung. Diese Zustimmung ist ausweislich des eindeutigen Wortlauts des § 182 Abs. 2 Satz 1 AktG eine Wirksamkeitsvoraussetzung für den Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss i.S.d. § 221 Abs. 1-3 AktG.1434 1428 Stein in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 179 AktG Rz. 82. 1429 Ehmann in Grigoleit, § 179 AktG Rz. 12; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 84; Hüffer/Koch, § 179 AktG Rz. 14; Körber in Bürgers/Körber, § 179 AktG Rz. 33; Senger/Vogelmann, AG 2002, 193 (194); Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 179 AktG Rz. 28; Stein in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 179 AktG Rz. 83; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 179 AktG Rz. 113. 1430 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 11; Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 179 AktG Rz. 28; Stein in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 179 AktG Rz. 83; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 179 AktG Rz. 113. 1431 Art. 1 Nr. 30 Buchst. a i.V.m. Art. 5 des Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978 (BGBl. I 1978, 1959). 1432 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 153. 1433 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu Nr. 30. 1434 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 16; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 15; vgl. auch RG v. 21.6.1935 – II B 5/35, RGZ 148, 175 (186) zu § 275 Abs. 3 HGB a.F.

Fest

771

499

§ 221 AktG Rz. 500

Beschluss der Hauptversammlung

500

Besondere Aktiengattungen sind u.a. sog. Nebenleistungsaktien, die besondere Rechte gewähren (§ 55 AktG), sowie Vorzugsaktien ohne Stimmrecht (§§ 139 ff. AktG). Eines Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht bedarf es trotz der Verweisung des § 221 Abs. 1 Satz 4 AktG grundsätzlich nicht.1435 Zum einen setzt § 182 Abs. 2 Satz 1 AktG mehrere Gattungen von stimmberechtigten Aktien voraus,1436 ohne selbst das Stimmrecht zu verleihen.1437 Aus diesem Grund geht die Verweisung des § 221 Abs. 1 Satz 4 AktG für Vorzugsaktien ohne Stimmrecht grundsätzlich ins Leere (zu der Ausnahme siehe Rz. 501). Zum anderen enthält § 141 Abs. 2 Satz 1 AktG eine abschließende Regelung des Erfordernisses eines Sonderbeschlusses der Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht,1438 die die Anwendung von § 182 Abs. 2 AktG auch in den Fällen einer Verweisung des § 221 Abs. 1 Satz 4 AktG ausschließt.1439

501

Eines Sonderbeschlusses der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre bedarf es nur ausnahmsweise, wenn sich das Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien – sei es von Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, sei es von anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) – auf Vorzugsaktien ohne Stimmrecht bezieht,1440 die bei der Verteilung des Gewinns und des Gesellschaftsvermögens den Vorzugsaktionären ohne Stimmrecht vorgehen oder gleichstehen. Methodologisch ergibt sich dies aus einer entsprechenden Anwendung von § 141 Abs. 2 AktG. Die hierfür erforderliche Regelungslücke besteht auch nach dem Inkrafttreten der Aktienrechtsnovelle 20161441 fort, da § 221 AktG nur punktuell um die Möglichkeit umgekehrter Wandel- und Optionsanleihen ergänzt wurde (eingehend dazu Rz. 13, 102 ff.). Die entsprechende Anwendung von § 141 Abs. 2 AktG ist zum Schutz der Gesellschaft sowie der Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht geboten. Bedürfte nur die zur Absicherung des Umtausch- oder Bezugsrechts erforderliche Kapitalerhöhung in unmittelbarer Anwendung von § 141 Abs. 2 Satz 1 AktG der Zustimmung der stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre,1442 wäre die Gesellschaft den Gläubigern im Fall der Verweigerung dieser Zustimmung zum Schadensersatz (§§ 280 Abs. 1, 3, 281 BGB) verpflichtet, wodurch der Wert sämtlicher Aktien der Gesellschaft – also auch der Wert der stimmrechtslosen Vorzugsaktien –gemindert würde. Der hiermit einhergehende wirtschaftliche Druck auf die stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre, der Kapitalerhöhung nach § 141 Abs. 2 Satz 1 AktG zuzustimmen, wird dadurch, dass sie dem Beschluss der Hauptversammlung zu der Ausgabe von Wertpapieren, die in Vorzugsaktien ohne Stimmrecht umgewan1435 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 114; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 64, 337; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 41; Sethe, AG 1993, 293 (309); wohl auch Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 15. 1436 Hüffer/Koch, § 182 Rz. 19; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 41; Lutter, AG 1994, 429 (446); Krauel/Weng, AG 2003, 561 (562); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 21; Werner, AG 1971, 69 (74); Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 50. 1437 Abweichend Möhring/Schwartz/Rowedder/Haberlandt, Die Aktiengesellschaft und ihre Satzung, 2. Aufl. 1966, S. 46. 1438 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 182 AktG Rz. 11. 1439 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 145; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 41; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 37; a.A. wohl A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2. 1440 Ohne die nachstehende Einschränkung Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 145; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 114; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 64; a.A. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 41; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 37. 1441 Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). 1442 So Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 41.

772

Fest

Beschlussfassung, Mehrheitserfordernisse

Rz. 504 § 221 AktG

delt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien dieser Gattung verbunden sind, in entsprechender Anwendung von § 141 Abs. 2 Satz 1 AktG zustimmen müssen, zwar nicht beseitigt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Gesellschaft diese Wertpapiere ausgibt und die stimmrechtslosen Vorzugsaktionäre ihre für die Kapitalerhöhung erforderliche Zustimmung verweigern, wäre aber doch erheblich verringert. Die ggf. erforderlichen Sonderbeschlüsse (siehe Rz. 500, 501) sind nach Maßgabe von § 138 AktG zu fassen. Eine zeitliche Reihenfolge ist nicht vorgesehen, so dass sie entweder kurze Zeit vor oder innerhalb einer angemessenen Zeit nach dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss i.S.d. § 221 Abs. 1-3 AktG gefasst werden können.1443 Die für den jeweiligen Sonderbeschluss erforderliche Mehrheit ergibt sich – vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung in der Satzung (§ 221 Abs. 1 Satz 3 AktG, siehe Rz. 503 ff.) – nicht aus § 182 Abs. 2 Satz 3, Abs. 1 AktG, sondern aus § 221 Abs. 1 Satz 2 AktG als lex specialis.1444 Lediglich für den nur ausnahmsweise erforderlichen Zustimmungsbeschluss der Vorzugsaktionäre ohne Stimmrecht (siehe Rz. 501) gilt die abschließende Regelung des § 141 Abs. 3 AktG,1445 die ihrerseits § 221 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG verdrängt. Bestimmt die Satzung für den Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss eine andere Kapitalmehrheit oder weitere Erfordernisse (siehe Rz. 503 ff.), ist im Zweifel davon auszugehen, dass diese auch für die nach § 221 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 182 Abs. 2 AktG erforderlichen Sonderbeschlüsse gelten sollen.1446

502

III. Modifikationen in der Satzung (§ 221 Abs. 1 Satz 3 AktG) Gemäß § 221 Abs. 1 Satz 3 AktG kann die Satzung eine andere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen. Hierzu ist es erforderlich, dass die Satzungsbestimmung bei der gebotenen objektiven Auslegung1447 zumindest auch für die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten gelten soll.1448 Es empfiehlt sich, dies durch die ausdrückliche Nennung von § 221 AktG klarzustellen. Statutarische Bestimmungen, die ihrem Wortlaut nach nur für andere Beschlussgegenstände (z.B. Kapitalerhöhungen, Kapitalherabsetzungen) gelten, können nicht ohne Weiteres,1449 sondern nur ausnahmsweise bei Vorliegen objektiver Anhaltspunkte dahingehend ausgelegt werden, dass sie auch für den Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG gelten sollen.1450

503

Die andere Kapitalmehrheit i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 3 AktG muss – im Umkehrschluss zu dem abweichenden Wortlaut des § 193 Abs. 1 Satz 2 AktG („größere Kapitalmehrheit“) –

504

1443 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 32; Servatius in Spindler/ Stilz, § 182 AktG Rz. 31; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 52. 1444 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 145. 1445 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 145. 1446 Vgl. Hüffer/Koch, § 182 AktG Rz. 20; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 182 AktG Rz. 31; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 32. 1447 Zu der objektiven Auslegung materieller Satzungsbestandteile siehe statt vieler Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 23 AktG Rz. 9 m.w.N. 1448 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 14. 1449 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 Rz. 51; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 112; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 40; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 14. 1450 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 144; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 15; Servatius in Spindler/Stilz, § 182 AktG Rz. 30; abweichend Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 Rz. 51; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 62: ausdrückliche Regelung erforderlich; ähnlich Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 14: eindeutig.

Fest

773

§ 221 AktG Rz. 505

Beschluss der Hauptversammlung

keine größere Kapitalmehrheit sein.1451 Daher kann die Satzung dieses Erfordernis bis zu der Grenze der Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Kapitals (siehe Rz. 497) herabsetzen.1452 Ein Verzicht auf die Kapitalmehrheit ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 221 Abs. 1 Satz 3 AktG, der lediglich die Bestimmung einer anderen als der in § 221 Abs. 1 Satz 2 AktG genannten Kapitalmehrheit erlaubt, nicht aber die Kapitalmehrheit als solche zur Disposition stellt, allerdings nicht möglich.1453 Gleiches gilt für die nach § 133 Abs. 1 AktG erforderliche Stimmenmehrheit.1454 Sie kann insbesondere nicht durch die statutarische Bestimmung einer größeren Kapitalmehrheit ersetzt werden. 505

Alternativ oder kumulativ zu der anderen Kapitalmehrheit (siehe Rz. 504) kann die Satzung gemäß § 221 Abs. 1 Satz 3 AktG weitere Erfordernisse bestimmen. Diese müssen den Vorgang der Beschlussfassung betreffen.1455 Zulässig sind u.a. Regelungen betreffend das Abstimmungsverfahren (z.B. zweifache Abstimmung in derselben oder einer anderen Hauptversammlung),1456 das Erfordernis einer Mindestbeteiligung an der Abstimmung (sog. Präsenzquorum)1457 sowie die Bestimmung einer größeren Stimmenmehrheit.1458 Unzulässige weitere Erfordernisse sind z.B. die Zustimmung bestimmter einzelner Aktionäre oder Aktionärsgruppen,1459 die Zustimmung des Aufsichtsrats außerhalb des Anwendungsbereichs des § 8 FMStBG (siehe Rz. 492)1460 sowie die Notwendigkeit einer sachlichen Rechtfertigung im Sinne einer materiellen Beschlusskontrolle.1461

1451 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 21; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 84; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 11; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 112; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 15; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 62; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 40; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 14; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 25; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 15; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 37. 1452 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 144; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 62; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 40. 1453 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 144; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 40. 1454 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 144; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 40. 1455 Vgl. Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 55. 1456 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 112; vgl. auch Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 133 AktG Rz. 124; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 55. 1457 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 63; vgl. auch Herrler in Grigoleit, § 133 AktG Rz. 20; Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 55. 1458 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 144; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 40; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 37; a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 12; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 15; wohl auch Fischer in Ekkenga/ Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 84. 1459 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 116; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 31; vgl. auch Grundmann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2008, § 133 AktG Rz. 123; Herrler in Grigoleit, § 133 AktG Rz. 20. 1460 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 31; vgl. auch Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 56. 1461 Vgl. Schröer in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 133 AktG Rz. 54.

774

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 509 § 221 AktG

E. Beschlussinhalt Die Beschlüsse der Hauptversammlung, der Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder der Gewährung von Genussrechten zuzustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG) oder den Vorstand zu der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente zu ermächtigen (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG), sind nicht auf eine Satzungsänderung gerichtet (siehe Rz. 493). Ihr Inhalt erschöpft sich darin, dem Vorstand die Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder die Gewährung von Genussrechten als Maßnahme der Geschäftsführung zu gestatten.1462

506

Der hiervon zu unterscheidende Abschluss von Begebungs- und Genussrechtsverträgen im Außenverhältnis der Gesellschaft bedarf keines Beschlusses der Hauptversammlung; die Verträge können von dem Vorstand im Rahmen seiner organschaftlichen Vertretungsmacht begründet werden (siehe Rz. 767). Vor diesem Hintergrund ist der in einer Tagesordnung angegebene Beschlussgegenstand, die Hauptversammlung möge über die „Zustimmung zum Abschluss von Verträgen über die Gewährung von Genussrechten“ beschließen, dahingehend auszulegen, dass die Hauptversammlung der Gewährung dieser Rechte nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zustimmen soll.1463

507

Auf Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechte haben die Aktionäre 508 kraft Gesetzes (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) grundsätzlich ein Bezugsrecht (eingehend dazu Rz. 562 ff.). Eine positive Entscheidung der Hauptversammlung ist hierfür nicht erforderlich. Sie ist lediglich nach § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG befugt, das Bezugsrecht in einem von dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss zu unterscheidenden (Einzel-)Beschluss nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG auszuschließen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht zu ersetzen (eingehend dazu Rz. 593 ff.). Der Beschluss über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und anderen Instrumenten, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), beinhaltet keine Entscheidung über die Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte.1464 Sowohl die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG, siehe Rz. 86 ff.) – Gleiches gilt für das genehmigte Kapital (§ 202 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 179 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 96 ff.) und die ordentliche Kapitalerhöhung (§ 179 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 106 ff.) – als auch die Wiederveräußerung eigener Aktien außerhalb der Börse (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 Halbs. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 112 ff.) bedürfen eines gesonderten Beschlusses der Hauptversammlung.1465 Zulässig und üblich ist es, die (Einzel-)Beschlüsse in Form eines zusammengesetzten Gesamtbeschlusses in der gleichen Hauptversammlung zu fassen.

1462 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 132; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 20, 37. 1463 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, NJW 1993, 400 (401) = AG 1993, 134 (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 120, 141 ff.). 1464 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 58. 1465 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 138.

Fest

775

509

§ 221 AktG Rz. 510

Beschluss der Hauptversammlung

I. Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG) 1. Mindestinhalt 510

Der Beschluss muss erkennen lassen, dass die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zustimmt.1466 Hierzu ist empfehlenswert, aber nicht erforderlich, dass der Beschluss den Begriff der Zustimmung verwendet oder die Rechtsgrundlage ausdrücklich nennt. Es genügt, dass dem Beschluss im Wege der Auslegung zu entnehmen ist, dass die Hauptversammlung eine Durchführungspflicht des Vorstands (eingehend dazu Rz. 516 ff.) begründen wollte. Ein Indiz hierfür sind regelmäßig detaillierte Vorgaben für die Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen.1467

511

Der Zweck des § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, die Aktionäre darüber entscheiden zu lassen, ob und in welchem Umfang die Gesellschaft Kapitalmaßnahmen durchführen soll, die die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigen (siehe Rz. 488 ff.), erfordert, dass die Hauptversammlung über den wesentlichen Inhalt der Rechte entscheidet.1468 Hierzu zählen – neben den besonderen Mindestanforderungen für die einzelnen Instrumente (siehe Rz. 512 ff.) – jedenfalls die Art des Instruments (siehe Rz. 142, 167)1469 sowie der Gesamtnennbetrag der Anleihe bzw. der Genussrechte.1470 Der Gesamtbetrag muss – auch bei einem Zustimmungsbeschluss nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG – nicht notwendig als konkreter Betrag angegeben werden. Ausreichend ist – wie bei einer sog. Bis-zu-Kapitalerhöhung1471 – die Angabe eines Höchstbetrags.1472 Diesen kann der Vorstand in mehreren Tranchen ausschöpfen. Der Umstand, dass die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten – im Gegensatz zu einer regulären Kapitalerhöhung1473 – nicht zu 1466 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11. 1467 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 20. 1468 Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (273). 1469 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (225); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 25; a.A. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 52. 1470 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 340; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 52; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 101, 382; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 10; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (225); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 26, 117; wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 139 in Anlehnung an den erforderlichen Inhalt der Tagesordnung. Weitergehend Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (273): auch die Laufzeit. 1471 KG v. 6.12.2010 – 23 AktG 1/10, ZIP 2011, 172 (175) = AG 2011, 170; OLG Hamburg v. 29.10.1999 – 11 U 71/99, AG 2000, 326 (327) = NZG 2000, 549; Hüffer/Koch, § 182 AktG Rz. 12; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 182 AktG Rz. 17; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 27; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 42; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 182 AktG Rz. 16; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 55. 1472 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 340; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 139; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; Seibt, CFL 2010, 165 (167); wohl a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 26. 1473 RG v. 30.5.1903 – I 21/03, RGZ 55, 65 (67 f.); Hüffer/Koch, § 182 AktG Rz. 12; Lutter in FS Schilling, 1973, S. 207 (213); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 41;

776

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 513 § 221 AktG

scheitern droht, wenn der konkret angegebene Gesamtnennbetrag der Anleihe bzw. der Genussrechte nicht erschöpft wird, steht der Möglichkeit, lediglich einen Höchstbetrag festzusetzen, nicht entgegen. Bei Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) – Gleiches gilt für andere Wertpapiere, auf die § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG entsprechende Anwendung findet, z.B. isolierte Optionsrechte (eingehend dazu Rz. 232 ff.) – muss der Beschluss den Gegenstand des Umtausch- oder Bezugsrechts, namentlich die Gattung der Aktien (siehe Rz. 27),1474 das Umtausch- bzw. Bezugsverhältnis (siehe Rz. 191, 214)1475 sowie – in Anlehnung an § 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG – den Ausgabebetrag der Aktien, den Mindestausgabebetrag oder die Grundlagen für die Festlegung des Ausgabebetrags oder des Mindestausgabebetrags bestimmen.1476 Für letzteres genügt z.B. der gewichtete Börsenkurs während eines festgelegten Referenzzeitraums.1477 Bei der Bestimmung des Ausgabebetrags ist der geringste Ausgabebetrag i.S.d. § 9 Abs. 1 AktG zu beachten.1478 Werden die Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.), darf der Ausgabebetrag den geringsten Ausgabetrag der Bezugsaktien (§ 192 Abs. 1 AktG) nur unter den Voraussetzungen des § 199 Abs. 2 AktG unterschreiten.1479 In diesem Fall empfiehlt es sich, die Zuzahlungsverpflichtung (§ 199 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG) bereits in den Beschluss der Hauptversammlung aufzunehmen. Wird das Bezugsrecht der Aktionäre ganz oder zum Teil ausgeschlossen (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG, eingehend dazu Rz. 613 ff.), darf der Ausgabebetrag oder der Mindestausgabebetrag nicht unangemessen niedrig festgesetzt werden; andernfalls ist der Beschluss in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG anfechtbar (eingehend dazu Rz. 721 ff.).

512

Bei Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) ist zunächst festzulegen, ob die Zahlungsansprüche gewinnorientiert oder gewinnabhängig sein sollen.1480 Ferner sind zumindest in wesentlichen Grundzügen die Gewinnanteile der Aktionäre zu bestimmen, mit denen die Gläubigerrechte in Verbindung gebracht werden sollen (eingehend dazu Rz. 313 ff.).1481 Bei Genussrechten (§ 221 Abs. 3

513

1474 1475

1476

1477 1478 1479 1480 1481

Veil in K. Schmidt/Lutter, § 182 AktG Rz. 16; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 182 AktG Rz. 55. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29; a.A. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11: fakultativer Beschlussinhalt. Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 35; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 101; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60; a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29: fakultativer Beschlussinhalt. Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 35; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 52, 56; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 101; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; wohl auch Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 340 f.; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 9; a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 28. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 28. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 10; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 13; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 21; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 28. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 21. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 382. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8, 10; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10, 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 30.

Fest

777

§ 221 AktG Rz. 514

Beschluss der Hauptversammlung

AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) sind zumindest wesentliche Grundzüge der aktionärstypischen Rechte (eingehend dazu Rz. 361 f., 393 ff.), die den Gläubigern eingeräumt werden sollen, festzulegen.1482 514

Enthält der Beschluss nicht sämtliche Mindestfestsetzungen und können die fehlenden Bestimmungen auch nicht durch Auslegung ermittelt werden, ist der Beschluss nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig und nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.1483 2. Fakultativer Inhalt

515

Die Hauptversammlung muss sich nicht auf die Festsetzung des Mindestinhalts (siehe Rz. 510 ff.) beschränken. Ihr ist es unbenommen, zusätzlich fakultative Bestimmungen in den Beschluss aufzunehmen.1484 Hierzu zählen z.B. die Laufzeit,1485 die Währung,1486 die Höhe und die Fälligkeit der Zinsen,1487 die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs1488 sowie die Modalitäten für die Kürzung der Zahlungsansprüche (eingehend dazu Rz. 420 ff.),1489 die Kündigungsrechte (siehe § 3 SchVG Rz. 65 ff.)1490 und Rückerwerbsrechte (siehe Rz. 796),1491 eine Change-of-control-Klausel,1492 der Rang der Forderungen (eingehend dazu Rz. 455 ff.),1493 der Verwässerungsschutz,1494 die Stückelung der Anleihe,1495 die Art der Verbriefung (eingehend dazu Rz. 768 ff.),1496 die Börsenzulassung (siehe Rz. 779 ff.), das anzuwendende Recht, der Gerichtsstand1497 und – bei Instrumenten mit einem Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien – die Modalitäten des Umtauschs bzw. Aktienbezugs (z.B. Ausübungszeiträume (siehe Rz. 77, 213),1498 ggf. zu leistende Zuzahlungen nach § 199 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG1499), die Bestimmung einer Umtausch- bzw. Bezugspflicht (eingehend dazu Rz. 153 ff.,

1482 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 139; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 117. 1483 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 141; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60; wohl a.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 26. 1484 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1485 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108: notwendiger Beschlussinhalt. 1486 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1487 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11, 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1488 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1489 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1490 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11, 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1491 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1492 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102. 1493 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1494 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1495 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1496 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1497 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1498 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1499 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29.

778

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 517 § 221 AktG

173 ff., 206)1500 einschließlich der maßgeblichen Umtausch- bzw. Bezugsereignisse,1501 die Festlegung des Legitimationsnachweises für die Ausübung des Bezugsrechts (siehe Rz. 582) sowie die Bestimmung der Bezugsfrist (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG, siehe Rz. 579). Soweit der Beschluss der Hauptversammlung keine fakultativen Festsetzungen über den Inhalt des Instruments enthält, ist der Vorstand berechtigt und aufgrund der ihm obliegenden Geschäftsführungsbefugnis auch verpflichtet, die weiteren Modalitäten im Zuge der Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen festzulegen.1502 Dies gilt auch für den konkreten Ausgabebetrag, wenn die Hauptversammlung nur einen Höchstbetrag bestimmt hat (siehe Rz. 511).1503 3. Durchführungspflicht des Vorstands Hat die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme mit der erforderlichen Mehrheit nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zugestimmt, ist der Vorstand grundsätzlich verpflichtet, die betreffenden Instrumente unverzüglich (siehe Rz. 518) auszugeben bzw. zu gewähren.1504 Diese Durchführungspflicht ergibt sich nicht bereits aus § 83 Abs. 2 AktG,1505 sondern daraus, dass der Vorstand selbst die konkrete Maßnahme angestoßen und die Zustimmung der Hauptversammlung initiiert hat.1506 Denn die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente, die dem sachlichen Anwendungsbereich des § 221 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AktG in direkter oder entsprechender Anwendung unterfallen, ist eine Maßnahme der Geschäftsführung und fällt als solche in die originäre Zuständigkeit des Vorstands. Die Hauptversammlung ist lediglich nach Maßgabe von § 221 Abs. 1-3 AktG zur Mitwirkung berufen.1507

516

Die Durchführungspflicht entsteht – vergleichbar der Ausführungspflicht nach § 83 Abs. 2 517 AktG – nur aufgrund eines rechtmäßigen, also gesetzes- und satzungskonformen Zustimmungsbeschlusses (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG).1508 Ist der Beschluss rechtswidrig, begründet er auch dann keine Durchführungspflicht, wenn der Vorstand seine Befugnis zur Anfechtung (§ 245 Nr. 4, 5 AktG) des Beschlusses (pflichtwidrig) nicht ausübt. 1500 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 141; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1501 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12. 1502 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 141; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 101; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 13; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 29; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 59. 1503 Vgl. BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 (295) = NJW 2000, 2356; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (141) = NJW 1997, 2815 jeweils zu den §§ 202 ff. AktG. 1504 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 22; Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 340; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 80; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 133, 135; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54; Hirte in Großkomm/ AktG, § 221 AktG Rz. 106, 380; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9, 47; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 46, 52; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 39; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17. 1505 A.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 7; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17; wohl auch Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9. 1506 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 106; wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 133. 1507 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 106. 1508 Vgl. Fleischer in Spindler/Stilz, § 83 AktG Rz. 10; Habersack/Foerster in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 83 AktG Rz. 12; Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 83 AktG Rz. 10; Spindler in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2014, § 83 AktG Rz. 18 ff.

Fest

779

§ 221 AktG Rz. 518

Beschluss der Hauptversammlung

Nimmt der Vorstand die Maßnahme in der Folge ohne rechtmäßigen Beschluss vor, können die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet sein.1509 Gleiches gilt für die Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 116 Satz 1 AktG), wenn sie die ihnen obliegende Überwachungspflicht verletzen. 518

Hat die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme zugestimmt (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG), gilt – wie bei einer Kapitalerhöhung1510 – der Grundsatz, dass der Erfolg der Maßnahme nicht von der Verwaltung, sondern von dem (Kapital-)Marktumfeld abhängen soll. Daher ist der Vorstand grundsätzlich verpflichtet, die beschlossene Kapitalmaßnahme unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) durchzuführen.1511 Von einem schuldhaften Zögern ist regelmäßig auszugehen, wenn die Maßnahme erst später als sechs Monate nach dem Beschluss der Hauptversammlung vorgenommen wird.1512 Die Hauptversammlung sollte – wie bei Kapitalerhöhungen1513 – befugt sein, in dem Beschluss eine kürzere Frist zu bestimmen. Unterbleibt die von der Hauptversammlung beschlossene Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente innerhalb der maßgeblichen Frist, ohne dass die Durchführungspflicht ausnahmsweise entfällt (siehe Rz. 520 ff.), können die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein.1514 Gleiches gilt, wenn der Vorstand die Kapitalmaßnahme nicht unverzüglich oder – im Fall einer in dem Beschluss bestimmten Frist – erst nach Ablauf der Durchführungsfrist wirksam vornimmt.1515 Zum Schadensersatz können in diesen Fällen auch die Mitglieder des Aufsichtsrats verpflichtet sein (§ 116 Satz 1 AktG), wenn sie die ihnen obliegende Überwachungspflicht verletzen.

519

Die Durchführungspflicht erstreckt sich auch auf die inhaltliche Ausgestaltung der Instrumente.1516 Der Vorstand ist nicht nur an den Mindestinhalt (siehe Rz. 510 ff.), sondern an sämtliche Festsetzungen der Hauptversammlung und damit auch an die fakultativen Vorgaben (siehe Rz. 515) gebunden.1517 Weicht der Vorstand von den inhaltlichen Vorgaben der Hauptversammlung ab, handelt er pflichtwidrig und kann der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet sein.1518

1509 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135. 1510 Siehe statt vieler Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 44. 1511 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 80; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 47; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 45; ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 136 (Verpflichtung zur zügigen Durchführung); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 52, 56, 79 (Verpflichtung zur zügigen Durchführung bzw. zur zügigen Förderung der Durchführung); abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 107: innerhalb angemessener Zeit, in der Regel bis zu drei Monate. 1512 Vgl. OLG München v. 22.9.2009 – 31 Wx 110/09, AG 2010, 88 = ZIP 2009, 1954; Lutter in FS Schilling, 1973, S. 207 (214); Priester in FS Wiedemann, 2002, S. 1161 (1163); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 44; Servatius in Spindler/Stilz, § 182 AktG Rz. 44 jeweils zu dem Höchstmaß einer Durchführungsfrist für die Kapitalerhöhung. Nur hinsichtlich der Fristlänge abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 106: ein Zeitraum von etwa drei Monaten sei noch angemessen. 1513 Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 182 AktG Rz. 44. 1514 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 136; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9. 1515 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 136; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 56. 1516 Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (273). 1517 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 50; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 59. 1518 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 141; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60.

780

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 522 § 221 AktG

4. Ausnahmen von der Durchführungspflicht Die grundsätzlich bestehende Durchführungspflicht des Vorstands (siehe Rz. 516 ff.) entfällt – wie die Ausführungspflicht des § 83 Abs. 2 AktG1519 – in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 313 Abs. 1 BGB, wenn und sobald sich seit dem Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung wesentliche Umstände verändert haben.1520 Dies ist insbesondere bei einer wesentlichen Verschlechterung des Emissionsumfelds1521 sowie dann anzunehmen, wenn die Hauptversammlung in einer nachfolgenden Abstimmung die vom Vorstand intendierte Absicherung des Umtausch- oder Bezugsrechts auf Aktien verweigert.1522 Eines erneuten Beschlusses der Hauptversammlung bedarf es hierfür nicht.1523 Der Vorstand darf nach eigenem Ermessen darüber entscheiden, ob er die von der Hauptversammlung beschlossene Kapitalmaßnahme auch unter den veränderten Umständen durchführen will.1524

520

Bestehen die wesentlichen Umstände seit dem zustimmenden Beschluss der Hauptversammlung unverändert fort, entfällt die Durchführungspflicht des Vorstands – in Anlehnung an die zu der Ausführungspflicht des § 83 Abs. 2 AktG entwickelten Grundsätze1525 – ohne erneute Beschlussfassung der Hauptversammlung nur, wenn die Gesellschaft durch die Ausgabe der Instrumente offensichtlich erhebliche Schäden erleiden würde.1526

521

In sämtlichen anderen Konstellationen darf der Vorstand nur aufgrund eines erneuten Be- 522 schlusses der Hauptversammlung von der Durchführung der zuvor beschlossenen Kapitalmaßnahme absehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Vorstand bei erneuter Würdigung der unveränderten Umstände zu dem Ergebnis gelangt, die Maßnahme sei nicht mehr zweckmäßig.1527 In diesem Fall muss er einen Aufhebungsbeschluss initiieren.

1519 Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, § 83 AktG Rz. 5; Fleischer in Spindler/Stilz, § 83 AktG Rz. 17; Habersack/Foerster in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 83 AktG Rz. 13; Pentz in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 17 Rz. 130; Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 83 AktG Rz. 12; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 83 AktG Rz. 25. 1520 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 22; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 80; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54; Hirte in Großkomm/AktG, § 221 Rz. 106; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 52; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 39; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 22; einschränkend Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 7: nur wenn der Vorstand aufgrund der veränderten Umstände pflichtwidrig handeln würde. 1521 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 80; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 52. 1522 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 52. 1523 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 80; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 52; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 39. 1524 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135. 1525 Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, § 83 AktG Rz. 5; Habersack/Foerster in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 83 Rz. 13; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, § 83 AktG Rz. 10; Seibt in K. Schmidt/Lutter, § 83 AktG Rz. 12; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 83 AktG Rz. 24. 1526 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 52. 1527 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 52.

Fest

781

§ 221 AktG Rz. 523 523

Beschluss der Hauptversammlung

Verletzt der Vorstand die Durchführungspflicht (eingehend dazu Rz. 516 ff.) oder führt er die Kapitalmaßnahme zum Nachteil der Gesellschaft durch, obwohl die Durchführungspflicht entfallen ist (siehe Rz. 520 ff.), können die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein.1528 Die gleiche Pflicht kann die Mitglieder des Aufsichtsrats treffen (§ 116 Satz 1 AktG), wenn sie die ihnen obliegende Überwachungspflicht verletzen. 5. Abweichung von dem Beschluss der Hauptversammlung

524

Insbesondere bei Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), kann sich zwischen der Beschlussfassung der Hauptversammlung und der Ausgabe der (Bezugs-)Aktien das Bedürfnis ergeben, von einzelnen inhaltlichen Vorgaben des Zustimmungsbeschlusses abzuweichen, z.B. das Bezugs- bzw. Umtauschverhältnis zu verändern, den Bezugs- bzw. Optionspreis herabzusetzen oder die Bezugs- bzw. Umtauschfrist zu verlängern. Sofern die Durchführungspflicht nicht entfallen ist (eingehend dazu Rz. 520 ff.), muss der Vorstand hierzu grundsätzlich einen neuen Beschluss der Hauptversammlung – regelmäßig auf einer außerordentlichen Hauptversammlung – herbeiführen.1529 Dieser ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn (1) der ursprüngliche Beschluss ein sog. Step-Down-Element enthält, bei dem sich der Bezugs- bzw. Umtauschpreis bei bestimmten Kursänderungen ipso iure verändert, oder (2) die Hauptversammlung den Vorstand in dem ursprünglichen Zustimmungsbeschluss ermächtigt hat, die Umtausch- bzw. Bezugskonditionen nachträglich zu ändern (sog. Abweichungsermächtigung).1530 Eine solche Abweichungsermächtigung kann sich nicht nur auf den fakultativen Beschlussinhalt (siehe Rz. 515), sondern auch auf den notwendigen Mindestinhalt (siehe Rz. 510 ff.) beziehen. Sie darf aber – um nicht die Grenzen zu der Ermächtigung nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) zu verwischen – keine Blankoermächtigung sein. Vielmehr müssen die inhaltlichen Grenzen der Abweichungsbefugnis eindeutig bestimmt oder zumindest bestimmbar sein.1531

525

Enthält der Zustimmungsbeschluss eine Abweichungsermächtigung (siehe Rz. 524), kann der Vorstand diese – freilich nur im Rahmen der erteilten Ermächtigung – grundsätzlich ohne Mitwirkung des Aufsichtsrats ausnutzen. Das Erfordernis einer Zustimmung des Aufsichtsrats kann insbesondere nicht mit einer entsprechenden Anwendung von § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AktG begründet werden.1532 Es fehlt bereits an einer Regelungslücke. Zum einen ist der Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG) von dem Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals (§ 192 Abs. 1 AktG oder § 179 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. § 202 Abs. 2 Satz 1 AktG) zu unterscheiden, zum anderen enthalten die Vorschriften über die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) keine vergleichbare Mitwirkungskompetenz des Aufsichtsrats. Der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf es daher nur ausnahmsweise, wenn die Abweichungsermächtigung selbst eine Mitwirkungskompetenz des Aufsichtsrats begründet. Ist die Hauptversammlung nämlich berechtigt, ihre Zustimmung unter den Vorbehalt der Zustimmung des Aufsichtsrats zu stellen (siehe Rz. 560 f.),

1528 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 135; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54. 1529 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 269; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 54. 1530 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 269; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (274 f.). 1531 Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (274). 1532 So aber Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (272 mit Fn. 45).

782

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 527 § 221 AktG

muss sie erst recht berechtigt sein, die Ausnutzung einer in der Zustimmung enthaltenen Abweichungsermächtigung ebenfalls der Zustimmung des Aufsichtsrats zu unterstellen. Wurden die Rechtsverhältnisse bereits begründet (eingehend dazu Rz. 765 ff.), muss die im Innenverhältnis erlaubte Änderung der Umtausch- bzw. Bezugskonditionen – sei es aufgrund eines neuen Beschlusses der Hauptversammlung, sei es unter Ausnutzung einer Abweichungsermächtigung – durch den Vorstand (siehe Rz. 524) im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern umgesetzt werden. Hierfür kommen zwei Vorgehensweisen in Betracht: (1) Enthalten die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen einen Änderungsvorbehalt (§ 315 BGB), kann die Gesellschaft die Umtausch- bzw. Bezugskonditionen nach billigem Ermessen abändern bzw. anpassen.1533 Der Wirksamkeit des Änderungsvorbehalts stehen § 307 Abs. 1, 2 BGB und § 308 Nr. 4 BGB jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Bestimmung ausschließlich Änderungen zugunsten der Gläubiger zulässt. Hingegen sind Änderungsvorbehalte, die die Gesellschaft zu Änderungen sowohl zum Vor- als auch zum Nachteil der Gläubiger ermächtigen, aufgrund der auch in Individualprozessen maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung1534 auch dann unwirksam, wenn die Gesellschaft auf Grundlage der Bestimmung ausschließlich Änderungen zugunsten der Gläubiger vornimmt.1535 Enthalten die Anleihebedingungen auch eine sog. Bekanntmachungsklausel, kann die Änderungserklärung der Gesellschaft mit Wirkung gegenüber allen Gläubigern öffentlich bekannt gemacht werden.1536 (2) Enthalten die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen keinen Änderungsvorbehalt oder wäre die konkret beabsichtigte Änderung unbillig, kann die Änderung durch einen Vertrag mit den Gläubigern verwirklicht werden, § 4 Satz 1 SchVG. Praktisch wird eine solche Änderung der Anleihebedingungen regelmäßig nur im Wege der kollektiven Bindung (§§ 5 ff. SchVG) umgesetzt werden können. Dem alternativen Vorgehen, auf Grundlage einer sog. Bekanntmachungsklausel ein Angebot zum Abschluss von Änderungsverträgen zu veröffentlichen, den Gläubigern darin eine Frist zum Widerspruch zu setzen und nach § 151 Satz 1 BGB auf den Zugang der Annahmeerklärung zu verzichten,1537 steht § 4 Satz 1, 2 SchVG jedenfalls dann entgegen, wenn zumindest ein Gläubiger widerspricht.1538

526

II. Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) Alternativ zu der Zustimmung zu einer konkreten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) kann die Hauptversammlung gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG beschließen, dem Vorstand eine Ermächtigung zu einer lediglich abstrakt umschriebenen Maßnahme zu erteilen. Im Gegensatz zu der Systematik des Gesetzes, die den Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG) als Regelfall ausweist,1539 überwiegen in

1533 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 342; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 82. 1534 BGH v. 28.10.2009 – VIII ZR 320/07, NJW 2010, 993 (994 Rz. 25); BGH v. 29.4.2008 – KZR 2/07, BGHZ 176, 244 (250 Rz. 19) = NJW 2008, 2172; OLG München v. 21.11.2013 – 23 U 1864/13, NZG 2014, 146 (148) = AG 2014, 164; Basedow in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 305c BGB Rz. 35; Stoffels, AGB-Recht, 3. Aufl. 2015, Rz. 375; a.A. Schwab, AGB-Recht, 2. Aufl. 2014, Rz. 536: kundenfreundlichste Auslegung. 1535 A.A. Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 342; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (268). 1536 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 342; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (268 f.). 1537 Vgl. Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (269), die davon ausgehen, dass die Übermittlung der Annahmeerklärung bereits nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist. 1538 Wohl a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 268. 1539 Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (273).

Fest

783

527

§ 221 AktG Rz. 528

Beschluss der Hauptversammlung

der Praxis Ermächtigungsbeschlüsse.1540 Nur sie geben den Aktiengesellschaften – wie vom Gesetzgeber nach dem Vorbild des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) beabsichtigt1541 – die erforderliche Bewegungsfreiheit, um sich auf dem Kapitalmarkt bietende Gelegenheiten rasch und flexibel ausnutzen zu können, ohne den schwerfälligen Apparat der Hauptversammlung in Gang setzen zu müssen.1542 1. Anwendungsbereich 528

Der unmittelbare Anwendungsbereich des § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG beschränkt sich ausweislich des eindeutigen Wortlauts auf die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 23 ff.). Auf andere Instrumente ist die Vorschrift gleichwohl entsprechend anzuwenden. Für andere Wertpapiere als Wandelschuldverschreibungen, die gleichfalls in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. Wandel- und Optionsgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.), ist die entsprechende Anwendung bereits deshalb geboten, weil der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Vorgaben des Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG (heute: Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU) in § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG verkannt hat, dass Wandelschuldverschreibungen nicht die einzigen Wertpapiere sind, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Die unionsrechtlichen Vorgaben gelten z.B. auch für Wandel- und Optionsgenussscheine (eingehend dazu Rz. 483 ff.) sowie für isolierte Optionsscheine (eingehend dazu Rz. 232 ff.). Insoweit sind die unionsrechtlichen Vorgaben von den Gerichten mittels einer entsprechenden Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG umzusetzen. Für Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) bestehen zwar keine unionsrechtlichen Vorgaben. Die Regierungsbegründung zu § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG1543 enthält aber keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber den Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften in Bezug auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte die Möglichkeit einer Ermächtigung vorenthalten wollte. Dies legt es nahe, die im Wortlaut enthaltene Beschränkung auf Wandelschuldverschreibungen den unionsrechtlichen Vorgaben sowie dem Willen des deutschen Gesetzgebers zu einer minimalistischen Umsetzung zuzuschreiben.1544 Die im Übrigen bestehende Regelungslücke ist in Ansehung der Tatsachen, dass Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte einerseits und Wandelschuldverschreibungen andererseits trotz bestehender Unterschiede im Rahmen von § 221 AktG gleich behandelt werden, durch eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 2 AktG auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte zu schließen.1545 1540 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 80; Groß in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 31; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 60; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Schanz, BKR 2011, 410 (412); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 25; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 56. 1541 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu Nr. 30. 1542 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2007, 246 (247 Rz. 6) = NZG 2006, 229; Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 (86); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9. Zu dem Zweck des genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) siehe statt vieler BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (246) = AG 2006, 36 = NJW 2006, 371. 1543 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu Nr. 30. 1544 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 338; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 81. 1545 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, NJW 1995, 260 = AG 1995, 83; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (373) = WM 1994, 347; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/

784

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 531 § 221 AktG

2. Mindestinhalt Der Beschluss muss erkennen lassen, dass die Hauptversammlung dem Vorstand die Ermächtigung erteilen will, Wandelschuldverschreibungen oder andere Instrumente, auf die § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG entsprechend anzuwenden ist, auszugeben bzw. zu gewähren.1546 Hierzu ist empfehlenswert, aber nicht erforderlich, dass der Beschluss den Begriff der Ermächtigung verwendet oder die Rechtsgrundlage ausdrücklich nennt. Es genügt, dass dem Beschluss im Wege der Auslegung zu entnehmen ist, dass die Hauptversammlung keine Durchführungspflicht des Vorstands (eingehend dazu Rz. 516 ff.) begründen, sondern diesen lediglich zu einer abstrakt umschriebenen Kapitalmaßnahme ermächtigen will.1547 Wesentlich Indizien hierfür sind die nur bei einer Ermächtigung erforderliche Befristung (eingehend dazu Rz. 534 ff.) sowie nur rudimentäre Vorgaben für die Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen.1548

529

Der Zweck der Mitwirkung der Hauptversammlung, die Aktionäre darüber entscheiden zu lassen, ob und in welchem Umfang die Gesellschaft Kapitalmaßnahmen durchführen soll, die die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigen (siehe Rz. 488 ff.), gilt nicht nur für sog. Zustimmungsbeschlüsse (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sondern auch für Ermächtigungsbeschlüsse nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG. Dies gebietet es, dass die Hauptversammlung bei der Ermächtigung des Vorstands – neben der gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG erforderlichen Befristung (siehe Rz. 534 ff.) – zumindest über die Art des Instruments (siehe Rz. 142, 168, 194)1549 entscheidet und den Höchst- oder Gesamtnennbetrag der Anleihe bzw. der Genussrechte1550 festsetzt.

530

Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) oder anderen Instrumenten, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf

531

1546 1547 1548 1549

1550

Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 22; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8, 25; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 129, 149, 154; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 59, 81; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 380, 383; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 13, 36; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 338, 483; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 83; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 11, 40, 43; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 80; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 65; Sethe, AG 1994, 342 (346); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 21, 117; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (243 mit Fn. 15); wohl a.A. Ganske, DB 1978, 2461 (2465 mit Fn. 34). Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (225); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9, 10. Weitergehend Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 20: im Zweifel Ermächtigung. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 60; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 25; a.A. Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 59. BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, NJW 1995, 260 = AG 1995, 83; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 22; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 155; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 60; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108, 382; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Schanz, BKR 2011, 410 (413); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18, 80; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 59; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 26, 117.

Fest

785

§ 221 AktG Rz. 532

Beschluss der Hauptversammlung

Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), zählen der Gegenstand des Umtausch- bzw. Bezugsrechts, namentlich die Gattung der Aktien (siehe Rz. 27),1551 das Umtausch- bzw. Bezugsverhältnis sowie der Ausgabebetrag der Aktien, der Mindestausgabebetrag oder die Grundlagen für die Festlegung des Ausgabebetrags oder des Mindestausgabebetrags – im Gegensatz zu dem Zustimmungsbeschluss (siehe Rz. 512) – nicht zu dem erforderlichen Mindestinhalt des Beschlusses.1552 Grund hierfür ist, dass die Hauptversammlung die Bezugs- bzw. Umtauschkondiktionen nicht sinnvoll selbst bestimmen kann, wenn die Ausgabe bzw. Gewährung der Rechte bis zu fünf Jahre in der Zukunft liegt.1553 Gleiches gilt für die Entscheidung, ob die Anleihe gegen Geld- oder Sachleistung ausgegeben wird.1554 Die Hauptversammlung ist allerdings nicht gehindert, diesbezüglich freiwillig inhaltliche Vorgaben in die Ermächtigung aufzunehmen (siehe Rz. 539). 532

Bei Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) ist zunächst festzulegen, ob die Zahlungsansprüche gewinnorientiert oder gewinnabhängig sein sollen.1555 Ferner sind zumindest in wesentlichen Grundzügen die Gewinnanteile der Aktionäre zu bestimmen, mit denen die Gläubigerrechte in Verbindung gebracht werden sollen (eingehend dazu Rz. 313 ff.).1556 Bei Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) sind zumindest wesentliche Grundzüge der aktionärstypischen Rechte (eingehend dazu Rz. 361 f., 393 ff.), die den Gläubigern eingeräumt werden sollen, festzulegen.1557

533

Fehlt eine der Mindestangaben, ist der Beschluss der Hauptversammlung nach § 241 Nr. 3 Alt. 1 AktG nichtig.1558 3. Befristung der Ermächtigung

534

Die Ermächtigung des Vorstands zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) darf gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG – Gleiches gilt für andere Wertpapiere und Rechte, auf deren Ausgabe bzw. Gewährung § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG entsprechend anzuwenden ist (siehe Rz. 528) – nur befristet für höchstens fünf Jahre erteilt werden. Das Erfordernis der Fristsetzung beruht auf der unionsrecht1551 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11. 1552 BGH v. 18.5.2009 – II ZR 262/07, BGHZ 181, 144 (153) = AG 2009, 625; Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 341; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 36; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 155; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 60, 61; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 28; ähnlich Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60: notwendig seien Anhaltspunkte für die zu erwartenden Umtausch- bzw. Bezugskonditionen; a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 9; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; ähnlich Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 59: notwendig sei eine Mindestgrenze, unter die der Wandlungspreis nicht absinken dürfe. 1553 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 341; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (273). 1554 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 110; Schnorbus/Trapp, ZGR 2010, 1023 (1040). 1555 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 140; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 382. 1556 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8, 10; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10, 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 30. 1557 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 81; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 155; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 117. 1558 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, NJW 1995, 260 (261) = AG 1995, 83; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 155; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 26; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60: anfechtbar nach § 243 Abs. 1 AktG.

786

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 536 § 221 AktG

lichen Vorgabe in Art. 29 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 3 Hs. 1 Richtlinie 77/91/EWG). Ihr Zweck besteht darin, eine effektive Mitwirkung der Hauptversammlung sicherzustellen. Das Bedürfnis hierzu ergibt sich daraus, dass die Ermächtigung – im Unterschied zu der Zustimmung zu einem konkreten Vorhaben – abstrakt ist. Diese Eigenschaft der Ermächtigung würde es dem Vorstand ermöglichen, unter Wahrung der formellen Mitwirkung der Hauptversammlung langfristige Vorratsermächtigungen einzuholen und dadurch den Zweck des § 221 Abs. 1-3 AktG, die Aktionäre darüber entscheiden zu lassen, ob und in welchem Umfang die Gesellschaft Kapitalmaßnahmen durchführen soll, die die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigen (siehe Rz. 488 ff.), auszuhöhlen.1559 Die Befristung erfordert eine ausdrückliche Bestimmung in dem Ermächtigungsbeschluss.1560 Da § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG nur eine Höchstfrist enthält, kann die Hauptversammlung die Ermächtigung auch kürzer befristen.1561 In jedem Fall bedarf es entweder einer datumsmäßigen Angabe des Fristendes oder einer Bestimmung der Fristlänge.1562 Angaben mit einer Wertungsmöglichkeit („angemessen“) genügen ebenso wenig wie unbestimmte Angaben („höchstens drei Jahre“) und eine Verweisung auf § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG.1563 Die Ermächtigung kann bis zum Ablauf der festgesetzten Frist durch Beschluss der Hauptversammlung für bis zu fünf Jahren verlängert werden.1564

535

Im Unterschied zu der Fristlänge steht der Fristbeginn nicht zur Disposition der Hauptversammlung. Die in der Ermächtigung zu bestimmende Frist ist eine Ereignisfrist. Maßgebliches Ereignis für den Fristbeginn ist die Beschlussfassung der Hauptversammlung1565 und nicht erst die Hinterlegung des Ermächtigungsbeschlusses beim Handelsregister,1566 da der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats diesen Zeitpunkt hinauszögern können.1567 Die Berechnung der Frist erfolgt nach den §§ 187 ff. BGB. Bis zum Ablauf der Frist kann die Hauptversammlung die Ermächtigung ein oder mehrmals für einen Zeitraum, der jeweils fünf Jahre nicht überschreiten darf, verlängern. Ist die Frist bereits abgelaufen, kann die Hauptver-

536

1559 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 156; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 78. 1560 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18. 1561 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 157; Herfs/Scholz in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, Form. II. E. 6.1 Anm. 3; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 54. 1562 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 157; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11. 1563 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 32; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 157; Herfs/ Scholz in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, Form. II. E. 6.1 Anm. 3; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 13; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; a.A. Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 27: Höchtsfristen seien zulässig. 1564 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108. 1565 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 32; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 157; Haberstock/ Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 62; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 13; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 54; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 Rz. 11; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 56. 1566 So aber Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108, der bei pflichtwidrigen Verzögerungen auf den Zeitpunkt abstellen will, zu dem die Hinterlegung bei ordnungsgemäßer Handhabung erfolgt wäre. 1567 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 157; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 62; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 54.

Fest

787

§ 221 AktG Rz. 537

Beschluss der Hauptversammlung

sammlung eine neue Ermächtigung erteilen, sei es mit gleichem, sei es mit abweichendem Inhalt. 537

Die Befristung ist ein notwendiger Bestandteil der Ermächtigung (siehe Rz. 534). Sieht der Beschluss keine oder keine ordnungsgemäße Befristung der Ermächtigung vor, ist der Beschluss grundsätzlich nach § 241 Nr. 3 Alt. 1 AktG nichtig.1568 Dies gilt auch für einen Ermächtigungsbeschluss, der die Höchstfrist von fünf Jahren (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) überschreitet. Nur ausnahmsweise wird die Ermächtigung mit einer Befristung von fünf Jahren1569 aufrechterhalten werden können. Methodologisch handelt es sich um eine Auslegung des Beschlusses,1570 die nur zulässig ist, wenn – was allerdings selten der Fall sein dürfte – ein entsprechender Wille der Hauptversammlung festgestellt wird.1571 Mit dem Zweck der Befristung (siehe Rz. 534) konfligiert diese Auslegung nicht. Es bleibt gewährleistet, dass die Hauptversammlung – wie vom europäischen Richtlinien- und deutschen Gesetzgeber intendiert – spätestens wieder in fünf Jahren über die Erteilung einer neuen Ermächtigung entscheiden muss. 4. Fakultativer Inhalt

538

Bei der Erteilung einer Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) ist die Hauptversammlung nicht auf die Festsetzung des Mindestinhalts der Instrumente beschränkt. Sie kann weitergehende Vorgaben z.B. betreffend die Laufzeit,1572 die Währung,1573 die Höhe und die Fälligkeit der Zinsen,1574 die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs1575 sowie die Modalitäten für die Kürzung der Zahlungsansprüche (eingehend dazu Rz. 420 ff.),1576 die Kündigungsrechte

1568 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 32; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 158; Herfs/ Scholz in Hopt, Vertrags- und Formularbuch zum Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, Form. II. E. 6.1 Anm. 3; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 13; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; nur in der Begründung abweichend Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 27: § 241 Nr. 3 Var. 3 AktG; kritisch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108; a.A. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 63; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 54 (es gelte die Höchstfrist von fünf Jahren); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 80 (Auslegung als Zustimmungsbeschluss); offen gelassen von BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, NJW 1995, 260 (261) = AG 1995, 83. 1569 So Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 63; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 54. 1570 Methodologisch abweichend Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 63: Umdeutung nach § 140 BGB. 1571 Der Aufrechterhaltung des Beschlusses mit dem Inhalt, dass der Vorstand in einem engen zeitlichen Rahmen über die Ausnutzung der Ermächtigung zu entscheiden habe (so Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 80), steht entgegen, dass dieser Inhalt – wäre er Gegenstand einer ausdrücklichen Bestimmung – keine ordnungsgemäße Befristung wäre (siehe Rz. 535). So wohl auch Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 63 („zu vage“). 1572 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108: notwendiger Beschlussinhalt. 1573 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1574 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11, 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1575 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1576 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23.

788

Fest

Beschlussinhalt

Rz. 540 § 221 AktG

(siehe § 3 SchVG Rz. 65 ff.)1577 und Rückerwerbsrechte (siehe Rz. 796),1578 eine Change-ofcontrol-Klausel,1579 der Rang der Forderungen (eingehend dazu Rz. 455 ff.),1580 der Verwässerungsschutz,1581 die Stückelung der Anleihe,1582 die Art der Verbriefung (eingehend dazu Rz. 768 ff.),1583 die Börsenzulassung (siehe Rz. 779 ff.), das anzuwendende Recht, den Gerichtsstand,1584 die Bezugsfrist (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG, siehe Rz. 579) sowie den Legitimationsnachweis für die Ausübung des Bezugsrechts (siehe Rz. 582). Bei Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu 539 Rz. 23 ff.) oder anderen Instrumenten, die ihren Inhabern ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. Wandel- und Optionsgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.), zählen das Umtausch- bzw. Bezugsverhältnis sowie der Ausgabebetrag der Aktien, der Mindestausgabebetrag oder die Grundlagen für die Festlegung des Ausgabebetrags oder des Mindestausgabebetrags – im Gegensatz zu dem Zustimmungsbeschluss (siehe Rz. 512) – nicht zu dem erforderlichen Mindestinhalt des Ermächtigungsbeschlusses (siehe Rz. 531). Gleichwohl ist es zulässig und in der Praxis üblich, diese Modalitäten freiwillig in den Ermächtigungsbeschluss aufzunehmen1585 und in dem Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 Abs. 1, 193 Abs. 2 Nr. 3 AktG) lediglich hierauf zu verweisen.1586 5. Entscheidungsspielraum des Vorstands, Bindung an den Ermächtigungsinhalt Die Ermächtigung des Vorstands gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen – Gleiches gilt für andere Wertpapiere und Rechte, auf deren Ausgabe bzw. Gewährung § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG entsprechend anzuwenden ist, sowie die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen und die Gewährung von Genussrechten (siehe Rz. 528) – begründet – im Gegensatz zu dem Zustimmungsbeschluss (siehe Rz. 516 ff.) – keine Durchführungspflicht des Vorstands.1587 Dies gilt auch dann, wenn die Kapitalmaßnahme in dem Ermächtigungsbeschluss hinreichend konkret umschrieben ist.1588 Vielmehr hat der Vorstand nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ob und zu welchem Zeitpunkt innerhalb der bestimmten Frist er die Ermächtigung ausnutzt.1589 Das Ausnutzen ist 1577 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11, 12; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 12; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1578 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1579 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102. 1580 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1581 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1582 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 23. 1583 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 11; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1584 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 29. 1585 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 20. 1586 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 36; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 155 mit Fn. 462. 1587 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 133; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 55, 59; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 107; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 51; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 45. 1588 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 133; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17; a.A. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9: Bindung liegt – bei Auslegung der Ermächtigung – umso näher, je konkreter das Vorhaben beschrieben ist. 1589 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 80; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 153; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 59; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 107; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 13; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 46, 51; Lutter in KölnKomm/AktG,

Fest

789

540

§ 221 AktG Rz. 541

Beschluss der Hauptversammlung

nicht notwendig ein einmaliger Akt; möglich ist auch die Ausgabe bzw. Gewährung mehrerer Tranchen bis zu dem in der Ermächtigung festgesetzten Höchstbetrag (siehe Rz. 530).1590 541

Entschließt sich der Vorstand dazu, auf Grundlage der Ermächtigung Instrumente auszugeben bzw. zu gewähren, ist er bei deren Ausgestaltung an sämtliche inhaltlichen Vorgaben der Ermächtigung gebunden.1591 Mit anderen Worten: Die Hauptversammlung kann den Gestaltungsspielraum des Vorstands durch die Aufnahme fakultativer Vorgaben in die Ermächtigung einschränken. Nur soweit der Ermächtigungsbeschluss keine Festsetzungen über den Inhalt des Instruments enthält, ist der Vorstand berechtigt und aufgrund der ihm obliegenden Geschäftsführungsbefugnis auch verpflichtet, die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen nach eigenem Ermessen auszugestalten.1592 Hat die Hauptversammlung in der Ermächtigung z.B. – wie üblich – nur einen Höchstnennbetrag der Anleihe bzw. der Genussrechte festgelegt, obliegt dem Vorstand die Bestimmung des konkreten Ausgabebetrags.1593 Bestimmt die Ermächtigung für die (Bezugs-)Aktien einen konkreten Ausgabebetrag oder einen Mindestausgabebetrag, ist der Vorstand bei der Ausgabe der Anleihe auf Grundlage der Ermächtigung zwar grundsätzlich daran gehindert, in die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen ein sog. Step-Down-Element aufzunehmen, bei dem sich der Bezugs- bzw. Umtauschpreis bei bestimmten Kursänderungen ipso iure verändert.1594 Allerdings kann er die Zustimmung der Hauptversammlung zu der Ausgabe des konkreten und von der Ermächtigung nicht gedeckten Instruments einholen; die erteilte Ermächtigung steht diesem Vorgehen nicht entgegen.

542

Werden Instrumente ohne Ermächtigung ausgegeben bzw. gewährt (z.B. nach Ablauf der Frist) oder weicht der Vorstand bei deren Ausgestaltung von inhaltlichen Vorgaben der Ermächtigung ab, können die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein. Soweit der Vorstand befugt ist, nach eigenem Ermessen zu entscheiden – dies gilt namentlich für die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente, den Zeitpunkt der Emission bzw. der Gewährung sowie die weitergehende inhaltliche Ausgestaltung – kommt eine Schadensersatzpflicht nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Vorstand die Grenze seines unternehmerischen Ermessens in Finanzierungsangelegenheiten überschreitet.1595 Zum Schadensersatz können in diesen Fällen auch die Mitglieder des Aufsichtsrats verpflichtet sein (§ 116 Satz 1 AktG), wenn sie die ihnen obliegende Überwachungspflicht verletzen.

1595

2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 79; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 10; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 17; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 60. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 110. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 153, 155, 160; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 64; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 110; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 10, 50; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (275); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 59; vgl. auch BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (254) = NJW 2006, 374 zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 141; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 101; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 50; Scholz in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4, § 64 Rz. 26. Vgl. BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 (205) = NJW 2000, 2356; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (141) = NJW 1997, 2815 zu den §§ 202 ff. AktG. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 160; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (68 f.). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 153.

790

Fest

1590 1591

1592 1593 1594

Beschlussinhalt

Rz. 546 § 221 AktG

6. Abweichung von dem Ermächtigungsinhalt Enthält die Ermächtigung fakultative Vorgaben für die Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Ge- 543 nussrechtsbedingungen (z.B. einen Mindestausgabebetrag der (Bezugs-)Aktien, siehe Rz. 539), ist der Vorstand bei der Durchführung der Kapitalmaßnahme unter Ausnutzung der Ermächtigung hieran auch dann gebunden, wenn sich tatsächliche oder rechtliche Umstände, unter denen die Hauptversammlung den Ermächtigungsbeschluss gefasst hat, verändert haben. Daher ist der Vorstand grundsätzlich daran gehindert, Bestimmungen in die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen aufzunehmen, die außerhalb des Rahmens der inhaltlichen Vorgaben der Ermächtigung liegen. Will der Vorstand gleichwohl derart ausgestaltete Instrumente ausgeben bzw. gewähren, kann er dies auf Grundlage der Ermächtigung nur tun, wenn diese eine inhaltlich bestimmte Abweichungsermächtigung (siehe Rz. 524) enthält.1596 Die Ausnutzung derselben erfordert keine Zustimmung des Aufsichtsrats, es sei denn, dass die Abweichungsermächtigung selbst eine Mitwirkungskompetenz des Aufsichtsrats begründet (siehe Rz. 521). Enthält die Ermächtigung keine Abweichungsermächtigung, muss der Vorstand vor der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente eine neue Ermächtigung einholen oder die Hauptversammlung der beabsichtigten konkreten Kapitalmaßnahme zustimmen lassen. Hat der Vorstand die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen unter Beachtung der inhaltlichen Vorgaben der Ermächtigung nach eigenem Ermessen ausgestaltet (siehe Rz. 541), kann – insbesondere bei Veränderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Umstände – das Bedürfnis entstehen, die Bestimmungen ggf. auch nach der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente zu ändern. Soweit die Ermächtigung keine konkreten Vorgaben enthält, sondern sich in Mindest- oder Rahmenvorgaben erschöpft, ist der Vorstand unter Beachtung derselben auch dann zu nachträglichen Änderungen der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen berechtigt, wenn die Ermächtigung keine Änderungsermächtigung enthält (sog. Annexkompetenz).1597 Die Festsetzung von Mindest- oder Rahmenvorgaben ist nämlich dahingehend auszulegen, dass die Hauptversammlung ihr Einverständnis zu sämtlichen Gestaltungen erklärt, die die inhaltlichen Mindest- oder Rahmenvorgaben einhalten. Auch eine Bindung des Vorstands an seine ursprünglichen Bestimmungen ist abzulehnen. Liegen nämlich auch die Änderungen im Rahmen der inhaltlichen Mindest- oder Rahmenvorgaben der Ermächtigung (siehe Rz. 529 ff.), besteht auch in Ansehung des Normzwecks (siehe Rz. 488) kein Bedürfnis für eine erneute Befassung der Hauptversammlung.

544

Soweit die Ermächtigung keine Vorgaben für die Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen enthält, ist der Vorstand nicht nur verpflichtet, den Inhalt der Rechte nach eigenem Ermessen festzulegen (siehe Rz. 541), sondern auch berechtigt, die ursprünglichen Bestimmungen nachträglich zu ändern.

545

Befinden sich die Instrumente bereits im Umlauf, müssen die beabsichtigten Änderungen auch im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern durch die Änderung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen vollzogen werden. Zu Einzelheiten siehe Rz. 526.

546

1596 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 341; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 269; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (277). 1597 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 269; a.A. Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (276 f.). Einschränkend Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 342 f., der die Annexkompetenz inhaltlich dahingehend begrenzt, dass die Änderung wirtschaftlich keine neue Anleihe darstellen darf.

Fest

791

§ 221 AktG Rz. 547

Beschluss der Hauptversammlung

F. Publizität (§ 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG) 547

Der Beschluss, durch den die Hauptversammlung der Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder der Gewährung von Genussrechten zustimmt (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder den Vorstand zu einer dieser Kapitalmaßnahmen ermächtigt (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.), ist weder eine eintragungspflichtige noch eine eintragungsfähige Tatsache.1598 Die durch Art. 29 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU i.V.m. Art. 3 Richtlinie 2009/101/EG (ehemals: Art. 25 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG i.V.m. Art. 3 Richtlinie 68/151/EWG) gebotene Publizität dieser Beschlüsse wird nach Maßgabe von § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG hergestellt.

I. Anwendungsbereich 1. Ermächtigungs- und Zustimmungsbeschluss 548

Die Publizitätspflichten des § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG gelten – entgegen der systematischen Stellung der Vorschrift – nicht nur für Ermächtigungsbeschlüsse nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, sondern in entsprechender Anwendung auch für Zustimmungsbeschlüsse nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG.1599 Hierfür spricht nicht nur die allgemeine Formulierung („Beschluss“), sondern auch der Sinn und Zweck der Publizität. Sie soll das berechtigte Informationsinteresse der Kapitalmarktteilnehmer befriedigen, über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen – Gleiches gilt für andere Instrumente, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), sowie für Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte (siehe Rz. 547) – und die damit einhergehende Veränderung der Finanzstruktur der Gesellschaft informiert zu werden.1600 Da die Publizitätspflichten erst mit der Ausgabe der Wertpapiere entstehen (siehe Rz. 552), besteht das berechtigte Informationsinteresse unabhängig davon, ob die Kapitalmaßnahme aufgrund einer Ermächtigung des Vorstands oder einer Zustimmung der Hauptversammlung erfolgt.1601 Diese Auslegung ist auch durch Art. 29 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU i.V.m. Art. 3 Richtlinie 2009/101/EG (ehemals: Art. 25 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG i.V.m. Art. 3 Richtlinie 68/151/EWG) geboten. Die unionsrechtliche Vorgabe gilt nicht nur für Ermächtigungsbeschlüsse nach Art. 29 Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG), sondern auch – systematisch sogar in erster Linie – für Zustimmungsbeschlüsse nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG). 1598 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu § 221 AktG-E; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 79; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 45; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 146; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 117, 389; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 65; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 43; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 9, 16; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 55; Stadler in Bürgers/Körber, § 21 AktG Rz. 41. 1599 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 45, 70; Groß, AG 1991, 201 (202); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 148, 154; Haberstock/ Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 80; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20, 36; Karollus in G/H/ E/K, § 221 AktG Rz. 68; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 40; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 41; siehe auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 105 zu § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG. 1600 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 80; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 67; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 11. 1601 Im Ergebnis auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 148.

792

Fest

Publizität

Rz. 549 § 221 AktG

2. Wandelschuldverschreibungen und andere Finanzinstrumente Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG beschränkt sich der unmittelbare Anwendungsbereich der Publizitätspflichten des § 221 Abs. 2, 3 AktG auf Beschlüsse der Hauptversammlung über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 23 ff.). Diese im Lichte der Systematik des § 221 AktG überraschende Begrenzung des sachlichen Anwendungsbereichs ist kein Redaktionsversehen.1602 Sie beruht darauf, dass § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 25 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG i.V.m. Art. 3 Richtlinie 68/151/EWG (jetzt: Art. 29 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU i.V.m. Art. 3 Richtlinie 2009/101/EG) umsetzen soll,1603 die ihrerseits auf Wertpapiere begrenzt sind, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Bei der Umsetzung dieser Vorgaben hat der deutsche Gesetzgeber verkannt, dass Wandelschuldverschreibungen nicht die einzigen Wertpapiere sind, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Die unionsrechtlichen Vorgaben gelten z.B. auch für Wandel- und Optionsgenussscheine (eingehend dazu Rz. 483 ff.) sowie isolierte Optionsscheine (eingehend dazu Rz. 232 ff.). Insoweit sind die unionsrechtlichen Vorgaben von den Gerichten mittels einer entsprechenden Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG umzusetzen. Auch jenseits der unionsrechtlichen Vorgaben besteht eine Regelungslücke. Diese ergibt sich daraus, dass die Regierungsbegründung zu § 221 Abs. 2 AktG1604 nur die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen thematisiert und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) unerwähnt lässt. Diese mittels einer entsprechenden Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG zu schließen,1605 erfordert das berechtigte Informationsinteresse der Anleger. Die Publizitätspflichten dienen – im Unterschied zu dem Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung (siehe Rz. 488) – nicht dem Schutz der Aktionäre vor einer Beeinträchtigung der vermögenswerten Rechte ihrer Beteiligung,1606 sondern der Information der Kapitalmarktteilnehmer über die Ausgabe von Finanzinstrumenten und die damit einhergehende Veränderung der Finanzstruktur der Gesellschaft (siehe Rz. 548). Dieses Interesse besteht nicht nur bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, sondern unterschiedslos auch bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen sowie der Gewährung von Genussrechten.1607 1602 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 338; a.A. OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (373) = WM 1994, 347; Groß, AG 1991, 201 (202); Werner, ZHR 149 (1985), 236 (243 mit Fn. 15). 1603 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu § 221 AktG-E. 1604 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu § 221 AktG-E. 1605 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, NJW 1995, 260 = AG 1995, 83; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (373) = ZIP 1993, 1471 (1472); Groß, AG 1991, 201 (202); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 149; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 81; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20, 36; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 83; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 11; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 17; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 41; Werner, ZHR 149 (1985), 236 (243 mit Fn. 15); zurückhaltend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 390: entsprechende Anwendung jedenfalls auf Finanzierungsgenussscheine; a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 16. 1606 So aber ohne Differenzierung innerhalb von § 221 Abs. 2 AktG BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83 = NJW 1995, 260; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 149. 1607 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 338, 483; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 84, 85; siehe auch Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20 zu § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG. Zurückhaltend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 390: jedenfalls auf Finanzierungsgenussrechte entsprechend anwendbar.

Fest

793

549

§ 221 AktG Rz. 550 550

Beschluss der Hauptversammlung

Die Publizitätspflichten gelten nicht für sämtliche Beschlüsse im Zusammenhang mit der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen, Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, sowie der Gewährung von Genussrechten, sondern nur für die Zustimmung i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff., 546) sowie die Erteilung einer Ermächtigung i.S.d. § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.),1608 nicht aber für den Beschluss des Vorstands, die Ermächtigung auszunutzen.1609 Diese im Wortlaut („über die Ausgabe“) angedeutete Auslegung beruht auf dem Normzweck, die Kapitalmarktteilnehmer über die Ausgabe bzw. Gewährung bestimmter Instrumente und die damit einhergehende Veränderung der Finanzstruktur der Gesellschaft zu informieren (siehe Rz. 548). Findet der Beschlussgegenstand – sei es ein Antrag auf Zustimmung, sei es ein Antrag auf Erteilung einer Ermächtigung – nicht die erforderlichen Mehrheiten (eingehend dazu Rz. 497 ff.), besteht kein vergleichbares Informationsinteresse der Kapitalmarktteilnehmer. Zum einen hat sich die Finanzstruktur der Gesellschaft nicht verändert, zum anderen ist die Hauptversammlung nicht gehindert, bei nächster Gelegenheit erneut und mit gegenteiligem Ergebnis abzustimmen.1610

II. Inhalt der Publizitätspflichten 551

Die durch Art. 29 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU i.V.m. Art. 3 Richtlinie 2009/101/EG (ehemals: Art. 25 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG i.V.m. Art. 3 Richtlinie 68/151/EWG) gebotene Publizität wird dadurch verwirklicht, dass der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats den Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss (eingehend dazu Rz. 510 ff., 527 ff.) über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen – Entsprechendes gilt für andere Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte (siehe Rz. 549) – sowie eine Erklärung über deren Ausgabe beim Handelsregister – zuständig ist das Amtsgericht des Satzungssitzes1611 – zu hinterlegen haben, § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG. An der Hinterlegung haben Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl mitzuwirken;1612 insoweit gilt Gleiches wie bei Anmeldungen zum Handelsregister. Unter den Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Satz 1, 2 AktG ist auch eine unechte Gesamtvertretung zulässig.1613 Zur Hinterlegung einzureichen sind eine Ausfertigung des Beschlusses oder eine

1608 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 147; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 80; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 118; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 67. 1609 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 84. 1610 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 147; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 80; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 67. 1611 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 45; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 146; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 60; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 16. 1612 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 16; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 146; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 66; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 16; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29. 1613 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 16; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 146; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 66; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 16; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29.

794

Fest

Fehlender und fehlerhafter Beschluss

Rz. 553 § 221 AktG

notariell beglaubigte Abschrift.1614 Für die Erklärung des Vorstands und des Vorsitzenden des Aufsichtsrats genügt die Schriftform.1615 Die Erklärung ist keine Willens-, sondern eine Wissenserklärung, so dass § 126 Abs. 1 BGB zwar keine direkte,1616 aber wohl entsprechende Anwendung findet.1617 Es sollte zulässig sein, die schriftliche Erklärung entsprechend § 126 Abs. 3 BGB durch die elektronische Form zu ersetzen.1618 Die Abgabe der Erklärung durch Bevollmächtigte ist unzulässig,1619 die Übermittlung durch einen Boten hingegen zulässig. Zusätzlich zu der Hinterlegung nach § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG ist ein Hinweis auf den Ermächtigungsbeschluss – Gleiches gilt in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 3 AktG für Zustimmungsbeschlüsse nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (siehe Rz. 548) – und die Erklärung in den Gesellschaftsblättern bekannt zu machen (§ 221 Abs. 2 Satz 3 AktG), also gemäß § 25 AktG in den Bundesanzeiger einzurücken. Die Publizitätspflichten nach § 221 Abs. 2, 3 AktG entstehen – wie der Wortlaut des § 221 Abs. 2 Satz 2 AktG („Ausgabe“) erkennen lässt – nicht bereits mit der Beschlussfassung der Hauptversammlung, sondern erst mit der Ausgabe der Wertpapiere bzw. der Gewährung der unverbriefter Genussrechte.1620

552

G. Fehlender und fehlerhafter Beschluss Für Mängel des Beschlusses der Hauptversammlung gelten die allgemeinen Vorschriften über Nichtigkeit und Anfechtbarkeit (§§ 241 ff. AktG).1621 Die Nichtigkeit des Beschlusses kann nicht nach § 242 Abs. 1, 2 AktG geheilt werden;1622 der Beschluss ist weder eine eintragungspflichtige noch eine eintragungsfähige Tatsache (siehe Rz. 547). Aus dem gleichen Grund ist das Freigabeverfahren – trotz der im Wortlaut umfassenden Bezugsnahme auf Kapitalmaßnahmen nach den §§ 182-240 AktG in § 246a Abs. 1 Satz 1 AktG – nicht anwendbar.1623 Möglicher Gegenstand des Freigabeverfahrens ist zwar der Beschluss einer bedingten Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG). Aber auch dann, wenn dieser gemeinsam mit dem (Einzel-)Beschluss über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen oder anderen Instrumenten, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. Wandel- und Optionsgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.) in ei1614 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 146; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20. 1615 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 146; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 16; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29. 1616 So aber Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 16; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 16. 1617 Zum sachlichen Anwendungsbereich des § 126 BGB siehe statt vieler Ellenberger in Palandt, § 126 BGB Rz. 1 m.w.N. 1618 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119. 1619 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 119; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 20; Rieder/Holzmann in Gerigoleit, § 221 AktG Rz. 16; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 41. 1620 Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 29; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 66. 1621 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 117; Hüffer/Koch, § 221 Rz. 19; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 15; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 16; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 42. 1622 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 15; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 150; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 117; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 19; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 15; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 42. 1623 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 117.

Fest

795

553

§ 221 AktG Rz. 554

Beschluss der Hauptversammlung

nem zusammengesetzten Gesamtbeschluss gefasst wird, erstrecken sich die Rechtswirkungen des § 246a Abs. 4 Satz 2 AktG nicht auf den fehlerhaften Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG.1624 Zwar dient die bedingte Kapitalerhöhung gemäß § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG der Absicherung von Umtausch- oder Bezugsrechten von Wandelschuldverschreibungen, weshalb die Einzelbeschlüsse inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Da die Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien aber auch erst nach der bedingten Kapitalerhöhung beschlossen und begründet werden können (siehe Rz. 86), besteht keine Notwendigkeit, die Bestandskraft des Beschlusses über die bedingte Kapitalerhöhung auf den Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG auszudehnen.1625 554

Das Erfordernis eines Beschlusses der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 1-3 AktG) schränkt lediglich die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands für die Ausgabe bzw. Gewährung sämtlicher Instrumente und Rechte ein, auf die § 221 AktG direkt oder entsprechend anzuwenden ist (siehe Rz. 767). Daher ist der Vorstand im Innenverhältnis gegenüber der Gesellschaft verpflichtet von der Durchführung einer solchen Kapitalmaßnahme abzusehen, solange die Hauptversammlung weder eine Zustimmung noch eine Ermächtigung beschlossen hat und sobald die befristete Ermächtigung erloschen ist. Gleiches gilt bei nichtigen und anfechtbaren Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschlüssen (siehe Rz. 553).1626 Für die wirksame Begründung der Rechte im (Außen-)Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gläubigern ist der Beschluss der Hauptversammlung – sei es ein Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es ein Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) – hingegen keine Voraussetzung. Insbesondere die Vertretungsmacht des Vorstands (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AktG) bleibt unberührt (siehe Rz. 767).

555

Gibt der Vorstand Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen aus oder gewährt er Genussrechte, ohne dass ein inhaltlich entsprechender und wirksamer Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung vorliegt, verletzen die Vorstandsmitglieder die ihnen obliegende Legalitätspflicht und sind der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet.1627 Gleiches gilt, wenn der Vorstand die Kapitalmaßnahme nach dem Ablauf der in der Ermächtigung bestimmten Frist (eingehend dazu Rz. 534 ff.) durchführt.1628 Eine Billigung dieser Handlung durch den Aufsichtsrat (siehe Rz. 556 ff.) schließt die Ersatzpflicht der Vorstandsmitglieder nicht aus, § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Vielmehr sind auch die Mitglieder des Aufsichtsrats (§ 116 Satz 1 AktG) zum Schadensersatz verpflichtet, wenn sie ihre Überwachungspflicht schuldhaft verletzen.1629 Einer nachträglichen Genehmigung der Handlung durch die Hauptversammlung steht § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG ent1624 A.A. Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 24. 1625 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 117. 1626 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 150; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 100. 1627 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 22; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in MünchKomm/AktG 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 151; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 57; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 103, 379; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 70; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 114; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 15, 49; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 16; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 43. 1628 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 108; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 55. 1629 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 151; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 103; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 70; Krecek/Röhricht, ZIP 2010, 413 (415); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 114; Rieder/Holzmann in Grigoleit,

796

Fest

Zustimmung des Aufsichtsrats

Rz. 556 § 221 AktG

gegen.1630 Möglich ist es lediglich, dass die Gesellschaft nach Maßgabe von § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG auf die Ersatzansprüche verzichtet oder sich über diese vergleicht. In dem nachfolgend oder zeitgleich gefassten Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 1 AktG) zur Absicherung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte aus Wandelschuldverschreibungen (eingehend dazu Rz. 86 ff.), die der Vorstand ohne wirksamen Beschluss der Hauptversammlung ausgegeben hat, liegt in der Regel aber kein konkludenter Verzicht auf die Ersatzansprüche. Zum einen wird regelmäßig die zeitliche Beschränkung des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG entgegenstehen, zum anderen beschränkt sich der Wille der Hauptversammlung regelmäßig darauf, den (Haftungs-)Schaden der Gesellschaft zu minimieren, der ihr bei Ausübung der Umtausch- bzw. Bezugsrechte im Fall der Nichterfüllung droht (siehe Rz. 489).1631 Daher kann ein Verzicht nur ausnahmsweise angenommen werden, wenn sich der Verzichtswille eindeutig aus dem Beschluss ergibt.

H. Zustimmung des Aufsichtsrats I. Kein Zustimmungsvorbehalt kraft Gesetzes Zu der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie der Gewährung von 556 Genussrechten bedarf der Vorstand grundsätzlich auch dann keiner Zustimmung des Aufsichtsrats, wenn die Hauptversammlung den Vorstand nicht nur gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente, sondern auch zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts des Aktionäre ermächtigt hat.1632 Gegenteiliges ist auch § 204 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 AktG nicht zu entnehmen.1633 Die Vorschrift – in Betracht käme allenfalls eine entsprechende Anwendung – enthält weder einen analogiefähigen allgemeinen Rechtsgedanken noch ist eine entsprechende Anwendung der Regelung unionsrechtlich durch Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) geboten. Zwar kann bei der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie der Gewährung von Genussrechten eine vergleichbare Situation wie bei der Ausgabe neuer Aktien aufgrund eines genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) dadurch entstehen, dass die Hauptversammlung in ihrem Beschluss – sei es einer Zustimmung (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG), sei es einer Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) – nicht umfassend und abschließend über den Inhalt der von dem Vorstand im Außenverhältnis zu begründenden Rechtsbeziehungen entscheidet (siehe Rz. 510 ff., 527 ff.). Diese Lücke zu schließen ist eine Maßnahme der Geschäftsführung, die kraft Gesetzes dem Vorstand obliegt (§§ 76 Abs. 1, 82 Abs. 2 AktG). Die Vorschrift des § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AktG beinhaltet eine Ausnah-

1630

1631 1632

1633

§ 221 AktG Rz. 15; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 16; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 43. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 151; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 70; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 115; wohl auch Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 57; vgl. auch Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (258 f.) für die Garantie bei Drittemissionen; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 103; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 42: Beschluss der Hauptversammlung ist kein Verzicht, sondern nachträgliche Billigung. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 151; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 70. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 152; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 71; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 60; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 116; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 30; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18. So aber Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 116; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18.

Fest

797

§ 221 AktG Rz. 557

Beschluss der Hauptversammlung

me von diesem Grundsatz, die einer Analogie zwar nicht a priori unzugänglich ist,1634 aber in Ansehung des Grundsatzes, dass Ausnahmen grundsätzlich eng auszulegen sind (singularia non sunt extendenda),1635 aber besonderer Umstände bedarf. Solche enthalten weder die Gesetzesmaterialien zu § 204 Abs. 1 Satz 2 AktG noch Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG). In den Materialien wird die Zustimmung des Aufsichtsrats ausschließlich in Bezug auf das genehmigte Kapital festgestellt.1636 Hinweise auf ein allgemeines Rechtsprinzip enthalten sie nicht. Die Vorgabe des Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG) erschöpft sich darin, dass der Vorstand Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, nur aufgrund eines Beschlusses der Hauptversammlung ausgeben darf. Eine Mitwirkung des Aufsichtsrats ist weder bei der Ausgabe dieser Wertpapiere noch bei Kapitalerhöhungen vorgesehen.1637 Schließlich kommt hinzu, dass die Zustimmung des Aufsichtsrats in dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AktG nicht nur die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands einschränkt, sondern ein Wirksamkeitserfordernis ist.1638 Diese Rechtsfolge widerspräche nicht nur dem Umstand, dass das Fehlen eines wirksamen Beschlusses der Hauptversammlung nach § 221 Abs. 1-3 AktG die rechtsgeschäftliche Entstehung von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten nicht hindert (siehe Rz. 767), sondern auch dem zugrunde liegenden Abwägungsergebnis, dass der Schutz der Aktionäre hinter das berechtigte Interesse des Kapitalmarkts an einer wirksamen Begründung der Schuldtitel zurücktritt.1639

II. Zustimmungsvorbehalt in der Satzung oder durch den Aufsichtsrat 557

Um dem Aufsichtsrat die präventive Überwachung der Geschäftsführung zu erleichtern,1640 können die Satzung oder der Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG bestimmen, dass 1634 BFH v. 16.12.1987 – I R 350/83, BFHE 152, 401 (405) = BStBl. II 1988, 600; Canaris in Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 176. 1635 BGH v. 9.6.1992 – VI ZR 49/91, NJW 1992, 2474 zu § 8a StVG; BGH v. 6.11.1953 – I ZR 97/52, BGHZ 11, 135 (143) = NJW 1954, 305 zu § 22a LitUrhG; BGH v. 15.12.1951 – II ZR 108/51, BGHZ 4, 219 (222) = NJW 1952, 223 zur 32. DVO/UmstG; BGH v. 29.5.1951 – I ZR 87/50, BGHZ 2, 237 (244) = NJW 1951, 601 zu § 21 Abs. 4 UmstG; RG v. 14.11.1936 – I 124/36, RGZ 153, 1 (23) zu § 22a Abs. 2 LitUrhG; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des BGB, Bd. I/1, § 48 I 2 = S. 297; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I, Rz. 370; a.A. Canaris in Larenz/ Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 175; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 355; Weinsheimer, NJW 1959, 566. 1636 BT-Drucks. IV/171, 194 f. zu § 192 AktG-E 1965; Amtl. Begr. zu §§ 169-173 AktG-E 1937, abgedruckt in: Klausing, Gesetz über Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien (Aktien-Gesetz) nebst Einführungsgesetz und „Amtlicher Begründung“, 1937, S. 151. 1637 Unklar Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 116, der das Erfordernis einer Zustimmung des Aufsichtsrats daraus ableiten will, dass Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU die Ausgabe von Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, den Regelungen unterstellen will, die für Kapitalerhöhungen gelten. 1638 Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 204 AktG Rz. 25; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 204 AktG Rz. 15; Hüffer/Koch, § 204 AktG Rz. 6; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 204 AktG Rz. 16; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 204 AktG Rz. 8; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 204 AktG Rz. 11; a.A. A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 204 AktG Rz. 3. 1639 Zu dieser Abwägung siehe Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 150. 1640 Zu diesem Zweck eines Zustimmungsvorbehalts siehe BGH v. 11.12.2006 – II ZR 243/05, AG 2007, 167 (168 Rz. 9) = NZG 2007, 187; Boujong, AG 1995, 203 (205); Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 43; Hüffer/Koch, § 111 AktG Rz. 33; Kort in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015,

798

Fest

Zustimmung des Aufsichtsrats

Rz. 558 § 221 AktG

der Vorstand die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen, die Gewährung von Genussrechten sowie die unter Umständen erforderliche ergänzende Ausgestaltung des Inhalts der Rechtsverhältnisse (siehe Rz. 541) nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats vornehmen darf. Ein solcher statutarischer Zustimmungsvorbehalt kann in der Ursprungssatzung enthalten sein oder erst nachträglich durch eine Satzungsänderung ergänzt worden sein.1641 Ein von dem Aufsichtsrat – als Plenum im Umkehrschluss zu § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG – beschlossener Zustimmungsvorbehalt kann in die Geschäftsordnung des Vorstands oder des Aufsichtsrats aufgenommen werden; erforderlich ist dies aber nicht.1642 Möglich sind auch sog. Ad hoc-Vorbehalte, die der Aufsichtsrat – unabhängig von dem Inhalt der Satzung und der Geschäftsordnung – anlassbezogen (z.B. für eine konkrete Emission) begründen kann.1643 Die Zustimmungsvorbehalte nach § 114 Abs. 4 Satz 2 AktG müssen sich auf „bestimmte Arten von Geschäften“ beziehen. Dies verbietet u.a. eine generalklauselartige Formulierung wie sie z.B. in Ziff. 3.3 DCGK („Geschäfte von grundlegender Bedeutung“) enthalten ist.1644 Erforderlich ist eine unternehmensbezogene Konkretisierung,1645 die entweder durch allgemeine Merkmale (z.B. eine betragsmäßige Grenze)1646 oder die Auflistung einzelner Maßnahmen erfolgen kann.1647 Letzteres ermöglicht es, einen Zustimmungsvorbehalt speziell für die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten zu begründen.1648

1641 1642 1643

1644 1645 1646

1647

1648

Vor § 76 AktG Rz. 12; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 26 Rz. 26. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 104. Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 111 AktG Rz. 52; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 105. BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 (127) = AG 1994, 124 = NJW 1994, 520; OLG Braunschweig v. 14.6.2012 – Ws 44/12, Ws 45/12, AG 2013, 47 (49); Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, § 111 AktG Rz. 22; Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 111 AktG Rz. 52; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 46; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 115; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 152; Hambloch-Gesinn/ Gesinn in Hölters, § 111 AktG Rz. 75; Hoffmann-Becking in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 29 Rz. 55; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2006, § 111 AktG Rz. 594; Hüffer/Koch, § 111 AktG Rz. 39; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 71; Kort in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, Vor § 76 AktG Rz. 12; Lieder, DB 2004, 2251 (2253); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 117; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 60; Spindler in Spindler/Stilz, § 111 AktG Rz. 67. Fleischer, BB 2013, 835 (842); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 106; ähnlich Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 46: „alle wesentlichen Geschäftsführungsmaßnahmen“. Hüffer/Koch, § 111 AktG Rz. 36. OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, WM 1979, 1296 (1300); Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 106; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, § 111 AktG Rz. 72; Hüffer/Koch, § 111 AktG Rz. 36; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 118; Spindler in Spindler/Stilz, § 111 AktG Rz. 64; E. Vetter in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 26 Rz. 28. Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 111 AktG Rz. 58; Fleischer, BB 2013, 835 (842 f.); Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 46; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 106; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 AktG Rz. 627; Spindler in Spindler/ Stilz, § 111 AktG Rz. 63; E. Vetter in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 26 Rz. 24; kritisch J. Hüffer in FS Hüffer, 2010, S. 365 (369); Hüffer/Koch, § 111 AktG Rz. 36; wohl a.A. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 15 Rz. 8. Wohl nur terminologisch abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 152, der in diesen Maßnahmen Geschäfte „von erheblicher Tragweite“ sieht.

Fest

799

558

§ 221 AktG Rz. 559 559

Beschluss der Hauptversammlung

Für die Zustimmung des Aufsichtsrats gilt § 111 Abs. 4 Satz 3-5 AktG. Nimmt der Vorstand die Maßnahme der Geschäftsführung ohne die erforderliche oder ohne wirksame Zustimmung des Aufsichtsrats vor, handelt er zwar pflichtwidrig.1649 Die Vertretungsmacht des Vorstands wird hierdurch aber – außer bei den Einschränkungen, die auch bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht gelten, insbesondere Evidenz der fehlenden bzw. verweigerten Zustimmung1650 – nicht berührt,1651 weshalb die unter Verstoß gegen einen Zustimmungsvorbehalt begründeten Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie Genussrechte wirksam sein können.

III. Zustimmungsvorbehalt im Beschluss der Hauptversammlung? 560

Einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats kann die Hauptversammlung sowohl in Zustimmungsbeschlüsse nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff.) als auch in Ermächtigungsbeschlüsse nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) aufnehmen.1652 Dem steht nur auf den ersten Blick entgegen, dass die Hauptversammlung einen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 111 Abs. 4 Satz 2 Alt. 1 AktG nur im Wege einer Satzungsänderung, nicht aber durch einen gewöhnlichen Beschluss begründen kann. Allerdings ist der Aufsichtsrat nach ganz überwiegender Ansicht nicht gehindert, einen sog. Ad hoc-Vorbehalt zu begründen (siehe Rz. 557) und die Zustimmung zu verweigern. In Anbetracht der Tatsache, dass der Vorstand in einem solchen Fall gemäß § 111 Abs. 4 Satz 3 AktG verlangen kann, dass die Hauptversammlung über die Zustimmung beschließt, sollte die Hauptversammlung jedenfalls mit einer Stimmenmehrheit von mindestens drei Viertel der abgegebenen Stimmen und einer Kapitalmehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals berechtigt sein, einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats auch in den Beschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG aufzunehmen.1653 Unter diesen Voraussetzungen wäre die Hauptversammlung nämlich berechtigt, sowohl die von dem Aufsichtsrat – ggf. infolge eines ad hoc begründeten Vorbehalts – verweigerte Zustimmung zu erteilen (§ 111 Abs. 4 Satz 4 AktG) als 1649 Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 111 AktG Rz. 64; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 52; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 129; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 AktG Rz. 711; Hüffer/Koch, § 111 Rz. 49; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 6. Aufl. 2014, Rz. 123. 1650 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 52; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 129; Habersack in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2015, § 82 AktG Rz. 14; Hopt/ Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 AktG Rz. 702; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 AktG Rz. 112; Spindler in Spindler/Stilz, § 111 AktG Rz. 75. 1651 Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 111 AktG Rz. 64; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 111 AktG Rz. 52; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 129; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 AktG Rz. 702; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 AktG Rz. 112; Spindler in Spindler/Stilz, § 111 AktG Rz. 75. 1652 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 8; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 111 AktG Rz. 104, § 221 AktG Rz. 152; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 53; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 13; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 71; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 13; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 30; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 18; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 31; a.A. Bergau, AG 2006, 769 (773); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 71. 1653 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 71; abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 152, 153, der die Hauptversammlung sowohl bei Zustimmungsals auch bei Ermächtigungsbeschlüssen aufgrund der §§ 202 Abs. 3 Satz 2, 204 Abs. 1 Satz 2 AktG und ohne besondere Mehrheitserfordernisse als befugt ansieht, einen Zustimmungsvorbehalt in den Ermächtigungsbeschluss aufzunehmen.

800

Fest

Zustimmung des Aufsichtsrats

Rz. 562 § 221 AktG

auch einen Zustimmungsvorbehalt im Wege der Satzungsänderung zu begründen (§ 179 Abs. 2 Satz 1 AktG). Die Aufnahme eines Zustimmungsvorbehalts in einen Beschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG 561 (siehe Rz. 560) steht grundsätzlich im Ermessen der Hauptversammlung. Sind Gegenstand des Beschlusses allerdings Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien, Gewinnbeteiligungen oder sonstige aktionärstypischen Rechte (eingehend dazu Rz. 361 f.), die als Tantiemen ausschließlich den Mitgliedern des Vorstands gewährt werden sollen, hat die Hauptversammlung zur Wahrung der ausschließlichen Vergütungskompetenz des Aufsichtsrats – insoweit wird § 221 AktG durch § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG als lex specialis verdrängt1654 – ausnahmsweise einen Zustimmungs- bzw. Ausgestaltungsvorbehalt in den Beschluss nach § 221 Abs. 1-3 AktG aufzunehmen.1655 Andernfalls ist der Beschluss gemäß § 241 Nr. 3 AktG nichtig.1656 Um dies zu verhindern, genügt z.B. der Vorbehalt, dass der Aufsichtsrat den Kreis der berechtigten Vorstandsmitglieder sowie den Umfang, in dem diese die Rechte erwerben sollen, festzulegen hat.1657 Werden die Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien, Gewinnbeteiligungen oder sonstige aktionärstypischen Rechte nicht als Tantiemen ausschließlich Vorstandsmitgliedern eingeräumt, sondern in einer Anleihe verbrieft (eingehend dazu Rz. 768 ff.), kann die Hauptversammlung auch dann ohne einen Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Aufsichtsrats über die Ausgabe der Wertpapiere nach § 221 Abs. 1-3 AktG entscheiden, wenn sämtliche oder auch nur einzelne Vorstandsmitglieder zum Kreis der Bezugsberechtigten zählen.1658 Eine Einschränkung der Berechtigung der Vorstandsmitglieder zum Erwerb solcher Anleihen enthält § 221 AktG nicht.1659

Kapitel 4 Bezugsrecht der Aktionäre Auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu 562 Rz. 23 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) haben die Aktionäre gemäß § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich ein unmittelbares Bezugsrecht. Dieses ist ein Bestandteil der Mitgliedschaft,1660 der aufgrund der sinngemäßen Anwendung von § 186 AktG (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG) weitgehend dem Bezugsrecht der Aktionäre auf neue Aktien aus Kapitalerhöhungen entspricht. Die Anordnung der entsprechenden Anwendung von § 186 AktG in § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG ist bei sämtlichen Änderungen des § 186

1654 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 67; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 333; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 241; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 235; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 44. 1655 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 = NZG 1998, 814; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (44) = NZG 1998, 233; LG Frankfurt am Main v. 10.2.1997 – 3/1 O 119/96, AG 1997, 185 (186) = WM 1997, 473; wohl auch Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (232). 1656 Vgl. OLG München v. 27.2.2002 – 7 U 1906/01, NZG 2002, 677 (678) = AG 2003, 164 zu § 113 Abs. 1 Satz 2 AktG. 1657 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 = NZG 2014, 814. 1658 OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, NZG 1998, 822 (823) = AG 1998, 529; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 = NZG 1998, 814; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 132; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 18. 1659 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 = NZG 1998, 814. 1660 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 78; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 49.

Fest

801

§ 221 AktG Rz. 563

Bezugsrecht der Aktionäre

AktG1661 unverändert geblieben, insbesondere nicht eingeschränkt worden. Sie ist daher im Sinne einer dynamischen Verweisung dahingehend auszulegen, dass die Regelungen des § 186 AktG in der jeweils geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden sind,1662 also auch der mit Wirkung vom 1.7.1979 neu gefasste § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG und der angefügte § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG (eingehend dazu Rz. 683 ff.),1663 der mit Wirkung vom 10.8.1994 angefügte § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG (eingehend dazu Rz. 670 ff.),1664 der mit Wirkung vom 1.1.1998 geänderte § 186 Abs. 5 Satz 1, 2 AktG (eingehend dazu Rz. 595 ff.),1665 der mit Wirkung vom 26.7.2002 neu gefasste § 186 Abs. 2 AktG und der geänderte § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG1666 sowie der mit Wirkung vom 1.9.2009 geänderte § 186 Abs. 4 Satz 1, 2 Halbs. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 623 ff., 683 ff.).1667 Das Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG kann unter den Voraussetzungen des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder nach Maßgabe des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). Hiervon abweichende Bestimmungen in der Satzung der Aktiengesellschaft sind nach § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG i.V.m. § 134 BGB nichtig. 563

Unionsrechtlich geboten ist die Regelung des Bezugsrechts der Aktionäre für alle Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG). Die für die Ausübung des Bezugsrechts sowie die Anforderungen an den Ausschluss des Bezugsrechts geltenden Vorgaben des Art. 33 Abs. 3-6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 3-6 Richtlinie 77/91/EWG) sind in § 186 AktG umgesetzt.

564

Mit Wirkung vom 1.11.2005 wurde § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG dahingehend geändert, dass seither auch § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG sinngemäß anzuwenden ist.1668 Die systematische Stellung der Anordnung sinngemäßer Geltung ist zumindest unglücklich. Sie betrifft nämlich – im Unterschied zu der Verweisung auf § 186 AktG – nicht das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte, sondern soll zum Ausdruck bringen, dass Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) ebenso wie sog. stock options nur an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung der Emissionsgesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens als Vergütungsbestandteile gewährt werden dürfen, nicht aber an Mitglieder des Aufsichtsrats (siehe Rz. 235).

1661 Zu Einzelheiten siehe Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 13 ff.; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 6 ff. 1662 Groß, DB 1994, 2431 (2435); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 161; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 33. 1663 Art. 1 Nr. 22 i.V.m. Art. 5 des Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrecht v. 13.12.1979 (BGBl. I 1979, 1959). 1664 Art. 1 Nr. 15 i.V.m. Art. 3 des Gesetzes für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts v. 2.8.1994 (BGBl. I 1994, 1961). 1665 Art. 4 Nr. 13 i.V.m. Art. 13 Satz 2 des Begleitgesetzes zum Gesetz zur Umsetzung der EG-Richtlinie zur Harmonisierung bank- und wertpapieraufsichtsrechtlicher Vorschriften v. 22.10.1997 (BGBl. I 1997, 2567). 1666 Art. 1 Nr. 22 i.V.m. Art. 5 Satz 2 des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zur Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002 (BGBl. I 2002, 2681). 1667 Art. 1 Nr. 28 i.V.m. Art. 16 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009 (BGBl. I 2009, 2479). 1668 Art. 1 Nr. 17 i.V.m. Art. 3 Halbs. 2 des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) v. 22.9.2005 (BGBl. I 2005, 2802).

802

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 566 § 221 AktG

A. Unmittelbares Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 186 Abs. 1, 2 AktG) I. Zweck und wirtschaftliche Bedeutung Das Bezugsrecht dient – ebenso wie die Mitwirkung der Hauptversammlung an der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie der Gewährung von Genussrechten nach § 221 Abs. 1-3 AktG (siehe Rz. 488) – dem Schutz der Aktionäre.1669 Das Schutzbedürfnis resultiert daraus, dass die Instrumente, die § 221 AktG – sei es in unmittelbarer Anwendung, sei es in entsprechender Anwendung – unterfallen, aktionärstypische Rechte gewähren, die mit mitgliedschaftlichen – wenngleich unterschiedlichen – Rechten der Aktionäre konkurrieren und drohen, letztere zu verwässern (eingehend dazu Rz. 488 ff.). Das Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ermöglicht es den Aktionären, diese Effekte zumindest wirtschaftlich auszugleichen.1670 Hierzu müssen sie ihren konkreten Bezugsanspruch (siehe Rz. 574) geltend machen, unter Einsatz zusätzlichen Kapitals Bezugsobjekte in dem ihrer Beteiligung an dem Grundkapital entsprechenden Umfang erwerben und die mit diesen Instrumenten verbundenen Rechte – konkret: vertragliche Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien, schuldvertragliche Zahlungsansprüche, die mit den Gewinnanteilen der Aktionäre in Verbindung stehen (eingehend dazu Rz. 314 ff.), oder andere Ansprüche, die aktionärstypischen Vermögensrechten schuldrechtlich nachgebildet sind (eingehend dazu Rz. 361 ff.) – ausüben. Bei Wandelschuldverschreibungen und anderen Instrumenten, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), droht den (Alt-)Aktionären die Beeinträchtigung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung zwar nur mittelbar, nämlich erst, wenn und sobald infolge der Ausübung der Umtausch- oder Bezugsrechte neue Aktien ausgegeben werden. Für die damit einhergehenden Beeinträchtigungen ist das gesetzliche Bezugsrecht auf neue Aktien (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG) aber bereits deshalb kein hinreichender Ausgleich, weil in dem gesetzlichen Regelfall, dass die Umtausch- oder Bezugsrechte mittels einer bedingten Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert sind (eingehend dazu Rz. 86 ff., 221), kein gesetzliches Bezugsrecht auf die Bezugsaktien besteht (siehe Rz. 95). Daher fungiert das Bezugsrecht des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG in den Fällen des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG als Surrogat für das nicht existente Bezugsrecht der (Alt-)Aktionäre auf Bezugsaktien aus einer bedingten Kapitalerhöhung.1671

565

II. Bezugsobjekte Gegenstand des Bezugsrechts nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG sind in erster Linie Wandelschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG (eingehend dazu Rz. 23 ff.) einschließlich umgekehrter Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 123 ff.) und Pflichtwandelanleihen (eingehend dazu Rz. 153 ff., 173 ff.), Gewinnschuldverschreibungen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG (eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 329 ff.). Damit bleibt die Regelung des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG insoweit hinter den unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 1669 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 94; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142, 407; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 4; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38. 1670 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 44; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32. 1671 Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 19; Fuchs, DB 1997, 661 (666); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 76; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (71).

Fest

803

566

§ 221 AktG Rz. 567

Bezugsrecht der Aktionäre

2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG) zurück, als Wandelschuldverschreibungen nicht die einzigen Wertpapiere sind, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Dieses Umsetzungsdefizit ist zum Schutz der Aktionäre dadurch zu beheben, dass naked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.),1672 covered warrants (eingehend dazu Rz. 264 ff.),1673 stock options (siehe Rz. 205, 235)1674 und Going-Public-Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 287 ff.)1675 in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG Wandelschuldverschreibungen gleichzustellen sind. 567

Kein Bezugsrecht haben die Aktionäre auf herkömmliche Schuldverschreibungen.1676 Dies gilt auch dann, wenn mit diesen das Recht oder die Pflicht zum Erwerb bereits umlaufender Aktien der Emissionsgesellschaft oder einer anderen Gesellschaft verbunden ist.1677 Mit der Ausgabe dieser Instrumente ist – im Gegenteil zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und anderen Instrumenten, die ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf neue Aktien oder einen Anspruch auf die Wiederveräußerung eigener Aktien durch die Emissionsgesellschaft gewähren (eingehend dazu Rz. 28 ff.) – keine Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung der Aktionäre verbunden. Ebenfalls nicht Gegenstand des Bezugsrechts sind virtuelle Optionsrechte (eingehend dazu Rz. 302 ff.),1678 die den Gläubigern lediglich einen Zahlungsanspruch, aber keinen Anspruch auf reale Aktien gewähren, sowie stille Beteiligungen (§§ 230 ff. HGB).1679 Letzteres ergibt sich – nach hier vertretener Ansicht – bereits daraus, dass stille Beteiligungen keine Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG sind (eingehend dazu Rz. 378 ff.).

1672 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 13; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 37; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 95; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 29, 75; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 58 Rz. 9; im Ergebnis auch Fuchs, AG 1995, 433 (436): direkte Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG auf Grundlage der Annahme, naked warrants seien Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG. 1673 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 75; im Ergebnis Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (553, 562): direkte Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG auf Grundlage der Einordnung von covered warrants als Genussrechte. 1674 Vgl. Fuchs in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 192 AktG Rz. 108; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 75; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96, die das Bezugsrecht der Aktionäre auf isolierte Optionsrechte infolge der Annahme, es handele sich um besondere Genussrechte i.S.d. § 221 Abs. 3 AktG, auf § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG in direkter Anwendung stützten. 1675 Müller-Eising in Eilers/Rödding/Schmalenbach, Unternehmensfinanzierung, 2. Aufl. 2014, Kap. D Rz. 80; F. A. Schäfer in Lutter/Hirte, Wandel- und Optionsanleihen in Deutschland und Europa, 2000, S. 62 (72). Nur geringfügig abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 89; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 190: direkte Anwendung von § 221 AktG. 1676 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 44; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96. 1677 Apfelbacher/Kopp in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 28 Rz. 72; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96. 1678 Maser/Göttle, NZG 2013, 201 (205); a.A. Bader, AG 2014, 472 (477): entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG. 1679 BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = NJW 2003, 3412 = AG 2003, 625; KG v. 17.1.2002 – 2 U 7288/00, AG 2003, 99 (100); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 55; a.A. Veil, Unternehmensverträge, 2003, S. 159 f.

804

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 570 § 221 AktG

Für den Fall, dass dem Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS) im Rahmen einer stillen Beteiligung an einem Unternehmen des Finanzsektors (§ 2 Abs. 1 Satz 1 FMStFG) ein Umtausch- oder Bezugsrecht eingeräumt wird (§ 15 Abs. 2 Satz 1 FMStBG),1680 bestimmt § 15 Abs. 2 Satz 2 FMStBG, dass das Bezugsrecht der Aktionäre – dieses ist, obgleich dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen, auf Umtausch- oder Bezugsrechte gerichtet1681 – ausgeschlossen ist. Diese Regelung ist mit Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG) vereinbar. Die Einräumung des Umtausch- oder Bezugsrechts ist untrennbar mit dem gesetzlichen Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre in § 15 Abs. 2 Satz 2 FMStBG verbunden. Stimmt die Hauptversammlung der Einräumung des Umtausch- oder Bezugsrechts zu (§ 15 Abs. 2 Satz 3, 4 FMStBG), umfasst ihre Entschließung auch die gesetzliche Folge des Ausschlusses des Bezugsrechts.1682 Da Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG) für den Ausschluss des Bezugsrechts keinen Beschluss voraussetzt, der den Ausschluss des Bezugsrechts einzig oder ausdrücklich zum Gegenstand hat, genügt den unionsrechtlichen Vorgaben auch die implizite Willensäußerung der Hauptversammlung im Zuge der Einräumung der Umtausch- oder Bezugsrechte.1683

568

III. Bezugsberechtigte Das gesetzliche Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG steht nur den Aktionären zu. Ohne Bedeutung ist die Aktiengattung,1684 so dass das Bezugsrecht auch den Vorzugsaktionären zusteht, § 140 Abs. 1 AktG.

569

Aufgrund der Funktion des Bezugsrechts, es den Aktionären zu ermöglichen, durch den Ein- 570 satz zusätzlichen Kapitals die Beeinträchtigung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung wirtschaftlich auszugleichen (siehe Rz. 565), steht es grundsätzlich nur den Aktionären der Emissionsgesellschaft zu. Bei Drittemissionen von Wandelschuldverschreibungen – Gleiches gilt bei der Drittemission isolierter Optionsrechte (eingehend dazu Rz. 232 ff.) – findet § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG allenfalls entsprechende Anwendung (eingehend dazu Rz. 31 ff.). Hierbei ist zwischen den Aktionären der Emissionsgesellschaft und den Aktionären der Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- bzw. Bezugsrecht bezieht, zu unterscheiden: (1) Letztere haben in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich ein Bezugsrecht auf die von der Emissionsgesellschaft ausgegebenen Wandelschuldverschreibungen (siehe Rz. 46).1685 (2) Den Aktionären der Emissionsgesellschaft steht das Bezugsrecht in 1680 Zu dem personell begrenzten Anwendungsbereich des § 15 FMStBG siehe Nodoushani, NZG 2010, 491 (493 f.); Ziemons, NZG 2009, 369 (372 f.). 1681 Zu dem Gegenstand des Bezugsrechts siehe Langenbucher, ZGR 2010, 75 (90); Ziemons, NZG 2009, 369 (373). 1682 So wohl Ziemons, NZG 2009, 369 (373); a.A. Langenbucher, ZGR 2010, 75 (91) unter Hinweis darauf, dass das Bezugsrecht gesetzlich ausgeschlossen sei. 1683 In diese Richtung wohl auch OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, ZIP 2013, 212 (215) = AG 2013, 132, das annimmt, dass das Bezugsrecht der Aktionäre auf die nach § 7a FMStBG geschaffenen Bezugsaktien implizit durch den Beschluss nach § 15 Abs. 2 Satz 3, 4 FMStBG ausgeschlossen sei. Zweifelnd Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 163. Langenbucher, ZGR 2010, 75 (91) hält eine korrigierende Auslegung des § 15 Abs. 2 Satz 2 FMStBG dahingehend für möglich, dass für den Ausschluss des Bezugsrechts ein Hauptversammlungsbeschluss mit der Mehrheit des § 15 Abs. 2 Satz 3, 4 FMStBG erforderlich sei. 1684 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 46; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 55. 1685 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 47; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 15; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 39; Hüffer/Koch, § 221

Fest

805

§ 221 AktG Rz. 571

Bezugsrecht der Aktionäre

entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG hingegen nur ausnahmsweise zu, wenn die Emissionsgesellschaft eine Konzernobergesellschaft ist (siehe Rz. 42) und sich das Umtausch- oder Bezugsrecht auf neue Aktien einer konzernangehörigen Tochtergesellschaft bezieht.1686 Erfüllt die Konzernober- und Emissionsgesellschaft ihre Verschaffungspflicht mit bereits umlaufenden Aktien der Tochtergesellschaft, ist – entgegen der überwiegenden Ansicht in der Literatur – keine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG zugunsten der Aktionäre der Emissionsgesellschaft geboten (siehe Rz. 43). 571

Das gesetzliche Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG steht – auch ohne Ausschluss des Bezugsrechts nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG (eingehend dazu Rz. 613 ff.) – den Aktionären nicht zu, die einen kapitalmarktrechtlichen Rechtsverlust erlitten haben,1687 sei es gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1, 2 WpHG aufgrund der Verletzung einer Mitteilungspflicht nach § 21 Abs. 1, 1a, § 25 Abs. 1 oder § 25a Abs. 1 WpHG, sei es gemäß § 59 Satz 1 WpÜG aufgrund der Verletzung einer Pflicht nach § 35 Abs. 1, 2 WpÜG oder sei es gemäß § 20 Abs. 7 Satz 1 AktG. Ferner ruht das Bezugsrecht aus eigenen Aktien der Gesellschaft (§ 71b AktG).1688

572

Den Inhabern von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie den Gläubigern von Genussrechten steht bei der Ausgabe bzw. Gewährung weiterer gleichartiger Instrumente – im Gegensatz zu § 194 Abs. 3 AktG-E 1930 (siehe Rz. 3) – kein Bezugsrecht zu.1689 Einer drohenden Verwässerung ihrer aktionärstypischen Rechte wird in der Regel durch Bestimmungen in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen vorgebeugt (siehe Rz. 515, 538). De lege ferenda ist der Gesetzgeber an der Einräumung eines Bezugsrechts zugunsten der Gläubiger zwar nicht gehindert, in Bezug auf Wandelschuldverschreibungen und andere Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) – aber in seiner Gestaltungsfreiheit doch erheblich eingeschränkt. Nach Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG) müssen die Mitgliedstaaten nämlich sicherstellen, dass diese Wertpapiere vorzugsweise den Aktionären angeboten werden.1690 Mit dieser Vorgabe vereinbar wäre nur ein subsidiäres Bezugsrecht anderer Personen als der Aktionäre – z.B. der Inhaber von Wandelschuldverschreibungen – vereinbar, dessen Umfang auf die Wertpapiere zu beschränken wäre, hinsichtlich derer die Aktionäre ihr vorrangiges Bezugsrecht nicht ausüben.1691

1686 1687

1688 1689 1690 1691

806

AktG Rz. 73; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 172; Mankowski, AG 1998, 11 (24); Martens in FS Stimpel, 1985, S. 621 (631); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 65; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 159 ff.; vgl. auch Lutter in FS Kastner, 1972, S. 245 (259) zu § 221 Abs. 3 AktG a.F.; a.A. Hoffmann, AG 1973, 47 (53 ff.); Silcher in FS Geßler, 1971, S. 185 (193). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 46; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 154. Vgl. BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203 (208) = AG 1991, 270 = NJW 1991, 2765; Riegger/Wasmann in FS Hüffer, 2010, S. 823 (831); Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, ZIP 2006, 493 (495); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 37 jeweils zu § 186 AktG. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 38; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 55. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 164; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 95; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 75; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 46. Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – Rs. C-338/06, NZG 2009, 187 (189 Rz. 40) = AG 2009, 283 zu Art. 29 Abs. 1, 6 Richtlinie 77/91/EWG. Vgl. EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – Rs. C-338/06, NZG 2009, 187 (189 Rz. 40) = AG 2009, 283 zu Art. 29 Abs. 1, 6 Richtlinie 77/91/EWG.

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 575 § 221 AktG

IV. Abstraktes Bezugsrecht und konkreter Bezugsanspruch Das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ist ein unselbstständiger Bestandteil der Mitgliedschaft (siehe Rz. 562), der von dieser nicht getrennt werden kann.1692 Es handelt sich um ein abstraktes Mitgliedschaftsrecht, das unabhängig von der Ausgabe bzw. Gewährung einzelner Instrumente besteht.1693

573

Das abstrakte Bezugsrecht ist die Grundlage für den konkreten Bezugsanspruch.1694 Letzterer ist in sinngemäßer Anwendung von § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG) nicht auf die Zeichnung neuer Aktien, sondern auf den Erwerb (siehe Rz. 585) der jeweiligen Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) in einem dem Anteil des Aktionärs an dem Grundkapital entsprechenden Teil gerichtet.1695 Der Erwerb vollzieht sich entweder als Ersterwerb durch Abschluss eines Begebungsvertrags mit dem Gläubiger (siehe Rz. 765 ff.) oder – im Fall eines nur mittelbaren Bezugsrechts (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG, eingehend dazu Rz. 593 ff.) – als Zweiterwerb durch die Übertragung zuvor begründeter Bezugsobjekte (eingehend dazu Rz. 775 ff.). Der Bezugsanspruch ist schuldrechtlicher Natur, von der Mitgliedschaft als solcher zu unterscheiden, von dieser abtrennbar und selbstständig übertragbar.1696 Die Übertragung kann durch Abtretung (§§ 398 ff. BGB) oder – im Fall einer Verbriefung des Anspruchs – durch Übertragung des Wertpapiers erfolgen.

574

Der Bezugsanspruch gelangt zur Entstehung, sobald die Bezugsobjekte hinreichend bestimmbar sind. Diesbezüglich ist zu unterscheiden: Stimmt die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zu (eingehend dazu Rz. 510 ff.), ist der Vorstand grundsätzlich zu der Ausgabe bzw. Gewährung der Bezugsobjekte verpflichtet (siehe Rz. 516 ff.). Der Bezugsanspruch entsteht folglich bereits mit dem Beschluss der Hauptversammlung.1697 Erteilt die Hauptversammlung dem Vorstand hingegen eine Ermächtigung nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.), hat dieser nach eigenem Ermessen zu entscheiden, ob, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt er die Ermächtigung ausnutzt (siehe Rz. 540 ff.). In diesen Fällen entsteht der Bezugsanspruch der Aktionäre nicht bereits mit der Erteilung der Ermächtigung durch die Hauptversammlung, sondern erst mit dem entsprechenden Beschluss des Vorstands, bestimmte Bezugsobjekte auszugeben bzw. zu gewähren.1698 Da der konkrete Bezugsanspruch

575

1692 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 96. 1693 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 87. 1694 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 78; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 56. 1695 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 77; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96; wohl nur terminologisch abweichend Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 49: Anspruch auf Abschluss eines Zeichnungsvertrags. 1696 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 96; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 78; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 57 zu § 186 AktG. 1697 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 96; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 407; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 78; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 47; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 56. Einschränkend Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38: der Bezugsanspruch entstehe frühestens mit dem Beschluss der Hauptversammlung. 1698 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 96; Hirte in Großkomm/AktG,

Fest

807

§ 221 AktG Rz. 576

Bezugsrecht der Aktionäre

aus dem abstrakten Bezugsrecht und damit aus der Mitgliedschaft erwächst (siehe Rz. 574), entsteht er in den Händen derjenigen, die im Zeitpunkt der maßgeblichen Beschlussfassung Aktionäre (siehe Rz. 569 ff.) sind.1699 576

Bei Wandelschuldverschreibungen und anderen Instrumenten, die ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien gewähren (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), ist die Entstehung der konkreten Bezugsansprüche nicht dadurch gehindert, dass die Umtauschoder Bezugsrechte auf Aktien nicht abgesichert sind,1700 sei es, dass die Hauptversammlung keine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) beschließt oder bereits zuvor beschlossen hat, sei es, dass der gefasste Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung nichtig oder anfechtbar ist. Gegenstand des Bezugsrechts nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG sind nämlich nur die Wandelschuldverschreibungen bzw. die anderen Instrumente, die ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien gewähren, nicht aber die neuen Aktien. Daher sind sämtliche für die Schaffung neuer Aktien erforderlichen Umstände, insbesondere der Beschluss der Hauptversammlung sowie die Eintragungen in das Handelsregister, keine Voraussetzungen für die Entstehung der konkreten Bezugsansprüche im Rahmen von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.

V. Bestimmung der Bezugsfrist, Bekanntmachung 577

Für die Ausübung des Bezugsrechts ist nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG eine Bezugsfrist zu bestimmen. Die Bestimmung obliegt dem Vorstand, es sei denn, dass die Satzung oder der Beschluss der Hauptversammlung eine Frist enthält.1701 Sofern kein späterer Zeitpunkt festgelegt wird, beginnt die Bezugsfrist als Ereignisfrist – in Übereinstimmung mit Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Richtlinie 77/91/EWG) – mit der ordnungsgemäßen Bekanntmachung nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG (siehe Rz. 578 ff.).1702 Die Berechnung der Frist erfolgt nach den §§ 187 ff. BGB.1703 Wird keine oder eine zu kurz bemessene Frist bestimmt, gilt nicht die gesetzliche Mindestfrist.1704 Stattdessen können die Berechtigten ihr Bezugsrecht bis zu dem Zeitpunkt ausüben, in dem die Ausgabe bzw. die Gewährung der Bezugsobjekte abgeschlossen wird.

578

Die in der Satzung, in dem Beschluss der Hauptversammlung oder vom Vorstand bestimmte Bezugsfrist hat der Vorstand gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG

1699 1700 1701

1702 1703 1704

808

4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142, 407; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 78; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 47; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 56. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 38; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 47; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 32. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 166; wohl auch Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 96; a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 27. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 15; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 15; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 56; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 11; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 95 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 31; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 56; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 95 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 15. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 32; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 55; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 15; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 98 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG.

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 579 § 221 AktG

zusammen mit dem Ausgabebetrag (Alt. 1) oder den Grundlagen für seine Festlegung (Alt. 2) in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt zu machen.1705 Die Festlegung des Ausgabebetrags der Bezugsobjekte erfordert jedenfalls die Angabe eines konkreten Geldbetrags.1706 Nach Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) ist allerdings nicht (nur) der Ausgabebetrag, sondern das „Angebot zur vorzugsweisen Zeichnung“ – im Anwendungsbereich des Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG) handelt es sich terminologisch angepasst um das Angebot zum vorzugsweisen Erwerb – bekannt zu machen. Dieses umfasst bei Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, nicht nur den konkreten Ausgabebetrag, sondern auch die übrigen Anleihebedingungen, insbesondere den Wandlungs- oder Optionspreis.1707 In Ansehung dieser unionsrechtlichen Vorgabe ist der Begriff des Ausgabebetrags in § 221 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AktG als Synonym für die Anleihebedingungen auszulegen.1708 Obwohl die unionsrechtliche Vorgabe auf die Ausgabe von Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, beschränkt ist, muss im Ergebnis Gleiches auch für die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und die Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) gelten. Der hierfür erforderliche Wille des deutschen Gesetzgebers, das Bezugsrecht der Aktionäre für sämtliche § 221 AktG unterfallenden Instrumente inhaltsgleich auszugestalten, kommt darin zum Ausdruck, dass § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG die sinngemäße Geltung von § 186 AktG unterschiedslos für Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte anordnet. Seit der am 26.7.2002 in Kraft getretenen Neufassung des § 186 Abs. 2 AktG1709 kann der Vorstand gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG alternativ zu dem konkreten Ausgabebetrag der Bezugsobjekte (siehe Rz. 578) die Grundlagen für seine Festlegung in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt machen. Hierfür bedarf es keiner mathematischen Formel;1710 die Angabe des Preisfindungsverfahrens (z.B. des sog. Bookbuilding1705 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 407 für Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte. 1706 Vgl. Groß, ZHR 162 (1998), 318 (333); Hefermehl in G/H/E/K, 1988, § 186 AktG Rz. 70; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 67 jeweils zu § 186 Abs. 2 AktG. Die Gegenansicht, nach der die Angabe eines Maximalbetrags genügen soll (so Busch, AG 2002, 230 (234); Ihrig/Wagner, BB 2002, 789 [795]), wird – soweit ersichtlich – nach der Einführung der Alternative, dass anstelle des Ausgabebetrags die Angabe der Grundlagen für seine Festlegung genügt, nicht mehr aufrechterhalten. Unklar Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 57: der Ausgabepreis sei nachvollziehbar darzustellen. 1707 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 167; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 19; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 47; kritisch Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (261); einschränkend Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 57: alle wesentlichen Anleihebedingungen. 1708 Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (261). Abweichend Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 73, der es – allerdings ohne Erwähnung der Vorgaben des Art. 29 Abs. 3, 6 Richtlinie 77/91/EWG (heute: Art. 33 Abs. 3, 6 Richtlinie 2012/30/EU) – als auch ausreichend erachtet, die Bezugsbedingungen zunächst nur bestimmbar festzulegen und erst während der Laufzeit der Bezugsfrist zu konkretisieren. 1709 Art. 1 Nr. 22 i.V.m. Art. 5 Satz 2 des Gesetzes zur weiteren Reform des Aktien- und Bilanzrechts, zu Transparenz und Publizität (Transparenz- und Publizitätsgesetz) v. 19.7.2002 (BGBl. I 2002, 2681). 1710 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142; Schlitt/Hemeling in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 18 mit Fn. 3; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 46.

Fest

809

579

§ 221 AktG Rz. 580

Bezugsrecht der Aktionäre

Verfahrens)1711 genügt ebenso wie die Angabe einer Referenzgröße (z.B. der durchschnittliche Börsenkurs vergleichbarer Instrumente der Gesellschaft während eines bestimmten Referenzzeitraums) einschließlich der Kriterien eines ggf. vorzunehmenden Abschlags.1712 Die zusätzliche Angabe eines Maximalbetrags oder einer Preisspanne (range) ist zulässig und üblich, aber nicht erforderlich.1713 Den konkreten Ausgabebetrag – hierzu zählen bei § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 AktG auch die übrigen Anleihebedingungen (siehe Rz. 578), insbesondere der Wandlungs- oder Optionspreis – hat der Vorstand gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG spätestens drei Tage vor Ablauf der bestimmten Bezugsfrist in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) und über ein elektronisches Informationsmedium bekannt zu machen. Bis zu diesem Zeitpunkt müsste das BookbuildingVerfahren oder ein anderes Verfahren zur Preisbestimmung abgeschlossen sein.1714 Aufgrund der zwischenzeitlich bestehenden Ungewissheit der Aktionäre über den konkreten Ausgabebetrag der Bezugsobjekte, sollen die Aktionäre – nach der Regierungsbegründung zu § 186 Abs. 2 AktG1715 – berechtigt sein, sich die Rücknahme der Bezugserklärung innerhalb der drei Tage zwischen der Bekanntgabe des konkreten Ausgabebetrags und dem Ende der Bezugsfrist1716 (z.B. für den Fall der Bekanntgabe eines unerwartet hohen Ausgabebetrags) vorzubehalten. Für einen solchen einseitigen Vorbehalt fehlt es – aufgrund der Abweichung von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB – an einer gesetzlichen Grundlage. In Betracht kommt allenfalls eine auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB), die inhaltlich allerdings näher bestimmt werden muss. 580

Die für die Praxis bedeutsame Regelung des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, Satz 2 AktG, wonach es genügt, den Ausgabebetrag erst drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist bekannt zu machen (siehe Rz. 579), widerspricht (nur) in Bezug auf die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, der unionsrechtlichen Vorgabe für das Bezugsrecht der Aktionäre.1717 Nach Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Richtlinie 77/91/EWG) darf die Bezugsfrist nicht kürzer sein als vierzehn Tage nach Bekanntmachung des Angebots. Der Begriff des Angebots wird in der Richtlinie zwar nicht definiert. Soll es sich bei der Bezugsfrist aber nicht nur um eine Ausübungs-, sondern auch um eine Überlegungsfrist han1711 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142; Schlitt/Hemeling in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 18; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 46; vgl. auch BT-Drucks. 14/8769, 23; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (261); Seibert, NZG 2002, 608 (612); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 69 jeweils zu § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG. 1712 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 55; von Dryander/ Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 19; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 69; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 12 jeweils zu § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG. 1713 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 142; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 46; Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (683); vgl. auch von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 19; Krug, BKR 2005, 302 (304); Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 17; Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410 (412); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 69 jeweils zu § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG; a.A. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 52; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 167; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (261). 1714 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 20; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (262); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 48. 1715 BT-Drucks. 14/8769, 23. 1716 Zu dieser zeitlichen Einschränkung siehe Seibert, NZG 2002, 608 (612). 1717 Im Ergebnis ebenso zu § 186 Abs. 2 AktG T. Bezzenberger, ZIP 2002, 1917 (1922); DAV (Handelsrechtsausschuss), NZG 2002, 115 (118).

810

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 582 § 221 AktG

deln – wovon der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Vorgabe ausgegangen ist1718 –, liegt es nahe, dass das Angebot hinreichend bestimmt, also annahmefähig sein und daher auch den konkreten Ausgabebetrag sowie die übrigen Anleihebedingungen (siehe Rz. 578) enthalten muss.1719 Die Erwägung des deutschen Gesetzgebers, dass es den Aktionären in Abwägung mit dem Interesse der Gesellschaft, nicht über mehrere Wochen als kostenloser Stillhalter fungieren zu müssen, zugemutet werden könne, sich innerhalb von drei Tagen zu entscheiden,1720 könnte zwar Anlass geben, die unionsrechtliche Vorgabe zu überdenken, vermag aber eine Abweichung von der Vorgabe des Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 Richtlinie 2012/30/EU de lege lata nicht zu rechtfertigen.1721

VI. Bezugserklärung Der konkrete Bezugsanspruch (siehe Rz. 574 ff.) besteht nur auf Verlangen des Aktionärs, 581 § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. Es handelt sich also um einen sog. verhaltenen Anspruch.1722 Mit seinem Verlangen in Form der sog. Bezugserklärung bekundet der Aktionär nur seine Absicht, die jeweiligen Bezugsobjekte (siehe Rz. 566 ff.) erwerben zu wollen. Es handelt sich um eine empfangsbedürftige und nicht formgebundene geschäftsähnliche Handlung,1723 auf die die Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 116 ff. BGB) entsprechend anzuwenden sind. Bei der Abgabe der Bezugserklärung hat sich der Gläubiger des konkreten Bezugsanspruchs gegenüber der Gesellschaft zu legitimieren. Sofern weder die Satzung noch der Beschluss der Hauptversammlung eine Bestimmung hierzu enthalten, hat der Vorstand über die Form der erforderlichen Legitimation – üblich ist die Vorlage eines Zinskupons bzw. Gewinnanteilsscheins1724 – zu entscheiden und seine Entscheidung im Rahmen der Bekanntmachung der Bezugsfrist nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 1 AktG mitzuteilen.1725 Fehlt eine Bestimmung über die Form der Legitimation, genügt bei Namensaktien die Eintragung in das Aktienregister (§ 67 Abs. 2 Satz 1 AktG) in Verbindung mit der Vorlage eines amtlichen Identitätsnachweises.1726 Bei Inhaberaktien börsennotierter Gesellschaften genügt in entsprechender Anwendung von § 123 Abs. 4 Satz 1 AktG ein besonderer Nachweis des Anteilsbesitzes durch das depotführende Institut in Textform (§ 126b BGB); nur bei nicht börsennotierten Gesellschaften ist die Vorlage der Aktienurkunde erforderlich.1727 Da der konkrete Bezugsanspruch – im Unterschied zu dem abstrakten Bezugsrecht (siehe Rz. 573 ff.) – 1718 1719 1720 1721 1722 1723

1724 1725 1726 1727

BT-Drucks. 14/8769, 23 zu § 186 Abs. 2 AktG-E. In diese Richtung tendierend DAV (Handelsrechtsausschuss), NZG 2002, 115 (118). BT-Drucks. 14/8769, 23 zu § 186 Abs. 2 AktG-E. Wohl a.A. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 70. Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 51; Servatius in Spindler/ Stilz, § 186 AktG Rz. 12 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. Vgl. KG v. 4.11.2005 – 14 U 21/04, AG 2006, 201; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 14; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 14; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 106; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 52; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 13; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 11; a.A. (Willenserklärung) Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 139; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 27 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. Vgl. Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 139; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 29; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 54 jeweils zu § 186 AktG. Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 54 zu § 186 AktG. Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 54 zu § 186 AktG. Abweichend Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 54 zu § 186 AktG, der bei Inhaberaktien stets die Vorlage der Aktienurkunde für erforderlich erachtet.

Fest

811

582

§ 221 AktG Rz. 583

Bezugsrecht der Aktionäre

von der Aktie getrennt und isoliert übertragen werden kann, sollte für diese Fälle auch eine Form für den Nachweis der Rechtsnachfolge (z.B. eine schriftliche Abtretungsanzeige) bestimmt werden. 583

Die Bezugserklärung muss innerhalb der Bezugsfrist (siehe Rz. 577) wirksam werden, also der Gesellschaft in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB zugehen.1728 Von der Bezugserklärung sind die auf den (dinglichen) Erwerb der Bezugsobjekte gerichteten Erklärungen der Bezugsberechtigten zu unterscheiden. Diese müssen der Gesellschaft grundsätzlich nicht innerhalb der Bezugsfrist zugehen;1729 anderes gilt nur ausnahmsweise, wenn die Gesellschaft diese in den Bezugsbedingungen zu einer aufschiebenden Bedingung für die wirksame Ausübung des Bezugsrechts erhoben hat.1730

584

Die Bezugsfrist ist eine Ausschlussfrist, mit deren Ablauf der konkrete Bezugsanspruch erlischt,1731 sofern der Berechtigte nicht zuvor rechtsgeschäftlich auf seinen Bezugsanspruch verzichtet hat.1732 Hinsichtlich der erloschenen Bezugsansprüche ist der Vorstand nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG verpflichtet, die darauf entfallenden Bezugsobjekte bestmöglich zu verwerten.1733 Für eine Anwachsung der erloschenen Bezugsansprüche zugunsten der Bezugsberechtigten, die ihr Bezugsrecht ordnungsgemäß ausgeübt haben, in dem Sinne einer Erhöhung ihrer Zuteilungsquoten (sog. Nachbezugsrecht),1734 fehlt eine gesetzliche Grundlage.1735

VII. Zuteilung 585

Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG ist der konkrete Bezugsanspruch (siehe Rz. 574 ff.) auf die Zuteilung neuer Aktien gerichtet. In dem Kontext der Kapitalerhöhung ist die Zuteilung die Annahme der Zeichnungserklärung des künftigen

1728 Vgl. von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 18; Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 56; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 15; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 11 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG. 1729 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 56 zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG. 1730 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 56 zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG. 1731 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 57; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 16; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 34; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 5; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 55, 62; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 97 jeweils zu § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG. 1732 Zu der Möglichkeit des Verzichts vgl. Durchlaub, BB 1977, 875 (876); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 63 jeweils zu § 186 AktG. 1733 Vgl. Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 141; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 16; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 64; Vaupel/Reers, AG 2010, 93 (96); Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 97 jeweils zu § 186 AktG. 1734 So Groß, ZHR 162 (1998), 318 (333) zu § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. 1735 Vgl. von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 27; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 25; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (262 mit Fn. 103); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 62-64; Vaupel/Reers, AG 2010, 93 (96) jeweils zu § 186 AktG. Abweichend für den rechtsgeschäftlichen Verzicht auf den Bezugsanspruch Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 49: über die (als möglich unterstellte) Anwachsung entscheide der Wille des Bezugsberechtigten; dagegen Schlitt/Schäfer, CFL 2011, 410 (413 mit Fn. 56). Zu der Begründung rechtsgeschäftlicher Nachbezugsrechte siehe Seibt/Voigt, AG 2009, 133 (137 f.).

812

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 588 § 221 AktG

Aktionärs durch die Gesellschaft.1736 Da der hierdurch zustande kommende Zeichnungsvertrag auf die Begründung neuer Mitgliedschaftsrechte gerichtet ist, sich also nicht in einer Verpflichtung erschöpft, sondern auch korporationsrechtliche Elemente aufweist,1737 richtet sich der konkrete Bezugsanspruch bei sinngemäßer Anwendung von § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG nicht auf Zuteilung im eigentlichen Sinn, sondern auf den Ersterwerb der Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) durch Abschluss eines Begebungs- oder Genussrechtsvertrags. Bei einem mittelbaren Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 593 ff.) richtet sich der konkrete Bezugsanspruch (siehe Rz. 574 ff.) nicht gegen die Gesellschaft und nicht auf die vertragliche Begründung der Bezugsobjekte, sondern gegen das Kreditinstitut oder das nach § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 KWG tätige Unternehmen (eingehend dazu Rz. 597 ff.)1738 und zwar darauf, die zu ihren Gunsten mit der Gesellschaft begründeten Bezugsobjekte an die Bezugsberechtigten als Zweiterwerber zu übertragen.

586

VIII. Gefährdung und Vereitelung der Zuteilung Die Erfüllung des konkreten Bezugsanspruchs der Aktionäre auf die Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) wird gefährdet, aber nicht notwendig vereitelt (siehe Rz. 590), wenn die Gesellschaft nicht bezugsberechtigten Dritten rechtsgeschäftlich Bezugsansprüche auf dieselben Bezugsobjekte einräumt. In diesen Fällen wird das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre durch die entsprechende Anwendung von § 187 Abs. 1, 2 AktG geschützt.1739 Die hierfür erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG nur die sinngemäße Geltung von § 186 AktG anordnet, die Vergleichbarkeit daraus, dass das gesetzliche Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ebenso wie das gesetzliche Bezugsrecht nach § 186 AktG ein zwingender Bestandteil der Mitgliedschaft ist (siehe Rz. 562), also den gleichen Schutz genießen muss. Dies bedeutet im Einzelnen:

587

Rechtsgeschäftliche Bezugsansprüche auf Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.), die die Gesellschaft nach der Zustimmung der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder nach dem Beschluss des Vorstands, eine erteilte Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) in bestimmter Weise auszunutzen, zugunsten nicht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG bezugsberechtigter Dritter begründet, sind nicht nichtig. Sie stehen in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 AktG lediglich kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt des gesetzlichen Be-

588

1736 Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 14; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 2, 51; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 185 AktG Rz. 4. 1737 Hüffer/Koch, § 185 AktG Rz. 3; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 2; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 185 AktG Rz. 4. 1738 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 48; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96. 1739 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 86; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 168; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 97; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 153, 412; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 46; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 75, 79; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 111; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 96; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 34; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 40; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 217; Servatius in Spindler/Stilz, § 187 AktG Rz. 9; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 58; a.A. A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 4.

Fest

813

§ 221 AktG Rz. 589

Bezugsrecht der Aktionäre

zugsrechts der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.1740 Dieser Vorbehalt wirkt sich dahingehend aus, dass die Gesellschaft, soweit sie vorrangige Bezugsansprüche der Aktionäre bedient, den nur subsidiär berechtigten Gläubigern der rechtsgeschäftlichen Bezugsrechte mangels einer Pflichtverletzung zum Schadensersatz nicht verpflichtet ist.1741 589

Rechtsgeschäftliche Bezugsrechte, die mit dem gesetzlichen Bezugsrecht der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG konfligieren, sind auch dann nicht endgültig unwirksam, wenn die Gesellschaft sie vor der Zustimmung der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder vor dem Beschluss des Vorstands, eine erteilte Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) in bestimmter Weise auszunutzen, zugunsten nicht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG bezugsberechtigter Dritter begründet.1742 Der Zweck des auf diese Konstellationen entsprechend anzuwendenden § 187 Abs. 2 AktG, die Entscheidungsfreiheit der Hauptversammlung und des Vorstands über die Maßnahme der Kapitalbeschaffung – hier: die Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder die Gewährung von Genussrechten – zu sichern,1743 wird bereits dadurch erreicht, dass die Gesellschaft nicht verpflichtet wird, die zugesicherte Kapitalmaßnahme zu beschließen1744 und durchzuführen,1745 für den Fall, dass die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente unterbleibt, also keine Pflicht verletzt und keinen Schadensersatzansprüchen der Gläubiger der rechtsgeschäftlichen Bezugsrechte ausgesetzt ist.1746 Hierfür genügt die schwebende Unwirksamkeit der Zusicherungen.1747 Beschließt die Hauptversammlung oder der Vorstand später – ohne hierzu verpflichtet zu sein – die Maßnahme der Kapitalbeschaffung durchzuführen, werden die bis dahin rechtsgeschäftlich begründeten und schwebend unwirksamen Bezugsrechte wirksam, stehen aber in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 AktG kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.1748

590

Bei einem unmittelbaren Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 565 ff.) verletzt die Gesellschaft ihre Bezugsverpflichtung bereits dann, wenn sie trotz ordnungsgemäßer Bezugserklärung (siehe Rz. 581 ff.) keinen Begebungsbzw. Genussrechtsvertrag in dem geschuldeten Umfang mit den Gläubigern der konkreten

1740 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 36; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 169; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 153; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 46; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 81; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 34; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 58. 1741 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 169. 1742 So aber A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 187 AktG Rz. 3; Servatius in Spindler/Stilz, § 187 AktG Rz. 11; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 187 AktG Rz. 10. 1743 Vgl. Hüffer/Koch, § 187 AktG Rz. 1. 1744 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 36; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 46; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 34. 1745 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 81. 1746 Hüffer/Koch, § 187 AktG Rz. 5; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 187 AktG Rz. 17; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 187 AktG Rz. 7; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 187 AktG Rz. 11. 1747 Vgl. Hüffer/Koch, § 187 AktG Rz. 5; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 187 AktG Rz. 7; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 187 AktG Rz. 15; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 187 AktG Rz. 7; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 187 AktG Rz. 9; wohl nur konstruktiv abweichend Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 187 AktG Rz. 19, der die Zusicherung jedenfalls kraft Gesetzes dem Vorbehalt unterstellt, dass die Gesellschaft eine Kapitalerhöhung beschließt. Wohl abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 221 AktG Rz. 153: unwirksam. Ähnlich Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 58: Gesellschaft werde überhaupt nicht gebunden. 1748 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 169; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 81; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 58.

814

Fest

Unmittelbares Bezugsrecht

Rz. 591 § 221 AktG

Bezugsansprüche schließt.1749 Von dieser Pflichtverletzung ist der Eintritt der Unmöglichkeit zu unterscheiden, der die Gesellschaft von ihrer Bezugsverpflichtung befreit (§ 275 Abs. 1 BGB). In diesem Zeitpunkt erlischt der klagbare1750 Bezugsanspruch; er kann fortan weder im Wege der Leistungsklage durchgesetzt noch mittels einer einstweiligen Verfügung (§ 935 ZPO) gesichert werden.1751 In dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 186 AktG tritt die Unmöglichkeit zwar erst ein, sobald die Durchführung der Kapitalerhöhung auf Grundlage von Zeichnungsverträgen mit Dritten in das Handelsregister eingetragen wird.1752 Die Ausgabe bzw. Gewährung der Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) bedarf aber keiner Eintragung in das Handelsregister (siehe Rz. 547). Daher wird der Gesellschaft die Erfüllung ihrer Bezugsverpflichtung gegenüber den Aktionären bei sinngemäßer Anwendung von § 186 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG erst dann unmöglich (§ 275 Abs. 1 BGB), wenn und sobald alle Instrumente aus der Gesamtemission an Dritte begeben bzw. zugunsten Dritter begründet sind. Hat die Gesellschaft den Eintritt der Unmöglichkeit (siehe Rz. 590) – wie nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet wird – zu vertreten, ist sie den Gläubigern der Bezugsansprüche gemäß §§ 280 Abs. 1, 3, 283 Satz 1, 275 Abs. 4 BGB zum Schadensersatz statt der Leistung verpflichtet.1753 Daneben können Ansprüche aus unerlaubter Handlung bestehen. Da für diese die Vermutung des Vertretenmüssens (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) nicht gilt, sondern die Aktionäre das erforderliche Verschulden der Gesellschaft bzw. ihrer Organe (§ 31 BGB) darlegen und ggf. beweisen müssen,1754 sind die deliktischen Ansprüche wohl nur in dem Verhältnis der Gesellschaft zu den Organmitgliedern von praktischer Bedeutung.1755 In Betracht kommen folgende Ansprüche: (1) Das Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ist ein Bestandteil der Mitgliedschaft (siehe Rz. 562) und als solches ein sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB.1756 Erstreckt sich der deliktische Schutz – wie die Rechtsprechung entgegen der überwiegenden Ansicht in der Literatur annimmt1757 – auch auf das Innenverhältnis zwischen den Aktionären und der Gesellschaft, steht den Bezugsgläubigern ein Schadensersatzanspruch auch nach § 823 Abs. 1 BGB zu. (2) Regelmäßig wird auch ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG bestehen. Die Vorschrift des § 186 AktG ist ein Schutz-

1749 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 58 zu § 186 AktG. 1750 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 86; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 157; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 49. 1751 Zu der Möglichkeit der Sicherung des konkreten Bezugsanspruchs mittels einer einstweiligen Verfügung siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 157; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 206 ff. 1752 Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 58. 1753 Im Grundsätzlichen abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 157; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 238 ff.: verschuldensunabhängige Schadensersatzansprüche gegen den durch die Verletzung des Bezugsrechts begünstigen Mehrheitsaktionär. 1754 Siehe statt vieler Sprau in Palandt, § 823 BGB Rz. 80; Wagner in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 BGB Rz. 71, 439. 1755 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 59 zu § 186 AktG. 1756 Zu dem deliktischen Schutz des Bezugsrechts der Aktionäre siehe Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 258 ff. 1757 BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323 (327 f.) = NJW 1990, 2877; a.A. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 59; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 93 AktG Rz. 306 ff.; Wagner in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 823 BGB Rz. 236; gegen jeden deliktischen Schutz der Mitgliedschaft Schmolke, Organwalterhaftung für Eigenschäden von Kapitalgesellschaften, 2004, S. 67 ff.; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 19 ff.

Fest

815

591

§ 221 AktG Rz. 592

Bezugsrecht der Aktionäre

gesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Aktionäre.1758 Aufgrund der sinngemäßen Geltung der Vorschrift im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG kann für das Bezugsrecht der Aktionäre auf die Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) nichts anderes gelten. (3) Schließlich kommen ausnahmsweise Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB sowie aus § 826 BGB in Betracht. In sämtlichen Fällen einer schuldhaften Pflichtverletzung kann die Gesellschaft bei den schuldhaft handelnden Vorstandsmitgliedern sowie den Mitgliedern des Aufsichtsrats, sofern diese ausnahmsweise an der Maßnahme der Kapitalbeschaffung beteiligt waren oder ihre Überwachungspflicht schuldhaft verletzt haben (eingehend dazu Rz. 740 f.), Regress nehmen, § 93 Abs. 2 Satz 1 ggf. i.V.m. § 116 Satz 1 AktG. 592

Als Schadensersatz hat die Gesellschaft gemäß § 249 Abs. 1 BGB in erster Linie Naturalrestitution zu leisten. Diese besteht darin, dem Gläubiger des konkreten Bezugsanspruchs (siehe Rz. 574 ff.) die jeweiligen Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG (siehe Rz. 566 ff.) in entsprechender Anzahl aus der Gesamtemission zu verschaffen. Zu der Ausgabe bzw. Gewährung zusätzlicher Instrumente gleicher Art unter Ausschluss des Bezugsrechts der Dritterwerber ist die Gesellschaft allerdings auch im Rahmen der Naturalrestitution nicht verpflichtet.1759 Es handelt sich um eine Maßnahme der Kapitalbeschaffung, über die der Vorstand und die Hauptversammlung nach eigenem Ermessen zu beschließen haben. Da die Schadensersatzpflicht die Gesellschaft auch nicht berechtigt, die mit Dritten geschlossenen Begebungsbzw. Genussrechtsverträge rückabzuwickeln,1760 darf sie die Schadensersatzgläubiger gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB in Geld entschädigen, wenn die Gesamtemission ausgeschöpft ist, die Gesellschaft über keine eigenen Instrumente verfügt und sie sich diese auch nicht mit noch verhältnismäßigen Aufwendungen beschaffen kann.

B. Mittelbares Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG) 593

In der Praxis erfolgt die Ausgabe von Anleihen und Genussscheinen ganz überwiegend im Wege der Fremdemission in Form der Festübernahme (sog. firm commitment underwriting, eingehend dazu Kap. 4 Rz. 4.18).1761 Bei diesem Verfahren erfolgt die Platzierung der Wertpapiere in zwei Absatzschritten.1762 Zunächst schließt die Gesellschaft mit einem Kreditinstitut – in der Praxis handelt es sich regelmäßig um ein Emissionskonsortium (siehe Rz. 600) – einen Übernahmevertrag. Auf Grundlage der darin enthaltenen Verpflichtung des Kreditinstituts, sämtliche Wertpapiere aus der Gesamtemission zu einem festen Preis zu

1758 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 41; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 27; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 33; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 103; a.A. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 59. 1759 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 60 zu § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. 1760 Vgl. Cahn, ZHR 164 (2000), 113 (143 ff.) zu § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG. 1761 Baum in FS Hopt, Bd. II, 2010, S. 1595 (1600); Ekkenga, ZHR 160 (1996) 59 (69); Grundmann in FS Boujong, 1996, S. 159 (160); Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991, Rz. 24; Joussen, WM 1995, 1861 (1865); Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, 2001, S. 35; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.280; von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 25 (35 f.); von Randow, ZBB 1994, 23 (25). Abweichend R. Lang, Internationales Emissionsgeschäft, 1993, S. 9: im kontinentaleuropäischen Bereich herrsche das gemischte Übernahme- und Begebungskonsortium vor, im angelsächsischen Bereich eine dreistufige, vertikale Struktur bestehend aus der Führungsgruppe, der Underwriting-Gruppe und der Verkaufsgruppe. 1762 Joussen, WM 1995, 1861 (1865).

816

Fest

Mittelbares Bezugsrecht

Rz. 594 § 221 AktG

übernehmen,1763 werden die Wertpapiere durch einen Begebungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Kreditinstitut zugunsten des Kreditinstituts begründet.1764 Der zweite Absatzschritt besteht darin, dass das Kreditinstitut die Wertpapiere im eigenen Namen1765 und auf eigene Rechnung an die Anleger weiterveräußert.1766 Beschließt die Hauptversammlung diese Gestaltung des Emissionsverfahrens, bei der ein Kreditinstitut oder ein Emissionskonsortium sämtliche Wertpapiere aus der Gesamtemission (erst-)erwirbt, liegt hierin formal ein Ausschluss des unmittelbaren Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 565 ff.).1767 Diesen als solchen zu behandeln, schließt die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG aus. Sie basiert auf der Annahme, dass die Fremdemission in Form der Festübernahme lediglich formell, nicht aber materiell einen Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre darstellt, wenn sich das Kreditinstitut verpflichtet, die übernommenen Wertpapiere den Aktionären zum Bezug anzubieten.1768 Unter dieser Voraussetzung erleiden die Bezugsberechtigten nämlich keinen Nachteil. Die Wertpapiere werden ihnen nicht entzogen, sondern lediglich – anstelle von der Gesellschaft – über ein Emissionsunternehmen (eingehend dazu Rz. 597 ff.) angeboten, dessen Tätigkeit behördlicher Aufsicht unterliegt.1769 Die staatliche Beaufsichtigung der Kreditinstitute und der anderen Emissionsunternehmen i.S.d. § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG ist der Grund dafür, dass die Gesellschaft diese Gestaltung des Emissionsverfahrens beschließen kann, ohne die besonderen Voraussetzungen für den Ausschluss des unmittelbaren Bezugsrechts (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG, eingehend dazu Rz. 613 ff.) einhalten zu müssen.1770

1763 Assmann, WM 2005, 1053 (1055); Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 7 Rz. 29; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 197; Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123 f.); M. Lehmann, Finanzinstrumente, 2009, S. 347. 1764 Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, 2001, S. 42. 1765 Damit die Konsorten bei der Eigentumsübertragung als Berechtigte agieren können, haben sie nach dem Konsortialvertrag Anspruch auf das Alleineigentum an den ihnen nach der Syndikatsquote zustehenden Wertpapieren, siehe Bosch in Hellner/Steuer, BuB, Rz. 10/51. 1766 Baum in FS Hopt, Bd. II, 2010, S. 1595 (1600); Bosch/Groß, Das Emissionsgeschäft, Rz. 10/77; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 197, 213; Hopt in Baumbach/Hopt, BankGesch Rz. Y/1; Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991, Rz. 42; Löffler, Anleihen, 1987, S. 75; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, 2001, S. 35; M. Wolf in FS Zöllner, Bd. I, 1998, S. 651 (653). 1767 Vgl. BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (97) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 103; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 52; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 149; Wiedemann, WM 1979, 990 (991). 1768 Vgl. BT-Drucks. IV/171, 192 zu § 174 Abs. 5 AktG-E. 1769 Vgl. OLG Koblenz v. 12.3.1996 – 6 U 470/96, NZG 1998, 552 (553); Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 58; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 149; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 45; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 193; Wiedemann, WM 1979, 990; kritisch G. Hueck in FS Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 427 (436 f.). 1770 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 45; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 33; vgl. auch BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (96) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222; OLG Koblenz v. 12.3.1996 – 6 U 470/96, NZG 1998, 552 (553); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 149, 151; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 72; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 195.

Fest

817

594

§ 221 AktG Rz. 595

Bezugsrecht der Aktionäre

I. Voraussetzungen der Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG 595

Die Fremdemission in Form der Festübernahme gilt gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG nur dann nicht als Ausschluss des unmittelbaren Bezugsrechts der Aktionäre, wenn (1) der Beschluss der Hauptversammlung vorsieht (siehe Rz. 596), dass (2) die Wertpapiere von einem sog. Emissionsunternehmen übernommen werden (siehe Rz. 597 ff.) und (3) dieses sich verpflichten soll, die Wertpapiere den Aktionären zum Bezug anzubieten (siehe Rz. 601 ff.). Nur unter diesen Voraussetzungen ist – nach der gesetzlichen Wertung – anzunehmen, dass die Aktionäre durch die Mediatisierung ihres Bezugsrechts keinen Nachteil erleiden, ihr mittelbares Bezugsrechts also dem unmittelbaren Bezugsrecht gleichwertig ist. 1. Beschluss der Hauptversammlung

596

In dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG müssen die Festübernahme der neuen Aktien durch ein Emissionsunternehmen (siehe Rz. 597 ff.) sowie dessen Angebotsverpflichtung (siehe Rz. 601 ff.) Bestandteil des Beschlusses der Hauptversammlung über die Erhöhung des Grundkapitals sein.1771 Bei der nur sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG ist – wie bei dem Ausschluss des Bezugsrechts (eingehend dazu Rz. 616, 617) – zu unterscheiden: Stimmt die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zu (eingehend dazu Rz. 510 ff.), kann das mittelbare Bezugsrecht nur in dem sog. Zustimmungsbeschluss begründet werden,1772 wobei eine nachträgliche Ergänzung durch Änderungsbeschluss zulässig ist.1773 Erteilt die Hauptversammlung dem Vorstand hingegen eine Ermächtigung zu der Ausgabe bzw. Gewährung bestimmter Instrumente nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.), kann sie das mittelbare Bezugsrecht in dem sog. Ermächtigungsbeschluss selbst gewähren oder den Vorstand in dem Beschluss hierzu ermächtigen.1774 Die Zulässigkeit dieser Ermächtigung ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluss. Kann die Hauptversammlung den Vorstand zu einem ersatzlosen Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigen (siehe Rz. 617), muss sie den Vorstand erst recht dazu ermächtigen können, das unmittelbare Bezugsrecht durch ein mittelbares Bezugsrecht zu ersetzen. Der Vorstand darf auch dann, wenn die ihm erteilte Ermächtigung keine Vorgaben hinsichtlich des Bezugsrechts enthält und nicht ausdrücklich auch die Entscheidung über die Mediatisierung des Bezugsrechts umfasst, darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang (siehe Rz. 607) das kraft Gesetzes bestehende unmittelbare Bezugsrecht durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden soll.1775

1771 OLG Hamburg v. 29.10.1999 – 11 U 71/99, AG 2000, 326 (328) = NZG 2000, 549; Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 58; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 45; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 31; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 151; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 46. 1772 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 58; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 198; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 45; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 52; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 33; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 72. 1773 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 72. 1774 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 58; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 198; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 45; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 17; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 45. 1775 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 58; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 198; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 39.

818

Fest

Mittelbares Bezugsrecht

Rz. 599 § 221 AktG

Die Entscheidungsbefugnis beruht in diesen Fällen auf der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands, den Emissionsvorgang nach seinem pflichtgemäßen Ermessen auszugestalten. 2. Emissionsunternehmen Im Unterschied zu dem Regierungsentwurf des § 174 Abs. 5 Satz 1 AktG 1965 genügt es nicht, dass ein beliebiger Dritter die Wertpapiere übernimmt. Vielmehr muss der Beschluss der Hauptversammlung auch bei sinngemäßer Anwendung des § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG vorsehen, dass ein inländisches Kreditinstitut i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG die Bezugsobjekte übernimmt.1776 Ein Unternehmen, das das Emissionsgeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 KWG) oder andere Bankgeschäfte lediglich gelegentlich oder ohne die Notwendigkeit eines in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetriebs betreibt oder nach § 2 Abs. 1 KWG nicht als Kreditinstitut gilt, genügt nicht. Grund hierfür ist die berechtigte Annahme, dass (nur) die Bankenaufsicht gewährleistet, dass mit der Mediatisierung des Bezugsrechts keine Benachteiligung der Bezugsberechtigten einhergeht.1777 Die Benennung eines konkreten Kreditinstituts in dem Beschluss ist zwar üblich, aber nicht erforderlich.1778

597

Inländischen Kreditinstituten sind Unternehmen mit Sitz im Ausland nur gleichgestellt, wenn sie im Inland eine Zweigstelle1779 unterhalten, die Bankgeschäfte – nicht notwendig das konkrete Emissionsgeschäft – betreibt, und daher nach § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG als Kreditinstitute gelten oder Bankgeschäfte im Inland – sei es über eine Zweigniederlassung, sei es im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs – auf Grundlage eines sog. Europäischen Passes1780 betreiben (§ 53b Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 KWG).

598

Ein Beschluss der Hauptversammlung, dass ein Großaktionär oder ein anderes Unterneh- 599 men (z.B. ein Finanzdienstleistungsunternehmen i.S.d. § 1 Abs. 1a KWG oder ein Finanzunternehmen i.S.d. § 1 Abs. 3 KWG1781) die Wertpapiere übernehmen und den Aktionären zum Bezug anbieten soll, löst die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG nicht aus. Folglich handelt es sich – wenngleich unbeabsichtigt – um einen Ausschluss des unmittelbaren Bezugsrechts, der nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG erfolgen darf.1782 Liegen die Voraussetzungen nicht vor – sei es, dass die Ausschließungsabsicht nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht wurde (siehe Rz. 623 ff.), sei es, dass der Ausschluss des Bezugsrechts nicht sachlich gerechtfertigt

1776 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 45. 1777 Vgl. Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 33 mit Fn. 3. 1778 Vgl. Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 94; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 108; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 198 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1779 Zu dem Begriff der Zweigstelle siehe Auerbach in Schwennicke/Auerbach, § 53 KWG Rz. 9 ff.; Vahldiek in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO, § 53 KWG Rz. 10 ff. 1780 Zu dem Institut des Europäischen Passes siehe Brocker in Schwennicke/Auerbach, § 53b KWG Rz. 1 ff.; Vahldiek in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG/CRR-VO, § 53b KWG Rz. 2. 1781 Nach LG Düsseldorf v. 13.8.1998 – 31 O 104/97, AG 1999, 134 soll § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG zugunsten von Finanzinstituten i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 KWG a.F. entsprechende Anwendung finden. A.A. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 59; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 33; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 54; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 46; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 153; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 68. 1782 Vgl. Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 33.

Fest

819

§ 221 AktG Rz. 600

Bezugsrecht der Aktionäre

ist (eingehend dazu Rz. 628 ff.) –, ist der Beschluss der Hauptversammlung gemäß § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.1783 600

Der Singular in § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG („einem Kreditinstitut“) steht der – marktüblichen – Einschaltung eines Emissionskonsortiums nicht entgegen.1784 Obwohl das Emissionskonsortium nach überwiegender und zutreffender Ansicht eine (teil-)rechtsfähige1785 (Gelegenheits-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist,1786 setzt die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG jedenfalls in dem praktischen Regelfall, dass das Angebot zum Bezug an die Aktionäre nicht durch das Konsortium selbst, sondern durch die Konsorten im eigenen Namen erfolgt,1787 voraus, dass sämtliche Konsorten inländische Kreditinstitute (siehe Rz. 597) oder diesen gleichgestellte Unternehmen (siehe Rz. 598 f.) sind.1788 3. Angebotsverpflichtung

601

Die Hauptversammlung oder – bei Vorliegen eines Ermächtigungsbeschlusses (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.), der dem Vorstand auch die Entscheidung über die Mediatisierung des Bezugsrechts überantwortet (siehe Rz. 596) – der Vorstand muss ferner beschließen, dass das Emissionsunternehmen verpflichtet werden soll, die jeweiligen Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) den Bezugsberechtigten (siehe Rz. 569 ff.) anzubieten. Diese Vorgabe hat der Vorstand dergestalt umzusetzen, dass den Aktionären in dem Übernahmevertrag ein eigener Anspruch gegen das Emissionsunternehmen auf den Bezug der im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Emissionsunternehmen zu begründenden Bezugsobjekte eingeräumt wird. Insoweit ist der Übernahmevertrag ein berechtigender Vertrag zugunsten der Aktionäre als Dritter (§ 328 Abs. 2 BGB).1789 1783 Vgl. OLG Koblenz v. 12.3.1996 – 6 U 470/96, NZG 1998, 552 (553); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 46; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 153. 1784 Vgl. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 105; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 154. 1785 Zur (Teil-)Rechtsfähigkeit der Außengesellschaft bürgerlichen Rechts siehe statt vieler BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff. = NJW 2001, 1056; Sprau in Palandt, § 705 BGB Rz. 24. 1786 Siehe statt vieler BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (99) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222; RG v. 12.2.1908 – I 212/07, RGZ 67, 394 (395); RG v. 11.12.1903 – VII 317/03, RGZ 56, 206 (207); Bartz in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl. 2009, § 58 Rz. 46; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 7 Rz. 5; Grundmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 112 Rz. 84; P. Ulmer/C. Schäfer in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, Vor § 705 BGB Rz. 51. Abweichend R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.322: kein gesellschaftsrechtliches Rechtsverhältnis. 1787 Für den Ausnahmefall, dass das Konsortium selbst die Wertpapiere den Aktionären zum Bezug anbietet, die Konsorten also nur im Innenverhältnis das Platzierungsrisiko übernehmen, abweichend Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 256; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 154. 1788 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 46; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 54; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 154; Servatius in Spindler/ Stilz, § 186 AktG Rz. 69; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 46. 1789 Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rz. 2270; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 35; Groß, AG 1991, 217 (225); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 45; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 33; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 71; vgl. auch BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180 (186) = NJW 1993, 1983; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (96) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203 (208) = AG 1991, 270 = NJW 1991, 2765; OLG Stuttgart v. 21.12.2012 – 20 AktG 1/12, AG 2013, 604 (610); OLG Düsseldorf v. 24.3.2000 – 16 U 70/99, AG 2001, 51 (52); OLG Frankfurt v. 21.1.1986 – 5 U 257/84, WM 1986, 1144 (1149) = AG 1987, 43; OLG Düsseldorf v. 5.4.1984 – 6 U 239/82, AG 1984, 188 (190); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 47; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186

820

Fest

Mittelbares Bezugsrecht

Rz. 603 § 221 AktG

Die rechtlich gebotene Ausgestaltung des Bezugsanspruchs wird dadurch vorgegeben, dass die Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung und die damit einhergehende Mediatisierung des Bezugsrechts nichts daran ändern sollen, dass die Ausgabe bzw. Gewährung der Bezugsobjekte wirtschaftlich im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Aktionären stattfindet.1790 Hierzu ist es erforderlich, dass das Emissionsunternehmen als bloße Abwicklungsstelle und als fremdnütziger Treuhänder für die Aktionäre fungiert.1791 Hierfür sind in erster Linie der Inhalt des Übernahmevertrags – es handelt sich insoweit um einen entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrag1792 – und die Ausgestaltung des Bezugsanspruchs maßgeblich. Da aber gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG grundsätzlich die Hauptversammlung über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden hat (eingehend dazu Rz. 615 ff.), knüpft die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG – konsequent – nicht an die vertragliche Ausgestaltung des Bezugsanspruchs, sondern an den Inhalt des Beschlusses der Hauptversammlung – konkret: die darin enthaltenen Vorgaben, an die der Vorstand bei der Ausgestaltung des Bezugsanspruchs gebunden ist – an. Nur in den Fällen, in denen die Hauptversammlung den Vorstand dazu ermächtigt hat, auch über die Mediatisierung des Bezugsrechts zu entscheiden (siehe Rz. 596), tritt an die Stelle des Beschlusses der Hauptversammlung ausnahmsweise der Beschluss des Vorstands. Um die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG auszulösen muss der Beschluss – sei es der Beschluss der Hauptversammlung, sei es der Beschluss des ermächtigten Vorstands (siehe Rz. 596) – folgende Mindestvorgaben für die Ausgestaltung des Bezugsanspruchs enthalten:

602

a) Inhaltliche Äquivalenz Der Anspruch der Bezugsberechtigten (siehe Rz. 569 ff.) gegen das Emissionsunternehmen 603 ist auf die Abgabe von Willenserklärungen gerichtet. Das Zielgeschäft ist – im Unterschied zu dem unmittelbaren Bezugsrecht (siehe Rz. 574) – nicht der Begebungs- bzw. Genussrechtsvertrag, der die Bezugsobjekte entstehen lässt (siehe Rz. 765) – dieser wird bei der Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung zwischen der Gesellschaft und dem Emissionsunternehmen geschlossen (siehe Rz. 593) – sondern ein Rechtskaufvertrag.1793 Hinsichtlich des von dem Emissionsunternehmen zu unterbreitenden Angebots muss der Beschluss – sei es der Beschluss der Hauptversammlung, an dessen Vorgaben der Vorstand gebunden ist (siehe Rz. 519, 541), sei es der Beschluss des hierzu ermächtigten Vorstands (siehe Rz. 596) – für die Ausgestaltung des Übernahmevertrags vorsehen, dass der Anspruch der Bezugsberechtigten (§§ 453 Abs. 1, 433 Abs. 1 Satz 1 BGB) inhaltlich – abgesehen von der abweichenden Rechtsnatur des Vertrags und der Person des Schuldners – dem unmittelbaren Bezugsanspruch entspricht, der bei einer Eigenemission der Wertpapiere gegen die Gesellschaft bestünde.

1790 1791

1792 1793

AktG Rz. 111; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 55; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 33; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175 (2183); Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 150, 156; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 47; Wiedemann, WM 1990, 990 (991) jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. Vgl. BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180 (186) = NJW 1993, 1983; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 155; Wiedemann, WM 1979, 990 (991). Vgl. BGH v. 5.4.1993 – II ZR 195/91, BGHZ 122, 180 (186) = NJW 1993, 1983; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (97) = NJW 1992, 2222; Groß, AG 1991, 217 (225); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 155; P. Ulmer, ZHR 154 (1990), 128 (142). Zu dieser rechtlichen Einordnung von Übernahmeverträgen siehe Grundmann in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 112 Rz. 69; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 15.111. Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 150.

Fest

821

§ 221 AktG Rz. 604

Bezugsrecht der Aktionäre

b) Vermeidung von Verzögerungen 604

In zeitlicher Hinsicht muss der Beschluss (siehe Rz. 596) die Vorgabe enthalten, dass der vertragliche Anspruch der Bezugsberechtigten (siehe Rz. 601) gegen das Emissionsunternehmen spätestens zeitgleich mit der Begründung der Bezugsobjekte im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Emissionsunternehmen entsteht.1794 Hierfür genügt grundsätzlich die gesonderte Anweisung des mit dem Abschluss des Übernahmevertrags betrauten Vorstands, die Begebungs- bzw. Genussrechtsverträge nur Zug um Zug gegen die Verpflichtung des Emissionsunternehmens zur Eingehung von Rechtskaufverträgen mit den Bezugsberechtigten zu schließen.1795 Diese Anweisung ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn der Vorstand – entsprechend verbreiteter Praxis – verpflichtet wird, die Bezugsobjekte erst auszugeben bzw. zu gewähren, nachdem sich das Emissionsunternehmen verpflichtet hat, die noch zu begründenden Bezugsobjekte den Bezugsberechtigten anzubieten.1796 Um zu gewährleisten, dass die Emission wirtschaftlich zwischen der Gesellschaft und den Aktionären stattfindet, das Emissionsunternehmen also lediglich als Abwicklungsstelle fungiert (siehe Rz. 602), muss der Beschluss sicherstellen, dass das Emissionsunternehmen nur kurzzeitig Inhaber der Bezugsobjekte wird. Hierzu muss der im Außenverhältnis für die Gesellschaft handelnde Vorstand angewiesen werden, das Emissionsunternehmen in dem Übernahmevertrag zu verpflichten, die Angebote zum Abschluss der Rechtskaufverträge unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) den Bezugsberechtigten zu unterbreiten.1797

605

Verzögert das Emissionsunternehmen das an die Aktionäre abzugebende Angebot schuldhaft oder nimmt es gar einen Selbsteintritt dergestalt vor, so dass es nicht mehr als fremdnütziger Treuhänder zugunsten der Aktionäre, sondern eigennützig agiert, verletzt es seine Pflichten aus dem Übernahmevertrag und ist der Gesellschaft und den Bezugsgläubigern1798 zum Schadensersatz verpflichtet (§ 280 Abs. 1 BGB). Die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG bleibt hingegen – wohl entgegen der Ansicht der Rechtsprechung1799 – bestehen. Sie beruht auf dem Beschluss der Hauptversammlung und kann – jedenfalls ohne gesetzliche Grundlage – nicht rückwirkend entfallen.1800 Einem drohenden Fehlverhalten des Emissionsunternehmens können sowohl die Gesellschaft als auch die Aktionäre durch eine Sicherungsverfügung (§ 935 ZPO) entgegenwirken.

1794 Vgl. Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 33; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 155; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 47; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 208 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1795 Vgl. Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 94; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 34; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 106 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1796 Abweichend jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 155; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 70, die eine gesonderte Zug um Zug-Anweisung stets für entbehrlich erachten. 1797 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 47; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 156. 1798 Bei einem echten Vertrag zugunsten Dritter stehen Schadensersatzansprüche auch dem Dritten – hier: den Bezugsberechtigten – zu. Siehe statt vieler BGH v. 15.1.1974 – X ZR 36/71, NJW 1974, 502; Grüneberg in Palandt, § 335 BGB Rz. 2. 1799 Vgl. BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (97 ff.) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222. Dem folgend für Verzögerungen Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 47; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 106; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 55; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 156. 1800 Im Ergebnis ebenso Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 67; Frese, AG 2001, 15 (21); Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 84; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 163; Seibt/Voigt, AG 2009, 133 (146) zu § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG.

822

Fest

Mittelbares Bezugsrecht

Rz. 608 § 221 AktG

c) Ausschluss von Dritteinwendungen Schließlich muss das Emissionsunternehmen gehindert sein, die ihm gegenüber der Gesellschaft als Versprechensempfänger zustehenden Einwendungen den Bezugsberechtigten entgegensetzen zu können. Hierzu empfiehlt sich ein ausdrücklicher Ausschluss von § 334 BGB.1801

606

II. Umfang der Fiktion Das mittelbare Bezugsrecht muss sich nicht notwendig auf sämtliche Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566 ff.) erstrecken. Der Umfang der Fiktion kann – ebenso wie der Ausschluss des Bezugsrechts (siehe Rz. 619) – auch bei sinngemäßer Anwendung von § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG auf einen Teil der Gesamtemission beschränkt werden.1802 Motiv hierfür ist regelmäßig das Bestreben der Gesellschaft, die Emissionskosten im Allgemeinen und die in Abhängigkeit von dem Emissionsvolumen an das Emissionsunternehmen zu zahlende Vergütung im Besonderen gering zu halten.1803 Für den anderen Teil der Gesamtemission bzw. der Genussrechte kann die Hauptversammlung oder der hierzu befugte Vorstand (siehe Rz. 596) das Bezugsrecht nach Maßgabe der § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausschließen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder das unmittelbare Bezugsrecht (eingehend dazu Rz. 565 ff.) bestehen lassen. Die Gesellschaft kann die Aktionäre z.B. hinsichtlich eines Teils der Gesamtemission auf ein mittelbares Bezugsrecht verweisen und das Bezugsrecht im Übrigen zur freien Verwertung der Instrumente ausschließen.1804 Möglich ist auch eine personelle Aufteilung z.B. dergestalt, dass einigen Großaktionären ihr unmittelbares Bezugsrecht belassen und den zum sog. Streubesitz zählenden Aktionären ein mittelbares Bezugsrecht zugestanden wird.1805

607

III. Ausgabebetrag und Bezugspreis Den von dem Emissionsunternehmen an die Gesellschaft zu zahlenden Ausgabebetrag und den von den Bezugsberechtigten an das Emissionsunternehmen zu zahlenden Bezugspreis – es handelt sich um den Kaufpreis (§§ 453 Abs. 1, 433 Abs. 2 BGB, siehe Rz. 603) – kann die Hauptversammlung in dem Beschluss selbst festsetzen, sei es in Form konkreter Beträge, sei es in Form eines Mindest- und Höchstbetrags.1806 Enthält der Beschluss solche Vorgaben, ist der Vorstand hieran bei der Ausgestaltung des Übernahmevertrags mit dem Emissions1801 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 156; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 209, die jeweils davon ausgehen, dass § 334 BGB aufgrund der Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung auch ohne ausdrückliche Vereinbarung abbedungen sei. 1802 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 45; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 152 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1803 Vgl. von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 93. 1804 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 45; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 32; Schlitt/ Seiler, WM 2003, 2175 (2178); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 152; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 69 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1805 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 93; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 45; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 32; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 152; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 69 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1806 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 48; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 107; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 157 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG.

Fest

823

608

§ 221 AktG Rz. 609

Bezugsrecht der Aktionäre

unternehmen gebunden.1807 Für die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG sind derartige Festsetzungen allerdings nicht erforderlich.1808 Sie werden daher regelmäßig dem Vorstand überlassen. 609

Der von den Bezugsberechtigten an das Emissionsunternehmen zu zahlende Bezugspreis kann – und wird in der Praxis regelmäßig – höher festgesetzt werden als der von dem Emissionsunternehmen an die Gesellschaft zu zahlende Ausgabebetrag.1809 Da der von dem Emissionsunternehmen erbrachten Finanzdienstleistung ein Geschäftsbesorgungsverhältnis in Gestalt des Übernahmevertrags zugrunde liegt (siehe Rz. 602), ist das Emissionsunternehmen zwar grundsätzlich verpflichtet, auch den Differenzbetrag an die Gesellschaft herauszugeben (§§ 675 Abs. 1, 667 BGB). Diese Pflicht wird in dem Übernahmevertrag aber dahingehend modifiziert, dass das Emissionsunternehmen berechtigt ist, seinen vertraglichen Entgeltanspruch mit dem kraft Gesetzes bestehenden Herausgabeanspruch der Gesellschaft zu verrechnen. Um die Funktion des Emissionsunternehmens als bloße Abwicklungsstelle (siehe Rz. 602) zu erhalten, darf der dem Emissionsunternehmen verbleibende Betrag allerdings die Grenze eines (noch) angemessenen Entgelts für die Finanzdienstleistung nicht übersteigen. Andernfalls findet die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG keine Anwendung.1810

IV. Bekanntmachungen nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 AktG 610

Wird das unmittelbare Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1, 2 i.V.m. § 186 Abs. 1, 2 AktG, eingehend dazu Rz. 565 ff.) durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt, ist für den Umfang der erforderlichen Bekanntmachungen danach zu unterscheiden, ob der Beschluss der Hauptversammlung materiell als Ausschluss des Bezugsrechts zu behandeln ist oder die Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG eingreift. 1. Mittelbares Bezugsrecht nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG

611

Ist der Beschluss gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG materiell nicht als Ausschluss des Bezugsrechts anzusehen (eingehend dazu Rz. 594 ff.), hat der Vorstand der Emissionsgesellschaft gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AktG nur das mittelbare Bezugsangebot mit den nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 AktG erforderlichen Angaben in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt zu machen. Die Bekanntmachung nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG entfällt aufgrund der Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG. Hinsichtlich des Inhalts der Bekanntmachung ist zu beachten, dass bei der lediglich sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG – entgegen dem Wortlaut des § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AktG – nicht der von dem Emissionsunternehmen an die Gesellschaft zu zahlende Ausgabebetrag, sondern der von den Bezugsberechtigten an das 1807 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 48; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 56; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 156 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1808 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 41. 1809 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 48; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 107; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 158 jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG. 1810 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 48; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 56; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 158; offen gelassen von OLG Stuttgart v. 21.12.2012 – 20 AktG 1/12, AG 2013, 604 (610) jeweils zu § 186 Abs. 5 AktG.

824

Fest

Mittelbares Bezugsrecht

Rz. 613 § 221 AktG

Emissionsunternehmen zu zahlende Bezugspreis bekannt zu machen ist. Diesbezüglich eröffnet § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AktG der Hauptversammlung die Möglichkeit, zunächst nur die Grundlagen für seine Festlegung bekannt zu machen.1811 Wird das sog. Bookbuilding-Verfahren angewandt (siehe Rz. 579), versieht das Emissionsunternehmen aufgrund der Ungewissheit, wie viele Aktionäre ihr Bezugsrecht ausüben werden, sein Angebot an nicht bezugsberechtigte Interessenten – entgegen den sonstigen Marktusancen – mit einem Rücktrittsrecht (claw back), um die Bezugsansprüche der Aktionäre erfüllen zu können.1812 Beschränkt sich der Vorstand zunächst auf die Bekanntmachung der Grundlagen für die Festlegung des Bezugspreises, muss der endgültige Bezugspreis nach Maßgabe von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 2 AktG erst spätestens drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist bekannt gemacht werden. 2. Materieller Ausschluss des Bezugsrechts Sollen die Bezugsobjekte (siehe Rz. 566 ff.) von einem anderen Unternehmen als einem sog. Emissionsunternehmen (siehe Rz. 597 ff.) mit der Verpflichtung übernommen werden, sie den Aktionären zum Bezug anzubieten, findet § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG keine Anwendung. Der Beschluss der Hauptversammlung enthält daher nicht nur formell, sondern auch materiell einen Ausschluss des unmittelbaren Bezugsrechts der Aktionäre. Daher hat der Vorstand nicht nur das mittelbare Bezugsangebot (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AktG), sondern auch die Ausschließungsabsicht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG, siehe Rz. 624) bekannt zu machen.

612

V. Verwertung frei werdender Bezugsobjekte Üben die Bezugsberechtigten (siehe Rz. 569 ff.) ihr mittelbares Bezugsrecht innerhalb der Bezugsfrist (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 1 AktG, siehe Rz. 577) nicht aus, erlischt das ihnen von dem Emissionsunternehmen unterbreitete Angebot (§§ 146, 148 BGB). Der Übernahmevertrag und die darin enthaltene Verpflichtung des Emissionsunternehmens, die Instrumente zu platzieren, bestehen im Verhältnis zu der Gesellschaft fort.1813 Sobald und soweit die Bezugsrechte hinsichtlich der konkreten Emission verfallen, agiert das Emissionsunternehmen nicht mehr als Abwicklungsstelle und Treuhänder für die Bezugsberechtigten (siehe Rz. 602), sondern als Geschäftsbesorger für die Gesellschaft. In dieser Stellung hat das Emissionsunternehmen die frei gewordenen Bezugsobjekte nach Maßgabe des Übernahmevertrags und unter Beachtung eventuell erteilter Weisungen der Gesellschaft zu verwerten.1814 Enthält der Übernahmevertrag keine Regelung und hat die Gesellschaft keine Weisungen erteilt, hat das Emissionsunternehmen gemäß dem Interesse der Gesellschaft zu handeln und die frei gewordenen Bezugsobjekte bestmöglich zu platzieren.1815 Hierzu gehört auch die Verpflichtung, die Instrumente zeitnah zu platzieren. Eine bewusste Verzögerung ist nur ausnahmsweise keine Pflichtverletzung, wenn die Unterbringung der Instrumente zu einem früheren Zeitpunkt, z.B. aufgrund eines plötzlichen Einbruchs auf

1811 1812 1813 1814

BT-Drucks. 14/9079, 18 zu § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AktG-E. Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (262). Vgl. Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 209. Vgl. OLG Stuttgart v. 21.12.2012 – 20 AktG 1/12, AG 2013, 604 (610); Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1988, § 186 AktG Rz. 178; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 51; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 209. 1815 Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 51; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 209.

Fest

825

613

§ 221 AktG Rz. 614

Bezugsrecht der Aktionäre

dem Kapitalmarkt, nicht durchführbar erschien.1816 Den erzielten Erlös hat das Emissionsunternehmen – ggf. abzüglich des eigenen Entgelts (siehe Rz. 609) – an die Gesellschaft herauszugeben (§§ 675 Abs. 1, 667 BGB).

C. Ausschluss des Bezugsrechts (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG) 614

Das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) aus § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG – Gleiches gilt für andere Instrumente, auf die § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG entsprechend anzuwenden ist (siehe Rz. 566)1817 – kann nach Maßgabe von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen werden. Hierdurch werden die Vorgaben des Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 1, 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 1, 2 Richtlinie 77/91/EWG), wonach das Bezugsrecht der Aktionäre auf alle Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, zwar nicht in der Satzung, aber durch Beschluss der Hauptversammlung beschränkt oder sogar ausgeschlossen werden darf,1818 umgesetzt und auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte erstreckt. Das Bezugsrecht ist ein Bestandteil der Mitgliedschaft (siehe Rz. 562) und genießt als solches verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG). Die abstrakte Regelung des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG, die es den Emissionsgesellschaften erlaubt, das Bezugsrecht der Aktionäre unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise auszuschließen, ist eine verhältnismäßige und daher verfassungskonforme Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.

I. Beschluss der Hauptversammlung (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG) 615

Über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre hat gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG grundsätzlich die Hauptversammlung durch Beschluss zu entscheiden. Für Wandelschuldverschreibungen und andere Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), ist diese Zuständigkeit unionsrechtlich durch Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 Richtlinie 77/91/EWG) vorgegeben. 1. Zustimmungsbeschluss

616

Stimmt die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zu (eingehend dazu Rz. 510 ff.), kann das Bezugsrecht der Aktionäre gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG nur in dem Zustimmungsbeschluss ausgeschlossen werden. Die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts

1816 In Anlehnung an BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (98) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222. 1817 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 83. 1818 Vgl. EuGH v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 (190 Rz. 50) = AG 2009, 283 zu Art. 29 Abs. 4, 6 Richtlinie 77/91/EWG.

826

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 617 § 221 AktG

ist ein Bestandteil des Zustimmungsbeschlusses (sog. Grundsatz der Beschlusseinheit).1819 Ein von der Zustimmung getrennter (Einzel-)Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts wäre unwirksam und ispo iure unbeachtlich (siehe Rz. 710); eine Ermächtigung des Vorstands zum Ausschluss des Bezugsrechts in dem Zustimmungsbeschluss wäre – im Gegensatz zu dem Ermächtigungsbeschluss (siehe Rz. 617) – rechtswidrig und anfechtbar (§ 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG).1820 2. Ermächtigungsbeschluss Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Ausgabe bzw. Gewährung bestimmter Instrumente (eingehend dazu Rz. 527 ff.), kann sie das Bezugsrecht der Aktionäre in dem Ermächtigungsbeschluss selbst ausschließen (sog. definitiver Bezugsrechtsausschluss).1821 Alternativ kann die Hauptversammlung in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG in der Ermächtigung vorsehen, dass der Vorstand auch über den Ausschluss des Bezugsrechts entscheidet.1822 Diese Ermächtigung zum Ausschluss des Bezugsrechts muss in dem Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) erteilt werden. Die entsprechende Anwendung 1819 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 24; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 88; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 48; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 172; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 98, 99; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 408; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 40; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 57, 86; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97, 99; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 36; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 47; Scholz in MünchHdb/ GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 31; wohl a.A. Groß, AG 1991, 201 (204 f.) für Optionsanleihen. 1820 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 88; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 172; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 86; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 99. 1821 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 173/91, ZIP 1992, 1391 (1392) = AG 1992, 448; OLG Karlsruhe v. 11.6.1991 – 8 U 192/90, ZIP 1991, 925; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 88; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 173; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (540); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 98; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 109, 408; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 57, 88; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97, 99; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 36; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 47; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (255); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 32; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 85; Sethe, AG 1994, 342 (350 f.). 1822 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246 (247 Rz. 6) = NZG 2006, 229; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (373) = WM 1994, 347; LG München I v. 3.5.1990 – 12 HKO 15563/89, WM 1990, 984 (985); von Falkenhausen/von Klitzing, ZIP 2006, 1513 (1517); Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 88; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 28; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 49; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 161, 173; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (540); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 98, 100; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 381, 408; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 57, 89, 348; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 39; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 89; Maier-Reimer in FS Bosch, 2006, S. 85 (90 f.); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97, 99; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 35, 36; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 47; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 32; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 85; Sethe, AG 1994, 342 (350 f.); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 59; a.A. Frey/Hirte, ZIP 1991, 697 (704).

Fest

827

617

§ 221 AktG Rz. 618

Bezugsrecht der Aktionäre

von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG widerspricht dem gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG sinngemäß anzuwendenden § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG nur auf den ersten Blick. Danach kann das Bezugsrecht bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung, dem unmittelbaren Anwendungsbereich der Vorschrift, nur in dem Beschluss über die Erhöhung des Grundkapitals ausgeschlossen werden. Eine Ermächtigung des Vorstands, diese Entscheidung zu treffen, ist unzulässig.1823 Die abweichende Regelung beim genehmigten Kapital (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG) beruht auf Art. 33 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG). Danach können die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten u.a. vorsehen, dass die Hauptversammlung dem Organ der Gesellschaft, das zu der Entscheidung über die Erhöhung des gezeichneten Kapitals innerhalb der Grenzen des genehmigten Kapitals berufen ist, die Befugnis einräumen kann, das Bezugsrecht zu beschränken oder auszuschließen. Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber zwar nur beim genehmigten Kapital Gebrauch gemacht (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG); sie ist aber nicht auf das genehmigte Kapital beschränkt. Die Bedeutung des Rekurses auf die mitgliedstaatlichen Regelungen betreffend das genehmigte Kapital in Art. 33 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 5 Richtlinie 77/91/EWG) erschöpft sich in der Festlegung des Organs, das durch die Hauptversammlung ermächtigt werden kann. Eine Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs dahingehend, dass die Ermächtigung nur beim genehmigten Kapital zulässig sei – wie es die Umsetzung des deutschen Gesetzgebers nahe legt –, enthält Art. 33 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) nicht. Vielmehr bestimmt Art. 33 Abs. 6 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 Richtlinie 77/91/EWG), dass u.a. Art. 33 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) auch für alle Wertpapiere gilt, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind. Da den deutschen Gesetzgebungsmaterialien zu der Einführung von § 221 Abs. 2 AktG1824 nicht zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber von der durch Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Richtlinie 77/91/EWG) eröffneten Möglichkeit, dass die Hauptversammlung den Vorstand zu dem Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigen kann, bewusst abgesehen hat,1825 liegt die Annahme nahe, dass es sich um ein Redaktionsversehen handelt.1826 Vor dem Hintergrund, dass Art. 288 Abs. 3 AEUV (ehemals: Art. 249 Abs. 3 EG) die Mitgliedstaaten nicht nur zu einer Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben, sondern auch zu dem Erlass von Rechtsvorschriften verpflichtet, die geeignet sind, eine hinreichend bestimmte, klare und transparente Rechtslage zu schaffen, damit der Einzelne seine Rechte in vollem Umfang erkennen und sich vor den Gerichten der Mitgliedstaaten auf sie berufen kann,1827 erscheint es nicht nur wünschenswert, sondern auch geboten, dass der deutsche Gesetzgeber § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zeitnah um eine Klarstellung ergänzt. 618

Die Entscheidung des ermächtigten Vorstands (siehe Rz. 617) über den Ausschluss des Bezugsrechts bedarf – unabhängig von ihrem Inhalt – in entsprechender Anwendung von § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AktG der Zustimmung des Aufsichtsrats (siehe Rz. 741). Diese Mitwirkung des Aufsichtsrats ist für Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und alle anderen Wertpapiere, die in Aktien umge1823 Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 20; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 21; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 74; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 108. 1824 BT-Drucks. 8/1678, 19 zu § 221 Abs. 2 AktG-E. 1825 So aber Frey/Hirte, ZIP 1991, 697 (704). 1826 So OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (373); Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 173; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 89. 1827 EuGH (Erste Kammer) v. 18.12.2008 – C-338/06, NZG 2009, 187 (190 Rz. 54) = AG 2009, 283; EuGH v. 18.1.2001 – C-162/99, Slg. 2001, I-541 (I-566 Rz. 22) = EuZW 2001, 187; EuGH (Fünfte Kammer) v. 15.6.1995 – C-220/94, Slg. 1995, I-1589 (I-1607 Rz. 10) = RIW 1995, 780; EuGH v. 28.2.1991 – C-360/87, Slg. 1991, I-791 (I-816 Rz. 12).

828

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 621 § 221 AktG

wandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), durch Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) geboten. 3. Umfang des Bezugsrechtsausschlusses In sinngemäßer Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG) kann die Hauptversammlung – sei es in dem Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff., 616), sei es in dem Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) als sog. definitiver Bezugsrechtsausschluss (siehe Rz. 617) – oder der in dem Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG ermächtigte Vorstand (siehe Rz. 617) das Bezugsrecht der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 565 ff.) ganz oder nur zum Teil ausschließen.1828 Soll das Bezugsrecht nur für einen Teil der Instrumente aus der Gesamtemission ausgeschlossen werden, müssen die Teile bestimmt werden.

619

Wird eine Gesamtemission in mehrere Tranchen aufgeteilt, kann das Bezugsrecht z.B. für nur einzelne Tranchen ausgeschlossen werden. Hierfür ist es unerheblich, ob die Tranchen in unterschiedlichen Verfahren auf dem Kapitalmarkt platziert werden sollen. Werden sie in unterschiedlichen Verfahren platziert, z.B. teilweise unmittelbar von der Gesellschaft, teilweise über eine ausländische Konzernfinanzierungsgesellschaft (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 KWG), genügt für die Bezeichnung der Tranche, für die das Bezugsrecht ausgeschlossen werden soll, die Angabe des Platzierungsverfahrens.1829

620

Der Ausschluss des Bezugsrechts kann auf eine oder mehrere Aktionärsgruppen (z.B. außenstehende Aktionäre) beschränkt werden.1830 Die damit einhergehende Ungleichbehandlung der Aktionäre darf im Einzelfall nicht gegen das allgemeine Gebot der Gleichbehandlung der Aktionäre (§ 53a AktG) verstoßen.1831 Hierzu muss sie – ungeachtet der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses als solchem (eingehend dazu Rz. 628 ff.)1832 – sachlich berechtigt sein und damit nicht den Charakter von Willkür tragen.1833 In An-

621

1828 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 174; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 39; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 90; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97. 1829 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 174. 1830 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (149 ff.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 89; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 174; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 90; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 36; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 59. 1831 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (149 ff.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (269) = NJW-RR 1991, 615; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 89; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 174, 193; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 90, 111, 352; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97, 102; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 36, 40; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 71. 1832 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 193. 1833 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (150) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44) = NJW 1978, 1316; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175 (186) = NJW 1961, 26; OLG Stuttgart v. 21.12.1993 – 10 U 48/93, AG 1994, 411 (415); Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 53a AktG Rz. 14; Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 53a AktG Rz. 16; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 53a AktG Rz. 34; Henze/Notz in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2004, § 53a AktG Rz. 69; Hüffer/Koch, § 53a AktG Rz. 10.

Fest

829

§ 221 AktG Rz. 622

Bezugsrecht der Aktionäre

betracht der Tatsache, dass Mehrheits- und Kleinaktionäre typischerweise gegensätzliche Interessen verfolgen und dieser Interessengegensatz zahlreichen Bestimmungen des Aktien- und Umwandlungsrechts zugrunde liegt, ist ein auf die außenstehenden Aktionäre beschränkter Ausschluss des Bezugsrechts bei obligationsähnlichen Genussrechten (siehe Rz. 395 ff.) jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn den außenstehenden Aktionären in einem Beherrschungsvertrag (§ 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG) eine Dividendengarantie eingeräumt ist, die gegenüber dem mit den Genussrechten verbundenen Ausschüttungsanspruch vorrangig ist, und daher aufgrund der schlechten Ertragslage des Unternehmens nach der Lebenserfahrung zu erwarten ist, dass nur wenige Kleinaktionäre von ihrem Bezugsrecht Gebrauch machen, diese sich aber um so entschiedener gegen die Nachrangvereinbarung und die allenfalls geringen Ausschüttungen auf die Genussrechte zur Wehr setzen und damit die Sanierung des Unternehmens gefährden würden.1834 4. Mehrheit (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 2, 3 AktG) 622

Ein Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss (siehe Rz. 616, 617), durch den das Bezugsrecht ganz oder zum Teil (siehe Rz. 613 ff.) ausgeschlossen wird, bedarf gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 2 AktG einer Mehrheit, die mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Hierbei handelt es sich um ein weiteres Erfordernis i.S.d. § 133 Abs. 1 AktG, so dass der Beschluss – neben der qualifizierten Kapitalmehrheit – auch der einfachen Stimmenmehrheit (§ 133 Abs. 1 AktG) bedarf. Diese Erfordernisse für den Ausschluss des Bezugsrechts treten ausweislich des Wortlauts des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 2 AktG neben die für den Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss selbst geltenden Erfordernisse (siehe Rz. 487 ff.). Sie – § 221 Abs. 1 Satz 2 AktG einerseits und § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 2 AktG andererseits – sind grundsätzlich identisch. Unterschiede können daraus resultieren, dass die Satzung für den Ausschluss des Bezugsrechts nur eine größere Kapitalmehrheit und weitere Erfordernisse (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 3 AktG), für den Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss auf Grundlage von § 221 Abs. 1 Satz 3 AktG aber eine andere Kapitalmehrheit und damit auch eine geringere Kapitalmehrheit bestimmen kann (siehe Rz. 504).

II. Bekanntmachung der Ausschließungsabsicht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG) 623

Ein Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 AktG, siehe Rz. 616, 617), durch den das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ganz oder zum Teil (siehe Rz. 613 ff.) ausgeschlossen wird, darf gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG nur gefasst werden, wenn die Ausschließung ausdrücklich und ordnungsgemäß bekanntgemacht worden ist. Da die Bekanntmachung mit der Einberufung der Hauptversammlung (siehe Rz. 625) und damit vor der Beschlussfassung zu erfolgen hat, ist – entgegen dem Wortlaut – nicht die Ausschließung, sondern die sog. Ausschließungsabsicht, d.h. die Absicht, die Hauptversammlung auch den Ausschluss des Bezugsrechts beschließen zu lassen, bekannt zu machen.1835 Dies gilt auch dann, wenn die Hauptversammlung den Ausschluss des Bezugsrechts nicht selbst beschließen, sondern 1834 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (150) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400. 1835 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 29; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 175; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 40; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 99; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 60; vgl. auch Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 48; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 55; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in

830

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 626 § 221 AktG

den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG hierzu ermächtigen soll (siehe Rz. 617). Wird das unmittelbare Bezugsrecht der Aktionäre durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt, ohne dass diese Mediatisierung materiell als Ausschluss des Bezugsrechts anzusehen ist (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 595 ff.), hat der Vorstand der Emissionsgesellschaft gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 1 AktG nur das mittelbare Bezugsangebot mit den nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 AktG erforderlichen Angaben in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt zu machen (siehe Rz. 611). Stellt die Mediatisierung des Bezugsrechts hingegen nicht nur formell, sondern auch materiell einen Ausschluss des Bezugsrechts dar, hat der Vorstand sowohl die Ausschließungsabsicht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG, siehe Rz. 623) als auch das mittelbare Bezugsangebot (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 AktG) bekannt zu machen (siehe Rz. 611).

624

Für die Bekanntmachung gelten die allgemeinen Vorschriften.1836 Sie erfolgt ordnungs- 625 gemäß, wenn die Ausschließungsabsicht (siehe Rz. 623) mit der Ankündigung einer Abstimmung über eine Maßnahme der Kapitalbeschaffung nach § 221 AktG in die Tagesordnung aufgenommen und die Tagesordnung mit diesem Inhalt mit der Einberufung der Hauptversammlung in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt gemacht wird.1837 Seit der Aufhebung des § 25 Satz 2 AktG mit Wirkung vom 31.12.20151838 ist es der Gesellschaft zwar unbenommen, die Ausschließungsabsicht auch in anderen Publikationsorganen (z.B. den nach § 23 Abs. 4 AktG bestimmten Medien) zu veröffentlichen. Im Unterschied zu der bis zum 30.12.2015 geltenden Rechtslage sind Rechtswirkungen hiermit aber nicht verbunden;1839 insbesondere können diese Veröffentlichungen die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern durch das Einrücken in den Bundesanzeiger (§ 25 AktG) nicht ersetzen. Die Bekanntmachung der Ausschließungsabsicht muss gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m § 186 626 Abs. 4 Satz 1 AktG ausdrücklich erfolgen. Diese zusätzliche Anforderung an die Ausgestaltung der Bekanntmachung soll sicherstellen, dass die Aktionäre über die bevorstehende Abstimmung informiert und vor dem möglichen Ausschluss des Bezugsrechts gewarnt werden (Hinweis- und Warnfunktion).1840 Hierzu muss der Begriff „Bezugsrechtsausschluss“ nicht verwendet werden.1841 Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass sich die Absicht der Verwaltung, das Bezugsrecht ausschließen zu lassen, unzweifelhaft aus der Tagesordnung er-

1836 1837

1838 1839 1840

1841

MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 23. Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Veil in K. Schmidt/ Lutter, § 186 AktG Rz. 15. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 22; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 55; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 23; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 15. Art. 1 Nr. 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Aktienrechtes (Aktienrechtsnovelle 2016) v. 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565). BT-Drucks. 18/4349, 19 zu § 25 AktG-E. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 55; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 98; vgl. auch Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 48; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 23; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 112. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 22; Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 48; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79.

Fest

831

§ 221 AktG Rz. 627

Bezugsrecht der Aktionäre

gibt.1842 Allgemein gefasste Hinweise, z.B. dergestalt, die Hauptversammlung solle auch über das Bezugsrecht beschließen, lassen weder die Ausschließungsabsicht noch den Umfang des intendierten Ausschlusses erkennen und genügen daher nicht.1843 Ratsam erscheint es, den Ausschluss des Bezugsrechts einschließlich des Umfangs in die Überschrift des Tagesordnungspunktes aufzunehmen.1844 627

Das berechtigte Informationsinteresse der Aktionäre erfordert nicht nur die ausdrückliche Bekanntmachung der Ausschließungsabsicht (siehe Rz. 623), sondern über den Wortlaut des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 AktG hinaus auch die Bekanntmachung des Berichts des Vorstands (eingehend dazu Rz. 683 ff.). Dieser muss allerdings nicht in seinem vollen Wortlaut, sondern in entsprechender Anwendung von § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG nur seinem wesentlichen Inhalt nach zusammen mit der Einladung in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) veröffentlicht werden.1845

III. Sachliche Rechtfertigung 1. Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung 628

Der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf neue Aktien – seien es solche aus einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG), seien es solche aus genehmigtem Kapital (§§ 202 ff. AktG) – ist nur zulässig, wenn er im Interesse der Gesellschaft liegt (siehe Rz. 629 f.). Im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG auf die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie auf die Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 4 Satz 2 AktG) darf diese ungeschriebene sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung nicht unbesehen übernommen werden. Sie ist vielmehr nur anzuwenden, wenn die Ausgabe bzw. Gewährung der jeweiligen Instrumente die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre in vergleichbar schwerwiegender Weise beeinträchtigt (siehe Rz. 631 ff.).1846

1842 Vgl. mit geringen terminologischen Unterschieden Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 22; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 55; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 23; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 112. 1843 Vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 186 Rz. 22; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 55; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 23. 1844 Vgl. Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 147. 1845 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 181; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; vgl. auch OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 = NZG 2001, 1140; LG Berlin v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320 (1321); Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 124; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 57; Quack, ZGR 1983, 257 (263); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 32; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 20; in diese Richtung tendierend BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (155 f.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; a.A. (keine Bekanntmachungspflicht) OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (270) = WM 1991, 1920; Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1988, § 186 AktG Rz. 102; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Marsch, AG 1981, 211 (214); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 133 f. 1846 Vgl. BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (146) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400 zu Genussrechten.

832

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 630 § 221 AktG

a) Grundsätze für den Ausschluss des Bezugsrechts auf neue Aktien Die Ausgabe neuer Aktien unter Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der (Alt-)Aktio- 629 näre kann sich dahingehend auswirken, dass der Anteil der ausgeschlossenen (Alt-)Aktionäre am Gesellschaftsvermögen mit dem entsprechenden Gewinn- und am Liquidationsanteil zumindest relativ absinkt, der innere Wert ihrer Beteiligungen – abhängig von den Ausgabebedingungen der neuen Aktien – verwässert wird, sich die Stimmrechtsquoten verschieben und die Gesellschaft von einem Großaktionär abhängig wird oder sich eine bestehende Abhängigkeit verstärkt.1847 Diese Auswirkungen verbieten es, § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung (§§ 182 ff. AktG), bei der die Hauptversammlung den Ausschluss des Bezugsrechts beschließen muss, dahingehend zu verstehen, dass der Bezugsrechtsausschluss im freien Ermessen der Hauptversammlung liege und allenfalls durch die guten Sitten begrenzt sei.1848 Erforderlich ist vielmehr, dass nicht nur die Maßnahme der Kapitalbeschaffung als solche – hier: die Ausgabe neuer Aktien im Zuge einer ordentlichen Kapitalerhöhung –, sondern auch der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre eine Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse findet.1849 Daher ist der Ausschluss des Bezugsrechts der (Alt-)Aktionäre nur zulässig, wenn er im Zeitpunkt der Beschlussfassung unter gebührender Berücksichtigung der Folgen, die für die ausgeschlossenen (Alt-)Aktionäre eintreten, durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist.1850 Die Prüfung, ob diese ungeschriebene sachliche Wirksamkeitsvoraussetzung erfüllt ist, schließt eine Abwägung der Gesellschafts- und Aktionärsinteressen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein.1851 Bei der Schaffung eines genehmigten Kapitals (§§ 202 ff. AktG) kann die Hauptversamm- 630 lung entweder selbst über den Bezugsrechtsausschluss entscheiden (§ 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG) oder den Vorstand gemäß § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG zu dem Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigen. Eine Auslegung des sinngemäß geltenden § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG (§ 203 Abs. 1 Satz 1 AktG) dahingehend, dass bereits im Beschlusszeitpunkt konkrete Anhaltspunkte dafür feststehen müssten, dass der Ausschluss durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt sei,1852 würde dem genehmigten Kapital die Flexibilität nehmen, die den Gesellschaften zur Verfügung stehen muss, um im Interesse der Gesellschaft und der Aktionäre kurzfristig auf sich bietende Gelegenheiten reagieren zu können.1853 Daher kann die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre bereits dann selbst ausschließen oder den Vorstand zu einem Bezugsrechtsausschluss ermächtigen, wenn die in dem Vorstandsbericht (§ 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, eingehend dazu Rz. 683 ff.) abstrakt umschriebene Kapitalmaßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll, im wohlverstandenen Interesse der Ge-

1847 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (146) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (45) = NJW 1978, 1316. 1848 Grundlegend BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44) = NJW 1978, 1316. 1849 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44) = NJW 1978, 1316. 1850 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (46) = NJW 1978, 1316; OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 = NZG 2001, 1140. 1851 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (46) = NJW 1978, 1316; OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 = NZG 2001, 1140. 1852 So noch BGH v. 30.1.1995 – II ZR 132/93, AG 1995, 227 (228) = ZIP 1995, 372; BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239 (241) = AG 1994, 276 = NJW 1994, 1410; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (325) = AG 1982, 252 = NJW 1982, 2444. 1853 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (135) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren Rechtsprechung.

Fest

833

§ 221 AktG Rz. 631

Bezugsrecht der Aktionäre

sellschaft liegt.1854 Eine solche Ermächtigung zu der Kapitalerhöhung und zu dem Ausschluss des Bezugsrechts darf der Vorstand nur dann ausnutzen, wenn das allein ihm konkret bekannte Vorhaben seiner abstrakten Umschreibung in dem Vorstandsbericht entspricht und der Vorstand bei einer Prüfung in eigener Verantwortung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kapitalerhöhung und der Bezugsrechtsausschluss aus unternehmerischer Sicht auch im Zeitpunkt ihrer Realisierung noch im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegen.1855 b) Wandelschuldverschreibungen 631

Der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) kann die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre mittelbar in gleicher Art und Weise beeinträchtigen wie der Ausschluss des Bezugsrechts auf neue Aktien. Die Wandelschuldverschreibungen selbst berühren zwar weder die Beteiligung der Aktionäre an dem Gesellschaftsvermögen noch führen sie zu einer Verschiebung der Mehrheits- und Stimmverhältnisse. Diese Beeinträchtigungen der Mitgliedschaft treten aber auf, wenn und sobald Umtausch- oder Bezugsrechte ausgeübt und neue Aktien ausgegeben werden. Da den Aktionären, die keine Wandelschuldverschreibungen erworben haben, jedenfalls bei der Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) kein Bezugsrecht auf die neuen Aktien zusteht (siehe Rz. 95), kann der Ausschluss des Bezugsrechts auf Wandelschuldverschreibungen mittelbar die gleichen Beeinträchtigungen der mitgliedschaftlichen Rechtsstellung der Aktionäre zur Folge haben wie der Ausschluss des Bezugsrechts auf neue Aktien.1856 Daher bedarf der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen ebenso einer sachlichen Rechtfertigung wie der Ausschluss des Bezugsrechts auf neue Aktien.1857 Gleiches gilt für alle anderen Instrumente, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen und auf die die Aktionäre – sei es aufgrund ihrer Eigenschaft als Genussrecht, sei es in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566) – ein Bezugsrecht haben, z.B. na1854 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815; LG Darmstadt v. 7.10.1997 – 15 O 253/97, NJW-RR 1999, 1122 (1123). 1855 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815; LG Darmstadt v. 7.10.1997 – 15 O 253/97, NJW-RR 1999, 1122 (1123); LG Landshut v. 24.1.1990 – HK O 1170/89, AG 1991, 71 (72); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 203 AktG Rz. 51 f.; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 35; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 31; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 203 AktG Rz. 29; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 203 AktG Rz. 28; Wamser in Spindler/Stilz, § 203 AktG Rz. 96. 1856 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 185; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 100. 1857 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246 (247 Rz. 6) = NZG 2006, 229; OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 (720) = AG 2009, 450; OLG Schleswig v. 22.6.2001 – 5 U 8/00, AG 2003, 48 (49); OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 (40); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 31; Habersack in MünchenKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 185; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 143; Hirte, WM 1994, 321 (323 ff.); Hirte, ZBB 1992, 50 (52 f.); Hofmeister, NZG 2000, 713 (719); Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluß bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechten, 2000, S. 56; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 100; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 42; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 56; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 101; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 38; Schlitt/ Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 31; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 192; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 86, 87; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 67; Vollmer/Lorch, DB 1991, 1313 ff.

834

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 634 § 221 AktG

ked warrants (eingehend dazu Rz. 233 ff.),1858 Aktien mit Optionsrechten (eingehend dazu Rz. 276 ff.) sowie Wandel- und Optionsgenussrechte (eingehend dazu Rz. 483 ff.).1859 Das Erfordernis einer sachlichen Rechtfertigung und die damit einhergehende materielle Beschlusskontrolle durch die Gerichte verstoßen nicht gegen Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 Richtlinie 77/91/EWG).1860 Sie gewährleistet einen verstärkten Schutz der Aktionäre und steht daher selbst dann nicht im Widerspruch zu den Zielen der Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG), wenn sie zu Verzögerungen bei der Durchführung der Emission führt.1861 Dieses Ergebnis findet eine Stütze darin, dass Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 77/91/EWG) – wie der in Umsetzung dieser Vorgabe mit Wirkung vom 1.7.19791862 eingefügte § 186 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG – einen (sachlichen) Grund für eine Beschränkung oder einen Ausschluss des Bezugsrechts voraussetzt.

632

Für die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses gelten die gleichen Grundsätze wie für den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf neue Aktien.1863 Dies gebietet es, zwischen dem Ausschluss des Bezugsrechts in dem Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, siehe Rz. 616) einerseits und dem definitiven Bezugsrechtsausschluss und der Ermächtigung des Vorstands zu dem Bezugsrechtsausschluss in dem Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 617) andererseits zu unterscheiden.

633

aa) Zustimmungsbeschluss Wird das Bezugsrecht von der Hauptversammlung in dem Zustimmungsbeschluss (§ 221 634 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) ausgeschlossen (siehe Rz. 616), gelten die vom BGH in der Kali & Salz-Entscheidung1864 formulierten Grundsätze sinngemäß. Danach ist der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen und alle anderen Instrumente, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (siehe Rz. 566, 631 ff.) nur zulässig, wenn er im Zeitpunkt der Beschlussfassung unter gebührender Berücksichtigung der Folgen, die für die ausgeschlossenen 1858 A.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 31 für stock options. 1859 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 186; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 409; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 349; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 58; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 102; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 126; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 119. 1860 Vgl. EuGH v. 19.11.1996 – C-42/95, NJW 1997, 721 (722 Rz. 22) = AG 1997, 36; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85 f.) = NZG 1998, 814 jeweils zu Art. 29 Abs. 1, 4 Richtlinie 77/91/EWG. 1861 Vgl. EuGH v. 19.11.1996 – C-42/95, NJW 1997, 721 (722 Rz. 21) = AG 1997, 36 zu Art. 29 Abs. 1, 4 Richtlinie 77/91/EWG. 1862 Art. 1 Nr. 22 Buchst. d i.V.m. Art. 5 des Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978 (BGBl. I 1978, 1959). 1863 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246 (247 Rz. 6) = NZG 2006, 229; OLG Schleswig v. 22.6.2001 – 5 U 8/00, AG 2003, 48 (49); OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 185; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 143; Hirte, ZBB 1992, 50 (52 f.); Hofmeister, NZG 2000, 713 (719); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 100; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 101; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 38; Vollmer/Lorch, DB 1991, 1316. 1864 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44 ff.) = NJW 1978, 1316.

Fest

835

§ 221 AktG Rz. 635

Bezugsrecht der Aktionäre

Aktionäre eintreten, durch sachliche Gründe im Interesse der Gesellschaft gerechtfertigt ist.1865 Diese Prüfung schließt eine Abwägung der Gesellschafts- und Aktionärsinteressen und der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck ein.1866 bb) Ermächtigungsbeschluss 635

Ermächtigt die Hauptversammlung den Vorstand zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen oder anderer Instrumente, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.), gelten die vom BGH in der Siemens/Nold-Entscheidung1867 formulierten Grundsätze sinngemäß.1868 Danach kann die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen in dem Ermächtigungsbeschluss selbst ausschließen oder den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch zu der Entscheidung über Bezugsrechtsausschluss ermächtigen (siehe Rz. 617), wenn die Maßnahme, zu deren Durchführung der Vorstand ermächtigt werden soll – konkret: die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre –, im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegt.1869 Die Ermächtigung zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und zu dem Ausschluss des Bezugsrechts darf der Vorstand nur dann ausnutzen, wenn das allein ihm konkret bekannte Vorhaben seiner abstrakten Umschreibung in dem Vorstandsbericht (eingehend dazu Rz. 698) entspricht und der Vorstand bei einer Prüfung in eigener Verantwortung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Emission und der Bezugsrechtsausschluss aus unternehmerischer Sicht auch im Zeitpunkt ihrer Realisierung noch im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegen. c) Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte

636

Im Gegensatz zu Wandelschuldverschreibungen und allen anderen Instrumenten, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen, droht bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie bei der Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 Akt, eingehend dazu Rz. 329 ff.) unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre keine Verschiebung der Stimmrechtsquoten.1870 Das auf der Mitgliedschaft beruhende Stimmrecht wird nur durch Aktien, nicht aber durch Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte 1865 OLG Schleswig v. 22.6.2001 – 5 U 8/00, AG 2003, 48 (49); OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 38. 1866 OLG Schleswig v. 22.6.2001 – 5 U 8/00, AG 2003, 48 (49); OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 38. 1867 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139 f.) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815. 1868 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 147; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 38. 1869 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 50; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 28; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 39; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 100; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 35; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; Seibt, CFL 2010, 165 (167). 1870 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (146) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, AG 1992, 37; Busch, AG 1994, 93 (98); Ebenroth/Müller, BB 1993, 509 (512); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 187; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 409; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 43.

836

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 636 § 221 AktG

gewährt.1871 Die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen und die Gewährung von Genussrechten können aber – nicht nur bei einem unangemessen niedrigen Ausgabebetrag (eingehend dazu Rz. 721 ff.) – dazu führen, dass der Anteil der von dem Bezugsrechtsausschluss betroffenen Aktionäre an dem Gesellschaftsvermögen mit dem entsprechenden Gewinn- und Liquidationsanteil zumindest relativ absinkt.1872 Ob vermögensrechtliche Bestandteile der Mitgliedschaft beeinträchtigt werden und – wenn dies zu bejahen ist – ob die Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass der Ausschluss des Bezugsrechts einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, hängt von der Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen im Einzelfall ab.1873 Da obligationsähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 395 ff.) den Anteil der ausgeschlossenen Aktionäre an dem Gesellschaftsvermögen nicht notwendig weniger intensiv beeinträchtigen als aktienähnliche Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.),1874 erscheint eine rein schematische Unterscheidung zwischen aktiengleichen, aktienähnlichen1875 und obligationsähnlichen Genussrechten jedenfalls für die Beant-

1871 BGH v. 21.7.2003 – II ZR 109/02, BGHZ 156, 38 (43) = AG 2003, 625 = NJW 2003, 3412; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (146 f.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (316) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen = NJW 1993, 57; RG v. 24.11.1908 – VII 68/08, RGZ 70, 52 (54); BTDrucks. 10/2510, 5; Brokamp/Hölzer, FR 2006, 272; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 86; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 331; Hirte, ZIP 1988, 477; Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1383); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 26; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 197; Sethe, AG 1993, 293 (297). 1872 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147 f.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 59; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 68; Vollmer/Lorch, DB 1991, 1313 (1316 f.); a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 409, der für den Fall, dass der Nennbetrag an die Gläubiger zurückgezahlt wird, die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Gewinn- und Liquidationsanteils verneint und – konsequent – kein Bedürfnis für eine besondere sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses sieht. Ähnlich LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, AG 1992, 37 = NJW-RR 1991, 615: Genussrechte begründeten per se keinen schwerwiegenden Eingriff in Aktionärsrechte, so dass eine besondere Rechtfertigung stets entbehrlich sei. 1873 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (146) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93 – Bayerische Handelsbank, AG 1994, 372 (373) = WM 1994, 347; OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (269 f.) = WM 1991, 1920; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 25; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 91; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43; Luttermann, DB 1993, 1809 (1813); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 102, 105; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 40; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 82; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 123; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 118. Nur gerinfügig abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 187, nach dessen Ansicht bereits Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Vermögensrechte der ausgeschlossenen Aktionäre den Bedarf nach einer materiellen Beschlusskontrolle begründet. Lediglich die Intensität der materiellen Beschlusskontrolle soll sich an dem Ausmaß der Gefährdung mitgliedschaftlicher Interessen orientieren. A.A. (Genussrechte und Gewinnschuldverschreibungen bedürfen ausnahmslos einer sachlichen Rechtfertigung) Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 351; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 56, 59; Lutter, ZGR 1993, 291 (308 f.); Vollmer/Lorch, DB 1991, 1313 (1316 f.); Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (885 f.). Die gegenteilige Ansicht, dass die Gewährung von Genussrechten unabhängig von der inhaltlichen Ausgestaltung keiner sachlichen Rechtfertigung bedarf (so LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, AG 1992, 37) ist vereinzelt geblieben. 1874 Mit einem konkreten Beispiel Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 187. 1875 So aber Vollmer/Lorch, DB 1991, 1313 (1316 f.). Dagegen Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 187.

Fest

837

§ 221 AktG Rz. 637

Bezugsrecht der Aktionäre

wortung der Frage, ob der Ausschluss des Bezugsrechts einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, nicht weiterführend. aa) Verhältnis zu § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG 637

Das Bedürfnis für eine sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses entfällt – unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen (siehe Rz. 638) – nicht bereits deshalb, weil die Aktionäre (§ 245 Nr. 1, 2 AktG) in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 721 ff.) berechtigt sind, den Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss mit der Behauptung anzufechten, der Ausgabebetrag der Gewinnschuldverschreibungen oder Genussrechte sei unangemessen niedrig.1876 Dem besonderen Anfechtungsgrund ist in Anbetracht des Wortlauts („auch“) nicht zu entnehmen, dass die Aktionäre nur gegen einen unangemessen niedrigen Ausgabebetrag geschützt werden sollen, nicht aber gegen andere Beeinträchtigungen ihrer vermögensmäßigen Beteiligung (z.B. einen überhöhten Zinssatz, siehe Rz. 638).1877 Die gegenteilige Ansicht könnte im Einzelfall in nicht zu rechtfertigender Weise dazu führen, dass die Aktionäre anderen schwerwiegenden Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung, die einem unangemessen niedrigen Ausgabebetrag wirtschaftlich gleichwertig sind, schutzlos ausgeliefert wären. bb) Einzelfälle

638

Nach der Entscheidung des BGH in der Sache Bremer Bankverein bedarf der Ausschluss des Bezugsrechts auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte keiner sachlichen Rechtfertigung, wenn den Gläubigern nach den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen kein Anteil an dem Liquidationserlös der Gesellschaft zusteht (eingehend dazu Rz. 413 ff.) und sie nur Anspruch auf jährliche Ausschüttungen in Höhe eines festen Zinssatzes von dem Nennbetrag der Instrumente haben.1878 Dies gelte auch dann, wenn die Genussrechtsbedingungen bestimmen, dass der Rückzahlungsanspruch durch Verluste gemindert (eingehend dazu Rz. 420 ff.) und mit Gewinnen in den Folgejahren wieder aufgefüllt wird (eingehend dazu Rz. 439 ff.) und die Genussrechtsgläubiger im Rang hinter die übrigen Gläubiger zurücktreten (eingehend dazu Rz. 319, 455 ff.).1879 Zu einer Verringerung der relativen Beteiligung der außenstehenden Aktionäre an dem Gewinn des Unternehmens, die eine sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses erfordere, komme es bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen sowie bei der Gewährung von Genussrechten nur, wenn entweder (1) der Ausschüttungsanspruch nach einem höheren Zinssatz zu berechnen wäre als dem, der zu der Zeit der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente nach den marktüblichen Konditionen für Kredite zugrunde gelegt werden müsste,1880 oder (2) die Gewinnschuldverschrei1876 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 187; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 351; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 60; Vollmer/Lorch, DB 1991, 1313 (1314 f.); a.A. Hirte, ZBB 1991, 50 (53 f.); Hirte, ZIP 1988, 477 (486). Offen gelassen von BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (148 f.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400. 1877 Ebenroth/Müller, BB 1993, 509 (514); Vollmer/Lorch, DB 1991, 1313 (1315); ähnlich Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 60: der entsprechend anzuwendende § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG habe nur „Ergänzungsfunktion“. 1878 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147, 149) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; zustimmend Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 82. 1879 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147, 149) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400. 1880 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (148) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; zustimmend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 100, 187; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 82; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG

838

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 640 § 221 AktG

bungen bzw. Genussrechte einen vom Bilanzgewinn der Gesellschaft abhängigen „Dividendenanspruch“ gewähren würden (eingehend dazu Rz. 315, 395).1881 2. Interessenabwägung im Einzelfall Die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses setzt voraus, dass nicht nur die Maßnahme der Kapitalbeschaffung als solche, sondern auch der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre eine Rechtfertigung im Gesellschaftsinteresse findet.1882 Dies erfordert die Feststellung eines sachlichen unternehmerischen Interesses (eingehend dazu Rz. 645 ff.) sowie die Verhältnismäßigkeit von Mittel – hier: des konkreten Bezugsrechtsausschlusses – und Zweck.1883 Diese Verhältnismäßigkeit ist nach der Rechtsprechung gewahrt, wenn die Hauptversammlung bzw. der ermächtigte Vorstand (siehe Rz. 616, 617) der Überzeugung sein durfte, der Ausschluss des Bezugsrechts sei das angemessene und am besten geeignete Mittel zur Verfolgung überwiegender Gesellschaftsinteressen.1884 Die in der Literatur unternommenen Versuche, diese Formel unter dem Begriff der Erforderlichkeit zu konkretisieren, sei es dahingehend, dass der Bezugsrechtsausschluss nur erforderlich sei, wenn er den angestrebten Zweck am besten zu fördern möge,1885 sei es dahingehend, dass es kein alternatives Mittel geben dürfe, das mit einem geringeren Eingriff in das Bezugsrecht auskomme und dem Gesellschaftsinteresse ebenso gut oder besser diene,1886 versprechen keinen Erkenntnisgewinn.

639

Ergibt die Abwägung der Interessen (siehe Rz. 639), dass die Kapitalmaßnahme mit dem intendierten Ausschluss des Bezugsrechts unverhältnismäßig wäre, ist die Gesellschaft bzw. der ermächtigte Vorstand (siehe Rz. 616, 617) verpflichtet, eine andere Kapitalmaßnahme zu wählen, die mitgliedschaftliche Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre weniger beeinträchtigt,1887 den Umfang des Bezugsrechtsausschlusses auf das (noch) angemessene Maß einzuschränken oder von der Maßnahme abzusehen.1888

640

1881 1882 1883

1884

1885 1886

1887 1888

Rz. 124. Ähnlich Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 92, der die Kreditkonditionen um eine angemessene Risikoprämie modifizieren will. BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (147 f.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44) = NJW 1978, 1316; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 57. Vgl. BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239 (244) = AG 1994, 276 = NJW 1994, 1410; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (46) = NJW 1978, 1316; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 57; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 105; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48. Vgl. BGH v. 7.3.1994 – II ZR 52/93 – Deutsche Bank, BGHZ 125, 239 (244) = AG 1994, 276 = NJW 1994, 1410; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (321) = AG 1982, 252 = NJW 1982, 2444; BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354 (357) = NJW 1956, 1753. Vgl. von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 63; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 27; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 30. Dagegen Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 102: nicht sonderlich erhellend. Vgl. Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 93; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 102; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 48; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 144. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 28; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 107. Vgl. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815; Bischoff, BB 1987, 1055 (1060); Füchsel, BB 1972, 1533 (1539); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 103; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 146.

Fest

839

§ 221 AktG Rz. 641

Bezugsrecht der Aktionäre

a) Mitgliedschaftliche Interessen der Aktionäre aa) Nur Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre 641

Zu berücksichtigen sind nur die mitgliedschaftlichen Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre,1889 also derjenigen, die von dem Ausschluss des Bezugsrechts zumindest teilweise betroffen sind. Nur ihre mitgliedschaftliche Rechtsstellung wird beeinträchtigt. Die weitergehende Beschränkung auf die Interessen der Aktionäre, die dem Bezugsrechtsausschluss nicht zugestimmt haben – sei es, dass sie bei der Hauptversammlung nicht anwesend waren, sei es, dass sie gegen den Bezugsrechtsausschluss gestimmt oder sich enthalten haben1890 –,1891 findet zwar eine Stütze in dem Erst-Recht-Schluss, dass die Aktionäre, die auch aus unsachlichen Motiven wirksam über ihr Bezugsrecht disponieren, insbesondere hierauf verzichten können, erst recht dazu befugt sein müssen, mit ihrer Zustimmung zu dem Bezugsrechtsausschluss auf die ihre Interessen schützende sachliche Rechtfertigung zu verzichten. Hierbei bliebe aber unberücksichtigt, dass die sachliche Rechtfertigung in den Vorstandsbericht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, eingehend dazu Rz. 683 ff.) aufzunehmen und in dieser Form Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist (siehe Rz. 716). Da bei der Erstellung des Vorstandsberichts das Stimmverhalten der Aktionäre jedenfalls nicht mit Gewissheit vorhersehbar ist, sind die Interessen aller Aktionäre zu berücksichtigen, deren Bezugsrecht ganz oder zum Teil ausgeschlossen werden soll.1892 bb) Einzelne mitgliedschaftliche Interessen

642

Auf Seiten der Aktionäre sind nur mitgliedschaftliche Interessen zu berücksichtigen. Von diesen zu unterscheiden sind persönliche Interessen, die nicht in der Mitgliedschaft angelegt sind und bei der Abwägung keine Berücksichtigung finden dürfen.1893 Welche Interessen im Einzelfall in die Abwägung einzustellen sind, ergibt sich daraus, welche mitgliedschaftlichen Rechte durch die konkret intendierte Kapitalmaßnahme unmittelbar beeinträchtigt werden und mittelbar beeinträchtigt werden können.

643

Bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und allen anderen Instrumenten, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), ist der den ausgeschlossenen Aktionären mittelbar drohende Verlust an effektiver Stimmrechtsmacht zu berücksichtigen.1894 Die mögliche Verschiebung der Stimm1889 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (45, 47) = NJW 1978, 1316. Ohne diese Einschränkung OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 = NZG 2001, 1140 („Interessen der Aktionäre“). 1890 Insoweit abweichend Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 97, der die Abwesenheit von der Hauptversammlung und die Stimmenthaltung der ausdrücklichen Zustimmung gleichstellt. Dagegen Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 105. 1891 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 105; Volhard, AG 1998, 397 (403 f.); wohl auch Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 11. Weitergehend für das Anfechtungsverfahren Martens, ZIP 1992, 1677 (1690 f.): Berücksichtigung nur der Interessen der klagenden Aktionäre. Diese Beschränkung ist mit der Funktion der Anfechtungsklage, auch eine objektive Rechtskontrolle zu gewährleisten, unvereinbar, siehe Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 105. 1892 Vgl. Bungert, WM 1995, 1 (9); Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 99. 1893 Vgl. Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 101; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 104. 1894 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 104; Veil in K. Schmidt/ Lutter, § 186 AktG Rz. 24.

840

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 644 § 221 AktG

rechtsquoten erlangt regelmäßig besonderes Gewicht, wenn rechtserhebliche Stimmrechtsschwellen unterschritten werden können.1895 Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn ein Aktionär seine Sperrminorität verlieren1896 oder eine andere Beteiligungsquote einbüßen kann, die für das gewerbesteuerrechtliche Schachtelprivileg (§ 9 Nr. 2a Satz 1 GewStG) oder für die Geltendmachung eines Minderheitsrechts (u.a. §§ 50 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 103 Abs. 3 Satz 3, 120 Abs. 1 Satz 2, 122 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1, Abs. 2 Satz 1, 137, 142 Abs. 2 Satz 1, 147 Abs. 2 Satz 2, 254 Abs. 2 Satz 2, 258 Abs. 2 Satz 3, 260 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 4, 265 Abs. 3 Satz 1, 309 Abs. 3 Satz 1, 315 Satz 2 AktG) erforderlich ist. Von erheblichem Gewicht sind mögliche Veränderungen der effektiven Stimmrechtsmacht regelmäßig auch in den Konstellationen, in denen die Gesellschaft infolge der Ausübung der Umtausch- oder Bezugsrechte und der Ausgabe neuer Aktien von einem Großaktionär abhängig werden oder sich eine bestehende Abhängigkeit verstärken kann.1897 Gleiches gilt, wenn ein Großaktionär durch die Kapitalmaßnahme unter Ausschluss des Bezugsrechts derart begünstigt wird, dass er infolge der Ausübung der Umtausch- oder Bezugsrechte eine Mehrheit von 95 Prozent erreichen kann, die ihm den Beschluss eines Squeeze-Out (§ 327a Abs. 1 Satz 1 AktG) ermöglicht.1898 Eine schematische, ausschließlich prozentuale Gewichtung der Beeinträchtigungen verbietet sich jedoch. Maßgeblich ist vielmehr die Realstruktur der konkreten Gesellschaft.1899 Handelt es sich um eine Familiengesellschaft oder eine andere personalistisch geprägte Gesellschaft, kann auch ein prozentual geringer Verlust an effektiver Stimmrechtsmacht die Mehrheitsverhältnisse erheblich verändern und der Beeinträchtigung erhebliches Gewicht verleihen.1900 Im Gegensatz dazu fällt die Einbuße an effektiver Stimmrechtsmacht kaum ins Gewicht, wenn bei einer Publikumsgesellschaft das Bezugsrecht der zum Streubesitz zählenden Aktionäre ausgeschlossen wird. Die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend 644 dazu Rz. 308 ff.) sowie die Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.), deren Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen eine Beteiligung der Gläubiger am Gewinn der Gesellschaft oder gewinnabhängige Zinszahlungen vorsehen, kann zur Folge haben, dass sich der Anteil der ausgeschlossenen Aktionäre am Gewinn der Gesellschaft zwar nicht prozentual, aber aufgrund der ergebniswirksamen Auszahlungen an die Gläubiger betragsmäßig verringert. Bei der Gewichtung dieser vermögensmäßigen Beeinträchtigung sind insbesondere die Art und der Umfang der Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 314 ff., 404 ff.) bzw. die Höhe des Zinssatzes im Vergleich zu den marktüblichen Konditionen für Kredite, eine ggf. kumulativ gewährte Beteiligung am Liquidationserlös der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 413 ff.) sowie der Rang der Gläubigerrechte im Verhältnis zu den Aktionären (eingehend dazu Rz. 319, 455 ff.) zu berücksichtigen.1901 Droht den ausgeschlossenen Aktionären (auch) die Verwässerung des Wertes ihrer Beteiligungen, wiegt diese umso schwerer, je weiter der Ausgabebetrag der Instrumente de-

1895 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 28; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 106. 1896 Vgl. Mülbert in FS Schwark, 2009, S. 553 (557). 1897 Vgl. LG Frankfurt am Main v. 13.10.2003 – 3/1 O 50/03, DB 2003, 2541; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 113. 1898 Vgl. OLG Schleswig v. 18.12.2003 – 5 U 30/03, AG 2004, 155 (158 f.) = NZG 2004, 281; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 113. 1899 Vgl. Mülbert in FS Schwark, 2009, S. 553 (557); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 106; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 49; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 147. 1900 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 106. 1901 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 25; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 187; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 106; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43.

Fest

841

§ 221 AktG Rz. 645

Bezugsrecht der Aktionäre

ren Börsenkurs bzw. inneren Wert unterschreitet.1902 Bei der Gewichtung der Beeinträchtigungen ist ferner zu berücksichtigen, ob und mit welchen finanziellen Aufwendungen die ausgeschlossenen Aktionäre die ihnen bei Durchführung der Kapitalmaßnahme drohenden wirtschaftlichen Nachteile anderweitig ausgleichen können, z.B. durch den (Zweit-)Erwerb der Instrumente an der Börse.1903 b) Sachliches unternehmerisches Interesse 645

Die mit dem Ausschluss des Bezugsrechts im Einzelfall einhergehende Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre (siehe Rz. 642 ff.) ist mit dem sachlichen unternehmerischen Interesse an der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses abzuwägen. Sachlich gerechtfertigt ist der Ausschluss des Bezugsrechts nur, wenn letztere in der Abwägung überwiegen. Bei der einzelfallbezogenen Abwägung ist der Grundsatz zu beachten, dass an das sachliche unternehmerische Interesse um so strengere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer die Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre wiegt.1904 aa) Ausgabe gegen Geldleistung

646

Sollen die Instrumente gegen eine Geldleistung ausgegeben bzw. gewährt werden, hat die Gesellschaft grundsätzlich kein sachliches unternehmerisches Interesse daran, dass die Instrumente nicht zuerst ihren Aktionären zum Bezug angeboten werden. Wer die für den Finanzierungszweck erforderliche Geldleistung erbringt, ist grundsätzlich unerheblich.1905 Daher ist ein Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) nur verhältnismäßig selten sachlich zu rechtfertigen.1906 (1) Beschleunigungsinteresse

647

Die mit dem Bezugsrecht einhergehende Notwendigkeit, die Bezugsfrist (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG, siehe Rz. 577) abzuwarten, kann dazu führen, dass die Gesellschaft einen besonders günstigen Zeitpunkt am Kapitalmarkt verpasst. Dem berechtigten Interesse der Gesellschaft an einer möglichst zeitnahen Platzierung der Instrumente hat der Gesetzgeber durch die Möglichkeit eines vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, eingehend dazu Rz. 670 ff.) – und bei bestehendem Bezugsrecht – durch die Anpassung der Bekanntmachungspflicht an das in der Praxis übliche sog. Bookbuilding-Verfahren (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG, siehe Rz. 579) Rechnung getragen. Daher vermag das Beschleunigungsinteresse einen Bezugs1902 Vgl. Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 11; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 104. 1903 Vgl. Röhricht, ZGR 1999, 445 (475 f.); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 107; kritisch Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 103 aufgrund der Einführung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. 1904 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (45) = NJW 1978, 1316; Hüffer/ Koch, § 186 AktG Rz. 28; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 103; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 49; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 34. 1905 Vgl. Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 57; Wiedemann in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 154 zu § 186 AktG. 1906 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 143; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444 (2446) = AG 1982, 252 (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 83, 319 ff.); OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 = NZG 2001, 1140; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 65; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 39; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 112.

842

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 649 § 221 AktG

rechtsausschluss – außerhalb der von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG erfassten Fälle – alleine nicht zu rechtfertigen.1907 (2) Aussicht auf einen höheren Emissionserlös, Sanierung des Unternehmens Grundsätzlich genügen weder die bloße Aussicht auf einen höheren Emissionserlös noch die bloße Vermutung, die Aktionäre seien zur Übernahme der Instrumente nicht bereit für die sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses des Bezugsrechts der Aktionäre.1908 Anderes gilt ausnahmsweise in einer Krise des Unternehmens, wenn die Instrumente zu Sanierungszwecken „en bloc“ ausgegeben oder gewährt werden sollen.1909 Diese situative Erleichterung der sachlichen Rechtfertigung beruht auf der Erfahrung, dass Investoren in der Regel nur bei einem Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre zu Sanierungsmaßnahmen bereit sind.1910 Die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses sollte aber nicht davon abhängen, dass der Investor den Ausschluss des Bezugsrechts im Einzelfall zu einer Bedingung für seine Finanzierungszusage erhebt.1911 In diesen Konstellationen ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Bezugsrechtsausschluss einen höheren Erlös erwarten lässt. Diese ex ante zu treffenden Prognose liegt innerhalb des gerichtlich nicht nachprüfbaren Kernbereichs des unternehmerischen Beurteilungsermessens (siehe Rz. 718). Für die sachliche Rechtfertigung genügt daher die Feststellung, dass die Hauptversammlung bzw. der ermächtigte Vorstand (siehe Rz. 616, 617) bei sorgfältiger und von sachfremder Erwägung freier Beurteilung davon ausgehen durften, einen höheren Erlös zu erzielen.1912

648

(3) Ausgleich von Spitzenbeträgen Die Berechnung des Bezugsverhältnisses nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 1 649 AktG führt regelmäßig zu Bruchteilen. Börsenmäßig handelbar sind diese Bruchteile von 1907 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 189; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 69; a.A. Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; Schlitt/Löschner, BKR 2002, 150 (155); Schlitt/ Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (258); weitergehend Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 88: es soll genügen, dass die Erlangung von bankfinanziertem Fremdkapital nur zu ungünstigeren Konditionen möglich wäre. Differenzierend nach dem Gewicht der möglichen Vorteile Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 106; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 206 ff. 1908 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 144; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 69; vgl. auch OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 (293) = NZG 2001, 1140; von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 67; Hirte, WM 1994, 321 (323); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 33; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 76; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 63; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 113; a.A. Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 43. 1909 Vgl. BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444 (2446) = AG 1982, 252 (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 83, 319 ff.); LG München I v. 23.2.2012 – 5 HK O 12377/09 – Hypo Real Estate, ZIP 2012, 674 (679); LG München I v. 8.4.2010 – 5 HK O 12377/09, ZIP 2010, 779 (785); LG Heidelberg v. 16.3.1988 – O 6/88 KfH II, ZIP 1988, 1257 (1258); Decher/Voland, ZIP 2013, 103 (105); Heß, Investorenvereinbarungen, 2014, S. 210; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 70; Vaupel/Reers, AG 2010, 93 (95); Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 38. 1910 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 70. 1911 So aber wohl Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 65; vgl. auch OLG Köln v. 13.1.2014 – 18 U 175/13, ZIP 2014, 263 (266); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 85; Decher/Voland, ZIP 2013, 103 (105); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 31; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 43. Noch strenger Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 113, der zusätzlich die Darlegung verlangt, dass die Sanierungsbemühungen der Aktionäre nicht erfolgsversprechend erscheinen. 1912 Vgl. OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814.

Fest

843

§ 221 AktG Rz. 650

Bezugsrecht der Aktionäre

Bezugsrechten – gleichgültig, ob sich das Bezugsrecht auf neue Aktien oder auf Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566) bezieht – bedingt durch die technischen Systeme nur bis zu einer Stelle nach dem Komma.1913 Die sich hieraus ergebende Notwendigkeit, das Bezugsverhältnis zu runden, lässt sog. Spitzenbeträge entstehen. Sollen diese Spitzen frei bleiben, d.h. nicht den Aktionären zum Bezug angeboten, sondern – wie in der Praxis üblich – für Rechnung der Gesellschaft bestmöglich verwertet werden,1914 liegt hierin – unabhängig von der Größe der Spitzen1915 – formal ein teilweiser Ausschluss des Bezugsrechts. An dessen sachliche Rechtfertigung – diese wird allgemein als möglich angesehen1916 – sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Das sachlich unternehmerische Interesse überwiegt bereits dann, wenn die Gesellschaft darlegt, dass ihr Kapitalbedarf auch den auf die Spitzen entfallenden Erlös umfasst.1917 Andernfalls ist es der Gesellschaft zuzumuten, das Gesamtvolumen der Kapitalmaßnahme um den Differenzbetrag zu senken, so dass keine Spitzen entstehen. (4) Bezugsrechte als Tantiemen, Mitarbeitergenussrechte 650

Die Möglichkeit, sog. stock options ausschließlich an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung auszugeben, wird in § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 193 Abs. 2 Nr. 4, 192 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 5 AktG vorausgesetzt (siehe Rz. 205, 235). Die in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Absicht, nicht nur die Ausgabe neuer Aktien, sondern auch die Gewährung von Bezugsrechten auf Aktien zu fördern, geht allerdings nicht soweit, dass der hierfür erforderliche Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre per se sachlich gerechtfertigt bzw. eine sachliche Rechtefrtigung entbehrlich wäre.1918 An das im Einzelfall erforderliche sachliche unternehmerische Interesse sind aber keine hohen Anforderungen zu stellen.1919 Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Maßnahme in ihrer konkreten Ausgestaltung dazu geeignet ist, dass gesetzgeberische Ziel – namentlich: die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen positiv zu beeinflussen1920 und dadurch ihre Bin-

1913 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 83 mit Fn. 4. 1914 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 83. 1915 Wohl a.A. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 114, der das Bedürfnis einer sachlichen Rechtfertigung wohl auf „nennenswerte“ Spitzenbeträge beschränken will. 1916 LG Frankfurt am Main v. 4.7.1984 – 3/3 O 111/83, AG 1984, 296 (299); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 188; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 104; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 62; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (323) = AG 1982, 252 = NJW 1982, 2444; OLG Stuttgart v. 20.12.2000 – 20 U 45/00, AG 2001, 200 (201); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 83; Hirte, Bezugsrechtausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 62 ff.; Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 15; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 66; Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 114, 141; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 38; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 155. 1917 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 83; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 114. 1918 Vgl. Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 165; Pentz, ZGR 2001, 901 (906); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 115; a.A. (sozialpolitische Förderung der Mitarbeiterbeteiligung) Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 61; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 67. Wohl nur missverständlich Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 69: ohne weitere sachliche Rechtfertigung. 1919 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 188; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 18; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 115. 1920 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814.

844

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 652 § 221 AktG

dung an die Gesellschaft zu fördern1921 bzw. die Mitglieder der Geschäftsführung zu einer an der langfristigen Wertsteigerung orientierten Unternehmensstrategie zu motivieren1922 – zu erreichen1923 und das Volumen der stock options keine unverhältnismäßige Verwässerung befürchten lässt.1924 Bei sog. Mitarbeitergenussrechten (eingehend dazu Rz. 353 ff.) ist der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre jedenfalls dann sachlich gerechtfertigt, wenn sie ihre Identifikation mit dem Unternehmen positiv beeinflussen und dadurch ihre Bindung an die Gesellschaft fördern können. Gleiches sollte für Genussrechte gelten, die die von § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. f Alt. 1 oder Buchst. l 5. VermBG vorausgesetzten Eigenschaften aufweisen, so dass die Gesellschaft die Bereitschaft der Arbeitnehmer zu dem Erwerb der Mitarbeitergenussrechte durch die Gewährung vermögenswirksamer Leistungen fördern kann (siehe Rz. 354).1925

651

(5) Verwässerungsschutz (a) Wandelschuldverschreibungen Während der Laufzeit bereits umlaufender Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und anderer Wertpapiere, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), ist die Emissionsgesellschaft an der Ausgabe weiterer gleichartiger Wertpapiere grundsätzlich ebenso wenig gehindert wie an der Ausgabe neuer Aktien im Rahmen einer Kapitalerhöhung.1926 Ein an die Aktionäre gerichtetes Angebot, die neuen Wertpapiere zu beziehen, wäre – unterstellt die Aktionäre erwerben diese und üben ihr Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien aus – aber geeignet, den Wert der Umtausch- oder Bezugsrechte der (Alt-)Gläubiger in zweifacher Hinsicht zu beeinträchtigen. Zum einen würde die effektive Stimmrechtsmacht der in Aussicht stehenden Bezugsaktien relativiert, zum anderen kann der innere Wert der Bezugsaktien – abhängig von dem Ausgabebetrag der Instrumente – verwässert werden. Vor diesen Beeinträchtigungen sind die Gläubiger zwar nicht in unmittelbarer Anwendung der §§ 216 Abs. 3, 218 AktG sowie des § 23 UmwG geschützt. Jedenfalls in den Konstellationen, in denen die Emission die Voraussetzungen des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG nicht erfüllt1927 – sei es, dass das Emissionsvolumen 1921 Vgl. BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 (292) = AG 2000, 475 = NJW 2000, 2356; BGH v. 30.1.1995 – II ZR 132/93, AG 1995, 227 (228) = ZIP 1995, 372; LG Frankfurt am Main v. 10.2.1997 – 3/1 O 119/96, AG 1997, 185 (186). 1922 BT-Drucks. 13/9712, 23 zu §§ 192, 193 AktG-E; Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 (40). 1923 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 188; Marsch-Barner in Bürgers/ Körber, § 186 AktG Rz. 40; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 45 jeweils ohne volumenmäßige Begrenzung. 1924 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 145; Hirte in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. II, 2007, Kap. 19 Rz. 61; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (227 ff.); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 42; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 67, 69; a.A. LG Braunschweig v. 11.3.1998 – 22 O 234/97, AG 1998, 289 (293 f.). Nach Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 32 soll die Verwässerung jedenfalls dann unbedenklich sein, wenn sich die Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien auf nicht mehr als fünf Prozent des Grundkapitals beziehen. 1925 So wohl auch Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 63; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 156; ähnlich Pentz, ZGR 2001, 901 (906), der – zu recht – klarstellt, dass die Interessenabwägung im Einzelfall nicht entfallen dürfe. 1926 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 288, 292, 312. 1927 Für diese Einschränkung Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 312; vgl. auch Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 52 Rz. 18; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 291, 292 jeweils für die Ausgabe neuer Aktien.

Fest

845

652

§ 221 AktG Rz. 653

Bezugsrecht der Aktionäre

zehn Prozent des Grundkapitals übersteigt, sei es, dass der Ausgabebetrag den Börsenpreis der in Aussicht stehenden Aktien wesentlich unterschreitet (eingehend dazu Rz. 677 ff.) –, erscheint aber eine Gesamtanalogie1928 der Vorschriften des Inhalts geboten, dass der wirtschaftliche Wert der Gläubigerrechte, soweit er von den bisherigen Kapital- oder Gewinnverhältnissen abhängt, durch spätere Kapitalmaßnahmen während der Laufzeit der Instrumente nicht beeinträchtigt werden darf.1929 Für die Verwirklichung des im Einzelfall gebotenen Verwässerungsschutzes kann die Gesellschaft grundsätzlich aus drei gleichwertigen1930 Gestaltungen wählen: 653

(1) Möglich und weithin üblich ist es, dass die Gesellschaft den (Alt-)Gläubigern zur Vermeidung einer Beeinträchtigung ihrer Rechte – freiwillig, d.h. ohne hierzu aufgrund der Anleihebedingungen verpflichtet zu sein – Instrumente aus der neuen Emission in entsprechender Anzahl anbietet.1931 Der insoweit erforderliche Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre ist durch die Verpflichtung der Gesellschaft zum Verwässerungsschutz sachlich gerechtfertigt.1932

654

(2) Alternativ kann die Gesellschaft eine Vereinbarung in die Anleihebedingungen aufnehmen, wonach das Umtausch- oder Bezugsverhältnis den infolge der Neuemission veränderten Umständen angepasst, d.h. die Zahl der Aktien je Umtausch- oder Bezugsrecht entsprechend erhöht wird. Gegen die Wirksamkeit dieser Bestimmung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere stehen die §§ 307 ff. BGB nicht entgegen, da die Vereinbarung ausschließlich zugunsten der Anleihegläubiger, nicht aber zu ihren Lasten wirken kann. Gleichwohl wird diese Gestaltung regelmäßig in Ermangelung einer vorhandenen Absicherung der entsprechend erweiterten Umtausch- oder Bezugsrechte ausscheiden.1933

655

(3) Schließlich können die Anleihebedingungen ohne Veränderung des Umtausch- oder Bezugsverhältnisses die entsprechende Reduzierung einer von den Gläubigern ggf. zu leistenden Zahlung – sei es des Bezugspreises bei Optionsanleihen, naked warrants und Optionsgenussrechten, sei es einer zu leistenden Zuzahlung bei Wandelanleihen und Wandelgenussrechten – vorsehen.1934 Soweit die erforderliche Reduzierung die Grenzen der §§ 9 Abs. 1, 199 Abs. 2 AktG unterschreiten würden, hat die Gesellschaft einen entsprechenden Barausgleich zu zahlen.

1928 Für eine Einzelanalogie zu § 216 Abs. 3 AktG (so z.B. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 17 Rz. 17) fehlt es an der erforderlichen Vergleichbarkeit, siehe Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 353 f.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 290; Hüffer in FS Bezzenberger, 2000, S. 191 (201 ff.); a.A. Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 71, 76. 1929 Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 350 ff.; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 312; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 181; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußscheinen, 1994, S. 164 ff.; a.A. (kein gesetzlicher Verwässerungsschutz) A. Hueck, DB 1963, 1347 (1348 ff.); Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 177 f.; a.A. (ergänzende Vertragsauslegung oder Störung der Geschäftsgrundlage) Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 63. 1930 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 189. 1931 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 184; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 46. 1932 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 189; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 143; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 105; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 66; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 69; wohl auch Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 38; a.A. Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 192 f.: aufgrund der Alternativen sei der Bezugsrechtsausschluss nicht erforderlich. 1933 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 291, 292. 1934 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 291, 292.

846

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 659 § 221 AktG

(b) Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte Vergleichbaren Verwässerungsschutz genießen die Inhaber von Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.). Während der Laufzeit dieser Instrumente ist die Gesellschaft an der Ausgabe bzw. Gewährung neuer Gewinnschuldverschreibungen bzw. Genussrechte auch dann nicht gehindert, wenn deren Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen für die aktionärstypischen Vermögensrechte den gleichen oder einen besseren Rang bestimmen (eingehend dazu Rz. 455 ff.).1935 Die mit einer solchen Kapitalmaßnahme einhergehende Beeinträchtigung der aktionärstypischen Vermögensrechte der (Alt-)Gläubiger hat die Gesellschaft in Gesamtanalogie zu den §§ 216 Abs. 3, 218 AktG, 23 UmwG auszugleichen.1936 Da § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen sowie bei der Gewährung von Genussrechten trotz § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG keine sinngemäße Anwendung findet (siehe Rz. 682), schuldet die Gesellschaft den (Alt-)Gläubigern Verwässerungsschutz ohne Rücksicht auf das Gesamtvolumen der neuen Instrumente und deren Ausgabebetrag.1937 Für die Verwirklichung des Verwässerungsschutzes stehen der Gesellschaft grundsätzlich drei gleichwertige Gestaltungen zur Auswahl:

656

(1) Die Gesellschaft kann den (Alt-)Gläubigern – freiwillig, d.h. ohne hierzu aufgrund eines (vertraglichen) Bezugsrechts in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen verpflichtet zu sein (siehe Rz. 659) – neue Instrumente in entsprechender Anzahl anbieten. Der insoweit erforderliche Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre ist durch die Verpflichtung der Gesellschaft zum Verwässerungsschutz sachlich gerechtfertigt.1938

657

(2) Alternativ kann die Gesellschaft eine Vereinbarung in die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen der bereits umlaufenden sowie der neuen Instrumente aufnehmen, wonach die entstehende Konkurrenz der aktionärstypischen Vermögensrechte dahingehend aufgelöst wird, dass die Gläubiger ihre Ansprüche nur entsprechend ihren Finanzierungsbeiträgen geltend machen können.1939

658

(3) Schließlich kann die Gesellschaft den (Alt-)Gläubigern in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen ein vertragliches Bezugsrecht auf neue Instrumente der gleichen Art einräumen.1940 Der ergänzend erforderliche Ausschluss des gesetzlichen Bezugsrechts der Aktionäre ist durch die Verpflichtung der Gesellschaft zum Verwässerungsschutz sachlich gerechtfertigt.1941

659

1935 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 313; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 395; Uwe H. Schneider in FS Goerdeler, 1987, S. 511 (518 f.); a.A. (Gewährung nur mit Zustimmung der (Alt-)Gläubiger) Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 196 f. Differenzierend Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 411, der zwar die Emissionsfreiheit betont, aber die Gestaltungsfreiheit dahingehend einschränkt, dass die Ansprüche aus den neuen Genussrechten ohne einen Vorbehalt zugunsten der (Alt-)Gläubiger nicht vor- oder gleichrangig ausgestaltet werden dürfen. 1936 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 313; im Ergebnis ebenso Sethe, AG 1993, 351 (363 f.). 1937 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 313 mit Fn. 890. 1938 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 69. 1939 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 313. 1940 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 308, 313; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 77; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 397; Sethe, AG 1993, 351 (364); abweichend Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 411, der ein vertragliches Bezugsrecht zwar für zulässig, aber nicht für ausreichend erachtet, um die wirtschaftliche Beeinträchtigung der Interessen der (Alt-)Gläubiger auszugleichen. 1941 Hirte, ZIP 1988, 477 (487); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 69.

Fest

847

§ 221 AktG Rz. 660

Bezugsrecht der Aktionäre

(6) Gekreuzter Bezugsrechtsausschluss 660

Gibt eine Gesellschaft, bei der mehrere Aktiengattungen (§ 11 AktG) vorhanden sind (z.B. Stammaktien und Vorzugsaktien ohne Stimmrecht), Wandelschuldverschreibungen oder andere Wertpapiere aus, die in Aktien einer Gattung umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien einer Gattung verbunden sind, droht im Fall der Ausübung des Umtausch- oder Bezugsrechts eine Verschiebung des bis dahin bestehenden Verhältnisses der Aktiengattungen. Die Bewahrung dieses Verhältnisses setzt einen wechselseitigen bzw. gekreuzten Bezugsrechtsausschluss dergestalt voraus, dass das Recht der Aktionäre zum Bezug derjenigen Instrumente, deren Umtausch- oder Bezugsrecht sich auf Aktien der jeweils anderen Gattung bezieht, ausgeschlossen wird. Das Ziel, das Verhältnis der Aktiengattungen durch die Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten auch mittelbar nicht zu verändern, ist ein sachliches unternehmerisches Interesse, das in Ansehung der gesetzlichen Wertungen regelmäßig geeignet ist, einen wechselseitigen bzw. gekreuzten Bezugsrechtsausschluss zu rechtfertigen.1942 (7) Begründung und Vertiefung einer Geschäftsbeziehung

661

Ein sachliches unternehmerisches Interesse an dem Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre kann auch daraus resultieren, dass die Gesellschaft eine Geschäftsverbindung mit einem anderen Unternehmen begründen oder vertiefen will. Voraussetzung hierfür ist aber, dass das andere Unternehmen die Zusammenarbeit bzw. deren Fortführung von der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente (z.B. Genussrechte als Gegenleistung für die Lieferung neuartiger Technologien, siehe Rz. 347) abhängig macht.1943 In der Abwägung überwiegt dieses Interesse die mitgliedschaftlichen Interessen der Aktionäre nur, wenn ein dringendes unternehmerisches Interesse an der Geschäftsbeziehung besteht. Dies ist anzunehmen, wenn das andere Unternehmen ein strategisch wichtiger Kooperationspartner ist oder wesentliche Produkte liefert.1944 Die hierfür erforderliche Bewertung ex ante liegt innerhalb des gerichtlich nicht nachprüfbaren Kernbereichs des unternehmerischen Beurteilungsermessens (siehe Rz. 718). Für die sachliche Rechtfertigung genügt daher die Feststellung, dass die Hauptversammlung bzw. der ermächtigte Vorstand (siehe Rz. 616, 617) bei sorgfältiger und von sachfremder Erwägung freier Beurteilung von einem dringenden unternehmerischen Interesse ausgehen durfte.1945 (8) Abwehr unerwünschter Beteiligungen

662

Sollen Wandelschuldverschreibungen oder andere Instrumente, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), mit dem Ziel der Abwehr einer unerwünschten Beteiligung ausgegeben werden, besteht allenfalls in seltenen Ausnahmefällen ein sachliches unternehmerisches Interesse an dem Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre. Die Gesellschaft hat – auch ausweislich § 53a AktG – grundsätzlich kein schutzwürdiges Interesse daran, die Mehr1942 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 188; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 104; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 64; Trölitzsch, DB 1993, 1457; vgl. auch LG München I v. 2.4.1992 – 5 HKO 8840/91, AG 1993, 195 (196) = ZIP 1992, 1741; LG Tübingen v. 15.11.1990 – 2 HO 116-174/89, ZIP 1991, 169 (171) = NJW-RR 1991, 616. 1943 Vgl. BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444 (2446) = AG 1982, 252 (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 83, 319 ff.); Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 18; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 31; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 69. 1944 Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 119. 1945 Vgl. OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814.

848

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 663 § 221 AktG

heitsverhältnisse – wenngleich nur mittelbar – durch einen teilweisen Ausschluss des Bezugsrechts eines Aktionärs oder einer Aktionärsgruppe gezielt zu verändern.1946 Ein solches Interesse ist auch dann nicht anzuerkennen, wenn die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente nur an inländische Aktionäre erfolgen und eine sog. Überfremdung der Gesellschaft durch ausländische Investoren verhindern soll.1947 Auch die Absicht, die Instrumente mittels des Bezugsrechtsausschlusses nur an einen oder einige wenige vertraute Aktionäre auszugeben bzw. zu gewähren, die für den Fall einer drohenden unerwünschten Abhängigkeit ihre Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien ausüben und dadurch die Stimmrechtsquote des unerwünschten Aktionärs verringern sollen (white knight), vermag einen teilweisen Bezugsrechtsausschluss nicht zu rechtfertigen.1948 Die Unabhängigkeit des Unternehmens ist jedenfalls seit dem Inkrafttreten des WpÜG mit Wirkung vom 1.1.20021949 kein rechtlich anzuerkennendes sachliches unternehmerisches Interesse mehr.1950 Gegenteiliges ist den §§ 311 ff. AktG nicht zu entnehmen. Zwar dienen diese Vorschriften dem Schutz der abhängigen Gesellschaft vor nachteiligen Einflüssen des herrschenden Unternehmens auf ihr Vermögen und ihren Ertrag sowie – damit einhergehend – dem Schutz des Beteiligungswertes der Aktionäre. Hieraus ein sachliches unternehmerisches Interesse an der Unabhängigkeit und dem Ausschluss des Bezugsrechts abzuleiten, widerspräche aber der Tatsache, dass die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), bei Vorliegen eines Übernahmeangebots i.S.d. § 29 WpÜG jedenfalls dann eine nach § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG unzulässige Abwehrmaßnahme darstellt,1951 wenn das Emissionsvolumen die Grenze des § 221 1946 Vgl. LG Kassel v. 24.11.1988 – 11 O 1063/88, ZIP 1989, 306 (308) = AG 1989, 218; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 74; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 121. Ähnlich (kein Interesse an der Aufrechterhaltung der Aktionärsstruktur) Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 23. 1947 Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 46; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 32; Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 124; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 74; Lutter/Schneider, ZGR 1975, 182 (190 f.); Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 46; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 121; a.A. Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 162. 1948 Vgl. LG Kassel v. 24.11.1988 – 11 O 1063/88, ZIP 1989, 306 (308) = AG 1989, 218; Heß, Investorenvereinbarungen, 2014, S. 211 ff.; Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 23 f.; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 46; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 121; a.A. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 32; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 71; Lutter/Timm, NJW 1982, 409 (415); Martens in FS Steindorff, 1990, S. 151 (160); Martens in FS Fischer, 1979, S. 437 (453 ff.); Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 162; nach den Umständen des Einzelfalls differenzierend Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 123 f.; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe, Kapitalmarkt, 1995, S. 331 f. jeweils für Kapitalerhöhungen. 1949 Art. 1 i.V.m. Art. 12 des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen v. 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3822). 1950 A.A. Herwig, Leitungsautonomie und Fremdeinfluss, 2014, S. 90 f.; im Ergebnis ebenso vor dem Inkrafttreten des WpÜG Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 71. Gegen die Unabhängigkeit als Verbandszweck Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 121. 1951 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 115; Hirte in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33 WpÜG Rz. 60; Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 33 WpÜG Rz. 99, 288; Schlitt/Ries in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 33 WpÜG Rz. 95 jeweils für die Unzulässigkeit der Maßnahme unabhängig von dem Emissionsvolumen.

Fest

849

663

§ 221 AktG Rz. 664

Bezugsrecht der Aktionäre

Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG übersteigt.1952 Ist aber die Ausgabe der Wertpapiere unzulässig, kann auch kein anzuerkennendes unternehmerisches Interesse an dem Bezugsrechtsausschluss bestehen. Hieran vermag – entgegen einer Entscheidung des BGH1953 vor dem Inkrafttreten des WpÜG – auch die Befürchtung, der Erwerber der Mehrheitsbeteiligung wolle – was wohl nur selten substantiiert dargelegt werden kann – die Gesellschaft vernichten, nichts zu ändern, da an dem Fortbestand der Gesellschaft nicht notwendig ein sachliches unternehmerisches Interesse besteht.1954 bb) Ausgabe gegen Sachleistung 664

Werden die Instrumente gegen Sachleistung ausgegeben bzw. gewährt (siehe Rz. 128, 222, 347), überwiegt das sachliche unternehmerische Interesse an der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses gegenüber der damit einhergehenden Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre, wenn die Gesellschaft nach vernünftigen kaufmännischen Überlegungen ein dringendes Interesse an dem Erwerb des Gegenstands hat und zu erwarten ist, der damit angestrebte und allen Aktionären zugute kommende Nutzen werde den verhältnismäßigen Verlust mitgliedschaftlicher Rechte der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre aufwiegen.1955 Liegen die genannten Voraussetzungen vor, ist der Ausschluss des Bezugsrechts gleichwohl nicht sachlich gerechtfertigt, wenn es sich um einen marktgängigen Gegenstand handelt, den die Gesellschaft – ggf. auch erst nach der Zuführung neuer Geldmittel – erwerben kann.1956 (1) Kein vereinfachter Bezugsrechtsausschluss

665

Sollen die Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapiere, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), gegen Sachleistung ausgegeben werden, muss der Ausschluss des Bezugsrechts auch dann sachlich gerechtfertigt sein, also die in Rz. 664 genannten Voraus1952 Vgl. Ekkenga in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, 2003, § 33 WpÜG Rz. 96; Möslein, Grenzen unternehmerischer Leitungsmacht im marktoffenen Verband, 2007, S. 514; Schwennicke in Geibel/Süßmann, 2. Aufl. 2008, § 33 WpÜG Rz. 25. 1953 Vgl. BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175 (186) = NJW 1961, 26. Dem folgend Gamerdinger/Saupe, AG 1976, 29 (31); Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 23; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 46; wohl auch Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 32. 1954 Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 50 ff.; Mülbert in FS Schwark, 2009, S. 553 (562); nur im Ergebnis ebenso Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 75: Bezugsrechtsausschluss sei nicht erforderlich, da sich die beherrschte Gesellschafte gegen die einzelnen Maßnahmen des herrschenden Unternehmens zur Wehr setzen könne; dagegen Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 120; a.A. Martens in FS Fischer, 1979, S. 437 (452). 1955 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (46 f.) = NJW 1978, 1316; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 34; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 79; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 65; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 122; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 35; wohl enger Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 168: Gegenstand muss für Erreichung des Unternehmenszwecks erforderlich sein. Kritisch Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG Finanzierung, Kap. 4 Rz. 171 jeweils zu § 186 Abs. 3 AktG. 1956 Vgl. Bayer in FS Westermann, 2008, S. 787 (789 f.); Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 77; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 34; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 79; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 123; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 35; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 168.

850

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 667 § 221 AktG

setzungen erfüllen, wenn das Volumen der Umtausch- oder Bezugsobjekte zehn Prozent des Grundkapitals nicht übersteigt und der Ausgabebetrag der Wertpapiere den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreitet. Der Anwendungsbereich des sog. vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG) ist auf Sachverhalte beschränkt, in denen die Instrumente gegen Geldleistung ausgegeben werden.1957 In Anbetracht der Tatsache, dass der Gesetzgeber den direkten Anwendungsbereich des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG – abweichend von dem ursprünglichen Gesetzesentwurf1958 – auf Kapitalerhöhungen gegen Bareinlagen beschränkt hat, ist die sinngemäße Anwendung der Vorschrift gleichfalls auf Konstellationen beschränkt, in denen die Wertpapiere gegen Geldleistung ausgegeben werden (siehe Rz. 674). Für eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auf die Ausgabe der Bezugsobjekte gegen Sachleistung fehlt es an der methodologisch erforderlichen Regelungslücke. Die in der Literatur verbreitete Aussage, der Bezugsrechtsausschluss sei in diesen Sachverhalten regelmäßig sachlich gerechtfertigt,1959 ist lediglich ein empirischer Befund zu den in Rz. 664 genannten Voraussetzungen, der weder das Erfordernis eines dringenden Interesses an dem Erwerb des konkreten Gegenstands noch die Notwendigkeit der Prognose, der damit angestrebte Nutzen werde den verhältnismäßigen Verlust mitgliedschaftlicher Rechte der vom Bezugsrecht ausgeschlossenen Aktionäre aufwiegen, entfallen lässt. (2) Erforderlichkeit Soll die Sachleistung von einem Aktionär erbracht werden, kann der teilweise Ausschluss des Bezugsrechts der übrigen Aktionäre im Einzelfall nicht erforderlich und daher nicht sachlich gerechtfertigt sein, wenn die Gesellschaft die Kapitalmaßnahme ohne Weiteres in einer anderen Ausgestaltung durchführen kann, die die mitgliedschaftlichen Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre (siehe Rz. 641 ff.) in geringerem Maße beeinträchtigt. Dies kann insbesondere in zwei Konstellationen anzunehmen sein:

666

(1) Die Gesellschaft kann die Instrumente gegen Geldleistung ausgeben bzw. gewähren und dem Aktionär, der über den Gegenstand verfügt, gestatten, anstelle der geschuldeten Geldleistung die Sachleistung zu erbringen. Diese Gestaltung beinhaltet zwar keinen teilweisen Ausschluss des Bezugsrechts, der einer sachlichen Rechtfertigung bedürfte,1960 bewirkt aber eine Ungleichbehandlung der Aktionäre (§ 53a AktG), die – vorausgesetzt, die Gesellschaft hat ein dringendes Interesse an dem Erwerb des nicht marktgängigen Gegenstands (siehe Rz. 664) – in der Regel dadurch gerechtfertigt ist,1961 dass nur der Aktionär, dem die Sachleistungsbefugnis eingeräumt werden soll, über den Gegenstand verfügt.

667

1957 Vgl. OLG München v. 24.11.1994 – 7 U 2389/94, AG 1995, 231; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 39b; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 AktG Rz. 6; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 71; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 130; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 56; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 40. 1958 BT-Drucks. 12/6721, 3, 10. Zu den Gründen für die Abweichung der Gesetz gewordenen Fassung siehe BT-Drucks. 12/7848, 9. Kritisch zu der Änderung Ihrig in FS Happ, 2006, S. 109 (111); Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (684). 1959 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 122, 130. 1960 Vgl. Aha, BB 2001, 2225 (2227); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 40; Groß, AG 1993, 449 (453 f.); Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 183 jeweils zu § 186 AktG. 1961 Auf die Ungleichbehandlung der Aktionäre und die damit einhergehende Notwendigkeit einer sachlichen Rechtfertigungen weisen KG v. 18.5.2010 – 14 AktG 1/10, ZIP 2010, 1849 (1852) = AG 2010, 494; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 124 jeweils zu § 186 AktG zu recht hin.

Fest

851

§ 221 AktG Rz. 668

Bezugsrecht der Aktionäre

668

(2) Eine andere Gestaltungsvariante, die die mitgliedschaftlichen Interessen der übrigen Aktionäre in geringerem Maße beeinträchtigt als ein Ausschluss des Bezugsrechts bei der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente gegen Sachleistung, besteht darin, die Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente gegen Sachleistung bei einem wechselseitigen Bezugsausschluss mit der Ausgabe bzw. Gewährung gleichartiger Instrumente gegen Geldleistung zu kombinieren. Der wechselseitige teilweise Ausschluss des Bezugsrechts dergestalt, dass bei den Instrumenten, die gegen Sachleistung ausgegeben bzw. gewährt werden, das Bezugsrecht des Aktionärs ausgeschlossen wird, der die Sachleistung erbringt, eröffnet den übrigen Aktionären die Möglichkeit, ihre Quote an den Instrumenten dieser Art durch eine zusätzliche Geldleistung zu erhalten. Dieser Umstand lässt den Ausschluss des Bezugsrechts des Aktionärs, der die Sachleistung erbringt, bei der Ausgabe bzw. Gewährung der Instrumente gegen Geldleistung regelmäßig als sachlich gerechtfertigt erscheinen.1962

669

Gemeinsam ist beiden genannten Gestaltungsvarianten, dass sie nur dann vorrangig sind und die sachliche Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ausschließen, wenn die Zuführung zusätzlicher Barmittel unternehmerisch sinnvoll erscheint.1963 3. Vereinfachter Bezugsrechtsausschluss (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG)

670

Das Gebot des § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG, § 186 AktG auf das Bezugsrecht der Aktionäre aus § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG sinngemäß anzuwenden, umfasst seinem eindeutigen Wortlaut nach auch den sog. vereinfachten Bezugsrechtsausschluss nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG.1964 a) Möglichkeit der sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG

671

Die sinngemäße Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Rechtsausschluss in seiner Beschlussempfehlung zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG konstatiert hat, dass die Vorschrift für Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) nicht passe.1965 Für die Rechtsanwendung verbindlich ist nämlich nicht die Ansicht der Verfasser des Gesetzestextes, sondern der – insoweit eindeutige – Gesetzestext selbst.1966 In der Sache ist die Aussage allerdings zutreffend: Die Zulässigkeit des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ohne eine wei1962 In der Begründung abweichend (gekreuzter Bezugsrechtsausschluss, siehe dazu Rz. 660), im Ergebnis aber ebenso Bayer in FS Westermann, 2008, S. 787 (791); Lutter, ZGR 1979, 401 (406 f.); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 123 jeweils zu § 186 AktG. 1963 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 123. 1964 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (38) = NZG 2006, 784; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1998, 84 (85) = NZG 1998, 814; LG München I v. 6.10.2005 – 5HK O 15445/05, AG 2006, 169; BT-Drucks. 12/7848, 9; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/ Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 26; Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 345; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 93; Groß, DB 1994, 2431 (2435); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 190; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 107; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 146; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43a; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 AktG Rz. 39; Marsch-Barner, AG 1994, 532 (538); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 41; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 49; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 92. 1965 BT-Drucks. 12/7848, 9. 1966 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (38) = NZG 2006, 784; Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 345; Groß, DB 1994, 2431 (2436).

852

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 672 § 221 AktG

tere sachliche Rechtfertigung beruht nämlich wesentlich darauf, die Aktionäre seien deshalb nicht schutzbedürftig, weil sie die Möglichkeit hätten, ihren relativen Anteil am Grundkapital durch freie Zukäufe gleicher Rechte über die Börse zu erhalten.1967 Hieraus folgt, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich auf Gesellschaften beschränkt ist, deren Aktien zum Handel an der Börse zugelassen sind.1968 Gleiches impliziert die Voraussetzung, dass der Ausgabebetrag der neuen Instrumente den Börsenpreis nicht wesentlich unterschreiten darf. Der hiernach erforderliche Vergleich des Ausgabebetrags mit dem Börsenpreis setzt den Börsenhandel der Aktien voraus. Zwar trifft es zu, dass die Aktionäre bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie bei der Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) – auch dann, wenn Instrumente der jeweiligen Art bereits an der Börse gehandelt werden – keine Rechte erwerben können, deren Inhalt vollumfänglich, d.h. hinsichtlich der Anleihekomponente (Zins, Fälligkeit) bzw. der aktionärstypischen Vermögensrechte (siehe Rz. 362) und bezüglich des mitgliedschaftlichen Elements (Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien), den neuen Instrumenten entsprechen.1969 Dies bedeutet aber nicht, dass § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG keine sinngemäße Anwendung im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG finden kann.1970 Die sinngemäße Anwendung darf nicht an dem Wortlaut der Vorschrift, der auf ihren unmittelbaren Anwendungsbereich zugeschnitten ist, haften.1971 Für sie ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Normzweck des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auch im Rahmen des § 221 Abs. 4 AktG verwirklicht werden kann.1972 Die Vorschrift des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG enthält eine typisierte Interessenabwägung des Inhalts,1973 dass bei Einhaltung der Voraussetzungen das sachliche unternehmerische Interesse der Gesellschaft an der Maßnahme der Kapitalbeschaffung unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses gegenüber den beeinträchtigten mitgliedschaftlichen Interessen überwiegt, weshalb der Ausschluss des Bezugsrechts ohne die grundsätzlich erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall (eingehend dazu Rz. 639 ff.) zulässig ist. Die typisierte Interessenabwägung beruht darauf, dass das Bezugsrecht der Aktionäre bei Einhaltung der Voraussetzungen wirtschaftlich wertlos und funktionslos sei.1974 Daher ist § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG auf Konstellationen sinngemäß anzuwenden, in denen das Bezugsrecht der Aktionäre auf die Bezugsobjekte des § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (siehe Rz. 566) wirtschaftlich wertlos und funktionslos ist.1975 1967 BT-Drucks. 12/6721, 10. 1968 BT-Drucks. 12/6721, 10; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 34; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 Rz. 58. 1969 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 146; Lutter, AG 1994, 429 (445); Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 42; ähnlich Habersack in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191: Vergleich mit vorhandenen Marktwerten sei regelmäßig ausgeschlossen. 1970 So aber Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 32; Heckschen, DNotZ 1995, 275 (286 f.); Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (226 f.); Klawitter, AG 2005, 792 (796 ff.); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 AktG Rz. 39; Lutter, AG 1994, 429 (445). 1971 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 95. 1972 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (38) = NZG 2006, 784; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Busch, AG 1999, 58 (60). 1973 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (38) = NZG 2006, 784; Groß, EuZW 1994, 395 (400); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 AktG Rz. 4; wohl nur begrifflich abweichend BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907 („Spezialfall sachlicher Rechtfertigung“); zweifelnd an der Vereinbarkeit mit Art. 29 Richtlinie 77/91/EWG (jetzt: Art. 33 Richtlinie 2012/30/EU) Hirte, ZIP 1994, 356 (362). 1974 BT-Drucks. 12/6721, 10. 1975 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 190 f.; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG

Fest

853

672

§ 221 AktG Rz. 673

Bezugsrecht der Aktionäre

b) Sinngemäße Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Einzelnen 673

Die gesetzgeberische Annahme, das Bezugsrecht sei wirtschaftlich wertlos und funktionslos (siehe Rz. 672) mit der Folge, dass bei der typisierten Abwägung das sachliche unternehmerische Interesse an der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses gegenüber den mitgliedschaftlichen Interessen der Aktionäre überwiege, beruht in dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG darauf, die Aktionäre hätten aufgrund der Begrenzung des Volumens der Kapitalerhöhung auf maximal zehn Prozent des Grundkapitals sowie der Koppelung des Ausgabebetrags der neuen Aktien an den Börsenpreis inhaltsgleicher, bereits an der Börse gehandelter Aktien eine zumutbare – vom Gesetz im Rahmen der Typisierung unterstellte – Möglichkeit, ihre jeweilige Beteiligungsquote durch Zukäufe über die Börse zu erhalten und auf diese Weise einer Verwässerung des Wertes ihrer Anteile vorzubeugen.1976 Hieraus folgt für die sinngemäße Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG, dass sie auf Konstellationen beschränkt ist, in denen es den Aktionären möglich und zuzumuten ist, die jeweiligen Instrumente über die Börse zuzukaufen und dadurch einer Beeinträchtigung ihrer mitgliedschaftlichen Interessen vorzubeugen. aa) Wandelschuldverschreibungen (1) Ausgabe gegen Geldleistung

674

Der unmittelbare Anwendungsbereich des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ist – im Gegensatz zu dem ursprünglichen Gesetzesentwurf1977 – auf Kapitalerhöhungen gegen Bareinlagen beschränkt. Diese Einschränkung beruht auf dem gesetzgeberischen Ziel, ausschließlich Kapitalerhöhungen zu Finanzierungszwecken zu erleichtern.1978 Vor dem Hintergrund, dass der Umtausch von (Wandel-)Schuldverschreibungen gegen Bezugsaktien nur dann keine Sacheinlage darstellt (§ 194 Abs. 1 Satz 2 AktG), wenn die Schuldverschreibungen – seien es solche einer Wandelanleihe (eingehend dazu Rz. 70 ff.), seien es solche einer besonders ausgestalteten Optionsanleihe (siehe Rz. 229) – gegen Geldleistung ausgegeben worden sind (eingehend dazu Rz. 124 ff.), kann für die sinngemäße Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen nichts anderes gelten.1979 Mit anderen Worten: Das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) kann gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ohne eine einzelfallbezogene Interessenabwägung nur ausgeschlossen werden, wenn die Wandelschuldverschreibung gegen Geldleistung ausgegeben werden soll. (2) Gegenstand eines möglichen Zukaufs über die Börse

675

Wandelschuldverschreibungen werden regelmäßig nicht zum Handel an der Börse zugelassen (siehe Rz. 781). Dadurch erlangt die Frage Bedeutung, ob eine sinngemäße Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen nur mög-

1976 1977 1978 1979

854

Rz. 109; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43a; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 103 f.; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 49; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (259); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 94; Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (687); wohl weitergehend Bader, AG 2014, 472 (487): Platzierung zu einem durch das Bookbuilding-Verfahren bestimmten (Markt-)Preis sei ausreichend. OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, ZIP 2006, 1440 (1441) = AG 2007, 37; BT-Drucks. 12/6721, 10. BT-Drucks. 12/6721, 3. BT-Drucks. 12/7848, 9. Siehe dazu Groß, DB 1994, 2431 (2432). OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Marsch-Barner, AG 1994, 532 (539); im Ergebnis ebenso Groß, DB 1994, 2431 (2436 f.).

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 676 § 221 AktG

lich ist, wenn die Wandelschuldverschreibungen ausnahmsweise an der Börse zugelassen werden sollen,1980 oder es ausreicht, dass die Aktien der Gesellschaft – seien es bereits umlaufende Aktien, seien es neue Aktien aus der zur Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte beschlossenen Kapitalerhöhung – an der Börse gehandelt werden und die Aktionäre diese erwerben können.1981 Gegen letzteres spricht, dass Wandelschuldverschreibungen den umtausch- bzw. bezugsberechtigten Gläubigern einen Mehrwert gegenüber der Aktie auch dann vermitteln, wenn sie zu einem marktgerechten Preis ausgegeben werden. Das vertragliche Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien eröffnet den Gläubigern nämlich eine Spekulationschance „auf dem Rücken der Altgesellschafter“1982. Diese resultiert daraus, dass die Gläubiger – im Gegensatz zu den Aktionären – nicht sogleich über den Erwerb der Bezugsaktie disponieren müssen, sondern bis zu dem Ende der Umtausch- oder Bezugsfrist abwarten können. Sie tragen daher – im Gegensatz zu den Aktionären – nicht das volle Risiko einer für sie ungünstigen Entwicklung des Aktienkurses.1983 Auch bei einer für die Gläubiger günstigen Entwicklung des Aktienkurses sind sie – im Vergleich zu den Aktionären – insoweit privilegiert, als nur sie bis zu der Ausübung des Umtausch- oder Bezugsrechts die Vorteile genießen, die ihnen die Schuldverschreibung (z.B. Zinsen, isolierte Veräußerung der Schuldverschreibung bei Optionsanleihen) gewährt.1984 Gleichwohl erachtet die überwiegende Ansicht eine sinngemäße Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG – zu recht – auch dann für möglich, wenn die Wandelschuldverschreibungen nicht an der Börse gehandelt werden. Gegenstand des mitgliedschaftlichen Bezugsrechts nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG sind zwar Wandelschuldverschreibungen und damit auch die mit diesen verbundene Spekulationschance (siehe Rz. 675). In der § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zugrundeliegenden typisierten Abwägung verliert das mitgliedschaftliche Interesse der ausgeschlossenen Aktionäre an der Spekulationschance aber erheblich an Gewicht. Das Bezugsrecht auf Wandelschuldverschreibungen einschließlich der Spekulationschance ist nämlich nur ein Surrogat für das Bezugsrecht auf die neuen Aktien (siehe Rz. 95, 565). Da letzteres bei der gesetzestypischen und marktüblichen Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte mittels einer bedingten Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) entfällt, besteht bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen in der Regel kein reales, sondern nur ein hypothetisches Bezugsrecht auf neue Aktien. Da dem bloß hypothetischen Aktienbezugsrecht keine (reale) Spekulationschance immanent ist, hat das mitgliedschaftliche Interesse hieran in der § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG zugrundeliegenden typisierten Abwägung kein derart erhebliches Gewicht, das gegenüber dem sachlich unternehmerischen Interesse der Gesellschaft an der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses überwiegen könnte. Daher ist es für die sinngemäße Anwendung 1980 So Klawitter, AG 2005, 792 (801). Für die Einführung einer Regelung dieses Inhalts plädieren Baums et al., Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“, zugleich BT-Drucks. 14/7515, Rz. 221. 1981 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (40) = NZG 2006, 784; Busch, AG 1999, 58 (62); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 146; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43a; Kniehase, AG 2006, 180 (183, 187); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 103; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 42; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 49; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (259); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 35; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 112; Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (680 ff.). Offen gelassen von BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06 – Rz. 2, AG 2007, 863 = NZG 2007, 907. 1982 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (40) = NZG 2006, 784; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 29; terminologisch abweichend Knobbe-Keuk, ZGR 1987, 312 (316). 1983 Siehe statt vieler OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (40) = NZG 2006, 784. 1984 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (40) = NZG 2006, 784.

Fest

855

676

§ 221 AktG Rz. 677

Bezugsrecht der Aktionäre

von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Aktionäre die Möglichkeit haben, ihre relative Beteiligung durch den Erwerb von Aktien der Gesellschaft über die Börse zu erhalten.1985 (3) Ausgabebetrag im Verhältnis zu dem „Börsenpreis“ 677

Ein Börsenpreis, der als Vergleichsmaßstab für den Ausgabebetrag erforderlich ist, existiert bei Wandelschuldverschreibungen auch dann nicht, wenn bereits umlaufende Wandelschuldverschreibungen desselben Emittenten zum Handel an der Börse zugelassen sind (eingehend dazu Rz. 672). Die damit einhergehende Notwendigkeit, den Börsenpreis durch einen anderen Wert zu ersetzen, steht der sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen nicht entgegen.1986 Es darf lediglich nicht an dem Begriff des Börsenpreises gehaftet werden.1987 Die Verwirklichung des Normzwecks, nämlich die Aktionäre vor einer wesentlichen Wertverwässerung ihrer Anteile zu schützen, die ihnen bei der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts auf Aktien droht, wenn die Wandelschuldverschreibungen zu einem vergleichsweise niedrigen Ausgabebetrag emittiert wurden, ist nicht von der Existenz eines Börsenpreises abhängig. Erforderlich ist lediglich ein Wert, der als Rechengröße bei einem Vergleich mit dem Ausgabebetrag der Wandelschuldverschreibungen zur Folge hat, dass das Umtausch- oder Bezugsrecht wirtschaftlich wertlos und funktionslos ist.1988 Diese Vorgabe erfüllt nur der (Gesamt-)Wert der Wandelschuldverschreibungen.1989 Ihr Ausgabebetrag darf also die Summe der Werte der einzelnen Elemente des zusammengesetzten Finanzinstruments, namentlich der Schuldverschreibung sowie des Umtausch- oder Bezugsrechts auf Aktien, nicht wesentlich unterschreiten. Dies gilt auch dann, wenn das Bezugsrecht auf Aktien von der Schuldverschreibung getrennt werden kann (siehe Rz. 212, 770). Die Gegenansicht, die darauf abstellt, dass der Ausgabebetrag der Wandelschuldverschreibungen den Umtausch- oder Optionspreis bzw. den hypothetischen Börsen- bzw. Marktwert einer vergleichbaren Option nicht wesentlich unterschreiten darf,1990 kann für sich zwar in Anspruch nehmen, dass sie den Aktionären eine zumutbare Alternative zu der Erhaltung ihrer Beteiligungsquote sichert, vermag aber eine

1985 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (40) = NZG 2006, 784; Busch, AG 1999, 58 (62); Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 56; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 146; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43a; Kniehase, AG 2006, 180 (183, 187); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 103; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 42; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 49; Schlitt/Seiler/Singhof, AG 2003, 254 (259); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 35; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 112; Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (680 ff.). 1986 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191. 1987 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (39) = NZG 2006, 784. 1988 Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 56; Ihrig in FS Happ, 2006, S. 109 (123); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 94; Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (683 f.). 1989 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (39) = NZG 2006, 784; LG München I v. 6.10.2005 – 5HK O 15445/05, AG 2006, 169; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 96, 101. 1990 So OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Casper, Der Optionsvertrag, 2005, S. 346; Groß, DB 1994, 2431 (2438); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 42; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 49; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 34; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 97, 98; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 70. Dagegen OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (39) = NZG 2006, 784.

856

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 679 § 221 AktG

unter Umständen wesentliche Wertverwässerung zu Lasten der Aktionäre nicht auszuschließen.1991 Die Ermittlung des (Gesamt-)Wertes der Wandelschuldverschreibungen – maßgeblich ist der Wert im Zeitpunkt der Ausgabe derselben1992 – kann finanzmathematisch auf Grundlage anerkannter Bewertungsverfahren (z.B. das Modell von Black und Scholes1993) erfolgen.1994 Eine Verpflichtung des Vorstands, den ermittelten (Gesamt-)Wert durch eine Fairness Opinion eines unabhängigen Dritten (in der Regel einer Investmentbank) bestätigen zu lassen, besteht grundsätzlich nicht.1995 Sie kann allerdings – was jedoch zunehmend seltener geschieht1996 – durch eine entsprechende Festsetzung in dem Beschluss der Hauptversammlung, durch den der Vorstand nicht nur nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen, sondern in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre ermächtigt wird (siehe Rz. 617), begründet werden.1997 Die finanzmathematische Ermittlung des (Gesamt-)Wertes der Wandelschuldverschreibung auf Grundlage der anerkannten Bewertungsverfahren ist nicht erforderlich, wenn der Ausgabebetrag der Wandelschuldverschreibung – nicht nur der Ausgabebetrag der Bezugsaktien – im Wege des Bookbuilding-Verfahrens oder eines vergleichbaren Verfahrens entsprechend der Nachfrage der Marktteilnehmer festgelegt wird.1998 In diesen Verfahren wird der Marktwert der Wandelschuldverschreibung ermittelt, weshalb eine (kumulative) finanzmathematische Berechnung ebenso obsolet ist wie die Überprüfung des Wertes durch einen unabhängigen Dritten im Rahmen einer Fairness Opinion.

678

Unterschreitet der Ausgabebetrag den (Gesamt-)Wert der Wandelschuldverschreibung (siehe Rz. 677 f.), ist die Divergenz nicht wesentlich, wenn sie fünf Prozent nicht überschreitet.1999

679

1991 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (39) = NZG 2006, 784; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 146. 1992 OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Groß, DB 1994, 2431 (2438); Ihrig in FS Happ, 2006, S. 109 (123); Kniehase, AG 2006, 180 (185 f.); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 103. 1993 Zu Einzelheiten siehe Black/Scholes, Journal of Political Economy 81 (1973), 637 ff.); Adams, ZIP 2002, 1325 (1326 ff. mit Fn. 6 ff.); Busch, AG 1999, 58 (61); Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluß bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechten, 2000, S. 108 ff.; Kniehase, AG 2006, 180 (186 f.). 1994 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (39 f.) = NZG 2006, 784; LG München I v. 6.10.2005 – 5HK O 15445/05, AG 2006, 169; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 100, 102; ablehnend Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 32: finanzmathematischer Wert ist kein Börsenkurs. 1995 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 43a; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 50; Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252 (253); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 37; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 118. 1996 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 50. 1997 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 50. 1998 Abweichend Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 108: Bookbuilding-Verfahren dient der Preisfindung, kumulativ zu der Bestimmung des theoretischen Marktwertes. 1999 Stadler in Bügers/Körber, § 221 AktG Rz. 70; vgl. auch BT-Drucks. 12/7848, 9; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 37; Schlitt/Schäfer, AG 2005, 67 (70); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 140; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 152; a.A. Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 107: drei Prozent.

Fest

857

§ 221 AktG Rz. 680

Bezugsrecht der Aktionäre

(4) Zehn-Prozent-Grenze 680

Die Möglichkeit, Wandelschuldverschreibungen oder Aktien der Gesellschaft zuzukaufen, ist den Aktionären als Alternative zu ihrem Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) nur zuzumuten und daher geeignet, einen Bezugsrechtsausschluss gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG in typisierter Weise sachlich zu rechtfertigen, wenn die Aktien, die für die Erfüllung der Verschaffungsansprüche aus den Umtausch- bzw. Bezugsrechten der Wandelschuldverschreibung erforderlich sind, zehn Prozent des Grundkapitals – maßgeblich ist nach überwiegender Ansicht das Grundkapital im Zeitpunkt der Beschlussfassung, es sei denn, dass das Grundkapital im Zeitpunkt der Ausnutzung der Ermächtigung niedriger ist2000 – nicht übersteigen.2001 bb) Andere Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind

681

Steht den Aktionären in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Bezugsrecht auf andere Wertpapiere als Wandelschuldverschreibungen zu, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (siehe Rz. 566), ist in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auch ein vereinfachter Bezugsrechtsausschluss möglich.2002 Dieser erfordert – vergleichbar den Voraussetzungen eines vereinfachten Bezugsrechtsausschlusses bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (eingehend dazu Rz. 670 ff.) –, dass (1) die Wertpapiere gegen Geldleistung ausgegeben werden (siehe Rz. 674), (2) die Wertpapiere selbst oder die Aktien der Gesellschaft – seien es bereits umlaufende Aktien, seien es neue Aktien aus der zur Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte beschlossenen Kapitalerhöhung – an der Börse gehandelt werden (siehe Rz. 676), (3) der Ausgabebetrag der Wertpapiere den (Markt-)Wert des Umtausch- oder Bezugsrechts auf Aktien2003 – einer finanzmathematischen Wertermittlung bedarf es nur, wenn der Ausgabebetrag der Wertpapiere nicht im Wege des BookbuildingVerfahrens oder eines vergleichbaren Verfahrens entsprechend der Nachfrage der Marktteilnehmer festgelegt wird (siehe Rz. 678) – nicht wesentlich unterschreitet (siehe Rz. 679) und (4) die Aktien, die für die Erfüllung der Verschaffungsansprüche aus den Umtausch- bzw. Bezugsrechten der Wandelschuldverschreibung erforderlich sind, zehn Prozent des bestehenden Grundkapitals nicht übersteigen (siehe Rz. 680). cc) Gewinnschuldverschreibungen, Genussrechte

682

Sofern der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte, die weder den Gläubigern noch der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen, einer sachlichen Rechtfertigung bedarf (eingehend dazu Rz. 628 ff.), findet § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG trotz der im Wortlaut eindeutigen Verweisung 2000 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 114; a.A. Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 36: maßgeblich sei allein das Grundkapital im Zeitpunkt der Ausnutzung. Abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 146: die Zehn-Prozent-Grenze müsse sowohl im Zeitpunkt der Ermächtigung als auch bei der Begebung gewahrt werden; so wohl auch Ihrig/ Wagner, NZG 2002, 657 (660 f.) zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. 2001 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (39) = NZG 2006, 784; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (85) = NZG 1998, 814; Groß, DB 1994, 2431 (2437); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 191; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 36; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 114; Singhof, ZHR 170 (2006), 673 (685); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 70. 2002 Marsch-Barner, AG 1994, 532 (539); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 82; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 126 jeweils für Wandel- und Optionsgenussrechte. 2003 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 192.

858

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 683 § 221 AktG

des § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG auch dann keine Anwendung,2004 wenn die Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte an der Börse zugelassen werden sollen. Grund hierfür ist nicht der Umstand, dass kein Börsenpreis für inhaltsgleiche Instrumente existiert (siehe Rz. 672), an dem sich der Ausgabebetrag zu orientieren hat;2005 im Rahmen der sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG könnte – wie bei Wandelschuldverschreibungen (siehe Rz. 677 f.) und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (siehe Rz. 681) – der (Markt-)Wert der Instrumente treten. Ursächlich ist vielmehr, dass die Instrumente keinen Bezug zum Grundkapital der Gesellschaft aufweisen.2006 Dieser Umstand hätte – bei einer als möglich zu unterstellenden sinngemäßen Anwendung von § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG auf die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen und die Gewährung von Genussrechten – zur Folge, dass die Zehn-Prozent-Grenze mangels eines Bezugspunktes keine Anwendung finden könnte.2007 Der sinngemäßen Anwendung des § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ohne die Zehn-Prozent-Grenze steht entgegen, dass sich deren Zweck nicht in dem Schutz der Beteiligungsquote der ausgeschlossenen Aktionäre erschöpft.2008 Sie soll überdies auch sicherstellen, dass die Aktionäre nur in zumutbarem Maße Zukäufe über die Börse tätigen müssen, um den Wert ihrer mitgliedschaftlichen Vermögensrechte zu erhalten (siehe Rz. 673). Entfiele die Zehn-ProzentGrenze, wäre nicht in sämtlichen tatbestandlich erfassten Konstellationen gewährleistet, dass die durch den Bezugsrechtsausschluss beeinträchtigten mitgliedschaftlichen (Vermögens-)Interessen der ausgeschlossenen Aktionäre in der Abwägung hinter dem sachlichen unternehmerischen Interesse der Gesellschaft an der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses zurücktreten. Daher ist bei dem Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte – sofern eine sachliche Rechtfertigung nach Ausgestaltung und Inhalt der Rechte erforderlich ist (eingehend dazu Rz. 628 ff.) – eine einzelfallbezogene Interessenabwägung auch dann erforderlich, wenn die Instrumente an der Börse gehandelt werden sollen und der Ausgabebetrag ihren (Markt-)Wert nicht wesentlich unterschreitet.

IV. Bericht des Vorstands (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) Gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG hat der Vorstand der Hauptversammlung einen schriftlichen Bericht über den Grund für den teilweisen oder voll2004 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 26; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 192; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 409; Hofmeister, Der erleichterte Bezugsrechtsausschluß bei Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genußrechten, 2000, S. 134; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657 (659); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 82; wohl auch Marsch-Barner, AG 1994, 532 (539); a.A. Groß, DB 1994, 2431 (2438). 2005 So aber Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 AktG Rz. 39. 2006 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 93; Groß, DB 1994, 2431 (2436); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 192; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 409; Ihrig/Wagner, NZG 2002, 657 (659); Klawitter, AG 2005, 792 (796); Marsch-Barner, AG 1994, 532 (539); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 125; wohl auch Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 26: Genussscheine haben keinen Bezug zum Börsenpreis der Aktien. 2007 So Groß, DB 1994, 2431 (2437). Abweichend Sethe, AG 1994, 342 (348 mit Fn. 48): das Volumen der ausgegebenen Gewinnschuldverschreibungen oder gewährten Genussrechte dürfe zehn Prozent des Grundkapitals nicht übersteigen. 2008 In diese Richtung aber wohl OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, ZIP 2006, 1440 (1441) = AG 2007, 37.

Fest

859

683

§ 221 AktG Rz. 684

Bezugsrecht der Aktionäre

ständigen Ausschluss des Bezugsrechts zugänglich zu machen. Diese unionsrechtlich nur für die Ausgabe von Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, vorgegebene Berichtspflicht (Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 2012/30/EU, ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 77/91/EWG) hat der deutsche Gesetzgeber nicht nur für Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) umgesetzt, sondern entsprechend dem Umfang des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) auf die Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und die Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) erstreckt. 684

Der Bericht dient in erster Linie dem Schutz der Aktionäre. Er soll die Hauptversammlung zuverlässig in die Lage versetzten, die Interessen der Gesellschaft an der zur Abstimmung gestellten Kapitalmaßnahme mit Bezugsrechtsausschluss zu bewerten, die Nachteile für die ausgeschlossenen Aktionäre zu erkennen und mit Alternativen abzuwägen.2009 Darüber hinaus ist der Bericht ein geeignetes und angemessenes Mittel, um das Vertrauen der Aktionäre in eine gründliche Vorbereitung der Kapitalmaßnahme durch den Vorstand zu fördern.2010 Schließlich bildet der Bericht eine sichere Ausgangsbasis für die gerichtliche Nachprüfung der sachlichen Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses (siehe Rz. 716), der es insbesondere überstimmten Minderheitsaktionären erlaubt, die Erfolgsaussichten einer Anfechtungsklage einzuschätzen.2011 1. Inhalt a) Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG)

685

In dem Bericht ist sowohl der Grund für den teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts anzugeben (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG) als auch der vorgeschlagene Ausgabebetrag (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG) zu begründen. Hinsichtlich des Grundes für den Ausschluss des Bezugsrechts hängen die inhaltlichen Mindestanforderungen maßgeblich davon ab, ob der Bezugsrechtsausschluss die Voraussetzungen des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG erfüllt (eingehend dazu Rz. 670 ff.) oder einer einzelfallbezogenen sachlichen Rechtfertigung bedarf (eingehend dazu Rz. 628 ff.).

2009 OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 (721) = AG 2009, 450; OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (533) = NZG 1998, 822; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (374); OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, AG 1991, 210 (211) = WM 1991, 539; LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2H O 1685/00, AG 2001, 375; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (44) = NZG 1998, 233; LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, AG 1992, 37 = NJW-RR 1991, 615; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 176, 178; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (326) = AG 1982, 252 = NJW 1982, 2444; OLG München v. 24.3.1993 – 7 U 3550/92, AG 1993, 283 (285) = WM 1993, 840; LG Kempten v. 1.12.2005 – 1 HKO 1714/05, AG 2006, 168; Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 (42); Bischoff, BB 1987, 1055 (1060); Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 75; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 99; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 93; Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 51; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 75; Lutter, ZGR 1979, 401 (409); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 104; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 80; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 25; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62. 2010 Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 80; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 117. 2011 Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 80.

860

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 687 § 221 AktG

aa) Gesetzlicher Regelfall: Einzelfallbezogene Interessenabwägung (1) Grund für den Bezugsrechtsausschluss Die Mindestanforderungen an den Inhalt des Vorstandsberichts ergeben sich aus seinem Zweck, die Hauptversammlung zuverlässig in die Lage zu versetzten, die Interessen der Gesellschaft an der zur Abstimmung gestellten Kapitalmaßnahme mit Bezugsrechtsausschluss zu bewerten, die Nachteile für die ausgeschlossenen Aktionäre zu erkennen und mit Alternativen abzuwägen (siehe Rz. 684). Hierfür genügt es nicht, die Motive für den Bezugsrechtsausschluss abstrakt zu umschreiben oder rein theoretische Möglichkeiten für den Bezugsrechtsausschluss aufzuzählen.2012 Vielmehr muss der Vorstand im Rahmen des Möglichen und im Interesse der Gesellschaft Zumutbaren2013 – unzumutbar ist die Offenlegung von Tatsachen, an denen ein durch § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG als berechtigt anerkanntes Geheimhaltungsinteresse besteht2014 – alle entscheidungserheblichen Tatsachen2015 mit den dazu angestellten Überlegungen aufzeigen, so dass die Hauptversammlung sich eine eigene Meinung zu dem vorgeschlagenen Bezugsrechtsausschluss bilden kann.

686

Hierzu ist es zunächst erforderlich, das sachliche unternehmerische Interesse an der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses (eingehend dazu Rz. 645 ff.) konkret darzulegen.2016 Hierfür muss der Vorstand insbesondere ausführen, zu welchem Zweck die Geld- oder Sachleistungen verwendet werden sollen2017 und welche Vorteile für das Unternehmen hieraus zu erwarten sind. Allgemeine Formulierungen – sei es in Bezug auf die Kapitalmaßnahme (z.B. das Bestehen einer attraktiven Finanzierungsmöglichkeit, die Notwendigkeit, das unternehmerische Betätigungsfeld zu erweitern), sei es hinsichtlich des Bezugsrechtsausschlusses (z.B. die Platzierung der Wertpapiere am Kapitalmarkt erfordere den Bezugsrechtsausschluss) – genügen hierfür nicht.2018

687

2012 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 f.; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (327) = AG 1982, 252 = NJW 1982, 2444; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 24; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 88; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 51; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 82; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 17. 2013 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (327) = AG 1982, 252 = NJW 1982, 2444 zu § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2014 Vgl. LG Landshut v. 24.1.1990 – HK O 1170/89, AG 1991, 71 (72); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 24. 2015 OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 (721) = AG 2009, 450; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (374); OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, AG 1991, 210 (211); LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (44) = NZG 1998, 233; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 24; Busch in MarschBarner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 75; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 149; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Lutter, BB 1981, 861 (863); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 105; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 122; Sethe, AG 1993, 293 (313); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62. 2016 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 75. 2017 OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 (721) = AG 2009, 450. 2018 OLG Frankfurt v. 17.9.1991 – 5 U 211/90, AG 1992, 271; OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2H O 1685/00, DB 2001, 1190 (1191); LG Frankfurt v. 4.7.1990 – 3/7 O 137/89, WM 1990, 1745 (1747 f.); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 178; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 99; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 93; Lutter in

Fest

861

§ 221 AktG Rz. 688

Bezugsrecht der Aktionäre

688

Werden die Instrumente gegen Geldleistung ausgegeben bzw. gewährt (eingehend dazu Rz. 646 ff.), muss der Vorstand in dem Bericht offenlegen, zu welchem Zweck die Mittel verwendet werden sollen.2019 Erfolgt die Ausgabe bzw. Gewährung zum Zweck der Sanierung des Unternehmens, hat der Vorstand ferner darzulegen, dass und in welchem Umfang der Bezugsrechtsausschluss einen höheren Emissionserlös erwarten lässt oder ein Investor – die namentliche Nennung kann im Einzelfall zumutbar sein – nur bei Ausschluss des Bezugsrechts zu konkret zu bezeichnenden Sanierungsmaßnahmen bereit sei (siehe Rz. 648). Ferner müssen die Vorzüge der jeweiligen Instrumente gegenüber anderen Sanierungsmitteln dargelegt werden.2020 Dient der Ausschluss des Bezugsrechts zum Ausgleich sog. Spitzenbeträge, muss in dem Bericht ausgeführt werden, dass der Kapitalbedarf des Unternehmens auch den auf die Spitzen entfallenden Erlös umfasst (siehe Rz. 649). Werden Wandelschuldverschreibungen oder stock options (eingehend dazu Rz. 205, 235) an Mitglieder der Geschäftsführung ausgegeben, muss dargelegt werden, ob und warum dieser Vergütungsbestandteil in seiner konkreten Ausgestaltung geeignet ist, die begünstigten Personen zu einer an der langfristigen Wertsteigerung orientierten Unternehmensstrategie zu motivieren (siehe Rz. 650).2021 Werden stock options oder Mitarbeitergenussrechte (siehe Rz. 353 ff.) an Arbeitnehmer gewährt, hat der Vorstand in dem Bericht auszuführen, ob und warum die Instrumente geeignet sind, die Identifikation der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen positiv zu beeinflussen und ihre Bindung an die Gesellschaft zu fördern (siehe Rz. 650 f.). Beschließt die Gesellschaft die Ausgabe bzw. Gewährung neuer Instrumente aufgrund ihrer Verpflichtung zum Verwässerungsschutz (eingehend dazu Rz. 652 ff.), müssen in dem Bericht die drohende Verwässerung, deren Ausmaß sowie die Eignung des Bezugsrechtsausschlusses, diese zu vermeiden, dargelegt werden. Soll die Hauptversammlung einen sog. gekreuzten Bezugsrechtsausschluss beschließen (siehe Rz. 660), muss der Vorstand in dem Bericht ausführen, welche Veränderungen in dem Verhältnis der Aktiengattungen mittelbar drohen und welche Nachteile diese für das Unternehmen hätten. Sollen die Instrumente an einen Geschäftspartner mit dem Ziel, eine neue Geschäftsbeziehung zu begründen oder eine bestehende Geschäftsbeziehung zu vertiefen, ausgegeben bzw. gewährt werden, muss der Bericht in den zumutbaren Einzelheiten darlegen, dass das andere Unternehmen ein strategisch wichtiger Kooperationspartner ist oder wesentliche Produkte liefern wird (siehe Rz. 661).

689

Werden die Instrumente gegen Sachleistung ausgegeben bzw. gewährt, muss der Vorstand in dem Bericht substantiiert darlegen, dass die Gesellschaft ein dringendes Interesse an dem Erwerb des Gegenstands hat, insbesondere welcher Nutzen damit angestrebt wird, und welche Vorteile (Art und Umfang) sich hieraus für die Aktionäre ergeben (siehe Rz. 664).2022

690

Um den Aktionären eine eigene Abwägung zu ermöglichen (siehe Rz. 684), muss der Vorstand in dem Bericht neben dem sachlichen unternehmerischen Interesse an der Kapitalmaßnahme unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (eingehend dazu Rz. 645 ff., 687 ff.) auch die beeinträchtigten mitgliedschaftlichen Interessen der Aktionäre (eingehend dazu Rz. 641 ff.) konkret benennen und die wirtschaftlichen Nachteile – einschließ-

2019 2020 2021

2022

862

KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 76; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 105; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62; vgl. auch LG Landshut v. 24.1.1990 – HK O 1170/89, AG 1991, 71 (72) zu § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 (376). Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 178; Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (229 f.); Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; wohl auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 105; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62. Vgl. Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 122 zu § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG.

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 693 § 221 AktG

lich der Auswirkungen auf die Gewinnausschüttungen2023 – quantifizieren.2024 Die hierfür erforderlichen Ausführungen entsprechen regelmäßig jedenfalls zum Teil der Begründung des vorgeschlagenen Ausgabebetrags (siehe Rz. 692 ff.). Schließlich muss der Vorstand in dem Bericht die für sein Abwägungsergebnis maßgeblichen Erwägungen und Wertungen offenlegen.2025 Hierzu ist es auch erforderlich, dass der Bericht darlegt, ob und – wenn ja – welche alternativen Gestaltungen, die die mitgliedschaftlichen Interessen der Aktionäre weniger zu beeinträchtigen scheinen, existieren und warum diese nicht vorgeschlagen werden (siehe Rz. 666 ff.).2026 Soll die Hauptversammlung – unter Wahrung der ausschließlichen Vergütungskompetenz des Aufsichtsrats (§ 87 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 561) – die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen oder die Gewährung von stock options zu Vergütungszwecken an Mitglieder des Vorstands beschließen, muss der Bericht im Hinblick auf § 87 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 AktG auch Ausführungen dazu enthalten, warum andere variable Vergütungsbestandteile, die keinen Einfluss auf die effektive Stimmrechtsmacht und den Beteiligungswert der Aktionäre hätten, nicht vorzugswürdig erscheinen.2027

691

(2) Ausgabebetrag Neben dem Grund für den teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 686 ff.) hat der Vorstand in dem Bericht auch den vorgeschlagenen Ausgabebetrag der Instrumente zu begründen, § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG. Der Zweck dieses Bestandteils des Vorstandsberichts besteht darin, den Aktionären die wirtschaftlichen Folgen des Bezugsrechtsausschlusses vor Augen zu führen (siehe Rz. 684) und ihnen die Prüfung zu ermöglichen, ob der Ausgabebetrag unangemessen niedrig ist und eine Anfechtung des Beschlusses der Hauptversammlung in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 721 ff.) Erfolg verspricht.2028

692

Soll der Ausgabebetrag der Instrumente von der Hauptversammlung in dem Zustimmungsbeschluss festgesetzt werden (siehe Rz. 541), sind in dem Vorstandsbericht die Berechnungs-

693

2023 LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 (376). 2024 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 (376); Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 93. 2025 OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 (721) = AG 2009, 450; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (44) = NZG 1998, 233; Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 24; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 178; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 149; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 75; Lutter, BB 1981, 861 (863); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 105; Seibt, CFL 2010, 165 (167); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 122; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62. 2026 OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, ZIP 2009, 718 (721) = AG 2009, 450; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (374); OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJWRR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 (376); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 178; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 93. 2027 Vgl. LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 (376). 2028 LG Memmingen v. 31.1.2001 – 2 H O 1685/00, AG 2001, 375 (376); Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 179; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 83 zu § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG.

Fest

863

§ 221 AktG Rz. 694

Bezugsrecht der Aktionäre

grundlagen sowie die angewandten Bewertungsmethoden offenzulegen.2029 Ein bloßer Hinweis auf allgemein anerkannte Bewertungsmethoden genügt insoweit nicht.2030 Der Wortlaut („Ausgabebetrag“) impliziert nicht, dass der Vorstand einen konkreten Ausgabebetrag beziffern (siehe Rz. 578 f.) und begründen muss.2031 Der Vorstand kann gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG auch vorschlagen, den Ausgabebetrag im Wege des Bookbuilding-Verfahrens oder eines vergleichbaren Verfahrens entsprechend der Nachfrage der Marktteilnehmer festzulegen (siehe Rz. 579). In diesen Fällen genügt es als Begründung, das jeweilige Verfahren offenzulegen.2032 694

Bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), sind neben dem Ausgabebetrag der Instrumente (siehe Rz. 693) auch sämtliche Modalitäten des Umtausch- bzw. Bezugsrechts zu begründen, die das Ausmaß des den Aktionären mittelbar drohenden Verlusts an effektiver Stimmrechtsmacht sowie der Verwässerung des Beteiligungswertes beeinflussen.2033 Hierzu zählen insbesondere die Anzahl der zur Erfüllung der möglichen Verschaffungspflichten erforderlichen (Bezugs-)Aktien, der Umtausch- bzw. Bezugspreis sowie die Bedingungen, unter denen das Umtauschbzw. Bezugsrecht ausgeübt werden kann (siehe Rz. 578).2034 Andere Bestimmungen in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen, durch die keine Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Interessen droht (z.B. eine Change-of-control-Klauseln), müssen in dem Bericht nicht erwähnt werden.2035 (3) Besonderheiten bei Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechten

695

Bedarf der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) im Einzelfall keiner sachlichen Rechtfertigung (eingehend dazu Rz. 636 ff.), gelten reduzierte Mindestanforderungen an den Berichts-

2029 Vgl. LG Frankfurt am Main v. 13.10.2003 – 3/1 O 50/03, DB 2003, 2541; Bayer, ZHR 168 (2004), 132 (153); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 53; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 24; Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 40; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 26; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 51; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 83; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 29 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG. 2030 Vgl. Bayer, ZHR 168 (2004), 132 (153); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 24; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 83; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 29 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG. 2031 Vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 83 zu § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG. 2032 LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (44) = NZG 1998, 233; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 83 zu § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG. 2033 OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (533) = NZG 1998, 822; LG Stuttgart v. 30.10.1997 – 5 KfH O 96/97, AG 1998, 41 (44) = NZG 1998, 233; Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 (42); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 179; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 99; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 92; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 63; ähnlich Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30: alle wesentlichen Konditionen der Wandelschuldverschreibungen. 2034 OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (533) = NZG 1998, 822; Baums in FS Claussen, 1997, S. 3 (42); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 179. 2035 von Falkenhausen/von Klitzing, ZIP 2006, 1513 (1517); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 87.

864

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 696 § 221 AktG

inhalt.2036 Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Vorstand einzelfallbezogen das Ziel der Kapitalmaßnahme darlegt und den Ausgabebetrag der Instrumente entsprechend den in Rz. 692 ff. beschriebenen Anforderungen begründet.2037 Bedarf der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte hingegen einer sachlichen Rechtfertigung, gelten die in Rz. 685 ff. dargelegten Grundsätze ohne Einschränkung.2038 bb) Sonderfall: Vereinfachter Bezugsrechtsausschluss Ein vereinfachter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. 696 § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ist nur bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), möglich (eingehend dazu Rz. 674 ff.). In diesen Fällen ist der Vorstandsbericht nicht entbehrlich.2039 Lediglich die Mindestanforderungen an die Darlegungen zu dem Grund für den teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG) sind erleichtert. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Vorstand – anstelle der einzelfallbezogenen Interessenabwägung (eingehend dazu Rz. 639 ff.) – die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG sowie seine Motive für den vorgeschlagenen Bezugsrechtsausschluss darlegt.2040 Im Einzelnen muss der Bericht Ausführungen dazu enthalten, dass (1) die Wertpapiere gegen Geldleistung ausgegeben werden (siehe Rz. 674, 681), (2) die Wandelschuldverschreibungen bzw. die anderen Wertpapiere selbst oder die Aktien der Gesellschaft an der Börse gehandelt werden (eingehend dazu Rz. 675 f., 681), (3) der Ausgabebetrag der Wertpapiere den (Markt-)Wert der Wandelschuldverschreibung bzw. den (Markt-)Wert des Umtausch- oder Bezugsrechts auf Aktien nicht wesentlich unterschreitet (eingehend dazu Rz. 677 ff., 681) und (4) die Aktien, die für die Erfüllung der Verschaffungsansprüche aus den Umtausch- bzw. Bezugsrechten der Wertpapiere erforderlich sind, zehn Prozent des bestehenden Grundkapitals nicht übersteigen (siehe Rz. 680, 681).

2036 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (154 f.) = NJW 1993, 400; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 177; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; Hirte, ZBB 1992, 50 (54); Sethe, AG 1993, 293 (313); a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 353. 2037 LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, NJW-RR 1991, 615 f.; Sethe, AG 1993, 293 (313). 2038 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 105; im Einzelfall ggf. einschränkend Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37: Ausführlichkeit hängt von der Ausgestaltung der aktionärstypischen Rechte ab. 2039 Vgl. Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1 (10); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 39f; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, Nachtrag zu § 186 AktG Rz. 20; Lutter, AG 1994, 429 (443); Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 37; Marsch-Barner, AG 1994, 532 (538); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 140; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 43 jeweils zu § 186 Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 2 AktG. 2040 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 177; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; vgl. auch OLG Hamburg v. 30.12.2004 – 11 U 98/04, AG 2005, 355 (359) = ZIP 2005, 1074; BT-Drucks. 12/6721, 10; Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1 (10); Hüffer/ Koch, § 186 AktG Rz. 39f; Krause in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 7 Rz. 42; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 37; Marsch-Barner, AG 1994, 532 (538); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 140; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 60; Trapp, AG 1997, 115 (120); Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 43.

Fest

865

§ 221 AktG Rz. 697

Bezugsrecht der Aktionäre

Die Ausführungen dürfen sich nicht in formelhaften Wendungen erschöpfen,2041 sondern müssen sich auf den Einzelfall beziehen.2042 Dies gilt insbesondere für den Ausgabebetrag (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 692 ff.) und – sofern der Ausgabebetrag nicht im Wege des Bookbuilding-Verfahrens oder eines vergleichbaren Verfahrens entsprechend der Nachfrage der Marktteilnehmer festgelegt wird – den Wert der Wandelschuldverschreibung bzw. des Umtausch- oder Bezugsrechts auf Aktien (siehe Rz. 678, 681). b) Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) 697

Einen schriftlichen Bericht über den beabsichtigten teilweisen oder vollständigen Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre hat der Vorstand auch dann zu verfassen und der Hauptversammlung gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG zugänglich zu machen, wenn die Hauptversammlung der Kapitalmaßnahme nicht zustimmen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG), sondern den Vorstand gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen – Gleiches gilt in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG auch für die Ausgabe anderer Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), und Gewinnschuldverschreibungen sowie für die Gewährung von Genussrechten (siehe Rz. 528) – ermächtigen soll. Dies gilt nicht nur bei einem definitiven Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung selbst, sondern auch dann, wenn der Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch zu dem Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt werden soll (eingehend dazu Rz. 617).2043

698

Im Vergleich zu einem Zustimmungsbeschluss (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) sind bei einer Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) nicht nur die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung des teilweisen oder vollständigen Ausschlusses des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) erheblich abgemildert (eingehend dazu Rz. 635), sondern auch die Mindestanforderungen an den Berichtsinhalt.2044 Hinsichtlich des Grundes für den Bezugsrechtsausschluss (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG) genügt – neben einzelfallbezogenen Ausführungen dazu, dass die Kapitalmaßnahme im Interesse der Gesellschaft liegt – eine abstrakte Umschreibung der Kapitalmaßnahme.2045 Da der definitive Bezugsrechtsausschluss (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG) ebenso wie die Ermächtigung des Vorstands, über den Aus2041 So aber Trapp, AG 1997, 115 (120) jeweils zu § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG. 2042 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 39 f. 2043 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 149; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 96; vgl. auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 180; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106: in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2044 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 96; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106; Stadler in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 64. 2045 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04 – Rz. 4, AG 2006, 246 = NZG 2006, 229; Groß in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 51 Rz. 50; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 Rz. 180; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 101; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 148; Hofmeister, NZG 2000, 713 (719); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 88; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 64; vgl. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = AG 1997, 465 = NJW 1997, 2815; OLG München v. 11.6.2015 – 23 U 4375/14, AG 2015, 677 (679); OLG Schleswig v. 27.5.2004 – 5 U 2/04, AG 2005, 48 (50); OLG Schleswig v. 18.12.2003 – 5 U 30/03, AG 2004, 155 (157); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 203 AktG Rz. 21, 40; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 26 jeweils

866

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 700 § 221 AktG

schluss des Bezugsrechts zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG analog), ein Bestandteil der Kapitalmaßnahme ist (siehe Rz. 710), muss das vom Vorstand darzulegende Interesse der Gesellschaft auch den Bezugsrechtsausschluss umfassen. Dies erfordert in den Fällen, in denen der Vorstand nicht nur zu der Durchführung der Kapitalmaßnahme, sondern auch zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt werden soll, die Darlegung, dass das Interesse der Gesellschaft an der abstrakt umschriebenen Kapitalmaßnahme unter Einschluss des vorgeschlagenen Bezugsrechtsausschlusses während des gesamten Ermächtigungszeitraums besteht.2046 Hinsichtlich des Ausgabebetrags ist eine Begründung (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 692 ff.) nur erforderlich, wenn die Hauptversammlung ausnahmsweise einen (konkreten) Ausgabebetrag beziffern oder das zur Ermittlung des Ausgabebetrags anzuwendende Verfahren festsetzen soll (siehe Rz. 693).2047 In dem praktischen Regelfall, dass die Hauptversammlung weder einen (konkreten) Ausgabebetrag beziffern noch das zur Ermittlung des Ausgabebetrags anzuwendende Verfahren festsetzen soll, besteht insoweit keine Begründungspflicht.2048 Gleiches gilt bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), auch hinsichtlich der Modalitäten des Umtausch- bzw. Bezugsrechts, die das Ausmaß des den Aktionären mittelbar drohenden Verlusts an effektiver Stimmrechtsmacht sowie der Verwässerung ihres Beteiligungswertes beeinflussen.

699

Umfasst die erteilte Ermächtigung in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch die Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (eingehend dazu Rz. 617), ist der Vorstand vor der Ausübung der Ermächtigung nicht (erneut) verpflichtet, die Aktionäre (schriftlich, siehe Rz. 701) über den Bezugsrechtsausschluss und dessen Gründe zu unterrichten.2049 Eine Pflicht dieses Inhalts ist § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, dessen Wortlaut allein auf die Beschlusskompetenz der Hauptversamm-

700

2046 2047

2048

2049

zu § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 96: konkrete Gründe. Vgl. Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 26. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 149; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 64; vgl. auch LG München I v. 2.4.1992 – 5 HK O 8840/91, AG 1993, 195 (196); Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 152; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 26; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 203 AktG Rz. 40 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (533); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 149; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 64; wohl auch Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30; vgl. auch LG München I v. 2.4.1992 – 5 HK O 8840/91, AG 1993, 195 (196); Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 152; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 26; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 203 AktG Rz. 40; jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. Bosse, ZIP 2001, 104 (107); von Falkenhausen/von Klitzing, ZIP 2006, 1513 (1517); Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 120; Sinewe, ZIP 2001, 403 (404); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 64; vgl. auch BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (244) = AG 2006, 36 = NJW 2006, 371; OLG Frankfurt v. 5.7.2011 – 5 U 104/10, AG 2011, 713 (714 Rz. 66); OLG Frankfurt v. 1.4.2003 – 5 U 54/01, AG 2003, 438 (439) = NZG 2003, 584; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 36; Kirchner/Sailer, NZG 2002, 305 (306 f.); Natterer, ZIP 2002, 1672 (1676); Quack, ZGR 1983, 257 (264); Schüppen in Seibert/Kiem/Schüppen, Handbuch der kleinen AG, 5. Aufl. 2008, Rz. 7.120 jeweils zu § 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG; a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 149, § 203 AktG Rz. 84 ff.; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 97; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37.

Fest

867

§ 221 AktG Rz. 701

Bezugsrecht der Aktionäre

lung zugeschnitten ist, bereits deshalb nicht zu entnehmen, weil anlässlich der Ausübung der Ermächtigung durch den Vorstand keine (außerordentliche) Hauptversammlung stattzufinden hat.2050 Außerdem widerspräche eine Pflicht zur erneuten Unterrichtung der Aktionäre dem Zweck der Ermächtigung, den Vorstand in die Lage zu versetzen, sich nur kurzfristig auf dem Kapitalmarkt bietende Gelegenheiten rasch und flexibel ausnutzen zu können (siehe Rz. 527), insofern, als die Durchführung der Vorabinformation regelmäßig zu einer erheblichen Verzögerung der Maßnahme führen und die für das Gelingen der Kapitalmaßnahme ggf. erforderliche und durch § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG als berechtigt anerkannte Geheimhaltung unterminieren würde.2051 Eine erneute Berichtspflicht ist auch für Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, durch Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) nicht geboten.2052 Für den Fall einer Ermächtigung des Vorstands zur Ausgabe dieser Instrumente verweist Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 Richtlinie 77/91/EWG) nur auf den Regelungsgehalt des Art. 33 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 77/91/EWG), der die Beschlussfähigkeit, die Mehrheitserfordernisse und die Offenlegung betrifft, nicht aber auf die ebenfalls dort niedergelegte Berichtspflicht des Vorstands. Daher ist der Vorstand lediglich gehalten, nach Inanspruchnahme der Ermächtigung über die Einzelheiten seines Vorgehens auf der nächsten ordentlichen Hauptversammlung der Gesellschaft zu berichten und Rede und Antwort zu stehen.2053 2. Form 701

Der Bericht ist gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG schriftlich zu erstatten. Für alle Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, ist dieses Formerfordernis durch Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 77/91/EWG) vorgegeben. Die Schriftlichkeit erfordert die körperliche Fixierung

2050 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (246) = AG 2006, 36 = NJW 2006, 371 zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). 2051 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (247) = NJW 2006, 371; Kübler/Mendelson/Smundheim, AG 1990, 461 (463); zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). 2052 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (248 f.) = AG 2006, 36 = NJW 2006, 371; Bayer in FS P. Ulmer, 2003, S. 21 (29); Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011, § 6 Rz. 82 f.; Hofmeister, NZG 2000, 713 (716); Kindler, ZGR 1998, 35 (63); Natterer, ZIP 2002, 1672 (1676); Paefgen, ZIP 2004, 145 (154) jeweils zu § 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2053 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 180; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 120, 121; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 64; vgl. auch BGH v. 10.10.2005 – II ZR 148/03 – Mangusta/Commerzbank I, BGHZ 164, 241 (244) = AG 2006, 36 = NJW 2006, 371; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (140) = NJW 1997, 2815; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 36; Marsch, AG 1981, 211 (215); Schüppen in Seibert/Kiem/Schüppen, Handbuch der kleinen AG, 5. Aufl. 2008, Rz. 7.120; Sinewe, ZIP 2001, 403 (405) jeweils zu § 203 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG; weitergehend Veil in K. Schmidt/Lutter, § 203 AktG Rz. 31a: schriftlicher Nachbericht. A.A. (Vorabinformation der Aktionäre) Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 158; Bayer, ZHR 168 (2004), 132 (155); Bayer in FS P. Ulmer, 2003, S. 21 (30); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 86; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 203 AktG Rz. 31; Lutter, JZ 1998, 50 (52); Lutter, BB 1981, 861 (863); Timm, DB 1982, 211 (215 f.) jeweils zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG).

868

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 702 § 221 AktG

des Berichts.2054 Hierdurch tragen der europäische Richtliniengeber und der deutsche Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass dem geschriebenen Wort eine größere Präzision, Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit zukommt als lediglich mündlichen Darlegungen in der Hauptversammlung.2055 Ferner muss der Bericht durch Vorstandsmitglieder mindestens in vertretungsberechtigter Zahl2056 unterzeichnet werden.2057 Die Unterschriften steigern den Informationsgehalt des Berichts dadurch, dass sie den Aktionären signalisieren, der Vorstand sei mehrheitlich mit dem Inhalt des Berichts einverstanden.2058 Ein nicht in dieser Weise unterzeichneter Bericht ist nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar (siehe Rz. 720). Der Eindruck, nur eine Minderheit des Vorstands würde „hinter dem Bericht stehen“, ist für die sachgerechte Ausübung des Stimmrechts objektiv urteilender Aktionäre wesentlich (§ 243 Abs. 4 Satz 1 AktG).2059 3. Offenlegung a) Außerhalb von Übernahmesachverhalten Seit der am 1.9.2009 in Kraft getretenen Änderung des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG durch das ARUG2060 hat der Vorstand seinen Bericht der Hauptversammlung nicht mehr notwendig in Papierform auszulegen.2061 Es genügt seither, den vollständigen Bericht während der Hauptversammlung elektronisch (z.B. über bereitgestellte Monitore) zugänglich zu machen.2062 2054 Vgl. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 186 AktG Rz. 101; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 57; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 132; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 84 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2055 Vgl. BGH v. 21.5.2007 – II ZR 266/04, AG 2007, 625 (627 Rz. 27) = NZG 2007, 714 zu § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 UmwG. 2056 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 84; a.A. (eigenhändige Unterschriften aller Vorstandsmitglieder) Hüffer in FS Claussen, 1997, S. 171 (176 ff.); Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 52; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 25; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 50; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 30; kritisch Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 149 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2057 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 84; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 30; a.A. (Unterzeichnung entbehrlich) Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 132 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2058 Vgl. BGH v. 21.5.2007 – II ZR 266/04, AG 2007, 625 (628 Rz. 28) = NZG 2007, 714 zu § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 UmwG; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 84: die Unterschrift gewährleiste die Authentizität de Berichts und unterstreiche seine Bedeutung. 2059 A.A. Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 132. Anderes gilt, wenn entgegen der hier vertretenen Ansicht die eigenhändige Unterschrift jedes einzelnen Vorstandsmitglieds als erforderlich erachtet wird und der Bericht – unzureichend – nur durch Vorstandsmitglieder in vertretungsberechtigter Zahl unterzeichnet ist. In diesem Fall fehlt es an der nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG erforderliche Relevanz der unvollständig erteilten Information, vgl. BGH v. 21.5.2007 – II ZR 266/04, AG 2007, 625 (628 Rz. 28) = NZG 2007, 714 zu § 8 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 UmwG; vgl. auch Hüffer in FS Claussen, 1997, 171 (174); Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 52 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2060 Art. 1 Nr. 28 Buchst. b i.V.m. Art. 16 Satz 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009 (BGBl. I 2009, 2479). 2061 Wohl a.A. Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 90; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 41; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 104; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 61. 2062 Vgl. BT-Drucks. 16/11642, 37, 25; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 150; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Schürnbrand in MünchKomm/AktG,

Fest

869

702

§ 221 AktG Rz. 703

Bezugsrecht der Aktionäre

Den Aktionären den Bericht erst während der Hauptversammlung zugänglich zu machen, würde die Erreichung des Normzwecks, die Aktionäre in die Lage zu versetzen, die Interessen der Gesellschaft an der zur Abstimmung gestellten Kapitalmaßnahme mit Bezugsrechtsausschluss zu bewerten, die Nachteile für die ausgeschlossenen Aktionäre zu erkennen und mit Alternativen abzuwägen (siehe Rz. 684), zumindest erheblich gefährden. In Anbetracht der Bedeutung eines Bezugsrechtsausschlusses und der Komplexität der von den Aktionären zu treffenden Abwägung, gebietet es der Normzweck, den Bericht bereits im Vorfeld der Hauptversammlung zu veröffentlichen. Im Einzelnen bestehen kumulativ folgende Offenlegungspflichten: 703

(1) Der Bericht ist in entsprechender Anwendung von § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG zumindest seinem wesentlichen Inhalt nach mit der Einberufung der Hauptversammlung in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt zu machen.2063

704

(2) Bei börsennotierten Gesellschaften hat der Vorstand den Bericht in entsprechender Anwendung von § 124a Satz 1 Nr. 3 AktG alsbald nach der Einberufung der Hauptversammlung über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich zu machen.2064

705

(3) Von der Einberufung der Hauptversammlung an, die über den Ausschluss des Bezugsrechts oder die Ermächtigung des Vorstands entscheiden soll (siehe Rz. 616, 617), hat die Gesellschaft den Bericht in entsprechender Anwendung der §§ 52 Abs. 2 Satz 2, 3, 175 Abs. 2 Satz 1, 2, 179a Abs. 2 Satz 1, 2, 293f Abs. 1, 2, 319 Abs. 3 Satz 1, 2 AktG in den Geschäftsräumen der (Haupt-)Verwaltung2065 der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auszulegen2066

2063

2064 2065

2066

870

4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 85; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 16 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (155 f.) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 176, 181; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 91, 94; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 104; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 36; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 87; vgl. auch OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 = NZG 2001, 1140; LG Berlin v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320 (1321); Bosse, ZIP 2001, 104 (105); Brandes, WM 1994, 2177 (2184); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 54; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 57; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 25; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 32; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 20; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 120; a.A. Becker, BB 1981, 394 (395); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 134 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 133; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86. Vgl. Heidinger in Spindler/Stilz, § 52 AktG Rz. 68; Pentz in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 52 AktG Rz. 27; Priester in Großkomm/AktG, 5. Aufl. 2016, § 52 AktG Rz. 66 jeweils zu § 52 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG; vgl. auch Brönner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1992, § 175 AktG Rz. 13; Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 175 AktG Rz. 9; Euler/Klein in Spindler/Stilz, § 175 AktG Rz. 26; Grigoleit/Zellner in Grigoleit, § 175 AktG Rz. 9; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 175 AktG Rz. 30; Hüffer/Koch, § 175 AktG Rz. 5; Reger in Bürgers/Körber, § 175 AktG Rz. 6 jeweils zu § 175 Abs. 2 Satz 1, 2 AktG; vgl. auch BGH v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 (39 Rz. 16) = AG 2011, 518 zu § 327c Abs. 3 AktG; a.A. (Ort, an dem der Vorstand amtiert) von Gleichenstein/Stallbaum, AG 1970, 217 (218). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 176, 181; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 91, 94; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/ Körber, § 221 AktG Rz. 61; vgl. auch LG Berlin v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320 (1321); LG Heidelberg v. 16.3.1988 – O 6/88 KfH II, ZIP 1988, 1257 (1258) = AG 1989, 447; Bayer, ZHR 168 (2004), 132 (153); Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 150; Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 186 AktG Rz. 102; Lutter in Köln-

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 706 § 221 AktG

und jedem Aktionär auf sein Verlangen unverzüglich eine kostenlose2067 Abschrift zu erteilen bzw. zuzusenden.2068 Diese Pflichten entfallen in entsprechender Anwendung der §§ 52 Abs. 2 Satz 4, 175 Abs. 2 Satz 4, 179a Abs. 2 Satz 3, 293f Abs. 3, 319 Abs. 3 Satz 3 AktG, wenn der Bericht – freiwillig oder zur Erfüllung der Pflicht aus dem entsprechend anzuwendenden § 124a Satz 1 Nr. 3 AktG (siehe Rz. 704) – während des genannten Zeitraums über die Internetseite der Gesellschaft zugänglich ist.2069 (4) Schließlich ist der Bericht zumindest seinem wesentlichen Inhalt nach in die Mitteilungen, die die Gesellschaft gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 AktG den Kreditinstituten und den Vereinigungen von Aktionären, die in der letzten Hauptversammlung Stimmrechte für Aktionäre ausgeübt oder die die Mitteilung verlangt haben, aufzunehmen und den Aktionären nach § 128 Abs. 1 Satz 1 AktG zu übermitteln.2070 Die Mitteilungspflichten erstrecken sich auf den gesamten in den Gesellschaftsblättern zu veröffentlichenden Einberufungstext.2071 Hierzu zählen auch die nach § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG bekanntzumachenden Informatio-

2067 2068

2069 2070

2071

Komm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 57; Lutter, ZGR 1979, 401 (409); Quack, ZGR 1983, 257 (263); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 31; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 20; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 121; a.A. OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (270) = WM 1991, 1920; Becker, BB 1981, 394 (395); Marsch, AG 1981, 211 (214); Martens, ZIP 1992, 1677 (1686); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 134. Offen gelassen von BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (156) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400 zu § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. Die Kostentragungspflicht der Gesellschaft ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 293f Abs. 2, 319 Abs. 3 Satz 2 AktG, siehe Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 30; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 176, 181; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 91, 94; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 104; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 61; wohl auch Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 90; vgl. auch LG Berlin v. 13.12.2004 – 101 O 124/04, DB 2005, 1320 (1321); LG Heidelberg v. 16.3.1988 – O 6/88 KfH II, ZIP 1988, 1257 (1258) = AG 1989, 447; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 150; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 57; Lutter, ZGR 1979, 401 (409); Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 20; a.A. OLG Bremen v. 22.8.1991 – 2 U 114/90, AG 1992, 268 (270) = WM 1991, 1920; Becker, BB 1981, 394 (395); Marsch, AG 1981, 211 (214); Martens, ZIP 1992, 1677 (1686); Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 134. Offen gelassen von BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (156) = AG 1993, 134 = NJW 1993, 400 zu § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 41; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 37; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 20. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 411; vgl. auch Busch in Marsch-Barner/ Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 74; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 150; Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986, S. 124; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 57; Lutter, BB 1981, 861 (863); a.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 181; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 104; vgl. auch Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 25; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 86. Hüffer/Koch, § 125 AktG Rz. 5; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 125 AktG Rz. 9; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 125 AktG Rz. 7.

Fest

871

706

§ 221 AktG Rz. 707

Bezugsrecht der Aktionäre

nen.2072 Für den Bericht, der in entsprechender Anwendung von § 124 Abs. 2 Satz 3 AktG zumindest seinem wesentlichen Inhalt nach in den Einberufungstext aufzunehmen ist (siehe Rz. 703), kann nichts anderes gelten. b) Übernahmesachverhalte 707

In Übernahmesachverhalten werden die Offenlegungspflichten nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG durch die entsprechend anzuwendende Sondervorschrift des § 16 Abs. 4 Satz 7 WpÜG verdrängt. Der unmittelbare Anwendungsbereich des § 16 Abs. 4 Satz 7 WpÜG ist zwar – wie sich aus der systematischen Stellung des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG ergibt – auf ordentliche Kapitalerhöhungen begrenzt. Bei der Ausgabe bzw. Gewährung von Wertpapieren, auf die die Aktionäre in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Bezugsrecht haben (siehe Rz. 566), gilt § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 AktG aber sinngemäß. Im Lichte dieser Geltungsanordnung erscheint es konsequent, § 16 Abs. 4 Satz 7 WpÜG in Konstellationen, in denen die Hauptversammlung der Zielgesellschaft nach der Veröffentlichung einer Angebotsunterlage die Ausgabe bzw. Gewährung von Wertpapieren beschließen soll, auf die § 221 AktG unmittelbar oder entsprechend anwendbar ist, entsprechend anzuwenden. Danach ist die Gesellschaft verpflichtet, den Bericht nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG allen Aktionären zugänglich und in Kurzform bekannt zu machen.

708

Die Verpflichtung, den Bericht allen Aktionären zugänglich zu machen, erfordert nach der Regierungsbegründung des WpÜG, den Bericht ungekürzt während der Hauptversammlung auszulegen.2073 Diese Medienfestlegung auf Papier hat der Reformgesetzgeber des ARUG in mehreren Vorschriften des Aktienrechts (z.B. §§ 52 Abs. 2 Satz 5, 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG) aufgebeben (siehe Rz. 702).2074 Die Formulierung „zugänglich zu machen“ ist medienneutral.2075 Daher genügt es, wenn der Bericht während der Hauptversammlung in anderer Form (z.B. elektronisch über bereitgestellte Monitore) einsehbar ist. Das telos der Berichtspflicht (siehe Rz. 684) erfordert ferner, dass der Bericht den Aktionären bereits im Vorfeld der Hauptversammlung ungekürzt zugänglich ist. Hierbei hat die Gesellschaft in entsprechender Anwendung der §§ 52 Abs. 2 Satz 2, 4, 175 Abs. 2 Satz 1, 4, 179a Abs. 2 Satz 1, 3, 293f Abs. 1, 3, 319 Abs. 3 Satz 1, 3 AktG die Wahl, ob sie den Bericht in den Geschäftsräumen der (Haupt-)Verwaltung der Gesellschaft zur Einsicht der Aktionäre auslegt oder – wie in der Praxis üblich – diesen alsbald nach der Einberufung der Hauptversammlung auf ihrer Internetseite veröffentlicht.2076

709

Zusätzlich ist der Bericht in Kurzform bekannt zu machen. Nach der Regierungsbegründung des WpÜG kann die Kurzform sehr knapp gefasst sein, wenn sie – unterstellt der ungekürzte Bericht wird auf der Internetseite veröffentlicht (siehe Rz. 708) – einen Hinweis auf die Fundstelle des online abrufbaren Berichts in ungekürzter Form enthält.2077 In An2072 Hüffer/Koch, § 125 AktG Rz. 5; Kubis in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2013, § 125 AktG Rz. 10; Rieckers in Spindler/Stilz, § 125 AktG Rz. 16; Werner in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1993, § 125 AktG Rz. 7. 2073 BT-Drucks. 14/7034, 47 zu § 16 Abs. 4 WpÜG-E. 2074 BT-Drucks. 16/11642, 25 zu § 52 Abs. 2 AktG-E, 37 zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG-E. 2075 Vgl. BT-Drucks. 16/11642, 25 zu § 52 Abs. 2 AktG-E. 2076 BT-Drucks. 14/7034, 47 zu § 16 Abs. 4 WpÜG-E; Hasselbach in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 16 WpÜG Rz. 90; Seiler in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 16 WpÜG Rz. 73; kritisch Wackerbarth in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 16 WpÜG Rz. 50: Bekanntgabe über die Internetseite sei eher eine Veröffentlichung als ein bloßes Zugänglichmachen. Abweichend Geibel in Geibel/Süßmann, 2. Aufl. 2008, § 16 WpÜG Rz. 103: Auslage und Veröffentlichung auf der Homepage seien kumulativ erforderlich. 2077 BT-Drucks. 14/7034, 47 zu § 16 Abs. 4 WpÜG-E.

872

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 710 § 221 AktG

betracht des Wortlauts, der nicht nur einen Hinweis auf die Veröffentlichung, sondern die Bekanntmachung des Berichts – wenngleich in Kurzform – verlangt, darf sich diese nicht in dem Hinweis erschöpfen. Erforderlich ist vielmehr, dass die Kurzform selbst den wesentlichen Inhalt des Berichts auch dann beinhaltet, wenn sie einen Hinweis darauf enthält, dass der ungekürzte Bericht in den Geschäftsräumen der Verwaltung zur Einsicht ausliegt oder auf der Internetseite veröffentlicht ist.2078 Die Kurzform ist mit der Einberufung der Hauptversammlung und der Tagesordnung in den Gesellschaftsblättern (§ 25 AktG) bekannt zu machen.2079 Ferner ist die Kurzform des Berichts – wie bei sinngemäßer Anwendung des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG im Rahmen von § 221 Abs. 4 AktG (siehe dazu Rz. 706) – in die Mitteilungen aufzunehmen, die die Gesellschaft den Kreditinstituten (§ 125 Abs. 1 Satz 1 AktG) und den Vereinigungen von Aktionären, die in der letzten Hauptversammlung Stimmrechte für Aktionäre ausgeübt oder die die Mitteilung verlangt haben, sowie diese den Aktionären übermitteln (§ 128 Abs. 1 Satz 1 AktG).2080

V. Fehlerhafter Ausschluss des Bezugsrechts, Rechtsschutz Die Hauptversammlung selbst kann das Bezugsrecht der Aktionäre aus § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG gemäß § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG nur in dem Beschluss ausschließen, durch den sie der Kapitalmaßnahme zustimmt (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff., 616) oder den Vorstand zu der Durchführung einer abstrakt umschriebenen Kapitalmaßnahme ermächtigt (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff., 617). Sieht der Beschluss der Hauptversammlung vor, dass der Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch über den Ausschluss des Bezugsrechts entscheidet (siehe Rz. 617), kann diese Ermächtigung nur in dem Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG) erteilt werden. Ergeht der Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre nicht als Bestandteil eines Gesamtbeschlusses mit dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss, ist er unwirksam.2081 Der unwirksame Bezugsrechtsausschluss ist ipso iure unbeachtlich und lässt das Bezugsrecht der Aktionäre unberührt.2082 Rechtskräftig festgestellt werden kann die Unwirksamkeit des Beschlusses insbesondere im Rahmen der gerichtlichen Geltendmachung des Bezugsrechts im Wege einer Zwischenfeststellungsklage (§ 256 Abs. 2 ZPO).

2078 Geibel in Geibel/Süßmann, 2. Aufl. 2008, § 16 WpÜG Rz. 104; Hasselbach in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 16 WpÜG Rz. 91; Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 16 WpÜG Rz. 44; Seiler in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 16 WpÜG Rz. 73; Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, 11. Lfg. 8/16, § 16 WpÜG Rz. 106; ähnlich Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, 2003, § 16 WpÜG Rz. 24: zumindest Beschlussgegenstand und Beschlussvorschlag seien zu nennen. 2079 Geibel in Geibel/Süßmann, 2. Aufl. 2008, § 16 WpÜG Rz. 105; Hasselbach in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 16 WpÜG Rz. 93; a.A. (freiwillige Bekanntmachung nach § 23 Abs. 4 AktG) Merkner/Sustmann in Baums/Thoma, 11. Lfg. 8/16, § 16 WpÜG Rz. 106; Seiler in Assmann/Pötzsch/ Uwe H. Schneider, 2. Aufl. 2013, § 16 WpÜG Rz. 73; unklar Noack/Zetzsche in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 16 WpÜG Rz. 44: Bekanntmachung an gleicher Stelle wie Zugänglichmachung. 2080 Geibel in Geibel/Süßmann, 2. Aufl. 2008, § 16 WpÜG Rz. 105. 2081 Vgl. Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennnotierte AG, § 42 Rz. 96; Hefermehl/ Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 186 AktG Rz. 148; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 42; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 51; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 81; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 147. 2082 Vgl. Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1993, § 186 AktG Rz. 148; Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 147.

Fest

873

710

§ 221 AktG Rz. 711

Bezugsrecht der Aktionäre

711

Wird der (Einzel-)Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts als Gesamtbeschluss mit dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss gefasst, erscheint eine Nichtigkeit des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss gemäß § 241 Nr. 4 AktG ausgeschlossen.2083 Der gegenteiligen Entscheidung des Reichsgerichts, die einen Verstoß gegen die guten Sitten nach dem Gesamtcharakter des Beschlusses – bestehend aus dessen Inhalt sowie den von der Mehrheit bei der Beschlussfassung verfolgten Beweggründen und Zwecken – für möglich erachtete,2084 ist zu widersprechen. Der für § 241 Nr. 4 AktG erforderliche Sittenverstoß muss sich – im Unterschied zu § 138 Abs. 1 BGB – nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift aus dem Beschlussinhalt und daher losgelöst von dem Motiv der Beschließenden und dem Zweck des Beschlusses ergeben.2085 Der Ausschluss des Bezugsrechts als solcher ist aber – in der Terminologie des BGH – „inhaltlich vom Standpunkt des Sittengesetzes farblos“2086. Verfolgt die Mehrheit mit dem Bezugsrechtsausschluss das Ziel, einen Sondervorteil zu erlangen, führt diese Absicht nicht zur Nichtigkeit des (Einzel-)Beschlusses über den Bezugsrechtsausschluss,2087 sondern lediglich zu dessen Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 2 AktG.2088

712

Ist die Ausschließungsabsicht fehlerhaft bekannt gemacht worden (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 623 ff., 713), der Bezugsrechtsausschluss bzw. die Ermächtigung des Vorstands hierzu nicht sachlich gerechtfertigt (eingehend dazu Rz. 628 ff., 714 ff.) oder hat der Vorstand die Berichtspflicht verletzt (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, eingehend dazu Rz. 683 ff., 720), ist der mit dem Zustimmungsoder Ermächtigungsbeschluss als Gesamtbeschluss gefasste (Einzel-)Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts nicht nichtig,2089 sondern lediglich anfechtbar gemäß § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG.2090 Gleiches gilt in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG, wenn der Ausgabebetrag oder der Mindestausgabebetrag der Instrumente unangemessen niedrig ist (eingehend dazu Rz. 721 ff.).

2083 Für möglich erachtet wird die Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 4 AktG von Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 42; Quack, ZGR 1983, 257 (266); einschränkend Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 96 („nur selten“); Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 147 („nur ganz ausnahmsweise“). 2084 RG v. 22.6.1923 – II 888/22, RGZ 107, 72 (74) für die ordentliche Kapitalerhöhung. 2085 Vgl. BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382 (385) = NJW 1955, 221; RG v. 22.1.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385 (388); OLG Karlsruhe v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12 – AK 63/12, NZG 2013, 818 (819); OLG Jena v. 5.11.2008 – 6 W 288/08, AG 2009, 582 (583) = NJW-RR 2009, 182; OLG München v. 15.11.2000 – 7 U 3916/00, AG 2001, 197 (198); Ehmann in Grigoleit, § 241 AktG Rz. 18; Englisch in Hölters, § 241 AktG Rz. 72; Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 21; K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 241 AktG Rz. 65; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 241 AktG Rz. 32; Würthwein in Spindler/Stilz, § 241 AktG Rz. 239. 2086 BGH v. 27.10.1951 – II ZR 44/50, NJW 1952, 98 (99). 2087 So aber Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 98 für besonders krasse Gestaltungen dieser Art. 2088 Vgl. A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 186 AktG Rz. 17. 2089 Vgl. Quack, ZGR 1983, 257 (266) für die Verletzung der Berichtspflicht des § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2090 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 194; vgl. auch von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 85; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 42; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 98; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 81; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 147; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 66; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 Rz. 21.

874

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 716 § 221 AktG

1. Einzelne Anfechtungsgründe a) Fehlerhafte Bekanntmachung der Ausschließungsabsicht Der (Einzel-)Beschluss der Hauptversammlung über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG) ist wegen Verletzung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 1 AktG anfechtbar (§ 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG), wenn die Ausschließungsabsicht nicht, nicht ordnungsgemäß (siehe Rz. 625) oder nicht ausdrücklich (siehe Rz. 626) bekannt gemacht worden ist.2091 Die hierfür nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG erforderliche Relevanz des Informationspflichtverstoßes ergibt sich bei dem Bezugsrechtsausschluss – unabhängig von dessen Umfang – ohne Weiteres aus dem Gewicht des Eingriffs in die Mitgliedschaft.2092 Ausgeschlossen ist die Anfechtbarkeit gemäß § 121 Abs. 6 AktG nur ausnahmsweise bei einer Vollversammlung, wenn kein Aktionär der Beschlussfassung widerspricht.2093

713

b) Unzureichende sachliche Rechtfertigung Die sachliche Rechtfertigung (eingehend dazu Rz. 628 ff.) ist eine ungeschriebene Voraussetzung des Bezugsrechtsausschlusses, die der Gesetzgeber im Zuge der Umsetzung der Vorgaben des Art. 29 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 77/91/EWG (heute: Art. 33 Abs. 6 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 Richtlinie 2012/30/EU) indirekt dadurch bestätigt hat, dass sie von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 AktG („Grund“) vorausgesetzt wird.2094 Da der Begriff des Gesetzes i.S.d. § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG auch ungeschriebenes Aktienrecht umfasst,2095 ist der (Einzel-)Beschluss über den Bezugsrechtsausschluss auch anfechtbar, wenn der Bezugsrechtsausschluss durch die Hauptversammlung selbst bzw. die Ermächtigung des Vorstands zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts nicht sachlich gerechtfertigt ist.2096

714

aa) Einschränkungen der gerichtlichen Nachprüfung Die gerichtliche Nachprüfung der sachlichen Rechtfertigung ist in dreifacher Hinsicht eingeschränkt:

715

(1) Die Grundlage für die gerichtliche Nachprüfung, ob der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre im Einzelfall durch ein sachliches unternehmerisches Interesse gerechtfertigt ist, bildet der schriftliche Bericht des Vorstands (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG, eingehend dazu Rz. 683 ff.).2097 Er begrenzt den Verfahrensstoff auf die in dem Be-

716

2091 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 22; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 23; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 81; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79, 147; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 24; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 186 AktG Rz. 15; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 112. 2092 Vgl. Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 24; vgl. auch BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 (165) = AG 2002, 241 = NJW 2002, 1128 zu § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG. 2093 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 22; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 47; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 79; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 24. 2094 Siehe statt vieler BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (325 f.) = NJW 1982, 2444; Hüffer/Koch, § 186 Rz. 25; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 20, 28. 2095 Göz in Bürgers/Körber, § 243 AktG Rz. 3; Ehmann in Grigoleit, § 243 AktG Rz. 3; Englisch in Hölters, § 243 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 243 AktG Rz. 5; K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 243 AktG Rz. 9; Würthwein in Spindler/Stilz, § 243 AktG Rz. 58. 2096 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43. 2097 LG Frankfurt am Main v. 4.7.1990 – 3/7 O 137/89, WM 1990, 1745 (1747) = AG 1990, 551; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 176; Merkt in K. Schmidt/Lutter,

Fest

875

§ 221 AktG Rz. 717

Bezugsrecht der Aktionäre

richt enthaltene Begründung. Diese kann sowohl in der Hauptversammlung als auch in einem gerichtlichen Anfechtungsverfahren lediglich vertieft werden. Ein Austausch der Begründung sowie wesentliche Ergänzungen sind hingegen unzulässig.2098 Für mündliche Ausführungen des Vorstands in der Hauptversammlung ergibt sich dies bereits daraus, dass der Bericht schriftlich zu erstatten ist (siehe Rz. 701).2099 Für das gerichtliche Anfechtungsverfahren ergibt sich Gleiches daraus, dass die Gesellschaft mit dem Vortrag anderer als der in dem Bericht genannten Gründe implizit die Unvollständigkeit des eigenen Berichts und damit die Anfechtbarkeit des Beschlusses einräumen würde.2100 717

(2) Der Maßstab der gerichtlichen Nachprüfung ist dadurch eingeschränkt, dass es nicht Aufgabe der Gerichte ist, die eigene wirtschaftliche Beurteilung nachträglich an die Stelle einer in freier unternehmerischer Verantwortung beschlossenen, sachlich abgewogenen Entscheidung zu setzen.2101 Daher muss sich die beschlossene Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses bei rückblickender Betrachtung nicht als die unbedingt gebotene, allein mögliche und darum absolut richtige Maßnahme erweisen.2102 Erforderlich, aber auch ausreichend, ist vielmehr, dass die an der Entscheidung beteiligten Organe nach dem tatsächlichen Bild, wie es sich zur Zeit der Beschlussfassung darbot, aufgrund einer sorgfältigen, von gesellschaftsfremden Erwägungen freien Abwägung davon ausgehen durften, die Kapitalmaßnahme unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses sei zum Besten der Gesellschaft und damit letztlich aller Aktionäre.2103 Voraussetzung hierfür ist, dass das Organ bei der Abwägung keine wesentliche Tatsache unberücksichtigt gelassen hat, der Bericht also im Rahmen des Möglichen und im Interesse der Gesellschaft Zumutbaren sämtli-

2098

2099 2100 2101

2102 2103

876

§ 221 AktG Rz. 104; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 62; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, BGHZ 83, 319 (326) = NJW 1982, 2444; OLG Celle v. 29.6.2001 – 9 U 89/01, AG 2002, 292 (293) = NZG 2001, 1140; von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 55; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 37; Lutter, BB 1981, 861 (863); Marsch-Barner in Bürgers/ Körber, § 186 AktG Rz. 24; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 48; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 132; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 80, 110; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 25; Wiedemann in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 118. OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; LG Frankfurt am Main v. 4.7.1990 – 3/7 O 137/89, WM 1990, 1745 (1748) = AG 1990, 551; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 95; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 77; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 65; wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 182; vgl. auch Hüffer/ Koch, § 186 AktG Rz. 37; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 47; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 82; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 110; a.A. LG München I v. 3.5.1990 – 12 HKO 15563/89, AG 1991, 73 (74) = WM 1990, 984; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 52. De lege ferenda für eine Lockerung der inhaltlichen Anforderungen Martens, ZIP 1992, 1677 (1684 ff.). Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 33; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 44; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 73. LG Frankfurt am Main v. 4.7.1990 – 3/7 O 137/89, WM 1990, 1745 (1748) = AG 1990, 551; vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 37; Lutter, ZGR 1979, 401 (415). Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (49 f.) = NJW 1978, 1316; OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86); OLG Stuttgart v. 12.8.1998 – 20 U 111/97, AG 1998, 529 (531); LG München I v. 3.5.1990 – 12 HKO 15563/89, AG 1991, 73 (74); Hüffer, ZHR 161 (1997), 214 (228). Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (49) = NJW 1978, 1316; OLG Köln v. 13.1.2014 – 18 U 175/13, ZIP 2014, 263 (266). Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (50) = NJW 1978, 1316; ähnlich OLG Köln v. 13.1.2014 – 18 U 175/13, ZIP 2014, 263 (266); OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 36; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 59.

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 719 § 221 AktG

che entscheidungserheblichen Tatsachen erkennen lässt (eingehend dazu Rz. 686).2104 Da die gerichtliche Nachprüfung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung der Hauptversammlung abzustellen hat,2105 müssen erst nach der Beschlussfassung eingetretene Umstände stets unberücksichtigt bleiben. Umstände, die hingegen bereits bei der Beschlussfassung existent, dem handelnden Organ aber nicht bekannt waren, durften – in Anlehnung an § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG – hingegen nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Organ vernünftigerweise annehmen durfte, auf Grundlage vollständiger Informationen zu handeln.2106 Schließlich müssen die der Abwägung zugrunde gelegten Tatsachen inhaltlich zutreffend sein.2107 (3) Hinsichtlich der eigentlichen Abwägung (eingehend dazu Rz. 639 ff.) sowie der zugrunde liegenden Wertungen und Prognosen (z.B. einen höheren Emissionserlös bei Ausschluss des Bezugsrechts erzielen zu können) besteht ein unternehmerisches Beurteilungsermessen, dessen Kernbereich der gerichtlichen Nachprüfung entzogen ist.2108 Daher genügt es, dass die Abwägung sowie die ihr zugrunde liegenden Wertungen und Prognosen auf nicht zu beanstandenden Tatsachen (siehe Rz. 686, 716) beruhen, frei von gesellschaftsfremden Erwägungen getroffen wurden2109 und das Ergebnis plausibel erscheint (Plausibilitätskontrolle).2110

718

bb) Darlegungs- und Beweislast Entsprechend den Ausführungen des BGH in der Entscheidung Kali & Salz muss der den Hauptversammlungsbeschluss anfechtende Gesellschafter den behaupteten sachlich-rechtlichen Mangel als Klagegrund beweisen.2111 Diese – unglückliche – Formulierung darf nicht dahingehend verstanden werden, der Gesellschafter müsse Tatsachen darlegen und ggf. beweisen, die eine sachliche Rechtfertigung im Einzelfall ausschließen.2112 Stattdessen gilt eine gestufte Darlegungs- und Beweislast. Die sachliche Rechtfertigung ist eine ungeschriebene Voraussetzung für den Bezugsrechtsausschluss (siehe Rz. 628 ff., 714). Daher obliegt die primäre Behauptungslast – worauf in der Literatur im Ausgangspunkt zutreffend hingewiesen wird –

2104 Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 225; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 36. 2105 Vgl. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 36; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 47. 2106 Wohl a.A. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 36: nachträglich bekanntgewordene Umstände seien stets nicht zu berücksichtigen. 2107 Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 225; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 36. Im Ergebnis auch Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 143; Servatius in Spindler/ Stilz, § 186 AktG Rz. 54 unter Heranziehung der Business Judgement Rule. 2108 LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, AG 1992, 37 (38) = NJW-RR 1991, 615; vgl. auch Lutter, ZGR 1979, 401 (405); von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 65; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 36; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 47; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 56; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 108; ähnlich Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 143; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 54, die jeweils die Business Judgement Rule heranziehen wollen. 2109 Vgl. OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814; Hüffer/ Koch, § 186 AktG Rz. 36; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 56; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 109. 2110 LG Bremen v. 2.11.1990 – 15 O 22/90, 15 O 147/90, AG 1992, 37 (38) = NJW-RR 1991, 615; vgl. auch OLG Braunschweig v. 29.7.1998 – 3 U 75/98, AG 1999, 84 (86) = NZG 1998, 814; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 56; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 54 jeweils zu § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG. 2111 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (48) = NJW 1978, 1316; dem folgend LG Landshut v. 24.1.1990 – HK O 1170/89, AG 1991, 71 (73). 2112 So aber wohl OLG Frankfurt v. 6.7.1976 – 14 U 103/75, AG 1976, 298 (301).

Fest

877

719

§ 221 AktG Rz. 720

Bezugsrecht der Aktionäre

der Gesellschaft.2113 Da sie jedoch daran gehindert ist, für die sachliche Rechtfertigung andere als die in dem Vorstandsbericht genannten Gründe vorzutragen (siehe Rz. 716), kommt sie dieser Behauptungslast bereits dadurch nach, dass sie den Inhalt des Berichts in das gerichtliche Verfahren einführt. Nunmehr obliegt es dem den Beschluss anfechtenden Gesellschafter, aufzuzeigen, dass der Bericht zumindest einen sachlich-rechtlichen Mangel aufweist (z.B. das sachliche unternehmerische Interesse an dem Ausschluss des Bezugsrechts in dem Vorstandsbericht auf eine unrichtige Tatsache gestützt wird).2114 Angesichts der Schwierigkeit, als Aktionär einen solchen Beweis zu führen, sowie der Tatsache, dass die Gesellschaft über alle zur Klärung erforderlichen Unterlagen und Informationen verfügt, wird der anfechtende Gesellschafter bei der Erfüllung dieser Obliegenheit entlastet.2115 Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass er im Einzelfall mögliche Mängel (z.B. die Berücksichtigung gesellschaftsfremder Erwägungen) zumindest in Umrissen aufzeigt. Soweit dem Kläger dies gelingt, muss die Gesellschaft jeden behaupteten Mangel im Einzelnen ausräumen, wozu sie auch die in dem Bericht dargelegten Gründe vertiefen darf (siehe Rz. 716). Schließlich obliegt es dem Kläger, die hierzu vorgetragenen Tatsachen zu widerlegen.2116 c) Verletzung der Berichtspflicht 720

Verletzt der Vorstand die ihm obliegende Berichtspflicht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG) – sei es, dass der Bericht den inhaltlichen Mindestanforderungen nicht genügt (eingehend dazu Rz. 685 ff.), sei es, dass der Bericht der Hauptversammlung nicht ordnungsgemäß zugänglich gemacht wird (eingehend dazu Rz. 702 ff.) –, ist der (Einzel-)Beschluss der Hauptversammlung über den Bezugsrechtsausschluss grundsätzlich nach § 243 Abs. 1 Alt. 1 AktG anfechtbar.2117 Die Offenlegungspflichten ergeben sich zwar nicht aus den §§ 121-128 AktG, weshalb eine Anwendung von § 121 Abs. 6 AktG ausscheidet, sind aber aufgrund des intendierten Schutzes der Aktionäre (siehe Rz. 684) verzichtbare Beschlussvoraussetzungen. Daher ist die Anfechtbarkeit zum einen ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn eine Vollversammlung der Aktionäre ausdrücklich beschließt, auf die Einhaltung der Offenlegungspflichten zu verzichten.2118 Zum anderen kann die Anfechtbarkeit nach § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG im Einzelfall ausgeschlossen sein,2119 wenn die Gesellschaft z.B. nur die Auslegung des Berichts in den Geschäftsräumen der (Haupt-)Verwaltung der Gesellschaft (siehe Rz. 705) versäumt hat und der Grund für den Bezugsrechtsausschluss offensichtlich ist.2120

2113 Vgl. Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung, 1986, S. 221; Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 38; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 48; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 57; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 111. 2114 Füchsel, BB 1972, 1533 (1537). 2115 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (48) = NJW 1978, 1316. 2116 Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (48) = NJW 1978, 1316; LG Landshut v. 24.1.1990 – HK O 1170/89, AG 1991, 71 (73). 2117 OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (374); OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 = AG 1991, 210; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 182; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 104; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 95, 113; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 106; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 87; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 65. 2118 Vgl. Hermanns in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 186 AktG Rz. 9; Hoffmann-Becking, ZIP 1995, 1 (7); Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 23; Liebert, Der Bezugsrechtsausschluss bei Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften, 2003, S. 50; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 AktG Rz. 24; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 80; Servatius in Spindler/Stilz, § 186 AktG Rz. 33. 2119 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43. 2120 Vgl. OLG Stuttgart v. 20.12.2000 – 20 U 45/00, AG 2001, 200 (201) = NZG 2001, 232; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 135.

878

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 722 § 221 AktG

d) Unangemessen niedriger Ausgabebetrag Wird das Bezugsrecht der Aktionäre auf neue Aktien ganz oder zum Teil ausgeschlossen, 721 kann die Anfechtung des Beschlusses über die Kapitalerhöhung gemäß § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG auch darauf gestützt werden, dass der sich aus dem Erhöhungsbeschluss ergebende Ausgabebetrag oder der Mindestausgabebetrag, unter dem die neuen Aktien nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist. Diesem besonderen Anfechtungsgrund liegt die gesetzgeberische Wertentscheidung zugrunde, dass den (Alt-)Aktionären bei einem Ausschluss ihres Bezugsrechts nur eine verhältnismäßig geringe Wertverwässerung ihrer Anteile zuzumuten ist.2121 Dieses Gebot der Verhältnismäßigkeit ist nicht auf ordentliche Kapitalerhöhungen unter Ausschluss des Bezugsrechts beschränkt, sondern gilt entsprechend auch für andere Kapitalmaßnahmen, bei denen den (Alt-)Aktionären aufgrund eines Bezugsrechtsausschlusses eine unverhältnismäßige Wertverwässerung ihrer Anteile droht,2122 insbesondere bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.)2123 und anderen Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können (z.B. Wandelgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.) oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), sowie bei der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.)2124 und der Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.)2125. aa) Zustimmungs- und Ermächtigungsbeschluss An die Stelle des Beschlusses über die Kapitalerhöhung tritt bei entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG auf das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 562 ff.) der Beschluss, durch den die Hauptversammlung einer konkreten Kapitalmaßnahme nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG zustimmt (eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder den Vorstand gemäß § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Durchführung der abstrakt umschriebenen Kapitalmaßnahme ermächtigt (eingehend dazu Rz. 527 ff.). Während die Hauptversammlung bei der Zustimmung zu einer konkreten Kapitalmaßnahme den Ausgabe- oder Mindestausgabebetrag der Instrumente selbst festsetzen muss (siehe Rz. 510 ff.), hat sie bei einer Ermächtigung des Vorstands die Wahl, ob sie den Ausgabe- oder Mindestausgabebetrag der Instrumente in dem Ermächtigungsbeschluss selbst festsetzt oder die Bestimmung des Ausgabebetrags dem ermächtigten Vorstand überträgt (siehe Rz. 529 ff.). 2121 K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 AktG Rz. 1. 2122 Zu der Ausdehnung auf andere Kapitalmaßnahmen siehe Ehmann in Grigoleit, § 255 AktG Rz. 5; Göz in Bürgers/Körber, § 255 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 16 f.; J. Koch in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 255 AktG Rz. 11 ff.; K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 AktG Rz. 6 f.; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 255 AktG Rz. 10. 2123 Ehmann in Grigoleit, § 255 AktG Rz. 5; Göz in Bürgers/Körber, § 255 AktG Rz. 3; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 143; J. Koch in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 255 AktG Rz. 15; Paefgen, AG 1999, 67 (69); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 255 AktG Rz. 10; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 73; Stilz in Spindler/Stilz, § 255 AktG Rz. 13. 2124 Ehmann in Grigoleit, § 255 AktG Rz. 5; Göz in Bürgers/Körber, § 255 AktG Rz. 3; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 410; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 73. 2125 Ehmann in Grigoleit, § 255 AktG Rz. 5; Göz in Bürgers/Körber, § 255 AktG Rz. 3; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 85; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 410; Hirte, ZIP 1988, 477 (486); J. Koch in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 255 AktG Rz. 15; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; K. Schmidt in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 AktG Rz. 6; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 255 AktG Rz. 10; Sethe, AG 1993, 351 (369); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 73; Stilz in Spindler/Stilz, § 255 AktG Rz. 13.

Fest

879

722

§ 221 AktG Rz. 723

Bezugsrecht der Aktionäre

Anfechtbar sind Ermächtigungsbeschlüsse in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG – vergleichbar einem Beschluss zur Schaffung eines genehmigten Kapitals (§§ 202 Abs. 2 Satz 1, 179 Abs. 1 Satz 1 AktG)2126 – daher nur, wenn die Hauptversammlung den Ausgabe- oder Mindestausgabebetrag der Instrumente in dem Ermächtigungsbeschluss selbst festgesetzt hat.2127 Hat die Hauptversammlung den Vorstand ohne Festsetzung des Ausgabeoder Mindestausgabebetrags zu der Ausgabe der Instrumente ermächtigt, scheidet zwar eine Anfechtung des Ermächtigungsbeschlusses in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG aus.2128 Werden die Instrumente aber zu einem unangemessen niedrigen Betrag ausgegeben bzw. gewährt, kommt eine Schadensersatzpflicht der Vorstandsmitglieder gegenüber der Gesellschaft (§ 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) in Betracht. bb) Ausschluss des Bezugsrechts 723

Die entsprechende Anwendung des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG setzt ferner voraus, dass das Bezugsrecht der Aktionäre nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 562 ff.) ganz oder zum Teil ausgeschlossen worden ist. Da Gegenstand der Anfechtung nur ein Beschluss der Hauptversammlung sein kann (§ 243 Abs. 1 AktG), muss die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre – wie in dem unmittelbaren Anwendungsbereich des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG gemäß § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG einzig möglich – selbst ausgeschlossen haben. Während die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und andere Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) sowie auf Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) bei der Zustimmung zu einer konkreten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) nur selbst in einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss ausschließen kann (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG, siehe Rz. 616), hat sie bei einer Ermächtigung des Vorstands nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) die Wahl, ob sie das Bezugsrecht in einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss selbst ausschließt oder den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt (siehe Rz. 617). Schließt erst der hierzu ermächtigte Vorstand das Bezugsrecht der Aktionäre aus, ist der Ermächtigungsbeschluss – wie bei der Schaffung eines genehmigten Kapitals2129 – auch dann nicht in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG anfechtbar, wenn die Instrumente zu einem unangemessen niedrigen Ausgabebetrag ausgegeben bzw. gewährt werden (siehe Rz. 722).

724

Ein Ausschluss des unmittelbaren Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 565 ff.) liegt zwar formal auch dann vor, wenn es durch ein sog. mittelbares Bezugsrecht (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG, eingehend dazu Rz. 593 ff.) ersetzt wird (siehe Rz. 594). Sofern die Mediatisierung des Bezugsrechts aufgrund der Fiktion des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 Satz 1 AktG aber materiell nicht als Ausschluss des Bezugsrechts anzusehen ist (eingehend dazu Rz. 595 ff.), ist die Anfechtbarkeit des Zustim2126 Ehmann in Grigoleit, § 255 AktG Rz. 5; Hüffer/Koch, § 255 AktG Rz. 15; J. Koch in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 255 AktG Rz. 14; K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 AktG Rz. 4; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 255 AktG Rz. 7; Stilz in Spindler/Stilz, § 255 AktG Rz. 10. 2127 A.A. OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (41) = NZG 2006, 784: keine Anwendung auf Ermächtigungsbeschlüssen, unabhängig davon, ob die Hauptversammlung den Bezugsrechtsausschluss selbst beschließt oder den Vorstand hierzu ermächtigt. 2128 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (41) = NZG 2006, 784. 2129 K. Schmidt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 255 AktG Rz. 10.

880

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 727 § 221 AktG

mungs- oder Ermächtigungsbeschlusses in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 2 AktG auch dann ausgeschlossen, wenn der von der Hauptversammlung festgesetzte Ausgabe- oder Mindestausgabebetrag der Instrumente unangemessen niedrig ist. In diesen Fällen ist es den Aktionären zuzumuten, eine drohende Beeinträchtigung ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung durch die Ausübung ihres Bezugsrechts zu verhindern. cc) Verhältnismäßigkeit des Ausgabebetrags Schließlich muss der Ausgabebetrag der Instrumente oder der Mindestausgabebetrag, unter dem sie nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig sein. Maßgeblich ist – wie sich aus der Alternative des Mindestausgabebetrags ergibt – nicht der tatsächliche Ausgabebetrag, sondern der von der Hauptversammlung in dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss festgesetzte Betrag (siehe Rz. 722). Hat die Hauptversammlung in dem Ermächtigungsbeschluss (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) weder einen Ausgabebetrag noch einen Mindestausgabebetrag bestimmt, unter dem die Instrumente nicht ausgegeben werden sollen, sondern dessen Festlegung dem Vorstand überlassen, ist der Beschluss in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG auch dann nicht anfechtbar, wenn der Vorstand die Instrumente zu einem unangemessen niedrigen Ausgabebetrag (siehe Rz. 723) ausgibt bzw. gewährt.

725

Vergleichswert zur Beantwortung der Frage, ob der von der Hauptversammlung festgesetzte Ausgabebetrag oder der Mindestausgabebetrag, unter dem die Instrumente nicht ausgegeben werden sollen, unangemessen niedrig ist, ist der (Gesamt-)Wert der jeweiligen Instrumente. Dies gilt auch bei Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) oder anderen Wertpapieren, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (eingehend dazu Rz. 566).2130 Ein Vergleich nur mit dem Umtausch- bzw. Optionspreis – ohne Berücksichtigung z.B. der Schuldverschreibung und ihrer Ausgestaltung – vermag die Verwirklichung des Normzwecks des § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG, eine wesentliche Wertverwässerung zu Lasten der Aktionäre zu verhindern (siehe Rz. 721), nicht sicherzustellen. Die finanzmathematische Ermittlung des (Gesamt-)Wertes der Instrumente ist – wie bei dem vereinfachten Bezugsrechtsausschluss (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG, eingehend dazu Rz. 670 ff.) – nur erforderlich, wenn der Ausgabe- oder Mindestausgabebetrag der Instrumente nicht im Wege des Bookbuilding-Verfahrens oder eines vergleichbaren Verfahrens entsprechend der Nachfrage der Marktteilnehmer bestimmt wurde (siehe Rz. 678).

726

Wird das Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 727 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) oder andere Wertpapiere, die den Gläubigern oder der Gesellschaft ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien einräumen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 670 ff.), scheidet eine Anfechtbarkeit des Zustimmungsoder Ermächtigungsbeschlusses in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG in der Regel aus.2131 Das Ziel des besonderen Anfechtungsgrundes, die (Alt-)Aktionäre vor einer unverhältnismäßigen Wertverwässerung ihrer Anteile zu schützen (siehe Rz. 721), wird bei einem sog. vereinfachten Bezugsrechtsausschluss regelmäßig bereits dadurch sicher2130 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 143. 2131 Nur im Ergebnis ähnlich Kniehase, AG 2006, 180 (186): § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG konkretisiere § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG im Sinne einer widerleglichen Vermutung. Weitergehend LG München I v. 6.10.2005 – 5HK O 15445/05, AG 2006, 169 f.; Busch, AG 1999, 58 (59); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 109: eine entsprechende Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG sei aufgrund einer teleologischen Reduktion bzw. einer schutzzweckkonformen Auslegung stets ausgeschlossen. Offen gelassen von OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (41) = NZG 2006, 784.

Fest

881

§ 221 AktG Rz. 728

Bezugsrecht der Aktionäre

gestellt, dass der Ausgabebetrag der Wertpapiere ihren (Gesamt-)Wert nicht wesentlich unterschreiten darf (eingehend dazu Rz. 677 ff.). 2. Anfechtung von Einzel- oder Gesamtbeschluss 728

Sollen Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen oder Genussrechte unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre ausgegeben bzw. gewährt werden, muss die Hauptversammlung in der Sache zwei (Einzel-)Beschlüsse fassen. Zum einen muss sie über die Zustimmung zu einer konkret bezeichneten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.), sei es als Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) –, zum anderen über den Ausschluss des Bezugsrechts beschließen. Da die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht der Aktionäre nur in dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss ausschließen kann (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG, siehe Rz. 616, 617) und nur die Ermächtigung in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG vorsehen kann, dass der Vorstand auch über den Ausschluss des Bezugsrechts entscheidet (siehe Rz. 617), stellt sich die Frage, ob der (Einzel-)Beschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts isoliert anfechtbar ist oder der Gesamtbeschluss insgesamt angefochten werden muss. a) Ausschluss des Bezugsrechts als selbstständiger Streitgegenstand

729

Die Vorgabe des § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG, wonach das Bezugsrecht nur in dem Beschluss über die Kapitalmaßnahme ausgeschlossen werden kann, hat nicht zur Folge, dass der Einzelbeschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts – sei es, dass die Hauptversammlung das Bezugsrecht in dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss selbst ausschließt, sei es, dass der Ermächtigungsbeschluss vorsieht, dass der Vorstand auch über den Ausschluss des Bezugsrechts entscheidet (siehe Rz. 616, 617) – stets ein untrennbarer Bestandteil des Gesamtbeschlusses sein muss.2132 Die Beschlüsse müssen zwar als formale Einheit ergehen (siehe Rz. 710), können aber inhaltlich voneinander getrennt werden, da die Kapitalmaßnahme auch ohne Ausschluss des Bezugsrechts beschlossen und durchgeführt werden kann. Die mit der inhaltlichen Trennbarkeit der Einzelbeschlüsse grundsätzlich einhergehende Möglichkeit, den Einzelbeschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts isoliert anzufechten, kann zur Folge haben, dass nur dieser gemäß § 241 Nr. 5 AktG nichtig ist, der Zustimmungsoder Ermächtigungsbeschluss aber unberührt fortbesteht. In Ansehung dieses Ergebnisses wird eingewandt, dass die Möglichkeit einer isolierten Anfechtung des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss mit der Kompetenz der Hauptversammlung konfligiere,2133 da es einzelne Anfechtungsbefugte in der Hand hätten, die von der Hauptversammlung getroffene Entscheidung gegen den Willen der Mehrheit dahingehend abzuändern, dass der Vorstand die Kapitalmaßnahme ohne Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre durchführen kann oder – im Fall eines Zustimmungsbeschlusses (siehe Rz. 516 ff.) – sogar durchführen muss. Diesem Einwand ist nicht allgemein, sondern – in sinngemäßer Anwendung von § 139

2132 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907 („Ermächtigung zu dem Bezugsrechtsausschluss [bildet] einen selbständigen Streitgegenstand“); BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444 (2446) (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 83, 319 ff.); OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; vgl. auch OLG Frankfurt v. 9.2.1993 – 5 U 31/92, AG 1993, 281 (283) = ZIP 1993, 509; a.A. LG Bochum v. 16.12.1990 – 12 O 245/90, AG 1991, 213; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 60: unselbstständiger Teil des Gesamtbeschlusses. 2133 So LG Bochum v. 16.12.1990 – 12 O 245/90, AG 1991, 213.

882

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 730 § 221 AktG

BGB2134 – einzelfallabhängig2135 nur zuzustimmen, wenn die Hauptversammlung die Kapitalmaßnahme ohne die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss nicht oder nicht mit diesem Inhalt beschlossen hätte.2136 Nur in diesen Fällen bilden die Einzelbeschlüsse nicht nur eine formale Einheit, sondern auch eine untrennbare materielle Einheit, die eine isolierte Anfechtung des Einzelbeschluss über den Bezugsrechtsausschluss ausschließt und eine Anfechtung des Gesamtbeschlusses gebietet.2137 b) Definitiver Ausschluss des Bezugsrechts durch die Hauptversammlung Beschließt die Hauptversammlung selbst den teilweisen oder vollständigen Ausschlusses des Bezugsrechts – sei es in der Zustimmung zu einer konkret bezeichneten Kapitalmaßnahme (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, siehe Rz. 616), sei es als definitiven Bezugsrechtsausschluss in der Ermächtigung des Vorstands (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, siehe Rz. 617) –, gibt sie hiermit in der Regel zu erkennen, dass die Kapitalmaßnahme nur unter Einschluss des Bezugsrechtsausschlusses ihrem Willen entspricht.2138 Wird dieser Eindruck im Einzelfall nicht ausnahmsweise widerlegt – sei es durch den Beschlussinhalt, sei es durch Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Willen der Hauptversammlung in dem Vorstandsbericht –, muss der Gesamtbeschluss angefochten werden.2139 Eine Anfechtung nur des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss wäre mit einem (rechtswidrigen) Eingriff in die Kompetenz der Hauptversammlung verbunden (siehe Rz. 729) und ist daher ausgeschlossen.2140 Dies gilt auch für die Anfechtung in entsprechender Anwendung von § 255 Abs. 2 Satz 1 AktG. Da die Vorschrift voraussetzt, dass die Hauptversammlung das Bezugsrechts der Aktionäre in 2134 OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (374 f.); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 34; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; im Ergebnis ebenso Groß, AG 1991, 201 (205): zumindest entsprechende Anwendung von § 139 BGB; vgl. auch Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 169; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 32 jeweils zum Ausschluss des Bezugsrechts beim genehmigten Kapital; a.A. Hüffer/Koch, § 186 AktG Rz. 42; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 115; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 186 AktG Rz. 81. 2135 Vgl. OLG Frankfurt v. 9.2.1993 – 5 U 31/92, AG 1993, 281 (283) = ZIP 1993, 509. 2136 OLG München v. 6.2.1991 – 7 U 4355/90, NJW-RR 1991, 1058 (1059) = AG 1991, 210; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 44; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; vgl. auch Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 57 Rz. 145; K. Schmidt in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 1995, § 243 AktG Rz. 69; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 148. 2137 Im Ergebnis ebenso Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 34. 2138 Weitergehend Karollus in G/H/E/K, § 221 AktG Rz. 116: stets Totalanfechtung, unabhängig vom Willen der Hauptversammlung im Einzelfall. Abweichend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 150: Bei Zustimmungsbeschlüssen bedürfe es stets einer Totalanfechtung, bei einem definitiven Bezugsrechtsausschluss im Ermächtigungsbeschluss sei hingegen eine Teilanfechtung möglich. 2139 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 111; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 73; vgl. auch Schürnbrand in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 148 zu § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG. 2140 LG Braunschweig v. 24.4.1992 – 22 O 95/89, AG 1993, 194 (195) = WM 1993, 376; LG Frankfurt am Main v. 4.7.1990 – 3/7 O 137/89, WM 1990, 1745 (1746); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 195; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 44; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 89; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; vgl. auch OLG Oldenburg v. 17.3.1994 – 1 U 151/93, NJW-RR 1995, 1313 (1314); LG München I v. 2.4.1992 – 5 HKO 8840/91, AG 1993, 195 = WM 1992, 1151; Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 169; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 186 AktG Rz. 52; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 32; Wiedemann in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 1994, § 186 AktG Rz. 191; a.A. Götz, DB 1992, 1399, aber wohl nur für den definitiven Bezugsrechtsausschluss im Zusammenhang mit einer Ermächtigung des Vorstands nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG.

Fest

883

730

§ 221 AktG Rz. 731

Bezugsrecht der Aktionäre

dem Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss selbst ausgeschlossen hat (eingehend dazu Rz. 722), muss auch in diesen Konstellationen regelmäßig der Gesamtbeschluss angefochten werden. 731

In dem Sonderfall, dass die Ermächtigung mehrere Ausgestaltungen einer Kapitalmaßnahme (z.B. zwei gegenständlich verschiedene Sachleistungen2141) umfasst, von denen der Vorstand nur eine durchführen darf und der von der Hauptversammlung beschlossene Bezugsrechtsausschluss nur für eine Gestaltungsalternative gilt, ist der Ermächtigungsbeschluss teilbar. Bei einem solchen Inhalt der Ermächtigung kann und muss bei einem anfechtbaren Bezugsrechtsauschluss nur die Ermächtigungsvariante mitangefochten werden, für die die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre ausgeschlossen hat.2142 Die übrigen Ermächtigungsvarianten bleiben von der Teilanfechtung unberührt und können vom Vorstand ausgenutzt werden. c) Ermächtigung des Vorstands zum Ausschluss des Bezugsrechts

732

Sieht die Ermächtigung (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.) in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG vor, dass der Vorstand auch über den Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre entscheidet (siehe Rz. 617), kann der Vorstand die Kapitalmaßnahme auch ohne Bezugsrechtsrechtsausschluss durchführen. Da auch diese Gestaltung der Kapitalmaßnahme dem in dem Gesamtbeschluss zum Ausdruck kommenden Willen der Hauptversammlung entspricht, kommt in der Regel nur eine isolierte Anfechtung des Einzelbeschlusses in Betracht, der den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss ermächtigt.2143 Eine Anfechtung des Gesamtbeschlusses ist nur ausnahmsweise geboten, wenn besondere Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Vorstand die Kapitalmaßnahme nur unter Ausschluss des Bezugsrechts durchführen soll.2144 d) Prozessuales Vorgehen

733

Bilden die Einzelbeschlüsse nicht nur eine formale Einheit, sondern auch eine untrennbare materielle Einheit dergestalt, dass die Hauptversammlung die Kapitalmaßnahme ohne die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss nicht oder nicht mit diesem Inhalt beschlossen hätte (siehe Rz. 729), wird die Anfechtung aber auf den Einzelbeschluss über den Bezugsrechtsausschluss beschränkt, ist die Klage – wenn sie nicht im Wege der Auslegung des Antrags auf den Gesamtbeschluss zu erstrecken ist – bereits deshalb abzuweisen, weil die materielle Einheit nicht aufgetrennt werden darf.2145 Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem behaupteten Anfechtungsgrund ist in diesen Fällen entbehrlich. Anderes gilt, wenn die An2141 Vgl. LG Bochum v. 16.12.1990 – 12 O 245/90, AG 1991, 213 (214). 2142 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 195; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 150; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 116. 2143 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; OLG München v. 11.8.1993 – 7 U 2529/93, AG 1994, 372 (374 f.); LG Frankfurt am Main v. 4.7.1990 – 3/7 O 137/89, WM 1990, 1745 (1746); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 34; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 150; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 44; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 89; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 73; vgl. auch BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81 – Holzmann, NJW 1982, 2444 (2446) (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 83, 319 ff.); Bayer in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 169; Hirte, WM 1994, 321 (328) jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG. Weitergehend Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 117: stets Teilanfechtung, unabhängig vom Wille der Hauptversammlung im Einzelfall. 2144 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 196. 2145 LG Braunschweig v. 24.4.1992 – 22 O 95/89, AG 1993, 194; a.A. Götz, DB 1992, 1399.

884

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 737 § 221 AktG

fechtung des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss lediglich der Hauptantrag ist. Bei einer solchen Eventualklagehäufung kann der Kläger mit seinem gegen den Gesamtbeschluss gerichteten Hilfsantrag zumindest teilweise obsiegen.2146 Bilden die Einzelbeschlüsse keine untrennbare materielle Einheit, sondern nur eine formale Einheit, hätte die Hauptversammlung die Kapitalmaßnahme mit diesem Inhalt also auch ohne die Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss beschlossen (eingehend dazu Rz. 729), ist die Anfechtung des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss – im Verhältnis zu der Anfechtung des Gesamtbeschlusses – ein selbstständiger Streitgegenstand.2147 Eine ausdrücklich nur gegen den Gesamtbeschluss gerichtete Anfechtungsklage ist allerdings nicht stets insgesamt abzuweisen. Die Anfechtung des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss ist im Verhältnis zu der Anfechtung des Gesamtbeschlusses kein aliud, sondern ein minus,2148 so dass das Gericht diese zu prüfen hat. Hat die Anfechtung des Einzelbeschlusses über den Bezugsrechtsausschluss Erfolg – dies setzt bei der Klage eines in der Hauptversammlung erschienenen Aktionärs (§ 245 Nr. 1 AktG) voraus, dass er auch gegen den Einzelbeschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat –, ist die gegen den Gesamtbeschluss gerichtete Anfechtungsklage nur im Übrigen abzuweisen.

734

Besteht im Einzelfall Ungewissheit darüber, ob die Einzelbeschlüsse nur eine formale oder 735 auch eine untrennbare sachliche Einheit bilden, empfiehlt sich in der Regel – trotz der drohenden Kosten im Fall eines teilweisen Unterliegens – eine Eventualklagehäufung.2149 Die prozessuale Alternative bestünde darin, den ursprünglichen Antrag in der mündlichen Verhandlung einzuschränken bzw. zu ändern (§ 264 Nr. 2 bzw. § 263 Alt. 2 ZPO). In der Praxis wird diesem Vorgehen aber regelmäßig die Klagefrist (§ 246 Abs. 1 AktG) entgegenstehen.2150

VI. Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand Hat die Hauptversammlung den Vorstand nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Ausgabe von 736 Wandelschuldverschreibungen oder in entsprechender Anwendung der Vorschrift zu der Ausgabe anderer Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, der Ausgabe von Gewinnschuldverschreibungen oder der Gewährung von Genussrechten ermächtigt (eingehend dazu Rz. 528), darf der Vorstand die Ermächtigung nur unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der von der Hauptversammlung in der Ermächtigung festgelegten Vorgaben ausnutzen (siehe Rz. 541). 1. Pflichten des Vorstands im Rahmen des unternehmerischen Ermessens Hat die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht der Aktionäre in dem Ermächtigungsbeschluss ausgeschlossen oder den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG ermächtigt, auch über den Ausschluss des Bezugsrechts zu entscheiden (eingehend dazu Rz. 617), hat der Vorstand über die Durchführung der Kapitalmaßnahme und ggf. auch über den Ausschluss des Bezugsrechts nach seinem unternehmerischen Ermessen 2146 OLG Frankfurt v. 9.2.1993 – 5 U 31/92, ZIP 1993, 509 (512) (insoweit nicht abgedruckt in AG 1993, 281). 2147 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; a.A. LG Bochum v. 16.12.1990 – 12 O 245/90, AG 1991, 213: unselbstständiger Teil des Gesamtbeschlusses. 2148 Offengelassen von Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 194. 2149 Für ein solches Vorgehen siehe z.B. OLG Frankfurt v. 9.2.1993 – 5 U 31/92, ZIP 1993, 509 (512) (insoweit nicht abgedruckt in AG 1993, 281). 2150 Groß, AG 1991, 201; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 194; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 114.

Fest

885

737

§ 221 AktG Rz. 738

Bezugsrecht der Aktionäre

zu entscheiden. Hierbei treffen den Vorstand aufgrund der möglichen Beeinträchtigung mitgliedschaftlicher Interessen der Aktionäre besondere Pflichten. a) Definitiver Bezugsrechtsausschluss in dem Ermächtigungsbeschluss 738

Hat die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht in dem Ermächtigungsbeschluss ausgeschlossen (siehe Rz. 617), ist der Vorstand vor der Ausnutzung der Ermächtigung zu der sorgfältigen Prüfung verpflichtet, ob der allein ihm vollständig bekannte Sachverhalt (d.h. einschließlich der seit dem Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung eingetretenen Umstände) die Durchführung der Kapitalmaßnahme unter Einschluss des von der Hauptversammlung beschlossenen Bezugsrechtsausschlusses im Gesellschaftsinteresse rechtfertigt.2151 Diese Prüfungspflicht besteht nicht nur, wenn der Hauptversammlung außer dem abstrakt umschriebenen Vorhaben (zu dem Mindestinhalt des Vorstandsberichts siehe Rz. 698 f.) bei der Beschlussfassung keine weiteren Tatsachen bekannt waren, sie ihre Prüfung also nur an den abstrakt umschriebenen Umständen ausgerichtet hat, sondern auch dann, wenn ihr bestimmte Einzelumstände des Vorhabens bekannt waren und sie die Frage, ob der Bezugsrechtsausschluss im Gesellschaftsinteresse gerechtfertigt sei, unter Berücksichtigung auch dieser Umstände geprüft und bejaht hat.2152 b) Ermächtigung auch zur Entscheidung über den Bezugsrechtsausschluss

739

Hat die Hauptversammlung den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt (eingehend dazu Rz. 617), hat der Vorstand in eigener Verantwortung zu prüfen, ob aus unternehmerischer Sicht der Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre im Interesse der Gesellschaft liegt, also sachlich gerechtfertigt ist.2153 Ist die Frage aufgrund sorgfältiger und gewissenhafter Prüfung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu bejahen, kann der Vorstand in Erfüllung seiner Geschäftsführungspflichten die Ermächtigung ausnutzen und die Kapitalmaßnahme unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre durchführen.2154 Eine Verpflichtung, die Aktionäre vor dem Ausschluss des Bezugsrechts in Ausübung der Ermächtigung erneut schriftlich über den Bezugsrechtsausschluss und dessen Gründe zu unterrichten, besteht nicht (eingehend dazu Rz. 700).

2151 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 197; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 112; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 100; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; vgl. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = NJW 1997, 2815 zu § 203 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 1 AktG. 2152 Vgl. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = NJW 1997, 2815 zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). 2153 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246 (247) = NZG 2006, 229; LG Darmstadt v. 7.10.1997 – 15 O 253/97, NJW-RR 1999, 1122 (1123); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 197; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 102, 112; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 39; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 102; Merkt in K. Schmidt/ Lutter, § 221 AktG Rz. 100; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 48; vgl. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/97 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = NJW 1997, 2815; von Dryander/Niggemann in Hölters, § 203 AktG Rz. 51, 52; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 35; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 31; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 203 AktG Rz. 29; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 203 AktG Rz. 28; Wamser in Spindler/Stilz, § 203 AktG Rz. 83 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG. 2154 Vgl. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/97 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (139) = NJW 1997, 2815 zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG).

886

Fest

Ausschluss des Bezugsrechts

Rz. 742 § 221 AktG

2. Mitwirkung des Aufsichtsrats Will der Vorstand die Ermächtigung ausnutzen und die Kapitalmaßnahme durchführen, hat der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungspflicht (§ 111 Abs. 1 AktG) zu prüfen, ob die gesetzlichen Bestimmungen und die in der Ermächtigung festgelegten Vorgaben eingehalten werden.2155 Hierzu gehört auch die Prüfung, ob der Ausschluss des Bezugsrechts – sei es, dass die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht bereits in dem Ermächtigungsbeschluss ausgeschlossen hat, sei es, dass sie den Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt hat (eingehend dazu Rz. 617) – im Zeitpunkt der Ausnutzung der Ermächtigung (noch) im Gesellschaftsinteresse sachlich gerechtfertigt ist.

740

Soweit die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands weder durch gesetzliche Bestimmungen noch durch Vorgaben in der Ermächtigung begrenzt ist (siehe Rz. 541), darf der Vorstand über den Zeitpunkt der Kapitalmaßnahme, die Art und Weise der Durchführung sowie die Ausgestaltung der Instrumente in entsprechender Anwendung von § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AktG nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden.2156 Ist der Vorstand in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch zu der Entscheidung über den Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt (eingehend dazu Rz. 617), darf er auch hierüber – unabhängig von dem Entscheidungsinhalt – in entsprechender Anwendung von § 204 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AktG nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats entscheiden.

741

3. Rechtswidriges Handeln der Geschäftsleitung Will der Vorstand die Kapitalmaßnahme mit Zustimmung des Aufsichtsrats (siehe Rz. 741) unter Ausschluss des Bezugsrechts – sei es, dass die Hauptversammlung selbst das Bezugsrecht in dem Ermächtigungsbeschluss ausgeschlossen hat, sei es, dass der in entsprechender Anwendung von § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG auch hierzu ermächtigte Vorstand den Ausschluss des Bezugsrechts beschlossen hat (eingehend dazu Rz. 617) – in einer Art und Weise durchführen, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt und/oder Vorgaben der Ermächtigung widerspricht, kann jeder Aktionär, der bei Durchführung der Kapitalmaßnahme in seinen Mitgliedschaftsrechten beeinträchtigt würde, eine vorbeugende Unterlassungsklage gegen die Gesellschaft2157 erheben2158 und seinen Unterlassungsanspruch mittels eines (zulässi2155 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 197. 2156 BGH v. 11.6.2007 – II ZR 152/06, AG 2007, 863 (864) = NZG 2007, 907; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 79/04, AG 2006, 246 (247) = NZG 2006, 229; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AGFinanzierung, Kap. 10 Rz. 88; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 173, 197; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 103; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 99; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 36. 2157 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (254) = NJW 2006, 374; Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 171; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 33 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG; wohl a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 130: Vorstand. Zum Teil abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 197: Gesellschaft und verantwortliche Organwalter. 2158 Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (540 f.); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 51; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 97; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 43; vgl. auch BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (254) = NJW 2006, 374; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (141) = NJW 1997, 2815; Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 171; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 130; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 39; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 203 AktG Rz. 44; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 33; Reichert/Senger, Der Konzern 2006, 338 (344); Veil in K. Schmidt/Lutter, § 203 AktG Rz. 31b; kritisch Waclawik, ZIP 2006, 397 (403) jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG.

Fest

887

742

§ 221 AktG Rz. 743

Bezugsrecht der Aktionäre

gen2159) Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§ 935 ZPO) geltend machen. Da der Vorstand allerdings nicht verpflichtet ist, die Aktionäre vor der Ausübung der Ermächtigung (erneut) zu unterrichten (siehe Rz. 700), ist die praktische Bedeutung dieses vorbeugenden Rechtsschutzes gering.2160 743

Wurde die Kapitalmaßnahme bereits durchgeführt, kann das pflichtwidrige Organhandeln in der Regel Gegenstand einer gegen die Gesellschaft zu richtenden allgemeinen Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) sein.2161 Die begehrte Feststellung, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns, betrifft unmittelbar zwar nur das (Innen-)Verhältnis zwischen der Geschäftsleitung und der Gesellschaft, nicht aber das (Außen-)Verhältnis zwischen dem klagenden Aktionär und der beklagten Gesellschaft. Dies steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage aber nicht entgegen, wenn die Feststellung (auch) für das Verhältnis zwischen dem klagenden Aktionär und der beklagten Gesellschaft von Bedeutung ist, der Kläger an einer alsbaldigen Klärung des Drittverhältnisses ein rechtliches Interesse hat und das Aktienrecht für die Austragung eines solchen Streits keine abschließende Regelung trifft.2162 Eine derartige Konstellation ist in der Regel gegeben, wenn – wie im Rahmen der Zulässigkeit der Klage als richtig zu unterstellen ist – behauptet wird, die Geschäftsleitung habe rechtswidrig handelnd die Ermächtigung zu einer Kapitalmaßnahme unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre ausgenutzt und dadurch individuelle Mitgliedschaftsrechte, insbesondere das Mitverwaltungs- und Vermögensrecht, des einzelnen Aktionärs verletzt.2163 Denn hat die Geschäftsleitung tatsächlich rechtswidrig gehandelt, ist es Sache der Gesellschaft, durch ihre Organe Abhilfe zu schaffen und den betroffenen Aktionären dadurch Genüge zu tun, dass entweder – sofern noch möglich – eine erneute Verletzung ihrer Mitgliedschaftsrechte bei einer etwaigen weiteren Ausnutzung der erteilten Ermächtigung unterbleibt oder etwa bereits eingetretene Schäden kompensiert werden.2164

744

Hat die Geschäftsleitung die erteilte Ermächtigung zu einer Kapitalmaßnahme bereits unter Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre in einer Art und Weise ausgenutzt, die mit gesetzlichen Bestimmungen und/oder Vorgaben in der Ermächtigung unvereinbar ist (siehe 2159 Vgl. LG Kiel v. 22.5.2008 – 15 O 49/08, BeckRS 2008, 12662 unter I. 3.; Bayer in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 171; Cahn, ZHR 164 (2000), 113 (118); Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 133; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 39; Krämer/Kiefner, ZIP 2006, 301 (307 ff.); Krieger, ZHR 163 (1999), 343 (355); Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 203 AktG Rz. 33; Paefgen, ZIP 2004, 145 (155); Reichert/Senger, Der Konzern 2006, 338 (344); a.A. OLG Frankfurt v. 1.4.2003 – 5 U 54/01, AG 2003, 438 (439) = NZG 2003, 584 jeweils zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). 2160 Vgl. Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 171; Cahn, ZHR 164 (2000), 113 (118); Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 38; Krieger, ZHR 163 (1999), 343 (355); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 203 AktG Rz. 34 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG. 2161 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (254) = NJW 2006, 374; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (141) = NJW 1997, 2815; Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 172; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 134; Hüffer/Koch, § 203 AktG Rz. 39; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 203 AktG Rz. 45; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 203 AktG Rz. 34; Veil in K. Schmidt/Lutter, § 203 AktG Rz. 31b; Wamser in Spindler/Stilz, § 203 AktG Rz. 110 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG. Abweichend wohl Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 197: Gesellschaft und verantwortliche Organwalter können auf Beseitigung in Anspruch genommen werden. 2162 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (255) = NJW 2006, 374; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80 – Holzmüller, BGHZ 83, 122 (125 f.) = NJW 1982, 1703 jeweils zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). 2163 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (255) = NJW 2006, 374 zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG). 2164 Vgl. BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (256) = NJW 2006, 374 zum genehmigten Kapital (§§ 202 ff. AktG).

888

Fest

Societas Europaea

Rz. 746 § 221 AktG

Rz. 541) – dies ist z.B. anzunehmen, wenn der Bezugsrechtsausschluss weder durch § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG noch im Einzelfall sachlich gerechtfertigt ist –, kann die Hauptversammlung den Mitgliedern des Vorstands und des Aufsichtsrats die Entlastung verweigern (§ 119 Nr. 3 AktG).2165 Ferner können die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 ggf. i.V.m. § 116 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet sein.2166

Kapitel 5 Anwendung auf Gesellschaften anderer Rechtsformen Die Vorschrift des § 221 AktG ist nur auf Aktiengesellschaften direkt anwendbar. Für Kommanditgesellschaften auf Aktien gilt § 221 AktG gemäß § 278 Abs. 3 AktG sinngemäß. Gleiches gilt für Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, die in einer dieser Rechtsformen betrieben werden (§ 2 Abs. 1 UBGG).2167

745

A. Societas Europaea Werden Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) oder Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) von einer Societas Europaea, die in Deutschland eingetragen ist, ausgegeben, findet § 221 AktG im Fall der wertpapiermäßigen Verbriefung der Finanzinstrumente aufgrund von Art. 5 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 Anwendung. Das auf die Finanzinstrumente anzuwendende Kapitalmarktrecht ergibt sich – in Ansehung von Erwägungsgrund 12 Verordnung (EG) Nr. 2157/ 2001 sowie der Tatsache, dass die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 selbst keine kapitalmarktrechtlichen Regelungen enthält2168 – weder aus Art. 5 Verordnung (EG) Nr. 2157/20012169 noch aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. c Nr. ii bzw. Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 2157/20012170. Maßgeblich ist – ohne Rücksicht auf den Sitz der Gesellschaft und den Verwahrungs- bzw. Belegenheitsort der Wertpapiere – das an dem Handelsplatz geltende Recht.2171

2165 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 103; vgl. auch BGH v. 10.10.2005 – II ZR 90/03 – Mangusta/Commerzbank II, BGHZ 164, 249 (255) = NJW 2006, 374; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (140) = NJW 1997, 2815; Bayer in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 203 AktG Rz. 174; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2001, § 203 AktG Rz. 155; Reichert/Senger, Der Konzern 2006, 338 (348); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 203 AktG Rz. 34; Wamser in Spindler/Stilz, § 203 AktG Rz. 112 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG. 2166 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 197; Habersack, DStR 1998, 533 (536 f.); Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 103; vgl. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 132/93 – Siemens/Nold, BGHZ 136, 133 (140 f.) = NJW 1997, 2815; Reichert/Senger, Der Konzern 2006, 338 (348); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 203 AktG Rz. 34; Wamser in Spindler/Stilz, § 203 AktG Rz. 112 jeweils zu § 203 Abs. 2 Satz 1 AktG. 2167 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 80. 2168 Statt vieler Oechsler in MünchKomm/AktG, Art. 5 SE-VO Rz. 39. 2169 Differenzierend Casper in Spindler/Stilz, Art. 5 SE-VO Rz. 6, Art. 9 SE-VO Rz. 14: die anzuwendenden kapitalmarktrechtlichen Regelungen seien nach dem Grundsatz lex cartae sitae zu bestimmen, das unmittelbar auf die Wertpapiere anwendbare Recht hingegen nach Art. 5 SE-VO. 2170 A.A. Oechsler in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2012, Art. 5 SE-VO Rz. 39. 2171 Nur in der Begründung abweichend Casper in Spindler/Stilz, Art. 5 SE-VO Rz. 6, der das Ergebnis unter Rückgriff auf den sachenrechtlichen Grundsatz lex cartae sitae herleitet. Die Begründung erscheint zumindest zweifelhaft, da die Wertpapiere im modernen Effektengiroverkehr nicht nur an dem Handelsplatz des Ortes, an dem sie verwahrt werden, zugelassen werden können.

Fest

889

746

§ 221 AktG Rz. 747 Anwendung auf andere Rechtsformen 747

Verzichtet die Gesellschaft bei Genussrechten auf Verbriefung (siehe Rz. 771), findet § 221 AktG aufgrund von Art. 9 Abs. 1 Buchst. c Nr. ii Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 gleichwohl Anwendung, wenn die Societas Europaea in Deutschland domiziliert.

B. GmbH 748

Das GmbHG enthält weder eine eigene § 221 AktG entsprechende Vorschrift noch eine Verweisung, die die sinngemäße Geltung von § 221 AktG im GmbH-Recht anordnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten verwehrt wäre.2172 Im Gegenteil: Es besteht Einigkeit darüber, dass auch Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen ausgeben sowie Genussrechte gewähren können.2173 Die Instrumente sind schuldrechtlicher Natur (siehe Rz. 1) und entstehen durch Vertrag zwischen der Gesellschaft und den Gläubigern (siehe Rz. 765), so dass ihre Begründung – vorbehaltlich besonderer gesetzlicher Verbote, die für die GmbH nicht existieren – auch für Gesellschaften in der Rechtsform der GmbH durch die Privatautonomie gewährleistet ist. Zu der Ausgabe von Going-Public-Optionsanleihen durch eine GmbH siehe eingehend Rz. 287 ff.

I. Notwendigkeit einer Regelung im Gesellschaftsvertrag 749

Die im Außenverhältnis zu den Gläubigern durch die Privatautonomie gewährleistete Freiheit, Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen auszugeben und Genussrechte zu gewähren (siehe Rz. 748), besteht grundsätzlich unabhängig von dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags. Dieser kann die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten lediglich im Innenverhältnis untersagen (siehe Rz. 767). In diesem Fall dürfen entsprechende Kapitalmaßnahmen erst nach einer Abänderung des Gesellschaftsvertrags, der gemäß § 53 Abs. 1 GmbHG eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedarf, vorgenommen werden.

750

Enthält der Gesellschaftsvertrag keine Ermächtigung zu der Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie zu der Gewährung von Genussrechten, kann der Zweck der Kapitalmaßnahme die vorherige Abänderung des Gesellschaftsvertrags erfordern. Dies ist z.B. in entsprechender Anwendung von § 26 Abs. 1, 2 AktG, wonach Leistungen an Gesellschafter im Zusammenhang mit der Gesellschaftsgründung und der Einlagepflicht in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen sind,2174 anzunehmen, wenn die Instrumente als Gründervorteile,2175 als Gegenleistung für eine sog. gemischte Sacheinlage oder als Entgelt für eine im Gesellschaftsvertrag niedergelegte Nebenleistungspflicht (§ 3 Abs. 2 GmbHG)2176 eines Ge-

2172 Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 (38). 2173 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 338; Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1383); W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 29 GmbHG Rz. 111; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 67 ff., 83. 2174 Siehe statt vieler Fastrich in Baumbach/Hueck, § 5 GmbHG Rz. 46, 57. 2175 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 27. 2176 Wohl a.A. Emmerich in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 3 GmbHG Rz. 78: Einzelheiten des Entgelts können auch in einem Ausführungsvertrag außerhalb des Gesellschaftsvertrags geregelt werden.

890

Fest

GmbH

Rz. 752 § 221 AktG

sellschafters gewährt werden sollen.2177 Gleiches gilt, wenn die Genussrechte Bestandteil einer für alle – auch die zukünftigen – Gesellschafter verbindlichen rechtsgeschäftlichen Abfindungsregelung für den Fall der Amortisation des Geschäftsanteils sein sollen.2178 Die Gewährung aktienähnlicher Genussrechte (eingehend dazu Rz. 398 ff.), mit denen in der Regel das Recht auf Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft (eingehend dazu Rz. 404 ff.) verbunden ist, bedarf – vorbehaltlich des Zwecks der Kapitalmaßnahme (siehe Rz. 750) – keiner Regelung im Gesellschaftsvertrag bzw. einer Abänderung des Gesellschaftsvertrags.2179 Insbesondere den §§ 29 Abs. 1 Satz 1, 72 GmbHG ist Gegenteiliges nicht zu entnehmen. Der mitgliedschaftliche Anspruch auf den Jahresüberschuss bzw. das Vermögen der Gesellschaft wird durch die Genussrechtsverbindlichkeiten nur indirekt berührt, als sie sich ergebnismindernd auswirken (siehe Rz. 410). Die hiermit einhergehende wirtschaftliche Beeinträchtigung der Ansprüche erfordert – im Ergebnis wie bei der Aktiengesellschaft – zwar einen Beschluss der Gesellschafterversammlung (siehe Rz. 752 ff.), aber keine Satzungsermächtigung.

751

II. Mitwirkung der Gesellschafterversammlung 1. Beschlusserfordernis Enthält der Gesellschaftsvertrag keine Festsetzung über die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten, kann sich das Erfordernis einer Mitwirkung der Gesellschafterversammlung aus § 49 Abs. 2 GmbHG ergeben.2180 Das aus der Perspektive eines pflichtgemäßen Geschäftsleiters zu beurteilende Interesse der Gesellschaft – dieses wird sachlich übereinstimmend mit § 111 Abs. 3 AktG als Gesellschaftswohl ausgelegt2181 – gebietet die Einberufung der Gesellschafterversammlung nur bei wichtigen, ungewöhnlichen und besonders riskanten Maßnahmen.2182 Die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten ist für eine GmbH nicht bereits deshalb eine ungewöhnliche (Kapital-)Maßnahme, weil diese Instrumente im GmbH-Recht keine Regelung erfahren haben (siehe Rz. 748). Entscheidend ist vielmehr, ob für die Gesellschaft im Einzelfall besonders bedeutsame Verbindlichkeiten begründet werden sollen.2183 Maßgeblich hierfür ist nicht ausschließlich die Höhe der Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeiten (z.B. Verhältnis von Stamm- zu Genussrechtskapital),2184 sondern eine Würdigung der inhaltlichen Ausgestaltung des jeweiligen Instruments unter Berücksichtigung der konkreten Situation der Gesellschaft.2185 Wesentliche Bedeutung kommt hierbei in der Regel der Laufzeit der Anleihe bzw. des Genussrechts, der Auswirkung von Verlusten der Gesellschaft auf die Zahlungsverbindlichkeiten sowie – bei Genussrechten – einer

2177 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 29 GmbHG Rz. 91; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 29; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 69. 2178 Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 69. 2179 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 338; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 29; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 88. 2180 Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 27. 2181 Statt vieler Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 49 GmbHG Rz. 21. 2182 Statt vieler Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 49 GmbHG Rz. 21. 2183 So wohl auch Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 27. 2184 In diese Richtung tendierend aber Sethe, AG 1993, 293 (314). 2185 Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH, 2010, S. 242.

Fest

891

752

§ 221 AktG Rz. 753 Anwendung auf andere Rechtsformen obligations- oder aktienähnlichen Ausgestaltung (eingehend dazu Rz. 395 ff., 398 ff.)2186 im Übrigen zu. 753

Sofern ein Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechte nicht bereits aufgrund des Interesses der Gesellschaft erforderlich erscheint (§ 49 Abs. 2 GmbHG, siehe Rz. 752), ist er in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1, 2 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG geboten.2187 Die hierfür erforderliche Regelungslücke ergibt sich daraus, dass es der aktienrechtlichen Kompetenzordnung widerspräche, dürften die Geschäftsführer einer GmbH als der kapitalmarktferneren Rechtsform Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte ohne Mitwirkung der Gesellschafterversammlung nach ihrem Ermessen ausgeben bzw. gewähren. Diese im GmbH-Recht bestehende Regelungslücke ist in Anbetracht der ratio des Mitwirkungserfordernisses der Hauptversammlung bei § 221 Abs. 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG durch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu schließen. Im direkten Anwendungsbereich des § 221 AktG beruht das Mitwirkungserfordernis der Hauptversammlung darauf, dass die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Aktionäre – konkret: eine Verkürzung ihrer Beteiligungsquote und ihres Rechts auf den Bilanzgewinn, eine Verringerung ihrer effektiven Stimmrechtsmacht sowie eine Verwässerung des wirtschaftlichen Wertes ihrer Beteiligung – erheblich beeinträchtigen kann (eingehend dazu Rz. 488 ff.). Diese Beeinträchtigungen drohen nicht nur den Aktionären, sondern in gleicher Art und Weise auch den Gesellschaftern einer GmbH. 2. Beschlussinhalt

754

Die Gesellschafterversammlung kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 AktG die Zustimmung zu einer konkreten Kapitalmaßnahme beschließen (eingehend dazu Rz. 510 ff.). Alternativ kann sie die Geschäftsführer in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG höchstens für fünf Jahren zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen – Gleiches gilt für die Ausgabe von isolierten Optionsrechten (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen sowie für die Gewährung von Genussrechten (siehe Rz. 528) – ermächtigen (eingehend dazu Rz. 527 ff.).2188 Dem Beschluss einer Ermächtigung steht insbesondere nicht entgegen, dass § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG die Vorgabe des Art. 29 Abs. 2 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG) umsetzt (siehe Rz. 528). Zwar ist der Anwendungsbereich des Art. 29 Abs. 2 Richtlinie 2012/ 30/EU (ehemals: Art. 25 Abs. 2 Richtlinie 77/91/EWG) auf Aktiengesellschaften beschränkt (Art. 1 i.V.m. Anhang I Richtlinie 2012/30/EU, ehemals: Art. 1 UAbs. 1 Richtlinie 77/91/ EWG). Dies hindert die Mitgliedstaaten aber nicht daran, die für Aktiengesellschaften unionsrechtlich gebotene Möglichkeit einer Ermächtigung – sei es durch die gesetzgeberische Anordnung sinngemäßer Geltung (z.B. § 278 Abs. 3 AktG), sei es durch gerichtliche Rechtsfortbildung – auf Gesellschaften anderer Rechtsformen zu erstrecken.

2186 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 29 GmbHG Rz. 91; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1998, S. 89; Roth in Roth/Altmeppen, § 29 GmbHG Rz. 66. 2187 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 55 GmbHG Rz. 53; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 29 GmbHG Rz. 111; a.A. Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 27; Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 (40); Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH, 2010, S. 233 ff. Offen gelassen von Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1383). 2188 Wohl a.A. W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 29 GmbHG Rz. 111: analog § 221 Abs. 1 AktG.

892

Fest

GmbH

Rz. 758 § 221 AktG

3. Mehrheitserfordernis Die im Aktienrecht geltende Unterscheidung zwischen Stimmen- und Kapitalmehrheit (siehe Rz. 497) ist dem GmbH-Recht fremd (§ 47 Abs. 2 GmbHG). Die grundsätzlich ausreichende einfache Mehrheit des Nominalwertes der Geschäftsanteile genügt – im Lichte von § 221 Abs. 1 Satz 2, 3 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG – für die Ausgabe von Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen sowie die Gewährung von Genussrechten durch eine GmbH nicht. Es bedarf vielmehr – in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 2 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG – einer Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Stammkapitals.2189 Der Gesellschaftsvertrag kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 3 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG eine andere – auch eine geringere – Mehrheit und weitere Erfordernisse bestimmen.

755

4. Publizität Der Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Ausgabe von Wandelschuldver- 756 schreibungen, Gewinnschuldverschreibungen oder die Gewährung von Genussrechten bewirkt – unabhängig davon, ob die Beschlussfassung durch § 49 Abs. 2 GmbHG oder in entsprechender Anwendung von § 221 AktG geboten ist (siehe Rz. 752 f.) – keine Abänderung des Gesellschaftsvertrags. Der Beschluss ist daher nicht zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden; er ist weder eintragungsfähig noch eintragungsbedürftig.2190 Ermächtigt die Gesellschafterversammlung die Geschäftsführer in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen oder zu der Gewährung von Genussrechten (siehe Rz. 754), gelten die Publizitätserfordernisse des § 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG entsprechend. Den Beschluss über die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen oder die Gewährung von Genussrechten kann die Gesellschafterversammlung mit anderen (Einzel-)Beschlüssen zu einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss zusammenfassen. Dies gilt insbesondere für den (Einzel-)Beschluss über die Erhöhung des Stammkapitals (siehe Rz. 760) sowie einen nur ausnahmsweise erforderlichen (Einzel-)Beschluss über die Abänderung des Gesellschaftsvertrags (siehe Rz. 750). Auch bei einer gemeinsamen Beschlussfassung sind nur die letztegenannten (Einzel-)Beschlüsse gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.

757

III. Durchführung des Beschlusses der Gesellschafterversammlung Die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinn- 758 schuldverschreibungen (eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie die Gewährung von Genussrechten (eingehend dazu Rz. 329 ff.) sind – wie bei der Aktiengesellschaft (siehe Rz. 767) – Maßnahmen der Geschäftsführung. Diese dürfen die Geschäftsführer nur vornehmen, wenn die Gesellschafterversammlung der konkreten Kapitalmaßnahme – sei es auf Grundlage von 2189 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 55 GmbHG Rz. 53; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 338; a.A. (einfache Mehrheit) Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/ Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 27; Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH, 2010, S. 242; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 70. Für Genussrechte differenzierend Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 93: der qulifizierten Mehrheit des § 53 Abs. 2 GmbHG bedürfe es nur, wenn mit dem Genussrecht das Recht auf Beteiligung am Gewinn und am Liquidationserlös der Gesellschaft verbunden sei. 2190 Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 70.

Fest

893

§ 221 AktG Rz. 759 Anwendung auf andere Rechtsformen § 49 Abs. 2 GmbHG (siehe Rz. 752), sei es in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (siehe Rz. 753) – zugestimmt (eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder die Geschäftsführer in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG zu deren Durchführung ermächtigt hat (eingehend dazu Rz. 527 ff., 754). Das Mitwirkungserfordernis schränkt die Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer ein, betrifft also nur das Innenverhältnis der Gesellschaft.2191 Wird ein solcher Beschluss nicht oder nicht wirksam gefasst oder überschreiten die Geschäftsführer inhaltliche Vorgaben der Gesellschafterversammlung (eingehend dazu Rz. 767), ist dies ohne Auswirkung auf die Entstehung der Rechte im Außenverhältnis. Insbesondere die Vertretungsmacht der Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1 GmbHG) bleibt unberührt,2192 § 37 Abs. 2 Satz 1 GmbHG. 759

Verletzen die Geschäftsführer ihre Pflichten bei der Ausgabe von Wandel- oder Gewinnschuldverschreibungen oder der Gewährung von Genussrechten – sei es, dass die Durchführung einer von der Gesellschafterversammlung beschlossenen Kapitalmaßnahme innerhalb der maßgeblichen Frist unterbleibt, ohne dass die Durchführungspflicht ausnahmsweise entfällt (eingehend dazu Rz. 516 ff.), sei es, dass die Instrumente ohne einen wirksamen Beschluss oder mit einem anderen als dem von den Gesellschaftern beschlossenen Inhalt ausgegeben bzw. gewährt werden –, können sie der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 GmbHG zum Schadensersatz verpflichtet sein.

IV. Absicherung der Umtausch- und Bezugsrechte auf Gesellschaftsanteile 760

Von Aktiengesellschaften gewährte Umtausch- und Bezugsrechte auf Aktien werden in der Regel durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert (eingehend dazu Rz. 86 ff.). Das GmbH-Recht kennt de lege lata2193 keine bedingte Kapitalerhöhung. Für die entsprechende Anwendung der §§ 192 ff. AktG fehlt – nicht zuletzt deshalb, weil durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG)2194 nur das genehmigte Kapital (§§ 55a ff. GmbHG) in Anlehnung an die §§ 202 ff. AktG eingeführt wurde – eine Regelungslücke. Dies steht der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (eingehend dazu Rz. 23 ff.) – Gleiches gilt für Wandel- und Optionsgenussrechte (eingehend dazu Rz. 483 ff.) sowie für isolierte Optionsrechte (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) – durch die GmbH nicht entgegen, sondern erfordert lediglich die anderweitige Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte. Die hierfür erforderlichen Geschäftsanteile können insbesondere durch genehmigtes Kapital (§§ 55a ff. GmbHG) geschaffen werden,2195 wobei die Geschäftsführer in dem Ermächtigungsbeschluss zu einer entsprechenden Verwendung der neuen Geschäftsanteile angewiesen werden sollten.2196

2191 So wohl auch Berghaus/Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 27. 2192 A.A. für Genussrechte Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 94: Wirksamkeitsvoraussetzung. 2193 Im Jahr 2005 haben Vossius/Wachter den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Rechts der Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH-RG) vorgelegt, der u.a. die Einführung eines bedingten Kapitals vorsah, § 7 Abs. 2 GmbH-RG. 2194 BGBl. I 2008, 2026. 2195 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 1. 2196 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 55 GmbHG Rz. 52; Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 (42); Lieder in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 55 GmbHG Rz. 10; Weitnauer, BKR 2009, 18 (19). Zu der Möglichkeit, die Geschäftsführer im Rahmen des Ermächtigungsbeschlusses anzuweisen, siehe statt vieler Lieder in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 55a GmbHG Rz. 30 ff.

894

Fest

GmbH

Rz. 762 § 221 AktG

Die im Aktienrecht gebräuchliche bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG, eingehend dazu Rz. 86 ff.) kann im GmbH-Recht schuldrechtlich nachgebildet werden. Hierzu bedarf es einer dreiseitigen Vereinbarung zwischen den Inhabern der Umtausch- oder Bezugsrechte, der Gesellschaft und sämtlichen Gesellschaftern. Inhaltlich sind drei Gestaltungen zu unterscheiden: (1) Die Vereinbarung kann vorsehen, dass die Gesellschafter eine Erhöhung des Stammkapitals gegen Bareinlagen (§ 55 GmbHG) beschließen und die Inhaber der Umtauschoder Bezugsrechte die neuen Geschäftsanteile zum Nennwert übernehmen.2197 (2) Bei Wandelschuldverschreibungen sowie Wandel- und Optionsgenussrechten kann die Vereinbarung alternativ die Verpflichtung der Gesellschafter enthalten, eine Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen (§ 56 GmbHG) – konkret: der Einbringung der Rückzahlungsverpflichtung aus der Schuldverschreibung bzw. den Genussrechten – zu beschließen, den Übernahmevertrag mit den Inhabern der Umtausch- oder Bezugsrechte zu schließen und die Kapitalerhöhung gemäß § 57 Abs. 1 GmbHG zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden.2198 (3) Schließlich können sich die Gesellschafter bedingt für den Fall der Ausübung des Umtausch- oder Optionsrechts verpflichten, die Teilung ihrer Geschäftsanteile sowie die Zusammenlegung der hierdurch entstandenen Teile zu beschließen (§ 46 Nr. 4 GmbHG) und die auf diese Weise neu entstehenden Geschäftsanteile den Inhabern der Umtausch- oder Bezugsrechte zu übertragen (§ 15 Abs. 4 GmbHG2199).2200

761

V. Bezugsrecht der Gesellschafter Nach überwiegender Ansicht haben die Gesellschafter einer GmbH in entsprechender Anwendung von § 186 Abs. 1 Satz 1 AktG und damit unabhängig von einem Zulassungsbeschluss nach § 55 Abs. 2 GmbHG ein Bezugsrecht auf neue Geschäftsanteile aus einer Kapitalerhöhung.2201 Rechtliche Grundlage des Bezugsrechts ist – wie im Aktienrecht – die Mitgliedschaft.2202 Vor dem Hintergrund, dass die Mitgliedschaft im Aktienrecht nicht nur das Bezugsrecht auf neue Aktien (§ 186 Abs. 1 Satz 1 AktG), sondern gemäß § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG auch das Bezugsrecht auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte gewährt, sowie in Anbetracht des Umstands, dass die Ausgabe bzw. die Gewährung dieser Instrumente die mitgliedschaftliche Rechtsstellung von Aktionären und GmbH-Gesellschaftern in gleicher Art und Weise beeinträchtigt (siehe Rz. 753), besteht im GmbH-Recht eine Regelungslücke. Diese ist durch die entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG dergestalt zu schließen, dass grundsätzlich auch die Gesellschafter einer GmbH – unabhängig von dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags und dem Zustimmungs- oder

2197 Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 83. 2198 Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 83. 2199 Zur Formbedürftigkeit der bedingten Übertragungsverpflichtung siehe statt vieler RG v. 20.2.1912 – III 179/11, RGZ 79, 182 (185); Fastrich in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 24; Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, § 15 GmbHG Rz. 128. 2200 Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 83. 2201 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 55 GmbHG Rz. 19; Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 (40); Heckschen, DStR 2001, 1437 (1438); Lieder in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 55 GmbHG Rz. 70; Lutter, AcP 180 (1980), 84 (123); Priester in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 55 GmbHG Rz. 42 ff.; Wicke, § 55 GmbHG Rz. 11; Zöllner/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 55 GmbHG Rz. 20; a.A. Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 55 GmbHG Rz. 35; Ulmer in Ulmer/Habersack/ Winter, § 55 GmbHG Rz. 46; offen gelassen in BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, NZG 2005, 551 (552) = GmbHR 2005, 925. 2202 Heckschen, DStR 2001, 1437 (1438); Priester in Scholz, 11. Aufl. 2015, § 55 GmbHG Rz. 46; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 49 Rz. 6.

Fest

895

762

§ 221 AktG Rz. 763 Anwendung auf andere Rechtsformen Ermächtigungsbeschluss (siehe Rz. 749 ff., 754) – ein Bezugsrecht auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte haben.2203 763

Bei Genussrechten ist § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG unabhägig von deren inhaltlicher Ausgestaltung entsprechend anzuwenden (siehe Rz. 762), d.h. nicht nur bei aktienähnlichen (eingehend dazu Rz. 398 ff.),2204 sondern auch bei obligationsähnlichen Genussrechten (eingehend dazu Rz. 395 ff.). Zwar können aktienähnliche Genussrechte die mitgliedschaftliche Rechtsstellung der Gesellschaft im Einzelfall intensiver beeinträchtigen als obligationsähnliche Genussrechte. Für das Bezugsrecht ist die Intensität der Beeinträchtigung aber ohne Bedeutung. Es genügt, dass die schuldrechtlich nachgebildeten aktionärstypischen Ansprüche der Genussrechtsgläubiger mit den mitgliedschaftlichen Rechten der Gesellschafter konkurrieren. Eine Differenzierung nach Art und Intensität der Beeinträchtigung widerspräche dem in § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen, das Bezugsrecht auf Genussrechte unabhängig von deren Inhalt zu gewähren.

764

Das Bezugsrecht kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613) oder in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.).

Kapitel 6 Entstehung und Übertragung der Rechte A. Entstehung 765

Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) begründen keine Mitgliedschaft, sondern ausschließlich schuldrechtliche Rechte und Pflichten (siehe Rz. 1). Als solche werden sie im (Außen-)Verhältnis zwischen der Gesellschaft und den Gläubigern durch Vertrag begründet.2205 Werden die Rechte verbrieft – sei es notwendig, sei es freiwillig (eingehend dazu Rz. 768 ff.) –, entstehen das Wertpapier sowie die verbrieften Rechte und Pflichten – in Anwendung allgemeiner wertpapierrechtlicher Grundsätze – erst mit dem Abschluss 2203 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 55 GmbHG Rz. 53; Lutter in FS Döllerer, 1988, S. 383 (385); W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, § 29 GmbHG Rz. 111; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 48; Sethe, AG 1993, 293 (315); offen gelassen von Hofert/Arends, GmbHR 2005, 1381 (1383); a.A. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 29 GmbHG Rz. 91; Seibt in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 14 GmbHG Rz. 72: das Bezugsrecht auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte besteht nur, wenn es in der Satzung eingeräumt wird; so wohl auch Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 (40); W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 30. 2204 So aber Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 338. 2205 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 85; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 199; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 47; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 118, 341, 485; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 29; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 236; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 45, 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 128; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 43 („Anleihevertrag“); siehe auch für Genussrechte Habersack, ZHR 155 (1991), 378 (392); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 328, 396; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 8; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 49; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 97; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (879); Ziebe, BB 1988, 225 (226); vgl. auch BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91 – Klöckner, BGHZ 119, 305 (330) = NJW 1993, 57 = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen.

896

Fest

Entstehung

Rz. 766 § 221 AktG

des Begebungsvertrags und der Übergabe der Wertpapierurkunde an den (Erst-)Gläubiger.2206 Der Begebungsvertrag ist sowohl Verpflichtungsvertrag, der die verbrieften Rechte und Pflichten entstehen lässt, als auch Verfügungsvertrag, der die Übereignung der Urkunde an den (Erst-)Erwerber bewirkt.2207 Die Skriptur bereitet die Begebung des Wertpapiers durch Ausstellung der Urkunde lediglich vor, enthält selbst aber keine rechtsverbindlichen Erklärungen.2208 Ist der Begebungsvertrag aufgrund rechtshindernder oder rechtsvernichtender Einwendungen nicht zustande gekommen oder unwirksam, können das Wertpapier und die verbrieften Rechte und Pflichten in Anwendung allgemeiner Rechtsscheingrundsätze gleichwohl entstehen. Voraussetzung hierfür ist ein gutgläubiger (Zweit-)Erwerb des Wertpapiers und der verbrieften Rechte durch einen redlichen Dritten nach den §§ 932 ff., 935 Abs. 2 BGB – bei Verbriefung der Rechte in einer Sammelurkunde i.V.m. §§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG, § 747 Satz 1 BGB (eingehend dazu Rz. 775 f.) –,2209 der in Ansehung der §§ 794 Abs. 1, 935 Abs. 2 BGB sowie der Art. 16 Abs. 2 WG, 21 ScheckG auch dann möglich ist, wenn das Wertpapier dem Aussteller gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst ohne seinen Willen in den Verkehr gelangt ist.2210 Grundlage für den gutgläubigen (Zweit-)Erwerb und die Entstehung der verbrieften Rechte ist der Rechtsschein eines wirksamen Begebungsvertrags,2211 der bereits mit der Ausstellung der Urkunde gesetzt wird und nicht erst mit dem In-Verkehr-Bringen.2212 Erforderlich, aber auch ausreichend ist daher, dass der Rechtsschein eines wirksamen Begebungsvertrags dem aus der Urkunde erkennbaren Aussteller zuzurechnen ist. Dies kann

2206 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 84, 86; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 133; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 341, 485; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 108, 113. Vgl. auch BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11 (14) = NJW 1975, 1166 für eine Wechselverpflichtung. 2207 Bliesener in Beiträge für Hopt, 2008, S. 355 (365); Buck-Heeb in Prütting/Wegen/Weinreich, § 793 BGB Rz. 15; Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 3 I 2 = S. 31; Gehrlein in Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 793 BGB Rz. 7; Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1123); Gursky, Wertpapierrecht, S. 19; Kümpel, WM 1981, Sonderbeilage Nr. 1, S. 24; Larenz, Schuldrecht BT, § 66 II = S. 500; M. Lehmann, Finanzinstrumente, 2009, S. 352; Lenenbach, NZG 2001, 481 (485); E. Locher, Das Recht der Wertpapiere, 1947, § 18 6. = S. 89; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, 2001, S. 39; Meyer-Cording/Drygala, Wertpapierrecht, Abschn. A IX 3 = S. 30; Müller-Christmann/Schnauder, Wertpapierrecht, 1992, Rz. 64; Müller-Christmann/Schnauder, JuS 1991, 117 (119); Richardi, Wertpapierrecht, 1987, § 7 III = S. 55; E. Ulmer in FS Raiser, 1974, S. 225 (236) (unter Aufgabe der gegenteiligen Ansicht in E. Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, 1938, S. 37); R. Wilhelmi in Erman, § 793 BGB Rz. 2; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, § 6 II 3 b = S. 35; abweichend Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 39; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 48: Ausgabe bzw. Begebungsvertrag ist rein dinglicher Natur. 2208 Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 3 I 2 b = S. 32; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, § 6 V 4 = S. 40. 2209 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 199; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 133; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 118; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 113. 2210 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 85. 2211 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 133; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 113. 2212 Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 3 II 3 b = S. 35; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 235; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 133; Richardi, Wertpapierrecht, 1987, § 7 III = S. 57. Abweichend E. Ulmer, Das Recht der Wertpapiere, 1938, S. 46: Rechtsschein werde nicht bereits durch die Ausstellung des Inhaberpapiers begründet, sondern erst dadurch, dass das Papier wider den Willen des Ausstellers in den Verkehr gelange oder dem Papierinhaber trotz bestehender Einwendungen belassen werde.

Fest

897

766

§ 221 AktG Rz. 767 Entstehung und Übertragung der Rechte im Einzelfall zu verneinen sein, wenn jemand bei der Unterschrift auf der Urkunde ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.2213 767

Die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie die Gewährung von Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) sind Maßnahmen der Geschäftsführung.2214 Diese darf der Vorstand zwar nur vornehmen, wenn die Hauptversammlung der konkreten Kapitalmaßnahme zugestimmt (§ 221 Abs. 1 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff.) oder den Vorstand hierzu ermächtigt hat (§ 221 Abs. 2 Satz 1 AktG, eingehend dazu Rz. 527 ff.).2215 Dieses Mitwirkungserfordernis schränkt aber lediglich die Geschäftsführungsbefugnis des Vorstands ein,2216 betrifft also nur das Innenverhältnis der Gesellschaft.2217 Wird ein solcher Beschluss nicht oder nicht wirksam gefasst (eingehend dazu Rz. 553 ff.) oder überschreitet der Vorstand inhaltliche Vorgaben der Hauptversammlung (eingehend dazu Rz. 510 ff., 519, 529 ff., 541), ist dies ohne Auswirkung auf die Entstehung der Rechte im Außenverhältnis.2218 Insbesondere ist das Erfordernis eines Beschlusses des Hauptversammlung nach § 221 Abs. 1-3 AktG – im Unterschied z.B. zu der nach § 293 Abs. 1 Satz 1 AktG erforderlichen Zustimmung der Hauptversammlung2219 – keine Sonderregelung im Verhältnis zu § 82 Abs. 1 AktG, die die Vertretungsmacht des Vorstands (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AktG) – bei der Gewährung von stock options an Mitglieder des Vorstands (siehe Rz. 205, 235) wird die Gesellschaft gemäß § 112 Satz 1 AktG ausnahmsweise durch den Aufsichtsrat vertreten – einschränkt.2220 Ohne Auswirkung auf die Entstehung der Rechtsverhältnisse sind ferner Verletzungen der Publizitätspflichten (§ 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG, eingehend dazu Rz. 547 ff.) sowie die Missachtung des nicht ausgeschlossenen Bezugsrechts der Aktionäre (§ 221 Abs. 4 Satz 1 AktG, eingehend dazu

2213 Müller-Christmann/Schnauder, JuS 1991, 117 (120). 2214 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 82; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 Rz. 134; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 102. 2215 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 38. 2216 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 150; Karollus in G/H/E/K, AktG, 1993, § 221 AktG Rz. 337. 2217 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (133 Rz. 75) = ZIP 2013, 212; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 38; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 84; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 100; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 10; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 42. 2218 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (133 Rz. 75) = ZIP 2013, 212; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 15; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 200; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 379; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 9, 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 69, 119, 337; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 49; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 129; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 42, 43. 2219 Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 8. Aufl. 2016, § 293 AktG Rz. 15; Hüffer/Koch, § 293 AktG Rz. 24; Koppensteiner in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2004, § 293 AktG Rz. 11; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 293 AktG Rz. 8; Mülbert in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 293 AktG Rz. 10; Servatius in Grigoleit, § 293 AktG Rz. 4; Veil in Spindler/Stilz, § 293 AktG Rz. 5; vgl. auch BGH v. 24.10.1988 – II ZR 7/88, BGHZ 105, 324 (335) = NJW 1989, 295 zu § 293 Abs. 2 AktG. 2220 OLG Frankfurt v. 6.11.2012 – 5 U 154/11, AG 2013, 132 (133 Rz. 75) = ZIP 2013, 212; Berghaus/ Bardelmeier in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 14 Rz. 22; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 150; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 99, 100, 134; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 69; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 114; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 10; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 15, 49.

898

Fest

Verbriefung

Rz. 768 § 221 AktG

Rz. 562 ff.).2221 Für die mit Wirkung vom 1.7.19792222 eingefügten Publizitätserfordernissen (§ 221 Abs. 2 Satz 2, 3 AktG, eingehend dazu Rz. 547 ff.) erfordern weder die unionsrechtlichen Vorgaben (Art. 29 Abs. 4, Abs. 1 Satz 2 Richtlinie 2012/30/EU i.V.m. Art. 3 Richtlinie 2009/101/EG) eine Einschränkung der Vertretungsmacht des Vorstands noch enthalten die Gesetzesmaterialien2223 Anhaltspunkte für einen dahingehenden Willen des deutschen Gesetzgebers.2224 Gibt der Vorstand Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) oder andere Wertpapiere aus, die in Aktien umgewandelt werden können (z.B. Wandelgenussrechte, eingehend dazu Rz. 483 ff.) oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), hindert die fehlende Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien (eingehend dazu Rz. 84 ff., 220 f.) die Entstehung der Rechtsverhältnisse nicht;2225 sie gefährdet lediglich den zukünftigen Aktienbezug der Berechtigten und verringert die Attraktivität des Wertpapiers für potentielle Investoren. Entsteht der Gesellschaft durch die im Innenverhältnis pflichtwidrige (Verletzung der Legalitätspflicht), im Außenverhältnis aber wirksame Begründung der Rechtsverhältnisse ein (Haftungs-)Schaden, sind die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG zum Schadensersatz verpflichtet.2226 Gleiches gilt für die Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn sie ihre Überwachungspflicht verletzen, § 116 Satz 1 AktG.2227

B. Verbriefung I. Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, 2 AktG) Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) können in Einzelurkunden (sog. effektive Stücken) oder in einer Sammelurkunde i.S.d. § 9a DepotG verbrieft werden. Soweit der Beschluss der Hauptversammlung Vorgaben für die Verbriefung enthält, hat der Vorstand diese umzusetzen.2228 Fehlen solche Vorgaben, hat der Vorstand selbst über die Art und Weise der Verbriefung zu entscheiden.2229 Marktüblich ist die Ausstellung einer Sammelurkunde (§ 9a DepotG)2230 in Gestalt 2221 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 200; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 80; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 96; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 34; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 219. 2222 Art. 1 Nr. 30 Buchst. a i.V.m. Art. 5 des Gesetzes zur Durchführung der Zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts v. 13.12.1978 (BGBl. I S. 1959). 2223 BT-Druck. 8/1678, S. 19. 2224 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 150. 2225 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 200. 2226 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in MünchKomm/AktG 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 151; A. Hueck in Baumbach/Hueck, § 221 AktG Rz. 2; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG, Rz. 70; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 15, 49; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 43. 2227 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 151; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 52; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 70; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 15; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 43. 2228 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 134; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 50. 2229 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 134; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 50. 2230 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 132; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120.

Fest

899

768

§ 221 AktG Rz. 769 Entstehung und Übertragung der Rechte einer sog. Dauerglobalurkunde, bei der der Anspruch auf Auslieferung einzelner Wertpapierurkunden gemäß § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG ausgeschlossen wird.2231 Die Urkunden sind grundsätzlich vom Vorstand – bei stock options (siehe Rz. 205, 235), die den Mitgliedern des Vorstands gewährt werden, ausnahmsweise vom Aufsichtsrat, § 112 Satz 1 AktG – im Namen der Gesellschaft zu unterzeichnen.2232 Anstelle der eigenhändigen Unterschrift genügt eine im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellte Namensunterschrift, § 793 Abs. 2 Satz 2 BGB. Ist der bei dem Druck der Urkunde amtierende Vorstand, dessen Namensunterschrift die Urkunde ziert, bei der Übergabe der Urkunde an den (Erst-)Erwerber nicht mehr im Amt, steht dies der wirksamen Ausstellung nicht entgegen.2233 769

Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) bedürfen als solche stets der Verbriefung.2234 Überwiegend werden Schuldverschreibungen auf den Inhaber i.S.d. § 793 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgegeben.2235 Alternativ können kaufmännische Verpflichtungsscheine mit Orderklausel (§ 363 Abs. 1 Satz 2 HGB) – diese Wertpapiere werden zwar häufig als Orderschuldverschreibungen bezeichnet,2236 sind aber keine geborenen, sondern gekorene Orderpapiere2237 – ausgegeben werden.2238 Werden sie mit einem Blankoindossament versehen, kann sich derjenige, der das Wertpapier in den Händen hält, für seine Legitimation – wie bei Inhaberschuldverschreibungen (§ 793 Abs. 1

2231 BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13 – Rz. 14, AG 2016, 29 = BeckRS 2015, 19156; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 269. Zu der Frage, ob und – wenn ja – unter welchen Umständen den Bruchteilseigentümern gleichwohl nach §§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG i.V.m. § 749 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Anspruch auf Aufhebung der Gemeinschaft und Auslieferung von Einzelurkunden zusteht, siehe kontrovers Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S. 73 f.; Heinsius/Horn/Than, 1975, § 9a DepotG Rz. 56; Kumpan in Baumbach/Hopt, § 6 DepotG Rz. 2. 2232 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 48; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 72; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 102; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120. 2233 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 134; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 48; Kümpel in FS Werner, 1984, S. 449 (467 f.); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47. 2234 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54, 58, 203; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 17, 87; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 125, 396; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 72, 470, 476, 477, 485; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 108, 149, 446; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 132; wohl a.A. Wieneke, WM 2013, 1540 (1544). 2235 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 38; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54, 58; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 17, 87; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 127; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 470, 476, 477, 485; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 3, 47; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 150, 446; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 23, 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 17 f., 52; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120; wohl a.A. Wieneke, WM 2013, 1540 (1544). 2236 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 54, 203; Habersack in FS Nobbe, 2009, S. 539 (541); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 127; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 23, 39; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47. 2237 Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 2 III 2 c. 2238 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 72, 485; Marburger in Staudinger, 2015, Vor §§ 793-808 BGB Rz. 70; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 132; kritisch Georgakopoulos, ZHR 120 (1957) 84 (142 mit Fn. 192): Zuzahlung für den Aktienerwerb ist mit § 262 Abs. 1 Satz 2 HGB unvereinbar.

900

Fest

Verbriefung

Rz. 770 § 221 AktG

Satz 1 BGB) – der Eigentumsvermutung des § 1006 BGB bedienen.2239 Gewinnschuldverschreibungen können auch als Namenspapiere ausgegeben werden.2240 Bei Wandelanleihen (eingehend dazu Rz. 70 ff.) ist das Umtauschrecht ein notwendiger Be- 770 standteil des zusammengesetzten Finanzinstruments. Es kann daher – im Gegensatz zu dem Optionsrecht bei Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) und Optionsaktien (eingehend dazu Rz. 276 ff.) – nicht von der Schuldverschreibung getrennt werden.2241 Erforderlich ist daher die gemeinsame Verbriefung der Schuldverschreibung und des Umtauschrechts in einer Wertpapierurkunde.2242 Bei Optionsanleihen (eingehend dazu Rz. 202 ff.) besteht – im Gegensatz zu Wandelanleihen (siehe Rz. 70) – kein Alternativitätsverhältnis zwischen der Schuldverschreibung und dem Aktienbezug (siehe Rz. 219). Daher können die Emittenten bei der Verbriefung von Optionsanleihen – unabhängig von dem Wert des Optionsrechts im Verhältnis zu der Schuldverschreibung2243 – zwischen zwei möglichen Gestaltungen wählen:2244 (1) Das Bezugsrecht auf Aktien kann als unselbstständiges Recht gemeinsam mit der Schuldverschreibung in einer Urkunde verbrieft werden.2245 Bei dieser Gestaltung kann weder von der Schuldverschreibung getrennt noch isoliert übertragen werden.2246 Die Urkunde ist nur bezüglich des Zahlungsversprechens Wertpapier; hinsichtlich des Bezugsrechts auf Aktien ist sie bloßes Legitimationspapier.2247 (2) Alternativ können die Schuldverschreibung und das Bezugsrecht auf Aktien in getrennten Wertpapierurkunden – in der Regel jeweils Inhaberschuldverschreibungen – verbrieft werden. Der sog. Optionsschein ist jedenfalls im Zeitpunkt der Ausgabe mit der Schuldverschreibung äußerlich verbunden, so dass die Optionsanleihe auch bei dieser Art der Verbriefung ein zusammengesetztes Finanzinstrument ist. Die Inhaber sind aber – nach Maßgabe der Anleihebedingungen (siehe Rz. 212), in der Regel nach einer kurzen Sperrfrist – berechtigt, die sog. Optionsscheine von der Schuldverschreibung zu trennen und eigenständig – auch am Kapitalmarkt – zu veräußern.2248

2239 Vgl. OLG Frankfurt v. 9.2.1982 – 5 U 195/81, NJW 1982, 2734 (2735). 2240 A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 6; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 485. 2241 Altenburg, DStR 2013, 5; Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 125; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 72; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 150; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Schanz, BKR 2011, 410; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120. 2242 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 48. 2243 Vgl. Martens, AG 1989, 69: Optionsrechte dürfen nur „Hilfsfunktion“ haben. Kritisch auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 125, 126, der derartige Emission aus der Sicht des historischen Gesetzgebers für bedenklich, heute aber für möglich erachtet. 2244 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 72; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 133. 2245 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 203; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 48; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 133. 2246 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 22; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 30; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6. 2247 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 125; Schumann, Optionsanleihen, 1990, S. 25 f. 2248 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 32, 203; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 125; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 48; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 72; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 150; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 133.

Fest

901

§ 221 AktG Rz. 771 Entstehung und Übertragung der Rechte

II. Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG) 771

Bei Genussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) ist die Verbriefung – im Unterschied zu Wandelschuldverschreibungen und Gewinnschuldverschreibungen (siehe Rz. 769) – keine Voraussetzung für die Entstehung des Rechts.2249 Sie ist nicht obligatorisch, sondern fakultativ.2250 Die Möglichkeit der Verbriefung – sie kann bereits bei der Gewährung der Genussrechte, aber auch erst nachträglich erfolgen2251 – besteht unabhängig von der inhaltlichen Ausgestaltung der Genussrechte, so dass sich Genussrechte und sog. Genussscheine nicht inhaltlich, sondern nur durch die Verbriefung unterscheiden.2252 Enthält der Beschluss der Hauptversammlung keine Vorgaben für die Verbriefung, kann der Vorstand im Zweifel nach eigenem Ermessen über die Verbriefung der Genussrechte entscheiden.2253

772

Entscheidet sich die Gesellschaft zu der Ausgabe von Urkunden über die Genussrechte, hat sie zu entscheiden, ob es sich um bloße Beweisurkunden2254 oder Wertpapiere handeln soll. Werden die Genussrechte in Wertpapieren verbrieft, können die Gesellschaften zwischen verschiedenen Arten der Verbriefung wählen: (1) Genussscheine können als Schuldverschreibungen auf den Inhaber i.S.d. § 793 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgestellt werden.2255 Üblich ist dies

2249 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 204; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 28; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 47; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (886). 2250 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 63, 204; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 236, 339; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 28; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 247; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 8; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 72; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 134; Wittig in FS Uhlenbruck, 2000, S. 685 (704). 2251 Zu der Möglichkeit der nachträglichen Verbriefung siehe Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 341; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 253. 2252 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 63; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 236; Lutter in FS Döllerer, 1988, S. 383 (384); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 92; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (278); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 23; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (886). 2253 Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120. 2254 Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 131; Frantzen, Genußscheine, 1993, S. 5 f.; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 39; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 204; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 28; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 339; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (278); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 25; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 134; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120. 2255 RG v. 4.5.1915 – VII 428/14, JW 1915, 794; Angerer, DStR 1994, 41 (42); Fischer in Ekkenga/ Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 41; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20, 39; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 204; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 9; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 28, 47; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 Rz. 339; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 247; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 92; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 31; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (278); Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 8; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 25, 47; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 134; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120.

902

Fest

Verbriefung

Rz. 772 § 221 AktG

insbesondere bei sog. Finanzierungsgenussscheinen (eingehend dazu Rz. 335 ff.).2256 In der Regel handelt es sich um (dauerhafte) Sammelurkunden i.S.d. § 9a Abs. 1 Satz 1 DepotG.2257 (2) Alternativ können Genussscheine als kaufmännische Verpflichtungsscheine mit Orderklausel (§ 363 Abs. 1 Satz 2 HGB) – zwar keine geborenen, aber gekorene Orderpapiere2258 – ausgestellt werden.2259 Werden sie mit einem Blankoindossament versehen, kann sich derjenige, der das Wertpapier in den Händen hält, für seine Legitimation – wie bei Inhaberschuldverschreibungen (§ 793 Abs. 1 Satz 1 BGB) – der Eigentumsvermutung des § 1006 BGB bedienen.2260 (3) Schließlich können Genussscheine als Namenspapiere ausgestellt werden.2261 Soll es sich hierbei nicht nur um eine bloße Beweisurkunde, sondern um ein Wertpapier handeln, muss in die urkundlichen Genussrechtsbedingungen – sofern diese keine Inhaberklausel (§ 808 Abs. 1 BGB) enthalten – eine Bestimmung aufgenommen werden, wonach der Schuldner nur gegen Vorlage des Papiers leisten muss oder leisten darf.2262 Üblich ist die Ausstellung von Namens- bzw. Rektapapieren bei sog. Mitarbeitergenussscheinen (eingehend dazu Rz. 353 ff.),2263 da (nur) diese Art der Verbriefung es der Gesellschaft ermöglicht, die Veräußerung der Genussscheine an Dritte durch eine Bestimmung in den Genussscheinbedingungen zu beschränken oder sogar auszuschließen (§§ 413, 399 Alt. 2 BGB).2264

2256 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 248. 2257 Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 250; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 92; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120. 2258 Angerer, DStR 1994, 41 (42); Ernst, Der Genußschein im deutschen und schweizerischen Aktienrecht, 1963, S. 129; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 251; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 8; Thielemann, Das Genußrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung und der Anlegerschutz, 1988, S. 65 f.; Wünsch in FS Strasser, 1983, S. 871 (887). 2259 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20, 39; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 204; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG AktG Rz. 87; Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 6, 9; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 339; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 247; Marburger in Staudinger, 2015, Vor §§ 793-808 BGB Rz. 70; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 92; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 31; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (278); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 25, 47; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 134. 2260 Vgl. OLG Frankfurt v. 9.2.1982 – 5 U 195/81, NJW 1982, 2734 (2735). 2261 Angerer, DStR 1994, 41 (42); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 20; Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 204; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 87; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; A. Hueck in Baumbach/Hueck, Vorbem § 221 AktG Rz. 9; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 28; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 339; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 252; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 92; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 31; Pougin in FS Oppenhoff, 1985, S. 275 (278); Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 8; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 25; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 134; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 120; Ziebe, BB 1984, 2210 (2211). 2262 Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 2 III 1 c = S. 22; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 252. 2263 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 396; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 252; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 92. 2264 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 252; Thielemann, Das Genußrecht als Mittel der Kapitalbeschaffung und der Anlegerschutz, 1988, S. 66 f.

Fest

903

§ 221 AktG Rz. 773 Entstehung und Übertragung der Rechte

III. Abstrakte Wertpapiere, kausales Rechtsverhältnis 773

Die Emittenten genießen die privatautonome Freiheit, Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine als kausale oder abstrakte Wertpapiere auszugestalten.2265 In der Praxis handelt es sich – soweit ersichtlich – ausschließlich um abstrakte Wertpapiere,2266 die kein (paritätisches) Darlehen (siehe Rz. 390 ff.),2267 sondern ein selbstständiges Schuldversprechen i.S.d. § 780 Satz 1 BGB verbriefen.2268 Die abstrakte Verbriefung offeriert den Vorteil, dass sich die Zweiterwerber der Inhaber- oder Orderpapiere (siehe Rz. 769, 772) eventuelle Mängel des Grundverhältnises zwischen dem Emittenten und dem Ersterwerber nicht entgegenhalten lassen müssen.2269 Sie ist also geeignet – und regelmäßig dazu bestimmt –, die Umlauffähigkeit der Wertpapiere zu erhöhen.2270 Maßgebliches Motiv für die Verbriefung eines abstrakten Schuldversprechens ist das Ziel, ein typusloses Wertpapier zu schaffen,2271 bei dem die Emittenten den Inhalt und die Nebenbedingungen des Leistungsversprechens in den Anleihebedingungen unabhängig von den zwingenden und dispositiven Regelungen des Grundverhältnisses ausgestalten können.2272 Der Zugewinn an inhaltlicher Gestaltungsfreiheit zeigt sich insbesondere bei dem Kündigungsrecht der Emittenten sowie der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle: (1) Würden die Schuldverschreibungen ein (paritätisches) Darlehen verbriefen, wäre die inhaltliche Gestaltungsfreiheit der Emittenten zum einen u.a. durch § 489 Abs. 2, 4 Satz 1 BGB empfindlich eingeschränkt. Zwar geht die ganz überwiegende Ansicht aufgrund der systematischen Stellung der Vorschrift davon aus, dass der Anwendungsbereich des ordentlichen Kündigungsrechts auf Gelddarlehensverträge beschränkt sei,2273 also auf Inhaber- und Orderschuldverschreibungen sowie auf Namensschuldverschreibungen keine Anwendung finde.2274 Die Begründung mit der Gesetzes2265 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 229 ff.; Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 24 I 3 = S. 208; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, § 5 I 3 = S. 28; siehe auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 52 für Genussscheine. 2266 A.A. Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 143 für Genusscheine mit Eigenkapitalcharakter. 2267 Vgl. Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 222 ff.; Oulds in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 14.65; a.A. von Baum, Die prozessuale Modifizierung von Wertpapierbedingungen durch Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, 1998, S. 135; Busch, Genußkapital als Eigenmittel von Versicherungsunternehmen, 1992, S. 102; Ebert, Stille Gesellschaft, Genussrecht und partiarisches Darlehen als mezzanine Kapitaltitel zur Finanzierung einer GmbH, 2010, S. 33; Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 6; Häuser in Soergel, § 609a BGB Rz. 17; Lenenbach, NZG 2001, 481 (482); Schlitt in Grunewald/Schlitt, Einführung in das Kapitalmarktrecht, § 1 III 2 = S. 9; ähnlich Schürnbrand, ZHR 173 (2009), 689 (695): partiarisches Darlehen als Grundverhältnis von Gewinnschuldverschreibungen. Dagegen Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 7 Rz. 22, 45 mit Fn. 104. 2268 Angerer, DStR 1994, 41 f.; Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 224; Habersack in MünchKomm/ BGB, 6. Aufl. 2013, § 793 BGB Rz. 34; Hopt in FS Steindorff, 1990, S. 341 (353); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 239; Maier-Reimer in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 129 (135); Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 52; Schmidt/Schrader, BKR 2009, 397 (398); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 94. 2269 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 52. 2270 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 239. 2271 Müller-Christmann/Schnauder, Wertpapierrecht, 1992, Rz. 80. 2272 Zu Einzelheiten Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 232. 2273 K. P. Berger in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 489 BGB Rz. 4; Döll, Die Bank 1987, 39 (45); Engau, Sparkasse 1987, 18 (19); Hammen, NJW 1987, 2856 (2857 f.); von Heymann, BB 1987, 415 (421); Mülbert in Staudinger, 2015, § 489 BGB Rz. 13; Thessinga in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, BankR IV Rz. 163; abweichend Bruchner/Krepold in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 79 Rz. 3: Geld- und Sachdarlehen. 2274 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 93; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 324; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht,

904

Fest

Verbriefung

Rz. 774 § 221 AktG

systematik verfängt aber nicht, wenn die Schuldverschreibungen kausal ausgestaltet sind, also ein Darlehensverhältnis verbriefen. In diesem Fall wäre auch das ordentliche Kündigungsrecht aus § 489 Abs. 2 BGB unmittelbar anzuwenden.2275 Diese Rechtsfolge vermeidet die abstrakte Verbriefung eines selbstständigen Schuldversprechens.2276 (2) Bei kausalen Wertpapieren wären insbesondere die Vorschriften des Darlehensrechts (§§ 488 ff. BGB) das Leitbild der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen (eingehend dazu § 3 SchVG Rz. 30 ff.). Für die in abstrakten Wertpapieren verbrieften selbstständigen Schuldversprechen i.S.d. § 780 Satz 1 BGB existiert kein vergleichbar detailliertes Leitbild. Die in der Literatur vertretene Ansicht, die Inhaltskontrolle habe sich auch bei einer abstrakten Verbriefung an den §§ 488 ff. BGB zu orientieren,2277 widerspricht der durch die Privatautonomie gewährleisteten Freiheit der Emittenten, zwischen der kausalen und der abstrakten Verbriefung zu wählen. Der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Ge- 774 nussscheinen liegt auch kein (paritätisches) Darlehen als kausales Rechtsverhältnis zugrunde.2278 Insbesondere werden sie nicht an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) für einen Darlehensrückzahlungsanspruch ausgegeben.2279 Voraussetzung hierfür wäre eine bereits im Zeitpunkt der Ausgabe der Wertpapiere erfüllbare Darlehensrückzahlungsforderung. Deren Entstehung erfordert allerdings nicht nur das Zustandekommen eines Darlehensvertrags, sondern auch die Auszahlung der Darlehensvaluta.2280 Dementsprechend setzt die Ausgabe der Wertpapiere an Erfüllungs statt voraus, dass der Ausgabebetrag einem Konto des Emittenten gutgeschrieben wird, bevor dieser die Wertpapiere als Leistung an Erfüllungs statt überträgt. Die hierfür erforderliche Vereinbarung einer Vorleistungspflicht der Ersterwerber – bei der marktüblichen Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung (eingehend dazu Kap. 4 Rz. 4.1 ff.) in der Regel ein Emissionskonsortium – ist ungewöhnlich. Marktüblich ist es vielmehr, die gegenseitigen Leistungen Zug um Zug unter Einschaltung eines Treuhänders abzuwickeln. Bei diesem Ablauf des Emissionsvorgangs werden die Wertpapiere nicht an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) hingegeben bzw. angenommen, sondern im Rahmen eines Rechtskaufvertrags an die Ersterwerber veräußert.2281

2275

2276 2277 2278 2279

2280 2281

Rz. 15.352; vgl. auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 287; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 233 zu § 609a BGB a.F.; a.A. Meilicke, BB 1987, 1609 (1612). Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 235; Mülbert in Staudinger, 2015, § 489 BGB Rz. 15; vgl. auch Brandts, Das Recht zur vorzeitigen Darlehenskündigung gemäß § 609a BGB unter besonderer Berücksichtigung des auslandsbezogenen Kreditgeschäfts, 1996, S. 16; Häuser in Soergel, § 609a BGB Rz. 17 jeweils zu § 609a BGB a.F. Vgl. für Genussscheine Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 233; im Ergebnis auch Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 48. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 93, 204, 260; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 131; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 280, 286, 342, 362. So aber Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 57; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 477; ähnlich Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 8: paritätisches Rechtsverhältnis. So aber Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 24 II 3 = S. 208; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rz. 2243; Dennhardt in Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 364 BGB Rz. 5; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 93; Häuser in Soergel, 12. Aufl. 1997, § 609a BGB Rz. 17. Abweichend von Baum, Die prozessuale Modifizierung von Wertpapierbedingungen durch Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, 1998, S. 135: Darlehensschuld werde als kausales Wertpapier verbrieft. Statt vieler Weidenkaff in Palandt, § 488 BGB Rz. 9. RG v. 9.12.1926 – IV 228/26, JW 1927, 1375; RG v. 25.2.1922 – I 312/21, RGZ 104, 119 (120); RG v. 13.3.1891 – I 6/91, RGZ 28, 29 (30 f.); Ballhaus in BGB-RGRK, 12. Aufl. 1978, vor § 607 BGB Rz. 28; Engau, Sparkasse 1987, 18 (19); Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 244 ff.; Horn, ZHR 173 (2009), 12 (16); Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 139, 230; un-

Fest

905

§ 221 AktG Rz. 775 Entstehung und Übertragung der Rechte

C. Verwahrung, Übertragung, Verpfändung 775

Die Wertpapierurkunden werden i.d.R. von einer Wertpapiersammelbank – im Inland einzig die Clearstream Banking AG – verwahrt. Da Kontoinhaber bei der Clearstream Banking AG nur Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sein können,2282 bestehen im Verhältnis zu den Gläubigern mehrstufige Besitzverhältnisse: Als unmittelbare (Fremd-)Besitzerin der Wertpapierurkunden mittelt die Clearstream Banking AG den Besitz zu Gunsten der Depotbank des Gläubigers (mittelbare Fremdbesitzer der ersten Stufe), die wiederum für den Gläubiger als ihren Kunden (mittelbare Eigenbesitzer der zweiten Stufe) besitzt.2283

776

Sind die Finanzierungsinstrumente als Inhaberpapiere verbrieft, werden die effektiven Stücke nach § 929 Satz 1 BGB, die Miteigentumsanteile an einer Sammelurkunde nach den §§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG i.V.m. §§ 747 Satz 1, 929 ff. BGB übertragen.2284 Erfolgt der Erwerb durch einen Einkaufskommissionär, enthält § 24 Abs. 2 Satz 1 DepotG für die Rechtsübertragung an den Kommittenten zwar eine besondere Vorschrift. Da der Einkaufskommissionär im Wertpapiergeschäft aber regelmäßig als Stellvertreter für seinen Kommittenten handelt – die Offenkundigkeit der Stellvertretung ist nach Maßgabe der Lehre vom Geschäft für den, den es angeht, ausnahmsweise entbehrlich2285 – erfolgt der Eigentumsübergang des Kommittenten grundsätzlich ohne Durchgangserwerb des Einkaufskommissionärs,2286 weshalb § 24 Abs. 2 Satz 1 DepotG kaum praktische Relevanz entfaltet.2287 Die Verpfändung erfolgt nach § 1293

2282 2283

2284

2285

2286

2287

906

klar Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 7 Rz. 45 mit Fn. 104: aliud zu einem Darlehensvertrag. Siehe Nr. 1 Abs. 1 AGB der Clearstream Banking AG. BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 (28 f. Rz. 15, 16) = AG 2016, 29 = NZG 2016, 187; Brink, Rechtsbeziehungen und Rechtsübertragung im nationalen und internationalen Effektengiroverkehr, 1976, S. 52; Horn, WM 2002, Sonderbeilage Nr. 2, S. 9; Klanten in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 72 Rz. 101; Scherer/Martin in Scherer, 2012, § 9a DepotG Rz. 22. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 41; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 210; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 53, 55; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 121, 366, 485; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 254; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 140; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 121. Decker in Hellner/Steuer, BuB, Stand: 10.08, Rz. 8/345; Delorme, Die Bank 1979, 446 (449); Heinsius/Horn/Than, 1975, § 6 DepotG Rz. 84, § 24 DepotG Rz. 36; Horn, WM 2002, Sonderbeilage Nr. 2, S. 11; Klanten in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 72 Rz. 102; Scherer in Pfeiffer, Handbuch der Handelsgeschäfte, 1999, § 15 Rz. 31; ablehnend Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 30 Rz. 69. Zur rechtlichen Einordnung der Lehre vom Geschäft für den, den es angeht, als teleologische Reduktion des Offenkundigkeitsgrundsatzes siehe BGH v. 25.3.2003 – XI ZR 224/02, BGHZ 154, 276 (279) = NJW-RR 2003, 921; Medicus/Petersen, Bürgerliches Recht, Rz. 90; abweichend Schubert in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 164 BGB Rz. 48: Verstoß bzw. Durchbrechung des Offenkundigkeitsgrundsatzes. Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 9 Rz. 23; Haubold, RIW 2005, 656 (657); Heinsius/Horn/Than, 1975, § 6 DepotG Rz. 84, § 24 DepotG Rz. 36; Horn, WM 2002, Sonderbeilage Nr. 2, S. 11; Ingelmann, WM 1997, 745 (748); Itzel in Derleder/Knops/Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl. 2009, § 60 Rz. 32; Klanten in Schimansky/ Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 72 Rz. 102; Kümpel, WM 1976, 942 (953); G. Opitz, ZfgK 1951, 564 (566); Schindelwick, WM 1960, Sonderbeilage Nr. 10, S. 10; Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.205, 18.206; L. Wolter, Effektenkommission und Eigentumserwerb, 1979, S. 202; ablehnend Canaris, Handelsrecht, § 30 Rz. 68; a.A. KG v. 26.2.1953 – 2 W 583/53, WM 1953, 388 (389) unter Bezugnahme auf das Selbsteintrittsrecht des (Einkaufs-)Kommissionärs; ebenfalls abweichend Zöllner in FS L. Raiser, 1974, S. 249 (263): § 24 Abs. 2 DepotG als „in der Praxis gänzlich vorherrschende Form des Eigentumsübergangs“. Decker in Hellner/Steuer, BuB, Stand: 10.08, Rz. 8/345; Klanten in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 72 Rz. 40; nur terminologisch abweichend Heinsius/Horn/Than, 1975,

Fest

Verwahrung, Übertragung, Verpfändung

Rz. 776 § 221 AktG

i.V.m. §§ 1204 ff. BGB.2288 Die Übergabe (§ 929 Satz 1 BGB) einzelner effektiver Stücke ist auch im Effektengiroverkehr nicht entbehrlich.2289 Sie wird nicht nach § 931 BGB ersetzt,2290 sondern erfolgt lediglich im Wege der sog. Besitzumstellung2291 ohne körperliche Bewegung der Wertpapierurkunde.2292 Es genügt die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses,2293 wodurch der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt.2294 Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine Dauerglobalurkunde handelt, bei der der Anspruch auf Auslieferung einzelner Wertpapierurkunden gemäß § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG ausgeschlossen ist.2295 Bei der Anwendung der §§ 929 Satz 1, 932 Satz 1, 868 BGB ist den Besonderheiten des modernen Effektengirover-

2288 2289

2290

2291 2292 2293

2294

2295

§ 24 DepotG Rz. 35: „subsidiär“. A.A. Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2135); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 127; Zöllner in FS Raiser, 1974, S. 249 (263): „in der Praxis gänzlich vorherrschende Form des Eigentumsübergangs“; wohl auch H.P. Westermann, RabelsZ 49 (1985), 214 (231). Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 210; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 140. Zu Einzelheiten siehe BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 (27 Rz. 13) = AG 2016, 29 = NZG 2016, 187. So aber Einsele in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2014, Depotgeschäft Rz. 106; Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S. 90 f.; wohl nur missverständlich Bliesener in Beiträge für Hopt, 2008, S. 355 (366). Dagegen K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 1008 BGB Rz. 31. Ähnlich Fabricius, AcP 162 (1963), 456 (482); Horn, ZHR 173 (2009), 12 (34): Buchung ersetzt den nach den §§ 929 ff. BGB erforderlichen Besitz. So aber LG München I v. 7.5.1951 – 4 Wp 31, WM 1951, 296 (297); LG Kiel v. 6.4.1951 – KWpR.202, WM 1951, 248; C. Becker, Das Problem des gutgläubigen Erwerbs im Effektengiroverkehr, 1981, S. 62; J. Hager, WM 1980, 666 (671); Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, Anh. § 68 AktG Rz. 24, 27; Zöllner in FS L. Raiser, 1974, S. 249 (265). Klanten in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 72 Rz. 104; Rögner in Scherer, 2012, § 5 DepotG Rz. 76; Scherer in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, BankR VI Rz. 473; Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.192. BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 (29 Rz. 16) = AG 2016, 29 = NZG 2016, 187; Hirte/Knof, WM 2008, 7 (9); Scherer/Martin in Scherer, 2012, § 9a DepotG Rz. 24. BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 (28 f. Rz. 15) = AG 2016, 29 = NZG 2016, 187; Böttcher, 2012, § 6 DepotG Rz. 1; Klanten in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 72 Rz. 104; Modlich, DB 2002, 671 (674); Scherer in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, BankR VI Rz. 473; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 747 BGB Rz. 21; Wehowsky in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 6 DepotG Rz. 2; Wilhelm, Sachenrecht, Rz. 1010; Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.193; vgl. auch Nr. VIII Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Clearstream Banking AG (Stand: 1.1.2012). BGH v. 4.2.1999 – III ZR 56/98, NJW 1999, 1393; BGH v. 10.10.1984 – VIII ZR 244/83, BGHZ 92, 280 (288) = NJW 1985, 376; BGH v. 17.5.1971 – VIII 15/70, NJW 1971, 1608 (1609); BGH v. 21.4.1959 – VIII ZR 148/58, NJW 1959, 1536 (1539); RG v. 7.11.1921 – II 198/21, RGZ 103, 151 (153); RG v. 18.5.1926 – VI 49/26, WarnRspr. 1926, Nr. 138 = S. 201; Horn in FS Hadding, 2004, S. 893 (899); Kumpan in Baumbach/Hopt, § 5 DepotG Rz. 3; Pikart in BGB-RGRK, 12. Aufl. 1979, § 931 BGB Rz. 3; Pikart, WM 1975, 402 (404); Schefold, IPRax 2000, 468 (475); vgl. auch RG v. 16.12.1921 – II 268/21, WarnRspr. 1922, Nr. 77 = S. 94 f. für einen Lagerschein. A.A. Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht, 1995, S. 75; vgl. auch Habersack/Mayer, WM 2000, 1678 (1681) für globalverbriefte Aktien. Siehe auch Canaris, Bankvertragsrecht, Rz. 2124 f., der den mittelbaren Mitbesitz des Veräußerers verneint, die Übereignung aber durch schlichte Einigung zulassen will. Die Ausführungen von Delorme, Die Bank, 1979, 446 (449) sind insoweit widersprüchlich, als er den für eine Übertragung des Miteigentumsanteils nach den §§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG i.V.m. §§ 747 Satz 1, § 931 BGB erforderlichen Herausgabeanspruch verneint, den Veräußerer aber gleichwohl als mittelbaren Mitbesitzer ansieht, der seinen Miteigentumsanteil nach den §§ 9a Abs. 2, 6 Abs. 1 DepotG i.V.m. §§ 747 Satz 1, 929 Satz 1 BGB übertragen könne.

Fest

907

§ 221 AktG Rz. 777 Entstehung und Übertragung der Rechte kehrs Rechnung zu tragen.2296 Danach ist die erforderliche Publizität als gewahrt anzusehen, wenn die Besitzumstellung durch eine Änderung der Eintragung des Hinterlegers (sog. Umbuchung bzw. Settlement) in dem Verwahrungsbuch (§ 14 Abs. 1 Satz 1 DepotG)2297 bzw. durch eine Belastung des Depotkontos des Veräußerers und eine entsprechende Gutschrift auf dem Depotkonto des Erwerbers dokumentiert wird.2298 Sind die Instrumente als gekorene Orderpapiere verbrieft (siehe Rz. 769, 772), bedarf die Übertragung zusätzlich eines Indossaments i.S.d. § 364 f. HGB i.V.m. Art. 11 WG.2299 Bei der Verpfändung ist das Indossament entbehrlich, § 1292 BGB. 777

Alternativ zu der wertpapiertypischen Übertragung kann der tatsächliche Gläubiger die in den Inhaberschuldverschreibungen oder Orderpapieren verbrieften Rechte grundsätzlich abtreten (§ 398 Satz 1 BGB).2300 Die Emittenten können die Abtretbarkeit nach § 399 Alt. 2 BGB ausschließen.2301 Zu Lasten eventueller Zweiterwerber wirkt der Ausschluss nur, wenn er in die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen aufgenommen wird und daher aus der Urkunde ersichtlich ist (§ 796 Fall 2 BGB).2302 Dieser vertragliche Ausschluss der Abtretbarkeit wird bei Wertpapieren aus Gesamtemissionen in der Regel nicht durch § 354a Abs. 1 Satz 1 HGB überwunden. Die verbriefte Forderung entsteht durch einen Begebungsvertrag zwischen 2296 Fest, Anleihebedingungen, 2017, S. 216 f.; vgl. auch BGH v. 24.9.2015 – IX ZR 272/13, BGHZ 207, 23 (29 Rz. 16) = AG 2016, 29 = NZG 2016, 187 zu § 1205 Abs. 2 BGB für die Verpfändung von Inhaberaktien. 2297 Böttcher, 2012, § 6 DepotG Rz. 1. Die Formulierung in BGH v. 30.11.2004 – XI ZR 200/03, BGHZ 161, 189 (191) = NJW 2005, 1275, wonach die Besitzverschaffung mittels Übertragung der tatsächlichen Sachherrschaft durch die Umbuchung der Depotgutschriften „ersetzt“ wird, ist wohl lediglich eine sprachliche Verkürzung. In diese Richtung auch Lutter/Drygala in KölnKomm/ AktG, Anh. § 68 AktG Rz. 32: Anteile an Dauerglobalurkunden werden „faktisch durch Umbuchung übertragen“. 2298 Siehe Nr. XX Abs. 1 Satz 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Clearstream Banking AG (Stand: 1.1.2012); Bliesener in Beiträge für Hopt, 2008, S. 355 (366); Scherer in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 3. Aufl. 2015, BankR VI Rz. 473; Scherer/Martin in Scherer, 2012, § 9a DepotG Rz. 6; K. Schmidt in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 1008 BGB Rz. 31; Will in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 18.194. 2299 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 210; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 121, 366, 485; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 254; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 50; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 140. 2300 BGH v. 14.5.2013 – XI ZR 160/12, NZG 2013, 903 (905 Rz. 17); BGH v. 21.9.2010 – XI ZR 6/10, BeckRS 2010, 24142; BGH v. 25.11.2008 – XI ZR 413/07, NZG 2009, 474 (476 Rz. 15); Canaris in Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 1 I 5 b = S. 7; Casper in Baumbach/ Hefermehl/Casper, WG/ScheckG/Kartengestützte Zahlungen, 23. Aufl. 2008, WPR Rz. 34; Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 41; Früchtl in Wachter, § 21 AktG Rz. 41, 42; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 210; Habersack/ Mayer, WM 2000, 1678 (1682); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 127; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 53, 55; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 121, 366, 485; Kümpel, WM 1981, Sonderbeilage Nr. 1, S. 5; Marburger in Staudinger, 2015, Vorbem zu §§ 793-808 BGB Rz. 7; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Müller-Christmann/ Schnauder, Wertpapierrecht, 1992, Rz. 32; Nodoushani, WM 2007, 289 (292); Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 50; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 140; Sprau in Palandt, § 793 BGB Rz. 9; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 121; Zöllner, Wertpapierrecht, 14. Aufl. 1987, § 2 II 1 b = S. 10; Zöllner in FS Raiser, 1974, S. 249 (285); a.A. Böttcher, § 5 DepotG Rz. 5; Einsele, WM 2001, 7 (11 f.); A. Stadler in Jauernig, § 793 BGB Rz. 6; wohl auch Wehowsky in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 5 DepotG Rz. 5, § 6 DepotG Rz. 2. 2301 Fischer in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 10 Rz. 41; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 255; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 121. 2302 Kümpel, WM 1981, Sonderbeilage Nr. 1, S. 24.

908

Fest

Verwahrung, Übertragung, Verpfändung

Rz. 778 § 221 AktG

dem Emittenten und – im praktischen Regelfall der Fremdemission in Form der mittelbaren Platzierung – dem Emissionskonsortium. Letztes ist keine (Personen-)Handelsgesellschaft, sondern eine (Gelegenheits-)Gesellschaft bürgerlichen Rechts,2303 so dass der Begebungsvertrag nicht für beide Teile ein Handelsgeschäft ist. Ist die Abtretung nicht ausgeschlossen oder ausnahmsweise trotz eines Abtretungsverbots wirksam, erfolgt der Rechtsübergang ohne Übergabe der Wertpapierurkunde.2304 Um zu verhindern, dass die verbrieften Forderungen und das Eigentum an der Urkunde unterschiedlichen Personen zustehen, erwirbt der Zessionar entsprechend § 952 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BGB auch das Eigentum an der Urkunde.2305 Bei Rektapapieren ist die Übertragung durch Abtretung alternativlos.2306 Gleiches gilt für unverbriefte Genussrechte (siehe Rz. 771) sowie Genussscheine, die bloße Beweisurkunden sind (siehe Rz. 772).2307 Die Verpfändung erfolgt nach den §§ 1274 ff. BGB. Bei Wandelanleihen und Optionsanleihen, deren Optionsrecht nicht abgetrennt werden 778 kann (siehe Rz. 770), bezieht sich die Verfügung stets auf das gesamte zusammengesetzte Finanzinstrument, d.h. die Schuldverschreibung und das untrennbar damit verbundene Umtausch- oder Optionsrecht.2308 Bei Optionsanleihen, bei denen das Optionsrecht eigenständig verbrieft und der Optionsschein nach Maßgabe der Anleihebedingungen von der Schuldverschreibung getrennt werden kann, können der abgetrennte Optionsschein und die Schuldverschreibung auch Gegenstand selbstständiger Verfügungen sein.2309 Ob sich eine Verfügung nur auf den Optionsschein oder die Schuldverscheibung oder auf beide Wertpapiere bezieht, ist im Einzelfall durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln. 2303 BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83 (99) = AG 1992, 312 = NJW 1992, 2222; RG v. 12.2.1908 – I 212/07, RGZ 67, 394 (395); RG v. 11.12.1903 – VII 317/03, RGZ 56, 206 (207); Assmann, WM 2005, 1053 (1063); Assmann, ZHR 152 (1988), 371 (374); Bartz in Derleder/Knops/ Bamberger, Handbuch zum deutschen und europäischen Bankrecht, 2. Aufl. 2009, § 58 Rz. 46; Bungert, DZWiR 1996, 185 (187); De Meo, Bankenkonsortien, 1994, Kap. 2 Rn. 63 = S. 48; Einsele, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Aufl. 2014, § 7 Rz. 5; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 6 Rz. 199, 206; Gottschalk, ZIP 2006, 1121 (1124); Grundmann in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 112 Rz. 84; Grundmann in FS Boujong, 1996, S. 159 (161); Hopt, Die Verantwortlichkeit der Banken bei Emissionen, 1991, Rz. 49; N. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (49); Joussen, WM 1995, 1861 (1865); Kumpan in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpHG Rz. 71; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, 2001, S. 43; Sprau in Palandt, § 705 BGB Rz. 44; Ulmer/Schäfer in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, Vor § 705 BGB Rz. 51; a.A. Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 118; R. Müller in Kümpel/Wittig, Bankund Kapitalmarktrecht, Rz. 15.322: keine Gesellschaft, Ersterwerb der Wertpapiere durch einzelne Konsortialmitglieder. 2304 BGH v. 14.5.2013 – XI ZR 160/12, NZG 2013, 903 (905 Rz. 17). Unklar Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 50: zusätzlich Beachtung der §§ 929 ff. BGB erforderlich. 2305 BGH v. 14.5.2013 – XI ZR 160/12, NZG 2013, 903 (906 Rz. 21); Casper in Baumbach/Hefermehl/ Casper, WG/ScheckG/Kartengestützte Zahlungen, 23. Aufl. 2008, WPR Rz. 34; Habersack/Mayer, WM 2000, 1678 (1682); Marburger in Staudinger, 2015, Vorbem zu §§ 793-808 BGB Rz. 7, 20; Sailer-Coceani in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 14 Rz. 5; Zöllner in FS Raiser, 1974, S. 249 (285). 2306 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 210; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 121, 366, 485; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Seiler in Spindler/ Stilz, § 221 AktG Rz. 140. 2307 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 210; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 397; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 53; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 366; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 254; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 140. 2308 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 211; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 122. 2309 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 211; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 55; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 122; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 107; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 6, 50; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 140; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 122.

Fest

909

§ 221 AktG Rz. 779 Entstehung und Übertragung der Rechte

D. Börsenhandel, Finanztermingeschäfte 779

Der in § 32 Abs. 1 BörsG vorausgesetzte Begriff des Wertpapiers umfasst u.a. die in § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG genannten Schuldtitel.2310 Daher können Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.) und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie Genussrechte (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff., 342), die als kapitalmarktfähige Inhaberschuldverschreibungen oder gekorene Orderpapiere verbrieft sind (eingehend dazu Rz. 769, 772), unter den Voraussetzungen der §§ 32 ff. BörsG i.V.m. §§ 1 ff. BörsZulV zum Handel im regulierten Markt an einer Börse oder nach Maßgabe der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der jeweiligen Börse im Freiverkehr zugelassen werden.2311 Gleiches gilt für Optionsscheine, unabhängig davon, ob es sich um abgetrennte Optionsscheine aus einer Optionsanleihe (siehe Rz. 770) oder um isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) handelt.2312 Als Rektapapiere ausgestaltete Genussscheine können zwar ebenfalls Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 WpHG sein.2313 Für die Börsenzulassung fehlt es aber an der gemäß § 5 Abs. 1 BörsZulV erforderlichen Fungibilität, wenn – wie bei dieser Art der Verbriefung häufig – die Genussrechte individuell ausgestaltet sind oder die Genussrechtsbedingungen – wie insbesondere bei Mitarbeitergenussrechten üblich (siehe Rz. 353) – eine Vinkulierungsbestimmung enthalten.

780

Das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte nach § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 562 ff.) ist ein Bestandteil der Mitgliedschaft (siehe Rz. 562) und kann als solcher von der Aktie nicht getrennt werden. Von dem abstrakten Bezugsrecht ist der konkrete Bezugsanspruch zu unterscheiden (eingehend dazu Rz. 573 ff.). Dieser entsteht – im Fall einer Zustimmung nach § 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG (eingehend dazu Rz. 510 ff.) – mit dem Beschluss der Hauptversammlung oder – im Fall einer Ermächtigung des Vorstands nach § 221 Abs. 2 Satz 1 AktG (eingehend dazu Rz. 527 ff.) – sobald der Vorstand beschließt, die ihm erteilte Ermächtigung auszunutzen (siehe Rz. 575). Der Bezugsanspruch ist nach § 398 Satz 1 BGB und – wenn er in dem Dividendenschein verbrieft ist2314 – nach wertpapierrechtlichen Grundsätzen selbstständig übertragbar.2315 Ist die Aktie zum Handel an einer Börse zugelassen, umfasst diese Zulassung auch das Bezugsrecht und die Bezugsansprüche; bör-

2310 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 32 BörsG Rz. 25. 2311 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 41; Groß, Kapitalmarktrecht, § 32 BörsG Rz. 12; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 212; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 265, 347, 449; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 53; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 108; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 50; Rid-Niebler, Genußrechte als Instrument zur Eigenkapitalbeschaffung über den organisierten Kapitalmarkt für die GmbH, 1989, S. 150 ff.; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 121; vgl. auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 121, 373. 2312 Groß, Kapitalmarktrecht, § 32 BörsG Rz. 12; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 212; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 265; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 55; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 108; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 50; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 122. 2313 Statt vieler Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 2 WpHG Rz. 28. 2314 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 49; Hüffer/Koch, § 186 Rz. 7. 2315 Vgl. Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 106; Hüffer/Koch, § 186 Rz. 7; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 30; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175 (2181).

910

Fest

Börsenhandel, Finanztermingeschäfte

Rz. 781 § 221 AktG

senrechtlich sind sie ein Annex der Aktie.2316 Sollen die Bezugsansprüche – was selten geschieht2317 – mit einer eigenen Wertpapierkennnummer2318 an der Börse gehandelt werden (sog. Bezugsrechtshandel), bedarf es daher keiner gesonderten Zulassung nach § 32 Abs. 1 BörsG;2319 es genügt deren Einführung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 BörsG.2320 Erfolgt die Börseneinführung der Bezugsansprüche, ohne dass hierauf ein Anspruch der Aktionäre besteht,2321 liegt hierin ein prospektpflichtiges öffentliches Angebot nach § 3 Abs. 1 WpPG.2322 Der organisierte Bezugsrechtshandel findet regelmäßig vom ersten bis zum drittletzten Tag der Bezugsfrist (§ 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 1 Satz 2 AktG) statt.2323 Die Trennung des Bezugsanspruchs von der Aktie wird durch einen Zusatz („Ex-Bezugsrecht“ oder kurz „ExB“) offengelegt.2324 Sollen die Wandel-, Optionsanleihen, isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) oder Genussscheine öffentlich angeboten oder im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen werden, darf dies gemäß § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 4 WpPG grundsätzlich – d.h. vorbehaltlich der Ausnahmen des § 3 Abs. 2, 3 und des § 4 WpPG – erst nach der Veröffentlichung eines gebilligten Wertpapierprospekts erfolgen. Wandelund Optionsanleihen werden in der Regel nicht öffentlich angeboten, sondern potentiellen Investoren im Zuge einer Privatplatzierung offeriert.2325 Da auch das gemäß § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG grundsätzlich erforderliche Bezugsangebot an die Aktionäre (eingehend dazu Rz. 562 ff.) nach überwiegender Ansicht jedenfalls dann kein öffentliches Angebot i.S.d. § 3 Abs. 1 WpPG ist, wenn ein öffentlicher (z.B. börslicher) Bezugsrechtshandel weder von der Emissionsgesellschaft noch von den beteiligten Emissionsbanken eingerichtet wird,2326 ist die kostenintensive und haftungsanfällige Erstellung eines Wertpapierprospekts in der Regel ge-

2316 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG; § 42 Rz. 70; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 142; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 31. 2317 Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 43. 2318 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 70. 2319 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 32; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 142; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175 (2181). 2320 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 31; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 142; Schlitt/Seiler, WM 2003, 2175 (2181). 2321 AG Hamburg v. 1.4.1999 – 415 O 34/99, AG 1999, 382; Ekkenga/Jaspers in Ekkenga/Schröer, Handbuch der AG-Finanzierung, Kap. 4 Rz. 142; Hüffer/Koch, § 186 Rz. 7; Marsch-Barner in Bürgers/Körber, § 186 Rz. 6; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 31; a.A. Bader, AG 2014, 472 (485 mit Fn. 71); Servatius in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 17; offengelassen von OLG Hamburg v. 8.4.1999 – 11 U 62/99, AG 1999, 519 (520). 2322 von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 31; Groß, Kapitalmarktrecht, § 2 WpPG Rz. 18a; Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 24; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 31. 2323 Busch in Marsch-Barner/Schäfer, Handbuch börsennotierte AG, § 42 Rz. 70; von Dryander/Niggemann in Hölters, § 186 AktG Rz. 32; Schäcker/Kunze/Wohlgefahrt in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Unternehmensfinanzierung, § 3 Rz. 61. 2324 Herfs in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 6 Rz. 106; Schürnbrand in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 186 AktG Rz. 30. 2325 OLG München v. 1.6.2006 – 23 U 5917/05, AG 2007, 37 (40) = NZG 2006, 784; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 266; Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 80; Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252 (256); Seibt, CFL 2010, 165 (168). 2326 Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch des Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 36; Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252 (256).

Fest

911

781

§ 221 AktG Rz. 782 Entstehung und Übertragung der Rechte mäß § 3 Abs. 1, 2 Nr. 1 WpPG entbehrlich.2327 Werden Wandel- und Optionsanleihen ausnahmsweise öffentlich angeboten, bedarf es der Erstellung eines Wertpapierprospekts gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 WpPG gleichwohl nicht, wenn die Mindeststückelung der Teilschuldverschreibungen – wie marktüblich – 100.000 Euro beträgt oder sogar übersteigt. Bei dieser Gestaltung der Emission bestünde gleichwohl die Prospektpflicht nach § 3 Abs. 4 WpPG, wenn die Wandel- oder Optionsanleihe, ein von der Optionsanleihe bereits vor dem Listing abgetrennter Optionsschein oder die von dem Optionsschein getrennte Schuldverschreibung an einem organisierten Markt (§ 2 Nr. 16 WpPG) zugelassen werden soll.2328 Um diese Prospektpflicht zu vermeiden, werden Wandel- und Optionsanleihen sowie abgetrennte und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) nur selten an einem organisierten Markt (§ 2 Nr. 16 WpPG) zugelassen.2329 Weitaus häufiger werden sie – prospektfrei – in den Freiverkehr einbezogen.2330 Ursächlich hierfür dürfte u.a. § 11 BörsZulV sein. 782

Genussscheine, insbesondere Finanzierungsgenussscheine (eingehend dazu Rz. 335 ff.), werden weitaus häufiger als Wandel- und Optionsanleihen öffentlich angeboten. Sofern die Erstellung eines Wertpapierprospekts nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 4 WpPG erforderlich ist,2331 ist insbesondere für das Prospektformat (§ 6 Abs. 1 WpPG) sowie für den Mindestinhalt des Prospekts (§ 7 WpPG i.V.m. Anhänge I und III bei Dividendenwerten, Anhänge IV, XI oder V, ggf. auch XII der EU-ProspektVO) im Einzelfall danach zu unterscheiden, ob die Genussscheine Aktien vergleichbare Wertpapiere und somit Dividendenwerte (§ 2 Nr. 2 WpPG) oder Nichtdividendenwerte (§ 2 Nr. 3 WpPG) sind. Genussscheine verbriefen keine Mitgliedschaft, sondern bloße schuldrechtliche Ansprüche (siehe Rz. 359). Die Vergleichbarkeit mit Aktien i.S.d. § 2 Nr. 2 WpPG bzw. Art. 6 Abs. 2 EU-ProspVO ist aber nicht auf Wertpapiere beschränkt, die ihren Inhabern eine mitgliedschaftliche Rechtsstellung vermitteln. Vergleichbar können auch Wertpapiere sein, die im Verhältnis zu Aktien formal zwar ein aliud darstellen,2332 aufgrund ihrer konkreten inhaltlichen Ausgestaltung2333 Aktien aber wirtschaftlich ähnlich sind. In Anwendung dieses Maßstabs sind Genussscheine jedenfalls dann Aktien vergleichbare Wertpapiere und damit Dividendenwerte i.S.d. § 2 Nr. 2 WpPG, wenn die Genussrechte Eigenschaften aufweisen, die es dem Emittenten erlauben, das eingezahlte Genussrechtskapital als Eigenkapital zu bilanzieren (siehe Rz. 339)2334 und den bank- oder ver-

2327 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 266; Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch des Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 36; vgl. auch Schlitt/Schäfer, CFL 2010, 252 (256). 2328 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 81. 2329 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 81. 2330 Schlitt/Hemeling in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, § 12 Rz. 81; Seibt, CFL 2010, 165 (168). 2331 Zu der Prospektpflicht bei der Gewährung von Genussrechten außerhalb des WpPG siehe Schroeter, WM 2014, 1163 ff. 2332 von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, 3. Aufl. 2017, § 2 WpPG Rz. 25. 2333 Foelsch in Holzborn, § 2 WpPG Rz. 8; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 13; Ritz/Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, 2009, § 2 WpPG Rz. 80; Schlitt/ Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 25; Schnorbus in FrankfurtKomm/WpPG, 2011, § 2 WpPG Rz. 21. 2334 Foelsch in Holzborn, § 2 WpPG Rz. 8; Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 25; ähnlich Schnorbus inFrankfurtKomm/WpPG, 2011, § 2 WpPG Rz. 21; wohl auch Ritz/Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, § 2 WpPG Rz. 82 ff.

912

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 784 § 221 AktG

sicherungsaufsichtsrechtlichen Eigenmitteln zuzurechnen (siehe Rz. 341, 421 ff., 435, 452 ff., 455).2335 Dies setzt voraus, dass keine Rückzahlung des Nennbetrags erfolgt2336 oder, sofern eine Rückzahlung vorgesehen ist, diese erst nach Ablauf von fünf Jahren nach der Einzahlung des Kapitals stattfinden darf,2337 der Rückzahlungsanspruch gegenüber den Ansprüchen sämtlicher anderen Gläubiger nachrangig ist, die Genussscheingläubiger im Rang also nicht besser stehen als die Aktionäre,2338 das eingezahlte Kapital an den Verlusten des Unternehmens teilnimmt (eingehend dazu Rz. 420 ff.)2339 und die Gläubiger neben der Teilhabe am Gewinn des Unternehmens keine feste Verzinsung beanspruchen können.2340 Der Handel mit Optionsscheinen – seien es isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), seien es abgetrennte Optionsscheine aus Optionsanleihen (siehe Rz. 770) – ist Finanztermingeschäft i.S.d. § 37e Satz 2 WpHG.2341 Für die Anwendung der §§ 31 ff. WpHG (siehe Rz. 251) ist es – trotz der Aufhebung der von § 37d WpHG mit Wirkung vom 1.11.20072342 – ebenfalls ohne Bedeutung, ob es sich um isolierte oder abgetrennte Optionsscheine handelt.2343

783

E. Erwerb eigener Instrumente I. Erwerb durch den Emittenten Ein Ersterwerb von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), isolierten Optionsscheinen (eingehend dazu Rz. 232 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Ge-

2335 Vgl. von Kopp-Colomb/J. Schneider in Assmann/Schlitt/von Kopp-Colomb, WpPG/VermAnlG, 3. Aufl. 2017, § 2 WpPG Rz. 27. 2336 Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 25; vgl. auch Schnorbus in FrankfurtKomm/WpPG, 2011, § 2 WpPG Rz. 21. Unklar Foelsch in Holzborn, § 2 WpPG Rz. 8: Rückgabemöglichkeit. 2337 Ähnlich Rauch in Holzborn, Art. 6 EU-ProspV Rz. 5: langfristige Kapitalüberlassung. 2338 Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 13; Rauch in Holzborn, WpPG, Art. 6 EU-ProspV Rz. 6; Schnorbus in FrankfurtKomm/WpPG, 2011, § 2 WpPG Rz. 21. Vgl. auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 451: im Zweifel entscheide die Rangstellung. 2339 Foelsch in Holzborn, § 2 WpPG Rz. 8; Rauch in Holzborn, Art. 6 EU-ProspV Rz. 3, 4; Schnorbus in FrankfurtKomm/WpPG, 2011, § 2 WpPG Rz. 21. 2340 Rauch in Holzborn, Art. 6 EU-ProspV Rz. 3; Schlitt/Wilczek in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 4 Rz. 25; Schnorbus in FrankfurtKomm/WpPG, 2011, § 2 WpPG Rz. 21. Ähnlich Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpPG Rz. 13: eine kumulative gewinnunabhängige Verzinsung schließt die Einordnung als Dividendenwert in der Regel aus, wenn diese den Schwerpunkt der Verzinsung darstellt. 2341 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 212; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 273; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 55; Jung in Fuchs, Vor §§ 37e, 37g WpHG Rz. 76; Mülbert/Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 37e WpHG Rz. 12; Zimmer in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 37e WpHG Rz. 6. Zu Einzelheiten siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 19. Abweichend (Kassageschäft) nur Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 42 unter Hinweis auf BGH v. 16.4.1991 – XI ZR 88/90, BGHZ 114, 177 (179) = NJW 1991, 1956 zu §§ 50 ff. BörsG a.F. 2342 Art. 1 Nr. 30 i.V.m. Art. 14 Abs. 3 Halbs. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente und der Durchführungsrichtlinie der Kommission (Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz) v. 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330). 2343 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 55; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 108; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 50; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 122.

Fest

913

784

§ 221 AktG Rz. 785 Entstehung und Übertragung der Rechte nussrechten (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) durch die Emissionsgesellschaft ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Rechte als Wertpapiere verbrieft sind (eingehend dazu Rz. 768 ff.).2344 Ursächlich hierfür ist, dass die Rechte schuldrechtlicher Natur sind (siehe Rz. 1), ihre Entstehung durch Begebungsvertrag (siehe Rz. 765) also mindestens einen von der Emissionsgesellschaft personenverschiedenen Gläubiger voraussetzt.2345 Sind die Rechte verbrieft – sei es obligatorisch wie bei Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (siehe Rz. 769), sei es fakultativ wie bei Genussscheinen (siehe Rz. 771) –, kommt ein Zweiterwerb auch durch die Emissionsgesellschaft in Betracht.2346 Ohne die Verbriefung würden die Forderungen durch Konfusion erlöschen.2347 1. Wirtschaftliche Zwecke 785

Der Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) wird häufig vorgenommen, wenn die Wertpapiere unter ihrem Nennwert notieren. In diesem Fall ist der Rückkauf für den Emittenten häufig die günstigere Alternative zu der Erfüllung der Zins-, Ausschüttungs- und Rückzahlungsverbindlichkeiten.2348 Bei Wandel- und Optionsanleihen – Gleiches gilt für abgetrennte Optionsscheine (siehe Rz. 770) und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) – kann das weitere Ziel hinzukommen, eine absehbare Veränderung der Beteiligungsquote und des Stimmrechtsverhältnisses sowie eine Verwässerung des wirtschaftlichen Wertes der Beteiligungen zu verhindern.2349 Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen die Sanierung der Gesellschaft u.a. mit Hilfe der Instrumente gelungen ist, sowie Konstellationen, in denen vorhersehbar ist, dass der Aktienkurs den Wandlungs- bzw. Optionspreis übersteigen wird.2350

2344 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 205; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 138, 404; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 49; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 124, 368; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 117; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; Rieder/ Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 38; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124, 125; Wieneke, WM 2013, 1540 (1541 mit Fn. 6). 2345 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 138; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 124, 368; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 117; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135; vgl. auch BGH v. 11.12.1981 – V ZR 222/80, NJW 1982, 2381 (2382); BGH v. 1.6.1967 – II ZR 150/66, BGHZ 48, 214 (218) = NJW 1967, 2399. 2346 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 205; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 90; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 124; Scholz in MünchHdb/GesR, Bd. 4, § 64 Rz. 38; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 123; zum Teil abweichend Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 43: Genussrechte erlöschen auch bei Verbriefung. 2347 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 205 mit Fn. 600; Haberstock/ Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 90; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 404; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 371, 442; Lipowsky in Prölss, § 53c VAG Rz. 44; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 259; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 28; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 123; Wieneke, WM 2013, 1540 (1544 f.). 2348 Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134; Kopp/Metzner, AG 2012, 856 f. 2349 Altenburg, DStR 2013, 5. 2350 Zu möglichen Konstellationen siehe Wieneke, WM 2013, 1540.

914

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 786 § 221 AktG

2. Keine Anwendung der §§ 71 ff. AktG Das in seinem direkten Anwendungsbereich nur für Aktien geltende Erwerbsverbot des § 71 786 Abs. 1 AktG findet auf Wandelschuldverschreibungen – Gleiches gilt für abgetrennte Optionsscheine (siehe Rz. 770) und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) –, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine keine entsprechende Anwendung.2351 Dies gilt auch dann, wenn die Instrumente in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen im Einzelfall aktienähnlich ausgestaltet sind.2352 Bei dem Rückerwerb von Aktien ist die Zahlung des Erwerbspreises – vorbehaltlich der Fiktion des § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG – eine nach § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG unzulässige Einlagenrückgewähr. Daher dient das Erwerbsverbot in erster Linie der Kapitalerhaltung.2353 Bei dem Rückerwerb der in § 221 AktG genannten Finanzinstrumente konfligfiert die Zahlung des Erwerbspreises nicht mit § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG; die Zahlung erfolgt – im Gegensatz zu dem Rückerwerb von Aktien – nicht an Aktionäre, sondern an Gläubiger der Gesellschaft. Auch der zweite Zweck des § 71 Abs. 1 AktG, sog. Verwaltungsaktien und damit eine Verschiebung der Kompetenzen zugunsten des Vorstands zu verhindern,2354 gebietet keine entsprechende Anwendung des für Aktien geltenden Erwerbsverbots (§ 71 Abs. 1 AktG) auf Wandelschuldverschreibungen, Optionsscheine – seien es abgetrennte Optionsscheine, seien es isolierte Optionsscheine –, Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte.2355 Zwar erscheint es bei Wertpapieren, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, möglich, dass der Vorstand durch den Rückerwerb dieser Instrumente mittelbar Einfluss auf die eigene Kontrolle durch die Hauptversammlung ausübt. Dies betrifft z.B. Konstellationen, in denen der Rückerwerb dazu dient, die Ausübung der Umtausch- oder Bezugsrechte zu verhindern, um die gegenwärtig bestehenden Mehrheitsverhältnisse zu erhalten.2356 Ein weiteres Motiv für den Rückerwerb dieser Instrumente kann darin bestehen, die Wertpapiere zu einem späteren Zeitpunkt an einen vom Vorstand ausgewählten Dritten zu veräußern, um z.B. eine Übernahme zu erschweren.2357 Diese Gefahren einer mittelbaren Einflussnahme durch den Vorstand gebieten aber keine entsprechende Anwendung des für Aktien geltenden Erwerbsverbots (§ 71 Abs. 1 AktG) auf Wandelschuldverschreibungen, abgetrennte und isolierte Optionsscheine. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Vorstand bei dem Rückerwerb dieser Instrumente – jedenfalls dann, wenn die Wertpapiere zum Handel an einem organisierten Markt (§ 2 Abs. 5 WpHG) zugelassen sind – das kapitalmarktrecht2351 Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2135); Habersack in MünchKomm/ AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 205; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 124, 369, 485; Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (857); Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 118, 256; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 94; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 87, 124; Wieneke, WM 2013, 1540 (1541); vgl. auch Ganssmüller, DB 1955, 865 zu § 65 AktG a.F.; differenzierend Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136, 402: entsprechende Anwendung der §§ 71 ff. AktG nur auf Wandel- und Optionsanleihen, nicht aber auf Gewinnschuldverschreibungen und Genussrechte; a.A. Todtenhöfer, Die Übertragbarkeit der Grundsätze über die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung auf Genußrechte, 1997, S. 158 f.; vgl. auch F. Meyer, BB 1955, 549 (551) zu § 65 AktG a.F. 2352 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 402. 2353 Siehe statt vieler Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 1. 2354 Zu diesem Normzweck des § 71 Abs. 1 AktG siehe Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 1; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 71 AktG Rz. 19; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 23; Wieneke, WM 2013, 1540 (1541 f.). 2355 So Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; vgl. auch F. Meyer, BB 1955, 549 (551) zu § 65 AktG a.F. 2356 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136. 2357 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136.

Fest

915

§ 221 AktG Rz. 787 Entstehung und Übertragung der Rechte liche Gleichbehandlungsgebot (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, siehe Rz. 799) und das Vorerwerbsrecht der Aktionäre bei der Wiederveräußerung (eingehend dazu Rz. 812 ff.) beachtet. 787

Der Umstand, dass die Ausgabe neuer Aktien2358 sowie der Rückerwerb2359 und die Wiederveräußerung eigener Aktien2360 einerseits und die Ausgabe neuer Wandel- und Optionsanleihen2361 andererseits übernahmerechtlich insoweit gleich behandelt werden, als sie – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – nach § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG grundsätzlich unzulässige Abwehrmaßnahmen darstellen, gebietet keine entsprechende Anwendung des § 71 Abs. 1 AktG auf den Rückerwerb eigener Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind.2362 Das Verhinderungsverbot des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG soll den Eigeninteressen der Verwaltung der Zielgesellschaft entgegenwirken2363 und – insoweit ergänzt die Regelung § 3 Abs. 2 WpÜG – gewährleisten, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft unbeeinflusst von sachfremden Erwägungen der Verwaltung über das Angebot entscheiden können.2364 Ein Gleichbehandlungsgebot des Inhalts, dass sämtliche Maßnahmen, die den Tatbestand des § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG erfüllen, also geeignet erscheinen, den Erfolg eines Übernahmeangebots zu verhindern, auch außerhalb des Übernahmerechts den gleichen Regelungen unterliegen sollen, ist weder dem Wortlaut der Vorschrift zu entnehmen noch durch den Normzweck geboten.

788

Die unionsrechtlichen Vorgaben der Art. 21, 22 Richtlinie 2012/30/EU (ehemals: Art. 19, 20 Richtlinie 77/91/EWG) gebieten keine entsprechende Anwendung des § 71 Abs. 1 AktG auf Wertpapiere, die in Aktien umgewandelt werden können oder mit einem Bezugsrecht auf Aktien verbunden sind, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine. Sie gelten nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur für den (Rück-)Erwerb eigener Aktien. Für andere Wertpapiere bestehen auch im Umkehrschluss zu Art. 29 Abs. 4 Richtlinie 2012/30/EU („Dieser Artikel“) keine vergleichbaren Vorgaben. 3. Aufsichtsrechtliche Erwerbsverbote

789

Für Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Finanzdienstleistungsinstitute sowie für Versicherungsunternehmen existieren besondere aufsichtsrechtlichen Erwerbsbeschränkungen in Art. 52 Abs. 1 Buchst. i und Art. 63 Buchst. j Verordnung (EU) Nr. 575/2013 sowie in Art. 71 Abs. 1 Buchst. h, Art. 73 Abs. 1 Buchts. d, Art. 75 i.V.m. 71 Buchst. h, Art. 77 Abs. 1 Buchst. d 2358 Grunewald in Baums/Thoma, 8. Lfg. 3/15, § 33 WpÜG Rz. 29; Hirte in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33 AktG Rz. 60; Krause, NZG 2000, 905 (911); Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 33 WpÜG Rz. 88; Schlitt/Ries in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 33 WpÜG Rz. 82; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 WpÜG Rz. 21. 2359 BT-Drucks. 14/7034, 58 zu § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG-E; Hirte in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33 WpÜG Rz. 61; Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 33 WpÜG Rz. 92; Schlitt/Ries in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 33 WpÜG Rz. 90; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 WpÜG Rz. 27; a.A. Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59 (103 mit Fn. 190). 2360 Hirte in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33 WpÜG Rz. 60; Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 33 WpÜG Rz. 98; Schlitt/Ries in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 33 WpÜG Rz. 88 f.; a.A. Grunewald in Baums/Thoma, 8. Lfg. 3/15, § 33 WpÜG Rz. 33. 2361 Grunewald in Baums/Thoma, 8. Lfg. 3/15, § 33 WpÜG Rz. 35; Hirte in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33 WpÜG Rz. 60; Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 33 WpÜG Rz. 99; Schlitt/Ries in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 33 WpÜG Rz. 95; Schwennicke in Geibel/Süßmann, § 33 WpÜG Rz. 26. 2362 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136. 2363 BT-Drucks. 14/7034, 57 zu § 33 Abs. 1 Satz 1 WpÜG-E. 2364 Hirte in KölnKomm/WpÜG, 2. Aufl. 2010, § 33 WpÜG Rz. 3; Krause/Pötzsch/Stephan in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 33 WpÜG Rz. 8.

916

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 791 § 221 AktG

Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 und § 214 Abs. 2 Satz 5, Abs. 3 Satz 5 VAG. Diese sind § 71 Abs. 1 AktG insoweit teleologisch vergleichbar, als sie die für Eigenmittelbestandteile geltenden temporären Rückzahlungsverbote (Art. 52 Abs. 1 Buchst. i, 63 Buchst. j Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und Art. 71 Abs. 1 Buchts. h, 73 Abs. 1 Buchst. d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35) ergänzen und effektiv ausgestalten. Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Finanzdienstleistungsinstitute dürfen Genussscheine und andere schuldvertragliche Kapitalinstrumente, die zu den Instrumenten des zusätzlichen Kern- oder Ergänzungskapitals gehören, gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. i bzw. Art. 63 Buchst. j Verordnung (EU) Nr. 575/2013 grundsätzlich erst fünf Jahre nach dem Emissionsdatum und nur unter den Voraussetzungen des Art. 77 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 zurückerwerben. Ein früherer Rückerwerb ist gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. i bzw. Art. 63 Buchst. j i.V.m. Art. 78 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 nur ausnahmsweise mit Erlaubnis der Aufsichtsbehörde zulässig. Diese unmittelbar anwendbaren (Art. 288 Abs. 2 AEUV) Einschränkungen gelten nicht nur für CRR-Institute i.S.d. § 1 Abs. 3d Satz 3 KWG, sondern auch nach Maßgabe von § 1a Abs. 1, 2 KWG für sonstige Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute. Unerheblich ist, zu welchem Zweck der Rückerwerb erfolgen soll. Die Verbote gelten daher auch für den Fall, dass die eigenen Wertpapiere an Mitarbeiter weiterübertragen werden sollen. Eine teleologische Reduktion von Art. 52 Abs. 1 Buchst. i bzw. Art. 63 Buchst. j i.V.m. Art. 77 bzw. Art. 78 Verordnung (EU) Nr. 575/2013, wie sie in Anlehnung an § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG unter Geltung von § 10 Abs. 5 Satz 6 KWG für Genussscheine vertreten wurde,2365 unterliefe das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Erlaubnis der zuständigen Behörde. Die Einschränkungen des Art. 52 Abs. 1 Buchst. i bzw. Art. 63 Buchst. j i.V.m. Art. 77 bzw. Art. 78 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 gelten lediglich dann nicht, wenn das Kreditinstitut eigene Wertpapiere im Wege der Einkaufskommission auf fremde Rechnung erwirbt;2366 in diesem Fall gehen die Wertpapiere in der Regel ohne Zwischenerwerb des Kreditinstituts an den Kommittenten über (siehe Rz. 776).

790

Für Versicherungsunternehmen enthalten die Art. 71 Abs. 1 Buchst. h, Art. 73 Abs. 1 Buchts. d, Art. 75 i.V.m. 71 Buchst. h und Art. 77 Abs. 1 Buchst. d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 im Wortlaut der deutschen Fassung zwar nur Rückzahlungs- und Tilgungsbeschränkungen; der Rückkauf ist – im Unterschied zu Art. 52 Abs. 1 Buchst. i und Art. 63 Buchst. j Verordnung (EU) Nr. 575/2013 – nicht gesondert erwähnt. Vor dem Hintergrund, dass die EIOPA Guidelines on classification of own funds (Nr. 1.36 ff.) zu Art. 71 Abs. 1 Buchst. h Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 das Begriffspaar „repayment or redemption“ verwenden, sind die Begriffe der Rückzahlung und Tilgung aber dahingehend auszulegen, dass sie auch den Rückkauf der Instrumente umfassen, so dass dieser – wie im Bankaufsichtsrecht (siehe Rz. 790) – nur mit vorheriger aufsichtlicher Genehmigung erfolgen darf. Kleine Versicherungsunternehmen i.S.d. § 221 Abs. 1 Satz 1 VAG dürfen weder in Wertpapieren verbriefte eigene Genussrechte (§ 214 Abs. 2 Satz 5 VAG) noch sonstige in Wertpapieren verbriefte eigene nachrangige Verbindlichkeiten (§ 214 Abs. 3 Satz 5 VAG) erwerben. Diese Erwerbsverbote gelten aufgrund ihrer systematischen Stellung – trotz des umfassenden Wortlauts – nur für Genussscheine und nachrangige Verbindlichkeiten, die den aufsichtsrechtlichen Eigenmitteln zuzurechnen sind, also die Voraussetzungen des § 214 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-4 bzw. Abs. 3 Satz 1-4 VAG erfüllen.2367

791

2365 Aha, AG 1992, 218 (226 f.); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 403. 2366 Vgl. Aha, AG 1992, 218 (227); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 403. 2367 Vgl. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 205; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 317 ff.

Fest

917

§ 221 AktG Rz. 791a Entstehung und Übertragung der Rechte 791a

Die vorgenannten Erwerbsbeschränkungen sind für Kreditinstitute, Wertpapierfirmen und Finanzdienstleistungsinstitute sowie Versicherungsunternehmen abschließend.2368 Insbesondere die Ausnahmetatbestände der §§ 71 ff. AktG finden keine entsprechende Anwendung.2369 4. Erwerbsverbote in den Anleihe- und Genussrechtsbedingungen

792

Sofern keine gesetzlichen Erwerbsverbote bestehen (siehe Rz. 786 ff.) – diese werden in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen nicht selten lediglich deklaratorisch wiederholt –, sind die Emittenten nicht daran gehindert, Erwerbsverbote in die Anleihe- und Genussrechtsbedingungen aufnehmen. Bei diesen handelt es sich um schuldrechtliche (Selbst-)Verpflichtungen, deren Umfang der Emittent in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen bestimmten kann. Die Verpflichtung muss nicht notwendig jede Form des Rückerwerbs ausschließen, sondern kann sich auch darin erschöpfen, lediglich ein bestimmtes Vorgehen (z.B. den sog. stillen Rückkauf über die Börse, siehe Rz. 794) zu unterlassen. In der Praxis sind solche (Selbst-)Verpflichtungen selten.2370 Üblich ist vielmehr der lediglich deklaratorische Hinweis, dass der Emittent, die von ihm abhängigen Unternehmen sowie Unternehmer, die im Mehrheitsbesitz des Emittenten stehen, zu dem Rückerwerb der Wertpapiere berechtigt sind.2371 5. Durchführung

793

Bei der Durchführung des Rückerwerbs eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter Optionsscheine (siehe Rz. 770) und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) sowie Genussscheinen (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) kann die Gesellschaft zwischen vier Vorgehensweisen wählen: (1) Sie kann den Rückerwerb mittels eines öffentlichen Angebots initiieren (sog. tender offer, eingehend dazu Rz. 795), (2) eine in den Anleihebedingungen vereinbarte Auslosung in Kraft setzen (eingehend dazu Rz. 796), (3) den Rückerwerb als sog. stiller Rückkauf über die Börse abgewickeln (sog. open market repurchase) oder (4) einzelnen Investoren ein individuelles Rückerwerbsangebot unterbreiten (sog. negotiated repurchase).2372 Die Mitwirkung der Hauptversammlung ist für keine der Vorgehensweisen erforderlich.2373

794

In der europäischen Praxis wird der Rückerwerb überwiegend mittels eines öffentlichen Angebots initiiert.2374 Hierbei handelt es sich um eine an die Inhaber der Wertpapiere adressierte Aufforderung (invitatio ad incertas personas),2375 Verkaufsangebote abzugeben.2376 Diese ist in der Regel Bestandteil eines Tender Offer Memorandum, das – neben der Auf2368 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 205; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54. 2369 Aha, AG 1992, 218 (225 f.); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 403; Hüffer/ Koch, § 221 AktG Rz. 54. 2370 Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (857); Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124. 2371 Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2135); Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (857). 2372 Seibt, CFL 2010, 165 (174 f.); Wieneke, WM 2013, 1540 (1541). 2373 Wieneke, WM 2013, 1540 (1541). 2374 Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2140); Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (862). 2375 Unzutreffend Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2140); Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (862, 866): invitatio ad offerendum. 2376 Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (862, 866).

918

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 796 § 221 AktG

forderung – u.a. detaillierte Angaben zur der Abwicklung des Rückkaufs, insbesondere eine Angebotsfrist – üblich sind fünf bis sieben Tage2377 – Risikohinweise, Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln sowie Angaben zu der Preisfindung beinhaltet.2378 Im Vergleich mit einem stillen Rückkauf über die Börse (siehe Rz. 771) weist dieses Vorgehen zwei wesentliche Vorteile auf: Zum einen kann der Rückerwerb aufgrund der vom Emittenten festgesetzten Fristen in der Regel wesentlich schneller abgeschlossen werden. Zum anderen wird aufgrund der Transparenz der Aufforderung ein Verstoß gegen das Verbot der Marktmanipulation (eingehend dazu Rz. 801 f.) a priori ausscheiden.2379 Mit der Abwicklung des Rückerwerbs wird in der Regel ein sog. Tender Agent beauftragt.2380 Er hat – nach Maßgabe des Auftrags – auch darüber zu entscheiden, welche der form- und fristgerecht eingegangenen Verkaufsangebote angenommen werden. Hat der Emittent in dem Tender Offer Memorandum keinen Rückkaufpreis festgelegt, erfolgt die Auswahl der Angebote in der Regel im Zuge der Reverse Dutch Auction Procedure. Hierbei werden die Verkaufsangebote in der Reihenfolge vom niedrigsten bis zum höchsten Verkaufspreis angenommen, bis das Rückkaufvolumen erreicht ist.2381 Die Anleihe-, Options- und Genussrechtsbedingungen enthalten derzeit nicht selten sog. 795 Rücknahmeklauseln, die die Inhaber der Wertpapiere bei dem Eintritt bestimmter Umstände (z.B. einer Wertsteigerung der Aktien um 30 Prozent) dazu verpflichten, die Wandelschuldverschreibungen, abgetrennte oder isolierte Optionsscheine, Gewinnschuldverschreibungen oder Genussscheine gegen eine vertraglich festgelegte Entschädigung an die Gesellschaft zu übertragen.2382 Obwohl diese Bestimmungen dazu genutzt werden können, den Optionsrechtsinhabern ihr Bezugsrecht zu entziehen, wenn dessen Ausübung attraktiv wird, werden sie – wie bei Aktien2383 – allgemein als zulässig angesehen.2384 Dies erscheint in Ansehung von § 308 Nr. 4 BGB nicht unzweifelhaft. 6. Kapitalmarktrechtliche Implikationen a) Übernahmerecht Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), 796 sowie abgetrennte Optionsscheine (siehe Rz. 770) und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) – nicht aber Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) – sind zwar Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 WpÜG. Auf ein öffentliches Angebot zum Erwerb eigener Wertpapiere finden die §§ 10 ff. WpÜG aufgrund der dem Gesetz zugrunde liegenden Konzeption, dass Bieter und Zielgesellschaft personenverschieden sein müssen, keine Anwendung.2385 Für den Erwerb der Wertpapiere im Wege ei2377 2378 2379 2380 2381 2382 2383 2384 2385

Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2140). Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (866 f.). Vgl. Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2137) zu § 20a WpHG. Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (867). Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2140); Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (866). Stadler, NZI 2003, 579 (581). Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 237 AktG Rz. 122. Vgl. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 402; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 256; Stadler, NZI 2003, 579 (581); Wieneke, WM 2013, 1540 (1542 mit Fn. 14) jeweils für Genussrechte. Im Ergebnis auch Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 65; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (858); Seibt, CFL 2010, 165 (175). Vgl. für den Erwerb eigener Aktien siehe Angerer in Geibel/Süßmann, § 1 WpÜG Rz. 128; Assmann/Favoccia in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG Rz. 38 ff.; Berrar/Schnorbus, ZGR 2003, 59 (85); J. Koch, NZG 2003, 61 ff.; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, 2005, Rz. 252 ff., 264; Schüp-

Fest

919

§ 221 AktG Rz. 797 Entstehung und Übertragung der Rechte nes negotiated repurchase (siehe Rz. 794) sowie des Erwerbs über die Börse (siehe Rz. 794) kann nichts anderes gelten.2386 b) Prospektrecht 797

Erfolgt der Rückerwerb von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter Optionsscheine (siehe Rz. 770), isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) oder Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) gegen eine Barleistung, ist der Emittent auch dann nicht zu der Veröffentlichung eines Prospekts nach den Vorschriften des WpPG verpflichtet, wenn er den Rückerwerb der Wertpapiere mittels eines öffentlichen Angebots initiiert hat (siehe Rz. 795).2387 Die Prospektpflicht (§§ 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 WpPG) besteht nur ausnahmsweise, wenn der Emittent im Zuge des Rückerwerbs andere Wertpapiere als Gegenleistung öffentlich anbietet.2388 c) Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber

798

Sind Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennte und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) zum Handel an einem organisierten Markt (§ 2 Abs. 5 WpHG) zugelassen,2389 ist bei dem Rückerwerb der Wertpapiere das Gleichbehandlungsgebot des § 30a Abs. 1 Nr. 1 WpHG zu beachten.2390 Danach bedarf insbesondere die mit einem negotiated repurchase (siehe Rz. 794) regelmäßig einhergehende Ungleichbehandlung der Wertpapierinhaber einer sachlichen Rechtfertigung.2391 Als Grund kommt insbesondere in Betracht, dass der Vorstand gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG grundsätzlich verpflichtet ist, den Rückerwerb zu den geringsten Kosten abzuwickeln.2392 Wird der Rückerwerb mittels eines öffentlichen Angebots initiiert (siehe Rz. 795) oder im Wege einer Auslosung (siehe Rz. 796) oder über die Börse durchgeführt

2386 2387 2388 2389 2390

2391 2392

920

pen in Haarmann/Schüppen, 3. Aufl. 2008, § 1 WpÜG Rz. 33; Süßmann, AG 2002, 424 ff.; a.A. (Anwendung bejahend) Lenz/Linke, AG 2002, 420 ff.; Oechsler in Ehricke/Ekkenga/Oechsler, 2003, § 2 WpÜG Rz. 6 ff.; Wackerbarth in MünchKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 2 WpÜG Rz. 25 ff. Noack/Holzborn in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 2 WpÜG Rz. 10; Pötzsch/Favoccia in Assmann/Pötzsch/Uwe H. Schneider, § 2 WpÜG Rz. 36; Wieneke, WM 2013, 1540 (1542). Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 1 WpPG Rz. 4; Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (859). Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (859); Ritz/Zeising in Just/Voß/Ritz/Zeising, § 2 WpPG Rz. 136. Zu dieser Anwendungsvoraussetzung siehe statt vieler Zimmermann in Fuchs, § 30a WpHG Rz. 4. Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2138); Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 271; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135; Wieneke, WM 2013, 1540 (1543); wohl a.A. Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54: Regelungen des WpHG sind in der Regel nicht einschlägig. Wieneke, WM 2013, 1540 (1543). Vgl. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 402; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 257, 451 jeweils für Genussrechte und Gewinnschuldverschreibungen.

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 800 § 221 AktG

(siehe Rz. 794), entsteht in der Regel keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung der Wertpapierinhaber.2393 Sind die Wertpapiere nicht an einem organisierten Markt (§ 2 Abs. 5 WpHG) zugelassen – sei es, dass sie lediglich im Freiverkehr gehandelt werden (z.B. dem Euro MTF Markt an der Börse Luxemburg), sei es, dass überhaupt kein Handel an einer Börse stattfindet –, ist der Emittent bei deren Rückerwerb zu einer Gleichbehandlung der Wertpapierinhaber nicht verpflichtet.2394 Das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot (§ 53a AktG) wird in § 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Satz 3 AktG nur auf den (Rück-)Erwerb und die (Wieder-)Veräußerung eigener Aktien erstreckt. Auf den Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) findet § 53a AktG – wie die §§ 71 ff. AktG (siehe Rz. 786 ff.) – keine Anwendung.2395 Auch das Gleichbehandlungsgebot des § 4 Satz 2 SchVG findet auf den Rückerwerb eigener Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen keine Anwendung (siehe § 4 SchVG Rz. 39).2396 Es gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut („insoweit“) nur für die Änderung der Anleihebedingungen.

799

d) Verbot der Marktmanipulation Der Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, ein- 800 gehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) ist – insbesondere in den Fällen, in denen der Erwerb nicht mittels eines öffentlichen Angebots abgewickelt wird (siehe Rz. 794) – grundsätzlich geeignet, irreführnde Signale für die Nachfrage nach den Wertpapieren zu geben und ein künstliches Preisniveau herbeizuführen.2397 Daher ist im Zusammenhang mit dem Rückerwerb das Verbot der Marktmanipulation (Art. 15 i.V.m. Art. 12 Abs. 1, 2 Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ehemals: § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WpHG) zu beachten.2398 Dies gilt im gesamten Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 596/2014, also nicht nur für Wertpapiere, die zum Handel auf einem geregelten Markt (Art. 3 Nr. 6 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 21 Richtlinie 2014/65/ EU) zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel auf einem organisierten Markt gestellt wurde (Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Verordnung (EU) Nr. 596/2014), sondern auch für Wertpapiere, die in einem multilateralen Handelssystem (Art. 3 Abs. 1 Nr. 7

2393 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 65; Heidelbach in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 30a WpHG Rz. 14, 16; Mülbert in Assmann/Uwe H. Schneider, § 30a WpHG Rz. 10; Kiem in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, § 12 Rz. 10; Wieneke, WM 2013, 1540 1543; Zimmermann in Fuchs, § 30a WpHG Rz. 10; wohl auch Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2138). 2394 Einschränkend Wieneke, WM 2013, 1540 (1542): in Krisensituationen bewirke ein selektiver Rückerwerb außerhalb der Börse eine relative Ungleichbehandlung der Gläubiger, die einer Rechtfertigung bedürfe. 2395 Wieneke, WM 2013, 1540 (1542). 2396 Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2138); Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 65; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Röh/Dörfler in Preuße, § 4 SchVG Rz. 52; Schlitt/Schäfer, AG 2009, 477 (487); Wieneke, WM 2013, 1540 (1542). 2397 Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2136). 2398 Vgl. Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2136); Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 270, 403; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135 jeweils zu § 20a WpHG.

Fest

921

§ 221 AktG Rz. 801 Entstehung und Übertragung der Rechte Verordnung (EU) Nr. 596/2014 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 22 Richtlinie 2014/65/EU) – hierzu zählt u.a. der Freiverkehr2399 – gehandelt werden, zum Handel in einem multilateralen Handelssystem zugelassen sind oder für die ein Antrag auf Zulassung zum Handel in einem multilateralen Handelssystem gestellt wurde (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b Verordnung (EU) Nr. 596/ 2014). 801

Die safe harbour-Regelung in Art. 13 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (ehemals: § 20a Abs. 3 WpHG) gilt nicht nur für den Rückerwerb eigener Aktien, sondern für alle übertragbaren Wertpapiere i.S.d. Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Nr. 15, Anh. I Abschnitt C Nr. 1 Richtlinie 2014/65/EU und damit auch für den Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen, abgetrennter und isolierter Optionsscheine, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine.2400 Aufgrund der unterschiedlichen Normzwecke der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 einerseits sowie der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 andererseits erscheint es nicht gewährleistet, dass ein Erwerb eigener Instrumente durch CRR-Institute i.S.d § 1 Abs. 3d Satz 3 KWG, der die Voraussetzungen des Art. 77 bzw. des Art. 78 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 erfüllt (eingehend dazu Rz. 790), dem Verbot der Marktmanipulation nicht unterfällt.2401 Da die Normzwecke der Richtlinie 2009/138/EG sowie der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 denen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 entsprechen, kann für einen nach Art. 71 Abs. 1 Buchst. h, Art. 73 Abs. 1 Buchts. d, Art. 75 i.V.m. 71 Buchst. h oder Art. 77 Abs. 1 Buchst. d Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 aufsichtlich genehmigten Rückerwerb eigener Instrumente durch Versicherungsunternehmen nichts anderes gelten. e) Ad-hoc Mitteilungspflicht und Insiderhandelsverbot

802

Die Entscheidung der Gesellschaft zum Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) ist eine präzise Information, die – wenn sie geeignet ist, den Kurs der Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen – eine Insiderinformation i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Buchst. a Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (ehemals: § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG) darstellt.2402 Daher sind bei dem Rückerwerb der Wertpapiere sowohl die Ad hoc-Mitteilungspflicht (Art. 17 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ehemals: § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG)2403 als auch das Insiderhandelsverbot (Art. Art. 1 Buchst. a i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 596/2014, ehemals: § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG) zu beachten.2404 Gleiches gilt in der Regel bei einer beabsichtigten Änderung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingun-

2399 Vgl. BT-Drucks. 16/4899, S. 15 zu § 48 Abs. 1, 3 BörsG-E; Kumpan in Baumbach/Hopt, § 48 BörsG Rz. 2 zu Art. 4 Abs. 1 Nr. 15 Richtlinie 2014/65/EU. 2400 Vgl. Worms in Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 10 Rz. 29; a.A. Wieneke, WM 2013, 1540 (1544) jeweils zu § 20a Abs. 3 WpHG. Zu Einzelheiten siehe Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 271 m.w.N. 2401 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, § 221 AktG Rz. 403 zu § 20a WpHG und § 10 Abs. 5 Satz 6 KWG a.F. 2402 Vgl. Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2137) zu § 14 WpHG. 2403 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; vgl. auch Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 270; Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (865); Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135; Wieneke, WM 2013, 1540 (1544) jeweils zu § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG. 2404 Vgl. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 270; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135 jeweils zu § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG.

922

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 804 § 221 AktG

gen.2405 Die Umsetzung der Entscheidung ist keine Verwendung der Insiderinformation und begründet daher keine Ad hoc-Mitteilungspflicht.2406 f) Keine Mitteilungspflichten nach den §§ 21 ff. WpHG Bei dem Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 803 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) bestehen keine Mitteilungspflichten nach den §§ 21 ff. WpHG.2407 Die Wertpapiere, auf die § 221 AktG – sei es direkt, sei es entsprechend – anwendbar ist, gewähren ihren Inhabern das für die Anwendung von § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1a Satz 1 WpHG erforderliche Stimmrecht weder kraft Gesetzes noch kann es ihnen in den Anleihebedingungen eingeräumt werden (siehe Rz. 462). Eine Mitteilungspflicht nach den §§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a, 25a Abs. 1 WpHG besteht – unabhängig von der Absicherung der Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien (eingehend dazu Rz. 84 ff., 220 f.) – deshalb nicht, weil die Umtausch- oder Bezugsrechte auf Aktien während der Inhaberschaft des Emittenten ruhen (siehe Rz. 805).2408 7. Rechtsfolgen Der Rückerwerb eigener Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennter und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) führt zu einem Ruhen der verbrieften Rechte.2409 Dies gilt nicht nur für Zahlungsansprüche (Rückzahlung des eingezahlten Kapitals, Zinsen, gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen, eingehend dazu Rz. 806 ff.), sondern auch für Auskunfts-, Informations- und sonstige Nebenrechte2410 sowie Umtausch- und Bezugsrechte auf Aktien (eingehend dazu Rz. 810). Das Ruhen bedeutet keinen (endgültigen) Rechtsverlust, insbeson-

2405 Vgl. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 270; Lutter/Drygala in FS Claussen, 1997, S. 261 (271) jeweils zu § 14 Abs. 1 Nr. 1 WpHG. 2406 Vgl. Assmann in Assmann/Uwe H. Schneider, § 14 WpHG Rz. 31; Brandi/Süßmann, AG 2004, 642 (644); Cahn, Der Konzern 2005, 5 (9); Hirte in Großkomm/AktG, § 221 AktG Rz. 271; Mennicke in Fuchs, § 14 WpHG Rz. 65; Rothenhöfer in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rz. 3.531 mit Fn. 3; Schwark/Kruse in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, § 14 WpHG Rz. 23; Seibt, CFL 2010, 165 (175) jeweils zu § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG. 2407 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 272; Hirte in KölnKomm/WpHG, § 21 WpHG Rz. 72; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 135. 2408 Wieneke, WM 2013, 1540 (1543). 2409 Aha, AG 1992, 218 (226 f.); Bredow/Sickinger/Weinand-Härer/Liebscher, BB 2012, 2134 (2135); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 206; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 137, 404; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 125, 371, 442; Lipowsky in Prölss, § 53c VAG Rz. 44; Lutter in KölnKomm/ AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 260; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 28; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 136; Stadler in Bügers/Körber, § 221 AktG Rz. 125; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545). 2410 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 206; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 136.

Fest

923

804

§ 221 AktG Rz. 805 Entstehung und Übertragung der Rechte dere nicht das Erlöschen des Stammrechts,2411 sondern umschreibt ein lediglich temporäres Verbot, die verbrieften Rechte auszuüben.2412 a) Zinszahlungsansprüche 805

Für die Zinszahlungsansprüche sehen die Anleihe- und Genussrechtsbedingungen in der Regel Zahlungstermine vor. Diese bestimmen nicht nur die Fälligkeit, sondern auch den Inhaber des Zahlungsanspruchs, namentlich den Inhaber des Wertpapiers an dem jeweiligen Zahlungstermin. Zu unterscheiden ist daher zwischen dem rechtlichen Schicksal der Zinszahlungsansprüche, die vor dem Rückerwerb eigener Wertpapiere fällig geworden sind (siehe Rz. 807), und denen, die – ohne das Ruhen (siehe Rz. 805) – während der Inhaberschaft des Emittenten entstünden.

806

Zahlungsansprüche, die vor dem Rückerwerb eigener Wertpapiere fällig geworden, aber noch nicht erfüllt worden sind, sind rechtlich selbstständig. Erwirbt der Emittent nicht nur die eigenen Wertpapiere, sondern auch die (unverbrieften) Zahlungsansprüche, erlöschen diese im Wege der Konfusion.2413 Im Gegensatz zu einem bloßen Ruhen ist die Konfusion endgültig, d.h. die Zahlungsansprüche leben im Fall der Wiederveräußerung der eigenen Wertpapiere an Dritte nicht wieder auf.2414

807

Für die eigenen Wertpapiere, die der Emittent an dem Zahlungstermin hält, verhindert die Personenidentität von (Zins-)Schuldner und (Zins-)Gläubiger bereits die Entstehung der Zahlungsansprüche.2415 Dies gilt unabhängig davon, wann der Emittent die eigenen Wertpapiere erworben hat.2416 Von der Entstehung der Zinszahlungsansprüche im (Außen-)Verhältnis zwischen der Emissionsgesellschaft und dem Wertpapierinhaber ist der Ausgleich im (Innen-)Verhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber der Wertpapiere – hier: dem Emittenten – zu unterscheiden. Der Umstand, dass der Emittent als Inhaber aus den eigenen Wertpapieren keine Zinszahlung verlangen kann, steht dem zeitanteiligen Ausgleich der Zinsen im (Innen-)Verhältnis zu dem Veräußerer durch sog. Stückezinsen – vorbehaltlich besonderer bilateraler Vereinbarungen – nicht entgegen. Daher ist der Emittent grundsätzlich verpflichtet, dem Veräußerer – neben dem Kaufpreis – einen Geldbetrag zu zahlen, der in seiner Höhe den Zinsen entspricht, die auf den Zeitraum seiner Inhaberschaft zwischen dem letzten Zinszahlungstermin – oder seinem späteren Erwerb – und dem Zeitpunkt der Veräußerung an den Emittenten entfallen. b) Gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen

808

Für gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen aus Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.), Genussscheinen (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) sowie aus Wandel- und Optionsgenussrechten (ein2411 RG v. 1.4.1935 – IV 179/34, RGZ 147, 233 (243 f.); Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 260. 2412 Metaphorisch handelt es sich um eine „wertlose Rechtshülse“ (T. Bezzenberger, Erwerb eigener Aktien durch die AG, 2002, Rz. 54 ff.; Verse in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 67 (83) jeweils für eigene Aktien). Der Unterschied zu der Ausgabe neuer Wertpapiere wird bei der Verpfändung der Wertpapiere deutlich. Der Erwerb des eigenen Wertpapiers durch den Emittenten lässt zuvor zu Gunsten von Dritten bestellte Pfandrechte unberührt. 2413 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 260; wohl auch Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 404. 2414 So aber wohl Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 404. 2415 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 260. 2416 Wieneke, WM 2013, 1540 (1546).

924

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 809 § 221 AktG

gehend dazu Rz. 483 ff.) gilt – unabhängig davon, ob diese den Zinszahlungsanspruch substituieren oder ergänzen – im Ausgangspunkt das zu den Zinsansprüchen Ausgeführte (siehe Rz. 780–782) entsprechend. Zusätzlich gilt es die Frage zu beantworten, ob die Gewinnanteile, die auf die ruhenden Wertpapiere entfallen, den Inhabern der außenstehenden Wertpapiere derselben Emission zuwachsen oder das Unternehmensergebnis erhöhen, also den Aktionären zustehen. Hierüber kann in erster Linie der Emittent bei der Ausgestaltung der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen entscheiden.2417 Die jeweilige Bestimmung gestaltet die Hauptleistungspflicht unmittelbar aus und ist daher der AGB-rechtlichen Angemessenheitskontrolle durch § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB entzogen; sie unterliegt ausschließlich der Transparenzkontrolle (siehe § 3 SchVG Rz. 6 ff.). Enthalten die Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen keine Bestimmung, liegt es nahe, im Wege ergänzender Vertragsauslegung von folgender Differenzierung auszugehen:2418 Sind die Gläubiger am Gewinn des gesamten Unternehmens beteiligt, dürfte es regelmäßig dem Willen der Parteien entsprechen, dass die Gewinnanteile, die auf die ruhenden Wertpapiere entfallen, den Gläubigern der außenstehenden Wertpapiere zuwachsen.2419 Partizipieren die Gläubiger hingegen nur an dem Erlös aus der Nutzung oder Verwertung eines bestimmten Objekts (z.B. einer Lizenz) oder einer bestimmten Objektgruppe, wird die Lücke in den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen in der Regel dahingehend zu schließen sein, dass die auf die ruhenden Wertpapiere entfallenden Gewinnanteile im Unternehmen verbleiben, also das Unternehmensergebnis erhöhen.2420 c) Umtausch- und Bezugsrecht auf Aktien Bei eigenen Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennten und isolierten Optionsscheinen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) sowie Wandel- und Optionsgenussrechten (eingehend dazu Rz. 483 ff.) kann der Emittent das Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien nicht ausüben.2421 Aufgrund des Ruhens dieser Rechte (siehe Rz. 805) ist die Gesellschaft nicht berechtigt, eine Umtausch- oder Bezugserklärung abzugeben; eines Rückgriffs auf § 56 Abs. 1 AktG i.V.m. § 134 BGB bedarf es daher nicht.2422 Gibt die Gesellschaft gleichwohl eine Umtausch- oder Bezugserklärung ab, ist in Anbetracht des Umstands, dass wirksame Umtausch- bzw. Bezugserklärungen die gleichen Wirkungen wie eine Zeichnungserklärung hätten (siehe Rz. 117, 217) und die Zeichnung eige2417 Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 372. 2418 Abweichend Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 137: wachsen den Aktionären und den Inhabern der umlaufenden Wertpapiere zu. Anders Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 372: Gewinnanteile der Inhaber der umlaufenden Genussscheine bleiben unverändert. 2419 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 404. Im Ergebnis auch Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48, aber ohne Differenzierung nach dem Umfang der Gewinnbeteiligung. Nur zum Teil abweichend Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 262: Gewinnanteile wachsen den Aktionären und den übrigen Genussscheininhabern anteilig zu. A.A. Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 125. 2420 Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 404; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 263. Im Ergebnis auch Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 125. 2421 Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124. 2422 So aber wohl Altenburg, DStR 2013, 5 (6); Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 43; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 206; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 90; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 125; Kopp/Metzner, AG 2012, 856 (857); Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 119; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 109; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 136; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545).

Fest

925

809

§ 221 AktG Rz. 810 Entstehung und Übertragung der Rechte ner Aktien unter Verstoß gegen § 56 Abs. 1 AktG einer Heilung zugänglich ist,2423 auch die Heilung einer ohne die erforderlichen Rechtsmacht abgegebenen Umtausch- bzw. Bezugserklärung möglich. In dem praktischen Regelfall, dass die Umtausch- bzw. Bezugsrechte auf Aktien durch eine bedingte Kapitalerhöhung abgesichert sind (eingehend dazu Rz. 86 ff.), erfolgt diese Heilung erst mit der Eintragung der Ausgabe der Bezugsaktien in das Handelsregister (§ 201 AktG), die in diesen Fällen ausnahmsweise konstitutiv wirkt.2424 8. Wiederveräußerung 810

Das Ruhen der verbrieften Rechte lässt die Berechtigung der Gesellschaft, über die eigenen Wertpapiere zu verfügen, insbesondere diese wieder zu veräußern, unberührt.2425 Eine Verpflichtung zur Wiederveräußerung besteht nicht. Insbesondere scheidet eine entsprechende Anwendung des § 71c Abs. 1, 2 AktG bereits deshalb aus, weil die Erwerbsverbote der §§ 71, 71a AktG keine entsprechende Anwendung finden (eingehend dazu Rz. 786 ff.). a) Vorerwerbsrecht der Aktionäre

811

Veräußert der Emittent eigene Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennte oder isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) oder Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.), steht den Aktionären grundsätzlich ein gesetzliches Vorerwerbsrecht2426 zu.2427 Dieses ergibt sich nicht aus § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG. Die Vorschrift setzt zwar ein Vorerwerbsrecht der Aktionäre bei der Veräußerung eigener Aktien voraus,2428 findet auf den Rückerwerb und die Wiederveräußerung eigener Wandelschuldverschreibungen, abgetrennter und isolierter Optionsscheine (z.B. naked warrants), Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine aber keine entsprechende Anwendung (eingehend dazu Rz. 786 ff.). Das Vorerwerbsrecht ergibt sich aber aus einer entsprechenden Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 1 AktG.2429 Der direkte Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist ausweislich der gesetzlichen Systematik auf die (erstmalige) Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen begrenzt. Das Bezugsrecht soll es den Aktionären er2423 Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 56 AktG Rz. 14 ff.; Cahn/von Spannenberg in Spindler/Stilz, § 56 AktG Rz. 15; Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 56 AktG Rz. 11 f.; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 56 AktG Rz. 10; Grigoleit/Rachlitz in Grigoleit, § 56 AktG Rz. 4; Henze in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2000, § 56 AktG Rz. 14; Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 5; Laubert in Hölters, § 56 AktG Rz. 5; H.P. Westermann in Bürgers/Körber, § 56 AktG Rz. 4; wohl a.A. Hefermehl/Bungeroth in G/H/E/K, 1983, § 56 AktG Rz. 7. 2424 Bungeroth in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 56 AktG Rz. 15; Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 56 AktG Rz. 11 f.; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 125. 2425 Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 260; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124. 2426 Im Schrifttum werden die Begriffe Vorerwerbs- und Bezugsrecht bei der Wiederveräußerung eigener Wertpapiere synonym verwendet. Zur besseren Unterscheidung der Rechte wird hier im Folgenden der Begriff des Vorerwerbsrechts verwendet. 2427 Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 40; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Wieneke, WM 2013, 1540 (1547). 2428 T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 71 AktG Rz. 80; Habersack, ZIP 2004, 1121 (1124); U. Huber in FS Kropff, 1997, S. 101 (118); Hüffer/Koch, § 71 AktG Rz. 19k, 19m; Lutter/Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 71 AktG Rz. 177; Martens, AG 1996, 337 (342 f.); Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 81; Wieneke, WM 2013, 1540 (1547); Wieneke in Bürgers/Körber, § 71 AktG Rz. 41; im Ergenbnis auch Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 247; einschränkend Cahn in Spindler/Stilz, § 71 AktG Rz. 131 ff. 2429 Wieneke, WM 2013, 1540 (1546).

926

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 814 § 221 AktG

möglichen, den mit der Ausgabe der Wertpapiere einhergehenden Beeinträchtigungen ihrer mitgliedschaftlichen Rechtsstellung – konkret: einer Verkürzung ihre Beteiligungsquote und ihres Rechts auf den Bilanzgewinn, einer Verringerung ihrer effektiven Stimmrechtsmacht sowie einer Verwässerung des wirtschaftlichen Wertes ihrer Beteiligung – entgegenzuwirken. Diese Beeinträchtigungen drohen den Aktionären allerdings nicht nur bei der (erstmaligen) Ausgabe der Wertpapiere, sondern auch bei deren Wiederveräußerung. Die insoweit bestehende Regelungslücke ist durch eine entsprechende Anwendung von § 221 Abs. 4 AktG zu schließen. Erfolgt die Wiederveräußerung der Wertpapiere über die Börse, besteht ausnahmsweise – ohne dass es hierfür eines Beschlusses der Hauptversammlung oder einer (besonderen) sachlichen Rechtfertigung bedarf – kein Vorerwerbsrecht der Aktionäre.2430 Diese Differenzierung nach der Art der Veräußerung ist zwar nicht in § 221 Abs. 4 AktG, wohl aber in § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 AktG angelegt. Der ihr zugrunde liegende Gedanke, dass bei der Veräußerung der Wertpapiere über die Börse alle Aktionäre die gleichen Chancen haben, die Wertpapiere zu erwerben,2431 gilt nicht nur für die Wiederveräußerung eigener Aktien, sondern unterschiedslos für alle Wertpapiere und damit auch für Wandelschuldverschreibungen, abgetrennte und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants), Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine.2432

812

Erfolgt die Wiederveräußerung der Wertpapiere nicht über die Börse – hierzu bedarf es im Unterschied zu der Wiederveräußerung eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 4 Halbs. 1 AktG) keines Beschlusses der Hauptversammlung – ist der Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre zu beachten. Dieser ergibt sich aus § 53a AktG, da § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG auf die Wiederveräußerung von Wandelschuldverschreibungen, abgetrennten und isolierten Optionsscheinen (z.B. naked warrants), Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheine keine Anwendung findet (siehe Rz. 786 ff.).2433 Eine Ungleichbehandlung der Aktionäre ist danach nicht per se unzulässig, bedarf aber einer sachlichen Rechtfertigung.2434

813

Das Vorerwerbsrecht der Aktionäre auf Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 814 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), abgetrennte und isolierte Optionsscheine (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheine (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) kann in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3, 4 AktG ausgeschlossen (eingehend dazu Rz. 613 ff.) oder in entsprechender Anwendung von § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 5 AktG durch ein mittelbares Bezugsrecht ersetzt werden (eingehend dazu Rz. 593 ff.). Hat die Hauptversammlung das Bezugsrecht der Aktionäre bei der Ausgabe der Wertpapiere ausgeschlossen, ist (nur) im Zweifel durch Auslegung des Beschlusses zu ermitteln, ob auch das bei Wiederveräußerung der Instrumente grundsätzlich bestehende Vorerwerbsrecht der Aktionäre (siehe Rz. 812) ausgeschlossen sein soll. Erfolgt der Ausschluss des Bezugsrechts in einem zusammengesetzten Gesamtbeschluss mit der Zustimmung zu einem konkreten Emissionsvorhaben (§ 221 Abs. 1 Satz 1 ggf. i.V.m. Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 510 ff., 616), erscheint dies regelmäßig bereits des2430 Wieneke, WM 2013, 1540 (1548). 2431 Martens, AG 1996, 337 (339); Merkt in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2007, § 71 AktG Rz. 280; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 251; Wieneke, WM 2013, 1540 (1548). 2432 Wieneke, WM 2013, 1540 (1548). 2433 A.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136: entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 3 AktG. 2434 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91 – Bremer Bankverein, BGHZ 120, 141 (150) = NJW 1993, 400 = AG 1993, 134; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76 – Kali & Salz, BGHZ 71, 40 (44) = NJW 1978, 1316; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58 – Minimax II, BGHZ 33, 175 (186) = NJW 1961, 26; Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 53a AktG Rz. 34; Hüffer/Koch, § 53a AktG Rz. 10.

Fest

927

§ 221 AktG Rz. 815 Entstehung und Übertragung der Rechte halb ausgeschlossen, weil sich die erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall (eingehend dazu Rz. 639 ff.) auf die Gegenwart beschränkt. Dass der Ausschluss des Bezugsrechts auch das Vorerwerbsrecht umfasst, erscheint daher allenfalls in Konstellationen möglich, in denen der Bezugsrechtsausschluss nach § 221 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG ohne eine einzelfallbezogene Interessenabwägung erfolgt. In Anbetracht der Tatsache, dass der Ausschluss (auch) des Vorerwerbsrechts nur Bedeutung erlangt, wenn die Gesellschaft eigene Wertpapiere aus der Emission zurückerwirbt, sowie des Umstands, dass Entscheidungen dieser Tragweite regelmäßig ausdrücklich in den Beschluss aufgenommen werden, kommt eine Auslegung des Beschlusses dahingehend, dass auch das Vorerwerbsrecht der Aktionäre ausgeschlossen sein soll, nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Beschluss zumindest erkennen lässt, dass die Hauptversammlung sich mit der Möglichkeit eines späteren Rückerwerbs der Instrumente befasst hat.2435 b) Wiederaufleben der verbrieften Rechte 815

Sobald die Wiederveräußerung der Wertpapiere dinglich vollzogen ist (eingehend dazu Rz. 776 ff.), leben die verbrieften Rechte ex nunc wieder auf, d.h. das Ruhen endet und der Erwerber kann die verbrieften Rechte – vorbehaltlich z.B. der nachstehenden Einschränkung – geltend machen.2436 Ist nach den Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen die Rückzahlung des eingezahlten Kapitals geschuldet, findet eine anteilige Kürzung des Rückzahlungsbetrags für die Zeit des Ruhens nicht statt. Hinsichtlich der Zinszahlungsansprüche ist – wie bei dem Rückerwerb eigener Wertpapiere (siehe Rz. 806 ff.) – zwischen dem (Außen-)Verhältnis zwischen der Gesellschaft als (Zins-)Schuldnerin und den Wertpapierinhabern als (Zins-)Gläubiger und dem Ausgleich im (Innen-)Verhältnis zwischen dem Veräußerer der Wertpapiere – hier: der Gesellschaft – und dem Erwerber zu unterscheiden: Der zeitanteilige Ausgleich der Zinsen wird grundsätzlich im (Innen-)Verhältnis zwischen dem Veräußerer der Wertpapiere – hier: der Gesellschaft – und dem Erwerber durch sog. Stückezinsen realisiert. Nach allgemeinen Grundsätzen, d.h. ohne die Bestimmung des Zahlungstermins in den Anleihebedingungen, hätte derjenige, der das Wertpapier vor einem Zinszahlungstermin veräußert, Anspruch auf die Zinsen, die auf den Zeitraum zwischen dem letzten Zinszahlungstermin – oder seinem späteren Erwerb – und dem Veräußerungszeitpunkt entfallen.2437 Die Bestimmung eines Zahlungstermins in den Anleihebedingungen soll dem Anleiheschuldner lediglich die Abwicklung der Zinszahlung erleichtern, nicht aber diejenigen wirtschaftlich benachteiligen, die ihre Wertpapiere zwischen zwei Zinszahlungsterminen veräußern. Daher steht dem Veräußerer – neben dem Anspruch auf Kaufpreiszahlung – grundsätzlich ein Anspruch auf zeitanteilige Auskehr der Stückezinsen zu.2438 Dieser Ausgleichsmechanismus versagt, wenn der Emittent eigene Wertpapiere veräußert. Da der Zinszahlungsanspruch während der Zeit seiner Inhaberschaft ruht (siehe Rz. 805) und auch nicht im Nachhinein mit der Wiederver-

2435 Deutlich großzügiger Wieneke, WM 2013, 1540 (1549). 2436 Fetzer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, Vor § 362 BGB Rz. 4; Ganssmüller, DB 1955, 865 (866); Grüneberg in Palandt, Vor § 362 BGB Rz. 4; Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Haberstock/Greitemann in Hölters, § 221 AktG Rz. 90; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 137; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Karollus in G/H/ E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 126, 371; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 112; W. Müller in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2014, Anh. § 29 GmbHG Rz. 28; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 137; Wieneke, WM 2013, 1540 (1546). 2437 Wieneke, WM 2013, 1540 (1546). 2438 Wieneke, WM 2013, 1540 (1546).

928

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 818 § 221 AktG

äußerung zur Entstehung gelangt,2439 ist der Zinszahlungsanspruch der Erwerber ausnahmsweise im Außerverhältnis um die hypothetisch dem Emittenten zustehenden Stückezinsen zu kürzen. Für den Erwerber macht es somit wirtschaftlich keinen Unterschied, ob er die Wertpapiere von dem Emittenten selbst oder von einem Dritten erwirbt. Entsprechendes gilt für gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen, unabhängig davon, ob diese den Zinszahlungsanspruch substituieren oder ergänzen.

II. Erwerb durch abhängige Unternehmen Der Ersterwerb von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), isolierten Optionsscheinen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheinen (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) durch Unternehmen, die von der (Emissions-)Gesellschaft abhängig sind (§ 17 Abs. 1 AktG) oder im Mehrheitsbesitz des Emittenten stehen, ist möglich,2440 konfligiert insbesondere mit § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht.2441 Die Vorschrift findet auf diese Instrumente keine entsprechende Anwendung.2442 Der Zweiterwerb dieser Instrumente sowie abgetrennter Optionsscheine durch diese Unternehmen steht § 71d Satz 2 AktG nicht entgegen. Die Vorschrift findet – wie die §§ 71 ff. AktG allgemein (eingehend dazu Rz. 786 ff.) – auf andere Wertpapiere als Aktien keine entsprechende Anwendung.2443

816

Für CRR-Institute (§ 1 Abs. 3d Satz 3 KWG) – für sonstige Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute gilt nach § 1a Abs. 1 bzw. Abs. 2 KWG Gleiches – sehen Art. 52 Buchst. b Nr. ii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 und Art. 63 Buchst. b Nr. ii Verordnung (EU) Nr. 575/2013 lediglich vor, dass Instrumente, die von einem Unternehmen, an dem der Emittent eine Beteiligung – sei es in Form des direkten Haltens, sei es durch Kontrolle – von mindestens 20 Prozent der Stimmrechte oder des Kapitals jenes Unternehmens hält, nicht zum zusätzlichen Kernkapital bzw. Ergänzungskapital zählen. Ein über diese Rechtsfolge hinausgehendes Erwerbsverbot enthalten die Vorschriften nicht.2444 Sie setzen vielmehr den Erwerb der Instrumente durch vom Emittenten abhängige und im Mehrheitsbesitz des Emittenten stehende Unternehmen als möglich voraus. Für Versicherungsunternehmen enthalten weder die Art. 69 ff. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 noch § 214 VAG vergleichbare Regelungen.

817

Im Gegensatz zu dem Emittenten selbst (siehe Rz. 805 ff.) sind Unternehmen, die von dem Emittenten abhängig sind (§ 17 Abs. 1 AktG) oder im Mehrheitsbesitz des Emittenten stehen, grundsätzlich nicht gehindert, die in den Wertpapieren verbrieften Rechte auszuüben.2445 Ein

818

2439 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 207; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 112; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 137. 2440 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 127, 368. 2441 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; a.A. Hirte in Großkomm/ AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 138. 2442 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 Rz. 110; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 138; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545); a.A. Früchtl in Wachter, § 221 AktG Rz. 43; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 138; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 117. 2443 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 49; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 118; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 110; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 138; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545); a.A. Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 136, 138, 403. 2444 A.A. Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208. 2445 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 127, 371; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 138.

Fest

929

§ 221 AktG Rz. 819 Entstehung und Übertragung der Rechte Ruhen der Rechte ist aufgrund der formalen Personenverschiedenheit von Gläubiger und Schuldner grundsätzlich nicht geboten.2446 Lediglich das Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien dürfen diese Unternehmen gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht ausüben.2447 Dieses Gebot ist allerdings – wie § 56 Abs. 2 Satz 2 AktG klarstellt – kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB.2448 Daher werden unter Verstoß gegen § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG abgegebene Umtauschund Bezugserklärungen – vorbehaltlich anderer Unwirksamkeitsgründe – mit Zugang wirksam.2449 Allerdings haftet jedes schuldhaft handelnde Vorstandsmitglied gemäß § 56 Abs. 4 AktG auf die Einlage.

III. Erwerb auf Rechnung des Emittenten oder eines abhängigen Unternehmens 819

Der Erst- und Zweiterwerb von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), isolierten Optionsscheinen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.), Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, eingehend dazu Rz. 308 ff.) und Genussscheinen (§ 221 Abs. 3 AktG, eingehend dazu Rz. 329 ff.) ist Dritten auch dann möglich, wenn sie die Wertpapiere für Rechnung des Emittenten oder eines Unternehmens, das von dem Emittenten abhängig ist (§ 17 Abs. 1 AktG) oder im Mehrheitsbesitz des Emittenten steht, erwerben.2450 Ein Erwerb für fremde Rechnung ist anzunehmen, wenn die Emissionsgesellschaft oder ein von ihr abhängiges oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen das mit den Wertpapieren einhergehende wirtschaftliche Risiko in dem Innenverhältnis zu dem formalen Rechtsinhaber ganz oder teilweise übernimmt.2451

820

Die Rechte aus den für fremde Rechnung erworbenen Instrumenten stehen nicht dem wirtschaftlichen Eigentümer, sondern ausschließlich dem formalen Inhaber der Wertpapiere zu. Dies gilt nicht nur für die Zahlungsansprüche (Rückzahlung des eingezahlten Kapitals, Zinsen, gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen), sondern auch für die Umtausch- und Bezugsrechte. Werden letztere ausgeübt, erwirbt der formal Berechtigte die Aktien;2452 er hält diese aber ebenfalls für fremde Rechnung.2453 Die Vorschrift des § 56 Abs. 3 AktG ist zwar anwendbar,2454 steht aber weder der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugs2446 Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545). 2447 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 139; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Lutter in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1995, § 221 AktG Rz. 119; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 110; Rieder/Holzmann in Grigoleit, § 221 AktG Rz. 48; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 138; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124; wohl auch Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 127. 2448 Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 10; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124. 2449 Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 10; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545). Wohl nur terminologisch unklar Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 208; Hüffer/Koch, § 221 AktG Rz. 54; Stadler in Bürgers/Körber, § 221 AktG Rz. 124 jeweils mit der Formulierung, dass § 56 Abs. 2 AktG der Ausübung des Umtausch- bzw. Bezugsrechts entgegenstehe. 2450 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 209; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 128; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 111; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 139; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545). 2451 Vgl. Drygala in KölnKomm/AktG, 3. Aufl. 2011, § 56 AktG Rz. 43; Hüffer/Koch, § 56 AktG Rz. 12; H.P. Westermann in Bürgers/Körber, § 56 AktG Rz. 8 jeweils für Aktien. 2452 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 209; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 128; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 139. 2453 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 209; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 111. 2454 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 209; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 128.

930

Fest

Erwerb eigener Instrumente

Rz. 823 § 221 AktG

rechts noch der Zeichnung der (Bezugs-)Aktien und deren Übernahme entgegen.2455 Entfallen auf die Aktien, die ein Dritter für Rechnung der Emissionsgesellschaft oder eines von ihr abhängigen oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmens erworben hat, mehr als zehn Prozent des Grundkapitals der Emissionsgesellschaft, ist der Dritte in entsprechender Anwendung von § 71d Satz 4 i.V.m. § 71c Abs. 2 AktG verpflichtet, den Teil der Aktien, der diesen Anteil übersteigt, binnen Jahresfrist zu veräußern. Andernfalls hat die Emissionsgesellschaft ihre Aktien in entsprechender Anwendung von §§ 71d Satz 4, 71c Abs. 3 i.V.m. § 237 AktG einzuziehen.2456

IV. Besonderheiten bei Drittemissionen Bei dem Rückerwerb von Wandelschuldverschreibungen (§ 221 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AktG, eingehend dazu Rz. 23 ff.), Wandel- und Optionsgenussrechten (eingehend dazu Rz. 483 ff.) und isolierten Optionsscheinen (z.B. naked warrants, eingehend dazu Rz. 233 ff.) aus sog. Drittemissionen (eingehend dazu Rz. 31 ff.) ist sowohl danach zu unterscheiden, ob die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- oder Bezugsrecht bezieht – in der Regel eine Konzernobergesellschaft –, selbst Schuldner der Zeichnungsverträge werden soll oder nur eine Garantie für die Erfüllung der gegen die Emissionsgesellschaft gerichteten Verschaffungsansprüche gegenüber den Berechtigten übernommen hat, als auch danach, welche Gesellschaft die Wertpapiere erwirbt.

821

1. Garantie der Erfüllung der Verschaffungsansprüche Hat die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtausch- oder Bezugsrecht bezieht, gegenüber den Anleihegläubigern bzw. Optionsrechtsinhabern lediglich die Erfüllung der ausschließlich gegen die Emissionsgesellschaft gerichteten Verschaffungsansprüche garantiert, führt der Rückerwerb der Wertpapiere durch die Emissionsgesellschaft zu einem Ruhen der verbrieften Rechte (siehe Rz. 805). Dies gilt nicht nur für Zahlungsansprüche (Rückzahlung des eingezahlten Kapitals, Zinsen, gewinnabhängige und gewinnorientierte Ausschüttungen), sondern auch für das Umtausch- und Optionsrecht.

822

Erwirbt die Wertpapiere hingegen die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Umtauschoder Bezugsrecht bezieht, tritt aufgrund der fortbestenden formalen Personenverschiedenheit von Schuldner und Gläubiger kein Ruhen der verbrieften Rechte ein. Infolge der Ausübung der Umtausch- oder Bezugsrechte ist die Emissionsgesellschaft nach Maßgabe der Anleihe- bzw. Genussrechtsbedingungen verpflichtet, Aktien der anderen Gesellschaft zu erwerben. Ist die Emissionsgesellschaft – wie in der Praxis üblich – eine Konzernfinanzierungsgesellschaft, die im Mehrheitsbesitz der anderen Gesellschaft steht, und werden die Umtauschoder Bezugsrechte durch neue Aktien bedient, verstößt deren Zeichnung durch die Emissionsgesellschaft zwar gegen § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG, ist aber gleichwohl wirksam (siehe Rz. 819). Die anschließend aufgrund der Verschaffungsansprüche geschuldete Rückübertragung der Aktien ist nur in den Grenzen des § 71 Abs. 1 Nr. 1-8 AktG zulässig.2457

823

2455 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 111. 2456 H.P. Westermann in Bürgers/Körber, § 56 AktG Rz. 7; Wieneke, WM 2013, 1540 (1545 f.). 2457 So wohl auch Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 206; Hirte in Großkomm/AktG, 4. Aufl. 2012, § 221 AktG Rz. 137; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 125; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 113; Seiler in Spindler/Stilz, § 221 AktG Rz. 136.

Fest

931

§ 221 AktG Rz. 824 Entstehung und Übertragung der Rechte 2. Schuldner der Zeichnungsverträge 824

Hat die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Bezugsrecht bezieht, die Optionsrechte selbst ausgestellt mit der Folge, dass sie bei der Ausübung der Optionsrechte selbst Schuldner der Zeichnungsverträge wird (siehe Rz. 37), ist bei einem (Rück-)Erwerb der Wertpapiere durch die Emissionsgesellschaft zwischen den Optionsscheinen einerseits und den Teilschuldverschreibungen bzw. Genussrechten andererseits zu unterscheiden: (1) Hat die Emissionsgesellschaft die von der anderen Gesellschaft ausgestellten Optionsscheine mit Teilschuldverschreibungen bzw. Genussscheinen zu einer Optionsanleihe bzw. einem Optionsgenussschein verbunden, wird sie durch den Rückerwerb einzelner Teilschuldverschreibungen bzw. Genussscheine selbst Schuldner der darin verbrieften Rechte, so dass diese ruhen. (2) Die Optionsrechte ruhen hingegen auch bei einem Erwerb der Optionsscheine durch die Emissionsgesellschaft nicht. Die Emissionsgesellschaft kann diese auch dann ausüben, wenn sie – wie in der Praxis üblich – eine Konzernfinanzierungsgesellschaft ist, die im Mehrheitsbesitz der anderen Gesellschaft steht, und die Bezugsrechte durch neue Aktien bedient werden. In diesem Fall erfolgt die Zeichnung der Aktien durch die Emissionsgesellschaft zwar unter Verstoß gegen § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG;2458 sie ist aber gleichwohl wirksam (siehe Rz. 819).

825

Erwirbt die Gesellschaft, auf deren Aktien sich das Bezugsrecht bezieht, von der Emissionsgesellschaft ausgestellte Teilschuldverschreibungen bzw. Genussscheine, ruhen die darin verbrieften Rechte – gleichgültig, ob diese Wertpapiere noch mit den Optionsscheinen verbunden sind oder zuvor abgetrennt wurden – aufgrund der fortbestehenden formalen Personenverschiedenheit von Schuldner und Gläubiger nicht.2459 Im Gegensatz dazu ruhen die in den Optionsscheinen – gleichgültig, ob diese noch mit den Teilschuldverschreibungen bzw. Genussscheinen verbunden sind oder zuvor abgetrennt wurden – verbrieften Optionsrechte.2460 Gibt die Gesellschaft gleichwohl eine Bezugserklärung ab und sollen die Optionsrechte durch neue Aktien bedient werden, ist die Zeichnungserklärung (siehe Rz. 217) aufgrund des Verstoßes gegen § 56 Abs. 1 AktG zwar (zunächst) unwirksam,2461 aber einer Heilung zugänglich (siehe Rz. 810). Diese tritt in dem praktischen Regelfall, dass die Optionsrechte durch eine bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192 ff. AktG) abgesichert sind (eingehend dazu Rz. 86 ff.), mit der Eintragung der Ausgabe der Bezugsaktien in das Handelsregister ein (§ 201 AktG, siehe Rz. 119).

2458 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 113. 2459 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 206; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 125; Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 113. 2460 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 221 AktG Rz. 206; Karollus in G/H/E/K, 1993, § 221 AktG Rz. 125. 2461 Merkt in K. Schmidt/Lutter, § 221 AktG Rz. 113.

932

Fest

3. Teil Gesetz zur Regelung des Schuldenwesens des Bundes (Bundesschuldenwesengesetz – BSchuWG) Teil 1 Wahrnehmung von Aufgaben des Schuldenwesens des Bundes und parlamentarische Kontrolle Vor §§ 1–3 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Historie 1. Hauptverwaltung der Staatsschulden in Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reichsschuldenverwaltung im Deutschen Reich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigenständige und unabhängige Reichsschuldenverwaltung in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schuldenaufnahme und -verwaltung durch den Reichsfinanzminister im Dritten Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2 3

4

5

5. Dezentralisierte und unabhängige Bundesschuldenverwaltung in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zweistufige Privatisierung in den Jahren 2002 und 2006 1. Hintergrund und Motive . . . . . . . . . . . . 2. Umbenennung der Bundesschuldenverwaltung in Bundeswertpapierverwaltung 3. Gründung der Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH . . . . . . . . . . 4. Entlastung der Deutschen Bundesbank 5. Bündelung des Schuldenmanagements in der Finanzagentur und Auflösung der Bundeswertpapierverwaltung. . . . . . . . .

6

9 10 11 12

13

Schrifttum: Abs, Entscheidungen 1949-1953. Die Entstehung des Londoner Schuldenabkommens, 2. Aufl. 1991; Burgtorf/Kitterer, Der Staat als Emittent von Wertpapieren, Sparkasse 2003, 280; Curtius, Der Young Plan, 1950; Daube/Lehr, Redaktionsgespräch – „Für die dreißigjährige Laufzeit ist momentan nicht der richtige Zeitpunkt“, Kreditwesen 2009, 412; Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2015; Deutsche Bundesbank, Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975, 1976; Diller, Bundesschuldenverwaltung – Ein Berichterstatter mit falschen Adressaten?, Kreditwesen 1989, 904; Diller, Zur Transparenz der öffentlichen Verschuldung – Ein Beitrag aus Anlaß des zehnten Jahresberichts der Bundesschuldenverwaltung, Fin. Arch. 1989, 77–103; Dreier, GG – Grundgesetz Kommentar, 2. Aufl. 2010; Fleck, Zur Neuordnung des Debt Management des Bundes, Kreditwesen 2000, 808-810; Gröpl, BHO/LHO – Bundeshaushaltsordnung/Landeshaushaltsordnung, 2011; Hahn/ Braun, Vorgeschichte und Hintergrund des Urteils, in P. Behrens – Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht (Hrsg.), Die Wertsicherung der Young-Anleihe: Das Urteil des Schiedsgerichtshofs für das Abkommen über deutsche Auslandsschulden vom 16. Mai 1980, 1984, S. 1–8; Höfling, Staatsschuldenrecht. Rechtsgrundlagen und Rechtsmaßstäbe für die Staatsschuldenpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, 1993; Irmler, Bankenkrise und Vollbeschäftigungspolitik, in Deutsche Bundesbank, Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975, 1976, S. 283 ff.; Jabcke/ Schleif, Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur, Aktives Management der Staatsschulden, in Krumnow/Gramlich/Lange/Dewner, Gabler Bank-Lexikon, 13. Auflage 2002, S. 1307; Jaeckel, Die Aufgaben der Bundesschuldenverwaltung im Rahmen der staatlichen Verschuldung, Die Bank 1983, 324-328; Jaeckel, 40 Jahre Bundesschuldenverwaltung, Kreditwesen 1989, 898-904; Karl, 150 Jahre Staatsschuldenverwaltung: 17.1.1820 – 17.1.1970. Ein Gang durch anderthalb Jahrhunderte deutscher Finanzgeschichte, 1970; Kerber, Der verdrängte Finanznotstand: Zur finanzpolitischen Verantwortlichkeit von Parlament und Regierung sowie zur Rolle des Bundes als Hüter der finanzwirtschaftlichen Souveränität, 2002; Kern, Monetäre Wirkungen der Staatsverschuldung, 1981; Kühlem, Wie die Bundesrepublik kreditwürdig wurde – Das Londoner Schuldenabkommen 1953, Die politische Meinung Nr. 520 (2013), 62-68; Lehr/Reusch, Risikostrategie und Risikosteuerung – Risikomanagement im Bundesschuldenwe-

Braun 933

Vor §§ 1–3 BSchuWG

Rz. 1

sen, Risiko-Manager 2015, 12–14; Otto, Die „neue“ Finanzagentur – Bank des Bundes?, Kreditwesen 2007, 540-541; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 2. Aufl. 2014; Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld – Befund, Probleme, Perspektiven,2005; Rombeck-Jaschinski, Das Londoner Schuldenabkommen – Die Regelung der deutschen Auslandsschulden nach dem zweiten Weltkrieg, Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London Bd. 58, 2005; Schierenbeck/Lister/Kirmße, Ertragsorientiertes Bankmanagement, Bd. 1, 9. Aufl. 2014, und Bd. 2, 9. Aufl. 2008; Schlitzberger, Staatliches Schuldenwesen und Privatisierung der Bundeswertpapierverwaltung – eine kritische Bestandsaufnahme, Kreditwesen 2004, 359-363; Schwarz, Die Wiederherstellung des deutschen Kredits – Das Londoner Schuldenabkommen, 1982; Wagner, 50 Jahre Bundesschuldenverwaltung – Ein Rückblick auf die organisatorischen Entwicklungslinien im preußisch-deutschen Staatsschuldenwesen, WM 1999, 1949-1954; Wallich, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, 1955.

I. Überblick 1

Teil 1 des Gesetzes hat die institutionellen und organisatorischen Grundlagen des Bundesschuldenwesens sowie die Aufsicht und parlamentarische Kontrolle zum Gegenstand. Das Bundesschuldenwesengesetz (BSchuWG) vom 12.7.20061 bildet den vorläufigen Abschluss einer historischen Entwicklung.2 Sie mündet in der Privatisierung des deutschen organisierten Staatsschuldenwesens. Die spezifischen Aufgaben sind auf die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (Finanzagentur) übertragen worden. Die Finanzagentur ist ein in privatrechtlicher Rechtsform organisiertes, aber vom Bund gehaltenes und mit hoheitlichen Aufgaben beliehenes Unternehmen (vgl. § 1 BSchuWG Rz. 19 ff.). Gesetzgeberisches Ziel nach § 1 Abs. 1 Satz 1 BSchuWG ist die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit.3 Die Neuorganisation des Schuldenmanagements soll die bisherigen Schnittstellen zwischen den drei Akteuren Bundesministerium der Finanzen (BMF), Bundeswertpapierverwaltung und Deutsche Bundesbank beseitigen oder zumindest deutlich reduzieren. Durch das professionelle Kreditund Liquiditätsmanagement der Finanzagentur sollen Effizienzgewinne für den Bund gehoben werden.4 Für die Ausgestaltung wird im Wesentlichen eine Trennung der Schuldenverwaltung vom BMF unter Zentralisierung der Aufgaben bei der Finanzagentur und deren Konzentration auf das Schuldenmanagement leitend. Die Finanzagentur unterliegt der Rechts- und Fachaufsicht des BMF als Vertreter des staatlichen Emittenten und ist diesem gegenüber weisungsabhängig (vgl. § 2 BSchuWG). Die parlamentarischen Kontrollrechte übt das Bundesfinanzierungsgremium aus (vgl. § 3 BSchuWG).

II. Historie 1. Hauptverwaltung der Staatsschulden in Preußen 2

Die Anfänge des Staatsschuldenwesens lagen in Preußen, als im Jahre 1820 eine von der übrigen Staats- und Finanzadministration abgehobene „Hauptverwaltung der Staatsschulden“ auf Initiative des Fürsten von Hardenberg errichtet worden ist.5 Diese Behörde hatte den auch heute noch aktuellen und bedeutsamen Auftrag, eine fristgerechte Verzinsung und Tilgung der Staatsschulden zu gewährleisten und die Staatsschuld durch Konvertierung der damals umlaufenden Anleihen in einheitliche Schuldverschreibungen zu konsolidieren. Da1 BGBl. I 2006, 1466; geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 13.9.2012, BGBl. I 2012, 1914. 2 Ausf. Wagner, WM 1999, 1949 ff. m.w.N.; Diller, Fin. Arch. 1989, 77 (78 f.); Höfling, Staatsschuldenrecht, 1993, S. 376 ff.; Maunz in Maunz/Dürig, Art. 115 GG Rz. 4 f.; monographisch Karl, 150 Jahre Staatsschuldenverwaltung, 1970. 3 So auch schon § 5 Abs. 1 Satz 1 BWpVerwG. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 12. 5 Verordnung über das Staatsschuldenwesen v. 17.1.1820, Preuß GS. 9; dazu Jaeckel, Die Bank 1983, 324 ff.; Wagner, WM 1999, 1949 ff.

934

Braun

Rz. 4

Vor §§ 1–3 BSchuWG

mit war der Grundstein für eine moderne staatliche Finanzverfassung in Deutschland gelegt. 2. Reichsschuldenverwaltung im Deutschen Reich Nach der Gründung des Deutschen Reiches übernahm kurz darauf die preußische Haupt- 3 verwaltung bis zum Jahre 1924 im Wege der Organleihe die Administration der Reichsanleihen unter der Bezeichnung „Reichsschuldenverwaltung“.6 Eine weitere Entwicklungsstufe bildete nach der Reichsgründung das Gesetz über die Errichtung eines Staatschuldenbuchs im Jahre 1883. Damit trat neben die klassische Ausgabe von Schuldverschreibungen in Form von effektiven Stücken der Eintrag in das Reichsschuldenbuch,7 womit in Deutschland die körperlosen Wertrechte geschaffen worden sind. Die Vielzahl der Bestimmungen zur Aufnahme und Verwaltung der Reichsschulden wurde schließlich in der Reichsschuldenordnung vom 19.3.1900 zusammengefasst.8 Dieses Gesetz wurde zusammen mit dem bereits erwähnten Reichsschuldenbuchgesetz erst im Jahre 2000 durch das Bundeswertpapierverwaltungsgesetz (BWpVerwG) aufgehoben,9 das seinerseits inzwischen wieder außer Kraft gesetzt wurde (siehe Rz. 14). 3. Eigenständige und unabhängige Reichsschuldenverwaltung in der Weimarer Republik In der Weimarer Republik wurde 1924 eine neue zentrale Reichsschuldenverwaltung als eigenständige und unabhängige Reichsbehörde konstituiert.10 Ein Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bestand in der Bedienung der erheblichen Auslandsschulden des Deutschen Reiches im Rahmen der beiden Reparationsabkommen – Dawes-Plan 1924 und Young-Plan 1929 – u.a. der 1930 begebenen Young-Anleihe.11 Die im Young-Plan vorgesehene Kommerzialisierung der deutschen Reparationsverbindlichkeiten war auch Grund und Anlass zur Gründung der „Bank für Internationalen Zahlungsausgleich“ (BIZ) in Basel durch die Zentralbanken der Gläubigerstaaten sowie Deutschland.12 Nach dem zweiten Weltkrieg haben sich das Aufgabenfeld und die Gesellschafterstruktur der BIZ deutlich ausgeweitet. Mitglieder des internationalen Bankinstituts BIZ sind anders als beim Internationalen Währungsfonds ausschließlich die Zentralbanken der wirtschaftlich wichtigsten Staaten, die dort ohne direkte Beteiligung der Regierungen ihre Politikbereiche abstimmen können.13 Damals fungierte sie hauptsächlich als Clearingstelle für den Transfer deutscher Leistungen sowie als Treuhänder und Agent der Gläubigerstaaten. In dieser Eigenschaft war sie auch Inhaberin von Schuldverschreibungen. Die Funktion der BIZ als sog. Reparationsagent endete mit dem Auslaufen der Reparationsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem Londoner Schuldenabkommen im Oktober 2010. Die an die Gläubigerstaaten zu erbringenden Reparationszahlungen

6 § 6 des Gesetzes betreffend die Ausgabe von Reichskassenscheine v. 30.4.1874, RGBl. 1874, 40; zu der „reizvollen Struktur“, dass eine preußische Behörde im Wege der Leihe für das Reich tätig geworden ist, siehe Wagner, WM 1999, 1949 (1951) m.w.N. 7 Gesetz betreffend das Staatsschuldenbuch v. 20.7.1883, Preuß GS, 120. 8 RGBl. 1900, 129. 9 § 15 BWpVerwG v. 11.12.2001, BGBl. I 2001, 3519 (3523). 10 RSchO v. 13.2.1924, RGBl. 1924, 95; dazu Jaeckel, Kreditwesen 1989, 898 (900). 11 Näheres zur Historie dieser beiden Reparationspläne und der darauf basierenden Londoner und Haager Abkommen bei Hahn/Braun, Die Wertsicherung der Young-Anleihe, 1984, S. 1-3 m.w.N. 12 Art. III der Statuten der BIZ, RGBl. II 1930, 290 (297). 13 Zum umfassenden Tätigkeitsfeld der BIZ siehe ihre jährlich publizierten Geschäftsberichte.

Braun 935

4

Vor §§ 1–3 BSchuWG

Rz. 5

von jährlich mindestens 660 Mio. Reichsmark als unbedingte Annuitäten14 fanden bereits 1931 durch das sog. „Hoover Moratorium“ aufgrund der Weltwirtschaftskrise ihr Ende.15 4. Schuldenaufnahme und -verwaltung durch den Reichsfinanzminister im Dritten Reich 5

Im sog. „Dritten Reich“ stellte die nationalsozialistische Regierung zum 1.7.1934 die Zinsund Tilgungszahlungen der Young-Anleihe grundsätzlich ein.16 Im Zuge der so bezeichneten „Gleichschaltung“ aller staatlichen Institutionen verlor auch die Reichsschuldenverwaltung ihre organisatorische Unabhängigkeit und wurde direkt der Leitung des Finanzministeriums unterstellt. Darüber hinaus wurde unter Missachtung von Art. 87 der Weimarer Reichsverfassung die Höhe der staatlichen Kreditaufnahme der Kontrolle des Reichstages entzogen und durch das Kreditermächtigungsgesetz von 1935 in das Ermessen des Reichsfinanzministers gestellt.17 5. Dezentralisierte und unabhängige Bundesschuldenverwaltung in der Nachkriegszeit

6

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Jahre 1946 in der britisch-amerikanischen Bizone eine Zonenschuldverwaltung aufgebaut und mit Befugnissen ausgestattet, die denjenigen der Reichsschuldenordnung entsprachen. Auf sie folgte zwei Jahre später im Jahre 1948 die Errichtung einer Schuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes mit vergleichbaren Kompetenzen.18 Im Dezember 1949 wurde diese Institution unter der Bezeichnung „Bundesschuldenverwaltung“ auf dem Verordnungswege in die Administration des Bundes eingegliedert.19

7

Die Bundesschuldenverwaltung war wie ihre Vorgängerin eine unabhängige Oberbehörde.20 Sie unterlag nicht der Fachaufsicht, sondern lediglich der Dienstaufsicht des BMF. Stattdessen wurde sie in ihrer Tätigkeit von dem Kollegialorgan des Bundesschuldenausschusses kontrolliert.21 Sie hatte drei Kernaufgaben zu erfüllen:22 Die Bundesschuldenverwaltung war „Notarin des Bundes“, indem sie die Beurkundung der von der Bundesrepublik Deutschland und ihren Sondervermögen aufgenommenen Kredite und Gewährleistungen vornahm sowie verwaltete und zu diesem Zweck auch das Bundesschuldbuch führte. Dabei wachte sie als Kontrolleurin auch darüber, dass die Beurkundungen nur im Rahmen der von der Legislative im Haushaltsgesetz erteilten Kredit- und Gewährleistungsermächtigun-

14 Anlage IV des Young-Plans; s. dazu auch Curtius, Der Young-Plan, 1950, S. 26 ff. m.w.N. 15 Vgl. dazu Irmler in Deutsche Bundesbank, Währung und Wirtschaft in Deutschland, 1976, S. 283 ff. 16 Daran vermochte auch der Protest des Treuhänders nichts zu ändern; vgl. etwa die Kritik in den Jahresberichten der BIZ aus dieser Zeit. 17 S. dazu Diller, Fin. Arch. 1989, 77 (81). 18 Gesetz über die Errichtung einer Bundesschuldenverwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets für die damalige britische und amerikanische Besatzungszone v. 13.7.1948, VOBl. für die Brit. Zone 1948, 228; GVBl. des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1948, 73. 19 Verordnung über die Bundesschuldenverwaltung v. 13.12.1949, BGBl. I 1950, 1. 20 Anerkennung als Oberbehörde durch § 1 Nr. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (Finanzverwaltungsgesetz – FVG). 21 Diesem Gremium gehörten drei Mitglieder des Bundestages, drei vom Bundesrat benannte Mitglieder und der Präsident des Bundesrechnungshofs als Vorsitzender an. Die jeweilige Zusammensetzung teilte die Bundesschuldenverwaltung ab 1979 in ihren Jahresberichten mit. 22 Vgl. Jaeckel, Die Bank 1983, 324; Jaeckel, Kreditwesen 1989, 898 (990); Diller, Kreditwesen 1989, 904 (905 f.); Diller, Fin. Arch. 1989, 77 (81 ff.).

936

Braun

Rz. 9

Vor §§ 1–3 BSchuWG

gen erfolgten, vgl. Art. 115 GG.23 Drittens fungierte sie als unparteiische Treuhänderin zwischen dem Bund und seinen Sondervermögen als Schuldner und den Kreditgebern, dies insbesondere durch die korrekte Führung der Schuldbuchkonten und die ordnungsgemäße Abwicklung des Schuldendienstes der inländischen und ausländischen Staatsschulden des Bundes. Zu letzteren gehörten auch die im Londoner Schuldenabkommen von 1953 geregelten kommerzialisierten Reparationsverpflichtungen des Deutschen Reiches.24 Mit dem Abkommen wurden die damaligen deutschen Auslandsschulden durch einen nahezu fünfzigprozentigen „Haircut“ erheblich gekürzt und zeitlich gestreckt.25 Es fasste erstmals in der Währungsgeschichte alle Auslandsschulden eines Staates zusammen.26 Trotz ihres breiten Aufgabenspektrums war die Bundesschuldenverwaltung nicht der alleinige Akteur des Bundesschuldenmanagements. Das BMF legte gemäß der fortgeltenden, aber angepassten Reichsschuldenordnung innerhalb der Ermächtigung des Bundeshaushaltsgesetzes fest, wann, wie und in welchen Beträgen die Kreditbeschaffung im Rahmen der zugelassenen Schuldformen erfolgte.27 Damit entschied es über das Volumen der Erstemission der Schuldtitel, hatte sich jedoch dann mit der unabhängigen Deutschen Bundesbank als Hoheitsvertreter („Fiscal Agent“) des Bundes wegen der Laufzeit sowie der sonstigen Konditionen der Anleihe nach § 20 Abs. 2 BBankG a.F. abzustimmen. Nach der Einstellung der Anleihe in das Bundesschuldbuch durch die Bundesschuldenverwaltung mit der Deutschen Börse Clearing AG als formeller Gläubigerin verkaufte sodann die Deutsche Bundesbank diese im Tenderverfahren an die zugelassenen Kreditinstitute. Zudem oblagen der Deutschen Bundesbank die Operationen zur Markt- und Kurspflege auf dem Sekundärmarkt.

8

III. Zweistufige Privatisierung in den Jahren 2002 und 2006 1. Hintergrund und Motive Die arbeitsteilige Konzeption des Schuldenwesens unter Beteiligung des BMF, der Bundesschuldenverwaltung und der Deutschen Bundesbank28 wurde wegen Aufgabenüberschneidungen und Mehrfachtätigkeiten sowie personellen Überhängen verschiedentlich als ineffi23 S. dazu die Erläuterung bei Dreier/Heun in Dreier, Art. 115 GG Rz. 14-21. 24 Text in BGBl. II 1953, 331 ff. Dieses Schuldenabkommen ist zu einem Großteil der politischen Haltung der US-amerikanischen Regierung, die im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges auf eine möglichst rasche Eingliederung der jungen Bundesrepublik Deutschland in die westliche Verteidigungsgemeinschaft großen Wert legte, sowie auch dem Verhandlungsgeschick des deutschen Chefunterhändlers, Hermann J. Abs, geschuldet. Zu den politischen Hintergründen s. Kühlem, Die politische Meinung Nr. 520 (2013), 68 sowie Schwarz, Die Wiederherstellung des deutschen Kredits, 1982. Im Lichte dieser weitreichenden Entschuldung ist auch die Forderung der griechischen Regierung nach einem Schuldenerlass oder zumindest einer Umschuldung der Staatsschulden anstelle der zugestandenen Tilgungsaussetzungen und Zinsreduzierungen zu verstehen. 25 Der Gesamtbetrag der Vor- und Nachkriegsschulden konnte von ca. 30 Mrd. DM auf ca. 14,5 Mrd. DM herabgesetzt, die rückständigen Zinsen um ein Drittel, die laufenden Zinsen um ein Viertel der ursprünglichen Raten ermäßigt und deren Tilgung um 10 bis 25 Jahre gestreckt werden. Dennoch war die finanzielle jährliche Gesamtbelastung der Bundesrepublik Deutschland stattlich. Sie belief sich mit 567 Mio. DM in den ersten fünf und ab 1958 mit 750 Mio. DM auf immerhin 2-3 Prozent der Bundeshaushalte in dieser Dekade. Zur damaligen Wirtschaftslage in Deutschland Wallich, Triebkräfte des deutschen Wiederaufstiegs, 1955, S. 242 ff. 26 Zum Verhandlungsverlauf und den Ergebnissen des Londoner Schuldenabkommens aufschlussreich die Kommentierung durch den deutschen Verhandlungsführer H. J. Abs, Entscheidungen 1949–1953, 1991. Eine umfassende historische Nachbetrachtung findet sich bei Rombeck-Jaschinski, Das Londoner Schuldenabkommen, 2005, S. 81 ff. 27 Geregelt in § 1 Abs. 1 der RSchO v. 13.2.1924, RGBl. I 1924, 95 i.d.F. BGBl. III 1963, 650. 28 Vgl. Jaeckel, Kreditwesen 1989, 898 („Dreigestirn“).

Braun 937

9

Vor §§ 1–3 BSchuWG

Rz. 10

zient angesehen.29 Deshalb unternahm die rot-grüne Koalition unter der Führung von Bundeskanzler Schröder konkrete Schritte, um das Schuldenwesen des Bundes durch eine neue Bundesschuldenordnung zu modernisieren. Im Jahre 2000 legte eine mit der Prüfung des Bundesschuldenwesens betraute private Unternehmensberatung ihr abschließendes Gutachten vor.30 Darin schlug sie ein mehrstufiges Verfahren zur organisatorischen Privatisierung des Bundesschuldenwesens vor. Die Bundesregierung schloss sich der allgemeinen Stoßrichtung an. Sie versprach sich von der Konzentration der Aufgabenwahrnehmung in der Finanzagentur und der hierdurch ermöglichten Optimierung der Arbeitsprozesse Effizienzsteigerungen sowie Kosteneinsparungen.31 Der Wirtschaftlichkeitszweck fand Eingang in den Gesetzeswortlaut, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BSchuWG.32 Was die im Gutachten der privaten Unternehmensberatung prognostizierten jährlichen Einsparungen an Zinsausgaben von (damals) 1,4 Mrd. DM bis im Jahre 2012 betrifft, so sollten diese durch ein professionelleres Kredit-, Risiko- und Liquiditätsmanagement erreicht werden. Hiergegen wurde kritisch eingewandt, dass zusätzliche Erträge nur mit höheren Risiken erkauft werden könnten, namentlich mit höheren Zinsänderungsrisiken aufgrund kurzfristigerer Refinanzierung.33 Jedenfalls lassen sich etwaige Renditevorteile des Bundes gegenüber anderen souveränen Schuldnern ebenso wie der Verlust solcher Vorteile nicht zwingend auf die Tätigkeit der Finanzagentur zurückführen.34 2. Umbenennung der Bundesschuldenverwaltung in Bundeswertpapierverwaltung 10

Mit § 1 BWpVerwG vom 11.12.200135 a.F. wurde die Bundesschuldenverwaltung in Bundeswertpapierverwaltung umbenannt. Sie verlor ihren unabhängigen Status und wurde als weisungsabhängige Bundesoberbehörde36 der Rechts- und Fachaufsicht des BMF37 unterstellt (siehe § 2 BSchuWG Rz. 2 f.). Ihr gesetzlicher Aufgabenkatalog (§ 2 Abs. 1 BWpVerwG a.F.) ähnelte zwar demjenigen, der bisher der Bundesschuldenverwaltung zukam. § 5 BWpVerwG a.F. ermächtigte aber das BMF, durch Rechtsverordnung „geeignete Einzelbereiche“ derjenigen Aufgaben, die der Bundeswertpapierverwaltung gesetzlich zugewiesen waren, auszulagern. Vorbehalten blieben lediglich die inzwischen eingestellte Führung des Einzelschuldbuchs (§ 1 BSchuWG Rz. 11) und die Eintragung von Gewährleistungen und Sicherheitsleistungen in das Bundesschuldbuch. Von der Verordnungsermächtigung ist jedoch kein Gebrauch gemacht worden. Die umfassende Privatisierung erfolgte erst unter dem BSchuWG (dazu sogleich Rz. 14 f.). Ferner wurde das unabhängige Kontrollorgan des Bundesschuldenausschusses abgeschafft. An seine Stelle trat das Bundesfinanzierungsgremium. Es wird aus Vertretern 29 Vgl. zuletzt Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 11; krit. Fleck, Kreditwesen 2000, 808 ff.; Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 (360 ff.). 30 Andersen Consulting, Gutachten zur Frage des Debt Management, Band 1, Dokument Nr. 26, Dokumentation zum Gesetz zur Modernisierung des Schuldenwesens des Bundes (Bundesschuldenwesenmodernisierungsgesetz) 2006 (Signatur XVI/0054), PA-DBT 4000 XVI/0054 Bd 1 Nr. 26. 31 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 12; ebenso Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 11; dies trotz höherer Personalkosten in der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (Finanzagentur), daher kritisch Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 (360). 32 Zur Diskussion vgl. die zu Protokoll gegebenen Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Schuldbuchrechts des Bundes und der Rechtsgrundlagen der Bundesschuldenverwaltung (Bundeswertpapierverwaltungsgesetz -BWpVerwG) (Tagesordnungspunkt 24) BT Plenarprot. 14/201, 19840 ff.; ausf. Jabcke/Schleif in Gabler Bank-Lexikon, S. 1307 ff.; zur Erwiderung der Bundesschuldenverwaltung auf das Gutachten der Unternehmensberatung Kerber, Der verdrängte Finanznotstand, 2002, S. 299 f. 33 Fleck, Kreditwesen 2000, 808 ff. 34 Vgl. Otto, Kreditwesen 2007, 540 (541). 35 BGBI. I 2001, 3519, in Kraft v. 1.1.2002 bis 31.07.2006. 36 § 1 Satz 2, § 2 Abs. 2 BWpVerwG a.F. 37 § 2 Abs. 3 BWpVerwG a.F.

938

Braun

Rz. 12

Vor §§ 1–3 BSchuWG

des Haushaltsausschusses gebildet und dient der kontinuierlichen parlamentarischen Überwachung der Kreditpolitik des BMF (vgl. zu § 3 BSchuWG Rz. 1 ff.). 3. Gründung der Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH Am 19.9.2000 hat der Bund die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (Fi- 11 nanzagentur) mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet (dazu § 1 BSchuWG Rz. 19).38 Dem gesetzgeberischen Ziel entsprechend strebte die Leitung eine marktnähere Professionalisierung des Schuldenmanagements und damit eine erhebliche und nachhaltige Reduzierung der Refinanzierungskosten des Bundes an.39 Die Möglichkeit, die genannten Aufgabenbereiche insbesondere auch „einem privatrechtlich organisierten Unternehmen des Bundes im Wege der Beleihung“ zu übertragen, enthielt bereits § 5 BWpVerwG a.F., wenngleich von der Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden war. 4. Entlastung der Deutschen Bundesbank Die Gründung der Finanzagentur brachte für die Deutsche Bundesbank eine gewisse Entlas- 12 tung. Deren zunehmende Einbindung in das System Europäischer Zentralbanken im EuroWährungsraum ließ nach Einführung des Euros ohnedies einen größeren Abstand von mitgliedstaatlichen Aufgaben im Bereich des Schuldenmanagements für geboten erscheinen.40 Es wird ohnedies angezweifelt, ob die staatliche Verschuldung eine die Beteiligung der Zentralbanken rechtfertigende Gefährdung geldpolitischer Ziele zur Folge hat.41 Umgekehrt bezweckt zumindest der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB auf dem Sekundärmarkt die Erreichung bzw. Unterstützung geldpolitischer Ziele.42 Für die Währungspolitik und insbesondere die geldpolitischen Entscheidungen war nunmehr ohnedies das ESZB bzw. der EZB-Rat zuständig,43 so dass die diesbezüglichen Vorstellungen nicht mehr von der Deutschen Bundesbank in den Emissionsprozess hätten eingebracht werden können. Deshalb wurde § 20 Abs. 2 BBankG im Jahr 2002 abgeschafft.44 Die Begebung der Anleihen von Bund und Ländern erfolgt mithin nicht mehr „durch“ und auch nicht mehr „im Benehmen“ mit der Deutschen Bundesbank. Ihr kommt nunmehr nur noch eine Unterstützungsfunktion vor allem bei der Abwicklung des Tenderverfahrens und bei der Erbringung diverser Bankdienstleistungen zu.

38 Vgl. Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 77 ff. 39 S. dazu das Interview der damaligen Geschäftsführer Jabcke und Schleif, Kreditwesen 2002, 632. 40 Vgl. dazu Vorschriften der Art. 123, 130, 282 Abs. 3 Satz 3 und 4 AEUV, die allesamt die Unabhängigkeit des ESZB und der EZB von nationaler politischer Einflussnahme und wirtschaftlicher Abhängigkeit zu gewährleisten bestimmt sind; differenzierend Fleck, Kreditwesen 2000, 808 (810). Jüngst ist das kompetenzrechtliche Abgrenzungsproblem zwischen der Geldpolitik im Rahmen des Euro-Währungssystems und der Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik (im Falle der Deutschen Bundesbank § 12 Satz 2 BBankG) beim Ankauf von Staatsanleihen virulent geworden; dazu wurde das Agreement on Net financial Assets (ANFA) geschlossen, eine Vereinbarung zwischen der EZB und den nationalen Zentralbanken v. 19.11.2014, SEC/GovC/16/420/07a.R, veröffentlicht am 5.2.2016, siehe https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/en_anfa_agreement_19nov 2014_f_sign.pdf. 41 Dazu Burgtorf/Kitterer, Sparkasse 2003, 280 ff.; Kern, Monetäre Wirkungen der Staatsverschuldung, S. 113 ff. 42 Vgl. zu den verschiedenen Ankaufprogrammen der EZB Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 77 ff. 43 Art. 3 Abs. 1 lit. c), 127 Abs. 2, 1. Spiegelstrich AEUV, Art 12.1 Satz 2 Satzung des ESZB und der EZB (Protokoll Nr. 4). 44 Gesetz v. 23.3.2002, BGBl. I 2002, 1159.

Braun 939

Vor §§ 1–3 BSchuWG

Rz. 13

5. Bündelung des Schuldenmanagements in der Finanzagentur und Auflösung der Bundeswertpapierverwaltung 13

Das Bundesschuldenwesengesetz (BSchuWG) vom 12.7.200645 brachte die Modernisierung des Schuldenwesens des Bundes46 zum Abschluss. Die Privatisierung der Organisationsstruktur wurde fortgesetzt und die Kreditaufnahme an internationale Standards und Entwicklungen der Finanzmärkte angepasst. Ziel war ausweislich der Regierungsbegründung die weitere Optimierung und Professionalisierung des Schuldenmanagements des Bundes.47 Dazu sollte das Schuldenmanagement bei der Finanzagentur zentralisiert werden; die Finanzagentur sollte sich zugleich auf das Schuldenmanagement konzentrieren.48 Von einer nur teilweisen Funktionsverlagerung von der Bundeswertpapierverwaltung auf die Finanzagentur durch Rechtsverordnung unter Ausnutzung von § 5 BWpVerwG a.F. ist man indes abgekommen.

14

Vielmehr wurde die Bundesoberbehörde Bundeswertpapierverwaltung aufgelöst und funktionell in die privatrechtlich organisierte Finanzagentur eingegliedert. Das geschah kraft Bundesschuldenwesenverordnung des BMF vom 19.7.2006 (BSchuWV)49 und unter Aufhebung des Bundeswertpapierverwaltungsgesetzes.50 Die Zusammenführung beider Organisationen unter dem Dach der Finanzagentur sollte aufgrund des Abbaus von Doppelstrukturen und Schnittstellen die Effizienz des Schuldenwesens beim Bund steigern und ein „Schuldenmanagement aus einer Hand“ bieten.51 Die Beschäftigten der bisherigen Bundeswertpapierverwaltung wurden organisatorisch dem Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen zugeordnet und werden, soweit dies für die Aufgabenerfüllung erforderlich ist, im Wege einer gesetzlichen Personalgestellung bei der Finanzagentur eingesetzt.52 Bisherige Zuständigkeiten der Bundeswertpapierverwaltung, die keinen direkten Zusammenhang mit dem Schuldenmanagement aufwiesen, wurden abgetrennt und anderen Behörden oder privaten Unternehmen übertragen oder ganz eingestellt (vgl. § 1 BSchuWG Rz. 14).

§1 Ermächtigung zur Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens (1) 1Zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des Schuldenwesens des Bundes wird das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt, durch Rechtsverordnung der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH die folgenden Aufgaben des Schuldenwesens zur Wahrnehmung im Namen des Bundes und seiner Sondervermögen zu übertragen: 1. Aufnahme von Krediten für den Bund und seine Sondervermögen nach Maßgabe des § 4 sowie Maßnahmen zur Portfoliosteuerung und zur Marktpflege;

45 BGBl. I 2006, 1466; geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 13.9.2012; BGBl. I 2012, 1914. 46 Vgl. den Titel des Bundesschuldenwesenmodernisierungsgesetzes v. 12.7.2006, dessen Kernstück mit Art. 1 das Bundesschuldenwesengesetz bildet. 47 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 1. 48 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 11. 49 BGBl. I 2006, 1700; ergangen aufgrund von § 1 Abs. 1 BSchuWG. 50 Art. 4 des Bundesschuldenwesenmodernisierungsgesetzes, BGBl. I 2006, 1472. 51 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 11. 52 §§ 1 f. Bundeswertpapierverwaltungspersonalgesetz (BWpVerwPG); Art. 2 des Bundesschuldenwesenmodernisierungsgesetzes, BGBl. I 2006, 1470. 2014 waren es nur noch ca. 40 Prozent des Gesamtpersonals der Finanzagentur mit abnehmender Tendenz.

940

Braun

Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens

Rz. 1 § 1 BSchuWG

2. Verwaltung der Schulden und Finanzierungsinstrumente des Bundes und seiner Sondervermögen sowie der von der Deutschen Ausgleichsbank begebenen Schuldverschreibungen; 3. Führung des Bundesschuldbuchs nach Maßgabe der §§ 5 bis 8; 4. Abschluss von Geschäften zur Steuerung der Liquidität, einschließlich Geschäften zur Geldanlage. 2Aus den in Satz 1 genannten Rechtsgeschäften werden ausschließlich der Bund oder seine Sondervermögen berechtigt und verpflichtet. 3Über die Emissionsbedingungen und allgemeinen vertraglichen Bedingungen entscheidet das Bundesministerium der Finanzen. (2) 1Soweit dies für die Erfüllung der nach Absatz 1 übertragenen Aufgaben erforderlich ist, kann die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH Anordnungen zur Annahme oder Leistung von Zahlungen nach § 70 der Bundeshaushaltsordnung erteilen, die von den Kassen des Bundes ausgeführt werden. 2Das Bundesministerium der Finanzen kann der Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben außerdem die Wahrnehmung des Zahlungsverkehrs als für Zahlungen zuständige Stelle und insoweit als Zahlstelle übertragen. 3Die Bestimmungen der Bundeshaushaltsordnung und die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen sind insoweit entsprechend anzuwenden. (3) Die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH nimmt die nach Absatz 1 übertragenen Aufgaben als Teil der öffentlichen Schuldenverwaltung des Bundes wahr. (4) Abweichende Regelungen der Zuständigkeit im Schuldenwesen des Bundes durch Gesetz bleiben unberührt. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Übertragbare Aufgaben 1. Kreditaufnahme für Bund und Sondervermögen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Portfoliosteuerung und Marktpflege (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSchuWG) . . . . 3. Verwaltung der Schulden und Finanzierungsinstrumente (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Führung des Bundesschuldbuchs (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BSchuWG) . . . . 5. Geschäfte zur Liquiditätssteuerung und Geldanlage (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nicht übertragbare Aufgaben. . . . . . . .

1

2 3

8 9

12 14

IV. Gesetzlich übertragene Rechtsmacht 1. Verpflichtungsermächtigung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BSchuWG) . . . . . . . . . 2. Anordnungsermächtigung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zahlstellenfunktion (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Finanzagentur als Finanzdienstleistungsinstitut des Bundes (§ 1 Abs. 3 BSchuWG) 1. Gründung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hoheitliche Beleihung mit öffentlichen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zivilrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . 4. Ausnahme vom Anwendungsbereich des Kreditwesengesetzes und des Wertpapierhandelsgesetzes. . . . . . . . . . . . . . . VI. Sonderzuweisungen (§ 1 Abs. 4 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15 16 17

19 20 21

22 23

Schrifttum: Siehe Vor §§ 1–3 BSchuWG.

I. Überblick § 1 Abs. 1 Satz 1 BSchuWG enthält die gesetzliche Grundlage für eine umfassende Aufgabenübertragung des Bundesschuldenwesens durch Rechtsverordnung auf die BundesBraun 941

1

§ 1 BSchuWG Rz. 2 Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens republik Deutschland – Finanzagentur GmbH. Auf dieser Grundlage hat das BMF am 19.7.2006 die Bundesschuldenwesenverordnung (BSchuWV)1 erlassen. Mit § 1 BSchuWV wird die im Gesetz vorgesehene Aufgabenübertragung vollzogen. Die Verordnung ist gleichzeitig mit dem Bundesschuldenwesengesetz zum 1.8.2006 in Kraft getreten.2 Die BSchuWV gibt der Finanzagentur über die bisherige verwaltungsinterne organisatorische Regelung hinaus die erforderlich verlässliche normative Arbeitsgrundlage für die Abwicklung ihrer Finanzgeschäfte. Einzelheiten der Aufgabenerfüllung werden in dem Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen dem Bund und der Finanzagentur geregelt (vgl. Rz. 21).

II. Übertragbare Aufgaben 1. Kreditaufnahme für Bund und Sondervermögen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BSchuWG) 2

Die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BSchuWG ermächtigt in Verbindung mit der Bundesschuldenwesenverordnung die Finanzagentur zur Kreditaufnahme für den Bund und seine Sondervermögen nach Maßgabe des § 4 BSchuWG (s. dazu § 4 BSchuWG Rz. 19–30). Das Debt Management kommt der Finanzagentur zu.3 Bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen liegt nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BSchuWG entsprechend der bisherigen Gesetzeslage nach § 5 Abs. 4 Satz 2 BWpVerwG a.F. die Entscheidung über die Emissionsbedingungen und die allgemeinen vertraglichen Bedingungen beim BMF. Die Finanzagentur ist in die Kreditplanung für die Ausgabe börsennotierter Bundeswertpapiere eingebunden. Von ihr werden die jeweiligen Emissionstermine und Kreditvolumina in Absprache mit dem BMF im Dezember in einer Jahresvorschau für das kommende Jahr und vierteljährlich im Emissionskalender für das nächste Quartal veröffentlicht. Die bislang nach § 20 Abs. 2 BBankG a.F. vorzunehmende Abstimmung zwischen dem BMF und der Deutschen Bundesbank hinsichtlich Laufzeit und sonstiger Konditionen ist damit entfallen (vgl. Vor §§ 1–3 BSchuWG Rz. 13). 2. Portfoliosteuerung und Marktpflege (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSchuWG)

3

Wegen des engen Sachzusammenhangs mit der Kreditaufnahme liegt es nahe, der Finanzagentur auch Maßnahmen der Portfoliosteuerung und Marktpflege zu übertragen. Diese Tätigkeiten oblagen bislang weder der Bundesschulden- noch der Bundeswertpapierverwaltung. Vielmehr wurde das Portfoliomanagement allenfalls rudimentär vom BMF selbst durchgeführt. Die Marktpflege betrieb die Deutsche Bundesbank. Eine zielgerichtete und kontinuierliche Portfoliosteuerung bildet die Grundvoraussetzung für ein effizientes Schulden- und Assetmanagement. Darunter versteht man die quantitativ ausgelegte Methode zur Zusammensetzung der Schuldenstruktur und Wertpapieranlagen des Bundes unter Berücksichtigung von Rendite- und Risikokennzahlen.4 Eng verzahnt mit der Portfoliosteuerung ist die Steuerung des bei der Kreditaufnahme anfallenden Zinsänderungsrisikos als ein wichtiger Teilbereich des Risikomanagements.5

1 BGBl. I 2006, 1700. 2 Deswegen wurden die Ermächtigungs- und Aufsichtsbestimmungen frühzeitig bereits am Tage der Verkündung am 12.7.2006. in Kraft gesetzt, Art. 4 Abs. 2 des Bundesschuldenwesenmodernisierungsgesetzes, BGBl. I 2006, 1466, 1472. 3 Vgl. dazu Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 67 ff. 4 Dazu ausf. Jabcke/Schleif in Gabler Bank-Lexikon, S. 1307 (1309 ff.); Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 31; Schierenbeck, Ertragsorientiertes Bankmanagement, Bd. 1, 9. Aufl. 2014, S. 23 und Bd. 2, 9. Aufl. 2008, S. 197 ff. und 450 ff. 5 Dazu Lehr/Reusch, Risiko-Manager 2015, 12 (13 f.); Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 32 ff.

942

Braun

Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens

Rz. 7 § 1 BSchuWG

Bei ihrem Schuldenportfoliomanagement verfolgt die Finanzagentur drei Kernziele:6 – die Sicherstellung der jederzeitigen Liquidität des Bundes wie in § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSchuWG explizit erwähnt; – die Senkung der Zinskosten auf der Basis des mit dem BMF vereinbarten zehnjährigen Zinsportfolios mit einer Benchmark von jährlich 500 bis 750 Mio. Euro Kostenersparnis7 und – die Begrenzung der aus den Emissionen bestehenden Risiken.

4

Als Instrumente zur Schuldenstrukturgestaltung stehen der Finanzagentur wie jedem anderen Emittenten die Festlegung der Laufzeiten, die Zielgruppendefinition, die Tilgungsregelung, die Marktfähigkeit der einzelnen Schuldtitel, die Art der Zinsausstattung und die Form der Emission zur Verfügung8. Zur Feinsteuerung der Zinsbelastung und Risikostruktur dienen bestimmte derivative Finanzierungsinstrumente wie vor allem Zins- und Währungsswaps, die nach § 4 Abs. 2 BSchuWG bzw. seit 2006 in § 2 Abs. 6 HG ausdrücklich erlaubt sind, um die spezifischen Zins- und Währungsrisiken der in den Jahren 2005 und 2006 eingeführten inflationsindexierten Bundesanleihen und Fremdwährungsanleihen abzusichern (§ 4 BSchuWG Rz. 27 ff.). Derzeit ist indes keine Emission in Fremdwährung ausstehend. Die Weiterleitung der aufgenommenen Finanzierungsmittel erfolgt proportional an die jeweiligen Behörden und Einrichtungen, die Bedarf angemeldet haben.

5

Die Finanzagentur betreibt auch das Portfoliomanagement des Eigenbestands des Bundes. Für den Ankauf eigener Schuldtitel im Rahmen der Marktpflege stehen im Haushaltsjahr 2016 immerhin 10 Prozent des Gesamtbetrages der umlaufenden Bundesanleihen, Bundesobligationen, Bundesschatzanweisungen und unverzinslichen Schatzanweisungen nach § 2 Abs. 5 Satz 1 HG 2016 zur Verfügung. Die Höhe ergibt sich aus der jeweils letzten im Bundesanzeiger halbjährlich veröffentlichten Übersicht über die Schulden des Bundes. Auf diese Kreditermächtigung sind aber die Beträge anzurechnen, die bereits aufgrund entsprechender Ermächtigungen vorangegangener Haushaltsgesetze aufgenommenen worden sind (§ 2 Abs. 5 Satz 2 der jeweiligen HG). Der Aufbau und die Haltung dieser Eigenbestände in dem beschriebenen Rahmen wird dem Bund durch § 2 Abs. 5 Satz 3 der jeweiligen HG ausdrücklich gestattet. Zu den Eigenbeständen gehören auch die Bundeswertpapiere, die bei der Wertpapieremission im Auktionsverfahren (Tender) als sog. Sonderquote zur Kurspflege zurückbehalten werden. Ferner zählen dazu überschüssige finanzielle Mittel wie etwa unerwartet hohe Steuereinnahmen, welche deswegen bei den Ausgaben im Haushaltsplan nicht berücksichtigt sind, die aber rentierlich angelegt werden sollen. Innerhalb des kombinierten Verfahrens des Assetmanagements und der Marktpflege geht es um die effiziente Verbindung zweier Ziele: „zum einen die Voraussetzungen für einen liquiden Markt mit Bundeswertpapieren zu gewährleisten, zum anderen die Zinsdifferenzen am Markt für eine wirtschaftliche Kreditaufnahme des Bundes auszuschöpfen“9.

6

Die Marktpflege, auch Kurspflege genannt, betrifft Interventionen der Finanzagentur in Form von Ankauf bzw. Verkauf an der Börse bzw. am Kapitalmarkt, um größere Kursschwankungen der emittierten Bundeswertpapiere zu verhindern oder bei zu geringem Marktvolumen dessen Liquidität zu sichern. Die diesen Zielen dienenden Operationen auf dem Sekundärmarkt bilden wegen ihrer Auswirkungen auf den Assetbestand die Schnittstelle zum Portfoliomanagement.

7

6 Vgl. Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 32 ff. 7 So Lehr/Reusch, Risiko-Manager 2015, 12 (14). Dieses Ziel hat die Finanzagentur stets überschritten, sicherlich auch begünstigt durch die anhaltende Niedrigzinsphase für Bundeswertpapiere. 8 Diese Gestaltungsfaktoren werden zur Realisierung der drei Kernziele auch von der Finanzagentur eingesetzt, vgl. Lehr/Reusch, Risiko-Manager 2015, 12 (13 f.). 9 Helm/Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO Rz. 13.

Braun 943

§ 1 BSchuWG Rz. 8 Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens 3. Verwaltung der Schulden und Finanzierungsinstrumente (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BSchuWG) 8

Die Finanzagentur übernimmt auch die klassische Aufgabe des staatlichen Schuldenwesens, „die Verwaltung der Schulden und Finanzierungsinstrumente des Bundes und seiner Sondervermögen sowie“ zusätzlich – neu – „der von der Deutschen Ausgleichsbank begebenen Schuldverschreibungen“. Bei den von der Deutschen Ausgleichsbank emittierten Wertpapieren handelt es sich um ältere Schuldtitel, da diese Bank 2003 aufgelöst und komplett von der Kreditanstalt für Wiederaufbau übernommen wurde.10 Verwaltung umfasst alle Tätigkeiten der Abwicklung des Schuldendienstes und sonstiger Verbindlichkeiten. Im Sinne des vormaligen § 2 Abs. 1 Nr. 2 BWpVerwG zählen dazu vor allem die Tilgung von fälligen Krediten der genannten Schuldner sowie deren Verbindlichkeiten aus Verträgen über andere Finanzierungsinstrumente. 4. Führung des Bundesschuldbuchs (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BSchuWG)

9

Die Führung des Bundesschuldbuchs gehört seit der Einführung der körperlösen Wertrechte auf Reichsebene im Jahre 1874 zu den klassischen Pflichten des Reichs und des Bundes als Emittenten von Schuldverschreibungen. Diese Aufgabe ist im Zuge der Privatisierung im Jahre 2006 von der Bundeswertpapierverwaltung auf die Finanzagentur übergegangen. Dies gilt jedoch nur „nach Maßgabe der §§ 5 bis 8“ BSchuWG. Die übrigen Abteilungen des Bundesschuldbuchs wie insbesondere diejenigen für Gewährleistungen, Beteiligungs- und Beitragsverpflichtungen werden von den dafür zuständigen Behörden geführt (vgl. Rz. 14).

10

Hervorzuheben ist, dass die Führung des Bundesschuldbuchs, das als öffentlich-rechtliches Register öffentlichen Glauben genießt (vgl. § 8 BSchuWG), nunmehr von einer privatrechtlich organisierten Rechtseinheit geführt wird. Das wird von Teilen der Literatur kritisch gesehen.11 Solange der Bund weiterhin Alleingesellschafter der Finanzagentur ist und es zu keiner Aufgabenprivatisierung kommt, können diese Bedenken indes auch mit Blick auf die Akzeptanz der Schuldbuchforderungen an den internationalen Kapitalmärkten kaum geteilt werden. Kritischer könnte vielmehr gesehen werden, dass der Schuldner über die nunmehr umfassend weisungsabhängige (vgl. § 2 BSchuWG Rz. 2–4) Finanzagentur letztlich selbst Buch über seine eigenen Verbindlichkeiten führt, und hierbei die Schuldbucheintragung in ihrer Beweiswirkung den Wertpapieren gleichgestellt ist.

11

Seit 2013 werden nur noch Sammelschuldbuchforderungen nach § 6 BSchuWG eingetragen. Die unentgeltliche Einzelschuldbuchführung (vgl. § 7 BSchuWG) wurde Ende des Jahres 2012 eingestellt. Einer diesbezüglichen Empfehlung des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 198812 sind der Bundestag und das BMF damals noch mit dem öffentlichen Auftrag zur Förderung der Vermögensbildung aller Bevölkerungsschichten entgegengetreten.13 Die private Nachfrage hatte zwar keinen hohen Anteil, war aber durchaus vorhanden.14 Nach der Privatisierung hätten aber verschiedene Themen wie beispielsweise die Vorgaben zur Geldwäscheprävention angegangen werden müssen. Aufwendige Umstellungen lohnten sich letztlich nicht. Nunmehr werden nur noch die bisherigen Bestände fortgeführt. Eine voll-

10 Gesetz zur Übertragung des Vermögens der Deutschen Ausgleichsbank auf die Kreditanstalt für Wiederaufbau (DtA-VÜG) v. 15.8.2003, BGBl. I 2003, 1657. 11 Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 (360 f.). 12 Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof 1988, BT-Drucks. 11/3056, 70 ff. (Ziffer 31). 13 Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses, BT-Drucks. 11/4782, 16; vgl. auch Jaeckel, Kreditwesen 1989, 898 f. 14 Otto, Kreditwesen 2007, 540 (541) sprach von 4-5 Prozent des Emissionsvolumens im Jahre 2006 mit damals noch steigender Tendenz.

944

Braun

Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens

Rz. 14 § 1 BSchuWG

ständige (materielle) Privatisierung wäre wegen der Unentgeltlichkeit nicht attraktiv gewesen.15 5. Geschäfte zur Liquiditätssteuerung und Geldanlage (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSchuWG) Die Finanzagentur wird auch zum „Abschluss von Geschäften zur Steuerung der Liquidität, einschließlich Geschäften zur Geldanlage“ ermächtigt. Beide Geschäftsarten betreffen monetäre Transaktionen im kurzfristigen Bereich, um einerseits die stetige Liquidität des Bundes zu gewährleisten, andererseits sicherzustellen, dass auch nur kurzfristig zur Verfügung stehende Geldmittel durch ihre Anlage am Geldmarkt eine möglichst hohe Rendite abwerfen. Damit bildet die Steuerung des Liquiditätsrisikos durch eine genaue Liquiditätsplanung einen weiteren Schwerpunkt des Risikomanagements der Finanzagentur. Das Ziel ist dabei, die stetige Zahlungsfähigkeit des Bundes sicherzustellen, damit dessen haushaltsrelevante Zahlungen vollständig und termingerecht abgewickelt werden können.16

12

Zur Steuerung der Liquidität nimmt die Finanzagentur für den Bund Bankkredite von maximal sechs Monaten Laufzeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 BSchuWG auf. Dies sind haushaltsrechtlich Kassenverstärkungskredite nach §§ 2 Abs. 9 Satz 1, 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 und 2 BHO, die über das Zentralbankkonto des Bundes bei der Deutschen Bundesbank laufen. Damit soll verhindert werden, dass wegen der zeitlichen Diskontinuität staatlicher Einnahmen vor allem durch Steuern und Mittelabflüsse aus Ausgabenverpflichtungen ein Liquiditätsengpass beim Bund entsteht17. Für diesen Zweck stellt das Haushaltsrecht immerhin 20 Prozent des nach § 1 HG 2016 festgestellten Haushaltsvolumens zur Verfügung (§ 2 Abs. 9 HG 2016). Unbesicherte Kassenverstärkungskredite werden dort auf höchstens 10 Prozent des Haushaltsvolumens begrenzt. Darüber hinaus ist die Aufnahme nur in Form zinsgünstigerer besicherter Kassenverstärkungskredite als „Repo-Geschäfte“ (dazu siehe § 4 BSchuWG Rz. 28) zulässig (§ 2 Abs. 9 Satz 1 und 2 HG 2016). Die Besicherung erfolgt durch ein Wertpapierpensionsgeschäft in Form des gleichzeitigen Verkaufs und Rückkaufs von Bundeswertpapieren gleicher Art und Menge zu bereits bei Vertragsabschluss vereinbarten Konditionen.

13

III. Nicht übertragbare Aufgaben Das BSchuWG nimmt eine klare Aufgabentrennung durch Konzentration auf das eigentliche Schuldenmanagement bei der Finanzagentur vor. Andere, bislang von der Bundeswertpapierverwaltung und der Finanzagentur in der Verantwortung des BMF wahrgenommene Aufgaben,18 die nicht zum Kernbereich des Schuldenwesens gehören, werden auf andere Behörden oder private Stellen übertragen oder gänzlich eingestellt. Dem Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) wird die Verwaltung der Gewährleistungen im Sinne von § 3 HG 2016 und § 10 Abs. 5 des Gesetzes über die Verwaltung des ERP-Sondervermögens19 sowie der internationalen Beteiligungs- und Beitragsverpflichtungen nach § 10 BHG einschließlich der statistischen Erfassung und Nachweisführung sowie der Erstellung von Deckungserklärungen zugewiesen. Seit 1.1.2006 wird der Verkauf von Sammlermünzen der Bundesrepublik Deutschland durch die ebenfalls beim BADV angesiedelte Offizielle Verkaufsstelle für Sammlermünzen der Bundesrepublik Deutschland (VfS) für Rechnung des 15 16 17 18

Vgl. Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 (360). S. dazu Lehr/Reusch, Risiko-Manager, 2015, 12 (14). Rossi/Gröpl, § 18 BHO Rz. 42; Helm/Piduch, Bundeshaushaltsrecht, § 18 BHO Rz. 11 und 13. Vgl. §§ 2, 13 BWpVerwG a.F.; zu den Tätigkeiten der vormaligen Bundesschuldenverwaltung Jaeckel, Die Bank 1983, 324 ff. 19 BGBl. I 2007, 1160.

Braun 945

14

§ 1 BSchuWG Rz. 15 Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens Bundes, vertreten durch das BMF, durchgeführt. Die bisherigen Bestimmungen zur Beurkundung von Krediten und sonstiger Finanzierungsinstrumente des Bundes und seiner Sondervermögen sind entfallen. Diese notarielle Funktion kann nicht von dem handelnden Akteur selbst wahrgenommen werden. Zur Einstellung des Privatkundengeschäfts für Neukunden sowie – damit verbunden – der Führung des Einzelschuldbuchs seit Ende 2012 siehe Rz. 11. § 1 Abs. 1 BSchuWG enthält schließlich keine Ermächtigungsgrundlage zur Gründung neuer Institutionen.20

IV. Gesetzlich übertragene Rechtsmacht 1. Verpflichtungsermächtigung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 BSchuWG) 15

Die Finanzagentur wird ermächtigt, die zu ihrem Aufgabenbereich gehörenden Geschäfte nicht im eigenen Namen, sondern nur „im Namen des Bundes und seiner Sondervermögen“ abzuschließen. § 1 Abs. 1 Satz 2 BSchuWG enthält eine gesetzliche Vertretungsbefugnis sowie eine Verpflichtungsermächtigung. Danach werden aus den in § 1 Abs. 1 Satz 1 BSchuWG genannten Rechtsgeschäften ausschließlich der Bund oder seine Sondervermögen berechtigt und verpflichtet. Die Finanzagentur haftet insofern nicht selbst für die eingegangenen Verbindlichkeiten. Vielmehr richtet sich der Anspruch gegen den Emittenten. Gleiches muss auch für etwaige Sekundäransprüche aus der Tätigkeit gelten. 2. Anordnungsermächtigung (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSchuWG)

16

Die Finanzagentur darf gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 BSchuWG alle „Anordnungen zur Annahme oder Leistung von Zahlungen nach § 70 der Bundeshaushaltsordnung erteilen, die von den Kassen des Bundes ausgeführt werden“. Mit der Anordnung übernimmt die Finanzagentur auch die Verantwortung für die Richtigkeit der von ihr veranlassten anzunehmenden Einzahlung bzw. der zu leistenden Auszahlung. Die Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Finanzagentur bei ihrer Aufgabenerfüllung eine Vielzahl kassenwirksamer Transaktionen vorzunehmen hat, und stellt so deren Handlungsfähigkeit sicher.21 3. Zahlstellenfunktion (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BSchuWG)

17

Darüber hinaus räumt § 1 Abs. 2 Satz 2 BSchuWG dem BMF die Möglichkeit ein, der Finanzagentur die Wahrnehmung des Zahlungsverkehrs als Zahlstelle („Paying Agent“) zu übertragen. Da die Bundesschuldenwesenverordnung in § 1 nur die Aufgabenübertragung nach § 1 Abs. 1 BSchuWG regelt, bedarf die Aufgabenerweiterung als Zahlstelle keiner Rechtsverordnung, sondern kann durch das BMF auf andere Weise erfolgen. Von der gesetzlichen Ermächtigung in § 1 Abs. 2 Satz 2 BSchuWG hat das BMF noch keinen Gebrauch gemacht. Das soll nach der Regierungsbegründung erst dann geschehen, wenn die Finanzagentur nach Art und Umfang der Geschäfte, welche sie für den Bund tätigt, zusätzlich die Funktion als Zahlstelle benötigt.22

18

Dagegen ergibt sich bereits aus der zugewiesenen Aufgabe der Portfoliosteuerung und Marktpflege nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BSchuWG, welche die Durchführung entsprechender Operationen am Geld- und Kapitalmarkt bedingt, dass die Bundesfinanzagentur auch den direkten Zugriff auf die von der Deutschen Bundesbank geführten Konten des Bundes und die Befugnis für die Anordnung zur Annahme und Leistung von auch unbaren Zahlungen be20 Begr. RegE, BWpVerwG, BT-Drucks. 14/7010, 13. 21 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13. 22 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13.

946

Braun

Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens

Rz. 22 § 1 BSchuWG

sitzt, ohne nach den haushaltsrechtlichen Vorgaben in §§ 9, 70, 79 BHO eine Bundeskasse einschalten zu müssen.23

V. Finanzagentur als Finanzdienstleistungsinstitut des Bundes (§ 1 Abs. 3 BSchuWG) 1. Gründung Die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (Finanzagentur) ist ein Finanz- 19 dienstleistungsunternehmen, dessen Alleingesellschafter die Bundesrepublik Deutschland ist. Das Unternehmen wurde am 19.9.2000 durch Änderung des Gesellschaftsvertrags vom 29.8.1990 aus dem Firmenmantel der Berliner CVU Systemhaus Abwicklungsgesellschaft mbH24 vom Bund gegründet. Im Januar 2001 wurde sein Sitz nach Frankfurt am Main verlegt. Die Finanzagentur ist im Geschäftsbereich des BMF angesiedelt und seit 11.6.2001 operativ tätig. Ihre implizite gesetzliche Anerkennung als Dienstleister im Bereich des Bundesschuldenwesens erfolgte gleichwohl erst mit Inkrafttreten der Verordnungsermächtigung des § 5 BWpVerwG a.F. zum 1.1.2002 (vgl. Vor §§ 1–3 BSchuWG Rz. 12). Zum 1.8.2006 ist sie mit Inkrafttreten des Bundesschuldenwesengesetzes und der Bundesschuldenwesenverordnung des BMF zum zentralen Dienstleister des Bundes für dessen Schuldenmanagement ausgebaut worden. Die Bundeswertpapierverwaltung wurde aufgelöst und in die Finanzagentur funktionell eingegliedert. 2. Hoheitliche Beleihung mit öffentlichen Aufgaben Das staatliche Schuldenwesen ist als öffentliche Aufgabe Bestandteil der öffentlichen Staats- 20 verwaltung. Deshalb bestimmt § 1 Abs. 3 BSchuWG, dass die Finanzagentur „die nach Absatz 1 übertragenen Aufgaben als Teil der öffentlichen Schuldenverwaltung des Bundes“ wahrnimmt. Die Finanzagentur ist also mit hoheitlichen Aufgaben beliehen.25 Es handelt sich mithin nur um eine (formelle) Organisationsprivatisierung, nicht aber um eine (materielle) Aufgabenprivatisierung.26 3. Zivilrechtliche Ausgestaltung Die Einzelheiten der Aufgabenerledigung durch die Finanzagentur werden durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen dem Bund, vertreten durch das BMF, und der Finanzagentur geregelt, der insbesondere auch das vom Bund zu leistende Entgelt festlegt.27

21

4. Ausnahme vom Anwendungsbereich des Kreditwesengesetzes und des Wertpapierhandelsgesetzes Mit § 1 Abs. 3 BSchuWG wird klargestellt, dass die Finanzagentur bei ihrer Aufgabenerfüllung der „öffentlichen Schuldenverwaltung“ gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 23 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13. 24 Vordem „CVU Systemhaus GmbH“ mit Sitz in Berlin, im Jahr 1991 hervorgegangen aus der „CVU Applikationssysteme GmbH i.G.“, im Dezember 1992 umbenannt in „CVU Systemhaus Abwicklungsgesellschaft mbH“. 25 Vgl. dazu noch § 5 Satz 2 BWpVerwG a.F. 26 Die Organisationsprivatisierung schafft verselbständigte Verwaltungseinheiten, wohingegen die Aufgabenprivatisierung auf ihre Abschaffung zielt. Vgl. dazu Lendermann, Darlehensveräußerungen durch Banken, S. 179 ff. 27 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 12.

Braun 947

22

§ 1 BSchuWG Rz. 23 Übertragung von Aufgaben des Schuldenwesens KWG und § 2a Nr. 5 WPHG unterfällt. Sie gilt deshalb nicht als Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder Wertpapierdienstleistungsunternehmen, benötigt keine entsprechende Erlaubnis für ihre Geschäftstätigkeit und unterliegt insbesondere nicht der Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Mit dem Vierten Finanzmarktförderungsgesetz wurde die Ausnahme in das KWG eingefügt, um klarzustellen, dass eine Kreditaufsicht über die öffentliche Schuldenverwaltung auch dann nicht erforderlich ist, wenn diese zur Erfüllung ihrer Aufgaben hilfsweise Bankgeschäfte wie etwa das Finanzkommissionsgeschäft betreibt28. Die Ausnahme soll nach der Regierungsbegründung indes nicht für die Europäische Regulierung gelten, soweit die Schuldenverwaltung als Kreditinstitut i.S.d. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2000/12/EG (nunmehr Richtlinie 2013/36/EU) zu qualifizieren ist.29 Das folgt aus dem Vorrang des Europarechts, obgleich man die Ansicht vertreten kann, dass das staatliche Schuldenwesen abgesehen von Art. 12 Abs. 3 ESMV zum Kernbereich der nicht auf die EU übertragenen mitgliedstaatlichen Kompetenzen zählt. Die notwendige Kontrolle wird vielmehr nach § 2 BSchuWG durch das BMF ausgeübt. Gleichzeitig führt die Finanzagentur nicht selbst Zahlungskonten für den Bund. Die Kontoführung liegt nach wie vor bei der Deutschen Bundesbank. Rückausnahmen von der grundsätzlichen Unanwendbarkeit des KWG finden sich in § 24c Abs. 8 KWG (Automatisierter Abruf von Kontoinformationen) sowie in § 25h Abs. 7 KWG (Interne Sicherungsmaßnahmen).

VI. Sonderzuweisungen (§ 1 Abs. 4 BSchuWG) 23

Das Gesetz und die dazu ergangene Verordnung des BMF bilden keine abschließende Regelung für das Bundesschuldenwesen. Neben der Übertragung von Aufgaben im Verordnungswege bleiben abweichende Zuständigkeitsregelungen aufgrund formellen Gesetzes als lex specialis unberührt, wie § 1 Abs. 4 BSchuWG klarstellt. Das betrifft vor allem die Verwaltung von Sondervermögen des Bundes oder die Zuständigkeiten anderer Bundesministerien.30 In den Jahren 2010 bis 2013 erbrachte die Finanzagentur Dienstleistungen für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Ab 2018 wird die Finanzagentur nach derzeitigen Planungen31 einerseits mit der Trägerschaft der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) beliehen und übernimmt andererseits komplementär zu ihren Aufgaben im Schuldenwesen auch die Verwaltung des FMS und die Führung der verbleibenden Beteiligungen des Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS), um die effiziente Abwicklung und Auflösung des FMS zu gewährleisten. Die FMSA bleibt weiterhin für die Aufsicht über die bundesrechtlichen Abwicklungsanstalten verantwortlich.32 Der interministerielle Lenkungsausschuss der FMSA bleibt (neben dem Gremium gemäß § 3 BSchuWG) bestehen. Als Konsequenz der Aufgabenübernahme durch die Finanzagentur kann der FMS sukzessive die Refinanzierung der bundesrechtlichen Abwicklungsanstalten übernehmen. Hierbei wird die Finanzagentur die im Namen des Bundes aufgenommenen und allein in Euro denominierten Mittel ungeachtet des Proportionalitätsprinzips direkt an die FMS durchleiten. Nach Schätzungen der Regierungsbegründung kann die Belastung für den Bund dadurch insgesamt um einen deutlich dreistelligen Millionenbetrag verringert werden,33 obschon der FMS bereits jetzt alleini28 Begr. RegE zum Vierten Finanzmarktföderungsgesetz, BT-Drucks. 14/1807, 113 (zu Nr. 4 Buchst. a). 29 Begr RegE zum Vierten Finanzmarktförderungsgesetz, BT-Drucks. 14/8017 v. 18.1.2002, 113 (zu Nr. 4 Buchst. a). 30 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13. 31 RegE eines Gesetzes zur Neuordnung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA-Neuordnungsgesetz – FMSANeuOG), BT-Drucks. 18/9530. 32 Dazu von Keil, Rechtsaufsicht über Abwicklungsanstalten durch die FMSA, in Bolder/Wargers, Modell „Bad Bank“: Hintergrund – Konzepte – Erfahrungen, S. 101 ff. 33 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/9530 (zu Ziff. VI. 3.)

948

Braun

Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH

Rz. 2 § 2 BSchuWG

ger Verlustausgleichsverpflichteter für die betreffenden Fazilitäten ist. Die institutionelle Reform mag im Falle eines Erfolgs Anstoß und Vorbild für weitere Aufgabenübertragungen im Bereich der Beteiligungsverwaltung des Bundes auf die Finanzagentur sein.

§2 Aufsicht über die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (1) Das Bundesministerium der Finanzen übt die Aufsicht über die recht- und zweckmäßige Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben des Schuldenwesens durch die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH aus. (2) In der Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 kann das Bundesministerium der Finanzen bestimmen, dass es einzelne oder alle übertragenen Aufgaben vorübergehend selbst wahrnehmen oder auf eine Behörde in seinem Geschäftsbereich oder einen Dritten übertragen kann, wenn auf andere Weise die recht- und zweckmäßige Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben nicht sichergestellt werden kann. I. Aufsicht (§ 2 Abs. 1 BSchuWG) 1. Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechts- und Fachaufsicht . . . . . . . . . . . . 3. Fehlende Unabhängigkeit. . . . . . . . . . . .

1 2 3

4. Gesellschaftsrechtliche und auftragsrechtliche Aufsichtsmittel. . . . . . . . . . . . 5. Abstimmung der Geschäftspolitik . . . . . II. Vorbehalt der Aufgabenübertragung (§ 2 Abs. 2 BSchuWG). . . . . . . . . . . . . .

4 5 6

Schrifttum: Siehe Vor §§ 1–3 BSchuWG.

I. Aufsicht (§ 2 Abs. 1 BSchuWG) 1. Zuständigkeit des Bundesministeriums der Finanzen Die Übertragung der öffentlichen Aufgaben des Schuldenwesens auf die privatrechtlich organisierte Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH lässt die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des BMF unberührt.1 Die durch das BMF ausgeübte Aufsicht über die Geschäftstätigkeit der Finanzagentur gewährleistet, dass trotz der Privatrechtsform die parlamentarische Kontrolle durch das sog. Bundesfinanzierungsgremium nach § 3 BSchuWG erhalten bleibt. Ihm hat das BMF über das Schuldenmanagement des Bundes Bericht zu erstatten.

1

2. Rechts- und Fachaufsicht Die Kontrolle des BMF gegenüber der Finanzagentur beschränkt sich nicht nur auf die Rechtsaufsicht, sondern erstreckt sich als weiterreichende Fachaufsicht auch auf die Zweckmäßigkeit ihrer Maßnahmen.

1 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13.

Braun 949

2

§ 2 BSchuWG Rz. 3 Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH 3. Fehlende Unabhängigkeit 3

Dem BMF steht gegenüber der Finanzagentur ein Weisungsrecht zu. Die Bundesschuldenverwaltung unterlag vormals nur insoweit den Weisungen des BMF, als dies mit der ihr verliehenen Weisungsunabhängigkeit nach der damals noch fortgeltenden Reichsschuldenordnung aus dem Jahre 1924 vereinbar war, die ihrerseits auf die Reichsschuldenordnung von 1910 zurückging, hervorgegangen aus der Schuldenordnung für Preußen. Der preußischen Schuldenverwaltung wurde Weisungsunabhängigkeit eingeräumt, weil Preußen nach den Napoleonischen Kriegen bankrott war und die getroffenen Maßnahmen zur Kontrolle der Staatsausgaben und der Wiederherstellung des Staatskredits dienten.2 Für diese historisch bedingte Weisungsunabhängigkeit sah die Bundesregierung ab 2002 keinen Bedarf mehr. Vielmehr sei sie im parlamentarischen System ein sachlich gegenüber der Situation anderer Bundesbehörden nicht zu rechtfertigender und verfassungsrechtlich zweifelhafter Fremdkörper.3 Außerdem wird von praktischer Seite aus angeführt, die Weisungsunabhängigkeit der bisher beteiligten Deutschen Bundesbank und Bundeswertpapierverwaltung habe eine einheitliche Zielfindung, die Integration von Arbeitsabläufen und die Einigung auf einheitliche Prozesse erschwert.4 Nach Übertragung der Aufgaben des Schuldenwesens des Bundes auf die privatrechtlich organisierte Finanzagentur erscheint die Steuerungs- und Kontrollmöglichkeit zudem noch dringender, damit aus der Wahl der Privatrechtsform kein Steuerungsdefizit des Parlaments erwächst.5 Bei der Ausübung der Steuerungs- und Kontrollbefugnisse sind die Letztverantwortlichkeit des BMF einerseits und die angestrebte Effizienz eines professionellen Schuldenmanagements durch die Finanzagentur andererseits zu berücksichtigen.6 So wird das BMF davon nur zurückhaltend, etwa zur Bewältigung akuter Krisensituationen, Gebrauch machen. Die Finanzagentur wird im Falle eines Zahlungsverzugs und bei Umschuldungsmaßnahmen kaum mehr unabhängig vom BMF agieren können. 4. Gesellschaftsrechtliche und auftragsrechtliche Aufsichtsmittel

4

Die Aufsichtsmittel hält grundsätzlich das GmbH-Recht als einschlägiges Organisationsrecht der bundeseigenen Finanzagentur bereit. Sie werden in dem ergänzenden Geschäftsbesorgungsvertrag (siehe § 1 BSchuWG Rz. 21) genauer geregelt.7 Dem Bund, vertreten durch das BMF, stehen als Alleingesellschafter und gleichzeitig in seiner Eigenschaft als Auftraggeber im Rahmen der Geschäftsbesorgung durch die Finanzagentur weitreichende und umfassende Steuerungs- und Kontrollbefugnisse zu. Hinzu kommt die Kontrolle der Einhaltung der Rechnungslegungs- und Bilanzierungsbestimmungen durch eine unabhängige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sowie die umfassende Finanzkontrolle eines effizienten Mitteleinsatzes der bundeseigenen Finanzagentur GmbH durch den Bundesrechnungshof. Die sich aus der privatrechtlichen Rechtsform der GmbH (§ 42a GmbHG) ebenso wie aus dem Auftragsrecht (§ 666 BGB) ergebende Berichtspflicht hat jedoch keine den vormaligen Jahresberichten der Bundesschuldenverwaltung8 vergleichbaren Publikationen zum Gegenstand.

2 Begr. RegE, BWpVerwG, BT-Drucks. 14/7010, 11; umfassend Wagner, WM 1999, 1949 (1949 f.). 3 Begr. RegE, BWpVerwG, BT-Drucks. 14/7010, 11 unter Hinweis auf Maunz in Maunz/Dürig, Art. 115 GG Rz. 5. 4 Jabcke/Schleif in Gabler Bank-Lexikon, S. 1307 (1309). 5 So Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 mit Fn. 3 (das BMF habe die Finanzagentur an der „kurzen Leine“ zu führen); siehe auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13. 6 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13. 7 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13. 8 Zu deren Einstellung kritisch Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 (360); vgl. zu der früheren Berichterstattung auch Diller, Kreditwesen 1989, 904 (906 ff.); Diller, Fin. Arch. 1989, 77 (84 ff.).

950

Braun

Parlamentarisches Gremium

§ 3 BSchuWG

5. Abstimmung der Geschäftspolitik Die Letztverantwortlichkeit für die strategische Ausrichtung des Schuldenmanagements hat das BMF als Vertreter des Alleingesellschafters Bund. Gleichwohl gibt die Geschäftsführung der bundeseigenen Finanzagentur erhebliche strategische Impulse für den Geschäftsprozess der Kreditaufnahme. Namentlich umfasst dies das allgemeine Strategiekonzept und reicht über die Entwicklung von Szenarien für die Portfoliosteuerung bis hin zu Emissionsplanungen und den dabei zum Einsatz kommenden Instrumenten. Ferner obliegt die Gestaltung des Marktauftritts der Finanzagentur. Alle Prozesse verlaufen dabei „in engem Schulterschluss und ständiger Rückkoppelung mit dem Gesellschafter“.9

5

II. Vorbehalt der Aufgabenübertragung (§ 2 Abs. 2 BSchuWG) Über das gesellschaftsrechtliche und vertragliche Instrumentarium der Aufsicht hinaus sieht § 2 Abs. 2 BSchuWG als ultima ratio für bestimmte Sonderlagen ein vorübergehendes Selbsteintrittsrecht des BMF einschließlich der Delegation von Aufgaben an andere Behörden oder Dritte vor.10 Dieses zusätzliche Aufsichtsmittel iwS gilt subsidiär, mithin „wenn auf andere Weise die recht- und zweckmäßige Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben nicht sichergestellt werden kann“. Damit wird das BMF in die Lage versetzt, flexibel auf Ausnahmesituationen wie etwa heftige und tiefgreifende Störungen der Finanzmärkte zu reagieren und diese zu bewältigen. Diese Regelungsmöglichkeit füllt § 2 BSchuWV mit einer wortgleichen Vorbehaltsklausel aus.

§3 Parlamentarisches Gremium (1) 1Der Deutsche Bundestag wählt für die Dauer einer Wahlperiode ein Gremium, das aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages besteht. 2Der Deutsche Bundestag bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise. 3Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint. 4Scheidet ein Mitglied aus dem Deutschen Bundestag oder seiner Fraktion aus oder wird ein Mitglied zur Bundesministerin oder zum Bundesminister oder zur Parlamentarischen Staatssekretärin oder zum Parlamentarischen Staatssekretär ernannt, so verliert es seine Mitgliedschaft im Gremium. 5Für ein ausscheidendes Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen. (2) 1Das Gremium wird vom Bundesministerium der Finanzen über alle Fragen des Schuldenwesens des Bundes unterrichtet. 2Das Bundesministerium der Finanzen und der Bundesrechnungshof sind ständig vertreten. 3Das Gremium beschließt über die Hinzuziehung weiterer Teilnehmer. (3) 1Die Mitglieder des Gremiums sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. 2Dies gilt auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an den Sitzungen. I. Parlamentarische Kontrolle durch das Bundesfinanzierungsgremium . . . . . . . .

1

II. Zusammensetzung des Gremiums (§ 3 Abs. 1 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . .

2

9 So Daube/Lehr, Kreditwesen 2009, 412 (414). 10 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 13.

Braun 951

6

§ 3 BSchuWG Rz. 1 Parlamentarisches Gremium III. Unterrichtspflicht des Bundesministeriums der Finanzen (§ 3 Abs. 2 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Geheimhaltungspflicht der Mitglieder und Teilnehmer (§ 3 Abs. 3 BSchuWG)

5

4

Schrifttum: Siehe Vor §§ 1–3 BSchuWG.

I. Parlamentarische Kontrolle durch das Bundesfinanzierungsgremium 1

Die parlamentarische Kontrolle der Kreditaufnahme des Bundes liegt (wie schon nach § 4a BWpVerwG a.F.) in den Händen des Bundesfinanzierungsgremiums. Dies ist ein Unterausschuss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Demzufolge unterliegen auch die von der Finanzagentur entwickelte und mit dem BMF abgestimmte Strategie der Kreditaufnahme und Finanzierungsplanung des Bundes der Überwachung durch dieses Gremium. Aufgrund der haushaltsrechtlichen Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit sieht die Bundesregierung kein Bedürfnis für eine gegenseitige Kontrolle in Ausschüssen von Bund und Ländern. Dies führte zur Abschaffung des vormaligen Bundesschuldenausschusses.1 Die legislativen Kontrollrechte sind durch den originär zuständigen Haushaltsausschuss in eigener Zuständigkeit zu regeln.

II. Zusammensetzung des Gremiums (§ 3 Abs. 1 BSchuWG) 2

Der Deutsche Bundestag stellt zunächst die Rahmenordnung für das Bundesfinanzierungsgremium nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BSchuWG auf, indem er die Zahl seiner Mitglieder, die Zusammensetzung sowie Arbeitsweise dieses Gremiums bestimmt. Derzeit sind es 10 Abgeordnete, die das Plenum aus dem Kreis des Haushaltausschusses entsprechend der Fraktionsstärke mit der Mehrheit seiner Stimmen für die Dauer einer Wahlperiode nach Satz 1 und 3 dieser Vorschrift wählt. Das Bundesfinanzierungsgremium bildet demnach einen Sonderausschuss des Haushaltsausschusses. Der anschließende Satz 4 bindet die Mitgliedschaft an die Zugehörigkeit zum Haushaltsausschuss kombiniert mit einer Inkompatibilitätsregelung. Falls ein Mitglied aus dem Bundestag oder seiner Fraktion ausscheidet oder Bundesminister/in bzw. parlamentatische/r Staatsekretär/in wird, verliert es seine Mitgliedschaft in diesem Gremium, weil es in all diesen Fällen auch aus dem Haushaltsausschuss ausscheidet. § 3 Abs. 1 Satz 5 BSchuWG bestimmt bei Eintritt einer dieser Konstellationen, dass für „ein ausscheidendes Mitglied unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen“ ist.

3

Weiterhin sind im Bundesfinanzierungsgremium nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BSchuWG qua Gesetzesauftrag das unterrichtspflichtige BMF und das finanzielle Kontrollorgan des Bundes, der Bundesrechnungshof, ständig vertreten, d.h. teilnahme- aber nicht stimmberechtigt. Sollte das Gremium für die effiziente Wahrnehmung seiner Kontrolltätigkeit noch zusätzliche Informationen oder Expertise benötigen, kann es gemäß Satz 3 dieser Vorschrift die Hinzuziehung weiterer Teilnehmer wie etwa die Geschäftsführer der Finanzagentur zu seinen Sitzungen beschließen. Ungeachtet der Tätigkeit des Gremiums nach § 3 BSchuWG wird die FMSA, mit deren Trägerschaft die Finanzagentur künftig beliehen sein wird, weiterhin vom interministeriellen Lenkungsausschuss beaufsichtigt werden (vgl § 1 BSchuWG Rz. 23).

1 Begr. RegE BWpVerwG, BT-Drucks. 14/7010, 11; kritisch Schlitzberger, Kreditwesen 2004, 359 (360).

952

Braun

Parlamentarisches Gremium

Rz. 5 § 3 BSchuWG

III. Unterrichtspflicht des Bundesministeriums der Finanzen (§ 3 Abs. 2 BSchuWG) Das BMF hat das Bundesfinanzierungsgremium nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSchuWG „über alle Fragen des Schuldenwesens des Bundes“ zu unterrichten.2 Das betrifft die vom BMF festgelegte Kreditpolitik des Bundes und die in diesem Rahmen mit der Finanzagentur abgestimmte Strategie des Bundesschuldenmanagements, wozu auch die Entwicklung der Bruttokreditaufnahme und der Zinskosten gehört. Der Rahmen für die Informationspflicht des BMF ist mit der Formulierung „alle Fragen“ bewusst sehr weit gespannt, so dass auch das monetäre Umfeld der Kreditaufnahme des Bundes, wie beispielsweise die Auswirkungen der Banken- und Staatsschuldenkrise im Europäischen Währungsraum auf die Refinanzierung und Schuldenquote des Bundes Diskussionsthema in diesem Gremium sein kann. Die Beratungen im Bundesfinanzierungsgremium finden idR vierteljährlich oder anlassbezogen statt und erfolgen geheim.

4

IV. Geheimhaltungspflicht der Mitglieder und Teilnehmer (§ 3 Abs. 3 BSchuWG) Sowohl die Mitglieder des Bundesfinanzierungsgremiums als auch die weiteren Sitzungs- 5 teilnehmer „sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit“ – zu ergänzen ist: für dieses Gremium „bekannt geworden sind“ (§ 3 Abs. 3 BSchuWG). Diese umfassende Verschwiegenheitspflicht soll einerseits eine offene Diskussion gewährleisten, andererseits verhindern, dass eine unkontrollierte Weitergabe sensibler Fakten und Analysen ungewollte Reaktionen auf den Finanzmärkten auslösen oder die Erfolgschancen der vom Bund verfolgten Schuldenstrategie torpedieren.3

2 Zu der Berichtspflicht und den Jahresberichten der Bundesschuldenverwaltung Diller, Kreditwesen 1989, 904 (906 ff.); Diller, Fin. Arch. 1989, 77 (84 ff.). 3 Vgl. Begr. RegE BWpVerwG, BT-Drucks. 14/7010, 11.

Braun 953

Teil 2 Kreditaufnahme des Bundes und Bundesschuldbuch

§4 Kreditaufnahme des Bundes (1) Die Aufnahme von Krediten durch den Bund und seine Sondervermögen erfolgt im Rahmen des jeweiligen Haushaltsgesetzes durch 1. Ausgabe von Schuldverschreibungen, insbesondere durch Begebung von Schuldbuchforderungen, 2. Aufnahme von Darlehen gegen Schuldschein, 3. Eingehung von Wechselverbindlichkeiten, 4. Bankkredite oder 5. sonstige an den Finanzmärkten übliche Finanzierungsinstrumente. (2) Im Rahmen des jeweiligen Haushaltsgesetzes können an den Finanzmärkten eingeführte derivative Finanzierungsinstrumente eingesetzt werden. I. 1. 2. 3. II. III. 1. 2. 3. 4. 5. IV.

Die Kreditaufnahme des Bundes Der Staat als Schuldner . . . . . . . . . . . . . Staatliche Schuldenstrukturpolitik. . . . . Entwicklungen im europäischen und nationalen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . Kompetenzverteilung und Maßgeblichkeit der Haushaltsgesetze . . . . . . . . Parlamentarische Kreditermächtigung. . Ausführungsverantwortung des Bundesministeriums der Finanzen . . . . . . . . . . Operative Ausführung durch die Finanzagentur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keine Revolvierung der Kreditermächtigung für Deckungskredite . . . . . . . . . . Geltung des Gesetzesvorbehalts für Umschuldungsklauseln . . . . . . . . . . . . . Finanzierungsinstrumente

1 6 7 9 11 12 13 14 15 16

1. Schuldverschreibungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldscheindarlehen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wechselverbindlichkeiten (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchuWG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bankkredite (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Generalklausel (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Derivative Finanzierungsinstrumente (§ 4 Abs. 2 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . V. Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Skripturrechtliche Prinzipien . . . . . . . . . 2. Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kollektive Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . VI. Emissionsgestaltung und -durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19 23 24 25 27 30 31 32 34 35 40 48

Schrifttum: Dreher/Opitz, Die Vergabe von Bank- und Finanzdienstleistungen, WM 2002, 413; Frenkel/ John, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, 7. Aufl. 2011; Gröpl, BHO/LHO – Bundeshaushaltsordnung/ Landeshaushaltsordnung, 2011; Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt, Stand 08.16 – 124. ErgLfg.; Heun/Thiele, Verfassungs- und europarechtliche Zulässigkeit von Eurobonds, JZ 2012, 973; Höfling, Staatsschuldenrecht, 1993; Hofmann/Keller, Collective Action Clauses, ZHR 175 (2011), 684; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band X: Deutschland in der Staatengemeinschaft, 3. Aufl. 2012, § 214; Koch, Wirksame Begrenzung von Staatsverschuldung: Unter Berücksichtigung (polit-)ökonomischer und ethischer Aspekte, 2014; Lenenbach, Kapitalmarktrecht und kapitalmarktrelevantes Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2010; Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt-

954

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 2 § 4 BSchuWG

Kommentar, 74. ErgLfg. 2015; Mayer/Heidfeld, Verfassungs- und europarechtliche Aspekte der Einführung von Eurobonds, NJW 2012, 422; Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, 2015; Müller-Franken, Eurobonds und Grundgesetz, JZ 2012, 219; Nowotny, Gründe und Grenzen der öffentlichen Verschuldung, in FS Helmut Frisch, 2002, S. 261; Neidhardt, Staatsverschuldung und Verfassung, Geltungsanspruch, Kontrolle und Reform staatlicher Verschuldungsgrenzen, 2010; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, Loseblatt, 2. Aufl., Stand 18. ErgLfg. (Februar 2015); Pünder, Staatsverschuldung, in Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V: Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Aufl. 2007, § 123; Sandrock, Nationaler und internationaler Schutz von privaten Inhabern von Staatsanleihen gegenüber Schuldenschnitten, WM 2013, 393; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010; Seitz, Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses) in Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes, 2014; Sester, Beteiligung von privaten Investoren an der Umschuldung von Staatsanleihen im Rahmen des European Stability Mechanism (ESM), WM 2011, 1057; Stützel, Volkswirtschaftliche Saldenmechanik – Ein Beitrag zur Geldtheorie, 2. Aufl. 2011; von Lewinski, Nationale und internationale Staatsverschuldung, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band X: Deutschland in der Staatengemeinschaft, 3. Aufl. 2012, § 217; von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl. 1875; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, 2013; Zahn/Kock, Die Emission von unverbrieften Schuldtiteln durch die Europäische Zentralbank – Abkehr vom Verbriefungserfordernis für Effekten: Perspektiven für private Emittenten?, WM 1999, 1955.

I. Die Kreditaufnahme des Bundes 1. Der Staat als Schuldner Nach dem Leitbild der Finanzverfassung sind die gegenwärtigen Staatsausgaben zunächst 1 mit Steuereinnahmen und der Erhebung sonstiger Abgaben zu decken.1 Darüber hinaus können auch eine staatliche Wirtschaftstätigkeit, die Veräußerung von Ressourcen sowie die Privatisierung von Staatsvermögen und dergleichen ihren Teil zu dauerhaften Staatseinnahmen beitragen. Die verbleibende Deckungslücke finanziert der Staat im Wesentlichen mit der Aufnahme von Krediten. Diese sind im Unterschied zu den vorgenannten Einnahmen zurückzuzahlen. Aufgrund der hohen Sicherheit dienen die staatlichen Emissionen in aller Regel der Lenkung des privaten Anlagekapitals und als Anlagemöglichkeit für risikoaverse Investoren. Aufgrund der Geldnähe mancher staatlicher Papiere werden sie auch zur Liquiditätshaltung oder Besicherung von Liquiditätsfazilitäten verwendet. In Zeiten negativer Zinssätze (dazu § 1 SchVG Rz. 10–18) ist die Investition in Staatsanleihen angesichts der hypothetischen Alternativanlage in Bargeld o.ä. weniger attraktiv, während hingegen die Kreditaufnahme für den Bund ein lohnendes Geschäft ist. Der volkswirtschaftliche, insbesondere konjunkturpolitische Nutzen und folglich die Legitimität staatlicher Verschuldung werden unterschiedlich bewertet.2 Gegen die Staatsverschuldung werden gelegentlich auch verfassungsrechtliche3 und ethische4 Bedenken geäußert. Regelmäßig obliegt der weitaus höhere Teil des Schuldendienstes, bestehend aus Zins und Tilgung, künftigen Generationen des Staates. Kredit bedeutet mithin Zukunfts1 BVerfG v. 8.6.1988 – 2 BvL 9/85, 2 BvL 3/86, BVerfGE 78, 249 (266 f.); BVerfG v. 31.5.1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 (178); BVerfG v. 7.11.1995 – 2 BvR 413/88, 2 BvR 1300/93, BVerfGE 93, 319 (342). 2 Nowotny in FS Frisch, 2002, S. 261; Stützel, Volkswirtschaftliche Saldenmechanik, S. 166; Frenkel/ John, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, S. 31; vgl. auch schon Ricardo, Pamphlets and Papers 1815-1823, in Sraffa (Hrsg.), The Works and Correspondence of David Ricardo, Bd. IV, 1951 („One of the most terrible scourges which was ever invented to afflict a nation.“); anders hingegen von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, 1875 („Ein Staat ohne Staatsschuld thut entweder zuwenig für seine Zukunft, oder er fordert zuviel von seiner Gegenwart.“); grundlegend Höfling, Staatsschuldenrecht, S. 100 ff.; Pünder in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 123 Rz. 1 ff. 3 Vgl. Kube in Maunz/Dürig, 74. ErgLfg. (Mai 2015), Art. 115 GG Rz. 124 m.w.N. 4 Vgl. etwa Koch, Wirksame Begrenzung von Staatsverschuldung, 2014, S. 124 ff.

Lendermann 955

2

§ 4 BSchuWG Rz. 3 Kreditaufnahme des Bundes belastung. Wenn der Staatshaushalt schon in der Gegenwart nur unter Zuhilfenahme von Krediten gedeckt werden kann, stellt sich die strukturelle Frage, wie die Nettoverschuldung dann erst in künftigen Haushaltsjahren neben den laufenden Staatsausgaben bedient werden kann. Die Verantwortlichkeitsverschiebung wirft Schatten auf den Generationenvertrag. Dies gilt freilich insoweit nicht, als künftige Generationen von Investitionen aus der Vergangenheit mitprofitieren („zukunftsbegünstigende Staatsverschuldung“)5. 3

Mit der Kreditfinanzierung fallen der gesamtwirtschaftliche aber auch der individuelle wirtschaftliche und politische Nutzen der Staatsausgaben einerseits sowie die daraus resultierende Haftung andererseits zeitlich und (ohnehin auch) persönlich auseinander, wenngleich rechtliches Bezugsobjekt derselbe Staat bleibt. Daraus ergeben sich Anreizprobleme für die Politiker, die mit den aufgenommenen Geldern wirtschaften, im Sinne der ökonomischen Theorie der Politik (Public Choice-Theorie).6 Kredit bedeutet Abhängigkeit, nolens volens finanzielle und damit immer auch politische Abhängigkeit des Staates von seinen Gläubigern (aber auch umgekehrt). Das zeigt sich in der Krise beispielhaft an Umschuldungsauflagen oder der Vollstreckung in (Auslands-)Vermögen, das ursprünglich zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben bestimmt war. Der Staat ist ein besonderer Schuldner. Er ist dem Allgemeinwohl und nicht primär wirtschaftlichen Zielen verpflichtet, hat dementsprechend besondere Aufgaben und ist Inhaber der dazu erforderlichen Staatsgewalt. Mit der Kreditaufnahme begibt er sich zwar auf die Ebene der Gleichordnung zu den Gläubigern.7 Eine Kapitalaufnahme durch Emission von Staatsanleihen stellt ein nicht-hoheitliches Handeln („acta iure gestionis“) dar.8 So sieht es nunmehr auch der Gesetzgeber bei Schuldbuchforderungen (§ 5 BSchuWG Rz. 8). Die privatrechtlich begründeten Verbindlichkeiten von Staaten sind gegenüber privaten Gläubigern rechtsverbindlich.9

4

Der Staat bleibt dennoch ein überlegener Schuldner mit weitreichenden hoheitlichen Befugnissen. Dies zeigt sich positiv an der Anlagemöglichkeit in erstklassige Bonitäten (zumindest was Emissionen der Industrieländer betrifft) und hohen Liquidität. Im Falle zahlungsunfähiger oder gar zahlungsunwilliger Schuldnerstaaten zeigt sich dies mit negativer Konnotation an den Möglichkeiten, die Rechtspositionen der Gläubiger insbesondere für Inlandsschulden durch Inflationierung der eigenen Währung („Monetäre Staatsfinanzierung“)10 oder enteignende Maßnahmen zu verschlechtern oder ihre Rechtsdurchsetzung im Wege direkter hoheitlicher Maßnahmen („acta iure imperii“) zu vereiteln, sofern er darauf Zugriff hat.11 Umgekehrt nimmt der Staat nicht zuletzt auch einzelne Bürger und andere Geldgeber für die Belange der Allgemeinheit gewissermaßen gesondert in die Pflicht. Wenn man an die Geschichte von Zwangsanleihen denkt, gilt dies im Wortsinne. Dem Staat ist es möglich, seine Zahlungen sanktionslos einzustellen. Es droht kein Insolvenzverfahren, geleitet von unabhängigen Dritten (dazu Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 38–41). Die Gläubiger selbst haben 5 Dies berücksichtigt Art. 126 Abs. 3 Satz 2 AEUV iVm. Art. 2, 2. Spiegelstrich Protokoll Nr. 12; zum Begriff Kube in Maunz/Dürig, 74. ErgLfg. (Mai 2015), Art. 115 GG Rz. 34. 6 Pünder in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 123 Rz. 1, 15 f.; von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 5. 7 Vgl. Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, S. 9 ff. 8 Vgl. BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141 (153); BGH v. 8.3.2016 – VI ZR 516/14, WM 2016, 734 (736); EuGH v. 11.6.2015 – C-226/13 u.a. – Rz. 53, ZIP 2015, 1250. 9 BVerfG v. 30.4.1963 – 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, 27 ff.; BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 193/14, BKR 2015, 254; Oulds in Veranneman, Vorbem. zu § 5 SchVG Rz. 32. 10 Zum Schutz von Geld durch Art. 14 Abs. 1 GG Sandrock, WM 2013, 393 (396 ff.) mit Hinweis insbesondere auf BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92 – Maastricht – Rz. 86, BVerfGE 89, 195 („Geld ist geprägte Freiheit; es kann frei in Gegenstände eingetauscht werden.“) und BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvE 6/12 u.a. – Rz. 189, BVerfGE 132, 195 (Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG nur bei „evidenter Minderung des Geldwerts“). 11 Vgl. BGH v. 8.3.2016 – VI ZR 516/14, WM 2016, 734 (737); zur direkten und indirekten Enteignung in diesem Zusammenhang grundlegend Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 261 ff.

956

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 6 § 4 BSchuWG

keine Möglichkeit, im Wege einer Umwandlung von Schuldverschreibungen in Anteile Einfluss auf den staatlichen Schuldner und seine Finanzpolitik zu nehmen. Sie haben allein das Druckpotential der Umschuldungsverweigerung und den Versuch einer Vollstreckung in Auslandsvermögen. Staatsverschuldung ist bei allen Zweifeln an der Legitimität gleichwohl legal.12 Das folgt aus der Rechtsfähigkeit und Souveränität eines Staates. Von der Frage nach der grundsätzlichen Zulässigkeit sind Schuldengrenzen zu trennen. Solche ergeben sich aus verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Selbstbeschränkungen.13 Ihre Verletzung schlägt aber nicht auf die Wirksamkeit der Mittelaufnahme durch. Die Politik sieht die ausufernde Nettoneuverschuldung kritisch. Generell sind Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verpflichtet (Art. 109 Abs. 1, 2 GG).14 Auf Europäischer Ebene ist die Vermeidung „übermäßiger“ Defizite in Art. 126 Abs. 6 AEUV iVm. Protokoll Nr. 12 verankert worden. Speziell für die Staaten der Eurozone wird dies in Art. 140 Abs. 1 Spiegelstrich 2 AEUV sowie dem auch als „Europäischer Fiskalpakt“ bezeichneten Vertrag über die Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (SKS-Vertrag)15 aufgegriffen. Der deutsche Verfassungsgeber geht mit Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG noch weiter als andere Mitgliedstaaten und unterstreicht den Ausnahmecharakter und mithin hohen Rechtfertigungsbedarf jeglicher Staatsverschuldung im Sinne des steuerstaatlichen Grundsatzes des substantiellen Haushaltsausgleichs.16 Zugleich wird dem Umstand Rechnung getragen, dass mit erhöhter Verschuldung Konjunkturförderung betrieben werden kann. In zukünftigen Haushaltsjahren profitiert davon gegebenenfalls auch der Staat in Gestalt höherer Steuereinnahmen. Die konjunkturellen Volatilitäten berücksichtigt für die Staaten der Eurozone der SKS-Vertrag.17 Auf nationaler Ebene ist die konjunkturelle Komponente eine Ausgestaltungsoption gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbs. GG. Für den Bund wurde sie in Art. 115 Abs. 2 Satz 3 GG aufgenommen und in der dort bezeichneten Weise ausgeübt.18 Schließlich stellen die Funktionsfähigkeit des Staates und die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft des Kapitalmarktes die äußerste, rein faktische Grenze jeglicher Staatsverschuldung dar.19

5

2. Staatliche Schuldenstrukturpolitik Zielsetzung des staatlichen Schuldenmanagements ist die strategische und operative fiskalische Strukturgestaltung eines von der Finanzpolitik vorgegebenen Schuldenniveaus, um die daraus resultierende monetäre Belastung zu minimieren.20 Dies folgt aus den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 7 BHO, die selbstverständlich auch für die 12 S. von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 7. 13 Pünder in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 123 Rz. 14 ff.; zur Entwertung der Schuldengrenzen P. Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 214 Rz. 73 ff.; monographisch insbesondere auch zur Kontrolle der Haushaltsgesetze durch das BVerfG Neidhardt, Staatsverschuldung und Verfassung, Geltungsanspruch, Kontrolle und Reform staatlicher Verschuldungsgrenzen 2010. 14 Pünder in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 123 Rz. 27; Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 41. 15 Vertrag vom 2.3.2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, BGBl. II 2012, 1006 (1008). 16 So Kube Maunz/Dürig, 74. ErgLfg. (Mai 2015), Art. 115 GG Rz. 123 m.w.N.; von Lewinski in Isensee/ Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 32 ff. 17 Vertrag vom 2.3.2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion, BGBl. II 2012, 1006 (1008). 18 Vgl. Kube Maunz/Dürig, 74. ErgLfg. (Mai 2015), Art. 115 GG Rz. 164. 19 S. von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 25 ff., 55. 20 Vgl. Albers in Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft, Bd. 9, Lfg. 36, Stichwort „Debt Management“, S. 735 ff. m.w.N.

Lendermann 957

6

§ 4 BSchuWG Rz. 7 Kreditaufnahme des Bundes Kreditbeschaffung gelten. Für jede Emission beinhaltet dies die Sicherstellung der Liquidität, die Senkung der Zinskosten und die Begrenzung der Risiken. Im nicht fiskalischen Bereich verfolgt das Schuldenmanagement Allokations-, Distributions- und Stabilisierungsziele. Die Liquidität wird durch hohe Emissionsvolumen, Einführung in den Handel sowie Marktpflege hergestellt. Der Allokation dienen Transparenz durch Börsennotierung (vgl. § 37 BörsG) und an den Kunden orientierte Emissionsverfahren und Kreditlaufzeiten, während feste Laufzeiten und kalkulierbare Kapitalrückflüsse zur Berechenbarkeit gegenüber der Investorengemeinschaft beitragen. Etwas anderes gilt teilweise für die Refinanzierung der Sonderfonds, die vor allem an deren Bedürfnissen ausgerichtet ist. Die wichtigsten Instrumente der Schuldenstrukturgestaltung umfassen die Laufzeiten-, Gläubiger- sowie Tilgungsstruktur, die Marktfähigkeit der einzelnen Schuldtitel, die Art der Zinsausstattung und die Form der Emission. Im Kontext der wirtschaftlichen Krise eines staatlichen Emittenten behalten diese Ziele weiterhin Geltung, werden indes sogar noch dringlicher, um die Kapitalmarktfähigkeit zu bewahren. Auch die genannten Mittel finden in einer Krise weiterhin Anwendung, wenngleich sie um die Anpassung der ursprünglichen Konditionen zu Lasten der Berechenbarkeit für die Investoren ergänzt werden. 3. Entwicklungen im europäischen und nationalen Kontext 7

Auf europäischer Ebene wurde bereits im Jahre 2003 auf Initiative von Jacques Delors die Finanzierung des EU-Haushalts unter dem Begriff der EU-Anleihe (auch „Eurobonds“) letztlich erfolglos auf die politische Agenda gesetzt. Es blieb beim Verschuldungsverbot des Art. 311 AEUV. In der aufgrund der Finanzkrise erhöhten Staatsverschuldung geriet das Thema erneut in den Mittelpunkt. Die teils hohen Zinsbelastungen einiger EU-Mitgliedstaaten sollten damit gesenkt werden. In der Diskussion über den SKS-Vertrag sah man die Emission einer solchen Anleihe als Schritt in die Richtung einer Fiskalunion. Die in verschiedenen Varianten erörterte EU-Anleihe hätte eine gemeinschaftliche Verschuldung der EU-Mitgliedstaaten mit einer gesamtschuldnerischen Haftung vorgesehen. Dieses Vorhaben scheiterte schließlich nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Bundesrepublik Deutschland an finanzpolitischen Bedenken, der Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV sowie den mitgliedstaatlichen Finanzverfassungen.21 Projektanleihen sind indes in Art. 125 Abs. 1 Satz 1 AEUV ausdrücklich vorgesehen („unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens“). So kann sich auch die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und ihr Nachfolger, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), selbst refinanzieren, indem die teilnehmenden Mitgliedstaaten ihre Emissionen quotal begrenzt garantieren.

8

Im Gegensatz zu der EU ist der Bundesrepublik Deutschland die Aufnahme von Krediten freilich in den europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Defizitgrenzen grundsätzlich erlaubt. Dies bestätigt § 4 Abs. 1 BSchuWG22 und findet sich auf Grundlage von Art. 115 GG regelmäßig in den Haushaltsgesetzen (z.B. § 2 Haushaltsgesetz 2015). Im Unterschied zum Entwicklungsstand auf europäischer Ebene befindet sich die nationale Refinanzierungsharmonisierung zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts in einem fortgeschrittenen Stadium. Am 26.6.2013 wurde über ein Konsortium die erste Bund-Länder-Anleihe emittiert. Sie sieht eine auf den Anteil am Emissionsvolumen beschränkte teilschuldnerische

21 Vgl. den Abschlussbericht der Sachverständigengruppe für Schuldentilgungsfonds und Eurobills unter Vorsitz von Gertrude Tumpel-Gugerell vom 31.3.2014 unter ec.europa.eu/economy_finance/articles/governance/pdf/20140331_report_en.pdf; Müller-Franken, JZ 2012, 219 ff.; Mayer/Heidfeld, NJW 2012, 422 ff.; Heun/Thiele, JZ 2012, 973 ff. 22 So zum BWpVerwG a.F. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 13.

958

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 10 § 4 BSchuWG

Haftung von Bund und Ländern vor.23 Mit einer gesamtschuldnerischen Haftung würden hingegen die Regeln über den Finanzausgleich gemäß Art. 107 GG umgangen. Dies verstieße zudem gegen den Grundsatz föderal getrennter Haushaltsführung des Art. 109 GG. Die Entscheidung, sich an der Bund-Länder-Anleihe zu beteiligen, obliegt gemäß der gemeinsamen Verständigung von Juni 2012 den Ländern. Sie sollen von den Konditionen großvolumiger, liquider Anleihen profitieren können. Zudem kann es trotz quotaler Haftungsbeschränkung zu einer Angleichung der Zinskosten der finanzkräftigeren und finanzschwächeren Länder sowie des Bundes kommen. Das reduziert freilich die Indikatorfunktion der Risikoprämien und kann Fehlanreize setzen. Die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH bereitet die Emission vor und führt sie durch.

II. Anwendungsbereich Der zweite Teil des BSchuWG regelt die Kreditaufnahme des Bundes und seiner Sondervermögen sowie das Bundesschuldbuch. Die Sondervermögen des Bundes unterscheiden sich in solche mit eigener Kreditermächtigung und in solche ohne. Zu ersteren zählen der Finanzmarktstabilisierungsfonds (FMS, vormals SoFFin) seit 17.10.2008,24 der Investitionsund Tilgungsfonds (ITF) seit 2.3.200925 und der Restrukturierungsfonds (RStruktF) seit 9.12.2010.26 Soweit Anleihen privater Emittenten von der FMS garantiert werden, fallen diese Anleihen zwar in die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG,27 aber in den Anwendungsbereich des BSchuWG. Zu den Sondervermögen ohne eigene Kreditermächtigung, auf die das Gesetz also praktisch keine Anwendung finden kann, zählen die Schlusszahlungsfinanzierung (SchlussFin) seit 6.7.2009,28 der Energie- und Klimafonds (EKF) seit 8.12.201029 sowie der Aufbauhilfefonds (Aufbh) seit 15.7.2013.30

9

Kraft aufdrängender Zuweisung finden die bundesrechtlichen Regelungen auch vielfach auf Emissionen der Bundesländer und Gemeinden sowie anderer öffentlicher Emittenten Anwendung. Die Vorschriften gelten auch für die von der Europäischen Zentralbank (EZB) emittierten und in ihrem elektronisch geführten Schuldbuch eingetragenen Schuldtitel, soweit nichts anderes vereinbart ist, aufgrund von Art. 2 Abs. 2 Sitzabkommen EZB-Deutschland.31

10

23 Daraus folgt, dass die Umschuldungsklauseln in der Bund-Länder-Anleihe einseitig nur auf den Haftungsanteil des Bundes bezogen sind, siehe dazu Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 72. 24 Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz v. 17.10.2008 (BGBl. I 2008, 1982), zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes v. 2.11.2015 (BGBl. I 2015, 1864); zur Umstrukturierung und Eingliederung in die Finanzagentur siehe § 1 BSchuWG Rz. 23. 25 Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Investitions- und Tilgungsfonds“ v. 2.3.2009 (BGBl. I 2009, 416 [417]), zuletzt geändert durch Art. 10 des Gesetzes v. 24.5.2016 (BGBl. I 2016, 1217). 26 Restrukturierungsfondsgesetz v. 9.12.2010 (BGBl. I 2010, 1900 [1921]), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 2.11.2015 (BGBl. I 2015, 1864). 27 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 38; Horn, BKR 2009, 446 (447). 28 Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Vorsorge für Schlusszahlungen für inflationsindexierte Bundeswertpapiere“ (Schlusszahlungsfinanzierungsgesetz – SchlussFinG) v. 6.7.2009 (BGBl. I 2009, 1702). 29 Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens „Energie- und Klimafonds“ v. 8.12.2010 (BGBl. I 2010, 1807), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes v. 22.12.2014 (BGBl. I 2014, 2431). 30 Aufbauhilfefonds-Errichtungsgesetz v. 15.7.2013 (BGBl. I 2013, 2401), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 24.6.2015 (BGBl. I 2015, 974). 31 BGBl. I 1998, 2995; dazu Zahn/Kock, WM 1999, 1955 ff.

Lendermann 959

§ 4 BSchuWG Rz. 11 Kreditaufnahme des Bundes

III. Kompetenzverteilung und Maßgeblichkeit der Haushaltsgesetze 11

Bei der Aufnahme von Krediten durch den Bund und seine Sondervermögen sind drei Zuständigkeitsebenen zu unterscheiden: Der parlamentarische Haushaltsgesetzgeber (dazu 1.), das Bundesministerium für Finanzen (2.) und die Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH (Finanzagentur) (3.). Dreh- und Angelpunkt der Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive ist die Anbindung an die „jeweiligen Haushaltsgesetze“ in § 4 Abs. 1 sowie Abs. 2 BSchuWG. Deren Geltungsdauer ist im Hinblick auf eine Revolvierung (4.) und ihr Geltungsumfang ist im Hinblick auf Umschuldungsklauseln (5.) entsprechend auszuloten. 1. Parlamentarische Kreditermächtigung

12

Die Bruttokreditaufnahme, also die Kreditaufnahme unter Einbeziehung von Anschlusskrediten, erfordert gemäß Art. 115 Abs. 1 GG eine gesetzliche Ermächtigung. Sie sichert das parlamentarische Budgetrecht, das traditionell auf eine Bindung der Exekutive abzielt.32 Präzisierend sehen § 18 Abs. 2 BHO, § 1 Satz 1 Artikel 115-Gesetz und § 13 Abs. 1 HGrG vor, dass die Kreditermächtigung zwingend im jeweiligen Haushaltsgesetz zu erteilen ist, damit die politische Ausgabenverantwortung mit der Verschuldungsverantwortung zusammenfällt.33 Auf diese Weise wird der Zusammenhang zwischen der Kreditermächtigung und dem Haushaltsplan hergestellt. Das Haushaltsgesetz basiert auf dem Haushaltsplan, § 1 Satz 1 BHO und Art. 110 Abs. 2 Satz 1 GG. Auf Ebene der haushaltsrechtlichen Ermächtigung wird nach dem Verwendungszweck in zwei Kreditarten unterschieden: Einerseits werden Deckungs- und Haushaltskredite (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO) ausgewiesen. Sie dienen der Finanzierung der in dem Haushaltsgesetz veranschlagten Ausgaben. Andererseits ermächtigt das Gesetz zur Aufnahme von Kassenverstärkungskrediten (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 BHO). Nach der gesetzgeberischen Konzeption sollen diese einnahmen- und ausgabenneutral sein und der ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft durch Bereitstellung der nötigen Liquidität dienen. Aufgrund ihrer Natur sind Kassenverstärkungskredite nicht von den Beschränkungen der Art. 109, 115 Abs. 2 GG, § 18 Abs. 1 BHO iVm. § 2 Artikel 115-Gesetz („Schuldenbremse“) erfasst.34 Dafür ist ihre Laufzeit begrenzt (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BHO) und die Ermächtigungsdauer kürzer als diejenige für Deckungskredite (vgl. § 18 Abs. 3 Satz 2 sowie 1 BHO). Im Haushaltsgesetz wird bei der Festlegung der Kreditermächtigungen in Nettokreditaufnahme und zuwachsende Kreditermächtigung unterschieden. Letztere dient der Anschlussfinanzierung fällig werdender Kredite im folgenden Haushaltsjahr.35 Die parlamentarische Kompetenz umfasst mit der Ermächtigung somit die maximale Höhe der Kreditaufnahme, die Kreditart und die entsprechende Ermächtigungsdauer (vgl. § 18 Abs. 3 BHO). 2. Ausführungsverantwortung des Bundesministeriums der Finanzen

13

Auf Ebene der Exekutive obliegt die Inanspruchnahme sämtlicher Kreditermächtigungen des Haushaltsgesetzes dem Bundesministerium der Finanzen, § 18 Abs. 2 BHO. Es entscheidet gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 BSchuWG36 allein über die Emissionsbedingungen und die allgemeinen vertraglichen Bedingungen. Ihm obliegt – im Rahmen der Vorgaben des Vertrags

32 So etwa Nebel in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 46. ErgLfg., Art. 115 GG Rz. 4; Pünder in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 123 Rz. 24 ff. 33 Rossi in Gröpl, § 18 BHO Rz. 39. 34 Knörzer in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 45. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 4. 35 Knörzer in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 45. Lfg., § 18 BHO Rz. 10. 36 So bereits unter der Bundeswertpapierverwaltung nach § 5 Abs. 4 Satz 2 BWpVerwG a.F.

960

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 15 § 4 BSchuWG

zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESMV)37 – grundsätzlich auch die Entscheidung über die Verwendung von Umschuldungsklauseln („Collective Action Clauses“ – CAC). Die Begebung der Anleihen von Bund und Ländern erfolgt nach Abschaffung von § 20 Abs. 2 BBankG im Jahr 200238 nicht mehr „im Benehmen“ mit der Deutschen Bundesbank. Ebenso hat sich die vormals noch weitergehende Kontrolle aller Schuldverschreibungsemissionen aus geldpolitischen Erwägungen heraus (etwa über das sog. Verankerungsprinzip)39 spätestens mit Übertragung der Währungskompetenz auf die EZB erledigt. 3. Operative Ausführung durch die Finanzagentur Die operative Aufnahme von Krediten und die damit verbundenen technisch-organisatorischen Aufgaben des Schuldenmanagements sind der Finanzagentur zugewiesen. Sie wird als Vertreterin ihres Alleingesellschafters für diesen tätig. § 1 Abs. 1 Satz 2 BSchuWG stellt klar, dass allein die Bundesrepublik Deutschland aus den von der Finanzagentur für den Bund vorgenommenen Geschäften verpflichtet wird. Sie entscheidet auf Grund des mit dem Bundesministerium der Finanzen geschlossenen Geschäftsbesorgungsvertrags im Rahmen der Umsetzung des Emissionskalenders und des über das konkrete Volumen und die konkreten Konditionen, die täglich den Marktverhältnissen angepasst werden können. Während das Haushaltsgesetz lediglich die Unterscheidung in Deckungs- und Kassenverstärkungskredit trifft, legt erst die Finanzagentur das konkrete Finanzierungsinstrument fest. Mit Etablierung der Finanzagentur erfolgt die Begebung der Anleihen seit 2002 nicht mehr „in erster Linie durch die Deutsche Bundesbank“ (vgl. § 20 Abs. 2 BBankG i.d.F. bis 29.4.2002). Die Deutsche Bundesbank führt heute nur noch das Zentralkonto des Bundes, stellt die technische Plattform für die Versteigerung der Bundeswertpapiere zur Verfügung und führt Sekundärmarkttransaktionen zur Marktpflege für den Bund an den deutschen Wertpapierbörsen durch (Vor §§ 1–3 BSchuWG Rz. 12 ff.).

14

4. Keine Revolvierung der Kreditermächtigung für Deckungskredite Es wird grundsätzlich für zulässig erachtet, wenn die Regierung nach ordnungsgemäßer Rückzahlung eines Kassenverstärkungskredits die diesbezügliche Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz für die Aufnahme eines neuen Kassenverstärkungskredits nutzt (Revolvierung).40 Für Deckungs- und Haushaltskredite wird hingegen davon ausgegangen, dass die Kreditermächtigung immer in dem Umfang verbraucht werde, in dem sie zur Deckung von Ausgaben einschließlich der nötigen Tilgungsleistungen benötigt werde.41 Wird für Deckungsund Haushaltskredite im Rahmen einer Umschuldung die Verringerung der Hauptforderung oder der Zinsen vereinbart, trifft diese Überlegung nicht zu. Weder müssen zuvor getätigte Ausgaben storniert, noch Tilgungsleistungen aufgewendet werden, die budgetrelevante „Ausgaben“ darstellen würden. Dennoch sinkt die Verschuldung. In Höhe des im Haushaltsjahr „eingesparten“ Tilgungsbetrags kommt es hierbei jedoch nicht zu einem Wiederaufleben der Kreditermächtigung. Die Exekutive kann sie nicht erneut in Anspruch nehmen. Jegliche neue Kreditaufnahme zur Deckung von Ausgaben bedarf der Legitimation des Haushaltsgesetzgebers. Das gilt ungeachtet dessen, ob sie an die Stelle von Krediten tritt, die zurückgezahlt wurden oder an die Stelle solcher, die nicht zurückgezahlt werden mussten. Dieses Ergebnis stützt sich auf die gesetzgeberische Wertung. Eine der Revolvierung von Kassenverstär37 Vertrag v. 2.2.2012, in Kraft getreten am 27.9.2012, vgl. Bekanntmachung v. 1.10.2012, BGBl. II 2012, 1086; dazu ausführlich Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 52–61. 38 Gesetz v. 23.3.2002, BGBl. I S. 1159. 39 Bosch in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Stand 12.97, Rz. 10/19. 40 Vgl. Nebel in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 46. ErgLfg., Art. 115 GG Rz. 10. 41 Vgl. Nebel in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 46. ErgLfg., Art. 115 GG Rz. 10 unter Hinweis auf § 18 Abs. 1 BHO iVm. § 1 Satz 1 Nr. 1 Artikel 115-Gesetz.

Lendermann 961

15

§ 4 BSchuWG Rz. 16 Kreditaufnahme des Bundes kungskrediten vergleichbare Regelung (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BHO, § 1 Satz 2 Artikel 115-Gesetz) fehlt für Deckungs- und Haushaltskredite. 5. Geltung des Gesetzesvorbehalts für Umschuldungsklauseln 16

Eine davon zu unterscheidende Frage ist, ob der Gesetzesvorbehalt des Art. 115 Abs. 1 GG für CACs gilt. Dies wird in der Literatur unter Hinweis darauf vertreten, dass die Änderung der Anleihebedingungen das „Potential an Nettoneuverschuldung“ erhöhe und eine „wesentliche Entscheidung von politischer Dimension mit erheblichen Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit des Staates“ sei.42 Ergänzend sind die Grundrechtsbetroffenheit der Anleiheinhaber in ihrer Eigentumsgarantie aus Art. 14 Abs. 1 GG sowie dem Recht auf Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG zu nennen. Den Anleihegläubigern wird mit einer Umschuldung entgegen dem Leitbild der Finanzverfassung, nach der Steuern allgemein zu erheben sind und sonstige Abgaben dem Äquivalenzprinzip genügen müssen, ein „freiwilliges“ Sonderopfer abverlangt. Die Problematik hat zwei Teilaspekte, nämlich erstens die Einfügung von CACs in die Emissionsbedingungen und zweitens die spätere Umschuldung auf Grundlage der CACs.

17

Zu der Einführung von CACs in die Emissionsbedingungen ist zu sagen, dass sich die Verpflichtung dazu ohnehin bereits aus dem ESMV ergibt.43 Diesem völkerrechtlichen Vertrag hat der Deutsche Bundestag am 13.9.2012 zugestimmt44 und zur selben Zeit die §§ 4a–4k in das BSchuWG eingefügt. Damit hat er seine Zuständigkeit gemäß Art. 115 Abs. 1 GG auch im Hinblick auf die Einfügung von CACs gemäß Art. 12 Abs. 3 ESMV bereits ausgeübt. Mit anderen Worten sind diese einmaligen gesetzlichen Regelungen nötig, aber auch ausreichend, um dem haushaltsrechtlichen Parlamentsvorbehalt45 und abgesehen davon auch dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt zu genügen. Sofern eine Änderung der Musterklauseln diesen Rahmen wahrt, ist die Verantwortung des Deutschen Bundestages für den Haushalt sowie den Bestand und die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion gemäß § 3 ESM-Finanzierungsgesetz46 nicht berührt.47 Vielmehr gilt, dass die Ausgestaltung der Anleihebedingungen in die Kompetenz der Exekutive fällt, § 1 Abs. 1 Satz 3 BSchuWG. Zur Einfügung, Verwendung oder Änderung von CACs bedarf es keiner zusätzlichen und regelmäßig wiederholten Ermächtigung im jeweiligen Haushaltsgesetz.

18

Wenn schon die erstmalige Ausgestaltung der Anleihebedingungen grundsätzlich der Exekutive zugewiesen ist, muss Gleiches für die nachträgliche Änderung derselben aufgrund von CACs gelten. Mit Umschuldungsmaßnahmen wird der aktuelle Haushalt gerade entlastet. Im Falle eines Zahlungsaufschubs mag es im Gegenzug zu einer stärkeren Zukunftsbelastung kommen. Die Kreditermächtigung im Haushaltsgesetz enthält aber generell keine konkreten Laufzeiten, wenn man von der Unterscheidung in zeitlich nicht beschränkte Deckungskredite und in der Laufzeit beschränkte48 Kassenverstärkungskredite einmal absieht. In Höhe der gestundeten Tilgungsleistungen kann die im Haushaltsgesetz erteilte zuwachsende Kreditermächtigung49 nicht für eine Nettoneuverschuldung zweckentfremdet werden. Die Er-

42 43 44 45 46 47 48 49

Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 321 f. In Kraft getreten am 27.9.2012, vgl. Bekanntmachung v. 1.10.2012, BGBl. II 2012, 1086. Ratifizierungsgesetz v. 13.9.2012, BGBl. II 2012, 981. Noch weiter Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 311 in Fn. 1185, der in den §§ 4a–4k BSchuWG nicht einmal eine haushaltsrechtliche Ermächtigung sieht, für die über § 4 BSchuWG Bedarf bestünde. Gesetz v. 13.9.2012, BGBl. I 2012, 1918. Insoweit wie hier Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 106. § 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BHO, § 1 Satz 3 Artikel 115-Gesetz. Vgl. etwa § 2 Haushaltsgesetz 2015.

962

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 20 § 4 BSchuWG

mächtigung zu dieser wird bewusst von der Ermächtigung zu jener getrennt.50 Schließlich ist eine Revolvierung für Deckungs- und Haushaltskredite ohnehin ausgeschlossen, wie sich im Umkehrschluss zu § 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BHO, § 1 Satz 2 Artikel 115-Gesetz ergibt (siehe zuvor Rz. 15). Aus einem Zahlungsmoratorium kann daher keine Legitimationslücke für schleichende Neuverschuldungen entstehen. Zudem wird die Kreditwürdigkeit des Staates bereits vor und unabhängig von einer Umschuldung der Staatsanleihen gelitten haben. Die rechtlichen Rahmenbedingungen werden lediglich den wirtschaftlichen Realitäten angepasst, nicht umgekehrt. Mithin bedarf die Zustimmung des Bundes gemäß § 4b Abs. 7 BSchuWG nicht zwingend einer konkreten Kreditermächtigung durch das Parlament gemäß Art. 115 Abs. 1 GG.

IV. Finanzierungsinstrumente 1. Schuldverschreibungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchuWG) Die Kreditaufnahme erfolgt schwerpunktmäßig auf Grundlage der üblichen Schuldverschrei- 19 bungen des Bundes.51 Sie werden gegenwärtig in Form von Schuldbuchforderungen begeben.52 Absolut gesehen, aber auch im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union verfügt die Bundesrepublik Deutschland als Emittentin selbst in Zeiten der weltweiten Finanz- und Staatenkrise der Jahre 2008 bis 2012 über eine erstklassige Bonität.53 Die Emissionen zielen auf Fremdkapitalinvestoren ab, die ihre Anlageentscheidung an sehr geringem Gegenparteirisiko und hoher Liquidität ausrichten. International gelten Bundeswertpapiere als Vergleichsmaßstab („Benchmark“) für Anleihen anderer europäischer Emittenten. Alle Bundeswertpapiere sind „mündelsicher“ gemäß §§ 1806, 1807 Abs. 1 Nr. 2 BGB, also für die Anlegung von Mündelgeldern geeignet. Die börsenfähigen Anleihen sind auch deckungsstockfähig, das heißt für die Anlage des gebundenen Vermögens von Versicherern geeignet (vgl. § 54 Abs. 2, 3 VAG iVm. § 2 Nr. 11 Anlageverordnung). Pfandbriefbanken können mit diesen Papieren Deckungskongruenz herstellen, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 PfandBG. Die öffentlichen Anleihen sind notenbankfähig und können daher als Besicherung für Offenmarktgeschäfte der Notenbanken im Eurosystem dienen, Art. 18.1 der ESZB/EZB Statuten (Protokoll Nr. 4). Sie können ferner Gegenstand des angekündigten Outright Monetary Transactions (OMT) Programms der EZB als Nachfolger des Securities Markets Programme (SMP),54 des Public Sector Purchase Programme (PSPP) und anderer Programme sein, nach denen Schuldtitel der EU-Mitgliedstaaten von der EZB oder den nationalen Zentralbanken auf dem Sekundärmarkt angekauft werden können (vgl. Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 77–79, § 4c BSchuWG Rz. 28–30). Allgemein lassen sich Refinanzierungen am Kapitalmarkt und am Geldmarkt unterscheiden. Alle Kapitalmarktpapiere mit Laufzeiten von mehr als einem Jahr sind börsennotiert und genießen daher eine hohe Sekundärliquidität. Bundesschatzanweisungen haben eine Laufzeit von zwei Jahren, Bundesobligationen von fünf und Bundesanleihen von zehn oder 30 Jahren. Jährliche Zinszahlungen erfolgen in fixer Höhe. Hervorzuheben sind die beiden bereits getilgten U.S.-Dollar-Anleihen von Mai 2005, fällig 2010, sowie von September 2009, 50 Vgl. etwa § 2 Abs. 1 und Abs. 2 Haushaltsgesetz 2014. 51 Vgl. hierzu Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 39 ff.; Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 87 ff.; Helm in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 43. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 13; Lenenbach, Kapitalmarktrecht, Rz. 2.124 ff. 52 Eine Ausnahme stellten die bereits getilgten U.S.-Dollar-Anleihen aus den Jahren 2005 und 2009 dar. 53 Dies spiegelt sich jeweils in dem höchsten Rating (AAA) der international tätigen Rating-Agenturen wider; einschränkend Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 40. 54 Dazu EuGH v. 16.6.2015 – C-62/14, EuZW 2015, 599; Herrmann/Dornacher, EuZW 2015, 579.

Lendermann 963

20

§ 4 BSchuWG Rz. 21 Kreditaufnahme des Bundes fällig 2012. Beide beinhalteten CACs nach Vorlage des Berichts der Quarles Gruppe der G-10. Fremdwährungsanleihen sind nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 BSchuWG, jedenfalls aber nach dessen Nr. 5 zulässig. Das gilt allerdings nur, wenn sich aus den Zinsdifferenzen zwischen dem heimischen und dem jeweiligen ausländischen Kapitalmarkt – gegebenenfalls unter Zuhilfenahme flankierender Swap-Geschäfte – sichere Zinsvorteile ergeben.55 Da sich der Bund in den Jahren nach 2012 in Euro am günstigsten refinanzieren konnte, fanden die Fremdwährungsanleihen bislang keinen Nachfolger. Auch die FMS wird über die Finanzagentur zwar grundsätzlich anlagekongruent, aber nur in Euro vom Bund refinanziert werden. Inflationsindexierte Bundesanleihen (mit mindestens zehn Jahren) und Bundesobligationen (mit etwa fünf Jahren Laufzeit) sichern den Kaufkraftverlust ab, indem die Tilgungs- und jährlichen Zinszahlungen an einen Verbraucherpreisindex gebunden sind. Die zusätzliche Sicherheit schlägt sich in einem niedrigeren Basiszins nieder. Die erstmalige Anleiheemission fand im März 2006 statt. Es stehen noch eine fünfjährige inflationsindexierte Bundesobligation mit Fälligkeit 2018 und vier zehnjährige inflationsindexierte Bundesanleihen mit Fälligkeiten von 2016, 2020, 2023, 2030 aus. Daneben ist auf die bereits erwähnte siebenjährige BundLänder-Anleihe von Juni 2013 hinzuweisen. Mit Einstellung des Privatkundengeschäfts lief die Daueremission der früheren, nicht börsennotierten Bundesschatzbriefe mit Laufzeiten von sechs (Typ A) und sieben Jahren endfällig (Typ B) zum Ende des Jahres 2012 aus. Bis 2010 standen noch sog. Fundierungsschuldverschreibungen aus.56 In Fundierungsschuldverschreibungen konnten Bezugsscheine umgewandelt werden, die auf die Wiedervereinigung auflösend bedingte Zinszahlungen der Dawes- und Young-, Kreuger- und Preußen-Anleihen von 1945 bis 1952 verbrieften. Sie dienten somit der Abgeltung von Zinsrückständen aus Auslandsschulden des Deutschen Reichs nach dem Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 („Schattenquoten“). 21

An der Schnittstelle zwischen Geld- und Kapitalmarkt ist die Tagesanleihe angesiedelt: Sie hat zwar eine unbefristete Laufzeit, wird indes täglich verzinst und ist bankgeschäftstäglich verfügbar. Die Höhe der Verzinsung orientiert sich am täglich neu berechneten europäischen Interbankensatz EONIA (Euro OverNight Index Average), der ein Referenzzinssatz für unbesicherte Tagesgeld-Ausleihungen zwischen großen Finanzinstituten im Euro-Raum darstellt.

22

Die Geldmarktpapiere des Bundes sind vorwiegend unverzinsliche Schatzanweisungen. Sie sind ebenfalls börsennotiert und bieten Laufzeiten von sechs und zwölf Monaten. Daneben existieren oder existierten noch Bundeskassenscheine („Bund Cash Management Bills“) und Bundesanleihen mit STRIPS-Option („Separate Trading of Registered Interest and Principal of Securities“), bei denen die Zinskupons von der Anleihe getrennt und gemäß den Anleihebedingungen unter separater Wertpapierkennnummer bzw. International Security Identification Number (ISIN) gehandelt werden können. 2. Schuldscheindarlehen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BSchuWG)

23

Schuldscheindarlehen bieten eine hohe Flexibilität für maßgeschneiderte Konditionen. Der Bund vereinbart einzelvertraglich mittel- bis langfristige Schuldscheindarlehen mit Kreditinstituten, Versicherungsunternehmen und anderen institutionellen Investoren, sofern dies zu einem Finanzierungsvorteil führt. Die Nachfrage ist in der jüngsten Vergangenheit geringer geworden.

55 Helm in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 43. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 13. 56 Vgl. Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH, Handmappe Bundeswertpapiere, Mai 2014, Abschnitt H 1 (abrufbar unter http://www.deutsche-finanzagentur.de); Deutsche Bundesbank, Mitteilung 9001/91 Or 2/K2 v. 29.8.1991; Mitteilung 9001/93 K2 v. 1.10.1993 (abrufbar unter https://www.bundesbank.de); Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (692).

964

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 27 § 4 BSchuWG

3. Wechselverbindlichkeiten (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BSchuWG) Wechselverbindlichkeiten waren früher für kurzfristige Liquiditätsbeschaffung sinnvoll, heute wie im übrigen Finanzgeschehen kaum noch gebräuchlich, zumal Wechsel nicht mehr bei den Zentralbanken diskontiert werden. An ihre Stelle traten Geldmarktpapiere und RepoGeschäfte.

24

4. Bankkredite (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 BSchuWG) Die Aufnahme von Bankkrediten ist ein probates Mittel vor allem zur Kassenverstärkung, das heißt zum kurz- oder sogar sehr kurzfristigen Ausgleich von Liquiditätsschwankungen. Am Geldmarkt werden hierzu im Wege des Telefonhandels im Interbankengeschäft Tagesund Termingelder mit Laufzeiten von bis zu 30 Tagen aufgenommen. Von Gesetzes wegen dürfen sie nicht später als sechs Monate nach Ablauf des Haushaltsjahres, für das sie aufgenommen wurden, fällig werden (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 BHO).57

25

Der Deutschen Bundesbank, bei der die Konten der öffentlichen Hand vormals sogar geführt werden mussten (§ 17 BBankG a.F.), ist es verboten, der öffentlichen Hand Kredite zu gewähren. Der Verweis in § 20 Satz 1 BBankG spart die Kreditvergabe nach § 19 Nr. 1 BBankG aus. Das Staatsfinanzierungsverbot ergab sich schon seit jeher aus nationalem Recht. Jedoch wurde dies zum Zwecke der Etablierung einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion im Vertrag von Maastricht noch enger gefasst. Danach dürfen die Zentralbanken der Mitgliedstaaten im Interesse ihrer Unabhängigkeit (Art. 130 AEUV) auch keine Überziehungskredite oder andere Kreditfazilitäten mehr gewähren (Art. 123 AEUV), selbst wenn diese nur der Kassenwirtschaft, nicht aber der Deckung von Ausgaben des Staatshaushalts dienen. Die in § 20 Satz 1 Halbs. 2 BBankG vorgesehenen Kontoüberziehungen öffentlicher Verwaltungen innerhalb eines Tages sind indes EU-rechtskonform, da sie lediglich den Zahlungsverkehr erleichtern.58

26

5. Generalklausel (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 BSchuWG) Die gesetzliche Aufzählung wird in § 4 Abs. 1 Nr. 5 BSchuWG durch eine Generalklausel er- 27 gänzt, damit es der öffentlichen Hand nicht verwehrt bleibt, von den „ständigen Neuerungen an den Finanzmärkten“ Gebrauch zu machen.59 Die Regierungsbegründung spricht davon, dass mit der Bezeichnung „Finanzierungsinstrumente“ alle in § 1 Abs. 11 KWG aufgeführten „Finanzinstrumente“ erfasst würden.60 Von diesem Katalog wird man die darin ebenfalls aufgeführten Eigenkapital- oder eigenkapitalähnlichen Produkte, Anteile an Investmentvermögen, Vermögensanlagen und Devisen ausnehmen müssen. So verbleiben im Wesentlichen Schuldtitel, Geldmarktinstrumente und Derivate. Sie werden aber allesamt bereits von § 4 Abs. 1 Nr. 1 sowie Abs. 2 BSchuWG erfasst. Die Instrumente dürfen zur Kreditaufnahme verwendet werden, soweit sie „an den Finanzmärkten üblich“ sind. Dies sind nach der Regierungsbegründung solche, „die sich an den Finanzmärkten entwickelt haben“ und „bereits genutzt“ werden.61 Der Sinn und Zweck der ersten Voraussetzung erschließt sich nicht sogleich, da sich jedes Finanzinstrument per definitionem an den Finanzmärkten entwickelt. Zur zweiten Voraussetzung kann angezweifelt werden, ob die Etablierung und mehrfache Nutzung eine bessere Risiko- und Nutzeneinschätzung gewährleistet. Der Bund soll sich nämlich nur solcher Finanzierungsinstrumente bedienen, deren Risiko und Nutzen bereits 57 Helm in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 43. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 13. 58 Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6909, 7 f.; Helm in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 43. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 11. 59 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 13. 60 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 13; in BT-Drucks. 16/1336, 14 fehlt dieser Passus. 61 Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 13.

Lendermann 965

§ 4 BSchuWG Rz. 28 Kreditaufnahme des Bundes bekannt oder abschätzbar sind.62 Darin liegt ein gewisser Widerspruch zu der kapitalmarktrechtlichen Wertung, wonach nationale Regierungen sowie Stellen der öffentlichen Schuldenverwaltung professionelle Kunden und sogar geeignete Gegenparteien sind (§ 31a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 WpHG). Bei ihnen unterstellt § 31a Abs. 2 Satz 1 WpHG, „dass sie über ausreichende Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um ihre Anlageentscheidungen zu treffen und die damit verbundenen Risiken angemessen beurteilen zu können.“ Nimmt man die Einschränkung von § 4 Abs. 1 Nr. 5 BSchuWG beim Wort, ist der öffentlichen Hand der Einsatz speziell auf ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse zugeschnittener Finanzinstrumente zur Kreditaufnahme verwehrt. Erlaubt wären nur sog. „plain vanilla“-Produkte. Es wäre vorzuziehen, stattdessen allein auf das haushaltsrechtliche Prinzip der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie der Risikobegrenzung nach § 7 BHO zu rekurrieren. Außerdem kann der Haushaltsgesetzgeber die inhaltliche Vorgabe mit einem neuen Spezialgesetz ohnedies regelmäßig übersteuern. 28

Sofern nicht von § 4 Abs. 1 Nr. 4 BSchuWG umfasst, fallen unter die Generalklausel vor allem Wertpapierpensionsgeschäfte. Mit einem Repurchase Agreement (Repo) wird gleichzeitig der Kauf und Rückkauf von Bundeswertpapieren gleicher Art und Menge zu zuvor festgelegten Konditionen vereinbart. Wirtschaftlich betrachtet handelt es sich um einen kurzfristigen besicherten Kassenverstärkungskredit. Die Besicherung führt zu günstigeren Zinskonditionen, obgleich es kein Mehr an Sicherheit bedeuten sollte, wenn ein Kreditnehmer eigene Wertpapiere als Sicherheiten für Forderungen gegenüber sich selbst bestellt. Repos werden seit Mai 2002 eingesetzt und seit April 2008 vor allem über die elektronische Handelsplattformen GC Pooling abgewickelt. Die erste Transaktion mit umgekehrten Repos (Reverse Repos), bei denen mithin der Bund als Käufer der Wertpapiere auftritt, fand im 2. Halbjahr 2004 statt. Bilaterale Repos, bei denen die effektive Lieferung der Stücke erfolgt, wurden im September 2008 aufgenommen. Im 2. Halbjahr 2007 fand erstmals die Variante der Sell and Buy Back Repos Anwendung. Im Unterschied zum regulären Repo bleibt deren Rückkaufsvereinbarung undokumentiert und ist damit im Zweifel nicht durchsetzbar.

29

Die Finanzagentur nimmt des Weiteren das Instrument der Wertpapierleihe in Anspruch und verwendet es selbst. Der Verleiher überlässt dabei dem Entleiher ein Wertpapier für begrenzte Zeit zur Nutzung. Dieses nach deutschem Recht als Sachdarlehen (§ 607 BGB) zu qualifizierende Mittel dient der Finanzagentur zur Vermeidung von Lieferschwierigkeiten und zur Erzielung von Zusatzerträgen. Seit Juli 2007 wird die Wertpapierleihe automatisiert vorgenommen. 6. Derivative Finanzierungsinstrumente (§ 4 Abs. 2 BSchuWG)

30

In § 6 Abs. 3 BWpVerwG a.F. wurde in erster Linie den Swap-Verträgen in § 2 Abs. 6 des Haushaltsgesetzes 2001 der Weg geebnet.63 Die Möglichkeit wurde im BSchuWG angesichts laufend neuer Bedürfnisse und Entwicklungen an den Finanzmärkten genereller gefasst.64 Den besonderen Risiken derivativer Finanzierungsinstrumente wird mit einer Kompetenzvorschrift und einer materiellen Einschränkung begegnet. Erstens muss eine qualifizierte separate Ermächtigung im jeweiligen Haushaltsgesetz erteilt werden. Dem Haushaltsgesetzgeber ist die Verantwortung nicht nur über den Umfang, sondern auch über den Gegenstand der betreffenden Rechtsgeschäfte zugewiesen.65 Zweitens wird mit einer dem § 4 Abs. 1 Nr. 5 BSchuWG („übliche“) ähnlichen Formulierung auch der Einsatz derivativer Finanzinstrumente eingeschränkt, indem sie „an den Finanzmärkten eingeführt“ sein müssen. Hierzu gilt das zuvor zur Generalklausel des § 4 Abs. 1 Nr. 5 BSchuWG Gesagte (Rz. 27) in gleicher 62 63 64 65

Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 13; BT-Drucks. 16/1336, 14. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 13. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 14. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 14.

966

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 32 § 4 BSchuWG

Weise. Allerdings ist zu ergänzen, dass im Bereich der derivativen Finanzgeschäfte vorzugsweise solche von der Verwendungsmöglichkeit auszunehmen sind, die allein der Spekulation dienen, um die vor allem auf kommunaler Ebene zu beobachtenden Missstände zu vermeiden.66 Dementsprechend setzt § 2 Abs. 6 Haushaltsgesetz den sogenannten „ergänzenden Verträgen im Rahmen der Kreditfinanzierung und der Kassenverstärkungskredite“ enge Grenzen. Sie dürfen allein die Absicherung des Zins-, Zinsänderungs- und Währungsrisikos sowie die Optimierung der Zinsstruktur zum Gegenstand haben.67 Gegenstand sind demnach Kapitalmarkt-Swaps mit ersten Transaktionen im zweiten Halbjahr 2002 und vor allem EONIASwaps mit einer ersten Transaktion im ersten Halbjahr 2003. Bei EONIA-Swaps werden feste gegen variable Zinsen unterschiedlicher Laufzeit getauscht, während der variable Zinssatz an den EONIA als Referenzzins gebunden ist. Der der Zinsberechnung zugrundeliegende (fiktive) Nominalbetrag wird nicht getauscht. Er wird indes auf die Ermächtigung nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 1 Haushaltsgesetz angerechnet.68

V. Grundprinzipien Die in §§ 2–4 SchVG als zwingendes Recht enthaltenen Grundprinzipien des allgemeinen Schuldverschreibungsrechts finden sich im BSchuWG nicht explizit wieder. Vielmehr sind diese Regeln aufgrund der Bereichsausnahme des § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG auf Emissionen der deutschen öffentlichen Hand (Bund, Sondervermögen des Bundes, Länder und Gemeinden) nicht unmittelbar anwendbar. Gleiches gilt für Pfandbriefe und Anleihen anderer Emittenten, für die die öffentliche Hand haftet. Darin sehen gewichtige Stimmen in der Literatur ein Redaktionsversehen.69 Dies habe sich aufgrund der jähen Einfügung der Bereichsausnahme kurz vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zum SchVG 2009 ereignet und sei weder interessengerecht noch sachlich begründet.70 Ferner wird ein Wertungswiderspruch darin vermutet, dass die §§ 2–4 SchVG auf nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen anderer Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets Anwendung finden, weil die Vorgaben aufgrund der Regelungstechnik des § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG nicht verdrängt würden.71 Bei der Beantwortung der Frage, ob eine analoge Anwendung der Grundprinzipien in §§ 2–4 SchVG auf freigestellte Emissionen und Emittenten gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG geboten ist, muss nach den einzelnen Regelungen differenziert werden (dazu nachstehend Rz. 32–47).72

31

1. Skripturrechtliche Prinzipien Im Skripturprinzip gemäß § 2 Satz 1 SchVG wird das systemtragende Transparenzprinzip verankert.73 Es besagt, dass sich die Anleihebedingungen grundsätzlich aus der Urkunde er-

66 67 68 69

70 71 72 73

Vgl. dazu etwa BGH v. 28.4.2015 – XI ZR 378/13, WM 2015, 1273. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 14. Helm in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 43. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 13. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 59 f.; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 163–167; unter Ausnahme von § 3 SchVG ebenso Horn, BKR 2009, 446 (447); differenzierend Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 315; a.A. Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 53. Vgl. Nachw. in Fn. zuvor. Vgl. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 52, 60. Mit Blick auf eine planwidrige Regelungslücke nach Umsetzung des ESMV hingegen generell verneinend Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 53. Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 402 ff.; Horn, BKR 2009, 446 (449).

Lendermann 967

32

§ 4 BSchuWG Rz. 33 Kreditaufnahme des Bundes geben müssen. Die Vorschrift bestätigt §§ 793, 796 BGB und entspricht anderen Rechtsordnungen sowie internationaler Marktanschauung.74 Im Interesse des Verkehrsschutzes begründet allein die Urkunde den Leistungsinhalt. Sie stellt den exklusiven Vertrauenstatbestand dar. Dem Schriftformerfordernis unterfällt der gesamte Leistungsinhalt. Nur sofern die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt ist, können ausnahmsweise auch außerhalb der Urkunde niedergelegte Anleihebedingungen einbezogen werden, § 2 Satz 2 SchVG. Das betrifft den tatsächlichen Regelfall zentral verwahrter Sammelurkunden. Hierbei wird die Urkunde kaum mehr körperlich übertragen. Die Präsentationsfunktion tritt in den Hintergrund. Der Gläubiger erhält selten Kenntnis vom Inhalt der Urkunde. Sie begründet nicht viel mehr als nur ein normatives Vertrauen. Das Skripturprinzip kann daher geringere Ausprägung erfahren, während der Leistungsinhalt einer Anleihe auch durch andere öffentlich zugängliche Grundlagen bestimmt werden kann (oder sogar muss). Nach § 2 Satz 3 iVm. § 21 SchVG werden Änderungen der Anleihebedingungen erst wirksam, wenn sie in der Urkunde oder in den Anleihebedingungen vollzogen worden sind. § 2 Satz 2 SchVG kann aber nicht § 797 BGB einschränken. Der Schuldner muss selbst im Fall einer Girosammelverwahrung erst bei Vorlage der Urkunde im Original an deren Inhaber leisten.75 33

Sofern Schuldverschreibungen im Anwendungsbereich des BSchuWG als Urkunden i.S.v. § 793 Satz 1 BGB ausgestellt werden,76 muss § 2 SchVG analog gelten. Eine unterschiedliche Behandlung wäre nicht gerechtfertigt. Freilich bleiben Eintragungserfordernisse und eine ggf. nicht nur deklaratorische Wirkung der Eintragung ins Bundesschuldbuch nach den §§ 5–8 BSchuWG unberührt. Soweit es sich um Schuldbuchforderungen handelt, bildet die Eintragung ins Schuldbuch einen der Urkunde vergleichbaren Vertrauenstatbestand, vgl. § 8 BSchuWG. Sie begründet gemäß § 5 Abs. 3 Halbs. 1 BSchuWG das Leistungsversprechen und genügt kraft Fiktion des § 5 Abs. 3 Halbs. 2 BSchuWG den gesetzlichen Formvorschriften, insbesondere derjenigen des § 793 BGB,77 sofern auf Schuldbuchforderungen anwendbar (siehe dazu § 5 BSchuWG Rz. 10–12). Die Eintragung ins Schuldbuch ersetzt die Skriptur.78 Eine ausdrückliche Beschränkung des Leistungsinhalts auf die Eintragung analog § 2 Satz 1 SchVG ist aber entbehrlich. Dies folgt im Grundsatz bereits aus der Formunwirksamkeit nicht im Schuldbuch eingetragener Bedingungen. Bei Schuldbuchforderungen müssen jedoch in selber Weise wie bei Globalurkunden nicht nur die ins Schuldbuch eingetragenen, sondern auch die separat niedergelegten Emissionsbedingungen gelten, wenn sie wirksam in den Begebungsvertrag einbezogen und öffentlich bekannt gemacht (§§ 4j Satz 2, 4k BSchuWG) wurden. Auf solche Bedingungen wird etwa in § 6 Abs. 3 und 4 BSchuWG Bezug genommen. Daher rührt die Ansicht, § 6 BSchuWG enthielte Sonderregeln zu § 2 SchVG.79 Allerdings ersetzt die Schuldbucheintragung nur die Skriptur, nicht aber den Begebungsvertrag und die formwirksame Einbeziehung außerhalb des Schuldbuchs liegender Bedingungen. Es fehlt eine Regelung, die dies explizit ermöglicht. Bei der Bildung eines einheitlichen Sammelbestands aus verbrieften Anleihen und Schuldbuchforderungen nach § 6 Abs. 4 BSchuWG werden diese allerdings mit jenen gleichbehandelt. Daher ist § 2 Satz 2 SchVG analog anzuwenden. Änderungen werden gemäß § 4j Satz 1 BSchuWG nur aufgrund ihres Vollzugs wirksam. Zu dem im We-

74 Horn, ZHR 173 (2009), 12 (33); Oulds in Veranneman, § 2 SchVG Rz. 8. 75 Zum Fall von Anleihen der argentinischen Republik vgl. BGH v. 7.4.2016 – VII ZB 14/15, WM 2016, 818 ff. 76 So etwa die beiden U.S.-Dollar-Anleihen aus den Jahren 2005 und 2009, die als Globalurkunden ausgegeben wurden gemäß § 1 Abs. 2 lit. a der Emissionsbedingungen dieser Fremdwährungsanleihen; davon abgesehen fand seit 1972 keine Verbriefung mehr statt. 77 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1336, 15. 78 Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 292 m.w.N. 79 Horn, BKR 2009, 446 (447); so auch Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 318 ff.

968

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 36 § 4 BSchuWG

sentlichen inhaltsgleich ausgestalteten § 2 Satz 3 SchVG bedarf es keiner Analogie. Für den Vollzug tritt an die Stelle von § 21 SchVG die Spezialregelung des § 4j Satz 2 iVm. § 4k BSchuWG, die den Besonderheiten der Schuldbuchforderungen gerecht wird. 2. Transparenzgebot Unter der Annahme, dass Emissionsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. 34 § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB sind (siehe Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 66), gilt gemäß § 3 SchVG ein spezieller Maßstab für das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Maßgeblich sind die Verständnismöglichkeiten eines hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundigen Anlegers, nicht hingegen des nur durchschnittlich informierten Vertragspartners. Zwar würde § 3 SchVG im Anwendungsbereich des BSchuWG durchaus passen, zumal er nicht nur die professionellen Kapitalmarktakteure der Bietergruppe Bundesemissionen als Ersterwerber umfasst, sondern auch die spezifische Zielgruppe der privaten Enderwerber.80 Zu dem Zeitpunkt, als die umfassende Bereichsausnahme in § 1 Abs. 2 SchVG eingefügt worden war, betrieb der Bund noch unmittelbar selbst das Privatkundengeschäft. Es wäre also nicht abwegig, dass ein dieser Zielgruppe entsprechender Transparenzmaßstab gesetzlich gewollt war. Aber auch nach Einstellung des Privatkundengeschäfts zum Ende des Jahres 2012 ist eine analoge Anwendung des § 3 SchVG zu Lasten der Anleger wegen der besonderen Gesetzesbindung der öffentlichen Hand nicht unproblematisch. In Anbetracht von Umschuldungs- und Inflationsindexklauseln steht nicht von vornherein fest, dass Bundesanleihen ohnehin eine geringe Komplexität aufweisen, die auch einem durchschnittlich informierten Anleger verständlich ist.81 Dem Bund wäre es unbenommen, die Rechtslage zu seinen Gunsten gesetzlich zu ändern, wenn er im Fehlen einer dem § 3 SchVG vergleichbaren Norm eine Regelungslücke erblicken würde. 3. Kollektive Bindung Der Begriff der „kollektiven Bindung“ gründet auf der Überlegung, dass eine Anleihe eine Einheit bildet und diese Einheit stets zu bewahren ist. Dieses Ziel soll verwirklicht werden, indem in den Begebungsverträgen mit den Zeichnern sämtlicher von der jeweiligen Anleihe umfassten Schuldverschreibungen dieselben Bedingungen vereinbart werden. Über die Laufzeit hinweg und insbesondere auch im Rahmen von Umschuldungsmaßnahmen sollen diese Bedingungen identisch bleiben. Änderungen der Anleihebedingungen müssen daher kollektive Wirkung für alle Gläubiger entfalten. Davon ist die Frage zu unterscheiden, wie die kollektive Bindung einer Änderung der Anleihebedingungen erreicht werden kann, sprich: ob dazu die Zustimmung aller Gläubiger einer Anleihe erforderlich ist oder ob ein Mehrheitsbeschluss oder gar ein Minderheitsbeschluss (im Fall von Gestaltungsrechten) genügt.

35

§ 4 Satz 1 SchVG erhebt die kollektive Bindung per Gesetz zum Prinzip; Bestimmungen in Anleihebedingungen einer Gesamtemission können danach nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder auf Grundlage von CACs durch Mehrheitsbeschluss mit bindender Wirkung für alle betroffenen Gläubiger geändert werden (Prinzip des „Single Owner“).82 Dies bewirkt, dass „zweiseitige Vereinbarungen zwischen dem Schuldner und einzelnen Schuldverschreibungsgläubigern während der Laufzeit der Anleihe ausgeschlossen

36

80 Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 315 f. 81 So aber Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 315. 82 Dazu ausführlich Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 61 ff., 67 ff.

Lendermann 969

§ 4 BSchuWG Rz. 37 Kreditaufnahme des Bundes sind.“83 Einseitige Rechtsausübungen84 und die Rechtsverfolgung85 können in gewissen Grenzen ebenfalls kollektiviert werden. Im Interesse der „Funktionsfähigkeit des auf schnelle und anonyme Abwicklung des Massengeschäfts ausgerichteten Kapitalmarkts“ soll „die rechtlich identische Ausgestaltung von Bestimmungen in Anleihebedingungen und damit die freie Handelbarkeit der Schuldverschreibungen zu einem einheitlichen Preis“ sichergestellt werden (Fungibilität).86 In der Kollektivierung drückt sich zugleich das Gleichbehandlungsprinzip aus.87 Dies ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang von § 4 Satz 2 SchVG mit dessen Satz 1 sowie ferner von § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG mit dessen Satz 1. 37

Die Einheit der Anleihe ist nach hier vertretener Ansicht eine Idealvorstellung und Zielbestimmung, aber kein allgemeiner Rechtsgrundsatz. Ohne ausdrückliche gesetzliche oder vertragliche Anordnung ist sie nicht zwingend zu wahren. Die Regelung des § 4 Satz 1 SchVG ist für die kollektive Bindung im Anwendungsbereich des SchVG konstitutiv. Im Unterschied zu den Aktionären einer Kapitalgesellschaft bilden die Gläubiger einer Anleiheserie nicht per se eine Gesellschaft gem. §§ 705 ff. BGB oder eine Gemeinschaft gem. §§ 741 ff. BGB (§ 4 SchVG Rz. 3–13)88 Daraus ergibt sich nicht per se und unabhängig von einer speziellen Anordnung eine kollektive Bindung der einzelnen Anleiheschuldverhältnisse. Der BGH zieht die Verkehrsfähigkeit von Kapitalmarktpapieren als leitenden Grundsatz für eine einheitliche, von der Person des einzelnen Inhabers unabhängige Auslegung von Schuldverschreibungen heran.89 Dies betrifft aber die AGB-rechtlichen Auslegungsgrundsätze und stünde Individualvereinbarungen – ebenso wie nach § 305b BGB – nicht entgegen. Die Literatur sieht in der kollektiven Bindung zwar ein der Verkehrsanschauung entsprechendes, allgemein anerkanntes Prinzip der Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen.90 Die Bindung eines Vertragspartners an die Zustimmung Dritter ist der Relativität des Schuldverhältnisses jedoch fremd. Zudem ist die Fungibilität der Anleihe auch dem SchVG nicht sakrosankt. Das zeigt sich an § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SchVG. Danach ist eine ungleiche Änderung der Bedingungen einer Gesamtemission zulässig, sofern nur nicht das Benachteiligungsverbot verletzt wird. Dass die Anleihe infolgedessen möglicherweise in mehrere Tranchen aufgeteilt werden muss, erkennt der Gesetzgeber nicht als Hinderungsgrund an. Es spielt m.a.W. keine Rolle, dass die Fungibilität darunter leidet. Außerdem kann die Kündigung lediglich Einzelwirkung entfalten. Die Aufspaltung einer einheitlichen Anleihe ist infolgedessen unvermeidlich. Ebenso ist die kollektive Rechtsverfolgung durch einen gemeinsamen Vertreter (§§ 7 f. SchVG) nicht zwingend, sondern nur optional. Wird von diesen Möglichkeiten nicht Ge-

83 Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 17. 84 Vgl. zur Kündigung § 5 Abs. 5 SchVG, die allerdings in ihrem Kernbereich dem einzelnen Gläubiger ohne Einschränkung verbleiben muss, Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 3 SchVG Rz. 123; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 5 SchVG Rz. 82. 85 Vgl. zum gemeinsamen Vertreter §§ 7 f. SchVG und zur Ausschlusswirkung seiner Bestellung § 7 Abs. 2 Satz 3 SchVG, wobei auch dessen Bestellung die Inhaberschaft der Anleihe nicht zur entleerten Hülle machen darf. 86 Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 17 unter Hinweis auf BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311; BGH v. 8.12.2015 – XI ZR 488/14, AG 2016, 244 = ZIP 2016, 308; Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 2, 5 ff.; vgl. auch Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (719). 87 Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 17; Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 165; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 44. 88 Vgl. Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 19, 26; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 718 f.; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 12–22; Veranneman in Veranneman, § 6 SchVG Rz. 3. 89 BGH v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311. 90 Horn, BKR 2009, 446 (448); Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 4 SchVG Rz. 2, 5.

970

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 39 § 4 BSchuWG

brauch gemacht, kann es auch unter dem SchVG zu einer Aufspaltung einzelner Anleihen mit der Folge kommen, dass ihre Fungibilität nicht mehr einheitlich gewährleistet ist. Im Gegensatz zu der Rechtslage unter dem SchVG ist die Kollektivierung von Änderungsbeschlüssen im Anwendungsbereich des BSchuWG nicht zwingend, sondern fakultativ. Angesichts der – im SchVG nicht vorgesehenen – Aggregationsmöglichkeit nach § 4a Satz 2 BSchuWG wäre im Hinblick auf die Reichweite ohnehin offen, ob sich eine solche Kollektivierung lediglich auf die Fungibilität der einzelnen Emission oder im Interesse einer anleiheübergreifenden Gleichbehandlung stets auf alle ausstehenden Emissionen bezöge. Der gegenüber dem SchVG 1899 absichtlich geänderte Begriff der „kollektiven Bindung“ bringt zum Ausdruck, dass in der Gemeinsamkeit weniger eine Gewährung zusätzlicher Rechte als vielmehr eine „Einschränkung individueller Rechte“ liegt.91 Diese Einschränkung kann gerade im Falle eines staatlichen Emittenten wegen dessen Bindung an die Grundrechte und an das Rechtsstaatsprinzip nur durch ein Gesetz oder im Falle vertraglicher Vereinbarung zumindest auf Grundlage eines gesetzlichen Leitbildes erfolgen. An derartigen Grundlagen fehlt es dem BSchuWG aber. In § 4a BSchuWG findet sich kein Anhaltspunkt. Und § 4b Abs. 6 Satz 1 BSchuWG setzt für die Allgemeinverbindlichkeit von Mehrheitsbeschlüssen CACs voraus, die ihrerseits gemäß § 4a Satz 2 BSchuWG („können“) nur optional sind. Eine Analogie zu dem für private Emittenten gedachten § 4 Satz 1 SchVG („können […] nur“) genügt dem Gesetzesvorbehalt nicht. Überdies fehlen im BSchuWG auch Vorgaben zu einem gemeinsamen, die Einzelvertretung zwingend verdrängenden Vertreter. Daher kann man zu der Auffassung gelangen, dass der Gesetzgeber im Anwendungsbereich des BSchuWG bilateralen sowie unilateralen Handlungsmöglichkeiten im Interesse größerer Flexibilität gerade nicht den Weg versperren wollte. Eine Analogie zu § 4 Satz 1 SchVG auf Emissionen im Anwendungsbereich des BSchuWG ist somit weder zulässig noch sachgerecht.

38

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Schuldbuchrecht, soweit dies betroffen ist. Jede Emission stellt zwar eine einzige, einheitliche Schuldbuchforderung dar. Für sie wird technisch gesehen ein separates Schuldbuch eingerichtet.92 Gleichwohl ist sie ungeachtet der in § 6 Abs. 2 Satz 2 BSchuWG angeordneten Bruchteilsgemeinschaft i.S.v. § 741 ff. BGB eine teilbare Leistung.93 Nach der Regierungsbegründung zur Vorgängerbestimmung im BWpVerwG a.F. präjudiziert dies ohnehin keine anderen Konzepte.94 Es kann zwar eine kollektive Bindung durch Mehrheitsbeschluss auf Grundlage von CACs hergestellt werden. Zwingend erforderlich ist das aber nicht. Vielmehr können die Emissionsbedingungen einer Gesamtemission auch geteilt und – im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes (dazu sogleich) – gegenüber einzelnen Gläubigern mit unterschiedlichem Ergebnis geändert werden. Damit die Regelungen allgemeine Verbindlichkeit auch gegenüber Rechtsnachfolgern entfalten, müssen die skripturrechtlichen Prinzipien eingehalten werden (vgl. §§ 796, 793 BGB).95 In Bezug auf Schuldbuchforderungen bedeutet dies eine Teilung der Sammelschuldbuchforderung und Eintragung der daraus entstandenen neuen Wertrechte unter An-

39

91 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 17 (zu § 4 SchVG); ebenso Horn, BKR 2009, 446 (448); Bliesener/ Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 2; Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 10. 92 Decker in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt, Stand 10.08 – 78. ErgLfg., Rz. 8/114 und 8/112. 93 Deshalb ist die Konstruktion einer Bruchteilsgemeinschaft mit Blick auf §§ 420 ff. BGB strittig, vgl. Decker in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt, Stand 10.08 – 78. ErgLfg., Rz. 8/114. 94 Rechtstechnisch wäre nämlich auch ein Miteigentumsanteil an einem Sammelbestand zu konstruieren, zu dem zuvor die Schuldbuchteilforderungen gebündelt wurden, vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 14/7010, 15 f. 95 Oulds in Veranneman, § 4 SchVG Rz. 46.

Lendermann 971

§ 4 BSchuWG Rz. 40 Kreditaufnahme des Bundes legung zumindest eines neuen Schuldbuchs gemäß § 5 Abs. 1, 3 BSchuWG, um die Wirkung des § 6 Abs. 6 BSchuWG zu erzielen. 4. Gleichbehandlungsgrundsatz 40

Im Anwendungsbereich des SchVG ist der Emittent gemäß § 4 Satz 2 SchVG dem Gleichbehandlungsgebot verpflichtet (§ 4 SchVG Rz. 33–38). Für seine Gläubiger untereinander gilt dasselbe gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG. In der Literatur wird vertreten, dass diese Ausprägung des Gleichbehandlungsgebots nur Konsequenz, Funktion oder auch nur Reflex der kollektiven Bindung sei.96 Jenes würde demnach nur so weit wie diese reichen. Das Gleichbehandlungsgebot bezöge sich also nur auf die der kollektiven Bindung unterliegenden Vertragsinhalte einer einheitlichen Anleihe. Es wirkte insbesondere nicht anleiheübergreifend. Die Regierungsbegründung zum SchVG 200997 scheint diese Auffassung zu stützen. Dagegen spricht aber, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz in § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG für sich steht. Er bezieht sich an dieser Stelle nicht auf die Einheit der Anleihe und dient ihr nicht. Für eine Abweichung ist allein das Einverständnis der dadurch individuell benachteiligten Gläubiger erforderlich, § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 SchVG (vgl. zuvor Rz. 37). Das Interesse an dem Erfolg einer Umschuldung, die mit individuell zugeschnittenen Maßnahmen erreicht werden kann, wertet der Gesetzgeber also höher als die Wahrung einer einheitlichen Anleihe und ihrer Fungibilität als solche. Im Regelfall kann bei den Gläubigern einzelner Emissionen kaum Interesse an der Zustimmung zu einer Umschuldung geweckt werden, wenn nicht den Gläubigern aller anderen Serien derselben Insolvenzklasse ein gleiches Opfer abverlangt wird. Letzteres würde nämlich im Insolvenzverfahren gelten. Das spricht gegen eine Verengung des Gleichbehandlungsprinzips auf die Wahrung der Einheit der Anleihe, zumal nur der Einheit einer einzigen Anleihe unter mehreren austehenden. Vielmehr ist demnach der Gleichbehandlungsgrundsatz als selbständig und unbedingt zu verstehen.

41

Im BSchuWG sucht man das Wort „Gleichbehandlung“ hingegen vergebens. In den Emissionsbedingungen Bund98 und den CTR finden sich auch keine international üblichen Gleichbehandlungsklauseln („Pari Passu Clause“)99 oder Negativerklärungen („Negative Pledge Clause“). Allenfalls ebnet § 4b Abs. 6 BSchuWG den Unterschied zwischen zustimmenden und ablehnenden Gläubigern derselben Emission bzw. mehrerer Emissionen ein, indem Mehrheitsbeschlüsse für alle Gläubiger „gleichermaßen verbindlich“ sein sollen. Jedoch ist eine Analogie zu § 4 Satz 2 SchVG entbehrlich und ginge im Übrigen nicht weit genug. Die deutsche öffentliche Hand ist nach Art. 1 Abs. 3 GG an Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG und an das allgemeine Willkürverbot gebunden. Das gilt gleichermaßen in Fällen, in denen sie sich für die Mittelaufnahme zivilrechtlicher Handlungsformen bedient („keine Flucht ins Privatrecht“).100 Andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sind nach ihren eigenen Verfassungen bzw. nach der EU-Grundrechte-Charta an einen im Wesentlichen gleichen Gleichbehandlungsgrundsatz und an ein vergleichbares Willkürverbot gebunden. Diesen Bindungen kann sich der Emittent nicht durch Wahl fremden Rechts entziehen. Die

96 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 4 SchVG Rz. 3 und 26. 97 Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 17. 98 Bundesministerium der Finanzen, Emissionsbedingungen für Bundesanleihen u.a. vom 21.12.2012 in der Fassung der Bekanntmachung vom 8.8.2012 (BAnz AT 14.8.2012 B1). 99 Vgl. etwa die Musterklausel der International Capital Market Association (ICMA), Standard Aggregated Collective Action Clauses („CACs“) for the Terms and Conditions of Sovereign Notes, August 2014; und ICMA, Standard Pari Passu Provision for the Terms and Conditions of Sovereign Notes, August 2014. 100 BGH v. 6.11.2009 – V ZR 63/09, NVwZ 2010, 531 (533 ff.); BGH v. 2.12.2003 – XI ZR 397/02, NJW 2004, 1031 ff.

972

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 44 § 4 BSchuWG

flankierende Geltung des § 4 Satz 2 SchVG für ihre unter deutschem Recht begebenen Emissionen wäre daher nicht erforderlich. Es stellt sich die Frage, warum gerade die Bindung des Schuldners selbst an das Gleichbe- 42 handlungsgebot von Belang ist. Bei einer Änderung der Anleihebedingungen gemäß § 4 Satz 1 SchVG scheint es doch offensichtlich um einen autonomen Beschluss der Gläubiger zu gehen, selbst wenn die Initiative dazu regelmäßig vom – dadurch entlasteten – Schuldner ausgehen wird. Einer unmittelbaren Bindung der Gläubiger untereinander an das Gleichbehandlungsprinzip, wie sie § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG herstellt, bedarf es für Bundesemissionen gleichwohl nicht. Es braucht auch nicht entschieden zu werden, ob die Regelung bei Wahl deutschen Rechts durch Emittenten des Euro-Währungsraums von der Geltung der „besonderen Vorschriften der §§ 4a bis 4i und 4k“ gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG verdrängt wird. Der rechtliche Transmissionsmechanismus für das Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot ist nämlich das vertragsrechtliche Zustimmungserfordernis gemäß § 4b Abs. 7 BSchuWG: Der staatliche Schuldner ist bei seiner Zustimmung zu den Umschuldungsbeschlüssen der Gläubiger an das Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot gebunden. Das Gleichbehandlungsgebot und das Willkürverbot gelten für die privaten Gläubiger folglich stets im Wege einer mittelbaren Drittwirkung. Diese Drittwirkung ist enger als diejenige, welche über das an die Verfassung gebundene Gericht (Art. 1 Abs. 3 GG) im Falle seiner Anrufung nach § 4i BSchuWG vermittelt wird. Es steht nicht lediglich eine über die Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln zu verwirklichende Ausstrahlungswirkung des Gleichheitssatzes im Raum, um der objektiven Wertordnung der Verfassung Geltung zu verschaffen. Vielmehr ist es dem Schuldner aufgrund seiner unmittelbaren Bindung an die Grundrechte verboten, einer ungerechtfertigten Benachteiligung der Gläubiger untereinander – und damit am Ende durch ihn selbst – zuzustimmen. Das gilt freilich nur, soweit er Einfluss auf die Änderung der Emissionsbedingungen nehmen kann. Durch unilaterale Vorgänge wie Kündigung und Rechtsverfolgung einzelner Gläubiger kann es hingegen durchaus zu einer Ergebnisungleichheit kommen. Davon hält das Gleichbehandlungsgebot die betreffenden Gläubiger nicht ab. Insofern gilt es hier auch nicht mittelbar. Die verfassungs- und europarechtlichen Gleichbehandlungspflichten sind gegenüber § 4 Satz 2 SchVG umfassender und schutzintensiver. Sie beanspruchen in allen Phasen der Anleihehistorie Geltung, mithin bei der Begebung, bei der Änderung sowie schließlich bei der Erfüllung der Anleihe. Hierbei lassen sich jeweils Verfahrensgerechtigkeit und materielle Gleichbehandlung unterscheiden.

43

Bei Ersterwerb der Schuldverschreibungen müssen Preisbildung und Zuteilung im Wege eines 44 fairen und transparenten Verfahrens erfolgen, zu dem ein diskriminierungsfreier Zugang besteht. Dies ergibt sich aus den im Folgenden beschriebenen Verfahren bei der Begebung von Schuldverschreibungen des Bundes. Das Angebot beschränkt sich zwar unmittelbar auf die „Bietergruppe Bundesemissionen“ (Rz. 48 f.). Dies ist im Interesse einer effizienten und kostengünstigen Emission jedoch gerechtfertigt, soweit für alle übrigen Interessenten die Erwerbsmöglichkeit über den Sekundärmarkt gewährleistet ist. So werden die hochliquiden Papiere regelmäßig zum Handel an regulierten Börsen zugelassen. Eine faire Strukturierung der Emission schließt es grundsätzlich nicht aus, für verschiedene Emissionen entsprechend der Marktlage unterschiedliche Emissionsbedingungen (Laufzeit, Zinsart und -höhe u.a.) vorzusehen. Mit Zeichnung erklären die Anleger damit ihr Einverständnis. Dies ist wirksam, sofern ein rechtsstaatliches Verfahren eingehalten wird. Gleichwohl sollte der Bund ungeachtet der Verpflichtung aus dem ESMV so weit wie möglich dafür Sorge tragen, einheitlich in allen von ihm emittierten Anleihen – mehr noch in allen „finanziellen“ Verbindlichkeiten – die vertraglichen Grundlagen in Form von CACs dafür zu schaffen, dass eine gleichmäßige und vollständige Teilnahme aller Gläubiger an einer Umschuldung möglich ist (dazu § 4a BSchuWG Rz. 3–8).

Lendermann 973

§ 4 BSchuWG Rz. 45 Kreditaufnahme des Bundes 45

Außerdem stellt sich die Frage, ob der Emittent insbesondere in Krisensituationen dazu übergehen darf, unterschiedliche Hierarchiestufen zu bilden, indem er Sanierungsinvestoren wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und dem ESM einen Vorrang vor den übrigen Gläubigern einräumt (dazu Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 56) oder ihnen für die Finanzierung Sicherheiten oder andere Sondervorteile anbietet. In Abwesenheit einer geregelten Vermögensliquidiation und -verteilung aufgrund eines Insolvenzverfahrens könnten ein solcher Vorrang und derartige Sondervorteile ihre Wirkungen vor allem bei Umschuldungsmaßnahmen infolge (drohender) Zahlungsunfähigkeit entfalten. Eine Ungleichbehandlung kann sich aus der Sanierungsfunktion und aus dem Gedanken rechtfertigen, dass die übrigen Gläubiger nicht von Hilfen des IWF und des ESM profitieren sollen. Rechtstechnisch erfordert eine Drittwirkung dieser Abweichung aber eine EU-Verordnung oder eine explizite Verpflichtungserklärung (covenants) in den Anleihebedingungen der nicht privilegierten Emissionen. Dies bedarf eines gesetzlichen Leitbildes, wobei sich die Frage der Rückwirkung auf bestehende Emissionen stellt.101 Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Findung eines gerechten Preises im Emissionsverfahren ist es geboten, vorher eine explizite gesetzliche Grundlage zu schaffen.

46

Kommt es zu einem Umschuldungsbedarf, erfordert der Gleichbehandlungsgrundsatz eine Respektierung der Gläubigerhierarchie (sofern gebildet) sowie eine umfassende Gleichbehandlung aller Gläubiger innerhalb derselben Hierarchiestufe. Verfahrensmäßige Ungleichbehandlungen sowie Unterschiede in den Haftungsbeiträgen einzelner Gläubiger müssen entweder durch individuelle Zustimmung der Betroffenen analog § 5 Abs. 2 Satz 2 SchVG oder durch überwiegende Gemeinwohlinteressen zu rechtfertigen sein (dazu ausf. § 4b BSchuWG Rz. 40–42).

47

Bei der Erfüllung der Schuldverschreibungen hat der Emittent ebenfalls eine formelle Gleichbehandlung zu wahren. Im Juni 2014 hat ein Urteil des U.S. Supreme Court für Aufsehen gesorgt, in dem es dem Staat Argentinien verboten hat, auf umgeschuldete Anleihen Zahlungen zu leisten, soweit er nicht zugleich vollständig „hold-out“-Gläubiger, die sich der Umschuldung widersetzten, mit den von ihnen gehaltenen Anleihen befriedigt.102 Auf Veranlassung des IWF103 hat die ICMA daraufhin eine modifizierte Klausel vorgelegt,104 mit deren Hilfe einzelne Gläubiger nicht mehr unter Berufung auf die weitverbreitete Pari-Passu-Klausel Druckpotenzial aufbauen können, indem sie Zahlungen an die restrukturierten Anleihen zu blockieren drohen. Die Einführung einer solchen Klausel propagiert auch die Deutsche Bundesbank,105 während diese Fragen auf europäischer und nationaler Ebene bislang weder aufgeworfen noch in den einschlägigen Rahmenwerken (CTR, UmschKl) geregelt wurden. Sobald CACs flächendeckend eingeführt sind, wird das Obstruktionspotential dissentierender Gläubiger, die sich das Gleichbehandlungsrecht bei der Erfüllung zunutze machen, entfallen. Sie nehmen dann an den Umschuldungen teil.

101 Sester, WM 2011, 1057 (1063); Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (696 f.). 102 U.S. Supreme Court, June 16, 2014, NML Capital, Ltd. v. Republic of Argentina, 699 F.3d 246 (2d Cir. 2012) and NML Capital, Ltd. v. Republic of Argentina, 727 F.3d 230 (2d Cir. 2013); zum Verfahrensgang IWF, Strengthening the Contractual Framework to Address Collective Action Problems in Sovereign Debt Restructuring, IWF Policy Paper, 2.9.2014, S. 8 f. (Box 1). 103 IWF, Strengthening the Contractual Framework to Address Collective Action Problems in Sovereign Debt Restructuring, IWF Policy Paper, 2.9.2014, S. 7 ff. 104 International Capital Market Association (ICMA), Standard Aggregated Collective Action Clauses („CACs“) for the Terms and Conditions of Sovereign Notes, August 2014; und ICMA, Standard Pari Passu Provision for the Terms and Conditions of Sovereign Notes, August 2014. 105 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2015, S. 29 f. mit Fußnote 35.

974

Lendermann

Kreditaufnahme des Bundes

Rz. 49 § 4 BSchuWG

VI. Emissionsgestaltung und -durchführung Angesichts der Strukturveränderungen am deutschen Kapitalmarkt im Vorfeld der Europäi- 48 schen Währungsunion kam es zu einigen Innovationen am deutschen Rentenmarkt.106 Bis Ende 1997 wurden Bundesanleihen über das Bundesanleihenkonsortium, ein Konsortium in Deutschland ansässiger Banken unter Führung der Deutschen Bundesbank, am Kapitalmarkt platziert. Die Teilnehmer verpflichteten sich zur Übernahme eines ihrer Konsortialquote entsprechenden Teilbetrages auf eigene Rechnung. Anfang 1998 hat der Bund das Bundesanleihekonsortium abgeschafft. Seither bietet er die am Kapitalmarkt zu begebenen börsennotierten Wertpapiere nahezu ausschließlich im einheitlichen Auktionsverfahren (Tender) unmittelbar der „Bietergruppe Bundesemissionen“ an,107 mit Ausnahme des freihändigen Verkaufs von Marktpflege- und Kurspflegebeträgen.108 Die Finanzagentur führt das Verfahren in unregelmäßigen Abständen als Einmalemission für Rechnung des Bundes über die Deutsche Bundesbank (§ 20 Satz 1 BBankG) durch (Vor §§ 1–3 BSchuWG Rz. 12). Grundlage sind die von der Deutschen Bundesbank erlassenen „Verfahrensregeln für Tender bei der Begebung von Bundesanleihen, Bundesobligationen, Bundesschatzanweisungen und Unverzinslichen Schatzanweisungen des Bundes“. Darin werden die Ausschreibung, der Teilnehmerkreis, die Gebotsabgabe und die Zuteilung sowie die Abrechnung im Nachtverarbeitungsprozess der Clearstream Banking AG Frankfurt festgelegt. Die „Besonderen Bedingungen für Tenderverfahren der Deutschen Bundesbank für Auktionen von Bundeswertpapieren über das Bund Bietungs-System (BBS)“ sind Bestandteil der Verfahrensregeln. Dies gilt, obgleich für die Haushaltsfinanzierung des Bundes, der Länder und der Kommunen keine europaweite Ausschreibungspflicht nach § 97 GWB besteht, weil sie dem Ausnahmetatbestand für „Finanzinstrumente“ i.S.v. § 100 Abs. 2 lit. m) GWB unterfällt.109 Dies gilt auch für die Platzierung durch Dritte (Bundesbank, Finanzagentur und Banken aus der Bietergruppe Bundesemissionen). Die Platzierung steht „im Zusammenhang“ mit der Emission der Finanzinstrumente, dies unabhängig davon, ob sie für eigene Rechnung oder für Rechnung des Emittenten erfolgt. Im Übrigen greift eine analoge Anwendung der Zentralbankenausnahme nach § 100 Abs. 2 lit. m) GWB.110 Die Mitglieder der Bietergruppe Bundesemissionen werden von der Finanzagentur festgelegt. Wesentliches Auswahlkriterium ist die ausreichende Platzierungskraft und die Erzielung marktgerechter Konditionen. Teilnehmen konnten in Fortsetzung der Kriterien des vormaligen Bundesanleihekonsortiums zunächst nur gebietsansässige Kreditinstitute, Wertpapierhandelsunternehmen und Wertpapierhandelsbanken. Zur Vereinbarkeit mit Art. 56 AEUV, § 97 Abs. 2 GWB111 wurden den Unternehmen mit Sitz im Inland später solche mit Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten mit EU-Passport, inländische Niederlassungen ausländischer Unternehmen, soweit sie die Erlaubnis zum Betreiben des Emissionsgeschäfts besitzen, sowie innergemeinschaftliche Zweigstellen von nicht-gemeinschaftlichen Kreditinstituten oder Wertpapierfirmen gleichgestellt. Eine unmittelbare Privatbeteiligung ist jedoch nicht möglich. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist, dass die Belieferung über ein Depotkonto bei der Clearstream Banking AG Frankfurt mit Geldverrechnung über TARGET2 erfolgen 106 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 1998, S. 55. 107 Dazu ausf. Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 42; Rehm/Tholen, Management der öffentlichen Schuld, 2005, S. 66 ff.; Helm in Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 1. Aufl., 43. ErgLfg., § 18 BHO Rz. 13. 108 Das können nicht unerhebliche Beträge sein, z.B. typischerweise 20 Prozent in der Finanzkrise, siehe Bundesministerium der Finanzen, Der Primärmarkt für Bundeswertpapiere während der globalen Finanzmarktkrise, Monatsbericht vom 22.9.2009, Ziffer 3.1; zur Marktpflege durch die Finanzagentur siehe auch § 1 BSchuWG Rz. 6 f. 109 Dreher/Opitz, WM 2002 413 (425). 110 Dreher/Opitz, WM 2002 413 (425). 111 Vgl. Dreher/Opitz, WM 2002 413 (422).

Lendermann 975

49

§ 4 BSchuWG Rz. 50 Kreditaufnahme des Bundes kann. Die Mitglieder der Bietergruppe müssen mindestens 0,05 Prozent (ungerundet) der in einem Kalenderjahr in den Tendern insgesamt zugeteilten und laufzeitabhängig gewichteten Emissionsbeträge übernehmen. Erreichen einzelne Mitglieder diese Platzierungskraft nicht, scheiden sie zum Jahresende aus der Bietergruppe aus; eine spätere Wiederaufnahme ist möglich. Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht halbjährlich eine Bieterrangliste, die sich nach den übernommenen gewichteten Zuteilungsbeträgen richtet. Nach den zuvor zitierten Verfahrensregeln steht die Bietergruppe grundsätzlich jedem Unternehmen offen, das die genannten Voraussetzungen erfüllt. Es besteht aber kein einklagbarer Rechtsanspruch auf Aufnahme. Für die Auswahl des Emissionskonsortiums besteht keine europaweite Ausschreibungspflicht nach § 97 GWB, weil sie ebenso wie die Emission selbst „im Zusammenhang“ mit dem Ausnahmetatbestand für „Finanzinstrumente“ i.S.v. § 100 Abs. 2 lit. m) steht (vgl. zuvor Rz. 48). Auch aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz ergibt sich keine Einschränkung der Wahlfreiheit. Andernfalls würde man dem Interesse des staatlichen Emittenten an einer zweckmäßigen Platzierung nicht gerecht. Jedoch spielt dies in der Praxis kaum eine Rolle: Da weder die Definition des Teilnehmerkreises noch die Aufnahme- beziehungsweise Verbleibekriterien eine echte Zugangsschranke darstellen, besteht für Unternehmen des Kredit- und Wertpapiergewerbes praktisch ein unbeschränkter Zugang zu den Auktionen in Bundeswertpapieren.112 Den Mitgliedern der Bietergruppe kann in unsicheren Zeiten gegen eine – zumindest teilweise an die Endabnehmer weiterzureichende oder im Falle nur temporärer Stützungskäufe zurückzugebende – Bonifikation das Übernahme- und Absatzrisiko übertragen werden.113 50

Die Finanzagentur veröffentlicht in Absprache mit dem Bundesministerium für Finanzen die jeweiligen Emissionstermine im Dezember in einer Jahresvorschau für das Folgejahr und quartalsweise im Emissionskalender. Bundesanleihen werden in unregelmäßigen Abständen mehrmals im Jahr aufgelegt und nach Bedarf aufgestockt. Maßgeblich für die Konditionen der einzelnen Emissionen ist die jeweilige Ausschreibung. Dies ist rechtlich gesehen ein Aufruf zur Abgabe von Kaufangeboten (invitatio ad offerendum). Ähnlich einer Versteigerung werden beim Tenderverfahren Gebote für das zu emittierende Wertpapier abgegeben, die Angebote im rechtlichen Sinne darstellen. Man unterscheidet einen Zinstender, bei dem Gebote über Preis und Menge abgegeben werden, und einen Mengentender, bei dem sich die Gebote nur auf die Menge beziehen, der Verkaufspreis hingegen vorher festgelegt wird. Beim Zinstender kann die Zuteilung zu einem Einheitspreis (single-price-auction/holländisches Verfahren) oder zu den jeweils gebotenen Preisen erfolgen (multiprice-auction/amerikanisches Verfahren). Bundeswertpapiere werden in Form einer multi-price-auction begeben. Dabei sind auch unlimitierte Gebote zulässig. Nach Gebotsende legt der Emittent den niedrigsten akzeptierten Kurs fest. Gebote über diesem Kurs werden voll zugeteilt, unlimitierte Gebote und Gebote zum niedrigsten akzeptierten Kurs können auch nur in Teilbeträgen zugeteilt werden (Repartierung). Über die Zuteilung von Emissionsquoten entscheidet die Finanzagentur gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank nach Billigung durch das Bundesministerium für Finanzen. Die obligatorische Einigung erfolgt mit Zuschlag, der dingliche Übertragungsakt erst mit Gutschrift der Anleihe zugunsten des Ersteigerers.

51

Die U.S.-Dollar-Bundesanleihen sowie die erste inflationsindexierte Bundesanleihe sind abweichend davon über ein Bankensyndikat begeben worden, um sich dessen Zugang zu der ausländischen Investorenbasis und dessen Expertise bei der Strukturierung und Vermarktung neuartiger Kapitalmarktprodukte zunutze zu machen. Mit Einstellung des Privatkundengeschäfts zum Ende des Jahres 2012 entfielen die Daueremissionen, die für den Direktvertrieb von Bundesschatzbriefen und Finanzierungsschätzen an Privatanleger zum festen Kurs üblich waren. 112 Bundesministerium der Finanzen, Der Primärmarkt für Bundeswertpapiere während der globalen Finanzmarktkrise, Monatsbericht vom 22.9.2009, Ziffer 3.1. 113 Ekkenga in Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 7 Rz. 44.

976

Lendermann

Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Vor §§ 4a–4k I. Problematik von Finanzkrisen souveräner Staaten. . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staateninsolvenz aus wirtschaftlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Rahmen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten von Staatenkrisen im Euroraum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gläubigerarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Investitionsziele. . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Herkömmliche reaktive Maßnahmen 1. Einseitige Umschuldungen im Wege der Subordination. . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konsensuale Lösungen . . . . . . . . . . . . . III. Gesteigerte Kollektivhandlungsund -repräsentationsprobleme . . . . . . IV. Zielsetzungen von Maßnahmen in einer Staatsinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . V. Lösungsoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Insolvenzordnung – SDRM und ECRM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 9 11 13 19 24 25 26 29 35 37

2. Umschuldungsklauseln – Rey- und Quarles-Bericht der G-10 . . . . . . . . . . . VI. Umschuldungsklauseln aufgrund des Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus. . . . . . . . . . . . 1. Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus. . . . . . . . . . . . . 2. Musterklauseln des Unterausschusses des Europäischen Wirtschafts- und Finanzausschusses für EU-Staatsschuldenmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die §§ 4a–4k des Bundesschuldenwesengesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Umschuldungsklauseln in den Emissionsbedingungen des Bundes . . . VII. Finanzierungskosten, Preisbildung und Halter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Staatsanleihenankauf der EZB und Haftung der Anleihegläubiger. . . . . . .

42

47 52

63 67 72 74 77

38

Schrifttum: Arbeitskreis Reform des Schuldverschreibungsrechts, Reform des Schuldverschreibungsrechts, ZIP 2014, 845; Arrow, Essays in the Theory of Risk-Bearing, 1970; Baums/Schmidtbleicher, Neues Schuldverschreibungsrecht und Altanleihen, ZIP 2012, 204; Bitter, Sanierung in der Insolvenz – Der Beitrag von Treue- und Aufopferungspflichten zum Sanierungserfolg, ZGR 2010, 147; Bradley/Gulati, Collective Action Clauses for the Eurozone, Review of Finance (2013) pp. 1; Bredow/Vogel, Restrukturierung von Anleihen – der aktuelle Regierungsentwurf eines neuen Schuldverschreibungsrechts, ZBB 2009, 153; Burn, Bond issues under U.K. law: how the proposed German legislation compares, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 219; Choi/Gulati/Posner, The Evolution of Contractual Terms in Sovereign Bonds, Journal of Legal Analysis 4 (1), 131, March 4, 2013; Cour-Thimann/Winkler, The ECB’s non-Standard Monetary Policy Measures; The role of institutional factors and financial Structure, ECB Working Paper No 1528, April 2013; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz: Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, 1999; Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht – Eine rechtsvergleichende und interdisziplinäre Abhandlung zu Reichweite und Grenzen vertragsschlußbezogener Aufklärungspflichten, 2001; Florstedt, Anleihekündigung in Insolvenznähe, ZIP 2016, 647; Fuest/Heinemann/ Schröder, A viable insolvency procedure for sovereigns in the euro area, Journal of common market studies, Ausgabe 2/2016, 301; Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/von Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution: a proposal, 2010; Haldane/Penalver/Saporta/Shin, Analytics of sovereign debt restructuring, Bank of England Working Paper no. 203, 2003; Harris/Raviv, Optimal Incentive Contracts with Imperfect Information, Journal of Economic Theory, Vol. 20 (1979), 231; Herdegen, Der Staatsbankrott: Probleme eines Insolvenzverfahrens und der Umschuldung bei Staatsanleihen, WM 2011, 913; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2014; Hofmann, Sovereign-Debt Restructuring in Europe Under the New Model Collective Action Clauses, Texas Law Journal 2014 (49. Jahrg.), 383; Hofmann/Keller, Collective Action Clauses, ZHR 175 (2011), 684; Hopt, Änderungen von Anleihebedingungen – Schuldverschreibungsgesetz, § 796 und AGBG, in FS Steindorff, 1990, S. 341; Hopt/Mülbert, Die Darlehenskündigung nach § 609a BGB, WM 1990, Sonderbeilage 3, 3 ff.; Horn, Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12; Horn, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446; Kämmerer, Der Staatsbankrott aus völkerrechtlicher Sicht, ZaöRV 2005, 651; Keller, Umschuldung von Staatsanleihen unter Berücksichtigung der Problematik ei-

Lendermann 977

Vor §§ 4a–4k BSchuWG ner Aggregation aller Anleihegläubiger, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 157; Keller/Kößler, Die Bedeutung des Schuldverschreibungsgesetzes für deutsche Staatsanleihen im Lichte der jüngsten Entwicklungen, in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 73; Kenadjian, The Aggregation Clause in Euro Area Government Securities: Game Changer or Flavor of the Month? – Background and the Greek Experience, in Bauer/Cahn/Kenadjian, Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, 2013, S. 113; P. Kirchhof, Der deutsche Staat im Prozeß der europäischen Integration, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band X: Deutschland in der Staatengemeinschaft, 3. Aufl. 2012, § 214; Kluth, Die Notwendigkeit der Schaffung eines Insolvenzrechts für Staaten – ein Vorschlag auf der Ebene der Mitgliedstaaten der EU, NZI 2015, 844; Kirsch, Neue Politische Ökonomie, 5. Aufl. 2004; Kopf, Sovereign Debt Restructuring: Lessons from History, in Bauer/ Cahn/Kenadjian, Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, Berlin, 2013, S. 149; Krueger, A new approach to sovereign debt restructuring, 2002; Krugman, Market-Based Debt-Reduction Schemes, NBER Working Paper No. 2587 Issued in May 1988; Lendermann, Darlehensveräußerungen durch Banken: ein Beitrag zum Schuldner-, Daten- und Funktionsschutz, 2012; Liebenow, Das Schuldverschreibungsgesetz als Anleiheorganisationsrecht und Gesellschaftsrecht, 2015; Pünder, Staatsverschuldung, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V: Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Aufl. 2007, § 123; Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, 2015; Nodoushani, Die Restrukturierung von Staatsanleihen im Euroraum, WM 2012, 1798; Paulus, Ein Regelungssystem zur Schaffung eines internationalen Insolvenzrechts für Staaten, ZG 2010, 313; Paulus, Lehren aus den vergangenen Krisen und neue Ansätze zur Staatenresolvenz, in Giegerich/Heinz, Internationales Wirtschafts- und Finanzrecht in der Krise, 2011, S. 135; Paulus, Prolegomena für die Schaffung eines Resolvenzrechts für Staaten, in Kadelbach, Nach der Finanzkrise. Rechtliche Rahmenbedingungen einer neuen Ordnung, 2012, S. 105; Paulus, Should Politics be Replaced by a Legal Proceeding?, in Paulus, A Debt Restructuring Mechanism for Souvereigns, Do we need a legal procedure?, 2014, S. 191; Paulus/van den Busch, Von Ausharrenden und Geiern, WM 2014, 2025; Philipp, Pacta non sunt servanda, NVwZ-Extra 2013, 1 = NVwZ 2013, 911 (Thesen); Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 2016; Reinhart/Rogoff, This Time Is Different: A Panoramic View of Eight Centuries of Financial Crises, 2009; Reinhart/Trebesch, Sovereign Debt Relief and its Aftermath, Journal of the European Economic Association, Vol. 14 (2016), S. 215, doi:10.1111/jeea.12166; Ricardo, Pamphlets and Papers 1815–1823, in Sraffa, The Works and Correspondence of David Ricardo, Bd. IV, 1951; Rocholl/Stahmer, Where did the Greek bailout money go?, European School of Management and Technology (ESMT), White Paper No. WP–16–02, 2016; Sabel, An Introduction to the Euro Area’s Model Collective Action Clause, in Bauer/Cahn/Kenadjian, Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, 2013, S. 29; Sáinz de Vicuña y Barroso, Identical Collective Action Clauses for different Legal Systems: A European Model, in Bauer/Cahn/Kenadjian, Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, 2013, S. 15; Sandrock, Ersatzansprüche geschädigter deutscher Inhaber von griechischen Staatsanleihen, RIW 2012, 429; Sandrock, Drei Ergänzungen zu möglichen Ersatzansprüchen geschädigter deutscher privater Inhaber von griechischen Staatsanleihen, RIW 2013, 12; Sandrock, Nationaler und internationaler Schutz von privaten Inhabern von Staatsanleihen gegenüber Schuldenschnitten, WM 2013, 393; Schmidtbleicher, Die Anleihegläubigermehrheit, 2010; Schneider, Die Änderung der Anleihebedingungen durch Beschluß der Gläubiger, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 69; Schneider, Ist das SchVG noch zu retten?, in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 1; Schuknecht, The German Perspective: The Structure of the European Stability Mechanism, in Paulus, A Debt Restructuring Mechanism for Sovereigns – Do we need a legal procedure?, 2014, S. 185; Seibt, Praxisfragen der außerinsolvenzlichen Anleihenrestrukturierung nach dem SchVG, ZIP 2016, 997; Seibt/Schwarz, Anleihekündigung in Sanierungssituationen, ZIP 2015, 401; Seitz, Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses) in Staatsanleihen des europäischen Währungsraumes, 2014; Sester, Beteiligung von privaten Investoren an der Umschuldung von Staatsanleihen im Rahmen des European Stability Mechanism (ESM), WM 2011, 1057; Simon, Das neue Schuldverschreibungsgesetz und Treuepflichten im Anleiherecht als Bausteine eines außergerichtlichen Sanierungsverfahrens, 2012; Stober, Neuregelung des Rechts der öffentlichen Unternehmen?, NJW 2002, 2357; Sturzenegger/Zettelmeyer, Debt Defaults and Lessons from a Decade of Crises, 2007; Szodruch, Staateninsolvenz und private Gläubiger, Rechtsprobleme des Private Sector Involvement bei staatlichen Finanzkrisen im 21. Jahrhundert, 2008; Thole, Klagen geschädigter Privatanleger gegen Griechenland vor deutschen Gerichten?, WM 2012, 1793; Vogel, Die Stellung des Anleihetreuhänders nach deutschem Recht, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 94; Vogel, Der Rechtsschutz des Schuldverschreibungsgläubigers, in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, 2013, S. 39; von Lewinski, Öffentlichrechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, 2011; von Lewinski, Nationale und internationale Staatsverschuldung, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des

978

Lendermann

Rz. 1 Vor §§ 4a–4k BSchuWG Staatsrechts, Band X: Deutschland in der Staatengemeinschaft, 3. Aufl. 2012, § 217; von Randow, Die Inhaltskontrolle von Emissionsbedingungen: Abschied vom AGB-Recht, in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004, S. 25; von Wangenheim, Die Evolution von Recht, Ursachen und Wirkungen häufigkeitsabhängigen Verhaltens in der Rechtsfortbildung, 1995; Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band V: Rechtsquellen, Organisation, Finanzen, 3. Aufl. 2007, § 116; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, 2013; Zettelmeyer/Trebesch/Gulati, The Greek Debt Restructuring: An Autopsy, Peterson Institute for International Economics Working Paper, No. 2013-13-8.

I. Problematik von Finanzkrisen souveräner Staaten Die §§ 4a–4k BSchuWG bilden den rechtlichen Bezugsrahmen für eine nachträgliche Än- 1 derung der Emissionsbedingungen von Schuldverschreibungen, die der Bund oder andere Mitgliedstaaten des Euro-Währungsraums begeben haben. Sie enthalten damit ein erst im Jahr 20121 eingeführtes Spezialregime zu den erheblich älteren, aber im Jahre 2009 grundlegend reformierten Umschuldungsregeln des SchVG (vgl. § 1 Abs. 2 SchVG und § 4a Satz 3 BSchuWG). Die gesetzliche Grundlage ist für die Fälle konzipiert, in denen der Souverän seine Schulden nicht zahlen kann. Dies hat angesichts der immensen staatlichen Emissionsvolumen und der zentralen Bedeutung des Staates für die gesamte Volkswirtschaft weitreichende Auswirkungen. In Zeiten ausufernder Verschuldung muss man sich gelegentlich vergegenwärtigen, dass auch Staatskredite irgendwann entweder durch Rückzahlung getilgt oder durch Neugeldaufnahme refinanziert werden müssen, und wenn dies nicht möglich ist, nur ein Schuldenschnitt bleibt. Zugleich ist das zuletzt genannte Szenario angesichts der theoretisch „unermesslichen finanziellen Ressourcen“2 eines jeden Staates kaum vorstellbar. Gleichwohl führt die Geschichte die ökonomische Realität eines Staatsbankrotts anhand vielzähliger Beispiele vor Augen.3 Unter der Prämisse der Staatenkontinuität ist er aber meist nur vorübergehender Natur.4 Und die Erholung fällt aus historischer Perspektive für die Staatsinsolvenzen des letzten Jahrhunderts überraschend positiv aus.5 Dass „das Gedächtnis der Anleihegläubiger eher kurz [ist]“,6 beweist beispielhaft die erfolgreiche Rückkehr Argentiniens an die Kapitalmärkte mit durchaus erfolgreichen Platzierungen im Jahr 2016, mithin weniger als 15 Jahre nach der Zahlungseinstellung Ende 2001. Zudem setzt die Staatssouveränität dem Zugriff der Gläubiger auf die finanziellen Ressourcen des Staates Grenzen. Die Staaten und insbesondere auch Deutschland verspürten trotz internationaler Vorstöße bis vor kurzem kaum ein Interesse, die Möglichkeit einer Insolvenz mittels eigener Gesetzgebung implizit anzuerkennen und sich womöglich auf eine Stufe mit privaten Emittenten zu stellen, deren Marktaustritt infolge eines finanziellen Scheiterns Teil einer liberalen Wirtschaftsordnung ist.

1 Art. 1 des Gesetzes v. 13.9.2012 (BGBl. I 2012, 1914). 2 So die EU Kommission, ABl. EG 1993, Nr. C 349, S. 2 (3). 3 Überblick über die Historie der Staateninsolvenzen bei Reinhart/Rogoff, This Time Is Different: A Panoramic View of Eight Centuries of Financial Crises, Tabelle 91; zu den Staatsinsolvenzen der 90er Jahre Sturzenegger/Zettelmeyer, Debt Defaults and Lessons from a Decade of Crises; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 26 Rz. 15 ff.; grundlegend Waldhoff in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rz. 32 ff. 4 Herdegen, WM 2011, 913 (913). 5 Reinhart/Trebesch, Sovereign Debt Relief and its Aftermath, Journal of the European Economic Association, Vol. 14 (2016) 215–251; doi:10.1111/jeea.12166. 6 So von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 60 a.E.

Lendermann 979

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 2 1. Staateninsolvenz aus wirtschaftlicher Sicht 2

Eine Insolvenz liegt allgemein bei Zahlungsunfähigkeit oder bei Überschuldung vor. Diese beiden Tatbestände haben etwa ihren Niederschlag in den §§ 17 ff. InsO gefunden. Der Gesetzgeber hat freilich Bund und Länder von einem Insolvenzverfahren ausgenommen, § 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Zahlungsunfähigkeit tritt ein, wenn fällige Forderungen nicht fristgerecht erfüllt werden (können). Hierzu gibt es verschiedene Konkretisierungen des Internationalen Währungsfonds, des Pariser Clubs und des Londoner Clubs sowie in nationalen Gesetzen und Vertragsbedingungen iVm. Rahmenwerken wie den ISDA-Agreements.7 Die Musterklauseln des Unterausschusses des Wirtschafts- und Finanzausschusses für die Märkte für EUStaatsanleihen („Common Terms of Reference“ – CTR) sprechen von einem „event of default“ (4.2 CTR). Das Bundesschuldenwesengesetz verweist entsprechend der Ermächtigungslösung auf einen „in den Emissionsbedingungen vorgesehenen Fall der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung“ (§ 4e Abs. 1 Satz 2 BSchuWG). In den Musterbedingungen für Bundeswertpapiere wiederum ist schlicht von einem „Zahlungsverzug“ in Bezug auf „diese“ Bundeswertpapiere die Rede (Ziffer 4.2 b). Damit ist bereits gesagt, dass Zahlungsunfähigkeit mit einer von in der Regel sehr vielen Emissionen genügt, um eine Umschuldung dieser und zudem ggf. aller verbrieften Finanzverbindlichkeiten, die noch nicht fällig sind, zu initiieren.

3

Im Hinblick auf die Zahlungsunfähigkeit eines Staates ist zwischen Inlands- und Auslandsschuld zu unterscheiden. Inlandsschulden zeichnen sich durch die Denominierung in nationaler Währung sowie die Wahl nationalen Rechts und Gerichtsstandes aus. Mit Inlandsschulden kann ein Staat kaum zahlungsunfähig werden. Hier zeigt sich in mehrfacher Hinsicht eine gewisse Geldnähe der Inlandsschuld. Es steht dem Staat ein breites hoheitliches Instrumentarium zur Schöpfung der Emissionswährung oder zur Schuldenreduzierung zur Verfügung. Dies reicht von Steuererhöhungen über inflationierende Eingriffe der Zentralbank als „lender of last Resort“ („monetäre Staatsfinanzierung“) bis hin zu währungs- oder notstandsrechtlichen Maßnahmen sowie Schuldenschnitten im Rahmen des verfassungsrechtlich und völkerrechtlich Zulässigen.8 Wenngleich ein Goldstandard erhöhte Sicherheit zu bieten scheint, lässt auch dieser sich – anders als eine Goldbesicherung9 – aufheben, wie das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1971 zeigt.10 Darin kann auch eine Form der Umschuldung zur Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit gesehen werden. Sofern aufgrund zweckmäßiger Rechtswahl das (modifizierte) nationale Recht zugrunde zu legen ist, werden Klagen auf Rückzahlung und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gerade wegen der gesetzgeberischen „Schuldenbereinigungen“ regelmäßig unbegründet sein. Dies kann insbesondere dann gelten, wenn nationale Gerichte und Zwangsvollstreckungsorgane zur Entscheidung berufen sind (vgl. § 4b BSchuWG Rz. 15–17). Der souveräne Schuldner übersteuert das Gleichordnungsverhältnis, auf das er sich mit der Ausgabe von Schuldverschrei-

7 8 9 10

Vgl. Paulus, ZG 2010, 313 (325). Vgl. Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (691); Herdegen, WM 2011, 913 (914). Siehe zB BGH v. 12.12.2008 – V ZR 49/08, LMK 11/2009, 292914 m. Anm. Schulze/Lendermann. Die USA hatten zur Finanzierung des Vietnam-Krieges die Geldmenge derart erhöht, dass der damalige amerikanische Präsident Richard Nixon in einer Fernsehansprache vom 15.8.1971 wörtlich erklärte: „Ich habe Finanzminister Conolly angewiesen, die Konvertierbarkeit des Dollars in Gold aufzuheben“, vgl. Egli/Schenk/Schneider/Weber, Die Finanzkrise: Teil 3, NZZ Folio 01/2009, S. 47. Zwei Jahre später musste das auf der Konferenz von Bretton Woods (New Hampshire, USA) vom 1.–22.7.1944 vereinbarte System der festen Wechselkurse (in der Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit dem 14.8.1952, BGBl. II 1952, 637 ff.) aufgekündigt werden. Schließlich blieben vom Bretton-Woods-System allein der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank erhalten. Vgl. dazu ausf. Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, S. 266 ff. m.w.N.

980

Lendermann

Rz. 4 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

bungen begeben hat, durch nachträgliche subordinationsrechtliche Maßnahmen. Diese Maßnahmen11 unterliegen sogar der Staatenimmunität.12 Eine Zahlungsunfähigkeit tritt demgegenüber zumeist mit Auslandsschulden ein. Charakte- 4 ristisch für Auslandsschulden sind die Denomination in aus Sicht des Emittenten fremder Währung sowie die Wahl fremden Rechts und eines ausländischen Gerichtsstands.13 Das dient dazu, die jeweiligen Zielmärkte und -investoren besser zu erreichen. Die Schöpfung der Emissionswährung sowie deren Beeinflussung über die Währungspolitik sind dem Emittenten – ähnlich dem Goldstandard – hierbei nicht möglich.14 Die Auslandsschuld muss er aus seinen Währungsreserven bedienen. Ihre Modifikation durch Gesetz oder andere Hoheitsakte ist seinem Rechtsbereich entzogen. Es bleibt nur die Berufung auf allgemeine Regeln des Völkerrechts, namentlich des allgemeinen Staatsnotstands.15 Eine schuldnerfremde Gerichtsbarkeit lässt diesen Einwand aber allenfalls in engen Grenzen gelten.16 Es ergeben sich hierbei kaum Abwehrmöglichkeiten aufgrund der Staatenimmunität, einmal nicht gegen die Leistungsklage, weil etwaige – der Immunität unterliegende – Hoheitsakte wegen Wahl fremden Rechts von vornherein nicht auf das Rechtsverhältnis durchgreifen, ein anders Mal nicht gegen Vollstreckungsmaßnahmen in Hoheitsvermögen, weil die Emittenten darauf in den Anleihebedingungen wegen der sich in den 50er Jahren herausgebildeten Anforderungen internationaler Kapitalmärkte in aller Regel verzichten.17 In Ermangelung eines förmlichen Insolvenzverfahrens gibt es auch keinen Klage- und Vollstreckungsschutz.18 Einer Verteidigung des Schuldners vor internationalen Schiedsgerichten, etwa vor einem Schiedsgericht nach dem Übereinkommen über die Schaffung des internationalen Zentrums zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Center for the Settlement of Investment Disputes –

11 Vgl. etwa die gesetzliche Einfügung von Umschuldungsklauseln in privatrechtliche Anleihen durch Gesetz der Hellenischen Republik Nr. 4050/2012 v. 23.2.2012 („Regeln zur Änderung von Wertpapieren, die vom griechischen Staat emittiert oder garantiert wurden, mit Zustimmung der Anleiheinhaber“) (FEK A’ 36/23.2.2012) und den Beschluss des Hellenischen Ministerrats v. 9.3.2012, mit dem die Änderung der Anleihebedingungen für allgemeinverbindlich erklärt wurde; zu den konkreten Umschuldungsbedingungen und einbezogenen Anleihen siehe die Pressemitteilung des Finanzministeriums der Hellenischen Republik v. 24.2.2012, abrufbar unter http://www.pdma.gr/at tachments/article/65/pressrelease20120224-en.pdf. 12 BGH v. 8.3.2016 – VI ZR 516/14, WM 2016, 734; ferner EuGH v. 11.6.2015 – C-226/13 u.a., ZIP 2015, 1250; s. auch schon Thole, WM 2012, 1793 ff.; anders verhält sich dies indes, wenn das Gleichordnungsverhältnis außerhalb rechtlichen Zugriffsbereichs des Schuldnerstaates liegt, etwa wegen der Wahl fremden Rechts oder eines Immunitätsverzichts, dazu gilt BVerfG v. 30.4.1963 – 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, 27 ff.; zur Staatenimmunität grundlegend Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 188 ff.; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, S. 14 ff. 13 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (74); von Lewinski in Isensee/ Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 59. 14 Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 6; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (692); Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 18 ff. 15 Vgl. dazu Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 26 Rz. 15 ff.; Oulds in Veranneman, Vorbem. zu § 5 SchVG Rz. 34 ff.; monographisch Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 121 ff.; Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, S. 33 ff. 16 Zum Scheitern Argentiniens mit dieser Argumentation BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141 (153); ebenso BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 193/14, BKR 2015, 254. 17 Vgl. Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (162 f.) m.w.N.; Choi/Gulati/Posner, Journal of Legal Analysis Vol. 4 (1) 2012, S. 131 ff. (insbesondere Übersicht auf S. 155); Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, S. 15 ff.; andernfalls kann es zu einer tatsächlichen „Patt-Situation“ kommen, so von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 60. 18 Herdegen, WM 2011, 913 (915).

Lendermann 981

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 5 ICSID),19 wird eine geringe Chance beigemessen.20 Staatliche Maßnahmen zur Beschaffung der Emissionswährung in Gestalt von Kapitalverkehrsbeschränkungen (Devisenausfuhrbeschränkungen und Devisenumtauschpflichten) sowie Privatisierungen und Ressourcenhandel reichen meist nicht aus. Einschränkend werden die Gläubiger den Staat trotz Immunitätsverzichten nicht vollständig „pfänden“ oder das Ruder des betreffenden Staates übernehmen können (anders der Debt to Equity-Swap gegenüber privaten Schuldnern gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 SchVG). 5

Keine Zahlungsunfähigkeit, sondern Zahlungsunwilligkeit besteht, wenn Staatsschulden trotz Zahlungsmöglichkeit nicht zurückgezahlt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Schulden von einem Vorgängerregime aufgenommen wurden und die gegenwärtigen Machthaber sich aus politischen Gründen nicht daran gebunden sehen21 oder wenn einzelne Gläubiger personae non gratae geworden sind. Angesichts der bereits angesprochenen, zumindest theoretisch unbegrenzten finanziellen Ressourcen eines Staates ist die Grenze der Zahlungsunfähigkeit zur Zahlungsunwilligkeit fließend.22 Zur Feststellung der Staateninsolvenz sind – anders als für ihre Bewältigung – Grund und Motiv der Zahlungseinstellung zunächst irrelevant.

6

Der herkömmliche Überschuldungsbegriff kann zur Feststellung einer Staateninsolvenz kaum fruchtbar gemacht werden. Er ist in § 4e Abs. 1 Satz 2 BSchuWG nicht genannt. Aus bilanzieller Perspektive, die auf private Wirtschaftssubjekte anzuwenden ist, setzt Überschuldung ein, wenn die Verbindlichkeiten die Vermögenswerte übersteigen. Der dingliche Wert des Vermögens eines Staates, insbesondere wenn es um kaum marktfähige Infrastrukturen und Kulturgüter geht, ist allenfalls bei Kleinststaaten ermittelbar.23 Dagegen, dass auch nur die Möglichkeit einer Überschuldung eines Staates besteht, sprechen nach überwiegender Auffassung entscheidend dessen potenziell unbegrenzte Einnahmequellen aufgrund seines Besteuerungsrechts, privatwirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten und Privatisierungen u.a. Zukünftige Renten- und Pensionsanwartschaften sind zwar negativ zu berücksichtigen. Diese Posten werden allerdings erheblich von politischen Ermessensentscheidungen beeinflusst, weshalb auch ihre objektive Bewertung kaum möglich ist.

7

Bei der Feststellung der Insolvenz werden die Akteure mit einem Diagnoseproblem konfrontiert.24 Grundsätzlich gilt: Liquidität folgt Kapital. Am Geldmarkt stehen Liquiditätsfazilitäten offen, solange genügend Kapital vorhanden ist oder solange der Markt dies zumindest glaubt. Ein Liquiditätsengpass ist gleichwohl ein früher (Markt-)Indikator für eine Überschuldung; Die Frage, ob lediglich ein kurzfristig behebbarer Liquiditätsengpass oder eine Überschuldung vorliegt, ist nicht einfach zu bestimmen. Vor diesem Hintergrund wird versucht, dem Überschuldungsbegriff für Staaten mit anderen Indikatoren näherzukommen, mit denen sich, ausgehend vom Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit, eine längerfristige, strukturelle Liquiditätslücke darstellen lässt. Es geht mithin um die Schuldentragfähigkeit. Diese bestimmt der IWF anhand von drei,25 die Weltbank von vier Kennzahlen, die im Wesentlichen die Schuldenquote und die laufende Schuldentragfähigkeit zum Gegenstand 19 Dazu Herdegen, WM 2011, 913 (916). 20 So etwa Sandrock, WM 2013, 393 (405). 21 So die Anleihen des zaristischen Russlands nach der Oktoberrevolution unter dem Sowjetregime oder die von den Bourbonen aufgenommenen Schulden nach der französischen Revolution. 22 Beispielsweise konnte Argentinien noch während des angeblichen Staatsnotstands, mit dem der damalige kurzzeitige Präsident Rodriguez Saá die offizielle Zahlungseinstellung des Landes am 25.12.2001 begründete, Zahlungen an den IWF leisten. 23 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 20. 24 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juli 2016, S. 43 (46 f.). 25 IWF und Weltbank, Debt Sustainability Analysis for the Heavily Indebted Poor Countries, Januar 1996, S. 2.

982

Lendermann

Rz. 10 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

haben. Gemäß dem statutarischen Auftrag dienen dem IWF und der Weltbank entsprechende Grenzwerte dazu, massive Haushaltskrisen festzustellen, um über die Notwendigkeit finanzieller Hilfs- und Entschuldungsprogramme durch die Staatengemeinschaft zu entscheiden. Im Rahmen der EU sollen die in Art. 126 AEUV iVm. Protokoll 12 aufgestellten Defizitkriterien sowie das Defizitverfahren dafür sorgen, dass die Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV von vornherein nicht bemüht werden muss. Eine Aussage zum konkreten Zeitpunkt der Insolvenz lässt sich aber kaum treffen.26 Die materiell-rechtliche Frage, wann die Insolvenz eingetreten ist, wird formell-kompetenzrechtlich überlagert, indem der staatliche Schuldner nach § 4e Abs. 1 Satz 1 BSchuWG – im Gegensatz zu seinen Gläubigern (vgl. § 4e Abs. 1 Satz 2 BSchuWG) – keinen Grund zur Einberufung einer Gläubigerversammlung angeben muss. Dies wird der Staatssouveränität gerecht,27 kann indes der bloßen Zahlungsunwilligkeit förderlich sein.

8

2. Völkerrechtlicher und staatsrechtlicher Rahmen Gemeinhin wird von der „Insolvenzunfähigkeit“ eines Souveräns gesprochen.28 Dabei ist oft- 9 mals unklar, ob damit in wirtschaftlicher Hinsicht die auf lange Frist zumeist vorhandene oder zumindest wiederherstellbare Solvenz gemeint ist (zuvor Rz. 2–8) oder in rechtlicher Hinsicht lediglich das Fehlen eines förmlichen Insolvenzverfahrens. Im Hinblick auf letzteres wird vertreten, dass ein Staat als genuines Völkerrechtssubjekt keinem extern von anderen Staaten oder überstaatlichen Organisationen initiierten Insolvenzverfahren unterzogen werden soll, darf oder gar kann.29 Dies wäre nicht mit der Staatssouveränität in Einklang zu bringen. Die Verfügungsbefugnis über das Staatsvermögen sowie die Entscheidungshoheit über die Steuerbelastung der Bürger betreffen den Kernbereich staatlicher Selbstbestimmung.30 Eine Ausübung durch Außenstehende verstieße u.a. auch gegen das Demokratieprinzip.31 Abgesehen davon wäre die rechtliche Durchsetzbarkeit zweifelhaft. Diese Argumentation überzeugt aber nicht vollends. Immerhin besteht die Möglichkeit einer Kompetenzübertragung auf zwischenstaatliche, insbesondere auch europäische Institutionen (zu SDRM und ECRM Rz. 38 ff.). Zudem sind die betreffenden Staaten aufgrund der Konditionalität der Kreditvergabe des IWF nicht selten an einschneidende Auflagen gebunden, denen sie sich faktisch auch nicht unter Berufung auf die Staatssouveränität entziehen können (vgl. dazu Rz. 55). Die Einführung eines rein staatsinternen Insolvenzverfahrens auf konstitutioneller Ebene hieße für den Staat, sich als höchste nationale Instanz selbst in Frage zu stellen. Die Sanktion des Marktaustritts mag für private Marktteilnehmer im Falle ihres Scheiterns ordnungspolitisch notwendig erscheinen. Für den Staat als Marktgaranten kann das keine Gültigkeit

26 Paulus, ZG 2010, 313 (325); Claudia M. Buch, Börsen-Zeitung v. 1.8.2015: „Die Diskussion über den Grexit ist müßig“. 27 Herdegen, WM, 2011, 913 (915); Paulus, WM 2002, 731. 28 Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 16; Waldhoff in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rz. 37 ff. 29 BVerfG v. 14.11.1962 – 1 BvR 987/58, BVerfGE 15, 126 (135); Waldhoff in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rz. 47; P. Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 214 Rz. 110; von Lewinski, Öffentlich-rechtliche Insolvenz und Staatsbankrott, 2011, S. 487; Szodruch, Staatsinsolvenz und private Gläubiger, 2008, S. 21; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 20. 30 Herdegen, WM, 2011, 913 (915) unter Hinweis auf das Lissabon-Urteil BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2/08, BVerfGE 123, 267 (359) = NJW 2009, 2267 (2274); Sester, WM 2011, 1057 (1059); Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 472. 31 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 20 f.; Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 472.

Lendermann 983

10

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 11 entfalten.32 Aus verfassungsrechtlichen33 und rein tatsächlichen Gründen ist keine Liquidation des Staates möglich.34 In der Insolvenz eines Staates können dessen Aufgaben und Funktionen anders als der Betrieb einer Unternehmung nicht eingestellt werden. Die äußere und innere Souveränität, mithin alle politischen Aufgaben von der Verteidigung über die Verwaltung bis hin zur Daseinsvorsorge der Bevölkerung35 müssen vielmehr finanziell sichergestellt bleiben. 3. Besonderheiten von Staatenkrisen im Euroraum 11

In den Mitgliedstaaten des Euroraums ergeben sich Besonderheiten daraus, dass die herkömmliche Trennung in Auslands- und Inlandsschuld aufgehoben ist: Die Währung ist wie eine Fremdwährung über die nationale Währungspolitik nicht zu beeinflussen. Die Unabhängigkeit der Zentralbanken in Art. 130 AEUV verwehrt den Euro-Staaten im Falle von Zahlungsschwierigkeiten den Rückgriff auf ihre nationalen Zentralbanken. Deren Einfluss auf geldpolitische Entscheidungen der EZB ist ohnehin begrenzt. Die EZB selbst ist ebenfalls weisungsunabhängig und unterliegt dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV. Gleichwohl kann auch sie unter Druck geraten.36 Unter Vergleich mit der Historie des Goldstandards wird vertreten, dass gerade wegen des fehlenden währungspolitischen Einflusses einzelner Mitgliedstaaten die Wahrscheinlichkeit von Zahlungsausfällen in der Währungsunion steigt.37 Während die Geldpolitik in supranationaler Kompetenz liegt, ist der Euro Inlandswährung und gesetzliches Zahlungsmittel. Der Staatshaushalt wird in Euro ausgewiesen. Der Staat kann über Steuereinnahmen und Verkäufe von Staatsvermögen daher die Schuldwährung selbst schöpfen. In Ermangelung einer Fiskalunion bleiben Schuldner weiterhin die Mitgliedstaaten. Eine Vergemeinschaftung der Haftung kann nicht beansprucht werden.38 Die Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV unterstreicht die Alleinhaftung. Zugleich setzt sie den Zahlungsausfall denklogisch voraus.39

12

Zu diesen normativen Prinzipien der EU-Verträge stehen die wirtschaftlichen Notwendigkeiten und politischen Realitäten in Widerspruch. Dies folgt aus der Dialektik des Staatenverbunds, der weniger als ein Staat, aber mehr als ein Staatenbund ist.40 Die Bestimmungen über die Europäische Währungsunion bzw. die Budgetkontrolle beinhalten keine substantielle Verlagerung wirtschaftlicher Leitungsmacht auf Europäische Ebene. Tatsächlich aber bildet die EU eine ökonomische Schicksalsgemeinschaft, die nach eben jener verlangt. So besteht eine implizite Haftung, die indes normativ negiert wird. Das „Burden sharing“ wird nunmehr

32 Waldhoff in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rz. 47. 33 In der Bundesrepublik Deutschland stünde dem implizit die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG entgegen. 34 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 20; Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 23; Waldhoff in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rz. 42, 47; Sester, WM 2011, 1057 (1059); Herdegen, WM, 2011, 913 (914); Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (697); Hofmann, Texas Int. Law Journal, Vol 49 (2014), 383 (387); Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 162. 35 Dazu insbesondere UN Commission on Human Rights, Res. 2000/82, Nr. 6, UN Dok. E/CN.4/2000/167. 36 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2015, S. 17. 37 Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 5 ff.; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (691 f.). 38 Zur Solidarhaftung und Solidarität in der EU Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, S. 124 ff., 185 ff. 39 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (692). 40 Urteil des BVerfG v. 12.10.1993 – 2 BvR 2134, 2159/92 – Maastricht, BVerfGE 89, 155 ff.

984

Lendermann

Rz. 15 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

durch den ESM explizit gemacht.41 Ein indirekter („stiller“) Haftungstransfer durch die EZB und die nationalen Zentralbanken des Eurosystems ist über den Ankauf von Staatsanleihen im Programm „Technical Features of Outright Monetary Transactions“ (OMT)42 als Nachfolger des „Securities Markets Programme“ (SMP)43 und im Public Sector Purchase Programme (PSPP) vorgesehen.44 Dadurch können der Zentralbanksektor und andere Mitgliedstaaten als Gläubiger eintreten. Wegen der Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV und des Verbots monetärer Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV45 senkt dies die Wahrscheinlichkeit eines Schuldenschnitts zugunsten fiskalischer Unterstützung. Die EZB hat sich bereits gegen ihre Beteiligung an einen vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht ausgesprochen (vgl. auch Rz. 77–79).46 Schließlich können supranationale Institutionen gegenüber mitgliedstaatlicher Souveränität vorrangig agieren. Dies würde es erlauben, einzelne Elemente eines Insolvenzverfahrens auf entsprechender primärrechtlicher Grundlage auf EUEbene einzurichten.47 4. Gläubigerarten Differenziert man nach den Gläubigerarten, kann man zwischen Staaten und internationalen Organisationen, Banken sowie übrigen privaten Anleihegläubigern unterscheiden.

13

a) Für die Krise eines staatlichen Schuldners ist charakteristisch, dass seine Gläubiger in diesem Stadium vor allem aus supra- oder internationalen Organisationen mit vorrangigen Forderungen aus multilateralen Hilfen wie etwa dem IWF, der Weltbank u.a. sowie staatlichen Gläubigern aufgrund bilateraler Hilfen bestehen, die seit 1956 informell im Pariser Club organisiert sind. Im europäischen Kontext sind insbesondere auch der ESM sowie andere Mitgliedstaaten zu nennen. Die EZB ist aufgrund ihrer währungspolitischen Maßnahmen und ggf. aus dem PSPP, dem OMT-Programm o.a. Anleihegläubigerin wie auch die nationalen Zentralbanken und ggf. die eigene nationale Zentralbank. Zwar ist eine Gläubigerhierarchie bei staatlichen Schuldnern insofern kaum ausdifferenziert, als es keine „nachrangigen“ Verbindlichkeiten gibt. Ungeachtet dessen existieren aber Besicherungen und ein angesichts fehlender Liquidation in seinen Konsequenzen zwar unklarer,48 bei Umschuldungen aber möglicherweise bedeutsamer Vorrang der meisten staatlichen Sanierungsgläubiger. Namentlich hat der IWF absoluten Vorrang. Im Rang danach, aber noch vor den übrigen Gläubigern steht der ESM (zur Gleichrangigkeit unter dem PSPP und dem OMT siehe Rz. 77–79).

14

b) Dem öffentlichen Sektor steht der Privatsektor gegenüber. Ersterer wird letzteren im Zu- 15 ge von Sanierungsmaßnahmen in einer Krise zunehmend verdrängen.49 Als private Gläubiger treten zunächst und vor allem Banken auf. Sie haben sich im Londoner Club zusammengeschlossen, der im Jahr 1976 als Pendant zum Pariser Club ins Leben gerufen worden 41 Monografisch Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus. 42 Pressemitteilung des EZB-Rats v. 6.9.2012 betreffend „Technical Features of Outright Monetary Transactions“ (OMT). 43 Beschluss der EZB v. 14.5.2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte EZB/2010/5, ABl.EU Nr. L 124 v. 20.5.2010, S. 8. 44 Teil des dreiteiligen Asset Purchase Programme (APP), Beschluss (EU) 2015/774 der EZB v. 4.3.2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/10), ABl.EU Nr. L 121 v. 14.5.2015, S. 20. 45 Dazu EuGH v. 16.6.2015 – C-62/14 – Gauweiler u.a., NJW 2015, 2013; dagegen BVerfG v. 14.1.2014 – 2 BvR 2728/13, BVerfGE 134, 366. 46 Wiedergegeben in den Schlussanträgen des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón v. 14.1.2015 – C-62/14 – Gauweiler u.a. – Rz. 235, NJW 2015, 2013. 47 Krit. Herdegen, WM, 2011, 913 (917). 48 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (696 f.); Sester, WM 2011, 1057 (1063). 49 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 19 f.; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (688).

Lendermann 985

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 16 ist und wie dieser eine Plattform für freiwillige Umschuldungsverhandlungen bietet.50 In Vorkrisenzeiten suchen Banken sichere, zugleich aber renditestarke Anlagen. Der Investition in Staatsanleihen leistet bislang51 die politisch motivierte Regulierung mit einer pauschalen, das tatsächliche Risiko nicht adäquat abbildendenden Risikogewichtung dieser Anlagekategorie sowie mit einer bevorzugten Anrechnung auf die Liquiditätsanforderungen Vorschub.52 Einzelne Staaten sehen sich zu Hilfsmaßnahmen gegenüber einem strauchelnden Staat auch deshalb gezwungen, weil sie Banken mit Sitz in ihrer Jurisdiktion mit dem Argument der Finanzstabilität schützen wollen.53 16

c) Sehr heterogen und zugleich gering organisiert ist schließlich die Gruppe der übrigen Anleihegläubiger (zusammengefasst unter dem Begriff „Private Sector Involvement“ – PSI).54 Diese Gruppe ist infolge der zunehmenden Nutzung der Kapitalmärkte für die Staatsfinanzierung seit der Lateinamerikakrise stark angewachsen. Wenn sich Staaten bei kommerziellen Kapitalgebern refinanzierten, geschah dies bis in die späten 80er Jahre hinein hauptsächlich im Wege unverbriefter Darlehen, die von Bankenkonsortien vergeben und gehalten wurden. Fonds konnten die Konsortialkredite nur schwer erwerben und restrukturieren. Im Zuge späterer Umschuldungsmaßnahmen in Lateinamerika wurden die Darlehen in den nach dem vormaligen U.S.-amerikanischen Finanzminister Nicolas F. Brady benannten Bonds verbrieft, unter Abschlägen angeboten und an Sekundärmärkten gehandelt.55 Erst der Brady Plan führte zu der Ansprache neuer Marktteilnehmer wie Investmentfonds, Banken sowie privater Investoren und legte den Grundstein für den modernen Staatsanleihenmarkt.56

17

d) Ein ebenfalls zweckmäßiges Unterscheidungskriterium ist die Zugehörigkeit der Schuldverschreibungen der einzelnen Gläubiger zu einer spezifischen Gesamtemission. Staatliche Schuldner haben im Vergleich zu privaten in aller Regel eine Vielzahl an Emissionsserien ausstehend, die sich insbesondere nach Fälligkeit, Gerichtsstand und Rechtswahl unterscheiden. Praktisch gesehen zeigen sich die Auswirkungen einer Zahlungsunfähigkeit gerade bei den jeweils fälligen Anleihen. Die übrigen Anleihen bleiben davon grundsätzlich unberührt, was die Frage nach der Sanierungsverantwortung ihrer Inhaber und Ausgestaltung des Verfahrens unter dem Stichwort der emissionsübergreifenden Umschuldung aufwirft.

18

e) Schließlich lassen sich die reinen Finanzinvestoren, die in staatliche Anleihen zumeist aus Gesamtemissionen investiert haben oder unverbriefte Konsortialkredite halten, von unzähligen „nichtfinanziellen“ Gläubigern unterscheiden. Diese sind etwa staatliche Bedienstete, sonstige Leistungsberechtigte und Lieferanten, die ihre Ansprüche nicht aus Finanzierungsgeschäften herleiten. Auch sie sind von einer Zahlungseinstellung des Staates betroffen. Hier stellt sich die Frage nach etwaigen Privilegierungen aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen.

50 Weller, Die Grenze der Vertragstreue von (Krisen-)Staaten, S. 19 f.; Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 26 Rz. 15 auch zum Institute of International Finance (IIF) und privaten Entschuldungsinitiativen für Staaten. 51 Der Baseler Ausschuss hat bereits begonnen, die Privilegierung von Krediten an Staaten bei den regulatorischen Anforderungen zu überprüfen. 52 Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2015, S. 28; Sandrock, WM 2013, 393 (394). 53 Vgl. Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (687). 54 Vgl. Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (158 f.) unter Hinweis auf den Rey-Bericht, S. 3 Rz. 10 ff. sowie S. 11 Rz. 45 ff.; Paulus/van den Busch, WM 2014, 2025 (2025 f.). 55 Präzedenzfall war Mexiko (1989), es folgten Uruguay (1991), Argentinien (1992), Brasilien (1992), Peru (1996) u.a.; zur Funktionsweise des Brady-Plans Sester, WM 2011, 1057 (1059 ff.); Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 59 f. 56 Zur Entwicklung Choi/Gulati/Posner, Journal of Legal Analysis Vol. 4 (1) 2012, S. 131 (154 f.).

986

Lendermann

Rz. 23 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

5. Investitionsziele Im Allgemeinen sind die Charakteristika von Fremdkapitalinvestoren nur für die Platzierung der Emissionen von Bedeutung. Danach mögen dem Emittenten die Halter seiner Anleihen und ihre Investitionsziele in aller Regel gleich sein. Im Fall einer Umschuldung ändert sich das. Die Gläubiger des Staates erhalten nunmehr ein Stimmrecht und werden zur Haftung herangezogen. In einer Umschuldungssituation ähnelt die Position des Gläubigers der eines Aktionärs. Die Gläubiger erlangen aber keinen Gesellschafterstatus. Sie haben auch keine Möglichkeit, das Vertragsverhältnis zu ihren Gunsten zu ändern. Ihr Stimmrecht ist auf Umschuldungsgegenstände beschränkt. Ihre diesbezüglichen strategischen und finanziellen Interessen sowie ihr finanzieller und rechtlicher Spielraum beeinflussen somit maßgeblich ihr Abstimmungsverhalten. Zudem ist ihre mögliche Relevanz für die Stabilität des Finanzsystems zu berücksichtigen. Daher ist eine Auseinandersetzung mit den Investitionszielen der verschiedenen Gläubigergruppen im Vorfeld einer Umschuldung unausweichlich.

19

Bei einem staatlichen Schuldner sind die Gläubigergruppen regelmäßig vielzähliger und vielfältiger als bei einem privaten Schuldner. Nach dem Zeitpunkt und dem Motiv des Erwerbs kann auch hier grundsätzlich in Vorkrisengläubiger, Sanierungsinvestoren und Gelegenheitsinvestoren in der Krise wie folgt differenziert werden:

20

a) Vorkrisengläubiger haben die Anteile zum Ausgabepreis oder in dessen Nähe als längerfristige Kapitalanlage erworben und eine längere Historie von auch risikoadäquaten Zinszahlungen durchlebt. Vor diesem Hintergrund ist bei vielen unter ihnen durchaus Bereitschaft vorhanden, sich zugunsten zukünftiger Zahlungssicherheit für Forderungsreduktionen und andere Umschuldungsmaßnahmen auszusprechen, sofern dies den in den Marktpreisen antizipierten Werten entspricht.57 Viele stoßen die Papiere in der Krise aber auch ab und veräußern sie im Rahmen von Hilfsprogrammen an staatliche Erwerber oder an Gelegenheitsinvestoren.58

21

b) Die Sanierungsinvestoren haben bei staatlichen Schuldnern eine besondere Bedeutung. Zugpferd der Sanierung wird regelmäßig die internationale Staatengemeinschaft sein. Für sie wird eine politische Agenda leitend, den finanziell angeschlagenen Staat zu stützen („bailout“). Diese Agenda reicht von strategischen Zielen59 über finanz- und wirtschaftspolitische Absichten60 bis hin zu sozialen Erwägungen. Die Sanierung geschieht multilateral über internationale Organisationen (IWF) oder supranationale Einrichtungen (EU mittels des ESM) sowie bilateral durch einzelne zahlungsfähige(re) Souveräne. Gegenstand ist ein Verzicht auf Forderungen oder aktive Beiträge, regelmäßig in Form von Kredithilfen und Erwerb neuer Anleihen. Private werden hingegen ohne etwaige monetäre Anreize und Risikokompensationen kaum die Sanierung eines Staates mit einer Investition frischen Geldes vorantreiben.

22

c) Mit Gelegenheitsinvestoren können v.a. die unter dem Begriff der „Geier“-Fonds („Vulture Funds“) bekannt gewordene Marktteilnehmer bezeichnet werden.61 Ihr Geschäfts-

23

57 Vgl. Sester, WM 2011, 1057 (1063). 58 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (688). 59 Vgl. Sester, WM 2011, 1057 (1061 ff.) zu der politischen Agenda der USA bei der Einführung des Brady-Plans, namentlich Demokratisierung, Liberalisierung und Privatisierung in den vormaligen Militärdiktaturen Lateinamerikas. 60 Beispielsweise hatte die Rettung Griechenlands auch den Schutz der internationalen und vor allem Europäischen Finanzstabilität und nicht zuletzt der in den Geberländern heimischen Finanzwirtschaft zum Zweck, die Abschreibungen auf ihre Investitionen in dem Schuldnerstaat gewärtigen musste. Hinzu traten Handels- und Investitionsaussichten der heimischen Realwirtschaft durch Privatisierungen, die als Auflage der finanziellen Hilfen verlangt werden. 61 Paulus/van den Busch, WM 2014, 2025 (2025 ff.); beispielhaft Paulus, ZG 2010, 313 (318 mit Fn. 21).

Lendermann 987

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 24 modell ist es, von der Krisensituation mit einem Spekulationsgewinn zu profitieren. Sie kaufen notleidende Anleihen am Sekundärmarkt günstig auf, warten ab, bis die Staatengemeinschaft den Schuldner wieder finanziell auf die Beine gestellt hat, und machen anschließend die Rückzahlung zu 100 Prozent geltend (sog. „free riding“). Dazu wenden sie sich gegen die Verbindlichkeit von Umschuldungsmaßnahmen und schöpfen alle ihnen zur Verfügung stehenden Klagemöglichkeiten und Vollstreckungsmaßnahmen aus.62 Nach Abschaffung der in Deutschland bis ins 19. Jahrhundert geltenden Lex Anastasiana63 sowie der bis in die 50er Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Großbritannien geltenden „Champerty and Maintenance“-Doktrin64 stand dieser Strategie allenfalls das praktische Problem entgegen, dass es lange Zeit hauptsächlich syndizierte und unverbriefte Bankkredite gegenüber Staaten zu erwerben gab. In der jüngeren Vergangenheit haben einige Länder nunmehr spezifische gesetzgeberische Vorstöße unternommen, um derartigen Strategien den Boden zu entziehen.65 Ein strategischer Einfluss kann auf einen staatlichen Schuldner wegen des Fehlens eines Debt to Equity-Swaps zwar nicht direkt erzielt werden. Allerdings kann über die Zustimmungserteilung zu Umschuldungen Verhandlungsdruck aufgebaut werden. So können beispielsweise Auflagen und Besserungsscheine mit Anteilen an künftigen Staatseinnahmen oder an das BIP gekoppelte Coupons66 vereinbart werden.

II. Herkömmliche reaktive Maßnahmen 24

Der Umgang mit Staatsinsolvenzen ist bislang von ungeordneten reaktiven Maßnahmen geprägt. Darunter fallen einseitige „Zwangsumschuldungen“ und vergleichbare Maßnahmen des Schuldnerstaates einerseits sowie privatrechtliche Gläubigervereinbarungen andererseits. Den Maßnahmen zur Ausräumung der Zahlungsunfähigkeit ist gemeinsam, dass versucht wird, die rechtliche Lage der wirtschaftlichen Lage anzupassen. Entgegen dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ wird die rechtlich durchsetzbare Forderungshöhe auf die Höhe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit reduziert. 1. Einseitige Umschuldungen im Wege der Subordination

25

Einseitige Maßnahmen des Schuldnerstaats zur Reduzierung seiner Verbindlichkeiten durch Schuldenschnitte, Währungsreformen und dergleichen stoßen auf praktische Hürden und rechtliche Bedenken. Gegenüber einer zivilrechtlichen Forderung wird sich ein staatlicher Schuldner kaum erfolgreich auf Staatenimmunität (auch wegen entsprechenden Immunitätsverzichts), völkerrechtlichen Notstand oder andere Verteidigungsmittel berufen kön-

62 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (694 f.); Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (160 ff.). 63 Danach war die Höhe einer veräußerten Forderung auf ihren Kaufpreis beschränkt, dazu Lendermann, Darlehensveräußerungen durch Banken, S. 385 ff. 64 Danach war die Beteiligung an und die Finanzierung von Forderungen allein zum Zwecke der Gewinnerzielung aus ihrer gerichtlichen Durchsetzung unzulässig; ähnlich dem Verbot gewinnabhängiger Vergütung für deutsche Rechtsanwälte. 65 In Großbritannien etwa der Debt Relief (Developing Countries) Act 2010, 2010 Chapter 22; zudem in Belgien, Jersey, Guernsey, Isle of Man, Australien; in den Vereinigten Staaten sind entsprechende Gesetzentwürfe nicht verabschiedet worden, siehe dazu den Überblick im Handbuch der Jubilee Debt Campaign, Devi Sookun, Stop Vulture Fund Lawsuits, 2010, S. 87 ff.; zu Odious Debts als rechtsvernichtende Einwendung des Völkerrechts Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 119 f. 66 So im Fall der argentinischen Anleihen aus der Umschuldung der Jahre 2004/2005; vgl. Sester, WM 2011, 1057 (1061 f.).

988

Lendermann

Rz. 27 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

nen,67 zumal vor ausländischen Gerichten.68 Er muss vielmehr einseitige gesetzliche oder durch anderweitigen Hoheitsakt begründete Umschuldungsmaßnahmen ergreifen. Diese können jedoch von vornherein nur hinsichtlich Schulden im Einflussbereich des staatlichen Schuldners durchgreifen. Dies erfordert mithin die Anwendbarkeit einheimischen Rechts und idealerweise auch die Wahl eines schuldnereigenen Gerichtsstands. Selbst wenn beides gegeben ist, sind Zweifel genereller Art angebracht. Es handelt sich gerade um nicht konsensual getroffene Maßnahmen. Der staatliche Schuldner geht von Gleichordnung zu Subordination über. Da es sich – anders als zuvor erörtert – nicht um die Verteidigung gegen eine zivilrechtliche Forderung, sondern um einen Hoheitsakt des staatlichen Schuldners handelt, greift diesbezüglich zu seinen Gunsten sogar die Staatenimmunität (Rz. 3). Er ändert einseitig das dem Vertrag zugrunde gelegte Kräfteverhältnis, auf dessen Kontinuität der Gläubiger bei der Hingabe des Kapitals berechtigterweise vertraut hat. Im Übrigen ist dieses Vorgehen vor dem Hintergrund des völkerrechtlich gewährleisteten Investitionsschutzes zugunsten ausländischer Gläubiger und der überdies regelmäßig auch verfassungsrechtlich gewährleisteten Eigentumsgarantie bedenklich.69 Außerdem erschwert es prospektiv die Wiederherstellung des Gläubigervertrauens und somit des Kapitalmarktzugangs.70 2. Konsensuale Lösungen Eine Sanierung unter Wiedererlangung der Kapitalmarktfähigkeit wird regelmäßig nicht ohne konsensuale Lösungen mit den Gläubigern auskommen können. Gegenstände sind Umschuldungen von verbrieften Finanzverbindlichkeiten und flankierend dazu Hilfen der Staatengemeinschaft auf Basis bilateraler oder multilateraler Kredite. Eine Umschuldung setzt die Änderung der zugrundeliegenden Anleihebedingungen oder einen Umtausch der Altanleihen gegen neue Anleihen zu neuen Bedingungen voraus. Dies erfordert prinzipiell die Zustimmung jedes einzelnen Gläubigers. Zur vollständigen Änderung der Bedingungen von Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen ist somit Einstimmigkeit erforderlich. Hierbei treten die nachfolgend beschriebenen Kollektivhandlungs- und Kollektivrepräsentationsprobleme auf. In der Folge teilt sich die Anleihe in einen umgeschuldeten Teil und in einen solchen zu den bisherigen Konditionen, der im Besitz derjenigen Gläubiger verbleibt, welche sich den Kompromisslösungen nicht anschließen.

26

In der U.S.-amerikanischen Praxis hatte sich dazu die Strategie der sogenannten „(punitive) 27 exit consents“ herausgebildet.71 Mehrheitsklauseln, auf die noch einzugehen ist, waren zwar nicht grundsätzlich unzulässig. Besonders eingriffsintensive Beschlussgegenstände („reserved matters“), insbesondere die Zahlungsbedingungen, erforderten kraft Gesetzes aber weiterhin Einstimmigkeit (sog. „paradise trees“).72 Dem begegnete die Kautelarpraxis, indem der Anleiheinhaber der massiven Verschlechterung („punitive“) anderer wichtiger, gleichwohl durch Mehrheitsbeschluss änderbarer Nebenbedingungen (Gerichtsstand, Immunität, Rechtswahl, 67 Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (162 f.); Oulds in Veranneman, Vorbem. zu § 5 SchVG Rz. 32 und 34 ff.; Waldhoff in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rz. 43; monographisch Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 119 ff. 68 Vgl. etwa BVerfG v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, BVerfGE 117, 141 (153 ff.); BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 193/14, NJW 2015, 2328; BGH v. 8.3.2016 – VI ZR 516/14, WM 2016, 734 (736); siehe auch schon BVerfG v. 30.4.1963 – 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, 27 ff. 69 Herdegen, WM 2011, 913 (914). 70 Im Beispiel Argentiniens kann diese Aussage am Ende relativiert werden, vgl. Sester, WM 2011, 1057 (1061 ff.). 71 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (701); Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (163). 72 Trust Indenture Act (TIA) 1939 sec 316 (b), der trotz der Bereichsausnahme in TIA sec 304(a)(6) auch auf Staatsanleihen angewendet wird; ähnlich § 12 Abs. 3 SchVG 1899 zum Schuldverzicht bzgl. einer Kapitalforderung aus einer Anleihe; dazu Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (701 f.).

Lendermann 989

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 28 Börsenzulassung, negative pledge) eine juristische Sekunde vor der Abgabe der Anleihe („exit“) zustimmt („consent“). Damit sollten die nicht umtauschwilligen hold-out-Gläubiger zum Einlenken bewegt werden. Das subtile Druckmittel gegen renitente Anleihegläubiger ist wegen der Umgehung des Einstimmigkeitserfordernisses rechtlich problematisch.73 Ferner wurde auch politischer Druck auf die Gläubiger ausgeübt, sich einer Umschuldungsmaßnahme anzuschließen, und zumindest rechtlich unzutreffend damit gedroht, dass Gläubiger, die sich nicht an einer Umschuldungsmaßnahme beteiligen, keinerlei Zahlungen zu erwarten hätten.74 28

Die für den Erfolg einer konsensualen Lösung ausschlaggebende Einstimmigkeit wird jedoch nicht allein durch die Kollektiv- und Einzelinteressen der unterschiedlichen Gläubigergruppen erschwert. Vielmehr fehlt es auch schon an der erforderlichen Koordination und Kooperation außerhalb der herkömmlichen Gremien.75 Das führt zu Unsicherheiten über das Zustimmungsverhalten der einzelnen Gläubiger, die Unterstützung der Staatengemeinschaft, insbesondere der Eurozone, und letztlich der künftigen Zahlungsfähigkeit des staatlichen Schuldners, die jedoch anders als bei privaten Schuldnern langfristig durchaus aussichtsreich ist.

III. Gesteigerte Kollektivhandlungs- und -repräsentationsprobleme 29

Aufgrund der dargestellten Gläubigercharakteristiken, der Besonderheiten einer Staateninsolvenz sowie der Vermischung von Finanziellem und Politischem sind die Interessenkonstellationen bei Staatsinsolvenzen komplizierter als sie sich regelmäßig bei privaten Insolvenzen darstellen. Die Konflikte unter den Beteiligten und somit die Kollektivhandlungsprobleme76 spitzen sich entsprechend stärker zu. Man unterscheidet die Koordinationsprobleme zwischen den Gläubigern untereinander („intra-creditor coordination“) sowie Probleme bei der Verhandlung zwischen den Gläubigern und dem staatlichen Schuldner („debtor-creditor bargaining problem“).77 Es bedarf guter Gründe, warum ein Gläubiger auf einen Teil seiner vertraglichen Ansprüche verzichten soll, zumal bei einem staatlichen Schuldner. Eine Antwort ist, dass eine erfolgreiche Sanierung im Interesse aller Gläubiger liegen sollte. Der Anreiz für eine Zustimmung besteht für die Gläubiger darin, dass sie sofort einen bestimmten – wenn auch geringeren – Betrag erhalten, während andernfalls Zeitpunkt und Höhe der Leistung unsicher sind. Indem einzelne Gläubiger aber abwarten („hold-out“) und sich nicht zur Leistung eines Sanierungsbeitrags bereit erklären, können sie in besonderem Maße von den Zugeständnissen der Mehrheit vor allem der internationalen und staatlichen Gläubiger profitieren. Ohne etwaige Rahmenwerke oder vorgängige Vereinbarungen sind dissentierende Gläubiger nicht an Umschuldungsmaßnahmen gebunden. Gelegenheitsinvestoren können durch ihr aktives Vorgehen sogar die Restrukturierungspläne konterkarieren und letztlich den Schuldendienst für bereits umgeschuldete Papiere gefährden. Wartet man ab und macht die volle Forderungshöhe erst später geltend, lässt sich ein „windfall-profit“ aus den akti-

73 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (701); Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (163), jeweils m.w.N. 74 Vgl. Sester, WM 2011, 1057 (1061 ff.) zum Druck der USA auf institutionelle Investoren, sich an den Umschuldungen des Brady Plans zu beteiligen, sowie der rechtswidrigen Drohkulisse Argentiniens, abweichenden Gläubigern rein tatsächlich nichts zu bezahlen. 75 Vgl. dazu den Bericht der G-10 „Report of the G-10 Working Group on Contractual Clauses“, Sept. 2002/März 2003, S. 2 f. („Early Dialogue, Coordination and Communication“). 76 Dazu ausführlich Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 43 ff.; allgemein Kirsch, Neue Politische Ökonomie, S. 169 ff. 77 Haldane/Penalver/Saporta/Shin, Analytics of sovereign debt restructuring, Bank of England Working Paper no. 203, 2003, S. 10 ff.

990

Lendermann

Rz. 33 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

ven Finanzhilfen der Staatengemeinschaft erzielen.78 Werden daraus Anleihen ohne Abstriche („haircut“) bedient, kann dies einer Zweckentfremdung von Finanzhilfen aus fremden Steuergeldern gleichkommen. Hold-out Gläubiger profitieren außerdem von der Austeritätspolitik des staatlichen Schuldners selbst, die zu Lasten des Staatsvolkes geht.79 Es stellt sich die Frage, ob derartige „freeriding“-Strategien stets ethisch-moralischen Zweifeln begegnen, aufgrund derer das Rechtsschutzansinnen der betreffenden Investoren zur Durchsetzung ihrer Forderungen gegenüber dem staatlichen Schuldner als nicht schützenswert und damit verwirkt anzusehen ist. Eine zu staatstreue Sichtweise würde den Blick auf politische Mandatsträger vernachlässigen, die zu Lasten des Gemeinwesens und der Gläubiger Verbindlichkeiten eingehen, um damit politische Ziele zum Individualnutzen (insbesondere Wiederwahl) im Sinne der Public Choice Theorie zu finanzieren.80 Die daraus resultierenden Risiken werden am Ende in Gestalt der Gläubigerhaftung externalisiert. Gleichwohl kann man in einer „freeriding“-Strategie kein ordnungspolitisch wünschenswertes Mittel gegen politische Misswirtschaft erblicken, wenn dies gerade nicht die politisch Verantwortlichen, sondern Dritte trifft.

30

Hold-up-Strategien, also das opportunistische Ausnutzen von Abhängigkeiten eines anderen zum eigenen Vorteil, können gegenüber staatlichen Schuldnern sowie deren staatlichen Gläubigern erfolgversprechender sein als bei privaten Gegenparteien. Treten staatliche Gläubiger als Sanierungsinvestoren auf, geht es ihnen nämlich nicht oder zumindest nicht allein um finanzielle, sondern auch um nichtmonetäre ethisch-moralische, soziale und politische Interessen. Sofern sie diese höher als finanzielle Interessen gewichten müssen, kann sie das gegenüber den Forderungen privater (Mit-)Gläubiger erpressbar machen.

31

Hierher gehört auch die aktive Vorfälligstellung („acceleration“) durch eine Gläubigerminderheit sowie Klageerhebung und Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen („disruptive legal actions“) zur Erzielung von Individualvorteilen auf bilateralem Weg. Es wird zwar vertreten, dass sich ein regelrechter Gläubigerwettlauf mit selektiver Bevorzugung des Schnellsten nicht ergeben sollte.81 Stellt ein Gläubiger mit Blick auf die drohende Zahlungsunfähigkeit – sofern möglich und zulässig – einzelne Forderungen fällig und verfolgt er seine Rechte gegebenenfalls bis hin zur Zwangsvollstreckung, wird der staatliche Schuldner diese vor den übrigen Forderungen bedienen (müssen). Dieser kann allein infolge der Drohung mit der Ergreifung dieser Maßnahmen dazu verleitet sein, in den Grenzen des Willkürverbots die „unbequemsten“ Forderungen bevorzugt zu begleichen („selective default Strategien“).82

32

Hinzu kommt, dass eine Drohung mit einem geordneten Insolvenzverfahren und dem Damoklesschwert der Liquidation unter Verlust des Besserungspotentials inexistent ist. Damit korreliert, dass es kein generelles Obstruktionsverbot gibt. Ein Test, ob der jeweilige Gläubiger weniger erhält, als er in der Liquidation erhalten würde („no creditor worse off than in liquidation“), kann in Ermangelung einer solchen nicht durchgeführt werden. Eben-

33

78 Im Falle Griechenlands flossen die internationalen Finanzhilfen nach dem Jahr 2010 weit überwiegend den privaten (Alt-)Gläubigern zu, dagegen nur zu einem sehr geringen Teil dem griechischen Staatshaushalt, vgl. etwa die Studie von Rocholl/Stahmer, Where did the Greek bailout money go?, European School of Management and Technology (ESMT), White Paper No. WP–16–02. 79 Ein extremes Beispiel ist das Verfahren Elliot Associates gegen Peru; dazu Bericht der National Bank of Belgium v. 4.9.2002, „The LP Elliott Case: The problem and possible ways to solve it“; ausf. Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (160) m.w.N.; sowie Donegal International Limited gegen Republik Sambia, Danny Leipziger, „Let’s Stop Vulture Funds from Preying on the Poor“, franz. Veröff. in Le Monde v. 26.6.2007. 80 Pünder in Isensee/Kirchhof, HStR V, 3. Aufl. 2007, § 123 Rz. 1 ff., insbes. Rz. 15, ferner Kirsch, Neue Politische Ökonomie, insbesondere S. 256 ff. 81 Herdegen, WM 2011, 913 (915). 82 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (711).

Lendermann 991

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 34 so spielt rationale Apathie eine gesteigerte Rolle. Es besteht nur ein geringer Anreiz für eine Beteiligung an Forderungsverzichten („haircut“). Warum soll ein Gläubiger damit einen „downside“ realisieren,83 wenn von staatlichen Schuldnern auf lange Frist durchaus wieder Zahlungen zu erwarten sind?84 Konkurrenzen ergeben sich folglich nicht nur in erhöhtem Maße zwischen Mehrheit und Minderheit der Gläubiger, sondern auch zwischen staatlichen und privaten Gläubigern, zwischen Inhabern von Anleihen verschiedener Emissionen sowie zwischen den Gläubigern und dem staatlichen Schuldner selbst. 34

Die Vielzahl der voneinander grundsätzlich unabhängigen Anleiheserien eines staatlichen Schuldners sowie die Heterogenität seiner Gläubigerschaft führen schließlich zu einer erschwerten Kollektivrepräsentation mit einheitlichem Vorgehen und gleichmäßiger Behandlung. Weil einige der privaten Anleihegläubiger nicht dem Pariser und Londoner Club angehören und die dortigen Beschlüsse auch nicht notwendig ihren Investitionsstrategien und -interessen entsprechen, kann die Gläubigerrepräsentation nicht mehr erfolgreich mit weitgehender Kollektivbindungswirkung von diesen beiden Gremien vorgenommen werden.85

IV. Zielsetzungen von Maßnahmen in einer Staatsinsolvenz 35

Die Kollektivhandlungsproblematik oszilliert zwischen dem berechtigten Interesse eines jeden Gläubigers, die volle Forderungshöhe durchzusetzen einerseits und der unberechtigten Bereicherung einer Minderheit auf Kosten der Mehrheit und der Staatengemeinschaft andererseits.86 Aus den vorangegangenen Erwägungen (Rz. 29–34) lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: Die Sanierungsmaßnahmen müssen den Anspruch erfüllen, Gleichbehandlung unter den Gläubigern herzustellen. Einzelne dissentierende Gläubiger sollen keine ungerechtfertigten Sondervorteile erlangen, die Sanierung obstruieren oder ihre Individualbefriedigung durch aktive Rechtsverfolgung beschleunigen können. Andererseits sollen staatliche Gläubiger nicht eine Minderheit privater Gläubiger in der Weise majorisieren können, dass diesen ein Sonderopfer abverlangt wird. Letztere sollen von staatlichen Organisationen und Zentralbanken grundsätzlich die gleichen Zugeständnisse erwarten dürfen wie diejenigen, die sie selbst zu machen bereit sind. Private trifft keine Sanierungsverantwortlichkeit für Staaten. Das Interesse privater Gläubiger an der vertragskonformen Rückzahlung ist nicht von vornherein unberechtigt. Dies gilt erst dann, wenn die günstig erworbene Gläubigerposition auf rechtsmissbräuchliche Weise für ethisch-moralisch zweifelhafte Spekulationsgewinne ausgenutzt wird oder soweit sie von aktiven finanziellen Sanierungshilfen Dritter profitieren, die ein Privater nicht mehr auf unveränderter Basis zu leisten bereit wäre. Dem müsste mit der Staatssouveränität und Staatsräson Einhalt geboten werden können.

36

Die Koordination mit und innerhalb der zunehmend größeren privaten Gläubigergruppe muss verstärkt werden. Aufgrund der Vielzahl an ausstehenden Emissionen sind im Interesse der Gleichbehandlung auch die Inhaber noch nicht fälliger Emissionen in die Sanierungsverantwortung zu nehmen. Die Wahl ausländischen Gerichtsstands und ausländischen Rechts darf nicht zu einem Ausschluss der betreffenden Anleihen von der Sanierung führen. Zugleich muss vermieden werden, dass der Schuldner die Gläubiger einzelner kleiner Anlei83 Es gibt aber auch Gestaltungen mit Besserungsscheinen, die unter der Voraussetzung, dass sich der Staatshaushalt entspannt, eine Kompensation vorsehen, wie es im Jahr 2015 beispielsweise bei der Umschuldung von Anleihen der Ukraine angeboten wurde. 84 So profitierten Investoren z.B. vom sehr günstigen, teils antiquarischen Erwerb russischer Staatsanleihen aus der Zarenzeit sowie von Bezugsrechten auf Zinsen, die zur Wiederherstellung der internationalen Kapitalmarktfähigkeit Russlands bzw. aufgrund der deutschen Wiedervereinigung nach langer Zeit doch noch bedient wurden bzw. werden mussten. 85 Paulus/van den Busch, WM 2014, 2025 (2025 f.). 86 Zur Legitimation kollektiven Zwangs allgemein Kirsch, Neue Politische Ökonomie, S. 135 ff.

992

Lendermann

Rz. 38 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

hen mit einem verhältnismäßig geringen finanziellen Aufwand für seine Interessen instrumentalisiert. Daher ist eine anleiheübergreifende Kollektivhandlung nach dem Leitbild eines Single Owner anzustreben.87 Die kollektive Bindung ist auch Garant für die Umlauffähigkeit der Schuldverschreibungen. Bereits „in guten Zeiten“ ist im Interesse risikoadäquater Bepreisung an den Kapitalmärkten, aber auch im Interesse der helfenden Staatengemeinschaft ein hohes Maß an Sicherheit über die Verhandlungsmöglichkeiten und Haftungsbeiträge in einer möglichen Krise des staatlichen Schuldners zu schaffen. Zugleich muss ihm im Wege einer präventiv anreizoptimierten Ausgestaltung der Sanierungsmaßnahmen die Eingehung unverhältnismäßiger finanzieller Risiken erschwert werden. Das gilt freilich unbeschadet der Letztverantwortlichkeit des Parlaments und unter Beachtung unbedingter demokratischer und rechtsstaatlicher Entscheidungsprozesse. Schließlich darf eine Insolvenzmaßnahme prospektiv nicht die Wiederherstellung des Kapitalmarktzugangs nach Abschluss einer Krise verbauen.

V. Lösungsoptionen Aufgrund der beschriebenen Schwächen eines ungeordneten, lediglich reaktiven Vorgehens 37 (Rz. 24–28), die sich in besonderem Maße in den Finanzkrisen Russlands im Jahr 1998, der Türkei 2000/2001 sowie Argentiniens 2001/2002 offenbarten, wurde zum Ende des 20. Jahrhunderts der Ruf nach einem präventiven institutionellen Ordnungsrahmen laut.88 Dabei stehen sich zwei Grundmodelle gegenüber. Einerseits das vom IWF favorisierte formelle Staateninsolvenzverfahren mit einer internationalen Konkursinstanz („statutory approach“ oder „große Lösung“). Andererseits das von den Staats- und Regierungschefs der G-7 und G-10 favorisierte sowie nunmehr von den Mitgliedstaaten des Euroraums umgesetzte vertragliche Konzept („contractual approach“ oder „kleine Lösung“) von Umschuldungsklauseln. Derartige Klauseln werden in die Anleihebedingungen von Gesamtemissionen aufgenommen, um den Rahmen für ein Restrukturierungsverfahren zu setzen. Sie sollen eine Umschuldung im Wege einer Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger mit Bindungswirkung auch für eine abweichende Minderheit ermöglichen. Ziel aller vorgeschlagenen Maßnahmen ist eine konsensuale Sanierung, mithin die geordnete Wiederherstellung der staatlichen Zahlungsfähigkeit und Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen aufgrund eines Konsenses zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern.89 Für sie wird gleichermaßen der Wunsch nach einer Entpolitisierung und Verrechtlichung des Verfahrens leitend.90 1. Formelle Insolvenzordnung – SDRM und ECRM Der umfassendste Ansatz zur Überwindung der Kollektivhandlungsprobleme ist eine formelle Insolvenzordnung auf Grundlage eines Staatsvertrags. Sie dient der Restrukturierung und Sanierung eines Staates mit dem Ziel der Wiederherstellung seiner Zahlungsfähigkeit, naturgemäß aber keiner Vermögensliquidation. Sie wird daher auch „Resolvenzverfahren“ 87 Dazu ausführlich Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 61 ff. (67 ff.). 88 S. dazu Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 472; Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 64 ff. 89 Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi), Wissenschaftlicher Beirat, Gutachten Nr. 01/2011, S. 21; Herdegen, WM, 2011, 913 (915); P. Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 214 Rz. 110; Schuknecht in Paulus, A Debt Restructuring Mechanism for Sovereigns, S. 183 f. 90 So Paulus in Giegerich/Heinz, Internationales Wirtschafts- und Finanzrecht in der Krise, S. 135 (140); Paulus, in Kadelbach, Nach der Finanzkrise, S. 105 (115); krit. vor dem Hintergrund unentziehbarer politischer Entscheidungen Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 171 ff.

Lendermann 993

38

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 39 genannt.91 Der Politik wird ein rechtlicher Ordnungsrahmen vorgegeben, der Willkür begrenzt und zugleich Rechtfertigung für Eingriffe in die Rechtspositionen bietet.92 Dem privaten Gläubiger wird durch die Einbindung internationaler Organisationen oder supranationaler Institutionen in verschiedener Funktion eine dem nationalen Recht des Schuldnerstaates entrückte Rechtsposition vermittelt.93 39

Unter dem Eindruck der Zahlungseinstellung Argentiniens im Winter 2001/2002 und angesichts seiner herausragenden Geberfunktion und Gläubigerstellung hat der IWF eine derartige Insolvenzordnung unter dem Titel des „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ (SDRM) konzipiert und befürwortet. In zwei Reden hat die damalige stellvertretende Direktorin des IWF, Anne O. Krueger, die grundlegenden Elemente aufgezeigt:94 Wesentliches Merkmal ist die Beteiligung aller Gläubiger, mithin nicht nur der Finanzinvestoren, sondern auch der Staatsbediensteten, Lieferanten usw., allerdings mit Ausnahme des Pariser Clubs. Ziel sollte es sein, die Gläubiger unter verbindlichem Ausschluss von Individualvollstreckungen (nicht lediglich einseitig erklärten und unverbindlichen Moratorien) formal gleichmäßig zu befriedigen. Die Gleichbehandlung sollte anleihe- und instrumenteübergreifend hergestellt werden und somit auch für unverbriefte Verbindlichkeiten wie v.a. Konsortialkredite gelten („Aggregation in Reinform“)95. Es wäre einem Gelegenheitsinvestor mithin nicht möglich, eine Mehrheit allein in einer bestimmten kleinen Anleihe günstig zu erwerben, um daraus ein Obstruktionspotential für den gesamten Sanierungsplan herzuleiten. Ein Mehrheitsabstimmungsverfahren der Gläubiger selbst sollte über die Umschuldungsvorschläge entscheiden. In der sogenannten „Fund heavy“-Version sollte der IWF oder eine andere unabhängige supranationale Instanz das Verfahren eröffnen und die Beschlüsse auch gegen eine dissentierende Minderheit für wirksam erklären.96 In der „Fund lite“-Version wäre dem Schuldner die Initiative überlassen geblieben, während der IWF auf eine Hinweisfunktion in Bezug auf den Restrukturierungsbedarf beschränkt gewesen wäre.97 Der Fund lite lässt sich kaum von dem nachfolgend dargestellten vertraglichen Ansatz unterscheiden. Indem alle Staaten in das national zu ratifizierenden IWF-Abkommen einbezogen worden wären, hätten alle Gläubiger über die Personal- oder Territorialhoheit dieser Staaten an die Beschlüsse gebunden werden können.98 Dieses Vorgehen hätte die vorherige Zustimmung eines jeden Einzelnen obsolet gemacht. Folglich wäre auch keine Einstimmigkeit für die jeweiligen Umschuldungsbeschlüsse erforderlich gewesen. Das damit verbundene Obstruktionspotential und Rechtsrisiko wäre entfallen. Allerdings scheiterte das Vorhaben am politischen Widerstand der Vereinigten Staaten von Amerika und einiger bedeutender Schwellenländer wegen des damit drohenden 91 So P. Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 214 Rz. 179 m.w.N., dem folgend Paulus, ZG 2010, 313 (316); s. auch Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 163. 92 Paulus, A Debt Restructuring Mechanism for Sovereigns, S. 191 ff. 93 Herdegen, WM 2011, 913 (916). 94 Anne O. Krueger, International Financial Architecture for 2002: a new approach to sovereign debt restructuring, Address given at the National Economists’ Club Annual Members’ Dinner, Washington DC, 26.11.2001 und Anne O. Krueger, New Approaches to Sovereign Debt Restructuring: An Update given on our Thinking, address given at the Conference on Sovereign Debt Workouts, Washington DC, 1.4.2002; zusammenfassend Anne O. Krueger in International Monetary Fund: A new approach to sovereign debt restructuring, Washington D.C., 2002 (jeweils abrufbar unter www.imf.org). 95 Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (165). 96 So der Vorschlag in der ersten Rede von Anne O. Krueger, International Financial Architecture for 2002: a new approach to sovereign debt restructuring, Address given at the National Economists’ Club Annual Members’ Dinner, Washington DC, 26.11.2001; vgl. Haldane/Penalver/Saporta/Shin, Analytics of sovereign debt restructuring, Bank of England Working Paper no. 203, 2003, S. 10 ff. 97 So tendenziell in der zweiten Rede von Anne O. Krueger, New Approaches to Sovereign Debt Restructuring: An Update given on our Thinking, address given at the Conference on Sovereign Debt Workouts, Washington DC, 1.4.2002. 98 Vgl. Herdegen, WM 2011, 913 (916).

994

Lendermann

Rz. 42 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Souveränitätsverlusts. Mexiko und Brasilien befürchteten zudem eine Erhöhung ihrer Refinanzierungskosten (dazu Rz. 74–76). Unterdessen hat der IWF den statutory approach nolens volens zugunsten des auch von den Kapitalmärkten favorisierten „contractual approach“ aufgeben.99 In der europäischen Finanz- und Staatsschuldenkrise erfuhr das Konzept unter einigen Anpassungen an die Besonderheiten des Europäischen Währungsraums eine Wiederauferstehung. Eine Arbeitsgruppe der Denkfabrik Breugel, der auch vormals beim IWF mit dem SDRM betraute Personen angehörten, entwickelte im Jahr 2010 den „European Crisis Resolution Mechanism“ (ECRM).100 Geplant war ein „Insolvenzgericht für Staaten“ oder in Anlehnung an den U.S. Bankruptcy Code ein „Chapter 11 für Staaten“. Im Rahmen der EU schien es am realistischsten umsetzbar, das zur Schaffung einer Staateninsolvenzordnung erforderliche Maß an Souveränität auf eine unabhängige Instanz zu übertragen. Freilich hätten die Kompetenzen dieser Instanz den vom Bundesverfassungsrecht aufgezeigten unübertragbaren Kernbereich der Souveränitätsrechte nicht berühren dürfen.101 Die Grundüberlegung ist, dass die EU als supranationale Organisation bindende Regeln für einen ständigen Mechanismus zur Restrukturierung von Staatsschulden für alle Mitgliedstaaten verabschieden könnte und einen dreigeteilten institutionellen Rahmen setzen könnte.102 Eine supranationale gerichtliche Institution, vorgeschlagen wurde eine spezialisierte Kammer am Europäischen Gerichtshof (EuGH), sollte die von den Gläubigern privatautonom getroffenen Umschuldungsbeschlüsse durchsetzen und Streitigkeiten beilegen. Eine wirtschaftliche Einheit, etwa die Europäische Kommission in Zusammenarbeit mit der EZB, sollte die Sanierungsverhandlungen leiten und die Richtigkeit der Angaben des Schuldners überprüfen. Eine finanzielle Einheit, damals die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), sollte schließlich die erforderlichen finanziellen Mittel bereitstellen.

40

Da das Verfahren auf Finanzgläubiger beschränkt sein sollte, stieß der Ausschluss der Emp- 41 fänger staatlicher Gehalts- und Sozialleistungen wegen der damit verbundenen Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtliche Bedenken.103 Zudem kann gegen die Automatisierung der Entscheidung über die Bereitstellung finanzieller Mittel im Rahmen des ECRM die verfassungsrechtliche Haushaltsautonomie der Mitgliedstaaten ins Feld geführt werden.104 Zwar wurde dem ECRM schließlich zugunsten eines marktbasierten Vorgehens mittels CACs eine Absage erteilt. Jedoch werden ähnliche Lösungen gerade auch von deutscher Seite immer wieder als mittel- bis langfristig anzustrebende Option ins Gespräch gebracht.105 2. Umschuldungsklauseln – Rey- und Quarles-Bericht der G-10 Das vertragliche Gegenkonzept von CACs beruht im Wesentlichen auf Empfehlungen der G-10. CACs waren bereits seit dem 19. Jahrhundert in Anleihen nach englischem Recht und 99 IWF, The Fund’s Lending Framework and Sovereign Debt – Preliminary Considerations, Juni 2014; basierend auf IWF, Sovereign Debt Restructuring – Recent Developments and Implications for the Fund’s Legal and Policy Framework, 26.4.2013, jeweils abrufbar unter http://www.imf .org. 100 Vgl. Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 26. 101 Herdegen, WM 2011, 913 (915 und 917). 102 Vgl. Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 5, 27 ff. 103 Vgl. Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (697). 104 Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 176 f. 105 Bundesministerium der Finanzen, Non-Paper, Comments on latest Greek Proposals, 10.7.2015, unter http://www.sven-giegold.de; in abgeschwächter Form Deutsche Bundesbank, Monatsbericht 2015, S. 30; mit Modifikationen auch Fuest/Heinemann/Schröder, Journal of common market studies 2016, 301 (314 ff.); Kluth, NZI 2015, 844 ff.

Lendermann 995

42

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 43 später auch nach japanischem und luxemburgischem Recht geläufig.106 Dagegen sah die New Yorker und auch die deutsche Marktpraxis keine „echten“ CACs, sondern allenfalls kautelarjuristische Ausweichmechanismen wie die dargestellten exit consents vor. Grund war das gesetzlich zwingende Einstimmigkeitserfordernis für wesentliche Änderungen von Anleihebedingungen, wie vor allem der Zahlungsbedingungen.107 Die Debatte um die Vorteile von CACs in Auslandsanleihen von Staaten begann auf akademischer Ebene im Jahr 1995.108 Im Jahr 1996 legte eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Zentralbanken und Finanzministerien der Mitgliedstaaten den nach ihrem Vorsitzenden benannten „Rey-Bericht“ vor.109 Ausgehend von einer Bestandsaufnahme zur internationalen Kapitalmarktpraxis und einem Rechtsvergleich zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen befürwortete sie darin die Etablierung vertraglicher oder statutarischer Bedingungen für Staatsanleihen mit folgendem Mindestinhalt: Eine einheitliche Vertretung der Anleiheinhaber, deren Befugnis, mit qualifizierter Mehrheit (statt Einstimmigkeit) eine für alle verbindliche Änderung der Anleihebedingungen zu beschließen, und die quotale Verteilung der Erlöse unter den Gläubigern. Diese Vorschläge dienten der Überwindung der Kollektivhandlungs- und Repräsentationsprobleme. Sie waren als Teil einer umfassenderen Erörterung von Krisenbewältigungsmechanismen recht allgemein gehalten. Ihre Umsetzung sollte dem Markt und den staatlichen Emittenten überlassen bleiben. 43

Im Zuge der Argentinienkrise legte die G-7 im April 2002 einen Aktionsplan vor.110 Die Initiative ging von den USA aus. Zur Vermeidung von Eingriffen aufgrund supranationalen Rechts setzten sie sich für eine marktbasierte Lösung ein, die bislang kaum mit ihrer Rechtsordnung in Einklang zu bringen war. Auf breiterer Basis setzten daraufhin die G-10 eine weitere Arbeitsgruppe „on Contractual Clauses“ mit dem Auftrag ein, aufbauend auf den Ergebnissen des Rey-Berichts konkrete Empfehlungen für kollektive Abstimmungsmechanismen auf vertraglicher Grundlage zu entwickeln, mit denen die Anleiheinhaber gleichmäßig an etwaigen Schuldenbereinigungen beteiligt werden könnten. Zugleich sollten verschiedene Vorschläge des IWF zum SDRM auf vertraglicher Basis nachvollzogen werden. Der nach dem Vorsitzenden dieser Arbeitsgruppe benannte „Quarles-Bericht“111 beschränkte sich auf die Anleihen souveräner Staaten, die einem anderen Recht als dem Heimatrecht des Emittenten unterworfen sind, mithin die in Gesamtemissionen verbriefte Auslandsschuld.112 Diese Beschränkung war insofern folgerichtig, als in den damaligen Anlassfällen die Schwellenländer Lateinamerikas allein mit ihrer Auslandsschuld zahlungsunfähig wurden und werden konnten. Zugleich hatten sie aufgrund des Devisenbedarfs ein hohes Maß an Auslandsschulden ausstehend. Darauf kam weit überwiegend das Recht eines Mitglieds der G-10 zur Anwendung. Die betreffende Jurisdiktion der G-10 konnte also den Rechtsrahmen für die Schulden eines anderen souveränen Staates bestimmen. Die Quarles Gruppe empfahl nach New Yorker Recht konzipierte, aber insbesondere den englischen Marktstandard berücksichtigende Klauseln, die größtenteils als Musterbedingungen ausformuliert waren. Mit diesen sollten die Anleiheinhaber zu einer Änderung der Anleihebedingungen qua Mehrheitsentscheid ermächtigt werden. 106 Vgl. Drage/Hovaguimian, Collective Action Clauses (CACs): An Analysis of Provisions included in recent Sovereign Bond Issues 2 (2004), abrufbar unter http://www.bankofengland.co.uk. 107 Zu den Regelungen im Einzelnen Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (701 f.). 108 Eichengreen/Portes, Crisis? What crisis? Orderly workouts for souvereign debtors, Centre for Economic Policy Research Working Paper, London 1995, S. 35 f., auf Basis der Studie von Greenwood und Mercer, ebenda, S. 109 f. 109 Bericht der G-10 „The Resolution of Sovereign Liquidity Crises“ von Mai 1996, http://www.bis. org. 110 G7 Finance Ministers and Central Bank Governors, Statement on the Action Plan, 20.4.2002, http://www.g8.utoronto.ca/finance/fm022004.htm. 111 Bericht der G-10 Working Group on Contractual Clauses v. 26.9.2002, http://www.bis.org. 112 Zum Begriff und den Auswirkungen Rz. 3.

996

Lendermann

Rz. 46 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Für Zahlungsbedingungen und andere wesentliche Beschlüsse („reserved matters“) sollte eine qualifizierte Mehrheit von bis zu 75 Prozent des ausstehenden Kapitals und in aller Regel die Zustimmung des Schuldners erforderlich sein. Für sonstige Bedingungen („nonreserved matters“) wurde ein Mehrheitserfordernis von höchstens 66 2/3 des Kapitals vorgeschlagen. Zudem sah der Bericht die Einsetzung eines ständigen Anleihetreuhänders (bondholder representative) – vergleichbar dem „Trustee“ nach englischem und U.S.-amerikanischem Recht113 – vor. Ihm sollte eine Kommunikations- und Koordinationsfunktion zukommen und die Vertretung und Rechtsverfolgung mit ausschließlicher Wirkung übertragen werden. Er wäre in seinen Entscheidungen grundsätzlich frei („at the representative’s own initiative“), jedoch nur auf kollektive Anweisung von mindestens 25 Prozent des Kapitals zum Handeln („acceleration“) verpflichtet. Eine qualifizierte Mehrheit von 66 2/3 des Kapitals konnte diese Anweisung wiederum zurücknehmen („rescission of acceleration“). Bilaterale Alleingänge und das vor allem mit Kündigung und Klageerhebung verbundene Erpressungspotential („disruptive legal actions“) einer organisierten Minderheit sollten damit ausgeschlossen sein. Der Anleihetreuhänder hatte zudem die Aufgabe, ggf. unzureichende Teilzahlungen quotal zu verteilen, um damit einem auf Vorzugsbehandlung ausgerichteten Vorhaben Einzelner den Anreiz zu nehmen. Insgesamt kann über den Anleihetreuhänder das Single Owner-Prinzip verwirklicht werden, so dass die Einheitlichkeit der Gesamtemission sowie deren Fungibilität als solche gewahrt wird.114 Andernfalls müssten aus praktischer Sicht separate Urkunden mitsamt getrennter ISIN für die (un-)geänderten, (un-)gekündigten, (un-)beglichenen Emissionen mit den damit zusammenhängenden Folgeproblemen erstellt werden.

44

Der in der Praxis verbreitete Umtausch der alten Anleihen in neue Anleihen mit geänderten 45 Bedingungen wurde in gleicher Weise den Gläubigerbeschlüssen unterworfen wie die Änderung der Anleihebedingungen der alten Anleihen. Es wurden keine anleiheübergreifenden Abstimmungsmechanismen (Aggregation) vorgeschlagen. Obgleich als wünschenswert bezeichnet, seien sie im Vertragskonzept nicht praktikabel.115 Dies wurde freilich ohne Prüfung der technischen Durchführbarkeit behauptet.116 Ebenso wurden Moratorien anders als noch im Aktionsplan der G-7 nicht für regelungsbedürftig befunden. Eine Anleiheemission von Mexiko im Frühjahr 2003 unter Verwendung der im Quarles-Bericht vorgeschlagenen Klauseln wird oftmals als Durchbruch des vertraglichen Konzeptes angesehen, zumal sie unter New Yorker Recht begeben wurde.117 Dass sich die Klauseln erheblich schneller und leichter implementieren ließen, schien zudem ihre praktische Überlegenheit gegenüber dem SDRM zu beweisen.118 In der Folge etablierten sich CACs als Marktstandard für Auslandsanleihen insbesondere von Entwicklungs- und Schwellenländern.119 Im April 2003 verständigten sich die Finanzminister der EU-Mitgliedstaaten darauf, die im Quarles-Bericht enthaltenen Musterklauseln künftig in die Bedingungen ihrer Auslandsanleihen aufzunehmen.120 Sie wollten mit gutem Beispiel vorangehen („leading by exam113 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Einleitung SchVG Rz. 29. 114 Friedl/Schmidtbleicher in Friedl/Hartwig-Jacob, § 4 SchVG Rz. 6. 115 Quarles-Bericht, S. 5 f. 116 Keller in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 157 (166 f.). 117 Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 28. 118 Dies erwarteten bereits Greenwood/Mercer in Eichengreen/Portes, Crisis? What crisis? Orderly workouts for sovereign debtors, S. 109 f. 119 IWF, Strengthening the Contractual Framework to address Collective Action Problems in Sovereign Debt Restructuring, Oktober 2014, S. 17; Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Februar 2013, S. 251. 120 Vgl. die historische Zusammenfassung auf der Internetseite des EFC-Unterausschusses, abrufbar unter www.europa.eu/efc/sub_committee/cac/old/index_en.htm.

Lendermann 997

46

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 47 ple“), um die Akzeptanz von CACs in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu fördern.121 In Deutschland war dies Grund und Anlass für die Emission der beiden U.S.-Dollar-Anleihen nach New Yorker Recht in den Jahren 2005 und 2009 unter Einbezug von CACs (§ 4 BSchuWG Rz. 20, 51). Sie sollten eine Ausnahme bleiben. Vielmehr emittierte Deutschland wie auch die meisten anderen Staaten des Euroraums aufgrund der hervorgehobenen Marktstellung und des geringeren Devisenbedarfs vorwiegend in Euro und unter eigenem Recht und heimischem Gerichtsstand. Devisen können sich Industriestaaten über Swap-Geschäfte der Zentralbanken beschaffen. In Inlandsanleihen kam CACs aufgrund der weiter vorherrschenden Meinung, die Inlandsschuld eines Staates könne von einer Restrukturierungsnotwendigkeit nicht betroffen sein, indes auch in der Folgezeit keine nennenswerte Bedeutung zu.122 Parallel und in der Folge unternahmen auch der Privatsektor des Institute of International Finance sowie Verbände wie die International Capital Markets Association (ICMA) Entschuldungsinitiativen und Konkretisierungen für das konsensuale Kriseninstrumentarium.123

VI. Umschuldungsklauseln aufgrund des Vertrags über den Europäischen Stabilitätsmechanismus 47

Der Europäische Rat beschloss am 24./25.3.2011 ein Maßnahmenpaket zur Umgestaltung der Währungsunion.124 Dessen Kern bildet die Errichtung eines ständigen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Er sieht einerseits die finanzielle Unterstützung für Staaten des Euroraums zu deren nachhaltiger Stabilisierung vor, andererseits aber auch eine Sanierungsbeteiligung privater Finanzgläubiger. Nach Umsetzung des Maßnahmenpakets lässt sich der rechtliche Bezugsrahmen für die Restrukturierung von Staatsanleihen des Euroraums aus Verpflichtung (dazu nachfolgend 1.), Konkretisierung (2.), Ermöglichung (3.) und Ermächtigung (4.) beschreiben.

48

Im Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus vom 2.2.2012 (ESMV)125 haben sich die Mitgliedstaaten des Europäischen Währungsraums dazu verpflichtet, in die Bedingungen ihrer ab dem 1.1.2013 neu begebenen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr CACs aufzunehmen.

49

Die inhaltliche Konkretisierung erfolgt in den Musterklauseln („Model CAC“ oder „Common Terms of Reference“, im Folgenden: CTR) des Unterausschusses des Wirtschafts- und Finanzausschusses für die Märkte für EU-Staatsanleihen (EFC Sub-Committee on EU Sovereign Debt Markets – im Folgenden: EFC-Unterausschuss) samt fakultativen Regelungen vom 17.2.2012 (CTR Supplemental Provisions) sowie den ursprünglichen Erläuterungen zum Anhörungsentwurf der CTR vom 26.7.2011 (Model Collective Action Clause Explanatory Note) und den ergänzenden und abschließenden Erläuterungen vom 26.3.2012 (Model 121 Stellungnahme des Vorsitzenden des EU Rats der Wirtschafts- und Finanzminister (ECOFIN), gegenüber dem International Monetary and Financial Committee (IMFC) v. 12.4.2003, auszugsweise wiedergegeben unter www.europa.eu/efc/sub_committee/cac/old/index_en.htm. 122 Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 22; Hofmann, Texas Int. Law Journal, Vol 49 (2014), 383 (391); Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 468. 123 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, § 26 Rz. 15 ff.; Oulds in Veranneman, Vorbem. zu § 5 SchVG Rz. 28 f. 124 Europäischer Rat, Tagung v. 24./25.3.2011, Schlussfolgerungen, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 2 ff. und 21 ff. (Anlage II); siehe auch schon die Erklärung der Euro-Gruppe v. 28.11.2010 „Allgemeinen Merkmale des künftigen Mechanismus“, abgedruckt in den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rats vom 16./17.12.2012, EUCO 30/1/10 REV 1, S. 8 ff. (Anlage II). 125 In Kraft getreten am 27.9.2012; dazu sogleich.

998

Lendermann

Rz. 52 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Collective Action Clause Supplemental Explanatory Note). Die CTR wurden vom EFC bewilligt.126 Die Wirksamkeit der Umschuldungsklauseln in den Emissionsbedingungen wird mit Einfügung der §§ 4a–4k in das BSchuWG ermöglicht („Enabling Law“). Die Normen sollen die AGB-rechtliche Wirksamkeit der Umschuldungsklauseln gewährleisten und regeln den Vollzug der Umschuldungsbeschlüsse sowie den nicht europarechtlich determinierten Rechtsschutz.

50

Die Ermächtigung zur Änderung der Anleihebedingungen aufgrund eines Mehrheits- 51 beschlusses mit verbindlicher Wirkung für alle Gläubiger findet sich in den konkreten, privatrechtlich ausgestalteten Emissionsbedingungen der Staatsanleihen des Euroraums. Sie beruhen einheitlich auf den CTR. In der Bundesrepublik Deutschland wurden die Emissionsbedingungen der Bundeswertpapiere (Emissionsbedingungen Bund) mit Wirkung vom 1.1.2013 um den mit Umschuldungsklauseln für Bundeswertpapiere (UmschKl) betitelten Anhang ergänzt.127 1. Vertrag über den Europäischen Stabilitätsmechanismus Die Finanzkrise in Staaten des Eurosystems der Jahre 2008 bis 2010128 hat erstmals wieder 52 nach dem zweiten Weltkrieg129 bzw. dem Vietnamkrieg130 vor Augen geführt, dass auch Industriestaaten vor Finanzkrisen nicht gefeit sind. Zudem wurde deutlich, dass Mitglieder einer Währungsunion erhöhten Ausfallwahrscheinlichkeiten unterliegen und bei einer EuroDenominierung die Unterscheidung zwischen Inlands- und Auslandsschuld eingeebnet ist (vgl. dazu oben Rz. 11). Der IWF sowie die EU-Mitgliedstaaten gewährten zunächst finanzielle Stützungsmaßnahmen auf ad hoc Basis („bail-out“). Die Hilfen der EU mittels der EFSF wurden schließlich im ESM institutionalisiert.131 Grundlage ist der ESMV (Rz. 48). Es handelt sich dabei um einen völkerrechtlichen und intergouvernementalen Vertrag, der kein Europarecht im engeren Sinne darstellt132 und mithin neben dem Recht der EU und deren Institutionen steht. Obgleich der EuGH in seiner Pringle-Entscheidung keinen Verstoß gegen EU-Recht erkennen konnte,133 sollten das beiderseitige Verhältnis geklärt und rechtliche Zweifel vermieden werden. Daher ebnete der Europäische Rat dem ESMV den Weg mit der Einfügung von Art. 136 Abs. 3 AEUV folgenden Inhalts: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“134 126 127 128 129 130 131

132 133 134

EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 10. Bekanntmachung v. 8.8.2012 (BAnz AT 14.8.2012 B1). Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien u.a. – sog. PIIGS-Staaten. Deutschland hatte bis nach dem zweiten Weltkrieg in kurzer Zeit dreimal seine Zahlungen eingestellt, Gianviti/Krueger/Pisani-Ferry/Sapir/Hagen, A European mechanism for sovereign debt crisis resolution, S. 6; Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (692). Die USA konnten der ausufernden Verschuldung in den 70er Jahren nur durch Aufhebung des Goldstandards Herr werden, siehe oben Rz. 3. Dazu von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 64 ff.; Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 365 ff.; Pilz, Der Europäische Stabilitätsmechanismus; krit. („Stabilisierung durch Destabilisierung des Rechts“) P. Kirchhof in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 214 Rz. 77 ff. von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 66, 75. Zu der Vereinbarkeit mit Art. 125 AEUV und zur Zulässigkeit des vereinfachten Verfahrens nach Art. 48 Abs. 6 EUV siehe EuGH v. 27.11.2012 – C-370/12 – Pringle – Rz. 76 und 147, Slg. 2012, I-0000. Beschluss v. 25.3.2011 (2011/199/EU), ABl. EU Nr. L 91 v. 6.4.2011, S. 1.

Lendermann 999

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 53 53

In Deutschland erfolgte die Umsetzung mit dem ESM-Ratifizierungsgesetz vom 13.9.2012135 und dem ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) vom 13.9.2012.136 Die ESM-Mitglieder genügten den vom Bundesverfassungsgericht am 27.9.2012 in einem Eilrechtsverfahren gemachten Auflagen137 mit einer gemeinsamen interpretativen Erklärung,138 wonach die parlamentarischen Informationsrechte gewährleistet und die Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus dem ESMV ohne dessen formelle Änderung auf ihren Anteil von 190 Mrd. Euro139 begrenzt sind. Somit konnte der ESMV am 27.9.2012 in Kraft treten.140

54

Zweck des ESM ist es ausweislich Art. 3 Satz 1 ESMV, „ESM-Mitgliedern, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, unter strikten, dem gewählten Finanzhilfeinstrument angemessenen Auflagen eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist.“ Dazu gewährt der ESM Finanzhilfen auf Grundlage der von der EU-Kommission in Absprache mit der EZB ausgehandelten Bedingungen im Wege einer Absichtserklärung („Memorandum of Understanding – MoU“).141 Der ESM agiert „wie der IWF“142 und in „sehr enger Zusammenarbeit mit dem IWF“.143 Die Maßnahmen umfassen Darlehensvergaben144 und den Erwerb von Anleihen eines ESM-Mitglieds am Primär-145 oder am Sekundärmarkt.146 Der ESM wird von den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets mit eingezahltem Stammkapital von nunmehr über 80,5 Mrd. Euro und rund 624,3 Mrd. Euro zusätzlich abrufbarem Stammkapital147 sowie durch ergänzende Darlehensaufnahme von bis zu 500 Mrd. Euro finanziert.148

55

Ein wesentlicher Bestandteil des Mechanismus ist die Beteiligung privater Finanzgläubiger. Damit soll den mit einem „Bail-out“ bekanntermaßen verbundenen Anreizproblemen und Rückwirkungen auf das Verhalten des Schuldners begegnet werden.149 Die souveränen Schuldner sollen keinem Moral Hazard150 in der Weise unterliegen, dass sie bei den Staatsausgaben sowie bei der Einnahmenpolitik des Euro-Währungsraums agieren können, als seien sie über den ESM versichert. Über die Haftungsbeteiligung der privaten Gläubiger soll zudem das Druckpotential der Marktkräfte für eine Haushaltsdisziplin nutzbar gemacht 135 BGBl. II 2012, 981, 983; der Bundespräsident hat mit der Unterzeichnung die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den bis dahin eingegangenen Eilanträgen abgewartet. 136 BGBl. I 2012, 1918. 137 BVerfG v. 12.9.2012 – 2 BvR 1390/12, BVerfGE 132, 195 (196 f.); siehe auch abschließend BVerfG v. 18.3.2014 – 2 BvE 6/12 u.a., BVerfGE 135, 317. 138 BGBl. II 2012, 1086; siehe auch Unterrichtung BT-Drucks. 17/10767, 3. 139 Vgl. Anhang II ESMV. 140 Der deutsche Bundespräsident hatte mit der Unterzeichnung der Ratifikationsurkunde gewartet, bis die interpretative Erklärung abgegeben worden ist. 141 Art. 13 ESMV. 142 Erwägung 13 ESMV. 143 Erwägung 8 ESMV. 144 Art. 16 ESMV. 145 Art. 17 ESMV; aufgeweicht unter dem Eindruck des zwischenzeitlichen OMT-Beschlusses der EZB; in den Eckpunkten zuvor noch deutlich strenger Europäischer Rat, Schlussfolgerungen der Tagung vom 24./25.3.2011, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 25 (Anlage II). 146 Art. 18 ESMV. 147 Stand nach dem Beitritt von Lettland und Litauen zum Euro-Währungsgebiet und somit zum ESM. 148 Vgl. Erwägung 6 ESMV. 149 Vgl. Sester, WM 2011, 1057 (1063); Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (689); Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 146 f., 471. 150 Zum Begriff vgl. Arrow, Essays in the Theory of Risk-Bearing, S. 142; siehe zudem Harris/Raviv, Journal of Economic Theory, Vol. 20 (1979), 231.

1000

Lendermann

Rz. 56 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

werden. Im Sinne des Veranlasserprinzips sollen sie die von ihnen eingegangenen Risiken selbst tragen. Ihre Schulden sollen zumindest nicht allein aus den Mitteln der Hilfsprogramme bedient werden. Andernfalls käme es zu einer einseitigen Belastung der Steuerzahler der Geberländer. Anzustreben wäre daher eine Kombination aus einem „Bail-out“ über den ESM zum Zweck der Stabilisierung und einem „Bail-in“151 der privaten Gläubiger aus Gründen der Marktdisziplin. Vor diesem Hintergrund hatte der Europäische Rat anfänglich gefordert, einen solchen privaten Haftungsbeitrag „in vollständiger Übereinstimmung mit der Praxis des IWF“ zum Teil der Konditionalität (zur „Auflage“) der Finanzhilfe des ESM zu machen.152 Im rechtlich verbindlichen Vertragstext hat dieses Vorhaben jedoch keinen Niederschlag mehr gefunden, sondern nur in den Erwägungsgründen, und auch dort nur in deutlich abgeschwächter Form.153 In Erwägung 12 ESMV findet sich dazu die Aussage, dass eine Beteiligung des Privatsektors „in Ausnahmefällen“ und „in angemessener und verhältnismäßiger Form“ in Fällen „in Betracht zu ziehen“ ist, in denen die Stabilitätshilfe „in Verbindung mit Auflagen in Form eines makroökonomischen Anpassungsprogramms“ gewährt wird. Demnach ist ein Schuldenschnitt entsprechend der Praxis des IWF erforderlich, wenn eine nachhaltige finanzielle Stabilisierung des Souveräns allein aufgrund eines makroökonomischen Anpassungsprogramms nicht zu erwarten ist, mithin der Schuldendienst ohne unrealistisch große Korrekturen auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite nicht erbracht werden kann.154 Aus anderem Blickwinkel wird darauf abgestellt, dass strukturelle Finanzierungsschwierigkeiten und nicht nur kurzfristige Liquiditätsengpässe vorliegen.155 Um dagegen auszuschließen, dass private Gläubiger von der Gewährung der Stabilitätshilfe des ESM profitieren, sollen ESM-Darlehen – vergleichbar denen des IWF – den Status eines bevorrechtigten Gläubigers haben, wobei akzeptiert wird, dass der IWF gegenüber dem ESM als Gläubiger vorrangig ist (Erwägung 13 Satz 2 ESMV). Mechanismus und Wirksamkeit dieses Vorrangs sind mangels eines förmlichen Insolvenzverfahrens im Einzelnen unklar, zumal in Fällen, in denen es nicht zu einem Haircut privater Forderungen kommt, diese mithin weiterhin voll bedient werden. Zudem wird der Vorrang im Verordnungswege geregelt sein müssen, um gegenüber Dritten, denen daraus Nachteile erwachsen, Wirksamkeit zu entfalten.156 Eine gesetzlich fundierte Hierarchie sowie eine differenzierte Haftungskaskade zwischen den Gläubigern und einem Abwicklungsfonds157 sowie ggf. sonstigen staatlichen Hilfen, wie sie etwa fester Bestandteil des Systems der Europäischen Bankenabwicklung geworden ist,158 finden sich hier nicht. Das liegt auch an der Aussicht, dass nach jahrelangen 151 Der Begriff wurde im Zusammenhang mit der Bankenrestrukturierung geprägt und fand nunmehr Eingang in die Gesetzgebung, vgl. insbesondere Abschnitt 5 der Bankenabwicklungsrichtlinie (Bank Recovery and Resolution Directive – BRRD), RL 2014/59/EU v. 15.5.2014, ABl. EU Nr. L 173/190 v. 12.6.2014; umgesetzt in Teil 4 Kapitel 2 Abschnitt 1 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG) = Art. 1 BRRD-Umsetzungsgesetz v. 10.12.2014, BGBl. I 2014, 2091 v. 18.12.2014; im EuroWährungsgebiet gilt zudem Art. 27 der Verordnung über den Einheitlichen Abwicklungsmechanismus (EU) Nr. 806/2014 v. 15.7.2014 (Single Resolution Mechanism Regulation – SRM-R), ABl. EU Nr. L 225/1 v. 30.7.2014; dazu ausf. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Juni 2014, S. 31, 41 ff. (zur BRRD), 46 ff. (zum SRM). 152 Europäischer Rat, Conclusions 24./25.3.2011, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 21 (Anlage II); Sester, WM 2011, 1057 (1063) spricht weitergehend von einer „Bedingung“. 153 Kritisch zur (fehlenden) Konditionalität einer Beteiligung privater Gläubiger auch Müller, Staatsbankrott und private Gläubiger, S. 371 ff.; Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 90 ff. 154 Europäischer Rat, Conclusions 24./25.3.2011, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 29 ff. (Anlage II). 155 S. Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (689). 156 Siehe Sester, WM 2011, 1057 (1063). 157 Vgl. den Single Bank Resolution Fund – SBRF, aufgrund des Agreement on the transfer and mutualisation of contributions to the Single Resolution fund, EF 121, ECOFIN 342 (2014) OJ 8457/14. 26 der 28 EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten dieses zwischenstaatliche Abkommen (Schweden und Großbritannien unterzeichneten es nicht). 158 Vgl. Abschnitt 5 BRRD bzw. Art. 27 SRM-R.

Lendermann 1001

56

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 57 Hilfsmaßnahmen die Emissionen des staatlichen Schuldners in Händen anderer Mitgliedstaaten oder Europäischer Institutionen wie der EZB liegen. Deren Beteiligung an dem Schuldenschnitt würde gerade nicht dem Ziel einer Haftung des Privatsektors genügen, sondern vielmehr die Nichtbeistandsklausel des Art. 125 AEUV strapazieren.159 Trotz der gleichermaßen bestehenden Systemrelevanz, Anreizproblematik und der ordnungspolitischen Bedenken erfordern die staatliche Souveränität des Schuldners sowie die Besonderheit seiner Gläubigerschaft eine größere Flexibilität. Diese Aspekte würden es nicht erlauben, der Politik für derart existenzbedrohende Krisen von vornherein ein vergleichbar engmaschiges rechtliches Korsett vorzugeben wie zur Bewältigung von Bankenkrisen.160 Der ECRM ist daran gescheitert (Rz. 40 f.). 57

Die Ermächtigung für einen Haftungsbeitrag der privaten Finanzgläubiger soll mit der flächendeckenden Einführung von CACs geschaffen werden. Dazu lautet Art. 12 Abs. 3 ESMV: „Ab 1. Januar 2013 enthalten [englische Version: „shall be included“] alle neuen Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln, die so ausgestaltet sind, dass gewährleistet wird, dass ihre rechtliche Wirkung in allen Rechtsordnungen des Euro-Währungsgebiets gleich ist [englische Version: „which ensures, that their legal impact is identical“].“161 Daraus ergibt sich die an die Mitgliedstaaten der Währungsunion adressierte Verpflichtung zur Einführung und fortwährenden Verwendung wirkungsgleicher CTR. Die Wirkungsgleichheit umfasst einerseits die Aufnahme entsprechender Klauseln in die Bedingungen der eigenen Staatsanleihen, andererseits aber auch die Gewährleistung, dass die Klauseln in der eigenen Rechtsordnung nach den materiell-rechtlichen und prozessualen gesetzlichen Rahmenbedingungen die beabsichtigte Wirkung entfalten.162 Eine rückwirkende Einführung stand nicht zur Debatte. Vielmehr dürfen die Mitgliedstaaten zum maßgeblichen Einführungstag ausstehende Anleihen in bestimmten Grenzen (45 Prozent im Jahr 2013 degressiv bis 5 Prozent ab dem Jahr 2023) zur Sicherstellung der Marktliquidität aufstocken („tap“); Hierbei muss weder der aufgestockte noch der ausstehende Teil mit CTR versehen werden, um die Einheit der Anleihe im Interesse ihrer Fungibilität wahren zu können.163

58

Erfasst sind alle Finanzgläubiger verbriefter Staatsschulden. Kurzfristige Schuldverschreibungen mit einer ursprünglichen Laufzeit von bis zu einem Jahr sind ausgenommen. Es zeigt sich hierbei eine Inkonsistenz zur Bankeninsolvenz. Dort sind zum Schutze des Geldmarktes nur deutlich kürzere Ursprungslaufzeiten von weniger als sieben Tagen vom Bail-in ausgenommen, vgl. Art. 91 Abs. 2 Nr. 5 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG).164 Die unterschiedliche Behandlung ist kaum mit dem staatlichen Emittenten zu rechtfertigen. Denn der Bail-in erfolgt sogar gegen den Willen der meisten Gläubiger auf Anordnung der zuständigen Behörde. Auch die Deutsche Bundesbank sieht die Ausnahme kritisch, da für den Staat in der Krise ein Anreiz bestehe, sich zunehmend kurzfristig zu refinanzieren.165 In

159 Interview mit Claudia M. Buch, Börsen-Zeitung v. 1.8.2015: „Die Diskussion über den Grexit ist müßig“. 160 Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es auch bei der Haftungsverteilung in der Bankenabwicklung einen gewissen Ermessensspielraum gibt, vgl. Art. 44 Abs. 3 BRRD. 161 Krit. zum Wortlaut der deutschen Sprachfassung („völlig verunglückt“) Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 98. 162 Vgl. Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 99 f. 163 Europäischer Rat, Conclusions 24./25.3.2011, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 21 (Anlage II); EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 9. 164 Art. 1 BRRD-Umsetzungsgesetz v. 10.12.2014, BGBl. I 2014, 2091 v. 18.12.2014, Umsetzung von Art. 44 Abs. 2 lit. e BRRD. 165 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2011, S. 58; zustimmend Sester, WM 2011, 1057 (1064).

1002

Lendermann

Rz. 62 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Deutschland ist dies allerdings wegen der haushaltsrechtlichen Trennung von Kassenverstärkungskrediten und Haushaltsdeckungskrediten weniger problematisch. Der ESMV nimmt keine Unterscheidung nach Inlands- und Auslandsschuld vor (dazu Rz. 3 f.). Insofern, als auch Inlandsanleihen (nach herkömmlichem Verständnis) mit CTR ausgestattet werden, reagieren die Vertragsparteien des ESM darauf, dass die Währungspolitik im Euro-Währungsraum kaum national zu beeinflussen ist (Rz. 11). Zugleich reduziert diese Lösung die Zulässigkeit gesetzlicher Zwangsumschuldungen. Die privatrechtliche Ermächtigungslösung lässt sich in dieser Hinsicht als juristische Selbstrestriktion lesen (§ 4b BSchuWG Rz. 37). Es sollen identische und standardisierte Klauseln in einer „die Marktliquidität wahrenden Form“ verwendet werden, die in den Vertragsbedingungen der Schuldtitel von allen derzeit 19 ESM-Mitgliedern harmonisiert werden.166

59

Die Föderalismusblindheit der EU wirkt sich darin aus, dass Länder und Gemeinden föderal organisierter Mitgliedstaaten nicht explizit dazu verpflichtet sind, ihre Anleihen mit derartigen Klauseln zu versehen.167 Ferner sind im Unterschied zum Konzept des ECRM alle nicht verbrieften Schulden wie etwa Konsortialkredite von Banken sowie Ansprüche aller nicht-finanziellen Gläubiger ausgenommen. Diese Beschränkung, zumindest soweit sie Bankkredite ausnimmt, die immerhin schon Gegenstand der Brady-Umschuldungen waren, sieht die Deutsche Bundesbank kritisch.168 Allerdings sah auch der ECRM gewisse Einschränkungen vor. Die Gegenparteien von Dauerschuldverhältnissen (insbesondere Staatsbedienstete) werden prospektiv ohnedies unter Austeritätspolitik im Sinne der Konditionalität des ESM zu leiden haben. Im Übrigen soll das Konzept nach dem Prinzip der Freiwilligkeit, des volenti non fit iniuria, funktionieren. Es wird allerdings befürchtet, dass die CTR am Ende mehr ein Lösungsdurchsetzungsinstrument der internationalen und europäischen Staatengemeinschaft denn ein Lösungsfindungsinstrument der Gläubiger darstellen.169

60

Mit dem ESMV wurde im Unterschied zum konzeptionellen Ansatz des ECRM keine supra- 61 nationale Rechtsprechungsinstanz geschaffen. Vielmehr bleibt die Regelung des Rechtsschutzes den Mitgliedstaaten überlassen. Einzige Vorgabe nach den CTR ist, dass der Gerichtsstand und das Recht eines Mitgliedstaats des Euro-Währungsraums gewählt werden müssen.170 Gleichwohl wird darin die Achillesferse des Konzepts gesehen.171 Einerseits fehlt es an der beabsichtigten Wirkungsgleichheit im Europäischen Währungsraum.172 Andererseits entscheidet der staatliche Schuldner quasi selbst über seine eigenen Umschuldungsmaßnahmen, wenn die Anleihen seinem eigenen Recht und Gerichtsstand unterliegen, auch wenn die Unabhängigkeit der Justiz und Unbefangenheit der Richter prinzipiell nicht in Frage gestellt werden soll (siehe dazu ausf. § 4b BSchuWG Rz. 15 f.). Die Regelung des Art. 12 Abs. 3 ESMV ist völkerrechtlicher Natur und bindet nur die Mitgliedstaaten. Sie wirkt nicht unmittelbar in deren Rechtsordnungen ein (nicht „self-executing“).173 Dazu ist sie nicht bestimmt und wäre dazu auch nicht ausreichend konkret. Vielmehr ist sie auf Ausführungsbestimmungen angewiesen, auf deren Grundlage die zivilrechtliche Rechtsbeziehung zwischen Gläubiger und Schuldner in den Emissionsbedingungen ausgestaltet werden kann (dazu sogleich Rz. 63–66).

166 Erwägung 11 ESMV. 167 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 45. 168 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2011, S. 58; zustimmend Sester, WM 2011, 1057 (1064). 169 So Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 154 (242, 472). 170 EFC-Unterausschuss, Erläuterungen zum Entwurf der CTR, S. 8 f. 171 Siehe etwa Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 264 (280, 390). 172 Vgl. erneut Art. 12 Abs. 3 ESMV: „… which ensures, that their legal impact is identical“. 173 Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 101.

Lendermann 1003

62

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 63 2. Musterklauseln des Unterausschusses des Europäischen Wirtschafts- und Finanzausschusses für EU-Staatsschuldenmärkte 63

Mit den Einzelheiten der rechtlichen Regelungen für die Aufnahme von CACs in Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets wurde das EFC betraut (Rz. 49). Dies ergibt sich aus Erwägungsgrund 11 Satz 2 ESMV. Die Kompetenzübertragung findet sich damit nur in der authentischen Auslegung des ESMV, nicht jedoch in seinem rechtsverbindlichen Normtext. Die vom EFC-Unterausschuss entworfenen CTR sind nicht als Anhang zum ESMV dessen Bestandteil geworden und auch nicht in die Form einer EU-Verordnung gegossen worden.174 Vielmehr sollte den Mitgliedstaaten die Flexibilität zu Anpassungen gelassen werden, um ihrer Souveränität Genüge zu tun und ihren Rechtsordnungen gerecht zu werden. Dies zeigt sich etwa an den nur fakultativen „Supplemental Provisions“. Somit sind die CTR nun weder unmittelbar geltendes EU-Sekundärrecht, noch nehmen sie an der völkerrechtlichen Verbindlichkeit des ESMV teil. Vielmehr sind sie „soft law“. Das Weniger an Rechtssicherheit, Verbindlichkeit und Harmonisierungsgewähr175 sollte durch ein Mehr an Flexibilität gerechtfertigt und mit einer flankierenden Umsetzungskontrolle176 sowie der Möglichkeit eines Verletzungsverfahrens gemäß Art. 37 Abs. 2, 3 ESMV aufgefangen werden.177 Im Übrigen hätte es einen Systembruch dargestellt, wenn die auf Ebene der Gleichordnung begründeten Anleihevertragsverhältnisse inhaltlich auch nur teilweise mit hoheitlich verordneten Emissionsbedingungen konkretisiert worden wären.

64

Die CTR sind nur in englischer Sprache, nicht in allen Amtssprachen der EU178 verfasst. Dies macht die Übersetzung zur nationalen Angelegenheit, führt zu Auslegungsschwierigkeiten und erschwert die von Art. 12 Abs. 3 ESMV vorgesehene Wirkungsgleichheit. Zu dem Verfahren einer nachträglichen Änderung schweigt der ESMV.179 Zum Inhalt der CTR hatte die Eurogruppe bereits am 28.11.2010 detaillierte Eckpunkte skizziert.180 Diese hat der Europäische Rat in seinem Beschluss vom 24./25.3.2011 weiter verfeinert.181 Ihre Grundlagen sollten mit den im New Yorker Recht und im englischen Recht üblichen CACs vereinbar sein. Die Bezugnahme auf New Yorker Recht erstaunt, weil sich Traditionslinien der CACs vorwiegend zum englischen und japanischen Kapitalmarktrecht finden. Im U.S.-amerikanischen Recht etablierten sie sich hingegen erst aufgrund der Empfehlungen der QuarlesGroup. Demnach ist davon auszugehen, dass dem Europäischen Rat die verbindliche Einführung von CACs gemäß dem Quarles-Bericht in sämtlichen Staatsanleihen vorschwebte, sofern dies mit den nationalen Rechtsordnungen und der nationalen Emissionspraxis zu vereinbaren ist. Kern sollten Klauseln sein, die zum Zwecke der Umschuldung eine Änderung der Emissionsbedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger mit Zustimmung des Bundes ermöglichen. 174 Zu diesen Ansätzen Sáinz de Vicuña y Barroso in Bauer/Cahn/Kenadjian, Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, S. 15 (21 ff.). 175 Vgl. Sáinz de Vicuña y Barroso in Bauer/Cahn/Kenadjian, Collective Action Clauses and the Restructuring of Sovereign Debt, S. 15 (21 ff.); Hofmann, Texas Int. Law Journal 2014 (49. Jg.), 383 (391). 176 Vgl. EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 10. 177 Krit. Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 107 ff.; die Umsetzungskontrolle erscheine als stumpfes Schwert, zumal der ESM selbst nicht antragsbefugt ist. 178 Vgl. Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWG VO 1/1958, ABl. Nr. 017 v. 6.10.1958, S. 385 f. iVm. Art. 342 AEUV, siehe auch Art. 24 AEUV, Art. 55 EUV. 179 Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 105 ff. 180 Erklärung der Euro-Gruppe v. 28.11.2010 „Allgemeinen Merkmale des künftigen Mechanismus“, abgedruckt in den Schlussfolgerungen der Tagung des Europäischen Rats v. 16./17.12.2012, EUCO 30/1/10 REV 1, S. 8 ff. (Anlage II). 181 Europäischer Rat, Tagung v. 24./25.3.2011, Schlussfolgerungen, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 31 f. (Anlage II).

1004

Lendermann

Rz. 67 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Die für eine allgemeinverbindliche Änderung der Emissionsbedingungen erforderliche Gläubigermehrheit sollte sich danach richten, ob über eine wesentliche Angelegenheit (reserved matters) oder eine sonstige Angelegenheit (non-reserved matters) zu beschließen ist. Als besondere Neuerung gegenüber dem vom Quarles-Bericht geprägten Marktstandard sollten die CTR auch zu einer emissionsübergreifenden Aggregation ermächtigen, sofern die betreffenden Anleiheklassen einer einzigen Gerichtsbarkeit unterliegen.182 Nach den Vorstellungen des Europäischen Rats sollte für eine angemessene Vertretung gesorgt werden. Flankierend sollten geeignete Klauseln zur Verhinderung blockierender Rechtsstreitigkeiten in Erwägung gezogen werden. Den zuletzt genannten Aspekten hätte mit der verbindlichen Übertragung der Gläubigerrechte auf einen Anleihetreuhänder (Trustee) nach anglo-amerikanischem Vorbild genügt werden können.183 Aus kontinentaleuropäischer Sicht hätte es nahe gelegen, einen gemeinsamen Vertreter aller Gläubiger mit verdrängender Wirkung nach schweizerischem, deutschem und ähnlich auch französischem Vorbild zu etablieren.184 Dies ist nicht geschehen. Anders als in Auslandsanleihen sei dies nach der Begründung des EFC in Inlandsschulden nicht gebräuchlich.185 Die CTR müssen aber beiden Anleihearten gerecht werden. Eine ähnliche Argumentation gilt für Klauseln zur kollektiven Ausübung des Rechts auf Gesamtfälligstellung („acceleration“) bzw. deren Rückgängigmachung („rescission of acceleration“) unter Beschränkung der individuellen Rechtsausübung und -durchsetzung durch einzelne Gläubiger. Sie sind am Ende nur in die CTR Supplemental Provisions (dort Ziff. 2.1, 2.2 und 3.1) eingeflossen. Nach Ansicht des EFC-Unterausschusses können diese auf dem internationalen Anleihemarkt durchaus anzutreffenden Gestaltungen nicht verbindlich für alle Auslands- und Inlandsanleihen vorgeschrieben werden, weil sie mit der Emissionspraxis oder der Rechtsordnung einzelner Mitgliedstaaten nicht zu vereinbaren seien.186 Ihre Umsetzung hat der EFC-Unterausschuss den Mitgliedstaaten freigestellt.

65

Entgegen eines entsprechend geäußerten Bedarfs187 fehlen in den CTR Moratoriumsklauseln, die Umschuldungsverhandlungen und nicht zuletzt dem Einsatz des ESM den nötigen zeitlichen Spielraum gewähren würden. Der EFC-Unterausschuss hat schließlich auch die Einbeziehung von Klauseln empfohlen, aber nicht obligatorisch vorgeschrieben, aufgrund derer der Schuldner ohne jegliche Zustimmung der Gläubiger offensichtliche Fehler bereinigen und technische Ergänzungen vornehmen kann.188

66

3. Die §§ 4a–4k des Bundesschuldenwesengesetzes Die AGB-rechtliche Problematik von CACs in Emissionsbedingungen stellt sich bei Anleihen staatlicher Emittenten in selber Weise wie bei Anleihen privater Emittenten. Die Begründung der Bundestagsfraktionen, die das Gesetz initiierten und entwarfen, bezieht sich auf die in der Literatur immer noch umstrittene189 Rechtsprechung des Bundesgerichts-

182 Dazu Oulds in Veranneman, Vorbem. zu § 5 SchVG Rz. 60. 183 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, Einleitung SchVG Rz. 36 f.; Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 474. 184 Siehe Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (708 f.); Hofmann, Texas Int. Law Journal 2014 (49. Jg.), 383 (398 f.). 185 EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 8. 186 EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 7 f. 187 S. etwa Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2011, S. 73 ff.; für eine moratoriumsähnliche Übergangszeit von drei Jahren Fuest/Heinemann/Schröder, Journal of common market studies 2016, 301 (314 ff.). 188 Ziff. 1.1 Supplemental Provisions CTR. 189 S. etwa von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 ff.; umfassend Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 295 ff. mit besonderer Erörterung der Skriptur bei Schuldbuchforderungen in S. 289 ff.

Lendermann 1005

67

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 68 hofs190 zu der erstmalig schon 1990 aufgeworfenen Frage,191 ob Emissionsbedingungen Allgemeine Geschäftsbedingungen darstellen und daher einer gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen können (§ 3 SchVG Rz. 72 ff., 76).192 Würde die Umschuldungsklausel für unwirksam erklärt, wäre die Mehrheitsentscheidung über die Änderung der Emissionsbedingungen für den einzelnen Gläubiger nicht verbindlich. Ziel der §§ 4a–4k des BSchuWG ist es deshalb, den Umschuldungen von Staatsanleihen im Anwendungsbereich des deutschen Rechts Rechtssicherheit zu verleihen. Dazu sollen nach der Gesetzesbegründung die wesentlichen Grundgedanken der auf europäischer Ebene vereinbarten CTR im Sinne eines Leitbildes gesetzlich verankert und somit der richterlichen Kontrolle entzogen werden.193 Dieses Leitbild soll sich eng an den zwischen den Staaten des Euro-Währungsgebiets in englischer Sprache ausgehandelten Musterbestimmungen orientieren. 68

Dem ging eine über mehrere Jahre geführte Diskussion voraus. Als das SchVG im Jahre 2009 für „nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen“ (§ 1 Abs. 1 SchVG) in Kraft getreten ist, waren zuvor in letzter Minute Schuldverschreibungen des Bundes, seiner Sondervermögen, der Länder und Gemeinden vom Anwendungsbereich ausgenommen worden, vgl. § 1 Abs. 2 (nunmehr Abs. 2 Satz 1) SchVG.194 Offiziell wurde dafür der Grund angeführt, dass wegen der fehlenden Insolvenzfähigkeit dieser Emittenten kein Bedürfnis dafür bestünde, die Anleihebedingungen während der Laufzeit dieser Schuldverschreibungen zu ändern.195 Das verwundert, wurde diese Ausnahme doch schon als Defizit des früheren SchVG 1899 beklagt.196 Angesichts der in jüngster Vergangenheit tatsächlich zu beobachtenden Zahlungsschwierigkeiten einzelner EU-Mitgliedstaaten vermag es auch empirisch wenig zu überzeugen.197 Im Übrigen kann die Anpassung von Anleihen auch außerhalb von Krisenzeiten erforderlich werden.198 Es wird daher gemutmaßt, dass dahinter in Wahrheit Befürchtungen standen, die Einführung der CACs werde nachteilige Auswirkungen auf die Refinanzierungskosten der öffentlichen Hand haben (dazu Rz. 74–76).199

69

Die Bereichsausnahme beschränkt sich nicht auf unter deutschem Recht begebene Euro-Anleihen, sondern gilt auch für Anleihen in ausländischer Währung. Der Bund war jedoch unverändert an die Zusage gegenüber der G-10 aus dem Jahre 2003 zur Einbeziehung von CACs nach Quarles-Standard in seine Auslandsanleihen gebunden (Rz. 46), deren effektive Erfüllung er nunmehr selbst gefährdete.200 Durch die explizite Ausnahme hat der Bund die rechtliche Wirksamkeit der Klauseln in seinen eigenen Emissionsbedingungen entgegen

190 BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 (312) = AG 1993, 125 m. Anm. Claussen. 191 Hopt in FS Steindorff, S. 341 (364 ff.). 192 BT-Drucks. 17/9049 v. 20.3.2012, S. 7 unter A.I.; zu dieser Parteinahme in einer noch nicht beendeten Streitfrage, welche in der Begr. RegE zum SchVG 2009 noch vermieden wurde, obgleich das Gesetz sie obsolet machte, krit. Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (16). 193 BT-Drucks. 17/9049 v. 20.3.2012, S. 7 unter A.I.; krit. Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (16 f.): die Regelung könne schon wegen des Änderungsvorbehalts keine Leitbildfunktion übernehmen; ähnlich Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 174, der darin indes eine notwendige Ermächtigung sieht. 194 Krit. Horn, BKR 2009, 446 (447); Sester, WM 2011, 1057 (1057); Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (16 f.); Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (75). 195 Begr. RegE SchVG, BT-Drucks. 16/12814, 16. 196 Horn, BKR 2009, 446 (447 f.). 197 Oulds in Veranneman, Vorbem. zu § 5 SchVG Rz. 33. 198 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 135, 151. 199 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (75). 200 Vgl. Horn, BKR 2009, 446 (447); Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 160.

1006

Lendermann

Rz. 71 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

dem Auftrag der G-10201 nicht sichergestellt, sondern in Zweifel gezogen. Die in dieser Ausgestaltung emittierten U.S.-Dollar-Anleihen aus den Jahren 2005 und 2009 standen forthin und rückwirkend auf juristisch dünnem Eis.202 Offenbar in der Hoffnung, dass die Effektivität der CACs niemals unter Beweis gestellt werden müsste, hat der Bund in Kenntnis der zu diesem Zeitpunkt bereits bestehenden Bereichsausnahme des § 1 Abs. 2 SchVG 2009 selbst noch die jüngere der beiden genannten U.S.-Dollar-Anleihen mit CACs begeben.203 Zwar wird in der Literatur zu Recht vertreten, dass das SchVG (weiterhin) für Anleihen aller Emittenten eine Leitbildfunktion übernehme, die Ausnahme also kein Verbot, sondern lediglich eine Freistellung bewirke.204 Deshalb könnten auch die Emissionsbedingungen öffentlicher Emittenten nicht nach § 307 BGB für unwirksam erklärt werden, wenn sie mit den Vorgaben des SchVG in Einklang stünden.205 Für dieses Ergebnis sprechen gute Gründe. Die Argumentation ist jedoch angreifbar.206 Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit noch so gering erscheint, dass das zuständige Gericht ihr wegen der klaren gesetzgeberischen Ausnahme nicht folgt, sind aufgrund der Höhe des Emissionsvolumens sowie der verheerenden Folgen, die ein Scheitern der Umschuldung mit sich brächte, die Rechtsrisiken kaum überschaubar. Die entstandenen Regelungslücken werden nunmehr zur Umsetzung des ESMV nicht etwa durch eine schlichte Aufhebung der Bereichsausnahme in § 1 Abs. 2 SchVG, sondern durch eine eigenständige gesetzliche Regelung zumindest für Bundesanleihen geschlossen. Obgleich dieses Vorgehen dem ersten Anschein nach ineffizient erscheinen mag,207 ist es letztlich zu begrüßen. Die Neuregelung genügt auf diesem Wege nämlich auch dem haushaltsrechtlichen Gesetzesvorbehalt und dem grundrechtlichen Ausgestaltungsgebot des Eigentumsrechts. Es kann darin eine scheinbar „freiwillige“ Sonderabgabe der Anleihegläubiger gesehen werden. Wegen der Abweichung vom abgabenrechtlichen Äquivalenzprinzip bedarf sie einer besonderen gesetzlichen Rechtfertigung. Dieser Aspekt bleibt allerdings sowohl im Gesetzgebungsverfahren als auch in der Literatur ungesagt (siehe dazu § 4a BSchuWG Rz. 30–34).

70

Die gefundene Regelung baut auf dem SchVG auf, dessen Formulierungen sie zu einem Teil wortgleich überträgt, zu einem weiteren Teil auf die CTR bzw. die UmschKl zuschneidet (insbesondere §§ 4a–4d, 4f BSchuWG), im Übrigen aber nicht übernimmt (z.B. §§ 2–4, 7,

71

201 G-10 Quarles-Bericht, S. 4, Fn. 3: „As far as Germany is concerned, statutory rules exist for domestic issuance [Anm.: aufgrund des SchVG 1899]. However, some market participants are of the view that legislative clarification would be necessary to support the validity of such clauses in sovereign bonds governed by German Law. While the German government has confirmed in public the validity of such clauses in sovereign bond issues, further legal clarification is now underway in order to encourage and promote the use of collective action clauses in foreign bonds issued in Germany.“ 202 Zu der im Hinblick auf die Umschuldungsklauseln bemerkenswerten Konstruktion der älteren der beiden U.S.-Dollar-Anleihen vgl. Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 91 Fn. 397. 203 Vgl. Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (76 Fn. 9). Ob der Umstand, dass eine Umschuldung wegen fehlender Ermächtigung in den Emissionsbedingungen gegebenenfalls unwirksam ist, für den Gläubiger ein Rechtsrisiko darstellt, auf das der Bund in den Verkaufs- und Börsenprospekten hätte hinweisen müssen, mag dahingestellt bleiben. Man könnte hierin auch eine Chance sehen; Hinweise fanden sich indes im Informationsmemorandum gemäß Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 49. 204 Vgl. Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (17). 205 Vgl. Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (75 f.). 206 Vgl. etwa Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 154 ff., 174. 207 Krit. („überflüssig“) Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (16 f.); ebenso („anlassbezogene Gesetzgebungstechnik“) Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73, 88; Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 317 (Provokation „systematischer Brüche“).

Lendermann 1007

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 72 8, 16, 18, 23 SchVG).208 Bei einem Blick auf die spartanische Rechtssetzung im Bereich des Organisationsrechts (z.B. Fehlen einer dem § 16 SchVG vergleichbaren Norm) scheint an manchen Stellen der Gedanke vorgeherrscht zu haben, dass es dieser Vorschriften gar nicht erst bedarf oder am Ende das öffentliche Recht ohnehin die Oberhand über die zivilrechtliche Ausgestaltung erhalten wird. Die gläubigerorganisationsrechtlichen Vorgaben der §§ 4a–4k BSchuWG sind entsprechend § 5 SchVG weitgehend optional ausgestaltet („können“, § 4a Satz 1 BSchuWG). Sie bauen stärker als das SchVG auf Gestaltungsfreiheit (vgl. § 4a Satz 3 BSchuWG).209 Dieser Gestaltungsfreiheit setzen die völkerrechtliche Verpflichtung aus dem ESMV auf der einen Seite und die AGB-rechtliche Klauselkontrolle auf der anderen Seite Grenzen (dazu § 4a BSchuWG Rz. 44–46). 4. Die Umschuldungsklauseln in den Emissionsbedingungen des Bundes 72

Die UmschKl sind zum 1.1.2013 als Anhang in die Emissionsbedingungen Bund aufgenommen worden. Damit sind sie in identischer Form Vertragsbestandteil der Bundesanleihen, Bundesobligationen, Bundesschatzanweisungen und Unverzinslichen Schatzanweisungen des Bundes mit Ausnahme der Bundeswertpapiere, bei denen die Laufzeit zwischen Ausgabetag und Fälligkeitstag nicht mehr als ein Jahr beträgt, vgl. § 12 Abs. 1 Satz 2 Emissionsbedingungen Bund. Bei der Bund-Länder-Anleihe (§ 4 BSchuWG Rz. 8) beziehen sich die UmschKl nur auf den Anteil des Bundes. Die UmschKl gelten nur für Neuemissionen, wobei Aufstockungen von Altemissionen möglich sind (Rz. 57). Dieser Umstand ist für die Aggregationsmöglichkeiten von großer Bedeutung und wirft bei nachträglicher Einfügung der UmschKl in bestehende Emissionen eine Rückwirkungsproblematik auf. Ab 2013 wurden neue Fälligkeitstermine festgelegt, damit Strips alter Anleihen ohne CACs und solche neuer Anleihen mit CACs nicht vermischt werden können.210

73

Die UmschKl stellen eine interpretative Übersetzung der CTR in die deutsche Sprache dar. Inhaltlich folgen sie ihnen im Wesentlichen. Nur an wenigen Stellen sind übersetzungsbedingte oder bewusste inhaltliche Abweichungen vorgenommen worden.211 Mit letzteren sollte offenbar der bestehenden Interessenlage oder den rechtlichen Besonderheiten der Bundesemissionen Rechnung getragen werden. Insbesondere hat der Bund von einer verdrängenden Kollektivierung der Rechtsausübung und einer einseitigen technischen Änderung durch den Schuldner abgesehen. Der Grund dafür ist, dass die Emissionsbedingungen kein (außerordentliches) Kündigungsrecht vorsehen212 und der Klauselersteller offenbar – irrtümlich – annahm, dass ein solches auch nicht kraft Gesetzes besteht.213 Ferner ist in den Emissionsbedingungen Bund kein „Fiscal Agent“ oder „Trustee“ vorgesehen.214 Somit wäre keine Person oder Institution ersichtlich, die kollektiv die Rechte aller Gläubiger mit verdrängender Wirkung wahrnehmen kann.

208 Zur differenziert zu betrachtenden analogen Anwendung der §§ 2–4 SchVG siehe § 4 BSchuWG Rz. 31–47. 209 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (87); Nodoushani, WM 2012, 1798, 1799; Sester, WM 2011, 1057 (1057). 210 Bundesrepublik Deutschland – Finanzagentur GmbH, Emissionsplanung des Bundes Jahresvorausschau und erstes Quartal 2013, Pressemitteilung Nr. 25/12, S. 3. 211 Dazu Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 324 ff. 212 Vgl. § 5 Satz 2 Emissionsbedingungen Bund und Fn. 1 Supplemental Provisions CTR. 213 Anders aber OLG Frankfurt v. 17.9.2014 – 4 U 97/14, AG 2015, 87 = ZIP 2014, 2176, und OLG Köln v. 9.7.2015 – 3 U 58/12, ZIP 2015, 1924; vgl. schon Schmidtbleicher, Anleihegläubigermehrheit, S. 343; Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 353. 214 Das wäre aber Voraussetzung nach Fn. 2 Supplemental Provisions CTR.

1008

Lendermann

Rz. 76 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

VII. Finanzierungskosten, Preisbildung und Halter Gegen die Einfügung von CACs wird ins Feld geführt, sie erhöhten die Finanzierungskosten von Staaten.215 Diese Vermutung wurde im Jahr 2009 offenbar auch für die Bereichsausnahme in § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SchVG leitend.216 Die Begründung der Bundestagsfraktionen zur Änderung des BSchuWG aus dem Jahre 2012 sieht drohende Wettbewerbsverzerrungen für den Fall, dass die CACs nicht vollharmonisiert eingeführt würden.217 Mit solchen Wettbewerbsverzerrungen dürften vor allem unterschiedliche Finanzierungskosten gemeint sein. Der Europäische Rat betont indes, dass die Einbeziehung von CACs in Anleihen keine implizite Aussage über ein erhöhtes Ausfall- oder Umschuldungsrisiko zulässt.218 Das ist insofern nachvollziehbar, als auf Basis der Umschuldungsklauseln die rechtliche Lage lediglich der wirtschaftlichen Lage angepasst werden soll, letztere aber von den CACs unabhängig ist. In der Stärkung der Gläubigerautonomie und der erhöhten Planungssicherheit bei der Restrukturierung aufgrund von CACs wird mit Blick auf die Vermeidung eines Totalverlusts sogar ein eigenständiger Wert gesehen.219

74

Dagegen wird man zunächst generell einschränken müssen, dass der dauerhafte Zahlungs- 75 ausfall eines souveränen Schuldners auf lange Sicht unrealistisch erscheint. CACs sollen scheinbar im Interesse der Gläubigermehrheit liegen, führen aber primär zu einer Verschiebung der Verhandlungsmacht hin zum Schuldnerstaat.220 Das Obstruktionspotenzial einer Minderheit gegen einen Schuldenschnitt soll keinen Wert haben, hat ihn aber. Wenn die Gläubigerschaft oder auch nur eine Gläubigerminderheit ihre Chance auf eine Rückzahlung zu 100 Prozent verliert, liefert ihr dies durchaus rationale Gründe für Preisabschläge. Sie kann nicht mehr auf Rückzahlung zum Nennwert, sondern nur noch auf die Höhe des Schuldenschnitts spekulieren. Die Einführung von CACs ist demnach kursrelevant. Wie hoch die Differenz der Kurse von Anleihen ohne CACs und die Kurse von solchen mit CACs konkret ausfällt, hängt von der finanziellen Verfassung des Schuldners und letztlich auch von der aktuellen Gläubigerstruktur ab, mithin davon, ob sich Sperrminoritäten gegen eine Umschuldung finden. Der Spread wird „in guten Zeiten“ gering sein, in Krisenzeiten aber deutlich ansteigen. Außerdem lebt der Markt von der objektiv heterogenen Verteilung von Informationen und deren subjektiv unterschiedlicher Bewertung.221 Von der Einfügung von CACs kann daher zudem ein – möglicherweise auch nur irrationales – Signal über die Möglichkeit oder gar erhöhte Wahrscheinlichkeit eines Kreditereignisses („default“) ausgehen,222 für das die Kapitalmärkte oder auch nur Teile davon empfänglich sind. Ist die Einführung von CACs mithin kursrelevant, werden Staatsanleihen von Seiten der EU und der souveränen Schuldner gleichwohl weiterhin so zu behandeln versucht, als sei dies nicht der Fall.223 Der oben genannte Hinweis des Europäischen Rats soll ebenso wie ihre flächendeckende Einführung224 einer solchen Interpretation begegnen. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber in § 4a Pfandbriefgesetz klargestellt, dass Umschuldungsklauseln in den Emis215 So etwa Choi/Gulati/Posner, Capital Markets Law Journal 2011, 163 (167); Herdegen, WM 2011, 913 f. und 917; a.A. Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (690); Sester, WM 2011, 1057 (1059). 216 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (75). 217 BT-Drucks. 17/9049 v. 20.3.2012, S. 7. 218 Europäischer Rat, Conclusions 24./25.3.2011, EUCO 10/1/11 REV 1, S. 31. 219 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (690) m.w.N. 220 Vgl. Horn, ZHR 173 (2009), 12 (29 ff.); Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 11; in anderem Zusammenhang Sester, WM 2011, 1057 (1059). 221 Vgl. Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, S. 187; Lendermann, Darlehensveräußerungen durch Banken, S. 34. 222 Vgl. Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (690) m.w.N. 223 Ebenso Sandrock, WM 2013, 393 (394) („Widerspruch“). 224 Sester, WM 2011, 1057 (1059).

Lendermann 1009

76

Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 77 sionsbedingungen von Schuldverschreibungen des Bundes deren Deckungsstockfähigkeit nicht entgegenstehen. Die Mündelsicherheit gemäß § 1807 Abs. 1 Nr. 2 BGB blieb ungeachtet der Einfügung der Umschuldungsklauseln unangetastet.225 Die EZB schließt Staatsanleihen, die CACs enthalten, nicht vom Ankauf aus, legt hierfür aber programmspezifische Schwellenwerte fest, dies aber nicht zur Risikobegrenzung, sondern zur Selbstbeschränkung ihres Einflusses bei Umschuldungsbeschlüssen (dazu sogleich Rz. 77–79).

VIII. Staatsanleihenankauf der EZB und Haftung der Anleihegläubiger 77

Die Ankündigung des OMT-Programms226 und der Ankauf von Staatsanleihen aufgrund des Public Sector Purchase Programme (PSPP)227 durch die EZB stehen in einem Spannungsverhältnis zum Konzept der Umschuldungsklauseln. Auf den ersten Blick wird man die Einschätzung der Literatur teilen wollen, dass die EZB aufgrund ihres Stabilitätsauftrags und ihrer Beteiligung am Restrukturierungsprozess des ESM228 die in diesem Rahmen vorbereiteten Umschuldungsanträge wie selbstverständlich unterstützen wird.229 Dem ist aber nicht so. Vielmehr hat die EZB in ihren schriftlichen Erklärungen bei der Verhandlung vor dem EuGH zum OMT-Programm ausgeführt, dass sie sich im Rahmen einer den CAC unterliegenden Umstrukturierung immer gegen einen vollständigen oder teilweisen Forderungsverzicht aussprechen werde.230 Damit bekräftigt sie das Kaufsignal, das sie mit dem OMT-Programm und dem PSPP in den Markt sendet. Zugleich nimmt die EZB der Ansicht Wind aus den Segeln, dass das Verbot monetärer Staatsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV neben der Haftungsübernahme aufgrund eines Ankaufs von Staatsanleihen auch die Realisierung dieser Haftung aufgrund eines Schuldenschnitts verbietet.231 Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB droht die Kanalisierung und Begrenzung gemeinschaftlicher Staatshilfen zu unterlaufen, die man mit dem ESM zu erreichen suchte. Das OMT-Programm unterliegt deshalb seinerseits einer strengen Konditionalität, nach der ein Reformprogramm unter dem ESM erforderlich ist.232 Der ESM setzt aufgrund seiner (nach Verwässerung bei den Vertragsverhandlungen am Ende wenig strengen, siehe Rz. 52 und 55) Konditionalität aber wiederum selbst eine Haftungsbeteiligung der Finanzgläubiger voraus, an der sich folglich die EZB mit den (bislang nur hypothetisch) unter dem OMT-Programm gehaltenen Anleihen beteiligen müsste. Im Übrigen ist zu beachten, dass nur beim PSPP keine Haftungsvergemeinschaftung eintreten soll. Nach dem PSPP sollen die Papiere von den nationalen Zentralbanken des Eurosystems nach ihrem Kapitalschlüssel erworben werden, allerdings unter der Annahme gleichen Risikos. Hingegen enthalten die übrigen Ankaufprogramme eine Haftungsverteilung, aber keine Ankaufverteilung nach Kapitalschlüsseln.

225 Krit. Philipp, NVwZ-Extra 2013, 1 (2) = NVwZ 2013, 911 (Thesen). 226 Technical features of Outright Monetary Transactions. Press Release, 6.9.2012. 227 Teil des dreiteiligen Asset Purchase Programme (APP), Beschluss (EU) 2015/774 der EZB vom 4.3.2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/10), ABl. EU Nr. L 121 v. 14.5.2015, S. 20. 228 Vgl. Art. 13 Abs. 3 und 7 ESMV. 229 Zust. Hofmann, Texas Int. Law Journal, Vol 49 (2014), 383 (416 f.); ablehnend Seitz, Umschuldungsklauseln, S. 242 ff. 230 Wiedergegeben in den Schlussanträgen des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón v. 14.1.2015 – C-62/14 – Gauweiler u.a. – Rz. 235. 231 Vgl. EuGH v. 16.6.2015 – C-62/14 – Gauweiler u.a., NJW 2015, 2013; dagegen BVerfG v. 14.1.2014 – 2 BvR 2728/13, BVerfGE 134, 366; zu den Grenzen mittelbarer Schuldenhilfen unter nationalem Verfassungsrecht s. auch von Lewinski in Isensee/Kirchhof, HStR X, 3. Aufl. 2012, § 217 Rz. 76 ff. 232 Zum OMT-Programm sowie dem Bedarf und der Funktionsweise der außerordentlichen Maßnahmen Cour-Thimann/Winkler, ECB Working Paper No 1528, April 2013, insbesondere S. 13 ff., 17 ff.

1010

Lendermann

Rz. 79 Vor §§ 4a–4k BSchuWG

Die EZB soll aber offenbar nicht in das Dilemma geraten, dass sich ihre ablehnende Hal- 78 tung bei einem Gläubigerbeschluss durchsetzt. Würde sie nämlich die Umschuldung eines Mitgliedstaats verhindern, träte sie einem Beschluss der anderen Europäischen Institutionen sowie der Mitgliedstaaten entgegen und käme letztlich ihrem Stabilitätsauftrag nicht nach. Aus diesem Grund vermeidet sie es, eine Sperrminorität in den einzelnen Staatsanleihen zu erreichen. So hat sich die EZB für das PSPP im Wege der Selbstbeschränkung Ankaufslimite in Höhe von anfänglich 25 Prozent auferlegt.233 Wenig später hat der EZB-Rat die PSPPAnkaufobergrenze von 25 Prozent auf 33 Prozent pro Anleihe (maßgeblich ist die einheitliche ISIN) erhöht, „sofern im zu überprüfenden Einzelfall eine Anlage von 33 Prozent pro ISIN nicht dazu führt, dass die Zentralbanken des Eurosystems Sperrminoritäten im geordneten Umschuldungsverfahren erlangen.“234 Gemäß Erwägung 5 des Beschlusses über das PSPP sollen die Ankaufslimite nicht nur „das reibungslose Funktionieren der Märkte für notenbankfähige marktfähige Schuldtitel […] gewährleisten“, sondern auch dazu dienen, „eine Behinderung geordneter Umschuldungen zu vermeiden“.235 Das aber ist geeignet, im äußersten Fall das durch den Anleihekauf begründete Marktvertrauen zu enttäuschen. Die EZB suggeriert die Sicherheit der von ihr angekauften Staatsanleihen. Dabei würden diese schließlich Gegenstand einer Umschuldung. Die EZB hat dann nicht genügend Anteile im Bestand, um den Umschuldungsbeschluss zu verhindern und somit ihr Sicherheitsversprechen an den Markt einzulösen. Umgekehrt aber kann die Ankaufsbegrenzung schließlich auch gänzlich untauglich zur Erreichung des damit bezweckten Ziels sein. Hierbei muss der Summierungseffekt mit etwaigen weiteren dissentierenden Gläubigern, die sich der EZB anschließen, in Betracht gezogen werden. Würde mit ihnen gemeinsam eine Sperrminorität erreicht, wäre mithilfe der EZB die Umschuldung zum Scheitern gebracht. Sofern dies mit den geldpolitischen Zielen vereinbart werden könnte, wäre es letztlich konsequenter, den Forderungen der EZB gegen Staaten einen Vorrang in der Gläubigerhierarchie zu geben, um nicht die Haftung privater Gläubiger zu konterkarieren. Dies müsste bereits von Anfang an transparent gemacht werden (vgl. dazu auch § 4 BSchuWG Rz. 45). Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Für die im Rahmen des PSPP und des OMT-Programms erworbenen Papiere reklamiert die EZB gerade keinen bevorrechtigten Gläubigerstatus, sondern akzeptiert „zur Wirksamkeit“ der Programme erstmals ausdrücklich dieselbe Behandlung wie private Investoren (pari passu).236 Unter diesen Bedingungen ist es künftig aber nicht mehr möglich, dass sich die EZB und die nationalen Zentralbanken der Umschuldung mit den von ihnen aufgrund der Ankaufprogramme gehaltenen Anleihen ad hoc entziehen und den Privatsektor alleine haften lassen.237 233 Vgl. ursprünglich Art. 5 des Beschlusses (EU) 2015/774 der EZB v. 4.3.2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/10), ABl. EU Nr. L 121 v. 14.5.2015, S. 20. 234 Art. 1 des Beschlusses der EZB v. 5.11.2015 (EZB/2015/2101), ABl. EU Nr. L 303 v. 20.11.2015, S. 106, zur Änderung von Art. 5 Abs. 1 des vorgenannten Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/33). 235 Beschluss (EU) 2015/774 der EZB v. 4.3.2015, ABl. EU Nr. L 121 v. 14.5.2015, S. 20. 236 Erwägung 8 des Beschlusses (EU) 2015/774 ABl. EU Nr. L 121 v. 14.5.2015, S. 20 (21); sowie Technical features of Outright Monetary Transactions. Press Release. 6 September 2012 (unter der Zwischenüberschrift „Creditor Treatment“). 237 So indes noch geschehen in der Umschuldung Griechenlands, wo die von Notenbanken gehaltenen Anleihen in solche mit neuen Wertpapiernummern getauscht wurden, die von der Einführung von Umschuldungsklauseln ausgenommen waren, siehe Ruhkamp/Mussler/Psotta, EZB entzieht sich der Umschuldung, FAZ v. 16.2.2012; zu den konkreten Umschuldungsbedingungen und einbezogenen Anleihen siehe die Pressemitteilung des Finanzministeriums der Hellenischen Republik v. 24.2.2012, abrufbar unter http://www.pdma.gr/attachments/article/65/pressrelease20120224en.pdf.

Lendermann 1011

79

§ 4a BSchuWG Rz. 1 Einführung von Umschuldungsklauseln

§ 4a Einführung von Umschuldungsklauseln 1Die

Emissionsbedingungen der vom Bund begebenen Schuldverschreibungen mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr können Klauseln enthalten, die zum Zwecke der Umschuldung eine Änderung der Emissionsbedingungen durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger mit Zustimmung des Bundes ermöglichen (Umschuldungsklauseln). 2Die Umschuldungsklauseln können auch die Möglichkeit zur einheitlichen Beschlussfassung für Schuldverschreibungen verschiedener Anleihen vorsehen (anleiheübergreifende Änderung). 3Soweit Emissionsbedingungen nichts Abweichendes vorsehen, gelten für die Umschuldungsklauseln die §§ 4b bis 4k. I. Anwendbarkeit deutschen Rechts . . . . II. Sachlicher Anwendungsbereich (§ 4a Satz 1 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . 1. Schuldverschreibungen des Bundes . . . . 2. Ursprüngliche Laufzeit von über einem Jahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Emissionen von Staaten des Euroraums unter deutschem Recht und sonstige Sonderzuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitergehende Anwendbarkeit auf andere Emittenten und Emissionen. . . . III. Zeitlicher Anwendungsbereich 1. Neuemissionen nach Inkrafttreten des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachträgliche Einfügung von Umschuldungsklauseln in Altanleihen analog § 24 Abs. 2 SchVG . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 4 8

9 10

14

15

IV. Ermächtigungsprinzip (§ 4a Satz 1 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zivilrechtliches Ermächtigungsprinzip 2. Umschuldungsklauseln . . . . . . . . . . . . . 3. Verfassungsrechtliche Aspekte . . . . . . . . V. Anleiheübergreifende Änderung (§ 4a Satz 2 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . . 1. Verschiedenheit der Emissionen . . . . . . 2. Konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . 3. Zweistufiges Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 4. Alternative Ausgestaltung des Umschuldungsangebots an alle Gläubiger . . . . . . 5. Teilaggregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtstechnische Gestaltung . . . . . . . . . VI. Optionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Disponibilität und Subsidiarität (§ 4a Satz 3 BSchuWG) . . . . . . . . . . . . .

22 24 25 30 35 36 37 38 40 41 42 43 44

Schrifttum: Siehe Vor §§ 4a–4k BSchuWG.

I. Anwendbarkeit deutschen Rechts 1

Die §§ 4a–4k BSchuWG finden von vornherein nur bei Wahl deutschen Rechts auf Umschuldungsklauseln (Collective Action Clauses – CACs) Anwendung.1 Das betrifft mithin die nach deutschem Recht begebene Schuld des Bundes sowie die nach deutschem Recht begebene Schuld anderer Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG).2 1 Eine dem § 1 Abs. 1 SchVG entsprechende Vorschrift („Nach deutschem Recht begebene …“) wäre deklaratorisch und somit entbehrlich. Grund für die Klarstellung ist, dass es im Unterschied zum SchVG 1899 nicht mehr auf den Sitz des Emittenten ankommt, Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 9. 2 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 9, 47 f., zur Teilrechtswahl Rz. 14 f. Die Rechtswahl (im Sinne einer Wahl ausländischen Rechts) wurde erleichtert, als die Deutsche Bundesbank zum 1.8.1992 ihre rechtlich unverbindliche, tatsächlich aber nahezu ausnahmslos befolgte („soft law“) Erwartung aufgab (abgedruckt in WM 1992, 1211), dass für DM-Auslandsemissionen als Teil des vormaligen Verankerungsprinzips in das deutsche Girosammelverwahrsystem einzubeziehen seien und für sie deutsches Recht zu gelten habe (zu den Einzelheiten und den früheren Fassungen der „Erklärungen zu DM-Emissionen“ Bosch in Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis, Stand 12.97, Rz. 10/19). Zur

1012

Lendermann

Einführung von Umschuldungsklauseln

Rz. 2 § 4a BSchuWG

Nach den Vorgaben des EFC-Unterausschusses müssen Recht und Gerichtsstand eines Mitgliedstaats des Euro-Währungsraums gewählt werden.3 Insofern, als nicht nur die in ausländischer, sondern auch die in eigener Währung, namentlich der Gemeinschaftswährung denominierten Anleihen mit den Umschuldungsklauseln des EFC-Unterausschusses (Common Terms of Reference – CTR) ausgestattet werden sollen, reagieren die Vertragsparteien des ESM darauf, dass die Währungspolitik im Euro-Währungsraum kaum national zu beeinflussen ist.4 Mit dem vorgegebenen Rechtsrahmen kommt Deutschland seiner Verpflichtung aus dem ESMV nach, die rechtliche Wirksamkeit der CTR im Anwendungsbereich seines Rechts sicherzustellen (Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 57). Damit soll eine Unwirksamkeit nach den §§ 307 ff. BGB vermieden werden, die nämlich allein dann droht, wenn CACs auf Grundlage der vom BGH vorgenommenen Einordnung als AGB der Klauselkontrolle nach deutschem Recht unterliegen (§ 3 SchVG Rz. 30 ff., 72 ff.). Das Erfordernis eines Leitbildes stellt sich unter diesem Aspekt in anderen europäischen Rechtsordnungen, in denen Emissionsbedingungen nicht kontrollfähig sind, nicht in gleicher Weise. Das verwundert, weil das AGB-Recht weitgehend europarechtlich determiniert ist und somit einheitlich auszulegen wäre.5 In der EU soll die Möglichkeit der Einführung von CACs oder vielmehr der Ausräumung eines Verbots von CACs in der eigenen Rechtsordnung einen Rückgriff auf englisches Recht obsolet machen. Gleichwohl wird letztlich die Auslegung durch die Gerichte maßgebend sein.6 Die Aufnahme von Auslandsschulden ist derzeit für Deutschland sowie für alle anderen EULänder mit Ausnahme der Hellenischen Republik ein theoretisches Problem.7 Die Maßnahmen der Hellenischen Republik haben indes gezeigt, dass in einer Krise Schulden weiterhin in Euro oder auch in einer anderen Leitwährung, jedoch kaum mehr unter Vereinbarung eigenen Rechts und Gerichtsstands ausgegeben werden können. Damit werden sie dem rechtlichen Zugriff des Schuldners entzogen. Das rechtliche Schicksal der Klauseln muss der Emittent in die Hände der Gesetzgebung und Rechtsprechung einer ausländischen Jurisdiktion legen. Im Übrigen ist die Aufnahme von CACs ohnedies als eine die gesetzliche Zwangsumschuldung ausschließende juristische Selbstrestriktion zu lesen (§ 4b BSchuWG Rz. 37).

3 4 5

6 7

Attraktivitätssteigerung des deutschen Rechts trug bei, dass das Verankerungsprinzip nach der Umstellung auf Euro und der Übertragung der Währungspolitik auf die EZB seine Grundlage verloren hat. Deshalb erübrigt sich nunmehr auch eine Erörterung, ob europäische Grundfreiheiten einer nationalen Verankerung des Marktes für DM-Emissionen entgegenstünden; vgl. zu ähnlichen Fragen bei der Festlegung der Bietergruppe Bundesmissionen § 4 BSchuWG Rz. 49. EFC-Unterausschuss, Erläuterungen zum Entwurf der CTR, S. 8 f.; siehe dazu auch § 4b BSchuWG Rz. 12–14 (Änderung des anwendbaren Rechts), Rz. 15–17 (Änderung des Gerichtsstands). Hierdurch wurde auch die herkömmliche Kategorisierung nach Inlands- und Auslandsschuld obsolet, die nicht nur auf die Rechtswahl und den Gerichtsstand, sondern vor allem auch auf die maßgebliche Währung abhob; dazu Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 3 f., 11. RL 93/13/EWG des Rates v. 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. EG Nr. L 95 v. 21.4.93, S. 29), nunmehr konsolidierte Verbraucherschutzrichtlinie, RL 2011/83/EU v. 25.10.2011 (ABl. EU Nr. L 304/64 v. 22.11.2011); s. zu dieser Diskussion Burn in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 219 (223 f.); ferner von Randow in Baums/Cahn, Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, S. 25 (30 ff.), die aus einer Reihe von guten Gründen die Anwendung der Klauselrichtlinie ablehnen; zur Kontrollfähigkeit unter deutschem Recht nach der Rspr. des BGH vgl. Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 67. Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 170 f. EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 1.

Lendermann 1013

2

§ 4a BSchuWG Rz. 3 Einführung von Umschuldungsklauseln

II. Sachlicher Anwendungsbereich (§ 4a Satz 1 BSchuWG) 3

Die Emissionen der öffentlichen Hand sind vom Anwendungsbereich des SchVG freigestellt, § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG. Stattdessen gelten für Emissionen des Bundes die Sonderregeln des BSchuWG. Bei der Formulierung des Anwendungsbereichs beschränkt sich der Gesetzgeber auf das ESM-vertraglich Notwendige. Nach dem Wortlaut von § 4a Satz 1 BSchuWG ist die Einfügung von Umschuldungsklauseln in alle Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand möglich, die nach Art. 12 Abs. 3 ESMV verpflichtend damit auszugeben sind (vgl. Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 57–60). Dies sind mithin solche des Bundes mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr. Der Umkehrschluss, dass damit die Emissionen aller sonstigen öffentlichen Emittenten von diesen Möglichkeiten ausgeschlossen wären, ist nicht zwingend (siehe dazu sogleich Rz. 10–13). Auch inhaltlich hält sich der Gesetzgeber in den §§ 4a–4d und 4f BSchuWG eng an die Vorgaben der CTR des EFC-Unterausschusses. Dabei hätte nichts dagegen gesprochen, den Anwendungsbereich weiter zu fassen und den Emittenten einen größeren Gestaltungsspielraum einzuräumen. Eine weitere Fassung wäre auch mit Blick auf künftige Änderungen der CTR sinnvoll gewesen, soll dies nicht regelmäßig Folgeänderungen des BSchuWG nach sich ziehen. 1. Schuldverschreibungen des Bundes

4

In den sachlichen Anwendungsbereich der §§ 4a–4k BSchuWG fallen die vom Bund begebenen Schuldverschreibungen mit einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr. Davon sind nach der auch hier anzuwendenden Legaldefinition des § 1 Abs. 1 SchVG nur inhaltsgleiche Schuldverschreibungen im Sinne von §§ 793 ff. BGB aus Gesamtemissionen betroffen (§ 1 SchVG Rz. 24 ff.). Es werden mithin alle verbrieften Staatsschulden gegenüber Finanzgläubigern erfasst. Der Begriff der „Emissionsbedingungen“ impliziert die Notwendigkeit einer Gesamtemission aus zueinander fungiblen Titeln (vgl. Rz. 25 und Rz. 36).8 Aufgrund der Aggregierungsmöglichkeit (dazu Rz. 35–42) könnten theoretisch auch einzeln kreierte Schuldverschreibungen oder weitergehend auch nicht verbriefte Einzelforderungen in Umschuldungsbeschlüsse einbezogen werden, sofern ihre Dokumentation Umschuldungsklauseln enthält.

5

Was den Emittenten betrifft, so ist allein der Bund adressiert. Gliedstaaten föderal organisierter Staaten des Euroraumes sind nicht selbst Vertragsparteien des ESMV. Von ihnen begebene Anleihen müssen nach Worten des EFC-Unterausschusses keine derartigen Klauseln aufweisen.9 Dem folgt das BSchuWG mit seinem entsprechend engen Anwendungsbereich, ohne diese Interpretation zu hinterfragen. Jedenfalls hätte der Bundesgesetzgeber auch hierbei ohne Schaden von seiner Kompetenz Gebrauch machen können, um die zivilrechtliche Wirksamkeit auch für Emissionen der Länder und Gemeinden zu untermauern.10 Dass er dies unterlassen hat, spielt der auf Länderebene und kommunaler Ebene fortbestehenden Skepsis gegenüber einer Einführung von CACs in die Hände (zur analogen Anwendung Rz. 10–12).

6

Indem sich die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsraums im ESMV bei der Haftungsbeteiligung privater Gläubiger auf bestimmte „finanzielle Verbindlichkeiten“ aus Schuldverschreibungen beschränkt haben, sind Ansprüche aller „nicht-finanziellen“ Gläubiger (Lieferanten,

8 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 16 mit Bezug auf die Definition in § 151 StGB. 9 EFC-Unterausschuss, Erläuterungen zum Entwurf der CTR, S. 2. 10 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 45 sieht darin kein Versehen, wenngleich dies auch der bundesstaatlichen und föderativen Situation in Deutschland keineswegs gerecht wird.

1014

Lendermann

Einführung von Umschuldungsklauseln

Rz. 9 § 4a BSchuWG

Staatsbedienstete u.a.) von vornherein ausgenommen. Dies ähnelt den für die Bankenabwicklung geltenden Ausnahmen beim Bail-in für „operative Verbindlichkeiten“ gemäß § 91 Abs. 2 Nr. 6 und 7 Sanierungs- und Abwicklungsgesetz (SAG)11 und ist sozial- und wirtschaftspolitisch mit der Aufrechterhaltung der Kernfunktionen eines Staates gerechtfertigt. Vor dem Hintergrund des Gleichbehandlungsgebots und auch der wirtschaftlichen Notwendigkeiten ist es indes nicht gerechtfertigt, dass es von der Verbriefung (bzw. gleichgestellter Sammelschuldbucheintragung) einer finanziellen Forderung abhängen soll, ob das Umschuldungsverfahren auf sie angewendet werden kann oder nicht. So ist es kaum verständlich, dass nach Ansicht des EFC-Unterausschuss und der Gesetzesbegründung alle nicht verbrieften Schulden und hierunter vor allem syndizierte Kredite von Banken ausgenommen sind.12 Der Forderung der Deutschen Bundesbank, CACs in die Grundlagen sämtlicher Staatsschulden einzubeziehen,13 sollte mit einer Klarstellung im BSchuWG der Boden bereitet werden. Öffentlich garantierte Anleihen Dritter sind ebenfalls nicht erfasst.14 Dies wird dem nicht ganz unwahrscheinlichen Szenario eines zur selben Zeit eintretenden Umschuldungsbedarfs sowohl des Emittenten als auch des staatlichen Garanten („double default“) nicht gerecht.15

7

2. Ursprüngliche Laufzeit von über einem Jahr Einer Umschuldung unterliegen nach dem Wortlaut nur Schuldverschreibungen mit einer ur- 8 sprünglichen Laufzeit von über einem Jahr. Der Gesetzgeber hält sich erneut eng an die Vorgabe des ESMV. Die daran geübte Kritik, er setze in der Krise Anreize für eine zunehmend kurzfristige Refinanzierung,16 gilt somit in selber Weise für die nationale Einschränkung des Anwendungsbereichs von §§ 4a–4k BSchuWG. Trotz der haushaltsrechtlichen Trennung von Kassenverstärkungskrediten und Haushaltsdeckungskrediten sollten ausnahmslos alle Emissionen mit Umschuldungsklauseln versehen werden. Es ist davon auszugehen, dass dies AGB-rechtlicher Überprüfung standhält. Andernfalls käme es zu einer nicht sachgerechten Privilegierung einzelner Gläubigergruppen und einer noch stärkeren laufzeitspezifischen Preisdifferenzierung, als sie zwischen Geld- und Kapitalmarkt ohnehin schon besteht. Im Interesse effektiver Gleichbehandlung und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zum Bail-in-Instrument zur Bankenabwicklung ist die Ursprungslaufzeit mit bis zu sieben Tagen deutlich enger als in § 4a Satz 1 BSchuWG zu ziehen, vgl. § 91 Abs. 2 Nr. 5 Sanierungsund Abwicklungsgesetz (SAG). Zugleich wäre hierbei zweckmäßigerweise der Möglichkeit einer Einzelfallausnahme im konkreten Umschuldungsbeschluss der Vorzug zu geben. 3. Emissionen von Staaten des Euroraums unter deutschem Recht und sonstige Sonderzuweisungen Aufgrund der Sonderzuweisung des § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG gelten §§ 4a–4i und 4k BSchuWG für nach deutschem Recht begebene Schuldverschreibungen, deren Schuldner ein anderer Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets ist, entsprechend. Damit wird der deutsche Gesetzgeber seinem Auftrag aus Art. 12 Abs. 3 ESMV gerecht, auch für die nach deutschem Recht begebene Schuld anderer Mitgliedstaaten Wirkungsgleichheit zu gewährleisten. Bislang gibt es 11 Art. 1 BRRD-Umsetzungsgesetz v. 10.12.2014, BGBl. I 2014, 2091 v. 18.12.2014. 12 EFC-Unterausschuss, Erläuterungen zum Entwurf der CTR, S. 2; Begr., BT-Drucks. 17/9049 v. 20.3.2012, 7. 13 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2011, S. 58. 14 BT-Drucks. 17/9049 v. 20.3.2012, 7. 15 Zur Ausnahme vom SchVG ebenso krit. Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 32. 16 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht April 2011, S. 58; zustimmend Sester, WM 2011, 1057 (1064).

Lendermann 1015

9

§ 4a BSchuWG Rz. 10 Einführung von Umschuldungsklauseln dazu keinen Anwendungsfall.17 Dies kann sich in Krisen allerdings ändern, wenn sich der Kapitalmarkt nicht mehr auf die staatliche Zurückhaltung betreffend die hoheitlichen Eingriffe in die seinem Herrschaftsbereich unterliegenden Inlandsschulden verlassen sollte. Wegen der Besonderheiten des Schuldbuchs für Emissionen des Bundes ist § 4j BSchuWG von dem Verweis des § 1 Abs. 2 Satz 2 SchVG ausgenommen. Stattdessen muss § 21 SchVG analog gelten. Es wird keine Unterscheidung zwischen Rechtswahl und Gerichtsstand getroffen, obgleich die Anwendbarkeit des § 4i BSchuWG streng genommen nicht davon abhängt, dass die Schuldverschreibungen nach deutschem Recht begeben wurden, sondern nur davon, dass ein deutscher Gerichtsstand vereinbart wurde. 4. Weitergehende Anwendbarkeit auf andere Emittenten und Emissionen 10

Bislang ist nicht geklärt, ob die Möglichkeiten der CACs nach dem BSchuWG über den eigentlichen Anwendungsbereich hinaus auch weiteren Emittenten bzw. Emissionen mit Laufzeiten unter einem Jahr offenstehen.18 Entscheidende Bedeutung hat dies für Emittenten, die einerseits der Freistellung des § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG unterliegen, andererseits aber nicht von § 4a BSchuWG oder einer anderweitigen gesetzlichen Sonderzuweisung erfasst werden. Das betrifft vor allem Länder und Gemeinden und solche Emissionen Privater, für die die öffentliche Hand haftet. Entsprechend der Regierungsbegründung zum SchVG19 können für letztere beispielhaft Anleihen von Kreditinstituten, die der Finanzmarktstabilisierungsfonds garantiert, und Anleihen der KfW, für die der Bund nach § 1a KfW-Gesetz haftet, angeführt werden. Für die übrigen Emittenten, die nicht der Ausnahme von § 1 Abs. 2 Satz 1 SchVG unterliegen, wäre es womöglich interessant, von den Regelungen des BSchuWG ergänzend neben dem SchVG Gebrauch zu machen. Damit ließen sich die Besonderheiten des BSchuWG, vor allem was die aggregierte Abstimmung und die Disponibilität betrifft, nutzbar machen.

11

In der Literatur wird dazu vertreten, dass es für ausgeschlossene Emittenten keine Gestaltungsfreiheit gebe.20 Im Anwendungsbereich des SchVG würden ausschließlich dessen Bestimmungen gelten. Das BSchuWG sei eine Spezialregelung für öffentliche Emittenten, wenn ihm nicht wegen seines Ausnahmecharakters ohnehin jeglicher Leitbildcharakter abzusprechen sei.21 Für diese enge Auslegung streiten der Wortlaut des § 4k BSchuWG sowie die Entstehungsgeschichte der §§ 4a–4k BSchuWG, mit denen lediglich der Erfüllung des ESMV der Weg bereitet werden sollte. Dagegen sprechen jedoch mit der Gesetzesbegründung22 und Teilen der Literatur23 gewichtige Argumente dafür, dass nicht nur dem SchVG, sondern auch dem BSchuWG ein allgemeingültiges gesetzliches Leitbild für die Gestaltung von CACs in Anleihebedingungen zu entnehmen ist. Ganz generell liegt der Verdacht einer willkürlichen Benachteiligung der vom Wortlaut nicht erfassten öffentlichen Emittenten als auch derjenigen des Privatsektors nahe, wenn deren CACs nach § 307 BGB für unwirksam erklärt würden, obwohl sie mit dem BSchuWG konform gingen. Der Umstand, dass diese Emittenten nicht nach dem ESMV zur Einbeziehung von CACs in die Emissionsbedingungen verpflichtet sind, kann kaum als Rechtfertigung dienen.

12

Sofern insbesondere Anleihen von öffentlichen, internationalen und supranationalen Emittenten betroffen sind, sind die §§ 4a–4k BSchuWG mit Ausnahme von § 4j BSchuWG 17 EFC-Unterausschuss, Ergänzende Erläuterungen zu den CTR, S. 1. 18 Zur umgekehrten Frage, ob das SchVG neben dem BSchuWG ergänzend anwendbar ist (Opt-in), § 1 SchVG Rz. 73–78 und § 4b BSchuWG Rz. 4. 19 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 16. 20 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 178. 21 Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, § 1 SchVG Rz. 56; Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (16 f.). 22 BT-Drucks. 17/9049 v. 20.3.2012, 2 (A) und 7 (AT Nr. 1). 23 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (87).

1016

Lendermann

Einführung von Umschuldungsklauseln

Rz. 15 § 4a BSchuWG

ohnehin bereits als sachnäheres Recht vorzugswürdig.24 Insbesondere wäre es nicht gerechtfertigt, dass nach deutschem Recht begebene Anleihen mit Aggregationsklauseln gerichtsfest wären, wenn Emittent ein Mitgliedstaat der Europäischen Währungsunion ist, während über ihnen das Damoklesschwert der AGB-rechtlichen Unwirksamkeit schweben würde, wenn sie beispielsweise vom IWF, von der Weltbank, von der Europäischen Investitionsbank,25 vom ESM,26 von Großbritannien, von einem deutschen Bundesland oder einer deutschen Gemeinde ausgegeben worden wären. Auch läge ein Wertungswiderspruch vor, wenn man in der Änderung von Anleihen mit einer ursprünglichen Laufzeit von bis zu einem Jahr mittels Mehrheitsbeschlusses eine unangemessene Benachteiligung der dissentierenden Minderheit sehen würde, während dieses Ergebnis für eine Anleihe mit derselben Restlaufzeit, aber einer über einjährigen Anfangslaufzeit nicht gelten würde. Für private Emittenten sind zumindest die inhaltlichen Vorgaben für CACs gemäß den §§ 4a, 4b, 4f BSchuWG aus Gründen der Gleichbehandlung freiwillig wählbar. Die in Zeiten vor Inkrafttreten des BSchuWG diskutierte Frage, ob das SchVG als Leitbild für CACs des Bundes dienen kann, hat der Bund mit Emission der U.S.-Dollar-Anleihen in den Jahren 2005 und 2009 für das SchVG faktisch bejaht.27 Unter umgekehrten Vorzeichen ist heute eine Benachteiligung privater gegenüber öffentlichen Emittenten kaum mit Sachgründen zu rechtfertigen. Insbesondere können auch größere private Unternehmungen eine Vielzahl an Anleihen ausstehend haben. Ihnen wäre dann ein Bedarf nach CACs mit Aggregationsmöglichkeiten nicht abzusprechen.28

13

III. Zeitlicher Anwendungsbereich 1. Neuemissionen nach Inkrafttreten des Gesetzes Die Schuldverschreibungen gemäß § 4a BSchuWG können CACs mit der nötigen Rechtssicherheit jedenfalls nach Inkrafttreten des Gesetzes zum 1.1.2013 enthalten. Ab diesem Stichtag müssen sie diese im Rahmen des Art. 12 Abs. 3 ESMV enthalten, sofern nicht ausnahmsweise eine Aufstockung von Altanleihen unter denselben Bedingungen erlaubt ist (Vor §§ 4a–4k BSchuWG Rz. 57).

14

2. Nachträgliche Einfügung von Umschuldungsklauseln in Altanleihen analog § 24 Abs. 2 SchVG In der Übergangszeit ist ein gespaltener Markt zu befürchten.29 Es würden unterschiedliche Risikoprämien für im Übrigen konditionengleich ausgestaltete Anleihen mit und ohne CACs gebildet. Im Anwendungsfall droht die Insuffizienz der Umschuldung, eine Ungleichbehandlung der Inhaber von Schuldverschreibungen verschiedener Serien und dadurch auch ein Problem für die Aggregierung. Aus diesen Gründen hat Griechenland in der Finanzkrise in

24 Oulds in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 45. 25 Zu den beiden letztgenannten Bliesener/Schneider in Langenbucher/Bliesener/Spindler, BankrechtsKommentar, § 1 SchVG Rz. 52. 26 Zur Darlehensaufnahme vgl. Erwägung 6 und Art. 3 Satz 2 ESMV. 27 Dazu Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (75 f.) mit Fn. 9. 28 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (88). 29 Vgl. Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (88); Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (706).

Lendermann 1017

15

§ 4a BSchuWG Rz. 16 Einführung von Umschuldungsklauseln seine bereits emittierten Anleihen per Gesetz No. 4050/12 (Special Bondholder Act)30 (Zwangs-)Umschuldungsklauseln nach dem Muster der späteren CTR mit Aggregationsmechanismus aufgenommen, soweit diese seinem hoheitlichen Zugriff, mithin griechischem Recht unterlagen.31 Wenngleich damit der eigentliche Umschuldungsbeschluss nicht ersetzt, sondern dazu nur die (hier gesetzliche) Ermächtigung geschaffen wurde, ist das Vorgehen verfassungsrechtlich mit Fragezeichen zu versehen. Zwar ist dies weniger einschneidend als eine zwangsweise Anordnung der Umschuldung selbst.32 Das macht jedoch nur einen quantitativen Unterschied. Nicht alle Gläubiger, sondern „nur“ die Minderheit kann kraft Gesetzes gegen ihren Willen majorisiert und entschädigungslos enteignet werden. Die Minderheit hatte ihrerseits aber weder dem Umschuldungsbeschluss, noch der Ermächtigung zu dessen allgemeinverbindlicher Geltung zugestimmt. Insoweit, als diese Minderheit betroffen ist, wurde die Ebene der Gleichordnung durch Hoheitsakt übersteuert. 16

Das BSchuWG schweigt zu der Frage, ob es zulässig ist, CACs in Altemissionen nachträglich einzufügen. Übergangsbestimmungen fehlen. Der Gesetzgeber hielt solche offenbar nicht für erforderlich, weil die Verpflichtung aus dem ESMV nur für Neuemissionen greift. Will man das Übergangsproblem ausräumen, müsste der Schuldner die CACs mit jedem einzelnen Gläubiger vereinbaren bzw. mittels einstimmigen Gläubigerbeschlusses in die Emissionsbedingungen aufnehmen. Aufgrund der Vielzahl an Gläubigern und staatlichen Emissionen ist dies ein unmögliches Unterfangen.33

17

Deshalb fordern Teile der Literatur, für Anleihen öffentlicher Emittenten eine dem § 24 Abs. 2 SchVG vergleichbare Norm (dazu § 1 SchVG Rz. 59, 75 ff., § 24 SchVG Rz. 8 ff.) im BSchuWG zu schaffen.34 Danach ist es zulässig, nachträglich mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss CACs in die Emissionsbedingungen bereits vor Inkrafttreten des SchVG 2009 emittierter Anleihen einzufügen („Opt-in“). Der Unterschied zur skizzierten Vorgehensweise Griechenlands besteht darin, dass die CACs nicht kraft Gesetzes eingefügt werden können, sondern das Gesetz seinerseits nur die Ermächtigung dazu bietet, die Umschuldungsklauseln mittels Mehrheitsbeschlusses mit allgemeinverbindlicher Wirkung einzufügen. Dennoch würde auch hier letztlich ein Gesetz, nämlich § 24 Abs. 2 SchVG, über die Bindung der Minderheit an die von ihr abgelehnte Mehrheitsentscheidung entscheiden.35 In der Regelung ist ein verbleibender gesetzlicher Lösungsappendix des vormaligen SchVG 1899 zu sehen. Danach fand die Verbindlichkeit von Änderungsbeschlüssen ihre Grundlage konzeptionell nicht in einer vertraglichen Ermächtigung, sondern im Gesetz.

18

Nach hier vertretener Ansicht ist eine Analogie zu § 24 Abs. 2 SchVG entgegen Teilen der Literatur36 insoweit zulässig, als der damit nicht einverstandenen Gläubigerminderheit eine Desinvestition offen steht und sie daraus keine Vermögensnachteile erleidet. Das ist regelmäßig außerhalb von Krisenzeiten, nicht aber bei bereits absehbaren Umschuldungsmaßnahmen anzunehmen. Im ersten Fall muss die gesetzgeberische Wertung des § 24 Abs. 2 30 Gesetz der Hellenischen Republik Nr. 4050/2012 v. 23.2.2012 („Regeln zur Änderung von Wertpapieren, die vom griechischen Staat emittiert oder garantiert wurden, mit Zustimmung der Anleiheinhaber“) (FEK A’ 36/23.2.2012) und Beschluss des Hellenischen Ministerrats v. 9.3.2012. 31 Es bedarf kaum der Erwähnung, dass dagegen gerichtete Klagen vor dem EuGH und dem BGH scheiterten, vgl. EuGH v. 11.6.2015 – C-226/13 u.a., ZIP 2015, 1250; BGH v. 8.3.2016 – VI ZR 516/14, WM 2016, 734 (736); umfassend Zettelmeyer/Trebesch/Gulati, Working Paper 13-8, August 2013, The Greek Debt Restructuring: An Autopsy; vgl. auch Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (80). 32 Hofmann/Keller, ZHR 175 (2011), 684 (705 f.) m.w.N. in Fn. 77. 33 So Nodoushani, WM 2012, 1798 (1801); vgl. Veranneman in Veranneman, § 5 SchVG Rz. 7. 34 Keller/Kößler in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 73 (88). 35 Insofern a.A. Schneider in Baums, Das neue Schuldverschreibungsrecht, S. 1 (12 ff.). 36 Hartwig-Jacob in Friedl/Hartwig-Jacob, § 1 SchVG Rz. 152; Veranneman in Veranneman, § 1 SchVG Rz. 51 (in Bezug auf eine Anwendbarkeit des SchVG); Nodoushani, WM 2012, 1798 (1800 f.).

1018

Lendermann

Einführung von Umschuldungsklauseln

Rz. 21 § 4a BSchuWG

SchVG auch im Anwendungsbereich des BSchuWG gelten. Die vom Gesetz verfolgten Interessen der Gläubigermehrheit, des Schuldners und der Allgemeinheit überwiegen dann die Privatautonomie der dissentierenden Minderheit sowie deren Vertrauen darauf, dass die Schuldverschreibungen keine Umschuldungsklauseln enthalten und somit nicht mittels Mehrheitsbeschlusses geändert werden können.37 Nach der Rspr. des BGH zu